Globus.
Illnstrirte Zeitschrist für Länder- und Völkerkunde.
Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
• . /
Herausgegeben von
Aarl Andree.
Dritter Band.
X
vRLiM
Hildburghausen.
Verlag vom Bibliographischen Institut.
1863.
Ii o r w o r t.
Indem wir mit der vorliegenden Nummer den dritten Band des Globus schließen, gereicht es
uns zur Freude, daß diese Zeitschrist iu immer weiteren Kreisen Zugang und freundliche Anerkennung
findet. Wir siud dafür sehr dankbar und liegt für uns darin ein Sporn mehr zum Fortschreiten.
Sehr wohl sind wir uns bewußt, daß wir mit uuserm Unternehmen noch in den Anfängen der
Entwickelung stehen, aber es gereicht uns zur Befriedigung, daß wir in Bezug auf Ton und Be-
Handlungsart des Stoffes das Richtige getroffen zu haben scheinen.
Wir wollen auf der betretenen Bahn weiter gehen, aber so, daß wir uns bestreben, dem
Globus eine immer größere Mannichfaltigkeit zu verleihen. Eiue gelehrte Fachzeitschrist soll er
nicht sein, und deswegen schließen wir eine specisisch gelehrte Behandlung ans; wohl aber soll der
Wissenschaft nicht das Mindeste vergeben, die wissenschaftliche Unterlage allezeit festgehalten
werden. Das, meinen wir, findet der kundige Leser ans jeder Nummer heraus. Wir möchten der,
in unseren Tagen des ausgedehnten Verkehrs, von so hervorragender Wichtigkeit gewordenen Länder-
und Völkerkunde in allen gebildeten Schichten Freunde gewinnen, dazu beitragen, daß der Leser einen
richtigen Einblick in das große Völkergetriebe und Staatsleben gewinne, und daß er deu Menschen
so kennen lerne, wie er in den verschiedenen Regionen der Erde wirklich ist.
Es kann nicht fehlen, daß wir dabei gegen manche hergebrachte Annahme und allerlei ab-
strakte Begriffe verstoßen; das darf uns jedoch nur wenig verschlagen. Wir kümmern uns nicht
um die Redensart, sondern fassen die Sache selber in's Auge, schildern die Dinge wie sie sind. Da-
bei kommt allerdings das Vornrtheil zu kurz, nicht aber die Wahrheit, und nur an dieser ist uns
gelegen.
Für uns erscheint es als eine angenehme Pflicht, einer Anzahl von Lehrern unfern Dank aus-
zusprechen, welche uns mit Zuschriften ehrender Anerkennung erfreut haben. Sie sehen im Globus
ein Mittel zum Unterricht für die reifere Jugend, auf Gymnasien sowohl wie aus Real- und
höheren Bürgerschulen, und finden als Ergebniß, daß sich die Theilnahme an Geographie und Völker-
fluide bei den Schülern außerordentlich steigere. Erfreulich ist auch, daß unsere Zeitschrift in vielen Fa-
Milien als Buch zum Vorlesen benutzt wird, uud so wird denn unsere Absicht mehr und mehr erreicht.
IV
Wir können für die nächsten Bände eine lange Reihe vortrefflicher Illustrationen in Aus-
ficht stellen. Zu diesen gehören die Zeichnungen von F. Kanitz über die Süddonau-Länder und
die Küstenregionen des Adriatischen Meeres; sodann Bilder, welche Herr Gustav Spieß, k. säch-
sischer Commissarius bei der ostasiatischen Erpedition, aus Japan, China und Indien mitgebracht
hat; ferner eine große Anzahl von Gemälden, welche der ausgezeichnete Maler Gras Hof aus Köln
während seiner langjährigen Reisen in Südamerika entwarf :e. Während die Verlagshandlung keine
Mühe scheut, solche werthvolle Original-Illustratiouen zu erwerben, haben wir zugleich deu Vor-
theil, vertragsmäßig auch Illustrationen aus dem Pariser Le Tour du Monde mittheilen zu können.
Wir bemerken hier aber ausdrücklich, daß diese französische Zeitschrift einen ganz andern Plan ver-
solgt als der Globus, und daß der letztere seinen Weg ganz selbständig geht.
Dresden, im März 1863.
Karl Andree.
Inhaltsveyeichniß.
Nr. 25.
Scitc
Streifzüge durch Kalifornien . ........ 1
Neue Mittheilungen über die Völker im Kaukasus. Von
Theodor Lapinski. 1........... 10
Ein Besuch am Hofe des Muata Cazembe..... 13
Die Stellung der Farbigen in der Uankee- Union und die
angebliche Philanthropie.......... 17
Briefe über Polen. Von Di-. I. Caro. 1...... 23
Ein Ausflug nach Ladakh nnd Kaschmir...... 25
Aus den südabefsinischen Landschaften....... 27
Der Dschiggetei, das wilde Pferd im russischen Daunen . 28
Kleine Nachrichten: Menschenraub durch Affen. —
Miani über die Entdeckungen am Obern Nil. — Ueber
die Audamanen-Jnseln. — Ludwig Krapf.— Ueber Neu-
Gninea und die östlichen Eilande des Indischen Archipe-
lagns. — Von der Westküste Afrikas. — Von den Ko-
moro-Inseln.— Baumwolle in Nordamerika.— Silber
in Mexiko.— Die Reis-Häfen im englischen Hinter-
Indien. — Stand des englischen Eisenbahnwesens. —
Die Handelsflotte Oesterreichs. — Trieft als Handels-
hafen. — Frau Livingstone gestorben. — Aberglaube tu
Ostindien. — Krähwinkel in Syrien. — Die deutsche
Wadai-Expedition gescheitert........30—32
Nr. 26.
Ein Blick anf die Insel Rhodns ........ 33
Neue Mittheilungen über die Völker im Kaukasus. Von
Theodor Lapinski. II. . ......... 41
Nadama der Idealist, König von Madagaskar .... 40
Die Deutscheu und Schweizer in Neapel ..... 50
Briefe über Polen. Bon vr. I. Caro. II...... 52
Charakterbilder aus den californischen Goldgegenden . . 54
Ein Besuch im Demir Chan zu Konstantinopel .... 58
Kleine Nachrichten: Wieder Gerüchte über Eduard
Vogel. — Der Löwentödter Gerard. — Neue Entdeckun-
gen in Australien. — Abbeoknta, geschildert von Richard
Burton. — Rutherford Alcock's Bemerkungen über Ja-
pan. — Südaustralien. — Ein unbehaarter Volks-
stamm in Australien. — Nomaden in Ackerbauer ver-
wandelt. — Das Erdbeben in Erzerum in Armenien.—
Der Telegraph nach Indien. — Wie ein Uankee Geo-
graphie schreibt.— Die Goldfelder in Victoria. — Neu-
füdwales. — Negerbräuche in Ostafrika. — Nachrichten
über Speke und Grant..........61—64
Nr. 27.
Von Mexiko nach Vera Cruz. Das gelbe Fieber und
dessen Verbreitung............ 65
Neue Mittheilungen über die Völker im Kaukasus. Von
Theodor Lapinski. III.......... 74
Ein Ansflng nach Tanger in Marokko...... 77
Die Wanderheuschrecke (Gryllus migratorius) und ihre
Verwüstungen in Südostrnßland während des vergan-
genen Sommers. Mitgetheilt von I)r. Alfred Brehm 81
Die freien Neger in Westindien......... 84
Eine Wanderung vom Irtyfch in Sibirien nach Königs-
berg am Pregel. I.............. 85
Aapolitanische Charakterköpfe. 1......... 89
Kl eine Nachrichten: Vorsintflnthliche Menschen.— Der
belgische Paläontologist Malaise. — Mensch nnd Affe. —
re-te ^uschenrassen.— Thierleben in der Meerestiefe.—
■ :bei den Orkaden. — Znr Gesittung
tn Korsika. — Der schwarze König von Dahome. — Die
Jceger m Central-Amerika. — Die neuesten Entdeckun-
gen lu Australien. — Die Kolonie Queensland im nord-
östlichen Australien. — Port Denison in Queensland. —
DieBanwollenuoth.— Macao in China den Portugiesen
definitiv abgetreten. — Die italienische Expedition in
Persien. — Telegraphen in der Kapkolonie. — Neue
Dampfverbindung mit dem fernen Asien. — Ameisen
auf St. Helena. — Der Bernsteinertrag in Ostpreußen.
— Die Staatseinnahme Schwedens. — Volkszählung
von Berlin. — Volksmenge von Mainz nnd Köln. —
Lübecks Handel im Jahre 1861. — Riesenbäume in Ca-
lifornien. — Eine mitteleuropäische Gradmesfuug. —
Siciliauischer Schwefel. — Die Donanmündnng . . 91—96
Nr. 28.
Streifzüge unter den Dayaks aus Borneo. 1..... 97
Der Vesuv seit dem Ausbruch im December 1861 nnd die
Zerstörung von Torre del Greco........ 106
Eine Wanderung vom Jrtysch in Sibirien nach Königs-
berg am Pregel. II............. 113
Briefe über Polen. Mitgetheilt von vr. I. Caro. III. . 116
Die Handelsverhältnisse von Schanghai. Mitgetheilt von
I. I. Egli in St. Gallen ......... 119
Zur Statistik des wirtschaftlichen Aufschwungs in den
conföderirten Staaten Nordamerikas...... 123
Neue Nachrichten aus Madagaskar....... 124
Kleiue Nachrichten: Civilisation in Irland.— Civili-
sation im illyrischen Dreieck. — Die „Malaien" der
Kapstadt. — Die kaukasischen Provinzen Rußlands. —
Ausgrabungen in Pompeji. — Das Telegraphennetz des
deutsch-österreichischen Telegraphenvereins am 1. Januar
1862 und dessen EntWickelung.— Betriebsergebnisse des
deutsch - österreichischen Postvereins im Jahre 1861.—
Der österreichische Bergbau auf Steinkohlen. — Berg-
werksertrag im sächsischen Erzgebirge. — Mehr Queck-
silber in Califoruieu. — Die Rübenzuckerfabrikation im
deutschen Zollverein. — Rübenzucker in Frankreich. —
Zur Statistik der Einwanderung in den Vereinigten
Staaten von Nordamerika. — Englands Bevölkerung
1861. — Volksinenge von London. — Bevölkerung von
Wien. — Hamburger Haudel. — Eisenbahnen in Ita-
lien. — Die^taatsschnld Frankreichs. — Die großen
canadischen Seen........... 125—128
Nr. 29.
Eine Wanderung von Jslay durch die peruanische Wüste.
Die Gräber und Mumien der Aymaras..... 129
Streifzüge unter den Dayaks auf Borneo. II..... 136
Bilder aus dem chinesischen Leben, nach dem Roman
King-ping-mei. Von Georg von der Gabelentz . 143
Neapolitanische Charakterköpfe. II........ 146
Leben und Treiben auf dem Marktplatz in Rio Grande do
Snl, Süd-Brasilien........... 148
Die Seychellen-Inseln und der Salomonsbanm . . . 150
Eine Gazellenjagd in Persien......... 152
Der Zobel am Amurstrom.......... 154
Kleiue Nachrichten: Der australische Kontinent zum
dritten Mal durchwandert. — Aufstand der Neger in
St. Vincent.— Deportirte in Westaustralien.— Deutsche
Kolonien in Brasilien. — Civilisation ans Sicilien. —
Aus Hiuterindien. Siam und die Franzosen. — Die
Holländer im Judischen Archipelagns. Streit über Su-
matra. — Ostindiens Staats-Einnahmen und Ans-
gaben. — Gold in Neu-Seeland. — Califormfches
Silber. — Schwamm-Fischerei im Adriatifchen Meere.
— Das Steinöl in den Vereinigten Staaten von Nord-
amerika. — Telegraph zwischen Smyrna und Syra. —
t
VI
Telegraph durch die Mongolei nach Schanghai. — Ein
direktes Telegramm zwischen Nen-Uork und San Frau-
cisco. — Das Eisenbahnnetz Italiens. •— Schiffsver-
kehr in den Häfen des Zollvereins. — Die Mündung
der Rhone. — Kanal durch die^Landenge von Korinth.—
Der brasilianische Hasen Bahra. — Der Handel Bel-
giens. — Volksmenge im preußischen Staate. — Die
preußischen Wollmärkte. — Ausfuhr von Seideuwaareu
in Lyon. — Baumwolle in Afrika. — Aus der Kap-
Kolonie. — Zweifelhafter Ausgang der Expedition des
Lieutenant Krnsenstern in das Nördliche Eismeer. —
Geographische Schnitzer.........156—160
Nr. 30.
Vierzehn Tage in Mensa. Mitgetheilt von Dr. A. E.
Brehm. 1............... 161
Schilderungen aus Venedig. 1.......... 171
Aus Bayard Taylor's Reise in Lappland. 1..... 177
Das Vordringen Rußlands nach Jnnerasien. (Aus Karl
Audree's Geographie des Welthandels) .... 181
Der Streit über den Gorilla und Du Chaillu . . . . 183
Enthüllungen über deu südasrikauischeu Reiseuden David
Livingstone.............. 185
Die Arbeiten an dem Kanal auf der Laudenge von Suez 188
Kleine Nachrichten: Forschungsreise auf dem Niger.—
Alexander Ziegler über die deutschen Expeditionen in
Afrika. — Kolonisirung von Nord-Australien. — Fort-
schritt der Ansiedelungen auf Nen-Kaledonieu. — Japa-
nische Colonisation. — Einwanderung in die La Plata-
Staaten.— Die Mormonen im Utah-Gebiete.— Sklaven-
handel an der Ostküste von Afrika. — Die normannischen
Inseln im Kanal. — Noch ein Telegraph durch Nord-
amerika. — Eine Poststraße vom Ural nach Jnnerasien.
— Vom Vorgebirge der Guten Hoffnung. — Kanal oder
Eisenbahn durch die hinterindische Halbinsel. — Italie-
nische Häfen. — Die Schifffahrt Genuas und die
Handelsbewegungen dieses Platzes. — Das Sorgho-
Zuckerrohr .............189—192
Nr. 31.
Schilderungen aus Venedig II.......... 193
Im Rothen Meer und im Busen von Aden..... 204
Briefe über Polen. Mitgetheilt von Dr. I. Caro. IV. . 210
Aus Bayard Taylor's Reise in Lappland. II..... 212
Die Sklavenjagden der Europäer am Weißen Nil . . . 214
Eine Trappenjagd in Persien......... 215
Die Saud wichs iuseln und die Walsischfänger in der
Südsee................ 218
Verpflanzung der Fieberrinde aus Südamerika nach Ost-
indien................ 219
Kleine Nachrichten: Burton und Du Chaillu. — Ein
Ersatzmittel für die Chinarinde. — Nene Gespinnst-
Pstanzen. — Außereuropäische Thiere nach unserm Erd-
theil übersiedelt. —• Remittiere in der Schweiz. —
Bergwerks - und Hütten-Betrieb in Prenßen. — Kohlen
in Großbritannien. — Erzengung vou Eiseuerz in Groß-
britannien und Irland 1861. — Transport von Mine-
ralien auf den britischen Eisenbahnen. — Statistik der
britischen Finanzverwaltung. — Zur Statistik des
britischen Kolonialreiches. — Kolonialverhältnisse Alge-
riens. — Bunte Musterkarte der Einwanderung in
Nordamerika. — Volkszahl in Württemberg. — Volks-
zahl von Städten in Preußen. — Volksmenge von
St. Petersburg. — Geut in Ostflandern. — Die Volks-
menge von Paris. —■ Die Ionischen Inseln. — Schiff-
fahrtsbewegung von Trapeznnt. — Kalifornien (Süd-
früchte —neue Goldgruben). —Die Deutschen in Ungarn
und Siebenbürgen........... 221—224
Nr. 32.
Tarsus in Cilicien, die Stadt des Apostels Paulus . . 225
Die Kolonie Queensland in Nordost-Australien. I. . . 233
Bemerkungen über Britisch-Ostindien...... 237
Wohin soll man gefährliche Verbrecher transportiren?
Das Camerones - Gebirge an der westafrikanischen Küste 239
Nene Nachrichten aus Tibet. Das Vordringen der katho-
lischen Missionäre in das Gebiet des Dalrn Lama . . 241
In der Campagna der brasilianischen Provinz Rio grande
de Snl. Bon Karl von Koseritz. 1....... 245
Chartnm. Mitgetheilt von Dr. Alfred Brehm. I. . . 247
Vom Senegal nach Timbnktn......... 251
Die Civilisationskomödie auf Madagaskar und Napoleo-
nische Annexionen. Bedeutung des Hafens Diego
Snarez........._....... 252
Die Telegraphenverbindung nach Indien..... 253
Kleine Nachrichten: Ein Brief des Reisenden Schubert
aus Chartum. — Aus der Kapkolonie. — Aus West-
iudieu. — Aus Südamerika. — Ein Vetter der See-
schlänge. — Die Insel Wangerooge. — Ein Orkan auf
den Seychellen.— Haifische als Wetterpropheten.— Die
Suliuamüudung. — Die Bleigruben Großbritanniens.
— Mineralschätze in Canada. — Eisenbahn zwischen
Smyrna und Ephesns. — Die Stadt Chicago in
Illinois. — Anwachs der Volksmenge in Australien.—
Volksmenge auf Neuseeland........ 254—256
Nr. 33.
Nach Barcelona, der Hauptstadt Catalonieus .... 257
Die Kolonie Queensland in Nordost-Australien. II. . . 270
Chartum. MitgetheiltvonDr.Alsred Brehm.il. . . 273
Die Kabeljauinsel St. Pierre......... 276
In der Campagna der brasilianischen Provinz Rio grande
do Snl. Bon Karl von Koseritz. II...... 278
Ethnologische Beiträge. 1........... 280
Öffentliche Zustäude in den Ländern am La Plata-Strom 282
Die Jpecacnanha in Matto- Grosso....... 284
Kleine Nachrichten: F. Kanitz über die Länder der
europäischen Türkei. — Heinrich Barth's Wanderung in
den Süd-Donauländern. — Die. geographische Gesell-
schast zu St. Petersburg. — Eigentümlichkeiten in der
Normandie. — Ans Neuseeland und Australien. —
Der Rio Sau Francisco. — Bankerotte in England
und Wales. — Geldertrag der Eisenbahnen in Groß-
britannien. — Eine Bibelübersetzung in chinesischer
Sprache. — Dampfer zwischen China uud Califormen.
— Aus Calisornien. — Das chinesische Znckersorgho in
Nordamerika.— Einwanderung in Neu-Jork 1862. —
Die Kohlenzufuhr in London. — Die Volksmenge
Algeriens. — Volksmenge im australischen Victoria —
Die Zufuhr vou chinesischem Thee nach Europa.— Ein-
fuhr von Gold und Silber in England. — Die Haupt-
stadt vou Barma. — Das nordamerikanische Stein öl.
—Fruchtbarkeit iu Califormen.—Der letzte Großmogul.
— Ein Berliner Kiud unter den Afghanen. — Ein eng-
lisches Urtheil über Livingstone....... 285—288
Nr. 34.
Vierzehn Tage in Mensa. Mitgetheilt von Di-. A. E,
Brehm. II............... 289
Bilderschrift der nordamerikanischen Indianer .... 298
Die ehemaligen Sitze der Slawen in Deutschland . . . 304
Die französischen Eroberungen in Cochinchina .... 308
Ein Sturmgewitter iu Queensland....... 309
Gebräuche bei Hochzeiten, Kindtanfen und Begräbnissen
in Schweden.............. 310
H. Stern's Reise zu deu Falaschas oder abyssinischen
Juden................ 312
Ethnologische Beiträge. II........... 313
König Mongknt von Siam und das Leichenbegängniß
eines christlichen Bischofs.......... 315
Kleiue Nachrichten: Der Flächeninhalt der Schweiz
endlich genan bestimmt. — Zur Negerfrage. — Mader'S
Bemerkungen über die Otschi-Neger an der Sklaven-
küste von Guinea. — Richard Burtou über Westafrika.
— Mason's und Dixon's Linie. — Neue Staaten in
Nordamerika. — Britisch-Columbia und die Insel
Vanconver. — Eine Ansicht über Poleu. — Frauen und
Nadelarbeit. — Seidenbau iu deu La Plata -Ländern.
— Akklimatisirte Thiere in Australien. — Die Kaffee-
ausfuhr Btasiliens. — Baumwolle iu Queensland. —
Ostindische Baumwolle. — Die Eisenbahn von Calcutta
nach Benares. — Eisenbahnen von Großbritannien und
Irland. — Unterseeischer Telegraph zwischen Sardinien
und Sicilien. — Deutsche Kaufleute in St. Peters-
bürg. — Wieder eiu neuer Webestoff. — Rindfleisch
aus Spitzbergen............316—320
Nr. 35.
Vierzehn Tage in Mensa. Mitgetheilt von D>-. A. E.
Brehm. III.............. 321
vir
Bilderschrift der nordamerikanischen Indianer. II. Liebes-
und Kriegsgesänge............ 332
Ethnologische Beiträge. III........... 335
Ueber zwei mächtige, unter den Augen der Menschen, dem
Innern der Erde entstiegene Feuerberge. 1..... 336
Der polnische Bauer......'...... 340
Weitere Nachrichten aus Tibet. Desgodin's Reisen und seine
Besuche in den Lamaklöstern. — Ueber den Dala'i Lama 341
Die geographische Grnppirnng der keltischen Völker . . 344
Dattelpalmen und Datteln.......... 346
Kleine Nachrichten: Australische Eutdecknugsreiseude.
— Die geographische Gesellschaft in London. —Ludwig
Krapf in Ostafrika. — Deutsche Ansiedler an der Mos-
kitoküste in Central-Amerika. — Bedeutung der Central-
Provinzen Ostindiens. — Deutsche Weihnachtsfeier iit
Californien. — Leichenbegängnis eines Radscha in Ost-
indien^— Was sind die höchsten Güter des Negers? —
Port Said, der Mittelmeerhafen am Snez-Kanal. —
Bedeutung der Haudelsstadt Bombay. — Handels-
bewegnng Frankreichs im Jahre 1862. — Handelsver-
kehr Rußlands. — Frankfurt (Statistisches). — Volks-
zahl von Griechenland. — Die holländische Kanffahrtei-
flotte. — Rotterdam (Aufschwung des Handels). —
Aus China. — Die Diego-Suarez-Bay in Nord-
Madagaskar. — Westaustralieu als Deportations-Ko-
lonie. — Aus Neuseeland. — Von den Sandwichs-
Inseln. — Aus Canada. — Aussterben der Indianer-
in Britisch-Columbia. — Die Lachsfischerei. — Eiue
Zeitnng in der Maori- Sprache. — Eine englische Zei-
tung in Japan. — Zur Geschichte der Civilifation. —
Ein Italiener über die Engländer.—-Arabisches Sprüch-
wort. — Klima im tropischen Afrika. — Ueber den
italienischen Volkscharakter........ 348—352
Nr. 36.
Gustav Radde's Reisen in Ostsibirien ...... 353
Von Barcelona nach Valencia......... 363
Ueber zwei mächtige, unter den Augen der Menschen,
dem Innern der Erde entstiegeue Feuerberge. II. . . 371
Schwedische Gebräuche bei feierlichen Gelegenheiten . . 374
Der Reichthum an Edelmetallen in Californien und
Nevada ............... 376
Ethnologische Beiträge. IV........... 378
Eiuige Bemerkungen über die Baumwolle, deren Erzeu-
gung und Bearbeitung........... 381
Kleine Nachrichten: Das Aufblühen der Stadt Sau
Francisco. — Slovakisirte Ruthenen in Ungarn. —
Die Susdaler Handelsleute in Rußland. — Dürre im
südöstlichen Afrika. — Nordamerikanische Ausdrücke. —
Aus dem Niger-Delta ......... 383—384
Veyeichniß der Mustationen.
Zu Nr. 23.
Chinesen beim Goldwaschen......................1
Chinesische Bankiers in San Francisco ....... 3
Der Vater des Waldes........................4
Die Josemity-Katarakten in Californien............5
Ein Gold-Digger............................6
Das californische Feldhuhn (Callipepla oder Lophortyx) . 7
Einsammeln von Eicheln...............8
Indianer auf der Wanderung....................8
Jndianerhütte. Kochen in Binfenkörben..............8
Maisernte..................................8
Eine Sägemühle in Californien..................9
Audienz beim Mnata Cazembe.........15
Der Muata Cazembe in Lnnda .........16
Zu Nr. 26.
Darsa und Nikolasthnrm in Rhodns........33
Französische Priorei.............35
Die Stadt Rhodns.............36
Palast der Großmeister. Rhodns.........37
Ritterstraße in Rhodns............39
Burg von Lindos. Rhodns..........40
Aufbruch nach den Placeres...........56
Rast im Walde...............56
Zechgelag der Goldgräber...........56
Unterwegs................56
In der Hütte...............56
Verkauf von Goldstaub............56
Die hydraulische Methode beim Goldgraben.....57
Zu Nr. 27.
Ansicht von Jalapa.............65
Indianerin aus der Tierra calieute........66
Ein Jarocho in der Tierra calieute........67
Absicht von Vera Crnz............68
Jcachtliches Fest in der Tierra caliente.......69
Picador . ................72
Korbbändler ... ...........72
stoa, %atltW«fc in Vera Cruz..... . . . . "3
i carokfaner begleiten eine Karawane........78
Antilopen . . 79
Strauß so
Zu Nr. 28.
Befestigtes Dorf der Dayaks auf Borneo......97
Orang -Utan auf Borneo...........99
Dayakfrauen auf Borneo...........100
Dayaks auf Boruco.............101
Das Innere einer Dayaks-Wohnung.......104
Wohnhäuser der Dayaks............105
Vesuv-Lava von 1861............107
Erkaltete Lava...............108
Erhebung des Meeres............109
Ruinen von Torre del Greco. 8. December 1861 . . . . III
Rnineirvon Torre del Greco..........112
Zu Nr. 29.
Ritt in den Pampas.............129
Die Bncht von Jslay.............130
SchädejMtte der Aymaras...........131
Das Dorf Sachaca in Pern..........132
Dorfschänke zwischen Sachaca und Arequipa in Peru . . 133
Aymara-Mumie..............135
Opiumraucher in Pontianak..........137
Brücke aus Bambus anf Borneo........141
Ot-Danoms auf Borneo vor einem Götzenbilde .... 142
Gazellenjagd in Persien.............153
Zu Nr. 30.
Charakterköpfe der Mensa...........161
Danakil aus der Samchara...........162
Ein Somal............- . . . . 163
Einwohner von Mensa (Jüngling, Mädchen und Frau) . 164
Begetationsbild aus dem Mensa-Gebirge......165
Mäntel-Paviane.......'.......168
Hochebene von Mensa ............169
Die Gräber der Mensa...........•
Vor dem Dogenpalast in Venedig......' 170
Scala antica . . . ............]'J>
Marknskirche...............175
Der kleine Bernardo-Kanal...........
Fischerhütten in Lappland...........
Ein Lagerdorf in Lappland ...■•• - - - - -
Du Chaillu in einem Urwald im äquatorialen Westafrika . 184
vin
Zu Nr. 31.
Im Palazzo Foscari.............193
Scala d'oro im Dogenpalast..........195
Seufzerbrücke...............196
Palazzo Ferro ...............197
Hofraum im Palazzo Salviato..........200
Großer Saal im Dogeupalast..........201
Casa Goldoui...............203
Die Bucht von Amphila............204
Tadschurr a................205
Zeyla..................207
Vor der Bucht von Aden...........208
Dolmetscher Jsmael aus Aden..........209
Persische Musikanten . . ............216
Kurdischer Jäger..............217
Zu Nr. 82.
Der Fluß Pyramus bei Missis..........225
Das eiserne Thor bei Tarsus..........226
Grabmal des Sardauapal bei Tarsus.......227
Der Reisende und sein Dolmetscher........228
Lajazzo am Golf von Alexandrette........229
Die Ruinen von Corycus...........230
Säulen von Pompejopolis...........231
Grabmal des Aratus......... ... 231
Tumlo Kalessi....................231
Tnrkomanenhäuptling; armeuischerBischof; cilicischeChristen 232
Geräthfchaften und Waffen der Eingeborenen am Weißen
Nil und am Bahr el Gasal..........248
Zu Nr. 33.
Eisenbahn bei Barcelona ...........257
Der Col de Pertns .... ...... . . 258
Auf dem Col de Pertus............259
Auf dem Col de Pertus. Korkeiche........260
Nachtwächter in Catalonien..........261
Eine Nona........ ........262
Durch eilten Gießbach ............263
Im Zollhause zu Juuquera...........263
Bettler im Klosterhofe der Kathedrale zu Barcelona . . . 264
Ein Begräbniß in Barcelona..........265
Hinrichtung vermittelst der Garrote........267
Die Rambla in Barcelona..........268
Jnqnisitionsgefängniß in Barcelona........269
Zu Nr. 34.
Bewohnerinnen von Mensa...........289
Mensaer in ihren Wohnungen..........291
Ackerpflug................292
Waldvegetation in Mensa...........293
Rinderhirt in Mensa.............296
Fettschwanzschafe..............297
Schutzgeister des Zauberers Tschusko.......300
Grabpfähle der Odschibwäs und Dakotas......301
Pictographie eines Wabino-Gesanges.......303
Zu Nr. 35.
Ein Konzert in Mensa............321
Kronleuchterbaum (Euphorbie) . . ........324
Zwergböckcheu und Fraukolinhuhu.........325
Klippschliefer...............328
Der Elephant...............329
Helmvogel und Hornrabe............331
Agaseen.................332
Kriegs - und Liebesgesänge der Odschibwäs......333
Zu Nr. 36.
Der Muuku Sardik im östlichen Sajan-Gebirge, Sibirien 353
Typen der Coniferenwälder am Amur.......356
Der Frölich«- oder Dawatschauda-See ......357
Typen der Lanbholzwälder am Mittlern Amur.....359
Lama aus dem Selengathale; Buriät; Daure vom Mittlern
Sungari; Sojotenhänptling; Bnriätin; Birar-Tnnguse;
Tuuguse................360
Prairie -Typen am mittler» Amur........361
Valencianer aus dem Volke...........364
Delauteros, d. h. Postillione..........365
Labrador in Valencia.............366
Ein „Vuelco"...............367
Valeutiauischer Labrador............368
Verkäuferin auf dem Markte zu Valencia.....369
StreWge durch Kalifornien.
Weltlage Kaliforniens. — Ansätze zn einer pacisischen Staatengruppe. — San Francisco intb dessen Handelsverkehr. — Die Chinesen
und ihre Stellung.— Fahrt nach den Goldrevieren. — Uedra und Klapperschlangen. — Coulterville. — Das Klima. — Die Riesen-
ceberu. — ?)oseiinty-Katarakten. — In San Sacramento.— Ausstellung landwirthschastlicher Erzeugnisse. — Bon Folsom nach
Graß Valley. — Goldausbeute. — Marysville. — Kalifornische Indianer. —
An den Gestaden des nordwestlichen Amerika sehen I weltgeschichtliche Rolle, eine Antheilnahme an den großen
wir, wie der Kern zn einem Reiche sich bildet, welchem eine Völkerbewegungen aufgezwungen wird, stehen als wichtige
große Rolle beschieden ist, nnd das schon heute, obwohl uoch Faktoren da; die ehemals spanischen Besitzungen in Ame-
rn schwachen Anfängen, von großer Bedeutung geworden rika sind unabhängig. Zwischen den Inseln und Gestade-
ist. Die Südsee, das große pacifische Becken mit weit gc- ländern der Südsee hat sich ein großartiger Wechselverkehr
Chinesen beim Goldwäschen. .
schwungenen Gestadeländern und unzähligen Inseln und entwickelt, der alljährlich an Umfang wächst, gleich den Be-
Etlandfluren, wurde erst in unseren Tagen zu einem großen Ziehungen dieser pacisischen Weltregion zu Europa, über-
^umnielplatze für alle thätigen Völker der Erde, die dort Haupt zu den atlantischen Gegenden und den Ländern, welche
emefreie, völlig unbehinderte Fahrbahn finden. Die mono- der indische Ocean bespült.
j0 Aschen Ansprüche der spanischen Krone, welche diesen Kalifornien, Oregon, das Gebiet Washington und
»Sehenern ©com und das ganze Ostgestade desselben als Britisch-Kolnmbia sind offenbar bestimmt, eine besondere
si d^ ^eßliches Eigenthum zu betrachten sich anmaßte, und selbständige pacifische Staatengrnppe zn bilden.
j.w a . Australien ist ein Kolonialreich ge- Die drei ersteren machen jetzt noch einen Bestandtheil der nun
u cn' ^lna und Japan, denen von Europa aus eine zerrütteten nordamerikanischen Union aus, und das letztere
Globus für 1802. Nr. 25 1
2 Streifzüge bi
ist englische Kolonie. Aber der Apfel wird abfallen, wenn
er reif geworden ist. Jene Landschaften bilden eine befon-
dere Region im Westen der Felsengebirge oder vielmehr der
Sierra Nevada, und man sieht schon jetzt, daß sich nach
und uach ein pacisisches Interesse, im Gegensätze zum
atlantischen, herausstellt. Dieses muß im Fortgange der
Zeit znr Geltendmachung einer Selbständigkeit und Unab-
hängigkeit hintreiben, welche zum Bedürfnisse wird, sobald
die Entwicklung einen bestimmten Punkt erreicht hat.
In jenem fernen Westen ist Alles in raschem Fort-
schreiten; dem Goldgräber folgt der Ackersmann und der
Handwerker. Wir haben in der ersten Nummer unserer
Zeitschrift dargestellt, wie der Anbeginn Kaliforniens war;
fehen wir nun zu, wie es sich jetzt mit diesem Lande verhält,
das eine kaum fünfzehn Jahre alte Geschichte zählt.
San Francisco hat sich zu einem Weltemporinm
emporgeschwungen, dessen Handel über alle Erdtheile aus-
gedehnt ist; die Zahl der Bewohner übersteigt schon die
Ziffer von achtzigtausend. Die Stadt sieht, wie sich von
selbst versteht, ganz Nord amerikanisch aus, sie hat ein etwas
einförmiges Aankeegepräge. Alle Straßen durchschneiden
einander in rechten Winkeln und sind breit, die Häuser theils
aus Backsteinen, theils aus Holz aufgeführt. Die Waaren-
lager und die vielen Läden, das rege Gewühl auf den Gassen
und am Hafen deuten sofort darauf hin, daß der Handels-
verkehr die Hauptsache sei.
Dieser hat Menschen aus allen Ländern der Welt nach
der Stadt San Francisco gezogen; sie enthält eine Muster-
karte verschiedener Nationen, kein großer Menschenstamm ist
ohne Vertreter, selbst schwarze Australier sind schon, aller-
dings nur in sehr wenigen Exemplaren, aus Melbourne
nach Kalifornien mit hinübergebracht worden. Daß, außer
den Nordamerikanern selbst, namentlich die Deutschen, Jr-
länder, Engländer, Schotten, Franzosen und Italiener sich
> in nicht geringer Anzahl eingefunden haben, versteht sich
von selbst; aber auch die ehemals spanischen Kolonien, von
Chile bis hinauf nach Mexiko, haben einen zahlreichen Bei-
trag gestellt.
Diese Kreolen stehen jedoch an Thätigkeit, Ausdauer und
Betriebsamkeit entschieden hinter den Chinesen zurück. Als
im Blumenreiche der Mitte bekannt wurde, daß Kalifornien
ein goldreiches Land sei, begann eine Art von Völkerwande-
rung vom asiatischen Gestade der Südsee nach der amerika-
nischen Küste. Die Männer mit dem langen Zopf und der
weizengelben Hautfarbe kamen, nur mit Hacken und Brech-
stanzen bewaffnet, zu Tausenden und drangen in die Wild-
niß, welche bisher lediglich von kupferbraunen Indianern
oder weißen Pelzhäudleru durchzogen worden war. Die
Leute aus dem Lande der Mandarinen gingen rüstig au's
Werk und förderten Gold im Belaufe von vielen Millionen.
Tausende kehrten zurück in ihre Heimath, um das Erworbene
zu genießen, andere Tausende traten an ihre Stelle und Viele
haben sich iu Kalifornien dauernd niedergelassen.
Eiuen seltsamen Anblick gewähren diese Chinesen,
wenn sie am 4. Juli, dem Tage der nordamerikanischen Un-
abhängkeitserkläruug, festliche Umzüge durch die Straßen
halten. Voran wird ein mächtiges Banner getragen, ge-
ziert mit dem himmlischen Drachen und mit der Inschrift!
„Wir sind Amerikaner und republikanische Bürger dieses
Landes!"
Auch in Bezug auf die Chiueseu (gerade wie gegenüber
den Negern) bewahrheitet sich die alte Erfahrung, daß
Menschen von verschiedenen Racen und Hantfarben überall,
wo sie in größerer Menge neben und durcheinander wohnen,
nicht nur keine Wahlverwandtschaft mit einander haben,
sondern sich gegenseitig abstoßen und mit Widerwillen be-
ch Kalifornien.
trachten. Diese Antipathie geht, mehr oder weniger scharf
hervortretend, durch alle Racen; sie liegt tief in der Natur
und läßt sich nicht besiegen. Insbesondere bei den Weißen,
und vorzugsweise bei den Menschen germanischer Abstam-
mnng, zeigt sie sich am schärfsten. Daran läßt sich, wie
die Geschichte lehrt, nichts ändern.
Die Chinesen sind ein Kulturvolk, fleißig und betrieb-
sam, und doch sieht man, in Australien wie in Kalifornien,
sie ungern. Der Konkurrenzneid des weißen Pöbels gegen
fo rüstige Arbeiter wirkt allerdings wesentlich dabei mit,
aber tief sitzt auch die innere Abneigung gegen ein durchweg
fremdartiges Wesen dieser gelben Leute. Die niederen
Klassen derselben haben, iu den Kolonien wenigstens, aller-
lei an sich, das an die Zigeuner erinnert; man wirft ihnen
namentlich Geiz und Schmuz vor. Aber im Allgemeinen
ist der Chinese, in Bezug auf materielle Dinge, ein nütz-
licher und brauchbarer Mensch, zn Ackerbau und Bergbau,
Gewerbe und Handel gleich anstellig, und in gewisser Be-
ziehnng können wir dem Ausspruche Karl Friedrich Neu-
mann's in München beipflichten, daß gerade die Chinesen
ein ungemein tüchtiges Kolonialvolk seien. Was wären
ohne sie die Länder Hinterindiens und des malayischen Ar-
chipelagns?
In San Francisco bewohnen sie ein besonderes Stadt-
viertel; wer dasselbe betritt, glaubt sich in eine Vorstadt von
Kanton oder Peking versetzt, so vollständig ist die Tän-
schnng. Mm sieht dort chinesische Trachten und Gesichter,
chinesische Waaren in den Läden und Schilder mit den be-
kannten Schriftzeichen. Drei vergoldete Kugeln über einer
Thür deuten uns an, daß wir uns vor einem Leihhause be-
finden und Abends fehlen die bekannten Papierlaternen
nicht. Der Chinese hält eben an seinen vaterländischen
Bräuchen fest, mit welchen sich der weiße Mensch, der ganz
andere Ansichten und Bedürfnisse hat, nicht befreunden
kann.
Das Leben und Treiben am Hafen bietet viel An-
ziehendes dar. Der Blick des Menschen schweift dort un-
willkürlich über daß Enge und Begrenzte hinaus, er wird
so zu sagen weltweit. Die Userstaden (Kais) ziehen sich
sast eine Stunde weit am Strande hin, sind aus dem Holze
der prächtigen rothen Fichte Kaliforniens verfertigt und
auch die größten Seeschiffe können dicht anlegen. Ans den
Neuyorker und Bostoner Klippern, die bis zu zweitausend
Tonnen Tragfähigkeit haben, kann man direkt vom Bord
auf den Staden ausladen. Dicht am Ufer liegen auch die
großen Dampfer, schwimmende Städte, welche zwischen
San Francisco nnd Panama fahren, nnd die kleineren,
welche die Küstenfahrt nach Oregon und Britisch-Kolnmbia
vermitteln. Auch sieht man viele Walsischfahrer, welche
aus dem ochotskischen Meere oder verschiedenen Gegenden
der Südsee kamen und hier sich zu einer neuen Fahrt aus-
rüsten. Tie Handelsbedeutung des Platzes springt ans den
ersten Blick ins Auge. Oregon, Kolumbia und die russi-
scheu Besitzungen an der Norboftfüfte beziehen einen großen
Theil ihres Bedarfs an europäischen Waaren ans San
Francisco, das sich längst zum Hauptstapelplatz auf der
amerikanischen Seite der Südsee emporgeschwungen hat;
Mexiko, Centralamerika, Neu-Granada, Ecuador und Peru,
nicht minder Brasilien, senden ihre Kolonialerzengnisse und
bringen besonders Zucker und Kaffee; dagegen nehmen sie
Mehl, Getreide, Quecksilber und Bauholz. Der größte
Theil des kalifornischen Goldes geht zunächst nach Nenyork,
von dort aber zumeist nach Europa, aber Kalifornien steht
auch mit den seefahrenden Völkern unseres Erdtheils in un-
mittelbarer Verbindung und ist für Deutschland längst ein
wichtiger Markt geworden. Außerdem hat es Verbindungen
Streifzüge durch Kalifornien. 3
mit den Inseln der Südsee, mit Australien, Japan und
China; aus diesen Regionen laufen iu jeder Woche Fahr-
zeuge ein.
San Francisco hat aber auch in Betreff der Gewerb-
samkeit große Fortschritte gemacht. Tüchtige Arbeiter aus
allen Ländern fanden dort lohnenden Erwerb; der Schiffs-
bau, die Maschinenfabrikation und andere Industriezweige
mehr sind im Aufblühen. An Zeitungen und Zeitschriften
erscheinen in der Stadt nicht weniger als fünf und dreißig
in verschiedenen Sprachen; die Zahl der Kirchen beläuft
sich auf mehr als vierzig, und weder an Schulen noch an
wissenschaftlichen, religiösen und wohlthätigen Anstalten ist
Mangel.
Auch die Städte im Innern gedeihen, namentlich
der Lust hin und her flog; einige andere trugen in Körben
Steine und Erde herbei, wieder andere waren am Rocker
beschäftigt, an der sogenannten Wiege, in welcher man die
goldhaltige Erde auswäscht. Diese „Wiege" besteht aus
drei verschiedenen Theilen; den obern bezeichnet man als
Sieb, den zweiten als Schürze, den dritten als Kasten.
Der Goldwäscher hält mit der linken Hand die Wiege, die
er hin - und herschaukelt, während er mit der rechten Wasser
auf Steine und Erdreich schüttet; das Wasser spült die Erde
weg und das Gold bleibt auf der Schürze zurück. Digger,
welche auf so eiufache und kunstlose Weise Gold gewinnen,
zeigen sich jetzt schon zufrieden, wenn die Ausbeute täglich
zwei Dollars beträgt; denn längst verflossen sind die schönen
Tage, da der Mann bei einer Arbeit von ein paar Stunden
Chinesische Bankier
Stockton, von wo ans ein vielbefahrener Weg nach dem
Stanislasflusse, nach Conlterville und zu den Goldgruben
in Mariposa Couuty führt. Bequem sind die Fahrten in
einer kalifornischen „Kutsche" allerdings noch nicht, und die
Bewirthnng in den Gasthöfen unterwegs entspricht unseren
europäischen Begriffen von Behaglichkeit und Sauberkeit
nur in sehr geringem Maße.
Wir wollen den Reisenden Simonin auf einem seiner
Streifzüge begleiten. Ein mit sechs Pferden bespannter
Omnibus brachte ihn an die Brücke, welche bei Knights
Ferry über den Stanislas führt. Jenseit desselben, schreibt
er, beginnen die Grubenreviere und der Ackerbau wird spar-
Uchei\ Die ersten Goldgräber, welche ich sah, waren Chinesen,
tste arbeiteten am Ausgang einer Schlucht; der Eine war
so geschäftig niit der Spitzhacke, daß der lange Zopf in
in San Francisco.
für eine Unze Goldstaub auswusch, oder gar Klumpen im
Werthe von hundert oder tausend Dollars fand. Jetzt be-
fassen ^ich vorzugsweise nur Chinesen mit dem Goldwäschen;
die bei weitem größte Menge des edeln Metalles wird auf
bergmännische Weise gewonnen.
Je weiter man in die Grnbenreviere kommt, um so
wilder wird die Landschaft und der Anbau spärlicher. Aus
dichtem Gestrüpp erheben sich Eichen und dann und wann
hohe Fichten, Nußbäume und Manzanillos, aus deren
apfelartigen Früchten die Indianer ein gegohrenes Getränk
bereiten.
Ein Reisegefährte zeigte auf einen kleinen Baum. Das
ist, sagte er, die L)edra, das heißt Epheu. Aber mit
nuserm europäischen Ephen hat dieser Strauch oder Baum
nichts gemein; der Goldgräber hütet jich vor ihm, denn sein
l*
Der Vater des Waldes,
4 Streifzüge durch Kalifornien,
Blatt ist giftig! wer es anfaßt, bekommt eine rothe Haut
nnd Pusteln; diese Anschwellung und Entzündung ist jedoch
auf bestimmte Körpertheile beschränkt und manchmal sind
Fieber mit ihr verbunden. Dann sagt man: Der oder Jener
hat die Aedra. Manche Leute bekommen dieselbe, wenn
sie auch nur iu die Nähe des Strauches geratheu und uicht
einmal ein Blatt anrühren. Uebrigens haben wir in Ma-
riposa auch eine hübsche Auswahl von gauz prächtigen
Klapperschlaugen; sie liegen manchmal ans offenem Wege,
meist aber unter dürrem Laub oder Steinen. Wenn man
sie unbehelligt läßt, thnn sie Einein nichts; sie greifen nicht
an, sondern wehre» sich nur. Wir tragen hohe Leder-
stiefeln und find dadurch ziemlich sicher; wer gebissen wird,
macht einen Kreuzfchuitt über die Wunde und reibt Ammo-
niak hinein, das Viele in einem Fläfchchen bei sich tragen;
auch brennt man die Wunde mit einem glühenden Eisen
oder einer Kohle aus. An Taranteln fehlt es uns übrigens
auch uicht.
Der Postwagen fährt iu sechszehn Stunden von
Stockten nach Conlterville. Als ich dort am 20. Juni
erwachte, stand die Sonne scholl hoch an dem tiesblauen
Himmel, die Luft war ungemein klar und fo durchsichtig,
wie ich sie in Europa nie gesehen hatte. Vor mir breiteten
sich natürliche Wiesen aus, deren Gras schon gelb und welk
war; in den ersten Frühlingsinonaten wird es mannshoch.
An einer mit Haide bewachsenen Hügelreihe floß ein Bach,
an welchem Goldwäscher beschäftigt waren; den Horizont
schloß eine höhere Bergmasse, die einer weißen Mauer glich.
Dieser Quarz ist goldhaltig. Iu dem engen Thale, durch
welches der Maxwell-Bach fließt, wohnen Goldgräber
in vereinzelt stehenden Hütten; da nnd dort finden sich
Schuppen uud Pochwerke, in welchen das goldhaltige Ge-
stein zerstampft wird.
Conlterville hat eine recht hübsche Lage, aber ich fand
das Klima acht kalifornisch. Der Sommer ist die trockene
Jahreszeit und fast ein halbes Jahr hindurch fällt kein
Regentropfen; vom Juni bis November sieht man kaum eine
Wolke am Himmel. Von zwölf bis drei Uhr Mittags war
die Hitze ungemein drückend, das Quecksilber stieg manch-
mal bis auf 48 Grad des hnnderttheiligen Thermometers;
ich glaubte mich nach Indien oder an den Senegal versetzt.
Auch die leichteste Bekleidung ward mir lästig und bei der
unablässigen Transpiration verliert man sehr viel Fleisch.
Die Möbeln krachten uud bekamen Risse, Wachskerzen
schmolzen zusammen, die Butter floß auseinander und eiserne
Sachen waren so heiß, daß man sich au ihnen die Finger
verbrannte. Abends geht dann ein Luftzug uud mildert
diese mehr als tropische Hitze einigermaßen, auch die Nächte
siud ziemlich kühl. Aber selbst dann bleibt die Luft klar und
durchsichtig, es fällt keiuThau, auch steigt kein Nebel empor
und den ganzen Winter hindurch schlafen die Goldgräber
unter einer wollenen Decke im Freien.
Bon Conlterville aus unternahm ich einen Ausflug
uach de» berühmten Aosemity-Katarakten. In Gesell-
schast eines landeskundigen Gefährten kam ich über das
Bnck Horn-Platean, auf welchem riesige Nadelholzbänme
stehen; sie siud gleichsam die Vorläufer der „Waldungeheuer",
die wir später antrafen. Auf dieser Hochebene war das
Gras uicht gelb, sondern grün, und gewährte den weidenden
Heerde« ein saftiges Futter. Da und dort stieg hinter den
Bäumen aus der Hütte eines Waldarbeiters Rauch empor;
an geeigneten Stellen lagen große Sägeinühlen, iu denen
ganze Fichtenstämme durch die von Wasserrädern getriebenen
Zirkelsägen binnen wenigen Minuten in Bohlen oder Balken
verwandelt wurden, Im Walde begegneten mir schwere,
mit roheu oder schou zubereiteten Holzstämmen beladene
6
Streifzüge durch Kalifornien.
Fuhrwerke und dann und wann traf ich auf nette Wohnun-
gen, die am Rande des Waldes lagen und von einem Garten
umgeben waren. Die Anmuth solcher Bilder wurde noch
durch die plätschernden Bäche erhöht und durch das muntere
Treiben der Vögel. Am Horizont stieg die Granitkette der
Sierra Nevada mit ihren zum Theil schneebedeckten Gipfeln
empor.
Am ersten Abend rasteten wir bei der Marble Spring-
Grotte, in welcher ein klarer Bach hervorsprudelt, der in
der Höhle selbst einen Teich bildet; man bezeichnet ihn als
See. Wir stiegen auf einer Leiter hinab und fanden überall
an den Wänden herrliche Stalaktiten.
Am andern Tage ging es weiter, den Wasserfällen zu.
Diese gelten im Lande für ein Wunderwerk der Schöpfung.
Bevor jedoch der Reisende dasselbe anstaunen kann, ver-
stummt er vor anderen Wunderwerken der Natur. Wer war
in Kalifornien, ohne den Wald von Riefencedern zu be-
suchen? Vierhundert Stämme der Sequoia gigantea
ragen thurmhoch in die Luft. Mehr als zweihundert dieser
Waldgiganten haben zwischen sechs
und dreißig bis neunzig Fuß im
Umfange. Ich sah einen, welcher
am Boden lag, eine kolossale Leiche
des Waldes; er war achtmal höher
wie ein fünfstöckiges Gebäude, 150
Meter laug uud maß vierzig Meter
im Umfange. Wahrscheinlich ist er
der höchste Baum, welcher jemals
auf dem Erdenrunde dem Boden ent-
keimte, und sein Alter kann nicht
unter viertausend Jahren betragen.
Daß man in einen Theil der von
einer Sequoia abgeschälten Rinde zu
San Franscisco ein Fortepiano ge-
stellt und daß zehn Paare in diesem
Ballsaale von Baumrinde getanzt
haben, ist eiue bekannte Thatsache.
Auch hat man einen Bazar in diesem
Saale gehalten. Im Krystallpalaste
zu Sydenhani hat man die Rinde
einer kalifornischen Ceder zusammen-
gestellt, und Jedermann kann dort
sehen, daß die Angaben über den
Umfang nicht im Mindesten übertrieben sind. Noch in
voller bodenständiger Pracht fand ich den „ Vater des
Waldesvon welchem man am untern Theile des gewalti-
gen Stammes die Rinde abgeschält hat. (S. 4).
Im Connty Calaveras erhebt sich auch ein Wald von
solchen Riesenstämmen; die Amerikaner bezeichnen dieselben
als Mammuthbäume. In der That gemahnen sie uns an
die Vorwelt; was die Mammuthe uud Mastodonten für das
Thierreich, sind sie für das Pflanzenreich.
Aus dem obenerwähnten Walde von „ big trees",
„mächtig großen Bäumen", traten wir heraus, um die
Nosemity-Katarakten zu bewundern, welche in drei nach
einander folgenden Sprüngen aus einer Höhe von mehr als
2490 Fuß beinahe senkrecht herabstürzen. Unter allen
Wasserfällen der Erde haben sie die beträchtlichste Höhe, und
die ganze Landschaft ist in der That großartig. Am Fuße
der Katarakten liegt ein See; aus diesem strömt ein Fluß
ab, der zwischen hohen Gebirgswällen, von Eichen und
Fichten beschattet, anmuthig hinrieselt. Ich sah am Ufer
Thiere des Waldes, welche zur Tränke gingen, und auf dem
See ruderten Indianer einen Kahn. Ich blieb einen ganzen
Tag in dieser Gegend, die ich als ein amerikanisches Tempe
bezeichnen möchte, und trat dann meinen Rückweg nach Conl-
Ein Gold • Digger
terville an, aber nicht, ohne zuvor uoch einen Blick der Sehn-
sucht auf diese herrliche Landschaft geworfen zu haben.
Dort hätte ich für immer mein Zelt aufschlagen mögen!
Meine idyllische Stimmung blieb mir auch während der
Wanderung durch den Wald. Jin Gezweige sprangen Eich-
Hörnchen umher, spielten munter und Pfiffen; dann und
wann lief ein Jack «ff- über den Weg, dieser kalifornische
Hase mit sehr langen Ohren; mehr als einer wurde die
Beute unserer Hunde. Lebhaftes Interesse nahm ich am
kalifornischen Feldhuhn, das auf dem Hinterkopf eine
schwarze, seidenweiche Haube hat, aus welcher noch einige
lange Federn nach hinten überhängen. Anch sahen wir
graue Feldhühner, Auerhähne und Goldfasanen, die in ganz
Kalifornien häufig vorkommen. Dazu kam noch der Zim-
mermann, ein Klettervogel, der mit seinem Schnabel Löcher
in die Rinde der Fichten bohrt und Eicheln hineinlegt. Auf
solche Weise sammelt er sich Vorräthe für den Winter, aber
oft thut er es vergeblich, weil die Indianer sich der Früchte
bemächtigen.
In früheren Jahren spielten die
Bären, und überhaupt die pelztra-
geudeu Thiere, eine große Rolle in
Kalifornien, und die Fallensteller ka-
men selbst aus Cauada uud von der
Hudsonsbai bis dorthin. Aber jetzt
hat die immerfort anwachsende Be-
völkerung schon ziemlich aufgeräumt,
und der ächte Nimrod, welcher eigent-
liche Jagdabenteuer aufsucht, muß in
die Sierra Nevada ziehen. Doch ge-
hören „Bären-Beefsteaks" noch im-
mer nicht zu den Seltenheiten.
Ich blieb bis zum Monat Sep-
tember in Mariposa Connty, und
besuchte dann die Städte Sacra-
ntento, Graß Valley, Nevada und
Marysville. In der ersten: Stadt
kam ich an, als gerade die Ansstel-
lung von Erzeugnissen des Acker-
baues eröffnet worden war. Dort
habe ich Aepfel gesehen, die
anderthalb Fuß im Umfange
hatten; Weintrauben,deren einzelne
Beeren so stark waren wie unsere Wallnüsse, gelbe Rüben
von mehr als drei Fuß Länge nnd verhältnißmäßiger Dicke,
runde Kürbisse, die mehr als zwei Centner schwer waren, und
Getreideähren, welche mein Erstaunen in nicht geringem Grad
erregten. Daneben sah ich Muster von Hans und Flachs,
Reis,Tabak nnd chinesischenZnckersorgho nnd alleSüdfrüchte,
wie das südliche Italien nnd die Levante sie liefern. Aus
Los Angeles waren Bananen und Ananas gekommen, und
Alles, was ich ausgestellt sah, gab Zeugniß von der unge-
meinen Fruchtbarkeit des kalifornischen Bodens.
Von San Sacramento bis nach Folsom war der
Schienenweg fertig; jetzt ist er schon eine Strecke weiter
nach Osten hin vollendet worden. Am Bahnhofe stehen
Omnibus in Menge bereit, um die Reisenden weiter zn
schaffen. Ich fuhr nach knrzem Anfenthalt weiter, denn
mir lag daran, bald nach der „Diggerstadt" Graß Valley
zn gelangen. Sie ist in der That eine rechte nnd ächte
Stadt der „Miners", und schon lange zuvor, ehe man sie
in Sicht bekommt, findet man das Erdreich überall aufge-
wühlt und von Gräben durchzogen; es ist etwa, als ob ein
Bergsturz oder ein gewaltiger Gießbach Alles über- nnd
durcheinander geworfen und entsetzliche Verwüstungen an-
gerichtet hätte.
Streifzüge bn
In dem von einem Aankee gehaltenen Gasthofe zur
Stadt Paris wurde ich gründlich geprellt; ich mußte täglich
dritthalb Dollars zahlen, obwohl ich nur einmal speiste; der
Stiefelputzer nahm täglich seinen Vierteldollar für seine Be-
mühung in Empfang. Die Stadt liegt hübsch und ist selber
sehr nett; man zeigte mir das Haus, in welchem Lola Montez
längere Zeit gewohnt hatte. Damals war sie reich; wenige
Jahre später starb sie in Neu-JorkMttelarm.
Auf dem Plateau von Graß Valley liegen viele der
ergiebigsten Goldgruben, z. B. jene von Gold Hill, Lafayette,
Massachusetts und die allerergiebigste, Allison Nanch;
der Name dieses letztern ist sprichwörtlich geworden. Zwei
Pfund Erz geben nicht selten für zehn Neugroschen Gold
ans. Besitzer dieser Goldgrube sind drei Jrländer, welche
dieselbe 1851 entdeckten, aber erst 1855 mit der Förderung
begannen. Nun haben sich die einst armen Tenfel längst
zu Millionären emporgeschwungen.
Von Graß Valley fuhr ich nach Marysville und fand
-ch Kalifornien. 7
j den Indianern, deren Zahl, jetzt noch ungefähr fünfzig-
tausend, alljährlich sich vermindert. Der kupferbraune
Mensch muß weichen, wenn der Weiße kommt, nnd nach
hundert Jahren wird er am Stillen Ocean eben so ver-
schwnnden sein, wie nun schon seit langer Zeit in den Ge-
stadeländern des Atlantischen Meeres. Er wehrt sich gegen
die Eindringlinge auf seine Weise; aber, so oft er auch seine
Rache befriedigen kann, jeder Kampf schlägt zn seinem Nach-
theil aus. Branntwein, Pocken und noch schlimmere Krank-
heiten sind ihm nicht minder gefährlich, als das Feuerge-
wehr seiner Feinde. Die Civilisation vernichtet den braunen
Mann, sie frißt ihn unbarmherzig auf.
Mir sind manche Indianer begegnet. Sie trugen
Knochenschmuck iu Nase und Ohren, manche auch am Halse.
Das dicke schwarze Haar siel lose und ungeordnet auf die
Schultern hinab; der Blick war zugleich trotzig und ver-
steckt. Auf dem Wanderzuge geht gewöhnlich der Hänpt-
ling, welcher den Kops mit Federn geschmückt hat, voran,
"Ei '
Das kalifornische Feldhuhn. Callipepla oder kophortyx.
unterwegs vollauf Gelegenheit, die Energie zu bewundern,
mit welcher die Kalifornier ihren Bergbau betreiben. Sie
haben wahrhaft gigantische Arbeiten unternommen. Hänge-
brücken nnd Wasserleitungen gebaut und Kanäle gegraben,
deren Länge im ganzen Staate schon eine Strecke von nahe
an dreitausend Wegstunden beträgt.
Marysville ist eigentlich die hübscheste Stadt im
Lande und nimmt sich fast kokett aus. Sie liegt am Zn-
sammenflnsse des Feather River und des Uuba, hat breite
Straßen, hübsche Häuser, und die fünfzehntausend Ein-
wohner rühmen sich, daß sie im „Garten von Kalifornien"
wohnen. Das ist auch ganz richtig. In diesem „Garten"
sah ich ein amerikanisches Schauspiel. Zwei Jankees, die
in Streit gerathen waren, schlugen auf einander mit derben
Fäusten los und jeder trachtete dahin, den andern nnterzn-
Liegen, um dann ihm ein Auge auszudrehen oder ihm die
^'nnlade aus dem Gelenke zu schlagen. Die umstehende
..lenge munterte die beiden Kämpfer auf, ein Polizeimann
gelassen zu. Als endlich der eine Uankee bluttriefend
zn )odcn fiel, schritt er ein und schaffte ihn nach Hanse.
habe oben gesagt, daß in Kalifornien die Bären
und andere Pelzthiere selten werden. Dasselbe gilt auch von
die übrigen folgen einer hinter dem andern; jeder trägt
Lanze, Bogen und Pfeile. Zuletzt kommen die Weiber mit
Binsenkörben und Kindern auf dem Rücken. Alle Indianer,
welche ich sah, waren mit Lumpen bedeckt und der ganze
Anblick erregte mein Mitleiden. Einmal begegnete mir eine
Familie, welche sich wahrscheinlich für sehr reich hielt, weil
sie einen magern Gaul besaß. Weder Männer noch Frauen
waren hübsch, der Ausdruck des Gesichts zeugte von geringer
Intelligenz, die Gestalt war nicht kräftig nnd das Muskel-
system nicht entwickelt, auch schienen mir alle diese Leute
nicht recht gesund zu sein. Sie streifen umher, leben von
Wurzeln, Eicheln, Heuschrecken, Fischen und dem Wild,
welches sie mit ihren Pfeilen erlegen. In der spanischen
Zeit war ein Theil der kalifornischen Indianer bei den
mehr als zwanzig Missionen zn einem seßhaften Leben an-
gehalten worden; aber die Mexikaner zogen die Güter der
Missionen ein, diese verfielen und die braunen Leute sind
wieder in die Verwilderung zurückgefallen, wozu sie aller
Orten, auch in Südamerika, eine ganz entschiedene Neigung
haben. Sie treiben nirgends eigentlichen Ackerbau; hin
und wieder pflanzen jedoch die Frauen etwas Mais, um
dessen Pflege man sich weiter nicht kümmert. Erst zur Ernte-
Jndianerhntte. Kochen in Binsenkörben.
Wir wollen diesen Schilderungen Simonin's Einiges
hinzufügen. Nicht alle Indianerhorden des Landes sind so
elend und ganz herabgekommen. Die Laguna-Indianer zum
Beispiel gelten für einigermaßen gelehrig und lassen sich
unter einer gewissen Zucht halten; trag und arbeitsscheu
sind freilich auch sie, allem sie helfen doch, obwohl immer
nur kurze Zeit, beim Ziegelstreichen nnd bei der Ernte. Aber
auf !ihre Anhänglichkeit und Treue kann man nie rechnen.
Bemerkenswerth erscheint, daß alle diese kalifornischen In-
dianer, die doch sämmtlich habgierig sind, gar keinen Begriff
von dem verhältnißmaßigen Werthe verschiedener Gegen-
Cazax SC
Maisernte.
nannte Federdecke, welche aus deu Brustfedern der wilden
Enten bereitet wird. Der Schmutz in ihren aus Rohr und
Binsen bereiteten und von Millionen Flöhen wimmelnden
Hütten ist unglaublich, und auch am Leibe sind diese Söhne
der Wildniß in hohem Grad unsauber. Ans zerstampften
Eicheln backen sie eine Art von sehr unschmackhaftem und
für weiße Menschen unverdaulichem Brot, eine andere Art
verfertigen sie aus rotheu Beeren. Fische werden getrocknet
und für den Winter aufbewahrt. Eiue große Fertigkeit
i haben die kalifornischen Indianer im Aufstellen von Schlin-
gen, in welchen sie mancherlei Thiere fangen, selbst kleine
8 Streifzüge durch Kalifornien.
zeit erscheinen diese Frauen wieder und brechen die Kolben stände haben. Beim Glücksspiel, auf welches sie erpicht
ab. ttebrigens flechten sie mit großem Geschick Körbe aus sind, setzt der Eine etwa einen Kattunrock von zwei Dollars
Binsen, so dicht, daß kein Wasser hindurchdringt. Diese Werth gegen ein Stück Nolltabak, das mit fünf Groschen
Binsenkörbe ersetzen ihnen den Kochtopf; die Speisen werden reichlich bezahlt wäre, und hätte er zehn harte Piaster, so
derart zubereitet, daß man Wasser in die Körbe thnt und würde er sie gegen eine Handvoll Glasperlen nnd ein buntes
dasselbe vermittelst der hineingeworfenen glühenden Steine ! Taschentuch einsetzen. Die Bekleidung ist, wie schon oben
bis zum Siedepunkt erwärmt. So kochen auch die Schäfer bemerkt wurde, höchst armselig. Viele tragen eine Art Mantel,
im Gebirge von Corsika ihr Wasser in hölzernen Töpfen.— den sie aus Hasenfellen zusammenflicken, oder eine söge-
Einsammeln von Eicheln.
Indianer auf der Wanderung.
Eine Sägemnh
elastischen Holze und die Spitze der immer sehr hübschen
Pfeile besteht aus eingezacktem Obsidian; aus dem letztern
verfertigten sie früher auch ihre Messer. Uebrigens ziehen
sie erschlagenen Feinden die Kopfhaut nicht ab, kennen also
den „Skalp" der anderen nordamerikanischen Witden nicht.
in Kalifornien.
haben es bei wilden Fischervölkern und Wurzelgräbern die
Frauen durchgängig besser als bei Jägerhorden. Uebrigens
machen diese Kalifornier sich wenig aus dem Tode; das
Leben bietet ihnen so geringe Annehmlichkeiten, daß sie ohne
Bedauern aus demselben scheiden.
Streifzüge durch Kalifornien. 9
Feldmäuse, die für einen Leckerbissen gelten. Den Hirsch Vielweiberei kommt selten und nur bei deu Häuptlingen
beschleichen sie iu der Art, daß sie einen Hirschkopf mit Ge- vor; Tausch und Verkauf von Frauen ist jedoch etwas Alltäg-
weih auf ihrem eigenen Kopfe befestigen und dann langsam liches. Aber das weibliche Geschlecht wird keineswegs hart
in dem hohen Grase sich der Beute nähern. Den Bogen behandelt; es hat einige Geltung, weil es mit dem Manne
verfertigen sie mit großer Umsicht aus einem leichten und die Sorge theilt, Nahrung herbeizuschaffen. Ueberhanpt
Globus für 1862. Nr. 25.
2
10
Nene Mittheilungen über die Völker im Kaukasus.
Reue Mitteilungen über die Doli!er im Kaukasus.
Von Theodor Lapinskj.
Erster Artikel.
Die unabhängigen Abasa. — Die drei Nationen der Adighe: Schapsuchen, Abesechen, Ubnch. — Gesellschaftliche Organisation.
Stämme, Familien, Vaterschaften. — Juneh is. — Die Laudeseiutheilung nach Flüssen und Gerichtshöfen. — Volksmenge. — Reli-
giöse Verhältnisse. — Tha schuh a, der mächtige Gott; das-Kreuz; Schutzgeister und heilige Haine. — Eindringen des Mohammedauis-
mus. — Rechtsverhältnisse; Verantwortlichkeit des Stammes. — Blutrache. —
Es ist durchaus unrichtig, wenn man die Völker des
Kaukasus, die Abasa sowohl wie die daghestanischen
Stämme, mit dem Namen Tscherkessen bezeichnet. Es
existirt kein tscherkessisches Volk mehr; die Ueberbleibsel
desselben im Kaukasus nennen sich selbst nicht mehr so, und
verschwinden von Tag zu Tag mehr. Der Nest wandert
seit eimiger Zeit stark nach der Türkei aus. Mit weit
größerm Rechte könnte man alle Kosaken Rußlands, die
Zaporogeu am Kuban ausgenommen, mit dem Namen
Tscherkessen belegen, da sie Nachkommen dieser alteu Wege-
lagerer sind und sich unter ihnen der tscherkessische Geist
erhalten hat.
Die Abasa, welche heute als die Letzten im Kaukasus
für ihre Unabhängigkeit streiten, gehören der iudo-euro-
päischen Raee an und sind stamm- und sprachverwandt mit
den Bewohnern des christlichen Fürstenthums Abasien, mit
den Schnhaneten und Ossete», welche zwar unabhängig
sind, aber in einer Art Waffenstillstand mit den Russen
leben.
Sie ueuueu sich auch Adighe und halten sich, eben
so wie alle Abäsen, für ein nnd dasselbe Volk mit den in
der europäischen Türkei lebenden Amanten oder Albanesen,
von denen sie auch als Brüder betrachtet werden. Die Sage
geht unter ihnen, daß zwei Brüder mit ihren Familien aus
dem Süden an den Fluß Euphrat kamen; dort trennten sie
sich, der eine zog nach Nordwest, der andere nach Nordost.
Unter Völkern, bei denen es kein Bnch, keine Schrift und
keine Denkmäler giebt, so daß man sich nur aus den Volks-
sagen historische Vermuthuugeu bilden kann, ist es schwierig,
der wahren Geschichte auf deu Grund zn kommen.
Der Name Adighe, deu die nördlichen Abasa znm
Unterschiede vou den südlichen sich beilegen, ist ihrer Aus-
sage nach ans den Wörtern adi oder ade (dann oder später)
und g e (sein oder herkommen) zusammengesetzt, uud bedeutet
später Gekommene oder spätere Einwanderer. Der Stamm
der Schuhaueteu hat feine Benennung vou deu hohen Berge»
ihres Landestheils; hoch heißt Schuha. Die Osseten
haben ihren Namen von Osse, Schnee, weil die Gebirge
ihres Landes mit ewigem Schnee bedeckt sind. Wären die
reisenden Geographen uud Ethnographen der Landessprachen
knndig, und die Russen in ihren Angaben gewissenhafter
und besser unterrichtet, so würde die Konfusion, welche in
den Karten nnd Beschreibungen des Kaukasus herrscht, nicht
möglich sein.
Die Abasa fanden bei ihrem Vordringen nach Nordeu
armenisch-georgische, griechische nnd genuesische Ausiedluugeu
längs der Küste des schwarzen Meeres, nnd zwar die ersteren
südlich, die anderen weiter nördlich, und noch weiter im
Norden die letzteren. Dies erklärt auch, daß bei den
südlichen Abasa das armenische Doppelkreuz, bei
deu in der Mitte wohnenden griechisch-heidnische Gebräuche,
bei den nördlichen das einfache lateinische Kreuz
herrschend wurde,
Was noch eigentümlich ist und dem Auge des auf-
merksamen Beobachters nicht entgehen kann, ist die beträcht-
liche Zahl georgischer Physiognomien im südlichen, von
griechischen im mittler« und von römischen im nördlichen
Abasien, was eine Folge der Vermischung der Abasa mit
den früheren Einwohnern sein mnß. Die Schuhaueteu sind
stark mit Georgiern vermischt. Nur der im äußersten Osten
wohnende, von tatarischen Stämmen umgebene Stamm
der Abasa, die Osseten, scheint die ursprüngliche Race
in voller Reinheit bewahrt, oder sich auch vielleicht mit den
Ueberbleibseln der Sarmaten vermischt zn haben. DieOsseten
sind meistens blond und haben blonde oder gelbliche Bärte,
die sie gern röthlich färben. Mit dem im südlichen Abasien
wohnenden turauischeu oder türkischen Stamme der Samnr-
fachen, sowie mit den am Kuban uud Elbrus lebenden
Tscherkessen und Tataren vermischen sich die Abasa sehr
wenig.
Eine Anzahl Armenier lebt noch heute, in eigenen
Kommünen zerstreut, im Adighe-Lande. Im Ganzen mögen
sie ungefähr dreihundert Familienhöfe mit einer Volkszahl
vou circa G000 Seeleu bilden. Sie haben die Sprache,
Sitten uud Gebräuche, kurz die gauze Lebensart der Adighe
angenommen, jedoch ihre alten Religionsgebränche streug
bewahrt. Aber in diesen besteht auch ihre gauze Religion;
sie halten eine Menge Fasttage, ihre Hütten sind voll von
Heiligenbildern, die sie ans Georgien bekommen; sie haben
unter sich keine Geistlichkeit uud nehmen, wenn sich die
Gelegenheit bietet uud sie diese nicht umgehen köuueu, mit
den Abasa an ihren christlichen oder heidnischen Religions-
Übungen Theil; oder verrichten auch mit den Muselmännern
ihre Abwaschungen und Gebete. Sie nehmen zwar au allen
größeren Kämpfen der Abasa mit den Russen Theil, sind
iudeß nicht so kriegslustig; dagegen führen sie aber ihre Wirth-
fchaften besser uud sind wohlhabender als die Abasa, sind
auch zum großen Theil Händler uud Makler. Der Adighe
nennt sie Ginrdschi (Georgier), betrachtet sie aber als
Landsleute; erst in neuerer Zeit, seit der Verbreitung des
Mohammedanismus, waren sie einigen Vexationen von
Seiten der mohammedanischen Geistlichkeit ausgesetzt.
Während die Tscherkessen, Daghestaner, Lesgier :c.
die unverkennbaren Spnren ihrer Abstammung von Tataren
oder Inden in ihrem Ange uud iu ihren Gesichtszügen
tragen und selbst der unbefangene europäische Beobachter
iu ihnen ans den ersten Blick eine fremde Race erkennen
kann, zeigt sich uns der Abasa als herrlichster Reprä-
seutant der iudo-europäischeu Race. Man kann den
Türken, Tataren, Inden uud deu echte» Moskowiten, wie
man will, europäisch vermummen, er wird äußerst selten, ja
fast uie feine Abstammung verbergen können, aber Niemand
wird deu iu Hut und Frack gekleideten Abasa für einen Nicht-
europäer erklären. Die Abasa siud vou reichlich mittlerer
Statur, schlank und kräftig gebaut, aber mehr muskulös,
als von starkem Knochenbau- Sie haben meist braune Haare.
Neue Mittheilungeu über die Völker im Kaukasus.
11
schöne dunkelblaue Augen, kleine wohlgeformte Hände und
Füye. Blonde oder rothhaarige Mädchen werden
als Schönheiten betrachtet. Man trifft nur äußerst
selten Leute, die mit körperlichen Gebrechen behaftet sind.
Während eines dreijährigen Aufenthalts in ihrem Lande
habe ich nie einen Bucklige» gesehen.
Wenn man den Boden des freien Abasiens betritt,
kann man Anfangs nicht begreifen, wie ein Volk, bei welchem
fast jedes Kind Waffen trägt, ohne geschriebene Gesetze,
ohne execntive Gewalt, ja selbst ohne Chefs und Anführer,
nicht allein existiren, sondern anch einem Kolosse, wie Nuß-
land, so lange Jahre hindurch Widerstand leisten und seine
Unabhängigkeit bewahren kann. Die Ursache ist die bei die-
sein Volke aus nationale Traditionen und Gebräuche gestützte,
starke sociale Organisation, welche nicht nur die Person
und das Eigenthum eines Jeden schützt, sondern anch alle
materiellen und moralischen Versuche zur Unterwerfung des
Landes schwierig, wo nicht unmöglich macht.
Ihrer inneren Organisation nach theilen sich
die Adighe in drei Nationen.
Die zahlreichste ist die Nation Schapsuch, dann folgt
die Nation Abesech, die kleinste ist die Nation Ubnch. Die
erstere wird im Norden durch den Knban, im Osten durch
Abefech, im Süden durch Ubnch, im Westen durch das
Schwarze Meer begrenzt. Vor den Einfällen der Russen im
Osten und Süden gedeckt, vertheidigt sie den Kuban und
die Küsten des Schwarzen Meeres.
Die zweit-zahlreichste Nation ist Abesech. Im Nor-
den und Osten durch den Kuban, im Süden durch Ubnch,
im Westeu durch Schapsuch begrenzt, hat Abesech keine
direkte Kummunikation mit dem Schwarzen Meere. Seine
Nord- und Ostgrenze ist schwach und es hat am meisten von
den Operationen der Russen zu leide».
Die dritte, kleinste Nation sind die Ubnch. Im Norden
dnrch Abesech, im Osten und Süden durch das Fürstenthum
Abasien und einige kleine unabhängige Stämme, im Süd-
westen und Westen dnrch das Schwarze Meer und dnrch
Schapsuch umschlossen, ist Ubnch nur von der Seeseite den
russischen Angriffen zugänglich. Die Nationen der Schap-
suchen und Abesechen theilen sich jede in acht Stämme;
unter diesen acht Stämmen sind noch je zwei und zwei enger
mit einander verwandt und bilden eigentlich einen Staun»,
auch ist jeder der acht Stämme von Schapsnch mit einem der
acht Stämme von Abesech verwandt. Die Nation Ubnch
bildet nnr Einen Stamm.
Jeder der Stämme (Tlako) ist wieder in eine Anzahl
Familien (Tlako-cyk) und diese sind wieder in eine Anzahl
Fannlien-Höse oder Vaterschaften (Juneh, heißt auch Hof
oder Haus) eiugetheilt. Aber alle Stämme, Familien und
Familien-Höfe einer Nation leben gemischt unter einander
und in jeder Gegend sind alle Stämme nnd Familien ver-
treten. Die administrative Eintheilnng, wenn man diesen
Ausdruck gebrauchen darf, ist in je hundert Familien-Höfe
(Inneh-is, hundert Höfe oder Häuser), welche so zu sagen
ein über eine oder mehrere Quadratmeilen sich erstreckendes
Dorf vorstellen. Solche Juneh-is bilden gewisser-
maßen eine kleine unabhängige Republik, welche
durch ihre Aeltesten (Thainata) regiert wird, und das
ä^nze Land ist eine Föderation solcher kleinen Re-
publiken, eine um so stärkere Föderation, da die Ein-
wohuer einer Juneh-is im äußersten Westen oder Norden
n"t denen einer Juneh-is im entlegensten Osten oder Süden
s amni- und familienverwandt sind und diese Verwandt-
hoch und heilig achten. Jede Juneh-is schickt zn
mm" "'ttlhungen des Landes oder der Nation zwei
' dncte. Jui Juueru sind die Hnndert-Höfe noch
' zu je zehn Höfen (Juneh-ips) abgetheilt, und die zehn
Vertreter bilden mit dem Jmam (mohammedanischen Geist-
lichen) den Rath und das Gericht ihrer Juneh-is.
Eine andere Eintheilnng des Landes ist nach den
Flüssen. Wie viele Juneh-is anch an einem Flusse be-
legen sein mögen (manchmal vielleicht zwanzig und mehr),
so werden doch bei Raths-, Kriegs- und Gerichtsversamm-
lnngen immer nur zwei Aelteste von jedem Stamme als
Vertreter aller Bewohner längs der Flüsse gewählt, so daß
sechszehn Aelteste, mit zwei Kadi (— mohammedanische
Richter; gewöhnlich ist der Jmam zugleich Kadi —) an
der Spitze, den Rath nnd das Gericht aller am Flusse
liegenden Juneh-is bilden. Uni einen Adighe genau zu
bezeichnen, muß man also seine Nation, seinen
Stamm und seine Familie, außerdem seinen Fluß
nnd seinen Hundert-Hof nennen, z.B. Jendris Han-
toch, Jemis, Schapsuch, Antchir, Okezikos, d. h. der
! Jendris von der Familie Hantoch, vom Stamme
: Jemis, von der Nation Schapsnch, der an dem
Flusse Antchir in dem Hnndert-Hof oder Juneh-is
von Okezikos wohnt.
Die dritte neue Eintheilnng des Landes, welche aber
noch unsicher ist, und nur in einigen Landestheilen, und
auch da ziemlich unregelmäßig vorkommt, ist in Mekiameh,
m o h a m in e d a n i s ch e G e r i ch t s h ö s e.
In einem Familien-Hofe (Juneh) wohnen, außer
den Eltern, ihre sämmtlichen verheirateten Söhne und
| Töchter; die Sklaven, wie groß auch ihre Anzahl sein mag,
werden immer mit zum Hofe gezählt. Solche Familien sind,
! besonders da oft auch mehrere Brüder mit ihren Familien
j zusammenwohnen, sehr zahlreich; oft verweilen an hnn-
■ dert Seelen beiderlei Geschlechts in einer Juneh.
! Ich habe nie weniger als zehn, fast immer mehr als zwanzig
> Bewohner getroffen*); ich nehme daher die Zahl der Be-
' wohner einer Juneh im Durchschnitt auf 17 Personen an,
j was mir eher zu niedrig als zu hoch gegriffen erscheint.
Man rechnet für die Nation Schapsuch 270 Juneh-
1 is; vou diesen liegen in dem Dreieck zwischen Anapa, Sod-
i fchak und Atekuma, oder iu dem wenig gebirgigen Ländchen
Netochatsch 54, in den Ebenen bis Dogai 97, in den Ge-
; birgen 125 Juneh-is. Seit dem Andränge der Russen in
Netochatsch (seit dem Jahre 1856) und in den Ebenen von
Schapsnch (seit 18(>0) hat sich ein großer Theil der am
, meisten gefährdeten Bewohner in die Gebirge zurückgezogen
nnd dort angesiedelt.
Die Nation Abefech berechnet man auf 183 Juneh-is.
Außer diesen gehören zu Abesech uoch eine Menge kleiner
j Grenzstämme, von denen viele bis auf ein paar Familien
zusammengeschmolzen sind nnd sich in Abesech zerstreut haben,
einige noch in ihren alten Gemeinschaften leben, aber von
Tag zn Tag mehr zusammenschmelzen. Alte Lente wiesen
mir am Kleinen Kuban und an der Laba wüste Landstriche,
i wo uoch vor dreißig bis vierzig Jahren zahlreiche Jnneh-is
' gestanden, von denen keine Spnr mehr geblieben. Diese
Grenzstämme waren tscherkessischer Abkunft, hatten sich aber
j stark mit den Adighe vermischt, bis zuletzt das abasische
*) Es giebt Familien-Höfe, Juneh, wo die Einwohnerzahl
hundert Individuen übersteigt. Es ist völlig unmöglich, die Zahl
l der Bewohner des Landes mit Genauigkeit zu bestimmen, da
Gebnrts-, Sterbe - uud Heirathsregister unbekannt sind. Ich mußte
mich bei meinen statistischen Angaben blos nach dem wahrschein-
lichen Anschlage richten. Da ich jedoch iu einigen Jnneh-is genaue
> Zählungen der Menschen, Pferde, Vieh und Waffen vorgenommen,
und die Zahl der Jnneh-is mir ebenfalls genau bekannt ist, so
glaube ich, die angegebenen runden Zahlen annehmend, der Wahr-
heit nicht fern zu sein.
2*
12
Neue Mittheilungen über die Völker im Kaukasus.
Element überwiegend wurde, so daß man aus zehn Adighe
kaum einen Tscherkessen findet. Die Stämme Khemirhai,
'Naurus, Mantsur, Taphue und andere sind fast verschwun-
den, von den noch existireuden ist Bsedoch mit 11 Iuneh-is
der bedeutendste; dann folgt Demirgoi mit drei Iuneh-is;
die anderen, wie Hatochai, Bösnei, Jarochai, Mokosch,
Kabartai, Karatschai:c. bestehen jeder aus einer einzigen
Iuneh-is. Da alle diese Stämme zu Abesech gehören, so
würde die gauze Zahl der Iuneh-is sich ans 203 belaufen.
Die dritte Nation der unabhängigen Adighe, die
Ubnch, bilden nur einen Stamm, der in viele Familien
getheilt ist und iu 46 Iuneh-is lebt. Da in diesem Ländchen
die Zahl der Sklaven sehr groß ist und vielleicht mehr als
den dritten Theil der Bevölkerung ausmacht, kann man die
Einwohnerzahl jeder Juneh nicht auf weniger als 25 Seelen
anschlagen. Es ergäbe sich also für Schapsnch aus 276
Iuneh-is, jede zu I 700 Einwohnern gerechnet, eine Be-
völkernng von 469,200 Seelen, Abesech hätte ans 203
Iuneh-is 345,100 und Ubuch auf 46 Iuneh-is (die Juneh
zu 25 Seelen gerechnet) 115,000 Einwohner, was in run-
der Rechnung die von mir angenommene Bevölkerung
von circa 900,000 Seelen für den unabhängigen
Theil von Abasien oder das Adighe-Land aus-
macht.
Bor ungefähr dreißig Jahren waren die Tscherkessen
und die Abasa auch, weit mehr als heute, durch die Reli-
giou von einander unterschieden. Während die Ersteren
den mohammedanischen Glauben bekannten, übten die
Letzteren christliche Gebräuche, welche sehr mit heidnischen
gemengt waren. Einige Geschichtsforscher behaupten, daß
das Christenthum iu deu Gebirgen durch die georgische Kö-
night Thamara eingeführt wurde. Abgesehen davon, daß
die Existenz dieser frommen und tapfern Fürstin*), deren
Ruhm übrigens im ganzen Kaukasus groß ist, bis jetzt nicht
historisch erwiesen ward und eine Mythe sein kann, ist es
auch sicher, daß uie georgische Heere in die Gebirge vor-
gedrungen sind. Dagegen ist es unzweifelhaft, daß christ-
liche und mohammedanische Heere in den Ebenen am Kuban
große Schlachten geschlagen. Die zahlreichen Grabdenk-
mäler **), in denen noch heute verschiedene tatarische, grusische,
und mancherlei andere Waffen und Münzen gefunden wer-
den, geben davon ein sicheres Zengniß.
Im Mittlern Theile des Landes haben sich noch Spuren
des altgriechischen Heidenthums bis heute erhalten. Der
Mohammedanismus hat dort noch weniger Eingang ge-
sunden, als im Norden der Berge; in den Ebenen von
Abesech jedoch hat er sich sehr stark ausgebreitet. Das
Kreuz trifft man zwar hier und da, doch ist es selten; da-
gegen findet man in vielen Gegenden wunderliche, aus Holz
geschnitzte heidnische Bilder von Hausgottheiten. Tradi-
tionen der alteu griechischen Mythologie haben sich noch
lebendig in der Vorstellung des Bergvolkes erhalten. Tha
schuha ist der große und mächtige Gott, der aber noch
eine ganze Familie untergeordneter Gottheiten, Tha zykn,
hat. Außerdem besitzt jeder Wald, jeder Berg
seinen Schutzgeist: mesimtha, psitha, kushalntha
(Waldgott, Flußgott, Berggott). Die Abasa zählen zwei-
nndzwanzig größere Gottheiten und ihre Eintheilnng
*) Sonderbar ist es, daß der Name der berühmten georgischen
Königin ans den abasischen Worten Tha, Gott, und Mara,
Maria, zusammengesetzt ist. Sollte dieser Name nicht vielleicht
eine andere Bedeutung haben?
**) Man findet diese runden, von Erde aufgeworfenen Grab-
Hügel überall, wo die Völkerwanderungs-Züge vorbeikamen. Ganz
Südrußland und Südpolen, die Moldo-Walachei und das flache
Ungarn sind besäet mit solchen Tumnli.
hat große Ähnlichkeit mit der griechischen. Sonderbare
Verwirrung! unter den heidnischen Göttern hat die heilige
Jungfrau ihren Platz gefunden; Mara ist die Mutter des
großen Gottes und hochverehrt; Jesus ist jedoch unbekannt.
Heilige Haine, mit bunten Bändern geschmückte Eichen,
unter denen die Einwohner ihren Gottesdienst verrichten,
habe ich oftmals gesehen. Man bringt dorthin auch Speisen
imd Getränke für die Götter; einen eigentlichen Gottesdienst
konnte ich aber nicht bemerken. Es wurde mir gesagt und
zwar besonders von den Muselmännern, daß die Leute sich
ihres alten Aberglaubens schämen, daß nur die alten Leute
insgeheim ihre verschiedenen heidnischen Gebräuche und
Zaubereien ausüben, daß die jungen hingegen schon so gut
wie Muselmänner sind; da sie aber noch nicht beten gelernt
haben, wie es sich für Rechtgläubige ziemt, so beten sie lieber
gar nicht, weder auf die neue, noch auf ihre alte Weise.
Im Süden des Adighe-Landes, in Ubuch, ist der
Mohammedanismus auch nicht weit vorgeschritten. Er
wird nur von einigen Nachkommen der Tscherkessen und
von deu Einwanderern aus Lasistan bekannt. Da Ubuch
ferner den ausgedehntesten Sklavenhandel mit der Türkei
treibt, so sind auch die Sklavenhändler eifrige Muselmänner,
nm sich den Türken angenehm zu machen. Das Fürsten-
thnm Abasien enthält kaum ein paar vereinzelte mohamme-
danische Familien. Hier trifft man wieder das Krenz,
aber nicht mehr das einfache lateinische, wie im Norden,
sondern das doppelte griechisch-armenische. Die Religions-
begriffe der Einwohner und ihr Gottesdienst unterscheiden
sich in nichts von dem, was wir oben gesehen, doch hat die
russische Regierung bei den südlichen Abasa, bei den Schu-
haueteu und den Osseten einige russische Kirchen bauen
lassen und russische Popen für den Gottesdienst angestellt,
aber die meisten dieser Kirchen wurden zerstört, die Popen
verjagt und die noch erhaltenen Gotteshäuser werden von
Niemanden besucht. Der Abasa sieht in diesen russisch-
christlichen Bemühungen, nnd zwar mit großem Rechte,
nicht den Wunsch der Regierung, ihn zum russisch-griechi-
scheu Christenthum zu bekehren, sondern ein Mittel, ihn zu
unterjochen. Nebenher sei bemerkt, daß, wenn die Christen
nur den zehnten Theil der Bemühungen, der Zeit und der
Energie aufgewandt hätten, wie die Mohammedaner, das
ganze Land heute gut christlich wäre.
Seit der Einführung des Koran ist dieser das Gesetz
für alle, welche den mohammedanischen Glauben ange-
nommen. und da alle dem Anschein nach Muselmänner sind,
sollte dieses Gesetz auch von ihnen befolgt werden. Dem
ist aber nicht so. Einmal ist die Zahl der im Koran Be-
wanderten noch sehr gering, besonders in den gebirgigen
Theileu, und dann vermag sich auch der Adighe seiner alten
Sitten nicht so leicht zu entwöhnen. Das alte herkömm-
liche Recht ist also im Grunde noch allein herrschend.
Da keine Schriftzeichen für die Adighe-Sprache existi-
reu, giebt es auch kein geschriebenes Gesetzbuch; die
Richter urtheileu uach herkömmlichem Brauch. Wer
gegen einen Andern einen Prozeß anhängig machen will,
begiebt sich zn den zwei Aeltesten seines Stammes in der
Iuneh-is, in welcher er ansässig ist. Diese berufen dann
von jedem Stamm zwei Aelteste, und außerdem einen oder
mehrere im Koran erfahrenen Jmcmt oder Kadi. Ist der
Prozeß minder wichtig, so wird von jedem Stamme nur ein
Aeltester berufen. Da die Richter gewöhnlich alle der Schrift
unkundig sind, aber manchmal gern gute Muselmänner
spielen und nach dem Koran richten möchten, so hat der
Kadi, besvnders wenn er ein gutes Mundwerk besitzt, leichtes
Spiel; alle diese neuen Schriftgelehrten wissen gewöhnlich
jeden Prozeß zu ihrem Vortheile auszubeuten, woher auch
Ein Besuch am Hofe des Muata Cazembe.
31
ihre UnVerläßlichkeit sprichwörtlich geworden ist. Wenn
das gewöhnliche Gericht die Streitsache nicht erledigen kann,
oder eine der Parteien gegen das Urtheil protestirt, so wird
der Prozeß bis zur nächsten Volksversammlung aufgeschoben,
100 dann die erfahrensten und angesehensten Alten der acht
Stämme und die renommirtesten Kadi zn Gericht sitzen.
Für deu Berurtheilten oder Angeklagten ist
sein ganzer Stamm verantwortlich, der ihn imNoth-
falle unterstützt und vertheidigt. Wird er zur Bezahlung
einer Strafe verurtheilt und seine Mittel reichen nicht aus,
so sammelt er zuerst bei seiner Faniilie und, wenn dieses
nicht ausreicht, bei seinem Stamme Von Hans zu Haus.
Die Bewilligung dazu erhält er von den Aeltesten seines
Stammes, die ihm auch das Stammeszeichen oder Siegel,
auf einem Stück Papier aufgedrückt, übergebe«. Jeder ist
in diesem Fall verpflichtet, ihm zn helfen; bekomnt er jedoch
dies Zeichen nicht, dann ist er von seinem Stamme preis-
gegeben, und hat er keine eigene Mittel, so wird er von
der Gegenpartei, besonders wenn es sich um einen Blut-
preis handelt, getödtet oder als Sklave verkauft. Ist ein
Prozeß zwischen Individuen zweier Nationen lz. B. Schap-
suchen und Abesechen) anhängig gemacht, so versammeln
sich die Richter beider Nationen an der Grenze,
berathen zuerst getrennt und dann gemeinschaftlich, und
wenn sie nicht übereinkommen können, so wählen sie Schieds-
richter von der dritten Nation. Auch Fremde, wie
zum Beispiel die türkischen Kaufleute an den Küstenplätzen,
werden gern aufgefordert als Schiedsrichter zu fnngiren.
Bricht ein Grenz- oder ein anderer Streit zwischen den aba-
sischen Nationen aus, so formtreu sich nur zwei Gerichts-
lager, aus dem nördlichen Abasien, d. h. aus Schapsuch
und Abcsech, uud aus dem südlichen, d. h. ans dem Lande
der Ubnch, dem Fürstenthume Abasien, den Schnhaneten
und Osseten. Es kommt äußerst selten vor, daß ein Ge-
richtsspruch nicht befolgt wird; in solchem Falle ist manch-
mal eine blutige innere Fehde die Folge.
Der einzige Fall, in dem ein Gericht auf Tod erkennen
kann, ist offener oder geheimer Dienst beim Feinde, und
auch da begnügen sich die Richter gewöhnlich mit der höchsten
Geldstrafe, welche, eben so wie für Mord und Todtschlag,
auf 2000 Silberrubel (zehn Silberrubel bedeuten ein Stück
Hornvieh) festgesetzt ist. Weigert sich nun der ganze Stamm
des Berurtheilten, ihm zn helfen, was im ersten Falle stets
geschieht, so ist er, wenn er ein nach dortigeil Begriffen
großes Vermögen besaß, ruinirt, wenn nicht, wird er als
Sklave verkauft. Unwillkürlicher Todtschlag oder Willkür-
liche Verwundung, Blankziehen des Säbels und Bedrohen
Ein ötsnch am Hose
Die portugiesische Expedition. — Der Mambo und seine Tracht.
und Hofnarren. — Die Hauptstadt Lnnda. — Regierum
Vorstellt
Im Innern Afrikas, südlich vom Aequator, finden wir
einige ausgedehnte Reiche, zum Beispiel jenes des Via-
lamvo, östlich von Angola, und jenes des Muata Ca-
^Ulbe, nordwestlich vom Nyassa-See und südwestlich vom
angauyika. Beide sind barbarisch durch und durch, und
in ^ezng aus staatliche Verhältnisse, wenn der Ausdruck er-
t wäre, noch weit weniger entwickelt, als Aschanti und
mit demselben, zieht eine Strafe von 100 bis 1000 Silber-
rnbeln nach sich. Zufällige Verwundung, Bedrohung mit
der Flinte oder Pistole wird mit einer Strafe von 10 bis
500 Rubeln geahndet; Diebstahl mit 10 bis 1000 Rnbeln
und Rückerstattung des gestohlenen Gutes. Wer ohne Wissen
des Besitzers dessen Pferde den Schweif stutzt, was, ich weiß
nicht weshalb, als die größte Beleidigung angesehen wird,
hat oft eine Strafe bis zu 500 Rubeln zu erlegen. Die
kleinste Strafe ist ein Silberrnbel, der einer Ziege gleich-
kommt. Der Hofbesitzer, bei welchem einem Gaste irgend
ein Leid geschieht, oder in dessen Hause jener bestohlen
wird, ist ihm oder seiner Familie Genugthunng und Ersatz
schuldig.
Der schwierigste Fall ist die Blutrache. Diese furcht-
bare Sitte aller uueivilisirten Gebirgsvölker kostet auch hier
jährlich vielen Menschen das Leben. Oft ist der Bruder
oder ein anderer Verwandter mit der Bezahlung des Blut-
geldes oder mit dem Urteilsspruch nicht zufrieden oder zu
ungednldig, um den letztern abzuwarten, und tödtet ent-
weder den Mörder oder irgend Jemanden seines Stammes.
Daraus entstehen dann endlose Uebersälle und Morde; in der
Nation der Ubnch verloren vom 12.bis 17.Oktober
1859, also binnen fünfTagen, 42 Personen zweier
Familien das Leben. Der ganze Stamm mußte zu den
Waffen greisen, nm dem Blutvergießen ein Ende zu machen.
Die Einführung von Mchf'ianieh*), Arrestlokalen und Mur-
tazik") hielt eine Zeit lang die Adighe im Zaum; als aber
die Gewalt des Naib fiel, brach jene Barbarei um so wilder
hervor, je mehr sie eine Zeit lang in Schranken gehalten
worden.
Durch Einführung des Koran hat sich eine solche Kon-
snsion eingeschlichen, daß außer den Adighe-Richtern, welche
diese Verordnung recht gut zu ihrem Vortheile benutzen, kein
Mensch darüber iu's Klare kommen kann. Es giebt ein
Sprichwort im Adighe-Lande: „Jedesmal wenn der
Kadi den Koran ausmacht, hast du eine Ziege
weniger im Stalle, magst du Kläger oder Be-
klagter sein."
*) Mehkiameh heißt im Arabischen Gerichtshof. Der
Naib Mohammed Ein in führte solche Gerichtshöfe ein. Für eine
bestiniinte Anzahl Juneh-is wurde ein Hof angelegt, in welchem
Wohnungen für die Richter, für den Polizeichef des Gerichtskreises
und für seine Mnrtazik mit den nöthigen Stallungen aufgeführt
wurden. Außerdem war im Gerichtshofe eine Moschee und ein
Arrestlokal erbaut. Jetzt liegen alle diese Mehkiameh in Ruinen.
**) Murtazik bedeutet Polizeidiener oder Geusd'arm.
des Muata Cazembe.
— Große Audienz, — Die Frauen des Kaisers. — Würdenträger
' und Beamte. — Das Volk der Balouda. — Religiöse
Dahome im Innern Guineas. Das Volk in jenen beiden
Reichen heißt Balouda oder Baluuda, und Liviugstone
behauptet, sie seien „ächteNeger"; die portugiesischen Reisen-
den, welche im Lande selbst waren, rechnen sie dagegen zu
den kasfernartigeu Völkern.
Luuda oder Cazembe gehört zu den noch wenig be-
kannten Gegenden; die Hauptstadt liegt unter 9" S. Br.
14
Ein Besuch am Hofe
des Muata Cazembe.
und 26^ 40" Ö. L. von Paris. Der erste Europäer, welcher
dieselbe besuchte, war der portugiesische Doktor Lacerda,
der 1798 von Mosambik aus dorthin gelangte, aber in
Cazembe starb. Im Jahre 1831 und 1832 drangen Ga-
mitto und Monteiro bis iu diese Residenz des Muata
vor. Der letzte weiße Reisende, welcher sie besucht hat,
war, wie Travassos Baldez") anführt, ein Herr Freitas,
der schon früher den Major Gamitto begleitet hatte. Das
Werk des Letztem erschien in portugiesischer Sprache zu Lissa-
bon 1854.
Die portugiesische Expedition hatte vom Muata Ca-
zembe eine Einladung erhalten, denn zwischen seinem Land
und deu portugiesischen Besitzungen finden Handelsbeziehun-
gen statt. Sie nahm Soldaten zur Bedeckung mit und,
wie sich von selbst versteht, auch Geschenke. Jeder Weiße
brachte eine Peca de Fazenda, ein Stück Baumwollen-
zeug, und aus der Anzahl dieser Stücke konnte dann der
Herrscher ersehen, wie viele weiße Männer an seinem Hof
erschienen waren.
Die Expedition nahm ihren Ausgang vou Tete am
Sambesi aus und verfolgte ununterbrochen eine nordwestliche
Richtung, bis sie nach Lnnda gelangte. Dort war die
Mossnmba, d. h. Residenz des Kaisers, welchen man auch
als Mambo bezeichnet. Als die Portugiesen in das große
Viereck eintraten, war der Platz schon mit Menschen ange-
füllt. Dem östlichen Thore gegenüber hatte man jedoch einen
beträchtlichen Raum freigelassen.
Der Muata Cazembe hatte etwa fünf- bis sechstausend
Soldaten aufgestellt! sie trugen Bogen, Pfeile, Wurfspeere
und das Ponte. Letzteres ist ein großes Messer oder viel-
mehr ein zwei Spannen langes, doppelschneidiges Schwert
von etwa vier Zoll Breite, wird in einer ledernen Scheide
getragen und hängt ein einem Ledergürtel auf der linken
Seite. Diese Waffe darf nnr von Soldaten, Beamten und
Dienern der Krone getragen werden.
Der Muata Cazembe oder Mambo saß links vom oft-
lichen Eingangsthore zur Mossnmba. Statt des Teppichs
vor dem Thronstuhl waren Tigerhäute so gelegt, daß sie
einen großen Stern bildeten, in dessen Mitte das Fell von
einem großen Löwen lag. Der Stuhl war mit grünem
Zeuge bedeckt, stand mitten auf der Löwenhaut und bildete
den Thron.
Die eigentümliche Tracht des Mambo verdient
eine besondere Erwähnung, denn für Afrika war sie, und
zwar in eigenthümlicher Weise, prachtvoll. Auf dem Kopfe
hatte der große Kaiser eiue etwa zwei Spannen hohe Mitra
ans scharlachrothen Federn, vor der Stirn erglänzte ein
Diadem von glänzenden, werthvollen Steinen und Juwelen;
auf dem Hinterhaupte staud ein mit zwei kleinen Elfenbein-
pfeilen befestigtes, in Falten gelegtes Tuch empor, das wie
ein grüner Fächer aussah. Nacken und Schulter waren
mit einer Art von Kapuze bedeckt; der obere Theil bestand
aus Kaurimufcheln und falschen Juwelen, der Besatz aus
verschieden gestalteten Stücken Spiegelglas, welches nicht
ohne Geschmack angeordnet war. Ans den Armen, ober-
halb des Elbogens, trug er ein etwa vier Zoll breites, mit
Streifen von ansgesranztem Fell besetztes Stück Zeug; dieses
Abzeichen und Merkmal des Königthums dürfen außer dem
Herrscher selbst nur dessen nächste Blutsverwandte tragen.
Der Arm vom Elbogen abwärts steckte in einem Ueberzug
*) Six years of a traveller's lifo in Western Africa, by Fran-
cisco Travassos Valdez, London IS(>1. Vol. II, p. 213.
Dieser Portugiese, der als Kommissar seiner Regierung i» Kapstadt
lebt, hat auch über Matiamvo, den eigentlichen Oberherrscher der
Baluuda, alle vorhandenen Nachrichten zusammengestellt. Wir
werden dieselben gelegentlich mittheilen
von himmelblauen Steinen; vom Gürtel bis zu den Knien
war der Körper mit einem gelben Schurz bedeckt. Dieser
Schurz hatte einen vier Zoll breiten Besatzstreifen, dessen
oberer Theil blau war, der untere hatte eine rothe Farbe.
Auch trug der Mambo einen Gürtel in eigenthümlicher
Weise, nämlich so, daß das eine Ende desselben an den
Schurz vermittelst elfenbeinerner Pfeile befestigt, und das
Ganze, in kleine Falten gelegt, um den Leib gewickelt wird.
Der Schnrz heißt Mnconzo, der Gürtel Jnsipo, und
beide gelten auch für Abzeichen der Herrscherwürde. Dieser
Ledergürtel wird der ganzen Länge nach aus einer Ochsen-
haut geschnitten, ist fünf bis sechs Zoll breit, und der Büschel
des Schweifes fchleppt unter deu eben erwähnten Falten
hin. An der rechten Seite hing vom Jnsipo ein Strang
Perlen herab, an welchen eine kleine Glocke befestigt war;
sie ertönte allemal, wenn der Herrscher sich bewegte. Die
Beine waren in ähnlicher Weise geschmückt wie die Arme,
aber Gesicht, Hände und Füße blieben unbedeckt.
Zn alledem kam aber uoch mancher andere barbarische
Pomp. Durch sieben Schirme wurde der Mambo gegen
die Sonnenstrahlen geschützt. Sie waren von verschiedenen
Farben und auf langen, in die Erde gesteckten Bambusstäben
befestigt; die letzteren hatte man mit Zeug vou einheimischer
Manufaktur umwickelt. Neben den Schirmen standen Neger
mit Nhumboschweifen in den Händen.
Nhumbo heißt eine Art von Gnu-Antilope, welche so
groß ist wie ein dreijähriger Ochse; sie hat kastanienbraune
Farbe, einen schwarzen Streifen über dem Rücken, viel Haar
auf den Schultern, gleichsam eine Mähne, gespaltene Klauen,
Kopf und Horn wie ein Büffel. Das Fleisch ist vortrefflich.
Der Nhumboschweif, welche» jeue Nieger hielten, hatte die
Gestalt eines Besens und die Griffe waren mit verschieden-
farbigen Glasperlen verziert. Wenn der Muata Cazembe
den Gnuwedel, den er in seiner rechten Hand hielt, bewegte,
thaten jene Neger gleichzeitig dasselbe.
Andere Schwarze gingen über den freien Raum, um
alle Unreinlichkeiteu fortzunehmen,und noch andere gingen mit
Korben hinterher. Der Platz war übrigens so sauber, daß
man uicht das geringste Ungehörige fand. Auf demselben
war ein Kreis, der vom Thronsitz ausging, an der linken
Seite durch einen tiefen Strich im Sande, an der rechten
durch Kreide (Jmpemba) bezeichnet. Innerhalb desselben
waren zwei Reihen von Götzenbildern aufgestellt, Gestalten
von etwa zwanzig Zoll Höhe, die man an in die Erde ge-
triebene Stecken befestigt hatte. Sie hatten Gesichtszüge
wie die Kaffern und waren mit Thierhörnern verziert. Auch
stand ein Käfig tu Gestalt eines Fasses da, und auch in
diesem war ein kleines Götzenbild. Unweit von den beiden
zn äußerst aufgestellten Idolen saßen zwei Neger; jeder
hatte ein mit glühenden Kohlen angefülltes Gefäß vor sich
und warf Blätter darauf, welche einen wohlriechenden
Rauch verbreiteten. Die Götzenbilder drehten dem Mambo
den Rücken zu; an einem derselben war eine Schnur be-
festigt, welche bis zn den Füßen des Herrschers reichte. Den
Grund dafür konnten die Portugiesen nicht erfahren.
In der Pforte saßen die beiden Hauptfrauen des
Mambo; die eiue auf einem mit grünem Zeug überdeckten
Tabouret, die andere auf einem Löwenfell. Arme, Nacken und
Brust waren mit verschiedenfarbigen Steinen geschmückt und
auf dem Kopfe trug die erstere scharlachrothe Federn. Sie
hieß Muariugombe, die zweite führte den Namen Jntemena;
diese war aber nur sehr einfach gekleidet. Hinter beiden
standen wohl an vierhundert andere Frauen von verschiede-
nem Alter; sie trugen alle Nhandas, eine Art von Baum-
wollenzeug, das mit Baumrinde vermischt ist. Sie gehören
zum Harem und sind auch Dienerinnen der vier Haupt-
Ein Besuch am Hofe
freuten. Links vom Muata Cazembe saß ans einer Löwen-
haut unter zwei Schirmen ein junges Weib, iu ähnlicher
bracht wie die Muaringombe; sie war mit des Herrschers
verstorbener Mutter verwandt und erfreute sich des Vor-
rechts, ein Gefolge von zweihundert Frauen zu haben.
^ Auf der innern Seite des Vierecks, welches von den
^negern umschlossen wird, saßen, dem Range znfolge, die
^^^^träger, auf Löwenhäuten; sie kehrten das
Gesicht dem Mambo zu und waren anständig gekleidet; jeder
hatte einen Schirm. Zunächst dem Herrscher standen dessen
Oheim und Neffe.
Mehrere Banden von Spielleuten standen zwischen
dem Kaiser und den Würdenträgern. Jede Bande hatte
ihre besonderen Instrumente; da aber alle zugleich musicir-
ten, so machten sie einen wahren Heidenlärm. Alles wurde
des Muata Cazembe. 15
angenehmen Gesichtsausdruck. Major Monteiro ließ das
Gewehr Präsentiren und dem Herrscher sagen, daß solches
eine Ehrenbezeugung sei. Darauf verneigte sich der Mambo
und schickte jedem Mitgliede der vor ihm stehenden Gesandt-
Ichast einen mit Tigerhaut bedeckten Elephantenzahn, welcher
dann als Sitz diente.
Die Portugiesen waren vom Cazembe Ampata nach
Lnnda geleitet wordeu. Als nun die Audienz begann, fing
jener au vor dein Herrscher zu tanzen; dieser streckte ihm die
Hand entgegen und sprach: Navinga, d.h. es ist gut! Eine
größere Ehre kann er einem Unterthan nicht erweisen.
Major Monteiro ließ eine Gewehrsalve geben, welche auf
deu Wunsch des Mambo wiederholt wurde.
Das Gebiet des Cazembe wird im Westen dnrch den
Fluß Lualao vom Lande des Matiamwo geschieden. Die
von dem Schalle der Schambanssua, einer Trommel, über-
täubt; diese ist zwei Spannen hoch, hat etwa vier Spannen
im Durchmesser und wird im Innern der Mossumba auf
einer Löwenhaut aufbewahrt. Eigentlich foll sie nur iu
Kriegszeiten gebraucht werden, aber der 1831 regierende
Cazembe ließ sie rühren, wenn er zornig war, und wer ihm
dann iu den Weg kam, wurde getödtet. Ter Ton dieses
Instrumentes hat etwas Peinlich-trauriges.
Eiueu nicht unwichtigen Bestandtheil der königlichen
Dienerschaft bilden die Hofnarren, welche, bis auf ein
von den Schultern herabhängendes Tigerfell, durchaus un-
bekleidet sind; manche tragen Hörner aus dem Kopfe und
rubere haben, in unzüchtiger Weise, Stroh um den Leib
gewickelt. Einige hatten sich über und über mit rotheu und
weißen Streifen bemalt. Alle aber sprangen umher und
machten lächerliche Männchen oder unanständige Geberden.
Muata Cazembe sah aus wie eiu Mann von
funszig Iahren. war aber viel älter. Er trug einen grauen
1 ' ■ tc ästigen Gliederbau uud einen keineswegs un-
Größe des Flächenraumes kennen wir nicht, bei den ver-
schiedenen Kaffernationen gilt es aber für das mächtigste
Reich in Südafrika. Früher reichte es vom Flusse Schambeze
im S?fteit, bis zum Lualao im Westen, hatte also eine Aus-
dehnnng von ungefähr zweihundert Wegstunden in der
Länge und halb so viel in der Breite; aber es ist nun durch
die Muembas oder Molnaues, welche vou Nordwesten her
als Eroberer kamen, beträchtlich verkleinert worden.
Das Land bildet eine von Flüssen durchschnittene
Ebene: die einzelnen Distrikte werden von Kilolos verwaltet,
über welche der Mambo eine uueingeschränkte Gewalt übt.
Die Hauptstadt Luuda liegt an einem Wasser, das als
See und Flnß bezeichnet wird und M o s o heißt. Die Straßen
sind gerade, breit und werden sehr sauber gehalten. Die
Residenz des Königs, die mit verschiedenen Neunen (@aitd et,
Mossumba und Schipango) bezeichnet wird, liegt ant
Wasser, an der Nordseite der Stadt.
Lesen und Schreiben sind dem Volk unbekannt. Die
religiösen Vorstellungen erscheinen ganz roh; man opfert
16
Ein Besuch am Hofe des Muata Cazembe.
den Mnfimos, das heißt den Geistern der abgeschiedenen
Mambos, Kriegsgefangene, und in Ermangelung solcher
auch Leute aus dem eigenen Volke.
Als Staatsmaxime gilt, daß der Mnata Cazembe niit
keinem andern Potentaten ein Bündniß eingehe; er übt
so viel als möglich Druck auf die kleinen Herrscher jenseits
seiner Grenzen und sucht dieselben uuter einander in Kriege
zu verwickeln. Die Regierung ist ganz unbedingt despotisch.
Streitkräfte befehligt, und der Mnaniancita oder Ober-
anffeher der Wege, welcher den Karawanen Führer stellt,
ihnen Bedeckung giebt und alle Streitigkeiten über Schulden,
Raub und Mord entscheidet.
Alle anderen Kilolos, mit deren Titel das Wort Fum o
verbunden wird, gehören zur zweiten Rangstufe, z. B. die
Beamten, welche die Kleider, Juwelen, Glasperlen :c. des
Muata in Verwahr haben, die Musiker und derOberansfeher
Der Muata Cazembe in Lunda,
Sein Titel ist Muata, das heißt Herr oder Gebieter;
aber seine Schmeichler nennen ihn auch Muatianfa
(Matiamvo), was er sehr gern hört. Auch bezeichnet man
ihn als Muane, was etwa nnferm „Herr" entspricht. Die
Krone ist erblich. Der Hofstaat besteht aus den Kilolos
oder Bambires, Edellenten mit verschiedenen Rangstufen.
Es ist nicht ohne Interesse, zu sehen, wie der schwarze
Potentat Hof und Residenz verwalten läßt. Zn den Kilolos
ersten Ranges gehören der Thronfolger, die übrigen Mit-
glieder der Herrscherfamilie, der Oberfeldherr, welcher alle
der öffentlichen Arbeiten, welcher die Straßen der Haupt-
stadt und die zur Residenz gehörenden Gebäude in gutem
Stande zu erhalten hat. Der Caqnata, d. h. einer der
fängt und geleitet, hat nicht eigentlich den Rang eines Kilolo,
ist aber cht wichtiger Mann, weil die Onatas, Polizei-
beamten, unter ihm stehen. Die Polizeileute führen als
Amtszeichen neben dem Pocue (Messerschwert) die Stricke,
mit welchen Verbrecher gebnnden werden. Dem Caqnato
ist auch der Cata Mata untergeben, d. h. der Ohren-
ab schneid er; er versieht das Amt des Scharfrichters. In
Die Stellung der Farbigen in der Janki
jeder Straße ist ein Muhine, kleiner Richter, der für
Alles, was in seinem Bezirke vorgeht, verantwortlich ist
und alle geringen Streitigkeiten entscheidet. Als Amtszeichen
hat er eiue kleine Hacke, die an einem langen Stabe be-
festigt und mit einem eisernen Ringe versehen ist.
Etwas, das an eine Gesetzgebung erinnern könnte, ist
nicht vorhanden; Alles hängt unbedingt vom Willen des
Mambo ab. Dieser vertheilt auch Ländereien nach Gut-
dünken und kann die Bewilligung, wenn es ihm gefällt,
widerrufen.
Das Volk bildet die Klasse der Muisas, Vasallen;
gleich den Adeligen, gelten anch sie für Sklaven des
Herrschers. Jedes Dorf wird als Mui bezeichnet, und als
Gand a, wenn der Bezirksbeamte in demselben wohnt.
Die Cazembes gehören zum großen, weitverbreiteten
Stamme der Balondas; sie haben schwarze Haut, langes,
wolliges Haar, vorragende Stirn, hervorstehende, lebhafte
Augen, gerade Nase und nichtwulstige Lippen; der Wuchs
ist kräftig und von Mittelgröße. Wir haben schon erwähnt,
daß ihre religiösen Vorstellungen wenig entwickelt sind. Sie
glauben, daß Pambi der Schöpfer aller Dinge sei und
unmittelbar auf die Zauberei einwirke. Vermittelst der
Zauberei glaubt der Cazembe-Schwarze unsterblich werden
zu können; daß der Tod die Menschen ereilt, rührt, ihm
zufolge, von irgend einem Versehen beim Zaubern her.
Der Pambi schnf den Mambo, damit dieser über das Volk
herrsche. Die Grabstätten gelten für geheiligt. In ganz
Südafrika sind die Cazembes das einzige Volk, welches
hölzerne Puppen als Idole hat; es sind rohe Nachahmungen
-Union und die angebliche Philanthropie. 17
der menschlichen Gestalt, mit Hörnern nnd Knochen von
Thieren geschmückt. Orakel erhält man durch Zauberei.
Der Muata veranstaltet große Festlichkeiten mit Tanz und
Musik; zum Schlüsse derselben läßt er Speisen und Pombe,
ein berauschendes Getränk, anstheilen. Die todten Mambos
stehen, wie das Volk glaubt, in Verbindung mit den leben-
den, gehen Nachts um und vertreiben sich die Zeit lustig mit
Weibern und Weintrinken.
Das Volk redet die Sprache von Messera, welche
mit dem Muiza verwandt ist, aber am Hose wird nur
das Campocolo gesprochen. Die portugiesische Expe-
dition war sechs Monate in Lnnda, aber in dieser langen
Zeit war kein Mitglied derselben im Stande, etwas von
dieser Hofsprache zu verstehen, ausgenommen die beiden
Wörter Cup so, Feuer, und Maine, Wasser.
Das Land scheint stark bevölkert zu seht, und die Be-
wohner (keine eigentlichen Neger) bestellen den Boden mit
großer Sorgfalt; vorzugsweise wird Mauioc und Mais
gebaut. Man räuchert Fleisch und Fische, versteht Thier-
felle zuzubereiten und aus denselben Kleider zu verfertigen.
Man bereitet Zeug aus verschiedenen Faserstoffen, na-
mentlich anch aus Baumwolle, Oel aus Sämereien, Palm-
nüssen und einer Jatrophaart. Der Pombe ist ein Honig-
wein, dessen Bereitung ein Monopol des Herrschers ist.
Salz wird aus Holzasche gewonnen; man kocht in irdenen
Gefäßen. Die Waffen werden aus Eisen gefertigt; Knpfer
ist in großer Menge vorhanden.
Dieses Land könnte für deu Handel mit Europa von
Wichtigkeit sein, wenn es nicht so tief im Innern läge.
Die Stellung kr Farbige» in der lliiiikfr-Uiiiiui und die angebliche
Philairthropie.
Präsident Lincoln
und farbige Leute. —
.............. Ehrlich geineinte Einan-
eipationsbestrebnngen iiu Süden. Die fanatische, Seite der Äbolitionisten als Unheilstifter. — Rat Turner S Sklavenaufstand. —
Fortschritte der aboliticmistischen Propaganda. — Englische Sendlinge. — Präsident Jackson's Warnungen. —
Der Nagel zum Sarge der Union. —
Die große nordamerikanische Union ist für immer da-
hin; nachdem Blnt in Strömen geflossen, gehört es zu deu
unmöglichen Dingen, sie wieder zu vereinigen. Deuu es
läßt sich nicht mehr verkennen, daß zwei Völker einander
gegenüberstehen, und daß der Süden um keinen Preis irgend
welche Gemeinschaft mit dem Norden haben will. Das
Recht, sich unabhängig zu machen und selbständig, seinen
Bedürfnissen und Ansichten gemäß zu verfahren, wird ihm
ein Staatenbund nicht abstreiten, welcher selber das An-
recht auf fem Dafeiu aus der Volksfouveraiuetät und aus
dem „natürlichen Recht auf Revolution" hergeleitet hat.
In Europa, wo Viele die salbungsvollen Redensarten,
welche aus dem Norden der Union her in Umlauf gesetzt
wurden und immer noch zum Besten gegeben werden, für
vaare Münze nehmen, wird man nun endlich von langge-
nährten Täuschungen zurückkommen. Diese werden durch
^"Barmherzigkeit der nackten Thatsachen verscheucht, und
leibst die Leichtgläubigen und Unkundigen überzeugen sich,
vie sehr man sie irre geführt. Die Unwissenheit, welche,
der wirklichen Verhältnisse Nordamerikas in drei
unyellen der deutschen Zeitungen zu Tage tritt, ist in der
" ,a vaarsträubend; der Leichtsinn, mit welchem sie die
Globus für 18ü_\ Nr-. 25.
widersinnigsten Berichte mittheilen, geradezu bodeulos, und
die Bereitwilligkeit, mit welcher sie einseitige Parteibestrebnn-
gen fördern, verdient entschiedene Mißbilligung.
Wir sagten schon früher im Globus in einem Aufsatze
über Sklaven und Sklavenhalter in Nordamerika (Nr. (3,
S. 167), „daß eine verächtliche Heuchelei in die
Negerfrage hineinspiele; der Abolitionismns
stehe in der Lüge; man befinde sich im Wider-
sprnche zwischen den Grundsätzen, welche man ans-
stelle, und der Praxis, durch welche mau sie zu
Schau deu mache." Wir belegten diesen Ausspruch mit
einer langen Reihe von Thatsachen, gegen welche keine Ein-
Wendungen möglich sind. Da und dort hat Wohl ein Jgno-
rant oder ein Fanatiker Anstoß daran genonnnen, aber die
Thatsachen bleiben eben stehen.
Die Leichtgläubigen waren der Ansicht, es habe sich
von Seiten der radikalen Partei, welche sich den Namen
der republikanischen beigelegt hat und deren Partei-
kandidat Lincoln ans dem Nigger in das Weiße Haus zu
Washington einritt, um eine Befreiung der Negersklaven
und eine gesellschaftliche und politische Gleichberechtigung
der Farbigen gehandelt. Wer mit den Verhältnissen und
3
lg Die Stellung der Farbi
insbesondere mit den Parteibestrebungen bekannt war, konnte
nicht umhin, einen solchen philanthropischen Wahn zu be-
mitleiden. Die humane Floskel, das philanthropisch klin-
gende Stichwort wurde vorgeschoben, das Wort Sklav
sollte Schauder bei allen wohlwollenden Menschen erregen.
Es gelang in der That, das große, wenig unterrichtete Publi-
kum zu beirren; dasselbe nahm Partei für den „freien
Norden", gegen die „tyrannischen Sklavenhalter" und fin-
den „armen Neger". Jetzt ist es ganz erstaunt, daß dieser
arme Neger seither treu zum Süden gehalten hat, in dessen
Heeren tapfer kämpft, und wieder zn den Sklavenhaltern
entläuft, wenn die Aankees ihn etwa einfangen, um ihn in
ihrer Weise freizumachen. Es ist ferner erstaunt, daß inl
„freien" Norden die freien Farbigen von den weißenArbei-
tern mißhandelt werden, daß sie eine verachtete Pariastellung
einnehmen, und in vielen „freien Staaten" gar nicht ge-
duldet werden. Ja, während der angebliche Emancipations-
krieg wüthet, haben mehrere freie Staaten ihre Gesetze zum
Fernhalten der Farbigen verschärft, z. B. Illinois.
Die sogenannte republikanische Partei, welche in den
Herbstwahlen von 1860, in Folge einer Dreispaltung der
konservativen Demokratie, zur Herrschaft gelaugte und
gegenwärtig einen Despotismus übt, zu welchem Europa,
selbst unter Kaiser Nikolaus von Nußland, kein Nebenstück
dargeboten — diese Partei nahm zwar die Negerfrage zum
Stichwort, aber nichts lag ihr ferner, als die
Schwarzen zn emancipiren. Ihre Führer trieben Miß-
brauch mit den unklaren Gefühlen einer Masse, die sich von
dem wahren Inhalte der Phrase keine Rechenschaft ablegte;
sie verkündeten „den unausweichlichen Zusammenprall, den
unversöhnlichen Gegensatz zwischen weißer und schwarzer Ar-
beit". Aber der Neger war lediglich Vorwand, Haupt-
sache waren Erlangung der Macht und der fetten Aemter.
Durch diese Partei des Nordens, welche sektionell war und
den Gegensatz zum Süden als ihr Lebenselement hinstellte,
ist die Union unrettbar zu Grunde gerichtet worden. War
es doch diese Partei, welche schon vor Lincoln's Wahl in
elf Staaten Bundesgesetze eigenmächtig für ungültig er-
klärte, und damit eiue verhängnißvolle Nullifikation begann.
Sie trat revolutionär gegen die Bundesverfassung und plan-
mäßig aufhetzend gegen den Süden hervor. Sie allein
trägt die Schuld an dem Bruche; wir haben das iu unseren
vier Aussätzen über die nordamerikanischen Verhältnisse
(Nr. 10 bis 13) nachgewiesen und mit Thatsachen belegt.
Wie wenig es der republikanischen Partei, der „Frei-
heitspartei", wie sie sich nennt, daran liegt, den Farbigen
eine Gleichstellung zu gewähren, ergiebt sich aus einer Rede,
welche kein geringerer Mann als Präsident Lincoln am
14. August dieses Jahres vor einer Deputation von Negern
und Mulatten gehalten hat.
Der ganze Vorgang ist charakteristisch für die Aankees.
Sie haben jetzt eben wieder die längere Zeit unterbrochene
interoceanifche Route durch Nicaragua eröffnet. Die Ge-
sellschast von Spekulanten, welchen die Dampfer gehören,
will auch Kohlengruben in Chiriqui und iu einigen anderen
Gegenden Centralamerikas bearbeiten lassen, es fehlt ihr aber
dort an Arbeitern. Die Spekulanten wandten sich an den
durch und durch korrumpirten Kongreß zu Washington und
erwirkten, daß derselbe eiue gewisse Summe zur Unterstützung
solcher Farbigen aussetzte, welche auswandern wollten. Ihr
Bevollmächtigter, eiu Herr Pomeroy, der sogar Senator ist,
hat nun ein Werbebureau ausgeschlagen, um Neger für die
Arbeit in den Kohlengruben zu gewinnen, und der Präsident
der nördlichen Union gab sich dazu her, diese Spekulation
zu befürworten.
Wir wollen hier bemerken, daß in Centralamerika, na-
in der Uankee-Union
I mentlich in Nicaragua, sofort eine große Aufregung eut-
stand, als verlautete, daß man Massen von Negern dorthin
bringen wolle. Man hat ausdrücklich dagegeu protestirt
und in Washington angefragt: was den Uankees ein Recht
gebe, Centralamerika mit Negern zu überschwemmen? Man
wolle sie nicht haben. Auswandernde Neger würden also
dort von vornherein in eine schlimme Lage kommen; trotz-
dem macht der Präsident Propaganda für die Kohlenfpekn-
lanten!
Wir haben seine Rede vor uns liegen und wollen die
Stellen, auf welche der Schwerpunkt fällt, herausheben.
Der Präsident sagt den Farbigen: „Weshalb solltet ihr
dieses Land nicht verlassen? Ihr seid eine von uns
durchaus verschiedene Race. Zwischen ench und uns
(Weißen) ist ein weit größerer Unterschied, als wir ihn unter
zwei anderen verschiedenen Racen finden. Ob das recht
oder unrecht ist, habe ich hier nicht zu untersuchen, aber
dieser physische Unterschied ist ein großer Nachtheil für
uns beide. Ich glaube, eure Race leidet sehr darunter,
daß sie unter uns lebt, und unsere Race leidet dadurch,
daß ihr da seid. Mit einem Worte, wir haben alle Beide
Nachtheil davon, und deshalb ist es wohlgethan, wenn wir
uns trennen. Meiner Meinung zufolge erleidet eure Race
das größte Unrecht, welches Leuten zugefügt werden kann.
Wenn ihr auch keine Sklaven mehr seid, so seid ihr doch
noch weit von einer Gleichstellung mit den Weißen entfernt.
Ihr habt auf viele Vortheile zu verzichten, welcher die
Weißen sich erfreuen. Der Mensch trachtet naturgemäß
dahin, mit den Besten eine Gleichstellung zu erlangen, aber
auf diesem großen Kontinente ist nicht ein einziger
Mann eurer Race vorhanden, der uns gleich
stände. Ueber die Sache selbst mag ich nicht diskutireu,
ich habe nur die Thatsache iu's Auge zu fassen, und diese
konnte ich nicht ändern, selbst wenn ich es wollte. Es ist
eben ein Faktum, über welches wir, Sie und ich, gleichmäßig
denken und fühlen." —
„Ich glaube, daß die Sklaverei auch auf die Weißen
nachtheiligen Einfluß übt; seht nur, iu welcher Lage wir uns
befinden, das Land ist in Krieg verwickelt, die weißen Leute
schneiden einander die Hälfe ab, und Keiner weiß, was aus
der Geschichte werden wird. Wäre eure Race nicht unter
uns, so hätten wir diesen Krieg nicht. Es ist für uns Beide
am besten, wenn wir uns trennen. Ich weiß wohl, daß
viele von euch keine Lust haben, unser Land zu verlassen;
der freie Farbige sieht nicht ab, daß er sich besser befinden
würde, wenn er auswandert, und fühlt sich in Washington
oder anderwärts viel behaglicher; deshalb will er nicht nach
einem fremden Laude gehen. Ich rede nicht in unfreund-
licher Absicht, wenn ich darauf entgegne: das ist eine sehr
selbstsüchtige Auffassung der Sache; ihr müßt auch etwas
für Jene thuu, welche nicht so günstig gestellt sind wie ihr.
Es mag euch etwas hart erscheinen, aber es ist wahr,
daß unsere (weißen) Leute euch, die freien Far-
bigeu, los sein wollen, und euch nur ungern unter
sich sehen. Wollt ihr nun den Weißen einen Gefallen
thnn, so könnt ihr dadurch zugleich erzielen, daß viele Far-
bige frei werden. Wenn intelligente Farbige, zum Beispiel
Leute wie ihr hier seid, in der Sache etwas thuu wollen,
dann kann viel fertig gebracht werden. Es ist namentlich
für den Anfang von großer Erheblichkeit, daß wir Leute
haben, die fähig sind, wie weiße Leute zu denken.
Mancherlei könnte euch ermuthigen. Ihr solltet zum Beste»
eurer Race etwas von eurem jetzigen Wohlergehen aus-
opfern und zu diesem Behuf euch eben so groß zeigen, wie
in dieser Beziehung die weißen Leute thuu. Es ist doch
ein wohlthueuder Gedanke für das ganze Leben, wenn mau
und die angebli
sich sagen kann, daß man dazu mitgewirkt, die Lage Solcher
zu verbessern, welche den herben Gebräuchen dieses Lebens
unterworfen sind." —
Lincoln schärft dann den Farbigen ein, daß man zum
Besten seiner Nebenmenschen Opfer bringen müsse. Sie
möchten nur bedenken, welche Opfer General Washington
gebracht und welchen Entbehrungen er sich unterzogen habe,
um ein Wohlthäter seiner Nace zu werden. Er selber
sei kinderlos gewesen, aber doch ein Wohlthäter für anderer
Leute minder geworden. Lincoln verweist dann die Farbigen
auf Liberia, das in einiger Beziehung als ein Erfolg be-
trachtet werden könne; dorthin seien aus den Vereinigten
Staaten im Ganzen etwas weniger als 12,000 Farbige
gewandert. Viele Farbige hätten aber keine Lust, dorthin
nach Afrika zu schiffen, sondern zögen ein Land vor. in
welchem sie nicht allzuweit von ihrer nordamerikauischen
Geburtsheimath getrennt seien.
„Ich weiß nicht, wie viel Anhänglichkeit ihr an eure
Race habt; es leuchtet mir nicht ein, daß ihr gewichtige
Gründe habt, sie zu lieben, aber auf alle Fälle habt ihr
doch eine gewisse Anhänglichkeit an sie. Ich denke an die
Gründung einer Kolonie in Central-Amerika.
Das ist näher als Liberia; ein Dampfer kann in sieben
^agen dorthin gelangen, es liegt auf der großen Verkehrs-
straße, ist ein ganz prachtvolles Land für Jedweden, hat
große natürliche Hülfsquellen und Bortheile und ein Klima,
das mit jenem eurer Urheimath Ähnlichkeit hat; es paßt
also für eure Leibesbeschaffenheit. Die Oertlichkeit, welche
lch ganz besonders im Auge habe, liegt auf den Wege
zwischen dem Atlantischen und dem Stillen Ocean, hat aus
beiden Seiten gute Häfen und Alles deutet an, daß dort
ergiebige Kohlenlager vorhanden seien. Kohle ist ein
Bedürsniß sür jedes Land: ich lege großen Werth auf die
Kohlen, weil die Leute beim Fördern derselben sogleich
Beschäftigung finden. Ich wüßte nichts Besseres als ein
Land, wo Kohlen liegen; da .'..nn man sofort etwas unter-
nehmen. Man hat euch von der Sache etwas vorgeschwatzt
und gesagt, daß es sich um eine Specnlation von Seiten
solcher Gentlemen handle, welche ein Interesse in jenem
Lande wahrzunehmen haben. Wir wären aber unser ganzes
Leben laug im Jrrthnm gewesen, wenn wir nicht wüßten,
daß Weiße wie Schwarze ihren Bortheil wahrnehmen, sie
müßten sonst Leute sein, welchen es an Intelligenz fehlt.
Bei Allem, womit man sich beschäftigt, will man Profit
haben; das ist einmal so, hier zu Laude wie anderwärts
auch. Ihr hier seid intelligente Leute und wißt, daß Erfolge
hauptsächlich davon abhängen, daß man sich auf sich selbst,
uicht auf fremde Hülfe, verläßt. Es hängt also sehr vieles
von ench selbst ab. Und bei den Kohlengruben könnt
ihr das letztere bethätigen. Wenn ihr bei dem Unternehmen
thätig sein Wollt, so werde ich von den mir zur Verfügung
gestellten Geldern etwas für euch flüssig machen und sehen,
daß ihr nicht zu Schaden kommt. Ich weiß allerdings
nicht, ob die Sache gut gehen wird; vielleicht büßt die Re-
gierung Geld ein, aber wir müssen einen Versuch machen.
Die politischen Verhältnisse in Central-Amerika sind aller-
dings nicht so zufriedenstellend wie ich wünsche, Factionen
streiten mit einander, aber in Bezug aus Kolonisation sind
llc einverstanden. Sie haben gegen eure Race nichts ein-
Zuwenden (?); auch würde ich dahin zn wirken suchen, daß ihr
0rt völlige Gleichstellung erhieltet. Nnn fragt sich, ob
euch eine hinlängliche Menge von Männern mit
Mf101)1 Ullb Ludern bekommen kann, ich meine leidlich in-
C l-^cn 11111 einen Ansang zn machen. Das hatte ich ench
a,11' ,^u übereilen brancht ihr euch nicht."
diesem Tone und, beiläufig bemerkt, in ächten
: Philanthropie. 19
Yankee-Englisch, redete Präsident Lincoln zn den farbigen
Leuten. Wenn sein Frennd nnd Minister des Auswärtigen,
Seward, den unausweichlichen Conslict zwischen weißer
nnd schwarzer Arbeit verkündet hatte, so constatirte Lincoln
selber, er, das Hanpt der republikanischen Partei, die Un-
verträglichkeit der weißen nnd farbigen Menschen,
nnd erklärte eine Gleichstellung und Gleichberech-
tignng der Letzteren mit den Ersteren für eine Sache
der Unmöglichkeit.
Darin hat er Recht, er stellt nur eiue Thatsache fest,
welche nicht hinwegzuleugnen ist. Aber weshalb hat denn
die republikanische Partei den Neger zum Schiboleth gemacht,
während sie selber von den Schwarzen nichts wissen will,
und ihn je eher desto lieber los sein möchte? Während sie
nicht daran denkt, ihn gleichzustellen? Auch sie beklagt sich über
die „Negerplage", die im Norden sehr schlimm ist, weil der
freie Neger ein böses Proletariat bildet und dem weißen Pro-
letariat ein Dorn im Auge ist. Mit der human klingenden
Phrase läßt sich die tiefe Abneigung der weißen gegen die
schwarzen Menschen nicht beseitigen. Fünfthalb Millionen
Farbige kann man nicht über See schaffen oder ans dem
Lande jagen und Gleichberechtigung will man ihnen nirgends
geben, am allerwenigsten im „freien" Norden, wo, wie
bemerkt, manche Staaten jene Leute völlig ausschließen und
nicht einmal dulden, daß sie die Grenze überschreiten. Wer
mag es dem Süden verdenken, daß er nicht ähnliche Zu-
stände bei sich aufkommen lassen will? Er sagt dem Norden:
Selbst wenn ich meine Sklaven freigeben wollte, Du
nähmest sie ja nicht ans, und ich will nicht vier Millionen
nucontrolirter Neger in meiner Mitte haben; bei mir
sind keine schwarzen Bettler und Proletarier; mir sind die
Neger nicht zur Last; ich habe ihnen stets gesagt, daß sie
andersgeartete Leute seien, denen ich Gleichstellung in
gesellschaftlicher Beziehung nicht zuerkenne. Ich habe
ihnen den Kreis angewiesen, innerhalb dessen sie sich be-
wegen sollen; ich habe niemals mit Redensarten von Freiheit
und PseudoPhilanthropie kokettirt, wie du thust. Meine
Stellung ist klar. Ob sie den Fanatikern und Unwissenden
bei dir oder in dem, mit den Sachverhältnissen unbekannten
Europa gefällt oder nicht gefällt, das verschlägt mir nichts.
Man möge nun über die Anlage und Befähigung der
Neger denken, wie man wolle, so viel bleibt ausgemacht,
daß der Süden sich in einer klaren Stellung, der Norden
aber (die conservative, verfassungstreue Demokratie abge-
rechnet) in der Lüge befindet. Er schob angeblich humane
Prinzipien vor, die er selber praktisch nicht befolgt.
Nun fallen allerdings die republikanische Partei und
die eigentlichen Abolitionisten nicht völlig zusammen, aber
Beide haben daran gearbeitet, die große Union zu Grunde
zu richten und die Schuld davon fällt gleich schwer auf
beide Parteien.
Wir wollen zeigen, wie es sich historisch mit der Ent-
Wickelung und dem Gange der Agitation gegen die Neger-
sklaverei verhält, und die T hat fachen reden lassen.
Zwei Ansichten stehen sich schroff gegenüber. Die
Abolitionisten kümmern sich nicht um die Lehren der Er-
fahrung und um Anthropologie oder Ethnologie. Sie sagen:
ein Mensch ist so viel Werth als der andere, hat denselben
Anspruch auf Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit; wir
verlangen also dieselben „Menschenrechte" für Alle ohne
Ausnahme, wer ste auch sein mögen, und in Nordamerika
wollen wir keine Sklaverei dulden.
Man entgegnet ihnen, namentlich von Seiten der
Demokraten, Folgendes: Ihr Abolitionisten verkennt durch-
ans die wirklich humane Ausgabe, welche in Betreff der
dienstbaren Neger zu lösen ist. Ihr habt agitirt, geschmäht
3*
20 Die Stellung der Farbi
und gehetzt und seid so zu Werke gegangen, als ob es sich
nur darum handle, einen künstlichen Kastennnterschied,
ein Verhältniß wie jenes der vormaligen Leibeigenschaft in
Europa, zu beseitigen; ihr meint, es bedürfe lediglich eines
Dekrets, uin vier Millionen farbige Sklaven ohne Weiteres
zu freien, souveränen, selbständigen Bürgern zu machen.
Vor den Thatfachen schließt ihr die Augen. Daß diese Leute
von Natur ganz anders angelegt und begabt sind als andere
Racen, das könnt ihr zwar nicht leugnen, aber ihr nehmt
darauf keine Rücksicht. Euer Machtspruch kann aber dem
Neger keine andere Bildung des Gehirns geben, ihn nicht
zn einem Menschen der kaukasischen Race umwandeln. Ihr
solltet besser die Frage beantworten: Was erfordert die w ah r e
Humanität in Bezug auf eiue anders geartete, offenbar-
weniger entwickelnngssähige Race? Und wäre die Annahme,
daß der Neger niedriger begabt sei, auch uur eiu „Vor-
urtheil", so solltet ihr wissen, daß man Vornrtheile, welche
bei vielen Millionen eingewurzelt sind, nicht mit Gewalt
ausrottet. Und was hat der Neger durch eure Agitationen
gewonnen? Habt ihr ihm je etwas genützt, habt ihr selbst
iin Norden das „Vornrtheil", den Haß und die Abneigung
gegen den Neger auch nur im Geringsten vermindern können?
Nein. Im sklavenlosen Norden ist der Schwarze verachteter
als im Süden. Ihr seht in ihm eine Last, der Süden schätzt
ihn als eine nützliche Arbeitskraft. —
Als die Nordamerikaner ihre Republik gründeten, war
Jedermann von der Ueberzengnng durchdrungen, daß es nn-
möglich sei, die Neger als gleichberechtigte Bürger dem
Staatsorganismus einzuverleiben. Diese Ueberzeugung
schwächte sich im Norden bei Einzelnen, bei einer kleinen
Minderheit erst dann ab, als man die Neger nicht mehr zur
Arbeit bedurfte, weil man Einwanderer billiger haben konnte.
Man verkaufte also die Schwarzen nach dem Süden und
machte ein gutes Geschäft, selbst wenn man den Sklaven
unentgeltlich frei ließ, weil man dann im Alter nicht mehr
für ihn zu sorgen hatte. Den gemietheten weißen Arbeiter
konnte man ja jeden Tag ablohnen und seinem Schicksal
überlassen. Großmnth war also wohlfeil.
Im vorigen Jahrhundert war man mit den Grund-
-gesehen der Anthropologie und Ethnologie nur erst wenig
bekannt, hatte noch keine scharfe, bestimmt ausgeprägte
Vorstellung von dem Racennnterfchiede und dessen Einwir-
knngen. Die sogenannten Väter der Republik fanden die
Negersklaverei vor; sie wurde von ihnen weder getadelt noch
genehmigt.
Die Stellung, welche die hervorragenden Köpfe zu
dieser Frage einnahmen, wird durch folgende Worte Thomas
Jefferfon's klar. Er sagt in seinen „Bemerkungen über
Virginien":
„Seit anderthalb hundert Jahren haben wir die
schwarze und die rothe Race unter unseren Augen gehabt;
aber es gereicht uns zum Vorwurfe, daß wir bis jetzt die-
selbe noch nie als Gegenstände Naturwissenschaft-
licher Forschung betrachtet haben. Deshalb stelle ich
es nur als Vermnthnng hin, daß die Schwarzen sowohl in
körperlicher wie geistiger Befähigung unter den Weißen
stehen, gleichviel ob sie von Anfang an eine besondere Race
gebildet haben, oder durch Zeit und Umstände so geworden
sind, wie wir sie finden. Es streitet nicht wider die Er-
fahrung, wenn man annimmt, daß verschiedene Species
desselben Genus, oder verschiedene Spielarten derselben
Species ganz verschiedene Eigenschaften besitzen.
„Wird nun nicht Jemand, der naturwissenschaftlichen
Untersuchungen ergeben und gewohnt ist, mit Wissenschaft-
lichem Auge die Abstufungen aller Thierarten zn betrachten,
das Bestreben entschuldigen, die Abstufungen innerhalb
m in der Iankee-Union
des menschlichen Geschlechts so gesondert zn halten, wie sie
von der Natur geschaffen worden sind?
„ Dieser unglückliche Unterschied der Farbe, und vielleicht
der Befähigung, steht der Emancipation dieser Bevölkerung
als ein mächtiges Hinderniß. entgegen. Viele, welche die-
selbe befürworten, indem sie die Freiheit der Menschennatur
anerkannt zu sehen wünschen, möchten doch zugleich die
Würde und Schönheit der letztern bewahrt sehen. Einige
werden durch die Fragen in Verlegenheit gebracht: „Was
soll ferner mit ihnen geschehen?" und schließen sich
der Opposition Derjenigen an, auf welche nur niedrige
Habsucht Einfluß übt. Bei den Römern kostete die Eman-
cipation uur eine einzelne Anstrengung. Der freigelassene
Sklav konnte sich mit dem Blute seines Herrn vermischen,
ohne es zu verderbe«. Aber bei uns ist noch ein
Anderes nöthig, was in der Geschichte noch nicht
vorgekommen. Wenn der Sklave bei uns seine Freiheit
erhält, muß er außerhalb des Bereiches der Ver-
Mischung gebracht werden."
Jefferfon wies nach, wie ganz verschieden die Neger-
sklaverei in Amerika von dem Verhältnisse war, in welchem
die weißen Sklaven in den Republiken des Alterthums stan-
den. Als er in der Unabhängigkeitserklärung die Worte
niederschrieb: Alle Menschen sind frei und gleich geboren,
kann der Verfasser obiger Zeilen nur an weiße Menschen
gedacht haben. Er war und blieb auch bis an sein Lebens-
ende Sklavenhalter, wie Washington auch.
Damals hatte man noch keine Erfahrungen darüber,
wie die Verhältnisse sich gestalten, wenn der Neger sich frei
bewegen kann und jeder Kontrole überhoben ist. Diese
Erfahrung ist heute längst in Haiti, in Westindien, auf
Mauritius, in Südamerika gegeben. In allen heißen Län-
dern verwildert der freie Neger. Das ist die moralische
Lehre. Damals war der Anbau der Baumwolle von ver-
hältnißmäßig geringem Belang, und die Erzeugnisse der
Negerarbeit hatten bei weitem nicht die Bedeutung wie jetzt.
Hente weiß man, daß aus die Arbeit des freien Negers in
heißen Ländern kein Verlaß ist und daß man, da der Weiße
in ihnen, des Klimas wegen, Feldarbeit nicht verrichten
kann, Arbeiter aus Indien und China holen muß, welche
an die Stelle des Negers treten.
In den Vereinigten Staaten sind die Schwarzen außer-
ordentlich gediehen; 1790 zählten sie 697,696 Köpfe, jetzt
genau vier Millionen. Die Zahl der freien Neger ver-
mindert sich in vielen Nordstaaten, weil sie weniger gut ge-
nährt und mehr allen Ausschweifungen ergeben sind, als
die Sklaven im Süden.
Im vorigen Jahrhundert waren es die südlichen
Staaten, welche ein sofortiges Verbot der Einfuhr vou
Sklaven aus Afrika verlangten. Wer stemmte sich da-
gegen? Die Staaten des jetzt so fanatisch-abolitionistifchen
Nen-Englands und ganz besonders das puritanische Massa-
chnsetts, welches geltend machte, daß es sich den reichen
Gewinn, welchen seine Kaufleute und Rheder aus
der Sklavenzufuhr zögen, nicht beeinträchtigen
lassen wolle. Es verlangte die Fortführung des afrikani-
fchen Sklavenhandels bis zum Jahr 1 820, und der Süden
hatte nicht geringe Noth, ein Gesetz durchzudringen, welches
die Einfuhr der Afrikaner nach dem Jahre 1808 verbot.
Im Hafen von Charleston in Südkarolina wurden in den
Jahren 1804 bis 1808 nicht weniger als 39,075 Afrikaner
eingeführt und von den 202 Schiffen, in welchen sie an-
kamen, waren 189 Nicht-Südländer.
Als der Norden keinen Prosit mehr von der Einfuhr
von Negern aus Afrika zieheu konnte und nachdem er seine
Sklaven nach dem Süden verkauft hatte, kam die „Philan-
und die angebliö
thropie" auf. Man machte dem Süden einen Vorwurf
daraus, daß er Sklaven halte; dieser aber sah in der Neger-
sklaverei keinen abnormen Zustand mehr und baute mehr
und mehr Baumwolle, welche Europa und die neuengländi-
~Lefn Staaten abverlangten. Das Festhalten an der
Sklaverei erschien ihm nun als eine wirtschaftliche Not-
wendigkeit, von welcher sein Gedeihen und sein Fortschritt
ab)ing. Der freie Neger arbeitete nicht regelmäßig; der
Einwanderer kam nicht in den heißen Süden, sondern ging
m ieu -worden und lieferte diesem Arbeitskräfte, wohlfeil
u»d m Hülle und Fülle.
Die Verfassung der Vereinigten Staaten gestattet
nicht, daß der Kongreß sich in die inneren Angelegenheiten
der einzelnen Staaten und insbesondere nicht in die Sklaven-
angelegenheit einmische.
Aber vom Norden her begannen die Angriffe. Ehe
man gegen den Süden agitirte und feindlich auftrat, waren
dort Emancipationsbestrsbungeu keineswegs fel-
t e n, und man legte ihnen auch keinerlei Hindernisse in denWeg.
Einzelne Bürger und ganze Gesellschaften erörterten, wie
man entweder der Sklaverei sich entledigen oder dieselbe in
möglichst humane Formen bringen könne. Diese wohl-
wollende und praktische Agitation hatte gute Folgen, sie be-
wirkte, daß-die Staatslegislatnren Gesetze zu wirksamen»
Schutze des dienstbaren Negers gegen Willkür der Herren
erließen.
Im Jahre 1816 bildete sich in Tennessee ein Verein
zur allmäligen Freigebung der Neger; in Kentucky, Maryland
und Virginien fand dieses Beispiel Nachahmung. Freilich
trat immer die verhänguißvolle Frage in deu Vordergrund:
was soll man mit den Freigelassenen anfangen, „denn unter
uns behalten können und wollen wir sie nicht." Im Jahre
1817 machte man deu Vorschlag, mit den nördlichen Staaten
ein Uebereinkommen zu treffen, demgemäß der Norden, im
Verhältnis; zu seiner Volksmenge, freigelassene Neger auf-
nehmen solle. Dazu war aber derselbe nicht geneigt.
Im Jahre 1819 wurde beantragt, mit der Emancipa-
tion weiblicher Schwarzen zu beginnen, und zwar so, daß
jede mit vollendetem zehnten Jahre frei fein und dann als
Dienerin bei Familien im Norden untergebracht werden
solle. Damit gedachte man der natürlichen Vermehrung
der Neger im Süden Einhalt zu thun. Zwei Jahre später
tauchte in Virgiuieu der Vorschlag auf, die endgültige Ab-
schaffnng der Sklaverei für das Jahr 2000 festzusetzen und
in der Zwischenzeit als Vorbereitung Uebergangsmaßregeln
zu treffen. Ein anderer Plan, welcher großen Anklang
fand, ging darauf hinaus, die Staaten zu vermögen, daß
eine bestimmte Abstufung der Farbe festgestellt werde, durch
welche der Farbige, wenn auch in Dienstbarkeit geboren,
unmittelbar frei werde und in Vollbesitz bürgerlicher Rechte
trete. Also ein Quarteron, der nur etu Viertheil Negerblut
iu deu Aderu hatte, sollte, um seines kaukasische» Blutes
willen, als Weißer betrachtet werden. Aber nur wenige
Quarterons sind überhaupt noch Sklaven.
Jedenfalls war es im Süden Ernst mit den Emanci-
pationsbestrebnngen, und nichts verhindert die Annahme,
daß dieselben praktischen Erfolge gehabt haben würden, wenn
nicht von Außen her Störung hineingebracht worden wäre.
Die Pharisäer, Fanatiker und Humbug-Philanthropen
des Nordeiis gaben den Dingen eine böse Wendung und
Achten den Süden kopfscheu. Nie hat eine Partei oder
riefte der Sache der Humanität so großen Schaden zuge-
Mg und überhaupt so entsetzliches Unheil angerichtet, als
dre Sekte der Abolitionisten.
^ie singen an Sturm gegen den Süden zu laufen.
1 ^ational-Philanthropist" 1826; im „ Jnvesti-
Philanthropie. 21
gator", welchen 1827 W. Goodell zu Provideuce in Rhode
Island herausgab, in dem „Emancipator" Lloyd Garri-
sons zu Nen-York und anderen Blättern dieser Art wurden
die Sklavenhalter als vogelfreie Scheusale bezeichnet;
die Union mit den Südstaaten wurde als Bund mit dem
Tode hingestellt, die Bundesverfassung ein Pakt mit der
Hölle genannt. So brachten die Fanatiker Methode in
ihren Wahnsinn und dieser Wahnsinn, eine psychische
Seuche, wurde ausleckend.
Die Abolitionisten schickten Sendlings in die Sklaven-
staaten; diese Boten des Unheils waren als Hausirer ver-
kleidet, verbreiteten Flugschriften unter die Neger, welche zur
Brandstiftung und zur Ermordung ihrer Herren anfgefor-
dert wurden. Diese Aufforderungen waren reichlich niit
Bibelstelleu gespickt und trugen bald ihre Früchte.
In Virgiuieu brach, in Southamptou Couuty, August
1831, die Nat Turner Insurrektion aus, über welche die
New Yorker Staatszeitung folgende Mitteilungen bringt.
„Im August 1831 wurde die Nation Plötzlich durch
die Nachricht eiues furchtbaren Negeranfstandes in Sout-
hampton Co., Va., überrascht. Dieser Ausbruch ist nach
dem Namen seines Anführers als die Nat Turner In-
snrrektion bekannt.
Am Sonntag— da ein „ gottgefälliges, christliches Werk"
am Sonntag am besten begonnen wird — den 21. August
brach Nat Turner mit seinen Genossen, mit Aexten und Mes-
-fern bewaffnet, in das Hans seines Herrn und ermordete alle
weißen Personen darin. Weder Frauen noch Kinder wurden
geschont und mit den Leichnamen wurde der scheußlichste
Unfug getrieben. Dann wurden die übrigen Sklaven der
Plantage durch Drohungen gezwungen, sich anzuschließen
und fort ging es nach der nächsten Besitzung. Hier wurden
die Weißen im Schlaf überrascht und nicht ein Einziger
entkam. Kinder wurden mit dem Kopf gegen die Wand
geschleudert, daß das Gehirn umherspritzte; ein schönes junges
Mädchen wurde buchstäblich m Stücke geschnitten. Die
Neger wurden ebenfalls genöthigt, sich zu bewaffnen und
unter das Kommando Turners zu stellen; nachdem sich die
ganze Baude an den vorgefundenen Getränken viehisch be-
rauscht, zog man weiter, ein Theil zu Pferd, eiu Theil zu
Fuß. Als man bei der dritten Plantage ankam, war es
bereits Morgen; doch die meisten der Weißen fielen in die
Hände der Bestien, um auf die gräßlichste Weise massakrirt
zu werden; nur einige hatten Gelegenheit zu entfliehen und
die Schreckensnachricht zu verbreiten. Man war in der
Gegend nicht im mindesten auf ein fo furchtbares Ereigniß
vorbereitet gewesen uud ein Entsetzen griff um sich, wie bei
bcnt Ausbruche eines Erdbebens. Man glaubte nicht an-
ders, als daß es ein weitverzweigtes Komplott sei, welches
überall gleichzeitig ausbrechen werde, und Niemand fühlte
sich sicher, zumal da die ermordeten Familien gerade
wegen der äußerst milden und humanen BeHand-
lnng ihrer Neger bekannt waren.
In der ersten Verwirrung eilte Jeder nach seinem
Hause, — oft nur, um bereits Weib und Kinder im Blute
schwimmend und mit zerhackten Gliedmaßen zn finden; Jeder
suchte zuerst seine Familie in Sicherheit zu bringen. So
wurde gemeinsames Handeln verzögert und der Aufstand
wälzte sich wie eine Lawine weiter.
Brüllend, jauchzend, heulend, ihre Kleider mit Blut ge-
tränkt und fast wahnsinnig von der neuen Aufregung und
dem genossenen Whiskey zogen die Neger von Plantage zu
Plantage, Kinder, Weiber und Männer metzelnd und ver-
stümmelnd.
Gewissen krankhast überspannten deutschen „Radikalen"
wäre es ohne Zweifel eine wahre Wollust gewesen, ans
22 Die Stellung der Farbigen in der Hankee-
sicherer Entfernung diese Manifestationen höherer „re-
formatorischer Humauitäs- und Freiheitsbestrebungen" mit
anzusehen.
Gegen Abend machte ein kleines Häuflein Weißer einen
vergeblichen Versuch/den Mordzug aufzuhalten; erst in der
Nacht, als noch einige Truppen erschienen, retirirten die
Schwarzen, vom Schlachten und Saufen ermüdet, in ein
nahes Gehölz; doch am nächsten Morgen kamen sie wieder
zum Vorscheiu, um ihr Werk fortzusetzen.
Die erste Plantage, die sie angriffen, war die eines
Dr. Blount, der Kaltblütigkeit genug gehabt hatte, seine
eigenen zahlreichen Neger zu bewaffnen und sie zur Ver-
theidigung zu kommandiren; die treuen Neger hielten hart-
nackig Stand, bis sich endlich die Weißen in genügender
Anzahl gesammelt hatten und zuni Entsatz kamen. Die
Bande wurde in die Flucht geschlagen und zersprengt und
zog sich in die Sümpfe und Wälder zurück; hier wurde sie
nach und nach aufgerieben oder gefangen genommen. Alle
Neger, die sich irgendwie an dem Aufstande betheiligt, wnr-
den erschossen oder gehängt; es dauerte lange Zeit, ehe die
strengen Maßregeln gegen die übrigen nachließen.
Nat Turner, der Anführer, wurde einige Wochen
nach dem Ausstaude in einer Höhle versteckt gefunden. Er
war ein ziemlich intelligenter Schwarzer, des Lesens und
Schreibens kundig, aber von kindischer Leichtgläubigkeit.
Es schien, daß er sich nur als Werkzeug unbekannter Per-
sonen habe gebrauchen lassen. Er bekannte, daß er
durch Weiße angestiftet worden sei, welche ihm
menschliche und göttliche Hülfe versprochen hätten.
Man hatte ihm gesagt, es sei sein Beruf, seinen Mitsklaven
die Bibel zu interpretiren und sie zu lehren, daß Christus
nicht gekommen sei, um den Frieden, sondern um das
Schwert zu bringen. Er wurde gesetzlich hingerichtet. —
Die Wirkung, welche diese traurigen Vorgänge im
Süden haben mußten, läßt sich denken. Der Verdacht, daß
nördliche Emissäre die eigentlichen Urheber des Gemetzels
gewesen seien, dem so viele unschuldige Personen zun:
Opfer gefallen, war allgemein und brachte die fieber-
hafteste Aufregung hervor; — dieser Verdacht wurde um
so stärker, als sich in der Presse unter den Kanzelrednern
des Nordens Stimmen des unverhohlenen Beifalls, eines
wahrhaft satanischen Jubels über das unglückliche Ereiguiß
hören ließen.
Ein Auszug aus einem der damaligen „Reformblätter"
lautet:
„Die Neuigkeiten vom Süden sind glorios. General
Nat ist ein Wohlthäter seiner Race. Die Southampton
Massakre ist eine glückbedentende Epoche für den Afrikaner.
Das Blut der Männer, Weiber und Kinder, welches durch
das Schwert und die Aexte in den Händen des Negers ver-
gössen worden ist, eine gerechte Vergeltung für die Tropfen,
welche die Peitsche des „Masters" hervorgelockt."
Ein Reverend Mr. Bailley, in Sheffield, Maffuchu-
setts, ließ sich in folgender philanthropischer Weise aus:
„Es ist Zeit, daß das Eis gebrochen werde — Zeit,
daß die Schwarzen bedenken, daß sie dasselbe Recht, ihre
Freiheit und selbst das gegenwärtige Eigenthum ihrer Herren
zu nehmen haben, welches die Hebräer hatten, die umher-
wohuenden Heiden zu plündern. Die Schwarzen sollten
ferner wissen, daß es ihre Pflicht ist, wenn sich keine ande-
ren geeigneten Mittel bieten, jene monströsen Alpe und
Tyrannen, die sogenannten Pflanzer, zu vernichten und ich
meiuestheils würde gern eine hülfreiche Hand leihen, sie in
ein gemeinsames Grab zu legeu. Das Land würde um so
viel besser sein, wenn es die Welt von eiuem solcheu Nest
vou Vampyren befreite!"
Union und die angebliche Philanthropie.
„Der „Liberator", ein Pamphlet, genannt „Walkers
Pamphlet" uud andere abolitionistische Organe ließen sich
ähnlich vernehmen; — und es wurde dafür gesorgt,
sie in einer Anzahl von Exemplaren in den Süden
zu befördern.
Jetzt wurde sehr natürlich im Süden das eingeführt,
was von einer Partei (der republikanischen), welche zuerst
den Preßzwang und die Paß-Censnr eingeführt hat,
eine „Beschränkung der Preßfreiheit" genannt worden ist —
nämlich ein Verbot des Cirknlirens abolitionisti-
scher Brandschriften, in denen die unwissenden
Neger im Namen der Religion aufgefordert wer-
den, ihren Herren die Hälse abznschneiden. —
In Folge der psychischen Ansteckung vermehrte sich die
Anzahl der abolitionistischen Vereine und sie gewannen
zumeist einen religiösen Anstrich. Voran ging das pnrita-
nische Massachusetts, das sich hundert Jahre früher durch
Verbreuuuug von Hexen und Quäkern ausgezeichnet hatte,
und wo der Fanatismus sich nun auf die Negerfrage warf.
Dort bildete sich die Amerikanische Antisklaverei-
Gesellschaft, welche seit 1832 die Nägel zum Sarge der
Union schmiedete.
Die abolitionistische Propaganda wurde iu's
Leben gerufen, als im December 1833 zu Philadelphia ein
„Antisklaverei-National-Konvent" abgehalten wurde.
Aus nicht weniger als zehn Staaten, nämlich den sechs neu-
eugläudischeu, Neu-Uork, Neu-Jersey, Ohio und Penn-
sylvanien, waren sechszig Delegaten erschienen; unter ihnen
Männer, welche seit jener Zeit oft genannt wurden, z. B.
Arthur Tapp an, Elizar Wright, und Lloyd Garrison.
Das Programm des Konvents enthielt auch folgeude
Grundsätze: „Unmittelbare und unbedingte Emancipation
ist durchaus weise, sicher und wohlthätig für alle Betheiligte.
Dem Sklavenhalter gebührt keine Entschädigung für die
Freilassung seiner Sklaven; auch ist eine solche Entschädigung
gar nicht nothwendig, da sie an und für sich als eine
pekuniäre Wohlthat sowohl für den Sklaven als für den
Herrn erscheint."
Schon im Jahre 1836 hatte die Antisklaverei-Gesell-
schaft, in dreizehn Staaten, mehr als dritthalbhnndert
Zweiggesellschaften, und die abolitionistische Verschwörung
ward damals in ein förmliches System gebracht. Die reich-
(ich zufließenden Gelder wurden theilweife verwandt, um
Sklaveu ihren Herren wegzustehlen, und theilweife um
Brandschriften zu druckeu oder Sendlings zu besolden, welche
die Neger zum Aufruhr anstachelten. Die Agenten ver-
theilten Bilder mit erläuternden Unterschriften. Auf solcheu
Lithographien war z. B. ein Schwarzer in Ketten abgebildet,
uud darunter stand eiu Klagelied; oder ein Neger hatte eine
weiße Frau am Arme uud das Motto lautete: Vor Gott
siud wir Alle gleich! Solche Bilder druckte man auch auf
Tassen oder Sacktücher, auf Fächer :c. und diese verbreitete
man im Süden. Die Fabrikwaaren, welche dorthin gesandt
wurden, verpackte und vermischte man mit solchen Erzeug-
nissen des Fanatismus, selbst Zuckerwerk und Kinderspiel-
zeug umwickelte man mit abolitionistischen Bildern uud
Versen.
Diese planmäßige Aufreizung hatte die Folgen, welche
nicht ausbleiben konnten. Jin Süden nahm man da uud
j dort solche abolitionistische Siebensachen weg, zertrümmerte
Kaufläden, in welchen sie feilgeboten wurden, peitschte
abolitionistische Sendlings aus, betheerte und befiederte sie.
Dann schrieen die Abolitionisten über Gewaltthat und Will-
kür, welche doch von ihnen provocirt war.
Auch englische Agenten, unter denen sich der reichlich
mit Geld versehene George Thompson auszeichnete
Briefe ü
waren in Nordamerika thätig. Er zog jahrelang mit Garrison
im Lande umher, stiftete Vereine, hetzte gegen den Süden
und gab sich vor allen Dingen Mühe, die Lehrer, Prediger
und die Jugend in den Schulen zu sauatisireu. Diese
Generation wuchs heran nnd wollte die eingesogenen Lehren
im Leben verwirklichen. Im Juli 1835 brach ein von
weißenAbolitionisten geleiteter Sklavenaufstand im Staate
Mississippi aus. Dieser steigerte die Erbitterung im Süden;
das Polt wurde geradezu grimmig, ging mit allen Abolitio-
nisten, die stch betreten ließen, bös um und protestirte lant
gegen die verrätherischen Umtriebe im Norden. Eine Ver-
sammlung zu Williamsburg in Birginien erklärte, daß man
jedes Werkzeug der Abolitionisten mit dem Tode bestrafen
werde; die Legislatur von Georgien setzte 5000 bis 50,000
Dollars Prämien auf die Köpfe von Wühlern wie Garrison,
Thompson, Phelps und Arthur Tappau.
Die Freunde der Bundesverfassung und des friedlichen
Einvernehmens mit den Bundesbrüdern im Süden sahen
auch im Norden mit großer Ungunst auf das Treiben der
Abolitionisten, und der öffentliche Unwille gegen diese machte
sich iu sehr derben Demonstrationen Luft. Das geschah in
amerikanischer Weise.. Man jagte die Versammlungen der
Abolitionisten auseinander, demolirte die Wohnungen der
Hauptmeuterer, z. B. Tappau's iu Neu-Aork und sagar
in Boston legte der Mob einen Strick um den Hals Llotyd
(Garrisons und zog so den „Menschenfreund" durch die
Straßen, ohne ihm jedoch weiter etwas zu Leide zu thuu.
^ Präsident Jackson lenkte in seiner Botschaft vom
Tecember 1835 die Aufmerksamkeit des Kougesses auf die
im Süden herrschende Aufregung, „welche hervorgerufen
wurde durch Versuche, vermittelst der Post gewisse an die
Leidenschaften der Sklaven gerichtete Brandschriften und
Drucksachen zu verbreiten, die alle darauf berechnet sind,
die Neger znm Ausstand aufzureizen und alle Schrecken eines
Sklavenkrieges hervorzurufen." Der Präsident warnte ein-
dringlich vor den „ versassnngsfeindlichen und nichtswür-
digen Versuchen" der Abolitiouisteu und gegen „die Emissäre
des Auslandes, welche es gewagt haben, sich in diese An-
gelegenheit zu mischen." Er empfahl ein Gesetz, das unter
schweren Strafen verbieten müsse, in den südlichen Staaten
er Polen. 23
aufreizende, die Sklaven zum Aufstand stachelnde Druck-
schrifteu durch die Post zu verbreiten.
Man sieht, wer den Zwist schürte. Der Süden,
in welchem früher so manche wohlgemeinte Bestrebungen für
die Emanzipation auftauchten, wurde kopfscheu gemacht nnd
erbittert. Durch deu Fanatismus der Abolitionisten, die
Raub-, Mord- und Brandpredigten, verlor er den Geschmack
an der Sache. Die südlichen Philanthropen, die es in der
That ehrlich gemeint hatten, mußten nun schweigen, schon
deshalb, um uicht als Gesinnungsgenossen und gleichsam
als Hehler und Begünstiger der nördlichen Fanatiker zn er-
scheinen. Und nun wurzelte auch die Sklaverei in den so-
genannten Borderstaaten, von Maryland bis Missouri, fest,
wo sie ohne Zweifel allmälig verschwunden wäre, wenn der
natürliche Verlauf der Dinge nicht durch die Abolitionisten
gestört worden wäre.
Der erste Staatsmann, welcher mit dem Plane zu einer
Trennung der Union hervortrat, war kein Südländer, son-
dern ein nördlicher Antisklaverei-Propagandist, John
Qnincy Adams aus Massachusetts. Er überreichte 1839
eine Petition im Nepräsentantenhause des Kongresses, welche
um Auflösung der Union bat. Der Kongreß entgeg-
nete, daß Adams durch die Überreichung dem gesammten
Volke der Vereinigten Staaten die gröbste Beleidigung zu-
gefügt habe. Auch die Secefsiou ist eine Erfindung der
Abolitionisten; sie haben in dieser Beziehung den Vorrang.
Wir haben in früheren Aufsätzen (Nr. 10 bis 13)
ausführlich geschildert, wie durch die Agitation in der Sklaven-
frage die Union in der That zu Grunde gerichtet worden ist,
und gehen hier nicht weiter darauf ein. Es kam uns nur
darauf an, das Wesen und den Charakter des Abolitionis-
mus zu erläutern, und vielen durchaus irrigen Vorstellungen
entgegen zu treten, welche noch immer im Schwange gehen.
Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß
die wahre Menschenfreundlichkeit uud die Huma-
nität keine ärgeren Feinde haben, als die Aboli-
tionisten, und daß der Unterjochungskrieg, wel-
chen der nördliche Theil der Unionsstaaten gegen
die südlichen führt, mit der Freiheit und demFort-
schritt auch nicht dasAllermindeste zu schaffen hat.
Briefe über polen.
Von Dr. I. Caro.
I.
Landschaft, Wälder, Dörfer nnd Bauern.
Ans Knjawien.*)
• — — Die Witterung blieb dieselbe, während mich Dampf-
wagen und Rossegespann in geschäftigem Wechsel über die Grenze
deutscher Sprache, deutscher Sitte, Gewohnheit und Arbeit trugen.
Die Sonne strahlte ausdauernd mit um diese Zeit ungewohnter
^ärme, wolkenfrei und hell blieb der Himmel in der Nacht. Klima
"nt> Temperatur lassen sich bekanntlich uicht durch Manthgrenzen
'"schneiden, und die Zephyre und Stürme uud die schwertropfi-
gm Kolken nnd die flinken Strahlen der Sonne nnd des Mondes,
K a 1 spotten der Paßgesetze, nnd gleich lockeren Vögeln fliegen sie
*) Kujaw
• ck, eine Provinz von Groß>Polen, bestand aus den Woy-
wodsckasten V + vv" wog ' P"
her vir, .l,u1c ^ujawski, Jnowraclaw nnd dem Gebiete Dobrzyn. In
der P.astenzett b.ldete es cin Herzogthum. Red.
über die Schlagbäume und Ketten, ob diese schwarz-weiß oder
gravitätisch schwarz-gelb oder sonstwie angestrichen sind. Und
dennoch ist's anders hier hüben. So wie man dem Zollhansc den
Rücken gewandt hat, ergreift einen, statt des erhofften Eindrucks
der Frische, deu sonst der Wechsel erzeugt, eine dumpfe Empfin-
dung der llubehaglichkeit, ein unklares Gefühl der Unzufriedenheit.
Als wir noch in der seligen Romantik der dreißiger Jahre standen
und ganz Jung-Deutschland in unpolitischem Gefühlskultus mit
dein „unglücklichen Polen" sympathisirte (das freilich zumeist nur
durch die graziensen Emigranten, die unsere Bälle, Thees nnd Ge-
fellschaften durch wilde Lebhaftigkeit derangirteu, gekannt war),
als sich noch abenteuerliche Vorstellungen von dem großen Civi-
sationöpopanz, Rußland, von Kopf zu Kopfe trugen, als der ge-
fürchtete Briarens, Nikolaus I.. noch am Leben war, damals
empfand auch jeder Reisende dieses Gefühl der Trockenheit, der
24
Briefe über Polen.
Dürre, aber man glaubte es auf politische Ursachen zurückführen
zu müssen.- Der „Geist Ves Gesetzes", sagte man, liegt in der Luft,
die Tyrannei nimmt dem Himmel die Sättigung der Farbeu,
pflückt von der Erde das quellende Geschmeide des Grün. Die
Knute ziehleinen Flor'über die Augen unserer Seele, und darum
spiegelt sich Alles ermattet in ihr ab. Das klingt so, daß man's
in Verse bringen könnte. Aber dermalen herrscht ein gutmüthiger
Regent, der die Soldaten weder prügeln noch hungern läßt, und
Milde und Menschlichkeit strömen von seinem Throne wie nie zuvor
von dem eines russischen Czaren, — und dennoch, wenn man über
die Grenze kommt, ist's anders als drüben.
Wie denn anders? Schon auf den letzten Strecken auf preußi-
schem Boden mahlen die Wagenräder in nnwirthlichem Sande, der
nur von brandigem Moose zusammengehalten wird; die Forsten, ein
unsauberes Gestrüpp von Kiefern und Fichten, verrathen, daß wir
in den äußersten concentrischen Kreis eines in Bewegung gesetzten
Kultur-Organismus getreten sind; der Förster ist nicht mehr so
frisch hinterher; bis hierher verirren sich schwerlich die Kontrolen,
und was will das sagen, wenn er anch alle zehn Jahr einmal
eine „Nase" bekommt? Hinter dem Zollhaus aber hört der Wald
auf; um die Mauth herum hat mau ihn erhalten, um das
Schmuggeln und Paschen zu erleichtern, dahinter aber streckt sich,
wie langweilig gähnend, die lehmige und sandige Ebene. Die
breiten Saatbeete des deutschen Ackersmanns sind verschwunden, die
rasch aufeinander folgenden Furchen, zwischen denen sich kleine,
kuppenartig hinziehende Rücken wölben, bezeugen eine andere Me-
thode des Pflügens — eine Verschwendung des Raumes und der
Ertragfähigkeit des Bodens. Die Buntscheckigkeit deutscher Felder,
auf denen sich tausend Westenfleckchen wechselnd ausbreiten, und
die ein Stück erhabener Geschichte, die Gemeinde-EntWickelung,
gleichsam symbolisch darstellen, sind nicht mehr zu sehen, dafür
melancholisch ausgedehnte schlecht bestellte Aecker, und — was die
Oede und Unbehaglichkeit am meisten hervorruft— kein Baum, kein
Strauch, und darum wohl auch nicht die Mannigfaltigkeit der
Vögel, keine Bachstelze, Grasmücke, keine Drossel, kein Zeisig —
nur Sperlinge, Lerchen und zahllose graue Krähen, die mit einer
Art winterlicher Theiluahmlosigkeit stumpf durch die Aecker schreiten.
Nur ab und zu wiegt sich aus der Feldmark eine trauernde Birke
oder eine vom Sturm gekrümmte, verbogene Kiefer oder auch ein
steifer Holzbirnbanm. So geht's ein paar Meilen fort; polnische
Meilen sind mörderisch, sagt das Sprichwort, und es hat Recht.
Was der gemeine Mann eine Meile nennt, hält gut iy4 geogra-
phische aus.
Jetzt kommen wir wieder in einen Forst. Mein Postkutscher ist
ein echt slawischer Junge von 14 Jahren; seine Haare sind blond,
aber nicht so blond wie die der Deutschen; dem deutschen Blond
ist namentlich in weiterer EntWickelung etwas Braun eingesprengt
oder vielmehr eingesogen, dem slawischen Blond scheint eine Bei-
Mischung von Ockergelb inne zn wohnen. Der Postillon ist ein
„Beamter", darum hat man ihm das Haar militärisch geschnitten,
sonst würde er es lang tragen, und so regelmäßig gradlinig hinten
abgeschoren, als sei es über dem Liueal geschehen. Seine Stirn ist
flach, das Auge wasserblau, die Nase klumpig uud die Nasenflügel
sind so tief eingerissen, daß sie wie die Klappen der Paletottaschen
über der Werkstatt des Riechapparats herniederhängen. Der Mund
ist uicht breit, die Lippen sind eher platt als wulstig, das Kinn
tritt nicht hervor, und wenn er die Kravatte eines deutschen Pro-
fefsors trüge, dann würde es sich bei Bejahungen oder bei bedenk-
lichem Kopfschütteln ab und zu iu der Binde verlieren. So sehen
sie alle ans, die in Polen arbeiten, und wenn irgendwo die kör-
perlichen Formen mit der Art und Richtung und dem Umfang der
psychischen Anlagen in irgendwelcher Wechselbeziehung stehen, so
ist das hier der Fall. Doch darauf komme ich noch zurück.
Wir sind jetzt, wie gesagt, im Forst. Mein Postkutscher kehrt
sich um uud schaut mir verstohlen in's Gesicht. Die Cigarre und
das Feuer, das ich ihm reiche, indem ich ein paar Worte in fließen-
dem Polnisch dabei hören lasse, geben ihm die Versicherung, daß
ich den Strom seiner Redelnst gern entgegennehmen uud verstehen
werde, daß ich nicht schlafen will und daß ich nicht von der Sorte
bin, die ihm ein: „Halt's Maul, Du Hundeblut" zurufen. Er
spricht, wie alle polnischen Bauern, kräftig, laut, singend und
doch sehr eintönig; der ganze Tonwechsel seines Ausdrucks bewegt
sich innerhalb zwei bis drei ganzen Tönen der Skala mit allen
dazwischen liegenden Abstufungen; er spricht in flüssigen Satz-
reihen, die sich jedoch niemals zu einer gekünstelten Periode ver-
schlingen; er gebraucht nur in seltenen Fällen die Passivformen,
die allerdings auch der Genius seiner Muttersprache, wie überhaupt
bei den modernen Sprachen, nicht mit dem antiken Reichthum der
Formen entwickelt hat. Aber das ist wohl nicht der Grund bei
der Sprache der Bauern, sondern jene zuweilen komische, gemüth-
liche Naivetät, die anch unsere Kinder erst sehr spät Wesen und
Anwendung der Passivformen begreifen läßt; der polnische Bauer
spricht, wie gesagt, nicht in Perioden, aber aus coordinirten
Hauptsätzen aneinander gefügte Satzgruppen bilden die Struktur
seines Gedankenausdrucks; jede solcher Gruppen leitet er mit einem
langgedehnten, offenen, einfachen Lante ein; eigentliche Diphthonge
hat die Sprache nicht. Er gestikulirt nicht, gar nicht, aber zwischen
jenen Satzgruppen macht er, dem Fremden ungewohnte, Pausen,
während welcher er irgendwie mit einem Geräth hantiert (auf dem
Wagen mit der Peitsche, in der Schenke mit der Flasche), oder er-
blickt ohne Direktion des Auges glasig iu's Blaue hinein; er spricht
gern und setzt in der Form seiner Erzählung fast immer voraus,
der Hörer kenne die darin vorkommenden Personen. Er bezeichnet
sie daher meistens mit dem Demonstrativpronomen (ten, ta, to)
das etwa unsere bestimmten Artikel vertritt; so ist er, wie in der
Regel Menschen, die viel im Zusammenhange mit der Natur leben,
breit, gemüthlich, am Detail lange verweilend. Heldenstückchen,
Holzereien mit ruhmrediger Hervorhebung der eigenen Betheiligung,
erzählt er höchst selten, — dagegen am liebsten Schlanfüchsereien,
gewundene Prozesse, Familiengeschichten, Judenprellereien, Schel-
mereien u. dergl., aber nie mit zugespitztem Witz, sondern stets mit
ungeschlachtem, brutalem Hnmor auslaufend.
Die viel berufene Unterwürfigkeit des polnischen Bauers ist
eitel Heuchelei. Vor dem gegenwärtigen Schlachtschitz ist der
Bauer von ungemessener Ergebenheit; er steht mit dem Hut iu
der Hand und begleitet jede Antwort, jeden Satz mit einer tiefen
Verbeugung (padam do ndg, wörtlich: „ich falle zu Füßen"); von
dem abwesenden Edelmann aber spricht er mit demokratischer Un-
gebnndenheit; der ist dann ebenso gut ein „Hundeblut, eiu Dieb,
eine Hundeseele, eine Bestie, ein Teufel", wie der Kollege des Bauern
im Stall. Ebenso verhält er sich dein Geistlichen gegenüber. Es ist
sehr interessant, zu beobachten, wie zart und fein der Bauer
einen Unterschied zwischen geistlicher und weltlicher Thätigkeit des
Pfarrers macht. Von geistlichen Dingen redet er nicht, die sind
ihm zu hoch, zu heilig, als daß irgend welche Idee darüber sich in
seinem Kopfe ausbilden sollte; er prüft nicht, er reflektirt nicht, er
raisonnirt nicht, — er gehorcht. In weltlichen Sachen aber, was
Feld und Acker angeht, ist er so klng wie der Priester; da läßt er,
wenn er Ursache hat, mit den: Schwarzrock unzufrieden zu seilt,
ohne Skrupel „dreihundert Teufel ihn holen, den Blitz ihn er-
schlagen, und wenn er ihn kriegte, würde er ihm den Hals ab-
schneiden." Aber während er in der Hitze oder Galle seiner Er-
zählnng mit dem besprochenen Edelmann ohne alle Förmlichkeit
umspringt, vergißt er selten, selbst wenn er schimpft, dem Probst
das appositum ornans „Herr" (Peilt) beizulegen.
Aber kommen wir denn gar nicht ans dem Walde heraus?
Bald, aber sehen wir ihn uns erst an. Wie liederlich! Die Lich-
tnng ist ohne alle Nachsicht, ohne die leiseste Fürsorge für die
Zukunft geschehen; er ist stellenweis so radikal (oder wie der Volks-
mnnd sagt, so rattekahl) aus- und abgehauen, als ob ein ameri-
fantscher Farmer seht Blockhaus hätte hineinbauen wollen; und
das wird so fortgehen, denn zwei Preußen (und das ist es, was mir
Ein Ausflug nach Ladakh nnd Kaschmir.
25
mein Postkutscher erzählt) haben dcu Wald auf nenn Jahre gekauft.
O, es ist ein großer Wald; früher waren Wölfe und Räuber darin.
Die Kaufleute können mit dem Walde machen, was sie wollen; sie
schwemmen das Holz auf der Wkra und Drewenz nach Preußen
hinein. Aber es klebt kein Segen an dein Gelde dieser Preuße»,
sagte der Postillon, denn als der Besitzer die 11,000 Thaler auf
einen Tisch ausgezahlt bekommen hatte, reiste er zu seiner Taute
auf Besuch; dort spielte er und ließ das ganze Geld und den Ertrag
der nächsten Ernte in einer Nacht. „ O, das Hundeblut von
Frauen, sagte der Postillon, ist noch viel schlimmer als die
Männer." —
Weit ab vom Walde liegt ein Dorf. Ueberall auf Erden
vertritt die ackerbautreibende Landbevölkerung das konservative
Prinzip. Es ist sehr zu beklagen, daß die „Junker und Pfaffen"
diesen Begriff so sehr iu Mißkredit gebracht haben. Und doch ist
es für Den, welcher noch nicht im absoluten Utilitätsdogma jede
Spur von Gemüth verflüchtigt hat, ein so sympathisch anklingender
Grundgedanke. Den Landmann
.....non populi fasces, non purpura regum
Flexit, et infidos agitans discordia fratres;
Aut coujurato descendens Dacus ab Istro;
Non res Romanac, perituraque regna.....
Solch ein Bauerndorf spricht zu uns, wie ein heiliges Sym-
bol der Koutinuität des Geistes. In seinem phönixartigen Wieder-
erstehen in gleicher Form, in gleicher Anlage, iu gleicher Idee sprechen
gewissermaßen die Jahrhunderte zu einander, und in dem Wirbel-
tanze der Völker, in dem Kreisen und Drehen seiner Schicksale ist
dieser ländliche Konservatismus der ceutripetale Punkt, der naiv
die rastlosen Wandlungen anschaut und sich nicht anfechten läßt.
Die polnischen, die slawischen Bauern int Allgemeinen bauen
ihre Dörfer noch ebenso, wie ihre Urväter, die Zeitgenossen des
Marius und Sulla, und später deren Nachkömmlinge bis an die
Ufer der Elbe hin, bis au Thüringens Grenzen sie gebaut haben.
Der Grundgedanke des Plans ist aus der Natur geschöpft. So
wie die Rosse auf der Steppe, wenn Gefahr herannaht, iu engem
Kreis sich zusammeudrängeu, — die Köpfe strecken sich dicht in der
Mitte zusammen und mit den Hinterfüßen schlagen sie mächtig denl
schnobernden Wolf oder Bären auf den lüsternen Kopf —, so unge-
fähr sind die polnischen Dörfer angelegt. In ovaler Rundung liegen
die Häuser, hinter denen die Felder grenzen, aneinandergereiht; nur
ein Zugang führt ins Dorf hinein, dort muß man auch wieder
hinaus. Nach innen gekehrt sind die Köpfe der Häuser, eine Art
hölzerne» Vorbaues, mit den sogenannten „Lauben" der schlesische»
Gebirgsstädte vergleichbar, die fast regelmäßig auf drei Säulen
rnhen. In dem linken Zwischenraum ist die Thür durchgebrochen,
in dem rechten ein kleines vierscheibiges Fenster. In dem einge-
schlössen«! Dorfraum reckt sich langhin, mit Schlamm, Froschlaich
nnd grünenSchellerchen überkrustet, „das Wasser" oder „der See";
am Rande wackeln ein paar Enten schwerfällig herum, und einige
Gänse recken beim Herannahen eines Menschen heiser schnatternd
die laugen Hälse. Neben dem „Wasser" oder bei dem Schenkhause
(Szynkownia, Oberza) steht der Brunnen, dessen Eimer mit langer
Stange am Kreuzbalken hängt, und der mit weihin gellendem
„Quietschen" (ein Onomatopoeon, das auch die Polen haben,
kwiczec) heruntergelassen und heraufgezogen wird.
Was aber ganz besonders das Aussehen der Dörfer so öde
und trostlos macht, ist der vollständige Mangel an Bäumen.
Im Posenschen, wo polnische und deutsche Dörfer und Besitzungen
durcheinander gesprengt sind, da kann man schon ans weiter Ferne
die Nationalität der Besitzer erkennen. Deutsche haben immer ein
Gärtchen vor oder hinter dem Hause, ein paar Pappeln oder Weiden,
oder gar eine breitästige Linde und ein überranktes Fenster, und
wäre es auch nur mit rothblühenden Bohnen. Fast niemals sieht
man dergleichen beim polnischen Bauer; er schlägt alle Bäume
um, außer der Holzbirne; — diese läßt er stehen aus religiöser
Scheu, weil die Holzbirne den alten slawischen Göttern geweiht
war, und dort wie bei uns das alte Heidenthum mit tausend Be-
ziehungen in unsere Zeit und in die modernen Anschauungen hin-
einragt. Hat der polnische Landmann einen Obstgarten, dann ist
der Boden mit Steinen und Unrath besäet, und dünne, niedrige
Bäumchen tragen saure Schwarzkirschen oder kleinkernigeZwetschen,
oder Holzäpfel zum Einlegen iu's Sauerkraut. — Ebenso scheint
er daö dichte Gehege zu hassen. Quergelegte, einfache Planken, die
einen Besitzraum abschließen, sind schon ein Zeichen von hervor-
ragender Wirthlichkeit.
Immer dasselbe. Gewiß, so sahen die Dörfer auch aus, als
die armen Bewohner vor sechs- bis siebenhundert Jahren die an-
garia und pcrcngaria zn leisten hatten, als sie vom Pfluge die
Pferde ab - und der Karosse des Herrn vorspannen mußten (powoz,
przowod), als sie Pflugsteuer (poradlno) und Herrendienst leisteten,
als sie zu Burgen-, Gräben- und Brückenbau (wywoz, mostne),
zum Wälderlichten (wymed), zum Wachdienst (stroza), zum Wege-
weisen und zur Geleitsmannschaft (podwody) und zn Schergen-
diensten (»lad) verpflichtet waren, und hundert andere Lasten, Liefe-
rungeu, Abgaben und Leistungen tragen mußten.
Wohnt der Gutsherr auf dem Dorfe, so pflegt der Herrenhof
an der Schmalseite des Ovals zu liegen. Dort werden wir eine
vollständig andere Gattung von Bewohnern und andere Verhält-
nisse kennen lernen, mit denen wir dann in die Stadt gehen wollen,
um uns
......supcrba civium
Potentiorum limina
anzusehen; dock) dies iu folgenden Briefen.
(Eilt Ausflug nach Ladakh und Kaschmir.
Lastträger und Straßen im Himalaya — Rieseutrcppen, Hängebrücken und Pässe. — Spaziergang eines Gottes. — Vielmännerei. — Herrnhntermission. —
Seelenwanderung. — Buddhistenklöster und Betcylinder. — Das Thal von Kaschmir. — Charakter der Bewohner. — Der in eine Biene
verwandelte Tyrann. —
Das Reisen im Himalaya ist sehr lohnend, aber anch in Lord W. Hay solch einen Ausflug, welchen sie anziehend be-
)ohem Grade beschwerlich. Unsere Landslente, die Gebrüder schrieben haben. Nachdem sie den nöthigen Reisebedarf in „Khiltas"
^chlagiutweit, haben davon zu erzählen gewußt nnd kamen doch verpackt hatten, luden sie diese den Trägern auf, denn von Last-
als erprobte Alpenwauderer nach Indien. Aber die Engländer in thieren konnte in vielen Gegenden, welche sie durchzogen, keine Rede
, uu ^'"ude bezeichnen schon jetzt einen Wauderzug vou vier- oder sein. Täglich mußten sie mit den Trägern wechseln und fünfzig
fünfhundert Stunden Weges als einen „Trip", gewissermaßen i oder sechözig neue iniethen. Das hatte keine Schwierigkeit, denn
als Spaziergang. die armen Bauern im Himalaya nehmen gern einen solchen Ver-
Im vorigen Jahre machten Oberstlieutenant Torrcns und dienst mit und befördern auch Kaufmannsgüter. Die beiden Eng-
Globus für 1862. Nr. 25. 4
26
Ein Ausslug nach Ladakh und Kaschmir.
länder hatten, außer deu Leuten, welche sie unterwegs zeitweilig
mietheten, fünf und dreißig langhaarige, stämmige Ladakhis bei
sich; diese machten die Reise von Ansang bis zu Eude mit.
Die Karawanenstraße, sagt Torrens, welcher wir sehr häufig
folgten, war oft vou. seltsamer Art, eine wunderliche Straße!
Wir klimmten auf „Stufen" hinan. Das sind einst Treppen ge-
wesen, welche den Titanen ihren Ursprung verdankten, aber Jahr-
tausende lang ist Schnee geschmolzen, Bergströme sind herabge-
braus't, der Wassertropfen hat seine Wirkung gethan, und so waren
im Hochgebirge diese Stufen und Treppen, wenn der Ausdruck für
diese Gebirgspfade erlaubt ist, iu einem Zustande, von dein man
sich nur eine Vorstellung machen kann, wenn man sie gesehen hat.
Nicht selten ließen die Reisenden sich von den kräftigen Kleppern,
die im Berglande gezüchtet werden, bergan schleifen; sie packte»
deu Schweif der Thiere und kamen auf solche Weise vorwärts.
Abgründe und Ströme wurden auf schwankenden Hängebrücken
überschritten, oder man setzte über Flüsse vermittelst der Dens,
das heißt ausgeblasener Ochsenschläuche.
Auf solchen Wegen kam Torrens nach Kulu, wo ein eng-
lischer Kommissarius wohnt. Dort hatte er einen Anblick der ihm
neu war. Auf einem Scheiterhaufen lag die Leiche eines
Zemindar, großen Grundbesitzers; vor demselben stand der Sohu
des Verstorbenen und erfüllte die kindliche Pflicht, das Feuer zu
schüren, bis seines Erzeugers Fleisch und Bein zu Asche ver-
branut war.
Bemerkenswerth war der Spaziergang eines Gottes zu
einem heiligen Quell. Die Andächtigen ließen den Gott auf-
und niedertanzen. Er bestand aus zusammengewickelten rothen
Zenglappen, Federn, Kuhschwänzen und anderen derartigen Zu-
thaten. Torrens meint, er habe neu nicht mehr als fünf Schillinge
gekostet, aber die Gläubigen waren mit ihm zufrieden und brachten
ihn andächtig in den D eo ta oder Tempel zurück. In jener Gegend
gelten auch die Schlangen für geheiligte Thiere.
Torrens und Hay überstiegen den 13,000 Fuß hohe» Rotaug-
Paß und kamen dann über den Fluß Tschaudra vermittelst einer
etwa einhundert Fuß laugen, aus Birkenseilen verfertigten
Hängebrücke. Die englische Regierung ist oftmals angegangen
worden, an dem wichtigen Uebergaugspuukte bei Koksar eine
ordentliche Brücke herstellen zn lassen, aber bis jetzt vergebens.
Und doch beziehen auf dieser Straße die Shawlsabrikauteu des
Niederlande die feinste Ziegenwolle vonRndokh und anderen
Gegenden des Hochgebirges, diese reine und feine Puschm. Jetzt
wird sie oftmals mit einer geringer» Qualität versetzt.
In Lahnl schlugen alle Leute die Hände über dem Kopfe zn-
sammen, und weshalb? Die Engländer wuschen sich mit kaltem
Wasser am ganzen Leibe. Das war unerhört in jenen Gegenden,
aber die Eingeborenen fanden es ganz in der Ordnung, daß eine
Frau mindestens zwei Männer hat. In Ladakh herrscht bekannt-
lich die Mehrmäuuerei, Polyandrie.
In Kailang (Kyelang) fanden die Reisenden eine Mission,
welche von drei Herrn hutern im Jahre 1857 gegründet worden
ist. Man hatte jedem von ihnen aus Europa über Kalkutta eiu
Mädchen geschickt, das er heirathete, obwohl er uie zuvor die ihm
bestimmte Ehegeuossiu gesehen hatte. Die Reisenden, welche natür-
lich eine sehr freundliche Aufnahme fanden, wunderten sich darüber,
aber wir in Deutschland wissen, daß diese Art der Ehestiftung bei
den Herrnhntern ganz gewöhnlich ist.
Die christlichen Missionäre finden, wie wir schon mehrfach her-
vorgehoben, bei den Negern ein großes Hiuderuiß für ihre Bekeh-
rnngsversuche, weil sie die Vielweiberei nicht gestatten; bei den
Mohammedanern scheitern sie an der Doktrin des Fatalismus und
weil sie einen dreieinigen Gott predigen; bei den Buddhisten richten
sie nichts aus, weil man ihnen die Lehre von der Seelen-
Wanderung entgegenhält, und an dieser haften die Buddhisten.
Wenn man, sagten die Herrnhnter in Kailang, einen solchen mit
Güte und Wohlwollen behandelt, so ist er nicht etwa dankbar da-
für, sondern sieht darin nur das Resultat guter Handlungen, die er
in einem frühem Zustande seiner Existenz geübt hat. Mißgeschick
betrachtet er als Strafe für Sünden, die er einmal in irgend einer
frühern Existenz gethan. - Die Theorie von Belohnung uud Be-
strafung kann überhaupt manche sittliche Nachtheile haben. Jene
Herrnhnter sind musterhafte Leute, denen es an Eifer nicht fehlt,
sie haben aber mit ihren Bemühungen gar keinen oder doch nur
sehr geringen Erfolg gehabt.
Der Long Latscha-Paß, welchen Torrens und Hay über-
stiegen, hat eine Höhe von 17,000 Fuß über dem Meere. Sie
waren also nun ans einem Punkte, so hoch, als ob man den
Brocken auf den Montblanc gethürmt hätte, uud empfanden die
Einwirkung der düuueu Luft.
lieber den Einfluß der Höhe auf deu Menschen haben die Ge-
brüder von Schlagintweit, welche deu höchsten von Menschen
begangenen Paß, den Jbi Gamin, 20,450 Fuß Meereshöhe,
überstiegen uud in dessen Nähe sogar einen Gipfel von 22,259 Fnß
erklimmten, interessante Bemerkungen mitgetheilt. Anfangs litten
sie schou bei 17,000 bis 18,000 Fuß Höhe, nachdem sie aber einige
Tage iu der düuueu Luft verweilt hatten, empfanden sie selbst bei
19,000 Fuß nur geringe, rasch vorübergehende Beschwerden. Sie
meinen aber, daß ein längerer Aufenthalt von nachtheiligen und
bleibenden Folgen für die Gesundheit fein werde. Die Beschwerden
bestehen in Kopfweh, Schwierigkeit zu athmeu, Reizung der
Lungen, zuweilen in Blntspeieu, iu Mangel an Eßlnst und all-
gemeiner Abspannung. Aber sobald man wieder in tiefere
Regionen herabkommt, verschwinden diese Uebelstände fast angen-
blicklich.
Torreus bemerkt, daß an der englisch-tibetanischen Grenze
die Wölfe sich ganz ungeheuer vermehrt hätten, seitdem die englische
Regierung den Landesbewohnern das Tragen von Schießgewehren
verboten habe. Er sah auch das wilde tibetaui sche Pferd;
es ist auf teilten Fall, wie man oft angenommen, eine Art von
wildem Esel, sondern entschieden ein Pferd; Torreus und Hay
hörten genau, daß es wiehert.
Buddhistische Klöster sind auch iu Ladakh sehr häufig, aber
zumeist in keineswegs glänzenden Vermögensverhältnissen. Ein
Mönch erbot sich, einen schweren Mantelsack acht Stunden weit für
drei Silbergroschen zu tragen.
Die bekannten Betcylinder, G ebetrolleu oder Walzen, von
denen die Reisenden bei Bnsqno eine große Auswahl fanden, sind
immer im Gange. Beim leisesten Anstoße bewegen sie sich; jede
Umdrehung der beschriebenen Rolle repräsentirt ein Gebet, und
so kann man ohne erhebliche Mühe und viel bequemer als es ver-
mittelst des Rosenkranzes geschähe, sein Gebet an Buddha be-
sörderu. Der andächtige Mensch, welcher au einer Gebetwalze
vorübergeht, giebt derselben einen Stoß uud sie verrichtet dann
das, wozu sie da ist. Torreus faud auch eine solche Gebetrolle,
welche durch Wasserkraft getrieben wurde; sie verrichtete die Gebete
für die gauze Dorfgemeinde.
Zu Leh in Ladakh erhielten die Reisenden Kunde von Adolf
Schlagintweit's Tagebuche, welches sie bald nachher in ihre
Hände bekamen. Wir haben davon früher gefyrochen (Globus I.
S. 189.). Iu Leh sahen sie auch, daß die Frauen sich das Gesicht
beschmierten, um recht häßlich zu erscheinen. Auch über dieseu
Gegenstand haben wir schon Mittheilungen gemacht und gehen
deshalb uicht näher darauf ein.
Man kann sich iu laudschaftlicher Beziehung feinen schärfern
Gegeusatz denken, als die kahlen, kalten und düsteren Hochgebirge
uud Hochebenen Tibets uud das grüne Thal von Kaschmir
mit seinem milden Klima. Hier beschmuzen die Frauen nicht ihr
Antlitz, sondern tragen das strohgelbe schöne Gesicht, in welchem
große dunkle Augen wie Sterne erglänzen, offen zur Schau.
Der von Bergen umschlossene See bei Sri«aggar, der
Hauptstadt, hat solchen landschaftlichen Reiz uud eine so liebliche
Anmuth, daß selbst die Bootsknechte, welche doch tagtäglich diese
Aus den südabessinischen Landschaften.
27
Gegend vor Augen haben, sich immer aufs Neue derselben freuen.
Sie winden Wasserlotns um ihre Turbane, stimmen Gesänge zum
Preise des Sees an und zu Ehren der schönen Mädchen, welche
an demselben wohnen, und schlagen den Takt mit den Rudern.
Leider wird der Genuß dieser landschaftlichen Reize durch die Stech-
mücken sehr beeinträchtigt.
Torrens war zehn Tage lang, während des September-
monats 1861, in Srinaggar; das Wetter fand er wie in Mittel-
europa zur Julizeit. Im Januar und Febrnar ist Kaschmir ein
Dorado für den Jäger; dann kommen Löwen, Leoparden, Hirsche :c.
in die Ebene hinab.
Die Kaschmiris stehen weit und breit in sehr bösem Rufe,
'ie gelten für unehrlich, unzuverlässig, lügenhaft und grob; sie
seien, sagt man, allesammt Diebe nnd Leuteschinder; keiu böser
Ausdruck sei zu schlimm für sie. Sie machen, sagt Torrens, sich
selber schlecht. „Wenn man mit einem Kaschmiri über einen seiner
Landsleute spricht, so wird er mit Abscheu über ihn reden; er
warnt uns vor ihm und sagt, man möge sich doch ja mit ihn? nicht
einlassen. Was Jedermann behauptet, daran muß doch wenigstens
etwas sein, und allerdings stehen dieKaschmiris nicht unverdient
in schlechtem Rufe; dieser ist sprichwörtlich geworden und man hat
ihn in Verse gebracht."
Die Kaschmiris sind ein schöner Menschenschlag, ossenbar
brahminischen Ursprungs; in alten Zeiten waren sie glücklich und
haben darüber noch manche Sagen, aber dann kamen Jahrhuu-
derte entsetzlicher Bedrückung; das goldene Zeitalter war vorüber.
Im Jahre 1315 bestieg Scheins ud diu den Thron nud führte
den Islam ein; 1586 eroberte der Großmogul Akbar das Land;
1572 wurde dasselbe vom Afghanen Ahmed Schah und 1819 von
den Sikhs unterjocht. Die Eroberer betrachteten Kaschmir wie
eine Citroue, die mau auspressen müsse. Nachdem die Engländer
das Pendschab 1846 deu Sikhs abgenommen hatten, gaben sie
Kaschmir an einen Mann ans Randschit Singh's Herrscherhanse.
Dieser, Gholab Singh, übte ärgern Druck und war noch Hab-
süchtiger als irgend ein Tyrann vor ihm; „er sog dem Volke Blut
»ud Mark aus, er war in der That dessen Schinder."
Die Kaschmiris haben auch manche gute Eigenschaften, sie
siud fleißig und betriebsam und die Familienbande sind streng;
auch üben sie in religiöser Beziehung Duldsamkeit nud haben
Geist.
Bor einigen Jahren starb der Tyrann Gholab Singh. Da
erklärten die Pandits (Priester), der Herrscher sei in eine
Biene verwandelt worden, nnd von nun au sollten die
Bienen geheiligte Thiere seilt. Die Gholab Singh-Biene aber
fand es angemessen, sich von einem Fisch aufschnappen zu
lassen. Die Geistlichkeit erließ nun ein Verbot, demgemäß kein
Kaschmiri einen Fisch fangen solle. Aber für Taufende von Leuten
waren seither Fische ein Hauptnahrnngsniittel gewesen. Es blieb
ihnen also nichts übrig, als zu verhungern oder nach wie vor
Fische zu sangen und zu essen. Sie waren gescheidt genug, das
Letztere zu thnn.
Aus den südabessinischen Landschaften.
Pater Massaja aus Kaffa vertrieben. — Vordringen des Mohammedanismnö in Linin -Enarea. — Der Godschab mündet in den indischen Ocean. — L«5on
des Avanchers bei den Jlmorma, — Der Baro Sobat nnd dessen Quelle. — Ethnographische Angaben. — Die Lufterscheinung Gobar. — Die Galla
und die Sidama, —
Wir haben früher schon des katholischen Missionars Mas-
s aj a erwähnt. Jetzt bringt das Bülletin der pariser geographischen
Gesellschaft einen Brief von ihm au Anton d'Abbadie. Das
Schreiben ist datirt Limmn 1. December 1861 nnd enthält im
Wesentlichen Folgendes:
„Ich will von den Galla- nnd Sidama-Ländern reden,
wo sich unsere Mission befindet. Ans Kaffa bin ich vertrieben wor-
den; man hat sich ein höchst unwürdiges Benehmen gegen mich er-
lanbt; man wollte drei eingeborene Priester durch Drohungen aller
Art zum Abfall von ihrer Pflicht verleiten; sie blieben aber standhaft.
Aber Gottes Zorn wurde sichtbar (!!) an dem Schicksal, welches die
Personen ereilte, ans deren Antrieb meine Ausweisung erfolgte;
sie starben binnen zwei Wochen. Am 9. September kam ich hier in
Limmn an. Ihr (Abbadie's) alter Freund Abba Bagibo starb am
24. September; er hatte den mir und dem Lande Kaffa geleisteten
Eid wegen meiner Hierherkunft nicht gehalten. Das erschreckte
Kaffa hat nun binnen zwei Monaten schon drei Gesandte au den
jungen König, Abba Bagibo's Sohn und Nachfolger, geschickt,
um mit mir Frieden zn schließen, über den wir gegenwärtig unter-
handeln.
Abba Bagibo starb als fanatischer Muselmann, aber seitdem
unsere Priester erschienen, hatte er starke Gewissensbisse, die er
fljtf dem Sterbebett offenbarte. Der Regierungswechsel ging ohne
u'hestörnngen vor sich, aber der neue Fürst ist noch mehr faua-
t'fcher Muselmann als sein Vater, obwohl er viel gelernt hat.
vielleicht geht er klug zu Werke, denn der Islam hat in Limmn
sehr an Kraft gewonnen, und fast die Hälfte der hinter-
bliebenen Söhne des verstorbenen Herrschers besteht ans fanatischen
Fukara.
In allen diesen Gegenden ist man in großer Besorgniß vor-
dem ab essinischen Kaiser Theodor, welcher diese Galla- und
Sidania-Fürstenthümer zu unterjochen droht.
Wenn Europa ruhig und im Besitz von Aegypten wäre, so
wünschte ich, daß eine Expedition den Weißen Strom herauf
käme. Es ist ja jetzt kein Geheimniß mehr, daß der Baroslnß
das Land der Gabba-Galla berührt; ich habe hier einen sehr
intelligenten Priester ans diesem Lande; auch weiß man, daß der
Weiße Strom bis nahezu an die Grenze von Kaffa kommt. Als
ich mich in Kaffa befand, konnte ich Nachrichten von Priestern er-
halten, welche sich unter den Barri befanden, und erhielt anch
Kunde über die vou Ehartum aus unternommenen Expeditionen.
Ich dachte wohl daran, zu diesem Zwecke in Kaffa Einleitungen
zu treffen, aber für jetzt würde dergleichen nur Verdacht erregen.
Mau würde sich des ganzen Handels bemächtigen können, nnd ich
glaube, es wäre nicht schwer, eine Straße nach Süden hin
zum Indischen Oeean zu eröffnen, nnd zwar auf dem
Flusse Godschab, welcher Kaffa und Knllo auf der Ost-
feite umströmt, dauu vou Gobo aus eine Wendung nach
Süden macht und iu d eu Judischen O ceau sichergießt.
Kaffa verhindert nach dieser Seite hin die Eröffnung des Handels,
weil es Angriffe von den mit Schießgewehren bewaffneten Stäm-
men besorgt. Auf den Höhen von Knllo, welche sich nach
Süden hin verlängern, liegen an der westlichen Seite
die Quellen des Weißen Stromes in einem See,
welcher A e h n l i ch k e i t mit dem See von T z a n a ( — in
Abessinien, durch welchen der Blane Nil strömt —) hat; auf
der Ostseite fließt derG od schab und ans diesem kommen
arabische Barken bis auf geringe Entfernung heran.
28
Der Dschiggetei, das wilde Pferd im russischen Daurien.
Ich schriebe gern noch ausführlicher, aber ich bin gebrechlich
und sehr gealtert, muß am Stabe gehen, Gedanken nud Beschäs-
tigungeu drücken mich nieder und mein Tod wird wohl nicht mehr
lange auf sich warten lassen." —
So weit Bischof Massaja. Ueber die Länder, welche Abessinien
im Südeu umlagern, als: Enarea-Limmn, Kassa, Wol-
lamo, Dschindschiro, sodann Gnragne nnd Kambwat,
haben wir in geographischer wie ethnographischer Hinsicht immer
noch eine sehr dürftige Kunde. Vielleicht erfahren mir Näheres
dnrch unfern Landsmann Ludwig Krapf, der im August vorigen
Jahres seine neue Reise augetreten hat. Er wollte vom Indischen
Ocean gerade in diese Gegenden vordringen und unter den Galla-
Völkern eine Mission zu gründen suchen. Allerdings müssen die
Christen sich beeilen, wenn sie der Ausbreitung des Mohammeda-
nismns einen Damm entgegensetzen wollen. Dieser macht überall
iu Afrika, im Norden des Aequators, reißende Fortschritte, nnd
es ist mindestens sehr zweifelhaft, ob die Christen im Stande sein
werden, den Wettbewerb mit ihm auszuhallen. Der Islam
hat, den Afrikanern gegenüber, den großen Vortheil, daß er die
Polygamie gestattet, während die Christen dieselbe verbieten.
Daran hauptsächlich scheitern die Bemühungen der letzteren.
Die obigeu Mittheilungen Massaja's finden eine Ergänzung in
nachstehendem Schreiben des Missionärs L^ou des Avanchers,
das gleichfalls an d'Abbadie gerichtet ist und das Datum: Gera,
im Jlmormalande unweitKaffa, 12. Juui 1.861, trägt.
„Sie glaubm, schreibt er, daß der Godschab einerlei mit
dem Weißen Strom oder dem Sobat sei. Das hat man Ihnen
wahrscheinlich in Limmn-Enarea erzählt, wo man mir dasselbe
sagte. Aber der Godschab ist einerlei mit dem Jub,
welcher unter dem Aeqnator in den Indischen Oceau
mündet; unterhalb Kambat oder Kambata nimmt er den Gib
(Dschib) ans, der aus Lag'amara kommt. Das Thal des
Weißeu Stromes ist von jenem des Godschab durch eine Gebirgs-
kette getrennt, dte einen Grad breit ist. Alle Gewässer Kaffas,
südlich von Bonga, fallen in den Baro-Sobat, jene nördlich
von Bonga iu den Godschab.
Der Baro hat seine Quelle in einem See, vier Tagereisen
südlich von Bonga (— dieses ist die Hauptstadt vou Kassa, etwa
7° 12' N. Br., 53° 43' Östl. L. —); dieseu See kann man von
den Bergen herüber, welche Sie aus der Südseite bemerkt haben
und die von Snwro-Negern bewohnt sind, erblicken. Es wird
wohl der Boo-See seiu, von dem man mir in Sansibar erzählte;
hier heißt er Bario und er ist wohl des Ptolemäns Nili palus
orientalis. (—??—). Ich bat den König vou Kassa um Erlaubuiß,
dorthin zu gehen, nnd er versprach es mir auch (zwischen der Süd-
grenze vou Kassa und dem See ist das Land eine Einöde); aber
die Muselmänner überredeten den König zn dem Glauben, daß ich
einen Weg ausfindig machen wolle, um mit Soldaten zu kommen
nnd sein Land zn erobern.
Alle Völker, welche zwischen den verschiedenen Zuflüssen des
Godschab wohnen, sind Waratta nnd reden eine Sprache, welche
von jener der Sidama und Jlmorma (Galla) verschieden ist.
Spuren vou früherer Civilisation sind allerdings vorhanden, aber
von einer Schriftsprache habe ich noch keine Knude. Sind die
Waratta ein von der Küste herausgetriebenes, von den Jlmorma
verfolgtes Volk? Die Dschandschiro (— in Uangaro, das anch
Dschindschiro heißt, dem Berglande zwischen Enarea nud dem
Godschab —) und Sidama haben eine und dieselbe Sprache und
sollen auch von einerlei Abkunft sein. Die Küste von Zanzibar
heißt Dschandschi oder auch Sidi. Haben uun die Jlmorma
diese Völker in's Innere hineingedrängt? Ich finde, daß die
Benennungen dieser Völker hier verschieden von jenen sind, welche
ich au der Küste hörte; wohl aber sah ich, daß die Karte richtig ist,
welche mir der Sayk vou Brawa aufzeichnete; sie entspricht, einige
Verbesserungen abgerechnet, der, welche Kapitän Harris über die
südlichen Länder der Jlmormas entworfen hat. Nach Süden hin
wohnt ein barbarisches Volk, welches von den Kafako, den Be-
wohnern Kaffas, als Sinbirra bezeichnet wird; es sind Wohl
die „Pygmäen" des Kapitäns Harris.
Ich habe Manches über die Asillo erfahren, welche westlich
von den W a l b a g o wohnen; sie gehören zu den Si d a m a - Am a r a
und uicht zu den Falasa. Der König hat nns gebeten, ihm Priester
zn schicken. Auch die Kambat sind, gleich den Walamo-Garo.
Sidama Amara.
Massaja befindet sich in Kaffa (f. oben); seit zwei Jahren
wankt seine Gesundheit. Er hat ein großes religiöses Werk in
der Jlmorma-Sprache und ein anderes in der Sidama-Sprache
geschrieben.
Am 24. Oktober ist er ans Kaffa vertrieben worden. Die
Kafakos bestanden darauf, daß der frühere Brauch bleiben solle,
und wollten demgemäß unsere Priester zum Heirathen
zwingen. Drei derselben sind beigesperrt worden, nnd wollen
eher sterben als sich fügen. Die Jlmormakönige sind für uns und
Kaffa deukt schon daran, Frieden mit nns zn machen. Die
Jlmormakönige behandeln nns besser als die sogenannten Amara
in Kaffa, welche in jeder Beziehung hinter den Jlmorma zurück-
stehen." —
So weit Lvon des Avanchers. Herr d'Abbadie bemerkt zu
den vorstehenden Briefen Folgendes:
Ich verweilte zwölf Tage in Kaffa. Während der Zeit war
die Luft vom Gobar erfüllt, einer noch nicht genügend erklärten
Erscheinung. Sie verdunkelt die Atmosphäre und ist in Aethiopien
bei trockenem, heißen Wetter häufig; von Bonga aus bemerkte ich,
daß sie uach Süden hin sehr stark war, und ich konnte deshalb die
von dem Missionär erwähnten Berge nicht sehen. Die mehrfach
erwähnten Jlmorma sind ein kriegerisches Volk, das aus dem
östlichen Aethiopien gekommen ist nnd einen großen Theil des
Landes sich unterworfen hat. Die Jlmorma werden von ihren
Feinden als Galla bezeichnet. Die Jlmorma ihrerseits belegen
alle Völker, die keine Neger sind und die in Aethiopien vor ihnen
eindrangen, auch noch schwache Reste vom Christenthum bei sich
erhalten haben, mit dem Namen Sidama. Die Kafakos werden
oft als Sidama bezeichnet. Aber was die Dschandschiro anbelangt,
so beweisen meine Vokabularien, daß ihre Sprache verschieden ist
von jener von Kambata, Gazamba, Waratta und Kaffa. Mein
Dolmetscher war eiu Dschandschiro, konnte aber die Eingeborenen
der oben genannten Gegenden nicht verstehen; zur Verständigung
diente die Sprache der Jlmorma.
Der Dschiggetei, das wilde Pferd im russischen Daunen.
Dieses höchst interessante Thier ist vor nun beinahe einhundert Sommer isabellgelb, über den Rücken läuft ein schwarzer, bis zur
Jahren von unfern? Laudsmanne Pallas genau beobachtet und Schwanzwnrzel reichender Streif; das Winterkleid besteht ans
beschrieben worden. Es hat etwa siebthalb Fuß Länge, und am Ende ! dickerm , etwas kransein Haar und fällt weit mehr in's Rostrothe
des eine Elle langen Schweifes eine starke Qnaste kurzer, krauser als in's Bleichgelbe,
Haare, welche, gleich der Mähne, schwarz sind. Das Fell ist im Der Dschiggetei (oder Dschiggetai) bildet den Uebergang vom
Der Dfchiggetei, das wilde'Pferd im russischen Daurien.
29
Pferd zum Esel, hat aber eine leichtere und feinere Gestalt als das
Roß, ist sehr lebhaft, trägt im Lanfe den Kopf gerade ausgestreckt
und rennt schneller als das beste Pferd. In der Wüste Gobi kommt i
er in großen Heerden vor; man findet ihn anch in den Salzsteppen
der Tatarei, anch in Tibet, vielleicht auch im Himalaya. (S. 2(>.)
lieber sein Vorkommen im russischen Daurien, am Nordost-
ende frei hohen Gobi, östlich vom Apfelgebirge (Jablonnoi Chrebet)
und westlich vom Chingan-Gebirge haben wir jüngst durch den
vortrefflichen Reisenden Gustav Radde*) eingehende Bemerknn-
gm, ans welchen wir im Auszuge das Nachstehende entlehnen.
In Daurien, vom Bni Nor (Nor bedeutet bekanntlich See)
an hebt sich das Gelände mehr und mehr, und das Platean von
Altangana hat seine höchsten Punkte zwischen den Grenzwachen
^oktui und Abagaitui; von dort aus gen Süden flacht es sich
allmälig zum Kiirülüu und Buir Nor ab-, nördlich wird es durch
das Onon Borsa-Flüßchen und das Quell-Land des Gastmur
begrenzt. Auf dieses Hochplateau ging Radde im Herbst, um die
Lebensweise jener wilden Pferde kennen zu lernen, welche, ans der .
Gobi nordostwärts ziehend, hier noch ab und zu gefunden wird.
Es ist der unbändige Dfchiggeteü, bei deu Mongolen sprich-
wörtlich wegen seiner Kraft und Schnelligkeit; die Kalchas-Mou-
golcn besingen ihn in ihren Poesien.
Die bedeutendsten Wanderungen des Dfchiggetei nach Nord-
osten hin finden im Herbste statt. Die umherschweifende, imftäte
Lebensweise desselben beginnt erst dann, wenn die Füllen vom
letzten Sommer kräftig genug sind, die anhaltenden schnellen Märsche
mitzumachen und sich mit den Stuten, unter Leitung eiues
alten Hengstes, den Heerden anzuschließen. Ende Septembers !
trennen sich die jungen Hengste von den Tablinen (Heerden),
welchen sie bis ms dritte oder vierte Jahr angehörten, und ziehen
einzeln in die bergigen Steppen, nm sich selbst eine Heerde zu
gründen, deren Leiter sie werden. Dann ist der Dfchiggetei am un-
bändigsten. Stundenlaug steht der junge Hengst ans der höchsten
Spitze eines steinigen Gebirgsrückens, gegen den Wind gerichtet,
und blickt weit hin über die niedrige Landschaft. Seine Nüstern
sind weit geöffnet. Sein Auge durchirrt die Oede, kampfgierig
wartet er auf eine» Gegner; sobald er einen solchen gewahrt,
sprengt er ihm in gestrecktem Galopp entgegen. Nim entbrennt ein
blutiger Kampf um die Stuten. Der Angreifende jagt, gehobenen
Schweifes, an dein Führer der Heerde vorbei und schlägt im Laufe
mit den Hinterfüßen nach ihm. Die struppige Mähne hebt sich
mehr aufrecht; dauu, nach wenigen Sätzen, hält er plötzlich an,
wirft sich seitwärts und umkreist trabend in weitem Bogen die
Heerde, deren Führer er gierig in's Auge faßt.
Aber der alte, wachsame Hengst wartet geduldig, bis sein
frecher Feind ihm nahe genug kommt. Sobald das der Fall ist,
wirst er sich rasch auf ihn, beißt und schlägt, und nicht selten büßen
die Kämpfer ein Stück Fell oder die Hälfte des glatten Schweifes ein.
Jedes der von Radde erlegten Thiere bewies durch die zahlreichen
alten Narben, wie kampflustig diese schnellen Pferde sind. Der
Tmtgnse benutzt diese Kämpfe, um die Dschiggetei's zu erlegen;
ihr Fleisch ist ihm ein Leckerbissen, das Fell wird von den Mongolen j
sehr gut bezahlt, und in der Haut des Schweifes mit der laugen .
Quaste liegt, uach dem Volksglauben, eine wunderbare Heilkraft
für kranke Thiere. Wenn man ein Stückchen davon auf glühenden
*) Berichte über Reisen im Süden von Ostsibirien, im Auftrage der ;
kaiserlich russischen geographischen Gesellschaft ausgeführt in den Jahren 1855 |
iitcl. 185!*. ©t. Petersburg 1861. S. 4-29 bis 433.
Kohlen verbrennt, muß das kranke Thier deu Dampf emathmen;
dann werde es gesund.
Der Jäger zieht, um das sehr scheue Thier zu erlegen, am
frühen Morgen mit einem hellgelben Pferde in die Gebirge süd-
westlich vom Soktuiberg, wo er die Dschiggetei's am häufigsten
antrifft, lieber Berg und Thal reitet er langsam durch die Einöde,
in welcher die Murmelthiere auf ihren Hügeln sich sonnen und die
Adler hoch in deu Lüften kreisen. Sobald er die Höhe eines Ge-
birges erreicht hat, blickt er nach dem fernen Horizont, nm zu
sehen, ob nicht ein schwarzer Fleckeu das ersehnte Wild verrathe.
Wenn er es erspäht, reitet er rasch vorwärts; der Weg ist weit und
lang, denn es darf nur in den Thäleru nnd gegen den Wind ge-
ritten werden. Zu der Höhe, welcher der Dfchiggetei am nächsten
ist, kriecht der erfahrene Jäger mit aller Vorsicht. Das Thier
steht wie festgebannt, es blickt fest nach Norden hin. Nur noch ein
Bergrücken trennt Jäger nnd Wild. Bald ist das diesseitige fchei-
dende Thal zurückgelegt und nun erst beginnt die eigentliche Jagd.
Dem raschen gelben Klepper werden die losen Schweifhaare oben
zusammengebunden, damit sie nicht im Winde hin nnd her fliegen;
dann bringt man das Thier auf die Höhe des Berges, wo es zn
grasen beginnt. Der Jäger legt sich etwa hundert Schritte von
ihm entfernt platt anf den Boden; seine Büchse ist bereit und ruht
zum Abfeuern auf einer kurzen Gabel, welcher sich die Schützen in
Sibirien allgemein bedienen. So wartet er. Der Dfchiggetei
bemerkt das Pferd, hält es für eine Stnte seines Geschlechts nnd
stürmt im Galopp auf das Thier zu. Aber wenn er in die Nähe
kommt, wird er stutzig, hält an, bleibt stehen und nun ist der
Augenblick zum Schusse günstig. Der Jäger zielt am liebsten anf
die Brust und erlegt nicht selten das Wild anf dem Platze; zuweilen
bekommt aber der Dfchiggetei fünf Kugeln, bevor er fällt. Oesters
gelingt es auch, das Thier trotz seiner feinen Witterung zu be-
schleichen, wenn es an stürmischen Tagen an der Mündung eines
Thales gras't und langsam geht.
In Betreff der Zäh m b ar k ei t des Dfchiggetei bemerkt Radde
Folgendes: Schon Pallas machte 1772 anf die vorzüglichen
Eigenschaften dieses Thieres aufmerksam und regte zu Zähmuugs-
versuchen au. Später ließen sich einige Beamte in Anrnchaitäi
und Nertschinski Sawod angelegen sein, Füllen aufzufüttern; aber
diese Versuche blieben ohne Erfolg. Es ging damit wie in den
donischen Steppen und am asowschen Meere mit den wilden
Pferden. Die jungen Thiere gewöhnten sich zwar rasch an die
Milch der Kühe und grasten auch, aber selten lebten sie in der
Gefangenschaft länger als einen Monat. Mehr Erfolg haben die
Chinesen gehabt, denn wie französische Zeitungen berichten, wurden
durch das Konsulat in Schanghai mehrere zahme Dschiggetei's
nach Paris geschickt, wo sie noch leben und sich vermehren. —
Wir schließen unsere Mittheilung mit folgenden Angaben, die
wir iuPöppig'I Naturgeschichte der Sängethiere finden: „Mit
dem Dfchiggetei ist vermuthlich ein von Herodot unter dem Namen
Hemionos beschriebenes Thier Syriens identisch; uachTheoPhrast
und Plinins wohnte dasselbe anch in Kappadokien. Aus Herodot
und Jesaias geht hervor, daß man im Alterthnm dasselbe als
dienendes Hausthier besessen habe. Bestätigt wird diese Mnth-
maßung durch Duvancel, der zu Lackno in Indien eine völlige
Zncht von Dschiggetei's antraf, die man mit Eseln zusammen-
spannte und bei Feldarbeiten benntzte."
Es muß dahingestellt bleiben, ob jener syrische Hemionos
des Alterthums mit dem Dfchiggetei Hochasiens ein und dasselbe
Thier sei.
30
Kleine Nachrichten.
Kleine It
Menschenraub durch Affen. Konsul Spenser St. John er-
zählt in seinem, von uns schon erwähnten Werke „Leben in den
Wäldern des fernen Ostens" Manches über den Oran Utan
(nicht Utang), d. h. Waldmenschen. Der Reisende hatte eine
Expedition auf und am Flusse Linibang in das Innere der Nord-
Westküste Bvrneos unternommen und berichtet wie folgt. —- Einige
meiner Leute, welche weit gegangen waren, hatten große Affen
gesehen, wahrscheinlich Orangntans. Mir fielen allerlei Ge-
schichten ein, welche ich über diese Thiere gehört hatte. Bielfach
wird berichtet, daß Orangutan-Männcheu junge Dayakmädchen
geraubt und dieselben in den Wald geschleppt haben, aber von
Männerraub durch Affenweibchen hört man nur selten. Doch be-
haupten die Muruts am Padas, daß folgende Geschichte buchstäb-
lich wahr sei. _
Vor ein paar Jahren ging ein junger Mann ihres Stammes
im Walde; er war mit einem Sampitan (d. h. Blasrohr, aus
welchem man Pfeile schießt) und einem Säbel bewaffnet. Auf
seiner Wanderung gelangte er an einen Bach, der über Kiesel floß,
und wollte iu demselben ein Bad nehmen. Er entkleidete sich, legte
seine Waffen unter einen Baum und ging dann in's Wasser. Als
er das Bad verließ, bemerkte er zu seinem Schrecken, daß zwischen
dem Wasser und dem Baum eiu großes und starkes Orangntan-
Weibchen stand, das bald auf ihn zuschritt. Er blieb stehen und
ein Zittern überfiel ihn. Da trat die Affenfrau zu ihm heran,
ergriff ihn am Arme, zog ihn nach einem Baume hin und zwang
ihn hinaufzuklettern. Dort oben fand er ein aus Zweigen berei-
tetes Nest, in welchem er Platz nehmen mußte. Monatelang
mußte er au diesem Orte bleiben; die „Frau" überwachte ihn mit
großer Eifersucht, versorgte ihn aber reichlich mit Früchten und
Palmenkohl. Nur selten durfte er die Erde betreten. Nach länge-
rer Zeit ließ aber die Frau in der Mengen Beaufsichtigung etwas
nach und der junge Murut hatte nun mehr Freiheit. Dann gelang
es ihm, bis zn dem Baume zu kommen, unter welchem seine Waffen
lagen. -Die Frau bemerkte sein Entrinnen zu spät; als sie des
jungen Mannes wieder habhaft zn werden suchte, schoß er einen
vergifteten Pfeil aus seinem Sampitan und streckte sie zu Boden.—
Man sagte mir, wenn ich eine Strecke weit am Padasflnffe hinauf-
gehen wolle, so könne ich in dem Dorfe, das mir mit Namen
bezeichnet wurde, den Mann selber sprechen; er lebe noch und
würde mir gewiß erzählen, was ihm begegnet sei.
So weit Spenser St. John. Daß ein Orangntan-Weibchen
einen jungen Mann geraubt habe, ist nicht unmöglich. Bedenken
erregt uns aber, daß die Affenfrau ein bequemes Nest in einem
Baume gehabt haben soll. So viel wir wissen, machen die Orang-
ntans ein solches nicht, und auch die „nestbauenden Affen" in der
Gabonregion, welche Du Ehaillu beschrieben hat (Globus Nr. 4)
bereiten sich nicht eigentlich ein Nest, sondern nur ein gegen den
Regen schützendes Dach.
Miani über die EntdeckiliMil am Obern Nil. Dieser
Reisende, aus Venedig gebürtig, hält sich seit einiger Zeit in Turin
auf, und hat in der dort erscheiueudeu Revista coutemporauea einen
Bericht über seine Forschungen in der Nilregion veröffentlicht. Er
habe, sagt er, eine Anzahl kleinerVokabnlarien gesammelt, und
zwar arabische bei den Bischari, bei den Barabra in Dongola,
bei den Mahasch auf der Insel Badge bei Dongola; in Fasogl (Fas
Ogln), in Takala, und eiu Nuba-Vokabularium von wilden
Stämmen: Vokabularien der Dinka, Scheluks, Nauer, Kisch,
Barri, Anidi nnd Galla. Die Anidi sind, Miaui zufolge, ein
Stamm in der Nähe des Aequators; dort heiße der Strom Meri,
was im Koptischen südlich bedeute; bei seinem Ursprünge heiße
der Nil Anieh. Miaui faselt, wenn er sagt, er habe iu der Sprache
jener Anidi die Namen des Osiriö, des Ibis, der Isis ge-
fuuden, und wenn er die Frage anfwirft: „War dieses Volk einst
den Aegypten: unterworfen oder kommt die koptische Sprache vom
Aeqnator her?" Er erzählt weiter, daß es ihm ans seiner Reise
schlecht ergangen sei. „Die von mir angenommenen Lente haben
in ich in Chartum verlassen; Kapitän Peghoux hat nach seiner
Rückkehr in Frankreich drucken lassen, er sei sehr weit vorgedrungen
und nur umgekehrt, nachdem Dumas und Bertrand gestorben
waren. Er ist aber gar nicht über Chartnm hinausgekommen. Ich
mußte sogar Waffen und Schießbedarf verkaufen, war allein nnd
ohne Mittel, wußte mir aber zu helfen und reifte krank ab. Beim
Katarakt von Makedo verließ mich meine Bedeckung; ich kam
nach Gondokoro ohne Hülfsmittel zurück, lag dort einen Monat
krank; organisirte dann eine andere Expedition, weil ich unterwegs
chrichte n.
Elfenbein gefunden hatte, und hoffte bis znm Aeqnator vorzu-
dringen. Aber wegen der Aequiuoctialregen kam ich nicht weiter
als bis Galuffi, wo ich meinen Namen in einen Tamarixbaum
schnitt. Dort erwirkte ich der gefangenen Frau des Königs der
Madi die Freiheit; zum Dank dafür erklärte mir der Mann den
Krieg. Ich mußte mein Tagebuch führen, die Karte entwerfen,
Beobachtungen anstellen, Zeichnungen machen, Gesänge in Musik-
lioten niederschreiben und sammeln, was ich nur irgend zusammen-
bringen konnte. Und ich war ganz allein (?); meine Begleitung
bestand ans meinen Dienern, den Dolmetschern, 100 mit Schieß-
gewehr bewaffneten Negern, l 50 Barri, die als Träger dienten,
und >2 Stück Vieh für die Munition. Den Kaufleuten, welche
mir ihre Soldaten liehen, brachte ich Elfenbein im Werth von
18,000 Francs. Ich selber aber blieb ohne Geld und litt an den
Wunden, welche ich im Kriege mit Madi erhalten. Bis jetzt b in
ich derjenige Reisende, welcher am weitesten vorge-
drnngen ist^ Dafür zeugt meine Karte vou Gondokoro bis zum
Aequator. Sie kann beweisen, daß wir am Vorabend großer Ent-
deckuugen find, die vielleicht mir vorbehalten sind."
„Nach der Rückkehr beauftragte mich der Vicekönig von Aegyp-
ten, der wohl wußte, daß ich weiter vorgedrungen war, als alle
Anderen vor mir, aus feiue Kosten Entdeckungen zu machen. Ich
nahm einen Photographen, einen Zeichner und einen Kapitän mit,
fuhr auf dem Dampfer Saidieh bis Assuau, zog dann durch die
libyische Wüste und kam nach Andnrman. In Chartum wurde
ich von aller Welt verrathen; meine Barke ging um Mitternacht
zn Grunde, alle Vorräthe mit ihr, uud ich kehrte nach Aegypten
zurück. Damals richtete die Neberschwemiuung große Verwüstun-
gen an rnid die Zeit, vom Vicekönig neue Geldmittel zu erhalten,
war nicht günstig. Ich ging also nach Europa und bot in Turin
dem Könige meine Sammlung au. Professor Baruffi kann be-
zeugen, daß ich 1825 verschiedene Gegenstände ausgestellt habe;
darunter befindet sich auch die Verzierung, welche zu der Auuahme
verleitet hat, daß es geschwänzte Menschen gebe. In der
Sammlung befinden sich auch drei heilige Krokodile von etwa
10 Fuß Länge, die ich in einer Grotte zusammen mit Menschen-
mumien gefunden habe. In einem andern Lande würde der Er-
trag dieser Sammlung hinreichen, mir die Mittel zu einer neuen
Reise zu verschaffen, aber hier!--"
lieber die Andamanen-Inseln bat ein Arzt von der benga-
tischen Armee, Hr. Mo u a t, einen Aufsatz au die londoner geogra-
phische Gesellschaft geschickt. Die indische Regierung schickte ihn
1857 dorthin, um einen geeigneten Platz ausfindig zu machen,
auf welchem man eine Niederlassung für Sträflinge anlegen könne;
sie wollte dorthin meuterische Sipahis schicken.
Die Küste der Audamanen ist schon 1789 von Lieutenant
Blair ausgenommen worden; bald nachher brachte man Sträs-
linge dorthin, schaffte aber dieselben 1795 wieder fort, weil das
Klima zu ungesund war. Im Jahre >840 wollte Dr. Helps die
Gruppe erforschen, wurde aber bald nach seiner Ankunft ermordet.
Die Eingeborenen hielt man für Kannibalen. Monat hat mehrere
gute Häsen gefunden, z. B. Port Cornwallis, der aber von Land
eingeschlossen und deshalb ganz gewiß ungesund ist. An vier-
füßigen Thieren fand man Ratten, Affen und ein schwarzes kleines
Schwein. Die Vegetation erinnert an jene von Sumatra. Die
Eingeborenen wollten sich in keinen freundschaftlichen Verkehr ein-
lassen, obwohl die Engländer sich alle mögliche Mühe gaben. Die
Sipahis, welche zn den Schwarzen entflohen, sind fast ohne Ans-
nähme ermordet worden; nur wenige waren so glücklich, ihnen wie-
der zn entfliehen. Eiu intelligenter Hindu hat ein Jahr lang unter
ihnen gelebt nnd bestreitet ganz entschieden, daß sie Kannibalen
seien. Die Veranlassung, sie für solche zu halten, liegt wohl in
folgendem Umstände: Sie legen großen Werth auf die Gebeine
verstorbener Verwandten und nehmen diese Knochen auf allen
ihren Zügen mit sich. Die Todten werden in sitzender Stellung
begraben; nach Verlauf von Monaten, wenn die Leiche verwes't
ist, gräbt man die Knochen ans und vertheilt sie an die Mitglieder
der Familie. Der Hauptleidtragende bekommt den Schädel,
welchen er um den Hals hängt und länger als ein Jahr trägt.
Wir haben früher (Globus I., S. 177) das Bild emes eiuge-
faugeneu Andamanesen mitgethcilt; er war gelehrig und zur Nach-
ahmung aufgelegt. Dr. Mouat meint, die ganze Inselgruppe
werde vou Manschen einerlei Schlages bewohnt. Sie sind zwar
klein, aber wohlgebaut uud haben keine Aehnlichkeit mit irgend
einem andern Menschenschlage.
Kleine N
Professor Owen hat das Gerippe des von uns im Globus
abgebildeten Adamanesen genau untersucht. Es ist nur 4 Fuß
1» Zoll hoch. Der Schädel hat nichts gemein mit dein der west-
afrikanischen Neger oder mit jenem der Papuas, eben so wenig mit
jenem der Malayen oder Mongolen. Er war sehr wohl gestaltet,
nicht zu lang und nicht zu kurz und nicht dicker als bei deu Euro-
päern. Die Kapacität war allerdings gering und stand im Ver-
hältmß zur Größe. Owen ist der sehr verständigen Ansicht, daß
dte Udamaneser nicht aus einer andern Gegend hergekommen,
sondern uralte, selbständige Vireingeborene seien. Er belegt die-
selbe mit geologischen Gründen.
Ludwig Krapf ist bekanntlich int August 1861 wieder nach
der Ostküste von Afrika abgegangen, um auf dem alten Schau-
Platze seiner Thätigkeit, nördlich vom Aequator, eine neue Mission
gründen. Wir erfahren jetzt, daß er in demselben Lande der
Manika, wo er schon früher wirkte, in dem Wanikadorse Kanrna
seinen Plan ausgeführt habe. Die Luft soll dort, natürlich ver-
gkichsweise, gesund sein. Seiu Mitarbeiter Rebmauu arbeitet
inzwischen in Rabbai Mpia, uuweit vou Mornbas, fort; nach-
dem er manches liebe Jahr sich dort unsägliche Mühe mit dem Be-
kehruugswerke gegeben, betrachtet er nun als „sehr ermuthiaeud",
daß er fünf Wanika hat taufen können. Bei ihm im Rabbai
Mpia erlernen zwei junge Missionäre, Graf und Elliker, die
Landessprache, um iu Kauma zu wirken. Zwei englische Missio-
näre, welche als Begleiter Krapf's dorthin kamen, haben einen
Ausflug nach Usambara gemacht, sind jedoch überzeugt, daß die
Zeit noch uicht gekommen sei, in jenem Land eine Mission zu
gründen. Der Häuptling oder König, vou welchem sie Förderung
erwarteten, war gestorben.
lieber Neu-Guinea und die östlichen Eilande des indischen
Archipelagns hat Russell Wallace, derselbe Naturforscher,
welcher ciii treffliches Buch über den Amazonenstrom geschrieben,
manche interessante Nachrichten gegeben. Wir erfahren, daß
deutsche Messerschmiedewaaren auch in jenen Gegenden
einen Absatzmarkt gefunden haben. Der Theil der in ihrem In-
neru noch gar nicht bekannten großen Insel Neu-Guiuea, mit
welchem vom östlichen Archipelagus ans ein regelmäßiger Handels-
verkehr unterhalten wird, begreift die Gelvinck-Bai und den nord-
westlichen Theil, etwa bis zu 132" östl. Länge, nebst den benach-
barten Inseln Dschobie, Waigiu, Ke und Arn. Daö kleine Eiland
Kilwarn zwischen Ceram Laut und Keffiug bildet das Maaren-
lager. Aus dem Innern von Nen-Gninea bringen die Eingeborenen
Mussoi-Riude, die wohlriechend ist und mit welcher die Javaner
sich die Haut einreibe», und wilde Muskatnüsse; die Küsten liefern
Tripang, Perlmutter, Paradiesvögel und Sago. Dieser ersetzt
für jene Gegenden daö Getreide. Aus dem Mark einer ausge-
wachsenen Sagopalme bereitet mau 1800 Kuchen, von denen drei
aus das Pfund gehen. Durchschuittlich verzehrt ein Mensch täg-
lich fünf solcher Kuchen. Eiue einzige Sagopalme liefert
für einen Menschen hinreichende Nahrung auf ciit
ganzes Jahr. Sie wird iu folgender Meise bereitet. Zwei
Männer werden bei mäßiger Arbeit binnen fünf Tagen mit einem
Baume fertig; ein Mann kann sich also, wenn er zehn Tage arbei-
tct, seinen Lebensunterhalt auf ein gauzes Jahr decken, vorausge-
setzt, daß er Besitzer einer Sagopalme sei. Em ans gewachsen er
Baum hat den Werth von drei Thalern; der Arbeitslohn für
ciueu Tag stellt sich auf 4 Silbergroschen; man hat demnach für
ungefähr vier Thaler Lebensmittel auf das gauze Jahr!
Von der Westküste Afrikas. Die Franzosen haben iu ihren
Besitzungen am Senegal eine Konrierpost eingerichtet, welche
die beiden Hauptpunkte St. Lonis und Goree mit einander in
Verbindung bringt. In St. Louis graben sie einen artesischen
Brunnen.
An der Küste Guineas verspürte man am 10. Juli ein sehr
heftiges Erdbeben, durch welches ein Theil der Stadt Akkra
^afen für Aschanti, westlich vorn Rio Volta) zerstört wurde.
- holländische uud das englische Fort stürzten zusammen und
a!n mußten unter Zelten wohnen. — Unter den Schwarzen
i,, . ?erdelta, namentlich in Benin, herrscht große Aufregung;
.''"""haben sie eine englische Faktorei angegriffen. Kanonen-
'uußten den Weißen Schutz gewähren.
Minist, aikie erklärt iu einem Brief ausNnffi an das britische
niid k'e Nigergegenden, insbesondere anch Bussa
Baum wollener; euguug weit günstigere
' ,,,n'Ul darböten, als die vonLivingstone in Südafrika empföhle-
i • ugwiien. Der Niger biete einen bequemen Weg zur Ausfuhr;
31
die Arbeiter feien allerdings zum großen Theil Sklaven, aber
diese besäßen zumeist selber kleine Bauerngüter und brauchten nur
einen Theil ihrer Zeit für ihre Herren zu verwenden.
Bon den Komoro-Inseln. Diese Gruppe liegt am nörd-
lichen Eingange des Kanals von Mosambik, zwischen der Nord-
Westküste von Madagaskar und dem ostafrikanischen Festlande.
Eines der Eilande, Mayotta, ist von den Franzosen in Besitz
genommen worden und bildet für diese eine nicht unwichtige
Station im Indischen Oeean. Die übrigen Komoren stehen unter
arabischen Häuptlingen, welche durch Geschenke und zuvorkommende
Behandlung in den Kreis und in das Interesse der pariser Politik
hineingezogen worden sind. Am 5. Juni erschien Fürst Said ben
Mohamadi beim Gouverneur von Mayotta, nul für die großen
Dienste, welche Frankreich ihm geleistet habe, zn danken. Ein
anderer Fürst, Achmed, Sultan von Groß-Komora, schickte seine
beiden Enkel, damit sie in der Missionsschule erzogen werden. Arn
12. Juni fand sich Fürst Andreas Belou ein, ein Vetter des Königs
Radama von Madagaskar, um von Seiten Seiner Majestät dein
Gouverneur für bie große Freundschaft zu danken, welcher Mada-
gaskar sich von Seiten des mächtigen Kaisers zu erfreuen habe.
Die französische Politik kann sich im fernen Osten mancher Erfolge
rühmen.
Baumwolle in Nordamerika. Der von den Abolitionisten
und der sogenannten republikanischen Partei heraufbeschworene
Bürgerkrieg, der so widersinnig und selbstmörderisch ist, wie kaum
ein anderer, welchen die Geschichte kennt, ist bekanntlich für das
Baumwollengeschäft in der ganzen Welt verhäugnißvoll geworden;
die tiefsten Wunden schlägt er den Amerikanern selbst. Die Ziffern,
welche wir amtlichen Berichten entlehnen, sprechen deutlich.
Bisher überstieg der Ausfuhrwerth der Baumwolle allein
jenen aller übrigen Produkte; er betrug in dem, vom 30. Juni bis
l. Juli laufenden, Finanzjahre:
1858/50 l6l,434,923 Dollars
1859/60 191,806,555
1860/61 34,051,483
Im Jahre 1859/60 betrug das Gewicht der ausgeführten
Sea Island-Baumwolle 15,598,698, jenes der übrigen Sorten
1,752,087,640 Pfund; im Jahre 1860/61 nur, respektive 6,170,321
und 301,345,778 Pfund.
Silber in Mexiko. In diesem Lande wird, trotz der allge-
meinen Zerrüttung, immernoch eine beträchtliche Menge Silbers
gefördert; freilich sind viele Gruben im Besitz von Europäern,
welche sich in den meisten Fällen gegen räuberische Angriffe zu
schützen und ihr Eigenthnm zu sichern wissen. Die verschiedenen
Münzstätten prägten 1861 im Ganzen für etwa 15 Millionen Piaster
Silber aus; 4 Millionen wurden mit Erlaubnis; der Regierung
ausgeführt; etwa eben so viel mag auf dem Wege des Schleich-
Handels außer Landes gegangen sein, hat also den Ausfuhrzoll
nicht bezahlt. Die Totälsnmme des Grubenerzeugnisses stellt sich
aus ungefähr 22 Millionen; außerdem wurde aber für etwa eine
Million Piaster aus den Kirchen genommen. Die ergiebigste Grube
ist die Rosario in Pachiica; sie gehört der englischen „Mineral
del Monte-Eornpagnie", welche monatlich im Durchschnitt für
200,000 Piaster (Dollars) Silber zu Tage schafft.
Die Reis-Hiifen im englischen Hinter-Indien. Großbri-
tarntien hat dem Kaiser von Bärina die Länder am östlichen Gestade
des bengalischen Meerbusens abgenommen und das Mündungs-
land des Jrawaddy (die Landschaft Pegn) obendrein. Seitdem
hat allerdings der Verkehr einen großen Aufschwung gewonnen
und die Ausfuhr von Reis sich ungemein gesteigert. Vor zehn
Jahren wußten wir in Europa kaum etwas von Akyab in Arra-
kan; jetzt sind dort auch einige deutsche Handelshäuser vorhanden,
und im Jahre l861 wurden in 139 Schiffen l 14,200 Tonnen (zn
20 Eeutuer) Reis im Werthe von 2,460,000 Thalern ausgeführt
und für 1,350,000 Thaler Waaren eingeführt. Die drei änderen
Reishäfen sind: Ranguhn, Bassein und Maulmain, und die
Gesammtanssuhr von Reis ans allen vier Häfen stellte sich auf
227,000 Tonnen im Werthe von 6,130,000 Thaler. Außerdem
führte Mautmaiii für drei Millionen Thaler Teakholz aus.
Die englische Regierung will die Provinzen Arrakan, Pegn,
Tennasseriin und Martaban unter einem Vicegonverneur verenn-
gen, der in Ranguhn residiren soll. Akyab ist durch Tele-
graphen mit Kalkutta und Rauguhu verbunden; ebenso mit
Maulmain. Die Linie soll künftig nach Siugapore fortgesetzt
werden.
32
Kleine Nachrichten.
Stand des englischen Eisenbahnwesens. Im vorigen Jahre
(1861) sind aus den Bahnen täglich befördert worden: 500,000
Personen, 258,000 Tonnen (ä 20 Ctr.) Frachtgüter, 35,000 Stück
Bieh, 1100 Hunde und 740 Pferde. Es waren 2,897,748 Meilen
mehr als im Jahr 186.0 befahren worden. Die Zahl der abge-
schickten Züge hatte sich im ganzen Jahr ans 3,891,990 belaufen,
d. h. 10,600 per Tag, oder mehr denn 7 Züge in jeder Minute,
und doch betrug die gesammte Schienenlänge nur 436 Meilen mehr
als im Jahr 1860 (10,869 Meilen). Die Brutto-Einnahmen be-
liefen sich auf 28,565,355 Pfd. St., somit mehr als die Interessen
der Nationalschuld, und das zum Bau aller englischen Bahnen
verwendete Kapital hat die ungeheure Höhe von 367,328,337 Pfd.
St. erreicht. Die Netto - Einnahmen machten im Durchschnitt
nicht über 4 Procent aus, und die Betriebsauslageu berechnen sich
im Durchschnitt auf 48 Procent. 284 Personen kamen durch Un-
fälle der verschiedensten Art nm's Leben, und 883 erlitten Beschä-
dignngen. Bon Passagieren waren 46, solnit einer unter 220,000,
getödtet worden, die anderen Todesfälle vertheilen sich auf das
Bahnpersonal, Tödtung in Folge von Unvorsichtigkeit, Selbstmord
n. dergl. An Schadenersatz für Verletzungen hatteu die Gesell-
schasteu im vorigen Jahr zusammen 135,062 Pfd. St. zu vergüten.
Die Handelsflotte Oesterreichs erscheint sehr respektabel. Sie
zählte am Ende des Jahres 1861 nicht weniger als 9838 See-
schisse mit einer Tragfähigkeit vou 331,568 Tonnen (zu 1800
Wiener Pfund) oder 167,111 Schiffslasten von 4000 prenß. Pfund
— 334,222 Touueu zu 20 Centnern). Die Zahl der Dampfer
betrug 59 mit 11,570 Pferdekraft und 1071 Köpfen Bemannung
und 10,754 Lasten. Segelschiffe lauger Fahrt 735 mit 104,644
Lasten; Segelschiffe großer Cabotage (d. h. für Adriatifches und
Mittelländisches Meer) 345 mit 17,472 Last. Die übrigen sind
Fahrzeuge kleiner Cabotage, Fischerbarken, Leichter nnd andere
kleine Schisse. Die Mannschaft betrug 34,148 Köpfe.
Trieft als Handelshafen ist für Deutschland vou der größte»
Wichtigkeit; er bildet im Südeu eiu Nebenstück zu unseren nordi-
scheu Hansestädten. Trieft ist für uns Deutsche Alle die Ausgangs-
pforte zur Levaute und zu einem großen Theile des Orients, aus
welcher viele deutsche Gewerbserzeugnisse nach dem Osten gehen.
Der Werth der Waareneinsnhr im Jahre 1861 stellte
sich auf die Summe vou 104,053,655 Thaler preuß. Cour. Davon
kamen zur See für 62,553,026 Thaler, zu Lande für 41,500,629,
zusammen also für 104,053,655 Thaler oder 156,080,482 öfter-
reichische Gulden. ^
Der Werth der Ausfuhr zur See stellte sich auf
57,196,593, jener zu Laude auf 84,285,772 Thlr. oder 126,428,658
österreichische Gulden.
Das ergiebt eine Gesammtbeweguug des Handels von
188,339,427 Thalern, und man sieht, wie wichtig dieser deutsche
Hafen ist, nach welchem die Piemorttesen oder „Königreichs -Jta-
Neuer" lüsterne Blicke werfen. In Trieft, das seit uralter Zeit
auf dem Boden des deutschen Reiches steht, wohnen allerdings etwa
20,000 Italiener, aber auch fast eben so viele Deutsche, während die
übrigen Einwohner wendischen Stammes sind oder andere Slaweu
vom adriatischeu Meere, Griechen ?c. Italien hat auf Trieft etwa
eben so viel begrüudete Ansprüche, wie Deutschland aus Neu-Uork
oder Philadelphia, Städte, in deren jeder weit mehr als 80,000
Deutsche wohnen.
Fran Livingstone gestorben. Diese mnthige Frau, welche
ihren Mann auf vielen und weiten Wanderungen begleitet hat, ist
am 28. April dem afrikanischen Fieber erlegen. Sie war mit ihm am
Sambesi zusammengetroffen, als er von seiner Reise an den Nyassa-
See zurückkam. Nachdem sie drei Monate bei ihm gewesen, wurde
sie vom Fieber hiuweggerafst. Auf der Reise vou Kilimaue au der
Ostküste uach Loando au der Westküste, also auf dem Wege quer-
durch Südafrika, hatte Livingstone selber nicht weniger als sieben
und zwanzig Mal lebensgefährliche Fieberanfälle zu bestehen. Die
„gesunden" Gegeudeu, vou welchen er immer so viel gerühmt hat,
wollen sich nicht finden im tropischen Südafrika, und man ver-
geudet in auffallender Weise fort und fort Menschenleben, indem
inan Phantomen uachjagt.
Aberglaube in Ostindien. Er verursacht deu Engländern
manche Ungelegenheiten. Die Arbeiten an den Eisenbahnen in
der Präsidentschaft Bombay erfahren dann und wann, wegen der
schwierigen Bodenverhältnisse, eine Unterbrechung. Die Ein-
geborenen können sich das nicht erklären und meinen, daß die
Hindernisse von einer höhern Gewalt kämen. Der Wahn ver-
breitete nun ein schauderhaftes Gerücht: die englische Regierung
wolle, um deu Widerstand der Göttin des Gebirges zu brechen,
einhundert Kinder opseru lassen und habe Soldaten ans-
gesandt!, um diese Opfer deu Famlien zu entreißen. Auch iu
Bengalen herrschen seltsame Vorstellungen. Ein Missionar, welcher
die vou deu Engländern inPatna gegründete Schule besuchte, saud
in derselben kaum ein Dutzend Schüler. Weshalb? Die Hindu-
elteru wollten die Kinder nicht hineinschicken; man hatte ihnen
gesagt, daß die Europäer am Tage der Einweihung einer nen
gebauten Brücke ein Kind opfern wollten! Das Gerücht fand all-
gemein Glauben und das Volk wurde darüber sehr unruhig, be-
sonders als man erfuhr, daß der Geueralstatthalter selbst bei der
Festlichkeit zugegeu sein werde.
Die Tochter eines Brahminen war sechszehn Jahre alt ge-
worden nnd hatte noch keinen Mann gesunden. Da baute der
Vater eine Hütte am Strom, in welcher das Mädchen verenden
sollte; denn ein religiöses Gebot will, daß ein Mädchen, welches
in mannbarem Alter noch nicht verheirathet ist, geopfert werde.
Das hält man ohnehin für ein verdienstliches Werk. Das Mädchen
nun saß, im Jahre 1862, in der Hütte; diese war von einer wach-
samen Menschenmenge umschlossen, welche abwarten wollte, bis
der über die Ufer tretende Strom das ihm bestimmte Opfer ver-
schlinge. Die englischen Beamten legten sich in's Mittel.
Im untern Bengalen sprach neulich eiu Geschworuengericht
einen Mann frei, welcher der Göttin Kali ein Menschenopfer ge-
bracht hatte.
Krähwinkel in Syrien. Unweit von Damaskus liegt das
stille, zauberisch-schöne Thal von Halbnn, dessen Bewohner-
Feigen, Trauben nnd Granaten ans den Markt der großen Handels-
stadt bringen; auch verfertigen sie Spinnräder, welche von ihnen
billig verkauft werden, und bereiten Lampendochte aus dem Mark
einer Gebirgspflanze. Di-. Wetzstein, der als Konsul iu Damaskus
lebte, hat jeues Thal oft besucht, und entwirft eine Schilderung
der Halbuuer, welche als tüchtige Holzhauer überall willkommen
geheißen werden. Sie sind, sagt er, stark, mnthig und haben —
große Ideen. Leider wird das Große so oft verkannt! Sie
gelten für Böotier oder gar für Abderiten, und Halbnn ist seit
undenklichen Zeiteu das Krähwinkel vou Syrien. Die Gassenbuben
rufen deu Halbunern nach: „Was wäre Damaskus ohne enre
Lampendochte?"
Einmal, so erzählt man sich, wollten die Halbuuer einen
Berg etwas abseits rücken, weil er ihrem Dorfe die Mittagssonne
entzog, aber unglücklicherweise riß der an einen Baum gebundene
Strick und viele thateu dabei einen bösen Fall.
Ein andermal wollte sich die Gemeinde an der Ungerechtigkeit
der Damascener dadurch rächen, daß sie diesen ihre Lampendochte
vorenthielt. Sie meinten, nun müßten die Leute Nachts im Dun-
keln hernmtappen. Leider war die Berechnung falsch, denn die
Stadtbewohner fanden Mittel und Wege, der allgemeinen Ver-
finsteruug vorzubeugen.
Einst wollten die Halbnner eine Republik begründen. Sie
scheiterte nur daran, daß im Dorfe nicht Männer genug für
die Staatsämter waren, welche man schaffen wollte. — Man er-
zählt aber auch uoch manche andere Schildbürgerstreiche von deu
Halbunern.
Die deutsche Wada'i-Expedition gescheitert. Wir lesen eben
in verschiedenen Blättern, daß die Herren Munzinger und
Kinzelbach ihre» Plan aufgegeben haben. Der Sultan von
Dar Für, welchen wir in Nr. 24 geschildert haben, war vom
österreichischen Konsul Natterer befragt worden, ob die Reisenden
in seinem Laude sicher seien. Der schwarze Potentat gab seiner
Ablehnung eine geschickte Wendung, indem er antwortete: für
seineu Theil wolle er sie cjut empfangen, könne aber für sein.Volk
nicht einstehen. Die beiden Europäer gingen dann im August-
monat aus Kordosan nach Ehartnm und von dort nach Kairo in
Aegypten, wo sie jetzt wohl angelangt sein werden. Henglin
war aus Abessinien nach Chartnm gekommen.
Herausgegeben von KarlAndree in Leipzig. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrinann I. Meyer in Hildburghausen.
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumbach m Leipzig.
Ein Mick ans di
ru'rJ^e* ^cv '^osen im Alterthum. — Telchinen uud Heliadeu. —
Geschichtliche Wandelungen. — Die Araber. — Die Rhodiser- Ritt
Rhodns und ihre Denkmäler. — Ein Ausflug nach dt
Der Name Nhodus ruft große Eriuuerugen wach,
uud eiu Blick auf dieses schöue Eiland der Rosen zeigt
uns eindringlich, wie Alles auf Erden wechselt. Die Ver-
ehrung des Sonnengottes wich dem Christeuthum und dieses
wurde vom Islam besiegt. Apollo, Christus, Mohammed!
Der eisengepanzerte Ritter mit dem wallenden Helmbusch
erlag dem osmauischeu Turbanträger und heute ist Alles
Verfall!
Von der Küste des alten Karien ist die an Flächen-
inhalt kleine Insel durch einen nur drei Stunden breiten
e Insel Nhodus.
Die Rhodier als Seefahrer. — Der Koloß des Sonnengottes. —
er und ihre Kämpfe mit den Mohammedanern. — Die Hauptstadt
altphönizischen Stadt Liudos. — Schlußbetrachtung.
Der Sage zufolge bekam sie ihren Namen von Rhode,
einer Tochter des Neptun, welche dieser mit der Halia (dem
Meere) gezeugt, und sie war eiue Schwester der Telchiueu,
welche Sicheln für den Gott Kronos schmiedeten. Das
Eiland stieg gleichzeitig mit den Telchinen aus dein Schooße
der See empor. Diese Urmenschen waren weise, kunstfertige
Männer, die ersten auf Erden, welche das Eisen zu schmieden
und das Kupfer zu schmelzen verstanden. Nach den Telchinen
kamen die Heliadeu, sieben Brüder, welche Helios mit
jener Rhode erzeugte. Sie waren Herrscher auf der Insel,
Darsa und Nikol>
Kanal getrennt. Sie liegt unter dem 36." N. Br., 26." Ö. L.
von Paris, uud ist mit herrlichem Klima gesegnet. Schon
im Alterthum rühmte man von ihr, daß es keinen Tag im
Jahre gebe, an welchem die Souue nicht scheine. Der
Boden ist fruchtbar, und in längstverschwundenen Tagen
war Rhodns ein Paradies: „die schönste Insel", wiePlinins
sich ausdrückt. Schon lange vor Homer war sie berühmt
und der Dichter soll auf ihr geboren sein! wenigstens
wachte sie (neben sechs anderen Oertlichkeiten) Anspruch auf
^esen Ruhm. Der hellenische Barde führt den Herakliden
^ ll'polemos nach der Insel. Von den Rhodiern sagt er:
quwohnen sie dort in Stämme gethcilt und gediehen,
X*; ' Zeus, der Gvttei und sterbliche Menschen beherrschet;
segnend herab goß ihnen des Reichtynms Schätze
Kronion.
Globus für 1862. Nr. 26.
lsthurm in Nhodus.
Welche, der Souue geheiligt, selber als eine Tochter der
Aphrodite und als Braut des Sonnengottes bezeichnet
wurde. Diese Heliadeu sind von Apollo begnadete und
bevorzugte Menschenkinder gewesen, denn sie thaten sich
hervor in allen Wissenschaften, kannten den Lauf der Ge-
stirne, theilten, zuerst unter allen Sterblichen, den Tag
in Stunden, und ihnen verdankt Rhodns den hohen
Ruhm in Schiffsbau uud Seefahrt, welchen es weit über ein
Jahrtausend behauptet hat.
In den Tagen, in welchen wir die Sage im Ueber-
gKnge zur Geschichte finden, erscheint der ans Aegypten ver-
triebene Dan aus mit seinen Töchtern aus dem Sonnen-
eiland, auch Kadmus kommt dorthin mit seiuen Phöniziern;
Pelasger rudern an's Land und gründen Kolonien, und
Kreter nebst Argivern folgen. So wurde das kleine
5
34
Ein Blick auf die Insel Rhodus.
Eiland (ein nnd zwanzig deutsche Geviertmeilen) mehr und
mehr bevölkert, sowohl von semitischen als hellenischen
Leuten, deren Mythen und Kulte nach und nach gegenseitig
aneinander etwas abgaben.
Die Sonneninsel, welche späterhin sehr richtig als
Roseninsel (denn Rhoden ist der griechische Name für
Rose) bezeichnet wurde, gedieh wunderbar. Ihre Wein-
beeren und ihre Feigen wurden hoch gelobt, der Marmor
gesucht, das Schisssbanholz vom Gebirge Atabyris war
dauerhaft, der Fisch Elops, den man an der Küste sing, galt
für einen Leckerbissen, Badeschwämme holte man in Menge
aus der Meerestiefe. Aber, sagen die Alten, das Alles
will wenig bedeuten gegenüber den guten Gesetzen der Rho-
dier und gegen das treffliche Seewesen. Auch war Rhodus,
und das rechneten sie sich dort selber zum höchsten Ruhm an,
„die fruchtbare Mutter vieler berühmten Männer und ragte
hervor iu Redekunst, Philosophie und anderen Wissen-
schasten." Auch in deu plastischen Künsten „erwarb sie
Glanz." Ihr gehörten der Maler Protogenes an und der
Bildhauer Chares aus Lindos, der Philosoph Panaetios,
welchen Cicero hochschätzte, und einer der sieben Weisen
Griechenlands, Kleobulos. Dem großen Redner Aeschines
nnd dem Dichter der Argonautica, Apollonios, schenkten die
Rhodier das Bürgerrecht.
Die rhodischen Kaufleute und Schiffsrheder würdigten
Wissenschaft und Künste, und besonders stolz waren sie auf
ihren Protogenes, der im höchsten Grade naturgetreu
malte. Chares, ein Schüler desLyfippos, war der Bildner
des weltberühmten rhodischen Kolosses. Diese Apollo-
statne ruhte mit den Füßen auf zwei Felsen am Eingange
des Hafens; der Künstler bedurfte zur Herstellung des Stand-
bildes nicht weniger als nennmalhnnderttauseud Pfund Me-
tall. Er starb, bevor er fein Werk vollendet hatte, an welchem
dann einer seiner Schüler noch zwölf Jahre lang arbeitete.
Der Koloß war ein Weltwunder, die „einlaufenden Schiffe
fuhren zwischen feiueu Beinen hindurch in den Hasen ein, "*)
uud das Standbild des Gottes diente auch als Leucht-
thurm. Aber es stand nur etwa zwanzig Jahre, denn 222
vor Christi Geburt wurde es während eines Erdbebens mn-
gestürzt. „Auch jetzt noch, da es am Boden liegt, erscheint
es als ein Wunder", sagt Plinins. Von den Verhältnissen
dieses Kolosses kann man sich einen Begriff machen, wenn
man weiß, daß jeder Finger an den Händen dicker war als
ein Mannsleib.
Ein Orakel verbot den Rhodiern, ihn wieder auszu-
richten, und so blieb er in Trümmern sast ein Jahrtausend
laug am Boden liegen, denn auch in der christlichen Zeit
rührte man ihn nicht an. Die Araber jedoch, welche in der
zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts auf Rhodus er-
schienen, trüge» keine Scheu vor dem Sonnengotte; Omars
Feldherr, Moawijah, verkaufte im Jahre 672 das Metall
an jüdische Handelsleute, und diese beluden nicht weniger
als neunhundert Kameele mit demselben.
Die Insel hat eine reiche Geschichte. Im Allgemeinen
*) So wird auch heute noch oft behauptet; die Sache ist aber
eine Fabel aus deu byzantinischen Zeiten; die Einfahrt zum Hafen
hat an der engsten Stelle eine Breite von lü(> Fnß, der Koloß war
siebenzig Ellen hoch. Strabo XIV, 2. führt eine Dichterstelle an
und bemerkt: „Vom kolossalen Standbilde des Sonnengottes sagt
der Jambendichter:
Das Chares einst,
Der Liudier, siebenmal zehn Ellen hoch gemacht."
Uebrigenö zeigen die rhodischen Schiffer noch zwei unter dem
Wasser liegende Felsen, auf welchen, wie-die Sage geht, die Füße
des Kolosses ruhten. A.
bewahrte sie, in Folge klugen Lavirens ihrer KanfleUte
uud Rheder, welche mit Jedem, der die Macht in Vorder-
ästen hatte, auf gutem Fuße zu stehen trachteten, ihre Unab-
hängigkeit und deni römischen Reiche wurde sie erst unter
Kaiser Vespasiau einverleibt. Eine Zeit lang gehorchte sie
dem Könige Mansolns vonKarien und dessen Witwe Artemisia;
nahm später macedonische Besatzung auf uud kam dann auch
iu deu Zeiteu der Nachfolger Alexanders, in's Gedränge
zwischen den Königen von Syrien und Aegypten. Aber der
Handel war immer blühend und die Rhodier blieben die
Hanptsrachtlente auf dem Mittelmeer. Dem Könige Mithri-
dates lieferten sie eine Seeschlacht; zur Zeit der Bürger-
kriege Roms litten sie viel, und häusige Erdbeben richteten
großen Schaden an, namentlich das vom Jahre 155 nach
Christi Geburt. Seit der Theiluug des römischen Reiches
stand Rhodns unter den byzantinischen Kaisern. Dann
kamen die Araber, die Byzantiner, abermals die Lateiner
(Franzosen und Venetianer), die Araber noch einmal, die
Genuesen uud endlich die Türken, welche seit dem I.Januar
J 523 Herren der Insel geblieben sind.
Unter allen diesen Wechselfällen litt die Insel viel,
aber seit dem Anbeginn des vierzehnten Jahrhunderts er-
füllte sie weit und breit die Christenheit mit ihrem Ruhme,
und die Rhodiser Ritter, diese letzten Kreuzfahrer, verliehen
ihr strahlenden Glanz.
Am 15. Juli 1099 hatten die Kreuzfahrer unter Gott-
fried von Bouillon die heilige Stadt Jerusalem eingenommen.
Ein menschenfreundlicher Mann ans der Provence, Gerhard
Tnnc, der als Pilger mitgezogen war, pflegte Verwundete
und Kranke. Schon im elften Jahrhundert hatten Kauf-
leute aus der italienischen Handelsstadt Amcilst beim heiligen
Grabe zwei Spitäler zur Aufnahme von Wallfahrern ge-
stiftet uud das eiue nach der Maria Magdalena benannt,
das andere nach dem heiligen Johann dem Barmherzigen,
der einst ein Bischof in Alexandria gewesen ist. Gerhard
gab der wohlthätigen Anstalt zweckmäßige und umfassende
Einrichtungen; seine Spitalbrüder, Hospitaliter,
widmeten sich ausschließlich der Krauken- uud Pilgerpflege
und erhielten vorn römischen Papst eiue Ordensversassnng.
Sie waren wohlwollende, bescheidene Leute und trugen einen
groben schwarzen Mantel mit einem achteckigen weißen
Kreuze auf der linken Brust.
Bald traten auch Rittet der Genosseuschast bei, welche
dann ihren ursprünglichen Charakter verlor. Schon der
zweite Vorsteher, Raymnnd von Pny, setzte durch, daß die
Mitglieder eine ausdrückliche Verpflichtung zum Kampfe
gegen die Ungläubigen übernahmen, und von nun an ge-
hörten die Hospitaliter zur streitenden Kirche; sie hießen dann
auch, uach der Herberge des Johannesspitals, Ritter des
heiligen Johannes zu Jerusalem, Johanniter. Diese
legten den Panzer nicht ab, bekämpften die Mohammedaner
und erhielten auch im Abendlande große Schenkungen. Aus
dem Verein bescheidener Krankenpfleger wurde ein Orden
stolzer, kriegslustiger Ritter, welchem ans allen germanischen
und romanischen Völkern Europas kräftige Männer zu-
strömten. Den neuen Verhältnissen gemäß bildete er seine
Verfassung aus; seine Vorsteher nannten sich Meister und
seit Hugo von Reval (1278) Großmeister. Sie theilten
sich nach ihren Landsmannschaften und Sprachen in sieben
„Zungen", nämlich Provence, Auvergne, Frankreich, Ita-
lien, Aragonien, Deutschland nnd England. Nun waren
sie reich nnd bildeten ans ihren Besitzungen Commanderien,
Comthnreien; von den Päpsten erhielten sie immer mehr
Vorrechte, wurden überuiüthig, geriethen selbst mit der
Geistlichkeit des Morgenlandes in Zwist; ihre Eifersucht
gegen die Tempelherren führte zu ärgerlichen Händeln zwi-
Ein Blick auf t
scheu beiden Orden und mehr als einmal wurde von Rom
aus Tadel gegen ihren unsittlichen Wandel ausgesprochen.
Aber tapfer und ein Schrecken der Wuselmänner waren
diese Ritter. Als 1291 das letzte Bollwerk der Christen un
heiligen Lande, die Stadt Ptolema'ts, in die Gewalt der
Saracenen fiel, wurde eiu großer Theil der Johanniter
niedergehauen. Die schwachen Ueberbleibsel flüchteten nach
der Insel Cypern, wo die Könige aus dem Hause Lusignau
in der Stadt Limisso ihnen Grund und Boden schenkte».
Dort gründeten sie ein neues Spital und von nun ange-
wann der Orden einen neuen Charakter, ^ ul,
hatte er die „Ungläubigen" auf dem festen Lande bekämpft,
aber Cyperu war eine Insel, und von ihr aus konnte mau
nur zur See dem Feind etwas anhaben. Die Butter ^an eu
ie -Insel Rhodus. Z5
machte. Aber diese belagerten die Hauptstadt Nhodus und
nahmen sie am 15. August 1310 in Besitz.
Seitdem hießen sie auch Rhodiser-Ritter und ver-
breiteten sich über mehrere kleine Inseln des ägäischen
Meeres. Ihr Handwerk bestand in unablässigem Kampfe
gegeu die Mohammedaner; sie eroberten Smyrna, besetzten
einst sogar Alexandria und Patras und führten Kriege mit
den Sultanen vou Syrien und Aegypten. Allein im Abend-
lande war man der Streitigkeiten mit dem Oriente müde
geworden und hatte selber Roth, sich in Europa der immer
mächtiger andrängenden Osmaneu zu erwehren. Die
Rhodiser-Ritter waren auf sich selber angewiesen und mußten
der Ueberinacht Soliman's des Prächtigen erliegen. Nach-
dem er Belgrad in Serbien erstürmt, zog er mit dreihundert
eine Flotte, deren Galeeren sich iu erfolgreichem Kampfe
mit den Heerschiffen der Saracenen maßen. Bald wurde
Cypern den Rittern zu eng, die Beschränkungen, welche
ihnen der König auferlegte, erschienen unerträglich und der
Großmeister suchte nach einer Insel, auf welcher der Orden
selber Herr sein konnte. Da der Großmeister, Wilhelm
von Villaret, keine fand, welche er den Mohammedanern j
Abnehmen konnte, so besann er sich nicht lange und raubte
^'seinen eigenen Glaubensgenossen, den Christen! Auf
^hodus regierte eine kleine Dynastie uuter Oberherrschaft
K| '.^"^nischenKaiser, die nicht geneigt waren, lateinische
n isten dort sich festsetzen zu lassen. So groß war der Haß
!VCtt abendländischen und griechischen Christen, daß
.nufn Undronikns der Zweite, der Paläologe, mit den
macencn gemeinschaftliche Sache gegen die Johanniter
Schiffen und _ einmalhuuderttauseud Mann vor Rhodus.
Der Großmeister Villiers de l'Jle Adam hatte ihm nur
fünfthalbtansend Soldaten und sechshundert Ritter gegen-
über zu stellen. Am 1. August 1522 begann die Be-
lagernng, und fünf Monate lang vertheidigten sich die
Rhodiser tapser und mit Ausdauer; sie schlugen drei große
Stürme ab. Schon dachte der gewaltige Sultan daran,
die Belagerung aufzuheben, denn noch vier andere Stürme
waren vergeblich gewesen, und Soliinan beschränkte sich jetzt
auf eine Blokade. Dann aber wurden die Ritter von ihren
Unterthanen, den griechischen Christen, im Stiche gelassen
und der Großmeister beantragte eine Kapitulation,^welche
in ehrenvoller Weise ihm gewährt wurde. Am 1. Januar
1523 zog er ab und schiffte sich nach dem Kirchenstaat ein,
wo der Pabst dem Orden Viterbo zun? Aufenthalt anwies.
französische Priorei.
38
Ein Blick auf die Insel Rhodus.
Im Jahre 1530 räumte Kaiser Karl der Fünfte ihnen die
Inseln Malta und Gozzo ein und von dort setzten sie den
Kampf gegen die Ungläubigen fort. Ans den Hospitalitern,
Johannitern oder Rhodisern wurden zuletzt Malteser-
Ritter.
Werfen wir einen Blick auf die heutigen Zustände der
Insel*). Sie siud so, wie es sich vou einer dreihundert-
jährigen Türkeuwirthschaft erwarten läßt. Rhodus ist nicht
einmal ein Schatten mehr von dem, was es einst gewesen.
Die Bergwaldungen, welche Jahrtausende lang Schiffs-
banholz in Menge lieferten, sind zum großen Theile ver-
wüstet; der Regen schwemmt die Dammerde herab, die
Quellen versiechen, statt hoher Fichten und Cypressen
wuchern Gestrüppdickichte vou Eichen, Mastix und Myrthen.
tteberall trifft das Auge auf Einöden und Wüsteneien; da
wo einst Getreidefelder waren, erobern Thymian und
Disteln immer mehr Boden. Kaum thut man noch etwas
für die Veredelung des Oelbaums, säet nur wenig Sesam,
gewinnt, obwohl die Rebe ihren alten Ruhm behauptet,
kaum 400,00«) Psuud Rosinen; nur Feigen und Südfrüchte,
die freilich eine geringe Pflege in Anspruch nehmen, liefern
noch geringen Ertrag. Der Seidenbau wird vernachlässigt.
Das Alles ist Folge des Abgabendruckes, welchen die Türken
ans die griechische Bevölkerung üben. Von den 27,000 Ein-
wohneru sind etwa 6000 Türken und 1000 Juden; den
Ersteren gehören alle besseren Häuser und Landgüter; als
Erober nahmen sie, was ihnen gefiel. Die Griechen siud
Seeleute, Handwerker, Kleinhändler und Bauern, die in
47 Dörfern zerstreut wohnen. Aus der ganzen Insel ist
auch nicht eine fahrbare Straße vorhanden.
Die Hauptstadt Rhodus, welche oftmals, zuletzt am
12. Oktober 1850, schwer von Erdbeben heimgesucht worden
ist, liegt an der Nordostseite, nicht weit vou der Nord-
spitze der Insel, dem Kap Stephan. Sie ist ein steinernes
Denkmal, das die kampflustigen Ritter hinterlassen haben.
Ueberall Mauern mit Zinnen, Schießscharten und Thürmeu,
die ganze Stadt ist wie mit einem Panzer umgeben uud
überall sieht man Wappenschilder der Großmeister.
Aber der alte Glanz ist dahin. Alles schweigsam und
öde, auch im Hasen, aus welchem einst die bewaffneten
Galeeren zum Kampfe gegen die Ungläubigen auszogen
mit Jnbelruf uud Trompetengeschmetter. In den Straßen
wächst Gras und Kraut; die Maueru siud mit Moos über-
zogen und von Ephen umwuchert; durch die Schießscharten
blickt mau auf grüne Felder und auf Grabhügel, denen
wilde Tulpen uud Narcissen entsprießen. Neben den Leichen-
steinen, unter welchen Solimau's Krieger ruhen, duften
Rosen.
In weiter Ferne hinaus schimmert der von den Türken
weiß angestrichene gewaltige Thurm des heiligen Michael,
mit seinen vier kleinen Nebeuthürmeu. An seinem Grund-
gemäuer brechen sich die schaumigen Meereswogen; vou der
oberu Zinne hat man einen umfassenden Blick über die See.
Der Hasen ist nicht geräumig, aber doch sicher. Die Mauern
siud im Verfall.
Ueberragt wird die Stadt vou der Kathedrale, welche
dem heiligen Johannes geweiht war. Noch trägt in Rhodus
Alles eiu mittelalterliches Gepräge und erinnert au eiue
Romantik, die längst dahin ist uud sich nicht wieder be-
leben läßt in unseren Tagen. Denn wir leben doch in ganz
anderen Zeiten, haben ganz andere Anschauungen, wir
*) Voyage dans l'ile de Rhodos et description de cette ilc,
par V. Guerin. Paris 1S5(>. Ich liabe dieses Werk in der Zeit-
schrift für allgemeine Erdkunde, Berlin IS57, Neue Folge, zweiter
Band, S. 38l ff., besprochen. A.
wollen keine religiösen Kreuzzüge mehr, uud achten die Künste
des Friedens höher als eine unproduktive Chevalerie. Alle
Versuche, eiue solche wieder zu belebeu, laufen lediglich auf
romantische Spielerei hinaus uud können niemals praktische
Erfolge haben.
Ans den Ritterzeiten liegen noch Kanonen da mit christ-
lichen Abzeichen, genau so wie vor vierthalbhuudert Jahren.
Die Lafetten siud wurmstichig, das Metall ist von Rost
angefressen, uud man löft diese Geschütze alljährlich nur
zur Bairamzeit, wenn ihr Dröhnen den Bekenneru des
Islam verkündet, daß der Fastenmonat Ramadan vorüber
sei. Die Böschungen der Wälle und die grasbewachsenen
Gräben sind Tummelplätze für unzählige Eidechsen.
Auch im Innern der Stadt waltet, trotz der Moscheen,
Kioske uud Miuarets, ganz entschieden der christlich-mittel-
alterliche Charakter vor; an den Bauwerken nämlich, denn
im Uebrigen sieht Alles türkisch ans. Die Griechen meinen,
daß einst der Halbmond wieder dem Kreuze weichen müsse,
und auch die Osmanen glauben, daß ihre Macht „an einem
Freitage zur Zeit der Mittagsandacht" zu Ende gehen werde.
Allwöchentlich schließen sie deshalb am Freitage Mittags die
Thore und ziehen die Zugbrücken auf.
In der Oberstadt prangt der Palast des Großpriors
der provern,'alischeu Zunge, mit Thürmeu und Wappen-
schildern; heute ist er Spital für die türkischen Soldaten
uud dann und wann auch Staatsgesäuguiß. In seinem
großem Saale hielt das Ordeuskapitel feine Berathungen.
Die Kirche des heiligen Johannes ist iu eiue Moschee ver-
wandelt worden, hat aber, gleich der Sophienkirche iu
Konstantinopel, ihren christlichen Namen behalten. Aber
die alte Pracht ist dahin; Alles im Jnuern erscheint nackt
uud kahl; von der berühmten Orgel sieht man keine Spur
und der mit Edelsteinen reichbesetzte Reliquienkasten, iu
welchem die Hand des h eiligen Johannes aufbewahrt
wurde, ist gleichfalls verschwunden. Sie war ein Geschenk,
welches der Sultan dem Großmeister gemacht hatte; aller-
diugs hatten die Mohammedaner keine Verwendung für
Ueberbleibsel von einem christlichen Heiligen. Da wo einst
der Hochaltar stand, erblickt man den Mehrab, die Kanzel,
von welcher herab die Lehren des Koran verkündigt und eiu-
geschärft werden. Die Grabsteine mit lateinischen In-
schrifteu sind zwar noch da, aber völlig mit Staub überdeckt.
Statt des Glockengeläutes hört man den Ruf des Muezziu,
der oben anf dem Miuaret steht: Allah il Allah, Mo-
hammed ressül Allah!
Einen eigentümlichen uud ergreifenden Anblick ge-
währt die berühmte Ritterstraße. Der Maler Eugen
Flaudiu, welcher im Jahre 1844 Rhodus besuchte, war
entzückt, als er sie sah. Fast an jedem Hause fand er
Wappenschilder berühmter Adelsfamilien und Kreuze. Im
untern Theile der Gasse kam er durch ein düsteres Thor-
gewölbe in die alte Ordensherberge der französischen Zunge;
jene der spanischen uud italienischen liegen ganz nahe dabei.
Flandin schlürfte, wie er sagt, überall WoHlgernch des
Ritterthums in dieser Ritterstraße ein. Mit hoher Theil-
nähme betrachtete er ein herrliches Bauwerk, desseu zugleich
ernster und zierlicher Styl einen sehr ansprechenden Ein-
druck macht. Es ist die Großpriorei der französischen
Zunge und noch wohl erhalten, obwohl ein Türke sie be-
wohnt. Er hat am Gebäude selber weiter nichts verdorben,
als daß er, des Harems wegen, manche Fenster mit Bal-
konen von Gitterwerk umstellte. (S. 35.)
In der Mitte der Ritterstraße führen ausgetretene
Stufen zu einer kleinen Steiukanzel hinauf. Diese bestieg
der Patriarch von Rhodus, wenn er, gleich Peter dem Ere-
miten, oder wie der heilige Beruhard, deu Krieg gegen
40 Ein Blick auf die Insel Nhodns.
die Ungläubigen predigte. Von ihr herab ermahnte auch j dammes (Molo) der berühmte Thurm des heiligen
der letzte Großmeister, Villiers de l'Jle Adam, zur Ausdauer Nikolaus, geschmückt mit den Löwen von Burgund,
im Kampfe gegen Sultan Soliman. ; Herzog Philipp der Gute gab das Geld zum Baue; der
Im Bazar, umgeben von Budeu türkischer und jüdischer j Thurm sollte das Arsenal gegen die Angriffe Sultan
Handelsleute, liegt das alte Chatelet, in welchen der oberste Mahmnd's des Zweiten schützen und ist noch heute mit
Nichter des Ordens wohnte. In dem Saale, wo er Recht einer Doppelreihe von Kanonen besetzt; aber am Gemäuer
sprach, verurtheilte er einen jüdischen Arzt, welcher mit ist Vieles im Verfall. Die Türken bezeichnen ihn jetzt als
Soliman einen Briefwechsel unterhielt, zur Todesstrafe; der den arabischen Thurm. (S. 33.)
Arzt sollte geviertheilt werden. Ueberall an der Küste trifft man da und dort auf eiu
Die Juden bewohnen in Nhodus ein besseres und
luftigeres Stadtviertel, als ihnen in den übrigen Städten
der Levante zu theil geworden. Sie haben alte Ritterwoh-
nungen inne. Ueberall liegen in ihren Gassen große steinerne
Kugeln umher, welche von den Türken aus gewaltigen
Mörsern in die Stadt geschleudert wurden. Dort sind sie
noch seit dein Jahre 1522, theilweise in der Straße selbst,
theils an den Häusern oder dienen als Ecksteine.
Daß auch am Hafen Alles an die Ritterzeit erinnert,
haben wir fchon gesagt. Da steht am Ende eines Mauer-
„Kastro", Burgen und Festungswerke, und auch im Innern
manche Spuren ans dem Alterthum. Flaudiu unternahm
einen Ausflug nach Lindos, der Stadt, welche schon in
vorgriechischen Zeiten stand; ihre Erbauer waren Phönizier.
Später war sie berühmt durch einen Tempel der Athene
und durch eine sehr eigeuthümliche Art der Herkules-
Verehrung. Bei dieser galt es für eine Entweihung und
Entheiligung, wenn während der Festlichkeiten Jemand ein
gnteS Wort sich entschlüpfen ließ, denn der Heros durfte
nur mit Flüchen und Verwünschungen gefeiert werden.
Burg von Lindos- Rhodns,
Nene Mitteilungen über
Lindos liegt auf einer Landzunge der östlichen Küste
unweit vom Kap St. Johann. Flandin ritt vom Dorfe
Maloua nach Masari von Norden her. Bald gewahrte er
zu seiner Linken hoch über dem Gestade eine Burg aus steilem
Felsen, welche deu Rittern einst als Lugwarte gedient. Dann
kam er nach einigen Stunden, das am Gebirge liegende Dorf
Kalathos zur Rechten lassend, auf eiue mit Säulen und
Getrümmer verschiedener Art übersäete Stätte. Auf dieser
stand einst Lindos. Der Reisende sah viele dorische Kapt-
taler umherliegen und manche Weihaltäre. Die S-tadt jci
offenbar keinen unbeträchtlichen Umfang gehabt und schein
sich an einen bis zum Gestade abfallenden Hügel gelehnt zu
haben. Jetzt wohnen dort Fischer. Der heutige Flecken
liegt am Fuß eines steilen Felsens, auf dessen Gipfel eme
Burg sich erhebt; sie steht auf dem Grundgemauer des alten
Minervatempels, und manche ihrer Gemächer sind noch
wohlerhalten, zum Beispiel die Säle der Hellebardieie, ei
die Völker im Kaukasus. 41
Ritter und des Gouverneurs; vom Tempel sind noch mäch-
tige Trümmer von Säulen, korinthische Kapitaler, Votiv-
altäre mit Thierköpfen und griechische Inschriften übrig.
Welch eiue Menge von Wandelungen hat diese Insel
erlebt seit den Tagen der Telchiuen und Heliaden! Die
Tempel des strahlenden Sonnengottes, der weisen Pallas
Athene, jene des Zeus ans dem Berge Artamiti sind zn
Trümmern geworden, gleich dem erzenen Koloß. Die heu-
tigeu „Griechen" auf der Insel wissen nicht, daß Venus
Aphrodite dort verweilte, bevor sie Cypern zum Lieblings-
anfenthalt erkor. Wo siud noch Spuren von Alexander
dem Macedouier, von Demetrius dem Städtebezwinger, von
Cicero, Pompejus und Tiberins? Auch die Kirchen der
Christen liegen im Verfall, und von den eisengepanzerten
Rhodiserrittern reden nur noch die Steine oder dann und
wann alte Türken, welche sich rühmen, daß der Halbmond
das Kreuz auch aitf Rhodus besiegt habe.
Reue Mittheilungen über die Völker im Kaukasus.
Von Theodor Lapinsk.
Zweiter Artikel.
Die Sprache der Abäsen und ihre Dialekte. — Wahrsager, Traumdeuter und Aberglaube. — Anklänge an die Sage von Prome-
theus und vom Gebirgskönig. — Die vier verschiedenen Klassen des Volkes. — Stellung der Fürsten und des^ Adels. — Die
tscherkessischen Work. — Die freien Männer und ihre Aeltesten.— Geistlichkeit.— Die Sklaven und ihre eigeuthiimliche Stellung.—
Menschenhandel nach der Türkei. — Preiskonrant für schone Kaukasierinnen. — Die angeblichen Prin^essiuneu ans Tscherkessien. —
Wohnungen der Adighe. — Patriarchalische Einfachheit. — Die Gasthiitte. — Der Familienvater. —
Sämnitliche Stämme der Abasa reden eine und dieselbe
Sprache, welche in zwei Hauptdialekte zerfällt. Die im
Norden und Nordosten wohnenden, wie die Schapsucheu,
Abesecheu und Kabardiner, sprechen den Adighe-Dialekt; die
südlichen Abasa, wie die Ubuch, die Bewohner des Fürsten-
thunis Abasien, die Schnhaueten und Osseten sprechen deu
südlichen Dialekt. Diese zwei Hauptdialekte siud stark von
einander verschieden, ungefähr wie das Plattdeutsche vom
Hochdeutschen. Sie theilen sich noch in einige untergeordnete
Dialekte, bei denen aber nur die Aussprache einen geringen
Unterschied bildet. In der Kabarda sind viele grusische und
tatarische Wörter eingemischt; eben so viele tatarische bei
den kleinen Grenzstänunen von Abesch, welche ursprünglich
Tscherkessen waren. Die Adighe-Sprache hat nicht die
geringste Aehnlichkeit mit irgend einer andern. Die Aus-
spräche ist schwierig wegen der vielen Gurgeltöne, auch
redet der Eiugeborue gewöhnlich sehr schnell und verschluckt
viele Silben, so daß es schwer ist, die Worte zu erhaschen.
Uebrigeus ist diese Sprache ziemlich reich, und zum Gesang
wie zur Poesie weit geeigneter als die türkische. Die Adighe
haben für ihre Sprache keiue Schriftzeicheu, deswegen beruht
auch ihre gauze Geschichte nur auf Traditionen und Sagen,
^eit der Verbreitung des Mohammedanismus hat die Sprache
Koran, die arabische, bedeutende Fortschritte gemacht.
In Abesech und in einigen Theilen der Ebeue von Schap-
'"ch sind geistliche Schulen angelegt, wo der Koran und die
bische Schrift gelehrt werden; zur Zeit meiner Anwesen-
Hit tonnte die Zahl der lernenden Knaben auf fast tausend
"" 6 ^ u z e ii Lande veranschlagt werden.
Ulle Dokumente werden jetzt in der arabischen Schrift
ausgestellt, die Richter und Aeltesten haben den mohamme-
Globus für 1862. Nr. 26.
danischen Gebrauch angenommen, ihre Siegel, ans denen
ihr Name in arabischen Schriftzügen eingeschnitten ist, statt
ihrer Unterschrift aufzudrücken. Die Schriftkundigen, deren
es hente noch wenige giebt, deren Zahl sich jedoch über-
raschend schnell vermehrt, haben es auch versucht, eine Art
arabischer Schrift für die Adighe-Sprache einzuführen,
jedoch ist dies bis jetzt ohne Erfolg geblieben.
Die türkische Sprache wird nur von den Sklaven-
Händlern oder von Solchen geredet, die eine Zeit lang
in Konstantinopel gelebt haben; auch an beit Ufern des
Schwarzen Meeres fiudcl mau hier und da einige Individuen,
welche durch deu Verkehr mit türkischen Handelsleuten etwas
Türkisch gelernt haben und den Letzteren als Dolmetscher
dienen.
Unter den Bewohnern der Ebene an der russischen
Grenze trifft man Leute, welche manchmal in Verkehr mit
deu Nüssen gestanden, anch im Kriegsdienste oder in Kriegs-
gefaugeuschast beim Feinde gewesen und mehr oder minder
Russisch sprechen; doch ist ihre Zahl gering. Es ist natürlich,
daß europäische Sprachen, Schriftzeichen und Literatur-
produkte einem Volke unbekannt sind, das vor deui orieuta-
tischen Kriege nur geringe Kenutniß von der Existeuz Eu-
ropas hatte und die ganze Welt für russisch oder türkisch
hielt. Die jungen Adighe haben eine außerordentliche Lern-
begier und gute Anlagen; in Konstantinopel schwingen sich
die verkauften Sklavenknaben oft zu hohen Würden empor;
um das zu lernen, was der Türke lernt, braucht der Adighe
nicht die Hälfte der Zeit. Oft sah ich Knaben, denen irgend
ein altes Buch, ein gedrucktes oder geschriebenes Blatt Papier
in die Hände gefallen, den Soldaten nachlaufen und sie
inständigst bitten, ihnen doch das, was darin geschrieben
6
42 Neue Mittheilungen über
stehe, zu erklären. Zwei Knaben von dreizehn bis vierzehn
Jahren, welche sich die Freundschaft eines Unteroffiziers
erwarben, lernten binnen einem Jahre nicht nur die pol-
nische Sprache reden, sondern auch so ziemlich leseu und
schreiben. Mit einer Bleifeder deu krausen Charakteren des
Bnches folgend und ein Stück Papier vor sich, waren sie
im Stande, halbe Tage zu buchstabiren und zu kritzeln, ohne
sich zu rühren, und vergaßen oftmals ihr Essen.
Eben so wenig wie die Adighe Schriftzeichen für
ihre Sprache haben, besitzen sie irgendwelche Denkmäler.
Außer deu steinernen und hölzernen Kreuzen sah
ich iu deu Bergen nichts, was über die Vergangen-
heit dieses Volkes Ausschluß gebeu könnte.
Als wissenschaftlich gebildete Männer gelten bei ihnen
die Tranmdenter, die Wahrsager, die Sagen- und Märchen-
erzähler. Die Träume spielen bei diesem Volk eine große
Rolle. So oft eine Anzahl Abasa, Alt oder Jung, Männer
und Weiber, zn einer ernsten Handlung oder zu ihrem Ver-
gnügen zusammen kommen, beginnen sie sich nach der Reihe
ihre Träume zu erzählen, die von Auslegern gedeutet werden.
Es gibt auch, so zu sagen, amtliche Tranmdenter, ge-
wohnlich alte Männer oder Weiber, die, gleich ihren Ge-
nossen in allen Ländern, nicht gern umsonst ihr Geschäft
verrichten. Die Worte solcher Traumdeuter haben ein großes
Gewicht, denn der Abasa unternimmt nichts, oder doch nur
höchst ungern, was ihm der Traumdeuter widerräth.
Wider Willen und Wissen prositirte ich einmal von
diesen: Aberglauben. Neugierig, einen solchen Zauberer zu
sehen, bestellte ich einen der renommirtesten Traumdeuter
zu mir. Ich fand ihn eben so wohl geschult, wie es seine
Kollegen in Europa sind, mit dem Unterschiede, daß er,
weder Bücher uoch Karten kennend, aus Erbseu, Hammel-
Wochen, aus der flachen Hand u. f. w. mir eine sehr glän-
zende Zukunft und viele wünfcheuswerthe Diuge vorher-
sagte, die leider uicht eingetroffen sind. Ich behandelte ihn
artig und entließ ihn mit einem kleinen Geschenke. Wenn
mir aber anch seine Prophezeiungen keinen Nntzen brachten,
so gereichte mir dagegen seine Freundschaft zu großem Vor-
theile. Alle Träume, die er vou nun an deu Abäsen ans-
legte, hatten immer irgend einen vorteilhaften Bezug auf
mich und meine Truppe; doch setzte uiich dafür der gute
Prophet häufig iu Kontribution, und als ich das Land ver-
ließ, kam er trotz seines vorgerückten Alters, um mir
Lebewohl zu sageu und noch ein Geschenk zu erhaschen, und
prophezeite allen, daß ich bald wieder zu ihnen zurückkehren
werde.
Uuter deu unzähligen Sageu ist eiue, welche nur die
Tradition der Sage vom Prometheus seiu kann und
aus den Urzeiten herstammen muß, da der Kaukasus ein
Verbannungsort der Griechen war. Alle Völker des Kau-
kasus kennen die Sage auf eiue oder die andere Art. Der
Abasa erzählt sie also: Ans dem hohen Berge, auf welchem
der ewige Schnee liegt ler meint den Elbrus), befiudet sich
auf dem obersten Gipfel eine große, runde, sehr schwere
Steinplatte. Auf der Mitte dieser Platte sitzt ein uralter
Greis. Schneeweißes Haar bedeckt sein Haupt, seiu Bart
reicht bis au die Füße, sein ganzer Körper ist mit weißen
Haaren dicht bewachsen, seine Nägel an Händen und Füßen
sind lang und wie die Klanen des Adlers geformt, seine
Augen roth und leuchtend wie glühende Kohlen. Um den
Hals, um die Mitte des Leibes, an Händen und Füßeu
trägt er schwere eherne Ketten, welche an die Steinplatte
angeschmiedet sind. So sitzt und leidet er seit Jahrtausenden.
Er war früher einer der bestcu Diener des großen Tha
(Gottes) und ward von diesem seiues großen Verstaudes
und seiner Frömmigkeit wegen noch bei Lebzeiten zum ver-
die Völker im Kaukasus.
trauten Umgange zugelassen. Da kamen schlechte Gedanken
in seinen Kopf, er wollte eben so mächtig und noch mäch-
tiger werden als der große Tha selber, und da er viele seiner
Geheimnisse kannte und alles zu wisseu glaubte, so suchte
er ihn zu stürzen. Ein langer Krieg entspann sich, zuletzt
wurde der Tollkühne besiegt und zur Strase auf deu hohen
Berg angeschmiedet. Nur wenige Menschen konnten ihn sehen,
denn das Hinaufsteigen zn ihm ist mit tausend Gefahren
verbunden; Niemand aber konnte ihn zweimal sehen, nnd
solche, die den Versnch machten, sind nie mehr zurückge-
kommen. Doch giebt es Greise iu deu Bergen, die ihn ge-
sprochen, aber es ist ihnen verboten, alles zu sagen, was
sie gesehen und gehört. Ihr Bericht tautet, daß der Alte
sehr fröhlich und munter sei, wenn er einen lebendigen
Menschen erblickt; er fragt jeden nach drei Dingen; ob
Fremde bereits das Land durchziehe» und Städte und Dörfer
angelegt siud; ob schon im ganzen Lande die Jugend in
Schulen gebildet wird und ob die wilden Obstbäume viele
Früchte tragen. Er erkundigt sich mit vieler Begierde uach
diesen drei Sachen und weuu er, wie gewöhnlich, eine ver-
neinende Antwort erhält, ist er außer sich vor Betrübuiß.
Der Glaube au diese Sage ist allgemein.
Noch viele Sagen und Märchen von verzauberten
Bergen, wo böse Geister große Schätze bewachen, von ge-
slügelten Pferden u. f. w. sind im Umlauf. Auch giebt es
Prophezeiungen, daß, wenn der Feiud bis zu dieser oder
jener Stelle vorrückt, das Land unterjocht seiu wird. Zwischen
Mesib und Pschat erhebt sich in schwer zugänglichen Bergen
eine Steinmasse, wie man sie wohl selten auf Erden erblickt.
Drei Steine besonders haben eine fabelhafte Größe. Die
Sage will wissen, daß unter diesen Steinen ein alter Ge-
birgskönig mit seinen Schätzen begraben liegt, und sein
Geist jetzt die Schätze bewacht nnd jedem Feinde das Nahe-
treten an sein Grab verwehrt. Wenn feindliche Scharen
einmal um diese Gräber lagern werden, so ist es aus mit
der Freiheit der Berge. Ich fragte, ob man bis jetzt nicht
in den vorgeblichen Gräbern nachgesucht habe. Die Leute
sahen mich mit Erstaunen an und bemerkten, daß dies bei
der großen Steinmasse, welche dieselben bedeckt, nicht möglich,
auch ein solcher Versuch noch in anderer Hinsicht gefährlich
fei. Doch forderten mich die Verwegensten aus, den Versuch
zn unternehmen. Ich ließ wirklich einen Stein in die Lust
sprengen, iu der Hoffnung, irgeud einen interessanten Fuud
zu machen. Aber Graben nnd Suchen war vergebens, ich
verlor nur Zeit, Mühe und eiue Meuge Pulver, das ich
vorteilhafter am Kuban gebrauchen konnte.
Im Lande der Abasa giebt es vier Kasten und zwar;
Fürsten (Pschi), Ritter (Work oder Esdeu), Freie
(Tsokol) und Sklaven (Pschitli). In dem südlichen
Abasien, das in einem stillschweigenden Waffenstillstände
mit den Rnssen lebt, in dem Fürstenthum Abasien und be-
sonders iu der Kabarda, ist die Zahl der Pschi und Work
sehr groß, sie haben noch ihre Prärogative beibehalten, und
ihrem Einflüsse ist es zuzuschreiben, daß die südlichen
Stämme den Kampf aufgegeben. In der Kabarda ist dieser
Adel tscherkesfifcher oder tatarischer Abkunft, in den ande-
ren Stämmen siud es Abasa, welche zu verschiedener Zeit
und ans verschiedene Weise den Adelstitel usurpirt haben.
In dem nördlichen Theile giebt es zwar noch viele Ritter--
familien, aber sie haben nicht nur ihre Prärogative, sondern
anch alles und jedes Ansehen verloren. Sie sind, einige
wenige abasische Familien ausgenommen, in den Ländern
Schapsuch nnd Abesech durchaus tscherkesfifcher, iu Ubuch
abasischer Abkunft. Es giebt int Adighe-Lande nur vier
Pschi-Familien; die Zanzade in Schapsuch, dereu letzter
alleiniger Sprößling gegenwärtig Karabatir Ibrahim, Sohn
Neue Mittheilungen über die Völker im Kaukasus.
43
des verstorbenen Sefer Pascha, ift; die zahlreiche Familie
des Fürsten von Bsedoch; die Fürsten von Temirgoi und
die Fürsten von Hatohai. Außerdem giebt es noch im
Lande zerstreut einige hundert Höfe, welche von den Ab-
kömmlingen der Work bewohnt sind. Diese Tscherkessen
bilden noch heute einen besondern Stamm der Esden Tlako,
und Heirathen nur untereinander; deswegen hat sich die
tatarische Race noch fast rein unter ihnen erhalten. Von
den Abasa immer mehr gedrängt und verfolgt, waren sie
gezwungen, zur Sicherheit ihrer Person und ihres Eigen-
thnms sich in die abasischen Stämme aufnehmen zu lassen.
sind noch immer wohlhabender als die Abasa, da sie
mehr Land und viele Sklaven besitzen; sie erinnern sich mit
Schmerz an ihre verlorene Größe und halten immer zu-
sammen; sie sind keine sehr guten Patrioten, und viele
von ihnen dienten den Nnssen, denn es würde ihnen
sehr wohl gefallen, wenn das russische System
in ihrem Lande zur Geltung käme. Die Russen,
welche von der Mitwirkung dieser Work sich sehr viel ver-
sprachen, behandelten sie mit vieler Auszeichnung und waren
mit deu Fürsteutiteln, die sie jedem Work gaben, nicht geizig.
Aber anstatt sich damit etwas zu erwirken, schadeten sie
nur ihrem Einflüsse, denn es ist sicher, daß nicht nur eiu
schlechter, sondern selbst ein guter Rath, wenn er von einem
Pschi oder Work herrührt, vou den Abasa nicht befolgt
wird, die jene auch von allen Landesberathungen ausge-
schlössen haben. Doch giebt es unter den Work einige,
leider nur wenige abasische Familien, welche sich mit den
Russen nie in Unterhandlungen eingelassen und es immer
mit dein Volke gehalten haben; unter anderen verdienen die
Zaziok in Dschubo, die Abat am Abin, die Bersek und Brak
in Ubuch eine ehrenwerthe Erwähnung. Dank diesen
Familien haben sich die Reste der Tscherkessen, die
Pschi und Work, noch im Adighe-Lande erhalten können;
denn die Abasa haben schon in vielen ihrer Volks-
Versammlungen ernstlich darüber berathen, ob es
nicht besser sei, diese ganze fremde Kaste zn ver-
uichteu oder zu den Russen, ihren Protektoren, zu
jagen. Sie beschäftigen sich wenig mit Ackerbau und
lassen das Land, wenn sie solches im Besitz haben, durch ihre
Sklaven bebauen. Haben sie jedoch keinen Grund und Boden,
so ziehen sie im Laude von Hans zn Haus herum und leben
gut, da die abasische Gastfreundschaft gebietet, Jeden zu be-
Herbergen und zu speisen. Sie erfinden sich auch allerlei
Beschäftigungen, bei denen sie ohne Anstrengung etwas
prositiren können. So zum Beispiel ersinnen sie sich ver-
schiedene politische Botschaften von Seiten der Adighe, die
davon nichts wissen, gehen nach Konstantinopel, belügen
dort die Türken auf alle Weise, und wenn sie etwas Geld
zusammengebracht haben, kommen sie wieder zurück, mit
Schriften und Briefen, die sie für Fermane des Sultans
ausgeben und sich damit wichtig machen. Seit dem letzten
orientalischen Kriege ist es auch Mode geworden, Briefe, in
weiß Gott was für einer Sprache geschrieben, von den
fremden Gesandtschaften in Konstantinopel an das Adighe-
Volk zu überbringen. Alle diese Betrügereien werden von
den Work ausgeheckt, um ihr verlorenes Ansehen wieder
zu erlangen. Viele dienen jetzt den Russen als Weg-
Weiser oder Spioue. Schade, daß diese Kaste auf einen
^ schlechten Weg gerathen ist, denn sie sind tapfer vor dem
munde und haben Lust und Mnth znm Kriege. Alle Work
uud mit Ausnahme einiger weniger abasischer Fami-
uen, sind fanatische Mohammedaner. Sie sind am zahl-
reichsten in Ubuch, ziemlich zahlreich in Abesech, aber nur
sehr vereinzelt in Schapsnch zu finden.
Die Masse des Volkes bilden die Abasa oder
Adighe, welche, wie schon früher bemerkt, in Stämme und
Familien getheilt sind. Jeder Adighe ist Tsokol (Freier
zum Stamme Gehöriger), und die Pschi und Work werden,
wenn sie sich in einen Stamm aufnehmen lassen, anch
Tfokol und treten in die Rechte und unter den Schutz des
Stammes. Unter den Tfokol giebt es keinen Stan-
desUnterschied; sie leben in voller Gleichheit mit
einander. Die Aeltesten aus der Mitte des Volkes sind
Richter, Führer und Rathgeber, man nennt sie Thamata
(d. h. Aeltester, Anführer, Geistvoller oder Geistreicher).
Sie werden weder durch Stimmenmehrheit gewählt, noch
ist ihr Amt erblich. Ein größeres Vermögen uud eiue zahl-
reiche Familie, tapfere Thaten vor dem Feinde, schärferer
Verstand, Beredtsamkeit, in neuerer Zeit Schriftgelehrtheit
im Koran, vor allem aber ein vorgerücktes und erfahrnngs-
reiches Alter verleihen einen Anspruch darauf, im Rath der
Alten und im Gerichte seiner Nation Sitz und Stimme zu
haben. Jedoch ist auch der Beschluß der Thamata nicht
allmächtig, denn wenn das Volk nicht damit zufriedeu ist,
so erfüllt es nicht den Willen der Alten, nnd ein Zwangsver-
fahren ist nicht möglich.
Die Geistlichkeit im Adighe-Lande kann man in
zwei Klassen theilen. Die erste ist die alte christlich-Heid-
nische, Dschinr genannt, welche, der Schrift unkundig, nie
in großem Ansehen gestanden, und deswegen gegen die
mohammedanische, welche mit dem geheimniß- und weis-
Heitsvollen Koran, deu, wie man den Adighe sagte, der
große Tha selbst geschrieben, ihnen entgegen trat, sehr im
Nachtheile war. Diese alten Priester üben nur uoch in
einigen Gegenden längs den Ufern des schwarzen Meeres
offen ihre Gottesdienste und Gebräuche; in einem großen
Theile beten sie nur insgeheim, und werden von der
neuen mohammedanischen Geistlichkeit gehaßt und
verfolgt. Die letztere hat seit vierzehn Jahren, seit der
Ankunft des Naib Mahomet Emin, im Lande eine große
Ausbreitung und ein großes Ansehen gewonnen. In vielen
Jnneh-is sind hölzerne Moscheen errichtet, von denen die
Gebetsstunden abgerufen und woselbst die Gebete ver-
richtet werden. Der Naib versuchte auch uach dem Bei-
spiele Schamyl's die Einführung der Muriden. Da Faul-
lenzen und Berauben derjenigen, welche die Vorschriften
des Korans nicht annehmen oder befolgen wollten, außer
häufigem Gebete die Hauptbeschäftigung dieser neuen reli-
giösen Gesellschaft war, so fand er im Anfang viele Pro-
selyten, aber bald widersetzte sich der gesunde nnd freie
Sinn des Volkes dieser fanatischen Institution und sie siel
in Mißkredit. Heute findet man hier und da einige zer-
lumpte Landstreicher, welche die Gastfreundschaft und deu
Aberglauben des Volkes, wo sie es noch vermögen, ans-
beuten und die türkischen Heiligen spielen, aber sie sind
mehr ein Gegenstand des Gelächters, als der Ehrfurcht.
Die niedrigste Stufe iu der Gesellschaft des Adighe-
Volkes bilden die Pschitli, Sklaven.*) Die Sklaverei
ist eine tatarische Sitte, welche die Tscherkessen unter den
Abasa einführten. Die Sklaven find Abkömmlinge der
Kriegsgefangenen und der in Südrußland, in der Tscherno-
mora, in Georgien nnd bei den verschiedenen Stammes-
zwistigkeiten geraubten Weiber nnd Kinder, so wie derjenigen
Adighe, welche durch einen Gerichtsspruch zu Sklaven ge-
macht wurden. Ihre Zahl ist bedeutend, aber nicht in allen
Landestheilen gleich. In Ubuch bilde« sie fast den vierten
Theil der Bevölkerung, in Abesech den zehnten, in Schapsnch
*) Das Wort Pschitli ist aus den zwei Wörtern Pschi, Fürst
uud Tli (dessen oder sein) zusammengesetzt, nnd bedeutet Eigen-
thum des Fürsten.
6*
44 Neue Mittheilungen über
x
kaum den zwanzigsten. Man muß sich von dem Stande des
Sklaven nicht die Vorstellung machen, die mau allgemein
mit der Bedeutung des Wortes verbindet. Der russische
Leibeigene könnte den Stand des abasischen Sklaven mit
Recht beueideu. Der Sklave arbeitet nicht mehr und
nicht weniger als sein Herr. Er ist bewaffnet und seine
bewegliche Habe ist sein Eigenthum. Die Sklavenfamilie
hat ihre eigene Wohnung, ein Stück Feld zur eigenen Be-
nutzung, und oft sind Sklaven im Besitz einer beträchtlichen
Anzahl von Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen. Der
Eigenthümer kann den Sklaven nicht willkürlich behandeln,
und dieser hat das Recht, seineu Herrn vor Gericht
zn laden und gegen ihn Klage zu führen. Kann er-
es bei seinem Herrn nicht aushalten, so begiebt er sich mit
seiner Familie und beweglichen Habe zu einem Nachbarn
und sucht bei demselben so lange Schutz, bis fein Prozeß
entschieden ist. Da ferner im schlimmste» Falle Sklaven
leicht ans einem Lande in das andere, wie zum Beispiel von
Schapsuch nach Abesech oder Ubnch fliehen können und die
Frage ihrer Herausgabe häufig langwierige Prozesse oder
gar Kriege veranlaßt, so nehmen sich diejenigen, welche
Sklaven besitzen, sehr in Acht, dieselben nicht zum Aenßersteu
zu treiben.
Seine Freiheit gewinnt jedoch der flüchtige Sklave
nicht, denn überall, wohin er kommt, wird er als Sklave be-
trachtet; er hat nur die Freiheit, sich seinen neuen Herrn zu
wählen. Die Sklaven Heirathen nur unter sich, der Eigen-
tümer muß seinen Sklaven oder dessen Weib kaufen, doch
darf er ihm keine Frau, die dieser durchaus uicht will, auf-
drängen; heirathet ein freies Weib einen Sklaven, oder ein
freier Mauu eine Sklavin, so sind sie und ihre Kinder frei.
Kinder aber, deren Eltern uicht frei siud, bleiben das Eigen-
thnm ihres Herrn. Kein Sklavenkind kann ohne Bewilli-
gnng seiner Eltern verkauft werden, und der fünfte Theil
des Verkaufspreises fällt der Familie des Verkauften zu.
Im Lande selbst ist der Einzelverkauf nicht Sitte;
immer werden ganze Familien zusammen verkauft.
Der Eiuzelverkauf findet nur in der Türkei statt.
Noch eine Eigentümlichkeit. Die Sklaven werden als
ein besonderer Stamm, Pschitli-Tlako, betrachtet und haben
bei Gericht ihre Vertreter, halten auch ihre Versammlungen
und vertheidigen gemeinsam ihre Rechte. *)
Bei den Pschi und Work findet man die größte Anzahl
Sklaven, doch trifft es sich selten, daß ein Eigenthümer mehr
als vier oder fünf Sklavenfamilien, d. h. über achtzig bis
hundert Individuen beiderlei Geschlechts besitzt. Ein be-
trächtlicher Handel mit Sklaven wird nach der Türkei
getrieben, und zwar meistens durch türkische Sklavenhändler,
welche ihre Kompagnons im Lande haben und aus diesem
Handel einen großen Gewinnst ziehen. Am meisten begehrt
sind Kinder von sechs bis zwölf Jahren oder junge Männer,
die, zum Soldatendienst, tauglich von den Türken als Stell-
Vertreter in die Armee gekauft werden. Erwachsene Mädchen
von besonderer Schönheit sind auch gesucht; doch ist diese
Waare unsicher, denn gewöhnlich kann sich ein solches
Mädchen an das neue Leben in der Türkei nicht gewöhnen
und es siecht, trotz der Bequemlichkeiten, mit denen es in
den meisten türkischen Harems umgeben ist, bald dahin. Es
ist ihr bange in den Städten, in den großen prunkvollen
*) Mord ode^Berwundnng eines Sklaven wird mit dem Ver-
lust des Rechtes, Sklaven zn besitzen, und mit einer schweren Geld-
strafe geahndet, welche der Schuldige an den Sklavenstanun be-
zahlen nms;, wenn er nicht ein Opfer der Blutrache werden will.
Nach mohammedanischem Rechte soll jeder Sklave, welcher den
Glauben annimmt, nach sieben Jahren frei erklärt werden; aber
dieses Gesetz wird weder in Abasien, noch in der Türkei befolgt.
ie Völker im Käukasus.
Gemächern, in denen sie nicht nach Herzenslust toben nnd
springen kann, wie in ihren Bergen; das Heimweh wird
manchmal zur unheilbaren Krankheit nnd ost giebt es kein
anderes Mittel, die armen Mädchen vom sichern Tode zu
retten, als sie in ihre Berge zurückzuschicken. Nur die in
zarter Kindheit nach der Türkei Gebrachten gewöhnen sich
an das türkische Leben, vergessen selbst ihre Sprache und
sehnen sich dann nicht mehr zurück. Altere Leute werden
äußerst selten verkauft. Die Preise sind verschieden. Ein
Knabe wird im Laude uie unter 199 Silberrubel verkauft;
ein Mädchen, wenn es nur halbwegs wohlgebildet ist, er-
reicht den Preis von 399, übersteigt aber fast nie den von
599 Rubel, der Stellvertreter zum Militärdienste kostet ge-
wohnlich 299 Rubel. Der Sklavenhändler gewinnt fast
immer das Drei- oder Vierfache, oft auch das Zehnfache;
eitle Schönheit, welche in die höchsten Harems oder in das
Serail des Sultans gekauft wird, ist manchmal mit 59- bis
199,999 Piastern (ungefähr 2599 bis 5999 Thaler) be-
zahlt worden; von höheren Preisen habe ich nie gehört.
Manche Abasa führen ihre Sklaven selbst nach Konstan-
tinopel zum Verkauf und warten oft Monate lang, bis sie
ihre Waare los werden. Viele, auch besonders aus Ubuch,
sowohl Edle wie Freie, bringen ihre eigenen Kinder
fort und verkaufen sie als Sklaven, doch ist dies eine
Schande nnd zieht im Lande Verachtung nach sich. Andere
bringen ihre Töchter, wenn sie sehr schön sind, nach Kon-
stantiuopel, um sie au Türken zu verheirathen und einen
hohen Brautpreis zu bekommen; die Türken ziehen es oft-
mals vor, ihren Söhnen abasische Mädchen zn Frauen zu
geben, da die Berschwägeruug mit anderen türkischen Fa-
milien nicht selten ihre unangenehmen Seiten hat. Die
Meisten kaufen ganz einfach Sklavenmädchen, die sie in
ihren Harems zn Frauen für ihre Söhne erziehen lassen.
Die Nation der Ubuch, woselbst die größte Zahl Sklaven
gesunden wird, liefert das bedeutendste Kontingent in die
Harems von Konstantinopel, und durch diesen Handel haben
die Ubuch die meiste Verbindung mit den Türken. Die
Letzteren lassen sich wissentlich oder auch unwissentlich von
den schlauen Abasa hinter's Licht führen. Die Sklaven-
kinder, von denen die männlichen sich oft zn hohen Staats-
würden in der Türkei emporschwingen, die weiblichen oft
eine glänzende Heirath machen, bilden meistens den Türken
ein, daß sie von fürstlicher Abstammung feien, was jene
gern glauben und Andere glauben machen. Auch halten
alle in die Türkei verkauften Abasa immer zu einander und
unterstützen sich gegenseitig. Ein solcher emporgekommener
Sklave findet in jedem nach Konstantinopel kommenden Abasa
leicht einen Dienstgefälligen, der sich gern zu seiner Ver-
wandtfchaft bekennt; die Leute von Ubnch nehmen besonders
gern solche Verwandtschaft mit emporgekommenen Sklaven
auf sich, und da jeder Bewohner von Ubuch weiß, daß er
mit dem Titel Bey (Fürst) von den Türken lieber gesehen
wird, so nehmen sie alle diesen Titel an. Die guten
Türken, welche nicht wissen, daß in ganz Ubuch keiue einzige
Fürstenfamilie existirt, sind überaus froh, eilte für ein paar
hundert Thaler gekaufte tfcherkeffifche Prinzessin zur
Frau zu haben.
Die Verleugnung ihrer Abstammung würde noch kein
so arges Verbrechen sein, — schlimmer ist es, daß alle in
der Türkei lebenden Abasa nicht einen Funken von wahrem
Patriotismus und uneigennütziger Liebe zn ihrem Vater-"
laude besitzen. Von verkauften Sklaven kann dies nicht so
sehr Wunder nehmen, aber es giebt anch eine große Anzahl
Freie, welche unter deu Türken in dem mohammedanischen
Fanatismus die alte Vaterlandsliebe des Abasa ersticken.
Man kann die Zahl der in der Levante lebenden Abasa nahezu
Neue Mitteilungen übe,
auf r)0,0(K) Individuen beiderlei Geschlechts annehmen, von
denen die Mehrzahl sich in guten Verhältnissen befindet, und
viele sogar bedeutende Reichthümer besitzen. Sie sind stolz
darauf, Adighe oder, wie man in Konstantinopel und in
Europa sagt, Tscherkessen zu sein; sie prahlen gern mit
ihrer Nationalität, und geben sich, wenn sie auch Sklaven
sind, für Verwandte und Brüder der um ihre Freiheit
kämpfenden Krieger aus; aber es ist unerhört, daß ein in
der Türkei ansässiger Adighe nur das geringste persönliche
oder pekuniäre Opfer für sein Baterland gebracht hätte. In
Konstantinopel erblickt man einzig die lllntch als Vertreter
Adighe, während die Abesech und die zahlreichen, in
ewigem Kampfe begriffenen Schapsuch fast unbekannt sind,
^jes erklärt sich dadurch, daß neun Zehntel der in der
Türkei befindlichen abasischen Sklaven aus Ubuch kommen,
und das Adighe-Land den Türken eben so wenig bekannt
ist wie den Europäern. Die Folgen hiervon waren unheilvoll
für das Land; Charlatane aus Ubuch und einige ver-
schwitzte Work, unterstützt von den Sklaven in Konstanti-
nopel, betrogen sowohl die Pforte als auch die Ge-
sandtschasten der verbündeten Mächte und beuteten
während des letzten orientalischen Krieges das Interesse für
ihr Land zu ihrem eigenen Vortheil aus.
Man würde sich gewaltig irren, wenn man sich den
zum Verkaufe bestimmten Abasa als unglückich, niederge-
schlagen und verzweiflungsvoll vorstellt. Im Gegentheil:
der Gedanke, nach Stambnl, der goldenen Stadt, zu kom-
men, wo der Padifchah, der Beherrscher der Welt, thront
— dieser Gedanke ist der Traum, der das junge Mädchen
von Kindesbeinen an verfolgt. Oft geschieht es unter
Freien, daß Bruder und Schwester sich verabreden und die
Letztere verkauft wird; dadurch wird jener in den Stand
gesetzt, feine Wirthschaft zu vergrößern, seine Waffen reich
beschlagen zu lassen, sich mit Pulvervorrath zu versehen oder
ein Weib zu kaufen; sie hingegen macht zuweilen, besonders
wenn sie schön ist, eine glänzende Heirath, und dann kommt
es, obschou selten, vor, daß sie sich des fernen Bruders er-
innert (der natürlich in Stambnl nicht weniger als Fürst
sein kann) und ihm von ihrem Ueberflnsse etwas in die Berge
schickt. Der Fall, daß ein nach der Türkei gewander Abasa
je, wieder in seine Berge zurückgekehrt wäre, ist unerhört.
Die Wohnungen der Adighe sind von patriarcha-
lischer Einfachheit. Jeder Hof ist solgenderniaßen angelegt.
Ein hoher, gut geflochtener Zaun, oben mit einem Dornen-
kränze versehen, schließt einen unregelmäßigen Platz ein.
Die Mitte des Platzes ist leer. Auf der einen Seite in
einem Halbkreise sind die Hütten, auf der andern die Ein-
zäunungen für das Hornvieh und die Stallungen für Schafe
und Ziegen. In der Mitte der Hütten befindet sich die
Juneh-schnha (Hauptgebäude oder großes Haus), wo der
Faunlienches mit seinem Weibe und den Kindern, die noch
nicht das zwölfte Jahr erreicht haben, wohnt. In dieser
Hütte wird cinch die bedeuteudste Habe der Familie aufbe-
wahrt; Betten, eiserne Kochgeschirre, kupferne Wasserkrüge,
Kisten mit Kleidern, Leinwand, Saffian, sowie der Vorrath
an Waffen uud Pulver. Die Hütte ist entweder von Holz
oder auch nur von geflochtenen Weidenrnthen. Die Wände
süld gut mit Lehm ausgeschmiert und auswendig wie in-
wendig geweißt; der Fußboden ist von festgestampftem Lehm;
das Dach von Brettern, über welche noch meistens Stroh
gelegt und das von Querbalken getragen wird; der Plafond
s! ^^^hulich so niedrig, daß man oft mit dem Kopfe an-
stoßen kann, und besteht nur aus Balkeu, so daß man von
innen das Dach sieht. Eiu großer Heerd mit einem Kamin
von Brettern oder Flechtwerk und mit Lehm ausgeklebt, be-
findet sich iu der Mitte; au beiden, oft auch nur an einer
die Völker im Kaukasus. 45
Seite des Heerdes sind kleine Erhöhungen, welche die Bett-
stellen abgeben. Die Thüren sind von starkem Eichenholz
uud können nur von innen durch Vorschieben eines hölzernen
Riegels verschlossen werden. Glasfenster sind nnbe-
kannt. Eine kleine Oesfnnng in der Wand, mit einem
Feusterladeu versehen, dient zur Erhelluug der Stube, welche
im Winter, wenn Thüre und Läden geschlossen sind, durch
das Heerdseuer erleuchtet wird. Unter demselben Dache,
nur durch eine leichte Wand getrennt, ist an jeder Hütte
ein kleiner Pferdestall augebaut, iu welchem vier bis sechs
Pferde stehen können. Die Stallthür wird durch einen
aus der Stnbe von innen vorgeschobenen Balken geschlossen.
Eine solche Hütte bildet eine einzige Stube; manchmal wird
die große Hütte durch eiue leichte Wand in zwei Abthei-
lungeu getrennt; in der einen wohnt die Familie, iu der
andern wird ihre Habe aufbewahrt. Soust sieht man weder
ein Schloß noch einen eisernen Nagel am ganzen Hanse.
Die innere Einrichtung ist sehr einfach; sie besteht nur aus
Nohrdeckeu und darauf gelegten kleinen Polstern; Tische
und Stühle sind unbekannt, auch Bänke selten.
Das Bettzeug wird bei Tage zusammengelegt und erst zur
Zeit des Schlafengehens ausgebreitet.
Trotz des mehr als bescheidenen Ansehens sind diese
Hütten recht wohnlich, da sie sehr reinlich gehalten werden.
Doch sind sie kalt im Winter, der Wind bläst manchmal
Schneeflocken durch den großen Nanchfang in die Stnbe,
und obfchon das Holz nichts kostet uud das Feuer fort-
währeud brennt, wird die Stube nicht warm, und während
man sich vorn vom Feuer braten läßt, friert man an der
Rückseite. Alle abasischen Hütten sind sich vollkommen gleich
und ihre innere Einrichtung ist dieselbe. In demselben Hofe,
wo die Eltern wohnen, haben auch ihre Kinder abgesonderte
Hütten. Jeder verheirathete Sohn hat seine eigene Hütte
für sich und seine Familie; ebenso die erwachsene Tochter,
uud ist die Familie zahlreich, so stehen zwölf bis fünf-
zehn solcher Hütten im Hose, alle mit der Front
gegen die Mitte des Platzes gekehrt. Ungefähr
zwanzig Schritte von der großen Hütte sind die Speicher und
Lebensmittel-Magazine, jedes auf vier starken, bis drei
Schuh hohen Pfählen erbaut. Diese Speicher siud klein,
aber zahlreich, und bei den Wohlhabenden findet man oft
zehn oder mehr solcher Gebäude. An der Rückseite der
Hütten stehen auch die wohlumzäunten Hen- und Stohschober,
schlechtverwahrte Stallungen für Büffel, Schafe und Ziegen,
Schuppen für Hausgeflügel uud eiue Einzäunung für das
Hornvieh, das Sommers und Winters unter freiem Himmel
steht. Obst- und Gemüsegärten in besonderen Umzäuuun-
gen schließen sich an den Hof an.
Ist der Hofbesitzer Herr einer oder mehrerer Sklaven-
samilien, so sind die Höfe derselben nahe an dem ihres
Besitzers und vollkommeu nach dem beschriebenen Muster
gebaut, so daß sich eiu von Sklaven oder Fürsten bewohnter
Hof durch nichts unterscheidet. Ledige Sklaven, die keine
Familie haben, leben im Hofe des Besitzers in eigenen
Hütten. Außerhalb der Hofumzäunung erhebt sich in einer
Entfernung von fünfzig bis hundert Schritten die Gast-
Hütte (Hadfchi-Juueh), welche uicht bewohut und nur für
Gäste bestimmt ist. Auch der ärmste Adighe vergißt nie,
eine Gasthütte an seinen Hos anzubauen. Der Adighe sucht
sich zum Bau seiues Hofes immer einen Platz im Walde
oder in der Nähe desselben, theils um sich dem Blicke des
Feindes zu entziehen, theils um seinen Holzbedarf gleich
bei der Hand zu haben. Die meisten Höfe sind an
Flüssen, Bächen oder Quelle» angelegt; in den
Ebenen graben die Bewohner Brunnen, die mit denen,
welche ich an der Theiß in Ungarn gesehen, viel Aehnlich-
46 Radama der Idealist, König von Madagaskar.
keit haben. Uebrigens erinnert der erste Anblick eines solchen 1 (denn Vielweiberei ist selten nnd erst eine mohammedanische
Hofes an die Baueruwirthschasteu in Osteuropa, nur daß Einführung) hat im Hause fast dieselbe Autorität wie der
die Häuser in letzteren nicht so rein gehalten werden. Vater, und wird von der ganzen Familie fast heilig gehalten.
Die Sitten der Adighe stehen heute wohl eiuzig in Sie leitet das Hauswesen und alle Frauen und Mädchen
der Welt da und haben viele Ähnlichkeit mit den Patriarch«- 1 stehen zu ihrer Verfügung; die Erstereu haben kein Recht,
tischen Sitten unserer Voreltern. Indem Familien-Hofe . eine besondere Wirthschast oder Küche zu führen. Die Mutter
ist der Vater unumschränkter Herr, dem auf den Wink vertheilt die Kleidung, besorgt und beaufsichtigt deren An-
gehorcht wird. So lange er lebt, sind alle seine Söhne : sertiguug. Das Essen wird für Alle gemeinschaftlich nach
verpflichtet, an seiner Seite zu bleiben. Erst nach seinem ! ihrer Anweisung gekocht und zweimal des Tages, eine
Tode können sie sich nach Belieben trennen und ihre Wirth- ' Stunde vor Mittag und gleich nach Sonnenuntergang, von
schasten absondern, doch ist der Erstgeborene Erbe des Hofes ihr selbst unter die Familie vertheilt,
und des größern Theils der beweglichen Habe. Die Mutter
Radama der Idealist, König von Madagaskar.
Die Bedeutung der Insel Madagaskar. — Gegensätze der französischen und englischen Politik. — Die katholischen und protestantischen
Missionäre. — Die Person des'Königs. — Memamafo oder Leibwächter. — Radama's Freundlichkeit gegeu die Weißen. — Fran-
zösische Sklavenfänger. — Eine Verschwörung in der Herrscherfamilie. — Rainboasalama und Rakoto. — Die Katastrophe. —
Der neue König als Reformer. —
Auf der großen Insel Madagaskar, der „Perle des
Indischen Oceans", begeben sich merkwürdige Dinge. Sie
verdienen unsere Aufmerksamkeit in vollem Maße, denn es
handelt sich dort wieder einmal nm den Versuch, halbbar-
barische Völker auf eine höhere Stufe der Gesittung zn
bringen, mit alten, seit Jahrhunderten heilig gehaltenen
Bräuchen und Sitten völlig zu brechen nnd an ihre Stelle
europäisches Wesen einzuführen. Ob diese Bestrebungen
gelingen, das kann nur die Zukunft lehren; würden sie mit
Erfolg gekrönt, dann hätten wir eine glückliche Ausnahme
vor uns. Seither sind alle solche Bemühungen vergeblich
gewesen; überall, wohin das abendländische Wesen zu deu
Barbaren drang, ist es mehr oder weniger nur iu seinen
Aeußerlichkeiteu angenommen worden; man eignete sich aller-
lei von der Civilisation an, aber das Innere blieb in
seiner Wesenheit unberührt, die Kultur drang weder tief
ein noch allgemein durch. Die Folge war immer, daß die
Barbaren sich aus dem Gleichgewichte gedrängt sahen, daß
Schwankungen zurück und vorwärts erfolgten, aber ein
eigentlicher und sicherer Schwerpunkt nicht gesunden wurde.
Wir haben vor einiger Zeit (Globns II. Nr. 19,
S. 193 bis 201) ausführlich über das schölte und wichtige
Eiland gesprochen, und es ist dort erwähnt worden, daß
nach dem Tode der grausamen Königin Ranovalo, 16. August
1861, ihr Sohn Radama der Zweite den Thron be-
stieg. Dieser noch junge Mann tritt mit der größten Ent-
schiedenheit als Radikalreformer auf; er begünstigt,dem
alten heidnischen Kultus gegenüber, das Christenthum, zieht
Europäer in's Land, fördert dieselben ans alle Weise, be-
müht sich den Handel zu beleben und hat einen Gesandten
nach Europa geschickt.
Allem Anschein nach wird er aber bald in einiges Ge-
dränge kommen, und man wird an ihm hin und her zerren.
Denn auf Madagaskar arbeiten verschiedene Einflüsse. Die
Pariser Politik erblickt eigentlich in dem Könige Radama nur
einen Usurpator, indem sie den allerdings durch uichts be-
gründeten Satz aufstellt, daß jenes „Oestliche Frankreich"
schon seit der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts eine
Kolonialbesitzung des europäischen Frankreichs sei. England
seinerseits hat ein sehr wichtiges Interesse daran, daß die
napoleonische Politik, welche in allen Meeren östlich vom
Vorgebirge der Guten Hoffnung sehr thätig und über-
greifend auftritt, uicht noch mehr feste Stellungen gewinne,
als sie ohnehin schon besitzt. Deshalb vermehrt es von
der Insel Mauritius aus seiue Verbindungen mit Meidet-
gaskar und bemüht sich, den neuen König ganz ans seine
Seite zu ziehen.
So tritt eine politische Eifersucht hervor. Zu dieser
kommt aber noch eine andere, die nicht minder ausgeprägt
ist. Frankreich sendet katholische, Großbritannien schickt
protestantische Missionäre, und beide arbeiteu einander
entgegen; jede Partei möchte die Malgaschen zu ihrem
Glauben bekehren und sich des Schulunterrichts bemächti-
gen. Beide Theile haben Anhänger gewonnen. Für das,
was bei solchem Widerstreit herauskommt, geben uns die
kläglichen Verhältnisse ans manchen Südseeinseln Auskunft.
Dort haben schou protestantische und katholische Neubekehrte
iu kirchlichem Eiser einander befehdet und sich mit Keulen
todtgefchlagen.
Merkwürdig erscheint, bis auf Weiteres, daß auf
Madagaskar beide Theile die Diuge in rosigem Licht er-
blicken. Wir haben eine ganze Reihenfolge von Berichten
gelesen, ans welchen hervorgeht, daß sowohl die Katholiken
wie die Protestanten sich der Hoffnung hingeben, den König
zu gewinnen. Wir erwähnten in unserm frühern Aufsatze,
daß der englische Missionar Ellis, der vor Jahren schon
drei Reisen nach Madagaskar gemacht hat nnd dem wir zwei
werthvolle Werke über die Insel verdanken, zum vierten
Male, und zwar mit Aufträgen des Gouverneurs von Manri-
tius, dorthin gegangen sei. Er ist ein alter Freund und
Vertrauter des Königs, nnd hat in seinem Reisewerke (1858)
angedeutet, daß Radama, der damalige Kronprinz, insgeheim
protestantischer Christ sei. Aber der König hat auch Briese
an den heiligen Vater in Rom geschrieben, und die in der
Hauptstadt Autanauerivo wirkenden französischen Missio-
nare betrachten ihn gleichfalls als einen der Ihrigen. Ellis,
der jetzt seit etwa drei Vierteljahren auf der Insel lebt, hat
noch keine Berichte veröffentlicht; dagegen liegen uns von
Seiten mehrerer katholischen Missionäre ausführliche Mit-
theilungeu vor, welche einen Einblick in die Verhältnisse ge-
Rad am a der Idealist, i
statten. Wir wollen aus denselben das Wichtigere hervor-
heben; der Leser wird sehen, daß Radama, der doch auch
ein afrikanischer König, allerdings kein Neger ist, einen ganz
entschiedenen Gegensatz zu dem Mnata Cazembe bildet,
welchen wir in der vorigen Nummer dargestellt haben.
Die römische Kirche hat sich beeilt, in der Person des
Paters L. Jone n einen apostolischen Präsekten nach Mada-
gaskar zu schicken, der eine ungemein wohlwollende Auf-
nähme fand. In dem Berichte, welchen er von Antana-
narivo unterm 8. November 1801 an Papst Pius den
-neunten gesandt, äußert er sich ganz entzückt. Schon am
24. September, einen Monat nach dem Thronwechsel, kam
er in der Hauptstadt au, und er sei, sagt er, so glücklich,
melden zu können, daß die katholischen Sendboten den prote-
stantischen zuvorgekommen seien und sich des Platzes be-
mächtigt hätten. Die beiden wichtigsten Posten, nämlich
die Hauptstadt und der Hafen Tamatawe an der östlichen
Küste, seien bereits von den Ersteren in Besitz genommen
worden. Schulen und Wohlthätigkeitsanstalten würden
von Mönchen und Nonnen geleitet; die Hauptstadt werde
den Mittelpunkt der apostolischen Wirksamkeit bilden. Die
Hoffnungen seien groß, aber auch die Schwierigkeiten.
„Bereits säet der Feind Unkraut unter den Weizen. Die
methodistischen Missionäre, welche zur Zeit Radama's
des Ersten zehn Jahre lang in der Hauptstadt verweilten,
aber von der Königin Ranovalo vertrieben wurden, haben
nach dem Tode der Letztern nicht ermangelt, sich wieder ein-
zustellen. Sie eilten herbei, um uns die Ernte streitig zu
machen, welche sie als die ihrige betrachten und die sie
ausschließlich für sich allein ausbeuten möchten. Zum Glück
scheiueu die alteu Christen, welche von ihnen bekehrt wurden,
deren ganzes Christenthum aber in Nichts weiter besteht
als im Bibellesen, bis jetzt keine Borurtheile gegen die ka-
tholische Religion zu habe». Hoffentlich werden sie bald
begreifen, welch ein ungeheurer Unterschied stattfindet zwi-
schen den frostigen Irrlehren des Protestantismus und den
unermeßlichen Hülfsquelleu, welche ihnen die heilige, aposto-
tische, römisch-katholische Kirche zur Verfügung stellt, mit
ihren rührenden Dogmen, der Einheit ihres Glaubens, der
Pracht und dem Pomp ihres Gottesdienstes, den Schätzen
ihrer Gnade und ihren Sakramenten." —
Man sieht, in wie schroffer Art von vornherein der
Gegensatz hingestellt wird. Die Methodisten ihrerseits
werden es nicht an Ausfällen gegen „Antichrist, Römlinge
und papistischeu Irrwahn" fehlen lassen, und so wird denn
wieder einmal den Barbaren und Heiden das erbauliche
Schauspiel gegeben, wie Geistliche verschiedener Kirchen oder
Sekten einander in die Haare gerathen, und beide Theile sich
für die, natürlich felbstpateutirten, alleinigen Inhaber dessen
ausgeben, was sie für Wahrheit halteu. Die Howas und
die Malgafcheu überhaupt, rostbraune uud rabenschwarze,
sind natürlich über die Punkte des. christlichen Zankes und
Streites höchst einsichtige und vollgültige Nichter!
Pater Jonen hebt hervor, daß es sich ans Madagaskar
nicht um deu Gewinn einer gewöhnlichen Insel handle, denn
das Laud sei so groß wie Frankreich. Die Anstrengungen
des Teufels, der sich eine sehr werthvolle Eroberung zu
sichern trachte, würden im Verhältnis? zu der großen Wich-
ugkeit stehen; aber der Pater hofft, daß durch Vermittelnng
er allerheiligsten und unbefleckten Mutter Gottes die An-
luengungen des Satans zu nichte gemacht werden. —
Daß böser Hader nicht ausbleiben wird, sieht man von
vornherein; daß Verwirrung durch den theologischen Haß
uu Veben gerufen wird, versteht sich von selbst; wer aber
T^eger bei der in Aussicht gestellten kirchlichen Balgerei
' kann nur die Zukunft lehren.
könig von Madagaskar. 47
In dem oben erwähnten Schreiben an den Papst sagt
Radama nnterm 7. November 1801, ganz in dem Styl
wie irgend etwa ein europäischer Potentat sich ausdrücken
würde: „Es hatte sich eine große Verschwörung gebildet,
damit ich uicht meiner Mutter Thronfolger werden sollte,
aber die Vorsehung wachte über mir und machte die Rath-
schläge der Bösen zu nichte. Nach Jesn Christi Beispiel
habe ich Alleu verziehen und kein Tropfen Blutes ist ver-
gössen worden. Die Unglücklichen, welche in Ketten und
Gefängnissen seufzten, haben von mir die Freiheit erhalten.
Allerheiligster Vater! Ich habe nur den einen Wunsch,
mein Volk glücklich und civilisirt zu sehen, uud meine, das
sicherste Wittel zu diesem Zweck bestehe darin, es in der
christlichen Religion unterweisen zu lassen. Deshalb habe
ich Missionäre gerufen und sie ermächtigt, im ganzen Um-
fang meines Königreichs Unterricht zu ertheilen. Der ehr-
würdige Pater Joueu ist bereits mit seinen Genossen in
meiner Hauptstadt eingetroffen, um Schulen und Wohlthätig-
keitsaustalten zu eröffnen, welche von Nonnen geleitet werden
sollen. Ich bin, allerheiligster Vater, ein noch ganz junger
König und habe keine lange Erfahrung; deshalb ist mir
Unterstützung groß nöthig, denn nur vermittelst derselben
kann ich die hohe Seudung, mit welcher Gott mich betraut hat,
würdig erfüllen. Ich wage anf die Bitten und den Segen
Deiner Heiligkeit zu hoffeu und erbitte dieselben mit aller
Achtung und Liebe, wie ein Sohn vom Vater."
Man irrt wohl kaum in der Annahme, daß dieser
Brief einer französischen Eingebung entstammt. Der Be-
richt in der Julinummer der zu Lyon erscheinenden „Annales
de la propagation de la foi", welchem wir folgen, ruft aus:
„Hier sehen wir einen Fürsten, der inmitten der Barbarei
geboren ist und nach der Civilisatiou schmachtet. Er ist
erzogen im Dunkel der Unwissenheit und des Aberglaubens,
und hat doch nur solche Gedanken, die anf Wahrheit, Wissen-
schaften und Künste gerichtet sind!" Für die Richtigkeit
der folgenden Angaben will Pater Jonen jede Verantwort-
lichkeit übernehmen,
Rakoto-Radama ist, nnserm Gewährsmann zufolge,
von Mittlern: Wuchs, aus feinen regelmäßigen Gesichts-
zügen spricht Wohlwollen, Offenheit und Lebhaftigkeit. Er
ist einfach und trägt sich europäisch; nur bei feierlichen
Gelegenheiten hielt seine Mutter ihn zur Beobachtung der
Hofetikette an. Sein Palankin wird von vier Sklaven ge-
tragen; sie bringen ihn im Galopp bei jedem Wetter über
steile Anhöhen und Schluchten. Er besncht Kranke, bringt
Trost den Betrübten, schlichtet Familienzwiste und fehlt
auch bei Hochzeitsfesten armer Leute nicht. Manchen lieben,
langen Tag ißt er gar nichts; wenn aber der Hunger zu
stark wird, tritt er in die erste beste Hütte ein, trinkt Wasser
uud nimmt sich eine Hand voll Reis aus der Schüssel des
Armen. Beim Volke ist er ungemein beliebt und wird fast
abgöttisch verehrt.
Bei seinen Ausflügen hat er immer einige Mena-
maso um sich, Leibwächter, deren Zahl im Ganzen ein-
hundert beträgt. Diese Leibwache besteht aus jungen
intelligenten, nmthigen Männern, welche dem Herrscher
ganz ergeben sind. Es ist eine ihrer Pflichten, diesem bei
allen seinen Plänen zur Erhöhung der Volkswohlfahrt au
die Hand zu gehen, z. B. Unglückliche aus dem Gefängniß
zu befreien, das Giftopfer von ihnen abzuwenden, für den
Straßenbau zu sorgen, Abgründe auszufüllen oder Brücken
bauen zu lassen. Die Meni-maso sind zugleich Beiräthe,
Ingenieurs und Baumeister des Königs und bringen er-
stannliche Dinge fertig. Einer hatte einmal eine bildliche
Darstellung einer Lokomotive gesehen, und danach verfertigte
j er eine kleine von Dampf getriebene Maschine; Jedermann
48 Nadama der Idealist,
kann sich überzeugen wie sie arbeitet. Die Mena-maso
sind europäisch gekleidet und fast immer beritten, um des
Königs Befehle desto rascher ausführen zn können. Ihre
Treue und Hingebung ist über jedes Lob erhaben. Nadama
sagt: Geht! und sie gehen; kommt! und sie kommen; geht
in den Tod, wenn es sein muß, und sie thnn es. Dafür
sind Beweise vorhanden. Der König selber schont seine
Person nicht.
Emst saß er mit einigen Freunden beim Frühstück.
Da kam eine Frau uud rief weinend: „O Fürst, komm zu
uns; iu dem und dem Dorfe sollen mehrere Leute getödtet
werden, auch mein Mann und meine Kinder! Erbarme
Dich!" Da rief der Fürst seine Mena-maso, die sogleich
fortsprengten. Aber bald waren sie wieder da mit der Nach-
richt, daß das Gefängniß von Soldaten umstellt sei. Nun
sprang Nadama selber zu Roß, nahm dem befehlenden
Offizier den Degen weg, bahnte sich einen Weg zn den
Vernrtheilten, lös'te ihre Ketten und brachte die Unglück-
lichen in Sicherheit.
Sie waren Christen, welche bei Lebzeiten der alten
Königin manche Verfolgungen erlitten. Das Späherwesen
war damals allgemein. Einst erfuhr der König, daß eine
Frau als Anklägerin gegen ein ganzes Dorf auftreten wolle.
Da ließ er sie zu sich rufen und sprach entrüstet; „Was
willst Du beginnen? Begreifst Dn nicht, daß anf Deine
Anzeige hin viele Menschen den Tod erleiden werden?" —
Die Frau sagte: „Wenn ich sie nicht angebe, wird man
mich angeben." — „Da hast Du vollkommen recht", ent-
gegnete Radama trocken, „denn bei mir ist schon eine An-
zeige gegen Dich eingelaufen und ich werde sie meiner
Mutter kund machen." Das war eine List, durch welche
er viele Unglückliche rettete. Denn jene Frau ließ sich da-
durch einschüchtern. Der Prinz erfuhr dauu, daß sie mit
ihrem Mann in schlechtem Einvernehmen und von dem-
selben getrennt lebe. Was that Radama? Er machte sich
ans und versöhute das Paar.
Seme Vorliebe für die Europäer kennt keinen Unter-
schied unter weißen Leuten verschiedener Völker oder Stel-
lnngen; „sie üben auf ihn einen Zauber, ziehen ihn an,
wie der Magnet das Eisen. Sobald er hört, daß ein
Weißer sich der Hauptstadt nähere, kann er kaum uoch seine
Ungeduld bemeistern; er geht ihni entgegen und drückt ihm
die Hand." —
Zum Belege für diese Freundlichkeit erzählt Pater
Jonen folgende Geschichte, welche aber der geistliche Herr
nur unvollständig mittheilt, denn es handelt sich bei der-
selben um französische Sklavenfänger und Sklaven-
Händler, welche die Gesetze Madagaskars verletzt hatten.
Man merke darauf, wie schöngefärbt der Missionär spricht:
„Es handelte sich um fünf Europäer; sie waren an
der Küste gefangen genommen, weil sie Arbeiter ange-
werben hatten, und man brachte sie deshalb nach der
Hauptstadt, um dort über sie abzuurtheilen. Kaum erfuhr
der Prinz ihre Ankunft, so stürzte er ihnen entgegen, ob-
wohl das allem Brauch und dem Befehl der Königin Mutter
entgegen war. Er sah fünf, durch Anstrengungen, Sonnen-
brand und Fieber abgemattete Gefangene; sie waren abge-
rissen und hatten keine Schuhe. Da traten ihm die Thränen
in's Auge, er warf sich den Europäern um den Hals, küßte
und tröstete sie. Plötzlich riß er sich die Schuhe von den Füßen,
gab seinen Begleitern die Weisung, dasselbe zu thun und
schenkte den Gefangenen Fußbekleidung. Aber das war noch
nicht Alles. Er hatte ein delikates Frühstück bereiten lassen,
das er nun mit seinen Gästen verzehrte. Er goß Hoffnung
iu ihr entmnthigtes Herz, galoppirte zu seiner Mutter und
sprach zu Gunsten der Gefangenen, für welche er, freilich
>nig von Madagaskar.
mit großer Mühe, Begnadigung auswirkte. Sie wurden
freigelassen und zahlten ein geringes Lösegeld, welches ein
Franzose für sie entrichtete, dessen Name anf Madagaskar
in alle Ewigkeit gesegnet sein wird. (— Der Ceremonien-
meister Lab orde ist gemeint, welcher sich später in eine Ver-
schwörung gegen seine Wohlthäterin Ranovalo einließ! —)
Der Prinz gab ihnen dann noch Leibwäsche, Kleider und
Geld. So ist Rakoto, und das sind seine Handlungen. Ist
hier nicht Gottes Finger sichtbar? Der junge, erst drei und
dreißig Jahre alte König hat eine weiche Natnr, ein gntes
Herz, geraden, offenen Sinn, sein Geist sehnt sich nach
Wahrheit und Licht; ja er ist der Auserkorene der Vor-
sehung, und auserwählt, dermaleinst Befreier und Apostel
seines Volkes zu werden."
Nachdem wir eine Stylprobe des Missionärs gegeben
haben, wollen wir, allen Redeschmuck bei Seite werfend,
einfach erzählen, unter welchen Umständen Rakoto sich des
Thrones versicherte.
Rakoto ist nicht leiblicher Sohn von Radama des
Ersten; Ranovalo gebar ihn erst einige Jahre nach dem
Tode dieses Königs; seine Legitimität, wie man in Europa
sagen würde, ist also mehr als zweifelhaft. Nun hatte die
Schwester der Ranovalo einen Sohn Namens Ramboa-
salama, und diesen, ihren Neffen, adoptirte die Königin
gleich nach dem Tode ihres Gemahls. Er sollte ihr Nach-
folger und König werden; denn der Monarch war kinderlos
gestorben. Sie führte ihren Neffen dem versammelten Volke
vor und stellte ihn auf den geheiligten Stein. Damit
war er, gemäß dem Landesbrauch, zum Thronfolger er-
nannt.
Dauu trat ein Ereigniß ein, über welches Madagaskar
in Erstaunen gerieth. Die bereits ziemlich bejahrte Königin
Radama, deren Gemahl, wie schon bemerkt, seit Jahren im
Grabe rnhete, gebar einen Sohn, den sie Rakoto nannte,
und der ihr Thronfolger sein sollte. Ramboasalama's An-
rechte wurden für durchaus nichtig erklärt. Aber die Königin,
so grausam und so allmächtig sie war, hat doch bei Lebzeiten
niemals gewagt, das Volk feierlich zn versammeln und ihren
Sohn zum Nachfolger ausrufen zu lassen. Auch konnte sie
sich nicht entschließen, zu seinen Gunsten abzudanken.
Ramboasalama hielt sich durch deu außer der Ehe er-
zengten Rakoto für benachtheiligt. Pater Jonen malt jenen
mit recht dunklen Farben, damit sein Liebling in um so
größerm Glänze erscheine. Ramboasalama habe diesem
sehr oft nach dem Leben getrachtet und häufig Mörder ge-
düngen; wenn man aber dem Bedrohten darüber Anzeige
gemacht, habe er edelmüthig gesagt: „Ich will nichts hören!
Ich werde nie glauben, daß mein Vetter den Wahnwitz so
weit treiben könnte, mein Leben zn bedrohen." Und nun
erzählt der Pater einige hübsche Sachen. Sein Liebling
erfuhr, daß Ramboasalama ihn vergiften wolle. Was
that er? Noch au demselben Tage ging er zu demselben nnd
speiste bei ihm zu Abeud. Man hatte dein Prinzen gesagt,
daß anch ein gewisser Dimy damit umgehe, ihn zu vergiften.
Da ging er zn dem Manne nnd bat sich von ihm ein Glas
Wasser aus.
Ein Mann sagte aus, er habe Geld bekommen und
solle den Prinzen umbringen. Dieser fragte, wer ihm das
Geld gegeben habe, und die Antwort lautete: Ramboasalama.
„Weshalb nahmst Dn das Geld?"— „Weil ich arm bin." —
„Geh fort und behalt es. Ich will Dich nicht bestrafen."
Rakoto konnte sich nicht entschließen, seinen Vetter ver-
haften zu lassen, obwohl er von dessen Anschlägen gegen
sein Leben genau unterrichtet war. Er sagte ihm das gerade
in's Gesicht und warnte ihn vor dein Volke, das sehr er-
bittert gegen ihn sei. Aber Ramboasalama fuhr trotzdem
Radama der Idealist, .
fort, ganz offen zu konspiriren. Ein alter konservativer
Staatsmann, Rainijoary, Premierminister der Königin,
stand auf seiner Seite, und der Verschwörer glaubte sich des
Erfolgs so sicher, daß er im Voraus in Paris eine Königs-
kröne und einen Kaisermantel nach napoleonischem Muster
bestellte. Das hatten ihm einige französische Abenteurer
gerathen.
Nakoto hatte sich inzwischen an die Gouverneure der
Inseln Mauritius und Bonrbon gewandt und eventuell um
Hülfe gebeten; aber diese war unnöthig, weil sich, wie
der Pater meint, die göttliche Vorsehung zu Gunsten
seines Lieblings in's Mittel legte, das allerdings eigen-
thmnlich ist.
Raiuiharo war Minister und Günstling der alten
Königin und wahrscheinlich Rakoto's Erzeuger. Als er ge-
storbeu war, befahl sie, seine irdischen Ueberbleibsel auf
einem Hügel in der Nähe des königlichen Palastes zu be-
statten. Das Grabdenkmal besteht in einem Quaderstein,
der vierzig Fuß in's Gevierte hat; die Kinder des verstor-
benen"Ministers, „alle ausgezeichnet durch Anmnth der
Sitten, Feinheit des Geistes und unerschütterliche Hin-
gebung", wurden in die vierzehnte, also höchste, Rangstufe
erhoben.
Der Oberbefehlshaber des Heeres war von allen Um-
trieben unterrichtet und wußte Tag und Stunde, wann sie
ausbrechen sollten. Er war Rainiharo's ältester Sohn.
Etwa vier Wochen nach dem Tode der Königin, also ungefähr
im Juli 1801, war das Komplot reif; Nanovalo wurde immer
schwächer und man sah wohl, daß ihr Ende herannahe.
Es kam darauf an, den Verschworenen das Spiel zu ver-
derbeu. Rakoto's Anhänger hielten insgeheim Berathungen;
aber Ramboasalama bekam Kunde davon und schöpfte Ver-
dacht. Er wechselte Tag und Rächt seine Wohnung, und
kam nur bewaffnet und von vielen Anhängern begleitet in
den königlichen Palast. Der Oberkommandant erließ dann
einen Befehl, daß Niemand mehr mit Waffen erscheinen
solle. Alle verdächtigen Offiziere wurden von nun an über-
wacht und der alte Minister Rainijoary für Rakoto ge-
wonnen. Das war von nicht geringer Wichtigkeit.
Die Katastrophe nahte heran. Die alte Königin rang
mit dem Tode und alle hohen Staatsbeamten und Offiziere
waren int Palaste versammelt. Draußen harrte eine nn-
zählige Menge Volkes ruhig der Dinge, welche da kommen
sollten. Aber diese Ruhe war doch nur äußerlich, denn
die Anhänger beider Thronbewerber waren mit Messern,
Dolchen und Knütteln bewaffnet, beobachteten einander
und harrten auf ein Zeichen von Seiten der Führer. Aber
ein solches blieb aus. Als Ramboasalama hervortreten
wollte, um es zn geben, ließ der Oberkommandant ihn ver-
haften und in ein entlegenes Gemach bringen, wo er unter
sicherer Obhut und von seinen Anhängern völlig getrennt
war.
Und nun schmetterten die Trompeten, die Soldaten
rückten int Sturmschritt vor; sie drängten die Menge zurück
und besetzten alle Zugänge zum Palast und dessen innere
Hofräume. Mehr als zehntausend Menschen bildeten einen
schützenden Wall um Rakoto.
Das Alles begab sich am 16. August 1861. Die
Königin war über achtzig Jahre alt geworden und hatte
lc* und dreißig Jahre regiert. Sic, welche Ströme Blutes
» hatte, entschlief ruhig, und mit ihr wurde, bis
weiteres, das altkonservative Madagaskar zn Grabe
ge rage,,. Rakoto vergoß Thronen am Todtenbette und
Jenic Freunde hatten große Mühe, ihn zu entfernen. Zum
einen war wohl in jener Krisis nicht die rechte Zeit.
er Mittag trat der Oberkommandant mit den
Globus für 1862. Nr. 2«.
önig von Madagaskar. 49
höchsten Würdenträgern auf die Galerie des Palastes,
schwenkte den Säbel und verkündete das Ableben der Herr-
scherin. Dem jetzt wieder auf dem Schloßplatze verfam-
meltem Volke rief er zu: „Habe ich recht, wenn ich
sage, daß Radama der Zweite der König eurer
Wahl ist, und daß ihr keinen Andern zum König
haben wollt?"
Darauf erhob sich ungeheurer Jubel; das Volk sprang
und tanzte und klatschte in die Hände, die Soldaten warfen
Gewehr, Lanze oder Schild in die Höhe und die Frauen
schwenkten mit ihren Lambas (Mänteln). Es war gewiß
klng und wohlberechnet, daß man den Nebenbuhler Ramboa-
salama gerade in einem solchen Augenblicke wieder in's Freie
brachte und dem Volke zeigte, das ihn zerreißen wollte.
Aber es war dafür gesorgt, daß ihm kein Leid geschehen
konnte. Er wurde nach dent kleinen See Andohalo ge-
bracht, welcher inmitten der Hauptstadt liegt, mußte dort
dem neuen Könige Treue schwören und wurde daun in die
Verbannung abgeführt.
Um vier Uhr Nachmittags waren alle Palastpforten
geöffnet, Offiziere, Soldaten und Volk strömten in die inne-
ren Räume, und nun zeigte sich Radama der Zweite, ange-
than mit dem Königsmantel, mit der Krone auf dem Haupte
und von seinem ganzen Hofstaat umgeben. Wiederum
lauter Jubel. Ranovalo's Sohn war König von Mada-
gaskar.
Ein Jahr nachher, 1862, hat er ein großes Krönnngs-
sest gefeiert, zu welchem England und Frankreich besondere
Abgesandte geschickt haben. Darüber sind indeß noch keine
Einzelnheiten nach Europa gelangt.
Nakoto Radama ist ohne allen Zweifel ein von den
besten Beweggründen geleiteter Mann, ein Idealist, ein
edler Halbbarbar, der für die abendländische Civilisation
schwärmt und dieselbe nach Madagaskar verpflanzen möchte.
Es steht aber zu befürchten, daß er dabei zn rasch verfahren
werde. Was er seither als Regent gethan, macht ihm alle
Ehre. Er brach mit dent harten Systeme seiner Mutter
völlig und ließ ohne Weiteres alle Eingekerkerten frei. Dabei
sprach er: „Wenn ich doch auch die Todten wieder lebendig
machen könnte!" Allen, welchen ein ehrliches Begräbniß
versagt worden war, ließ er nachträglich ein solches geben.
Den gerichtlichen Beweis durch den Gifttrank, Tan-
gnin, welcher mit den Sitten und Bräuchen auf Mada-
gaskar so tief verwachsen ist, darf er nicht ohne Weiteres
abschaffen, aber er thnt es allmälig und hat Richter zur
Untersuchung aller Anklagen ernannt, welche niemals auf
Gifttrank erkennen, weil sie wissen, daß der König diese
Barbarei beseitigen will. Auch hat er den Frohndienst
gemildert und will ihn völlig abschaffen. Auf Madagaskar
verwendet man keine Thiere zum Ziehen oder Tragen der
Lasten, sondern Menschen. Die alte Königin hatte unab-
lässig Taufende von Fröhnern auf den Beinen und gab ihnen
weder Nahrung noch Geldentschädignng. Radama speist
nnd bezahlt alle Arbeiter.
Gegen die Verschwörer ist er mild verfahren; einige,
aber nur wenige, wurden in Ketten gelegt und späterhin
begnadigt. Ramboasalama wird auf einem Landgute von
zweihundert Soldaten bewacht, bewegt sich aber im Uebrigen
frei nnd kann mit seinen Freunden verkehren. Man hat
ihm nichts von seiner Habe genommen, der König war viel-
mehr so gütig, ihm eintausend harte Piaster zu schicken, als
er erfuhr, daß sein Vetter Mangel an baarent Gelde leide.
Rainijoary, einst Verschwörer, hat seine Würden behalten
und ist sogar um eine Rangstufe erhöht worden.
Pater Jonen legt seinem Helden allerlei.schöne Aus-
sprüche in den Mund; in Europa, wo man dergleichen sehr
7
50 Die Deutschen und
oft gehört hat, machen sie keinen Eindruck, aber für Afrika
sind sie neu. „Ich kenne keine andere Familie als mein
Volk." — Einst wollte ein Europäer ihm einen sehr schön
gearbeiteten Dolch schenken, da sprach der König: „Ich
danke, aber ich brauche keine Waffe. Meine beste Waffe
ist die Liebe meines Volkes; die ist sicher." — „Alles für
mein Volk mit Hülfe der Weißen!" —-
Die Europäer unterliegen auf Madagaskar keinerlei
Zwang mehr, sondern haben vollkommen freie Beweglich-
keit. Am 26. September 1861 wurde im Fort der Hafen-
stadt Tmuatawe ein großer Kabareh (Rathsversammlung)
abgehalten; der König ließ allem Volke kund und zu wissen
thuu, daß er alle Weißen als Angehörige seiner
Familie betrachte und unter seinen ganz besondern
Schutz stelle. Sie dürfen sich niederlassen, wo es ihnen
gefällt und nach Belieben Gewerbe oder Handel treiben.
Die Blüthe der Nation int Potsdamer Kadettenhause
wird wohl über den idealistischen Halbbarbaren die Achseln
zucken, wenn sie lies't, daß er zu den Missionären gesagt
hat: „Was soll ich eigentlich mit so vielen Soldaten an-
Schweizer in Neapel.
fangen? Wozu nützen sie, wenn man den Frieden liebt? Ich
will meine Feinde durch Milde und Gerechtigkeit entwaffnen,
nicht durch das Schwert." Er ist voll Eisers sür die Grün-
dung von Schulen, und das ist löblich; wenn er aber auf
Madagaskar eine Akademie der Wissenschaften gründen will,
so sieht man, daß das auf einen Schwindel hinausläuft, mit
welchem irgend ein französischer Abenteurer den edeln Halb-
barbaren bethört hat. Unser oft genannter Pater legt ihm
folgende Worte in den Mund: „Diese Akademie soll ein
Bazar des Geistes uud der Intelligenz sein, ein Central-
atelier der Wissenschafte und Künsten, zu welchem man aus
allen Theileu des Königreichs strömt, um sich in allen
Zweigen der menschlichen Kenntnisse auszubilden und zu
vervollkommnen!"
Wie das so pariserisch klingt! Aber Eins ist sicher:
Für Madagaskar ist eine neue Zeit gekommen, der König
hat mit dem Alten völlig gebrochen und wird eine schwierige
Uebergangszeit durchmachen müssen. Ohne Zweifel werden
wir manche interessante Dinge über diese wichtige Insel zu
berichten haben.
Die Deutschen und
Daß unsere über die ganze Welt verbreiteten Landsleute sich
iu Italien vorzugsweise Neapel zum Sitz einer förmlichen Au-
siedeluug, die jetzt schou gegen 10,000 Seelen zählt, ersehen haben,
hängt mit verschiedenen Umständen zusammen, die wir augeben,
ehe wir das Leben und Treiben der Deutschen in Neapel schildern.
Von den germanischen Einwanderungen nach Süditalieu
im Mittelalter, besonders zur Zeit der schwäbischen Kaiser, sind in
unseren Tagen fast gar keine Spuren bemerkbar. Die deutsche
Einwanderung, welcher die gegenwärtige deutsche Kolonie in
Neapel ihr Dasein verdankt, schreibt sich erst aus den zwanziger
Jahren dieses Jahrhunderts her; damals wurde unter Ferdinand I.
eine Schweizergarde errichtet. Es ist schade, daß sich bisher noch
keine tüchtige, der Aufgabe völlig gewachsene Feder gesunden
hat, um eine Geschichte der Schweizerregimeuter in Neapel
zn schreiben; eine solche würde nicht allein an und für sich reich
au interessanten, oft höchst tragischen Sceneu, sondern anch
in kulturhistorischer Hinsicht anziehend genug seiu. Es ist That-
sache, daß die fortdauernde Einwanderung dieser fremden Solda-
teska dnrchans nicht ohne Einwirkung auf die Bevölkerung selbst
geblieben. Es waren z.B. die Kartoffeln bis zur Errichtung
der Schweizerregimenter in ganz Süditalien fast gar nicht bekanilt,
sind aber durch die Schweizersoldateu uach uud uach so über das
Land verbreitet uud iu Anbau genommen worden, daß sie jetzt mit
einem Hanptbestaudtheil der Nahrung der niederen Bolksklassen
ausmachen und auch auf den Tafeln der Vornehmen und Reichen
nie mehr fehlen. Daß aber die Einführung von Nahrungsmitteln,
die das Volk früher nicht kannte, schließlich auch auf seilte ganze
Lebensweise einwirke, ist eine schon oft nachgewiesene Thatsache.
Ein berühmter süditalieuischer Statistiker hat den allerdings
sehr seltsam lautenden Satz aufgestellt: erst seit Einführung der
Schweizertruppen sei der früher iu Neapel höchst seltene Selbst-
mord häusiger geworden. Daß der Selbstmord unter deu
Schweizersoldateu aus Heimweh uud Ueberdruß au dem häßlichen
Schergendienst, zu welchem sie theilweise verdammt waren, häusig
vorkam, steht allerdings außer jeder Frage, ob aber dies auch die
Vollblutueapolitauer nach dem suicidio lüstern gemacht, weil unter
dein Volke dort das Sprichwort gilt: „Gli Svizzcri hanno buon
chweher in Neapel.
inorire qui perche nascano poi un' altra volta nel lor paese."
(„Die Schweizer brauchen sich hier freilich aus dem Sterbe» uichts
zu machen, weil sie dauu doch uoch einmal in ihrer Heimath wieder-
geboren werden"). Dieser naive Glaube lebt auch heute noch all-
gemein unter dem Volke.
Auch das eigentliche deutsche „Kneipenleben", welches den
nüchternen Südländern früher fast ganz uubekauut war, ist durch
die Schweizersoldateu unter den niederen Klassen mit ziemlichem
Erfolg eingeführt worden. Ebenso gebührt ihnen aber auch der
Ruhm, das deutsche Nationalgetränk, das Bier, in Neapel ein-
gebürgert zu habeu uud Veranlassung zur Gründung der jetzt dort
bestehenden fünf großen Bierbrauereien, sowie der vielen Bier-
stuben (bin-eric) gegeben zu haben. Der Verbrauch voll Bier,
das doch gewiß auch eiu Nahruugsstoff ist, bleibt bei häufigem
Genuß nicht ohne Einfluß auf die Lebensart der Konsumenten.
Das Bier gewinnt in Neapel auch unter der italienischen Bevölke-
ruug immer mehr Ausbreitung uud Anhänger, da die allerdings,
für Neapel wenigstens, nicht richtige Ansicht ziemlich weit verbreitet
ist, daß das Biertrinken gesünder sei als das Weintrinken.
Ich könnte noch viele Dinge anführen, welche durch die
Schweizer iu Süditalieu eingeführt und beliebt gemacht worden
sind, uud deshalb spreche ich wiederholt mein Bedauern darüber
ans, daß es bis jetzt noch keine Geschichte der Schweizerregimenter
in Neapel giebt. Nachdem diese eiumal iu Süditalieu festen Fuß
gefaßt hatten, begauneu sie auch bald Wurzel zu schlage», d. h
Verwandte uud Freuude zur Ueberfiedeluug zu veranlasse» tmd
solche Geschäfte zu gründen, welche der Soldat in der Fremde am
liebsten iil der Haud seiner Landslente steht. Namentlich Speise-
Häuser uud Trinkstuben wurden sehr bald vonSchweizern angelegt,
und viele von deu uach vollendeter Dienstzeit verabschiedeten Sol-
daten blieben iu Neapel zurück, um entweder ein Geschäft zu treiben
oder in den Dienst großer Herrschaften als Thürsteher, Verwalter
und Sekretäre zu treten. Viele verheiratheten sich dann mit Töch-
tern des Landes. Andere ließen sich ihre früheren Geliebten ans
der Schweiz kommen, um mit ihnen unter dem blanen Himmel
Neapels ein neues Heim zu begründen. Es war dabei charakteri-
stisch, daß die Kinder uud Enkel dieser ersten Ansiedler, der ge-
Die Deutschen und Schweizer in Neapel.
51
wohnlichen Erfahrung zuwider, daß sich germanisches Blut in der
Fremde so leicht den fremden Nationalitäten amalgamirt, ihre Na-
tionalität und Stammeseigenheiten, ja selbst den betreffenden Gau-
bialeft ihrer Vorfahren beibehielten, so daß z. B. uoch heute die
Enkel nnd Urenkel von luzerner Soldaten den luzerner Dialekt
reden u. s. w. Ja selbst diejenigen Schweizer, welche sich mit
Italienerinnen verheirateten, hielten gewöhnlich, wenn ihre Ver-
mögensumstände es irgend erlaubten, sehr darauf, daß ihre an-
sanglich iu der italienischen Sprache aufgewachsenen Kinder im
wtschen unterrichtet, iu die deutsche Schule und später wohl
auch zum Besuch in die alte Heimath geschickt wurden, um sich als
Schweizer fühlen zn lernen.
Bei der den Schweizern in so hohem Grade eigenen Betrieb-
samkeit war es kein Wunder, daß viele derselben sich schnell empor-
arbeiteten, Vermögen erwarben nnd große Etablissements gründe-
ten. Befindet sich doch noch heutigen Tages ein großer Theil der
Industrie Süditaliens in Schweizerhänden. Der Ruf vou dem
leichten Erwerbe drang bald in die Schweiz zurück nnd veranlaßt?
die Einwanderung von mehr nnd mehr jüngeren, unternehmenden
Kaufleuten in Neapel, die auch einst ihr Glück begründeten. Ein
Herr Nonnwiller ans St. Gallen, der in seiner Heimath in einem
Comptoir Ausläufer gewesen war, kam vor etwa zwanzig Jahren
mit ein Paar Thaleru uach Neapel; jetzt ist sein Sohn iin Besitze
von Millionen und Inhaber der größten Etablissements in Süd-
italien.
Solcher Aufschwung erklärt sich aber nicht allein aus dem
Fleiß und Eifer der schweizerischen Ansiedler, sondern auch aus
den vielen Begünstigungen und Erleichterungen, welche die Bonr-
bonen ihnen gewährten. Kein Schweizer, der gewerbliche Unter-
nehmungen in Neapel gründete, brauchte sein Jndigeuat als
Schweizer aufzugeben, ja er war oft nicht einmal dazu gehalten,
Stenern zu bezahlen und konnte immer sicher sein, daß, wenn er
irgendwie bedroht war, die neapolitanische Regierung ihn ebenso
schützen würde, wie die durch deu Schweizerkonsul repräseutirte
Regierung seiner eigenen Heimath.
Nächst den Schweizern wanderten seit geraumer Zeit viele
Preußen nach Neapel, und zwar auf eine ziemlich originelle
Weise. Es ist bekannt, daß alljährlich in den der französischen
Grenze naheliegenden preußischen Garuisonsorten Desertionen vor-
kommen. Schlechte Behandlung von Seite der Vorgesetzten, wie
man sagt, gekränktes Ehrgefühl nnd Furcht vor Strafe, nicht
minder die verführerische Nähe der französischen Grenze, veranlaßt
regelmäßig eine fast bestimmte Anzahl zn defertiren. Ein Theil
dieser Ausreißer ließ sich für die französische Fremdenlegion in
Algier anwerben, ein anderer Theil aber gerieth den eigens zu
diesem Zweck an der französischen Grenze früher bestehenden heim-
lichen neapolitanischen Werbekomitos in die Hände, die sich beeil-
ten, solche Leute gegen ein Handgeld für die Schweizerregimenter
in Neapel anzuwerben. Viele vou diesen Preußen, die natürlich
nie in ihre Heimath zurückkehren durften, ließen sich nach voll-
endeter Dienstzeit gleichfalls für immer in Neapel nieder. Außer-
dem aber hat sich seit zwanzig Jahren, durch das Beispiel der
schweizerischen Industriellen angelockt, eine Menge junger preußi-
scher Kaufleute in Neapel niedergelassen und ist zu einer förm-
lichen Kolonie emporgeblüht, die ihre protestantische Kirche nnd
Schule gegründet hat; beide werden vom König von Preußen
unterstützt. Traurig dagegen ist es, daß die zahlreichen Katholiken
unter der deutschen Bevölkerung Neapels, trotzdem viele derselben
Hr begütert sind, bis jetzt noch nicht das Bedürsuiß verspürt
^ ^Ve Kinder eine deutsche Schule zu gründen.
ürdeu sie das Geld, was sie als St. Peterspfennige nach Rom
^UJen' für Gründung eines Lehrinstituts verwenden, so könnten
sie eicht eine Schule Herstelleu, die mit der protestantischen wett-
eifern möchte.
-lußer den Preußen befinden sich ziemlich viele Oesterreicher
in er herrlichen Golfstadt; manche derselben sind früher aus den
deutschen Bundesfestungen desertirt, dann neapolitanische Söldner
und später ansässig geworden. Ihnen ist es weniger als den
Preußen und Schweizern gelungen, Wohlstand und Besitz zn er-
werben. Sie betreiben meist nur kleine Geschäfte oder sind Diener
in deutschen Häusern.
Den letzten großen Zuzug erhielt die deutsche Kolonie dnrch
deu unglücklichen Aufstand in Baden iin Jahre 1849. Die
Trümmer der badischen Armee, welche sich bekanntlich aus
Schweizergebiet geflüchtet hatten, wurden zum großeuTheil für die
Fremdenlegion des Königs Ferdinand II. angeworben. Dieselben
Soldaten, die noch vor kurzer Zeit unter der deutschen dreifarbigen
Fahne gefochten, waren wenige Monate später Söldlinge eines
Mannes, der für den Tyrannen par excellence galt. Aber Hunger
thnt weh und das alte Wort: „sie transit gloria mundi" bleibt
immer neu. Da diese Süddeutscheu vou ihrer Heimath verbannt
waren, und selbst durch den Dienst unter den Bourboueu nach dem
Dafürhalten ihrer Regierung ihre politischen Sünden von 1848
und 1849 nicht hinreichend gebüßt hatten, so blieb ihnen nichts
anderes übrig, als Söldner zu bleiben, oder uach Ablauf ihres
ersten Dienstkontrakts sich in Neapel niederzulassen. Einer von
jenen Badeneru, ei« sehr befähigter junger Mann, brachte es in
den Schweizerregimentern des Vourbonen bis zum Hauptmann
und war einer der Ersten, die während der Kampfes in Palermo
im Mai 1860 zu Garibaldi überliefen. Unter diesem diente er mit
Auszeichnung und fnngirte uach Auflösung der Südarmee als
Hauptmann in der ungarischen Legion, die überhaupt großen-
theils aus D e u t s ch e u bestand!!
Nachdem wir einen Blick auf die Einwanderung der Deutschen
und die Gründung der deutschen Kolonie in Neapel geworfen,
wollen wir auf ihre Lebensweise und die gesellige Verbindung
untereinander eingehen. Wie schon oben erwähnt, haben die
Deutschen in Neapel ihre Nationalität ziemlich festgehalten (das-
selbe Lob verdienen die Deutschen Mailands, obwohl dieselben
ebensowohl Feinde der italienische!? als der „deutschnationalen"
Bewegung sind). Sie haben eine deutsche Kirche, in der deutsch
gepredigt, eine deutsche Schule, iu der deutsch gelehrt, einen
deutschen Verein, in dem deutsch gesungen, debattirt, getanzt und
getrunken wird. Dieser Verein, der auch alljährlich das Schiller-
fest feiert, verfolgt lediglich Zwecke der Unterhaltung und schließt,
laut den Statuten, alle politischen Gespräche aus. Die deutsche
Geldaristokratie Neapels hat au diesem Verein keinen Theil, son-
dern bildet mit den dortigen vornehmen Engländern und Fran-
zosen einen internationalen Klub, der bei der letzten Anwesenheit
Victor Emauuel's in Neapel diesem König-Biedermann, dessen
Dankbarkeit sprichwörtlich werden dürfte, einen solennen Ball ver-
anstaltete, bei dem die deutschen Damen Seiner dankbaren Maje-
stät besonders gefallen haben sollen. Auch der deutsche „National-
. verein" hat unter dem Vesuv eine kleine Filiale, doch ist diese sehr
> wenig zahlreich. Der „berühmte" Obrist Becker, der in Genna
wohnt und vou dort aus im Frühjahr 1861 eine geharnischte
Proklamation an die deutsche Nation erließ, hat durch einen seiner
Adjutanten in Neapel auch einen deutschen republikanischen Verein
gründen lassen, welcher indeß seine Force mehr im tapfern
Trinken als in gefährlichen Konspirationen sucht und an einer
eventuellen Umwälzung in Deutschland ziemlich unschuldig sein
dürfte. Auch eine deutsche Goudelgesellschast ist schon seit
Jahren vorhanden, und ich sah sie auf einer sehr eleganten großen
Gondel an der Villa Nazionale vorüber im schönen Golfe fahren.
Die Gondeln hatten stets die schwarzrothgoldene Fahne auf-
gesteckt, was dem Patriotismus alle Ehre macht. Die Mitglieder,
meist junge Handelsbeflissene, nahmen, ich sage leider, nicht selten
sehr zweideutige Nymphen an Bord; sie hätten aber dann wenig-
; stens unsere Flagge einziehen sollen.
Die deutsche Kolonie leidet übrigens im Allgemeinen großen
Mangel an Damen, und die jungen heirathsfähigen Männer sind,
wenn sie nicht Neapolitaneriunen Heirathen wollen, fast immer ge-
52
Briefe über Polen.
zwungen, sich eine Frau aus der Schweiz oder ans Deutschland zu
holen. Das häusliche Leben unserer Landsleute ist dem in der
Heimath ziemlich gleich geblieben und zeigt nur wenige Modifikatio-
neu, die ebeu das Klima erheischt. Große Geselligkeit findet iudeß
nicht statt, und die vier Hausbälle, welche der oben erwähnte
Krösus, Herr Nouuwiller, alljährlich veranstaltet uud zu deuen
bis achthundert Personen geladen werden, stehen ziemlich ver-
einzelt da. Hausgesellschaften kommen nur spärlich vor und leider
schließen sich nicht nur die hier blos durch deu verschiedenen Ver-
mögensstand gebildeten Stände, sondern selbst die verschiedenen
deutschen Laudeskinder nur zu oft engherzig von einander ab.
Daß es in dieser Beziehung auch glänzende Ausnahmen und daß
es deutsche Häuser iu Neapel giebt, iu denen jeder gebildete Deutsche
eiue herzliche Aufnahme findet, bestätige ich dagegen gern.
Nur sind dies leider Ausnahmen und der Tou, welcher unter deu
Deutscheu Neapels herrscht, ist im Ganzen ein sehr kalt-materieller,
der, höheren Regungen uud Bestrebungen fremd, nur immer das
eigene Interesse ventilirt. Die Geldaristokratie sucht sich freilich
auch in geselliger Weise nach Möglichkeit zu belustigen, und die
reichsten uud angesehensten Familien bilden verschiedene kleine
Kreise, Lesekränzchen und musikalische Vereine, doch sind sie dabei
sehr exklusiv und wiegen ihre Freunde und Bekannten bezüglich der
Zulässigkeit iu diese geselligen Zusammenkünfte nicht nach den
Fähigkeiten, sondern ausschließlich uach dem Geldes) Zun: Lobe
*) Es erklärt sich sehr natürlich, daß die im Ausland angesiedelten An-
gehörigen einer fremden Nationalität in Bezug auf Umgang und Verkehr-
wählerisch sind und sorgfältig zu Werke gehen. Wer gut empfohlen ist oder
seine Probe bestanden hat, wird überall bei unseren deutschen Landslenten gut
unserer Deutschen muß dagegen gesagt werden, daß sie, außer den
Engländern, und zwar mehr als diese, in Neapel die Einzigen
sind, welche die dort von der Natur mit so verschwenderischer Fülle
gespendeten Schönheiten zn würdigen wissen. Die herrlichsten
Punkte in der Umgegend Neapels sind mit Villen geschmückt, die
sich im Besitz unserer Landslente befinden. Die Deutscheu kennen
die klassischen Stellen und die besonderen Vorzüge der Umgegend
besser uud genauer als Andere, und sie machen häufiger als die
Angehörigen anderer Nationen Land - uud Wasserpartien nach
allen Richtungen hin. Nicht zn vergessen ist auch, daß die einzige
ordentliche Buchhandlung in Neapel die eines Deutschen, des
bekannten Herrn Dedtken, ist, durch deu der Fremde jederzeit die
neuesten Erscheinungen der gesammten europäischen Literatur be-
zieheu kann. Ebenso kann ich zum Schlüsse nicht umhin, zu er-
wähnen, daß man die Nähe eines deutscheu Hauses oder einer
deutschen Villa in oder bei Neapel stets durch deu wohlthueudeu
Hauch der Ordnung und Reinlichkeit, der sie umweht, vor
deu Wohnsitzen anderer Nationalitäten, namentlich aber der
Neapolitaner selbst, herausfindet. Einer rühmlichen Erwähnung
verdienen der Geueral-Konsul der Schweiz, Herr Oskar Morrikhofer,
ein durch uud durch gebildeter, menschenfreundlicher Mann, und
der hannoversche Konsul Herr Brandes, auch ein Schweizer.
E. Rüffer.
aufgenommen werden. Viele bittere Erfahrungen machen Vorsicht nöthig.
Die Engländer und Franzosen gehen eben so zu Werke und thun recht daran-
Ohnehin stellen sich dort, wo fremde Kolonien in großen Städten noch neu
sind und noch kein halbes Jahrhundert zählen, erst allmälig festere Normen
für den Umgangsverkehr heraus. Red.
Briefe über Polen.
Von Dr. I. Caro.
n.
Der Land - Edelmann und wie er wohnt. — Seine Levens-
gewohnheiten. — In der Stadt und im Wirthshans. — Die
Nationalität des Edelmanns und jene der Bauern.
Wo soll ich doch nur gleich deu Edelmann in Polen anssuchen,
nm ihn vorzustellen? Bei welcher Beschäftigung könnte ich ihn doch
Photographien, daß er sich dem Leser klar uud bestimmt uud deuu
vou einer möglichst vortheilhasten Seite zeig.? Sein Geschäfts-
kreis ist natürlicher Weise weit mannigfaltiger als der des Bauern,
uud uichts ist ihm selbst mehr zuwider, als des Bauern rührend
frommes Einerlei. Er liebt mehr den bunten Wechsel der Geschäfte,
und wiewohl seine Eigennatur iu alleui sich wie eiuFadeu hindurch-
zieht, so ändern sich doch oft uud rasch die Formen, und seine
Haltung ist bald so bald so. Ich will es daher versuchen, ihn in
mancherlei Situationen zn zeichnen. Freilich müßten wir uns erst
mit der Statistik des polnischen Adels befassen, um festzustellen,
wen wir eigentlich meinen, zumal das Verhältniß hier in Polen
besonders merkwürdig liegt.
Wohl kein Land in Enropa hat einen nach Maßgabe der Be-
völkernng so zahlreichen Adel als Polen. Woher das kommt iu
einem Lande, in welchem das Ritterthum und Ritterwesen des
Mittelalters nur spärlichen Ansatz genommen hat, wollen wir
später anzugeben versuchen, und vorläufig nur die Merkmale kenn-
zeichnen, welche diesen Edelmann von den anderen Ständen unter-
scheiden. Alle diejenige» Unterscheidungsmerkmale, welche für den
deutschen, englischen oder selbst romanischen Adel gelten können,
sind hier in keiner Weise ganz zutreffend, hier kommt immer noch
ein anderes Moment hinzu. Doch treten wir näher an diesen
Mann heran!
Wir blieben im ersten Briefe an der Thür „des Hofes" oder
Herrenhauses stehen. Treten wir nur ein, wir werden dort Re-
Präsentanten der zu schildernden Gattung vorfinden.
Die Höfe bilde» in der Regel große Rechtecke, deren Lang-
feiten mit der Fluchtlinie des Dorfovals parallel laufen. Das
große Thor (brama) ist dem iimern Dorfplatze zugekehrt; das
Wohnhaus liegt iu der Tiefe des Hofes, so daß man ans den
Hauptfeusteru immer in diesen selbst hineinschaut. — Zu beiden
Seiten des Hofes erstecken sich die Wirtschaftsgebäude, nur die
Scheune pflegt häufig abgesondert zn liegen. Wie das Alles von
einem Chaos von Dingen und Gerätheu erfüllt ist, wie da Uu-
orduuug und Sorglosigkeit herrscht, das können wir leicht über-
gehen, denn das ist tausend Mal zur Illustration der „polnischen
Wirtschaft" bereits geschildert worden. Betrachten wir lieber
das Herreuhans selbst.
Jenes Gefühl der Oede uud Dürre, das mich hinter der Grenze
befiel, jene Empfindung der Trockenheit, welche gewissermaßen
uns das Bewußtsein nahe rückt, daß wir in einem Lande ohne
Meerausgänge uns befinden, packte mich doppelt in diesem Hanse.
Das, was die deutschen Bürgerhäuser so „mollig" und wohnlich
macht, geht derWohuuug des polnischen kleinen Landedelmanns aber
auch gänzlich ab. Ist es der Mangel an Schränken oder an Tisch-
decken, an Sophas oder an Wandbildern und Spiegeln, welcher
Briefe über Polen.
53
diese Räume so kahl erscheinen läßt, oder ist es der frostige Kontrast
zwischen parquettirt gewesenem Fußboden und abgestoßener, kalk-
bröckelnder Stubendecke, — ich will es nicht entscheiden, aber ich
werde nie wieder über die Gardinen schelten, welche die Hälfte
des hereinstrahlenden Lichtes absperren; ohne dieselben sehen die
Zimmer doch abscheulich wüst aus.
In diesen nugemüthlicheu Räumen sitzen sie nun, die als die
Faktoren des polnischen Staates und seiner Geschichte angesehen
werden können, ein Edelmann, ein Priester und zwei
Frauen. Was sie treiben? Was sollte man auf dem Lande bei
schlechtem Wetter vornehmen, wenn man weder Bücher, noch
Zeitungen, noch Journale n. dergl. liest, —man spielt; jetzt das
auch in Deutschland bekannte Preserance, später, wenn sich noch
einige Theilnehmer eingefunden haben werden — ein Zufallsspiel
— Kwiep genannt, das einige Aehnlichkeit mit Onze et demi
hat. Langer Bewillkommnnngsredensarten bedarf es nicht, denn
der Pole ist, das muß man sagen, von einer außerordentlichen
Gastlichkeit. Er druckt uns mit solcher Herzlichkeit die Hand, daß
die Glieder krachen, stellt uns allen Komfort zur Verfügung, deu
er selbst genießt und der von auffälliger Bescheideuheit ist, und
ladet uns schließlich zur Theiluahme an seinem Spiele ein. Da
ich nun leider keine Kartenspiele verstehe, so bescheide ich mich gern
mit dem bloßen Zusehen und gewinne dabei Zeit und Gelegenheit,
die Personen mit Mnße zu beobachten.
Sprächen Baner und Edelmann in Polen nicht eine und die-
selbe Sprache, nimmermehr würde man zugeben, daß sie derselben
Nation angehören, so ganz verschieden ist der Typus ihrer Er-
scheinungen. Den Bauer haben wir geschildert; betrachten wir
uus den Edelmann dort am Spieltische. Seine Haare sind raben-
schwarz, unter einer hochgewolbten Stirn ziehen sich dichte buschige
Augenbrauen hin, wie Waldgestrüpp am Fuße der Hiigel; die
dunkelbraunen, feurigen kleinen Augen liegeu tief in ihren Höhlen;
die Nase ist gebogen, hervorgedrängt, die Lippen sind aufgerollt
und tief geschlitzt, das Kinn ist breit gezogen; das Antlitz ist meist
gänzlich geschoren, bis auf deu klassischen Schnurrbart, deu sie etwa
wie die Montenegriner zu beiden Seiten schlicht und möglichst lang
herunterhängen lassen; der Hals ist kurz, die Schultern sind breit
und kräftig und die ganze Gestalt erscheint mehr gedrungen als
gereckt. Das Blut fließt rasch und feurig in seinen Adern, sein
Temperament ist aufgeregt, die Sprechweise hastig und rasch,
überstürzend; lebendige und häufige Gesten begleiten seinen Aus-
druck. Doch würde man in der Annahme irren, daß dies nur
beim Spiele der Fall sei, im Gegentheil, der polnische Edelmann
gestiknlirt sogar im Selbstgespräch. Der Kundige wird aber in
allen diesen Zügen erkennen, daß sie allesammt mehr einer südlichen
als einer nordischen Anlage entsprechen.
Ehe wir aber unsere Schlußfolgeruugeu ziehen, versuchen wir
uns noch mehr Merkmale von dein Edelmann vorzuführen. Jeder-
mann weiß, was für treffliche Gesellschafter die polnischen Edel-
lente sind; sie reiten mit Eleganz und Leidenschaft; wenn das Roß
in gestrecktem Galopp über die Heide dahinschießt und der Reiter
vorwärts gebengt beinahe mit dem Haupte die Mähne berührt, so
steigen die Erinnerungen au die wilden Krieger der Ukraine, an
die besten Reiter der Welt, in uns ans. Der polnische Edelmann
tanzt mit schwungvoller Grazie, mit lebhafter Leichtigkeit, mit Feuer
oder, wie mau sich iu Polen ausdrückt, „mit Gefühl". Fast jeder
voit ihnen versteht den krummen Säbel zu führen und ficht rasch
und hastig, aber dennoch auch wieder mit gewandter Verschlagen-
^t; sehr viele können auch die Lauze gut handhabe«. Durch die
F higkeit, aus dem Klavier oder der Geige ein paar Tänze oder
wilde Melodien abzuspielen, inachen sie sich oft beliebt und ge-
besonders iu Dameugesellschaften. Aber ist es uicht merk-
wmdig, daß fast Keiner von ihnen ein tüchtiger Jäger ist? Es
fe» t ihnen offenbar an der Ausdauer und Geduld, welche der
"stand und das Waidwerk überhaupt erfordern, sowie überhaupt
lange! an Ausdauer und Scheu vor anstrengender Arbeit hervor-
stechende Eigenthümlichkeiten des Edelmanns bilden. Er bedarf
stets der Stimulantia, im Getränk und Nahrung ebensowohl, als
in psychischen Beziehungen.
Mit jener Ungeduld hängen eine Anzahl Lebensgewohn-
heilen eng zusammen. Nirgends, glaube ich, fährt man, von
den Eisenbahnen natürlich abgesehen, rascher als in Polen. Vor
einem Wagen, der den Luxus der Federn niemals gekannt hat,
sondern sich mit zwei rohen Leitern, einem Weidenkorb und
zwei Bund Stroh begnügt, werden vier, beim höhern Adel auch
sechs Pferde in der Länge vorgespannt, und — ich fuhr selbst
mit einem Edelmann — drei Chausseemeilen in L1/4 Stunde. Nie-
mals aber fährt ein Edelmann, und selbst der Baner nur iu deu
allerselteusteu Fällen, einspännig. Als wir einen Einspänner mit
zierlich angestrichenem Wagen unterwegs trafen, sagte mir mein
Begleiter: „Dort kommen Landsleute von Ihnen, denn hier zn
Lande sind nur die Deutscheu so knickerig, um mit einem Pferde
zu kntschiren." Eine abscheuliche Unsitte muß ich bei der Gelegeu-
heit erwähnen; es ist das „Ausfahren" oder um Wette Fahreu,
welches häufig genug mit Arm- und Beinbruch gebüßt wird; im
besten Falle müssen die Chausseebäume darob zu Grunde gehen,
denn das Umbrechen derselben bei der wilden Fahrt macht den pol-
nischen Kutschern wenig Kummer. Die Post „auszufahren", ist eine
ganz besondere Lust.
Kommt der Edelmann in die Stadt, so freuen sich die Kauf-
tente und Gastwirthe. Seine Einkäufe besorgt er mit großer Gen-
tilität. Hat er Geld, so trägt er es gern in Gold in der Tasche
und wirft die Lonisd'ors oder Jmperials auf den Tisch und sieht
ruhig zu, wie sich der Kaufmann für seine Waarc bezahlt macht.
Hat er keius, so herrscht er dem Kaufmann ein: „Schreib ans!" zn
und geht davon. Immer aber kauft er das Beste, das der Vorrath
des Kaufmannes aufzuweisen hat. Er feilscht nie, während da-
gegen der Bauer überglücklich ist, wenn er einen Theil der gefor-
derteu Summe herunterhandelt, gleichviel, ob er trotzdem bei
weitem übervortheilt worden ist. Im Wirthshans aber geht's
dann hoch her. Das Trinken der Polen ist sprichwörtlich. Ich
habe aber nicht gefunden, daß sie so außerordentliche Quantitäten
zn sich nehmen; sie trinken nur sehr rasch und zwar schwere Spiri-
Mosen. In Polen wird wohl mehr Ungarwein kousumirt als
irgendwo ans Erden.
Die malerischen nnd phantastischen Trachten der Polen, welche
als nationale^) gelten, werden meistens nur vom Adel getragen;
der Bauer trägt seinen langen blauen Tuchrock wie überall die
Landleute. Nur in Galizien finden wir bei den Bauern eigen-
thümliche Hüte, weißgraue Kittel und die Beinkleider unter dem
Hemde. Aber der Schnnrrock, die Tschamarka nnd Tn-
schnrka (toujours) sind ausschließliche Bekleidung des Adels.
Wie in seinem Wesen, so spricht sich besonders in seiner Klei-
dnng und namentlich bei den Frauen seine Eigenthümlichkeit leb-
Haft aus. Die Edelleute treiben wohl Luxus iu einer Art, die
sprichwörtlich geworden, aber nicht ans dem Streben heraus,
einen wohlthueudeu Eindruck hervorzurufen, sondern vielmehr aus
dem Wunsch, in der Seele des Beobachters einen prickelnden Reiz
zn erwecken. Wenn sie daher bei sich darbietender Gelegenheit den
Staub der Alltäglichkeit von sich werfen, wirkt ihre äußere Er-
scheinung nicht sowohl durch Uebereinstimmnng des Besondern, als
sie durch die bizarre Vermengung der seltsamsten Kontraste, durch
die Nebeneinanderstellnng der schlichtesten Einfachheit und anf-
reißenden Pompes stets eine — wenn mich immerhin interessante —
Unruhe erweckt, und das beabsichtigen sie.
Fassen wir alle die Züge zusammen, welche den Edelmann so
sehr von dem Bauern unterscheiden, so stoßen wir auf das Ergebuiß,
daß die Individualität des Bauern eine solche ist, die mit Klima
*) Herr von Haxthausen bemerkt in seinem trefflichen Werke über
Transkcinkasien, das; diese sogenannte polnische Tracht eigentlich den Ta-
taren entlehnt sei.
54
Charakterbilder aus den kalifornischen Goldgegenden.
und Bodenbeschaffenheit des Landes, 'in welchem sie sich findet, in
Uebereinstimmnng steht, daß dagegeu der Adel entschieden auf
einen andern Ursprung hinweist und das Ange desjenigen,
der danach forscht, nach dem Süden lenkt. Ja selbst der Kultus
jener kraftlosen Sentimentalität, welche in der Zeit Jnng-Deutsch-
lands namentlich unsere Frauen so sehr zn umstricken wußte, klingt
wie ein Sehnsnchtslied nach einer dahingeschwundenen und fernen
Heimath.
Es ist mir niemals recht klar geworden, auf Grund welcher
Kriterien die Nationalitätsevangelisten an der Seine und am Po
die Nationalitätenscheidung vornehmen. Für die banale Oberfläch-
lichkeit mag die Sprache ein ausreichender Theilnngsgrnnd sein;
für jeden tiefer Denkenden mußten die literarischen Verschnittenen
des politischen Großmogul noch ein anderes Moment entdecken,
weil sonst eine Ueberslnthuug der nationalen Existenzen mit obli-
gater Selbständigkeitsberechtigung eintrat, von der man nur einen
Begriff uach einem Einblick in die sprachvergleichenden Gramina-
tiken gewinnen kann. Man kochte daher Race und Sprache zn
einem Brei, ging von einer Kongruenz dieser Begriffe aus und
schlüpfte über die Widersprüche mit gewohnter Leichtfertigkeit hin-
weg. Da nun ganz naturgemäß ein großer Theil der kleinen Na-
tionalitäten zn den „unterdrückten" gehört, und die französischen
Politiker Unterscheidungen nicht brauchen konnten, die ihren sym-
pathetischen Kombinationen nicht entsprachen, so unterdrückten sie
ihrerseits eine Anzahl von natürlichen Scheidungen und erhoben
Gattungsbegriffe, wo diese absolut uicht zu fassen waren. Wollte
man konsequent verfahren, so hätte man in Polen ganz bestimmt,
trotz der einheitlichen Sprache, eine zwiefache Nationalität
annehmen müssen. Es ist nicht tiefgehend genug, wenn mau die
Herrschaft des polnischen Adels im ganzen Verlaufe der Geschichte
dieses Landes, und den ausgeprägten Antagonismus zwischen
Aristokratie und Volk (Bauern) ansschließlich mit der junkerlichen
Anlage des polnischen Edelmanns erklären zn können glaubt, man
muß durchaus noch das Widerstreben zweier verschiedener Arten,
Gattungen, hinzunehmen.
Der Historiker soll noch geboren werden, welcher die frühesten
Wanderungen der slawischen Stämme zur klaren Anschauung
bringt; hier aber liegt uns mit größter Bestimmtheit ein Er-
gebniß vor Augen, das offenbar eine Ueberschüttnng eines
nordslawischen Stammes von einem südslawischen
kennzeichnet. Der letztere war und blieb der Sieger, darum
vollzog sich in seiner Mitte ausschließlich der ganze Prozeß
der Staatsbildung, der staatlichen EntWickelung und Auflösung,
während der besiegte Stamm zu allen Zeiten nur ein Regie-
rnngsobjekt blieb. So oft mich dem polnischen Adel das Messer
an der Kehle stand, niemals konnte er sich dazn entschließen,
die Abwendung der Gefahr durch Emancipation des besiegten
Stammes zu erkaufen. Die hartnäckige Weigerung des Adels,
aus dem Bauernvolk einen selbstthätigen Staatsfaktor zu macheu,
z. B. noch in der Revolution vom Jahre 1831, erfolgte ans dem
instinktiven Bewußtsein, daß damit ein Selbstmord, eine Auf-
lösnng der eigenen Individualität vollzogen werde, denn der mit
Klima und Bodenbeschaffenheit in natürlichem Einklänge stehende
Bauer würde, frei geworden, gelöst von der Fessel, welche die
Borzeit um ihn geschlungen, sehr bald den ehemaligen Sieger über-
wuchert und dnrch rasche Entfaltung und Erhebung die Gewalt
vergangener Zeiten entgolten haben.
Wie sehr daher auch eine äußerliche Uebereinstimmnng
zwischen dem polnischen Edelmann und dem deutschen Junker ob-
zuwalten scheint, so bestimmt doch die Verschiedenheit ihrer Aus-
gangspunkte die Verschiedenheit ihrer Natur. Der deutsche Edel-
mann ist das Ergebuiß eiues organischen Prozesses; der pol-
nische Aristikrat dagegen ist die überwindende Macht eines gewalt-
samen Vorgangs. Jener hat daher alle Stufen und Grade ge-
ringerer Macht und Bedeutung hinter sich gelassen, dieser über-
lastete den frühern Bewohner ohne innere Assimilation, ohne
geschlechtliche Mischung. Darum gab es in Deutschland von jeher
einen kräftigen und ausstrahlenden Bürgerstand, während Polen
zu alleu Zeiten bei den kümmerlichsten Anläufen zu einem solchen
stehen liegenden ist. Erwägt man die in der innern Natur der
Dinge liegenden Hindernisse, welche dem entgegenstandeu, so be-
greift man, was die Redensarten der Gegenwart, welche zu einer
solchen Bildung sich anheischig machen, zn bedeuten haben.
Charakterbilder ans den
Wir wollen den Aufsatz „Streifzüge durch Kalifornien", welcher
in der vorigen Nummer mitgetheilt wurde, durch einige Nachträge
vervollständigen. Sie geben eine Vorstellung von dem Leben
nudTreibcn der Diggerö uach den verschiedenen Volks-
thümlichkeiten, welche in scharfem Gegensatze zn einander
stehen, und die Eigenart, Anlagen und Begabung der verschiedeneu
Nationen tritt dabei sehr deutlich hervor. Es wird zweckmäßig
sein, auch hier den Reisenden Simonin erzählen zu lassen; er ist
ein guter Beobachter, der genau zugesehen hat.
Er war in Eonlterville, verweilte dort einige Monate und
hatte eine wahre Musterkarte vou Nationalitäten um sich. An
Chinesen und Spaniern ans den Kolonien, schreibt er, war kein
Mangel; unter den Letzteren fand ich die Mexikaner und Chilenen
ain stärksten vertreten. Nicht ganz so zahlreich waren die Engländer.
Jrländer, Franzosen und Italiener; dazu kamen dann noch
mehrere Kanadier. Die Nordamerikaner machten sich in jener
Gegend mit dem Diggerwesen nicht viel zn schaffen, waren aber in
der Stadt Eonlterville in überwiegender Mehrzahl, hatten sich die
Aemter gesichert und trieben Politik. Viele sind Kanflente und
Krämer, halten Schenk- und Kaffeehäuser und machen sehr gute
Geschäfte.
llifornischen Goldgegenden.
Alle „Miners", welche „Placeres" bearbeiten, haben sich in
den Schluchten am Maxwells -Creek und am Merced zerstreut;
andere arbeiten noch anf einigen goldhaltigen Hochflächen, die vor
mehreren Jahren eine fabelhaft reiche Ausbeute gaben. Gegen-
wärtig ist der Rahm abgeschöpft, aber der Ertrag immer noch
lohnend und nicht ohne Belang. Die Arbeiter könnten allesamnit
wohlhabend sein, wenn sie nicht ihren Erwerb leichtsinnig ver-
geudeteu. Aber das Spiel, die Flasche und die Weiber werden
den Meisten verhängnißvoll und dann heißt es: Wie gewonnen,
so zerronnen!
Die Chinesen waren bei Eonlterville, wie überall in Kali-
sonnen, gleichsam die Pariahs. Der Uankee mag ihre Weizen-
gelbe Hantfarbe, ihre gequetschte Nase und die geschlitzten Augen
nun einmal nicht lelden, und John Chinaman wird sehr schlecht
von ihm behandelt. Aber der Sohn des himmlischen Reiches er-
trägt geduldig Mißhandlung und Druck und arbeitet unverdrossen
in den Placeres, welche den Weißen nicht gnt genug erscheinen.
Die Chinesen wohnen grnppenweis in Hütten und theilen jeden
Abend den Ertrag der Tagesarbeit. Alle rauchen Tabak, manche
auch Opium, und die Theekanne spielt, wie sich von selbst versteht,
hei ihnen eine wichtige Rolle. Hühnerfleisch ziehen sie allen anderen
Charakterbilder aus den kalifornischen Goldgegenden.
55
Speisen vor und deshalb findet man bei jeder Chinesenwohnung
eine Menge Geflügel. Auch die Liebhaberei für den Reis, welcher
das Lieblings - und Hauptgericht bei jeder Mahlzeit bildet, ist bei
dein Chinesen Kaliforniens so stark wie bei seinem Landsmann im
asiatischen Blumenreiche. Die bekannte Kleidung und den Zopf
hat er iu der ueuen Welt beibehalten; er bleibt eben was er einmal
ist, Chinese.
Den Abkömmlingen der Spanier: Mexikanern, Chilenen
und Peruanern, sieht man ihre Herkunft auf den ersten Blick
an. Es ist viel gemischtes Blut iu diesen Leuten mit schwarzem
Haar, bräunlichem Gesicht und lebhaften, stechenden Augen.
Solch eiu Kreole geht uie ohne sein Machete, ein dolchartiges
Haumesser, im Gürtel; besonders die Mexikaner verstehen sich
trefflich auf deu Gebrauch dieses nützlichen Werkzeuges, das iu
ihrer Hand zugleich eine gefährliche Waffe bildet. Der Kreole hat
statt des Mantels eine wollene Decke mit buntfarbigen Streifen
und einem Loch in der Mitte, durch welches der Träger den Kopf
hindurchsteckt; dieses sehr zweckmäßige Kleidungsstück nennt man
in Mexiko Sarape, in Südamerika Poncho.
Diese Spanier aus den Kolonien sind, wie die Kastilianer in
Altspanien, außerordentlich mäßig. In ganz Kalifornien sind
ihrer wohl an die fünfzehntausend. Vor Jahren war ihre Zahl
weit beträchtlicher, sie wurden aber von den Uankees der Art
mißhandelt und verfolgt, daß sehr viele fortzogen. Der Iankee
spielt, wohin er kommt, den Privilegirten und benimmt sich an-
maßeud; jene Kreolen sind ihm zuwider, weil sie viel gemischtes
Blut haben. Aber manchem Aankee haben es die Chilene» und
Mexikaner mit dem Machete eingetränkt und viel Blut ist geflossen.
Auch hat es sich ereiguet, daß sie dem einen oder andern Peiniger
den Lasso, die Wurfschnur, über den Kopf warfen und ihn er-
würgten.
Engländer und Irland er sind wohl eben so zahlreich wie
jene spanischen Kreolen; sie verschmelzen sich leicht mit den Ameri-
kauern und reden ohnehin dieselbe Sprache. Die Engländer sind
ausgezeichnete „Quarzmiuers", und thnn es an Stärke und Aus-
daner allen anderen weit zuvor. Die Sache erklärt sich, weil unter
ihnen viele regelrecht ausgebildete Bergleute aus Cornwallis sind,
deren Weisungen die übrigen Landsleute folgen. Die Jrläuder
sind keine guten Miners und beschäftigen sich als Arbeiter zweiter
Klasse. Aber John Bull und Paddy gleichen einander und dem
Dankee obendrein darin, daß sie ihrem Hange zum Genuß starker
Getraute allzusehr sr'öhueu. Ueberhaupt kauu man die Aufführung
der Jrländer im Allgemeinen nicht rühmen, und mancher Sohn
des grünen Erin, der sich nicht bessern wollte, hat seine Missethaten
an einem kalifornischen Galgen oder an einem Baumstamme ge-
büßt.
Im Jahre 1851) waren noch etwa vierzehn bis sechszehutauseud
Franzosen in Kalifornien; früher ist ihre Anzahl beträchtlicher
gewesen. In Conlterville, sagt Simonin, trugen sie alle guten und
schlimmen Eigenschaften, die uus nun einmal anhaften, zur Schau.
Sie sind allezeit lustig und geschäftig bei der Arbeit, und wo sie in
einem „Camp", einer Wohn- und Lagerstätte der Miners, wohnen,
geht es immer munter genug zn. Sie Handtieren mit Spitzhacke und
Schaufel recht gewandt, werden aber der Arbeit leicht überdrüssig
und vertragen sich uicht gut miteinander. Der Geist der
Zucht fehlt nuserm Charakter; darum siud wir auch keine guten
und ("tätigen Kolonisten; wir lieben Wechsel uud Veränderung.
Der Franzose treibt in Kalifornien so ziemlich alle nur mögliche
Beschäftigung, hält es aber bei gar keiner lange aus. Er vergeudet
uud vertrödelt viel Zeit mit der Sehnsucht uach dem alten Vater-
lande, „ach welchem immer sein Sinn steht. Und darin liegt
auch eine Hauptursache, daß er oft iu übler Lauue ist, unlustig zu
vielen guten Diugeu wird uud iu ewiger Unruhe bleibt. Er könnte
m Kalifornien eine Art Paradies haben und doch erscheint es ihm
wie eme Hölle!
Ganz im Gegensatze zn den Franzosen sind die Deutschen
einig uutereiuauder uud halten fest zusammen. Der
Tabakspfeife und dem Lagerbier bleiben sie allerdings getreu;
stets hat unter ihnen die beste Harmonie geherrscht
nu d si e h ab en sich wohl d ab ei b esnnd en. In Conlterville
und der Umgegend fand ich keine Deutschen, wenigstens nicht in
den Minen; aber in den Goldregionen der nördlichen Counties,
namentlich in Nevada, habe ich manche angetroffen. In San
Francisco wohnen sie in beträchtlicher Menge, haben viele und
große Handelshäuser und sind auch als Haudelsgehülseu bei ameri-
kanischen Firmen augestellt. Abgesehen von anderen trefflichen
Eigenschaften empfehlen sie sich auch durch ihre Sprachgewandtheit:
viele reden mit gleicher Fertigkeit Englisch, Spanisch und Fran-
zösisch znmal und fast so fließend wie ihre eigene Muttersprache.
Als ich iu Kalifornien war, fand ich nur wenige Italiener
als Miners. Manche waren es gewesen, hatten aber die Sache
fallen lassen, denn zu dieser schweren Arbeit fehlt ihnen die Neigung.
Sie wareu Handelsleute oder Fischer geworden; zu solcheu Be-
schäftigungen haben sie Hang und Begabung.
Ich muß auch der Canadier erwähnen. Diese Leute siud
von Osten her gekommen und haben die ganze Breite Nordamerikas
zu Fuße durchwandert. In Mariposa Conuty fand ich sie als
Holzhauer und Kohlenbrenner. Die meisten sprechen nur das
cauadische Französisch. Alle sind bei der Arbeit unermüdlich uud
ausdauernd, friedliche, rechtschaffene Lente, die ihr Wort halten.
Beim Goldgraben haben sie kein Glück nnd erwerben dabei nur
das Nothdürstige.
Der „Miner" führt begreiflicherweise ein eigenartiges Leben.
Er wohnt in seiner Hütte entweder allein oder mit noch einem Ge-
fährten, oder mit einer ganzen Gruppe. Das gilt vou den achtzig-
bis hunderttausend Männern, welche weit nnd breit in Kalifornien
mit dem Fördern deö Goldes beschäftigt sind. Sie wohnen, je nach
der Oertlichkeit, zerstreut umher. An manchen Stellen stehen die
Arbeiter unter der Leitung von Unternehmern, welche beträchtliche
Kapitalien angelegt, namentlich Quarzmühleu nnd Maschinen aus-
gestellt uud eilte größere oder geringere Anzahl von Arbeitern in
Lohn haben. Diese wohnen dann gewöhnlich zusammen in großen
Baracken uud halten gemeiuschastlicheu Tisch, während der ver-
eiuzelte Miner sich allein in seiner Hütte das Mahl bereitet.
Die Bevölkerung in den Camps, Mittelpunkten des Minen-
baues, ist natürlich eine wesentlich andere als jenein denPlaceres.
Conlterville kann dafür einen guten Beleg geben. Einige Hundert
Amerikaner hielten Gasthofe, Schänken, Kaffeehäuser, Billard-
säle, hatten Waareumagaziue oder trieben auch das eine oder
andere Haudwerk. Von den etwa fünfzig Italienern waren die
meisten Gärtner; einige treiben auch Handel. Dreißig Fran-
zosen hatten Waschanstalten, waren oder Bäcker, Schmiede und
Metzger. Vierzig deutsche Juden verkauften fertige Kleider
und dergleichen Sachen mehr. Ungefähr eben so viele Jrländer,
Mexikaner nnd Chilenen trieben allerlei sehr verschiedene Dinge.
Neger fehlten auch hier nicht ganz; sie sind Schuster, Barbiere ic.;
ein Paar Chinesen beschäftigten sich mit Gärtnerei nnd Tischlerei.
Indianer, einige hundert Köpfe stark, treiben sich als Land-
streicher umher.
Ein paar tausend Schritte von Conlterville haben ungefähr
dreihundert Chinesen ein eigenes Dorf, denn iu der Stadt selbst
hätte man sie in so großer Menge nicht geduldet. Uebrigeus gleichen
diese Camps im Allgemeinen einander sehr, wo sie auch liegen
mögen; nur ist natürlich ihre Größe, die Anzahl nnd die Zu-
sammeusetzung ihrer Insassen verschieden. Sie bilden sich (wenn
diese Ausdrücke ans Amerika Anwendung finden dürfen) zu Dörfern
und Fleckeu heran, bilden eine Gemeinde mit Friedensrichter,
Koustabler uud audereu derartigen Beamten. Arzt und Apotheker
finden sich von selber ein und nach und nach wird das Camp zu
einer Stadt.
Ich traf zu Coulterville allerlei wunderliche Gesellen, welche
das Schicksal oder eigener Wille dorthin geführt hatte. Eines
56
Charakterbilder aus den kalifornischen Goldgegenden.
Unterwegs.
Aufbruch nach den Placeres,
58
Ein Besuch im Demir Chan zu Konstantinopel.
Tages fiel mir ein hoch und breit gewachsener Manu mit gewaltig
starkem Bart auf.. Er sprach französisch, war aus der Auvergne
und hieß Vermenouze. Dieser Abkömmling der alten Arverner
hatte besondere Liebhabereien. Zu diesen gehörte die Jagd auf
Klapperschlangen, die er grimmig haßte. Täglich giug er mit einem
Stock in's Freie, schlug die kriechenden Thiere todt, schnitt ihnen
die Klapper« am Schwanz ab und brachte sie nach seiner Hütte, in
welcher er eine ganze Sammlung solcher Klappern hatte. Auch
mit den Chinesen stand der Auverguat auf keiuem guten Fuße; er
hatte sie in Verdacht, daß sie auf seinem Hühnerhofe'die Rolle des
Fuchses spielten, und lauerte ihnen mit der Flinte auf. Um den
Himmlischen zu zeigen, daß er gut ziele, schoß er iu der Nähe
ihrer Hütte» manches Eichhörnchen von den Bäumen. Nebenher
besaß er einen ungemessenen Nationalitätsdünkel. „Das Futter
ist nicht so viel Werth als das Tuch!" sagte er oft. Er verglich
Altfrankreich mit dem Tuche, alle anderen Länder und Völker galten
ihm lediglich für Unterfutter und Kantenbesatz, und damit wollte
er nichts zu schaffen haben. Nie ging er in eine Schänkhütte, in
welcher Uankees waren, und machte sich iin Uebrigen so nützlich,
wie es sich eben thuu ließ. Er war Koch für ein junges Ehepaar,
das teilte Lust hatte, sich mit deu Prosaischen Arbeiten in der Küche
zu beschäftigen, verrichtete nebenher die Arbeiten des Stiefel-
wichsers und Schneiders für Herren und Damen, trieb auch soust
noch Allerlei uud verdiente sich im Jahre gut und gern seine tausend
Dollars. Als entschiedener Freund der Gleichheit aller Menschen,
die nicht etwa Chinesen sind, eignete er sich meine Cigarren an,
ohne mich um Erlaubnis; zu fragen, und Abends setzte er sich in
meinen Schaukelstuhl, um mir seine Abenteuer zu erzählen. Er
war Soldat in Afrika uud Tuchhändler iu der Auvergne gewesen,
hatte auch Spanien besucht, war dauu uach Kalifornien gekommen
uud nach einander Goldwäscher, Qnarzminer, Gehülfe bei einem
Weinhändler gewesen, hatte sein Erspartes in Britisch-Kolumbien
am Fraserstrome zugesetzt, ist nun wie gesagt, ein brauchbarer
Mensch, nebenher, und dadurch macht er sich auch nützlich, Klapper-
schlangenjäger.
Ein anderer Mann, den sie Papa Bärbel nannten, wußte
buchstäblich nicht, wie er nach Kalifornien gekommen war. Eine
Goldgräberkompagnie hatte ihn (vielleicht war er etwas benebelt),
in Havre auf eiu Schiff gebracht uud dabei weiter uichts vergessen,
als seine Kleider und seine Frau auch an Bord zu bringen. Einen
Koffer mit allerlei Siebenfache» schickte man ihm später nach, nicht
aber seine Frau. Sechs Monate ist er unterwegs auf See gewesen
und am Kap Horn wäre er beinah erfroren. Uebrigens kam er iu
einer glücklichen Stunde an, denn fein Diggen war von Erfolg
gekrönt.
Auch einen gewissen Aubert lernte ich kennen uud ich habe
mir diesen Mann genau angesehen. Er war seines Zeichens ein
Stockfischfänger von Neufundland und nebenher Bäcker; anch giug
er für sein Leben gern auf die Jagd, um Hasen uud Eichhörnchen
zu schieße«, und zwischendurch, wenn es ihm eben paßte, war er
anch Miner. Auch verschacherte er „Claims" au die Chinesen, trank
aber leider mehr als ihm gut war. Unablässig wandelte er umher,
um zu „Prospekten", das heißt Stellen ausfindig zu machen, an
denen er Gold vermnthete. Er nahm die Hacke auf den Arm, die
Pfanne zum Auswaschen der Erde unter den Arm und so zog er
im Land umher (Globus III. Nr. 25, S. 6). Sobald er gesnn-
den, was er suchte, bezeichnete er seinen Claim vermittelst eiues
Pfahles und einer Aufschrift, und wenn nach drei Tagen kein
Anderer gültigen Anspruch auf das Eigenthum jener Stelle nach-
wies, sing er an zu arbeiten. Leider fetzte ihm das Delirium
tremens arg zu.
Unter den Chilenen sielen mir zwei Männer auf, die unzer-
tramlich von einander waren; der eine hieß Penaflor, und den
andern hörte ich nie anders nennen als den weisen Juan. Jeder
trug seinen Poncho über die Schulter geworfen und einen breitklap-
pigen schwarze» Hut, deu Sombrero. Au jedem Sonntage kamen sie
im Auftrag ihrer Landsleute, um für sich und diese alle Geschäfts-
angelegenheiten zu bereinigen. Diese Chilenen sah ich nie ohne die
Cigarrette, welche bei ihnen eine ähnliche Rolle zu spielen scheint,
wie bei den Rothhäuteu die Friedenspfeife. Penaflor ist ein
Meister in der Handhabung des Lasso, säugt mit dieser Wurf-
schlinge alle entlaufenen Manlthiere ein und bekommt für jedes, das
er wieder heimbringt, drei Dollars. Er bringt sie aber alle
zurück.
Meinen Nachbar Ah-Huu darf ich uicht vergessen. Dieser
würdige Sohn des Blumenreiches sagte mir, daß Ah seine Mutter,
Huu seilt Vater heiße. Wenn er mit Jemand in Irrungen gerieth,
mußte ich allemal den Schiedsrichter machen. Erwähnt nniß auch
werden, daß ich doch einen faullenzenden Amerikaner gesehen
habe. Der Mann war eiu „Claimbezeichuer", und hauste 1859
das lange liebe Jahr hindurch iu einer Hütte, die er nur dann
und wann verließ, um irgendwo in einem trocknen Bache einen
Claim zu bezeichnen und für sich iu Anspruch zu nehmen. Wenn
int Herbst der Regen kam, verhandelte er ihn au Chinesen, die er
! als ächter Aaukee anführte; sie mußten allemal Haare aus dent
Zopfe lasse».
Die Frauen haben in den Minenbezirkeu anch ihre Vertre-
terinnen, aber was für welche! Da war eine Person weit und breit
als Johanna d'Arc, Jungfrau von Orleans, bekannt. Sie arbei-
tete in den Placeres trotz einem Mann und schmauchte dabei nn-
ablässig Tabak. Eiue andere nauute mau Marie Pautalou, weil
sie lange Beinkeider trng; auch sie wußte mit der Spitzhacke gut
umzugehen. Beide waren Französinnen.
In der Umgegend von Nevada wenden die Miners eine eigen-
thümliche Methode an, welche sie als die hydraulische bezeich-
neu. Ich habe sie auch am Merced und bei Knights Ferry beobachtet.
Vermittelst eines durch Hochdruck bewirkten sehr heftigen Wasser-
strahles ans einer Feuerspritze werden mächtige Hügel und Berg-
abtheiluugeu förmlich zertrümmert. Erde, Kies, ja Felfeu, stürzen
mit Gekrach herab uud die Arbeiter müssen sehr vorsichtig sein, um
uicht verschüttet zu werden. Die solchergestalt heruntergebrachten
Massen werden dauu iu Kanäle uud Schleusen gebracht, und ver-
mittelst dieser „Flnmes" gewinnt mau Gold auch aus solchen
Massen, die nicht eben reich an edlem Metalle sind.
Ein Gesuch im Demir (l
Wir wollen den Leser in ein türkisches Jrrenhans führen, aber
die Schilderung Haarsträubeuder Scenen vermeiden. Er kann uns
getrost folgen und mit uns die eigeuthümlichen Gestalten be-
Frachten, welche im Demir Chan eingesperrt sind. Die Narrheit
ist überall Narrheit, aber der Wahnsinn tritt doch bei verschiedenen j
Völkern in sehr verschiedenen Abänderungen ans und hat, man |
han )u Konstantinopel.
könnte sagen, einen besondern ethnologischen Beigeschmack. Er
nimmt beim Türken ganz andere Formen att und änßert sich bei
diesem Osmanen ganz anders als zum Beispiel beim Griechen.
Ich hatte mir einen kaiserlichen Erlaubuißscheiu zum Besuche
des Demir Chan, so heißt das Irrenhaus, erwirkt, und ein Arzt
aus Tiflis in Georgien war mein Begleiter. Wir mietheten Reit-
Ein Besuch im Demir Chan zu Konstantinopel.
59
Pferde, deren türkische Sättel mit hohen Knöpfen und großen
Steigbügeln sehr unbequem sind, und ritten zuerst durch das sehr
schmutzige Judenviertel. Unterwegs setzte der Tifliser Doktor mir
auseinander, daß es mit der ganzen Verwaltung und Heilmethode j
iu den Irrenanstalten der Türkei uoch sehr schlecht bestellt sei, und
daß man dort gar feine Abstufungen im Irrsinn oder Wahnsinn
beachte. Man werfe zum Beispiel Menschen, die an Säuferwahn-
sinn leiden, oder solche, deren Verstand nur vorübergehend nin-
nachtet ist, hinein und lasse sie nicht wieder fort. Alle treiben sich
durch einander herum und von den Aufsehern werden sie nicht wie
Kranke, sondern wie Sträflinge behandelt. Man hält die Un-
glücklichen nicht reinlich, sorgt nicht für Zerstreuung oder Beschäf-
tigung und läßt sie nicht einmal die entzückend schöne, auf das
Gemüth so wohlthätig wirkende Aussicht aus den Bosporus und
das Goldene Horn genießen. Früher mußten sie obendrein fast Alle
Ketten schleppen, aber davon ist man doch jetzt zurückgekommen; !
dumpfe, feuchte Kerkerlöcher sind freilich noch da. Alle Gegen-
Vorstellungen europäischer Aerzte beim Sultan selbst waren ver-
geblich; der hohe Herr läßt sich lauge Berichte schreiben, aber sie j
werden nngelesen zu deu Akten gelegt und es bleibt halt Alles beim
Alten.
Der Demir Chau ist ein sehr umfangreiches Gebäude, das
früher Residenz irgend eines Pascha gewesen sein mag, und liegt
neben der Snleuuauieh, das heißt der Moschee Soliman's des >
Prächtigen, welche, beiläufig bemerkt, unendlich schöner und groß-
artiger ist als die vielgerühmte Sophienkirche. Bevor wir eiu-
gelasseu wurden, hatten wir einen langen Wortstreit mit dem
türkischen Thürsteher; endlich wurde der Tifliser Doktor ungeduldig
und rief: „Wir haben einen Ferman vom Sultan selber, nnd
wenn ihr nns nicht hineinlaßt, so seid ihr toller als alle Wahn-
witzigen drinnen. Wir wollen hinein nnd sollte es Blnt kosten;
wir müssen den Doktor Tricnpi sprechen."
Das wirkte. Der türkische Cerberus schlüpfte in seine rothen
Maroqninpantosseln, ließ die mit dampfendem Reis gefüllte
Schüssel stehen, stellte die lange Pfeife an die Wand nnd ging
langsam fort, um nns bei dem Arzte zn melden. Wir waren nun
im Gebände selbst, nnd sahen uns um. Einige „zahme" Narreu
füllten Schläuche am Springbrunnen, warfen aber keinen Blick
auf uns. Dann begaben wir uns in die Wohnung des Doktor
Tricnpi. Dieser Aesknlap ist kein modischer Arzt und macht sich
ans Eleganz nicht das Mindeste. Wir fanden in ihm einen winzig
kleinen Italiener mit lauger Nase; der Ausdruck seiner Gesichts-
züge war gutmüthig, drückte aber auch Argwohn und Feinheit
ans. Bald, nachdem wir eingetreten waren, kam ein Neger nnd
brachte schwarzen ungezuckerten Kaffee und lange Pfeifen; Feuer
gab uns ein anderer sehr flinker Dimer, indem er mit silberner
Zange ein Stückchen Kohle auf den Tabak legte. Nun war die
Sache so weit in Ordnung und die Unterhaltung konnte beginnen.
Tricnpi war sehr lebhaft, aber unruhig; nicht mit Unrecht ver-
muthete er in uns Beobachter, Kritiker und Berichterstatter, welche
möglicherweise geneigt sein konnten, in ihm die Verkörperung aller
Mißbräuche zn sehen. Er zeigte uns einige Sachen, welche in der
Anstalt verfertigt worden seien; aber vielleicht hätte er nns gern
vergiftet oder von irgend einem Wahnsinnigen zerreißen lassen.
So meinte wenigstens der Tifliser Doktor, welcher es scharf auf den
Italiener abgesehen hatte, sich aber ganz harmlos stellte, Das nnd
Jenes zn billigen schien, aber doch mit allerlei unbequemen Fragen
herausrückte. Er hätte zum Beispiel gern Einsicht von den Büchern
der Anstalt genommen, aber Tricnpi wich aus; dagegen konnte
er uns die Erlanbniß zu einem Gange durch die Anstalt nicht ver-
weigern, denn wir hatten den Ferman, welcher uns dazu er-
mächtige.
ölt der Mitte des großen Hofes steht neben dein Brunnen eine
große Platane. Der Naum wird von einer Galerie umschlossen,
welche vor den einzelnen Zellen, den großen Schlafsälen und den
Badezimmern herläuft. Ueberall sahen wir Irre; einige schaute»
durch das Gitterwerk der Thüreu, audere saßen oder lagen den
Wänden entlang. Mein Tifliser Doktor war darüber sehr ärgerlich
nnd sagte zu mir: „Es ist unverantwortlich, daß mau diese armen
Leute unbeschäftigt läßt; sie haben keinen Zeitvertreib, keine Zer-
streuung, durch welche sie von ihrem verderblichen Grübeln nnd
Hinbrüten abgelenkt werden könnten!" In diesem Sinne sprach
er sich auch gegen Tricupi aus, der aber die Dinge von einem ganz
andern Standpunkt ansah. Er trat zu einem Türken hinan, der
so stark war wie ein Herkules und so wild um sich blickte wie ein
Löwe. Dem klopfte er auf die Schulter und bemerkte: „Die
Religion meiner Krauken macht diese ganz geduldig, und deshalb
sind Wuthanfälle hier viel seltener als in Europa. Sie sind
Fatalisten und sagen: Schismet; es steht geschrieben, und
haben gegen Einsperrung und Sturzbäder nichts einzuwenden."
Er öffnete die Thür einer kleinen Zelle. Auf einer armseligen
Matratze lag eiu schlankgewachsener Manu von etwa vierzig
Jahren; er hielt den Kopf recht stolz nnd man sah gleich, daß
man einen Menschen von Erziehung vor sich hatte. Haupt und
Hals waren mit sauberen Binden umwickelt, gegen deren schneeige
Weiße sein brauner Vollbart scharf abstach. Mit seinen tief-
liegenden Augen starrte er uns an.
Tricupi erklärte, etwa wie eiu Führer iu einem Wachsfiguren-
Kabinet: „Sie sehen hier, meine Herren, einen Perser, der
seinen Verstand verloren hat, nachdem er sein Vermögen eiuge-
büßt. In voriger Woche wurde ihm der Tabak verboten, deshalb
wollte er sich den Hals abschneiden. Er hat auch deu Versuch dazu
gemacht. Vorher schrieb er eine» Brief, um jeden Verdacht von
seinem Diener abzulenken."
Bevor Tricupi die nächste Zelle öffnete, machte er uns auf
einen jungen Schwarzen aus Nubieu aufmerksam. Dieser
abgemagerte Mensch blickte starr und wie in Nachdenken ver-
suukeu vor sich hin, und sah aus wie ein fanatischer Puritaner;
er war ganz in sich gekehrt und iu religiöse» Betrachtungen wie
verloren; mit dieser Welt und was auf ihr lebt und webt, batte
er nicht das Mindeste zu schaffen, er verachtete sie gründlich.
Seine Hautfarbe spielte aus dem Olivengelb in's Schwärzliche,
seine Lippen waren aufgeworfen, fein Auge war starr, feine halb-
nackte Brust knochig und der ganze Mensch hätte für einen Maler
eine interessante Studie abgeben können. Dieser Unglückliche war
ein Mitglied von der Genossenschaft der heulenden Derwische, und
hielt sich mm fest überzeugt, daß bei ihm die Heiligkeit zum Dnrch-
bruche gekommen sei. Es war ihm viel zu niedrig u»d gering, mit
Mensche» zu verkehren und sich um diese zu bekümmern; er wollte
lediglich mit der Gottheit zn schaffen haben. Ich begriff nicht,
weshalb man diesen schweigsamen, ganz ungefährlichen Enthusiasten
völlig abgesperrt hielt.
„Hier haben Sie einen religiösen Fanatiker gesehen; jetzt will
ich Ihnen einen Mann zeigen, der aus Dünkel und Hochmuth
wahnsinnig geworden ist. Diese Art der Narrheit kommt
bei den Türken häufig vor."
Der Wärter schob die schweren Niegel zurück und öffnete eine
Zellenthür. Da saß ein ehrwürdig anzublickender Greis mit ge-
kreuzten Beineu auf einem ȟt Shawls und Teppichen belegten
Divan. Aus feinen Augen blitzte ein übernatürlicher Glanz, der
lange Bart fiel in silbernen Wellen auf den dnnkelrothen Rock
hinab. Was für eine vornehme, über alle Maßen würdige Miene
j machte der Alte! Man hätte ihn für den Chalifen Harun al
Raschid selber halten können, und in der That hielt er sich für keine
geringere Person als für einen Sultan. Als wir eingetreten
waren, blickte er uns mit der allertiefsten Verachtung an. Er
mochte wohl meinen, daß wir ihn für einen ehrsüchtige» Usurpator
hielten, aber was kümmerte das ihn? Er verachtete uns so recht
j von Grund seiner Seele ans; das konnten wir ihm wohl anmerke».
Der Arzt wollte ihn in gute Laune versetzen, begrüßte ihn mit
Hochachtung und bat, daß er uns einen Ferman ausstellen möge,
8*
60
Ein Besuch int Demir
Chan zn Konstantinopel.
Er ließ sich in der That dazu herab und gab seine kaiserliche Unter-
schrift, aber wie ein Mann, welcher, obwohl von seiner Macht nud
Hoheit durchdrungen, doch einigen Verdacht hat, daß man ihn
verspotten wolle. Wir »lachten beim Abschied eine sehr tiefe Ver-
beugnng und der Wärter verriegelte dann die Thür sorgfältig.
Denn der Sultan wird manchmal ganz wild nud unbändig, be-
sonders wenn er meint, daß man die ihm gebührende Hochachtung
außer Augen setze.
Als wir an einem Schlafsaale vorübergingen, kam ein kleiner
Bauer herangelaufen, der au einen Cretin erinnern konnte. Er
trug weiter nichts als einen Ueberwnrs von Leinen und küßte nns
Hände nud Rockschooß. Der arme Teufel war entsetzlich hungrig
und der Tifliser Doktor raunte mir verdrießlich zn: „Welch eine
Schmach: mau giebt ihnen nicht einmal satt zn essen!"
Bemerkenswerth war ein Mensch, der von dem Wahne be-
sessen war, daß sein Name sich allstündlich in den eines Sultans
umändere. Trivnpi fragte ihn, wie er heiße? Der Narr rückte
an seinem Turban herum, senkte den Kopf ein wenig, that als
ob er sich besinne nnd antwortete: Bajazet! Gleich nachher
wiederholten wir die Frage, ans welche er Amnrath entgegnete;
späterhin nannte er sich Mahmud. Diesen Irren hätte man anch
nicht einznsperren brauchen, er war so unschädlich wie leiden-
schaftliche Gemälde-, Münzen- nnd Fayencesammler. Weshalb
soll Einer sich nicht nach dem Namen verstorbener Sultane oder
Könige nennen? Wen geht das etwas an?
„Ich habe beschlossen, daß es zwei Millionen sein
sollen!" sprach ein Anderer, welchem Tricupi mit einer Art von
väterlicher Vertraulichkeit entgegentrat. Was sollte das bedeuten?
Der Mann war ein türkischer Arzt, der in einem Anfalle von Geistes-
abwesenheit Vater, Mutter und zwei seiner eigenen Kinder gctödtet
hatte. Zwei Millionen sollten die Entschädigungssnmme bilden,
welche er von der Regierung einzutreiben gedachte, weil sie ihn
gefangen hielt. Von dem vierfachen Morde wußte er nicht das
allergeringste mehr, jede Spur von Erinnerung daran war in
seiner Seele erloschen; er dachte an weiter nichts, als an die ärzt-
liehen Besuche, welche er hätte machen können, wenn er nicht durch
Willkür seinem Berns entzogen worden wäre; für jeden eventuellen
Besuch rechnete er die Gebühren und hatte nun ein Facit von zwei
Millionen herausgebracht.
In einer Ecke kauerte ein alter hinfälliger Türke, der wider-
wärtiger und hinfälliger als ein Affe aussah. Bei ihm hatte der
Stumpfsinn dcu höchsten Grad erreicht nud zwar in Folge des über-
mäßigen Genusses von Opium.
Nachdem wir noch die Bäder nnd die in sehr armseligem Zn-
stände befindlichen Speisesäle besichtigt hatten, schickten wir uns
zum Fortgehen au. Bor der Ausgaugsthür standen mehrere
Wärter neben einem Türken, der rnhig im Schatten saß und aus
einen Bogen Papier Verzierungen nach persischer Weise malte.
Uns würdigte er keines Blickes, aber seine Arbeit betrachtete er
mit selbstgefälligem Lächeln und war emsig am Werke, allerlei selt-
same Verzierungen hineiuznpinseln, zum Beispiel einen goldenen
Himmel mit blaueu Sternen, rothe Blätter mit grünen Bln-
men nnd was dergleichen abenteuerliche Dinge mehr sind. Die
frei umhergehenden Irrsinnigen waren entzückt nnd lobten ihn
sehr, nur der Nnbier kümmerte sich um nichts, denn er war ja ein
heiliger Mann. Der Arabeskeuverfertiger ist seines Zeichens
ein Dekorationsmaler, der zn Hanse Alles in Trümmer zerschlägt,
auch Weib und Kinder mit dem Tode bedrohte; aber im Demir
Chan ist er friedlich wie ein Lamm nnd denkt an weiter nichts als
an seine Pinseleien, deren Zeichnung allemal korrekt ist.
Wir athmeten freier auf, als wir das türkische Irrenhaus im
Rücken hatten; da wir aber einmal mit der Nachtseite des mensch-
licheu Geistes beschäftigt waren, wollten wir doch nicht versäumen,
auch die griechische Anstalt zu besichtigen. Wir hatten ein
Einführungsschreiben an den Vorsteher, Doktor Morauo aus Sa-
louichi. Diese Anstalt liegt außerhalb der Mauern Koustautinopels
nnd jenseit der Sieben Thürme. Es war keine leichte Aufgabe,
durch das Gewirr von Stadtvierteln nnd Gassen den Weg zu
finden. Wir kamen nach einander durch den Bazar der alten
Kleider, dieses Trödler-Eldorado, durch deu Bazar der Zelte,
jenen der Kesselflicker nnd der Pfeifenfabrikanten, nachher über den
Pferdeularkt und verirrten nns einmal gar in den Hofraum einer
Moschee, wo ein alter türkischer Priester uns verhöhnte nnd aus-
schalt. Endlich bestiegen wir am Bosporus eiu Kack (Boot), das
uns an einen Strand ruderte, von welchem ans wir dann über
Stock nnd Block an einer verfallenen Wasserleitung hin schritten,
nachher über einen Gottesacker nnd, an einer Kaserne vorbei, end-
lich an eine Stelle kamen, wo wir einem Türken zn Pferde begeg-
neten. Der Zufall wollte, daß es ein Bekannter war; ich hatte ihn
vor wenigen Tagen im Spital eines Gefängnisses gesprochen und
redete ihn an.
„Gott gebe, daß Sie nie ein Haar von Ihrem Hanpte ver-
tieren und Ihr Schatten niemals kürzer werde! Können Sie mir
sagen, wie wir es anfangen, um den griechischen Demir Chan zn
finden?"
„Allerdings. Sie haben bis dorthin noch etwa eine gnte
Stunde Wegs; halten Sie sich nur dem Marmorameer entlang
und gehen Sie bis über die Sieben Thürme hinaus." Daun
folgten mehrere Einzelnheiten über die Richtung und den guten
Rath, Miethpferde zu nehmen, deren in einiger Entfernung niehrere
gesattelt und bereit stünden. Dieser Rath war gut nnd wurde be-
folgt. Wir ritten nun noch durch einige halbverfallene Vorstädte
und enge, schlecht gepflasterte Straßen, in denen wir aber doch
Schutz gegeu die Sonnenstrahlen fanden, kamen dann auf das
freie Feld uud wieder au Gärteu vorüber zu einem armenischen
Kloster, wo wir uns mit einem Trünke kühlen klaren Wassers er-
quickten, und gelangten nach einem mühsamem Ritte zn der griechi-
sehen Anstalt.
Doktor Morano war nicht anwesend, aber ein dienstwilliger
kleiner Mann mit brauner Schürze erbot sich, nns Alles zu zeigen.
Er klatschte eiu paar Mal iu die Hände, und flugs erschien ein
malerisch gekleideter Dimer mit einem Kohlenbecken, anf welches er
allerlei Räucherwerk streute. Der bläuliche Dampf roch gut und
sollte die Luft reinigen. Dieser griechische Diener schritt vor uns
her und wir betrachteten mit Muße die einzelnen Theile der An-
statt, nämlich den „Hos der Greise", die Schule und manche Säle.
Von den'Irren ließ man kein Wort verlauten. Man zeigte nns
einen jungen Donnerkeil, Namens Anastasius, eiu sogenanntes
Wunderkind. Dieser Junge war dazu abgerichtet worden, eine
ungeheure Menge von griechischen Kirchenhymnen näselnd heraus-
zuplärren; wir zeigten uns aber als abendländische Barbaren,
denn wir mochten ihn nicht anhöreil und gingen rasch weiter.
Endlich waren wir, wo wir sein wollten. Einige Meilscheu
schnitten uns Zerrmienen oder schalten uns ans. Wir sahen einen
Matrosen, der auf einem schweren Sessel festgebunden war; er
schrie entsetzlich, weinte Thränen der Verzweiflung lind erzählte
uuö, er sei eiu griechischer Admiral, der von den Türken eiu-
gesperrt worden sei. Wir möchten ihn befreien!
Andere Unglückliche kauerten in den Sälen umher- nnd schienen
ganz friedlich zu sein. In der Abtheilnng für Frauen, die man
leider nicht entsprechend beschäftigt, sah es ganz ordentlich ans, aber
viele zweckmäßige Einrichtungen, die man iu Europa längst hat,
fehlten noch. Die Art und Weise, in welcher der Irrsinn bei den
griechischen Frauen sich zeigte, glich genau jeuer, welche wir bei
nnö im Abendlande beobachten. Das Weibliche au sich schlägt
vor, während die geistige Abspurigkeit bei den Männern häufig
uoch eine nationale Färbung annimmt. Eine Frau kam süß-
lächelnd auf mich zu nnd stach mir dann verstohlen eine Stecknadel
in den Arm; eine andere beklemmte uuö mit dramatische»! Pathos
Kleine Nachrichten.
61
die Geschichte ihrer Leiden her; eine dritte war religiöser Ueber-
spannung anheimgefallen und murmelte unablässig Gebete vor sich
hin; eine vierte war dem Dämon der Eitelkeit verfallen und putzte
den langen lieben Tag an sich herum.
Ich wohnte dann noch der Abendandacht in der Kapelle bei
nnd bemerkte, daß die Irren ohne Ausnahme sich sehr ordentlich
aufführten. Nachdem sie ein Heiligenbild geküßt, entfernten sich
Alle in durchaus anständiger Weise.
Kleine Nachrichten.
Wieder Gerüchte über Cduard Vogel! Berliner Blätter
melden, daß in der Sitzung der Geographischen Gesellschaft von:
4. Oktober Di-. R. Hart m an n Folgendes mittheilte: „Ein Herr-
Binder, Elfenbeinhändler ans Chart um sei, in Berlin gewesen
und habe ihm gesagt: im Frühjahr 1858 sei ein Takruri aus
Bornii zn ihm gekommen und habe ihm das Schreiben eines eng-
lischen Missionars aus Timbuktu überbracht, demgemäß der
Schreiber ganz sichere Nachricht aus W a d a l erhalten habe» wolle,
daß vr. Vogel noch am Leben sei und dort zurückgehalten werde."—
Diese sämmtlichen Angaben Biuder's sind ohne alle »ud jede 1
Bedeutung und tragen die Widersinnigkeit an der Stirn.
Erstens ist die Aussage eines unbekannten und ungenannten
Takruri, d. h. eiues schwarzen Mekkapilgers, an und für sich ohne
allen Werth; sie widerspricht den sehr wahrscheinlichen Nachrichten,
welche Munzinger jüngst »ingezogen hat.
Zweitens: Wie kommt ein Takruri ans Bornn, also ans
der Gegend des Tsad-Seeö, vom 31." Ö. L. von Ferro, über
Timbuktu, das etwa unter 15" D. L. in Westafrika am obern Niger
liegt, also auf einem seltsamen Wege, uach Chartum am Nil?
Drittens. Wo ist das Schreiben des angeblichen englischen
Missionars, und welchen Inhalt hatte dasselbe? Wenn der Elfen-
beinhändler ein solches Schreiben besäße, so würde er es sicherlich
dem Wortlaute nach veröffentlicht haben.
Viertens. Wie käme eiu englischer Missionar in Timbuktu
dazn, Nachrichten über Vogel, der im östlichen Sudan, in Wadai,
war, dort im fernen Westen zn erfahren? Und dann, weshalb
machte er einem Elfeubeiuhäudler und uicht deu ihm näher 'liegen-
den englischen Behörden an der westafrikauischeu Küste Mitthei-
lnngen über Vogel? _
Fünftens. Es ist aber gar kein englischer Missionar in Tim-
buktu und es ist auch niemals eiu solcher dort gewesen. Und
Sechstens: Weshalb wird der angebliche Missionar nicht mit
Namen bezeichnet?
Kurz und bündig gesagt: D i e ganze N achricht ist durch-
aus werthlos und hat gar keinen Sinn.
Der Löwentödter Gerard will noch im Lanfe des Herbstes
eine Reise in das Innere von Afrika antreten. Das Zeug
dazu hat dieser Mauu ohne allen Zweifel, und die Mittel erhält
er von einer Anzahl begüterter Leute aus Deutschland, England
nnd Frankreich. Ueber den Plan selbst haben wir nur erst einige
kurze Nachrichten gelesen. Diesen zufolge will er von irgend einem
näher zu bestimmenden Punkte zwischen dem Senegal nnd der eng-
lischen Kolonie Sierra Leone nach dem obern Niger vordringen, in
die Qnellgegend des Stroms, nnd sehen, ob er dort eine geeignete
Oertlichkeit für eine Niederlassung weißer Leute findet. Er gedenkt
uach Timb o zu gehen, also in das Land Fnta Djalo, welches wir
früher im Globus, uach Lambert's Mittheilungen, Bd.II, S. I ff.
geschildert haben. Von dieser Qnellgegend will er dann am Niger
abwärts nach Sego gehen, der Stadt, wo Mungo Park zuerst
diesen Strom erblickte, und hofft nach Timbuktu zn gelangen.
Von dort will er sich nach Norden in die Wüste wenden, um deu
mittler» Theil der Sahara bis nach der Wichligen Oase Jusalah
zu durchziehen. Dorthin wollte vor zwei Jahren von Nordosten
her Dnveyrier gehen, er traf aber auf Hindernisse. Von Jnsalah
gedenkt er nach der, von Franzosen schon mehrfach besuchten Oase
Goleah zn wandern, nnd gelingt ihm das, dann hat er alle Ge-
lahren überwunden; deun der weitere Weg uach Algerien bietet,
TyC.^r hn'ch Dnveyrier wissen, jetzt keine Schwierigkeiten mehr.
Tanä°ffii haben bekanntlich eine Prämie für den Reisenden
welcher zuerst vom Senegal nach Timbuktu oder von
wird d kiefer Stadt einen Weg eröffnet. Diesen Preis
k /öwentödter gewinnen, wenn er im Stande ist, seinen
Hlan durchzuführen.
wollen bei dieser Gelegenheit hervorheben, daß in
i'miMi Handatlas, !8(;2, das von Ravenstein iit
1 1 gezeichnete, von Kern gestochene Blatt über den nordwest-
lichen Theil von Afrika einen vortrefflichen Ueberblick ge-
währt. Es sind auf demselben mit Fleiß, Genauigkeit nnd sebr
klar die Hanptreisewege von Mnngo Park (1805) an bis ans die
allernenesten Zeit verzeichnet worden.
Nene Clildeckiiiigen in Australien. Die Nachrichten vom
Ende des Angnst melden, daß in Queensland zwei neue
Flüsse entdeckt worden sind. Laudsborough, dessen wir
im Globns schon mehrfach erwähnten, kam in der Mitte des August
nach Melbourne in Victoria; er hat das ganze Festland vom
Carpentariabusen im Norden bis znr Südküste durch-
wandert auf einem Striche, der etwas östlich von
Bnrke's Route liegt. In Melbourne war er in der Sitzung
der Eutdeckuugsgesellschast zugegen, als eben Herrn Johu K iu g, der
allein von Burke's Gefährten übrig ist, im Nameu der Londoner
geographischen Gesellschaft eine Uhr überreicht wurde.
Es ist unn endgültig festgestellt, daß das australische Festland
im Innern nicht als eine einzige große Wüstenei gedacht werden
dürfe. Als Landsborongh vom Carpentariabusen seine Wände-
rnng antrat, ging er etwa 150 Meilen weit in südwestlicher Rich-
tung an einem Strome hin, der dnrch eine hübsche Gegend floß.
Er wollte wo möglich Stnart's Ronte erreichen, mußte aber darauf
verzichten. Er kam bis au die Quelle jenes Stromes, der gleich
bei seinem Beginn drei Fuß tief ist, rasch fließt und ein Mühlrad
in Bewegung setzen konnte. Dann ging er au demselben Strome
hinab, der etwa 80 Miles vom Ear'pentariagolf sich in zwei Arme
spaltet: der eine fließt in den Nicholson, der andere in den
Albert.
Nun wandte sich Landsborongh nach dem FlinderS, fand
keine Spuren von Burke's Partie, zog an diesem Flnsse 400 Miles
aufwärts durch ein „prachtvolles Land". Daun verließ er deu
Flinders, welcher ihm zufolge eine Länge von etwa 500 Miles hat,
und erreichte, nachdem er nur etwa 20 Miles gewandert war, die
Wasserscheide des Thompson; dieser ist einer der bedeutendsten
oberen Zuflüsse des Cooper. Nachdem er abermals 100 Miles
weiter gegangen war, bemerkte er iu einem Baum eiu Merkmal, das
von einem andern Entdecker gemacht worden ist. Damals befand
er sich nur etwa 150 Miles von Burke's Depot, mußte aber, weil
er uicht Lebensmittel genug hatte, die Wanderung dorthin unter-
lassen und erreichte, uach einer Wanderung von 40 Miles, die
Hauptquelle des Coopers Creek.
An diesem Flusse ging er hinab, bis er an den Warre g o kam,
und diesen verfolgte er bis zu dessen Einmündung in den Darling.
Jetzt war er in einer Gegend, in welcher sich' Ansiedelungen b'e-
fanden, und dort erst bekam er Kunde von dem traurigen Schicksale
Burke's nnd seiner Begleiter.
Landsborongh gab in jener Sitzung Auskunft über die Be-
schaffenheit der von ihm dnrchwanderten Gegenden. Ihm znfolge
ist das höchste Land am FlinderS nicht über 1000 Fuß hoch. Die
nasse Jahreszeit im tropischen Australien begann im Januar; Ge-
Witter uud Regenwetter dauerte bis Ende Aprils oder Anfang
Mais. In der Qnellregion des Gregoryflusses tritt Basalt auf,
am Flinders dagegen Quarz, also liegt dort wohl Gold. Die
Scheidekette zwischen dem Flinders nnd dem Coopers Creek mag
>000 bis 1500 Fnß hoch sein.
Als Landsborongh von seiner Wanderung, die er nach Süd-
Westen hin nnternommen hatte, nach dem Albertflusse znrückkehrte,
traf er auf erneu andern, gut mit Wasser versehenen Fluß. In
denWasserlochern, welchen er auf einer Strecke von 70 Miles folgte,
fand er sehr viele Fische; er meint, daß sie aus Flüssen kommen,
die noch weiter nach Südwesten hin liegen: eö war aber gerade
trockene Jahreszeit nnd deshalb sah er'selbst an solchen Stelleil
kein Wasser, wo dasselbe iu der nasse» Zeit meilenweit das Land
bedeckt. Er würde, meint er, an einen großen Fluß gekommen sein,
wenn er weiter abwärts gegangen wäre. Die Gegend, durch welche
er kam, „war so vortrefflich mit Gras bewachsen, daß die Pferde
anssahen, als wären sie im Stalle gefüttert worden."
62 Kleine
Die Küsten am Carpentariabusen hält er für durchaus ge-
sund; keiner von der Partie bekam ein Fieber. Er meint, daß jene
Küstenregion schon binnen Jahresfrist von vielen Ansiedlern auf-
gesucht sein werde.
Abbeokuta, geschildert von Richard Burton. Wir haben
vor einiger Zeit anssührlicher über diese merkwürdige Stadt in
Uornba und die eigenthümliche Art gesprochen, in der sie entstanden.
(Globus II, S. 279.) Jedenfalls bildet sie einen interessanten
Punkt, aber die etwas überschwäuglicheu Hoffnungen, welche die
Missionsfreunde, namentlich auch die Berliner, an den „Sonnen-
aufgaug zwischen den Tropen" knüpfen, werden durch Burton
feC;r herabgestimmt. Der unternehmende Reisende ist, wie wir
bereits mehrfach hervorhoben, britischer Kousul auf Fernaudo Po
und hat sich eine Erforschung der Länder an der Nigermündung
zur Aufgabe gestellt. Er wollte nun auch scheu, wie es sich eigentlich
mit Abbeokuta verhalte.
Ende Oktobers 1861 lag der englische Dampfer Prometheus
vor der jetzt von den Engländern in Besitz genommenen Hafenstadt
Lagos an der Sklavenküste. Bon diesem Schiffe nahm Burton
zwei Boote, bemannte sie mit Kruleuteu, das heißt Negern von
der Kruküste, die als Schiffsleute vortreffliche Dienste leisten, und
fuhr in die Koradu-Lagune ein. Seine Begleiter waren Kapitain
Bedingfield und Dr. Eales. Nach zwei Stunden waren sie
au der Mündung des Asboi-Creek. Burtou bemerkt, daß er bei
der Rückfahrt dnrch die Mündung des Oguu in die Lagnne
kam. „Diese Flüsse empfangen in ihrem untern Laufe keine Zn-
strömuug; ihr Delta ist schlammig, sie haben auch keinen Fall
und schrumpfen in der Nähe des Meeres ein."
Er fuhr den Agbai oder Agbo'i hinauf, hatte ein starkes Ge-
Witter auszuhalteu und gelangte in den Hauptstrom, nämlich den
Oguu, der etwa 300 Fuß breit und auf beiden Ufern stark be-
waldet war. Abends kam er nach Jgaon, einem Dorfe, wo die
Bootschifsfahrt ein Ende hat. Von dort führt ein Fußpfad uach
Abbeokuta, während die Hauptstraße westlich von Oguu, also
auf der andern Seite, geht.
Am andern Tage kam er zu einer armseligen Anhäufung von
Hütten. Dieses Dors Mab bau schildert er als ein „nettes
Pröbchen der afrikanischen Küste; nichts als Schlamm, Miasmen
und Stechmücken." Dagegen war das Dorf Takpana, welches er
am dritten Tag erreichte, von gut aubebauteu Feldern umgeben;
er sah Mais, Maniok und süße Kartoffeln. Am Flusse war kein
Waldwuchs mehr, sondern grünes Gras, und im Wasser sah man
Kiesel und Sandbänke. Bedingfield fand dort Aehulichkoit mit
dem oberu Sambesi.
Am I.November landete Burtou bei Agbarueya, dem süd-
licheu Hafen von Abbeokuta (Ake), von welchem er 8 MileS
entfernt ist.
Der Oguu kanu von kleineu Booteu uoch ü Miles höher auf-
wärts, bis Aro, befahren werden; dort bildet eine quer dnrch-
laufende Felsenleiste eine Stromschwelle. Oberhalb derselben
schwimmen die Eingeborenen vermittelst eines großen Kürbis,
welchen sie vor die Brust nehmen, über den Fluß.
In Agbarney traf Burton die Missionäre Wileoxen und
Roper, welche ihn uud seine Gefährten nach Ake geleiteten. Dort
wohnten sie bei Dr. Harrifon und blieben vom 1. bis 8. November
in Abbeokuta. Mit deu Eiugeborueu „palaverten" sie viel über
den Krieg mit Jbadau, Sklavenkauf uud Menschenopfer.
Ein empörender Fall eines solchen war eben erst vorgekommen, und
bald nach ihrer Rückkehr hörten sie in Lagos von eiuem zweiten.
(Wir haben über dergleichen nach Konsul Hutchinsons Mitteilungen
ausführlich berichtet, Globus II, S. 51.)
Die Egbas, ans welchen die Eiuwohuerschaft von Abbeokuta
besteht, sind eilt halbmonarchisches Bolk. Sie sageu, jeder Mauu
sei König in seinem Hanse. Doch haben die Häuptlinge Einfluß und
zeigen sich so widerspenstig wie die Scheichs bei den Beduinen; der
Alake, Oberhänptling, macht zwar Anspruch auf den Königstitel,
hat aber nur wenig wirkliche Gewalt.
Abbeokuta hat mindestens 150,000 Einwohner, und die äußere
Ninwalluug beträgt etwa 27 Miles. Innerhalb derselben liegen
allerdings viele Felder nnd Granitgestein. „An Unsanberkeit
überbietet der Ort Alles, was mir vorgekommeu ist."
Das Titelbild, welches die Missionäre ihrem Bnche „Sonnenauf-
gang in den Tropenländern" vorgesetzt haben, müßte deu Titel
führen: „So sollte eigentlich Abbeokuta sein." Die ganze Dar-
stellung ist rosig; man hat Afrikanisches in italienischer Färbung
dargestellt."
In der deutschen Ausgabe, Berlin 1859, fehlt das Titelbild,
aber dafür hat der Domprediger W. Hofsmann eine etwas
pompöse Einleitung: „ die Morgenröthe des tropischen Afrika"
gegeben.
Burtou bemerkt, daß ganz ?)or»ba sich für den Banmwollen-
ban eigne; Erfolge seien aber nur zu hoffen, wenn man znvorVer-
träge mit den verschiedenen Häuptlingen abgeschlossen habe, nnd
wenn die Kriege zwischen diesen aufhören. Üebrigens ist das Land
nicht etwa Gemeingut, sondern im Privatbesitz^ und man kann
also uicht beliebig Einwanderer aus Amerika oder irgend sonst
woher dorthin schicken nnd ansiedeln. Selbst in den Städten
kann man einen Bauplatz nur unter der Bedingung erhalten, daß
Grund und Boden nicht ans immer abgetreten werde, sondern
eventnell dem ursprünglichen Eigenthümer wieder anheimfalle.
Es scheint, als ob dieAbbeokntauer schuld au den Kriegen uud
Fehdeu seien, welche das Land zerrütten. Sie wollen die Völker-
schaften im nördlichen Aoruba vom Verkehr mit der Küste fern-
halten und die Transitzölle monopolisiren. Nun wissen aber die
Leute im Innern sehr gut, daß eiue ungestörte Verbindung mit
dem Meere zu ihrem Gedeihen nubediugt uöthig ist.
Die Zahl der weiblichen Krieger des Königs von Dahome
übersteigt, nach Burtou's Meinung, die Zahl von 2000 nicht. Er
meint ferner, daß der vielgerühmte Sonnenaufgang noch
nicht stattgefunden habe.
Rntlierford Aleock's Bemerkungen über Japan. Alcock war
bis vor Kurzem englischer Generalkonsul in Japan; er ist unseren
Lesern schou bekannt, denn wir haben seiner mehrfach erwähnt nnd
in Nr. III. des Globus seine Besteigung des heiligen Berges der
Japaner, des Fnsi Uama, geschildert. Gegenwärtig ist er in
Euglaud uud hat in der Sitzung des wissenschaftlichen Vereins
zu Cambridge, in der geographischen Abtheilnng, am. 5. Oktober
einen Vortrag über die Civilisation in Japan gehalten. An
denselben knüpften sich allerlei Erörterungen, nnd Alcock beant-
wort'ete mehrere au ihn gestellte Fragen. Unter auderm bemerkte
er Folgendes:
Die Japaner haben, im Vergleich mit den Chinesen, vor
diesen einen großen Vorzug darin, daß ihnen der einfältige Dünkel
abgeht, welchen die Chinesen von sich selber hegen, deuu diese ver-
meinen besser und weiser zn sein, als alle anderen Menschenkinder.
Dagegen sei bei deu Japanern zn beklagen, daß der Fendalis-
mus alle ihre Einrichtungen durchdringe und beherrsche. Wenn
der uicht wäre, könnte der Handelsverkehr eine unbegrenzte
Ausdehnung gewinnen, die japanische Civilisation sich mit der
europäischen verschmelzen (?) nnd das Christeuthum in Jap au sich
ausbreiten Die Japaner seien höchst anstellige, gewandte nnd
intelligente Leute. Aber die Feudalherren in Japan wüßten sehr
wohl, daß die Todtenglocke für den Fendalisinns läute, wenn
einmal der Handel mit den Europäern festen Fnß gewonnen habe,
uud um dieses abzuwenden, seien sie bereit, den großen Handels-
Völkern Widerstand zu leisten nnd es ans bürgerliche Unruhen an-
kommen zn lassen. Ein erfolgreicher Kampf mit dem Fendalisinns
sei die unausweichliche Bedingung für den Fortschritt in Japan.
Wenn das feudale Element, so äußerte Alcock weiter, über
den Haufen geworfen oder doch in gebührende Schranken zurück-
gedrängt werden kanu, dann kauu derHaudel einen ungemessenen
Uiusaug gewinnen. Die Japaner erzeugen Seide in Menge und
vou der besten Sorte. JhrThee ist so ausgezeichnet, daß große
Mengen davon uach China gehen uud zur Veredelung geringerer
Arten verwandt werden. Gegenwärtig verschifft man ans Japan
im Jahre etwa 8000 Ballen Seide; man könnte mehr haben, aber
vielleicht würden die Feudalherren das Anbringen nach den Hafen-
Plätzen nicht erlauben.
Großbritanniens Handel mit Japan ist jetzt schon auf eine
Million Pfund Sterling im Jahre gestiegen, und das erscheint als
ein bedeutendes Ergebniß, wenn mau au die Hindernisse und Be-
schränkungen denkt, denen er unterliegt. Durch das Mißtranen
der herrschenden Gewalten entsteht Gefahr und Unsicherheit.
Japan hat nicht weniger als 620 Feudalherren, welche über
200,000 Mann Soldaten nnd bewaffnete Anhänger verfügen.
Die Volksmenge im Reiche schätzt Alcock aus etwa dreißig
Millionen, und sie ist im Steigen. Auf seinen Reisen im
Innern sah er eine große Menge von Kindern. Von vegetabi-
lischem Wachs, Seide und Thee könne das Laud eiue große Menge
liefern, auch der Reichthum an Metallen und Kohlen ist groß.
Einst ließ ein japanischer Grundbesitzer Maschinen ans Europa
kommen, um sie beim Bergbau zu verweudeu. Alcock besuchte den
Manu, aber die Maschiueutheile läge» verrostet da, weil der
Kohlenbesitzer keine Kohlen liefern wollte, um, wie er meinte,
seineu Leuten uicht das Brot aus dem Munde zu nehmen.
Die Japaner wünschen die Ausdehnung des Verkehrs mit
dem Auslände nicht; viele meinen, daß der Freihandel sie arm
machen würde; es wird also wohl noch lange Zeit vergehen, bevor
sie englische Mauufakturwaareu in sehr großer Menge nehmen.
Sie bekamen Silber für ihre Maaren, meinten aber, an Silber
könne man sich nicht satt essen nnd der Handel mit dem Auslande
nütze der großen Masse des Volkes nicht.
Kleine
Gegen Europäer sind sie sehr mißtrauisch. Dem holländischen
Kommissar, der längere Zeit in Japan war, erklärten sie mehrmals, >
er sei schon viel zu lange da, wisse zu viel nnd möge das Land >
verlassen. Der amerikanische Legationssekretär hatte die Sprache so
gut erlernt, dasz er als Dolmetscher dienen konnte. (Es ist wohl
Herr Heusgen, ein Holländer, gemeint.) Auch er wurde gewarnt;
man sagte auch ihm, er wisse zu viel. Am Tage bevor er in den
Straßen von Jeddo ermordet wurde, sagte ihm ein Japaner: !
„Nimm Dich in Acht; geh lieber fort; Du weißt zu viel." Aleock
wurde derart überwacht, daß er nur mit Beamten, nicht mit dem
Volke verkehren konnte. Das Feudalsystem stehe dem Handel im
Wege, und je eher dasselbe gebrochen werde, um so besser. —
Man sieht, wie einseitig diese Angaben Alxocfs sind. Der
Mann hat sich in Japan so ungeeignet benommen, daß seine eigenen
Landsleute und die englische Presse in China ihm bittere Vorwürfe
gemacht haben. Japan ist diesem Engländer weiter nichts als ein
Markt für Birminghamer und Manchester-Waaren. Seine Aus-
sassuug ist selbstsüchtig und platt. Wir lassen nns aber hier nicht I
weiter auf Erörterungen eiu, da wir späterhin Gelegenheit finden '
werden, die japanischen Verhältnisse eingehend zu erläutern und
Illustrationen beizufügen.
Südanstralir». Wir sagen dem unbekannten Sender, welcher
uns mehrere Nummern der zu Taunnra erscheinenden „Süd-
Australischen Zeitung" überschickt hat, hier unfern freundlichen
Dank. Die letzte Nummer ist vom l 3. August dieses Jahres. Sie |
enthält eine scharfe Kritik gegeu eiu Buch: „Australien wie es
wirklich ist, von Dr. C. Morgenstern," und weift nach, daß die Zahl
sämmtlicher Deutschen in Südaustralien die Zahl von dreizehn-
bis vierzeh ntansend Kopfe nicht übersteige. Die Nachricht, daß
noch im Jahre 1862 eine australisch - europäische Tele-
graphenlinie von Sydney über Brisbaue, Port Essington nach
Java, Singapore und Rangnhn zum Anschluß an eine Linie
Bombay-Suez hergestellt werden solle, sei falsch. Der Anschluß
stehe noch in weitem Felde; die telegraphische Verbindung beschränke
sich immer noch auf die australischen Kolonien selbst.
Ein mibthaarter Volksstamm in Australien. Schon seit
einigen Jahren hörte man in Australien allerlei widersprechende
Nachrichten von einem Volksstamme, dessen Angehörige auch nicht
die Spur von Haar auf dem Kopf und am Leibe hätten. Nun wird
berichtet, daß der Reifende Mae Kay am Flusse Balonue dahinter
gekommen sei, wie es sich mit diesen Angaben eigentlich verhalte, j
Jin Bulletin der Pariser geographischen Gesellschaft vom Juli (das
aber erst im Oktober erschienen ist) sagt Richard Cortambert,
Mae Kay habe uach Sydney einen jungen Eingeborenen mitge- !
bracht, dessen Kops so glatt sei wie eine Billardkugel. .
So drückt sich die australische Zeitung „?)eoman" aus. Der arme
wilde Junge mag etwa siebenzehn' Jahre alt sein, seine Züge
glichen denen eines alten Mannes, nur hat er keine Falten im Ge- !
sichte. Er ist klein und schwächlich, die Hantfarbe hellbraun. —
Wir meinen, daß alle Vermuthungen über die Abstammung dieses ^
haarlosen Menschen verfrüht sind; daß es gewagt sei, ans diesem '
einen Individuum zn schließen, er habe „unmittelbare Verwandt- I
schaft mit der mongolischen Raee", oder daß der „Stamm" (man
kennt aber nur jenen Knaben) „von den Trümmern chinesischer Ein-
Wanderer herrühre, die iu der Nähe des Carpentariabufeus ver-
loren gegangen feien, sich mit australischen Eingeborenen vermischt
hätten nnd allinälig bis in die Nähe der Blauen Berge gekom-
meu seien."
Nomaden in Ackerbauer umgewandelt. Freiwillig und aus
bloßer Liebhaberei giebt eiu Volksstamm die seit vielen Jahr- !
Hunderten von den Vätern übernommene Lebensweise uicht ans, ;
und ohne sehr genügende Gründe wendet er sich nicht zu neuen
Beschäftigungen. Aber wir finden doch da nnd dort Beispiele von
solchem Wechsel.
Im Juli des Jahre 1S55 unternahm der russische Lieutenant
ussoltzofs einen Ansflug iu das Thal des Flusses Nertscha, und
»war von der vielgenannten ostsibirischen Stadt Nertschinsk
^u«. Diese liegt an der Mündung der Nertscha in die Schilfa :
' .einem der beiden Hauptströme, welche den Amur bilden; der
ist der Argnn —), in 51° 56' N. Br. und 13» 16' Östl. L.
biMtt a c0' kam bis zn dem Punkte, wo die Nertscha aus \
mivs. u'ammenMc des Talakou und der Besimeunaia gebildet i
t0.u da an bis zur Müuduug beträgt ihr Lauf, alle Wiu-
düngen eingerechnet, 470 Werst. '
dm Ufern der Nertscha uud mancher Zuflüsse ist vor-
f u ches Acker- und Weideland. Ussoltzofs fand viele Dörfer der
nÖll]tii, welche allmälig ans umherschweifenden 1
63
Jägernomaden ansässige Ackersleute geworden sind.
Dazu trugen verschiedene Umstände bei, zum Beispiel ihr häufiger
Verkehr mit den Russen uud ihre Bekehrung zum Christenthum.
Sie müssen aber trotzdem uoch deu Jassak, d. h. eine Abgabe in
Pelzwerk, zahlen. Nach und uach wurden in diesen Dörfern mich
andere Wandertungnsen und Orotschoneu seßhaft, aber nicht ans
Neigung zum seßhaften Leben, sondern weil die Jagd auf Pelz-
thiere, auf welche sie sich bisher lediglich uud allein angewiesen
sahen, keinen hinlänglichen Ertrag mehr gab. „Denn ein Nomade
verzichtet nur auf feilt umherschweifendes Leben, wenn ihn die
allerhöchste Nothweudigkeit dazu treibt. Nur dann vermag er es
über sich, seine Jagdregion, in welcher er geboren wurde, zu ver-
lassen und in einem Dorfe sich zur Arbeit zu bequemen."
Aber auch bei den ackerbautreibenden Tungusen erinnert
immer Vieles au die frühere Lebensweise. In dem Hofe, unweit
vom Wohnhause, steht immer eine kleine Jurte ans Holz. Der
tuugusische Bauer hat uun allerdings ein Wohnhaus,
aber er wohnt nicht darin; er kocht nnd schläft in der
Jurte, nnd in ihr empfängt er anch die, welche ihn
besuchen. Seine Lieblingsspeisen sind noch immer Fleisch, Fett
und Oel, ohne Brot; er trinkt Ziegelthee und Branntwein aus
Milch destillirt. Den alten Jagdaberglauben hat er auch bewahrt,
er setzt, obwohl er unter die Christen gerechnet wird, das größte
Vertrauen in den Schamanen und dessen „Teufeleien", den» er
glaubt steif und fest, daß der Schamane mit Geistern in Ver-
bindnng stehe.
Aus dem tungnsifchenNomaden ist aber nicht etwa ein tüchtiger
Feldbauer geworden; er bestellt den Acker nachlässig nnd würde
kaum genug Getreide für seinen nothwendigsteu Bedarf säen, wenn
die russischen Behörden ihn nicht durch Zwang anhielten, eine be-
stimmte Menge Korn in die Vorrathsmagazine abzuliefern. Zum
Gemüsebau hat man ihn nicht bringen können, er ist dafür zu
trftg, und wen» der 15. August ins Land gekommen ist, be-
kümmert sich dieser Ackersmanu uicht mehr um Haus und Hof.
Er geht anf die Jagd, um Rehe, Elennthiere und Bären zn schießen,
oder Füchse in Schlingen zu fangen, wilde Ziegen oder, worauf
er deu größten Werth setzt, Eichhörnchen zu erlegen. Gegen den
St. Nikolaustag kommt er nach dem Dorfe zurück.
Uebrigens sind die Tnngnfen rechtschaffene Leute, halten ihr
Wort nnd bezahlen ihre Schulden pünktlich. Deshalb handeln die
Kauftente sehr gern mit ihnen.
Das Erdbeben iu Erzcrnm in Armenien. Darüber hat der
englische Konsul A. O. Dalyell ein Schreiben an die Londoner
geographische Gesellschaft gerichtet, welche dasselbe iu ihren neulich
erschienenen Proceediugs (VI, Nr. 2.) veröffentlicht hat. Erzerum
liegt auf einer Hochebene, fast 5200 Pariser Fuß über dem Meere
(nach.Dalyell <»114 englische Fnß) in 39° 55' 20" N. Br., 41° 18'
31" Östl. L. von Gr. Am 1. Juui 1859 verspürte mau 8 Uhr
Morgens einen Stoß, der aber keinen Schaden anrichtete. Am
2. Juni, ><> Uhr 30 Minuten Morgens, kam eiu zweiter, der
8 Sekunden dauerte, und nm 11 Uhr 30 Minuten ein dritter,
kürzerer. Die Schwingungen waren im Allgemeinen wagerecht,
nur bei den heftigsten Stößen wollen Einige auch eine senkrechte
bemerkt haben. Die Richtung ging von Südwest nach Nordost.
Am 4. Juli verspürte man einen heftigen Stoß zn Täbr is,
der berühmten Handelsstadt in der persischen Provinz Aserbeidschan.
Schemachi, am Ostende des Kaukasus, uicht sehr weit von Baku
am Kaspischen Meere, also von da, wo die Naphthaquellen liegen,
hatte zwei Tage nach den ersten Stößen in Erzerum eiu Erd-
beben. In der Gegend des letztern wurden die Stöße am 1. und
2. Juni in manchen Dörfern der Hochebene verspürt; auf dieser
liegen au vielen Stellen heiße Mineralquellen. Beim Dorfe Suk
Tschermlk fpnugt eme kalte Mineralquelle, deren Wasser ge-
wohnlich blau aussieht; jetzt wurde es dunkel uud blieb zwei Tage
lang so. Humboldt hat bemerkt, daß die Thiere beim Erdbeben
sehr ängstlich und unruhig sind, uud das war auch in Erzerum
der Fall; selbst bei leichten Stößen bellten die Hunde.
. Vo'u 2. Juni an verspürte man in Erzerum einen Monat lang
täglich i^töße, aber nnr einige wenige waren heftig und auch diese
richteten keinen schaden an. Solche leichte Stöße sind überhaupt
uicht selten, auch uicht auf eine bestimmte Jahreszeit beschränkt,
ereignen sich aber zumeist im Frühjahre.
Jene vom 2. Juni haben großen. Schaden angerichtet. Er-
schlagen wurden, amtlichen Nachrichten zufolge, 460 Muselmänner,
> 1 armenische, 2 griechische Christen und 1 katholischer Armenier.
Die von Türken bewohnten Stadtviertel wurden am schwersten
heimgesucht, 4500 Häuser fast gänzlich zerstört oder schwer be-
schädigt, 12 Moscheen litten mehr oder weniger, 9 Minarets
stürzten zusammen, 7 türkische Schulen gleichfalls; fünf Bäder,
viele Brunnen und 850 Waareuläden waren unbrauchbar. Die
gewölbten Magazine iu den Chans litten wenig. Zum Gluck waren
64
Kleine Nachrichten.
am 2. Juni wegen des Himmelfahrtsfestes die christlichen Ein-
wohner zumeist, im Freien und die Bazare nur schwach besucht,
sonst wäre der Menschenverlust viel größer gewesen.
Die sehr stark gebauten Mauern der Festung und des Pascha-
Palastes, sodann die Konsulatsgebäude von Oesterreich, England,
Persien und Rußland wurden stark beschädigt. Merkwürdig ist
Folgendes: Die pyramidenförmige Spitze auf dem Lale-
Pascha-Minaret wurde durch einen istoß auf der Säule
weit von der Stelle geruckt und dann sofort durch einen
zweiten Stoß wieder au ihre ursprüngliche Stelle
gebracht.
Der Telegraph nach Indien reicht, wie wir schon früher
mitgetheilt, bis nach Bagdad am Tigris. Noch im Laufe des
Jahres 1862 beginne» die Arbeiten zur Weiterführung der Drähte
zunächst bis an das nördliche Ende des persischenMeerbnsens. Von
dort soll ein unterseeisches Tan nach Guad el an der Küste von Be-
Omsk in Sibirien durch Europa nach Osten hin bis au die Müu-
düngen des Jrawaddy,
Wie ein Iankee Geographie schreibt. Seit dem Unab-
häugigkeitskriege, welchen die südlichen Staaten der ehemaligen
Union gegen den Norden führen, ist in deu Aaukeeblättern eine
Sprache an der Tagesordnung, welche au Niedrigkeit und Rohheit
ihres Gleichen sucht. Wäre sie ein Ausdruck des Dankee-Cha-
rakters, um so schlimmer sür diesen.
Vor der Küste vou Florida liegen die Bahama-Jnseln,
welche seit 1632 im Besitze der Engländer sind. Eins der größten
Eilande iu der Gruppe ist New Provideuce, auf welcher die
Stadt Nassau liegt. Dort residirt der Gouverneur und der
Hasen ist viel besucht. Während des gegenwärtigen Krieges haben
von Nassau aus viele Schiffe die Blockade durchbrochen' und sind
mit Kriegsbedarf und anderen Vorrätheu in die verschiedenen Häfen
derSüdstaaten eingelaufen. Darüber wurden die Aaukees erbittert,
und wir finden in einem Neuyorker Blatte, Frank Leslie's Jllu-
strated Newspapn: vom 11. Oktober, folgende Probe geographischer
Darstellung:
„Nassau ist eine kleine schmutzige, pestileutialische britische
Hafenstadt ans deu Bahama-Jnseln, Hauptquartier des Kontrebande-
Handels zwischen dem rechtschaffenen John Bull und den Ne-
bellen, und Zwischenstation zwischen Loudou und Liverpool einer-
seits und Charleston, Mobile :c. andrerseits. Dem Namen nach
steht es unter britischer Regierung, kümmert sich aber gar nicht um
die Erlasse der Königin und die Neutralitätsgesetze. Es lebt uud
nährt sich, wie so viele britische Niederlassungen im tropischen
Amerika, von Schleichhandel, Ausbringen gestrandeter Schiffe und
Seeraub. Alle Schiffe, welche die Blockade brechen wollten, kommen
von Nassau. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Gouverneur
und alle britischen Beamten beim Koutrebaudegeschäst betheiligt sind.
Nassan liegt 300 Miles östlich vou Key West und ungefähr
500 Miles südöstlich von Savannah und hat etwa 7000 Einwohner.
Diese sind zumeist Abkömmlinge von Tones aus unserer amerika-
irischen Revolutionszeit imd andern: derartigen Lumpenpack, das iu
civilisirten Ländern nicht leben kann. Sie sympathisiren von
Hans aus mit den Negertreibern, leben in ihrem gesellschaftlichen
Verkehr wild durcheinander, sind in ihren Lebensgewohnheiteu
bestialisch und haben absolut keinen Begriff von Austand und Recht-
schassenheit. Es giebt, mit alleiniger Ansuahme von Dahoine,
keinen Fleck auf der Erde, der so durch uud durch brutalisirt wäre
als Nassau. Selbst der Matrose, welcher doch iu der gauzeu Welt
als eiu sorgloser, unvorsichtiger Mensch bekannt ist, knöpft in Nassau
seine Taschen zu und geht ans den schmutzigen Straßen nur in der
Mitte, um ja alle Berührung mit den schmierigen und gefährlichen
Eiuwohueru zu vermeideu. Mau sollte eiu Dampfwidderschiff
uach Nassau schicken, um es von seinem Korallenriffe herab in die
See hineinzurennen. Aber dabei erhebt sich eiu Bedenken. Die
Krabben und Fische im Meere verdienen es nicht, daß sie in Be-
rühruug mit eiuem solchen Menschenpöbel, wie jener von Nassau,
in Berührnng gebracht werden."
Die Goldfelder iu Äictoria. Wir haben derselben schon oft er-
wähnt, müssen aber von Zeit znZeit darauf zurückkommen,weil jede
Monatspost, und jetzt wieder die von Ende August, iuteressaute
Nachrichten bringt. Mau findet ununterbrochen neue Goldlager;
so jetzt wieder bei Rutberglen unweit vom Murraystrom. Bei
Kiugower ist eiu Klumpen (Nugget) gesunden worden, der nicht
weniger als 205 Unzen schwer war, ein anderer bei Ballarat von
130; andere wogen 72, 51, 40 Unzen und so viele. Jm Maxwells
Riff gaben 30 Tonnen (jede 2000 Pfund schwer) Quarzgestein 380
Unzen Gold. Iu den Tarnagnlla Riffs sind reiche Adern gefuu-
deu worden. In einigen Gegenden liegt viel Silber nnd Anti-
mouinm.
Iu Victoria ist der Winter sehr streng gewesen, denn am
20. August lag der Schnee bei Ballarat einen halben Fuß hoch,
während die Obstbäume in voller Blüthe standen. Seit Menschen-
gedenken, was freilich in diesem neuen Lande uoch keiu Menschen-
alter hinaufreicht, hat man nicht so viel Kälte, Regeu uud Sturm
erlebt.
Der Acre Regieruugsland kostet noch immer eiu Psuud Ster-
liug uud zwar iu Folge des sogenannten Wakefield'schen
Systems. Bis 1838 zahlte man nur 5 bis 12 Schillinge und
1842 von 12 Schillingen bis zu 1 Pfuud Sterling. Mau stellte
ihn so hoch, nm einen Fond zu bekommen, aus welchem die Kosten
für Herbeischafsnng europäischer Ansiedler bestritten werden sollte.
Für solche Leute war der Preis vou 1 Pfund für den Acre nicht
leicht zu erschwingen; sie mußten für Lohn arbeiten. Aber nun fan-
den sich keine Käufer für die Ländereien; die Einwanderung wurde
schwächer, und Südaustralien war nahezu bankerott. Da wurden
die ungemein reichhaltigen Burra burra-Kupfergruben entdeckt,
uud zogen viele Meufcheu aus den Kolonien nnd aus Coruwallis
au. In Victoria hätte man den Preis von 1 Pfund Sterling ge-
wiß fallen lassen müssen, wenn nicht die Goldfelder entdeckt worden
wären. ____
Nensiidwales hat im Laufe eines Jahres einen Zuwachs
von etwa 50,000 Seeleu erhalten, da ans den benachbarten
Kolonien viele Taufende nach den neuen Goldfeldern am
Lachlau und deueu vou Buruaugong kamen. Auch kamen
viele Squatters als Ackerbauer, denn das neue Gesetz über Län-
dereien hat zehn Millionen Acres für Agrikulturzwecke ausgeschieden,
uud der Viehzucht, für welche ohnehin mehr als genügender Raum
ist, entzogen. Aber auch Viehzüchter kamen, weil inNeusüdwales die
Jahressteuer für jedes Schaf nur 2, iu Victoria dagegen 8 Pence
beträgt. Das Laud am'Darling uud am Warrego aufwärts eignet
sich, wegen langer Dürre im Sommer, nicht für den Ackerbau,
wohl aber für Viehzucht.
Die Kolonie Neusüdwales hat jetzt etwa sechs Millionen Pfund
Sterling Schulden, zumeist wegen der Eisenbahn. Sie ergaben
im vorletzten Finanzjahr nur 1 Procent Interessen, im letzten
2 Procent aber der volkswirtschaftliche Nutzen ist so groß, daß
vorerst auf einen so geringen Zinsertrag nichts ankommt.
Negerbränche in Ostafrika. Die Wakamba, d. h. Bewohner
des Landes Ukambani, schlachten keiu Thier, sondern binden ihm
das Maul zu, verstopfen die Naslöcher und ersticken es. — Der
Geruch einer zerquetschten Wanze gilt ihnen für das schönste
Parfüm. — Sie dulden kein Sieb, weil durch Benutzung
desselben der Regen aufhören würde. Aus demselben Grunde
dulden sie kein eisernes Ackergerät!).
Nachrichten von Speke nnd Grant. Endlich trafen von diesen
Reisenden wieder einige Nachrichten ein, aber sie sind über ein
Jahr alt. So eben, als der letzte Bogeu unserer Nummer iu
die Presse gehen sollte, bringen Londoner Blätter die Angabe, daß
über Sansibar Briefe vonSpeke eingelaufen seien, datirt Bagneh,
30. September 1801. Dieser Ort liegt 3" 28' «s. Br. zwischen
dem von Burton entdeckten Tanganyika-See und dein Victoria-,
Ukerewe- oder Nyauza-See, dessen Entdeckung wir Speke ver-
dauten. Zn Kaseh in Uniamuesi, von wo aus Speke seine frühere
Wanderung nach dem Nyanza angetreten hatte, war er auch
diesmal sehr freundlich aufgenommen worden, und zwar wiederum
vou dem Araber Scheich Musa Msari. Speke sah früher mir die
südliche Spitze des Sees; jetzt will er ihn näher untersuchen. Die
Frage der Nilquellen spielt dabei eine große Rolle. Der Reisende
ist bekanntlich der festen Meinung, daß sie in diesem großen Wasser-
becken zu suchen seien. Jedenfalls will er Nilquellen aufsuchen nnd
den Strom hinab bis Gondokoro am Weißen Strome gehen. Dort
ist jetzt, wie wir im Globus schon früher gemeldet haben, Konsul
Petherick, um Speke und Grant zu erwarten. Die beiden letzteren
klagen sehr darüber, daß sie große Noch mit deu Pagasi, oder
schwarzen Trägern, hätten, wiederholen also das alte Klagelied,
welches schon Burton anstimmen mußte. Welche Beschwerden
mögen die Reisenden iu einem solchen Lande und unter solchen
Barbaren, wie die ostafrikanischen Negroiden, zu bekämpfen haben!
Herausgegeben von Karl Nudree in Leipzig. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Ate her in Hildburghansen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig,
Von Mexiko nach Vera Cr»). Das gelbe Fieber und dessen Verbreitung.
und das Fort San Juan de Ulua. —
- Der Jarocho. —
atlantische Meeres-
Haüptbrutstätte derselben ist
— Der Hafen
Wer auf der Straße von der Hauptstadt Mexiko nach
der Küste des Atlantischen Oceans reist, kommt von Puebla
de los Angeles auch über Perote. In der Nähe dieser
Stadt erhält die Ebene einen traurigen Anblick: die Woh-
nungen werden eben so selten wie die Bäume; nur Caetns,
Aloe und dann und wann Zwergpalmen wachsen zwischen
vulkanischem Gesteh: hervor; die Berge sind kahl, und nicht
selten tritt die Luftspiegelung auf.
Weiter abwärts gelangt man nach Las Bigas, einem
armseligen Dorfe, das aber eine äußerst malerische Lage
hat. Man glaubt sich in die Schweiz versetzt; Alles ist
gebirgig, von Schluchten zerklüftet, man sieht Eichen- und
Fichtenwälder und die Morgenluft ist kalt. Die Straße
selbst wird immer abscheulicher; ehemals war sie theilweise
gepflastert, vom Weiler la Cruz Blanca bis zum eigent-
lichen Abfall der Hochebene. Die Kaufleute von Vera Cruz
Ansicht von Jalapa.
In einer so öden Landschaft verweilt das Auge gern
auf einem Bergriesen, dem Cosre de Perote, der seinen
Namen von der kofferartigen Gestalt seines Gipfels hat.
Die Azteken nannten ihn Nanhcampa tepetl. Nanh-
campa bedeutet einen viereckigen Gegenstand und Tepetl ist
^erg. Jener Riese hat eine Höhe von ! 3,416 Fuß und gilt
vulkanisch, obwohl er keinen Krater hat; man findet
nämlich in der Umgegend verglaste Stoffe und vulkanische
Schlacken.
_ Die Stadt Perote liegt hoch und gilt wegen der scharfen
^ nft für ein mexikanisches Sibirien. In der Kirche der Cita-
belle, in welcher letztern Strafgefangene verwahrt werden,
liegt Kaiser Jturbide begraben, der 1824, am 19. Juli, zu
Padilla im Staate Tamanlipas erschossen wurde.
Globus für 1862. Ä!r. 27.
haben beträchtliche Summen auf die Herstellung dieses Weges
verwandt; er wurde aber 1815 von den Insurgenten zer-
stört, um den Bewegungen der spanischen Truppen ein
Hinderniß mehr zu bereiten, und die Mexikaner haben nichts
für Ausbesserung oder Wiederherstellung gethan. So sind
gegenwärtig solche Strecken am wenigsten schlecht, wo eben
gar keine Straße vorhanden ist.
Die Entfernung von Las Vigas bis Jalapa beträgt
nur sieben Meilen. Diese Stadt gilt für ein Paradies,
deren Mexiko so viele hat, und ist weltbekannt durch die
Jalapapslanze; die rechte Heimath derselben befindet sich in
dieser Gegend. Das Land ringsum ist hübsch uud fruchtbar;
die Stadt felbst liegt hoch und gleichsam in einer liebergangs-
zone aus dem heißen zum gemäßigten Klima; die Fieber
9
66 Bon Mexiko 11
der Sierra caliente steigen nicht bis dort hinauf, und eben
so wenig reicht die Trockniß der Hochebene bis nach Jalapa.
Die vom Mexikanischen Meerbusen heraufkommenden Wolken
halten hier gleichsam Rast, spenden Feuchtigkeit und durch
diese wird der Pflanzenwuchs begünstigt. Die reicheren
Bewohner des Niederlandes nehmen hier in der heißen
Jahreszeit einen mehrmonatlichen Aufenthalt, und das
Klima, die weiche, balsamische Luft, ist für Genesende von
wohlthätigem Einflüsse. In den Hnertas (Gartenfeldern)
stehen Orangen, Bananen und Palmen, und neben dem
Oelbanm wächst die Eiche. Dazu kommen das Zuckerrohr
lind neben der Jalape auch die Saffaparille. Für den Weizen
ist das Klima noch zu warm, denn die Mitteltemperatnr
beträgt zwischen 17 und 18° Reaumnr, aber man säet ihn,
um sein Stroh zu gewinnen; Nehren setzt er nicht an.
Wer von den Höhen, welche Jalapa umgeben, einen
Blick auf die Stadt wirft, findet die Lage herrlich. Auch
das Juuere ist iu gewissem Sinne amnuthend, denn Jalapa
ist eine der hübschesten und am wenigsten unsauberen Städte
der ganzen Republik. Sie liegt 4334 Fuß über dem Meer,
also etwa in der Höhe des Brockens, am Fnße des Basalt-
gebirges Macnltepec. Die meisten Straßen sind kurz mid
unregelmäßig, weil der Boden uneben ist, die Häuser meist
nur einstöckig, aber dauerhaft gebaut. Es macht einen er-
frenlichen Eindruck, daß sie mit lebhaften Farben ange-
strichen sind. Der Europäer fühlt sich dadurch angeheimelt,
daß diese Häuser nicht flache, sondern sanft geneigte Dächer-
Haben, die obendrein mit Ziegeln gedeckt sind. Die Fenster
sind immer groß und gehen bis zum Fußboden hinab, damit
durch die eisernen Gitter recht viel frische Luft einströmen
könne. Man kann sagen, daß Jalapa einen anda-
lnsischen Charakter trägt. Auch das Leben und
Treiben auf dem Marktplatze gemahnt an Südfpanien. In
den Buden, wo Getränke verkauft werden, stehen die Ge-
fäße in nassem Sande, der immer mit Blumen besteckt ist;
gefüllte Gläser locken den Durstigen an; ans sauberen
Tischen an den Straßenecken liegt süßes Gebäck ansge-
breitet, das in Mexiko so berühmt ist, wie in Deutschland das
Königsberger Marcipan oder der Braunschweiger Honig-
knchen.
Die Zahl der Einwohner beträgt zwischen zehn- bis
zwölftausend, fast lauter Kreolen und Mestizen. Die Ersteren
gelten für besonders schön und nicht mit Unrecht. Die
Jalapena ist ein reizendes, anmuthiges Geschöpf. Ihre
Haut ist, vielleicht durch Einwirkung der feuchten Atmosphäre,
zart und durchsichtig, man könnte sagen, etwas matt, aber
sehr weiß. Dies gilt natürlich nur von den Kreolinnen mit
reinem Blute, denn bei den Mestizinnen ist die Haut
bräunlich in verschiedenen Abstufungen.
Wir erwähnten oben des Marktplatzes. Auf demselben
hat man eine wahre Mnsterkarte von Menschen verschiedener
Hautfarbe. Der reine Indianer ans dem heißen Nieder-
lande bietet feine Früchte feil. Er ist sehr leicht bekleidete
sein Anzug besteht aus einem kurzen Beinkleide, über welches
ein Hemde bis ans den Oberschenkel herabhängt, und auf
dem Kopfe hat der Eine oder Andere auch wohl einen
Strohhut. Die Frauen und Mädchen werfen über ihren
braunen, schöngestalteten Oberkörper ein Stück Zeug, das
manchmal weiß ist, und in der Mitte (gleich dem Serape
der Männer) ein Loch hat, durch welches sie den Kopf
stecken. Diese Gewandung fällt in Falten über einen blauen,
gelben oder rothen Rock herab; und der weiße Ueberwurf
sowohl wie der Rock hat farbigen Kantenbesatz, der an jene
der alten Etrnskerinnen erinnert. Das schwarze, üppige Haar
wird mit rothen Bändern durchflochten. In dem ganzen
Anznge liegt viel Charakteristisches, und er steht hübschen
ch Vera Cruz.
jungen Mädchen wunderschön. Bei manchen Indianerinnen
sind Haltung und Gang zugleich stolz und anmnthig; man
glaubt ein Freskobild ans Pompeji zu sehen, wenn solch
eine braune Schönheit umherschreitet, einen mit Blumen
ans der Tierra calieute gefüllten, fein geflochtenen Korb,
oder ein irdenes Gefäß von antiker Form auf dem Kopfe
tragend und den schönen Arm zierlich gebogen empor-
streckend, um das Gesäß im Gleichgewicht zu erhalten.*)
Indianerin ans der Tierra caliente.
Als eine Charakterfigur kann man den Jarocho be-
trachten. Er ist ein Stutzer zu Roß, trägt ein Hemd von
feinem Battist, Calzoueras, Stiefel von Sammet, hat im
rothseidenen Gürtel ein Machete, großes Dolchmesser, stecken,
und unter seinem Strohhute hängt vom Kopse herab ein
seidenes Tuch, welches ihm den Hals und einen Theil des
*) Unser Bild zeigt eine indianische JalapeNa nach der Zeich-
nnng des deutschen Malers Nebel, aber das Gesicht ist offenbar
idealistrt, denn es trägt nicht den indianisch-aztekischen Typus.
Das gelbe Fieber n
Nackens gegen die Sonnenstrahlen schützt. Der Jarocho
ist zuweilen ein Kreole von reinem Blute, aber das nur selten,
gewöhnlich ein Mestize, in welchem das Blut der weißen,
braunen und schwarzen Nacc gemischt ist. Aus dieser drei-
fachen Kreuzung ist dann ein seltsames Menschenkind ent-
standen; in seinen Adern wallt das Blut wie Lava, uud sein
Körper hat stahlharte Muskeln. Der Jarocho ist entweder
Hirt oder auch ein wenig Ackerbauer, aber vor allen Dingen
höchst trag und aller Arbeit abgeneigt. Ausdauer zeigt er
lediglich und allein bei Lustbarkeiten und, wenn er Neger-
blnt in sich hat, beim Tanze, denn von diesem kann er nie
genug bekommen. Er will Genuß, sinnlichen Genuß, aber
alle geistigen Güter sind ihm fremd. Er genießt mit einer
Art von Wuth und Inbrunst; er will trinken, Musik hören,
dessen Verbreitung. 07
zogeu haben, große Verwüstungen au; es ist jetzt viel von
derselben die Rede, uud wir wollen deshalb, nach guten
Quellen, einige Bemerkungen über diese Geißel einschalten.
Sie hat auch im Jahre 1858 arg gewüthet, denn damals
reichte sie von der Quarantäne in Neu-Aork, der ganzen
Ostküste Amerikas entlang bis nach Montevideo am La Plata-
ström und verheerte gleichzeitig die westindischen Inseln,
welche einen Hauptheerd dieser Krankheit bilden. Zu Neu-
Orleans am Mississippi raffte sie in den letzten sieben Tagen
des Augustmonats mehr als sünsthalbhundert Menschen
hinweg.
Dieser gelbe Hans, Aellow Jack, wie die Engländer
ihn nennen, war vor der Entdeckung Amerikas unbekannt.
Die Entdecker und Eroberer wurden allerdings an den
tanzen, sich putzen und Liebschaften haben. Seine Bednrf- !
nisse kann er in dein von Natur so reich gesegneten Lande
ohne Anstrengung befriedigen; deshalb fühlt er sich unab-
hängig, ist keck, aufbrausend und zieht auch bei geringen
Veranlassungen sein Dolchmesser aus dem Gürtel.
Nach Jal ap a kommt die Hauptplage des heißen Küsten-
striches an, Mexikanischen Golf, das gelbe Fieber oder
^chwarzbrechen, Vomito prieto, wie die Spanier es
uennen, nicht hinauf. Seine obere Grenze, von Vera Cruz
■ »ach dem Innern hin, ist bei der Meierei Encero, welche
etwa 2800 Fuß über der Meeresfläche liegt. Dort be-
ginnt die mexikanische Eiche, und wo diese auf-
mt, hört die Region des gelben Fiebers auf.
Die Krankheit richtet seit einem halben Jahre unter
cn französischen Soldaten, welche Mexiko mit Krieg über-
Küsten und in den heißfeuchten Gestadeniederungen zwischen
den Wendekreisen in der Neuen Welt von Fiebern heimge-
sucht, aber schwerlich sind die Formen, unter welchen die-
selben austraten, jene des gelben Fiebers, wie es heute ist,
' gewesen/)
*) In den Riimhles by html ancl water, or notes of travel in
Cuba und Mexico, by Ii. M. Norman, New ^ ork I s 15, S. 04, umi
die Ansicht ausgesprochen, daß das eigentliche Wesen des
Fiebers sich erst im Fortgange der Zeit und namentlich fei* "'7
heraus entwickelt und allmälig festgestellt habe, und zwar daom i,
daß eigenthümliche physiologische und anthropologi? k
Bedi 11 gnngen zusammentrafen. In dem eben genannten ^ame
brachte ein englisches Schiff Negersklaven ans Guinea nach ^ er a
I Crn z. Auf dem Fahrzeuge brach unterwegs eine Krankheit aus,
zuerst unter den Schwarzen, dann unter den Sbeisicn; m Vera Lvnz
Winden Indianer und Mischlinge von ihr ergrissen; die Krankheit
9*
Ein Jarocho in der Tierra caliente.
70
Von Mexiko nach Vera Cruz.
In seiner .geographischen Verbreitung liegt etwas
Näthselhastes. Anderthalb hundert Jahre schlich oder kroch
die Seuche wie eine Schlange an den Küsten des Atlantischen
Meeres hin, vom 49. Grade nördlicher Breite bis an
den Aeqnator, und auf dieser Strecke ist auch uicht ein
einziger Hasen von ihr verschont geblieben. Selbst Neu-
Aork und Philadelphia wurden in Zwischenräumen von ihr
heimgesucht, während sie an den Küsten südlich vom Kap
Hatteras, der großen Wetterscheide an der Küste von Nord-
karolina, wo der Golfstrom entschieden nach Osten hin ab-
biegt, alljährlich erschien, namentlich zu Charleston in Süd-
karolina. Aber hier und in Georgien tritt sie seit dreißig
Jahren nur iu Zwischenräumen auf, während sich an ihrer
regelmäßigen Erscheinung in den Häfen des Mexikanischen
Golss, der karaibischen See und in Westindien überhaupt,
daran uichts merkbar geändert hat. Das Fieber verheerte ans
dem südamerikanischen Festlande regelmäßig Guyana, aber
amAequato'r stand es wie gebannt still, nndkonnte
die einem Meerbusen vergleichbare Mündung des
Amazonenstromes nicht überschreiten. Im Süden
desselben glaubte sich Jedermann sicher vor ihm, Brasilien
galt für unantastbar, und das ganze ungeheure Gebiet des
Amazonenstromes, die weit ausgedehnte Hyläa vom Ocean
bis au den Fuß der Andes, war frei von der gräßlichen
Plage.
Da plötzlich, im Jahre 1849, überspringt das gelbe
Fieber den Amazonenstrom, verheert die Stadt Para, zieht
landein, so weit Seeschiffe fahren, nämlich bis
Barra an der Mündung des Rio Negro, und dringt auch
an der Küste nach Süden hin immer weiter vor, bis es
dann an der Mündung des La Plata, welche es noch heute
nicht überschritten hat, feststeht.
Klima und Meeresströmungen sind für die Verbrei-
tnng von ganz entschiedener Wichtigkeit. Heimgesucht vom
gelben Fieber werden znm Beispiel alle Küsten und Inseln,
welche jener große atlantische Meereswirbel berührt, dessen
Strömung ans dein Busen von Guinea, also vom äquato-
rialen Westafrika, von Osten nach Westen geht, am bra-
silianischen Kap Roqne aufgefangen und durch dasselbe nach
Nordwesten hinabgeleitet wird. Diese gewaltige Aeqna-
torialströmnng dringt nach Norden hin durch das ka-
raibische Meer und zwischen Aneatan und Euba hindurch
in den Mexikanischen Meerbusen ein, wo sie unter dem Namen
Golfstrom bekannt ist. Dieser geht um die Spitze von
Florida herum, hält sich der Küste nahe bis zu dem oben
erwähnten Kap Hatteras, wendet sich dann nach Nordosten
hin und wird allmälig schwächer, je weiter er in seinem nord-
östlichen Auslaufe zwischen Norwegen und Island und
gegen Spitzbergen hin kommt.
Aber in der Mitte des Atlantischen Oceans biegt
aus dem großen Strom eine Abtheilung nach Süden hin ab
und sendet von der portugiesischen Küste her eine Ab-
zweignng durch die Straße von Gibraltar in's Mittel-
ländische Meer, während ein anderer nach Süden hin
der afrikanischen Küste entlang zieht, sich in der Nähe
desAequators wieder mit seinem Ausgangspunkte vereinigt,
und solchergestalt den großen nordatlantischen Wasser-
wirbel schließt, in dessen Mitte die schon von Christoph
Colnmbus so schön geschilderten Seetaug-Wiesen (das
sogenannte Sargasso-Meer) sich befinden.
suchte drei ganz verschiedene Menschenracen heim. Es
wäre nun die Aufgabe zu untersuchen, welche Einflüsse sich dadurch
entwickelt haben, daß die Krankheit so verschieden angelegte Racen
ergriff. Uebrigens muß doch bemerkt werden, daß man sie für
nicht ansteckend hält. A.
Nun steht fest, daß die von jenem Wirbel berührten
Küsten vorzugsweise oft von dieser Krankheit gelitten haben.
Biete Aerzte nehmen an, daß sie verschiffbar sei, daß sie
sich von Land zu Land, von Hasen zu Hafen, vou Mann
zn Mann übertragen lasse. Aber in scharf bestimmte
Grenzen ist sie nicht eingeschlossen, sondern überspringt die-
selben häusig. Gegen alle Theorie, emaneipirt sich das gelbe
Fieber keineswegs selten; hartnäckig haftend an Fahrzeug
und Bemannung, ist es schon bis in den Britischen Kanal
und noch weiter hinaufgedrungen. Ja es giebt einen wohl-
beachteten Fall, wo auf einem uud demfelbeu Schiffe
die Seuche drei uud fiebeuzig Breitegrade durch-
segelt ist. Aber auch ihre geographische Länge ist ange-
wachsen; denn das gelbe Fieber hat sich an der Westküste
von Amerika, von Kalifornien bis nach Valparaiso in Chile,
gezeigt, somit seine eigentliche Wiege, nämlich das nord-
atlantische Becken mit seinen eigenthümlicheu Strömnngs-
Verhältnissen, übersprungen. Einzelne Erscheinungen sind
früher schon auch iu Ostindien beobachtet worden, in neuerer
Zeit auch auf den Molnkken, vorzugsweise auf Amboina
und anderen Gewürzinseln.
Ans der Summe beobachteter und festgestellter That-
fachen ergiebt sich Folgendes:
Das gelbe Fieber folgt dem Menschengeschlecht auf
seinen Zügen längs den oceanifchen Küsten nach allen Rich-
tnngen hin bis zum 45. Grade nördlicher Breite; weniger
weit geht es nach Süden hinab, wahrscheinlich weit dort
Kontinente und Inseln nur spärlicher und die Menschen
bis jetzt erst in dünneren Massen vorgedrungen sind.
Vielleicht wird es mit der wachsenden Menschenmenge
auch nach Süden hin weitere Verbreitung gewinnen und
die Volkskrankheit der heißfeuchten Küstensäume nach allen
Richtungen hin werden/) Uebrigens ist das gelbe Fieber
schon im Britischen Kanal, in der Bucht von Quebec am
St. Lorenzstrom, in Livorno, zu Los Passages im Busen
von Biscaya, zu Barcelona und Marseille, iu Oporto und
in Lissabon aufgetreten. In Afrika werden die Gestade
unter denselben Breiten heimgesucht wie in Amerika, und
manche Forscher sind geneigt, den Meerbusen von Guinea,
insbesondere die Buchten von Biasra uud Benin, also
die Region der Nigermündungen, als den eigent-
licheu, ursprünglichenHauptheerd der Entstehung
anzusehen.
So wie nordische, sanguinische Körper sich jenen Küsten
nahen, blitzen auch Fiebererscheinungen in ihnen auf, ueh
men die Krankheit fest in sich ans, schleppen sie mit sich zu
fernen Gestaden und einsam liegenden Inseln, z. B. nach
Ascension, das weitab von allen Küsten mitten im Atlanti
schen Ocean liegt, und nach den Eilanden des grünen Vor-
gebirges. Ave Lallemaut nimmt an, daß oas gelbe Fieber
aus Brasilien nach Westamerika nicht über Chagres und
Panama, sondern um das Kap Horu durch Schisse ge-
tragen worden sei, namentlich nach Callao, respektive Lima.
So weit in der heißen Zone, und selbst noch tief in die ge-
mäßigte hinein, sich flache Küsten an Oceaneu uud Strömen
erstrecken, die in lebhaftem Verkehr mit einander stehen,
kann auch eben so schnell nnd lebhaft gelbes Fieber auf-
treten, wenn die Keime der Krankheit dorthin getragen
*) Dr. Robert Av6 Lallemant, das gelbe Fieber nach
dessen geographischer Verbreitung, Ursachen, Verschleppbarkeit,
Haupterscheinungen, Behandlung uud anderen wissenschaftlichen Be-
Ziehungen; aus eigenen Beobachtungen und Erfahrungen darge-
stellt. Breslau 1857. Der Verfasser war viele Jahre lang Arzt
und Direktor der Spitäler zn Rio de Janeiro. Das Buch ist sehr
belehrend.
Das gelbe Fieber und dessen Verbreitung.
71
werden und unter ihnen günstigen Umständen sich ent-
wickeln.
Die Erfahrung lehrt, daß die Krankheit gewöhnlich
nicht vor der Mitte der heißen Zeit und oft erst gegen Ende
derselben sich einstellt, und in den nächsten Monaten zu-
nimmt, selbst wenn die Temperatur sinkt und die sogenannte
kalte Jahreszeit eingetreten ist. Jn Nenorleans zum Beispiel
sind gerade die Herbstmonate am gefährlichsten; in Rio de
Janeiro fängt die kühlere Jahreszeit im April an, aber ge-
rade in ihr steigt das gelbe Fieber zur vollen Höhe und
findet im September und Oktober sein Ende, obwohl dann
schon die Hitze sich wieder einstellt.
Besonders unter den neuen Ankömmlingen räumt das
gelbe Fieber entsetzlich auf. Ganz allgemein und manch-
mal ganz ausschließlich werden solche Leute von ihm er-
griffen, die erst vor Kurzem in den tropischen Gegenden
angelangt und noch nicht akkliinatisirt sind. Unter den
europäischen Soldateu hat es von jeher fürchterliche Ver-
Wüstungen angerichtet. VoretwaeinhuudertJahre u
verloren die Engländer bei einer Belagerung von
Havana im ersten Monate nach ihrer Landung
dreitausend Matrosen und fünftausend Soldaten,
also im Durchschnitt täglich ein vierteltausend
Mann.
In Cayenne starben vor sechszig und etlichen Jahren
sämmtliche zehntausend Ansiedler, welche man aus Frank-
reich dorthin geschafft hatte. Auf St. Domingo (Haiti)
verloren die Engländer sechstausend Mann am Fieber, in
Gefechten aber nur etwa zweihundert. Stets werden die
neuen Ankömmlinge fortgerafft, während die Berichte her-
vorheben, daß die Eingeborenen wenig, manchmal auch gar
nicht, von der Krankheit ergriffen wurden.
Wir erfahren über Wordamerika nnd England, daß die
Franzosen in Mexiko ganz ungeheuere Verluste durch das
gelbe Fieber erleiden; die Pariser Blätter dürfen die volle
Wahrheit nicht sagen, sondern müssen sich mit schwachen An-
deutuugen begnügen.
DieKrankheit verhält sich zuJndividnen ver-
schiedener Volksthümlichkeiten auch sehr verschie-
den. Darüber hat AveLallemant im Hafen von Rio inter-
efsante Erfahrungen gemacht. Je fremder, sagt er. Jemand
dem brasilianischen Klima, und je näher er nach den Polen zu
geboren ist, um so mehr und heftiger sei er einem Anfall
ausgesetzt. Bor allen Dingen ist die Seuche für die Au-
wohner des Bottnischen Meerbusens, also des nördlichen
Theiles der Ostsee, gefährlich, und diese sollten sich eigent-
lich gar nicht in Gelbfieberhäfen blicken lassen. Eben so
gefährlich sind diese für Dänen und Norweger. „Wer von
diesen einen solchen Hasen aufsucht, wird krank." Ihnen
reihen sich die Bewohner der südlichen Ostseeküsten und jene
von der Nordsee an. Unsere deutschen Seeleute alle, uud
nicht minder die Amerikaner der nördlichen Staaten, sind
der Erkrankung gleich sehr ausgesetzt, aber bei diesen Leuten
machen schon einige Breitengrade einen Unterschied. Schotten
werden rascher uud in gefährlicherer Form krank als Eng-
länder. Schweden und Dänen erkranken in Rio regel-
mäßig eher als die Hamburger und Nordamerikaner. Je
mehr gegen Süden zu der blonde, sanguinisch-lymphatische
Menschenschlag dunkleren Racen den Platz räumt, desto we-
niger werden die von diesen letzteren abstammenden uud aus
den von ihnen bewohuteu Ländern kommenden Menschen
vom Fieber befallen, oder desto weniger stellt sich ihr Krank-
sein als scharf entwickelte Gelbfieberform heraus. Aber
strenge Regeln lassen sich in dieser Beziehung nicht auf-
stellen. Wer sich im blühenden Lebensalter von fünfzehn
bis dreißig Jahren befindet und auf keiner warmen See-
küste akkliinatisirt ist, bekommt das gelbe Fieber, wenn er
sich der Möglichkeit, dasselbe in sich aufzunehmen, aussetzt.
Uud wer es im ersten Jahre seines Aufenthalts in einem
gelben Fieberneste nicht bekommen hat, kann es, bei der ge-
riugsten Unvorsichtigkeit, im zweiten oder dritten Jahre nnd
noch viel später bekommen. Ave Lallernant sagt: „Wer
jung, kräftig uud kerngesund ist, hüte sich ernstlich! Wie
manches Tausend von Mate» habe ich, zu Land nnd auf
See, im Sturme des gelbe» Fiebers wrack werden uud viele
untergehe» sehen, hoffnungsvolle, lebeuslustige, kräftige Nord-
landsrecken, die mit Gesundheit, Muth und Frische in den
Oceau hinausgeschifft waren. Je trotziger in diesen blonden
Menschen das blaue Auge einherschaut, je strotzender ihnen
die Jugeudfrifche auf den Wangen und der Muskel auf dem
Körper liegt, je kräftiger sich das Blutleben in ihnen ent-
wickelt hat, um so größer ist die Gefahr zu erkranken und
zu sterben."
Der nordische Seemann kann auf dem tropischen Ocean
vollkommen akkliinatisirt sein, ist es darum uoch nicht an der
Küste. Junge Frauen, die guter Hoffnung sind, tragen befon-
ders während der vier ersten Monate eine besondere Anlage
zum gelben Fieber in sich; ganz dieselbe Empfänglichkeit findet
im Wochenbett und auch in den ersten Wochen der Stillnngs-
zeit statt. Eine unbedeutende Reizung der Brust
durch Wundsein der Warzen ist uicht selten Einleitung
zu einem Gelbfieberanfall; bei Kindern stößt das
Geschäft des Zahnens eng an das gelbe Fieber,
das sich aber um ganz zarte Kinder nicht zu bekümmern
scheint. Dr. Ave Lallemant hat beobachtet, daß Geburten
unter heftiger Gelbfieberreaktion stattfanden, oder daß Frauen
gleich nach der Entbindung und in Folge dieser letztern er-
krankten und nach acht bis vier zehn Tagen citronengelb
waren, daß sie aber das Kind ruhig sortstillteu, während
dieses ganz gesund blieb.
Es ist eine entsetzliche, verhängnißvolle Krankheit. Viele
Aerzte behaupten, sie sei uicht aufleckend, uud das mag wohl
richtig sein. Aber in allen Gelbfieberländern steht beim Volke
der Glaube fest, daß sie ansteckend sei, uud daß sie in einem
besondern Stoff, in einem präformirten Etwas bestehe,
welches sich bis in ferne Gegenden fortpflanzen lasse, dort
bei günstigen, vorherrschenden oder hinzugekommenen Be-
dingungen sich entwickeln und ganze Völkerschaften wie ein
gähreuder Sauerteig durchdringen könne.
Vera Cruz, der Haupthafen an der mexikanischen
Küste des Golfes, ist auch ein Hanptheerd des gelben Fiebers,
das dort eine rechte Brutstätte findet. Allein auch die übrigen
Plätze werde» von demselben heimgesucht; es zeigt sich das
ganze Jahr hindurch au der Küste sporadisch, aber gegen
Ende Aprils, wenn die luftreinigenden Nordwinde zu wehen
aufhören uud die Hitze stärker wird, tritt es epidemisch auf;
die Verheerungen danern bis zum September und Oktober
fort und sind dann gerade in diesen beiden Monaten anl
heftigsten. Die Indianer an der Küste bleiben zumeist ver-
schont, wer aber aus dem gemäßigten nnd kalten Innern
Mexikos an die Küste herabkommt, wird ebenso wohl er-
griffen wie der Seemann/)
d.''- !0rbeiner getreuen Schilderung
der Jie). iil lit -WejKo, Hannover 1844, Bv I, S. 351, sagt: „Ciu
11 n" 9 der Krankheit in ihrem ersten Studio sehr
nichtig^ Symptom ist von Doktor Chabert 183«) entdeckt worden:
"W s,V n , ^ririe, die sich im Zahnfleische dicht
.^"^'^rzeln zeigt. — Sehr gute Bemerkungen
itbu in oeiorcttuiig free gelbeuFiebers giebt auch Mnhry in zwei
mit ungemeinem Fleiß gearbeiteten Werken: Kliniatologische Unter-
suchungen :c., Göttingen uud Heidelberg 1858, S. 250 uud an
72 Von Mexiko i
Die Stadt ist oftmals beschrieben worden, aber alle
Reisenden stimmen überein, daß Vera Cruz ein im höchsten
Grade trostloser Ort sei, und so gefährlich für Leib und
Leben, daß jeder Europäer, welcher dorthin kommt, gleichsam
Spießruthen läuft und keine Stunde lang seines Lebens
sicher ist. Die Umgegend ist eine Sandwüste, in der an
manchen Stellen sogar jede Spur eines Weges vom Winde
verweht wird. Unser Landsmann Bnrckhardt, dem wir
ein sehr werthvolles Werk über Mexiko verdanken, schildert
sie als ein Abbild des Todes, welcher dem Europäer ent-
gegenstarre. Nur im Süden der Stadt liegt ein kleines Ge-
hölz; dann solgt wieder Saud, nachher kommen Moräste und
steheude Sümpse. Diese sind bewachsen mit Rhizophoren,
Avicennien und anderen Sumpf- und Wasserpflanzen, an-
gefüllt mit faulenden Thier - und Pflanzenstoffen, und hauchen
verpestende Dünste aus. Erst wenn im Oktober die heftigen
Nordwinde zu stürmen beginnen, werden diese Dünste ver-
trieben, und dann ist die Stadt nicht etwa gesund, aber doch
weniger ungesund. Aber sobald gegen Ende März und im
April diese Winde nicht mehr wehen, und die beginnende
Picador.
Hitze die Gähruug jener vegetabilischen und thierischen Stoffe
in den Sümpfen beschleunigt, dann sammeln die Dünste sich
in der ruhigen Lust an und nun stellt das gelbe Fieber mit
schwarzem Erbrechen sich ein. Ein Blick auf die Küste zeigt
stets Trümmer gestrandeter Schiffe, und die wenigen Spuren
von Grün entschädigen das Auge nicht für den Anblick der
Wüste. Nur wenn bei Hellem Wetter sich in heiterm Blau
die Cordillerenkette mit dem schönen Spitzberge von Orizaba
(Globus Nr. 22) und dem Kosser von Perote sich zeigt,
athmet der Fremde in weniger gedrückter Stimmung ein
wenig auf. Aber er möchte gern dort oben sein, und der
Deutsche denkt unwillkürlich an die Verse unseres Schiller
„Der Hauch der Grüfte steigt nicht empor in die freieren
Lüfte."
Das gelbe Fieber ist eine Lebensgefahr; die Nord-
winde sind eine lästige Plage. Sie rasen vom Oktober
bis in den März, halten oft drei bis vier Tage, manchmal
vielen anderen Stellen, und: Die geographischen Verhältnisse der
Krankheiten oder Grundziige der Noso-Geographie; ebendaselbst
1856, S. 136 bis 145.
H Vera Cruz.
aber auch zehu bis zwölf Tage an. Aber gerade diese
Jahreszeit wählen Schiffer und Reifende, um Vera Cruz
zu besuchen oder von dort abzureisen, weil sie dann einiger-
maßen vor dem gelben Fieber sicher sind. Der Reisende
muß ost lange warten, bevor ein Fahrzeug seine Anker
lichten kann; es trifft sich indeß oft, daß dasselbe nahe vor
dem Hasen von einem Nordsturm überrascht wird und wieder
in die hohe See hinaus muß. Aber auch im Hafen selbst
ist derselbe gefährlich und hat dort schon manches Schiff
zertrümmert.
Zu beiden Plagen kommt noch ein sehr empfindlicher
Uebelstaud: das äußerst schlechte Trinkwasser. Man
braucht allerdings nur wenige Fuß tief zu grabeu und findet
dann Wasser, es hat aber einen morastigen Geschmack und
ist kaum für das Vieh trinkbar. Mehr als einmal sind
Versuche zur Anlage von Wasserleitungen gemacht worden;
man wollte dasselbe aus dem Flusse Tamalapa bis zur Stadt
führen, baute zu diesem Behuf auch Dämme, sing aber die
Sache so ungeschickt und verkehrt an, daß man sie, nach
Vergeudung großer Summen, wieder aufgeben mußte.
Korbhändler.
Aber was zieht denn die Menschen nach Vera Cruz,
was kann sie bewegen, an einem so lebensgefährlichen, nn-
glückseligen Orte zu verweilen? Lediglich der Handel. Für
den Verkehr zwischen der Küste und der Hauptstadt liegt
Vera Cruz weniger ungünstig als die übrigen Hafenplätze
am Golf, z. B. Tampieo. Von ihm aus führt die große
Straße in's Innere; es ist für eine weite Region Ausfuhr-
und Einfuhrhafen und hatte in der spanischen Kolonialzeit
ein förmliches Monopol für den Verkehr mit dem Mutter-
laude, wohin alljährlich eine Silberflotte abging.
Vera Cruz ist 1580 durch deu Vicekönig Grafen de
Monterey gegründet worden. Ferdinand Cortez hatte nn-
weit der aztekischen Ortschaft Campoallan einen Ort zu
bauen angefangen, welchen er aber schon nach ein paar
Jahren wegen der ungesunden Lage aufgab, um eine andere
Stelle zu wählen, auf der dann Villa antigna de Vera Cruz
entstand. Aber auch hier wüthete das Küstcusieber in
schreckenerregender Weise, man verließ auch jene Stelle
und baute die heutige Stadt da, wo das Judiauerdorf
Chalchiuhcuecau stand. Sie liegt hart am Meere, 19°
11' 52" N. Br., 98° 29' W. L. v. P., gewährt einen zwar
Das gelbe Fieber und dessen Verbreitung.
nicht ntannichfaltigen aber doch recht freundlichen Anblick und
trägt den spanisch-amerikanischen Typus in den maurischen
Häusern. Diese siud fast alle niedrig, haben flache Dächer,
sind meistens weiß angestrichen und vor den Fenstern mit
Gittern versehen. Das Pflaster ist gut. Von den Dächern,
auf welchen von Einbruch der Dunkelheit an große Hunde
Wacht halten, hat man eine freie Aussicht auf Rhede, Meer
uud Inseln, und in dem Miradvr, dem kleinen bedeckten
Pavillon, den man auf den meisten Dächern findet, ver-
sammeln sich die Hausbewohner, um frische Luft zu ge-
nießen.
Die niedrige aber breite Mauer hat Schießscharten
und acht Bollwerke; alle Straßen durchschneiden einander
in rechten Winkeln und werden sauber gehalten. Wer von
werden. Der Platz hat auf zwei Seiten Portales, das
heißt Bogengänge, unter welchen sich Kaufläden und Kaffee-
Häuser befinden. Er ist täglich mit Früchten und Fischen
wohl versorgt! aus ziemlich beträchtlicher Umgegend kommen
die Indianer herbei, die sich manchmal auch zu einem Stier-
gefecht einfinden; der Geschmack für diese barbarische Be-
lnstiguug ist von den Spaniern auf die braunen Amerikaner
übertragen worden. Der Picador, mit seinem phanta-
stischen Anputz, welcher beim Stiergefecht eine große Nolle
spielt, wird von ihnen angestaunt, und der bescheidene
indianische Korbverkäufer bleibt stehen, um einen
solchen Helden zu bewundern. Der Picador ist auch ein
wichtiger Mann bei den Volksbelustigungen und macht in
Med ellin den Stutzer.
Der Marktplatz
der See her die Stadt zum erstenmal erblickt, hält sie für ■
viel größer als sie ist; sie zieht sich lang hin, ist aber nur
schmal; jedoch die vielen Thürme, Kuppeln und Dome geben
ihr den Anschein, als ob sie eine große Stadt sei. Sie zählt
aber nnr etwa acht- bis zehntausend Einwohner.
Werfen wir einen Blick auf Stadt und Hafen und
gehen wir zunächst auf deu Hauptplatz, Plaza mayor.
Man betritt ihn gleich vom Wasserthor aus, zwischen der
östlichen, das Meer flaukireudeu Mauer und der ersten ihr
gleichlaufenden Häuserreihe. Mehr Charakter zeigt der
eigentliche Marktplatz, Plaza de Mercado, der ein großes,
schönes Biereck in der Mitte der Stadt einnimmt. In der
yfähe werden die Waaren gelandet; deshalb ist dieses
Viereck auch der Sammelplatz für die Maulthiertreiber, durch
welche die überseeischen Güter nach dem Innern gebracht
Klobus für 1862. Nr. 27.
in Vera Cruz.
Da, wo die Sandwüste aufhört, zeigt sich überall die
üppige Vegetation des heißen Tieflandes, der Tierra ca-
liente, in voller Pracht. Etwa drei Legnas von Vera Cruz
liegt am linken Ufer des Rio de Xamalapa der Flecken Me-
dellin. welchen Cortez gegründet hat. Eigentlich ist er blos
ein Dorf, das neben vielen indianischen Rohrhütten nur
drei steinerne Hänser zählt. Dorthin reitet und fährt man
oft ans dem öden Vera Cruz, um sich zu erheitern, uud ver-
anstaltet nächtliche Feste. Man hat.dort die Wohlthat der
Flußbäder und lebt ähnlich wie in europäischen Badeörtern;
auch die Pest der Spielhöllen fehlt nicht. Aber vor Allem
erfreut stch das Auge au dem üppigen Grün, denn die Waldun-
gen find prächtig mit ihren Mimosen, Drachenblutbäumen,
Cassieu, CocoS- und anderen Palmen, Storaxbäumen, Li-
riodendron, Carolineen und Riesenfarrn, die allesammt einen
10
74 Neue Mittheilungen über
gewaltigen Wuchs haben und von prächtig blühenden Schling-
pflanzen durchflochten sind. In diese schattigen immergrünen
Laubgewölbe flüchtet sich gern der Europäer, welcher in
Vera Cruz dem Tode trotzt, um so schnell als möglich reich
zu werden und das rasch Erworbene dann unter einem ge-
sundern Himmelsstriche zu genießen. Anch deutsche Kauf-
leute fiud iu Vera Cruz, neben Engländern, Franzosen und
Nordamerikanern. Diese Fremden bilden eine Art von ge-
selliger Genossenschaft, deren Mitglieder zumeist nur unter
sich verkehren und sich nach ihren Bedürfnissen einrichten.
Mit den Mexikanern vermeiden sie gern jede Berührung, die
nicht unbedingt nöthig ist. Die Fremden werden gehaßt;
sie bilden aber die „Lichtpunkte in der Nacht der Barbarei".
Wir wollen noch hinzufügen, daß Vera Cruz Laternen zur
Straßenbeleuchtung hat, daß Aasgeier, Zopilotes, uuge-
mein zahlreich fiud, auf allen Dächern sitzen und die Ge-
snndheitspolizei ausüben; daß man sich gegen die Stech-
mücken durch Moskitouetze, gegen gierige Flöhe und gegen
die Zaucudos, welche mit ihrem Rüssel sich iu die Haut eiu-
saugen und mit Blut anfüllen, bis sie eine Kugel bildeu, gar
nicht schützen kann, und daß endlich andere quälende Insekten
keineswegs fehlen.
Der „Hafen" von Vera Cruz ist eigentlich gar kein
Hafen, sondern eine sehr schlechte, äußerst unsichere Rhede;
doch giebt es an der Golfküste Mexikos keine, die besser
wäre. Er hat einen Mauerdamm, Molo, welcher etwa
290 Fuß in die See hinaus vortritt; an diesem legen Boote
ie Völker im Kaukasus.
und kleine Küstenfahrzeuge au und dort ist immer ein reges
Treiben. Die Rhede hat viele Klippen, Sandbänke und
schlechten Ankergrund und bietet keinen Schutz gegen die
Nordstürme. Die Küste bildet einen vorspringenden Bogen
und zugleich mehrere Buchten. Oestlich, der Stadt gerade
gegenüber, liegt die große Gallegabauk, auf deren Nordwest-
licher Ecke das Fort San Juan de Ulna sich erhebt.
Westlich liegen noch mehrere Bänke und das Einlaufen in
den Hasen kann nur mit sehr großer Vorsicht bewerkstelligt
werden.
Jene Festung oder Burg beherrscht Vera Cruz und
liegt nur etwa achthundert Schritte von der Stadt. Der
spanische Conqnistador Juan de Grijalva landete am Jo-
hannistage 1518 auf der Sandinsel oder Bank Gallega,
und gab ihr seinen und des Tagesheiligen Namen. Er
fand Ueberbleibsel geopferter Menschen und fragte die In-
dianer, weshalb sie Menschen abgeschlachtet hätten. Sie
entgegneten Acolhna und deuteten damit auf das Hoch-
thal von Mexiko, wohl um zu fageu, daß dort oben bei
ihren Beherrschern dasselbe Brauch sei. Die Spanier meinten
aber, Acolhna sei Name der Insel und nannten diese Ulua.
Trotz der starken Mauern und 360 Kanonen ist diese Burg,
deren Erbauung 40 Millionen harte Piaster, also 60
Millionen unserer Thaler kostete, mehrmals eingenommen
worden. Auch die Jusel de los Sacrisicios, welche
auf der Rhede vou Vera Cruz liegt, hat ihren Namen von
Menschenopfern der Azteken.
Neue Mittheilungen über die Völker im finitkafns.
Von Theodor Lapinski.
Dritter und letzter Artikel.
Nahrung und Mahlzeiten der Adighe. — Kleidung. — Beschäftigungen. — Charakter und Erziehung. — Die Lüge. — Der Karar.
Frenndschastsbünduiß. — Diebstahl. — Gute Nachbarschaft. —
Die Nahruug derAbasa ist besser und reichlicher als
bei den Landleuten im größern Theile von Europa, und
ihre Hauptwürze ist die gewissenhafte Reinlichkeit, mit
der die Speisen bereitet werden. Brot wird wenig gebacken,
und seine Stelle vertritt die beliebte Schwa-Pasta, eine dick-
gekochte Hirsegrütze, oder in deren Ermangelung eine Grütze
von Welschkoru.
Um einen Begriff von einer abasischen Mahlzeit
zu geben, will ich eine solche vollständig beschreiben, wie
man sie in einem nur mittelmäßig wohlhabenden Hose auf-
trägt. Ist die Essenszeit gekommen, so erscheint zuerst eiu
junger Mann oder ein Knabe mit einem Waschbecken und
einem Kruge lauwarmen Wassers in der Gaststube, ein
zweiter trägt Seise und Handtücher. Da man, wohlver-
standen, nur deu Löffel und das Messer, uicht aber die
Gabel kennt, und die festeren Speiseil mit den Fingern
gegessen werden, so ist es nothwendig, sich die Hände zu
waschen. Nachdem dies geschehen, werden die Speisen auf-
getragen und zwar nach türkischer Sitte, mit dem Unter-
schiede, daß man nur Holzgeschirre*) sieht. Kleine runde
*) Die Holzgeschirre, Schüsseln, Trinkbecher und Lössel werden
von den Adighe mit vieler Kunstfertigkeit gemacht und mit aller-
Tischchen, höchstens einen Fuß hoch, werden vor die Gäste
hingestellt, jede Speise auf einem andern Tische. Bei einem
solchen Frühstück wurden solgeude Speisen aufgetragen:
Ein in einer Brühe vou rothem Pfeffer eingemachter Trnt-
Hahn, Käfe-Nndeln, kleine Weizenkuchen mit herrlichen,
frisch aus dem Bienenkörbe genommenen Honigwaben,
Fleischnudeln, in Pfeffersauce eingemachtes, kleingeschnitte-
nes Hammelfleisch; wieder anders geformte Kuchen mit
Honig; ili Butter geschwitzte Käseschuittcheu mit Brot;
dann saurer Rahm mit Hirsegrütze. Das Mittagessen be-
stand aus einer sehr guten, stark mit Pfeffer gewürzten
Suppe, aus Hammelfleisch (es wird immer der ganze
Hammel aufgetragen), aus rotheu Rüben und Sauerkraut,
zuletzt Kuchen mit Honig. Bei jeder Speise, zu der Brot
nöthig ist, vertritt desseu Stelle eiu Kranz von Hirse-
grütze, welcher rund um das Tischchen gelegt ist. Die
Tische werden der Reihe nach auf- und fortgetragen; nach
den vornehmeren Gästen ißt ihre Dienerschaft, oder nach
den älteren die jungen; dann kommen die zufällig Anwefen-
den und Nachbarn, zuletzt die Sklaveu; deuu es ist Sitte,
lei bunten Malereien verziert. Die Schüsseln siud von verschiede-
ner Größe, die Suppenschüsseln haben oft fabelhafte Dünen-
sionen. Irdene Geschirre sind völlig unbekannt.
Neue Mittheilungen über
daß von den Speisen, welche zum Gaste getragen worden,
nichts in die Küche zurückkommen darf. Nach dem Essen
muß mau sich die Hände wieder gut waschen. Bei reicheren
Leuten werden oft zwanzig bis dreißig Gerichte aufgetragen,
welche nur anders aussehen, im Grunde aber ziemlich die-
selben sind.
Es ist natürlich, daß die Adighe zu Hause nur bei sest-
licheu Gelegenheiten eine solche Menge von Speisen ge-
nießen; doch lebt man in der Regel gut. Dagegen ertragen
sie auch eine Hungersnot!) mit seltener Ausdauer, wenn sie
derselben durch feindliche Uebersälle, Viehseuchen uud Heu-
schreckeuzüge ausgesetzt werden. Diese drei Plagen haben
seit Menschengedenken das Land fast kein Jahr in Ruhe
gelassen. Im Adighe-Lande giebt es das herrlichste Wasser,
und dies ist so zu sagen das einzige Getränk des Volkes.
Doch wird in dem südlichen Theile ein starker Wein gezogen,
auch Branntwein wird hier und da von Einzelnen gebrannt.
Sonst bereiten sie zu ihren Festen den Schwett und einen
starken Meth aus Honig.
Die Kleidung der Männer ist eben so einfach wie
schön und bequem. Sie tragen einen bis über die Kniee
hinabreichenden langen Rock von einheimischem, weißlich
grauen oder braunen Tuche. Die Wohlhabenderen suchen
ausländisches Tuch von heller Farbe zu bekommen. Der
Nock ist ohne Unterfutter mit weiten langen Aermeln, welche
die Häude bedecken, ohne Kragen, und bedeckt vorn einen
Theil der Brust. Dieser Rock wird au der Taille immer
mit einer Reihe kleiner Knöpfe zugemacht und mit einem
schmalen Lederriemen um deu Leib geschnürt. Auf jeder
Seite der Brust siud die Behälter für 36 bis 40 Stück
Patronen, welche, vou Holz oder Knochen gedrechselt, in die
bestimmten Oessnnngen gesteckt werden. Dieser Patronen-
köcher, welcher der Brust das Ansehen einer Orgel giebt,
ist bei deu Wohlhabenderen mit Silberstickereien reich ver-
ziert. Unter dem langen Rocke trägt man den etwas kürzern
Kastan von feinem Tuch, Seide oder Baumwollenstoff von
heller Farbe. Der Kaftan ist gefüttert, mit aufstehendem
Kragen, langen Aermeln, und vom Halse bis zur Mitte des
Leibes zugeknöpft. Unter diesem Kaftan befindet sich ein
zweiter von weißem Baumwollenstoss, eben so gemacht, nur
etwas kürzer als der erste und gleichsam als Weste dienend.
Breite, an den Knöcheln eng zusammenlaufende Pautalous
vou einheimischem oder fremden! Tuche (die rotheu Paura-
lous siud besonders beliebt) vervollständigen die Kleidung.
Die Kopfbedeckung besteht ans einer hohen, wohlgefütterten
Schafspelzmütze, welche einen tüchtigen Säbelhieb aus-
halten kann, das Fußzeug aus Halbstiefeln von farbigem
Saffianleder, welche ganz wie Socken genäht und an den
Fuß augepaßt sind; über diese werden noch kleine Schuhe
als Galoschen gezogen. Kleidung und Schuhzeug wird bei
den Wohlhabenderen mit schmalen Silberborten eingefaßt.
Gegen die Kälte hat der Adighe im Winter einen langen
Schafspelz, der unter dem Oberrocke getragen wird. Gegen
den Regen dienen die Bnrka und der Bäschlik, eine Ka-
pnze, die über die Mütze gezogen wird. Steigt der Adighe
zu Pferde uud entfernt er sich von Hause, so zieht er außer-
dem Gamaschen an, welche bis über die Kniee reichen. Die
Bekleidung ist bei allen Männern im Kaukasus, mit Aus-
nähme der Kopfbedeckung, welche bei deu Tataren und Geor-
giern eine andere ist, vollkommen gleich, und für dieses ge-
birgige, mit Wald uud Gesträuch bewachsene Land, das keine
' . gegen die Sitte, daß sich junge Leute mit älteren an
einen --Lisch setzen. Der Bater ißt nie. an einem Tische mit seinem
i Ir-C^t der ältere Bruder nnt dem jüngern. Weiber
" Mädchen e||eit abgesondert und nie in Gegenwart von Männern.
die Völker im Kaukasus. 75
Straße und keinen Weg hat uud wo man nur zu Fuß oder
zu Pferde reisen kann, sehr praktisch. Auch die russischen
Linienkosaken am Terek haben dieselbe Tracht.
Die Kleiduug der Weiber besteht in einem langen Ueber-
rocke, der säst bis an die Knöchel reicht, vorn offen, ohne
Kragen und mit langen Aermeln. Unter diesem befindet
sich ein langer Kaftan, der weit über die Kuiee reicht, aber
vom Halse bis zu deu Füßen zugeknöpft uud von einem oft
sehr reich mit Gold und Silber gestickten breiten Gürtel um-
spannt wird. Die Pautalous siud breit und sehr lang. Die
Beschuhung ist die nämliche wie bei den Männern. Sehr
hübsch ist die Kopfbedeckung; sie besteht aus einer hohen
Haube iu Form eiues Zuckerhutes, wie man sie ans den
Portraits der Frauen im vierzehnten Jahrhundert sehen
kann. Diese Hauben sind sehr reich gestickt und von der
Spitze wallt ein langer, hinten fast bis zur Erde reichender
Schleier. Die verheiratheten Frauen tragen niedrigere
Hauben. Die Kleidnngsstosse sind meistens bunt uud bei
deu Reichereu von Seide und Atlas. Im Hanse gehen die
Weiber sehr schlotterig herum, aber für festliche Gelegen-
heiten hat auch die Aermste ihre ordentliche Kleidung. Der
Abasa kümmert sich sehr wenig nnt seine eigene Kleidung;
aber er legt sich jegliche Entbehrung auf, um gute Waffen
für sich und hübsche Kleider für feine Weiber und Töchter
zn erhalten. Frauen und Mädchen flechten ihre Haare in
lange Zöpfe uud zeigen sich unverschleiert.
Die Männer beschäftigen sich hauptsächlich mit Ackerbau,
Vieh-, Pferde- und Bienenzucht. Sie sind viel arbeitsamer
als die anderen im Orient lebenden Rationen; da jedoch
ihre Arbeit keinen großen Vortheil abwirft, nnd die Er-
zeugnisse des Bodens nur in geringer Quantität ausgeführt
werden können, mithin Alles im Lande verbraucht werden
muß, sind sie nachlässig geworden und; arbeiten nur gerade
so viel als ihre Bedürfnisse erfordern. Der Adighe ist
vou Natur tapfer, entschlossen, liebt aber kein unnützes
Blutvergießen und ist nicht grausam. Ihm gefällt ein be-
wegtes Leben, doch bleibt er nicht gern lange von seinem
Geburtsorte entfernt. Er liebt fein Land, seine Wälder
und Berge über Alles; seine persönliche Freiheit betrachtet
er als das höchste Gut; durch Güte uud Ueberreduug läßt
er sich leiteu wie ein Kind, selbst Strenge erträgt er, sträubt
sich aber gegen jede Ungerechtigkeit.
Er ist eisersüchtig ans seinen Kriegsrnhm, bewundert
jedoch aufrichtig die Tapferkeit eines Andern, selbst seines
Feindes. Abgeschnitten von dem Verkehr mit der übrigen
Welt, sah er sich seit undenklichen Zeiten nur von Feinden,
zuerst von den Türken und dann von den Russen, umringt,
deswegen ist er Anfangs äußerst mißtrauisch gegen Fremde.
Leichtsinnig, den ganzen Tag singend und springend, fast
gefühllos, wenn seine Hütte niederbrennt, seine Habe zu
Grunde geht und sein Körper zerhauen und zerschossen ist,
hat er ein tiefes Gefühl der Liebe für seine Familie. Der
Gehorsam gegen die Eltern, die Eintracht in der Ehe könnten
manchem civilisirtern Volke zum Muster dienen.
Die Kiuder werden sehr verständig erzogen. Rie wird
ein Kind geschlagen oder auch nur hart angefahren. Die
fast ungezügelte Freiheit der Frauen und Mädchen scheint
lockere Sitten zu begünstigen; demnngeachtet sind die
Mädchen fast allgemein tugendhaft, weniger die verhei-
ratheten Weiber. Die Eifersucht spielt keine große Rolle in
j den Sitten der Adighe. Einer der Hauptfehler dieses Volkes
ist die Gewohnheit der Lüge. Nie kann man seinen Ver-
sprechungen trauen; je mehr Betheuerungen Einer macht;
desto sicherer kann man sein, daß Falschheit im Spiele ist.
Er spricht sehr viel, ist sehr freigebig mit Schmeicheleien
. und mit dem Antragen seiner Dienste, aber wenn es zur
10*
76 Nene Mitteilungen über
That kommt, leugnet er mit der größten Dreistigkeit. Lügner
unter sich, sind sie es noch mehr gegen Fremde, und wer
sich auf die Aussagen der Eingeborenen über das Land
verläßt, wird arg zum Besten gehalten werden. Dies ab-
schenliche Laster der Lüge ist theilweise eine Folge des trau-
rigeu Zustandes des Landes; gezwungen von den Russen,
die Lage ihres Landes und selbst ihre Gedanken geheim zu
heilte», übervortheilt und betrogen von den habgierigen
lasischen Handelsleuten, den einzigen Fremden, mit denen
er in Berührung kommt, ist der Adighe fast geuöthigt, zur
Lüge seine Zuflucht zu nehmen. Die mangelhaften Religions-
begriffe sind gleichfalls eine Ursache, daß diesem Uebel nicht
entgegengewirkt wurde. Der Koran, der im Grunde die
Lüge verdammt, wurde von ehrgeizigen Männern eingeführt,
die kein Mittel scheuten, ihren Einfluß auszubreiten und zn
befestigen, und diesem Laster noch mehr Vorschub leisteten.
Die alten Leute versicherten mich, daß in früheren
Zeiten das Wort mehr galt als jetzt, und heute noch kann
man bei den neubekehrten Muselmännern weit minder dein
Schwur auf dem Korau, als dem Handschlag nach alter
Sitte trauen. Will ein Fremder sich int Lande sicher fühlen,
so ist es nothweudig, daß er sich in einem Stamm und
iu eine Familie aufnehmen läßt und dadurch gleichsam
das Bürgerrecht erwirbt. Zu diesem Zwecke versammeln
sich die Aeltesteu des Stammes und der Familie; es wird
der Karar") gemacht, man giebt sich gegenseitig Wort und
Handschlag, sich wie Brüder und Verwandte zn betrachten
und in Allem und Jedem zn einander zu stehen. Auch in
allen anderen Fällen ist es unerläßlich, den Karar zn machen;
nur in diesem Falle kann man hoffen, daß der Adighe seiner
Verpflichtung nachkommt. Eiue unauflösliche Verbin-
duug schließen zwei Freunde, wenn sie, nach ge-
machten! Karar, sich die kleinen Finger der rechten
Hand aufritzen und sich gegenseitig einige
Tropfen Blut aussaugen. Ein solches Frenndschafts-
bündniß ist heiliger als die allernächste Blutsverwandt-
schast, und ein Bruch desselben ist unerhört.
Die alten tscherkessischen Fürsten- und Ritterfamilien,
die nur unter einander heirathen, suchen gern noch eine
andere Verbindung mit den mächtiger als sie gewordenen
Abasazn schließen. Dieselbe besteht darin, daß der Tscherkesse
seinen neugebornen Sohn irgend einer einflußreichen aba-
fischen Familie zur Erziehung übergiebt und ihn mit den
abasischen Kindern an einer und derselben Brust gesäugt
werden läßt. Eine solche Milchbruder-Verwandtschaft
wird in hohen Ehren gehalten. Wenn der Adighe den
Karar gemacht, so ist es selten, daß er ihn bricht; allge-
meine Verachtung und blutige Rache folgen der Treulosigkeit
auf dem Fuße.
Der Diebstahl ist das zweite große Laster iu diesem
Lande, und eigenthümlich ist es, daß in den Gegenden,
wo es wenige oder keine Tscherkessen giebt, auch der Dieb-
stahl selten ist. Besonders häufig werden Sklavenkinder,
Pferde und Ochsen gestohlen. Sobald in einem Hofe oder
auf dem Weideplatze irgend ein Stück Vieh fehlt und der
Diebstahl bemerkt wird, schießen die Hirten ihre Gewehre
ab und lassen einen eigenthümlichen durchdringenden Schrei
ertönen, den man sehr weit hören kann. Jeder Bewohner,
*) Karar bedeutet Kontrakt oder Uebereinkunft. Das
Wort ist türkisch-tatarischen Ursprungs.
die Völker im Kaukasus.
der diesen Schrei vernimmt, wiederholt ihn, sein Gewehr
oder seine Pistole abfeuernd. In einem Nu hört man weit
und breit nur gellende Rufe und Flintenschüsse. Die ganze
männliche Bevölkerung der Umgegend ist spornstreichs auf
den Beinen und stürzt zu Fuß und zu Pferde, schießend und
schreiend, hinaus, um alle Wege und Stege zu besetzen.
Während die Einen die Ausgänge bewachen, durchsuchen die
Anderen, von Hunden gefolgt, die Gebüsche und Wal-
düngen. Hat sich der Dieb aus das gestohlene Pferd gesetzt
und entflieht, oder sind ihrer Mehrere, so stürmt die wilde
Jagd oft viele Stunden weit mit einem fürchterlichen Halloh
dahin, und die Einwohner der durchjagten Gegenden sind
alle aus den Beinen und suchen die Diebe zu fassen. Letztere
schießen, wenn sie von den Verfolgern hart bedrängt sind,
fliehend ihre Gewehre ab, werden sie jedoch erwischt, so hört
ihr Widerstand gewöhnlich auf. Es ist selteu, daß ein
Dieb, der nicht mehrere Stunden Vorsprung oder Helfers-
Helfer iu dem Orte hat, wo er den Diebstahl beging, seinen
Vorsatz ausführen kann; auch ist es schwer, den Diebstahl
zu verheimlichen. Das gestohlene Vieh wird in der Regel
gleich geschlachtet, die Haut abgezogen, in Riemen ge-
schnitten und schnell verarbeitet, um jede Spur zu ver-
wischen. Je weiter die Russen entfernt stehen, desto weniger
Diebstähle werden verübt, je näher, desto mehr. Die
Russen sind die besten Ankäufer der gestohlenen Kinder,
Pferde und Rinder. Der Dieb ist sicher, seine Beute schnell
und gut anzubringen, nnd ist er nicht gesehen worden, so
kann er wieder zu deu Seinen zurückkehren und neue Ent-
Wendungen verüben. Die Pschi und Work sind die ge-
sürchtesten und renommirtesten Diebe im Lande. Der ans
der That ertappte Dieb wird in der Regel bis auf das
Hemd ausgezogen und nicht eher frei gelassen, bis er oder
seine Familie ein Lösegeld bezahlen. Doch ist es gefährlich,
den Dieb zn verwunden oder zu tödteu, da in diesem Falle
seine Familie das Blutgeld fordert. Die Versuche der
Naibe, dem Diebstahle Schranken zu setzen, waren eine
Zeit lang mit bestem Erfolge gekrönt, aber die später ein-
getretenen Zwistigkeiten hatten auch eine erschreckende Ver-
mehruug der Diebstähle zu Folge. — Wie aber letztere
leider au der Tagesordnung sind, so sind Raubanfälle oder
Raubmorde unerhört. Nie kommt es vor, daß Diebe auch
in den fchlechtverwahrtesten Hof mit Gewalf einbrachen, oder
daß ein einzelner Reisender auf dem Wege beraubt oder
gar ermordet wird. Die Ursache ist die eigentümliche,
aber starke Organisation des gesellschaftlichen Verbandes in
diesem Volke, wo Einer für den Andern, jeder Stamm, jede
Familie für ihre Angehörigen, die Bewohner jeder Jnneh-is
für das aus ihrem Grunde verübte Verbrechen verant-
wortlich sind.
Die Nachbarn leben unter einander in einer Einigkeit,
die den Landleuten in Europa zum Muster dienen könnte;
die Feldarbeiten werden immer von mehreren Nachbarn ,'ge-
meinschastlich ausgeführt. Ist ein Hos durch Brand, Vieh-
seuche oder Ueberfall des Feindes zu Grunde gerichtet, hat
der Russe irgend Jemanden von der Familie gefangen ge-
nommen und der Loskauf ist nöthig, so helfen nicht nur
die Nachbarn, fondern auch die im entferntesten Landes-
theile wohnenden Familienglieder, und wenn dies nicht aus-
reicht, ist der ganze Stamm verpflichtet, beizusteuern. Es
ist also natürlich, daß es in diesem Lande ebenso wenig
Arme wie Reiche giebt; Bettler sind unbekannt.
Ein Ausflug nach Tanger in Marokko.
77
Cm Änsflug nach Tanger in Marokko.
Der Hafen von Tanger. — Physiognomie der Stadt. — Der Fremdenführer Hamed.
Die Umgegend. — Karawanen. — Ein Wildschweinsjäger. -
- Marktleben. — In einem maurischen Hanse.
Eine jüdische Hochzeit. —
Von Gibraltar oder Algesiras aus gelangt man in
wenigen Stunden nach der afrikanischen Küste hinüber und
ist gleichsam im Sprung auf marokkanischem Boden. Der
Sund, welcher zwischen den Säulen des Herkules strömt,
hat eine geringe Breite; von Spaniens Gestaden erblickt
man jene Marokkos und umgekehrt.
Sobald man im Hafen von Tanger (Tandschehr,
Tandfcha; die Römer nannten es Tingis) landet, sieht man
sich in eine fremde Welt versetzt. Die Stadt liegt malerisch
auf einem Hügel, östlich vom Kap Spartet, hat vielleicht
zehntausend Einwohner, unter denen 2500 Inden, mehr
als 1000 Neger, ein paar Hundert Berbern, die übrigen
aber Mauren sind. Die europäischen Konsuln haben in
der Stadt wohnliche Häuser, iu der Umgegend reizende
Gärten, aber gleich hinter der Stadt dehnt sich eine kleine
Sandwüste aus. In Marokko, wo so ziemlich Alles sich
im Verfall befindet, darf Tanger keine Ausnahme machen:
die Mauern drohen dem Einsturz; die ziemlich gut erhaltenen
Batterien können europäischen Kanonen keinen Widerstand
leisten, und während des letzten Krieges mit Spanien ist
der Beweis geliefert worden, daß auch die anderen marok-
kanischen Hafenbefestigungen nichts nützen.
In Tanger sieht man sich schon ganz nach Afrika hin-
einversetzt. Die Wohnungen der Mauren und Juden find
zumeist unansehnlich, aber die Straßen etwas weniger schmal
und krumm als iu anderen mohammedanischen Städten.
Hat man sich die paar Moscheen, Synagogen und das
christliche Franziskanerkloster betrachtet, so kennt man die
Herrlichkeiten der Stadt.
Aber das Leben und Treiben ans Straßen und Plätzen
gewährt dem Beobachter, der sich zum ersten Mal in diese
neue Welt versetzt sieht, ein lebhaftes Interesse. Alles ist
bunt, farbig, neu. Wenn man sich in dem Gasthause einer
Schottin, welche Europäern Wohnung und Kost giebt, ein-
gerichtet hat, geht man ans und hat an dem Maureu
Hamed einen zuverlässigen Fremdenführer, der Alles kennt
und Vieles erzählt. Durch den steten Verkehr mit Un-
gläubigen hat er viele mohammedanische Vorurtheile abge-
legt und betrachtet einen Europäer beinah als Seinesgleichen.
Zuerst führt er den Fremden nach dein Palaste des Pascha,
von welchem aus man eine sehr hübsche Aussicht über die
Stadt und über das Meer hin bis Gibraltar genießt.
Dann geht man mit ihm nach dem Karawanserai, einem
großen, mit Bogengängen umgebenen Viereck. Dort sind
die fremden Kanflente; man sieht Kanieele in allen Stellnn-
gen, die eben angekommenen werden entlastet, anderen ladet
man die Bürde auf. Vou Tauger gehen häufig Karawanen
nach Mekines und Mogador. Neben dem Karawanserai
ist die maurische Herberge, iu welcher die muselmännischen
Kaufleute wohnen. Der Hofraum ist mit doppelten Arkaden
umgeben, die übereinander liegen. Unter denen zu ebener
^rde sind Waarenballen aufgespeichert, die Böge» im Ober-
geschoß bildeu eine Galerie; auf jeden führt die Thür eines
kleinen Zimmers hinaus. In diesen Gemächern, welche feine
Fenster: haben, wohnen die Kaufleute, und jeder muß sich
selber feine Speisen bereiten. Hier wird gekocht und in
einem andern Zimmer schon gegessen; Sklaven gehen ab und
zn und besorgen Aufträge, und manche Neger treffen Vor-
kehrungen zur Abreise. Andere Bekenner des Islam fitzen
einzeln oder in Gruppen im Hofraum umher und blasen
mit voller GemÜthsruhe Tabakswolken vor sich hin und
trinken Kaffee.
Der Marktplatz ist am Donnerstag vorzugsweise stark
besucht, denn eine beträchtliche Menschenmenge strömt aus
einer nicht zahlreichen Umgegend zusammen. Außerhalb
des südlichen Thores liegt eine große Ebene: auf der
einen Seile erheben sich die Stadtmauern und weiterhin
liegt der hübsche Garten des schwedischen Konsulats, der
einen Hain von Südfruchtbäumen bildet; anf der andern
Seite steigen die Hügel empor, welche aber durch hohes
Schilf und Ried und durch eine Strecke Sandwüste vom
Marktplatze geschieden sind. Auf diesem ist ein lebhaftes,
lärmendes Durcheinander. Ich sehe Feldarbeiter und
Frauen vom Lande, welche den Ertrag ihrer Felder oder
Gärten feilhalten; Neger gehen hin und her und verrichten,
ähnlich wie ini Karawanserai, allerlei Aufträge; Mauren
kanfen Das oder Jenes und schreien dabei; Inden halten ihre
lange Börse in der Hand und trennen sich nngern auch
vom kleinsten Geldstücke. Da werden beladene Pferde und
Esel herangetrieben, deren Führer sich um die Menschen
gar nicht kümmern; wer gestoßen oder getreten wird, schreit
und slncht. Am obern Ende des Marktes sah ich Zelte von
alten möglichen Formen: hoch nnd spitz, viereckig nnd breit;
manche bestehen aber auch aus weiter nichts als einem Stück
Zeuges, das auf einer Stange oder einigen Pfählen be-
festigt ist: bei manchen ist der Stoff braun, bei anderen
weiß oder gestreift; einige sind mit Waaren angefüllt, unter
anderen wohnen Pilger, die jüngst ans Mekka kamen und
sich hier ausruhen, um neugestärkt die weitere beschwerliche
Reise nach Süden hin anzutreten. Ich sah auch eine Kara-
wane abziehen, welcher stattliche Reiter das Geleit gaben.
Die Marktwaaren bestanden in Gemüse, Geflügel, Pfer-
den, Eseln nnd allerlei Hansgeräthfchaften; Sklaven waren
gerade nicht am Verkaufsplatze. Die Frauen vom Lande
hatten das Gesicht sehr sorgfältig verhüllt; maurische Stadt-
frauen gehen gar nicht auf den Markt und die Einkäufe
werden von den eifersüchtigen Männern besorgt. Der
Fremde ist überrascht, wenn er sieht, auf wie mannichfaltige
Weise der Burnus getragen und drapirt werden kann.
Die Marokkaner haben ihr Geld gewöhnlich im Gürtel';
es sind kleine runde Stücke, Rrhani genannt, deren jedes
fünfzehn Fluhs gilt. Der Fluh ist ein Heller, und drei
derselben bilden einen Mnfnra, der etwa so viel Werth ist
wie zwei Cnartos in Gibraltar.
Hamed kaufte einen Topf mit Butter ein, ging in eine
ziemlich enge Gasse, klopste an eine Thür und bat mich, ein
wenig zu warten. Ich that als verstehe ich ihn nicht, und
als die Thür geöffnet wurde, trat ich gleichzeitig mit ihm
in's Haus. Da ich einmal drinnen war, machte er weiter
keine Einwendungen und bemerkte nur: „Sagen Sie aber
ja keinem Menschen etwas davon!"
Nun befand ich mich unter einer maurischen Familie.
In einem engen Hof, auf einer hölzernen Galerie, saßen
Hamed's Frau und seine beiden Töchter, Aistra und Fatima.
Madame trug ein blaues Kleid und einen rothen Turban;
Mstra war ein ganz hübsches Geschöpf und das weiße Kleid
von Musselin stand ihr gut; an den Handgelenken hatte sie
dicke silberne Ringe. Fatima trug auf dem Kopfe eine
78 Ein Ausflug nach
spitze rothe Kappe, war nicht so reizend wie die ältere
Schwester, gab mir aber nach dem Befehl ihres Vaters
eine Hand. Das Haus enthielt drei lange Zimmer, die
völlig von einander getrennt und mit türkischen Teppichen
belegt waren. Im Ganzen war an dieser Wohnung uicht
viel zu sehen und ich ging nach einer halben Stunde mit
Hamed wieder fort, um einen Ritt außerhalb der Stadt zu
machen.
Zwei Pferde waren bald herbeigeschafft und wir
sprengten über Stock und Block und ritten durch einige
Bäche. Der Weg war abscheulich, aber mein Führer meinte,
die Berberrosse seien an denselben gewöhnt und möchten gute
Wege gar uicht leiden. Hamed pries sein Heimathland als
das herrlichste Paradies der Welt und fragte einmal über
Tanger in Marokko.
Frauen trugen Kinder auf dem Rücken, hatten aber die
Kleinen dermaßen eingewickelt, daß kaum etwas vom Gesicht
hervorguckte.
Als ich wieder in Tanger einritt, war der Markt längst
vorüber, ich fand aber die Straßen trotzdem sehr belebt,
denn sie dienen gleichsam als Besuchszimmer. Man erzählt
sich die Tagesneuigkeiten unter freiem Himmel. Der ara-
bische Dialekt, welchen die Mauren in Tanger reden, kam
mir sehr hart und rauh vor. Die Juden sind so geschäfts-
eifrig wie überall; einen Handelsmann, der sich einmal an
mich angeklammert hatte, konnte ich gar nicht wieder los
werden; er brachte mir immer neue Sachen und ließ nicht
nach, bis ich mich dazu verstand, mit ihm zu einem seiner
Glaubensgenossen zu gehen. Bei diesen fand ich sehr schöne
Marokkaner begleiten eine Karawane.
das andere: „Ist es hier nicht viel, viel schöner als in Spa-
nien?"
Wir kamen auf einen Hügel, wo fünfzehn in Stein-
Haufen befestigte Stangen, an welchen weiße Lappen slatter-
ten, deu Eingang zn einem Dorse bezeichneten. Dieses
selbst sahen wir aber noch uicht, denn es lag hinter einer
sandigen Anhöhe; als wir aber um diese herum geritten
waren, gewahrten wir niedrige, mit Stroh gedeckte Hütten,
fünfzehn an der Zahl. Alles war armselig und in hohem
Grade schmutzig, und wir sprengten fürbaß.
Nach etwa einer Viertelstunde sahen wir zwei Kara-
wanen, welche landein zogen; die Kanieele gingen mit weit-
vorgestrecktem Halse in langer Reihe einzeln hintereinander.
Der Anblick war für mich eigenthümlich und der vierstün-
dige Ritt recht lohnend. Auf dem Rückwege begegneten
mir viele Mauren, die vom Markte zurückkamen; mehrere
Töpferwaaren?, die in Fez verfertigt werden. Die Farben-
gebung ist lebhaft, der Preis war gering, aber jedes ein-
zelne Stück hatte da oder dort Fehler. Mein jüdischer
Handelsmann versuchte mir zu beweisen, daß gerade darin
der eigentliche Werth und die wahre Schönheit liege; ohne
jene Mängel wären sie gar nicht arabisch! Die Araber
wollen von den Juden nichts wissen; es ist der ewige Wider-
streit zwischen Isaak und Jsmael.
Die beiden Handelsleute führten mich in ein Theater,
welches sein Dasein einigen reichen jüdischen Kaufleuten
verdankte. Eine prächtige Schaubühne ist es nicht, sondern
ein sehr einfaches Ding: es besteht nämlich aus einem mit
Leinwand überspannten Hofraum, in welchem Bänke stehen.
Die Galerien des Obergeschosses bildeten Logen und in
diesen saßen, außer den Konsuln, auch ein Dutzend hübsche,
sehr geputzte Jüdinnen. Mauren mit nackten Beinen richte-
Ein Ausflug yach
ten alles Erforderliche auf der Bühne her und dann wurde
ein spanisches Lustspiel aufgeführt, welchem Täuze folgten.
Am Freitag ruhen die Muselmänner uud gehen in die
Moscheen; in diese konnte ich nur von außen einen flüch-
tigen Blick werfen, weil der Eintritt keinem Ungläubigen
erlaubt ist. Bei meinem Handelsmauue machte ich wieder
einige Einkäufe; er zeigte mir den Juwelenschmuck eiuer
wohlhabenden Braut, der wirklich sehr hübsch war. Aber
die Ohrringe möchten doch für eine Europäerin zu schwer
sein; sie gleichen Armspangen und sind mit goldenen Ketten
versehen, welche man in's Haar einflicht. Die Maurinnen
tragen auch Beiuspaugen.
Ich sah abermals äußerst hübsche Töpserwaareu von
schönster antiker Form uud etruskischer Färbung. Die
Töpfer in Fez sind sehr geschickte Leute uud liefern auch
Arbeiten nach Zeichnungen.
Am Sonnabend hielten die Juden streng ihren Sab-
bath, und ich unterhielt mich in meiner Herberge mit einem
jungen Engländer, welcher der Jagd wegen in's Land ge-
kommen war. Als wir uns in ein Gespräch über marokka-
nische Verhältnisse vertieft hatten, trat ein alter Maure iu's
Zimmer, warf sich vor ihm platt zur Erde uud küßte ihm
die Hand. Das letztere that er auch mir. Ich wußte gar
nicht, was das bedeuten sollte, aber die Sache klärte sich so-
gleich auf. Der Alte war Hauptmann der Wildschweins-
jag er, wohnte etwa sechs Stunden von Tanger entfernt,
in Midiah, hatte weit uud breit Einfluß uud eiue Schaar
von etwa sechszig Jägern stand unter seinem Befehl. Mein
Engländer war sein Jagdfreund und er kam jetzt, um ihn
abzuholen. Die Muselmänner dürfen zwar von den Wild-
schweinen keinen Bissen genießen, sind aber leidenschaftlich
auf die Jagd gerade dieses Wildes erpicht. Diese marok-
kanischen Eber sind von den unseren verschieden, haben
einen viel dickern Kopf und zwei nach oben gekrümmte Hau-
zähne. Der Engländer hatte ganz recht, daß er in's Land
gekommen war; er fand Beute genug, namentlich Stachel-
schweine, ungeheuere Schwärme von Kaninchen, viele rothe
Repphühuer, Gazellen uud Antilopen, die sich zähmen lassen,
obgleich sie in wildem Zustande ungemein schen sind. Auch
der Strauß wird gezähmt, und es ist eine Belustigung der
Negerknaben, auf diesem Vogel der Wüste zu reiten, als ob
er eiu Pferd wäre. Die Straußenjagd wird, beiläufig
bemerkt, in Marokko auf eine eigeuthümliche Weise betrieben.
Zwanzig bis dreißig berittene Jäger vereinigen sich und
zwingen den Strauß, der nicht fliegen kann, aber unglaub-
lich rasch läuft, sich gegen den Wind zu bewegen. Das
ermüdet ihn, der Wind schwellt ihm die Flügel an, die er
beim Lansen gebraucht und öffnet. Er wendet sich um,
sucht zwischen den Jägern hindurch zu kommen, wird aber
durch deren Schüsse getödtet.
Die britische Königin Victoria hat einmal dem Sultan
von Marokko drei sehr schöne Kanonen verehrt; ich sah diese
Geschütze neben der Mauer liegen, von Gras überwachsen
und verrostet. Wie kann auch eiu Monarch, dessen Harem
achthundert Frauen enthält und der unter so vielen weib-
wichen Köpfen Ordnung halten, so vielen Zungen Schweigen
gebieten muß, sich um Kanonen bekümmern?
Meine jüdischen Bekannten gaben sich alle Mühe, mir
dte Zeit angenehm zu vertreibe». Die Israeliten in Tanger
sprechen unter einander spanisch; die meisten stehen unter
dem Schutz irgend eines Konsulats und sind dadurch gegeu
Mißhandlungen von Seiten der maurischen Behörden ge-
schützt. So können sie freier athmen als ihre Glanbens-
genossen in anderen marokkanischen Städten. Ich sah am
Sonnabend viele aufgeputzte und reichgeschmückte Jüdinnen
aus den ^hürschwellen sitzen und hatte die angenehme
mger in Marokko. 79
Ueberraschnng, zu einer Hochzeitsseier eingeladen zu
werden.
Mein Handelsmann führt mich ein und ich werde gast-
freundlich aufgenommen. Schon vor der äußern Thür des
Hauses stehen vier in grelle Farben gekleidete, mit allerlei
Juwelen geschmückte Mädchen, alle juug und hübsch. Ich
durchschreite den Hansgang, als ich aber ans die Schwelle
des Hofraums trete, bin ich von einem feenhaften Anblick
Antilopen.
überrascht. Der von maurischen Bogengängen eingefaßte
Hof ist angefüllt mit jüdischen Damen, die von Edelsteinen
funkeln. Ihr Kopfputz ist reizend hübsch; er besteht aus
zwei verschiedenfarbigen, gestreiften Tüchern; das eine bildet
eine Art von Turban, das andere geht unter dem Kinn
hindurch und fällt über die Schultern. Die Mieder sind
mit Edelsteinen besetzt, die Röcke vom feinsten Stoff, und
unter den Gesichtern viele bildschön. Die Männer saßen
in einem besondern Zimmer bei Tische. Nach Einbruch
80 Ein Ausflug uach
der Dunkelheit erschienen maurische Musikanten. Die
Damen waren im großen Saale versammelt, und ich konnte
ihren Putz mit Muße betrachten. Ein junges Mädchen
ließ sich, nach vielem Bitten, zu einem Tanz herbei, der
Tanger in Marokko.
Die jüdischen Hochzeiten dauern manchmal einen halben
Monat. Merkwürdig ist Folgendes: Die Braut wird im
vollen Staat auf einen Tisch gestellt; auf dem Kopfe hat
sie eine Art Mitra von vergoldeter Pappe. Nun muß sie
aber unseren Begriffen von Tanz nicht entspricht, denn er
bestand in ein ein langsamen, gravitätischen Einherschreiten.
Die Tänzerin legte erst eine Hand auf die Hüfte, bewegte
sie dann mit Lebhaftigkeit, nahm ein großes Tuch, drehte
sich mehrmals um sich selbst, machte eine Verneignng und
vorbei war der Tanz.
niit geschlossenen Augen und unbeweglich so lange ans dem
Tische stehen bleiben, bis alle Anwesende sich die Schöne
recht mit Muße betrachtet und satt an ihr und ihrem Putze
gesehen haben. Dann hebt man sie herunter und führt sie
Abends bei Fackelschein durch mehrere Gassen der Stadt.
Dabei darf sie aber die Augen nicht aufschlagen.
Die Wanderheuschrecke- und ihre Verwüstungen :c.
81
tHc Wanderheuschrecke (Gry]Ins migratorius) und ihre Verwüstungen in Südostrußland
während des vergangenen Sommers.
Mitgetheilt vou vr. Alfred Brehm.
Aus dem grauen Alterthume klingt es zu uns herüber, wie
eine dichterische Sage vou gewaltigen Heeren, welche durch die
Luft dahinziehen, sich niederlassen und das blühende Land binnen
wenigen Tagen in eine Einöde verwandeln. So heißt es schon im
zweiten Buch Mosis:
»Und sie kamen über gauz Aegyptenland, und ließen sich
nieder an allen Orten in Aegypten; so sehr viel, daß zuvor des-
gleichen nie gewesen ist, noch hinfort sein wird. Denn sie bedeckten
das Land und verfinsterten es, und sie fraßen alles Kraut im Lande
auf, und alle Früchte auf den Bäumen, die dem Hagel waren
überblieben; und ließen nichts Grünes übrig an den Bäumen und
am Kraut auf dein Felde, in ganz Aegyptenlande." Und später
finden wir in der Bibel eine andere Beschreibung dieser Plage,
welche sich vor säinrntlichen, die wir kennen, durch ihre herrliche
Dichtung auszeichnet: „Ein finstrer Tag, ein dunkler Tag, ein
wolkiger Tag, eiu nebeliger Tag, gleichwie sich die Morgenröthe
ausbreitet über die Berge; nämlich ein groß und mächtig Volk,
desgleichen vorhin nicht gewesen ist und hinfort nicht sein wird zu
ewigen Zeiten für und für. Vor ihm her geht ein verzehrend
Feuer, und nach ihm eine brennende Flamme. Das Land ist vor
chn, wie ein Lustgarten, aber nach ihm wie eine wüste Einöde, und
Niemand wird ihm entgehen. Sie sind gestaltet wie Rosse, und
rennen wie die Reiter. Sie sprengen daher oben aus den Bergen,
wie die Wagen rasseln, und wie eine Flamme lodert im Stroh,
wie ein mächtiges Volk, das zum Streit gerüstet ist. Die Völker
werden sich vor ihm entsetzen; Aller Angesichte sind so bleich wie
die Töpfe. Sie werden laufe» wie die Riesen, und die Mauern
ersteigen wie die Krieger; eiu jeglicher wird stracks vor sich daher
Ziehen, und sich nicht säumen. Keiner wird den andern irren, son-
dern eiu jeglicher wird in seiner Ordnung daher fahren; und
werden durch die Waffen brechen, und nicht verwundet werden,
^ie werden in der Stadt umher reiten, auf der Mauer laufen,
und in die Häuser steigen, und wie ein Dieb durch die Fenster
hinein kommen. Vor ihm erzittert das Laub und bebet derHimmel,
Sonne und Mond werden finster, und die Sterne verhalten ihren
Schein."
Bei uns zu Lande ist es Keinem zu verdenken, wenn er die
beiden angeführten Stellen entweder für ein Mährchen oder für
ein der Wahrheit entbehrendes Phantasiebild nimmt. Nur Der-
jenige, welcher selbst Heuschreckenschwärme gesehen, welcher selbst
von den Heuschrecken umschwärmt worden ist, dem sie die sonne
und den Himmel wirklich verdunkelten, der die Verwüstungen er-
schant, welche sie hervorriefen, erkennt, daß beide Stellen der Bibel
auf Wahrheit beruhen. Denn die ägyptische Plage ist noch nicht
beendet; sie wiederholt sich vou Zeit zu Zeit, wenn auch glücklicher-
weife nicht in unseren Gegenden.
Uusere Landwirthe mißgönnen dem zierlichen Reh die wenige
Aesung, welche es bedarf, verfolgen selbst den Hasen und das
Kaninchen, ihre Todfeinde; was würden wir von ihnen er-
fahren, kämen Heuschreckenschwärme über ihre Felder, um sie zu
verwüsten!!
Der ganze Südosten nnsers Erdtheils, ein großer Theil
Asiens und Afrikas beherbergen Wanderheuschrecken. Sie
gehören verschiedenen Arten an, sind sich jedoch in Gestalt und
Wesen sehr ähnlich. Nur die ungeheure Zahl, in welcher sie auf-
treten, macht sie furchtbar; wäre unsere grüne Laubheuschrecke
eben so häufig als sie, wir würden ähnlichen Grund zur Klage
besitzen.
Die eigentliche Wanderheuschrecke ist von grünlich-bräunlicher
Globus für 1862. Nr. 27.
Färbung, hat branngelb gefleckte Flügel, ziegelrothe Unterseite der
Brust und eiu einfach gekieltes, hinten stnmpseckiges Hautschild.
Ihre Länge beträgt etwa anderthalb Zoll. Sie findet sich ver-
einzelt im südlichen und Mittlern Europa überall, und kommt auch
bei uns in Deutschland einzeln vor; ihre eigentliche Heimat liegt
jedoch östlicher; denn, wie die Schaaren der Völker, so wandern
auch die Heuschrecken vou Sounenaufgaug dem Niedergang eut-
gegen. Ihre Lebensgeschichte ähnelt der anderer Laubheuschrecken.
Im Herbst werden die Eier gelegt, im Frühjahr schlüpfen sie aus.
Günstiges Herbstwetter bringt im nächsten Frühjahr die Plage her-
bei, naßkaltes vernichtet den größten Theil der Eier. Das Leben
der Thiere selbst läßt sich in zwei Hauptabschnitte theilen: in den
der Entwickelung und den der Vollendung oder bezüglich Begattung
und Vermehrung. Einem im vorigen Jahre der Akademie zn
St. Petersburg übersandten Berichte, die Verheerungen der Wander-
Heuschrecken in Bessarabien betreffend, entnehmen wir hierüber
Folgendes: „Die Entwickelung aus dein Ei begann in der Umgegend
vonKischenew am 24. Mai, die erste Häutung am 7. Juni, diezweite
11 Tage später, die dritte wieder I l Tage darnach; die vierte und
vollkominene Entwickelung der in eine Flügelscheide spiralförmig
eingeschlossenen Flügel vollendete sich am 10. Juli. Vom 18. Juni
an wurde die Wanderung bemerkbar, nach der dritten Häutung
allmälig stärker; sie erreichte jetzt bereits eine Schnelligkeit von 90
englischen Fuß iu der Minute. Gerade uach der dritten Häutung
ist die Heuschrecke am gefräßigsten und schont jetzt keine Pflanze,
selbst Bäume und Sträucher werden von ihr benagt.
Das vollkommen entwickelte Kerbthier erhob sich am 11. Juli
uud richtete seinen Flug anfänglich nach dem Winde. Noch immer
war die von ihm bewirkte Verheerung eine außerordentlich große.
Am 7. September begann die Begattung, und nach ihr nahm die
Gefräßigkeit bedeutend ab. Am 15. September sah man die ersten
eierlegenden Weibchen. Jedes derselben legt seine 40 bis 50 Eier
gemeinschaftlich in ein kleines, vermittelst seines Legestachels ge-
bohrtes Loch in der Erde, dessen Tiefe ungefähr anderthalb Zoll
beträgt. Vou nun an minderten sich die furchtbaren Feinde; heftige
Regengüsse brachten Tausenden den Tod, die anderen starben an
Alterschwäche, uud nach dem 24. Oktober sah man nur noch Leichen.
Die Lebensdauer der Heuschrecke umfaßt demnach einen Zeitraum
von beinahe 5 Monaten, aber diese 5 Monate sind auch hinreichend,
ein blühendes Land in eine Einöde zu verwandeln. Schon von der
zweiten Häutung an nähren sich die furchtbaren Thiere nur vou
Getreide und Baumblättern, und wo sie sich zeigen, verschwindet
das Grün und an der Stelle der Blätter hängen die häßlichen In-
sekten an Bauin und Strauch und Pflanze."
Es möge uns gestattet sein, bevor wir zur Schilderung der
letzten Verheerungen übergehen, noch einige Worte über die
Schwärme selbst zu sagen, welche wir theils den uns überlieferten
Berichten entnehmen, theils nach eigner Anschauung wiedergeben.
Die Wanderheuschrecken ziehen wegen ihrer großen Flügel sehr
schnell dahin, sie machen eiu sehr lautes Geräusch und sind deshalb
von Weitem hörbar. Wenn sie fliegen, sieht es aus als ob eine
Schneewolke dahergezogeu käme und in großen Flocken herabfiele.
Das Rauschen dieser sich nahenden Wolke wird mit dem eines
Mühlrades verglichen. Die ganze Luft ist von den Thieren erfüllt
und von ihnen verdunkelt. Sie fliegen blindlings gerade aus nnd
in so dichten Massen, daß eiu Schrotschuß mit einem Male Taufende
zn Boden wirft, daß jeder Hieb einer Peitsche Dutzende niederstreckt.
Was nicht fliegen kann, hüpft in großen Sprüngen hinter dem
gräßlichen Heere drein. Flüsse werden manchmal weilenweit buch-
11
82
Die Wanderheuschrecke und ihre Verwüstungen
stäblich von ihnen bedeckt; auf den Feldern liegen sie in solchen
Massen, daß man knietief in ihnen watet. Stürme werfen zu-
weilen Milliarden in das Meer, und Millionen und andere Mil-
lionen erleiden dabei ihren Untergang. Als die mailändische Re-
gierung einmal einen Preis auf jeden Sack voll dieser Thiere setzte,
wurden in wenigen Tagen 12,000 große Säcke mit Heuschrecken
gefüllt. Eine einzige Nacht genügt, um einen Wald zu entblättern,
ein Getreidefeld zu vernichten. Ein Schwärm, welcher 1747 in
Siebenbürgen einfiel und dessen Nachkommen 1748 nach Deutsch-
land kamen, zog durch durch eilten der engen Gebirgspässe aus der
Moldau herüber, vier Stunden lang, bei einer Breite von mehre-
ren hundert Klaftern und einer Höhe von mindestens ebenso viel,
so dicht gedrängt, daß man weder die Sonne noch Menschen zwi-
schen ihnen auf 20 Schritte Entfernung sehen konnte. Nach dem
Legen sterben die Heuschrecken, schwellen dann an, verfaulen und
geben einen Gestank von sich wie Todtengeruch. In Italien soll
einmal eine Pest entstanden sein, weil eine Menge von ihnen, welche
der Wind in's Meer geworfen hatte, wieder an das Land getrieben
wurde und dort verweste. Im Innern Afrikas, und zwar am
Blauen Flusse, fiel es dem Schreiber dieser Zeilen von Weitem
auf, daß über einem Walde in dichtem Gedränge sich Hunderte
und Tausende von verschiedenen Raubvögeln nnihertrieben. Beim
Herankommen zeigte sich der Wald iu ein eigentümlich düster
braunes Kleid gehüllt. Es war ein Urwald, so schön wie der
Wasserreichthum der afrikanischen Tropen ihn nur in's Leben rufen
kann. Prachtvolle Mimosen überwölbten eiu dichtes, auf große
Streckeu hiu vollkommen undurchdringliches Schlingwerk von Ge-
büsch und Schlingpflanzen, Tamarinden erhoben ihre bläulich
grünen Kronen noch hoch über das Gewölbe der Mimosen; Reich-
thum und Fülle au Pflanzen jeder Art war hier zu finden — doch
nein! — er war nur zu finden gewesen! Denn jetzt glich der Wald
einem solchen, in dem das verzehrende Feuer gewüthet, den die Glnt
der Sonne verbrannt, den jahrelange Dürre vernichtet. Es sah
aus als ob jeder Zweig mit verdorrten Blättern bedeckt wäre, aber
die verdorrte« Blätter waren nichts anderes als Heuschrecken! Sie
hatten bereits alles Grüu abgezehrt, sie hatten die Blätter bis auf
die Stiele weggefressen und hingen nun noch an den Zweigen, um
auch einen Theil der Rinde abzunagen. Schüttelte man einenBaum,
so erhob sich eine Wolke, und in demselben Nu stürzten dann auch
von oben, geflügelten Pfeilen vergleichbar, Dutzende von kleinen
Falken hernieder, fingen geschickt eines der häßlichen Kerbthiere,
hielten es zierlich in den Fängen und verzehrten es fliegend, hierauf
zum zweiten und dritten Male unter den Schwall stoßend uud
neue Beute erringend. Die Heuschrecken also waren die An-
ziehnngspnnkte für die gerade iu der Winterherberge verweilenden
Falken und für Tausende von anderen Vögeln, welche sich gegen-
wärtig ausschließlich von diesen Thieren nährten.
Nur sie, die überall vorhandenen, überall dem meuscheu- uud
thierfeindlichen Kerbthier entgegentretenden Vögel, sind im Stande,
einigermaßen den Verheerungen der Heuschrecken zu steuern; sie zu
bewältigen, vermögen sie nicht; — steht ihnen ja doch auch der
Mensch mit all seinen Krästeu machtlos gegenüber! Zu hunderterlei
Mitteln hat man bereits gegriffen, um die furchtbaren Thiere zu
veruichteu; nur wenige haben sich erfolgreich bewiesen. Man hat
selbst Kanonen gegen sie in Wirksamkeit gesetzt, das Feuer gegeu
sie zu Hülfe gerufen; es war immer umsonst, so lange nicht der
Himmel selbst sich in's Mittel legte, und Wind und Wetter den Tod
von Millionen in einer Nacht herbeiführten. Doch ist es immerhin
der Erwähnung werth, welche Mittel der Mensch anwendet, um
sich seiner entsetzlichen Feinde zu entledigen, um vor dem furcht-
baren Gespenst des Hungers sich zu schützen; und deshalb wollen
wir nnnmehr nnsern bessarabischen Berichterstatter reden lassen.
„Im Sommer des vorigen Jahres", sagt er, „kamen die
Heuschrecken theils aus der Türkei, theils aus deu Donaufürsten-
thümern, theils vom Kaukasus in furchterregenden Massen heran-
gezogen, verbreiteten sich mit unglaublicher Schnelligkeit über gauz
Neu-Rußland und Bessarabien und verwüsteten die in Folge des
dürren Sommers ohnehin kümmerliche Getreide- nnd Heuernte
fast gänzlich. Nachdein sie den Sommer über in Schaaren gleich
schweren, gewitterdrohenden Wolken hin- nnd hergewogt waren,
belegten sie mit ihren Eiern, in Bessarabien allein, einen Flächen-
räum von wenigstens 128,307 preußischen Morgen. Für das
Chersonsche Gouvernement kann man diese Zahl, ohne viel von
der Nichtigkeit abzuweichen, verdoppeln und für das tanrifche
Gouvernement nicht weniger in Anschlag bringen.
„So lauge es die güustigeHerbstwitteruug erlaubte, wurde an
vieleu Orten in Bessarabien, ganz besonders aber im Chotiuscheu
Kreise, die Vertilgung der Eier ausgeführt. Dies geschah durch
schwaches Umpflügen des Bodens nnd dann durch Eiufammeln
uud Verbrennen oder tiefes Vergraben der Eier. Nicht wenig
haben anch die vielen Tausende von Raben, Krähen uud
Dohlen, denen die Heuschrecken zur leckern Nahrung dienten, zu
ihrer Vertilgung beigetragen. Demnngeachtet blieb noch genug
zu thnn übrig, daher setzte man im Frühling das Umpflügen der
Erde und das Zerstören der Eier fort. An einigen Orten wurde
uoch das Festtreten des aufgepflügten Bodens durch hiu uud her
beigetriebeue Pferde uud Ochsen hinzugefügt. Dies letztere Mittel
erwies sich als eines der besten; denn je fester der Boden von den
dazu gebrauchten Heerden getreten wurde, desto weniger kamen
die Heuschrecken in der Folge zum Borschein; dahingegen auf den
blos aufgelockerten Räumen, ja selbst da, wo das mühevolle nnd
langwierige Sammeln der Eier auf das Sorgfältigste bewerkstelligt
wurde, entwickelten sich die jungen Heuschrecken noch immer in
sehr großen Massen. Durch das Festtreten des Bodens wurden
die nach dem Einsammeln zurückgebliebenen Eier entweder zerdrückt
oder unfähig gemacht, sich weiter in der sie umgebenden harten
Erdkruste auszubilden. Schade, daß dieses leicht auszuführende
Bertilguugsmittel nur von Einigen in Anwendung gebracht
wurde! Bis zum Schlüsse des Mai war mau iu Bessarabien beinahe
überall mit der Ausrottung der Eier beschäftigt. Im Chotiuscheu
Kreise wurde vorzugsweise das mühsame Einsammeln der Eier
ausgeführt. Um nur einigermaßen einen Begriff zu geben, welche
fürchterliche Brut die Heuschrecke im vorigen Jahre der Erde über-
Haupt anvertraute, kann das folgende Beispiel dienen: Unweit
Chotin brachte man auf einer Fläche von nur 7702 preußischen
Morgen die ungeheure Masse vou 4425 Berliner Scheffeln Hen-
schreckeneier zusammen.
Die Entwickelnng der Heuschrecken aus dem Ei begann Ende
Mai's uud die Geburt giug rasch vorwärts. Jetzt stand eine weit
schwerere Arbeit als das Eiervertilgen bevor, und man säumte
auch nicht, wenigstens in Bessarabien. zu verschiedenen Mitteln
seine Zuflucht zu nehmen, um die junge Brut möglichst in ihrem
Entstehen zu veruichteu. Unter deu zu diesem Zwecke gebrauchten
Werkzeugen bewährte sich die Steinwalze sehr Vortheilhast. Durch
das Walzen des Bodens wurden die jungen Heuschrecken nach nnd
nach bis auf die letzte zermalmt. Diese neue Vertilgungsart hat
die vortrefflichsten Dienste, besonders auf dem ebenen Lande, ge-
leistet. Nach den Steinwalzen kommen die aus Schlehdorn ge-
fertigten Straucheggen, die von Pferden hin und her über die
Heuschrecken geschleift wurden. Bei dieser Vertilgungsart haben
sich die deutsche» und bulgarischen Ansiedler ausgezeichnet; wo sie
arbeiteten, entgingen nur wenige Heuschrecken dem Tode. Wohl
nutzen sich die Strancheggen, bei fortwährenden? Gebrauch, iu fünf
bis sechs Tagen ab, doch können sie auch, da der Schlehdorn häufig
auf deu Feldern vorkommt, schnell uud billig wieder hergestellt
werden, und sind dem sogenannten Fangapparat für Heuschrecken
vorzuziehen. Das Zertreten der jungen Heuschrecken durch die hin
uud her getriebenen Pferde - uud Ochsenheerdeu giug ebenfalls gnt
von statten, besonders des Morgens und des Abends, zn welcher
Zeit sich die Heuschrecken in Haufen schaaren uud weniger lebhaft
als am Tage sind. Man trachtete überhaupt auf jede Art uud
Weise die Heuschrecken in der ersten Periode ihres Lebens, d. h. ehe
in Südostrußland während des vergangenen Sommers.
83
sie sich beflügeln, zu vernichten; was auch bei dem anßerordent-
lichen Kraftaufwaude in Bessarabien größtentheils gelang.
Schon war die mühevolle Arbeit ihrem Ende nahe, da er-
hielten wir die betrübende Nachricht, daß die Heuschrecken des
Chersonschen Gouvernements in erschrecklichen Massen über den
Dnjester setzen. Nachdem sie im Tiraspolschen Tausende von
Morgen der herrlichsten Fluren total verwüstet, theilte sich die
Heuschreckenbrut des Tiraspolschen Kreises am 28. Juni unweit der
Kreisstadt in drei Partien: eine dieser Partien nahm ihre Richtung
gerade nach dem Norden und überschritt am 39. Juni Tiraspol,
die andere wendete sich nach Osten in's Innere des Chersonschen
Gouvernements und die dritte hüpfte dem Dnjester zu und über-
schwamm denselben am 28. und 29. Juni 16 Werst (ungefähr
2'A deutsche Meile) und in einer Schicht von 7 bis 8 Zoll
Mächtigkeit.
Ohne merklich von dem Wasser gelitten zu haben, verbreiteten
sie sich über die am rechten Ufer des Flusses gelegenen Niederungen,
die hier aus Marschland bestehen, uud auf weite Strecke» deu lieber-
schwemmungen ausgesetzt, mit Schilf, Buschholz und Wald be-
wachsen und der vielen sehr ausgebreiteten Sümpfe wegen nur
stellenweise zu Passiren sind. Unter diesen Umständen war natürlich
keine Möglichkeit vorhanden, diesen Feind vom Uebergang abzn-
halten, ihm aber das Landeinwärtsschreiten zn verwehren, war
noch Zeit. Daher traf man die schleunigsten Anordnungen, von
nah und fern Lente zusammenzuziehen. Den mächtigen Feind
kennend, eilten, mit dem Notwendigsten versehen, Deutsche,
Bulgaren, Juden, Groß- und Kleinrussen willig dem Wahlplatze
zu, und in einer kurzen Zeit waren über 14,000 Mann! und
mehrere Pferde- und Ochsenheerden an Ort nnd Stelle. Nun
begann eine der merkwürdigsten, in den naturgeschichtlichen Büchern
noch nicht verzeichneten Schlachten. Sie dauerte volle acht Tage!
Die Bewegungen der Heuschrecken wareu so rasch, daß sie in den
ersten paar Tagen nach dem Uebergange die Niederungen völlig
einnahmen und sich über einen Flächenraum von vier deutschen
Geviertmeilen verbreiteten. Um sie von den angrenzenden Feldern
abzuhalten, wurden längs denselben ans einer Strecke von 20 Werst
tiefe Schutzgräben gezogen nnd mit Leuten besetzt, welche den
Auftrag hatten, die in die Gräben hineinstürzenden Heuschrecken
gleich zu tödteu. Die übrigen Mannschaften arbeiteten, zu Hnn-
derten und Tausenden vertheilt, an allen zugänglichen Orten und
kämpften auf alle Weise gegen die aus Schilf uud Gebüsch immer
und immer in ungeheurer Menge hervordringenden Heuschrecken.
Man grub Glaben uud Gruben, trieb sie mit Beseu hinein nnd
Zerstampfte sie dort mit Handrammen. Wo es der mehr freie
Raum erlaubte, wurden sie von Heerden zertreten oder vermittelst
Straucheggen zermalmt. Auch an Streifwachen zn Pferde, deren
Aufgabe es war, die Bewegungen der Heuschrecken zu beobachten
Und wo sie Versuche machten, über die Schutzliuie zu dringen, die
Aufmerksamkeit der nächsten Mannschaft dahin zu lenken, fehlte es
nicht; mit einem Wort: die Thätigkeit der Anordner nnd der Ar-
beiter war bewunderungswürdig. Und es ist ihnen gelungen, ans
dem ungeheuer» Räume annähernd bis auf drei Viertel der ganzen
Heuschreckenmasse zu vertilgen. Am 8. Juli trat die Zeit ihrer
letzten Häutung und folglich die völlige EntWickelung ihrer Flügel
ein. Am 9. Juli erhoben sich die ersten Henschreckenschaaren nnd
Zogen nach verschiedenen Richtungen. Da es vergebens war, län-
ger gegeu sie zu kämpfen, so wurden die Leute uach ihren Behau-
sungen entlassen, um das schou größtentheils reife Getreide abzn-
nehmen uud somit das noch unversehrt gebliebene vor ihrer fernem
Vernichtung zu retten.
Der Schaden, den die Heuschrecken iu Bessarabien anrichteten,
lst im Vergleiche zu dem des Chersonschen Gouvernements sehr
flwiitg zu schätzen. Im letztern Gouvernement, besonders in den
Kreisen vou Tiraspol, Auaujow uud Lobriuez, haben die Heu-
schrecken den Grundbesitzern entweder Nichts, oder nur äußerst
wenig zu ernten gelassen, wodurch Viele gänzlich zu Grunde ge-
richtet wurden. Uebrigens wäre der Schaden gewiß nicht so groß
geworden, hätten die Landbewohner des Chersonschen Gonver-
nements nicht gesäumt, die Heuschreckeubrnt im Keime zu ersticken!
Natürlich sollten hierzu die Gutsbesitzer das Beispiel geben, doch
leider geschah es nur von wenigen. Es gab sogar Fälle, daß
manche Gutsbesitzer, um ihr Getreide zu retten, für hinreichend
und der Ordnung gemäß hielten, die anf ihrem Grund ansgeheckte
Brut, anstatt gleich zu tödteu, anf das Land ihres Nachbars zn
treiben. Aber dieses gewissenlose Verfahren nutzte zu Nichts —
es kamen andere Schaaren und ihre Felder mußten das Loos der
allgemeinen Verwüstung theilen.
Diese furchtbare Geißel ist uicht nur iu unserer Umgebung er-
schienen, ihren Verheerungen war die ungeheure Landstrecke vom
Kaukasus bis zu den Karpathen mehr oder' weniger ausgesetzt.
Nur selten haben die Heuschrecken solche weite Wanderungen unter-
nommen, wie iu diesem Jahre. Man sah sie in Gegenden, wo sie
gänzlich unbekannt sind; sie erschienen im westlichen europäischen
Rußland bis zum 51. uud im östlichen bis zum 53. Breitengrade.
Die völlige Ausrottung dieses Kerbthiers ist kaum denkbar,
und eiue starke, bis zur Unschädlichkeit gebrachte Verminderung
desselben ist nur in dem Falle möglich, wenn unsere Nachbarn in
der Türkei und den Donanfürstenthümern ebenfalls Maßregeln
treffen, der Vermehrung dieser Thiere Schränken zn setzen. So
lange dies versäumt wird, bleiben unsere Mühe und Aufwand, deu
mächtigen Feiud zu besiegen, vergebens, und um desto mehr, weuu
außer der Sorglosigkeit der dortigen Einwohner auch noch die
Witterungsverhältnisse seiu Überhandnehmen begünstigen. Es ist
bekannt, wie sehr sich dieses Insekt während der letzten Zeit iu der
Dobrudscha, der Walachei und Moldau vervielfältigt hat; dazu
trug nicht wenig die trockene nnd warme Herbstwitterung in den
Jahren 1858 und 1859 bei.
Die Begattung und das bald darauf folgende Eierlegen der
Heuschrecken ereignet sich in der ersten Hälfte Septembers, und
wenn um diese Zeit warmes und trockenes Wetter eintritt, so ist
die Existenz ihrer künftigen Brut gesichert; dahingegen feuchtes und
kühles Wetter während derselben Zeit wirkt aus die Heuschrecken er-
mattend, und in Folge dessen finden die obigen Lebensverrichtungen
nur unvollkommen statt. Glücklicherweise war dies hier der Fall
in diesem Jahre. — Der ganze September, außer den ersten vier
Tagen, war naß und kühl, und die meisten Heuschrecken wurden
hierdurch noch vor ihrem Eierlegen getödtet. Bei denen, welche
es his znm Eierlegen brachten, geschah dasselbe aus Entkräftung,
nicht normal; — sie legten ihre Eier weder hinreichend tief in die
Erde, noch in der gehörigen Anzahl. Demnach haben wir von der
wenigstens in unserer Umgebung niedergelegten Brut im künftigen
Jahre keinen bedeutenden Schaden zu erwarten, uud die hoch im
Nordeu gelegten Eier werden sehr wahrscheinlich von dem dort
herrschenden, im Vergleiche zn dem hiesigen, weit strengerem Winter
zerstört werden; denn ein Insekt, welches von der Natur mehr für
die südlichen Gegenden geschaffen ist, und dessen Fortpflanzung nur
unter den günstigsten Witterungsverhältnissen bis zum 48. Grade
nördlicher Breite gedeihe« kann, wird im höhern Norden sein Fort-
kommen schwerlich begründen können. Mehr wahrscheinlich ist die
Voraussetzung, daß im künftigen Jahre, die Heuschrecke der Türkei
und der Donaufürsteuthümer in ihrer zweiten Lebensperiode zu
uns herüberziehen uud Schaden verursachen wird. *)
*) lieber die Heuschreckenplage der Länder der Alten Welt,
vorzugsweise Asiens, nach ihrer geographischen Verbreitung über die Heu-
schreckenstriche nnd die Züge der Wanderheuschrecke hat Karl Ritter, Asien
Bd. IV., erste Abtheilung, S. 78g bis 815 viele Angaben zusammengestellt.
Fast alle neueren Reisenden, welche Afrika besucht haben, wissen von der
Heuschreckenplage zu erzählen, besonders auch Livingstone. Das Kerbthier
wird von manchen Völkern in Asien wie in Afrika schon seit den Zeiten des
Alterthums, geröstet oder gekocht, gern gegessen. Red.
11*
84
Die freien Neger in. Westindien.
Die freien Rege
Ein Buch, welches vor mehreren Monaten ein Agent der
Abolitiomsten, Namens Sewell, in England herausgegeben hat,
zeigt wieder einmal, in wie gewissenloser Art diese Klasse söge-
nannter Menschenfreunde zn Werke geht. Da geachtete deutsche
Blätter Auszüge aus diesem Werke bringen und in gutem Glanben,
aber ohne Kritik, die Angaben Sewell's wiedergeben, so wollen
wir uns einige Bemerkungen erlauben. Sewell verschweigt viele
wichtige Thatsachen, andere stellt er in ein schiefes Licht, bei noch
anderen sagt er nur die halbe Wahrheit und die praktische Er-
fahrung kümmert ihn nicht. Ueber vieles Wesentliche schlüpft
er leicht hin und so kommt ein durchaus unrichtiges Bild zum
Vorschein.
Den Erfahrungssatz, daß der Neger nur arbeite, wenn er
gezwungen werde, nennt Sewell ein Vornrtheil. Aber der Satz
wird überall bestätigt, namentlich in heißen Ländern. Dann
und wanu eine Verrichtung für Lohn thnn, ist noch kein Arb eiten,
ist keine regelmäßige Beschäftigung. Wo der Neger Land und
Boden findet, auf welchem er sich eine Hütte aufschlagen kann, wo
er durch seine Frau ein Stiick Feldes nothdürftig urbar machen
läßt und wo er Hühner und Schweine hält, dort ist er zwar ein
„kleiner, freier Eigenthümer" aber ein wenig produktiver Mensch»
ein halber „Maroon". Vou geistiger und sittlicher Erhebung zeigt
er keine Spur, er bildet eiu rohes Proletariat, das mehr und
mehr in afrikanische Barbarei zurückfällt und sich, zum Beispiel
auf Jamaika und Haiti, sogar der Schlangenverehrung wieder zu-
wendet.
In Haiti haben alle Regierungen, so viel ihrer auch nach
einander gefolgt sind, begriffen, daß der Staat ohne Zwangs-
arbeit überhaupt nicht bestehen könne. Der Landbauer muß Kaffee
baueu und in diesem Produkt seine Abgaben bezahlen.
Wenn manBarbadoes und Antigua anführt und hervor-
hebt, daß dort der Schwarze arbeite, so ist diese Thatfache richtig,
aber sie bildet ebeu eine Ausnahme. Als die Neger emaneipirt
wurden, war auf beiden kleinen Inseln aller Grund und Boden
in festem Besitz. Dem freien Neger blieb eine sehr einfache Wahl:
er mußte nach wie vor arbeiten oder verhungern. Manche begaben
sich uach anderen Gegenden Westindiens, um dort ein Leben ohne
Arbeit zu führen, die Masse aber blieb. Die Grundbesitzer traten
ihm pachtweise ein Hans und ein Stück Feld ab, aber dafür muß
er arbeiten, er bezahlt seinen Pachtzins mit Frohnarbeit und diese
übt Zwang auf ihn. Barbadoes hat auf 166 englischen Quadrat-
meilen 136,000 Einwohner; und daraus erklärt sich Alles.
Wo dieser Zwang fehlt und freies Land in Hülle und Fülle
vorhanden ist, zum Beispiel ans Trinidad und in Guyana, dort
liefen die Neger sogleich vou den Plantagen fort und wurden das,
was Sewell als „freie Grundbesitzer" bezeichnet. Sie thnn nichts
und lassen ihre Frauen ein Stück Feldes schlecht bestellen. Die-
jeuigen, welche sich etwa noch herbeilassen mochten, ans den
Pflanzungen zu arbeiten, wollten es doch nur einige Tage in der
Woche thun und verlangten einen Taglohn von 3 bis 5 Dollars,
dreimal Essen und Zuckerbranntwein so viel sie mochten. Darauf
konnte sich kein Arbeitgeber einlassen; auf de« Plantagen hängt
Alles von Regelmäßigkeit der Arbeit ab, namentlich zur
Erntezeit, und znr Regelmäßigkeit wollten sich die Schwarzen
überhaupt nicht verstehen.
So kam es, daß Hunderte von Plantagen leer standen und
die Eigenthümer sich ans Mangel an Arbeitskräften zn Grunde
gerichtet sahen. Die, welche reich genug waren, Einwanderer
(Kulis, Arbeiter) aus Indien und China konnneu zu lassen,
konnten sich halten. Ohne diese asiatische Einwanderung,
für welche die westindischen Kolonien schon mehrere
in Westindien.
Millionen Pfund Sterling verausgabt haben, wären
Guyana und die englischen Antillen völlig zur Bar-
barei eiuer Negerwildniß herabgesunken.
Die Abolitionisten sollten sich fragen: weshalb der Chinese
und Jndier von der Malabarküste arbeitet, sich auf der Plantage
Wohl befindet und Geld erspart., während der Neger sich der
Arbeit entzieht? Aber die Beantwortung einer solchen Frage
wäre zu unbequem. Sewell ist sogar dreist genug, das eiuzige
schwache Auskunftsmittel, welches den Neger noch zur Arbeit
anhält, das System der Erbpacht, also einer gewissen Ab-
hängigkeit des Afrikaners vom Europäer, eiu System, welches
einigermaßen, wenn anch nur nothdürftig, der Verwilderung einen
Riegel vorschiebt, für ein Unglück zu halten und zn behaupten,
daß dasselbe „einen traurigen Einfluß" übe! Mau kann die Ver-
irrung in der That nicht weiter treiben.
Im Indischen Ocean wiederholt sich genau dieselbe Erfahrung
wie iu Westindien. Als die Emaucipirung auf Mauritius er-
folgte, hörten die Neger auf zu arbeiten und machten sich zu
„freien Grundbesitzern"; das heißt, ließen sich von der Feldarbeit
ihrer Frauen süttern. Nichts von regelmäßiger Produktion.
Die Pflanzer ließen von der Malabarküste Kulis kommen, deren
nun mehr als 100,000 auf jener Insel leben, fleißige, nützliche
Leute, die sich in guten Umständen befinden. Weshalb that der
freie Neger nicht, was der freieJndier thut und kann? Von diesen
letzteren sind viele auch „freie Grundbesitzer" geworden, arbeiten
aber trotzdem auf den Pflanzungen, gelangen zu Wohlstaud und
bilden eine ruhige Meuscheuklasse. Weshalb verfahren die Neger
anders?
Wenn auf Barbadoes in Westindien von 106,000 Acres volle
100,000 unter Anbau sind, so ist dies eben nur möglich durch deu
Frohudienst, welchen die Erbpacht dem Neger auferlegt. Dort
muß er arbeiten. Aber selbst ein Mann wie Sewell kann nicht
umhin, einzugestehen, daß Verbrechen gegen Eigenthum und Per-
sonen fevr häufig seien und uicht minder anch Attentate gegen die
Kenschheit. Er verschweigt, daß die letzteren gegen weiße Frauen
und Mädchen gerichtet sind, denn die Schwarzen zeigen sich nie
spröde. Sewell wälzt die Schuld vou diesen Verbrechen nicht
auf die Anlage der Leute, sondern auf die „unvollkommene Er-
ziehung der niederen Klassen". Aber diese ist bei dui Kulis gleich-
falls vorhanden, und doch kommen jene Verbrechen in unendlich ge-
ringerer Zahl vor. Der Abolitiouist verschweigt deu ethnologischen
Erfahrungssatz, daß bei den Negern, bei Massen wie bei Jndivi-
dum, alle Selbstkoutrole maugelt.
Vou welcher Art Sewell's „Beweise" sind, ergiebt sich aus
Folgendem: Auf der Insel Sankt Vincent, sagt er, hätten seit
der Emaucipatiou die Freigelassenen Häuser (soll heißen Hütten)
gebaut, in welchen 8209 Personen ein Unterkommen finden
Als ob nicht auch der ganz Wilde sich eine Hütte zum Schutze gegen
den Regen baue! (Die Insel hat ungefähr 27,000 Bewohner.)
Er stellt es als einen Beweis von Gedeihen hin, daß zehntausend
Acres von den „kleinen Leuten" mit 1 bis 5 Acres Eigenthum
unter Anbau gebracht seieu. Woraus besteht aber eiu solches
Eigenthum? Aus einer Hütte, einer Anzahl vou Bauaueu, welche
die Frau pflanzt und deren Pflege keine Arbeit kostet, aus etwas
Majs und Pfeilwurz. Die geriugeu Arbeiten, welche ein so
überaus dürftiger Feldbau erfordert, liegeu der Frau ob. Die
Hühner laufen neben der Hütte umher und die Schweine gehen in
den Busch. Der Neger selber thut nichts; zu dem Anbau vou
Pfeilwurz hält er eben seine Fran an; vom Erlös dieser leich-
testen aller Erntearbeiten kauft er sich seiue wenigen Kleider nnd
Putzgegenstände; Tabak baut ihm die Frau auch. Natürlich gab
es keine „Bettelarmen", denn Land kann Jeder umsonst haben;
Eine Wanderung vom Jrtysch in' Sibirien nach Königsberg am Pregel.
85
es giebt aber auch keine wohlhabenden arbeitsamen Neger, sondern
ein HUttenproletariat, das ans der allerniedrigsten Stnfe vegetirt.
Auf Gran ada, einer der Windward-Inseln, hat „die sehr
herabgekommene Znckeranssnhr in neuester Zeit wieder znge-
nommen", sagt Sewell. Herabgekommen war sie, und das sagt
er nicht, weil die Neger nicht arbeiteten; zugenommen hat sie erst,
seitdem chiuesische Arbeiter geholt wurden; und das ver-
schweigt er auch. Die Pslauzer, meint er, hätten zu niedrige Löhne
geboten, aber die Chinesen sind doch mit diesen Löhnen zufrieden;
weshalb nicht auch der Neger? „Die Pflanzerpolitik", sagt der
Abolition ist, „hat die Neger auf ihre eigenen kleinen Besitzungen
verjagt."
Diese Abolitionisten sind gewissenlos in ihrem Fanatismus.
Hört man sie, so sind die Schwarzen ein Inbegriff von Betrieb-
sainkeit und die weißen Pflanzer gewissermaßen Ungeheuer.
Auch aufTabago haben die „kleineu Grundbesitzer" sehr
zugenommen. Wir wissen, was für Leute sie sind.
Auf Trinidad sollen, wie Sewell behauptet, die Pflanzer
sehr unverständig gegen die freien Neger gewesen sein. Diese
hätten dann für sich Kokospalmen gebaut, wozu es freilich gar
keiuer Arbeit bedarf. Die Zuckerausfuhr hat sich binnen zwanzig
Jahren verdoppelt, aber nicht durch Neger— sondern durch
chiuesische Arbeit. Weshalb kann und will der Neger nicht für
dieselben Lohnsätze arbeiten, wie der Chinese?
Und trotz alledem hat Sewell deu Muth, zu behaupten: „die
Beweise, daß der freie Neger arbeite, seien gegeben." Sie siud
gegeben dort, wo irgend ein äußerer Zwang ihm das Arbeiten
aufnöthigt, und sie fehlen überall, wo ein solcher Zwang nicht
vorhanden ist.
Der Abolitiouist bemerkt: daß in den vier Kolonien Guy au a,
Trinidad, Barbadoes und Antigua die gesammte Zucker-
ausfuhr vor der Emaucipation 187 Millionen Pfund betragen
habe und jetzt auf 267 Millionen Pfund gestiegen sei. Die Ein-
fuhren beliefen sich auf 14 y2 Millionen Dollars gegen 8,840,000 vor
der Emanzipation, — „was unter freier Arbeit ein Mehr von
von 5 Va Million Dollars aufweist."
Diese Thatsacheu und Ziffern sind richtig, aber
sie gerade machen das ganze pseudo-philanthropische
Schwindelgebäude und die ganze Scheinargnmen-
tatiou Sewell's zu Schau den.
Denn auf Trinidad und in Guyaua arbeiten nicht die
freien Neger, sondern die chinesischen Kulis, uud ihrer Arbeit ver-
dankt man die Zunahme in der Zuckerausfuhr.
Auf Barbadoes uud Antigua, die revalitiv am stärksten
unter sämmtlicheu Antillen bevölkert sind, konnte das System der
„freien Besitzer" — das heißt das Faullenzen im Wald oder auf
dem Felde, und das Ueberwälzeu der uothwendigsten Feldarbeiten
für den täglichen Hausbedarf auf die Frauen, — nicht Platz
greifen; hier blieb, wie wir schon sagten, keine Wahl, als regel-
mäßig arbeiten oder verhungern. Hier griff das Erbpachtssystem
Platz, bei welchem der Neger seinen Zins in Arbeit zahlen muß.
Dadurch entging die Insel dem Ruin, aber der Abolitionist Sewell
behauptet trotzdem weiter oben, dieses System habe „traurigen
Einfluß " gehabt.
Blühende oder gesunde wirthschaftliche Zustände sind nirgends
unter deu Negern da, wo sie sich unbedingt selbst bestimmen können
uud wo sie nicht durch irgend eine äußere Nöthignng zum Arbeiten
sich gezwungen sehen.
Ein englischer Reisender wurde von einem stämmigen Neger-
in Panama angebettelt. Er fragte den Schwarzen, weshalb
dieser nicht arbeite, da doch der Tagelohn einen Dollar betrage?
„Uff, bnff", sagte der Neger, „zur Arbeit hat Gott
Ochsen und Maulthiere geschaffen. Ich bin ein
M e n s ch!"
Eine Wanderung vom Jrtysch in Sibirien nach Königsberg am pregel.
Erster Artikel.
Der Verbannungsort. — Flncht im Winter. — Ueber Tara und Jschim nach der Messe von Jrbit. — Die Straßen von Jrbit über den Ural nach dem
europäischen Rußland. — Wanderungen im Schnee und »ebernachtnng in den Wäldern. — Russische Arbeitsleute ans der Wanderung. — In Werchotnrje.—
Ueber den Kamm des werchoturischen Ural. — Sibirische Pilger. — Schlitteukarawancn uud russische Fuhrleute. — In Solikainsk und Tscherdyn. — Die
Tschekoinskie. — Errettung vom Hungertode. — Ueber Rosche! nach Weliki Uhtjug au der Dwina. —
Zu den merkwürdigsten Wanderungen, von welchen wir ans
unseren Tagen Kunde haben, gehört ohne Zweifel jene des Polen
Rufin Piotrowski *). Sie gewährt ein spannendes Interesse
und enthält eine Fülle interessanter Mittheilungen, theils über das
westliche Sibirien, theils über das nordöstliche Rußland und
uamentlich über die nordnralischen Regionen. Wir erhalten einen
Einblick in das russische Volksleben und Schilderungen desselben,
die offenbar getreu sind; sie treten uns geradezu entgegen als ob
gemalt wären, oder als Photographien.
") Meine Erlebnisse in Rußland und Sibirien während meines Ans.
cnthalts daselbst, meine Gefangenschaft und Flucht. Bon Rusin Piotrowski.
Nach dem Polnischen von L. Königk. Posen, 1862. 2 Bde. Der Nebersetzer
hat die Namen alle in polnischer Schreibart wiedergegeben, was in einem
deutschen Buche ganz unpassend erscheint. Nicht viele bei uns wissen oder
brauchen zu wissen, daß ez unfern ich entspricht; wir sagen nicht Kijow,
wie die Polen, sondern Kiew; und es ist eine polnische Koketterie, diese
Stadt für polnisch auszugeben. Wir sagen auch nicht Aichangielsk,
sondern Archangel, nicht Jrtysz, sondern Jrtysch, nicht Nerezynsk,
sondern Nertschinsk :c. Folgerichtig hätte der Uebersetzer mich Krolenviec
ftatt Königsberg sagen müssen!
Piotrowski wurde 1S43 von den russischen Behörden als
„politischer Verbrecher", wie so viele seiner Landsleute, zur Ver-
bauuung nach Sibirien verurtheilt, uud von Kiew aus dorthin
abgeführt. Wir können ihn auf seiner Hinreise, welche er sehr
lebendig und anziehend schildert, nicht begleiten und folgen ihm
auch nicht in der Darstellung specieller Verhältnisse über die „Un-
glücklichen", welche von Rußland aus nach dem weitesten Kerker
der Welt, uach Sibirien, gebracht werden. Die Schärfe, mit
welcher der verbannte Pole das Regierungssystem des Kaisers
Nikolaus und seiner Werkzeuge benrtheilt, ist begreiflich; die Vor-
gäuge, welche er in Betreff der Behandlung jener „Unglücklichen"
schildert, wären schon gräßlich, wenn mich nur die nackten That-
sacheu angeführt würden. Der Pole erzählt geradezu haar-
sträubende Diuge, die Gottlob der Vergangenheit angehören uud
sich hoffentlich uie wiederholen werden. Piotrowski macht den
Eindruck eines wahrheitsliebenden Mannes uud wir glauben nicht,
daß er mit Wissen und Willen eine Unwahrheit sagt. Aber durch
den Ingrimm in seiner Seele, der sich freilich erklären läßt,
nimmt er manchmal sein eigenes Urtheil befangen, uud das sau-
86
Eine Wanderung vom Jrtysch in Sibirien nach Königsberg am Pregel.
gninische Temperament des Polen verläugnet sich nicht, sobald er
auf sein Vaterland und die Politik zu sprechen kommt. Doch das
nur beiläufig. Piotrowski ist eiu Mann von Patriotismus uud von
unbeugsamer Energie; er besitzt also zwei Eigenschaften, die uns
Achtung abzwingen. Ihm gelaug, was vor ihm nur Wenigen
geglückt ist: er entfloh mitten im Winter aus Sibirien
uud gelangte glücklich über die deutsch-russische
Grenze.
In sausendem Galopp hatte man ihn von Kiew am Dnjepr,
welches den Ausgangspunkt bildet, über Tnla, Rjäsau, Nischm
Nowgorod, Kasan, Perm, dnrch den Jekaterinbnrger Ural, über
Tjumeu und Jalutorowsk, wo er den Tobolfluß überschritt, nach
Omsk am Jrtysch gebracht. Bon dort wurde er an die in der
Nähe liegende Jekaterinsche Kolonie abgegeben. Wer einen
Blick auf die Karte von Rußland wirft, sieht, wie groß die Ent-
fernung zwischen den beiden äußersten Punkten ist. Sie betrug
4050 Werst oder etwa fünfhundert und acht und sieben zig
deutsche Meilen. Diese Strecke wurde vom 28. oder 29. Juli
bis zum 22. August Morgens 9 Uhr zurückgelegt. Piotrowski
war also durchschnittlich tu je 24 Stunden 170 Werst oder etwa
25 deutsche Meileu gefahren.
An Ort und Stelle nahm man in der Schmiede ihm die
Ketten ab uud nun erst konnte er auch die Stiefel ausziehen. Daun
wurde er gleich beim Häuserbau beschäftigt, ohne daß man ihm
auch nur eiueu einzige« Tag Erholung gönnte. Allmälig fand er
sich iu seine Lage, aber gleich als er einigermaßen wieder zu
Kräften gekommen war, sann er über die Möglichkeit des Ent-
stieheus nach. Im Winter von 1844 auf 1845 wurde der Drang
nach Freiheit in ihm zu einer wahren Leidenschaft. Er war damals
im Schreibzimmer einer Spiritusbreuuerei beschäftigt uud traf
allerlei Vorkehrungen. Er ließ den Bart wachsen, nahm Landes-
kleidung au uud that als ob er sich eingewöhnen wolle. Es fehlte
in der Kolonie nicht an Leuten, die Stempel uud Bauknoten macheu
konnten; für einige Rubel verschaffte er sich eiueu Paß, der freilich
nicht auf Stempelpapier geschrieben und nur für eine kurze Zeit
ausgestellt war. Aber was nnn weiter? Ringsum waren Wüsten,
Steppen, Wälder und Moräste, die Behörden waren wachsam
uud konnten nach allen Richtungen hin Steckbriefe erlassen. Dazu
kam noch eiu Umstand. Die Sibiriakeu uud Tataren stellen wohl
Brot uud Salz für die Flüchtigen au's Fenster, erschießen aber
auch wohl aus Raubsucht dann und wann einen „Unglücklichen".
Sie haben das Sprichwort: es sei vortheilhaster, einen solchen zu
tödteu, als eiu Eichhörnchen; von diesem habe man nur das Fell,
vou jenem aber Kleider und Haut!
Gegen Ende des Juni 1843 versuchte Piotrowski iu einer
mondhellen Nacht über den Jrtysch zn ruderu, aber er wurde
gestört. Auch eiu zweiter Versuch zur Flucht stieß auf Hindernisse.
Da packte ihn Verzweiflung; er dachte sogar einmal daran, mit
Hülfe der Strafgefangenen die ganze Kolonie niederzubrennen und
Alles zu vernichten.
Als das Jahr 1846 angebrochen war, beschloß er, im Winter
seinen Plan auszuführen. Er wußte, daß alljährlich im Monat
Februar zu Jrbit im Gouveruemeut Perm ein großer Jahrmarkt
abgehalten wird. Um diese Zeit sind die Straßen so belebt, daß
eine Kontrole der Reisenden unmöglich ist. Piotrowski wollte ver-
suchen, uach Jrbit uud voil dort nach Archangel am Weißen Meere
zu gelangen. Nachdem er alles Erforderliche vorbereitet hatte,
setzte er eine ächt sibirische Perücke ans, das heißt ein Stück nn-
gegerbten zottigen Ziegenfelles. In feinem Signalement war er
als kahlköpfig bezeichnet. Sie ahmte die Menschenhaare so ziemlich
uach und hielt warm.
Am zweiten Abend nach Fastnacht entfloh er. Er zog drei
sibirische Hemden an, eine Weste von blauem Tuch, zwei Paar
Unterbeinkleider, weite blaue Tuchhosen, einen mit Talg eiuge-
riebenen kurzen Schafpelz, darüber noch einen großen Schafpelz,
zwei Paar wollene Strümpfe, neue Stiefel uud band einen Gürtel
um den Leib. Auf die Perücke von Ziegenhaar stülpte er eine
rothe Sammetmütze mit Pelzbesatz, wie der sibirische Bauer an
Festtagen trägt. In einen Sack steckte er ein Paar feinere Stiefeln,
Hemd, Beinkleinder und in eine Reisetasche Brot uud einige Fische.
An Geld besaß er 160 Rubel Papier. Das war seine ganze Aus-
rüstuug für eine Winterreise in Sibirien, über das Uralgebirge
und nach dem Eismeere!
Am 6. oder 8. Februar 1846 verließ er den Ort, an welchem
er seit siebenzehn Monaten als Verbannter gelebt hatte. Die Kälte
war furchtbar, der Schnee tief, der Mond leuchtete hell. Der
Flüchtling ging über den mit Eis belegten Jrtysch uud eilte dem
Städtchen Tara zu. Unterwegs nahm ihn ein Schlitten auf. Iu
Tara ging er nnter das Fenster des ersten besten Hauses uud fragte
laut: „Pferde da?" — „Und wohin?" — „Nach Jrbit, zum Jahr-
markte. Wie viel willst Du für die Werst?" Beide einigten sich
über sechs Kopeken für die Werst, und nach wenigen Minuten war
angespannt. Piotrowski gab sich für den Diener eines Kanfmanns
aus Tomsk aus, der schon voraufgefahren sei und den er so rasch
als möglich einholen wolle. Der Bauer verirrte sich während der
Nacht im Schneegestöber uud fand erst bei Tagesanbruch den
rechten Weg. Auf einer Station unterwegs geht er in den Krug,
um Geld zu wechseln und den Schlitten zn bezahlen. Eine Menge
von Zechern war tut Gastzimmer. Er nimmt aus seiner Brief-
tafche fünfzig Rubel und giebt dem Wirth eine Zehnrubelnote; aber
plötzlich entsteht eiu Gedränge nnd ntan reißt ihm die vierzig Rubel
aus der Hand. Aber auch ein Paß uud seine Reiseskizzen gingen
bei dieser Gelegenheit verloren. Klage führen durfte er uicht; ihm
lag Alles daran, nicht erkannt zn werden und so rasch als möglich
weiter zu kommen.
Die große Straße nach Jrbit war mit Schlitteukara-
w aueu förmlich bedeckt. Der Flüchtling kam unangefochten durch
Ischym, war am dritten Tage früh in Tjnmen und Abends
spät iu Jrbit. Iu dreimal 24 Stunden hatte er 143 deutsche
Meilen, im Durchschnitt also zwei Meilen in der Stunde, zurück-
gelegt. So rasch reist mau iu Sibirien im Winter. Die Bauern-
Pferde sind so rasch uud so kräftig, daß Piotrowski liicht selten acht
bis zehn Meilen fuhr, ohne daß auch nur einziges Mal angehalten
wurde.
In der Gegend vou Jrbit nimmt das Land einen gebirgigen
Charakter an; der Weg wird durch Schneeverwehungen an manchen
Stellen so tief, daß Schlitten nnd Pferde darin versinken; es würde
einen Fußwanderer schwer werden durchzukommen, wo der Sibirier
mit rasender Schnelligkeit hindurchfährt.
Als der Flüchtling durch den Schlagbaum von Jrbit fuhr,
rief der wachthabende Soldat: „Halt, Halt!" fügte aber leise
hinzu: „Gieb 20 Kopeken und mache, daß Du fortkommst!" So
brauchte er seinen zweiten falschen Paß nicht zu zeigen. Der Fuhr-
manu brachte ihn in ein Wirthshaus, wo er ein ächt sibirisches
Abendbrot genoß: Kohlsuppe und getrocknete Fische, Grütze mit
Oel, Sauerkraut iu Köpfen. Er saß mit einigen Fuhrleuten am
Tische und vor dem Essen bekreuzigte er sich wie eiu ächter Russe
dreimal. Glücklicherweise traf er keine Leute ans Tara, wo er
manche Bekannte hatte. Die Reise nach Jrbit hatte 35 Rubel
gekostet, 40 waren gestohlen worden, blieben also noch 85 Rubel
Schein. Fahren konnte er nun nicht mehr; er mußte sich auf feine
Füße verlassen. „Hätte ich einen gehörigen gedruckten Paß gehabt,
so wäre Alles eiue Kleinigkeit gewesen, aber der war fort, eben so
wie meine Notaten. Aber dennoch war ich glücklich, den ersten
Schritt zur Freiheit gethau zu haben. Vor Tagesanbruch stand
ich auf, bekreuzte mich, wie es einem rechtgläubigen Russen zusteht,
verneigte mich vor dem Heiligen nnd ging aus, angeblich um
meinen Hausherrn zu suchen."
Der berühmte Meßplatz Jrbit liegt an der östlichen Ab-
dachnng des Ural auf einer Anhöhe, von der man nach Osten hin
einen weiten Fernblick hat. Diese sibirische Stadt gehört in Be-
Eine Wanderung vom Jrtysch in Sibirien nach Königsberg am Pregel.
87
Zug auf die Verwaltung zum Gouvernement Perm. Sie ist aus
Holz gebaut, hat breite Straßen und geräumige Plätze. Piotrowski
will wenigstens an zehntausend Schlitten dort gesehen haben; sie
standen in Partien wie Soldaten aufgestellt, und die leeren einer
dem andern in die Höhe gethürmt. „Es war ein gewaltiges
Leben am Orte, ein enormer Waarenverkehr; beladene Schlitten
kamen nnd gingen ohne Unterlaß."
Bon Jrbit nach Rußland führen zwei Hauptstraßen: die eine
links über Jekaterinbnrg, den Ural, über Kuugur uach dem mitt-
^ern nnd südlichen Rußland; die andere rechts gen Norden über
werchotnrje, über den werchotnrischen Ural nach Solikamök,
so recht in's nördliche Rußland hinein. Der Flüchtling wählte die
letztere. Er kaufte in Jrbit Brot und Salz, warf seinen Sack über
die Schulter und band ihn vorn am Gürtel fest, um die Hände
fvet zu haben. Es war furchtbar kalt und der Schnee so hoch, daß
er Dächer eingedrückt hatte. Doch Piotrowski möge selber er-
Zählen.
Kaum hatte ich deu Schlagbaum hinter mir, da änderte sich
das Wetter. Dichter Schuee fiel. Glücklicherweise wehte kein Wind,
aber von der Welt war nichts zn sehen, und der Gang im Schnee
nicht leicht; aber ich konnte den Weg nicht verfehlen, da ich viele
Schlitten traf nnd stets fragte. Rechtshin erstreckten sich die weiten
Ebenen Sibiriens, durch einzelne Hügel und unbedeutende Wälder-
durchbrochen; links erhob sich iu nicht sehr bedeutender Entfernung
der mit kaum dnrchdringlichen Wäldern bedeckte Ural. In den
Dörfern, die ich nicht vermeiden konnte, hielt ich mich nie auf,
fragte dort auch Niemand nach dem Wege, sondern that als ob
ich mit Oertlichkeit und Wegen ganz bekannt wäre. Ich aß mein
gefrorenes Brot im Gehen oder setzte mich irgendwo seitab im
Walde nieder, trank Wasser ans dem ersten besten Bache, wo man
etwa ein Loch geschlagen hatte, um Pferde zu tränken, oder nahm
Schnee in den Mund und ließ ihn langsam zergehen. Mußte ich
durchaus in einem Dorfe nach dem Wege fragen, so that ich das
am letzten Hans ans so geschickte Weise, daß man eben nichts
werken konnte und stets glaubte, daß ich aus der Nähe sei, aber
wegen des vielen Schnees mich nicht zurechtfinden könne.
So verging der erste Tag meiner Fußwanderung. Es war
wir schwer geworden, in der dickeu Bekleidung zu gehen; ich hatte
den obern Pelz abnehmen und über die Schulter werfen müssen.
3'ch fühlte mich todtmüde, denn ich war schnell gegangen nnd der
Schnee lag sehr tief. Mit Einbruch der Nacht ging ich in einen
nahegelegenen Wald, grub mir eine Höhle in den Schnee und legte
wich nach Art der Ostjakeu hinein, um zn schlafen. Das hatte ich
allerdings sehr uöthig; denn seitdem ich meine Flucht angetreten,
hatte ich noch nicht geruht. Bald schlief ich ein. Obwohl es unter
dem Schnee ungleich wärmer war als oberhalb desselben, so em-
pfand ich doch bald eine unerträgliche Kälte, namentlich in den
Nißen; auch wurde der Schnee vom Athmen und meiner natür-
lichen Wärme feucht. Der Frost während der Nacht war sehr
streng und als ich erwachte, fühlte ich mich nicht gesund nnd sehr
geschwächt. Aber noch vor Tagesanbruch stand ich auf, wanderte
weiter und fühlte mich bald wohler. Gegen Mittag erhob sich ein
heftiger Nordwind, kalt, trocken, eisig; er verwehte den Weg bald
daß keine Spur zu finden war. Die Tannenzweige, welche
als Merkzeichen in den Schnee gesteckt werden müssen, waren vom
Schnee überdeckt nnd ich kam bald vom Wege ab. Zuweilen siel
'ch bis an den Hals in den Schnee und war nicht ohne Besorg-
"iß, ob ich nicht der Kälte oder dem Hunger zur Beute fallen
würde, obwohl ich uoch auf einige Tage mit Brot versehen war.
Endlich, Abends, kam ich auf den richtigen Weg nnd au ein
Vor einem seitab liegenden Häuschen stand eine Frau und
iese bat ich um ein Nachtlager, das sie gern bewilligte. Ich sagte,
'ch käme aus dem Tobolskischen und gehe ans Arbeit nach den B o-
^otvlskischen Eisenwerken. Diese liegen weit nördlich von
el chotnrje und aus den Gouvernements Perm und Tobolsk gehen
viele Arbeiter dorthin. Meine Antwort konnte daher keinen Ver-
[ dacht erregen. Aber nach einer halben Stunde kamen drei Bauern
! und fragten nach dem Passe. —
Nachdem Piotrowski am andern Morgen Brot gekauft hatte,
ging er rasch fürbas und blieb in keinem Dorfe. „Ich übernachtete
im Walde, war jedoch in der Auswahl der Stelle etwas vorsich-
tiger. Im dichten Walde lagert der Schnee niemals am Stamme
dicker Tannen oder Fichten; dort bleibt vielmehr immer ein leerer
Raum von einigen Zollen. In diesem Räume ließ ich mich hin-
unter, grub eine Höhle aus, trat deu Schnee unten mit den Füßen,
schlug ihn oben mit den Händen fest und so schlief ich ziemlich
warm. Freilich wollte mir mein Gewölbe nicht immer gelingen,
denn der Schnee war bei hartem Frost manchmal zn staubig, nnd
dann blieb nichts anderes übrig, als, mit dem Rücken gegen den
Bann? gelehnt, sitzend zu schlafen. Wenn mir dann zu kalt wurde
und ich Gefahr lief zu erfrieren, machte ich mich auf und wan-
derte weiter. Jiu Anfange hatte es allerdings für mich etwas
Schauerliches, so ganz allein im Walde zu übernachten, allein ich
gewöhnte mich bald so daran, daß ich eben so gern dort einkehrte,
wie ich in einen Gasthof eingezogen wäre. Zuweilen brach mein
Schneegewölbe ein, während ich schlief; dann wurde mir freilich
wärmer, aber das Herauswühlen war unangenehm. Man kann
sich wohl vorstellen, daß ich bei einer solchen Art zu reisen vor
Hunger nnd Kälte und bei dem Maugel au jeder warmen Nahrung
nicht selteu iu Lebensgefahr gerieth. Und was das Schlimmste
war, gerade wenn ich recht durchfroren und hungrig war, stellte
sich die größte Lust zu Schlafen ein: eine Einladung zu uuver-
meidlichem Tode. Das waren die Augenblicke, welche ich am
meisten fürchtete. —
So verfloß ein Tag nach dein andern einförmig, als
Pietrowski am östlichen AbHange des Mittlern Ural hinwanderte.
Er begegnete nur Fuhrleuten, die von Jrbit kamen, und mit
solchen Leuten zog er in Werchotnrje ein. Etwas oberhalb der
Stadt entspringt die Tura, welche unweit Tobolsk iu deu Tobol
mündet. Der Name bedeutet, daß der Ort an dem Gipfel, der
Quelle, der Tura liegt. Der Reifende ging eilig durch die Stadt
und schlug sich sofort wieder auf steinigem Pfade in den Wald. In
einem einsamen Wirthshanse traf er sechs junge Russen, welche aus
dem nördlichsten am Eismeere liegenden Kreise, jenem von Mezen,
gekommen waren, um nach Sibirien zn gehen und dort Arbeit zu
suchen. Alle waren Kurschmiede, hoch und schön gewachsen nnd
von blühender Gesichtsfarbe.
Zwei Tagereisen jenseits Werchotnrje schlug sich der Wanderer
znr linken Seite hin, in den Ural hinein, dessen Kamm er bei
rasender Kälte überschritt. „Wie viele Tage nnd Nächte ich ans
diese Weise gegangen bin, das kann ich nicht mit Bestimmtheit
sagen; ich weiß nur, daß ich meine Schritte beschleunigte, so viel
meine Kräfte erlanbten. Ich ging fast ununterbrochen weiter, denn
die Nächte waren sehr kalt. Ich lebte nur von Brot nnd Salz; in
den Nachtlagern konnte ich mich nicht erwärmen, anch die Kleider
weder wechseln noch trocknen, nnd so kamen meine Kräfte herunter."
In einem Thale kam er an einem Schuppen vorüber, der znr Be-
quemlichkeit der Reisenden am Wege aufgebaut war; aber alle
Vorräthe waren aufgezehrt, nnd so schleppte der einsame Mann sich
weiter, bis er spät am Abend in ein Dorf kam, wo bereits Alles
still nnd nur der knirschende Schnee unter den Fußtritten zu ver-
nehmen war. Dort bekam er endlich wieder etwas Warmes zn
essen, zum dritten Male, seitdem er Jrbit verlassen, und znm
zweiten Mal schlief er in einem Hanse. Den Wirthslenten sagte
er, daß er nach Solikamsk wolle, um beim Salzsieden zn arbeiten,
nnd jene erzählten ihm, daß jetzt manche Leute nach den Solo-
wetzki'schen Klöstern gingen, welche nordwestlich von Archangel
ans einer Insel im Eismeere liegen. Diesen Wink ließ Piotrowski
sich nicht entgehen.
Dieser Ort hieß Panda, zählte mehr als hundert Hänser,
war aber jetzt verlassen nnd wie ausgestorben. „Ich ging nicht
den Weg, ans welchem man mich nach einem Passe gefragt haben
88
Eine Wanderung vom Jrtysch in Sibirien nach Königsberg am Pregel.
würde, sondern wandte mich rechts in den Wald, wo ich freilich
mit tiefem Schnee zn kämpfen hatte. Endlich kam ich aus einen
Weg und ging mnthig vorwärts. Den ganzen Tag sah ich keinen
Menschen und kein Hans; erst gegen Abend kam ich au eine Wald-
schenke, wo ich mir ein Stück Brot kaufte und weiter giug. Die
Nacht war ruhig, aber furchtbar kalt. Der Mond ging auf und
um Mitternacht setzte ich mich unter einen Baum, um ein wenig
zn ruhen, mich an dem wüsten Anblicke der seltsamen Natur zu er-
freuen, au Gott, mein Geschick, mein Vaterland nnd meine Zukunft
zn denken. In dieser Nacht bekam ich den Kamm des Ural in den
Rücken und gegen Morgen stieg ich schon bergab; aber ich war so
müde, daß ich etwas schlafen mußte, grub mich also in den Schnee
ein und erwachte erst, als die Sonne schon hoch stand. Nachdem
ich einmal gründlich irre gegangen war, übernachtete ich am dritten
Tage in einer Waldschenke hinter dem Dorfe. Am folgenden
Morgen hörte ich eine Glocke hinter mir und bog deshalb, wie ge-
wohnlich, iu's Dickicht eiu. Bald kamen Fuhrleute, die nach Soli-
kamsk wollten, sieben Männer mit ungefähr dreißig einspännigen
Schütten. Wo ebener Weg ist, fahren alle neben einander, geht
es aber durch eiuen Wald, hinter einander; denn gewöhnlich steht
der Schuee au beideu Seiten so hoch, daß Pferd und Schlitten im
Geleise verschwinden, nnd der Weg ist so schmal, daß man kaum
answeichen kann. Auf waldlosen Ebenen, wo jede Spur verweht
ist, wird die Reise noch beschwerlicher, denn man fährt eben auf's
Gerathewohl und nicht selten stürzen Pferd und Schlitten iu tiefe
Löcher. Bei Ladungen von großem Umfange, z. B. Hanf, Flachs
und Pelzwerk, stürzen auf seitwärts abschüssigen Wegen nicht selten
Schlitten und Pferd hinab. Die russischen Fuhrleute siud übrigens
eiserne Leute, kein Wetter, keiue Beschwerde reibt sie auf und bei
keiner Gefahr verzagen sie."
Mit solchen Müsch iks ging der Pole nach Soli kamsk. Die
westliche Abdachung des Ural ist weniger steil als die östliche, aber
anch ausgedehnter als diese. Schon von Jrbit ab ist die Sprache
des Volkes der rusfenisch-ukrainischen ähnlicher als der groß-
russischen, anch ähneln die Leute dort mehr den Anwohnern des
Dnjepr als den Moskowitern. Vielleicht sind sie Nachkommen von
Kosaken, die nach der pnltawaer Schlacht in Menge nach Groß-
rnßland übersiedeln mußten. Die Häuser in den Dörfern sind aus
rohen Baumstämmen gebaut uud habeu ein Vordach, dagegen die
Kirchen überall massiv uud gut ausgestattete Die Wälder, lauter
Nadelholz, sind „schön, dicht und unermeßlich." Im Sommer
ist der Weg, obwohl eine Hauptstraße für Lasten, nicht fahrbar.
Von Werchotnrje an nach Norden hin hat der Wanderer keine Kar-
toffel mehr gesehen.
Der Flüchtling war nun wieder in Europa. Jeuseit Soli-
kamsk traf er auf einer unbewaldeten Ebene mit Pilgern zusammen,
welche eine Wallfahrt nach denSolowetzkischen Klöstern unternahmen.
Diesen schloß er sich an nnd gab sich auch für einen Pilger aus.
Solche Bohomoltzi werden höchstens von den Behörden nach
einem Passe gefragt, denn im Volk ist der Glaube verbreitet, daß
sie gute Menschen seien und kein Verbrechen verüben; deshalb
stehen sie in ganz Rußland in großer Achtung. Man nimmt sie
nuentgeldlich auf und giebt ihnen Speise und Trank, auch wohl
Geld, damit sie vor dem wnnderthätigeu Heiligen zum Besten des
Gebers ein brennendes Licht aufstellen, was dann auch in der Regel
mit großer Gewissenhaftigkeit geschieht. „Ich habe in der That
gefunden, daß das ganze russische Volk, soweit ich Gelegenheit
hatte, dasselbe kennen zn lernen, aufrichtig religiös ist, uud daher
eine höhere Grundlage für EntWickelung aller Tugenden des öffent-
lichen und Privatlebens besitzt; nur schade, daß diese Religiosität
großentheils auf äußerlicher Erfüllung der kirchlichen Vorschriften
beruht, daß Niemand ihre innere Kraft und Bedeutung versteht."
JnTscherdyn, das eigentlich vom Wege ablag, das aber der
Reisende aufsuchte, kostete er zum ersten Male Bratzka, ein ge-
gohrenes Getränk, das aus Hafermehl verfertigt wird; es schmeckt
säuerlich uud erwärmt den Magen. Es vertritt dort im hohen
Norden die Stelle des im übrigen Rnßland allgemein verbreiteten
Kwas.
Von Tscherdyn, das schon jenseit des 60. Breitengrades uud
nördlich von dem Kamaflnsse liegt, beginnt Flachland, das man
der Wälder und Sümpfe wegen nur im Winter bereisen kann.
Jetzt war der März gekommen; am Tage thante es schon, denn
die Sonne warf zuweilen freundliche Blicke herab, aber bei Nacht
war der Frost uoch streng. Der Wanderer gelangte an die Kama,
deren Eis eine breite Straße bildete, und auf dieser giug er weiter.
An deu Ufern lagen hin und wieder Dörfer uud einzelne Hänser.
Dort wohnen schon Perm iaken, Leute von finnischer Abstammung,
sogenannte Tfchekouskie. Iu jenen waldigen Gegenden, wo
es wenig Brot giebt, erkennt man den Wohlstand an der Zahl ge-
füllter Kornsäcke, welche in einem Winkel des Zimmers unter dem
Heiligenbilde stehen.
Tagelang hintereinander traf der Wanderer weder Menschen
noch Schenke, noch Dorf, und bei dem wilden Schneetreiben blieb
es rein dem Zufall überlassen, ob er den richtigen Weg treffen
würde oder nicht. Seine Kräfte nahmen ab, denn er schonte sich
nicht; die Füße begannen ihren Dienst zn versagen und der Hunger
wurde quälend, der Magen fing an zn schmerzen. „Ich schleppte
mich dennoch vorwärts, fand indessen keine Spur vom Wege;
immer nur Wald, nichts wie Wald. Ich richtete mich nach der
Sonne, nach dem Moos an den Bäumen; ich wollte weiter, aber
mir wurde unwohl uud Schwindel wandelte mich an. Dennoch
raffte ich meine letzten Kräfte zusammen, stützte mich auf meinen
Stock, Thränen traten mir in die Augen uud ich bat Gott um
Hülfe. Vergebens rang ich mit meiner Ohnmacht; heftig von
Magenkrämpfen gequält, brach ich unter einem Baume zusammen.
Mit dem Rücke« lehnte ich mich gegen den Stamm, betete und
fluchte, kurz ich war in einem Znstande der Verzweiflung und
nahm Abschied von Vaterland und Freunden. Bald nachher
peinigte mich ein betäubender Schlaf mit Brausen im Kopfe, uud
trotz meines inner« Schmerzes war ich wie erstarrt. Wie lange
ich in diesem Zustande gelegen, weiß ich nicht, denn ich war schon
mit meiner ganzen Seele im Jenseits. Da vernahm ich plötzlich
eine Stimme, schlug die Augen auf uud sah einen vor mir stehen-
den Mann. Diese überraschende Erscheinung elektrisirte mich förm-
lich und goß neue Hoffnung in mein Herz.
„Was machst Du hier?" fragte der Uubekauute.—
„Ich bin verirrt." — „Von woher kommst Du?" — „Von
Tscherdyn nnd will nach den Solowetzkischen Klöstern; aber im
Schneetreiben bin ich verirrt nnd habe seit zwei Tagen nichts ge-
gessen." — „Ich glaube gern, daß Du verirrt bist, denn das be-
gegnet sogar uns, und wir siud doch hier bekannt. Bei solchem
Wetter hättest Du nicht reisen sollen; aber hier trink einen Schluck
Branntwein, der wird Dir gut thuu!" —
Ich nahm einen kleinen Schluck, bekam aber ein heftiges
Brennen im Magen. Dann gab mir mein Wohlthäter Brot uud
Fisch uud wir aßen zusammen. Er war eiu Jäger, der nach Hanse
zurückkehrte, uud sagte mir unter anderm: Diese Wälder ziehen sich
Gott weiß wie weit, ihre Breite mag wohl an die 150 Werst be-
tragen. Es liegen wohl einige Dörfer darin, aber Du wirst auf
keines treffen; Dn mußt geradezu auf Kai losgehen (—nach
Südwesten hin; der Ort liegt an der Kama—) das etwa 50 Werst
von hier liegt; die große Straße, von der Du obeu gekommen bist,
liegt nicht weit ab, in der Nähe ist eine Schenke, geh' nnr in jener
Richtung."
' Der Mann hatte den einsamen Flüchtling von Tode gerettet.
Als dieser die Schenke erreicht hatte, war seine Freude grenzenlos;
aber kaum konnte er die Bank erreichen uud um warme Speise
bitten. Dann schlief er volle vier und zwanzig Stunden, und als
er erwachte, sprach seiu Wirth: „Ich dachte schou, Du wärst ge-
storbeu!" Erst am dritten Tage, als er sich wieder vollkommen
gesättigt nnd erquickt fühlte, ging er weiter, gelangte nach Kai,
zog von dort mit Pilgern weiter, mußte aber, weil feine Füße
Neapolitanische Charakterköpfe,
89
ihn schmerzten, hinter den Pilgern zurückbleiben. In jener Gegend
kam die Ziegenhaarperücke ihm abhanden, ein unter seinen Verhält-
nissen großer Verlust. Uebrigens fing er nun an, auf Brandstellen,
die er in den Wäldern fand, Nachts bei einem Feuer zu schlafen.
So ging seine Reise Tag und Nacht ununterbrochen fort; Wälder,
Schnee und Eis, — weiter sah er kaum etwas. Zuweilen traf er
auf kleine Dörfer, dann und wann aus einen Schlitten, der ihn
auch wohl eine Strecke Weges mitnahm, und übernachtete, wie es
eben kam, im Wald oder in einer Schenke. So kam er nach der
Stadt Noschel am gleichnamigen Flusse, wo im Frühjahr viele
Pilger zusammenströmen, um nach Aufbruch des Eises, auf deu
mit Getreide beladeneu Schiffen über Ustjng nach Archangel
hinabznfahren. Gern hätte auch Piotrowski dort bis zum Früh-
jähr gewartet, aber die Ungeduld ließ ihm keine Ruhe; er zog
weiter.
Inzwischen war allmälig der Frühling herangekommen. Die
Schneemassen fingen an zn thanen, die Wege wurden schlechter,
das Reisen wurde erst immer beschwerlicher und dann in einem
solchen Lande geradezu unmöglich. Naß fallender Schnee durch-
näßte die Kleider bis anf die Haut, und bald nachher wurden sie
durch den Frost wieder ganz steif.
So erreichte der Mann nach unbeschreiblich mühseligen Tagen
Lalsk, das in einer weiten, morastigen Ebene liegt (— am Flusse
Lyza —). Dort war gerade Markt, man konnte aber nur Fische
kaufen; das Nachtlager und Abendessen bei einem Müller waren
gut, eben so das warme Frühstück vor der Abreise. Nun konnte
er, nachdem auch seine Füße wieder heil geworden waren, schnell
vorwärts, und im Monat April, gerade vor Beginn der Oster-
Woche, erblickte er von einer Anhöhe herab die noch mit Eis be-
deckte Dwina, und am User derselben die wichtige Stadt Weliki
Ustjug. Nachdem er noch ein paar Stunden gegangen war,
überschritt er das Eis des Stromes und ging in die Stadt, in
deren kothigen Gassen er seit Werchotnrje wieder die ersten Sol-
daten sah. Er hatte ja die Region europäischer „Civilisatiou"
wieder erreicht, die für ihn manche Gefahren in sich barg. Aber
er war nach und nach gegen Gefahren gleichgültig geworden.
Vorerst konnte er nicht weiter reisen, denn die Wege waren durchaus
unpraktikabel geworden. Das Beste wäre gewesen, in Ustjug zu
warten, bis die Dwina eisfrei wurde, und dann auf ihr stromab bis
Archangel zn fahren. Als er vor einem Kramladen Grütze kaufen
wollte, gerieth er in's Gespräch mit einem Bohomoletz (Pilger), der
nach den SolowetzkischenKlöstern wollte, wurde näher mit demselben
bekannt und in eine Wallfahrerherberge geführt, wo er Unter-
kommen fand. Nachdem Piotrowski, der katholische Pole, einmal
die Rolle eines Bohomoletz angenommen hatte, mußte er auch alle
religiösen Obliegenheiten eines solchen erfüllen, alle Tage zum
Frühgottesdienst gehen, sich russisch bekreuzen, die Vesper besuchen,
ein brennendes Licht halten und dem Popen die Hand küssen. Vater
Unser und Ave Maria konnte er auf russisch beten, aber das Credo
war ihm unbekannt; zum Glück fragte kein Pope danach. Er ver-
richtete alle Ceremonieu pünktlich, besuchte alle Kirchen, verbrachte
die heilige Woche mit Gebet und Kniebengungen, wußte aber die
Beichte, deren Einzelnheiten ihm unbekannt waren, zu umgehen.
Wir wollen den Flüchtling in Weliki Ustjng verlassen und ihn
in einem zweiten und letzten Artikel anf seiner Wasserfahrt nach
Archangel und St. Petersburg begleiten.
Neapolitanische
Der Wasserträger Pasqnale Äolpe und Angelina Marucci
vom Fischmarkte.
Unter einer Bevölkerung, die von der Civilisation, welche
Allem einen gemeinsamen Stempel aufdrückt, nicht gänzlich durch-
drangen und überzogen ist, treten auch Originale und Charakter-
köpfe hervor. Gerade diese letzteren, bei denen gewisse nationale
Eigentümlichkeiten und Licht- wie Schattenseiten gegipfelt sind,
geben uns Winke über die Wesenheit des Volkes, dein sie angehören.
Auf den ersten Blick gewähren sie oft beinahe den Anblick von
Karikaturen, stellen sich aber bei genauerer Betrachtung als Ver-
treter der Gefühls-, Denkungs- und Handlungsweise des Volks
heraus, desseu Gesammtpulsschlag gewissermaßen in ihnen con-
centrirt zu seiu scheint.
Daß es in Neapel an solchen Charakterköpsen nicht fehlt,
wird Jeder zugeben, der Gelegenheit hatte, die Neapolitaner näher
Zu beobachten. Das Studium dieser Charakterköpfe erscheint aber
geradezu nothwendig, wenn man das neapolitanische Volk in
seinem ganzen Wesen und Walten kennen lernen und richtig benr-
theilen will. Das wird Jeder einräumen, der sich längere Zeit
niit ethnographischen Studien beschäftigt hat. Ich will hier einige
solcher Charakterfiguren unserer Tage schildern, welche sehr
verschiedenen Ständen angehören, und hoffe damit in das neapo-
litauische Volksleben einige tiefere Blicke zn eröffnen. Von unten
anfangend, will ich zunächst einen sogenannten Cap o d ei Popo-
Icuii oder Häuptling des Niedern Volkes in der Person des Signore
Pasqnale Volpe vorführen, der (ich will ihm damit nicht zu
sehr schmeicheln) eine Ader des alten Masaniello in sich hat.
Globus für 1862. Nr. 27.
Pasqnale Volpe ist seines Zeichens Wasserträger und
besitzt unter allen seinen Standesgenossen einen Einfluß, der so
magnetisch wirkt, daß ein Wink von ihm genügt, ein ganzes Volks-
quartier in Bewegung zu bringen. Seiue äußere Erscheinung ist
allerdings imposant. Eine hohe Gestalt, auf der ein Kopf mit
fast regelmäßigen, klassischen Zügen sitzt, umwallt von schwarzem,
lockigem Haar, über das die phrygische Mütze recht kühn und ver-
wegen gestülpt ist, vor Allem aber eiu schwarzes Augenpaar von
seltenem Glänze und ungemein durchdringendem Blick, verleihen
ihm ein Etwas, das unwillkürlich auch aus solche, die seine Be-
redtsamkeit nicht kennen, Eindruck hervorbringt. Diese Beredt-
samkeit Pasquale Volpe's geht freilich für Jeden verloren, der des
neapolitanischen Volksdialekts nicht mächtig ist. Wer diesen aber
versteht, muß durch die Fülle der Phantasie und durch die groteske
Ausdrucksweise dieses eigeuthümlicheu Mannes ans dem Volke
überrascht sein.
Ich war einst zugegen, als er seinen Standesgenossen in
kurzer, eindringlicher Rede anseinandersetzte, daß Garibaldi von
Caprera nach Neapel zurückkehren müsse, wenn Ordnung im Lande
werden solle, und erinnere mich daraus noch genau des folgenden
Bruchstücks:
„Die Piemoutefeu", sagte er, „mögen sehr ehrliche Leute sein,
das ist wahr. Ich sah noch keinen einzigen Piemontesen ein
Taschentuch stehlen. Aber haben sie sich nicht bemüht, vor Capua
die Ehre und den Ruhm der Südarmee und Garibaldis zu stehlen
Warum ließen sie ihn damals nicht nach Rom gehen ^ Warum
haben sie eiue Armee uach Neapel geschickt, die sich täglich von
uuserm Brote satt ißt, aber die Briganten nicht daran zu ver-
90
Neapolitanische
Charakterköpfe.
hindern weiß, daß sie unsere Felder anzünden? Per Bacco!
Ich sähe es lieber, daß die piemontesischen Soldaten unsere Hühner
und Gänse'stählen, wie weiland des Bonrbonen Garde that, als
daß sie uns das Brot vertheuern helfen. Hühner und Gäuse essen
die Siguori, aber das Brot ist die Speise des Volks. Victor
Emauuel ist gewiß ein König-Biedermann, aber seine Räthe sind
so gewiß Schurken, wie der Krater des Vesuvs ein verdächtiges
Bett ist. Wie käme es soust, daß er Garibaldi iu Verbannung
weilen und die von ihm gegebenen Befehle nicht vollziehen läßt,
da eres ihm doch, zum Dank für die beiden gescheukteuKrouen,
schuldig wäre? Warum wird der Mutter des Märtyrers Agesilao
Milano die ihr von Garibaldi dekretirte Pension nicht ausgezahlt?
Die Moderati sagen, weil Agesilao Ferdinand den Zweiten habe
umbringen wollen und dieser ein Verwandter des Königs-Bieder-
manns gewesen sei. Santa Madonna! das ist wahr! Aber Franz
der Zweite war doch sein Nesse und trotzdem hat er ihm nach Gaöta
so viele Bomben und Kanonenkugeln geschickt, daß er, wenn er
sich nicht in seine Kasematten verkrochen hätte, schwerlich mit guter
Gesundheit davon gekommen wäre! Nun frage ich, war das
nicht auch ein Attentat auf einen Verwandten des Königs? Und
Cialdini, der Vollstrecker dieses Attentats, ist deshalb doch vom
König-Biedermann zum Herzog von Gailla ernannt worden! Va
bene, die Welt ist rund und die Gerechtigkeit der
großen Herreu hat viele Gesichter. Aber den Garibaldi,
ein Sohn des Volkes und kein Piemontese, den soll und muß uns
der König-Biedermann wieder zurückgeben, sonst — nun, Ihr
wißt ja, was ich sagen will. Viva Garibaldi!"
Die Geschichte Pasquale Volpe's ist einfach, aber charakteristisch.
Er kam, wie der Volksausdruck sagt, als „uu sauciullo della
Madonna", d. h. als ein uneheliches Kiud, zur Welt, ward vou
einem Wasserträger adoptirt und erbte nach dessen Tode die Kunden.
Durch feine imponirende Gestalt uud Beredtsamkeit kam er bald
bei seine» Genossen iu Ansehe» uud ward, als die Bewegung im
Frühling 1848 ausbrach, ein „guter Patriot", dessen sich die
Liberalen zur Aufwiegelung des Volkes mit Erfolg zu bedienen
wußten. Während des Straßenkampfes vom 15. Mai 1848 stand
er Anfangs mit seinen Leuten auf Seite der Barrikadenkämpfer.
Während er eine Barrikade in einem Vico der Chiaja vertheidigte,
rückte gegen dieselbe neben einer Kompagnie Garden auch ein von
den Emissären des Königs gewonnener Hause Lazzaroui an. Einer
von diesen, der ein Compare (Gevatter) des Bolpe war, erkannte
ihn und rief ihm nach den ersten Schüssen zu: „Hört, Gevatter,
warum schießt Ihr denn ans Eure Brüder, die Söhne des Volkes?
Wißt Ihr nicht, daß der König blos die Siguori (vornehmen
Herren) züchtigen will, uud uns, wenn wir ihm beistehen, drei
Tage Erlanbniß zum Plündern gewährt hat!"
Das klang unserm „Helden" sonderbar in die Ohren, und er
rief den Seinigeu zu: „Haltet mit Schießen ein!" Dann stellte
er sich auf die Barrikade und sagte zu seinen Leuten:
„Habt Jhr's gehört, der König will den Siguori einen
Daumen auf's Auge drücken? Da hat er eigentlich recht. Wollen
die Siguori die Freiheit für uns oder für sich? Ich glaube, sie
würden uns Alle lieber beim Teufel sehen, ehe sie einen einzigen
Grano aus ihrer Tasche verlören. Der König will unter ihnen
aufräumen, und wenn wir ihm helfen, wird er unsere Dienste mit
den Dnkati der Signori bezahlen, die über uns die Nase rümpfen
und nus Cauaglia nennen, wenn wir ihnen keine Reverenzen
machen. Also hat der König recht! Viva il Re!"
Und Pasquale Bolpe ging zu deu Truppen über und half die
Liberalen besiegen und plündern. Das ist der „schwarze Fleck" in
seinem Leben, über den er sich immer mit den Worten entschuldigt:
„Mein Himmel, ich hatte so oft von der Straße aus an den
Palästen hinauf gesehen; ich war so neugierig ein Mal einen Blick
hineinzuwerfen. Und dann — die Signori sind eben so
wenig Freunde des Volkes wie die Piemontesen. Mit
dem Garibaldi war das etwas ganz Anderes."
Während der langen Reaktionsperiode von 1849 bis 1860
ließ die Polizei in Neapel auch die niederen Klassen nicht mehr nn-
geschoren. Das war den Liberalen ganz recht; als sie sahen, daß
das niedere Volk den Polizeidrnck ebenfalls zu verspüren begann,
machten sie sich an die sogenannten Capi dei popolani (Volks-
Häuptlinge), unter denen Volpe einer der ersten war, und suchten
die Leute für die „Sache der Freiheit" zu gewinnen. Die Siege
Garibaldis erleichterten ihnen dies Bekehrungswerk eben so sehr,
wie der Zauber, welcher den Namen dieses ausgezeichneten Mannes
im Volke umgab, und so ward Volpe mit seinen Leuten ein eifriger
Anhänger des Diktators, deu er mit leidenschaftlicher Ergebenheit
als einen „neuen Messias" verehrt. Die Piemontesen aber sind
ihm die verhaßten Stranieri (Fremdlinge), die er wie das gesammte
niedere Volk Neapels in das Land wünscht, wo der Pfeffer wächst.
Als Seitenbild zu diesem Originale wollen wir uns eine Dame
aus dem Volke, die bekannte Angelina Marncci, betrachten,
welche in dem Fischerviertel, d. h. an der Mergellina uud in der
Strada Santa Lucia beim Volke in großem Ansehen steht. Sie
selbst ist, mit Respekt zu vermelden, ein Fischweib. Bon der
Macht ihrer Zunge eiueu richtigen Begriff zu geben, dürfte äußerst
schwer halten. Wie der Vesuv unerschöpflich an Lava, so ist
Angelina reich an Ausdrücken des Lobes und Tadels, nnd selbst
ein Demosthenes dürfte ihr gegenüber im Wortgefecht einen Übeln
Stand gehabt haben.
Angelina ist über dieBlüthe der Jugeud schoubedeutend hinaus.
Ihre sehr fleischigen, von Pockennarben entstellten braunen Wangen
sind wohl vou mehr denn vierzig Frühlingen geküßt worden, und
vierzig Frühlinge siud für Fraueublüthe in Neapel keine Kleinig-
Seit. Sie ist klein und dick und liebt es ganz besonders, sich in
möglichst grelle Farben zu kleiden, die allerdings durch Staub uud
Abnutzung ein wenig gedämpft werden; denn Donna Angelina ge-
hört nicht unter die Zeloten der Reinlichkeit und denkt darüber so
fromm wie jeuer russische Möuch, der es geradezu für sündhaft
hielt, das Haus uud deu Körper rein nnd säuberlich zn halten, da
dies eine freventliche Anmaßung eines uns erst für den Himmel
bestimmten Genusses sei. Sie versichert Jedem, der es hören will,
daß sie in ihrer Jugend sehr schön gewesen sei, und lächelt dabei
mit ihrem etwas breiten Munde so schelmisch bedeutsam, als wenn
sie damit andeuten wolle, daß sie sich noch immer nicht aller Reize
eutledigt glaube.
Mehr jedoch als auf ihre Schönheit, ist sie auf den Einfluß
stolz, deu sie wirklich auf die Fischerbevölkerung ausübt. Wie sie
dazu gelaugt ist, vermag ich nicht zu sageu, denn sie ist schon lange
im Besitz der Prärogative für die Sibylle der Pescatori zu gelten.
Vermuthlich dankt sie ihre Stellung uud ihr Ansehen der dema-
gogischeu Eigenschaft ihrer Zunge. Da sie ungeheuer
fromm ist uud zu den eifrigsten Kirchenbesucherinueu Neapels zählt,
so sehen die Herren Preti ihre Macht nicht mit unliebsamen Augen
an uud bedieuteu sich früher ihres guteuHerzens nur zu oft, um der
armeu Fischerbevölkerung den letzten Grano für „kirchliche Zwecke"
aus der Tasche zu locken. Es geschah dies immer auf die einfachste
Weise von der Welt. Die Mönche brachten der guten Angelina
ein kleines laternenartiges Glaskästchen, in dem ein Bild des hei-
ligen Januarius (San Gennaro) steckte. Dies stellte sie auf
ihrem in der Strada Santa Lucia auf offener Straße mit Fischen
und Austern besetzten Ladentisch aus und forderte die Vorüber-
gehenden auf, die Glasscheibe gegen Hinterlegung eines Grano
zum Gesten ihrer armen Seele und all ihrer Sünden zu küssen.
Das wirkte immer und die Mönche standen sich gut dabei, denn
Angelina würde jeden Vorübergehenden mit ihrer furchtbaren
Zunge erdolcht haben, der sich geweigert hätte, das Kästchen zn
küssen.
Als Garibaldi in Neapel einzog, schwärmte sie für ihn als
den „neuen Messias des Volkes", wie ihn der Pater Gavazzi ge-
tauft hatte. Ja, sie hatte nicht eher Ruhe, bis sie im Palazzo Augri
ihm vorgestellt worden war und ehrerbietig seine Hände geküßt
Kleine Nachrichten.
91
hatte. Garibaldi hatte einige freundliche Worte zn ihr gesprochen,
durch welche sie so begeistert wurde, daß sie iu ihrem Fischerquar-
tier nicht müde wurde, Propaganda für ihn zu machen und gegen
den Einfluß der Borbonici anzukämpfen, welche damals die Fischer-
bevölkernng erkaufen und zu einem Aufstaud am 1. Oktober (gleich-
zeitig während der Schlacht am Voltnrno) bringen wollten.
Als der Diktator dann nach Caprera ins freiwillige Exil
gegangen und Fariui Statthalter von Neapel geworden war,
rieth ein Spottvogel der Angelina, jenem, der ein großer Ver-
ehrer der Damen sei, gleichfalls ihre Aufwartung zu machen. In
einer Anrede an die Fischer theilte Angelina diesen ihren Entschluß
mit, den Signor Farini, der die rechte Hand des Königs-Bieder-
mauu sei, besuchen zu wollen und ihm ihr Anliegen vorzutragen.
Sie warf sich in ihren grellsten Staat, ja verschmähte es sogar
nicht, znr Feier des Tages die von ihr sonst streng gemiedene Seife
in lebhafte Berührung mit ihren amazonenhaften Zügen zu briugeu,
und begab sich zum neuen Statthalter, wohl in der Hoffnung, von
diesem mindestens umarmt und geküßt zu werden. Welche Täu-
schung sollte ihr werden! Nach zweistündigem Harren iu einem
Vorsaale der Foresteria fing sie au ungeduldig zu werden und
einen der Livreebedienten über die lange Zögerung übel anzulassen.
Darüber kam es zu einem heftigen Wortwechsel und Geräusch.
Da tritt Herr Farini heraus, um sich nach der Ursache des Skan-
dals zu erkundigen. Als er die zornglühende Nymphe der
Mergelliua im vollen Ausbruch ihrer gauzeu Redseligkeit auf sich
loseileu sah, vergaß er die Rücksichten gegen die Damen, von
denen er nur die jungen liebt, so sehr, daß er sie eine Caragna
nannte und ohne Weiteres zum Tempel hinauswerfen ließ.
Die auf's Tiefste indignirte Demagogin kehrt ingrimmig
unter ihre Anhänger zurück, reißt vor den Augen der Fischer-
bevölkerung von ihrem eigenen Hanse die grünweißrothe Fahne mit
dem Kreuz von Savoyen herunter und erklärt den bestürzten
Leuten, daß der rechte Arm des Königs, d. h. Farini, ein Grobian
erster Klasse sei und daß die Könige alle über einen Leisten ge-
schlagen wären.
Kleine U
Vorsintfluthliche Menschen. Die Einpaarler, welche das
Menschengeschlecht sechs bis sieben tausend Jahre anf Erden sein
lassen, mit einem „Paradiese" und „Adam nnd Eva", sind schon
laugst mit den Geologen auf gespanntem Fuße, deren Epochen
Millionen von Jahren zählen. Die Geologen bringen Hand-
greifliche Beweise von voradamitischen Leuten. Am 4. Oktober
machte zn Cambridge in der Sitzuug der britischen Genossenschaft
für Förderung der Wissenschaften ein Herr Boyd Dawkins Mit-
theilnngen über die „Wookey Hole Hyena Den", eine Höhle,
welche dnrch Zufall entdeckt wurde. Mau faud sie völlig mit allerlei
Schutt, Steinen und organischen Ueberresten angefüllt. Dawkins
hat sie untersucht. Er fand Asche von Knochen, Knochen vom
Rhinoceros tichorrinus, uebeu Gerätheu aus Feuerstein, in ahn-
licher Weise wie sie (von Perthes) bei Amiens nnd Abbeville und
im südwestlichen England zu Tage gefördert worden sind ; sie waren
aber von roherer Arbeit und stammen vielleicht aus frühererZeit als
jene. Sie lagen unter Schichten von Maugauhyperoxydhydrat und
zerreiblichen Knochen; am Boden der Höhle fand er Ueberbleibsel
von Hyänen. Er zog den Schluß: daß Menschen in sehr frühen,
vielleicht iu deu frühesten Zeiten ihres Daseins, in dieser Hohle
wohnten, wie ja auch uoch jetzt Menschen in Höhlen wohnen. Sie
bereiteten sich ihre Werkzeuge uud Waffen aus Feuersteinen, die
aus den Kreidedünen in Wlltfhire kamen, uud aus einem Horn-
stein, welchen man gegenwärtig in dem grünen Sande der Black
Down Hills findet. Pfeilspitzen verfertigten sie aus Knochen. Sic
kannten" den Gebrauch des Feuers und des Bogens und konnten
wilden Thieren Widerstand leisten. Bor diesen Menschen waren
iu jener Höhle Hyänen, und nach ihnen gleichfalls. Dawkins
bat nahe an 1000 Knochen, 1015 Zähne und 156 Kinnbacken vom
Löwen, Wolf, Fuchs, zwei Bären, Dachs, Höhlenhyäne, Stier,
sechs Arten Hirsch, dem irischen Elenn, Pferd und zwei Arten
Rhinoceros gesammelt. Eine der letzteren, Rhinoceros heiuilocchus,
liefert deu Beweis, daß die Höhle der vorglacialen Periode an-
gehört, während die anderen organischen Ueberreste der nach-
glacialen Periode angehören.
Auch der belgische Paläoutologist Malaise hat in einer Höhle
bei Engihonl, Provinz Lüttich, Ueberreste fossiler Menschenknochen
gefunden. Die Höhle enthält ein Bett von porösem, kieseligem
Treibsand von zwei bis drei Fuß Dicke. Unter diesem befindet sich
eme nicht zwei Zoll dicke Stalagmitenlage, nnd als er diese
nutersuchte, fand er, von derselben bedeckt, zwei Unterkiefer und
drei Stücke vou einem Schädel. In jedem Unterkiefer befinden
sich die drei letzten Backenzähne, alle bis auf zwei sehr abgenutzt;
einer ist verfault. Die Schädelstücke sind als Fragmeute vom
Hinterhaupt und vou den Scheitelwandbeineu ideutisicirt worden;
eines der letztern ist sehr dick, nämlich 8 Millimeter. Eine sorg-
saltige Untersuchung ergab, daß diese Knochen in Bezug ansFarbe,
a ch r i ch t e n.
Grad der Zersetzuug uud Lagerstätte nicht abwichen von anderen
thierischen Ueberresten, welche mit und uebeu ihnen unter dem
Stalagmit lagen. — So hänfen sich die Thatsachen und Beweise
für das Dasein der Menschen in früheren geologischen Epochen.
Lartet hat fossile Menschenknochen beschrieben, an welchen er
Spuren vou Wunden fand, welche von einem schneidenden Werk-
zeuge herrührten, uud iu eiuem ägyptischen Hypogäum hat mau
einen Schädel gefunden, der alle charakteristischen Merkmale des
Negerkopfes zeigt.
Mensch und Affe. In England streiten sich die Natur-
forscher tapser über die eventuelle Verwandtschaft zwischen diesen
beiden Thieren herum. Wir unsererseits denken dabei an den
Ausspruch des alteu römischen Dichters, der mit einem allite-
rirenden Wortspiele sagt, daß ein so häßliches Vieh deu Meuscheu
sehr ähnlich sei:
Simia quam similis turpissima bestia nobis;
machen uns aber darüber gar keine Sorge, deuu in sehr viele»
Dingen, uud gerade iu deu hauptsächlichsten, ist der Affe doch kein
Mensch. So denkt auch der Archäolog Gardner Wilkinson,
welcher (im Athenäum vom II. Oktober) den Nagel auf deu Kopf
trifft. Er äußert sich in folgender Weife.
Während die Naturforscher darüber aus siud, die Aehulich-
leiten oder die Verschiedenheiten zwischen dem Gehirn und dem
Schädel des Menschen und des Gorilla nachzuweisen, gerathen
einige Leute in Unruhe darüber, daß es deu Affen wohl einfallen
könnte, sich für die Urahnen des Menschengeschlechts auszugeben.
Aber wir können nns darüber beruhigen. Welche Annäherung
auch zwischen dem Schädel der Menschen und der Affen gefunden
werden möge, so haben wir doch die Ueberzengung, daß der Unter-
schied zwischen beiden, sei er auch noch so klein, vollkommen hin-
reicht, um einen Schlagbaum zwischen der gegenwärtigen Ver-
wandtschaft beider Racen zu ziehen. Aehnlichkeit der äußern
Form h at offenbar weuig zu schaffen mit der Aehnlich-
keit der Intelligenz. Kopf und Gehirn der Hundearten sind
jenen der Menschen durchaus unähnlich, und doch kann sich kein
Tschimpanse, Gorilla oder irgend ein anderer Asse an Intelligenz
mit dem Hunde Messen. Man hat, wegen der Hand, des allge-
meinen Aussehens nnd des anatomischen Banes, welchen der Affe
aufweist, die Aehnlichkeit desselben mit dem Menschen übertrieben.
Aber weder die äußere Gestalt noch eine gewisse Übereinstimmung
des Gehirns hat den Asien befähigt, Eigenschaften zu zeigen, welche
der menschlichen Vernunft ähnlich wären. Jene Aehnlichkeit darf
uns aber nicht bennrnhigen, wenn wir sehen, daß die Intelligenz
des Hundes, dessen Gestalt und Schädel doch so wett von jenen
des Menschen abweichen, der menschlichen Vernunft sich weit mehr
annähert, als die Intelligenz des Affen.
12*
92 Kleine
Eine „Beunruhigung" über die Streitsrage ist wohl nur in
England möglich. _
Die Menschenracen. Wir finden in den Sitzungsberichten der
britischen Genossenschaft, Abthl. f. Geogr. u. Ethnologie, einige kurze
Mittheilnngeu über eitlen Bortrag des hochbejahrten Crawfurd,
dem wir eine treffliche Geschichte des Indischen Archipelagns, ein
malayisches Wörterbuch, eine Beschreibung seiner Reisenach Siam
und manche andere werthvollen Sachen verdanken. Crawfurd ist
ein ausgezeichneter Mann, der sich von vielen, in Großbritannien
noch landläufigen, in Deutschland und Frankreich von der Wissen-
schast längst beseitigten Vorurtheileu frei gemacht hat. Er trat
gegen die Einpaarler, die sogenannten Adam- und Eva-Mono-
genisten, ans. Er zeigte in seinem Vortrage, daß die Menschen-
racen, wenn sie nnvermischt bleiben, konstant bleiben, und daß
Zeit und Klima keine wesentliche Veränderung an ihnen hervor-
bringen. So ist der Neger in der Neuen Welt gerade so geblieben,
wie er in Afrika war und ist; der nnvermischte Spanier in Amerika
gleichfalls, so der Parsi in Indien. Das Klima hat keinen Einfluß
ans die Farbe. Die Lappländer leben nördlicher und sind doch
dunkler gefärbt als ihre südlichen Nachbarn, die blonden Norweger
und Schweden; jenseits des nördlichen Polarkreises wohnen die
bräunlichen Eskimos, deren Farbe an jene der Malaym unter dein
Aequator erinnert. In Südafrika leben gelbe Hottentotten und
Buschmänner unmittelbar neben tiefduuklen Racen und den
schwarzen Negern. „Zwischen derHaut färbe des a fr i k a -
nischen Schwärzen und jener des weißen Europäers,
zwischen einem Hindu und einem Chinesen, einem
Australier uud einem nordamerikanischen Jndier ist
ein eben so großer Unterschied, wie zwischen Wolf,
Schakal und Fuchs. Die Argumente, welche man für die
Einerleiheit des Menschengeschlechts aus anatomischen Gründen
herleitet, würden gleichermaßen beweisen, daß zwischen Schweinen
und Bären und den znr Familie Eanis gehörenden Thiereu keiu
Unterschied sei."
Crawfurd faud sehr schwache Gegner. Sir Charles Nicholson
behauptete unter Anderm: in Indien seien die Juden schwarz ge-
worden. Er meinte wohl jene in Malabar; aber die deutsche
Kritik hat längst sonnenklar nachgewiesen, daß diese malabarischen
Inden gar keine Semiten sind, sondern eingeboreneMalabaren.
In China seien die Juden äußerlich ganz zu Chinesen geworden,
und es wäre doch bekannt, daß die Juden nur unter sich selber
Heirathen abschlössen. In Amerika zeige sich bei den Weißen eine
Annäherung an die Physiognomie der Indianer; sie verlören den
Bart und ihr Gesicht würde beilartig.
Solche Art zu argumentum dürfte mau in einer deutschen
Naturforscherversammlung nicht zur Schau tragen.
Thierleven in der Meerestiefe. Das Thier- nnd Pflauzeulebeu
im Ocean ist nicht etwa unordentlich durcheinander vertheilt, sondern
die verschiedenen Arten wohnen in bestimmten Zonen, Gürteln,
die bei der höchsten Flutmarke beginnen und abwärts bis in die
größte Tiese reichen, welche mit Hülse des Senkbleies ergründet
worden ist. Die europäischen Meere hat mau in vier Gürtel ge-
theilt; jeder derselben enthält seine eigenen typischen Organismen
oder Gruppen von Organismen; doch sind auch einige Organismen
allen, und andere nur zwei oder drei Gürteln oder Zonen gemeinsam.
Die erste Zone liegt zwischen der höchsten und niedrigsten Flut-
marke, die zweite vom niedrigsten Ebbestande bis zu 15 Faden
Tiefe (der Faden hält 6 Fuß, eine Klafter); die dritte ist die so-
genannte Korallenzone und reicht 30 Faden tiefer als die zweite, und
die vierte oder tiefe Korallenzone umfaßt die übrige Tiefe.
Lange nahm man an, daß tiefer als 300 oder höchstens 550
Faden das Leben völlig erlösche oder doch nur sehr schwach sein
könne; das thierische Dasein beschränke sich in der tiefen Korallen-
zone auf Tiefen, die au verschiedenen Oertlichkeiten nur wenig ver-
schieden seien. Die Verhältnisse von Druck, Luft, Temperatur
uud Licht wären iu großen Tiefen dem Thierleben hinderlich, und
diese seien leblose Einöden. Neuere Forschungen haben diesen
Jrrthnm beseitigt und das Athenäum vom 1l. Oktober bringt
dafür aus Wallich's neuesten Berichten allerlei Belege.
Wallich, welcher 1860 vom Schiffe Bulldog aus im Nord-
atlantisch«! Oceau Tiefmessungen vornahm, stellt fest, daß
Thierleben sehr reichlich in weit größerer Meeres-
tiefe vorhanden sei, als man seither annahm. Die
Forschungen erstreckten sich bis in die neueste Zeit vorzugsweise
auf europäische Seetheile in der Nähe der Küsten, nicht auf die
„düsteren, uuergrüudeten Tiefen des Oceans". Nun sagt Wallich
im Wesentliche» Folgendes :
Die natürlichen Bedingungen, welche in sehr beträchtlichen
Tiefen vorwalten, sind zwar wesentlich verschieden von denen, die
näher der Oberfläche zn als maßgebend erscheinen, aber sie sind
nicht unverträglich mit dem Thierleben. Man hat früher dagegen
folgendes eingewandt: Die Erfahrung habe gelehrt, daß Wasser
in einer Tiefe von 1000 Fuß aus den '/z^sten Theil seiner eigenen
Masse zusammengedrückt wird; bei beträchtlicheren Tiefen würde
die Compressiou wohl uoch stärker sein; dort würden auch Sand,
Schlamm ic. zusammengedrückt und komprimirt werden. Darüber
konnten allerdings nur wirkliche Peilungen Aufschluß geben.
James Roß bemerkt in seiner Reise nach den südlichen Polar-
meeren (1839 bis 1843), der allgemeinen Annahme der Natur-
forscher entgegen, habe er keinen Zweifel, daß man auch iu deu
allerbeträchtlichsteu Tiefeu Thierleben finden werde; denn auch der
stärkste Druck in der größten Tiefe scheine diese Kreaturen nicht zu
assicireu. Wir haben , sagt er, bisher keinenPnnkt über 1000 Faden
hinaus bestimmen können, aber aus dieser Tiefe sind, mit dem
Schlamme zugleich, Muschelthiere zu Tage gefördert worden.
Damit deutet er auf die Peilungen von John Roß im Jahre 1819.
Gegen negative Schlüsse war also eine positive Erfahrung gegeben.
Aber man machte noch immer den „starken Druck" geltend
gegen submarines Leben in großen Tiefen; dann auch Mangel an
Luft, Licht und Nahrung. Allerdings beträgt der Druck bei einer
euglischeuMeile (l760Uards) 2640Pfund, gleich 160 Atmosphären,
aus jeden Quadratzoll' Bei 4000 Faden, also etwa 41/2 Meile,
beträgt er 750 Atmosphären, nnd bei einer Tiefe von 2() Miles
würde Wasser, das von allen bekannten gemischten Stoffen ain
wenigsten kompressibel ist, auf ein Einundzwanzigstel seines ursprüng-
lichen Volumens zusammengedrückt werden. Ein solcher Druck müßte
ohne allen Zweifel solche Thiere zerstören, welche derart geeigen-
schastet sind, daß sie unter einem Druck vou nur wenigen Atmosparen
leben können; aber solchen, welche vermöge ihres Baues die Fähig-
keit besitzen, sich sehr verschiedenen Tiefen anzubequemen nnd das
Princip progressiver Anpassung in sich haben, solchen Thieren
würde dieser starke Druck uichts anhaben. Und wenn außerdem
der Uebergaug von einem Grade des Druckes zu einem andern nur
allinälig und das Thier auch uoch einfach organifirt ist, so mag
es sehr verschiedene Grade des Druckes aushalten können. Selbst
der Mensch kann eine Verminderung von fast der Hälfte des nor-
malen Druckes aushalten, wenn sie allmälig und stufenweise statt-
findet.
Läßt man diese Beweisführung als richtig gelten, so kann
man begreifen, daß Wallich Seesterne (Ophiocomae) aus einer
Tiefe von beinahe anderthalb Miles, 1260 Faden, herauszog,
Als sie aus dem Wasser an's Licht kamen, waren sie nicht nur
lebendig, sondern bewegten noch anderthalb Viertelstunden lang
ihre Stacheln. Während man sie aus der Tiefe heraufzog, ge-
wöhuten sie sich allmälig an den verminderten Druck, der vou
anderthalb Tonnen (3000 Pfund) auf den Quadratzoll sich bis zu
15 Pfund verminderte. Sie gingen durch jede Zwischenstufe und
wären vielleicht noch länger am Leben geblieben, wenn man sie in
ihrem natürlichen Element gelassen hätte. Aus dieser Thatsache
zieht mau nuu die Folgerung, daß Kreatureu von ähnlichem Bau,
bei hinreichend allmäliger Abstufung, jeden Druck aushalten
können.
Nuu erheben sich allerdings Zweifel, ob jene Seesterne
wirklich aus einer Tiefe vou 1260 Fadeu heraufgeholt worden
sind; sie könnten ja ans einer geringem gekommen sein. Dem
widerspricht Wallich ganz entschieden'. Er bemerkt, daß er von
den Seesternen, unmittelbar nachdem er sie am Bord hatte, einen
genau untersuchte uud in der Verdauungshöhle eine Anzahl frisch
aussehender Globigerinae mehr oder weniger aufgebrochen
fand, winzig kleine, gestaltlose gelbe Partikelchen, einige wenige
hellgelbe Oelkügelchen und etliche Eierchen. In zwei anderen
Seesternen, welche er nachher untersuchte, fand er auch solche
Globigerinae. Bei demselben Fange, welcher jene Ausbeute ergab,
uud bei manchen anderen kamen auch kleiue walzenförmige Röhren
vor, die ganz ans sehr kleinen Globigermen, Muscheln nnd noch
winzigkleineren Kalkresten zusammengebaut waren. In den Röhren
befanden sich einige Arten von Anneliden. Nun beweist das Vor-
handensein von solchen Annelidenröhren allerdings nicht die Lebens-
kraft ihrer Insassen in jenem Augenblicke, noch jene der Foramini-
sera und der Schwämme, welche das Material zum Bau der
Röhre hergeliefert haben. Aber wir wissen, daß alle Anneliden,
die in Röhren wohnen, ganz wesentlich Geschöpfe sind , die nur auf
dem festen Grunde leben, und daraus ergiebt sich mit Sicherheit,
einmal, daß die Röhren auf dem Meeresgründe gebaut werden,
nnd sodann, daß Anneliden dort vorhanden sind, welche jene
Röhren gebaut haben. Globigerinen schwimmen nicht umher und
bilden keine Ablagerungen in seichtem Wasser. Man ist deshalb
zu dem Schlüsse berechtigt, daß jene Seesterne ans dem tiefen
Meeresgrunde wohnen und sich dort ernähren.
Wallich brachte ans der Tiefe vou 1260 Faden nicht weniger
als dreizehn Seesterne heraus; ihr Durchmesser betrug von zwei
bis fünf Zoll; sie hatten sich konvulsivisch an einen Theil der Loth-
Kleine
letne angeklammert, welche unten an der Hauptleine befestigt war
und lange genug auf dem Meeresgrunde gelegen hatte, um den
^eesternen zum Anklammern Zeit zu lassen. —'
Wir haben irrt Globus I, Seite 284, mitgetheilt, daß auch
Torrel auf seiner Expedition nach Spitzbergen Tiefmessungen
veranstaltete. Er ließ, vermittelst des sogenannten Mac Clintock-
Apparates, aus einer Tiefe von 2800 Jards eine kompakte Masse
^-hons heraufholen; daran fand er verschiedene Seethiere, namentlich
em Polyparium, und an demselben einige Tuuicata, eine zwei-
klappige Muschel, Anneliden und eine hellfarbige Crustacee.
Das Athenäum hebt diese Thatsache hervor und legt nament-
uch auf den Umstand Gewicht, daß die Crustacee hellfarbig ge-
Wesen sei. Es sei nun der Beweis geliefert, daß Organismen,
welche eigentlich darauf angelegt sind, in seichtem Wasser zu leben,
m großen submarinen Tiefen leben und sich akklimatisiren können.
Auch die Seesterne, welche Wallich aus 1260 Faden Tiefe bekam,
waren so glänzend gefärbt, als ob sie stets in gemäßigten Meereszonen
und im seichtesten Wasser gelebt hätten, während, seltsam genug,
Individuen derselben Species, die man in den westgrönländischen
Föhrden aus einer Tiefe von 100 bis 200 Faden erhielt, dnukel-
farbig waren.
Eine Walfischjagd lici den Orkaden. Man behauptet oft, daß
die Zahl der Walfisdje beträchtlich abgenommen habe, seitdem sie
in allen Meeren so eifrig verfolgt werden. Die Zahl der gewöhn-
lichen Walfische und jener, welche das Sperinaceti liefern, mag
allerdings etwas vermindert worden sein; daß aber immer noch
Walthiere in sehr großer Menge vorhanden sind, leidet keinen
Zweifel, denn die Beweise dafür sind vorhanden. Eben jetzt
meldet eiu Blatt, der Orkney Herald, daß sich bei der Insel
Scapa an einem schönen Tage, Mitte Oktobers, ein Schwärm
von „Bottle noses" habe blicken lassen. Die ganze Bevölkerung des
Fleckens lief zusammen, um das merkwürdige Schauspiel zu 'beob-
achten. Der Schwärm zählte zwischen zwei- bis dreihundert
Walthiere, und mehr als achtzig Rnder- und Segelboote stachen
sofort in See, um sie auf den Strand zu treiben. Die Wale
schwammen der Küste zu, die Boote fuhren ihnen in den Rücken,
bildeten einen großen Halbmond und boten Alles anf, die See-
ungethüme gn die Küste zu jagen. Bon einem Ende dieses Halb-
kreises bis zum andern schrien und riefen die Bootsleute uuaufhör-
hch, um die Wale zu erschrecken; das Wetter war prächtig und eiu
frischer Wind wehte nach dem Laude hin. Mau glaubte sich schon
einer reichen Beute sicher. Der Strand von Scapa ist für eine
solche Jagd ganz geeignet, und geriethen die Wale auf den Strand,
so war sicher, daß kein einziger mit dem Leben davon kam. Sie
waren der Küste schon ganz nahe, die Seelente hatten ihre Har-
Punen und Lanzen zur Hand, viele waren schon bereit ins Wasser zu
springen und das Gemetzel zu beginnen. Aber die Wale merkten
Unrath, machten wie ans Befehl' eine Schwenkung, drehten sich
allesammt um, streckten ihre glänzenden Flossen und schwarzen
Kopfe über das Wasser und schwammen rasch wieder nach der
hohen See zu. Dann theilten sie sich in zwei Abtheilungen, durch-
brachen tapfer und rasch die Bootlinie und dabei war der Oceau so
bewegt, daß mehr als eiu Fahrzeug in Gefahr kam, zu kentern.
Der ganze Vorgang war in hohem Grad aufregend. Die Wale
sammelten sich, nachdem sie dem Feind entgangen waren, zu einem
großen Haufeu und schwammen in „prachtvollem Style" weiter.
Ihre großen Rückenflossen glitzerten in der Sonne und ans den
löchern des Kopfes spritzten sie Sänlen von Gischt hoch in die Luft.
Die Bootsleute wollten sie verfolgen und legten sich mit aller Ge-
lvalt an ihre Ruder, aber bald warm die Wale eine Meile weit
voraus, und der Abend brach ein.
Zur Gesittung in Korsika. Anf dieser Insel ist noch Vieles,
man weiß nicht, soll man sagen halbwild oder barbarisch. Jüngst
fiel uns eiue Arbeit von Clement in die Hände, in welcher amt-
liche Ziffern den Beleg zu diesem Ausspruche geben. Die französi-
[che Regierung hat sich namentlich unter König Ludwig Philipp
Mühe gegeben, der Insel aufzuhelfen, und bis zum Jahre 1855
"fche an 20 Millionen Francs für Straßenbau verwandt, so daß
vier Fünftel der 364 Gemeinden, welche die Insel zählt, Verbin-
oungswege hatten. Aber die Dörfer liegen zumeist auf steilen Höhen,
die Ebenen und das Flachland überhaupt hat man zum großen Theil
^'Unldern und versumpfen lassen, und ein großer Theil ist mit
aJ1s, Waldgestrüpp, überzogen. Der Moräste wegen ist das
kerland im Allgemeinen ungesund. Ein Drittel des Landes ist
sur Ackerbau nicht geeignet, aber auch 243.000 Hektaren (je 200
^uadratruthenj eignen sich für Weinrebe, Oelbanm, Kastanien:c.,
egen aber völlig wüst. In den angebaneten Distrikten wird die
» Ute von Arbeitern besorgt, die vom italienischen Festland, ans
> ucca, nach der Insel kommen. Ein sachverständiger Landwirth, j
93
Moll, hat aus eigener Beobachtung sich überzeugt, daß in einem
großen Theile der Insel auch der ärmste Bauer es verschmäht, das
Land zu pflügen, zu besäen, Bäume zu pflanzen oder auch nur die
Weinstöcke zu beschneiden; das Alles läßt er die Lncchesen verrichten,
welche er dafür baar bezahlt. „Die Korsen wenden sich von
aller Arbeit ab, bei welcher man sich bücken muß; aber
weniger aus angeborener Trägheit oder ans eigentlichem Hang znm
Nichtsthnn, als aus Hochmnthsdünkel, aus übelverstandenem
Stolze."
Die Volksmenge ist auf der Insel, die 159 Geviertmeilen
Flächenraum hat, von 120,671 Seelen im Jahre 1741 auf 240,183
im Jahre 1856 angewachsen. Sie könnte aber, wie in den Römer-
zeiten. bequem eine Million Seelen ernähren. Das Klima ist in
den nichtsnmpsigen Gegenden prächtig, viel milder noch als das
von Nizza, und die Moräste könnte man austrocknen. Wir haben
neulich im Globus darauf hingewiesen, daß auf manchen Inseln
des hinterindischen Archipelagns das Mark von ein paar Sago-
bänmen hinreicht, um vielen Menschen das ganze Jahr hindurch
ihre Leibesnahrung zu verschaffen. Anf Korsika lebt eine Bauern-
familie von dem Ertrage, welchen ein paar Dutzend süße Kastanien-
bäume geben, und Milch und Fleisch hat sie von der Ziegenheerde,
deren Unterhaltung nichts kostet, denn das Vieh wird in's Freie
getrieben. Deshalb arbeitet der korsische Hirt nicht, oder höchstens,
um sich eine Flinte zu verschaffen.
Erb feindsch aft zwischen Familien und Ortschaften, Blnt-
räche, bildet noch immer eine wahre gesellschaftliche Pestbeule auf
der Insel. Wenn folgende Ziffern nicht amtlich beglaubigt wären,
so würde man sie kaum glauben. Der Präfekt von Ajaecio hat
nachgewiesen, daß im Verlaufe der dreißig Jahre von
1821 bis 1851dieZahl der Meuchelmorde viertausend
dreihundert und neunzehn, sage 4319. betrug; dnrch-
schnittlich also in jedem Jahre etwa 150. oder alle
48 Stunden ein Mord. Kein Korse, der älter als zwölf oder
vierzehn Jahre war, ging unbewaffnet; er trug anf dem Feld, anf
dem Markt, in der Kirche selbst, ein paar Mordgewehre. Der
Unfug war so arg geworden, daß die Regierung endlich, im Jahre
1853, zunächst auf fünf Jahre ein Gesetz erließ, demgemäß Nie-
mand mit Waffen ausgehen durfte. Im Jahre 1852 waren 129
Individuen wegen Mordes vernrtheilt worden, 1855 nur 42; die
guten Folgen des Gesetzes traten also bald zu Tage. In dem letzt-
genannten Jahre kam anf der ganzen, gewerblich allerdings sehr
tiefstehenden Insel kein einziger Bankerott vor, aber nicht weniger
als 19,813 Individuen wurden polizeilich bestraft; Kindsmord,
Fälschung, falsches Zengniß, Falschmünzerei kamen gleichfalls nicht
vor. In neuerer Zeit widmet die Regierung dem Volksunterrichte
größere Sorgfalt; die Kirche und die zahlreiche Geistlichkeit, deren
Beruf es gewesen wäre, sich darnm zu bekümmern, haben ihn aus
das Aergste vernachlässigt. Die gebildeteren Klassen sind ämter-
' Korsika, das alte Kyrnos, war im Alterthum eine Korn-
kammer und zählte, nach Plinius, dreiuuddreißig blühende Städte.
Es könnte fruchtbar sein wie Aegypten, hat herrliche Häfen, der
Oelbaum gedeiht wunderbar. Aber heute findet man aus der
ganzen Strecke von Calvi bis zum Golf von Porto, vom Gestade
des Meeres bis zum Gebirge kein einziges Dorf, keinen nr-
bar gemachten Acker, sondern nnr Moräste, Wildniß und Ge-
strüppwälder!
Der schwarze König von Dahome ruht uud rastet nicht; er
schlachtet unermüdlich Menschen ab und veranstaltet unablässig,
zum Jubel seiner Unterthanen, blutige Festopfer. Wir haben schon
mehr als einmal diese Abscheulichkeiten, welchen ein religiöser Wahn
zu Grunde liegt, geschildert, und es widersteht uns, noch einmal
näher darauf einzugehen. Aber wir können doch nicht umhin, einige
Züge mitzntheilen.
Der Befehlshaber des englischen Kreuzers Griffin, Komman-
deur Perry, lag am 6. August vor Kl ein-Pop o, einem Hafen
vor der Küste von Dahome. Am Tage vorher erhielt er einen
Brief von dem holländischen Kaufmann En schart, der ein Han-
delshans in Groß-Popo hat, und folgte dessen Einladung zum
Besuche. Euschart ist als ein glaubwürdiger Mann bekannt und
sein Bericht, welcher der englischen Regierung überschickt worden
ist, enthält sicherlich die reine Wahrheit.
König Bahadnng wollte einmal einen Holländer sehe».
Als Euschart in Handelsgeschäften dm zn Dahome gehörenden
Hafenplatz Whaidah besuchte, überschickte ihm der Herrscher seinen
Stab, das Symbol königlicher Befehle, und ließ ihn nach der
Hauptstadt Abome entbieten. Die KabosirS (Beamten) erklärten,
sie würden ihn mit Gewalt dorthin bringen, wenn er nicht gut-
willig gehe.
Am 26. Juni legte er sich in eine von sechs Negern getragene,
von Soldaten geleitete Hängmatte, war am Abend des 28. iu
94 Kleine
Abome, bekam ein hübsches Haus zur Wohnung und wurde am
30. vom König empfangen, der ihm seine Freude darüber aus-
drückte, daß er auch einmal einen Holländer sehe, und zwar gerade
jetzt, da er sehr viele Leute zum Abschlachten bereit habe. Dann
mußte Euschart viermal auf des Königs Gesundheit trinken, wäh-
rend die Kabosirs um ihn herumtanzten und Gewehre abfeuerten.
Am 1. Juli feierliche Audienz beim Könige, der von seiner
weiblichen Leibwache, den vielbesprochenen Amazonen, umgeben
war. Bahaduug sprach portugiesisch.
Am 5. Juli. Man führte den Holländer auf den Marktplatz,
auf welchem während der Nacht viele Leute abgeschlachtet worden
waren. Euschart sah die Leiche eines Schwarzen aus Sierra Leoue;
dieser Mann war zuletzt Missionar zu Jschagga in Aornba gewesen
und wahrscheinlich während des letzten Vernichtungszuges, welchen
Bahadnng dorthin unternommen hatte, gefangen genommen worden.
Man hatte ihn an einem Baume gekreuzigt. Der König saß aus
einem Gerüst, hielt kriegerische Reden an das Volk, versprach, im
November wieder einen Kriegszug gegen Abbeokuta zu nnterneh-
meu und ließ Kanrimnscheln, welche bekanntlich die Scheidemünze
des Landes bilden, Baumwollenzeug und Rum vertheilen. Euschart
sah ganze Reihen frischer Menschenköpfe aufgestellt; sie bluteten noch.
' Vom 5. bis 10. Juli durfte der Holländer fein Haus nicht
verlassen. Am 10. verspürte er ein Erdbeben; es war dasselbe,
welches auch in der Hafenstadt Akkra Verwüstungen anrichtete
Der König ließ den Europäer auf den Markt holen, wo er, von
den Amazonen umgeben, auf seinem Gerüste saß. Er äußerte, die
Erdstöße seien seines Vaters Geist, welcher Klage dar-
über führe, daß die Bräuche (nämlich die Blutopfer)
nicht in gehöriger Weise gemacht worden seien. Gleich
darauf ließ er drei gefangene Jschagga-Häuptlinge vorführen und
sprach: „Geht und berichtet meinem Vater, daß die Opfer von nun
an besser als je sein sollen." Daun bekam jeder von ihnen eiue
Flasche Rum und eine Anzahl Kanris, wahrscheinlich als Reisegeld
in die Ewigkeit, und nun schlug man ihnen die Köpfe ab^ Nachher
wurden vierundzwanzig Männer, die man derart in Körben be-
festigt hatte, daß nur die Köpfe zu sehen waren, dem Volke vor-
geworfen und von diesem unter Tanz, Gesang und Geschrei todt-
geschlagen. Wer so glücklich war, einen Kopf zn erbeuten, erhielt
vom Könige zwanzig Silbergroschen Belohnung.
Am 11. Juli abermals großes Abschlachten.
Am 12. Juli wurden die Gerüste abgebrochen und das Volk
belustigte sich den ganzen Tag über mit Singen, Tanzen und
Schießen.
Nun wurden zehn Tage lang keine Menschen bei Sonnen-
licht abgeschlachtet, wahrscheinlich aber bei Nacht.
Am 22. Juli führte man Herrn Euschart aus seiner Wohnung,
um bei den Opfern im Palaste des verstorbenen Königs, der Ghezo
hieß, anwesend zu sein. Wir wollen die Metzeleien nicht näher be-
schreiben; der König opferte dem Fetisch, und wenn Euschart sagt,
daß die Zahl der versammelten Truppen wohl 50,000, einschließ-
lich 10,000 Amazonen, betragen habe, so greift er mindestens um
das Doppelte zn hoch. Nach diesem Opfertage durfte er wieder
abreisen.
Seiu Bericht enthält offenbar nur glaubwürdige Sachen; denn
so ziemlich dasselbe ist auch von Forbes, Duucan und den k ath o-
tischen Missionären berichtet worden, welche alle eine freund-
liche Aufnahme in dieser blutbefleckten, afrikanischen Charakterstadt
gefunden haben.
Die Ntger in Central-Amerika. Wir schilderten neulich
(S. 17 bis 23) die Stellung der Schwarzen und Farbigen in
Nordamerika, und theilten die Rede mit, welche Präsident Lincoln
an eine Deputation dieser Leute gehalten hat. Er wollte sie zur
Auswanderung nach Central - Amerika überreden; dort,
sagte er, habe man gegen ihre Race nichts einzuwenden. Wir
unsererseits wußten aber sehr wohl, daß man dort allerdings viel
gegen dieselbe einzuwenden hat, nnd machten (S. 19) ein Frage-
zeichen. Lincoln hat inzwischen den von Schwindlern auf_ das
Tapet gebrachten Auswanderungsplan wieder aufgeben müssen.
Wir finden in einem Briefe aus Panama vom 28. September in
der Augsburger Allgemeinen Zeitung Folgeudes, und bitten die
Leser, damit unsere Bemerkungen über die freien Neger in West-
indien S. 84 zn vergleichen.
„Die Zeitungen ans Costarica, Nicaragua und Guatemala,
welche uns der letzte Dampfer brachte, enthalten energische
Proteste gegen dieNegereinwauderuug, welche Lincoln den central-
amerikanischen Republiken als eine besondere Gabe des Nordens
zugedacht hat. Man h at hier v on der schwarzen Race schon
mehr als genug und sträubt sich gegen das fatale
Geschenk."
„Der freie Neger ist in Central-Amerika roh, frech,
sinnlich, träg und arbeitsscheu, obwohl er das heiße Küsteu-
klima besser verträgt als jede andere Race. Alle übrigen Racen
scheuen die Mischung mit der afrikanischen, denn sie bringt
keinen Segen, und die Bastarde, welche sie mit Weißen
und Indianern erzeugt, siud noch viel schlechter und laster-
h after als die Schwarzen von nnvermischtem Blute.
„WennCostarica ausuahmsweiseeiuglücklichesLandund,im
Vergleich mit allen übrigen Republiken im spanischen Amerika, ein
Musterstaat ist, so glauben gute Beobachter den Hauptgrund
einzig und allein in der Reinerhaltung der weißen
Race daselbst zu finden. Costarica hat, wie Chile, nur
äußerst wenige Neger."
Der Korrespondent der Allgemeinen Zeitung trifft den Nagel
auf den Kopf und hat vollkommen Recht. Die verschiedenen großen
Menschenracen haben ganz verschiedene Knltnrwerthe, An-
lagen und Begabungen.
Dieses sogenannte Racenproblem und die Stellung der
dunkelfarbigen Menschen und der Mischlinge zur Civilisatiou uud
Kultur ist in unseren Tagen von ganz ungeheurer Bedeutung. Mit
den platten Redensarten von der „Gleichheit aller Menschen"
kommt man nicht um einen Schritt weiter nnd erklärt rein gar
nichts. Die Sache mnß tiefer aufgefaßt werden, und die That-
fachen und Erfahrungen müssen, gegenüber der scheinphilanthro-
pischen Floskel, zu ihrem Rechte kommen.
Wir werden im Globus eine Reihe von Beiträgen zur Er-
örteruug dieser Frage geben, aus deren richtige Beantwortung,
nicht blos für Amerika, ungemein viel ankommt.
Die neuesten Entdeckungen in Australien. In der jüngsten
Zeit sind vier verschiedene neue Reisewege iu den Karten
von Australien verzeichnet worden. Jener von Bnrke und Wills
liegt am weitesten nach W e st e n hin und fällt im Allgemeinen mit dem
141." Ö. L. zusammen. Die Route Landsborongh's liegt etwa
einen halben Grad weiter nach Osten hin, jene Walker's noch mehr
östlich; dann folgt Leichhardt's Route am Burdekiu aufwärts,
welche später Gregory in umgekehrter Richtung nahm. Diese
Wege gehen von einem gemeinschaftlichen Punkt aus uud liegen
zwischen einer Linie, die man von der Spitze des Carpentaria-
bnsens einerseits nach Süden hin zieht, andererseits nach Südosten
hin. Innerhalb derselben liegt die „Region der Entdeckungsreisen
im Nordosten". Die östliche Hälfte des großen Kontinents ist nun
zum allergrößten Theil erforscht worden, doch bleibt immerhin noch
manche Lücke ansznfülleu. Aber von Laudsborough's Reiselinie
liegt nach Westen hin noch die andere Hälfte Australiens, etwa so
groß wie ein Drittheil von Europa, und dort ist für Entdecknngs-
reisende noch ein großes Feld offen. Stuart durchzog den kleinen
Theil, welcher zwischen Adelaide nnd dem Victoriaflusse liegt, aber
westlich davon breitet sich eine unbekannte Welt aus, namentlich jene
vom Spencergolf im Süden bis zum Exmonthgolf im Nordwesten.
DieAnstralian and New Zealand Gazette bemerkt ganz richtig, daß
es ganz eitel sei, über die Beschaffenheit dieser Region Muthmaßuugeu
aufzustellen; möglicherweise könne sich aber herausstellen, daß West-
australien im Norden nicht von einer dürren Wüstenei begrenzt
werde, und das Gestadelaud im Westen und Nordwesten einer eben
so großen Entwicklung fähig sei, wie jenes auf der Ostseite. „Das
Land mag wohl nicht so üppige Weideländereien darbieten, wie
man sie in den hochknltivirten Gegenden Englands findet, und die
Australier selbst heben hervor, daß die Gegenden, welche jetzt schon
beweidet werden, allen Denen, welche an das saftige Grün engli-
scher Wiesen gewöhnt sind, äußerst trocken und ausgedörrt erschei-
neu. Aber das Hornvieh gedeiht doch auf Strecken, auf denen,
nach den Ansichten englischer Landwirthe, sich kein Thier ernähren
könnte." —
Das ist richtig. Als Viehweide mag ein großer Theil des
innern Australiens Nutzen haben können; aber zn einem Kultur-
lande können Gegenden, denen alle Gliederung fehlt und die doch
immer halb und halb Wüsteneien bleiben müssen, nicht werden.
Die Kolonie Queensland im nordöstlichen Australien. Wir
werden demnächst im Globus eine ausführliche Beschreibung
dieser Region geben, welche schon jetzt eine nicht geringe Bedeutung
gewonnen hat. Diese steigert sich rasch, und die letzten Nachrichten
aus der Hauptstadt Brisbaue, vom 18. August, geben abermals
dafür Beweise.
Die europäische Einwanderung strömt rasch herbei. Binnen
vier Wochen, im Juli, waren nahe an 2000 Köpfe eingetroffen,
in Schiffen aus Liverpool, Hamburg, Glasgow und London.
Dazu kamen noch etwa 500 aus anderen australischen Kolonien,
und so erhielt Queensland im Laufe eines Monats einen beträcht-
lichen Zuwachs an kräftigen Leuten. Auf einem Liverpooler Schiffe
Kleine
waren unterwegs 50 Lente am Typhus gestorben. Wir wollen bei-
läufig bemerken, daß die Engländer iu Bezug auf zweckmäßige
Ordnung und Sorgsalt für die Auswanderer noch lange nicht so
weit sind, wie unsere Bremer und Hamburger.
Die Kaufleute in Brisbane und Jpswich haben ange-
sangen, die Wolle, welche bis jetzt das Haupterzeuguiß des
Landes bildet, unmittelbar, nicht mehr über Sydney, uach Europa
zu verschiffen. Die Kolonie ist auch reich an nutzbaren Hölzern
und an Steinkohlen; sehr werthvoll zu mancherlei Gebrauch ist
namentlich die Ceder- oder Moretonbay-Fichte, die wohl künftig
lm Schiffsbau eine Rolle spielen wird.
Die Queenslander sind Leute der „Ausdehnung"; sie haben
von Brisbane an der Moretonbay, das etwa unter 33° S. Br.
liegt, schon weiter nach Norden hin einige Niederlassungen ge-
gründet, unter welchen Port Denison, 20"S.Br., die wichtigste
ift- Sie blüht rasch empor, und von ihr aus siud Squatters
weit umher iu's Juuere eiugedruugeu. An zwei neuen Flüssen,
welche zwischen Port Denison und Rockingham entdeckt worden
sind, will man auch neue Ansiedelungen gründen, uud zwischen
den beiden eben genannten Punkten wird ebeu jetzt eine regel-
mäßige Postverbindung hergestellt. Die Rockingham-Bay liegt
Zwei Grad nördlich von Port Denison.
Auch die eigentliche Nordküste wird nicht vernachlässigt. Der
Gouverneur von Queensland, Sir George Boweu, wollte im
Augustdie nördlichste Spitze von Australien, Kap York,
besuchen, um dort einen für Ansiedelungen geeigneten Punkt aus-
sindig zu macheu. Auch siud bereits mehrere Partien, und zwar
von Victoria aus, mit Rindvieh- und Schafheerden nach dem
Carpentaria-Bufen aufgebrochen; sie folgen den von Burke
und Wills, Landsborongh und Walker eingeschlagenen Routen
und wollen sich auf Weideländereien unweit der Küste niederlassen.
Auch aus Queeuslaud ziehen Squatters mit Heerden dorthin, und
es wird wohl nicht lange dauern, bis aus der neuen Kolonie
Queensland zwei ueue Kolonien im Norden herausgeschält
werden.
Man streitet viel darüber hin und her, ob das Heranziehen
chinesischer Arbeiter (Kulis) für Queeuslaud zweckmäßig sei oder
uicht. Die Racenabneignng spielt bekanntlich dabei eine große
Nolle. Man ist „Pro- oder Anti-Kuli". Gewiß bleibt, daß iu
jedem neuen Lande die Chinesen als rüstige Arbeiter werthvolle
Dienste leisten.
Queensland eignet sich zum Baumwollenbau: gegen-
wärtig sind 450 Acres mit Baumwolle bestellt worden; die Ernte
des Borjahrs ergab von einem Versuchsfeld 200 Ballen, die nach
Liverpool verschifft worden sind; allerdings ein kleiner Anfang,
der aber wichtige Folgen haben kann.
Auch Gold fehlt der neuen Kolonie nicht. Man hat das edle
Metall an den Peak Downs, bei Gladstone am Calliope-
flnsse und au manchen anderen Stellen gefunden, auch in der
Nähe vou Jpswich. Auch Spieß glänz ist 90 Miles land-
inwärts von dieser Stadt entdeckt worden.
Port Denison in Queensland. Diese «Stadt ist im Jahre
1S61 entstanden, uud im Mai 1862 hatte sie schon ein ganz re-
pektables Ansehen. Küstenschiffe aus Sydney und Rockhampton
desuchten den Hafen, und die vermessenen, zum Verkauf ausgelegten
Zänkereien fanden willige Käufer, weil allwöchentlich Einwanderer
kamen. Die Regierung ließ mehrere Gebäude aufführen; die Zahl
der Läden zum Verkauf von Maaren betrug sechs, uud die Post-
Verbindung mit den Häfen der Ostküste war schon seit längerer Zeit
'u regelmäßigem Gange. Diese Stadt hat offenbar eine Zukunft,
wie die Kolonie Queensland selbst. Port Denison besitzt einen
schönen, sichern Hafen, liegt anf einem Hügel in einer bewaldeten
hegend und der Boden ist fruchtbar.
Die Banmwollennoth, iu welche Europa durch den Unter-
lochuugsplau der Nordunion gegeu die südliche Konföderation,
durch die heillosen Umtriebe der Abolitionen und die gewissen-
losen Stellenjäger der sogenannten republikanischen Partei gerathen
O, giebt doch auch den „Menschenfreunden" in England zu denken.
-"°ii England aus ist der Brand in Nordamerika, welcher nun so
gewaltige Verwüstungen anrichtet, in nicht geringem Maß ange-
lacht worden. Man stellte sich philanthropisch hin in der Neger-
page, und nun müssen Hunderttausende von weißen Menschen
hungern, während die Schwarzen in eine ärgere Klemme gerathen
Au • *e zuvor. Auf die PseudoPhilanthropen paßt jetzt das
^leuhniß vom Zauberlehrling: ihre Roth ist groß, und die Geister,
welche sie riefen, werden sie jetzt nicht los.
Die Hauptmenge der Baumwolle kam bisher aus den nord-
a>uerikanischen Sklavenstaaten; weil sie dnrch Zwangsarbeit (im
durchschnitt acht Stunden am Tage) über regelmäßige Arbeit der
richten. 95
Neger verfügten, konnten sie auch regelmäßig Baumwolle liefern.
Auf diese Regelmäßigkeit war die gesammte Baumwollen-
industrie gegründet; als jene aufhörte, kam die Störung. Noch
hat Niemand den Nachweis geliefert, wie Regelmäßigkeit und
Sicherheit im Bezüge der Baumwolle möglich sei, ohne Zwangs-
arbeit der Neger, oder wenn mau vier Millionen Chinesen nach
den heißen Gegenden Amerikas schafft. Diese Chinesen sind aber
nicht da.
„Nun giebt man sich Mühe, aus allen Himmelsgegenden
Baumwolle zusammenzukratzen, und bekommt doch uicht viel." So
lasen wir iu einem Handelsschreiben. Fast gleichzeitig fanden wir
in der Times vom 3. Oktober einen Beleg zu diesem Ausspruche;
dieselbe bringt amtliche Ziffern für jenes „Zusammenkratzen" und
vergleicht die Zufuhren, welche Großbritannien im ersten Halbjahre
1802 im Vergleich zu jenem von 180 t erhielt. Es bekam ans:
Schweden 234 Centner, (gegen 182 in 1801); Hamburg 408
(100); Holland 4047 (590); Belgien 3092 (14); Frankreich
45,590 (2080); Portugal 5030 (3059) ; Jllyrien, Kroatien und
Dalmatien 20,501 (7); aus der Türkei nebst Kleinasien 19,209
(181).
Aegypten 368,472 (205,915); von der ganzen Westküste
Afrikas, anf welche man seit einem Menschenalter immer— aber
stets vergebliche — Baumwollenhoffuuugen gesetzt hat, 1260 Ctr.
(584); vom Kap der Guten Hoffnung 1570 (212); Mauritius
17,688 (1032); Bombay 847,480 (656,691); Madras 145,571
(35,035); Bengalen 5080 (35); Ceylon 3290 (3181).
Westindien und Südamerika: Grenada 162(41); St. Bin-
cent 195 (11); Trinidad 299 (147): Demerara 2250 (1080);
Hayti und Dominikanische Republik 1337 (1249); Neu-Granada
3797 (837); Peru 2252 (2009); Brasilien 103,232 (52,505).
Aus nachfolgenden Ländern war 1861 gar keine Baumwolle
nach Großbritannien gekommen: jetzt lieferte Norwegen 85; Hanno-
ver 2; Spanien 531; Neapel 325; Malta 2137; Griechenland 823;
aus Theilen der europäischen Türkei 174; Syrien und Palästina
1966; französisch Indien 442; China 143; Bahamainseln 17,490;
Jamaica 507; St. Christoph 23; Britisch Honduras 9; Euba
276; Puerto Rico 46; Meriko 6978; Venezuela 98 Centner.
Geringer als im entsprechenden Halbjahr 1861 waren die
Zufuhren aus: Rußland kamen 4; Bremen 1005; St. Helena 819;
Natal an der Südostküste Afrikas 14; Neusüdwales 1; Neu-
Braunschweig 12,515; Neu - Schottland 278; holländisch Guyana
18; aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika
5,837,150 Centner, uud aus den argentinischen Ländern 81
Centner.
Für das Jahr vom 1. Juli 1862 bis dahin 1863 hat man
folgenden, auf Muthmaßuugen beruhenden, Voranschlag ent-
worfen:
Indien 1,100,000 Ballen; Brasilien 150,000; Aegypten
200,000; Türkei 60,000; Griechenland 20,000; Italien
25,000; Amerika 50,000, und aus anderen Gegenden 25,000
Ballen. Das würde zusammen ausmachen 1,630,000 Ballen im
Jahre oder 31,346 Ballen für jede Woche. Man sieht aber auf
den ersten Blick, daß dieser Ueberschlag ganz oberflächlich ist.
England hat, wie obige Angaben zeigen, seine weit unter
dem Bedarf bleibenden Zufuhren von Baumwolle, von denen es
bei regelmäßigeu Handelsverhältnissen während der letzten Jahre
im Wochendurchschnitt mehr als 42,000 Ballen, je zn 4'/^ Centner,
bedurfte, aus nicht weniger als sieben und fünfzig verschiedenen
Ländern „zusammenkratzen" müssen; nnd dazu kommt noch der,Be-
dars des europäischen Festlandes und der amerikanischen Nord-
nnion!
Macao in China den Portugiesen definitiv abgetreten.
Macao liegt unterhalb Kanton auf der Strominsel Hiang schan.
Die Portugiesen erhielten 1537 von der chinesischen Regierung das
Recht, sich dort niederzulassen; 1563 wurde ihnen dasselbe bestätigt,
sie mußten aber seitdem einen Tribut vou 500 Taels Silber zahlen.
Die heutige Stadt wurde 1583 gegründet und bekam den hoch-
trabenden Namen Cid ade de sauto uome de Deos de Ma-
cao; bei den Chinesen heißt sie kürzer Ngao men. Diese hatten
schon 1573 die Halbinsel des Eilands, welche den Portugiesen
überlassen worden war, durch eine Mauer vom übrigen Land ab-
geschlossen und ließen das Thor von Soldaten bewachen. In?
Jahre 1843 schloß der Gouverneur Ki yiug von Kanton eine lieber-
einkunst mit dem portugiesischen Gouverneur Pinto, demgemäß
Macao eine portugiesische Besitzung sein sollte. Am 13. Apru
1844 erhielten die Portugiesen Erlanbniß, mit den damals geoff-
neteu fünf Häfen zu handeln; auch wurde das Edikt von I72o be-
seitigt, demgemäß nur 25 Macaoschiffe mit China handeln dursten.
In demselben Jahre wurde der Hasen für alle Völker eröffnet.
Nun melden die jüngsten Nachrichten aus Hong Kong vom
10. September, daß der Gouverneur Guimaraeus einen Vertrag
96
Kleine Nachrichten.
abgeschlossen habe, demgemäß die Halbinsel Macao definitiv an
die portugiesische Regierung abgetreten worden sei. Wir verstehen
uach dem was wir oben augeführt haben, nicht recht, was das
heißen soll, da ja zu jenem Zwecke schon 1843 ein Vertrag abge-
schlössen worden ist. Uebrigens setzt der neueste Bericht hinzu:
„Obschou Macao seit den letzten zehn Jahren schon faktisch alle
Privilegien eines unabhängigen Seehafens genoß, so war doch
de jure das Verhältuiß der Portugiesen zum Hose vou Pekiug nur
das eines Pächters zum Lehnsherrn." Jedenfalls ist die Ange-
legenheit nun endlich geregelt worden.
Die italienische Expedition iu Persien. Die amtliche Tn-
riner Zeitung meldet, daß die Mitglieder derselben von den Ein-
wohnern überall sehr freundlich aufgenommen werden und die
Regierung ihnen nach Kräften Vorschub leiste. Am 13. August
bestiegen die Professoren D e Ph ilippi, Lepona und Ferrata
den Vulkan Demawend; ihre Barometermessungen ergeben für
den Gipfel des Berges eine Höhe von 18,551 Fuß, also uicht etwa
20,000 Fuß, wie frühere Reisende annahmen.
Telegraphen in der Kapkolonie. Die Linie beginnt mitten
in Kapstadt und wird geführt uach Caledon, Swellendam, Alival
(Moffel Bai), George, Port Elizabeth uud Witeueage.
Nene Dampfverbindung mit dem fernen Asien. Bisher
hatte die englische Peninsular- Kompagnie ein Monopol für die
Fahrten vou Suez nach Indien und China, uud vou Seiten des
Publikums fiud manche Klagen gegen sie laut geworden. Gegen-
wärtig ist Frankreich als Mitbewerber aufgetreten, denu zwischen
Marseille nnd Hong Kong ist eine regelmäßige Verbindung
eingerichtet worden, an deren Postdampfer sich Linien von Point
de Galle auf Ceylon nach Calkutta uud von Houg Koug uach
Schaug Hai anschließen. Der Gang der Dampfer, welche ans
ihren Fahrten Aden, Point de Galle (richtiger Punta Galle),
S ingapore und Saigong inCochinchina berühren, ist folgender:
Abfahrt von Marseille am 19. jeden Monats, aus Suez 27.,
Ankunft iu Aden 3., Singapore 20., Saigong 23., Hong
Kong 28.— Rückfahrt: Hong Kong am 26. jeden Monats,
iu Saigong am 30., in Singapore 4, Point de Galle 11, Aden
21., Suez 27., Marseille am 5. — Man sieht, daß Frankreich es
ernst nimmt mit seineu neuerworbenen Besitzungen im fernen Osten.
Es sucht dort politischen Einfluß, denn sein Handel dorthin ist
unbedeutend.
Ameisen ans Sankt Helena. Sie richten auf der Insel der-
artige Verheerungen an, daß sie zu einer fast unerträglichen Land-
plage geworden sind. In Jamestown haben sie jetzt Alles, was
Holz cm den Gebäudeu ist, derart durchfressen, daß weiter nichts
übrig bleibt, als einen großen Theil der Stadt niederzureißen
und ganz nen zu bauen. Hausbesitzer und Miether sind in Ver-
zweifluug. Die letzteren müssen unerhört hohen Zins geben uud
sind daüu nicht einmal ihres Lebens sicher, weil sie jede Stuude
deu Einsturz der Wohnung befürchten müssen. Die Ameisen ver-
mehren sich in schreckenerregender Menge und fressen Wäsche,
Möbeln, Bücher, Papier, kurz Alles auf, was uicht vou Steiu
oder Metall ist.
Der Bernsteinertrag in Ostpreußen. Mau schreibt aus
Memel, daß durch Baggerungen im Kurischen Haff bei Schwarz-
ort, das etwa drei Meilen von dieser Stadt liegt, und aus den
Gräbereien bei Proeknls Bernstein in großer Menge gewonnen
werde. Der Handel hat dadurch einen großen Umfang erreicht.
Die Sorte, welche bei den Ausbaggerungen gewonnen wird, ist
heller als der gegrabene, aber die Stücke sind selten groß. Man
findet den Bernstein in einer Tiefe von 18 bis 20 Fuß unter einer
Schicht blaueu Thons und umgeben vou dem bekannten See-
tang der Ostsee. Der Besitzer des Gutes Proekuls gewinnt
durch die Bernsteingräbereien eine jährliche Pachtsumme vou
>00<> bis 1200 Thaler für jeden Morgen. Die Waare geht nach
Danzig und besonders nach Leipzig und von dort vorzugsweise
uach Wieu und in die Türkei.
Die Staatseinnahme Schwedens ist für jedes Jahr der drei-
jährigen Budgetperiode, vou 1863 bis 1866, auf je 33,647,358
Thaler veranschlagt worden, die Ausgabe auf 31,237,000 Thlr.
Volkszählung von Berlin. Nach der jüngsten Zählung
zählte diese Stadt 547,571 Einwohner, davon 22,626 vom Mi-
litär. Im Jahre 1858 ergaben sich nur 458,637 Seelen.
Volksmenge von Main; und Köln. Die Zunahme der Be-
völkeruug ist in Mainz sehr beträchtlich. Die eigentliche Stadt
zählte 1858 erst 35,095 Köpfe, dagegen Ende Decembers 1861
schon 39,078, und mit Hinzurechnung der zur Stadt gehörenden
Umgebung 40,772 iseeleu. Die Gesammtzunahme war 4294.
Dazu kommen 3604 Seelen in dem gegenüberliegenden Orte Ca st el
Mit dem Handel und der Haudelsverniittelung'sind in Mainz nahe
an 1100 selbständige Etablissements beschäftigt und mit der Leder-
fabrikation uud Lederverarbeitung 374 Unternehmungen. Das
Leder, die Schuharbeiten und die Kunstschreinerarbeiten von Mainz
sind weltberühmt.
Die Zahl der Bewohner Kölns ist von 114,183 im Jahre
1860 auf 113,081 am Ende des Jahres 1861 gefallen, Köln war
1815 eine Stadt im Verfall und hatte kaum 40,000 Einwohner.
Aber 1828 war die Zahl schou auf 57,297 Köpfe gestiegen und sie
nahm vou da bis 1861 im Durchschnitt jährlich um 1690 Köpfe
zu. Die dermalige Verminderung erklärt sich daraus, daß die
Wohnnngsmietheu eiue übertriebene Höhe haben und deshalb viele
Leute iu benachbarten Ortschaften sich niederlassen. Dieselbe Er-
scheinung zeigt sich auch in anderen anwachsenden Städten, z.B. in
Leipzig, wo die umliegenden Dörfer zu kleinen Städten empor-
gewachsen siud, welche wie eiu Kranz den Hauptort umgeben.
Lübens Handel im Jahre 1861. Einfuhr 3,734.972
Centner im Werthe vou 57,304,547 Mark Couraut. Die Anzahl
der eingelaufenen Schiffe betrug 1074 mit 85,978 Lasten. Von
den Schiffen waren 311 Dampfer mit 40,440 Lasteu.
Riesenbäume in Kalifornien. Wir habeu jüngst wieder
Mittheilungen über dieselben gebracht. Jetzt finden wir in ameri-
kanischen Blättern eine Nachricht, die wir einfach wiedergeben,
ohne uns ein Urtheil über ihre Richtigkeit zu erlauben. „Unweit
vom Honey Lake am AbHange der Sierra Nevada liegt ein ver-
steinerter Cederbaum, der am dicken Ende 40 Fuf; im Durch-
messer oder 130 Fuß im Umfange hat. Seine Länge beträgt
660 Fnß bis zu dem Punkte, wo er noch vier Fuß Durchmesser
hält. Der übrige Theil dieses Baumriesen ist mit Sand bedeckt,
uud er ist noch nicht seiner ganzen Länge nach gemessen worden.
Rechnet man, daß etwa 40 bis 50 Fuß unter dem Sande liegen,
so ergiebt sich eine Länge von ungefähr 700 Fuß."
Eine mitteleuropäische Gradmessung. Zu einer solchen hat
der preußische Generallieutenant Baeyer den Plan entworfen. Sie
soll deuMeridiaubogeu vou Palermo bis Christiauia um-
fassen; die unter und neben diesem Meridian in den einzelnen
Ländern seither ausgeführten Dreiecksmeffnngen werden das Ma-
terial bilden, mit welchen? die Kommission zu arbeiten hat. Die
hannoversche) Regierung hat drei Mitglieder für dieselbe ernannt,
unter diesen befindet sich auch Professor Riemann aus Göttingen.
Siciliamscher Schwefel. Die Produktion desselben liegt noch
sehr im Argen, sowohl in Bezug auf die Föderuug des rohen
Schwefels, als auch auf das Schmelzen. Um das letztere zu bewirken,
zündet man den Schwefel selbst an; man hat noch keine festge-
mauerten Schmelzöfen mit hermetischem Verschluß. Die Ausfuhr
vou Schwefel belief sich 1858 auf 3,171,956 Centner, 1861 auf
3,359,298 Centner. Zur Schweseluug der Weintraube ver-
braucht außerdem die Jusel selber nicht weniger als 3 l 7,000 Zoll-
centner. Bei dem gegenwärtigen Preise entspricht eiue Produktion
von 2'/4 Millionen Cantar, einem Geldwerth von etwa 5 Millionen
preußischen Thalern.
Die Donaumiindnng. Man schreibt aus Galatz, daß der
Wasserstand der Sulima im Allgemeinen recht gut sei, die kost-
spieligen Arbeiten habeu also der Schifffahrt Nutzen gebracht. Auf
den Ärg a gnib än ken ist aber nur 13Fuß Wassertiefe, uud deshalb
müßten dort auch Schiffe vou mittlerer Tragfähigkeit leichtern.
Die russische uud die moldau-walachische Regierung haben
gemeinschaftlich die Regelung und die Schisfbarmachuug des
Prnth in Angriff genommen. Der Fluß wird zu einem inter-
nationalen Strom erklärt. Er wird schon jetzt von Dampfern
befahren.
Herausaeqeben von Karl Andrer in Leipzig. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrinann I. Meyer in Hildburghausen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
StreMge unter den Dayaks auf Äorneo.^)
Erster Artikel.
Bedeutung Borneos. — Die Fülle tropischer Erzeugnisse. — Thierleben. — Der Orang utan. — Zwei Arten dieses Waldmenschen:
A^ias Pappan und Mias Nembi. — Lebensweise dieses Thieres. — Anekdoten und Jagdgeschichten. — Die Dayaks. — Die Land-
schasten der See-Dayaks. — Wohnungen. — Kleidung und Schmuck. — Stellung der Frauen. — Das Kopfabschneiden
und der Seeraub. — Schifffahrt. —
Borneo ist die größte Insel im hinterindischen Archi- Namen desselben, den sie in Bornvo verwandelten, auf die
Pelagus, eines der größten Eilande auf Erden, und sein ganze Insel. Bei den Malayen heißt sie Tanah- (d. h.
Flächeninhalt kommt jenem von Deutschland mindestens Land) oder Pnlo- (d. h. Insel) Kalamantan. Selt-
gleich. Als die Portugiesen im Jahre 1511 zu jener Hase- sanier Weise haben die Europäer erst spät auf derselben sich
Befestigtes Dorf der Dayaks auf Borneo.
hing gelangten, fanden sie auf der Nordwestküste in Burni
oder Brnni ein malayisches Sultanat, und übertrugen den
) Narrative of events in Borneo and Celebes, down to the
'^ titpaticm of Labuan, from the Journals of Jaines Brooke, by
itglp.tain ^0(lney Mundy. London 1848. 2 Voll. — Sarawak;
I c i1rn'la^tan^s :lT1d productions, etc. by HughLow. London
I.; ein reichhaltiges, ganz vortrefflich gearbeitetes Werk. —
1 <LWhe ^ores1:s °f the far East, by Spenser St. John. London
vVo11' Dazu Ida Pfeiffers zweite Reise um die Erde
^ chw aners Forschungsreise im südöstlichen Borneo.
Globus für 1862. Nr. 28.
festgesetzt! die Molnkken, die Philippinen und Java nahmen
vorzugsweise ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Hol-
länder gründeten ihre erste Faktorei 1747, und zwar zu
Banjarmassing an der Südostküste.
Es kann nicht fehlen, daß im Fortgange der Zeit diese
schöne und fruchtbare Insel eine große Bedeutung gewinnt!
sie hat eine üppige Fülle werthvoller Erzeugnisse, und seit
Radscha James Brooke die Landschaft Sarawak an der
Nordwestküste in Besitz genommen hat und Borneos Reich-
! thnni an Kohlen außer Zweifel steht, schenkt man ihr in
13
98 Streifzüge unter den
Europa mehr Aufmerksamkeit als früher. Für die Völker-
künde ist gerade diese Insel vou entschiedenem Interesse,
denn wir finden bei den Eingeborenen, welche man mit dem
allgemeinen Namen Dayaks zu bezeichnen pflegt, eine
Menge von Eigenthümlichkeiten, durch welche sie sich von
anderen Völkern wesentlich unterscheiden. In der neuen
Zeit haben wir durch verschiedene Reisende eine Menge
werthvoller Mittheilungen über diese Dayaks erhalten, uud
wir wollen versuchen, eine Schilderung ihres Lebens und
Treibens zu entwerfen.
Die Bodengestaltung der Insel ist mannichfaltig. Sie
wird von Gebirgen durchzogen, welche sich im Nordosten, im
Kina Balu, d. h. der chinesischen Witwe, bis zu 13,700
Fuß ausgipfeln. Vom Gebirge herab strömen der Nord-
küste der Bruui, Redschang, Sarebas, Sakarran und Sa-
rawak zu; an der Westküste münden der Sambas und der
Pontianak, an der Südküste der Banjar, an der Südost-
küste der Koti und Passir. Sie alle sind mehr oder weniger
schissbar für Boote, und die Insel ist so reichlich bewässert,
daß allein auf der nördlichen Küstenstrecke zwischen der
Provinz Sarawak und der Stadt Bruni nahe an zwanzig
Flüsse münden, welche lange Zeit den Seeräubern als
Schlupfwinkel und Zufluchtsstätten gedient haben. Im
Innern liegen Seen von nicht unbeträchtlichem Umfang,
z. B. der Dan au Malayu am obern Pontianak.
Schon früher (Globus I, 366) haben wir den land-
schaftlichen Charakter Borneos geschildert; hier wollen wir
Einiges über die Landeserzeugnisse bemerken. Der Kohle
haben wir schon erwähnt. Spießglanz findet man in meh-
reren Gegenden der Westküste, namentlich in Sarawak und
am Sambas; Eisen ist in Menge über die ganze Insel ver-
breitet, Zinn fand man an den Grenzen von Sarawak und
ebendaselbst auch Nickel. Auch Quecksilber hat man entdeckt,
aber an Gold ist Borneo vorzugsweise reich, und die Dia-
manten, welche man in den Gebieten Sangan, Landak uud
Baujarmassing in großer Menge findet, stehen an Werth
denen aus Indien und Brasilien gleich.*)
Das Klima ist für Europäer, welche sich uicht allzu-
sehr der Sonne aussetzen, keineswegs ungesund nnd die
Hitze in dieser äquatorialen Region nicht allzudrückend.
Viele Gegenden sind vortrefflich für den Anbau des Zucker-
rohrs geeignet, das bei den Dayaks ohne alle Pflege weit
kräftiger wird als selbst auf Ceylon, wo man doch den
Plantagen so große Sorgfalt angedeihen läßt. Bei Sara-
wak, wo die Chinesen dasselbe bauen, wird es achtzehn Fuß
hoch. Muskatnüsse, Gewürznelken und Zimmt sind von
Europäern in Gärten versuchsweise gepflanzt worden und
trefflich gediehen; für europäische Gemüse ist das Klima zu
heiß, doch kommen einige Arten Bohnen, Gurken, Endivien,
Spargel und Paradiesäpfel leidlich im Flachlande fort; im
Gebirge würde für sie bei entsprechender Höhenlage die ge-
eignete Temperatur leicht zu ermitteln sein. Den Malayen
ersetzt der Kohl der Nibong-Palme das Gemüse; er ist
das Herz der noch nicht aufgebrochenen Blätter, sehr weiß
uud schmeckt wie Nuß; besser als die Kokosnuß, aber nicht
so fein wie die Nuß von der Areeapalme (Pinang). Die
Nibong wächst in außerordentlicher Menge an den Mün-
düngen der Flüsse, und ihre runden Stämme, die etwa sechs
Zoll im Durchmesser halten, werden als Pfähle beim
Häuserbau benutzt, auch bereitet mau Latten und Sparren
aus denselben. Die zarten Sprossen des Bambus sind
ein Lieblingsgemüse der Dayaks. Unter den verschiedenen
*) Der Sultan vou Matau besitzt einen ungeschliffenen Dia-
mant von 367 Karat; geschliffen würde derselbe 183^2 Karat
haben und, nach Crawfnrd, 269,378 Pfund Sterling Werth fein.
zyaks auf Borueo.
Arten Bambus wird der Bulu Ayer oder Wasser-
bambns an Bergabhängen bis zu sechszig Fuß hoch;
sechs andere Arten Bambus sind nicht minder nützlich unv
werden auf sehr verschiedene Weise verwandt. Das Haupt-
Nahrungsmittel ist der Reis, daneben in manchen Gegenden
der Sago; die Palme, welche ihn liefert, wächst in sumpsi-
gem Boden uud wird nicht über dreißig Fuß hoch. Aus
der Frucht der Gomuti-Palme bereiten die Dayaks ein gei-
stiges Getränk. Die Areca-Palme, derenBlüthe so prächtig
duftet, liefert die Betelnuß, welche mit Kalk und Gambir
in Sirihblätter gewickelt und von Malayen und Dayaks ge-
kaut wird. Mit den Blättern der niedrigen Nipa-Palme,
welche man in sogenannte Ataps zusammenbindet, deckt man
die Häuser; der Mangrovebaum giebt gutes Breunholz.
Zu diesen Bäumen kommt noch der Barus-Kampser
(Dryobalanops camphora, verschieden von dem japanischen
Lauras camphora), der nur auf Sumatra und Borneo
wächst. Man findet den Kampfer in festem Zustande in
den Spalten des Holzes, und gewinnt ihn sehr leicht, indem
man den Baum umhaut, in Blöcke theilt und diese mit
Keilen zerspaltet. Dann nimmt mau deu weißen, durchsich-
sichtige» Kampfer heraus. Einige Bäume aus dem Ge-
schlecht Dipteroearpus geben eine Nuß, aus der mau ein
fettes Oel preßt; es ist im europäischen Handel als vege-
tabilisches Wachs bekannt; man läßt das Oel erkalten und
es wird dann so sest wie Spermaceti, dem es äußerlich
gleicht. Auch Niato, das heißt Gatta Pertscha, fehlt
nicht, eben so wenig Gummi Damar, Baumwolle,
Pfeffer und Tabak.
An reißenden Thieren ist Borneo arm. Der Tiger,
welcher ans der Halbinsel Malaeea, auf Sumatra und Java
mit Recht so sehr gefürchtet wird, fehlt gänzlich; statt seiner
tritt eine Pantherart (Felix macrocelis) ans; auch sind
mehrere wilde Katzenarten vorhanden. Der Elephant fehlt
auch, das Rhinoceros foll (??) im Innern vorhanden sein, ist
aber jedenfalls selten; der kleine malayische Bär (Ursus
malayanus) kommt an der Westküste vor und ist im Innern
sehr häufig.* Er lebt von Pflanzenkost und liebt Honig,
den er von den Bäumen herabholt. Wilde Schweine, Hirsche
und Rehe sind in Menge vorhanden.
Die Nordwestküste von Borneo ist die eigentliche
Heimath des Orang utan, der bis vor Kurzem für den
größten und stärksten aller Affenarten galt, bis ihm nun
der afrikanische Gorilla diesen Rang mit Ersolg streitig
gemacht hat. Europäische Jäger, welche die Iusel be-
suchen, brennen darauf, ein solches Thier zu erlegen, und
in den Reisewerken über Borneo spielt er eine große Rolle.
Auch der vortreffliche Radfcha von Sarawak, James
Brooke, den unsere Leser kennen (Globus Nr. 11 u. 12),
brannte daraus, einen solchen „Waldmenschen"zu erlegen und
die Dayaks boten ihrem Freunde gern die Hand dazu. Sie
hatten kurz vorher eiu Asseukiud aus den Armen der Mutter
geschossen und diese verwundet. Die Alte ließ das Kleine
vom Baume herabfallen, flocht, obwohl blutend, die Zweige
zu einen Nest zusammen, setzte sich ruhig hiueiu und war
nach ein paar Stunden todt. Sie blieb aber auch als
Leiche im Nest, und es kostete Mühe sie herunterzuholen,
denn der Baum war hoch und die Dayaks hatten große
Mühe hinaufzuklettern.
Brooke sagt aus eigener Beobachtung, daß die Orang
utan's trag und langsam in ihren Bewegungen seien; selbst
wenn die Jäger schreien und ihre Gewehre abseueru, be-
wegen sie sich aus den Zweigen eines Baumes nach jenen
eines andern nicht rascher, und ein Mann, der unten im
Waldgestrüpp geht, kann sehr wohl mit ihnen Schritt
halten. Oft flohen sie nicht einmal; wenn sie ein paar
Streifzüge unter den
hundert Schritte weit sortgeklettert waren, hielten sie an
und ließen die Verfolger ganz nahe heran kommen. Im
Allgemeinen suchten sie die allerhöchsten Baumäste und
blieben dort unbeweglich, wenn auch auf sie geschossen
wurde, uud die Gegenwart der Menschen schien sie nur
wenig zu kümmern. Ich habe nur ein einziges Mal gesehen,
daß ein Orang utan floh; es war ein junges Männchen, ;
das aber auch sich nicht weit entfernte. Seine Bewegungen
waren langsam uud geschahen mit einer gewissen Ueber-
legung, und dasselbe habe ich auch bei Jungen in der Ge-
Dayaks auf Borneo. gg
kann ihnen sehr leicht ankommen, aber ihre Lebenskraft ist
ungemein zäh. Ich sah einen Rembi, der schon sechs Kugeln
im Leibe hatte, aber erst die siebente, welche deu Schädel
zerschmetterte, gab ihm den Rest.
Die größten Mias papp an (die zweite Art von
Orang utan) habe ich nicht gesehen, glaube aber, daß Alles,/
was die Eingeborenen über die Wildheit und Grausamkeit '
derselben erzählen, stark übertrieben sei; wohl aber mag es
dann uud wann vorkommen, daß ein altes Mänucheu stich
gegen einen Mann zur Wehr setzt. Eiu malayischer Hänp't-
fangenschast beobachtet. Jenes Männchen, ein junges
Rembi (s. weiter unten), ließ, nachdem es verwundet worden
war, ein grunzendes Gebell hören; bei Gezähmten ver-
uimmt man es, wenn sie ängstlich und wüthend stnd. Nie
habe ich gesehen, daß ein Orang utan irgend einen Gegen-
stand aus seinen Verfolger herabwirft; die Eingeborenen
behaupten das allerdings, ich fand aber, daß nur dürre
"der faule Zweige vou deu Bäumen herabfielen, welche
beim luftigen Gehen und Klettern des Thieres abbrachen.
>nn Ganzen sind diese Thiere träg und harmlos und man
ling sagte mir, er wolle sich getrauen, auch den allergrößten
Mias gesangen zu nehmen, und zwar ans folgende Weise.'
„Wenn wir ihn auf einem Baume fitzeu sehen, dann gehen
wir geräuschlos näher, hauen die Bäume ab und zuletzt
den, auf welchem er sitzt, und dann fällt er mit zur Erde.
Mit Schlingen, die wir an langen Stangen bereit halten,
umwickeln wir ihn und fangen ihn ein." Das mag ganz
richtig sein, geht aber nur an, wenn die Bäume nicht all-
zudick sind.
Beide Mias-Arteu, sowohl der Papp an wie der
•__13*
Streifzüge unter den Davaks auf Borneo,
Dayciks auf Borneo.
102 Streifzüge unter i
Rembi, bauen sich ?!ester oder Behausungen auf den
Bäumen ans zusammengeflochtenen Blättern und Zweigen,
die einem Krähenneste ähneln. Die Eingeborenen suchen
das Nest auf, schlage« an den Baum, aus welchem sich ein
solches befindet, und der Orang ntan giebt dann einen
grunzenden Laut von sich. Bei Vollmond ist der Mias
regsamer als sonst und schweift umher, aber bei Neumond
zeigt er sich träg und bleibt gern in seinem Neste. Die
Dayaks sagen, bei Neumond habe er Fieber, es ist aber
sehr wahrscheinlich, daß er bei Vollmond die Weibchen auf-
sucht. Wenn die Früchte reif sind, also etwa im November,
kommt er gern in die Nähe der menschlichen Wohnungen, im
Uebrigen hält er sich meist im Innern der Wälder auf, und
die Beschaffenheit seiner Zähne beweist deutlich, daß er auch
von Früchten mit harter Schale sich nährt. Er soll auch die
Rinde gewisser Bäume essen. Man findet dieThiere immer
vereinzelt und nur dann und wann Männchen und Weibchen
in Gesellschaft.
Alle Eingeborenen stimmen darin überein, daß es
zwei besondere Arten von Orang utan's gebe, und daß bei
der größern Art, dem Papp an, Mann, Frau und Kind dnrch
Schwielen auf den Wangen sich von der andern Art, dem
Rembi, unterscheiden. In manchen Gegenden findet man
nur die eine oder andere Art allein. Brooke hatte im Jahre
1849 schon achtzehn Orang utan-Schädel gesammelt, zu-
meist vom Pappan, welcher vorzugsweise au den Flüssen
unweit von der Meeresküste sich aufhält. Am Sadougflusse
siud aber beide Arten häufig. Der Rembi ist die kleinere
Art und hat keine Schwielen auf den Backen. —
Dies sind die Nachrichten Brooke's, sie weichen aber
von jenen Hugh Low's in einigen Beziehungen ab. Mias
ist die Benennung, welche die Dayaks, also die eigentlichen
Eingeborenen der Insel, dem Waldmenschen, denn das
ist die Bedeutung des malayischen Orang utan, beilegen.
Daß es zwei Arten gebe, den Pappan und den Rembi, be-
stätigt auch Low, ebenso daß der erstere größer sei und
sich durch die Schwielen von dem kleinern Rembi unter-
scheide. Auch hat jener eine stärkere Fülle langen rothen
Haares. Obwohl beide Arten in manchen Gegenden zu-
sammen gesunden werden, so vermischen sie sich doch nicht
miteinander. Auch der Pappan wird nicht so groß, wie
oftmals behauptet worden ist, und selten länger als fünf
Fuß, vom Fußhacken bis zur Schädellänge gemessen; nimmt
man aber noch die Länge des sehr großen Fnßes hinzu,
dann kommt allerdings mehr heraus. Die Mias springen
nicht von Baum zu Baum, was doch andere lebhaftere
Affen thuu, souderu gehen immer sicher, indem sie mit den
Händen die Stärke der Aeste und Zweige prüfen. Häuser
oder Hütten bauen sie im Walde nicht, sondern leben wie
andere Affen, lieber die von Brooke erwähnten Nester
sagt Low nichts. Dagegen erzählt er folgende hübsche
Iagdgeschichte, welche ihm ein Malaye zum Besten gab
und deren Wahrheit wir natürlich dahingestellt sein lassen.
Das Feld eines Dayaks wurde allnächtlich von einem
Orang utan heimgesucht. Das verdroß aber deu Mann
und deshalb nahm er einen Speer und ging in einer mond-
hellen Nacht hinaus, um dem Mias aufzulauern. Der
fand sich denn anch richtig ein, raufte Zuckerrohr aus, setzte
sich dann auf einen umgefallenen Baumstamm und that
sich mit der Süßigkeit eine rechte Güte. Während er es
sich wohl schmecken ließ, kam der Dayak näher herange-
schlichen und rannte dem Mias seinen Speer in den Leib.
Aber er hatte auch ein Haumesser, weil er wohl wußte, daß
ein verwundeter Mias sich zur Wehre setzt und seinen Gegner
nicht schont. Diesmal hatte er aber die Waffe nicht nöthig;
denn als der Mias sich umwandte, um zu sehen, wer ihn
i Dayaks auf Borneo.
gestochen habe, siel aus dem Baum ein Bär auf ihn
hinab, ursprünglich wohl nur, um sich einen Theil der
süßen Mahlzeit anzueignen. Der Mias, welcher den
Dayak noch nicht gesehen hatte, hielt den Bären sür seinen
Feind und biß und kratzte ihn. Er grunzte und der Bär
brummte, der Mann aber trat rasch zurück und ließ die
beiden Kämpfer allein ihre Sache ausfechten. Als er am
andern Morgen wieder hinging, lag der Bär todt im Felde,
und der Mias, der auch eine Leiche war, nicht weit von
ihm. Dies die Jagdgeschichte. Low fügt hinzu, daß er
mehrere von den Mias verstümmelte Dayaks gesehen habe.
Einigen waren zwei bis drei Finger abgebissen worden.
Auch Konsul Spenser St. John giebt manche Mit-
theilnngen. Die größten Orang ntan's, von denen er ge-
hört hat, befanden sich am Batang Lnpar. Ein Herr
Crymble aus Sarawak erlegte einen, aber erst mit der
achten Kugel, der wohlgemessen vom Kops bis zur Sohle
5 Fuß 2 Zoll englisch lang war. „Kops und Arme brachte
er mit und wir maßen sie. Das Gesicht war 15 Zoll breit,
die beiden schwieligen Auswüchse, welche zu beiden Seiten
hervorstehen, mitgerechnet; Länge des Kopfes 14 Zoll;
Umfang der Handwurzel 12 Zoll." Es war ein Pappas.
Der vortreffliche Naturforscher Wallace hat keinen geschossen,
der größer als 4 Fuß war. Er jagte aber am Flusse
Sadong, wo nur die kleinere Art (der Rembi) vorkommt.
^ In Sarawak sind zahme Orang utan's nicht selten.
Spenser St. John erzählt von einem halberwachsenen
Weibchen, Betsy, das ein sehr sanftes znthuuliches Geschöpf
war. Man hätte es frei umhergeheu lassen können, aber dann
würde es unter den Kohlpalmen allzugroßen Schaden ange-
richtet haben. Das Thier hatte einen großen Käsig, mochte
aber nicht gern allein sein und folgte den Menschen, wo
sich nur irgend Gelegenheit dazu bot. Bei Nacht oder kühlem
Wind hüllte es sich sorgfältig in eine Decke oder einen Pelz
und suchte die wärmste Stelle zum Lager aus. Als ein sehr
junges Männchen, ein Assenknabe, eingefangen und zu ihr
gebracht wurde, zeigte die Affenjnngfran eine große Freude
und viel Sorgfalt für den juugeu Mias, der aber, wie
alle, die sehr jung eingefangen werden, bald starb.
^ In Bruui schenkte St. John einen jungen Mias einer
Familie, die viele Kinder hatte. Diese ließen ihm einen
Anzug verfertigen. An den Hosen hatte er keinen Gefallen
und er konnte mit ihnen nicht zurecht kommen, aber bei
feuchtem Wetter zog er sich selber den Rock an, ob verkehrt
oder uicht verkehrt, darauf kam es ihm nicht an.
In der Gefangenschaft sterben die meisten Orang
utan's daran, daß sie zu viel rohe Früchte genießen. Die
obenerwähnte Betsy erhielt vorzugsweise gekochten Reis
und lebte ein Jahr lang. —
Wir wollen uns die Dayaks näher betrachten, na-
mentlich jene im nordwestlichen Theile der Insel, denn über
diese haben wir ausgiebige Berichte. Man theilt sie in
Land-Dayaks, die im Allgemeinen friedliche Leute sind
und im Innern wohnen, und in See-Dayaks, welche an
den unteren Stromläufen und an der Küste Hausen. Beiden
gelten abgeschnittene Menschenköpfe als Siegeszeichen; aber
bei den Ersteren schneidet man nnr überwundenen Feinden
das Haupt ab, bei deu See-Dayaks ist aber das „Kops-
nehmen" zu einer wilden Leidenschaft geworden, und
sie veranstalten unaufhörlich Streifzüge lediglich zu dem
Zwecke, Köpfe zu holen. Sehr oft stechen sie in See, um
Fischer zu überfallen und zu tödten. Am meisten gefürchtet
werden die See-Dayaks, welche die Regio» an den großen
Flüssen Sarebas und Sakarrau bewohnen, und besonders
auch dieSiboyoh (wie Low, oder Sibuyau, wie Spenser
St. John schreibt) am Strome Lnnda.
Streifzüge unter dl
Die Landschaften der See-Dayaks sind an der Küste
stach und nach dem Innern hin wellenförmig, fruchtbar,
Zum großen Theil mit Wald bestanden. Durch diesen führen
von einem Dorfe zum andern schmale Pfade. Diese Dörfer
liegen alle an Flüssen, damit das Volk, welches, man
möchte sagen, aus geborenen Schiffern besteht, in jedem
Augenblicke die Fahrzeuge iu's Wasser bringen kann. Die
Häuser sind überall nach einem und demselben Plaue gebaut.
Ist der Stamm klein, besteht er ans nur etwa fünfzig Fa-
Milien, dann wohnen alle unter einem und dem-
selben Dache; aber jede Abtheiluug in einem solchen, wir
können sagen kasernenartigen, Hanse hat eine besondere
Thür. Diese geht auf eine breite, in der ganzen Länge des
Hauses überdeckten Galerie hinaus, deren Boden aus
Latten von Bambns oder Nibong besteht. Solch eine
Galerie bildet die Straße, den Verkehrsweg des
Dorfes, und hat manchmal eine Länge von sechs-
hundert Fuß. Alle Häuser stehen auf starken Pfählen,
haben Holzwände, sind mit Blättern der Atappalme gedeckt
und weit besser gebaut, auch im Innern viel reinlicher als
manche malayische Wohnungen.
Außer der Thür, welche aus die Galerie hinausgeht,
sind im Innern Pforten vorhanden, die mit der Woh-
nnng der benachbarten Familie eine Verbindung herstellen,
so daß ein Bewohner des Dorfes, wie auf der Galerie, so
auch im Innern von einem Ende bis zum andern gelangen
kann. Die Fenster sind häufig im Dach angebracht; man
öffnet sie vermittelst eines Stabes, nnd wenn man sie herab-
läßt, bilden sie einen Theil des Daches. Dieses letztere ist
so eingerichtet, daß man es bei Feuersgefahr binnen wenigen
Minuten vom Hause hinab auf die Erde werfen kann.
Auf der immer sehr breiten Galerie werden von
Männern und Frauen alle häuslichen Geschäfte verrichtet,
und nicht selten sind sämmtliche Haus- oder Dorfbewohner
auf derselben. Die Männer bereiten Jagd- oder Kriegs-
Waffen oder Ackergeräthe, die Frauen enthülsen Reis, stechten
Körbe oder Matten. Bei Anlage der Feuerheerde, deren
sich in jedem großen Hanse zwei befinden, wird große Vor-
sicht beobachtet. Tische und Stühle hat man nicht; man
speist vom platten Boden und trägt den Reis in einer
Schüssel, oder in Ermangelung einer solchen, auf dem
breiten, glatten Blatte einer Dillenia speciosa auf, ißt mit
den Fingern und taucht dann und wann die Hand in einen
kleinen Haufen Salz. Die Malayen sitzen beim Essen mit
kreuzweis übereinander geschlagenen Beinen, die Dayaks
auf drei Zoll hohen Holzklötzen. Schlüssel und Riegel hat
man nicht, Diebstahl kommt kaum jemals vor, und die
Thüren können von Außen gar nicht zugemacht werden.
Wer andeuten will, daß er nicht zu Hause sei, oder uu-
gestört bleiben wolle, stellt einen Mörser vor die Thür,
und das genügt.
Schon früher haben wir (Globus I, S. 339) die
Abbildung eines Dayak-Kriegers gegeben. Die Kleidung
ist in jenem warmen Klima einfach, wie aus uuserm gegen-
wärtigen Bilde hervorgeht. Der Manu trägt einen
Tschawat, das heißt ein langes schmales Stück Baum-
wollenzeug, das mehrmals um den Leib gewunden wird,
Mischen den Schenkeln hindurchgeht, und dessen am Rande
verzierte Enden vorn nnd hinten bis in die Nähe der Kniee
herabhängen. Bei den Land-Dayaks sind diese Enden oft
von Baumrinde, sehen aus wie Schwänze und deshalb
geht auch aus Borueo die Sage, daß im Innern der Insel
geschwänzte Menschen vorhanden seien. Für gewöhnlich
trägt der Dayak weiter nichts als den Tschawat, aber bei
kühlem Wetter zieht er eine Jacke, Badschn Tilam, von
grober, gewöhnlich braun gefärbter Baumwolle an. Diese
Dayaks auf Borreo. 103
Jacken und die Schurzumhüllungen der Frauen, Bedangs,
werden am besten von den Dayaks am Sarebas und
Sakarran verfertigt und bilden für diese einen Ausfuhr-
artikel. Deu beliebtesten Schmuck der Männer bilden
Ohrringe, manchmal sechs, acht, ja vierzehn, und bei
jungen Stutzern auch achtzehn zumal in jedem Ohre, sodann
Messingringe an Beinen und Armen; einen sehr geschätzten
Halsschmuck bildet auch ein Halsband aus Menschenzähnen.
Um den Kopf wird ein Tnch ans Baumwolle oder ein gelb-
gefärbtes Stück von der innern Rinde verschiedener Bäume
geschlungen.
Der See-Dayak ist hellbrauu und hat einen kräftigen
Wuchs, aber groß wird er nicht. Dasselbe gilt von den
Frauen, deren Hautfarbe im Allgemeinen weit lichter ist
als jene der Männer. Sie tragen den Bedang, den oben-
erwähnten kurzen Umschlagerock von Baumwolle, der von
den Hüften bis zu deu Knien reicht nnd bei den Wohl-
habenderen mit seinen Messiugkettcheu befestigt wird; die
Arme sind mit sehr hübsch gearbeiteten silbernen Reifen ge-
schmückt; sie reichen, sechs bis acht an der Zahl, vom Hand-
gelenke bis zum Ellbogen. Bei den Frauen der Siboyoh
fehlen auch silberne oder goldene Ohrringe nicht.
Jeder Stamm hat seinen besondern Häuptling, der sich
zu Kriegszwecken einem gemeinschaftlichen Oberhäuptling,
einem Orang Kaya, unterordnet, so weit das nöthig ist
oder ihm eben beliebt. Bis zur Bildung eines Staatswesens
sind die Dayaks nie vorgeschritten, höchstens bis zu einem
Komplex von Gemeinden. Der Dorfhäuptling übt seine
Macht je uach seinem persönlichen Ansehen und hat einen
Beirath vou Aeltesten. Jede einzelne Gemeinde ist in Be-
treff ihrer Angelegenheiten durchaus vollmächtig.
Die See-Dayaks haben von Sitten und Sprache der
Malayen Manches angenommen, auch die Sklaverei, aber
nicht die Polygamie; deswegen haben sie auch eiu Fa-
milienleben, obwohl die Sitten weit lockerer sind als bei
den Land-Dayaks. Uebrigens hegen sie eine ungemein
große Zärtlichkeit für ihre Kinder, und je mehr eine Familie
deren hat, um fo stolzer ist sie. Eiu merkwürdiger Brauch
ist folgender: Der Vater oder die Mutter nimmt den Namen
des erstgebornen Kindes an nnd setzt ein Pa oder ein Ma
davor. Pa ist eine Verkürzung von Bapa, Vater. Ma
eine solche von Ama, Mutter. So heißt Niguen, ein
Häuptling der Land-Dayaks, nun Pa Jagueu, weil er
seine älteste Tochter Jaguen genannt hat. Die Mädchen
sind ebensowohl ein Gegenstand zärtlicher Fürsorge wie
die Knaben, und die Frauen haben überhaupt eine günstige
Stellung, weil sie sich nützlich machen nnd fleißig arbeiten.
Sie kochen, Helsen bei der Arbeit aus dem Felde, besorgen
die Kinder, entfernen Unkraut, ernten den Reis ein, be-
sorgen Hühner, Schweine und Ziegen, nnd stechten Matten
nnd Körbe, worin sie sehr geschickt sind. Alle schweren
Arbeiten verrichtet der Mann. Die Sklaven werden wie
Mitglieder der Familie gehalten, in welcher sie leben.
Großen Werth legt der Dayak aus seine Waffen und
der Schmied im Dorfe hat immer Beschäftigung; sein Hans
steht, der Feuersgefahr wegen, allein; sein Blasebalg be-
steht aus zwei Stücken Bambus. Er verfertigt Paraugs,
Haumesser, und Pedangs, Schwerter, von mehreren Arten;
das breite Ende ist immer da, wo sich bei uuseren Schwertern
die Spitze befindet, und der Griff ist fchmal und viereckig.
Aber dieses Schwert handhabt der Dayak mit derselben Ge-
wandtheit wie seinen Speer, oder das Blasrohr, Sam-
pitan, das acht bis zehn Fnß lang ist und aus welchem
er vergiftete Pfeile schießt. Bogen und Pfeile sind auf
Borneo nicht im Gebranch. Eine große Rolle spielt da-
gegen der Schild. Er ist etwa anderthalb Ellen lang,
104 Streifzüge unter den
dreißig Zoll breit, geht auf der Außenseite convex, von
leichtem Holz und läuft oben und unten in einem spitzen
Winkel zu. Dieser Schild dient zur Abwehr der Wurf-
spieße, mit welchen gewöhnlich der Kamps eröffnet wird.
Die See-Dayaks sind kampflustig, führen häufige
Kriege und diese sind weit blutiger als jene beiden Malayen
oder Land-Dayaks. Manche Fehden schreiben sich noch
von früheren Geschlechtern her, und daß sie sich so lange
fortspinnen, hat einen ganz eigentümlichen Grund. Sie
wollen nämlich die Rechnung abgeschnittener
Menschenköpfe in's Gleiche bringen.
Wir müssen auf diese grauenvolle Sitte, welche sonst
weiter nirgends vorkommt, etwas näher eingehen, denn sie
bildet ein Kennzeichen für die See-Dayaks.
Dayaks auf Bornco.
tief in den Wald, wohin die Malayen nicht dringen konnten.
Nun riefen diese die See-Dayaks zu Hülfe, und sie kamen,
erhielten die Kopse als Lohn und Beute, während die
Malayen sich anderweit durch Raub entschädigten. Diese
Raubzüge wiederholten, sich bis Brooke aus Borneo erschien
und diesen Grenelthaten überall ein Ende machte, wo er
Einfluß gewann.
Aber dort, wohin seine Gewalt nicht reicht, gehen die
See-Dayaks noch immer auf Seeraub und Kopfholen aus.
Allemal erhebt sich im Dorf ein großer Jubel, wenn das
Flottengeschwader mit Beute, das heißt mit Menscheuköpfen
heimkehrt. Schon aus weiter Ferne schreien und jauchzen
die Piraten; Männer, Weiber und Kinder stürzen aus dem
Hanse an das Stromuser und erwiedern das Geschrei. Die
Das Innere einer Dayak - Wohnung.
Die Leidenschaft, Menschenköpfe zu erbeuten, hat erst Köpfe, in Blätter der Nipah-Palme sorgfältig eingewickelt,
feit einigen Menschenaltern eine so große Ausdehnung ge- werden mit einer gewissen Feierlichkeit an's Land gebracht,
wonnen. An und für sich stammt sie gewiß aus früheren und je stärker der Verwesungsgeruch ist, um so entzückter
Zeiten, denn wir wissen aus älteren Reisebeschreibungen, sind die Dayaks. Im Dorfe wird dann solch ein Kopf wie
daß die Jdaans im nördlichen Borneo ihrer Gottheit ein thenrer Besitz betrachtet, wie ein Kleinod, das man mit
Menschen opferten und ihr die Köpfe darbrachten. Des- allen denkbaren Liebesworten belegt. Wir haben das schon
wegen sagen die Dayaks, welche man fragte, woher der früher (Globus I, S. 367) geschildert. Nach dem Einzüge
abscheuliche Brauch stamme, er sei adat ninik, eineSitteder der Sieger wird ein Gastmahl veranstaltet, man hält Trink-
Väter. Die malayischen Sultane tragen einen nicht geringen gelage und führt festliche Tänze auf.
Theil der Schuld, daß derselbe nun so arg im Schwange Wir sagten weiter oben, daß die verschiedenen Stämme
geht. Die Dayaks im Innern (die sogenannten Berg- es sich angelegen sein lassen, ihre gegenseitige Kopsabrech-
Dayaks) wurden von den Malayen unbarmherzig ausge- nung in's Gleiche zu bringen; sie wollen eine Bilanz haben,
plündert; diese nahmen ihnen Frauen und Kinder weg, um Man hält gleichsam Buch über Gewinn und Verlust und
dieselben in die Sklaverei zu verkaufen. Um sie einiger- irrt sich nie. Als Hugh Low bei den Berg-Dayaks war,
maßen zu sichern, führten die Land-Dayaks ihre Familien erzählte ihm ein Häuptling, er wage sich nicht in das Gebiet
Wohnhäuser
schluß der Rechnung halten beide Theile eine Gasterei, bei
der es lustig hergeht; man tanzt mit einander und ist nun
so lange gut Freund, bis wieder ein Zerwürfnis; entsteht,
und das dauert in der Regel nicht allzulange. Die See-
Dayaks freilich können den Unterschied in der Rechnung
ans solche Weise nicht ausgleichen, denn sie haben von
anderen Stämmen eine so beträchtliche Anzahl von Köpfen
im Voraus, daß sie bankerott würden, wenn sie die Schuld
w Waaren bezahlen wollten.
Also wird in alter Weise fortgefahren und die Kopf-
sammluug ununterbrochen vermehrt. Fleisch und Haar
bleibt am Schädel. Die Köpfe sind bei ihnen nicht, wie
bei den Berg-Dayaks, Gesammteigenthum des Dorfes,
sondern Privateigenthum des Helden, der sie erbeutet hat.
Aber die Ehre des Stammes wird erhöht, wenn er das
Globus für 1862. Nr. 28.
der DayakS.
Flotten überfallen die Dörfer, welche überall zum Schutz
mit einer Pfahlmauer nmgeben find. Auf den Pfaden,
welche durch den dichten Wald führen, bringt man verdeckte
Randschans an, scharf zugespitzte Bambusstäbchen, welche
den immer barfüßigen Feinden in's Fleisch dringen und
gleichsam unsere Fußangeln ersetzen. Uebrigens unter-
nehmen die See-Dayaks ihre Piratenzüge nur in der guten
Jahreszeit, von April bis Oktober; dann tritt der nasse
Monsun ein und während dieser Zeit liegen die Boote auf
dem Trocknen oder werden auseinandergenommen. Das
letztere ist leicht geschehen, denn man braucht nur die aus
Rattang bestehenden Verbände, mit welchen die Boote zu-
sammengehalten werden, abzuschneiden.
Einst verfolgte ein spanischer Kreuzer eine Piraten-
slotte der Orang Tedong, welche au der Ostlüste von Borneo
Streifzüge unter den
eines andern Stammes, weil in der Großväter Zeiten die
Leute jenes Dorfes vier Angehörige seines Dorfes er-
schlagen hätten. Nun habe sein Stamm drei Männer des
andern getödtet und hätte jetzt noch einen Kops zu Gute.
Aber feit undenklicher Zeit herrsche Feindschaft herüber und
bin üb er. obwohl viele Jahre vergangen wären, ohne daß
beide Theile zusammen kamen, es sei aber jeder Verkehr
zwischen ihnen eingestellt.
Dann und wann wird aber die Abrechnung durch eiuen
Friedensschluß beglichen und zwar in folgender Weise. Der
Stamm, welcher sich mit abgeschnittenen Köpfen im Heber-
schuß befindet, zahlt dem, welcher im Nachtheil ist, einen
gewissen Betrag an Waaren aus. Ein Mannskopf wird
dabei auf den Werth von 25 Dollars veranschlagt, ein
Weibs- oder Kindskopf auf 15 bis 29 Dollars. Nach Ab-
Dayaks auf Borneo.
Siegeszeichen in's Dorf bringt. Der Held zieht das Ge-
Hirn aus der Höhle des Hinterkopfes heraus, trocknet den
Kopf über einem qualmenden Feuer uud bewahrt ihn sorg-
fältig. In manchen Häusern sieht man Körbe voll solcher
geräucherter Meuscheuköpse, und je mehr deren sind, um so
stolzer ist die Familie. Diese Trophäen erben vom Vater
auf den Sohn und bilden ein hochgeschätztes, sehr Werth-
volles Eigenthum.
Diese See-Dayaks sind verwegene Piraten, denen
man nur schwer etwas anhaben kann, weil sie an der Küste
mit ihren nicht tief im Wasser gehenden Booten so viele
Schlupfwinkel in seichtem Wasser finden. Als Brooke nach
Sarawak gekonimen war und dem Seeraub steuern wollte,
hatte er eiue Piratenflotte der Dayaks zurückzuschlagen, die
aus uicht weniger als neunzig Fahrzeugen bestand. Diese
106 Der Vesuv seit dem Ai
wohnen und viele Aehnlichkeit mit den See-Dahaks im
Westen hoben. Er trieb sie in eine Bucht, blockirte sie und
glaubte sie fangen zu können. Aber was thaten die Orang
Tedong? Sie schnitten die Rattangs ab und trugen die
Bootplanken durch deu Wald uach einer andern Bucht,
setzten die Fahrzeuge wieder zusammen und ruderten ge-
mächlich fort. Dem Spanier blieb lediglich das Nachsehen.
Solche Boote können von dreißig bis zu neunzig Mann
tragen, und die beiden Stämme der See-Dayaks am Sare-
bas und Sakarran können allein uahe an zweihundert mit
je fünfzig Köpfen Bemannung in See schicken. Allerdings
sind diese Fahrzeuge nicht dauerhaft gebaut, und vermögen
keine Stürme in offener See ansznhalten. Aber sie segeln
auch nur in der Nähe der Küsten, wo sie nicht weit von
ruhigem Wasser entfernt sind. Kommt einmal ein Sturm,
so springen alle Mann über Bord und halten sich am Schiffe
so lange fest, bis er vorüber ist. Diese Dayaks sind ge-
borene Schiffsleute und treffliche Schwimmer und können
Hunger und Beschwerden ertragen. Es ist gar nicht selten,
ruch im December 1861.
daß ein Mann achtzehn Stunden hinter einander am Ruder
sitzt, welches er mit bewundernswürdiger Regelmäßigkeit und
großer Kraft führt. In ruhigem Wasser und bei günstigem
Wetter legt solch ein Dayakboot wenigstens fünfviertel
deutsche Meilen zurück, und wenn Alle sich recht anstrengen,
auch wohl doppelt so viel.
Die Tanbangs oder scharf gebauten Sampan-
boote vou Siugapore, die im fernen Osten weit und breit
berühmt sind, können es an Schnelligkeit mit den Bankongs
der Dayaks gar nicht aufnehmen; mit diesen kann sich kein
anderes Boot in der Welt messen. Nebrigens wollen wir
bemerken, daß jeder Stamm eine besondere Art von Ruder-
schlag hat, an welchen! man ihn erkennt. Die Mannschaft
eines Bootes von Sarebas kann in dunkler Nacht sagen,
ob ein Fahrzeug, von welchem man ans der Ferne etwas
hört, ein Boot der Lnndn, der Balan oder Malaien sei.
So sind die See-Dahaks, welchen unsere Lands-
männin Ida Pfeiffer im Jahre 1852 einen Besuch ab-
gestattet hat.
Der Vesuv seit dem Ausbruch im December 1861 und die Zerstörung vou
Torre de! Greco.
Eine neue Phase in der Thätigkeit des Vesuvs. — Gase und Schlammvulkane. — Restua. —• Besteigung des Berges. — Einsiedelei
und Observatorium. — Beschwerliche Wanderung. — Am Krater. — Rundschau. — Die Ausbrüche. — Lavaströme. — Ein feuriger
Wall und ein glühender Katarakt. — Vulkanische Bomben. Erd- und Seebeben. — Die Erscheinungen im December 1861. — Die
Zerstörung von Torre del Greco. — Aschenregen. — Die Obliegenheiten des heiligen Januarius. — Allerlei Wunder und die
hölzerne Madonna von Torre dell' Annunziata. —
Der Vesuv scheint in eine neue Phase seiner Thätig-
keit getreten zu sein und seinen Charakter einigermaßen ver-
ändert zu haben. Seine Ausbrüche wiederhole« sich weit
häufiger als in früheren Zeiten, sind aber im Allgemeinen
nicht mehr so heftig. Sie finden in niedrigeren Höhen
statt, und Danbeny wies jüngst in einem Vortrage in der
englischen Gelehrtenversammlung zu Cambridge darauf hin,
daß jetzt aus den neuen Kratern auch Gase ausströmen,
welche man bei früheren Eruptionen nicht bemerkte. Er
erwähnt der Naphthadämpfe, des wasferstosfhaltigen Kohlen-
stosfes und der Sumpfgase. Der letzte Ausbruch, welchen
wir vor etwa einem Jahre schilderten (Globus Nr. 9 und
folgende), hat eine Erhebung der Küste zur Folge gehabt;
sie liegt nun 3 Fuß 7 Zoll höher als vorher. Bei keinem
frühern Ausbruch ist eine solche Erhebung beobachtet worden.
Das letzte Mal kamen auch Erscheinungen vor, die
man sonst nur bei Schlammvulkanen findet; denn außer
wasserstoffhaltigem Kohlenstoff und Naphtha stieß der Berg
auch halbflüssigen Schlamm aus. Die Meinung Danbeny's,
daß von nun an der Vesnv ein Schlammvulkan sein werde,
ist vielleicht etwas zu gewagt. Als ächte Typen solcher
Schlammvulkane gelten bekanntlich jener von Macalnba
auf Sicilien und der von Taman am Afowfchen Meere;
von den eigentlichen Vulkanen muß man sie wohl unter-
scheiden. Beim Vesuv entstehen, der Meinung des genann-
ten Geologen zufolge, jene Erscheinungen durch die Ein-
Wirkung vulkanischer Hitze auf die in der Nähe befindlichen
Lager appenninifchen Kalksteins, in welchen bituminöse
Stoffe eingeschlossen sind; jene Gase könne man betrachten
als sekundäre und zufällige Erzeugnisse vulkanischer Thätig-
keit. Doch wir lassen diese Vermuthungen bei Seite und
wolleu sehen, wie es nun auf und am Vesuv seit dem letzten
Ausbruch aussieht.
Zu den Männern, welche so glücklich waren, alle Aus-
brüche des Vulkans seit 1839 zu beobachten, gehört Marc
Monnier. In jeneni Jahre erhob sich die Fenersänle zu
einer Ungeheuern Höhe. Im Jahre 1846 stand dieser
Beobachter während eines entsetzlichen Sturmes auf dem
Gipfel des Kegels, zwischen dem Krater und deu Wolken,
die einander eine gewaltige Schlacht lieferten, in welcher
Wind und Feuer die beiderseitigen Waffen waren. Auch bei
den Ausbrüchen von 1850,1855,1858 und 1861 war er zu-
gegen und seine Aufzeichnungen und Erinnerungen tragen
das Gepräge lebhafter Auffassung. —
Wer den Vesuv besteigen will, pflegt Nachmittags
von Neapel nach Refina zu fahren, das am Fuße des
Berges liegt. Dort wird er von einer Masse von Bnmm-
lern förmlich überfallen, jeder bietet seine Dienste an, man
thut aber wohl, sich an einen amtlich bestallten Führer zu
wenden, auf den man sich verlassen kann und der alles Er-
forderliche besorgt; er hält auch das zudringliche Gesindel
ab. Eine Hauptsache ist, daß man sich mit dauerhafter
Fußbekleidung versieht; daß diese manche Brandstellen be-
kommt, versteht sich von selbst.
Von Neapel aus gesehen hat der Vesuv zwei Gipfel
oder Köpfe; jener zur Linken ist der Somma, der zur
Rechten der Vulkan und zwischen beiden liegt ein Thal-
grund, an dessen Eingang die Einsiedelei nnd das Obfer-
vatorinm auf einem Plateau stehen, von dem aus man
einen herrlichen Rundblick hat. Früher gelangte man bis
zur Einsiedelei auf einer von den prächtigen Straßen, deren
König Ferdinand bei Neapel mehrere hat bauen lassen. Sie
und die Zerstörung
reichen aber alle nur ein paar Meilen weit; sobald sie an
oder in's Gebirge kommen, werden sie schmaler und hören
bald völlig auf. Aber bis zur Einsiedelei konnte man ge-
mächlich fahren; sie liegt etwa dritthalb Stunden von der
Hauptstadt und führt durch die Rebengelände, welche den
Lacrymä-Christi-Wein liefern. Er ist, wenn unver-
fälscht, ganz vortrefflich; desto abscheulicher ist das Fabrikat,
welches unter jenem Namen in Neapel verfertigt wird.
Oberhalb der Einsiedelei lagen Lavafelsen, und dort mußte
man zu Fuße gehen. Der LavastroM von 1.858 hat jene
schöne Kunststraße an zwei Orten durchbrochen und sie ist
bis heute noch nicht wieder hergestellt worden. Man steigt
deshalb in Nesina zn Pferde. In der Einsiedelei bäckt ein
Eremit Pfannkuchen mit Oel und verkauft fabricirteu La-
crymä-Christi-Wein thener genug.
von Torre del Greco.
glich einer funkelnden Milchstraße. Weiterhin lagen im
Halbdunkel Misenum, Ischia und das Meer hinter ihnen.
In Neapel schimmerte der Leuchtthurm auf dem Molo; man
gewahrte den matten Schein der Laternen, und aus den
Bergen heraus blitzte und donnerte Jehova.
Von der Einsiedelei aufwärts muß man zn Fuße gehen
oder auf einem Esel reiten. Man kommt am Observato-
rinm vorüber, wo der Astronom de Gasparis ein paar
Planeten entdeckt hat und jetzt sein Nachfolger, Lnigi Pal-
! mieri, sich dem Studium vulkanischer Erscheinungen und
der Erdbeben widmet. Wir gehen weiter, nachdem wir uns
die verschiedenen physikalischen Werkzeuge betrachtet haben,
hinein iu das Thal, welches die beiden Gipfelhöhen scheidet.
Nun beginnen die Beschwerlichkeiten, denn von Weg oder
Pfeife ist keine Spur vorhanden, wir finden nur Asche und
Vesuv • La
Interessant ist das Fremdenbuch, iu welchem man die
Namen Alexander von Hnmboldt und Goethe (7. Septbr.
1792) findet, und die Aussicht ist wunderbar schön. Man
setzt sich unter einen schattengebenden Baum. Zn unseren
Füßen liegt die mannigfach geschwungene Küste vom Kap
Miseno bis Sorreut. Herrlich über alle Beschreibung ist
der Anblick, wenn gegen Abend die Sonnenstrahlen auf die
Insel Ischia fallen, uud dauu die Sonne wie eine Feuer-
^ugel hinter den Höhen verschwindet, welche noch von ihr
am Rande vergoldet werden. Monnier war zur Zeit des
Ausbruchs von 1855 auf der Einsiedelei, als der Mond
schien. Die eiue Hälfte des Vesuv lag iu tiefenl Schatten,
die andere erglänzte weiß; das Meer leuchtete, die Höhen
von Sorrent waren an den Seiten wie mit schimmernder
^ronce überzogen, vorn silberhell, und die Insel Eapri
a von 1861.
Schlacken, und diese letzteren vergleicht man sehr richtig mit
eisernen Schwämmen. Wir sehen weiterhin Steine, Erde,
Eisen, Schwefel, Alaun, Glas, Erdpech, Salpeter, Terra
cotta, Kupfer in seltsamer Mischung von allerlei Schmelz.
Der Regen hat tiefe Riffe und Auswaschungen gemacht, die
Schlacken rolle» unter unseren Füßen hinweg, wie die Steine
beim Einsturz eines Hauses. Doch wir müssen vorwärts
und kommen auch über die steinernen Schwämme hinaus.
Aber nun wird es noch schlimmer, denn wir sind ganz in der
Asche. Sie ist ein feiner röthlicher Sand, den man für
' Goldstaub halten könnte, aber man fällt bis zu den Knieen
hinein iu diese Massen, die man einen festen Teich nennen
könnte. Wenn man mit beiden Beinen bis über die Kniee
in dieser Asche steckt uud sich mit den Händen weiter helfen
muß, dann sinken auch diese bis an die Elbogen oder Schultern
108
Der Vesuv seit dem Ausbruche im December 1861
ein. Indessen was hilft das Alles? Man muß fort und
erreicht anr Ende den Gipfel.
Dort oben ist es kalt; wir hüllen uns in unfern Mantel
und gehen bis an den Rand des Kraters. Wir stehen vor einem
qualmenden Schlünde, dessen Gestalt sich sehr oft ändert; in
ihm liegt eine dicke Wolke, feucht und weiß. Bei Nordwind
wird sie verjagt und mau kann bis aus den Boden hinab-
sehen, der einer glühenden Schwefel- oder Eisengrube gleicht.
gleich ist oft wiederholt worden, aber er bleibt immer
wahr.
Aber wenn der Fenerberg wüthet und tobt, dann deukt
man nicht an dieses Paradies. Man blickt nach dem Krater,
welcher Flammen ausspeit oder Asche oder ungeheure Felseu-
massen, oder rothen glühenden Schnee, wenn der Ausdruck
erlaubt ist; er fällt in feurigen Flocken auf die Abhänge des
Kegels herab, häuft sich dort au, ballt sich, stürzt in flammen-
Erkaltete Lava.
Kühne Leute haben sich an Stricken herabgelassen, um diese
Feueresse Vulkans ganz in der Nähe zn betrachten.
Von oben hat man eine noch viel weitere Rundschau
als aus der Einsiedelei. Man überblickt drei Golfe, drei
Inseln, eine große Menge von Vorgebirgen und Landspitzen,
eine weite Meeresfläche, eine ausgedehnte Ebene, eine Haupt-
ftadt, fünf kleinere Städte, unzählige Dörfer, viele Berg-
höhen, kahle oder bewaldete, grüne und graue, und im
Januar sind sie weiß vom Schnee. Man blickt von einer
Hölle aus auf ein irdisches Paradies herab. Dieser Ver-
den Lawinen hinab, überzieht den Boden, überdeckt die Häuser,
verschlingt Städte und keine menschliche Gewalt vermag ihm
Einhalt zu gebieten.
Das Schauspiel ist gefährlich, wenn man ihm vom
großen Krater aus zusieht. Aber seit zwölf Jahren kommen
die Eruptionen nur selten aus diesem Schlünde. Denn von
1850 an haben sich Feuerquellen am Fuße des Kegels ge-
bildet, in der Thalschlucht, welche, wie schon gesagt, die
beiden Höhen von einander scheidet. Dort quillt die Lava
zu Tage, wie Wasser der Flüsse, das unter den Gletschern
und die Zerstörung von Torre del Greco.
109
hervorkommt. Man kann dem feurigen Strom ohne Ge-
fahr nahe kommen. Zu den Jahren 1855 nnd 1858 rollte
er langsam die Schlucht hinab; wo er über Anhöhen hin-
wegsluthete, bildete er rothe Kaskaden geschmolzenen Me-
talles und glühenden Schlammes. Im Uebrigeu war die
Oberfläche dieses Stromes glatt. Dem konnte man gemäch-
lich zuschauen nnd ans Neapel kamen viele Leute herauf
wie zu einem Lustfeuerwerk und um anmuthige Schauer zn
genießen. Aber Kenner behaupten, daß dergleichen eigent-
lich ein sehr „ordinäres Vergnügen" sei. Man müsse die
Lava an sich herankommen lassen, wie das denn Manchen
im Jahre 1855 zwischen Massa und San Sebastiano am
Fuße des Vesuvs geschehen ist.
Hitze jagte sie auf und die Verzweiflung konnte dem Ver-
derben nicht steuern.
Während dieses Ausbruches stand Monnier am West-
lichen Abhänge des Vesuvs, oberhalb San Sebastiano.
Der Führer erbot sich, ihn etwa hundert Fuß höher hinauf
zu geleiten, und meinte: „Den Strom haben wir nun ge-
sehen, jetzt können wir uns den Katarakt beschauen." Wir
zündeten, sagt Monnier, Fackeln an; zwei junge Frauen,
welche iu unserer Gesellschaft sich befanden, stiegen mit
uns eiueu steilen Pfad hinan, der fast senkrecht durch Busch-
werk führte. Wir mußten uns an den Wurzelstämmen
halten, um fortzukommen, nnd gelangten oben erst an eine
Schlncht und dauu auf Bohnenfelder. So drangen wir
Erhebung
Das war kein glühender Strom, sondern ein feuriger
Wall in Bewegung, eiue wandernde Glnthmaner
von eintanfendFnß Breite und zwanzigFnß Höhe.
Sie rückte langsam vorwärts und vernichtete Alles, was ihr
entgegenstand, verbrannte die Bäume, überdeckte die Häuser
und drang mit unwiderstehlicher Gewalt vor. Ilnd wenn es
^)ien, als wolle sie sich feststellen, dann kam wieder eine
^enerwoge und fluthete über sie hinweg, rollte Felsen und
^teinmasseu mit sich, füllte Tiefen aus, ergoß sich über
die Ebene und bedrohte die Dörfer am Fuße des Vulkans,
^as war iu der That ein furchtbares Schauspiel! Die
Neugierigen konnten diesem Lavastrom ausweichen, aber
^ie Dörfer nicht, und die Landleute schrieen herzzerreißend;
Uc waren, das Aergste befürchtend, in so wahnsinniger
Verzweiflung, daß manche sick platt auf die Erde warfen,
u>n sich ttprt dem Feuerwall vernichten zn lassen; allein die
s Meeres.
bis in die Nähe des Lavastromes, auf engem Pfade, wo ein
Fehltritt verhängnißvoll werden mußte. Noch ging es eine
Stunde Wegs weit, bis an einen Graben. Der eine
Führer sagte: „Excellenz, dies ist Pharao's Graben, und
Pharao war eiu römischer Kaiser!" Man kann
allerlei Neues bei einem Ausbruche des Vesuvius erfahren.
Nun befanden wir uns auf eiuer Hochebene; links
unter uns floß der rothe Lavastrom; weiterhin stieg dicker
Qualm empor; vor uns aus der andern Seite des Grabens
floß der Katarakt. Es war mir, als sähe ich den Rheinfall
bei Schaffhausen und eine Lawine zusammengenommen.
Der Abhang des Vesuvs war in dieser Nacht roth von
unten bis oben, einem nngehenern Blitz vergleichbar.
Glühende Felsenquader hüpfen und springen parallel auf
und bersten auseinander. Ein uns unsichtbarer Krater
wirft Feuerwellen ans und diese stürzen mindestens ein-
HO Der Vesuv seit dem Au
hundert Fuß tief herab. Der Strom wird immer breiter
und ergreift mächtige Kastanienbäume, die in weißer Gluth
emporflackern. Das Feuer spielt während dieser Schreckens-
nacht in allen Nuancen, wie Granaten oder Rubinen, wie
rothe oder weiße Rosen, wie Purpur, wie der schwefelgelbe
Blitz, wie Blut. Es reißt einen Hügel mit sich und stülpt
das untere Ende zu oberst, dann fällt er, selber schon Gluth,
in das gewaltige Feuermeer.
Im Jahre 1850 richtete der Vesuv seine Wuth uach
den Wolken hin. Damals stieg eine Feuersäule bis zu
sechstausend Fuß Höhe.
Die Ausbrüche kommen nur in seltenen Fällen unver-
mnthet; zumeist kündigt der Berg sie an und giebt Vor-
zeichen, und diese Warnungen werden beachtet. Die Brunnen
geben kein Wasser und der Bodeu am Vesuv saugt zu beben
an. Manchmal eröffnet allerdings der Krater sein Feuer,
ohne vorher, so zu sagen, durch Kanonenschüsse anzudeuten,
was er beabsichtigt, aber in solchen Fällen findet das
„Bombenwerfen" nur oben anf dem Gipfel statt. Ein
Lavastrom muß immer erst eine beträchtliche Wegstrecke
zurücklegen, bevor er Ackerfelder und Häuser erreicht, und
dringt so langsam vorwärts, daß Niemand von ihm über-
rascht wird. Bei den Ausbrüchen selbst ist also weniger
Gefahr für das Leben als für die liegende Habe.
Erdbeben find sehr häufig mit den Eruptionen ver-
bunden; die Abhänge des Vesuvs werden erschüttert und
diese Stöße reichen bis an's Meer. Sie haben blühende
Städte in Trümmerhaufen verwandelt. —
Wir wollen nun von? Kegel hinabsteigen. Zum Klettern
bedarf man wenigstens eine Stunde Zeit, zum Herunter-
gleiten kaum eine Viertelstunde. Man schwimmt auf eiuein
Niagara von Aschenstaub iu die Tiefe, indem man, den
Oberleib nach hinten biegend, glitscht und immerzu glitscht.
Unten befreit man das Schuhwerk von dem mineralogischen
Kabinet, das sich während dieser Fahrt in demselben an-
gesammelt hat, steigt zu Pferde und ist nach einer guten
Stunde in Refutci und Torre del Greco.
Dieses Torre del Greco war einst, bis in den
December des Jahres 1861, die sauberste Stadt in der
Provinz Neapel. Zwanzigtausend Einwohner lebten un-
besorgt in der Nähe des Vulkans, welcher doch schon mehr
als einmal ihre Vorfahren mit Untergang bedroht hatte.
Erst 1737, am 21. April, war ein Lavastrom bis dorthin
gedrungen, hatte die Mauer des Karmeliterklosters durch-
brechen, war in die Sakristei und in das Refektorium einge-
gekommen und hatte dann, nachdem er die Heerstraße über-
schritten, hart am Meeresgestade Halt gemacht.
Ein halbes Jahrhundert später fand ein fürchterlicher
Ausbruch statt; es war im Jahre 1794. Der Lavastrom
war fünfzehnhundert Fuß breit, vierzehn Fuß hoch, floß
vierthalb italienische Meilen weit und drang sechshundert
Fuß weit in's Meer hinein. Der englische Gesandte in
Neapel, Sir William Hamilton, fuhr am dritten Tage des
Ausbruches mit einer Barke in See, um die glühende Maner
genau zu betrachten. Dreihundert Fuß im Umkreis kochte
und dampfte das durch die Lavagluth erhitzte Wasser und
stieg an einem Punkte, wo zwei Lavaströme einander be-
gegneten, gewaltig in die Höhe. Weit und breit starben
tue Fische nnd die Muschelthiere. Hamilton mußte iu aller
Eile an's Land rudern, weil in dem siedend heißen Wasser
der Theer an der Barke schmolz und diese leck wurde.
Damals warf der Krater eine fo ungeheure Menge
von Asche aus, daß ein zehn Loth schwerer Ast an einem
Feigenbaume vier und sechszig Loth Asche trug. Dergleichen
Ascheneruptionen kommen manchmal zugleich mit den übrigen
Ausbrüchen vor, und sind zuweilen noch schrecklicher als
euch im December 1861
die anderen Arten. Die Stadt Pompeji wurde von einem
Aschenregen begraben. Mehr als einmal ist Aschenstaub
des Vesuvius bis uach Rom, einmal sogar bis nach Aegypten
hinübergetrieben worden. Im December 1861 bedeckte
er Neapel und die ganze Campagna.
Im Jahre 1794 floß die Lava bis nach Resina hinab
und nahm dann die Richtung nach Torre del Greco, so
plötzlich, daß die Einwohner kaum sich zu retten vermochten!
fünfzehn alte und kranke Leute, die sich verspätet hatten,
kamen um. Ein Mönch hatte große Roth mit sieben alten
Nonnen, die platterdings ihr Kloster nicht verlassen wollten.
Die älteste zählte neunzig Jahre, wärmte sich die Hände
über der Lava, welche am Kloster vorüberfloß nnd fand das
ganz hübsch. Man mußte diese Schwestern mit Gewalt
fortschaffen; sie wollten nicht vom Platze weichen, weil sie
keinen Dispens vom Papste hatten; sie fürchteten sich mehr
vor der Höllenpein als vor dem Feuerstrome des Vesuvs.
Als sie endlich fortgerissen wurden, ließen sie ihre Schmuck-
sacheu zurück uud nahmen das Zuckerwerk mit. Ueberhaupt
kamen manche merkwürdige Dinge vor; zum Beispiel ein
Dieb drang in ein Hans, in welches schon die Lava herein-
quoll, um eiu Schwein zn stehlen.
Aber die Torresi, das heißt die Bewohner von Torre,
bauten ihre Häuser wieder, als ob gar nichts vorgefallen
fei; die erkaltete Lava diente als Fundament, die alten, vom
Feuerstrom verschlungenen Häuser wurden als Kellerräume
benutzt, und die Leute waren volle sieben und sechszig Jahre
lang heiter und vergnügt.
Da erfolgte am 8. December 1861 ein gewaltiger
Erdstoß und schreckte sie aus ihrer Sicherheit aus. Die
Stöße waren von furchtbaren Getöse begleitet und etwa eine
Miglie oberhalb der Stadt öffnete sich plötzlich an vier oder
fünf Stellen der Boden. Steine uud „Bomben" wurden
aus den Eingeweiden des Vulkans in die Lüfte geschleudert,
dieser spie zugleich Asche und Flammen ans, und blaue
Blitze zuckten nach allen Richtungen hin. Jetzt .sahen die
Torresi, daß ihre Stadt rettungslos vom Untergänge be-
droht sei. Sie entflohen nach Resina und viele bis nach
Neapel. Es war ein entsetzlicher Anblick, als zwanzig
tausend Menschen iu wildem Gewirr, schreiend und heulend,
weinend und jammernd sich auf der Landstraße drängten,
während der Feuerberg wüthete, und diese entsetzliche Flucht
dauerte mehre Tage lang. Die Eisenbahnwägen waren in
ununterbrochener Thätigkeit, konnten aber nur eiueu Theil
der Menschen nnd ihrer Habe in Sicherheit bringen.
Der erste Stoß hatte die Stadt nur erschüttert, aber
bald kamen andere und warfen Alles über den Haufen.
Die alte Lava, welche, wie wir bemerkt haben, das Fnnda-
ment für die Wohnungen bildete, barst auseinander, bekam
weit auseinanderklaffende Risse und tiefe Spalten und
dadurch wichen die Häuser aus dem Winkel. Von vielen blieb,
wie unsere photographisch aufgenommene Abbildung zeigt,
die eiue Hälfte stehen, während die andere in den Abgrund
versank. Aus dein Marktplatz entstand eine brunnenartige
Vertiefung, welche alle früheren Lavaschichten derart durch-
brach, daß das Pflaster aus der Römerzeit offen gelegt
wurde. Nicht ein einziges Haus ist unbeschädigt geblieben,
an vielen sind alle Vordermauern eingestürzt, so daß das
Innere offen liegt, die Balkone hängen da und dort halb
fest; uach der Katastrophe sah man in manchen Wohnungen
noch unversehrte Gemälde hängen, und mitten auf und
unter deu Trümmern Blumen in Menge. Wochenlang
mußten die Straßen abgesperrt bleiben, weil allstündlich
Gemäuer einstürzte. Alles war öde und schweigsam, von
dem einst so regen Leben iu dieser der Vernichtung anHeim-
gefallenen Stadt auch keine Spur mehr. Dann und wann
und die Zerstörung von Torre bei Greco.
III
sah man einzelne Neugierige, welche keine Gefahr scheuten,
einen Priester und arme Frauen, welche über das Unglück
jammerten. Alle Einwohner sahen sich Heimathlos, nur ein
einziger Mensch war auf seinem Posten geblieben und wollte
nicht wanken und weichen. Es war ein Obsthändler. Er
erklärte mit stoischer Ruhe: „Hier wurde ich geboren und
hier will ich auch sterben."
Oede und Grabesstille lagen nun über Torre del
Greco. Bald aber kamen die Männer der Wissenschaft,
um ihren Forschertrieb zu befriedigen. Die schon oben von
uns erwähnten Ausströmungen von Gasen, die Mosetti,
wie die Italiener sich ausdrücken, erregten ganz besonders
ihre Aufmerksamkeit. Sie kamen auf der ganzen Küsten-
strecke von Torre del Greco bis Resina zum Vorschein, eine
sogar in der Kirche des letztgenannten Ortes, als diese eben
gedrängt voll betender Menschen war. Sie mußten fliehen,
um nicht erstickt zu werden, was näher bei Torre del Greco
manchen Hunden, Katzen und selbst Kühen begegnete. In
der ganzen Stadt herrschte ein unerträglicher böser Geruch,
selbst die Eisenbahnzüge eilten so rasch als möglich weiter.
Diese Gase waren gleichsam der Leichengeruch der tobten
Stadt.
Entsetzlich war auch der Aschenregen. Ungeheure
Wirbel drangen nicht nur ans den neuen Oeffnnngen hervor,
sondern auch aus dem alten Krater. Die Asche lag über
der Campagna und über dem Meere wie eine dichte Wolke.
Es war so dunkel, daß die Bahnzüge langsamer gehen
wußten; ein Dampfer, der von Palermo kam, hielt auf der
Höhe von Capri still. Dünste und Asche haben übrigens
an den Pflanzen nur geringen Schaden gethan. Nach dein
Ausbruche von 1794 trug der Weinstock so reichlich, daß
wan nicht wußte, wo man die ungeheure Menge von
Trauben lassen sollte. Die Abhänge des Vesuv siud über-
Haupt ungemein fruchtbar.
Bemerkenswerth war ein kleiner Lavastrom, der gerade-
Zu auf die Stadt hin geflossen ist, sich aber ein paar hundert
Schritte vor derselben feststellte. Ein Arm desselben kam
bis in die Nähe der Villa des Kardinals Riario Sforza,
wagte aber nicht dieselbe anzutasten. Das Volk von Neapel,
das überall Wunder sieht, glaubte auch hier an ein solches.
Die Lavaströme von 1861 waren übrigens nicht so
gewallig wie die oben beschriebenen. Der obere Krater,
welcher lange Zeit ruhig gewesen war, warf, wie wir schon
sagten, Asche aus und zeigte bei Nacht rothen Schein, etwa
so wie wir ihn bei einer gewaltigen Feuersbrunst sehen,
aber es waren nicht die vielen tausend Fuß hohen „Glut-
sederbüsche" die tausende von Fuß in die Luft reichten.
Der Ausbruch vom Jahre 70 nach Christus zerstörte,
wie Jeder weiß, die Städte Herkulanum, Pompeji, Stabiä
und viele Dörfer. Vor dieser Katastrophe ahnte Niemand,
daß der Vesuv ein Vulkan sei. In den Zeiten des Kaisers
Augustns war der Gipfel weit niedriger als jetzt, mit Neben
Gedeckt und oben ging eine Höhle mit zwei Oeffuuugen hin-
durch. und achtzig Gladiatoren des Spartacns flüch-
^eten sich einst in dieselbe und entgingen dem sie verfolgen-
den Prätor Claudius.
Seit dem Jahre 1731 ist Torre del Greco sieben oder
achtmal heimgesucht worden. Jetzt hat sich am Strande
der Boden erhöht und das Meer ist zurückgewichen, wie einst
* Pozzuoli. Mit dieser Bodenerhebung begann das Werk
k,ev Zerstörung; sollte der Bodeu wieder sinken, dann bleibt
sicherlich kein Stein auf dem andern. Die Behörden haben
•lecht, daß sie die Wiederherstellung von Torre del Greco
uicht erlauben.
Merkwürdig war der Anblick des siedenden und zischen-
den Meeres; an manchen Stellen wallte es empor, als ob
es durch ein submarines Fener erhitzt worden sei. Einzelne
heiße Meeresströme, die gewaltig anschwollen, drangen in
die Straßen hinein; daß dieselben eine Kirche nicht zerstörten,
ist ein „Wunder". Der Süditaliener wendet sich bei jedem
Mißgeschick an die Heiligen, und der Katholik Monnier er-
zählt in Bezug darauf einige eigenthümliche Thatsachen. In
Neapel glaubt das Volk steif und fest, daß diese Stadt vom
Ruinen von Torre del Greco. 8. December 1861.
Vulkan deshalb nicht angetastet werden könne, weil der hd*
lige Januarius das nicht dulde. Eines Abends, so sagen
und glauben die Leute, stand das Bild des Heiligen vor der
Stadt nach der Richtung hin, in welcher der Vesuv liegt,
mit gesenktem Haupt und ausgestreckter Hand, gleichsam als
wolle er der Lava zurufen: Weiter darfst du nicht kommen.
Die Lava kam dann auch nicht bis Neapel.
Seit jener Zeit hat die Statue des Heiligen jene
Stellung bewahrt. Als 1779 ein Ausbruch stattfand, wurde
sie aus ihrer Kirche geholt, bis auf die Magdalenenbrücke
112
Der Vesuv seit dem Ausbruch im December 1861 und die Zerstörung von Torre del Greco.
gebracht und von einer großen Volksmenge umlagert. Ein
Fremder, der in raschem Trabe von Portici gekommen war,
wollte schnell hindurchfahren, aber das Volk hielt ihn an;
er sollte aussteigen und vor dem Heiligen niederknieen. Der
Fremde verstand aber den Volksdialekt nicht, und die from-
men Leute wollten Hand an ihn legen. Da faßte er sich,
griff in die Tasche, warf Silberstücke umher, und nun ver-
gaß das Volk den Heiligen; der Fremde konnte weiter fahren.
furcht uud ziehen den heiligen Antonius vor, der überhaupt
Schutzpatrott gegeu das Feuer ist. Im Jahre 1850 half
aber auch der heilige Antonius nicht, und deshalb wandten
sich die Bewohner des damals vom Vesuv bedrohten Otta-
jano an Papst Pius de» Neunten, welcher sich gerade in
Gaeta aufhielt. Der heilige Vater fagte ilmen, daß er
nicht im Stande sei, Wunder zn thnn, er wolle aber für sie
beten. Aber in die Wirksamkeit von Gebeten setzen die
es,
isH v*. 1/x
i .v «—•
Ruinen von Torre del Greco.
Iu der bonrbonischen Zeit glaubte auch der Hof an den
mächtigett Einfluß der Schutzheiligen. Bei Eruptionen ließ
der König die Reliquien St. Januarii nach dem Fort St.
Elmo bringen und dieses festlich beleuchten. Weil das im
December 1861 nicht geschah, mußte Torre del Greco zu
Grunde gehen. So folgert die neapolitanische Volkslogik.
Andere behaupteu dagegen, Sankt Januarius beschütze
lediglich und allein die Stadt Neapel, uud deswegen haben
die Bauern der Umgegend vor ihm nur sehr geringe Ehr-
Leute in jenem Lande kein großes Vertrauen, sie wollen
Wunder haben und sehen. Deshalb wandten sich die
Leute von Ottajano an die Korallenfischer von Torre dell'
Annunziata, welche vor Zeiten einmal eine Madonnenstatue
aus dem Meeresgrunde heraufzogen. Fischer aus anderen
Ortschaften hatten' sich vergebliche Mühe gegeben, dieselbe
an's Tageslicht zu schaffen, aber die von Torre dell' Annn-
ziata brachten das fertig und stellten diese Madonna in ihre
Kirche. Jetzt wollten jene von Ottajano das hölzerne Bild
Eine Wanderung vom Jrtysch in Sibirien nach Königsberg am Pregel. HZ
leihen und die Besitzer hatten auch nichts dagegen. Aber Hand anlegten, ward sie sogleich gefügig und ließ sich von
die Madonna wollte nicht fort, und die Ottajaner konnten ihnen bis dicht an den Lavastrom tragen, der nun auch
nichts ausrichten. Sie blieb auf ihrer Stelle, als wäre sie sofort stehen blieb. Nach Torre del Greco hat man 1861
angeschmiedet. Als aber die Leute von Annunziata selber das hölzerne Bild nicht getragen.
Eine Wanderung vom Irtysch in Sibirien nach Königsberg am pregel.
Zweiter Artikel.
I» Weliki Ustjug. — Handel der Stadt. — Der Dwinastrom. — Rückblick auf die Westseite des werchoturischen Ural. — Schifffahrt auf der Dwina. —
Barken und Lootsen. — Fromme Bräuche. — Russische Volksgesänge. — Cholmogory. — Lomonossow und dessen Denkmal. — In Archangel. — Das
Solowetzkische Pilgerhaus, — Kirchengebräuche. — Die Solowetzkiscben Klöster im Eismeere und deren Einrichtungen- — Bon Archangel an der Küste des
Eismeers und bis nach Onega. — Die Handelsstadt Whtegra, — Flußfahrt auf der Wytegra. — Der Swir, der Ladoga-See und -Kanal. — Der neue
Kanal und Schlüsselburg. — Das russische Kanalsystem. — In St. Petersburg. — Bon dort über die deutsche Grenze. —
Wir haben erzählt, unter welchen Beschwerden der Flüchtling
Piotrowski von seinen Verbaunnngsorte in Sibirien (— der Jeka-
terinskischen Kolonie, etwa zwei Meilen von Tara, das 47 Meilen
nördlich von Omsk liegt —) über das Uralgebirge bis nach
Weliki Ustjug im Gouvernement Wologda gekommen war.
Diese Stadt ist eiu wichtiger Punkt für den Handel, denn dort be-
ginnt eine wichtige Wasserstraße. Der Jug vereinigt sich mit der
Snchona und beide bilden die Dwina, welche mehrere Meilen
unterhalb von Nordosten her die Wytschegda ausnimmt und
durch diese beträchtlich vergrößert wird. Die Stadt ist auch eiu
Sammelpunkt für Landeserzeugnisse aus den Gubernien Wjätka,
Perm, Wologda und einem Theile Sibiriens; dorther bringt man
Getreide, Flachs, Hanf, Talg, rohe Häute, Theer. Schiffsbauholz,
Mehl, Graupen und Pelzwerk, um auf dem Strome nach Archan-
gel am Weißen Meere verschifft zu werden. Von dort, wo diese
Waaren in den Welthandel gelangen, kommen dann vorzugsweise
Fische, Kolonial- nnd mancherlei Fabrikwaren in's Binnenland.
Weliki Ustjug hat viele reiche Kaufleute und noch mehr Bettler,
mehr als zwanzig Kirchen und zwei wunderthätige Heilige. Der
eine, St. Prokopins, hat einmal bei Lebzeiten einen furchtbaren
Steinregen von der Stadt und Umgegend abgewaudt, und ist nun
Schutzpatron der Kauslente, welche Waaren auf der Dwina ver-
schiffen. Der zweite Heilige ist Johannes, genannt der Einfältige
(Dnratschok); er stellte sich sein ganzes Leben hindurch einfältig,
nahm alle Beleidigungen ruhig hin und ermahnte, um heilig zu j
werdeu, das Volk zur Buße.
Die Kaufleute in einem weiten Umkreise von Weliki Ustjug be-
laden im Frühjahr eine Menge von Schiffeu, die nach Archangel
bestimmt sind. Während des Winters reifen ihre Agenten umher
und miethen Arbeitsleute, welche sich für die Fahrt verdingen und
rechtzeitig in Ustjug erscheinen, das als Sammelplatz gilt. Gegen
den 6. Mai brach hier das Eis auf der Dwina; von den südlichen
Strömen kamen dann Barken, aber die Wytschegda stand noch fest.
Da sie aber in den nächsten Tage aufgehen mußte, so vermiethete
der Flüchtling sich als Schiffsknecht, denn anf diese Art konnte er :
sicher bis Archangel kommen. Als Bürgschaft gab er seinen Paß.
Das war am 9. Mai 1846,
Die von Piotrowski durchwanderte Gegend von Solikamsk
auf der Westseite des Werchoturischen Ural bis Weliki Ustjug bildet
eine große, mit Wäldern bedeckte Ebene. Dörfer liegen iu weiter
Entfernung von einander; Brüche und Sümpfe siud häufig. Um
^-scherdyn und Solikamsk, also etwa unter 60° N. Br., gedeiht
neben Gerste und Hafer auch noch Weizen (— wenn anders Pio-
trowski sich nicht irrt —) und weiter nach Norden hin auch schöner
Hanf und vorzüglicher Flachs, deu man am liebsten in solchen
Boden säet, wo eben Birkenwaldung niedergebrannt worden ist.
Waldbeeren, Fische, Milch und Fleisch hat das Volk im Ueberfluß
Globus für 1862. Nr. 28.
und ist mit seiner Lage zufrieden. Viele Leute wandern Tausende
von Werst weit, um sich Arbeit zu suchen; denn im Ganzen ist das
Land rauh, und nur zu geringem Theil für den Ackerbau geeignet.
Die Regierung hat Wege durch die Wälder hauen lassen und be-
sondere Sorgfalt auf die Anlage von Kanälen verwandt. Dadurch
ist der Handel bis zum Eismeere sehr gefördert worden nnd der
Austausch von Erzeugnissen erscheint von großem Belang.
Der Flüchtling war nun Schiffsknecht auf einem jener Getreide-
schiffe, welche zu vielen Hunderten die Dwina befahren. Sie sind
fast alle von einerlei Größe nnd Bauart, 30 Fuß lang, 25 breit,
10 hoch, nnd haben „weder Nase noch Schwanz", das heißt, sie
sind vorn und hinten abgestumpft; das Ganze ist znsammeugezim-
mert aus behaueuen nnd behobelten Stämmen, die mit Moos und
Theer kalfatert werden. In diesem Schiffskörper befindet sich ein
zweiter, innerer, etwa anderhalb Fuß über dem erstern; er steht
von den Wänden des äußern etwas ab, ist ganz dicht, mit Binsen-
matten ausgelegt nnd bildet den Laderaum. Das Ganze ist mit
Brettern und Schindeln gedeckt. Hinten am Boot ist eine ganze
Tanne befestigt, deren kürzere Hälfte über dem Wasser liegt nnd als
Steuerruder, Rul, dient; vorn befindet sich ein ähnliches, aber
kleineres Ruder, Pouosua. Jenes wird von sechs bis sieben,
dieses von vier oder fünf Leuten regiert. Je uach Größe der Barkeu
und der Ladung werden dreißig bis vierzig Ruder angewandt, auf
jeder Seite die Hälfte, und die Ruder bestehen aus jungen, an den
Enden ruderartig abgeplatteten Tannen. Alle Arbeiter sind auf
dem Dache.
Solch eine Barke ladet 28,000 Pud (gegen 40Pfuud) Getreide,
gleicht einem schwimmenden Speicher und steht unter Leitung eines
Nosnik, Lootsen, der Fahrwasser nnd Untiefen der Dwina genau
kennt. Er hält sich iu der Mitte des Schiffs, paßt auf und giebt
den Ruderern Weisungen; ein Gospodarz istWirth oder Schaff-
ner und hält Alles iu Ordnung. Piotrowski war für das große
Ruder bestimmt. Mit Tagesanbruch rief der Nosnik: „Setz dich
und bete zu Gott!" Alle bekreuzten und verneigten sich. Am ersten
Morgen warf jeder eiu knpfernesGeldstück in dieDwina,
gleichsam um die Gunst des Stromes zu erkaufen.*)
Nachdem das geschehen, wurde das Tau gelöst und die Barke
schwamm bei heiterm Himmel die Dwina hinab; aber bald bewölkte
sich der Himmel, es begann zu schneien und das Schiff mußte dicht
am Ufer vor Anker gehen. Das eisig kalte Unwetter hielt zwei
) Das ist ein nralter Brauch, der auch in anderen Theilen Rußlands,
nur in etwas abweichender Weise, vorkommt, z. B. bei den Barowitzkifchen
Stromschnellen in der Msta. Bevor ein Schiff über dieselben hinfährt,
spricht die Mannschaft gemeinschaftlich ein Gebet, der Eigenthünier nimmt
die Mütze ab, tritt dicht an den Bordertheil des Schiffes hinan, wirft etwas
Brot uud Salz in den Strom und spricht: „Mütterchen Msta, wir brin-
gen dir Salz und Brot; sei gnädig gegen nns". A.
«
114
Eine Wanderung vom Jrtysch in Sibirien nach Königsberg am Pregel.
Tage an, dann trat Thanwetter und gleich nachher Glatteis ein;
es war sehr gefährlich, auf dem abschüssigen Schifssdache zu gehen.
Erst am dritten Tage fuhr man weiter, und jedesmal, wenn die
Barke wieder in Bewegung gesetzt wurde, wiederholte sich die Cere-
monie mit der Kupfermünze. Das Wetter wurde gut, die Rüde-
rer saugen und plauderten, nur bei gefährlichen Stellen dauerte die
Arbeit anhaltend mehrere Stunden und sie war ganz außerordent-
lich anstrengend und ermüdend; die Schisssknechte riefen dann einan-
der „Lustig! munter!" zu und entwickelten, wie der Pole sagt, eine
dämonische Kraft. Er lernte bald alle Handgriffe und wurde bei
deu Leuten beliebt.
„An hellen Tagen setzten die Ruderer sich in einen Kreis und
sangen Lieder, ächt russisch, mit Nachdruck, Seele und Lust, und mit
einem nur dieser Nation eigenen Accente. Manche Lieder hatten
kriegerischen Inhalt, die meisten aber waren erotischer Natur, in
allen herrschte große Gedanken- und Gefühlsarmuth.
Die Wendungen und Einschnitte, Hebung und Senkung uament-
lich im Nebergauge vom Solo zum Chor sind sehr eigentümlich."
In finsteren Nächten oder an stürmischen Tagen lag die Barke
vor Anker; bei gutem Wetter schwamm sie Tag und Nacht, gerieth
aber, trotz aller Borsicht, zwei Mal auf Uutiefen und wurde nur
mit großer Mühe wieder stott gemacht. Außer den größeren Fahr-
zeugen gehen auch viele kleinere, Karbassen, auf der Dwina;
sie sind kahnartig gebaut, haben Mast und Segel und können bis
zu 2000 Pud laden.
An den Ufern der Dwina liegen viele Dörfer, alle aus Holz ge-
baut und recht hübsch; die Kirchen sind massiv. Aus deu Dörfern
kommen Bettler in Kähnen und bitten um Brot. Unterwegs muß
dem heiligen Nikolaus, dem besondern Schutzpatron der Russen und
namentlich der Schiffer, ein Opfer gebracht werden. Die Bettler
singen Lieder, indem sie den Schiffern glückliche Fahrt und Heim-
kehr wünschen. „Das russische Volk ist ungemein mitleidig und
freigebig, und unbedenklich wird Jeder das letzte Stück Brot mit
dem hungrigen Bettler theilen." Die Ufer sind zumeist mit Nadel-
holz bestanden.
Gegen Ende des Maimonats war das Schiff unterhalb der
Mündung der Piuega bei Cholmogory (Kolmogorow), dem
Geburtsorte des Geschichtsschreibers, Chemikers und Dichters
Lomonossos, welcher in den Tagen der Kaiserin Elisabeth, seiner
Gönnerin, gegen die Bärte der russischen Geistlichkeit eiferte und
die wahrscheinlich sehr richtige Behauptung ausstellte, daß die
Seeleu in jener Welt jedenfalls keinen Bart trügen.
Daraus folgerte er, daß die Popen, als Hüter der Seelen, keinen
Bart tragen dürften, sonst — träten sie mit der christlichen Religion
in Widerspruch. Cholmogory liegt beinahe unter dem 65. Grade
nördlicher Breite, hat aber einen prächtigen Schlag Rindvieh, der
sehr viel Milch giebt, jedoch in anderen Gegeudeu ausartet.
Die Nächte waren nun so hell, daß man ohne Kerzenlicht lesen
uud schreiben konnte. In einer solchen hellen Nacht erblickte der
Flüchtling die Thürme von Archangel. Man warf, einem alten
Brauche gemäß, den Küchenkasten mit Allem was darin war, in
die Dwina, ging dann vor Anker und zerbrach sofort alle Ruder,
deun auch das ist alte Sitte. Piotrowski erhielt nun seinen falschen
Paß zurück nebst seinen 15 Rubeln Lohn und ging mit mehreren Bo-
homolzen (Pilgern) in das Solowetzkische Haus. In dieser Herberge
der Wallfahrer wurde nach keinen Passe gefragt uud der Fremde
fand Unterkommen. Nachdem er seinen Neisesack dem Hansmeister
anvertraut hatte, schleuderte er in der Stadt umher; seiue Absicht
war, im Hafen ein Schiff ausfindig zu machen, anf welchem er aus
Rußland entfliehen könne.
So kam er anf einen schönen Rasenplatz, wo ein kolossales
Standbild Lomonossow's sich erhebt; der Mann steht indem russi-
scheu Klima mit entblößtem Haupte da und trägt eine römische
Toga! Die linke Hand greift nach einer Harfe, welche ein geflügel-
ter Engel ihm darreicht. Piotrowski stellte sich, als wisse er nicht,
wem das Denkmal gelte, und fragte, wer das sei? Ein kluger
Russe antwortete: „Nun, er war ein großer Zauberer, verstand in
den Sternen zu lesen. Regen, Sturm uud schönes Wetter zu
machen uud die Zukunft vorauszusagen. Dem Kleinen da bringt
er seine Wissenschast bei, er übergiebt ihm das Zauberinstrument."
Das war eine Antwort!
Fünf Sechstel der Hänser in Archangel sind aus Holz gebaut,
aber recht hübsch; die Straßen gerade, rein und erträglich gepflastert.
Dagegen bietet die Vorstadt Solonbal, die auf einer morastigen
Insel liegt, einen kläglichen Anblick dar. Im Hafen lagen einige
zwanzig fremde Schiffe aus Hamburg, Holland, England, Schwe-
den uud Norwegen, aber ans Frankreich keins. Ein solches wäre
dem Flüchtling am liebsten gewesen. Er ging den Hafen entlang,
um französisch oder deutsch mit dem einen oder andern Schiffer UN-
bemerkt zu sprechen, allein überall waren unwillkommene Zeugen
und auf jedem Schiffe stand ein russischer Unteroffizier, der Tag
und Nacht Wache hält und Keinen auf das Schiff läßt, der uicht
zur Bemannung gehört. Außerdem stand noch eine Kette von
Soldaten den Hafen entlang, und Niemand durfte ein Schiff ver-
lassen oder dasselbe besteigen, bevor er sich nicht als zur Mannschaft
gehörend ausgewiesen hatte. Hier war keiue Hoffnung zum Ent-
rinnen und Piotrowski giug sehr betrübt uach seiuer Herberge
zurück.
Das S o lo w e tz ki sch e H a u s war mit Pilgern überfüllt uud
bot einen merkwürdigen Anblick dar. Weiber, Kinder und Män-
ner lagen bunt durch einander und wie Heringe zusammengedrückt.
Am andern Tage schiffte sich ein Theil dieser Bohomolzen nach den
Klöstern ein, aber dafür kamen neue Schaaren angezogen, denn
jede Barke, welche die Dwina herabkam, brachte mehr oder weniger
Wallfahrer mit. Sie strömten sofort in die Kirche, ließen Gebete
über ihren Häuptern hersagen oder sich d i e E v a n g e l i e n a n f d e n
Kopf legen, ein dickes Buch in Folio von mehr als zwei Fuß
Länge uud verhältuißmäßiger Breite. Der Einband war von
starkem Holze, mit schwarzem Leder überzogen, auf welchem die
ans Silber gegossenen Figuren der zwölf Apostel befestigt waren.
Dieses Buch war so schwer, daß der Pope dasselbe nur mit Mühe
handhaben konnte. Wer das Evangelium über sich lesen läßt,
verneigt sich so tief, daß der Pope ihm dasselbe auf den Kopf legen
und dann bequem lesen kann. Oft tragen die Köpfe mehrerer
Frommen gleichzeitig das Buch und so vertheilt sich die Last, aber
das Volk meint, die Gebete seien dann nicht so wirksam. Man
muß, sagt der Flüchtling, in der That Schädel und Genick eines
Russen haben, um ein solches Gewicht ohne Schwanken eine volle
Viertelstunde lang auszuhalten; „aber einem russischen Menschen ist
nichts unmöglich." — „Ichhörte, wie einMuschik (Bauer), welchem
während der Procedur die Aderu angeschwollen waren, beim Heraus-
gehen aus der Kirche rief: Gelobt sei Gott, denn durch das Lesen
ist mir der Schmerz, an welchem ich so lange gelitten, aus dem
Kopfe weg!" — Natürlich läßt sich die Geistlichkeit, am Eismeere wie
überall, gut bezahlen, und je mehr ein Frommer giebt, um so
lauter und eifriger wird gebetet und gelesen.
Piotrowski giug wieder au den Hafen uud warf sehnsüchtige
Blicke auf die Schiffe. Das Herz wollte ihm springen; er war
nur wenige Schritte von den Fahrzeugen entfernt, welche ihm Net-
tnng und Freiheit gewähren konnten. Aber alle seine Versuche, mit
Schiffskapitänen in Berührung zu kommen, scheiterten. Er mußte
also einen andern Plau fassen; auf jedeu Fall mußte er zunächst dem
südlichen Gestade des Weißen Meeres entlang nach O n e g a wan-
dern. Von dort konnte er entweder gerade nach Westen hin, durch die
sinnischen Sümpfe, nach Torneo vordringen, das an der Spitze
des Bottnischen Meerbusens liegt, uud dort über die Grenze nach
Schweden gehen, oder er mußte eine Richtung gen Südwesten nach
dem Finnischen Meerbusen hin einschlagen, um durch Livlaud und
Kurland uach Preußen zu gelangen. Aber in jedem Falle mußte
er zunächst nach Onega.
Bon Archangel geht eine 200 deutsche Meilen lange Post-
Eine Wanderung vom Jrtysch in Sibirien nach Königsberg ain Pregel.
115
straße nach St. Petersburg, und sie bildet den kürzesten Weg, aber
diesen konnte der Flüchtling nicht wählen, weil ihm ein regelrechter
Paß fehlte.
Ar ch an g el ist im Allgemeinen eine heitere, hübsche Stadt und
der wichtigste Hafenplatz am Nördlichen Eismeer, in welchem
während der Schifffahrtszeit ein sehr reger Verkehr herrscht. Auch
ein paar Dampfer befahren die Dwina; die Zahl der Einwohner
beträgt etwa zwanzigtausend. Die mehrfach erwähnten S o lo w etz-
kischen Klöster liegen etwa vierzig deutsche Meilen nordwestlich
von Archangel ans drei Inseln im Weißen Meere. Sie gehörten
früher der alten berühmten Republik Nowgorod, und wurden fpä-
ter vou Einsiedlern aufgesucht; die heiligen Leute baute» dort
Häuser und gaben sich der Andacht hin. Bald kamen viele fromme
Pilger, die Heiligen thaten bei Lebzeiten und nach dem Tod allerlei
Wunder und seit 1429 entstanden auf deu Inseln mehrere Klöster,
denen es an Gaben nicht fehlte; sie wurden reich. Das große
Kloster auf der Hauptinsel Solowetzkoi ist von seltener Pracht und
hat eine kolossale Ausdehnung. Man umgab es mit Festnugs-
Werken, weil dort viele Schätze niedergelegt wurden. Seit dem
siebenzehnten Jahrhundert wallfahrten alljährlich viele tausend
Pilger dorthin, die zum Theil sogar ans dem östlichen Sibirien
kommen. Auf deu Inseln gedeiht nur Kohl; alle anderen Lebens-
mittel mnß man aus Archaugel holen; doch halten die Mönche Kühe
und Pferde. Dicht beim Kloster befindet sich ein klarer Süßwasser-
see, in welchem jeder Pilger sich baden muß, ehe er Kloster und
Kirche betritt; mich muß er die Reisekleider ablegen. Eine solche
Vorsicht ist allerdings bei russischen Pilgern doppelt und dreifach
uöthig. Der solchergestalt gesäuberte Mensch findet Unterkommen
in den geräumigen Herbergen neben dein Kloster. In den Sälen
stehen lange Tische und Bänke; dort speisen nnd schlafen die Wall-
fahrer, aber die Geschlechter sind von einander getrennt. Jede Ab-
theilnng wird von Mönchen überwacht, welche eine Art von Polizei
ausüben. Drei Tage kann jeder Pilger unentgeltlich im Kloster
leben; wer länger bleibt, mnß dafür bezahlen. Während des
Aufenthalts betet der Pilger, stellt Lichter auf, läßt das Evangelium
auf seinem Kopfe lesen, beichtet, und muß für das Alles bezahlen,
aber der Preis ist gering, weil die große Menge doch Profit bringt;
auch wird viel in eiue Büchse geworfen. Im Durchschnitt kommen
jährlich an die dreißigtausend Bohomolzen nach der Solowetzkischen
Insel. Sobald nur das Weiße Meer für Schisse fahrbar wird,
vom Anfang Juni, strömen sie von allen Seiten herbei; doch
kommen die meisten über Archangel, wo sie Karbassen besteigen
und wie Heringe zusammengedrängt werden. Die Mehrzahl
wandelt, um die unbequeme mühselige Fahrt um das Kap Onega
Zu vermeiden, zn Fuß am Gestade des Weißen Meeres entlang, bis
zu dem Punkte, welcher den Inseln gegenüber liegt; dort besteigen
sie Karbassen, und diese legen den Weg von vierzig Werst in einem
Tage zurück. Die Wallfahrten dauern nur bis Ende September,
weil dann alle Schifffahrt aufhört. Die Nordstürme brechen herein
und treiben gewaltige Eismassen ans dem Nordmeere nach Süden.
Die Mönche werden allgemein gerühmt wegen ihrer Freundlichkeit,
Sanstmnth, Güte und Milde. Vom September bis Juni sind sie
von der ganzen übrigen Welt abgeschlossen. Wir wollen noch
bemerke», daß die Solowetzkischen Festungswerke zuweilen politische
Verurtheilte aufnehmen. Piotrowski erwähnt nach weit verbreiteten,
aber sicherlich ungegründeten Annahmen, daß dort Großfürst Kon-
stantin im Kerker geschmachtet habe. —
Der Flüchtling war drei Tage in Archangel. Am 2. Juui
kaufte er Brot, nahm seine Habseligkeiten, setzte über die Dwina,
genoß in einem Dorfe ein Bad und zog reine Kleider an. Das
war sehr nöthig, nachdem er in der Pilgerherberge gewesen war.
Dann ging er in ein Haus und bat für Geld um Milch. Man gab
sie ihm. Während er trank, brachten drei Bäuerinnen das Gespräch
auf kirchliche Gegenstände, und der Pole merkte bald, daß er sich
in einer Familie von Altgläubigen, Starowerzeu, befand. Sie
machten ihm Vorwürfe, daß er sich nicht „christlich bekreuzige," und
wenn er es nicht anders mache, einst in der Hölle braten werde.
Siemachten ihm ihreBekrenzignngsart vor; er hatte nichts dagegen,
dieselbe anzunehmen, nnd nun gaben sie ihm Milch umsonst, so
viel er nur trinken wollte. Zwischen den „rechtgläubigen" Russen
nnd den „Altgläubigen" herrscht ein ungeheurer Haß.
Piotrowski wanderte durch Haidekraut, niedrigen Nadelwald
und über einen schlechten Damm, welcher durch Sümpfe führte.
Er übernachtete im Walde, doch konnte eigentlich von Nacht keine
Rede sein; denn es war auch um Mitternacht fast tageshell. Dann
kam er au's Meer; die schneeige Brandung prallte mit Getöse an
die steinigen Ufer, und so wanderte der Einsame an dem wüsten
Gestade bei wildem Wetter hin. Nur selteu begegnete ihm ein
Mensch; er erfuhr, daß eine Pilgerkarbasse im Sturme mit Mann
nnd Mans verloren gegangen sei. Bon nun an gab er sich für
einen Pilger aus, welcher die Klöster schon besucht habe, und der
jetzt nach Groß-Nowgorod und Kiew walle, um auch dort bei deu
Gebeinen der Heiligen seine Andacht zu verrichten. Tag nnd Nacht
ging er fürbaß über Anhöhen, die mit Wäldern bestanden sind,
durch eiu armes elendes Land, in welchem auf sehr weiten Entfer-
nungen kleine Dörfer zerstreut liegen. Aber das Volk war dort
iiberall gesund, fröhlich und glücklich, denn alle Leute sind Krön-
baueru und haben keine Frohnden zu leisten.
Endlich kam er nach Onega, wo im Hafen einige fremde
Schiffe lagen, um Bau- und Schneideholz zu laden. Hier entschloß
sich Piotrowski, nach Petersburg zu geheu, kaufte Brot und
wanderte weiter. Das Thal des Onegaslnsses schildert er als sehr
hübsch; auf dem rechten Ufer liegen viele nette Dörfer, auf den
üppigen Wiesen weidet viel Hornvieh; Milch und Käse siud beispiel-
los billig. Eiu pilgernder Greis, welcher ihm begegnete, beschrieb
ihm den Weg, welchen er bis Kargo pol zurückzulegen hatte; er-
halte bis dahin etwa dreißig Meilen, erreichte jene Stadt nnd ver-
ließ dort die Onega. Nun waren gerade vier Monate verflossen,
seitdem er deu Kamm des Uralgebirges überschritten hatte. Die
Gegend bis Wytegra erschien ihm dürftig; die Dörfer waren klein,
aber ordentlich gebaut; weit und breit fand er zum Theil schon stark
gelichtete Walduugeu und viele Seen, an den Kanälen zwischen
diesen nnd den Flüssen Häuser mit Gärten, hin und wieder auch
schon Obstbäume und Gemüsebau. Diese Häuser Tiegen zumeist an
Schleusen, welche von Soldaten beaufsichtigt werden.
In der Handelsstadt Wytegra fand er am Ufer viele Fahrzeuge
und eine Menge von Bäckern, welche ihr Gebäck feilboten. Dort
kam Piotrowski in's Gespräch mit einem Bauer, der ihm sagte:
„Ich fahre uach Petersburg und wenn Du arbeiten willst, so kann
ich Dich mitnehmen." Darauf ging der Flüchtling gern ein; ohne-
hin wurde ihm versprochen, daß er dann nnd wann warm zu essen
erhalten solle. Darauf gingen Beide in eine Schänke, tranken
Branntwein und beluden Abends den Kahn mit Mehlsäcken. Nach-
her wurde ein Zugpferd an Bord gebracht und das Schiff giug
stromab auf dem Wytegraflnsse; der Bauer führte das Steuer und
sein siebenzehnjähriger Sohn half ihm. Bald nachher geht znr
linken Seite ein Kanal ab; in diesen fuhr der Kahn ein und wurde
vou dem Pferde gezogen, welches der Knabe trieb. „Es ist wirklich
unglaublich, welche Masse von Fahrzeugen hin und her verkehrt,
und unter anderen begegneten wir einer Reihe von Flößen, die
mindestens vier Werst (also über eine Wegstunde), lang waren."
Gegen Sonnenaufgang kam das Schiffchen in den Onega-See,
und anch dort lagen viele Fahrzeuge am Ufer. Hier nahm ein
Dampfer dieses und noch fünf andere Fahrzeuge in's Schlepptau und
fuhr in den See hinein. Dieser war bei dem herrlichen Wetter
ruhig wie ein Spiegel. Gegen Abend fuhr das Schiff, welches
jetzt mehrere Fahrgäste an Bord genommen hatte, in den Fluß
Swir ein, der ans dem Onega kommt, diesen mit dem Ladsga-
See verbindet, anfangs schmal aber reißend ist, dann aber breiter
wird und an Schnelligkeit nachläßt. Unweit von seinem Abfluß
aus dem Onega hat er er mehrere Stromschnellen, die aber theils
natürliche, theils durch Kunst hergestellte Oeffnnngen haben, so daß
15*
116
Briefe über Polen.
auch die größten aus diesen Gewässern fahrenden Schiffe hindurch
können.
Nicht fern von der Mündung des Swir in den Ladoga-See
fuhr der Kahn in den Ladoga-Kaual ein, den kleinere Schiffe
wählen müssen, weil der oft sehr unruhige, von Stürmen heimge-
suchte See für sie viel zu gefährlich ist. Aus einem Dorfe kam eine
Schaar von Zigeunerinnen mit Kindern, um zu betteln. „Ueberall
fand ich dieselbe Natur dieses Volkes; unter allen Breiten, in Un-
garn, Volhynien, der Ukraine, in Sibirien nnd hier, — dasselbe
faule, schmutzige, bettlerische Dasein." An einigen Stellen nähert
der Kanal sich dem See dermaßen, daß man das Anbranden des
letztern deutlich hört. Inzwischen wechselten die Fahrgäste häufig,
nur einige Frauen blieben; sie mußten beim Rudern behilflich sein,
und Piotrowski erfuhr von einer, die ans Karelien war, allerlei,
das ihm nachher nützlich wurde.
Beim Städtchen Neu-Ladoga wurde angehalten, und dann
fuhr der Kahn durch eine Schleuse iu den Neuen Kanal. Dieser
war bis nach Schlüsselburg mit Fahrzeugen förmlich vollgestopft.
Sie waren beladen mit Theer, Flachs, Hanf, Getreide, Mehl,
Hornvieh, Geflügel, Holz und anderen Landeserzeugnissen, alle nach
St. Petersburg bestimmt. „Ich war erstaunt über dieseu kolossalen
Handelsverkehr, und hätte ich dieses Leben nicht mit eigenen Angen
gesehen, so würde ich nie einer Schilderung desselben geglaubt haben.
Es war eine mühsame Arbeit, die Barke durch eiue solche Masse
hindurch zu bringen; man konnte kaum Augen und Hände genug
haben*).
So kam der Flüchtling nach Schlüsselburg, das zu beiden
Seiten des Kanals liegt, aber mit seinem nördlichen schon bis an
die Newa reicht. Die Stadt ist hübsch nnd sauber, hat Baum-
gäuge und gewährt einen freundlichen Anblick. Die Festung liegt,
ganz von Wasser umgeben, da wo die Newa aus dem Ladoga-See
heraustritt.
Abends fuhr der Kahn in die Newa ein, die zugleich breit, tief
und rasch fließt, und am andern Morgen um acht Uhr war der aus
Sibirien entronnene Pole im Hafen von St. Petersbnrg, am
Newski-Profpekt. Das Becken war buchstäblich mit Fahrzeugen
verschiedener Größe und Gattung zugedämmt. Was sollte der
Flüchtling nun beginnen? Die alte Karelierin nahm ihn mit zn
ihrer Tochter und so war er vorerst geborgen in einer für die ärmste
) Rußland hat bekanntlich ein sehr entwickeltes, großartiges Kanal-
system, welches dem Binnenverkehr ungemein förderlich ist. Die Strom-
weg? im europäischen Rußland haben eine Ausdehnung von 27,000 Werst;
aus diesen Strecken werden im Jahre durchschnittlich 400 Millionen Pud
(zu 16,38 Kilogramm) verschiedene Güter und etwa fünf Millionen Baum-
stamme verschifft; zusammen im Geldwerthe von 150 bis 200 Millionen
Rubel. Alljährlich werden bis zu zwölftausend Barken und Nachen gebaut,
die einen Werth von ungefähr vier Millionen Rnbel haben. Extraits des
publications de la socie't(5 imperiale g£ographiqiie de Eussie. St. Peters-
burg, 1859, p. 19. A.
Klasse vou Arbeitern bestimmten Herberge; aber er konnte sich die
prächtige, sehr öde Stadt gemächlich betrachten.
Der übrige Theil seiner Reise hat für uus kein besonderes
Interesse. Uns kam es darauf an, ihn durch solche Regionen zu
Begleiten, welche nur selten von gebildeten Europäern besucht werden
und das Interesse der Neuheit haben; doch wollen wir in aller
Kürze die weiteren Erlebnisse dieses mit großer Ausdauer und
Willensstärke begabten Mannes schildern, welchem ein Waguiß
gelang, das so viele Andere vergeblich unternommen haben.
Piotrowski spielte auch jetzt noch die Rolle eines russischen
Muschik, suchte aber Gelegenheit, auf einen Dampfer zn kommen.
Ein Matrose aus Riga brachte ihn über alle Paßschwierigkeiten
hinweg und glücklich an Bord. In der Hauptstadt Livlands hielt
er sich nur kurze Zeit auf, giug über die Dünabrücke und nach
Mit au iu Kurland zu. Nachts schlief er in hohem Getreide, hielt
sich iu Mitau nicht anf und kam glücklich bis in die Nähe der
Grenze. Die Jahreszeit war schön und die Kleidung eines russischen
Bauern so gut wie ein Paß. Zwischen Grobingen und Polangen
warf er seinen Pelz fort. Wo er mit Leuten in Verkehr kam, gab
er sich für einen Aufkäufer von Schweinsborsten aus, und in einem
einsamen Kruge vertauschte er seiue bisherige Kleidung gegen eine
andere, die annähernd europäisch war. Er hatte nun einen grauen
Rock, blaue Tuchhosen und ein weißes Hemd. Jetzt blieb noch eine
Schwierigkeit, aber diese war groß. Wie sollte er über die
Grenze — und, wenn das gelang, ohne Paß iu Preußen weiter
kommen? Einem Kartel gemäß sollten und mußten Flüchtlinge
ausgeliefert werden.
Durch einen Soldaten aus Poltawa erfuhr der Pole, wie es
sich mit der Bewachung der Grenze verhielt. Auf je 1500 Schritt
Entfernung stand ein Kosakenposten und ein Patrouillenr. Bei
Nacht war gewiß nicht durchzukommen. In einer Grenzschänke
zeigte man ihm gesprächsweise, wo die Scheidelinie lies; es war
ein Graben und jenseits desselben ein Roggenfeld; dieses schon auf
preußischem Bodeu. Vor diesem Graben waren noch zwei andere
auf russischem Gebiete gezogeu. Piotrowski giug fort, legte sich
unbemerkt, zwanzig Schritte vom ersten Graben entfernt, ins Gras.
Nach etwa zehn Minuten sprach er zu sich: „In Gottes Namen
vorwärts, zum Leben oder zum Tode!" Etwa 300 Schritte von ihm
lag eine Kaserne, etwa 100 Schritte entfernt gingen zwei Schild-
wachen. Er rannte über die Gräben und war im Roggenfelde.
So war er gerettet nnd kam nach Memel. In Königsberg
wurde er durch einen Znfall verhaftet und mußte sich nach langem
Zögern und Ausreden zu erkennen geben. Von Berlin aus kam
Besehl, ihn in Ketten nach Rußland auszuliefern, aber die mensch-
lich denkenden Behörden sahen durch die Finger nnd ließen den
Vielgeprüften entfliehen. Es waren deutsche Männer und Franen,
welche ihn gütig und liebevoll pflegten und ihn bis an die sranzö-
sische Grenze weiter beförderten.
Griese über Polen.
Mitgetheilt von vr. I. Coro.
III.
Leben nnd Treiben in den kleinen Städten.
Selten wird man in Polen die Empfindung los, daß man
sich in einem Lande ohne Seeausgäuge befindet. Die Fülle der
Mittel zum Lebensgenuß, welche in Ländern mit entwickelten
Meeresküsten sich immer einfindet, das Bewußtsein eines bequemen
Zusammenhangs mit fernen Ländern, Erdtheilen, mit dem ganzen
Erdball, erweitert unser Fühlen uud Denken, und das Besondere
findet sich rascher iu dem Allgemeinen eingeordnet. Hier oben aber,
wo ich jetzt stehe, da schlingt mich nnd Alles was mich nmgiebt
ein silbernes Band mit dem großen Ganzen zusammen, hier oben
wird mir so frisch zu Muthe, als wäre ich nicht mehr in dem Lande,
anf welchem der eiserne Fuß der Verkümmerung lastet.
Ich schaue herab auf die Weichsel. Heiliger Ganges, sagen
Briefe ii
die Inder, heiliger Nil, die Aegypter; heiliger Peueus —ja heilig
sind all' die großen Flüsse, die, gleichsam die Thränen eines Volkes,
den Schweiß saurer Arbeit verklärt in der strömenden Flnt ans
ihrem Rücken hinabtragen zu dem Alles umschlingenden Vater
Okeanos.
In der That war auch die Weichsel den alten Slaven heilig;
aber sie war und ist ein tückischer Fluß; chamäleonartig wandelt
sich ihr Bett; wo heute eine Untiefe gewesen, strebt morgen eine
graugelbe Sandbank hervor, und selbst die gewandtesten Steuer-
fente führen oft den Kahn oder das Dampfboot auf den Sand.
Am Ufer entlang ziehen sich sandige Hügel hin, die zuweilen so
nahe an die Flußwand herantreten, daß diese Erdwaud steil und
senkrecht 40 bis 80 Fuß tief abfällt, uud daß von unten aus gesehen
die Kante in der Luft zu schweben scheint. Auf diesen natürlichen
Wällen erhoben sich früher die Burgen der polnischen Ritter, welche
kreisrund gebaut und mit Traucheeu von der Landseite umgeben
waren. Von hier aus trieben sie ebenso luftig wie die Deutscheu
ihres Staudes das Wegelagererhaudwerk und daneben Fluß-
Piraterie, und wenn die niederländischen Kaufleute aus Brügge
und Gent mit ihren Tuchen uud die Dauziger Handelsherrn mit
Schmuckwerk uud Gerätheu die Weichsel hinauf uach der alteu
Kröuuugsstadt Krakau zogen, mußten sie hier gar manchen nn-
vermntheten Zoll entrichten. Noch viele Reste solcher Burgen sind
erhalten, so z. B. von Bobrownik, wo im vierzehnten Jahr-
hundert die Herzöge von Dobryn und später zuweilen die polnischen
Könige residirteu.
Naturgemäß finden wir an der Weichsel die wichtigsten
Städte gelegen. Ueber die größeren läßt sich wenig reden; sie
sehen so aus, wie überall iu Europa die größeren Städte. Eisen-
bahn und Verkehr nivelliren leicht die Physiognomien der umfang-
reicheren Plätze. Nur Krakau hat seinen eigenen scharf geprägten
Charakter. Und welchen? Das läßt sich nicht so recht in Worte fassen.
Helfen wir uns daher mit einem Bilde: nehmen wir den Charakter
der Witwe, oder den eines alten Stammschlosses, iu dem das Ge-
schlecht der Erbauer ausgestorben ist. Spuren verfallener Pracht
und Herrlichkeit, Denkmäler vergangener Größe, Trümmer von
ehemals regsamem Leben drängen sich überall dem Fremden auf,
und in den Straßen herrscht eine Oede und Stille, als ob die
Klagen in den Lüften jeden Augenblick angestimmt werden sollten.
Heiter und lustig ist nur das östreichische Militair, das übrigens
so gntmüthig, wohlwollend und freundlich gegen den Polen und
Bürger sich hält, daß es rühmlich erwähnt zu werden verdient.
Dennoch aber, als ich ein Bataillon Soldaten mit klingendem
Spiel nnd blitzendem Bajonetten durch die Straße aufmarfchiren
sah, fiel mir das Bibelwort ein: „Ei, wie bist Du zur Witwe
geworden, Deine Feinde stolziren vor Dir."
Wenden wir uns aber zu den kleinen und Mittelstädten, welche
hier wie sonst die unmittelbare Verkörperung gewisser Richtungen
des Volksgeistes darstellen, so machen wir, wie bei den Dörfern,
die Beobachtung einer zähen Beharrlichkeit in Form und Wesen.
Die polnischen Städte sind zum größten Theil ans Dörfern ent-
standen, und in überwiegender Mehrzahl von deutscheu Ein-
Wanderern angelegt. Im 13., 14. und 15. Jahrhundert kamen
unaufhörlich Züge von Ansiedlern in's Land, die entweder als
Ackerbauer oder als Handwerker sich niederließen. Bis nach Pod-
lachten uud bis in's westliche Lithaueu siud in der ersten Hälfte des
15. Jahrhunderts die Deutscheu vorgedrungen, und in der Haupt-
und Krönungsstadt Krakau selbst war die deutsche Bevöl-
kerung so zahlreich, daß unter den Syndikatsakten der-
selben alle Schriftstücke bis zum Jahre 1583 entweder
deutsch oder lateinisch abgefaßt sind; erst von der Zeit an
kommen auch polnische vor.
Hierdurch ist aber auch die Natur dieser kleineren Städte be-
dingt; bis auf den heutigen Tag tragen die Städtebewohner die
Zeichen deutschen Ursprungs, obwohl sie natürlich in Sprache und
Gewohnheit stark polonisirt sind. Sieht man von den aus poli-
:r Polen. 117
tischen Veranlassungen in allerneuster Zeit gegründeten Handels-
associationen des Adels (domy socyalne, Kramhäuser, eigentlich
Gesellschastshänser, iu denen alle möglichen Maaren wohlfeil ver-
kauft werden, um die deutschen uud jüdischen Kaufleute zu Grunde
zu richten) ab, so ist der ganze Handel und Gewerbebetrieb
in den Händen der Deutschen, der deutschen Abkömmlinge
oder der (gleichfalls deutsch redenden) Juden. Die Bewohner-
schast solcher kleinen und mittleren Städte besteht also aus sehr
weuigeu kleinen Ackerbürgern rein polnischer Nationalität, die sich
nicht viel von den Bauern in ihrer Art und Lebensgewohnheit unter-
scheiden, aus Gewerbetreibenden deutscher Abkunft oder gar noch
deutscher Zunge, und endlich aus Judeu.
Alles, was in diesen kleinen Städten noch an socialem Zu-
sammenhang, an Vergesellschaftung vorhanden ist, knüpft sich an
diese deutscheu Kolonisten. Das Zunftwesen wurde mit allen
seinen Einrichtungen ans Deutschland eingeführt, uud unter dein
Schutze des deutscheu (Magdeburger) Stadtrechts hat sich
dasselbe bis auf die Gegenwart in den alten Formen erhalten.
Mögen noch so viele polnische Namen in den Zunftrollen uns
vorgeführt werden, mag man auch schon seit mehreren Jahr-
Hunderten die Zunftbriefe iu polnischer Sprache vorfinden, — sieht
man scharf zu, so giebt es absolut kein polnisches Hand-
Werkerthum, oder dieses ist wenigstens nur auf einen äußerst
geringen Bruchtheil anzuschlagen. —
Das Leben dieser Gewerbetreibenden kreist mit großer Ein-
förmigkeit ab; sie kleiden sich nach den Moden der Zeit, wenn anch
die Kostspieligkeit der Stoffe und der geringere Verkehr (wegen der
Höhe der russischen Zölle) sie wohl ein volles Jahrzehnt hinter andere
Länder zurücksetzt. Ihr Aufwand in Nahrung nnd Getränk ist im
Ganzen mäßig, weit mäßiger noch als in Deutschland. Aber
was sehr bemerkenswerth ist, kein polnischer Kleinbürger
geht spazieren, direkt spazieren, um sich an frischer, freier Lust
zu ergötzen. Sie hocken in müßigen Stunden gern auf Bänken
vor den Häusern, oder auf den hervorspringenden Steinen des
Fundaments, oder auf zufällig daliegenden Klötzen nnd Bretter-
Haufen und erzählen lange nnd weitschweifige Geschichten nach Art
und Weise der Bauern.
Die ganze Woche hindurch ist's still und öde in dem Städtchen.
Die Häuser enthalten meist nur ein Erdgeschoß und sind theils
mit Stroh, theils mit Schindeln und nur selten mit Ziegeln ge-'
deckt. Eigentümlich sind die in der Quere zertheilten Hansthüren,
die in Deutschland gesehen zu haben ich mich nicht erinnere.*) Die
Hansflur läuft meist mit der Giebelwand entlang, so daß alle
Gemächer auf einer Seite des Hauses liegen; selten sind es aber
mehr als zwei oder drei. Die Häuser bilden in der Regel eine
lange Straße, die auf den Marktplatz führt, und die sich auf der
andern Seite des Marktes dann fortsetzt. Selten fehlt in der
Mitte des Marktplatzes (Rynck, Ring) das Rathhaus (Ratusz)
oder die Reste desselben. Bemerkenswerth sind aber noch die fast
immer in einem großen Komplex in einiger Entfernung vom
Städtchen liegenden Scheunen (stodoly) der kleinen Ackerbürger,
die eine Art von Vorstadt zu bilden pflegen.
Zwei Mal in der Woche jedoch wird die einförmige Stille im
Orte unterbrochen: erstens am Sonntag oder Feiertag und zweitens
am Wocheumarkttage. Die Kircheufeier der katholischen Bevöl-
kerungen ist freilich überall etwas lebhaft angeregt, aber in den
polnischen Städtchen wird sie meist zum tnmnltuösen Bachanal.
Erstlich verknüpft sich damit eine wirkliche Handelsmesse, und
die Kaufleute machen nie bessere Geschäfte, als ani Sonntag;
zweitens offenbart sich des polnischen Bauern ganze und nicht unbe-
deutende, wenn auch eigeuthümliche Gemütlichkeit am Sonntag
in der Stadtscheuke. Früh morgens ist er sittsam, geht reinlich
angethan mit seinem blauen Palasch zur Kirche und singt mit
') Sie kommen allerdings sehr häufig vor, namentlich in Niedersachsen,
wo sie auch jetzt iu den Häusern des Kleinbürgers nicht selten sind und erst
allmälig verschwinden. 21.
118
Briefe über Polen.
Energie die erstaunlich einförmigen polnischen Kirchenlieder so '
kräftig mit, als wolle er die Kehle für den Nachmittag dörren; .
und dauerte der Gottesdienst auch 6 bis 7 Stunden, er würde mit
Inbrunst und Andacht aushalten; vom Schwung der Empfin-
düngen wird er nicht eben sehr gereizt oder nervös afficirt. Hat er
aber das letzte Vaterunser (pacierz) abgemurmclt, dann macht !
sich die Weltlichkeit in einem langgedehnten, wiehernden Jauchzen
geltend; rasch — o nein — sehr langsam werden die Einkäufe be- i
sorgt, denn er feilscht stundenlang, und dann — hinein in die
Schäuke! Neues Jauchzen! Das erste Glas Branntwein (wddka,
eigentlich „Wässerchen") rollt hinab, der Vorbote vieler. — Tausend
Mal küßt er den Freund, die Frau und den Scheukwirth und den
Kuß wäscht er mit Kornbranntwein wieder ab, bis der Abend herein-
bricht, und taumelnd, jauchzeud und singend (mit Unterlegnng
des Textes: da, da, da, da) kehrt er in's Dorf zurück.
Aehnlich geht es am Wochenmarktage her, nur ist statt der
Kirche der Markt ein Sammelplatz der städtischen und Landbevölke-
rung; ein wirklich hübsches, buntes Genrebild entfaltet sich da.
Schon früh am Morgen rücken die vierspännigen Fornalis (die
Wirthschaftswagen der Edelleute) mit Getreide beladen mt, die
Zweispänner der Bauern folgen nach und bringen Geflügel, Eier,
Butter, Gemüse und dergleichen zur Stadt. Alle fahren mitten auf
den Markte auf; ringsum aber haben auf langen Schnüren die
Kaufleute Nesseltücher, mit bunten Farben bedruckt, aufgehängt, und
auf der Erde ihre Lager von Kattnnrestchen, Bijouterien und den
klassischen Knipsen (ein Messer, das aus einem Stück rund gedreh- j
ten, gelben Holzes und einer dreieckigen eisernen Klinge besteht) auf-
geschlagen. Zwischen den Wagen drängen sich nun Juden, Händler
und Bürger hindurch und betasten Alles, kaufen Manches und
reden Vieles. Alles lärmt. Der Bauer schreit mit seinem ge-
wohnten Stentor, die Frau kreischt mit irgend einer feilschenden
Jüdin um die Wette. Dazwischen schnattern die gefesselten Gäuse
ihre Angst uud Roth in die Lüfte, die Pferde wiehern und lungernde
Knaben üben sich, das Jauchzen des Bauern nachzuahmen. Das
geht dann so fort, bis die Schänke von ihren friedlichen Mauern
die letzten Akkorde des wilden Jnchhe wiederklingen läßt uud schließ-
lich der Abend hereinbricht.
Der kleinbürgerliche Städter zählt seine Einnahme und nagelt
eine falsche Kupsermüuze, die sich eingeschlichen, auf den Ladentisch
« oder an die Fensterpsosteu.
Wie verschieden ist doch dieses übrigens auch nur verhältniß-
mäßig sehr geringfügige Bürgerthum gegeu unser deutsches! Nie-
mals eiu aktiver Staatsfaktor gewesen, ist ihm die Fähigkeit, in
allgemeinen höheren Zwecken sich zu versuchen und zu bewähren,
allmälig entzogen, es verlor die Zeugungskrast des Lebens und
verschrumpfte in einförmiger Gewohnheit und ebenmäßig sich
wiederholenden Lebensäußerungen. Keine Schöpfungen des Gei-
stes verdanken ihm ihr Entstehen, keine Entdeckung oder Erfiu-
duug, in seinen Beziehungen und Verhältnissen gemacht, hat wau-
delnd auf seine Gewohnheiten eingewirkt. Was den Slawen im
Allgemeinen nachgesagt wird, daß sie kein organisatorisches Talent
besitzen, das geht auch den Bürgerstand an, der noch dazu nicht
einmal autochthon ist, sondern erst aus deutschen Elementen sich
kümmerlich rekrntirt hat. So lange in jenen Kolonisten und Ein-
Wanderern noch die Erinnerung und Tradition des heimischen Vater-
landes' wirkte, traten sie knltnrfpendend auf und brachten be-
stimmte Gestaltungen eigener Art zu Wege. Je mehr sie aber
von deutscher Sprache, Sitte, Lebensart und von germani-
schem Blute sich entfernten, und je konsequenter eine unglück-
selige, unhaltbare Staatsverfassung sie aus dem Pulsirenden Leben
und der geschichtlichen Entwickeluug ausschloß, desto mehr ver-
kümmerte ihr innerstes Wesen, ihr Blick wurde kurz, ihr Wirkungs-
kreis enger uud beschränkter, uud die ganze Jntensivität des Strebens
hatte keine andere Richtung mehr, als auf das roh Materielle.
Einen Punkt aber giebt es, in welchen! sich alle Stände in
Polen in gleicher Weise in Wärme und Anhänglichkeit berühren,
d. i. der Katholizismus. Es hat kaum eine Nation in Europa
vor der Reformation gegeben, welche treuer und hingebungsvoller
dem Papstthum unterworfen gewesen wäre als Polen. Mit Stolz
rühmen die Landeschronisten allezeit ihre unmittelbare Abhängig-
keit vom päpstlichen Stuhl. Als aber die Reformation hereinkam,
nahm sie dennoch so sehr die Herzen ein, daß bei weitem der größte
Theil der Landesinsassen sich auf's bestimmteste gegen die ältere
Kirche aussprach, und mau schätzt die dem Protestantismus im
10. Jahrhundert anhängliche Partei auf fünf Sechstel der gesamm-
teu Bevölkerung. Nirgends aber hat wiederum die Restauration
einen so gründlichen Erfolg gehabt, als in Polen, mehr als selbst
in Böhmen. Außer einigen Kalvinisten und einem ganz geringen,
kaum der Erwähnung würdigen Brnchtheil, der dem lutherischen Be-
kenntniß angehört, sind alle Polen streng und bigott katholisch. Die
Skeptik und Negation, seltsamerweise sehr energisch in allen
übrigen idealen Richtungen bei ihnen ausgebildet, hat keinen Platz
gewonnen der katholischen Religion gegenüber. Freilich forderte
bei ihnen zu allen Zeiten, mit Ausnahme eben des 16. Jahr-
Hunderts, das politische System eine ganz besondere Schonung
derselben. Da aber die Geistlichkeit zum allergrößten Theil ans
dem Adel sich rekrutirt, so gewinnt der Letztere auch hierdurch eiuen
ungemessenen und — wer will es leugnen — schädlichen Einfluß.
Der Adel bestimmt also nicht blos das Handeln, sondern selbst
das Denken der übrigen Bevölkerung, und Proudhon hat Recht:
„Polen hat der Welt noch immer nichts zu bieten, als seine
Aristokratie und seinen Katholizismus."
Für uns Deutsche ist eiue Thatsache dabei von besonderm
Interesse, die nämlich, daß das Streben uud Ringen der edelsten
Männer wie fast der gesammten deutschen Nation im 16. und 17.
Jahrhundert, aus dem Lutherthum eine nationale Kirche zu machen,
Konfession uud Nationalität zu einem integrirenden Begriff und
Kriterium des Deutschen zu machen, hier zu einer Art Wirk-
lichkeit geworden ist. Im Allgemeinen heißt hier deutsch so viel
als protestantisch und polnisch so viel als katholisch; der Protestan-
tismns wird schlechthin bezeichnet als „der deutsche Glaube"
(Niemniecka wiara). Und wie viel Abneigung auch schon bei den
Polen aus politischen und ethnographischen Rücksichten gegen
Deutsche vorhanden ist, sie wird dnrch diesen Umstand doch noch
wesentlich gesteigert. Wir Dentsche haben viele Feinde, aber
nirgends werden unsere Vorzüge so wenig gewürdigt als in Polen,
für welches Deutschland doch so viel gethau hat. Daß die Bauern
sich erzählen, der Teufel habe Luther au die Wittenberger Brücke
genagelt, wo er noch hänge, das mag noch hingehen, weil es
mit der religiösen Bigotterie in Zusammenhang steht, aber daß
man ein Sprichwort gemacht hat: „Für Geld schlägt der Deutsche
seineu Vater todt", ist doch eine Verkeuuung und Verleumdung
der edelsten Seite des deutschen Charakters. Wenn übrigens der
flüchtige Reiseude vou der tiefgehenden Abneigung gegen Deutsche
wenig merkt, so ist es auf Rechnuug der wirklich nicht genug zu
rühmenden und hervorzuhebenden Gastlichkeit der Polen zu setzen.
Die Handelsverhältnisse von Schanghai.
119
Die Handelsverhältnisse von Schanghai.
Mitgetheilt von I. I. Egli in St. Gallen.
Die günstige Lage und die Handelsbedeutung der Stadt Schanghai. — Das Stromsystem des Yang tse kiang. — Handelsbewegung auf demselben und auf
dem Kaiserkanal. — Die europäischen Handelshäuser. — Geld- und Münzverhältnisse. — Der Pikul. — Speditionsgeschäfte. — Handelsbewegung. —
Seide. Deren Behandlung und Ausfuhr. — Der Thee. — Silbereinfuhren. — Opium. — Europäische Importe. — Die Ansiedelung der Kaufleute aus
dem Abendlande. — Dampfschifffahrt.
Es war im Frühjahre 1859, daß eine schweizerische Expe-
dition nach den ostasiatischen Handelsplätzen unter Segel ging. Sie
hatte die Aufgabe, Absatzquellen für die schweizerische, zunächst
die nenenburgische, Industrie ausznmitteln. Der Vorstand der-
selben, Herr Dr. R, Lindau, benutzte einen längern Aufenthalt
in Schanghai zu sorgfältiger Sammluug und Sichtung aller
diesen Hauptplatz betreffenden, irgend zugäugigeu Materialien und
theilte diese dein kaufmännischen Direktorium von St. Gallen in
einem „Handelsberichte" mit. Die genannte Behörde, um Ju-
dnstrie und Handel des engern und weitern Vaterlandes vielfach
verdient, ließ den Bericht auf Kosten der kausmäunischen Kor-
Poration drucken und verbreiten; sie war dabei geleitet von der
richtigen Ueberzengung, daß solchergestalt dem Handelsstande ein
wesentlicher Dienst geleistet werde. Dieser Bericht enthält in der
That einen wahren Schatz zuverlässiger Beobachtungen und Er-
kundignngen, und das Licht, welches er auf die Verkehrsverhält-
nisse von Schanghai wirft, wird ohne Zweifel auch in weiteren
Kreisen willkommen sein. Im Folgenden ist Dasjenige, was
darin von allgemeinem: Interesse ist, heransgehoben und mit
Notizen ans anderweitigen Quellen zn einein Gesammtbilde ge-
staltet.
Schanghai steht unter allen chinesischen Hafenplätzen, welche
die Neuzeit dem europäischen und nordamerikanischen Handel
geöffnet hat, obenan in Bedeutung. Die Lage in dem chinesischen
Niederlande, einem fruchtbaren und dicht bevölkerten Landstriche,
sowie das ungeheure Wasseruetz, welches den Platz mit fast allen
Provinzen des Reichs in Verbindung setzt, bürgt dafür, daß
Schanghai — bei geordneten Zuständen wenigstens — einen außer-
ordentlich regen Verkehr entwickeln wird. Unweit von Schanghai
mündet Chinas machtvollster Strom, der Jang tse kiang,
welcher, in den wenig bekannten Hochlanden des Innern beginnend,
schon oberhalb Siu tscheu mit Dampfern befahren werden könnte
und weiterhin Tfchuug king berührt, das Depot für den gauzeu
Handel des Westens, die größte und blühendste Stadt dieser Pro-
vinzen, den Handelshafen, den das nördliche Szü tfchüau als
Stapelplatz für seine Seide, sein Wachs und andere Produkte
benutzt. Unterhalb Kuei tscheu (bis I tschang) sind Stromschnellen
hinderlich, dann aber weitet sich die Landschaft. Es kommt bei Jo
tscheu der Abfluß des Thungthing-Sees, in dessen Gebiete Kantons
große Handelsstraße über den Meilingpaß einmündet, bei Han keu,
wo der Strom schon eine englische Meile breit ist, der ansehnliche
Han und endlich, bei Kien kiang, der Abfluß des Poyang-Sees.
Fast bis hierher steigen die Gezeiten des Oceans; hier beginnt
die oceanische Strecke des Stromlaufs, auf welche der Chinese das
Sprichwort bezieht: „Grenzenlos ist das Meer, grundlos der
Kiang." Das Aufsteigen von Ebbe uud Flut, die vielen Inseln
und Arme, die gewaltige Breite des Wasserspiegels, die ununter-
brochene Kultur der Uferseiten, der Anbau unzähliger Ortschaften,
stark besuchter Marktorte und großer Städte, Nan king, die antike,
berühmte Residenz, in der Mitte, der ununterbrochene Zug segeln-
der Schiffe und zahlreicher Flotten mit Waaren aller Art, für den
bilden bestimmt, beladen; die langen Folgen der Holzflöße aus
fernem, gebirgigen Westen, wie aneinandergereihte, große Inseln
daher schwimmend; die unzähligen Reisbarken, aus dem reichern
bilden für die Nord-Residenz bestimmt, das Leben und Weben
lu der bevölkerten Mitte des großen Weltreiches — Alles dieses,
vereinigt, giebt dem Riesenstrom eine so imposante Bedeutung,
daß die Reisenden einstimmig nur vou dem Majestätischen seiner
Erscheinung auf diesem Gebiete sprechen.
Da nun, wo der „große Fluß" seine Wasser in den Ocean
wälzt, erhebt sich die Metropole des chinesisch -abendländischen
Handels — nicht am Meere, nicht einmal am Jangtse selbst,
sondern am Ufer des schiffbaren Nebenflusses Hwampn, der sich,
zwölf Kilometer nördlicher, bei der kleinen Stadt Wu fnng in den
Jangtse ergießt.*) Hat man von diesem Hanptstrom aus unter
einem Fort uud verschiedenen Batterien den Hwampn passirt ilnd
die letzte scharfe Biegung des Flusses erreicht, so wird es uns klar,
daß wir iu deu Bereich des chinesisch -occideutaleu Verkehrs gelangt
sind. Da ist der Fluß mit amerikanischen und europäischen Schiffeu
bedeckt, und zu unserer Rechten, am linken Hwampn-Ufer, er-
heben sich die Ansiedelungen der „Fremden", zunächst diejenigen
des „amerikanischen Gebiets", weiterhin die des „englischen" und
„französischen Gebiets", uud dann erst, kaum sichtbar hinter dem
Walde vou Dschunken, das chinesische SchangHai selbst. Dort
koncentrirt sich nämlich der Verkehr von Chinesen mit Chinesen,
uud dieser ist weit umfangreeicher, als der Handel Chinas mit
dem Abendlande. Es mögen hier jährlich 2500 See-Dschunken
und mindestens doppelt so viele Fluß-Dschunken ankommen. Die
ersteren berechnen sich durchschnittlich ans 200, die letzteren auf 30
bis 100 Tonnen Ladungsfähigkeit. Die großen Dfchnnken kommen
fast alle aus dem Norden nnd bringen die Produkte der nördlichen
Provinzen des Reichs, um mit Tlfte, Seide, Zucker, europäischen
Importen :c. zurückzukehren. Der Seeverkehr, welchen die
Chinesen zn Schanghai nach den Südprovinzen des Reichs und
nach den indischen Gewässern unterhalten, fällt mehr und mehr
den europäischen nnd amerikanischen Schiffen zu, da dieselben,
insbesondere die deutschen, in jeder Beziehung mehr Sicherheit
gewähren. Was die Fluß-Dschunken betrifft, so sind dieselben
hauptsächlich vom Getreidetrausport iu Anspruch genommen.
Das Kiang-su, die Provinz, iu welcher Schanghai liegt, liefert
den Reiskammern von Peking jährlich circa 1 Million Piknls.
Ein Pikul ist ungefähr — (50 Kilogramm — 120 Zollpfnnd; dem-
nach beträgt die Reisznfnhr, welche die Nord-Residenz dem Kiang-fn
verdankt, weit über 1,000,000 Centner per Jahr.
Diese Verbindung im Innern des Reichs ist ermöglicht durch
ein Kanalsystem von ganz außerordentlicher Verbreitung. Bon
diesem System bildet der „große" oder „Kaiserkanal" nur den
mächtigen Stamm, zu welchen: alle anderen Adern wie Aeste und
Zweige sich verhalten. In Europa würde dieser Stamm die
Ostsee mit dem Adriatischen, selbst mit dem Schwarzen Meere
verknüpfen. Die Länge des künstlichen Stroms") beträgt nämlich
nahe an 250 Meilen; denn er verbindet Hang tschen (eigentlich
Ning Po) mit Peking. Nur in einem Lande von so gleichförmigem
Niveau wie hier war es möglich, einen solchen Riesenkanal ohne
eine einzige Unterbrechung zu Stande zu bringen. Er ist von
allen europäischen Kanälen sehr verschieden, weil er sich nach der
Natnr des Landes verschieden gestaltet, sich oft windet, verschiedene
) Man sehe die schönen Specialbilder in P et ermann 's „Geogra-
phischen Mittheilungen", Jahrgang 1860, Tafel ll, sowie Jahrgang 1861,
Tafel 5.
**) Die Chinesen nennen ihn unter anderm anch Iu ho, d. h. den
Kaiserfluß.
120
Die Handelsverhältnisse von Schanghai.
Breite, bald von 200, bald von 1000 Fuß und fast nie stillstehendes
Wasser hat. Sein Gefälle beträgt öfter 2 bis 3 Fuß auf eine
englische Meile. Bald ist er tief in Berge eingeschnitten, bald sührt
er auf riesigen Aquädukten über Felder, über Moräste und Seen
weg. Seine zahllosen Schleusen, Brücken, die Kultur an seinen
Ufern, die unzählige Menge von Städten, die ihm entlang, oft
tiefer als sein Bette, liegen, wie die lombardischen am Po hin,
und die beständig anf ihm hin- und hersegelnden Flotten von
Transportschiffen, die zahllosen schwimmenden Dörfer und Fischer-
Völker, die auf und au ihm, auf seinen Zu- und Ableiter, Hausen,
setzen uns in Erstaunen. Der größte Einfluß dieses Kanals besteht
darin, daß er nicht nur alle einzelnen Niederlands-Provinzen
unter sich, sondern auch ganz Süd-China mit Nord-China in deu
lebhaftesten Verkehr setzt. Nur durch ihn ist es möglich geworden,
das kornarme Pe tfcheli und Peking mit dem Reisüberfluß des
Deltalandes zn versehen. Die Unsicherheit der Küstenschiffahrt,
die Untiefen, Sandbänke und Strömungen der „gelben See",
der schlechte Bau der chinesischen Dschunken zur Meeresfahrt, die
genüge Kenntniß der chinesischen Schiffer im Gebrauch der Magnet-
nadel, ihre Furcht vor dem freien Ocean, seinen Winden und See-
räubern, alles zusammen hat den Proviant-Transport der Küste
entlang unsicher gemacht und oft Hnngersnoth in Nord - China
veranlaßt. Daher das Bestreben der Herrscher, die binnenländische
Schifffahrt zu vervollkommnen. Man rechnet, daß gewöhnlich 10,000
Getreideschiffe, jedes a 20 Mann, auf dem Kauale beschäftigt sind.
Das Kiang-su nuu, in welchem die beiden Riesen-Wasser-
straßen, die natürliche des Jangtse oder des Oceans, und die küust-
liche des Kaiser-Kauals, sich scheiden, ist eine ungemein große und
reiche Provinz des chinesischen Kaiserthums. Der Distrikt von
Schanghai bildet mit noch 7 anderen erst eines der zwölf Departe-
ments, welche das Kiang-sn enthält. Sowohl was Areal- und Ein-
wohnermenge als natürliche und künstliche Hülfsqnellen betrifft,
läßt die Provinz sich den ersten europäischen Staaten zur Seite
stellen. Sie nährt eine Bevölkerung von 40 Millionen Seelen und
siudet anf Erden nicht leicht ihres Gleichen an Reichthum des
Bodens, an fleißigem Anbau, Me an Flnß- und Kanallinien, die
eine sichere und wohlfeile Verbindung vermitteln. Thee bringt das
Kiaug-su nicht hervor (er kommt aus der südlichen Provinz Tsche
Kiang); aber Seide, Baumwolle und Reis producirt es in enormer
Menge, und so außerordentlich erweitert sich die Produktiousfähig-
keit, daß trotz all' den schweren Erschütterungen, die das Rebellen-
treiben*) seit Jahren gebracht, die Ausfuhr der Stapelartikel
niemals unterbrochen wurde und — summarisch betrachtet — von
Jahr zu Jahr zugenommen hat. Snchan, die Hauptstadt der
Provinz, ein wichtiger Handelsplatz Chinas, eine Stadt von der
Seelenzahl wie Paris, ist im ganzen Lande sprichwörtlich durch
ihren Reichthum, und eben ihr Seehafen ist Schanghai.
Wie die meisten anderen chinesischen Städte, gilt Schanghai
als eine schmutzige uud häßliche Ortschaft. Ob wohl die Gasbeleuch-
tung, von welcher unlängst dieseZeitschrist berichtete**), auch iu die
chinesischen Quartiere dringen oder nur den „abendländischen Ge-
bieten" zn Gute kommen werde? Im Innern der engen, dunkeln,
unfreundlichen Häuser siudet mau iu keiner Hinsicht den Komfort,
an den man in Europa, selbst bei deu nicht reichen Ständen, ge-
wohnt ist. Die chinesische Familie legt im Allgemeinen geringen
Werth anf die innere Ausstattung ihrer Wohnung, und wenn auch
bei reichen Leuten schöne und thenre Geräthe, insbesondere auch alte,
gute Porzellan- uud Broucesacheu, nicht selten sind, so vermißt
der Europäer jeue Verwendung wollener und baumwollener Stoffe,
welche iu Gestalt von Teppichen, Decken, Gardinen, Vorhängen n. s. f.
seinen Haushalt zieren. Freilich derjenige Abendländer, der sich
dort zu Lande ein Hauswesen gründet, stattet sich dasselbe mit bedeu-
teudeu Kosten möglichst nach europäischem Geschmacke aus; er gesellt
*) Siehe Globus 1862, II, S. 191.
**) Siehe hierüber Globus 1862, II, S. 27, 76 und 10-5.
seinen direkt importirten abendländischen Möbeln auch Bambusrohr-
Sessel, Canton-Möbel ans Bast und andere orientalische Geräthe
zu, wie sie dem wärmern Klima entsprechen*). Auch in der Klei-
duug solgeu die in Schanghai angesiedelten Europäer und Ameri-
kauer dem Gebrauche des Occidents und befriedigen ihren dies-
fälligen Bedarf durch direkten Bezng. Dieser Umstand trägt dazu
bei, daß das Lebeu der Abendländer sehr theuer ist. Ein kleines
Handlungshans mit einem Kommis muß jährlich auf 4 bis 5,000
Taels, also, da 1 Tael — 2 Thlr. prenß. = 8 Frcs., auf circa
32 bis 40,000 Frcs. Haushaltungs- und Geschäfts-Unkosten rechnen.
Ein achtbares deutsches Haus, das mit der größten Oekonomie ver-
waltet wird und in dem, außer dem Prinzipal, vier Kommis uud
ein Seiden-Jnspector beschäftigt werden, mag jährlich etwa 10,000
Taels ausgeben. In einzelnen großen englischen und amerikanischen
Firmen aber dürften sich diese Unkosten auf das Doppelte und höher,
auf mehr als 300,000 Frcs. belaufen. Dieser Umstand trägt jeden-
falls viel dazu bei, daß das Schanghaier Geschäft, obgleich es fort-
während an Bedeutung gewonnen hat, doch fast ausschließlich iu
den Händen der großen und reichen Handelshäuser geblieben ist.
Kaufleute zweiten und dritten Ranges werden in Spekulationen
getrieben, in welchen sie, wenn ihnen das Glück nicht günstig, uu-
rettbar untergehen.
Die unter den abendländischen Kaufleuten zu Schanghai knr-
sirende Goldmüuze ist der mexikanische Dollar. Alle Ein- uud
Verkäufe werden jedoch in Schanghaier Silber-Taels gemacht und
alle kaufmännischen Abrechnungen werden in T a el s gegeben. Der
Kurs des Tael ist jedoch ziemlichen Schwankungen unterworfen.
Der Schanghaier Tael darf nicht mit dem Regieruugs-Tael ver-
wechselt werden : der Werth des letztern steht mehr als 10% höher,
so sind 100 Regierungs-Taels — 111'/s—IllVio Schanghaier
Taels. Der Regierungs-Tael ist diejenige Geldeinheit, in der alle
Abrechnungen mit der chinesischen Regierung gemacht, also auch
z. B. die Zölle bezahlt werden. Nominell ist
1 Tael — 10 Mace,
1 Mace — 10 Candorin,
1 Candorin — 10 Cash,
so daß 1000 Cash auf 1 Tael gehen sollten. In Wirklichkeit jedoch
gilt ein Schanghaier Tael — 1400 bis 1500 Cash, ein Candorin
also 14 bis 15 Cash. Münzen sür die vorgenannten Geldwerthe,
Silberstücke zum anerkannten, kursirenden Werthe von 1 Tael,
1 Mace, 1 Candorin, existiren nicht, sondern nur der aus Eisen
und Kupfer verfertigte Cash. Bezahlungen werden, wenn nicht in
Dollars, in Silberblöcken verschiedenen Gewichts, am häufigsten
von 50 Taels, gemacht. Diese Jugots haben gewöhnlich eine
bestimmte Form, einem chinesischen Frauenschuh nicht unähnlich,
und heißen deswegen Silber- oder Tael-Schnhe. Auch Gold-
barren von 160 bis 165 Taels dienen bisweilen als Zahlmittel. Die
Feinheit eines Gold - oder Silber-Jngots wird in Hundertsteln ange-
geben uud die Theile Touches genannt: Ein Block von 95 Touches
besteht demnach aus 95/ioo Edelmetall und r,/ioo Zusatz.
Der Werth des Silbers ist seit längerer Zeit mehr und mehr
gesunken in Folge des starken Imports au diesem Metall, hat sich
aber in neuester Zeit wieder gehoben, theils in Folge der Silber-
ausfuhr nach Japan, theils wegen der Kriegsunruhen, da, angesichts
der nahenden Gefahr, das Silber einen gesuchten Artikel abgab,
um schwerer zu rettende Gegenstände, Cash und Waaren, dagegen
auszuwechseln.
Der Pikul, die oben angegebene Gewichtseinheit, theilt sich in
100 Katties a 16 Taels ä 10 Mace a 10 Candorin a 10 Cash.
Demnach hat ein Pikul 1,600,000 Cash oder Thieu. Insbesondere
*) Schanghais Klima kennt übrigens die Kälte auch. Kann die
Sommerhitze bis 38, selbst 40" C. steigen, so bringt der Winter die Queck-
silbersäule wohl auch anf 8° unter den Gefrierpunkt, und aus mehrjährigen
Beobachtungen ergiebt sich, daß die Mitteltemperatur des Januars + 5°
beträgt.
Die Handelsverhältnisse von Schanghai.
121
halten sich die Fremden an den Piknl und nicht an die verschiedenen
Gewichte, welche bei dem Verkehr unter Chinesen oft sonst noch in
Anwendung kommen. Auch findet auf verschiedenen Plätzen lind
für verschiedene Artikel der Piknl selbst ungleichen Werth.
Die fremden Kaufleute halten sich an die englischen Längen-
und Kapacitätsmaße und rechnen somit nach Jards, Jnches und
Gallons.
Im Anfange der Zeit, wo sich der Schanghaier Hafen der
fremden Kaufmannswelt öffnete, war es nicht möglich, eine ordent-
liche Einsicht in Natur und Ausdehnung des dorligeu Ge-
schäfts zu erlangen. Glaubwürdige Notizen hierüber stammen
erst aus den letzten Jahren, seitdem die chinesische Regierung sich
entschlossen hat, die Verwaltung des Steuerwesens europäischen
Beamten anzuvertrauen. Die Zölle, durch Verträge der West-
mächte mit Chiua festgesetzt, werden nämlich von englischen Beam-
ten, die im Dienste der chinesischen Regierung stehen, erhoben.
Bevor wir zu speciellerer Erörterung des Schanghaier Geschäfts
übergehen, muß uoch bemerkt werden, daß Schanghai auch ange-
fangen hat, bedeutende Speditionsgeschäfte zumachen. Es
werden alljährlich sehr bedeutende Quantitäten von Waaren, die
auf englischen und amerikanischen Schiffen importirt wurden, auf
eben solchen weiter expedirt, 1859 z. B. für mehr als 23 Millionen
Francs. Unter diesen Artikeln nehmen europäische Baumwollstoffe
(für Japan) und japanische Seide (für Europa) den ersten Platz
ein. In der That wird Schanghais Bedeutung als Speditions-
Platz sich heben in dem Maße, wie der abendländisch-japanische
Handel an Umfang gewinnen wird.
Es belief sich der Umsatzin Schanghai:
1857 auf etwa 613 Mill. Frcs.
1858 „ „ 632 „
1859 „ „ 700 „
Bei der Ausfuhr spielen Seide und Thee*), bei der Einfuhr
Opium, (Baumwoll-)Mauufaktureu nnd Silber eine hervorragende
Rolle nnd zwar in dem Grade, daß diese fünf Artikel
1858 mit etwa 531 Mill. Frcs.
1859 „ „ 589 „
in der oben angegebenen Summe auftreten.
Von Schanghai ist anSeide (inBallen) exportirt worden:
Total. Davon nach Europa.
1849/50 15,237 13,162
1850 51 17,243 15,325
1851/52 20,631 20,333
1852/53 28,076 24,803
1853/54 58,319 55,185
1854/55 53,965 53,965
1855/56 57,463 56,275
1856/57 92,160 90,523
1857/58 67,391 65,520
1858/59 85,970 83,330
1859/60 67,874 66,320
Die größten Quautitäteu Seide gehen nach England. Von
den 83,330 Ballen, die 1858/59 nach Europa spedirt wurden, hat
empfangen:
London . . . 73,030 Ballen.
Marseille . . 10,300
Von den 73,030 Ballen wurden freilich nur 39,730 in England
selbst konsnmirt; die übrigen 33,300 Ballen bezog der europäische
Kontinent aus London.
Die Seidenzucht ist über alle milderen Theile Chinas ver-
breitet. Die besten Sorten kommen jedoch aus deu Provinzen
Kiang-si und Tsche-kiang **). Die Produktion geschieht noch
*) Bolletino delle strade ferrate italiane, dell' industria e del com-
mercio, 18G1, Nr. 95.
**) Der Reis erscheint nicht auf dem Exportmarkte von Schanghai, da
seine Ausfuhr — wie diejenige der Erbsen und anderer Hülsenfrüchte — pro-
hibirt ist.
Globus für 1862. Nr. 28.
ganz auf ursprüngliche Weise, in dem Sinne, daß es weder große
Etablissements für Züchterei uoch für Spinnerei giebt. Jeder
Bauer spinnt seine Kokons selbst, und da er nur ein kleines Qnan-
tum abzuspinnen hat, so bringt er seine Arbeit innerhalb der Frist zu
Staude, welche zwischen der Einpuppung und dem Ausschlüpfen
des Falters liegt. Darum hat mau nicht nöthig, die Puppe zu
tödten. Das ist aber auch der Grnnd, weshalb die Ernte eines
nicht ergiebigen Jahres gewöhnlich besser ausfällt als diejenige,
welche nach einer außergewöhnlich reichen Kokonsernte auf den
Markt kommt. Im letztern Falle inußte man, um die Arbeit recht-
zeitig zu beendigen, gröbere Seide spinnen als gewöhnlich. Seit-
dem jedoch auch Kokous exportirt werden, hat die Tödtung der
Puppen auch Eingang gefunden; sie muß aber durch trockene
Hitze geschehen, und die Kokons müssen, bevor man sie verpackt,
auf das Maximum der Trockenheit reducirt werden, sonst verderben
sie unterwegs. Die Qualität der Kokons ist eine sehr gute, und
bei guter Behandlung übertrifft die Seide unsere Sorten an Weich-
heit und Glanz; immerhin läßt sie noch zu wünschen übrig, offen-
bar in Folge einer unvollkommenen Bearbeitung der Kokous.
Es werden deshalb auch Versuche gemacht, Spinnereien nach enro-
päischem Fuße einzurichten. Das weiter unten genannte große
englische Haus hat ein Geschäft dieser Art dicht bei Schanghai er-
öffnet.
Bis vor Kurzem war der Aufkauf vou Seide ausschließlich in
den Händen der chinesischen Kansleute. Der Seidenbauer brachte
seine Waare ans den nächsten Markt und veräußerte sie dort an
einen chiuesischeu Kaufmauu, der feine Waare nach Schanghai
sandte. Seit jedoch die Taipings in die Seidendistrikte eingerückt
sind, blieben viele Sendungen der chinesischen Kansleute aus, und
die Abendländer fingen an selbst die Marktplätze aufzusuchen.
Dieses Verfahren ist nun freilich mit allerlei Unannehmlichkeiten
und selbst mit Gefahren verbunden, hat aber im Allgemeinen
glückliche Resultate gegeben. Man darf annehmen, daß, wenn
dieser Gebrauch allgemein wäre, die Seide etwa lO Taelö pr.Ballen
billiger nach Schanghai geliefert werde könnte als bisher. Die
ungesetzlichen Taxen, „Squeezes", welche die Mandarinen zu er-
heben Pflegen, würden nämlich beseitigt werden, wenn die Waare
ans dem Landtransport von Europäern oder Amerikanern begleitet
wäre.
Von Schanghai aus ist an Thee (in Pfunden) exportirt
worden:
T°tal. ^Euglaud.^ Nach Amerika.
1849/50 22,363,370 13,867,497 5,623,708
1850/51 36,722,540 21,687,816 11,068,540
1851/52 57,675,000 31,225,000 18,000,000
1852/53 69,431,000 38,664,100 22,900,300
1853/54 50,343,847 29,856,188 16,702,400
1854/55 80,221,245 50,014,095 23,738,881
1855/56 59,299,966 33,211,854 20,939,979
1856/57 40,914,390 21,401,751 17,268,125
1857/58 51,317,003 29,627,940 17,941,109
1858/59 39,135,939 19,980,382 19,488,041
1589/60 53,463,771 31,621,204 18,299,388
Aus dieser Zusammenstellung ergiebt sich,
a) daß bei weitem die größte Quantität des von Schanghai ver-
schifften Thees nach England geht;
b) daß Schanghai in den letzten Jahren weniger Thee ansge-
führt hat als in der Periode von 1856.
Der letztere Umstand könnte um so mehr ausfallen, weil man
weiß, daß der Bedarf Englands nnd Nordamerikas fortwährend
zugenommen hat; *) er erklärt sich aber ans dem Umstände, daß der
*) Vor wenigen Jahren noch bewegte sich die Thee-Einfuhr Grvßbri-
tauniens unter 80 Mill. Pfd. (s. Egli, Neue Haudelsgeographie); hingegen
1861 betrug sie über 92 Mill. Pfd. (f. Globus II, S. 64).
16
122
Die Handelsverhältnisse von Schanghai.
später eröffnete. Hafen von Fuchan immer wichtiger für den Thee-
Export geworden ist.
Der schwarze Thee kommt unter den Benennungen Congo,
Souschong, Pekoe:c. in den Handel und geht hauptsächlich nach
England; der grüne, als Aoung Hyson, Hysou, Hyson Skin 20.,
stärker nach den Vereinigten Staaten. Die Theestaude wird fast
in allen Provinzen südlich vom Hoang-ho knltivirt, an sonnigen
Halden gezogen, muß bewässert werden und giebt eine dreimalige
Ernte. Als Hauptsitze der Theeknltnr gelten die Südost-Provinzen:
Fo kieit, Tsche kiang, Kanton :c. Die Gesammt-Produktion wird
auf 500 Millionen Pfund geschätzt und der größte Theil davon im
Lande selbst konsnmirt, da der Thee das tägliche Getränk der Be-
wohner bildet.
Der ungeheure Import vou Silber, der in wenigen
Jahren Hunderte von Millionen Francs betrug (1859 z. B. mehr
als 80 Mill.), zeigt genugsam au, daß die westlichen Nationen, den
Chinesen gegenüber, vorzugsweise als Käufer sich verhalten. Dieser
Uebelstand, der mit der Zeit einen bedenklichen Einfluß anf den
europäischen Markt ausüben mußte, beruht wohl nicht allein dar-
auf, daß die in Schanghai etablirten Kanflenten es vorteilhafter
finden, sich mehr um Einkauf von Thee und Seide, als um Ver-
kauf europäischer Importe zu bekümmern; ein Hauptgrund liegt
offenbar in der geringen Nachfrage nach abendländischen Mann-
faktnren. Und so sonderbar es scheinen mag, daß China, ein Land
von der zehnfachen Einwohnerzahl Deutschlands, so weuig euro-
päisches Fabrikat konsnmirt, so erklärt sich dies wohl hauptsächlich
aus dem Umstände, daß diese Artikel noch immer nicht in's Innere
Chinas gelangen können, ohne von den Mandarinen nnt„Sqneezes"
belegt zu werden. Dadurch werden die Manufakturen so thener,
daß sie nicht mehr mit den chinesischen Baumwollstoffen koukurriren
köuueu.
Borläufig bildet uoch immer Opium den wichtigsten Import-
artikel. Derselbe kommt dem größern Theile nach von Bombay
(Malwa), eine geringere Menge von Calcutta (Bengalen). Tür-
kischer ist nicht verkäuflich. Im abgelaufenen Decennium sind in
Schanghai verkauft worden:
1850 über 19,000 Kisten.
1851 „ 22,000
1852 „ 27,000
1853 gegen 21,000 „
1854 über 25,000 „
1855 gegen 29,000
1856 „ 34,000 „
1857 „ 32,000 „
1858 Über 33,000 „
1859 gegeu 33,000 „
Diejenigen Manufakturen, welche für den Import am
meisten Bedeutung haben, sind etwa folgende:
a) Baumwollen-Zeuge: Loug Cloth (graue und weiße Shir-
tings), Grey Drills, T. Cloth, Dyed Cottons (white spottet»
Shirttugs, dyed spottet» Shirtiugs, white Brocades, dyed
Brocades), Faucy Cottons (Damask und Chintzes), Printed
Cottons (namentlich auch Schnupftücher).
b) Wollen-Zeuge: Spauish Stripes, Medium Cloth, Habit
Cloth, Long Ells (engl, und holläud.), Lastiugs, wollene
Decken, Flanells.
Unter den abendländischen Nationen, welche im Schanghaier
Geschäft repräsentirt sind, stehen die Engländer obenan. In
ihren Händen hauptsächlich befindet sich der dortige Verkehr. Gleich
bedeutend als Fabrikanten der in Schanghai begehrten Manu-
faktnren, als Lieferer des ostindischen Opiums, wie als Kousumen-
ten von Thee und Seide, verfügen sie durch ihre Bauk-Institutionen
und durch das Monopol der regelmäßigen Dampfschifffahrts-Ver-
bindung mit Europa über Mittel, welche alle anderen Nationen
des Westens auf sie anweisen. Die Amerikaner exportiren ziem-
lich bedeutende Mengen von Thee und Seide und liefern einige der
in Schanghai begehrten Baumwolleustoffe, ganz besonders Grey
Drills, billiger als England, allein ihre Kanflente müssen sich in
Neu-Uork englische Kredite verschaffen, nm ihre Einkäufe vou
chinesischen Exporten, die dnrch den Import eigener Stoffe nur theil-
weise gedeckt werden, zu realistrat. Die Deutschen sind, da ihr
Mutterland als Fabrikant sowohl wie als Konsument für China von
geringer Bedeutung ist, in vielen Beziehungen als Engländer zu
betrachten und machen ihre großen Seiden- nnd Theegeschäfte ganz
wie diese. Frankreich kauft zwar viel Seide, konsumirt aber
wenig Thee, fabricirt gar keine Manufakturen für den chinesischen
Markt und kann kein Opium auf denselben werfen; aber die Nolle,
welche der französische Kaufmannsstand in Schanghai spielt, steht
noch weit unter dem, was dieses Verhältniß erwarten ließe. So
findet man in Schanghai gar kein bedenkendes französisches Hans,
das mit den englischen Häusern dritten oder vierten Ranges rivali-
siren könnte, während es doch sehr bedeutende amerikanische Firmen
giebt. Die in Frankreich konfnmirte Seide wird von London be-
zogen oder durch feste Bestellung durch Schanghaier Kommissions-
hänser uach Marseille expedirt. Uebrigeus ist der Franzose im
Allgemeinen, was kaufmännischen Unternehmungsgeist nnd kanf-
männischen Bildung anbetrifft, so wenig auf derHöhe der amerikani-
schen, englischen oder hamburgischen Kanflente, daß man annimmt,
die Gründung französischer Banken in China, sowie die Errich-
tuug einer regelmäßigen Dampferverbindung Schanghai - Marseille
könnte nur mit Verlusten für die Unternehmer enden. Kaum wird
Frankreich je auf längere Zeit einen direkten bedeutenden Handel
mit China unterhalten.
Unter deu abeudläudischenFirmenin Schanghai stehen
obenan:
Jardine, Matheson und Comp., das erste der englischen
Häuser.
Ruffel und Comp., das erste der amerikanischen Häuser.
W. Pustau und Comp., das erste der deutschen Häuser.
Diese Firmen haben Etablissements in Schanghai, Kanton,
Hongkong und Japan. Die Oriental Bank Corporation hat eine
Succnrsale in Schanghai, und außerdem findet man mehrere
andere große englische um indische Bank-Institutionen. Es giebt
nämlich iu Schanghai auch einige sehr reiche indische Hänser, und
diese haben einen großen Theil des Opiumgeschäfts iu Händen.
Zn Ende 1859 belief sich die Bevölkerung des „Settle-
ments" von Schanghai auf 569 Einwohner, von denen
auf England und Indien 353,
„ Amerika .... 125,
„ Deutschland ... 29
u. s. f. kommen.
Die Dampffchiff-Verbindnng zwischen Schanghai und
dem Westen bildet ein Monopol der Peninsular and OrientalSteam
Navigation Company. Die Passagierpreise von Schanghai west-
wärts sind bedeutend höher als von Westen nach Schanghai. Es
kostet ein Billet erster Klasse
von England nach Schanghai 150 Pfd. St',
von Schanghai nach England 233 Pfd. St.
Die Fahrzeit von Schanghai nach London dauert im Mittel
etwa 50 Tage (per Segelschiff 120 bis 140 Tage, bei eiuer Taxe
von 90 Pfd. St.) Die Gesellschaft besorgt auch den Po st dienst
zwischen China und Europa und läßt monatlich zweimal Schiffe
über Hongkong, Singapore, Tinang, Point de Galle, Aden, Suez,
Alexandrien, Malta (uud Gibraltar) nach Marseille und South-
amptou abgehen. Ein Brief von V2 Unze kostet nach England
von Sonthampton . . 6 Penee,
„ Marseille ... 9 „
„ Trieft.....I Sh.
Zur Statistik des wirthschaftlichen Aufschwungs iu den conföderirten Staaten Nordamerikas.
123
Zur Statistik des wirthschaftlichen Aufschwungs in den conföderirten -Staaten tlordamerikas.
Die nachfolgenden Ziffern geben den unwiderlegbaren Beweis,
daß die Sklavenstaaten weit mehr Erzeugnisse des Ackerbaues liefern
als die Staaten, welche keine Sklaven halten. Sie liefern relativ
mehr Pferde und positiv mehr Schweine und Mais. Selbst
wenn man zweiHanptprodnkte des Südens, Baumwolle und Tabak,
nicht mitrechnet, stellt sich heraus, daß der Süden inBezug
auf Agrikultur reicher ist als der Norden. Die Zahlen,
welche wir nachstehend mittheilen, sind den amtlichen Censns-
berichten entnommen und beziehen sich auf das Jahr 1860.
Die Volksmenge der damaligen Union stellte sich auf
31,151,046 Seeleu. Davon kommen auf die
Freien Staaten....... 18,907,753 Seelen.
Sklavenstaaten: freie Einwohner . 8,292,782
„ Sklaven .... 3,950,511 „
Milchkühe: in den freien Staaten .... 5,235,254. .
Arbeitsochsen „ ,, „ .... 1,011,868. .
Anderes Hornvieh „ „ .... 6,412,200. .
Schafe „ „ .... 15,367,312. .
Schweine „ „ » .... 11,846,629. .
Zusammen: 39,873,263. .
Werth des Viehstandes in den freien Staaten 574,525,612. .
Weizen, Bushels „ „ „ „ 120,170,315. .
Roggen, „ „ „ „ „ 16,897,379. .
Mais „ ,. .. „ „ 392,756,465. .
Hafer „ „ „ „ „ 138,864,580. .
Reis, Pfund „ „ „ ,, 4,139. .
Tabak, „ „ „ 58,734,028. .
Baumwolle, Ballen zu 400 Pfd. „ „ 6. .
Kartoffeln, Hülsenfrüchte:c., Bushels „ 103,494,753. .
Wolle, Pfund „ ,, „ ,, 45,247,012. .
Gerste und Bnchweiz en, Bushels „ „ 31,598,149. .
Ertragd.Obst- u. Gemüsegärten, Doll. „ 26,894,014. .
Wein, Gallonen „ „ <• 1,427,516. .
Butter, Pfuud ,, „ „ „ 368,646,282.
Käse, „ ................104,531,095.
Heu, Tonnen „ „ „ „ 17,215,952.
Klee- und Grassaamen, Tonnen „ „ 1,503,050.
Hanf, Tonnen...... „ „ „ 40,800.
Zuckerrohr, Hosgheads zu 1000 Pfd. „ 283.
Zncker-Syrup, Gallonen „ „ „ 66.
Syrup von Sorghum ., „ „ „ 4,717,125.
Syrup von Zuckerahorn „ „ 1,474,155.
Ahornzncker, Pfund „ „ ,,
Hopfen, Pfund „ „
Flachs, „ „ „
Leinsaat, Bushels „ „ „
37,186,065.
10,982,296.
2,045,630.
513,227.
Seidenkokons, Pfund ,. „ „ „ 5,350. .
Wachs und Honig, „ „ „ „ „ 10,987,926. .
Home made Manufactures, Werth Doll. 5,699,727. .
Geschlachtetes Vieh, Geldwerth Doll. 105,669,980. .
Schon durch diese amtlichen Ziffern ergiebt sich, daß der
Süden nicht etwa „im Verfall" ist; in den Tätigkeitskreisen, welche
sich für sein Klima eignen, ist er nicht zurückgeblieben. Hätte der
Norden nicht sechs Millionen KöpfeZnwachs durch Einwand erer
und deren Kinder, und zwar im Verlaufe von wenig mehr als
einem Menschenalter, erhalten, so wäre der Süden ihm ganz ent-
schieden sehr weit vorans. Auch ist so viel klar, daß dieser Norden
von dem Süden während des jetzigen Krieges, in welchem er von
der Minderzahl sich hat immer aufs Haupt schlagen lassen, längst
besiegt und bezwungen worden wäre, wenn ihm nicht Ausländer
seine Schlachteu geschlagen hätten; mindestens dreimalhnndert-
Der steuerpflichtige Werth des Grundeigenthums und
der fahrenden Habe betrug in den
Freien Staaten....... 6,541,027,619 Dollars
Sklavenstaaten....... 5,465,808,957
Land unter Anbau in den 34 Staaten 162,804,521 Acres.
Davon kommen auf die freien Staaten 88,118,466 „
,, „ „ Sklavenstaaten 74,623,055
Geldwerth der Farmen, Ackergeräthe,
Maschinen :c. in den freien Staaten 4,209,062,835 Dollars.
Sklavenstaaten...... 2,675,476,321
Zusammen 6,884,539,156 Dollars.
Pferde, Esel und Maulthiere . . . 7,206,475
Davon in den freien Staaten .... 3,669,239
„ „ Sklavenstaaten . . . 3,537,236
in den Sklavenstaaten....... 3,428,011.
„ „ „ ....... 1,176,286.
„ „ „ ....... 8,187,125.
....... 7,064,116.
....... 20,651,182.
40,506,720.
„ „ „ ....... 524,336,743.
„ „ „ ...... 50,005,712.
„ „ „ ....... 4,067,667.
„ „ „ ....... 434,938,063.
„ „ „ ....... 33,224,515.
„ „ „ ....... 187,140,173.
„ „ „ ....... 370,630,723.
„ „ „ ....... 5,196,938.
„ „ „ ....... 63,229,982.
„ „ „ ....... 14,685,316.
„ „ „ ....... 1,666,516.
„ „ „ ....... 8,103,216.
„ „ „ ....... 423,303.
„ „ „ ....... 91,026,370.
„ „ „ ....... 1,257,557.
„ „ „ ....... 1,857,554.
„ „ „ ....... 325,667.
„ „ „ ..............63,680.
„ „ „ ....... 301,922.
„ „ „ ....... 16,337,014.
„ „ „ ....... 2,458,917.
„ „ ....... 470,144.
„ „ „ ....... 1,677,533.
„ ..............27,537.
„ „ „ ....... 1,733,213.
„ „ „ ....... 98,553.
„ ,. ..............1,211.
„ „ „ ....... 15,382,905.
,» „ „ ....... 18,526,734.
,, „ h ....... 106,362,075.
tausend Jrläuder und, leider, Deutsche haben ihr Blut für die
Daukees vergossen, und werden dafür „verdammte Dutckmeu und
Söldlinge" genannt, von denselben Uankees, welche ohne diese
„Miethlinge" längst zu Paaren getrieben worden wären.
Das Gewebe von Jrrthümern und planmäßigen Unwahr-
heiten, welches von fanatischen Anhängern der Abolitionisten und
deren Söldlingen in der europäischen und namentlich auch iu der
deutscheu Presse so bemerkbar ist, wird durch die nackten aber sein
beredtsameu Zahlen zerrissen, der Schleier wird gelüftet und die
Wahrheit kommt zum Vorschein. Wir werden gelegentlich die gegen-
seitige Stellung des Nordens nnd Südens eingehend erörtern.
16*
124
Neue Nachrichten aus Madagaskar.
Neue Nachrichten aus Madagaskar.
Die wunderlichen Dinge auf dieser Insel nehmen ihren Fort-
gang und wir dürfen sie nicht aus den Augen verlieren. Der Pariser
Monitenr hat einen Brief vom 25. August aus der Hauptstadt
Tanauarive (Antananarivo), demgemäß Kommandant Dupre,
Vorstand der französischen Mission, dort angekommen ist. Er war
am 15. Juli von der Hafenstadt Tamatave an der Ostkuste ausge-
krochen und wurde in Matassoa von Würdenträgern des Königs
begrüßt. Sie kamen in Staatskleidern, mit Musik und einer Ab-
theilnng königlicher Gardesoldaten, um den Kommandanten im
Namen ihres Herrschers willkommen zu heißen.
Am 27. Juli befand sich Dupre in Andralsoun, das uur eiue
Stunde Wegs von der Hauptstadt eutferut liegt. Dort begrüßten
ihn abermals Boten von Seiten des Königs und der Königin; anch
Laborde fand sich ein. Dieser war einst Ceremonienmeister bei
der alten Königin Ranovalo gewesen und hatte sich in die von uns
(Globus Nr.19) geschilderte Verschwörung eingelassen; er war nahe
daran, als uudaukbarer Verräther hingerichtet zu werden, aber die
alte Dame begnadigte den Hochverräther. Die französischen Aben-
teurer spielen überhaupt unter der neuen Aera auf Madagaskar
eine wichtige Rolle. Jener Laborde ist jetzt französischer General-
konsul auf Madagaskar. Mit ihm traf Duprv Abrede über den
feierlichen Einzng der „Ambassade".
Diese wurde am 28. Juli von der Gardemusik des Königs
abgeholt, als sie die Stadt betrat, mit einundzwanzig Kanonen-
schüssen begrüßt, und zog vor Laborde's Haus. Als sie vor dem
Palaste vorüberkam, rief sie: „Es lebe der König Radama!
Es lebe die Königin Rabuda!" Der König sandte sofort
landesübliche Geschenke, namentlich Ochsen, Geflügel, Eier und
Reis.
Am 31. Juli fand der feierliche Empfang statt. Abgesandte
des Königs geleiteten den Kommandanten zum „Silberpalaste".
Im großen Saale saßen Ihre Majestäten, umgeben vom gesamm-
ten Hofgesinde. Beide drückten Herrn Dnpre die Hand und er
dankte für den wohlwollenden Empfang, welcher ihm, als dem
Stellvertreter des Kaisers aller Franzosen, zn Theil geworden sei. La-
borde machte den Dolmetscher und „die Worte wurden von der ganzen
Versammlung durch häusigeZeicheu wärmster Zustimmung begleitet."
Nachher stellte Dupro die Mitglieder der Mission Ihren Majestä-
ten vor.
Radama ließ Erfrischungen reichen und nun trank man auf
die Gesundheit Napoleou's uud Eugenie's, Radama's nnd Rabuda's,
aus das Gedeihen von Madagaskar und seiner Beziehungen zu
Frankreich. Eiu paar Tage später machte der Kommandant dem
König eine zweite „Visite", und dieser sprach den Wunsch aus,
nebst seiner Gemahlin beim Bankett zur Feier des Napoleonstages,
15. August, zugegen zu sein und dem katholischenGottesdienste
beizuwohnen.
Inzwischen kam auch eine e n g l i s ch e G e s a n d t s ch a s t an und
hielt am 7. August ihren Einzug in der Hauptstadt.
Am „Napoleonstage" wurde eine Salve von einundzwanzig
Kanonenschüssen abgefeuert und zn Ehren des „Kaiserfestes" die
französische Flagge aufgezogen. Der königliche Zug erschien mit
allem Pomp vor Laborde's Wohnung, Dupre reichte der Königin
den Arm, hob sie aus dem Tragsessel und geleitete sie in die Kirche,
wo beide Majestäten durch den Gottesdienst tief ergriffen waren.
Nachher begaben sie sich nach dem Landhanse Laborde's, wo das
Bankett stattfand.
Bei demselben war auch General Johnston, Vorstand der
englischen Gesandtschaft, zugegen. Bevor Radama Platz nahm,
brachte er die Gesundheit der französischen Majestäten aus und ver-
gaß auch den Kronprinzen nicht; „er sprach aus, wie glücklich er
sich fühle, daß er auf solche Weise das Fest des Kaisers der Fran-
zosen mitfeiern könne." Lauter Jubel und wieder einundzwanzig
Kanonenschüsse. Nun dankt Dupre und bringt einen Trinkspruch
auf die Majestäten von Madagaskar; nachher bringt er auch die
Gesundheit der Königin Victoria nnd des Prinzen von Wales aus.
General Johnston seinerseits toastet gleichfalls und zollt einen „ge-
rechten Tribut von Lobeserhebungen" (so sagt der Monitenr) dem
Kaiser und Frankreich. „Der König schien tief bewegt, die Königin
desgleichen, über die Worte, welche der General gesprochen hatte.
Denn sie waren ein Ausdruck der loyalsten und vollsten Hochach-
tuug." Dann folgt allgemeine Heiterkeit beim Bankett.
Das Ganze war eine Komödie, in welcher Halbbarbaren mit-
spielten nnd zusahen. Denn England wünscht die Franzosen von
Madagaskar weg, und diese möchten jene dorthin schaffen, wo der
Pfeffer wächst. Zugleich trat aber anch ein früherer, jetzt in hoher
Gnade stehender Hochverräther gegen Ranovalo, Lambert, anf
die Bühne. Er laugte am 24. August an nnd sollte am 25. vom
König empfangen werden, der ihn nach Paris als seinen Ge-
sandten geschickt hatte. Natürlich durfte er bei der Königs-
krönnng nicht fehlen, die am 25. September mit großein Pomp
stattfinden sollte.
Was in dem Vorstehenden Tatsächliches enthalten ist, haben
wir dem Artikel des Monitenr entlehnt; aus anderen Quellen wollen
wir hinzufügen, daß König Radama in der Lust, seine schwarzen
und braunen Unterthanen zu europäisiren, doch zn weit gegangen
ist. Er hatte eiu Gebot erlassen, demzufolge alle Malgascheu
europäische Kleidnng tragen sollten! Wer es nicht thnn
würde, sollte eine Strafe zahlen. Der Befehl stellte sich indessen
als so unpraktisch heraus, daß Radama ihn zwar noch nicht völlig
widerrufen hat, was allerdings am besten wäre, sondern ihn stark
modisicirte. Er scheint zu wähnen, daß der Rock zur Civilisation
beitrage.
In unserer Schilderung des Idealisten Radama bemerkten wir
neulich (S. 46), daß vou dem englischen Missionar Ellis noch
keine Berichte aus Madagaskar eingelaufen seien. Jetzt eben finden
wir einen solchen in der Oktobernummer des „Journal des Missions
evangeliqnes." Wir bitten unsere Leser, den wesentlichen Inhalt
dieser Mittheilungen, welche wir nachstehend geben, mit den Dar-
stellnngen des katholischen Missionärs Pater Jonven (S. 4V folg.)
zu vergleichen; man wird sehen, daß der idealistische König nach
zwei Seiten hin balancirt. Die Folge wird zeigen, wie lange er
das Gleichgewicht halten kann, ohne sich entschieden anf die eine
oder andere Seite zu neigen. Jetzt wird er von rivalisirenden Ein-
flüssen hin- und hergeschoben.
Ellis war am 31. Mai von der Hafenstadt Tamatave nach
dem Innern aufgebrochen und am 15. Juni in Antananarivo ein-
getroffen. Zehn Stunden weit waren ihm Schaaren eingeborener
Christen entgegengekommen; an der Spitze gingen ihre braunen
Pastoren. Am andern Tage erhielt er Briefe von seinem alten
Freunde dem König, und vou dessen Premierminister. Der Erstere
bat ihn, gleich nach dem Eintreffen im Palaste zn erscheinen. Als
er in die Hauptstadt einzog, bestand sein Gefolge aus ein paar
hundert Leuten, nnd vor seiner Wohnung stand schon eine zahlreiche
Christenmenge, die ihm ein Willkommen entgegenrief.
Am andern Tage wurde er vou beiden Majestäten und dem
Hofadel empfangen. Radama begrüßte den alten Freund mit
Wärme und dankte für die Freundschaft, welche man ihm von
Seiten Englands und der Londoner Bibelgesellschaft erweise,
welche letztere sich so preiswürdige Mühe für Ausbreitung des
Christenthums und der Erziehung gebe. Manche Würdenträger,
sagt Ellis, scheinen eifrige Christen zu seiu; eine ganze Woche lang
war seine Wohnung mit solchen angefüllt, die sehr betrübt waren,
daß der Missionar nicht anch eine Ladung Bibelu mitgebracht habe.
Kleine Nachrichten.
125
Eine solche ist ihm jedoch nachgeschickt worden. Manche „Kongre-
gationen" hatten gar kein Exemplar; nur wenn ein Pastor aus der
Hauptstadt die Landgemeinden besuchte, hörten sie Gottes Wort aus
der Schrift, „aber ihr Glaube ist einfach und schriftgemäß geblieben;
sie sind den Grundwahrheiten des Evangeliums treu ergeben und
haben denselben keine Visionen oder irrige Ansichten beigemengt."
Das zielt auf die katholischen Sendboten.
Ellis besuchte die Kirchen, „einfache ländliche Tempel." In
jener von Analakeli fand er etwa fünfzehnhundert Personen ver-
sammelt, und in der von Amparimbe eben so viel. Er las Stücke
aus der Bibel vor und betete in der Sprache der Howas. Der
König uud die hohen Würdenträger ließen ihn oft zu sich kommen,
„und seit einer Woche bin ich alle Tage von drei bis fünf Uhr beim
Könige und lese mit ihm Englisch aus einer großenBibel
in Qnarto, welche 1821 die londoner Bibelgesellschaft dem
König Radama dem Ersten geschenkt hat. Eine Anzahl von
Beamten, von denen einige sich zum Christenthum bekannt haben,
sind dabei zugegen, und nachdem wir gelesen haben, besprechen
wir die Gegenstände." Ellis hielt also regelrechte Bibelstunden,
worüber Pater Jonven nicht gerade erbaut seiu wird. An jedem
Morgen unterrichtet Ellis zwölf Knaben aus angesehenen Fainilien
im Englischen; diese Zöglinge, welche einst Statthalter der Provinzen '
werden sollen, gehen gewöhnlich auch mit iu die königliche Bet-
stunde und singen geistliche Lieder mit. Der königliche Minister
Ra Haniraka hat einen exegetischen Vortrag über 1. Timotheus I,
Vers 15 gehalten. „Denn das ist je gewißlich wahr und ein thener
werthes Wort, daß Jesus Christus gekommen ist in die Welt, die
Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin."
Nicht alle, welche sich Christen nennen, seien bekehrt, meint
Ellis, aber es gebe doch tansende von Bekennern im Lande. Der
König hat dem englischen Missionar den Platz zum Bau einer Kirche
eingeräumt. „Hier befinden sich eine Anzahl von römisch-katholischen
Priestern, auch graue Nonnen sind da, und ich höre, daß von beiden
noch mehrere kommen sollen; doch ist die Zahl der Eingeborenen,
welche ihren Gottesdienst besuchen, nur gering. Die Christen hier
haben eine tiefe Anhänglichkeit an die Bibel, welche während der
langen Jahre der Verfolgung ihr einziger Trost und Freund war,
und erwarten mit Sehnsucht, daß mehr protestantische Missionare
kommen." Ellis meint, vor allen Dingen sei es nöthig, vier Kirchen
zu baueu. Die Londoner Bibelgesellschaft hat vorerst Missionare
nnter Leitung des Reverend Toy nach Madagaskar geschickt; am
15. Juli waren sie auf der Insel Mauritius angekommen. Die
sechs Sendboten wollten bei der Krönung Radama's zugegen sein
und ihm bei dieser Gelegenheit eine große schöne Bibel überreichen,
in welchej Königin Victoria eigenhändig einige Worte geschrie-
ben hat.
Ohne Zweifel wird demnächst der Pariser Monitenr eine pomp-
hafte Schilderung der Krönung Radama's bringen.
Kleine A
Civilisation in Irland. Der katholische Erzbischof von
Cashel in Irland, Dr. Leahy, zu dessen Sprengel auch die Graf-
schaft Tipperary gehört, hat in den ersten Tagen des November-
Monats einen merkwürdigen Hirtenbrief erlassen, welcher in das
irisch-keltische Leben und Treiben einen tiefen Eindruck ge-
währt. Es handelt sich um eine Erbfehde.
Vor vielen Jahren war Viehmarkt bei der Stadt Tipperary,
und auf demselben wurde ein hübscher junger Bulle zum Verkauf
ausgeboten. Ein Maun behauptete, dieser Bulle sei drei Jahre
alt, während ein anderer steif und fest versicherte, er zähle vier
Jahre. Darüber kam es zwischen Beiden zn einem Streite, in
welchen sich andere Leute einmischten. Denn „wo es was giebt",
ist der Sohn der Smaragdinsel „immer dabei". Es kam zu
Schlägen und Blut wurde vergossen. Dann zogen die Kämpfer
vom Marktplatze fort, nahmen aber ihren Ingrimm mit nach Hause.
Die Schlägereien haben sich wiederholt wo nnr irgend eine Gelegen-
heit sich darbot, auf Messen und Märkten, bei Hochzeiten und
Leichenbegängnissen, und das geht nun schon fort, so lange die alte-
sten Leute deuten können. In diesen Kämpfen der beiden einander bis
anf den Tod hassenden Parteien, welche sich selber als „ vier Jahr-
alt" und „drei Jahre alt" bezeichnen, sind unzählige Menschen
ermordet, getödtet oder zu Krüppeln geschlagen worden; weder War-
nungen noch Strafen haben gefruchtet, und jetzt eben geht derUnfng
luftiger und ärger als je znvor im Schwange. Die Weltgeistlichkeit
hat nichts dagegen ausrichten können und der Erzbischof hat nun
die Redemptoristen kommen lassen, die mit drastischer Beredt-
samkeit Missionspredigten halten und die wilden Iren in ihren
Häusern ermahnen sollen; denn so grimmig und wüthend sind diese
gegeneinander, daß sie selbst iu der Kirche weder Ruhe uoch Frieden
halten.
Beide Parteien sind vollblütige keltische Iren und eifrige Katho-
liken. Den Mittelpunkt bildet die kleine Stadt Emly. Dort steht
eine Familie der andern gegenüber und in den umliegenden Dörfern
dasselbe der Fall. Sie lauern einander bei Tage oder bei nacht-
licher Weile auf; uicht selten fallen sechs oder zehn Männer über
einen Einzelnen her und schlagen ihn zu Boden; jene von der andern
Partei machen es aber nicht besser. Alle dürsten nach Blut.
^ Der Erzbischof entwirft in seinem Hirtenbrief eine ergreifende
Schilderung, und erzählt, von welchen herzbrechenden Auftritten iu
Familien er so oftmals Zeuge gewesen sei. Er hebt hervor, wie
schändlich es sei. die Knüttel, welche ohnehin schwer genug seien, noch
a ch r i ch t e n.
mit Blei auszugießen, um damit einem Menschen den Schädel zu
zerschmettern, was leider allzuhäufig vorkomme.
„Einst war ich auf dem Kirchhofe bei einem Begräbnisse. Neben
der frisch gegrabenen Grube lagen Menschengebeine umher. Da
erkannte eine Frau den Schädel ihres Bruders, der vor Jahren von
der feindlichen Faktion todtgeschlagen worden war. Sie ergriff den
Schädel krampfhaft und wie im Wahnsinn, küßte ihn und schrie:
Ja, das ist sein Schädel, meines Bruders Schädel; an dem Zeichen
da erkenne ich ihn; dorthin bekam er den Schlag. — Uud so war
es. O über den in der Hölle geborenen Frevelgeist der Parteiwuth!
Wie vieler Menscheu Leben ist ihm schon zum Opfer gefallen. Wie
viele Seelen habt ihr nicht schon in die Hölle befördert, wohin sie,
mit Sünden beladen, gegangen sind! Nicht blos die Leiber habt
ihr todtgeschlagen, sondern auch die Seelen".
Der würdige Erzbischof entwirft dann eine Statistik der Todt-
schläge und Verstümmelungen seit dem 9. Juli 1856 und zählt alle
einzelnen Fälle tabellenartig auf. Denis Ouiulan, ein vier Jahre
alter Knabe, ist auf einem Markte todtgeschlagen worden, John Fitz-
gerald in Emly, als er in seiner Hausthür stand, John Kenna, der
zu keiner Partei gehörte, in Rodns, Michael Hays anf einem Jahr-
markt, und so geht die Auszählung mit Datum und Jahr in
langer Reihe fort. ^Am 12. Juli 1860 wurden die Leute entsetzlich
geschlagen auf demJahrmarkte zn Ballybrood, denn es entstand ein
Gefecht zwischen den Mulcabys und Conollys aus Caherline und
den Smalls von Kilteely auf der einen Seite und den Lnndons
nnd Conways von Kilteely auf der andern Seite.
Am allerärgsten sind die Raufereien, wenn die Leute eben in
der Kirche gewesen sind, der Messe beigewohnt oder eine Predigt
angehört haben. Sie schlagen die Ermahnungen sofort in den Wind,
fallen gleich vor der Kirchthür über einander her nnd prügeln auf
einander los, bis die Knochen krachen nnd brechen nnd die Hunde
das Blnt lecken.
Civilisation im illyrischcn Dreieck. Im Süden wie im
Norden des Balkangebirges gehen wunderliche Dinge vor, welche
uns jedoch keineswegs überraschen. In Bulgarien wollen die sla-
wischen Landeseingeborenen sich nicht länger von der griechisch-
orthodoxen Geistlichkeit ausbeuten lassen: es ist ein nationaler
Gegensatz vorhanden, denn die Popen sind zumeist Gräten, so ge-
nannte Neugriechen uud, wie wir nuterAnderm aus F a ll m e r a Y e r' s
Schilderungen wissen, über alle Begriffe habgierig. Seit ein paar
126 Kleine
Jahren haben es nun viele Tausende bulgarischer Leute für zweck-
mäßig erachtet/ zum Katholizismus überzutreten. Darob großer
Zorn unter den geistlichen ©reifen, denen solchergestalt schöne Ein-
fünfte verloren gingen. Nun schreibt man der Allgemeinen Zeitung
aus Konstantinopel, daß kein geringerer Mann als der Erzbisch o s
vonAdrianopel, ein Gräke, ein Exempel zu geben trachtete. Er
drang in ein abtrünniges Dorf, stürmte in die jetzt katholische Kirche
und machte sich darüber her, die auf dem Altar stehenden Gefäße
des römischen Kultus auf den Boden zu schleudern.
Die slawischen Bauern haben wohl schwerlich ein Buch gelesen,
das wir einmal mit großem Vergnügen durchblättert haben; wir
meinen H.Bakenii Geistliches Kühl- und Löschwasser zur
Stillung d es Feuereifers. Bremen 1667. Aber den Fener-
eifer der Gräten haben jene handfesten Bulgaren trotzdem gestillt.
Sie legten ihre Fäuste an den Prälaten, rissen ihm sein erzbischös-
liches Gewand herunter, traten seinen Ornat mit Füßen und prü-
gelten ihn entsetzlich dnrch. Das war „Kühl- und Löschwasser".
Se. Majestät Sultan Abdül Asis gefällt sich gleichfalls in
wundersamen Dingen. Die abendländische Civilisation ist bruch-
stückweise selbst m die Harems von Stambul gedrungen, zu großem
Verdruß des Padischah, welcher nicht dulden will, daß türkische
Frauen und Mädchen sich neumodisch kleiden. Er hat ein ächt tür-
kisches Mittel ausfindig gemacht, um ihnen die europäischen Lieb-
habereien auszutreiben: er läßt sie nämlich durch eine weibliche
geheime Polizei überwachen. Jüngst gingen vier mohammeda-
insche Damen, vorschriftsmäßig, aber nicht undurchsichtig genug
vermummt, im europäischen Quartier Pera, einer Vorstadt Kon-
stautiuopels, spaziereu. Da rauscht hinter ihnen her eine verhüllte
Alte in unheimlicher Absicht. Die Mädchen flüchten in den Laden
eines Kaufmanns und drücken sich in eine Ecke, aber die Alte folgt
ihnen auf den Fersen, ergreift die Erste bei ihren koranwidrigen
Locken, zieht schweigend eine Scheere aus der Tasche, und weg sind
die schönen Haare! Den anderen Dreien geschah dasselbe. Die
Alte, ein weiblicher Gendarm, gehört zu der Schaar, welche auf
kokette, nicht vorschriftsmäßig gekleidete Damen zn vigilireu hat.
Das Ungethüm dringt auf Befehl des Kaisers iu alle Harems, exe-
kutirt stehenden Fuße's Gemahlin und Töchter und deunncirt Gatten
oder Väter.
Also geschehen im Jahre von Erschaffung der Welt uach der
Jüdeu Rechnung 5622, Anno Domini 1862.
Die „Malaien" der Kapstadt. In den trefflichen Briefen
eines Mitgliedes der preußischen Expedition nach China und Japan
(welche den Commandern: des preußischen Schiffes „Elbe", Lieute-
uant Reinhold Werner, zum Verfasser haben), finden wir folgende
Schilderung der „Malaien" der Kapstatt, welche wir mittheilen,
weil sie eine Ausnahme von der Regel zeigt, daß nämlich Misch-
linge in sittlicher und leiblicher Beziehung weit hinter reinen
Raceu zurückstehen. Aber Ausnahmen bestätigen eben die Regel.
Unter den 40,00V Einwohnern der Kapstadt haben nur 4 dis 6000
uuvermischtes europäisches Blut. Die übrigen Bewohner bezeichnet
man mit dem Namen Afrikaner, und sie begreifen alle Mischlinge
von Europäern mit Negern, Hottentotten, Kaffern und sonstigen
Farbigen. Unter letzteren zeichnen sich noch die sogenannten Malaien
aus. Dies siud die Abkömmlinge von malaiischen Sklaven, welche
die Holländer früher, als sie noch das Kap besaßen, von ihren oft-
indischen Besitzungen einführten. Als die Engländer das Kap er-
oberten, wurden die Malaien frei und sie bilden jetzt die niedere
Bürgerklasse. Der Name Malaie ist jedoch fast das Einzige, was
von ihrer ursprünglichen Nationalität übrig geblieben ist. Sie sind
durch Vermischung mit Kaffern und Hottentotten ein ganz anderer
Menschenschlag geworden, ein ausgezeichneter sowohl in physischer
als moralischer Beziehung, und zeigen sich, was jedenfalls Beachtuug
verdient, den Hottentotten und Kaffern weit überlegen. Sie er-
innern sehr an die spanischen und französischen Basken, besitzen
durchgängig eine schlanke Figur, einen kräftigen Körperbau und
angenehme Gesichtszüge. Außerdem sind sie arbeitsam und penibel
reinlich: Eigenschaften, die unter Völkern, deren Heimath die
Tropen sind, sehr selten angetroffen werden. Mit ihrer Nationali-
tät haben sie auch ihre Sprache verloren, aber merkwürdiger Weise
sprechen sie nicht englisch, sondern, wie überhaupt fünf Sechstel
sämmtlicher Koloniebewohner, holländisch. Das Kap ist seit 50
Jahren englisch, aber bis jetzt haben die Engländer es nicht dahin
bringen können, ihre Sprache anch nur zur ossiciellen zu machen.
Sie sind noch immer gezwungen, ihre Gesetze, Bekanntmachungen:c.
in Holländisch zu erlassen, weil außerhalb der Kapstadt und Si-
monstown kein Kolonist außer den geborenen Engländern englisch
versteht. Kirchen, Schulen, Zeitungen, alles ist holländisch, und
der englische Beamte oder Kaufmann muß diese Sprache lernen,
wenn er am Kap fortkommen will. Hier sind zwei zähe Volks-
charaktere zusammengetroffen, aber die Holländer sind die Zäheren.
Sie werden nie englisch werden, und wie die Transvaal-Republik
und die Freestates sich losgerissen, kann es nicht lange dauern, daß
anch die östlichen Theile der Kolonie sich als selbständige Republik
abtrennen werden.
Die kaukasischen Provinzen Rußlands sind wirtschaftlich
noch wenig entwickelt, und die russische Regierung wird zu einein
ganz neuen Systeme sich verstehen müssen, wenn diese schönen
Länder sich heben sollen. Das wichtigste Erzeuguiß für die Aus-
fuhr ist Seide, wovon jährlich im Durchschnitt 30,000 Pud zum
Export kommen und zumeist uach Moskau gehen. Den Mittelpunkt
für die Seideuetabliffements bildet die Stadt Nukha, und dort
wohnen auch französische und italienische^ Kaufleute. Nicht uu-
wichtig war seither auch das persische Insektenpulver, von
welchem alljährlich aus Tislis vier- bis fünftausend Pud ausgeführt
wurden, zumeist nach Wien; aber in neuerer Zeit hat die Nach-
frage fast ganz aufgehört. HerrlicheNußbaum-Masern werden
von deu Kunstschreinern iu Europa sehr gesucht; auch deutsche
Holzhändler kommen schon in die kaukasischen Wälder nud kaufen
dort. Der Transithandel von Tiflis könnte sehr bedeutend sein;
aber noch immer siud die Fahrwege schlecht und unsicher, und
schlechte Transportmittel nebst den strengen, unzweckmäßigen Zoll-
gesetzen wirken abschreckend. So hilft es wenig, daß die Odessaer
Dampfergesellschaft Fahrten zwischen Konstantinopel und
Bathum, iu der Ostecke des Schwarzen Meeres, eingerichtet hat.
In jedem Monate schafft sie zweimal, Samsnn und Trapezuut
anlaufend, Waaren und Fahrgäste bis zur russischen Grenze bei
Bathum; von dort bringt ein kleiner Dampfer die Ladungen bis
in die Mündung des Riou (PHasis). Trotz dieser günstigen
Verhältnisse will sich doch, eben der oben erwähnten Mängel
wegen, der Durchfuhrhandel nach Persien nicht über Tiflis lenken.
Alle Karawanen aus und nach Persien gehen immer noch lieber
über Erzerum als über Tiflis uach dem Schwarzen Meere, obwohl
die Unsicherheit der Straßen im Innern des türkischen Arme-
mens derart zugenommen hat, daß Plünderungen und Raub-
ausälle auf die Karawanen auf dieser Straße an der Tages-
ordnung sind.— Die deutsche Kolonisation im Tiflifer
Gouvernement besteht aus fünf oder sechs württembergischen
Ansiedelungen, wovon drei im Kreise Elisabethpol, die übrigen in
der Nähe von Tiflis liegen; die größeren enthalten 60 bis 80, die
kleineren 20 bis 30 Familien. In der einen Kolonie bei Tiflis,
welche nnn ein Stadtviertel bildet, siedeln sich allmälig die übrigen
Deutschen an, welche in der Stadt als Handwerker oder Arbeiter
Lebensunterhalt suchen.
Ausgrabungen in Pompeji. Wir haben in dem Aufsatz über
deu Vesuv erwähnt, daß Pompeji während des Ausbruches vom
Jahre 70 durch einen Aschenregen verschüttet worden sei. Diese
Asche läßt sich mit verhältnißmäßig geringer Mühe hinwegräumen,
und deshalb ist es gelungen, von der alten Stadt ganze Straßen
offen zu legen. Die Einwohner haben Zeit gefunden, dem Ver-
derben zu eutflieheu und sich selber zu retten, während sie von ihrer
Habe fast Alles zurücklassen mußten. Deshalb findet man nur
wenige Gerippe. Aber am 11. Oktober dieses Jahres hat man bei
den Ausgrabungen wieder eiueu solchen Fund gemacht. Als die
Arbeiter den Schutt iu einem Hause hinwegräumten, das offenbar
armen Leuten gehört hat, riefen sie plötzlich laut ans. Sie waren
in einem kleinen innern Gemach auf Menschenknochen gestoßen. Die
Aufseher kamen herbei und ließen mit großer Behutsamkeit weiter-
arbeiten. Eiu Augenzeuge meldet dem Londoner Athenäum (vom
1. November), daß man in der That die äußerste Vorsicht anwandte.
So kamen in einer Ecke des Zimmers fünf Gerippe zum Vorschein,
vier von Frauen und eins von einem Kinde. Sie hatten in Ver-
zweislung die Arme übereinander geschlagen; bei dem einen Skelett
war der Mund weit geöffnet; er hatte noch einen tiefen Athemzug
machen wollen, dann hatte die Asche ihn erstickt. Das Kind saß im
innersten Winkel, wohin wohl die Sorgfalt der Mutter es gesetzt
hatte, um es womöglich vor dem Sturm der Asche zu schützen, der
aber überall hindrang. Die armen Weiber waren von Vätern,
Gatten, Brüdern, von Jedermann verlassen worden, sie selbst aber
haben nickt entfliehen können. An den fleischlosen Knochen hingen
broncene Armbänder; neben dem einen Gerippe lag was einst eine
Geldbörse gewesen war; sie hatte zwanzig römische Silbermünzen
und zwei Kupfermünzen enthalten. Der Stoff der Börse war zn
Zunder geworden, aber man konnte doch das Gewebe noch erkennen,
in welchem die arme Familie ihre Sparpfennige aufbewahrt hatte.
Auch sah man in der Asche manche Spnren von Kleidung, welche
die Leute auf dem Leibe trugeu, als das Unglück über sie hereinbrach;
der Druck des Gewebes und selbst die Falten der Kleider ließen sich
iu der Asche ganz deutlich erkennen. Nicht minder deutlich waren
die Spuren von einem Bette; man fand die Gerippe dritthalb Fuß
über der Flur des Zimmers, konnte die Umrisse der Bettstelle dent-
lieh erkennen, ebenso die Löcher, in welchen die Pfosten gestanden
Kleine?
haben. Da wo Gelenke oder Hespen gewesen sind, fand man
Stücke von Eisen, das aus den letzten Tagen von Pompeji bis auf
unsere Zeiten gekommen ist!
Das Telegraphennetz des dcntsch-österrcichischcn Telegraphen-
Vereins am 1. Jan. 1862 und dessen Entwickelnng. Der deutsch-
österreichische Telegraphenverein besteht aus Oesterreich, Preußen,
Bayern, Sachsen, Hannover, Niederlande, Württemberg, Mecklen-
bürg, Baden. Das Telegraphennetz dieses Vereins zählte am
I. Jan. 1862 im Ganzen 627 Vereinsstationen, wovon Oester-
reich 209, Preußen 143, Bayern 39, Sachsen 27, Hannover 31,
.Niederlande 59, Württemberg 40, Mecklenburg 14, Baden 65 hatte.
Am 1. Jau. 1856 hatte der Verein nur 234 Vereinsstationen, und
hat derselbe also die Zahl seiner Stationen im Verlaufe von sechs
Jahren um 393 oder um 168 Procent vermehrt. Im letztabge-
laufenen Jahre 1861 allem sind 87 neue Vereinsstationen errichtet,
dagegen aber auch fünf wieder ausgehoben worden, so daß die Ver-
Mehrung netto 82 Vereinsstationeu betrug. Vou den neu eröffne-
ten kommen auf Oesterreich 24, Preußen 24, Bayern 1, Hannover
I, Niederlande 5, Württemberg 11, Mecklenburg 1, Baden 20.
Gehen wir zu der Lauge der Linien über, so betrug dieselbe am
1. Jan. d. I. 41253/)0 geographische Meilen, wovon Oesterreich
1782,3, Preußen 1143,1, Bayern 274,8, Sachsen 137,9, Hannover
204,5, Niederlande 219,0, Württemberg 133,6, Mecklenburg 53,1,
Baden 177 geographische Meilen Vereinstelegraphenlinien hatte.
Am 1. Jan. 1856 betrug die Gesammtlänge der Vereinslinien nur
231.7,7 geographische Meilen, und wurde also dieselbe im Verlaufe
von sechs Jahren um 1807,6 geographische Meilen oder um 78Proc.
vermehrt. Im letztabgelaufenen Jahre 186 t allein betrug die Ver-
längerung der Gesammtvereinslinie 261,3 geographische Meilen.
Untersuchen wir no ch die L ä n g e d e r L i n i e, w e l ch e d u r ch s ch u i t t -
lich aus eiue Vereiusstatiou kommt, so crgiebt sich, daß am
1. Jan. d. I. 6,58 geographische Meilen an Vereinslinien auf eine
Vereinsstation kamen; am I.Jan. 1856 waren 9,9 geographische
Meilen auf eiue Vereiusstatiou gekommen. Es hat sich, also in
diesen sechs Jahren, während welchen die Länge der Linien und die
Zahl der Vereinsstationen vermehrt wurden, das Verhältuiß der
Linienlänge zur Zahl der Vereiusstatioueu allmälig vermindert,
was eine ganz natürliche Erscheinung ist, indem neue Stationen
nicht nur in Folge der Anfügung neuer Linien an bereits be-
stehende, sondern anch durch Einschaltung in bereits bestehende
Linien errichtet wurden.
Betriebsergelmisse des dentsch - österreichischen Postvereins
im Jahre 1861. Der deutsch-österreichische Postverein zeigt nach
der so eben ausgegebenen officiellen Nachweisung im Jahre 1861
folgende Betriebsresultate, und dabei haben sich die ebenfalls nach-
stehend angeführten Zu- uud Abnahmen im Vergleiche mit den Be-
trägen des Jahres 1860 ergeben. Die Gefammtsnmme der Briefe
aller Art, einschließlich der Briefe mit Warenproben uud der
Kreuzbandsendungen, uud einschließlich der Transitbriefe, hat
321,615,104 Stück im Jahre 1861 betragen. Im Jahre 1860
betrug die Zahl dieser Briefe nach den officiellen Angaben aber
347,750,000 Stück, es hätte somit bei den Briefen im Jahre 1861
im Vergleich mit dem Jahre 1860 eine in der betreffenden Auf-
stclluug leider uicht näher erklärte Abnahme vou 26,134,896 Stück
stattgefunden. Wir können in Betreff derselben nur bemerken, daß
Oesterreich, dessen Antheil an oben angegebener Gesammtsteuer im
Jahre 1861 im Ganzen 105,586,544 Stück, also etwa 33 Procent
betrug, im Jahre 1860 eine Briefmenge von 109,457,568 Stück nach
diesen Nachweisen hatte, somit im Jahre 1861 eine Abnahme der
Briefe von 3 Procent erfuhr, während die Abnahme der Gefammt-
menge der Briefe des ganzen Postvereins nach obigen Ziffern 7 l/2
Procent betrng, so daß die Hauptursache dieser uicht unbedeutenden
Abnahme vorzugsweise bei den nichtösterreichischen Staaten des
Vereins zu suchen wäre, wenn anders nicht vielleicht die ganze Ab-
Nahmeberechnung nur auf einer in den beiden Jahren in verschiede-
uer Weise gemachten statistischen Aufnahme beruht. Aeituugeu:
^ie Gefammtsnmme der im Jahre 1861 im Postverein versendeten
Zeitungen hat 182,158,646 Stück betrage,?. Im Jahre 1860
wurden an Zeituugeu 157,663,207 Stück versendet, die Zeitnngs-
Versendungen haben also im Jahre 1861 im Vergleich mit denen
vrn 1860 um 24,495,439 Stück zugeuommeu. Die Personen-
Beförderung durch die Posten des Vereins umfaßte im Jahr
1861 im Gauzen 5,371,514 Personen, im Jahre 1860 nur 5,236,808
Personen, also ein Mehr im Jahre 1861 von 134,706 Personen,
wobeien bemerken, daß die Personenbeförderung durch die Post
eine Verkehrsweise ist, von der sich mit der Zunahme der Eisen-
Zahnen eher eine Verminderung als eine Vermehrung erwarten
Zip. Ordinäre Pakete: Die Gewichtsumme der im Jahre
8t, 1 durch die Post versendeten ordinären Pakete hat 207,448,382
Wind betragen, im Jahre 1860 blos 197,817,950 Pfund, somit
137
wurden iiu Jahre 1861 um 9,630,432 Pfund mehr Pakete dieser
Gattung befördert als im Jahre 1860. Geld- und Werth-
sendnngen: Der Werth dieser Sendungen im Jahre 1861 hat in
süddeutschem Münzfuße 1,286,535/374 sl. betragen, im Jahre 1860
aber 1,096,870,334 sl., also im Jahre 1861 um 189,665,040 sl.
mehr. Nachnahmesendungen: Diese Sendungen haben im
Jahre 1861 im gesammten Gebiete des Postvereins einen Werth von
4,964,665 fl. gehabt, im Jahre 1860 einen solchen von 5,099,243 sl.,
sie haben also im Jahre 1861 um 134,578 sl. abgenommen. Die
baaren Einzahlungen, eine bekanntlich dem englischen Jnsti-
tute der Mouey-orders zum Theil entsprechende Einrichtung, haben
im Jahre 1861 zusammen 487,435 fl. betragen, im Jahre 1860
I blos 432,365 fl., also im Jahre 1864 eine Zunahme von 55,070 st.
gegen das Jahr 1860.
Der österreichische Bergbau ans Steinkohlen betrng in den
Jahren 1823 bis 1827 durchschnittlich nur 2,832,860, 1843 bis
1847 durchschnittlich 12,660,249, 1854 bereits 33,178,536 Centner
an Schwarz- und Braunkohlen, wornach sich im Laufe eines Zeit-
raumes vou etwa 30 Jahreu eine bedeutende Zunahme der öfter-
reichischen Kohleuproductiou herausstellt, welche Zunahme auch in
der folgenden Zeit anhielt; es wurden nämlich gefördert: 1856
22,903,223 Ctr. Schwarz- und 18,760,269 Ctr. Braunkohlen,
1860 34,789,103 Ctr. Schwarz- und 27,780,476 Ctr. Brauukohlen,
1861 endlich 40,506,461 Ctr. Schwarz- und 30,793,665 Ctr.
Braunkohlen, so daß also in den 5 letzten Jahren die Produktion
von Braunkohlen eine Steigerung von 64, und die von Schwarz-
kohlen sogar von fast 77 Procent erfuhr. Aber dieser bedeutende
Aufschwung des österreichischen Kohlenbergbaues ist weniger ein
Zeichen von der Blüthe desselben, als vielmehr von der Verwahr-
losnng, in welcher sich dieser Zweig der bergmännischen Prodnction
vor noch nicht langer Zeit befunden hat und sich theilweise noch be-
findet. Während nämlich von der jährlichen Produktion von
Steiukohleu auf einen Kopf der Bevölkerung in Großbritannien
5040, in Belgien 3590, in Preußen 1550, iu Sachsen 1430, in den
Vereinigten Staaten 960, in Frankreich 410 Zollpfund entfalleu,
erreicht dieser Betrag in Oesterreich nur eine Höhe von 180 Zoll-
Pfund, 410 in den westlichen, 45 in den östlichen Kronländeru, uud
übertrifft iu dieser Hinsicht nur das kohlenarme Bayern mit 110,
und das uucultivirte Rußland mit 2 Pfund, indem alle anderen
Staaten sich nur mit kaum nennenswerten Beträgen an der Stein-
kohleuproduktion betheiligen.
Bergwerkscrtrag im sächsischen Erzgebirge. Das Total-
ausbringen der Freiberger Gruben betrug im Jahre 1861
die Summe von 1,523,467 Thalern, die höchste, welche geschicht-
lich zu erweisen ist; dadurch ersteigt das Ausbringen des letzten
Jahrzehnts die Höhe vou 13,361,132 Thalern. Die Zahl der
anfahrenden Mannschaften betrug iu dem genannten Jahre 7992,
dazu 899 Tagelöhner.
Mehr Quecksilber in Kalifornien. Dieses Land hat in den
Gruben von N eu-Almad en ergiebige Quellen dieses werthvollen
Erzeugnisses; jetzt lesen wir, daß auch in der Nähe von San Frau-
ciöco eiue sehr ergiebige Quecksilberader cutdeckt worden sei.
Arbeiter, welche Röhren für die Spring-Valley Wassergesellschaft
legen wollten, fanden diesen großartigen Schatz ganz zufällig.
Die Nubeuzillkersabrikation im deutschen Zollverein. Die
vom Centralbureau des Zollvereins ausgearbeitete neueste Ueber-
ficht der in dem Betriebsjahre vom 1. September 1861 bis Ende
August 1862 zur Ruukelrüben-Znckerfabrikation verwendeten rohen
Rüben ist nicht ohne Interesse. Es sind nämlich in diesem Jahre
im Zollverein von 247 Fabriken 31,692,394 Ctr. 46 Pfd. Run-
kelrüben versteuert wordeu, während in dem vorhergehenden Be-
triebsjahre von 247 Fabriken nur 29,354,031 Ctr. 60 Pfd. zur
Versteuerung kamen. Die Zahl der Fabriken ist also unverändert
geblieben, aber sie haben im letzten Betriebsjabre 2,338,362 Ctr.
86 Pfd. mehr verarbeitet als im vorjährigen. In dem Betriebs-
jähre 1857 bis 1858 haben 249 Fabriken 28,915,133 Ctr. 89 Pfd.
iu dem Betriebsjahre 1858 bis 1859 haben 257 Fabriken 36,668,557
Ctr. 11 Pfd.. in dem Betriebsjahre 1859 bis 1860 haben 256
Fabriken 34,339,317 Ctr. 17 Pfd. rohe Runkelrüben verarbeitet.
Am 1. September 1858 trat die erhöhte Steuer von 7'/s Ngr für
den Centner rohe Rüben in Kraft, und vom 1. September 1861
an wurde vou ausgeführtem Rübenzucker eiue der Rübenzucker-
steuer entsprechende Rückvergütung gewährt. Aus deu angeführten
Zahlen ergiebt sich nun, daß die eingeführte höhere Steuer bei einem
Uebermaße der Produktion nachtheilig anf den Betrieb der Fabriken
einwirkte, daß aber seit der bewilligten Rückvergütung sich
wieder die Produktion zu heben beginnt, uud daß durch die Rück-
vergütuug ein nachtheiliger Einfluß auf die inländische Fabrikation
128
Kleine Nachrichten.
in Folge der gleichzeitig eingetretenen Herabsetzung der Zölle von
ausländischem Zucker glücklich vermieden ist. Bon den 31,692,394
Ctr. 46 Pfd. Runkelrübendes Betriebsjahres 1861 bis 1862 mit
einem Brntto-Steuerbetrag von nahe an 8 Millionen Thaler, fallen
allein auf Preußen 28,480,887 Ctr., mit einem Steuerbetrag von
über 7 Millionen Thal er Das Uebrige vertheilt sich auf Bayern,
Sachsen, Hannover, Württemberg, Baden, Thüringen und Braun-
schweig. In beiden Hessen, Oldenburg, Nassau und Frankfurt a. M.
siud Rübenzuckerfabriken nicht vorhanden.
Rübenzucker in Frankreich. Während der „Rübenkampagne"
vom Herbst 1861 bis Ende des August 1862 waren überhaupt
346 Fabriken im Betrieb, welche 146,414,880 Kilogramme Zucker
erzeugten.
Zur Statistik der Einwanderung in den Bereinigten Staaten
von Nordamerika. Daß das Jankee-Land der Einwanderung
seineu wirtschaftlichen Aufschwung verdankt, weiß Jedermann.
Ohne diese würde, wie wir an einer andern Stelle hervorgehoben
haben, der großprahlerische Norden längst dem Süden, der, wenig-
stens ans Deutschland, eine verhältnißmäßig geringe Einwanderung
erhalten hat, unterlegen sein. Mit vollständiger Genauigkeit läßt
sich die Ziffer der Eingewanderten nicht ermitteln, aber die nach-
stehenden Zahlen, welche in Hunt's Merchants Magazine mitge-
theilt wurden, sind so zuverlässig wie möglich.
Bon 1790 bis 1862 wanderten ein 6/295,991 Köpfe. Davon
in den Jahren
Durchschnittlich
im Jahre
1790 bis 1819 .... 120,000 6,000
1810 „ 1820 . . . . 114,000 11,400
1820 „ 1830 .... 203,979 20,397
1830 „ 1840 .... 778,500 77,850
1840 „ 1850 .... 1,542,850 154,285
1850 „ 1860 .... 3,320.366 332,036
1860 „ 1862 .... 215,296 107,648
In dem zwölfjährigeu Zeiträume vou 1850 bis 1862 sind
mehr Menschen eingewandert als in den vorhergehenden sechszig
Jahren. Die Ziffern für die letzten zehn Jahre siud interessant.
Es wanderten ein 1851: 468,828. — 1852: 397,348. —- 1853:
400,982. — 1854: 460,474. — 1855: 230,476. — 1856:
224,496. — 1857: 271,558. — 1858: 144,906. — 1859:
155,509.— 1860: 103,621, nnd 1861: 112,675 Köpfe.
Man hat berechnet, daß im Durchschnitt jeder Einwanderer
an Geld und anderer Habe eiueu Werth vou 90 bis 100 preußischen
Thalern mit nach Nordamerika bringt.
Seelen, was so viel ist als die ganze Bevölkerung von Manchester
und Liverpool zusammen. In dem Jahrzehnt 1851 bis 1860
heiratheteu iu London 528,306 Paare, wurden 864,563 Kinder ge-
boren, und starben 610,473 Personen. Unter den 194 Pfarreien
sind acht mit weniger als je 100, hingegen sechs mit mehr als
100,000 Pfarrkindern. Obgleich in den zehn Jahren das Durch-
schnittsverhältniß der geborenen weiblichen zu den männlichen Kin-
dern 96,18 zu 100 war, stellt sich doch das Uebergewicht der Weib-
lichen zur männlichen Stadtbevölkerung auf 114,40 : 100, als Folge
der größern Sterblichkeit unter dem männlichen Geschlecht nnd der
Auswanderung. Daß ein solches Stadtungeheuer nur mittelst
großer moralischer und socialer Uebelstände möglich ist, liegt auf
der Hand.
Bevölkerung von Wien. Seit der letzten Volkszählung, das
ist seit 31. Oktober 1857, ist die Bevölkerung von Wien vou
476,220 auf 525,500 Personen gestiegen. Mit Inbegriff des
Militärs und der als Reisende zu betrachtenden Ausländer kann
diese Ziffer mit 560,000 als innerhalb der Linien Wiens wohnen-
den Personen angesetzt werden. Mit Hinzurechnung der Bevölke-
rung außerhalb der Linien kann die Zahl der Bewohner im Weich-
bilde der Stadt Wien in runder Ziffer mit 700,000 berechnet
werden.
Hamburger Handel. Der wachsende Aufschwung desselben
ergiebt sich aus folgenden amtlichen Ziffern über Gewicht und
Werth der Einfuhr:
Gewicht. Werth.
1854 29,854,015 Centner 530,668,030 Mark Bauko.
1857 36,803,571 „ 688,849,300 „
1858 32,200,550 „ 502,206,800 „
1859 33,652,039 „ 571,180,850 „
1860 37,822,469 „ 609,905,710 „
1861 38,939,631 „ 612,682,000 „
Hamburg ist bekanntlich der wichtigste und bedeutendste Handels
platz des europäischen Festlandes, und iu uuserm Erdtheile sind ihm
überhaupt nur zwei Hafenplätze voraus: London und Liverpool.
Englands Bevölkerung 1861. Der neulich erschienene erste
Band über die letzte Volkszählung von England giebt die Be-
völkernng vou Euglaud uud Wales, von Man und den
Kanalinseln, die heimische Armee nnd Flotte mitgerechnet, auf
20,209,671 Personen an. Die Bevölkerung von Schottland dazu
geuommeu, hatte Großbritannien am Censustage 23,271,965 Per-
sonen. Weuu nach vollendeter Revision die Bevölkerung Irlands
hinzugezählt wird, dürfte die iseelenzahl des ganzen vereinigten
Königreichs über 29,000,000 Seelen betragen. In England und
Wales allein macht der Zuwachs seit 1851 2,138,615 Personen,
obgleich in dieser Zeitfrist 2,250,000, darunter über 600,000 Eng-
länder, ausgewandert siud. Iu der Ceufusuacht besaudeu sich
62,430 Persoueu au Bord von Fahrzeugen auf Flüssen, in Häsen
und Buchten n. s. w.; im Londoner Bezirke allein waren 8084
Personen auf dem Wasser. Feruer waren in England uud Wales
124,962 Personen in Armenarbeitshäuseru, 13,456 in Spitälern,
20,207 in Irrenhäusern, 26,395 in Gefängnissen und Besseruugs-
austalteu, 23,598 in Waisenhäusern, 80,839 — Soldaten und
Soldaten Familien — in Kasernen.
Volksmenge von London. Die Stadt London mit
ihrem Weichbild enthält nach dem vorjährigen Censns in 194 Psar-
reim eine Bevölkerung von 2,803,989 Seelen und bedeckt einen
Flächenranm vou 77,997 englischen Morgen (acres), wovon 2778
unter Wasser liegen, d. h. auf die Themse treffen. An dieser riesigen
Metropole haben drei Grafschaften Theil, nämlich Middlefex mit
2,030,814, Surrey mit 579,748, uud Keut auf der Ostseite mit
193,427 Einwohnern. Seit der Volkszählung von 1851 hat sich der
Middlesexer Theil der Seelenzahl nm 16, der von Surrey um 20,
der kleinste Kenter um nicht weniger als 44 Proceut vermehrt, die
ganze Stadtbevölkerung aber nm 18,7 Procent oder nm 441,753
Eisenbahnen in Italien. Die von der vormaligen toskanischeu
Regierung genehmigten mittelitalieuischeu Bahnen sind durch die
piemoutesische Regierung ausgedehnt nnd die verschiedenen kleinen
Gesellschaften zu eiuer großen Kompagnie vereinigt worden, welcher
eine Jnteressengarantie zugesprochen worden ist. Das Eisenbahn-
netz dieser großen Gesellschaft, die Strade ferrate Livornesi,
besteht aus der Bahn von Livorno nach Pisa; von hier geht die Bahn
in zwei Armen ans beiden Ufern des Arno nach Florenz; von Flo-
renz über Arezzo nachFoligno, von wo die Straße nach Ancona
nnd nach Rom weiter führt. Hier sind noch Lücken, mit deren Aus-
fülluug man eifrig beschäftigt ist. Von Pisa uach Geuua zu ist die
Strecke bis Mafsa - Carrara vollendet; weiterhin bis zum Hafen
La Spezzia sollen die Arbeiten noch im Jahre 1862 vollendet
werden; die Bahn von Livorno »ach Civita vecchia soll in zwei
Jahren vollendet sein. Dann hat die Gesellschaft etwa 200 deutsche
Meilen Bahn. Die Appenninenbahn von Bologna nach Pistoja
bietet große Schwierigkeiten nnd macht einen langen Tunnel nöthig.
Die Provinzialbahn von Siena, welche bei Empoli in die Livor-
neser Bahn mündet, hat einen Zweig gegen Rom zu gebaut, eiueu
andern nach Grossetto.
Die Staatsschuld Frankreichs. Der Abgeordnete Latour
Dnmoulin hat ein Werk veröffentlicht unter dem Titel: „Ber-
gleichuug des französischen und des englischen Budgets." Nack)
diesem Buch beträgt die französische Staatsschuld dermalen an
Kapital 10 Milliarden 486 Mill. 40,864 Fr., und an Interessen
müssen gezahlt werden 327 Mill. 628,311 Fr. Die schwebende
Schuld beläuft sich auf 685 Mill. 839,048 Fr.
Die großen eanadischeu Seen. Die Vereinigten Staaten
haben eine Vermessung derselben veranstaltet, welche folgendes Er-
gebniß geliefert hat:
Länge. Breite.
Obere See 345 163
Michigan-See 360 108
Hnron-See 200 160
Erie - See 250 90
Ontario-See 180 66
Durchschnitt.
Qu.-M. Tiefe, Fuß.
32,000 988
20,000 900
30,000 400
6,000 260
6,000 500
Mau sieht, daß es sich hier um runde Ziffern handelt
Herausgegeben von KarlNndree in Leipzig. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen.
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Eine Wanderung not! Jslay durch die peruanische lUitllr. Die Gräber uud
Mumien der Äymaras.
Das peruanische Küstenland. — Bon Jslay nach Areqnipa. — Die Lomas und die Bucht. — Befeuchtende Garuas. — Eine Schänke
in der Wüste. — Schädelstätte der Aymaras. — Fischguano. — Die Pampa von Jslay. — Gerippe als Wegweiser. — Turteltauben.—
Das Thal von Areqnipa nnd der Vulkan Misti. — Das behexte Dorf Sachaca. — Uanahnara. — Von Areqnipa durch die Pampilla.—
In einer altperuanischen Grabkammer. — Die alten Bewohner des Landes; Aymaras. — Todtenbestattnng und Mumien.
Der größte Theil des peruanischen Küstenlandes bietet den Seehasen für die wichtige Stadt Areqnipa, welche wir
einen nackten, unerfreulichen Anblick dar. Das Gestade in einer spätern Nummer schildern wexden. Die Bucht hat
selbst ist kahl, die Häfen liegen in baumloser Gegend; gleich eine unregelmäßige Gestalt und etwa eine starke Wegstunde
hinter ihnen steigt das Land empor, und dieses ist auf weiten im Umfang. Unser Bild zeigt ihre Gestaltung. Gleich
Strecken eine öde Wüstenei. vom Gestade steigt eine Doppelreihe von Lomas, Hügeln,
Ritt in den Pampas.
Wir wollen uns in dieselbe hineinwagen, denn sie empor, die sich amphitheatralisch erheben, eine gelbliche
bietet manches sehr Interessante dar, zu unserm Ausgangs- Färbung zeigen und einen beengenden Eindruck machen. Bis
punkte die Stadt Jslay und zum Führer einen vortreff- etwa zum dritten Theil ihrer Höhe sind sie mit einer natür-
lichen Beobachter nehmen, welcher in den Jahren 1848 lichen Mauer von Trachytgestein bekleidet, welche dem Herab-
bis 1860 einen großen Theil Südamerikas durchstreift hat. stürzen des Sandes wehrt. Diese Felsen sind durch den
^vir meinen den Naturforscher Paul Marcoy. Welleuschlag des Meeres glatt polirt. Im Hintergründe
Jslay liegt unter 17° 1' südlicher Breite, 74V2° der Bucht liegt eiu thurmartiger Felsen, welcher durch Balken,
westlicher Länge von Paris, hat ein Zollhans und bildet Bretter und Stricke mit dem Festlande verbunden ist; er
Globus für 1862. Nr. 29. 17
130 Eine Wanderung von Jslay durch die peruanische Wüste.
dient als Hafendamm und Anlande, und das Zollhaus, eine Millionen Flöhen wimmelt. Die Schlucht führt den
ganz armselige Bretterbude, nimmt einen Theil dieses Ge- Namen Quebrada von Jslay, und die Temperatur war
rüstes ein. Von dort geht man zehn Minuten bis zum wie der Hauch aus einem glühenden Ofen, und der Ritt
Dorf Jslay, das am Abhang eines Hügels, etwa sechst- durch diese Hölle dauerte zwei volle Stunden! Niemand
Halbhundert Fnß über dem Meeresspiegel liegt. j sprach ein Wort, Jeder mußte Ascheustaub einschlncken.
Von Jslay aus hat man einen weiten Blick auf die i Endlich kam ein erfrischender Luftzug von der See
trostlose Gegend. Von Norden nach Süden erblickt das j herauf, die Quebrada lag hinter den Reisenden und sie er-
Auge nur Sanddünen, steilabfallende Ufermassen, flache reichten Olivar, einen Punkt, welcher die Quebrada von
Strecken, Streifen von Salpeter und Seesalz, kalkige Ab- ! der Pampa, das Thal von der Hochebene, die Region der
lageruugeu, kleine, mit Guano bedeckte Eilande, Felsen von ' Asche von jener des Sandes scheidet. Nun endlich traten
allen möglichen Gestalten und mit sehr verschiedener Färbung. ! Pflanzen auf, zum Beispiel ein blattloses Heliotrop, das
Die Luft ist wunderbar rein und klar, das Licht ungemein in- wie Vanille duftet, verkrüppelte Oelbäume und einige Gräser,
tenfiv, Meer und Himmel sind ewig blau; es ist als ob aller ! aber Alles war mit Staub überdeckt.
Schatten fehle. Dieser ganze Glanz hat etwas Peinigen- Der Weg führte im Zickzack immer noch bergauf bis
des und wird auf die Läuge geradezu unerträglich. ! zu einer kleinen Hochebene. Auf dieser stand, wenn der
Ans der Ferne gesehen hat die Bucht von Jslay die Name nicht zu stolz erscheiut, eine Hütte, das heißt über
Gestalt eines Halbmondes mit scharfen, zurückgebogenen ! einigen Stangen hingen zerfetzte Matten. Unter diesem
Spitzen; überblickt man sie aber vom Kap Cavallos, also Schutzdache saßeu und standen einige mit Lumpen behängte
von Norden her, oder vom Süden aus, wo die Jlo-Felsen Frauen und Kinder in Adam's Naturkleidung. Auf einer
Die Bucht von JSlay.
sich erheben, dann gleicht sie genau dem Riesenleibe eines
halb vom Wasser bedeckten Fisches. Tauseude und aber
tausende von Seevögeln, namentlich Pelikane und Fregatt-
vögel, schwärmen über dieser Bai umher.
Alljährlich legen etwa vierzig bis fünfzig Schiffe aus
Europa oder Nordamerika in Jslay an und bringen zeit-
weilig etwas Leben iu den sonst todten Ort. Im Oktober
stellen sich Nebel ein, die sogenannten Garuas, und geben
einige Feuchtigkeit. Dadurch wird es möglich, daß Gräser
und Blumen wachsen, kleine Bäche Wasser bekommen und
Vögel uud Jusekteu sichtbar werden. Das Alles ist neun
Monate im Jahre nicht vorhanden.
Marcoy verließ das öde Dorf gern; er wollte nach
Arequipa. Um Mittag standen die Mozos (Diener) mit
den Maulthiereu bereit. Die Sonne brannte auf dem
glühenden Sand, jedes Glimmerstückchen erglänzte wie ein
Spiegel. Bald lagen die drei Reihen mit Rohr gedeckter
Bretterhütten, aus welchen Jslay besteht, weit hinter den
Reisenden, uud er kam an eine Kirche, welche nur selten
benutzt wird und ziemlich im Verfall ist. Der Weg war
fußhoch mit trachytischer Asche bedeckt, in welcher es von
Art von Bank lagen geröstete Fische uud Cocha y uyu, das
heißt Süßigkeit des Meeres, nämlich ein Seekraut; spaui-
scher Pfeffer fehlte natürlich nicht. Jene Hütte war näm-
lich ein Speisehaus, uud die Maulthiertreiber ließeu sich
jeue Gerichte trefflich munden, und spülten dieselben, sammt
dem darauf befindlichen Staube, mit Maisbier, Chicha (sprich
Tschitscha) hinab. Es ist Landesbrauch, bei dieser Schäuke
den Manlthieren einige Rast zu gönnen.
Jene Schänke liegt 1700 Metres, also schon mehr als
5000 Fuß, über dem Oceau, und man hat von dieser Höhe
eine weite Ausschau. Vom Rande der Hochebene bis zum
Wasserspiegel hatte Alles einen gleichmäßig grauen An-
strich, durch den sich viele unregelmäßige okerbraune Adern
zogen. Die unzähligen Hügel, welche sich gleich Höckern
erheben, glichen, von oben herab gesehen, den Erdauf-
schwellungen, wie sie in der Nähe von Vulkanen überhaupt
häufig vorkommen. Von Norden gen Süden zog sich die
Linie der Lomas oder salzigen Hügel, welche an dem ganzen
Gestade vom 23. bis zum 10. Grade hinlaufen. Höhen
und Abhänge zeigten streckenweis eine gelbliche Färbung,
welche sich gleich nach den ersten Sommernebeln in heiteres
Die Gräber und M
Grün verwandelt. Dann bilden sich Nachts feuchte Dünste,
welche erst gegeu elf Uhr Morgens verschwinden. Regen
sind in dieser Region unbekannt. Bei der ungemein klaren
Luft konnte man alle Einzelnheiten der Bodengestaltung
auch aus einer so beträchtlichen Höhe herab erkennen.
Marcoy sah nach Süden hin einen schwarzen Streifen zwischen
dem Azurblau des Himmels und jeneni des Meeres; es
waren die Colosspitze und die Felsen von Tambo; etwas
näher lagen der Strand von Mejillones und jener von Co-
cotea und über ihnen die Bänke von Conchylien, Guano und
die mit Huacas, Gräbern, gleichsam durchlöcherten Hügel,
in denen viele tausende von Mumien beigesetzt worden sind.
Für den Reisenden knüpften sich an diese verschiedenen
Punkte manche Erinnerungen. Er hatte jene Gegenden Wochen-
lang durchstreift und zwar in Gesellschaft mit Llipis-Jndia-
nern aus der Wüste Atacama, und hatte sich mit ihnen von
Seetang und Wassermelonen genährt, denn andere genießbare
Sachen konnte er nicht haben. Von den Dünen herab sah
er, wie ein amerikanischer Kauffahrer, die Susquehauuah,
Alien der Aymaras. 1Z1
trocknet hat. Im Fortgange der Zeit sind nun Ablagerun-
gen vou Fischbestaudtheileu angehäuft, die eine halbe Meile
breit und drei bis vier Fuß mächtig liegen. Sand, Muscheln
und Adern von Seesalz, welche man zwischen denselben findet,
beweisen, daß das—Meer- dort wirksam war, bevor das
gegenwärtige Testade sich bildete.
Nach allen Richtungen hin sah Marcoy Krater, die
mit Asche, Bimstein und Schlacken bedeckt sind. An diesen
alten Vulkanen sind frühere Reisende (Frezier 1713, Hnm-
boldt und Bonpland 1804, d'Orbiguy 1836) vorüber ge-
kommen, ohue sie zu bemerken. Nach Osten hin lag eine
sandige Gegend mit vielen runden, dicken Bergen, die nach
Westen abfallen. Sie versperrten den Gesichtskreis wie
ein Schlagbaum. Diese „Cerros" sind in geognostischer
Beziehung merkwürdig; an ihrer Basis wachsen verkrüppelte
Oelbäume und Feigen.
Eine unbeschreiblich gedrückte Stimmung bemächtigt
sich des Menschen, wenn er diese nackte Gegend überblickt;
sie ist geradezu entsetzlich.
Schädelstätte i
scheiterte. Mitten im Triebsand und einem kegelförmigen
Eilande vergleichbar, erhebt sich der Hügel derAymaras
und dessen Schädelstätte, die älter ist als die spanische
Eroberung; sie hatte dem Naturforscher reiche Ausbeute an :
indianischen Schädeln gegeben. Noch weiter nach Südosten
hin liegt der Triebsand des Arenal mit seinen Lagern von
Fischgnano, von dem man früher nichts wußte, und auf
welchen Marcoy zuerst die Aufmerksamkeit hingelenkt hat. (
Man sollte eigentlich Huano, nicht Guano, schreiben,
weil die Quechuasprache kein g kennt.
Schon während der Regierungszeit der ersten Jnkas
hatte mau beobachtet, daß alljährlich zu bestimmten Zeiten
Fische iu ungeheurer Menge auf deu Strand treiben. Die
Bewohner der Gestade von Atica, das etwa dreißig spanische
Meilen von Jslay liegt, und jene von Malla und Chilca,
unter dem 14." S. Br., düngten ihre Aecker mit solchen
Fischen, denn sie hatten keinen Vogelguano, dessen sich die
Indianer in der Gegend von Jslay bedienten. Gegen-
wärtig ist der letztere allgemein und wird auch iiu Gebirge
benutzt. Die Millionen von Fischen werden jetzt nicht mehr i
verwandt und verpesteu die Luft, bis die Sonne sie ge-
er Aymaras.
Von der Schenke zogeu die Reisenden auf die Pamp a
von Jslay, ein Sandmeer von 20 Legnas Breite und 60
Leguas Länge. Die theils beweglichen, theils unbewegliche»
Wellen erinnern an die Wogen des Oceans und ein Ritt
ist hier nicht ohne Gefahr. Denn durch die heftigen Winde
kommt mancherlei Wechsel und Veränderung in dieses Sand-
meer; es bilden sich Dünen, neue Vertiefungen, Schichten,
die wieder zusammenstürzen und an einer andern Stelle aber-
mals zusammengetrieben werden. Durch diesen beweglichen
Sand findet aber der Pilot der Wüste doch seinen Weg; bei
Tage richtet er stch nach der Sonne und Nachts leuchten ihm
die Gestirne. Es giebt aber noch einen andern, ganz untrüg-
lichen Wegweiser. Das sind die Gerippe der Thiere, welche
vor Erschöpfung anf der Pampa fielen. Nach diesen Merk-
zeicheu kann die Karawane sich richten, und dasselbe wird
allemal mit Freude begrüßt; freilich nur von den Reisen-
den, nicht von den Maulthiertreibern, denn diese denken zu-
nächst an den Verlust, welchen sie erlitten haben.
Ein alter Arriero (Maulthiertreiber), welcher den Kara-
wanenzng eröffnete, rief: „Da sind die Knochen!" und
wies nach Süden bin.
17 *
132 Eine Wanderung von Isla«
„Der Mann hatte recht; in beträchtlicher Entfernung
lag ein weißer Streif, der etwa einer Salpeterader glich,
welche man in jenen Gegenden keineswegs selten findet.
Wir ritten an denselben vorüber. Die Knochen lagen in
kleinen Haufen auf einer langen Linie, die so weit sich hin-
zog, wie unser Blick reichte; sie waren je nach Länge der
Zeit, welche sie dort gelegen hatten, mehr oder weniger
weiß. Aus der Art und Weise, wie sie geordnet waren,
konnte man abnehmen, daß hier Menschen geschäftig waren;
die Arrieros behaupteten freilich, daß Alles ein Werk des
Windes fei. Marcoy zeigte ihnen jedoch einige Maulthier-
köpfe, in deren Ohrhöhlen Beinknochen gesteckt worden waren.
Die Arrieros lachten."
Weiterhin lagen Gerippe aus neuerer Zeit; man be-
merkte an ihnen noch schwärzliches Fleisch und vertrocknete
Haut und einige Skelette waren noch mit dem ganzen Felle
durch die peruanische Wüste.
Herberge, das Karawanferai der Pampa, wo Nachtruhe ge-
halten wird.
Solch ein Tampu, oder wie gegenwärtig die Qnechua-
Indianer sich ausdrücken, Tambo, besteht aus einem sehr
langen, uiedrigeu Holzgebäude, das in mehrere Abthei-
lungen geschieden und mit einem hölzernen Dache bedeckt ist.
In dem aus bloßer Erde bestehenden Fußboden wimmelt
es vou Millionen mikroskropischer Flöhe, welche den Rei-
senden entsetzlich quälen and allen Schlaf verjagen. Dieses
Tampu liegt 3917 Fuß über dem Meere. Marcoy hatte
von elf Uhr Mittags bis zehn Uhr Abends zwölf kleine
Legnas zurückgelegt, war aber völlig abgemattet durch Hitze,
salzige Lust und zurückgeworfenen Sonnenglanz; zu der ge-
rötheteu Nase kamen aufgesprungene Lippen und der Puls
schlug fieberhaft. Das Abendessen war armselig, die Be-
leuchtung, welche die in einen Flaschenhals gesteckte Talg-
Das Dorf S<
bedeckt. Unter ihr, die einen Ton wie ein Trommelfell von
sich gab, wenn man daraus schlug, und aufgespannt war wie
ein Regenschirm, saßen Urubus, jene Geier, welche man
auch als Galliuazos bezeichnet. Nachdem sie den Pferden
oder Maulthieren das Fleisch ausgefressen haben, wohnen
sie unter dem schützenden Dache, aber sobald eine Karawane
vorüberzieht, kommen sie aus diesen düsteren Höhlen hervor,
starren vor sich hin, bleiben ruhig auf den Skeletten sitzen
oder gehen wieder in ihre Löcher.
Nach einem glühheißen Tage ging endlich die Sonne
unter und nun strich ein Luftzug von der Cordillera herab
über die Pampa. Anfangs schlürft man ihn mit Wonne
ein und er kühlt gelind ab, jedoch schon nach einer Stunde
wird er schneidend kalt, uud man hüllt sich dichter in den
Mantel. Aber die Unannehmlichkeiten und Beschwerden
sind für diefen Tag bald vorüber; der Zugführer macht auf
erne dunkle Masse aufmerksam und die Manlthiere gehen
im schnelleren Tritt, denn sie erkennen das Tampu, die
aca in Peru.
kerze lieferte, nicht minder, aber die Zeche ganz ungeheuer.
Das Talglicht wurde mit 4 Piastern berechnet, ein Eimer
mit Trinkwasser kostete 2 Piaster, eine Suppe mit Hühner-
fleisch achthalb Piaster, zusammen etwa 50 Francs! Aber
Einwendungen waren vergeblich; es mußte gezahlt werden.
In der Morgendämmerung zog Marcoy weiter und
hatte bald nachher einen prächtigen Anblick, denn vor ihm
lag die Kette des Andes und eine Zone von Cerros, welche
nach Osten hin die Pampa begrenzen. Der Boden war
dürr; in diesem Erdreich gedeihen nur einige Cacteen, hin
und wieder sieht man graue Eidechsen, aber Turteltaube»
sind iu ungeheurer Menge vorhanden und neben Flöhen,
Läusen und Ratten eine wahre Landesplage, weil sie in den
angebauten Gegenden große Verwüstungen in den Getreide-
seldern anrichten. Sie fallen durch ihr ewiges melancho-
lisches Ruckfeu dem Ohre lästig und uisteu in allen möglichen
Winkeln; man findet sie in der vulkanischen Asche der Ge-
staderegion, im Quarzsand, in den Felsen der Sierra, auf
134 Eine Wanderung von Jslay
den Bäumen in den heißen Thälern und sogar in den Ge-
dichten und Gesängen der Eingeborenen, bei welcher dieser
Vogel Urpilla Chay, geliebte Turteltaube, heißt und
mit den schönen Weibern verglichen wird.
Nun war der Reisende in der Region der Eerros,
welche sich in einer Länge von sieben bis acht Graden hin-
dehnt, aber nur etwa eine Legna breit ist. Als sie nach
zwei Stunden überschritten war, sah Marcoy das Thal
von Arequipa zu seiuen Füßen liegen, eine Senke von
etwa 500 Fuß Tiefe, 15 Leguas lang und 2 Leguas breit.
In dieser grünen Gegend liegen Dörfer, einzelne Meier-
Höfe und Lusthäuser zerstreut, und zwei Flüsse schlängeln
sich hindurch. Nach Osten hin steigt die westliche Abdachung
der Audes auf, welche mit Schnee bedeckt sind. Zwei an
das Hauptgebirge gleichsam angeschweißte Vorsprünge die-
nen jenen als Widerlagen, zur Rechten hin der Pichn
Pichu, der wie eine Säge ausgezackt ist, nach der Linken
hin der Ch ach ani, welcher wie eine Mauer sich erhebt.
Zwischen beiden ragt majestätisch der an Form vollendet
schöne Kegel des Misti empor, einer der herrlichsten Vnl-
kaue in der ganzen Welt. Er überragt Thal und Stadt.
Neuere Geographen verwechseln ihn mit dem Huayua
Putina, den sie Guaga Putina nennen und in eine
Verzweigung der westlichen Andes versetzen. Aber dieser
Vulkan erhebt sich in der Hauptkette, im Moquehuathale,
oberhalb des Dorfes Omate, 29 Leguas südöstlich von
Arequipa. Hier liegt also entschieden ein Irrthum vor.
Der Misti hat an seiner Basis 13 Legnas Umfang,
15,223 Fuß Meereshöhe, sein Gipfel überragt den Punkt,
wo das oben erwähnte Tampn liegt, um 1J ,306 Fuß und
den Marktplatz von Arequipa um 8595 Fuß.
Marcoy ritt weiter und gelangte nach S ach aca, einem
Dorfe, das ans etwa anderthalb Dutzend Jndianerhäusern
besteht, die in einer Trachytschlucht liegen. An diesen
Ort knüpfen sich allerlei Gespenstergeschichten, denn in
Mondnächten halten dort alle Zauberer, Brujas und
Dnendas einen Hexeusabbath. Die Bauern haben sich alle
Mühe gegeben, dieses böse Gezücht zu vertreiben; sie ließen
Beschwörer kommen, stellten auch Kreuze und geweihte Zweige
vor ihre Thüren; aber die Zauberer und Hexen kochten
beim Holze der Kreuze ihre Speisen und machten aus den
Zweigen Besen, und deshalb steht Sachaca nach wie vor
in unheimlichem Rufe, und um Mitternacht wird sich dort
kein Mensch außerhalb des Hauses sehen lassen, er müßte
denn über den Durst getruukeu haben, was übrigens gar
nicht selten vorkommt.
Von Sachaca aus hat man einen guten Weg, reitet
durch eiue Kulturlaudschast und erreicht nach anderthalb
Stunden Nanahuara. Die Felder tragen Mais, Klee,
Kartoffeln; man kommt an Schänken vorüber, welche als
Wahrzeichen große, mit der peruanischen Flagge geschmückte
Kürbisse heraushängen haben. Sepiabraune Indianer mit
langherabhängendem, straffem Haar sitzen vor den Thüren,
zechen und hören den Tönen einer dreisaitigen Zither zu. Bald
nachher zog der Reisende in Arequipa ein, wo wir ihn für
jetzt verlassen, um ihn über diese Stadt hinaus auf dem
Wege nach Lampa zu begleiten.
Im Norden der Stadt Arequipa dehnt sich eine Wüste
aus, welche man als Pampilla, kleine Ebene, bezeichnet.
Ein Reiter legt den Weg in einer guten halben Stunde
zurück, wandert dann im Zickzack die Höhe hinan, kommt
an das Tampn Cangallo, 10,554 Fuß über dem Meer;
noch 3046 Fuß höher liegt El Alto de los Huesos, eine
Anhäufung von Pferdeknochen, und nachher erreicht man
Ap o, den ersten Halteplatz in der Sierra Nevada, der west-
liehen Andeskette. Man kann sich nun für einen Hyperboräer
durch die peruanische Wüste.
halten; Marcoy fand im Juli, alfo mitten im peruanischen
Winter, in Apo 12 bis 14 Grad unter Null. Die Station
ist weiter nichts als eiue armselige Hütte, und man hat
dort keinen andern Brennstoff als Taquia, nämlich ge-
trockneten Llamamist. Von Apo geht es immer bergauf.
Der Reisende litt viel durch Soroche, das heißt durch die
Wirkungen welche die sehr dünne Luft auf den Körper
hervorbringt, sah viele Condore hoch in den Lüften schweben
und gelangte nach Hnallata, einer in ewigem Schnee
liegenden, vom Wetter gepeitschten Station, die einen öden,
grauenhaften Eindruck macht. Marcoy kam nun zum sechsten
Mal nach Hnallata, ließ die dort nach Eusco abzweigende
Straße zur Linken und ritt gerade nach Osten hin, über
eine Hochebene, die Pampa de los Eonfites, und von
dort aus überschritt er den Paß, welcher durch die West-
Itchext Andes führt. Man kann den Uebergaug in jeder
Jahreszeit wagen, aber am besten im April, wo noch kein
Schnee fällt, und im September wo er schon wieder ge-
schmolzen ist. Ohne Gefahren ist freilich die Reife niemals,
die Pfade sind häufig fchmal und führen an Abgründen hin,
und oft hat man weit und breit keinen Zufluchtsort, wenn
man von Stürmen überrascht wird. Dann muß man so
rasch als möglich reiten, trotz Regen oder Schnee, Blitz
und Donner, und sich dicht in den Poncho hüllen. Graupeln,
Schneeflocken und dicke Regentropfen wechseln mit einander
ab, oft kann man nicht drei Schritte weit sehen, die Land-
schast ist wie mit einem ungeheuren Bahrtnche belegt.
Solch ein Unwetter erlebte Marcoy. Plötzlich rief
fein Maulthiertreiber: „Gott sei gelobt!" Die Reisenden
waren vor einem eigentümlichen Gebäude und stiegen ab.
Die Thür war offen, aber so niedrig, daß man fast hinein-
kriechen mußte. Die Maulthiere blieben draußen im Schnee
und stellten sich unter den Wind; aber die Menschen hatten
doch nun ein Obdach.
Dieses Haus bestand aus gewaltigen Steinblöcken nnd
war mit einer großen Steinplatte, einem Monolithen, über-
dacht. Als Fenster diente eine etwa in Mannshöhe an-
gebrachte Oesfnnng. Diese Behausung, eine altperua-
nische Grab kämm er, war nicht über acht Fuß hoch und
hielt etwa zehn Fuß im Quadrat. Das Gemäuer lief nach
oben hin etwas verjüngt zu, war sehr dick und mag schon
manches Jahrhundert den gewaltigen Stürmen getrotzt
haben. Der Maulthiertreiber sagte: „Nun sind wir in
einem Grabe der heidnischen Aymaras."
Marcoy stellt Betrachtungen über die geschichtlichen
Wandelungen an, von welchem Peru heimgesucht worden
ist. Als die Jnkas, die Söhne der Sonne, sich int Peru-
lande festsetzten, waren die Aymaras, eine zahlreiche
Volksgruppe, im Besitze des ganzen Gebiets vom Lampa
an bis znni Desagnadero; dasselbe begriff, unter der Be-
nennung Eollao, die Region der Pnnas, d. h. kalten
Hochebenen im Osten der westlichen Andes. Dieser Land-
strich hat eine Länge von etwa 90 Leguas und eine mittlere
Breite vou 30 Leguas. An manchen Punkten findet man
noch jetzt Tempel und Paläste, theils leidlich erhalten, theils
mehr oder weniger in Trümmern. Die Bauart zeugt von
einer keineswegs niedrigen Civilisationsstnfe, und die
Aymaras selbst behaupten, daß diese Denkmäler von einem
Volke herrühren, das früher als fie im Lande war und
von welchem sie abzustammen glauben.
In Folge der Eroberung des Landes durch die Jnkas
entstand eine große Verschiebung der Völkerschaften, welche
in den Andes wohnten, und die Aymaras verloren ihre
Selbständigkeit. Schon unter dem zweiten peruanischen
Kaiser, Sinchi Roca, hatten sie die Eondefnyos (cnnti,
West; snyn Richtung) von Eusco verlassen und waren
Die Gräber und Mumien der Aymaras
135
weiter gen Westen gezogen, um sich dem Joche der Jnkas
zu entziehen. Aber der dritte Inka, Lloque Iupanqui, trug
seine Waffen in jene Gegend des Collao, dessen Mittelpunkt
der berühmte Titicaca-See bildet, unterjochte die süd-
licheu Aymaras und ließ die westlichen in Ruhe. Iudeß sein
Nachfolger, Mayta Capac, griff sie an, unterwarf die
Aymaras vom Tiahuanacu iu Hoch-Peru, und bezwang
auch jene am Flamingo-See (Parihuaua cocha). Auch die
folgenden Kaiser setzten die Eroberungen fort, und viele
Aymaras, welche sich nicht unterwerfen wollten, zogen sich
bis in das Gestadeland am Ocean zurück. Einige Reste
derselben blieben am Eingange der westlichen Thäler sitzen,
und dort sind noch Nachkömmlinge von ihnen übrig. Die
von Marcoy entdeckte Schädelstätte der Aymaras, welche
unser Bild zeigt (S. 131), liegt vier Legnas südöstlich von
ay, mitten in dem Striche trachytischer Asche, welche sich
Breitengrade. Man denke sich ein Ei so, daß die eine Spitze
das Gesicht bildet, und man hat die künstliche Schädelform
der Aymaras.
Auch ihre Art und Weise, die Todten zu begra-
b eu, war eigeuthümlich, und man findet dieselbe bei keinem
andern südamerikanischen Volke. IhreTschulpas (Chnlpas)
Grabstätten, hatten die Gestalt einer zwanzig bis dreißig
Fuß hohen, abgestumpften Pyramide; eine solche wurde aus
ungebrannten Backsteinen, T a p i a s, aufgebaut. Aber uicht
selten waren diese Grabkammern auch einfacher, in kyklopi-
scher Art aufgeführt, wie die weiter oben geschilderten.
Manchmal gab man ihnen auch eine Obeliskengestalt, 24
bis 30 Fnß hoch; diese Obelisken waren von bloßem Lehm
und hatten ein geneigtes Dach.
Solch eine Grabkannner, gleichviel von welcher Bau-
art sie sein mochte, war für etwa ein Dutzend Leichen be-
Aymara-Mumie.
von diesen: Hafenplatze bis zum Eingänge des Tambothales,
dem obenerwähnten Arenal, erstreckt; andere Aymaras
waren bis an's Meer vorgedrungen und vermischten sich
dort mit deu von Fischen sich nährenden Völkern zwischen
dem 14. und 24.o Br. Diese Ichthyophagen sind die
Quellcas, Moquehuas, Llilpis und Chancus
(Changos). Als im fünfzehnten Jahrhundert Jnca Capac
Bupauqui Kriegszüge bis nach Chile hin unternahm, ver-
schwanden die Aymaras im Gestadelaude, denn sie wurden
zumeist ausgerottet, und nur jene, welche sich-unterworfen
hatten, behielten in der Sierra, der Gebirgslandschaft, einen
Theil ihres frühern Gebiets. Man zählt jetzt in den
Grenzgegenden von Bolivia und Peru ein paarmal hundert-
tausend Aymaras.
Die alten Aymaras gaben ihrem Schädel eine oblonge
oder obovale Gestalt; diese Eigentümlichkeit findet man
bei allen Skeletten zwischen dem sechszehnten und achtzehnten
stimmt. Man balsamirte sie mit Chenopodiurn arnbro-
sioides ein, das in den Thälern wächst, umhüllte sie mit
ihren Kleidern oder mit einem Sacke, der aus Totora gewirkt
war und für das Gesicht eine Oeffnnng hatte. Die Leichen,
Mumien, saßen im Kreise, berührten sich mit den Füßen,
gleichsam wie Radfelgen. Neben jedem Todten standen
oder lagen Maiskolben, ein Topf mit Chicha (Maisbier),
ein Napf und eiu Löffels dem Manne gab man auch eine
Schleuder und Keule, Jagd- und Fifchgeräthe fammt eiuer
Schnur wollener Fäden mit; neben eine Frau stellte man
ein aus Jaravastengeln geflochtenes Körbchen, Flocken von
Llamawolle, Weberschiffchen und Stricknadeln von den
schwarzen langen Dornen des Cactus quisco.
Sobald eine solche Grabkammer die bestimmte Anzahl
von Mumien hatte, wurde die Thür vermauert, aber das
Fenster blieb offen, so daß an jedem Morgen ein Sonnen-
strahl hineinfiel. Solche Chulpas sind noch vorhanden,
136
Streifzüge unter den Dayaks auf Borneo.
aber nun leer-und entweiht, denn man hat die Insassen
nach Europa in die Museen geschafft.
In den Hügeln von Cocotea, Tamba und Mejillones,
in der Umgegend von Jqnique, im Morro von Arica findet
man an vielen Stellen Huacas, d. h. Gräber, der Ehaugos,
Aymaras und Quechuas aus den Zeiten vor der spanischen
Eroberung, und neben den Leichen befinden sich ähnliche
Gegenstände, wie die oben erwähnten. Man kann auf
den ersten Blick erkennen, welchem Volke die Mn-
mieu angehören; sowohl die Bauart der Huacas wie
die Lage oder Stellung der Leichen giebt in dieser Beziehung
sichere Fingerzeige.
Die Huacas der Chongos sind bis zu acht Fuß tief
und der Todte liegt auf dem Rücken.
Jene der Aymaras sind kreisrunde Vertiefungen; in
diesen sitzt der Todte und ist in einen wollenen Mantel,
in eine Matte oder einen Binsensack eingewickelt.
Die Huacas der Quechuas sind kaum vier Fuß tief,
bilden ein Ellipsoid und sind im Innern mit kleinen stachen
Steinen ausgekleidet. Die Leiche sitzt darin, wie das Kind
im Mutterleibe, das heißt die Kniee sind bis zum Kiuu
hinaufgebogen, die Elbogen ruhen auf den Schen-
keln und die geschlossenen Hände in den Augen-
höhlen.
Marcoy hat eine große Menge solcher Huacas unter-
sucht und in den meisten Maiskolben und Chicha gesunden.
Die Maiskörner waren dunkel mahagouybraun geworden,
hatten aber ihren Glanz bewahrt. Die Ueberbleibfel von
Maisbier (Chicha) in den Cantaros von Terra cotta, welche
hermetisch verschlossen waren, glichen an Farbe und Kon-
sistenz dem Syrnp.
Streifmge unter den Dayaks auf Üorneo.
Zweiter Artikel.
Ida Pfeiffer's Wanderungen im nordwestlichen Borneo.— Stromfahrt auf dem Batang Lupar.— Der Buuot-See und dessen
Baumstämme. — Der Kapuas-Strom. — Audienz beim malayifchen Sultan von Sintang. — In Pontianak. — Die Opiumraucher
im chinesischen Stadtviertel.— Bei den See- Dayaks am Sakarran.— Die geräucherten Menschenköpfe.— Allerlei Abenteuer der
Reisendem — Die Berg-Dayaks und ihre Dörfer. — Die Pangahs. — Befestigungen. — Lustige Brücken. — S chw auer's Reise
im Südosten von Borneo. — Die Stadt Banjarmassing. — Auf dem Kahaynn-Strom. — Biadschns und ihre Art zu jagen. —
Eine bezauberte Stätte. — Thierfabel. — Götzenbilder und Balais in den Dörfern. — Die Ot-Danoms. — Menschenopfer
und Leichenfeierlichkeiten. — Der Hund in hohen Ehren. —
Zu den interessantesten Neiseu, die jemals in Borneo
gemacht worden sind, gehört jene, welche unsere Lauds-
mänuiu Ida Pfeiffer aus Wien im Jahre 1852 unter-
uommen hat. Sie wanderte im nordwestlichen Theile der
Insel nach Sakarran, ging nach SüVen hin über das Central-
gebirge, kam an einen großen Binnensee, schiffte sich ans
dem Flusse Kapuas ein, kam auf demselben nach der Stadt
Sintang und weiter stromab nach Pontianak am Meere.
Sie erzählt auch diesen Streiszng mit derselben schlichten
Unbefangenheit, welche uns in ihren Schriften so anmuthen.
Sie fürchtet sich nicht, tappt, wenn wir so sagen dürfen,
überall dreist zu und stellt sehr oft ungemein verständige Be-
trachtungen au. Sie hatte viel gesehen und nach Möglich-
keit Vorurtheile abgestreift; deshalb legte sie weuig Werth
auf landläufige Redensarten, und deut Civilisatiousdünkel,
in welchen unsere Europäer sich verrannt haben, versetzt sie
manchen treffenden Schlag. Diese Frau verstand das Judi-
viduelle und unter verschiedenen Umständen Berechtigte weit
besser aufzufassen als viele männliche Reisende. Wir wollen
die mnthige Wienerin auf eiuem ihrer Züge begleiteu.
Ende Januars 1852 brach sie von Sarawak auf, wo
der vortreffliche Radscha Brooks ihr in jeder Beziehung
förderlich war. Er gab ihr zwölf Malechen und Dayaks
als Bedeckung, und mit diesen ging sie aus abscheulichen
Wegen durch euge Thäler, über Gießbäche, durch Sümpfe
und Moräste und watete nicht selten bis an die Kniee im
Schlamm. Aber durch die herrliche Aussicht von den An-
höhen herab hielt sie sich reichlich entschädigt. Dann und
wann fand sie Lichtungen im Walde; dort bauten die Dayaks
Reis, Mais, Zuckerrohr und Ubi, „eine Art von süßer Kar-
toffel"/) Einigemal führte der Weg durch oder
vielmehr über die Haus er der Dayaks; alle mußten
vermittelst einer Leiter auf das Dach hiuauf und an der
andern Seite wieder hinunter steigen. Denn die Eingebore-
nen in manchen Gegenden lichten den Wald bei ihren Woh-
nungen nicht, um den Zugang desto schwieriger zu machen
und gegen feindliche Ueberfälle mehr gesichert zu sein. Die
ganz schmalen Pfade können im Nothfalle leicht verrammelt
werden.
Am dritteil Tage kam sie nach Beng Kallang Buuot,
wo sie einen kleinen Nachen bestieg und den B atang Lupar
stroman fuhr; an manchen Stellen war er fo schmal und
die Baumzweige hingen so weit über den Fluß, daß sie nur
mit Mühe vorwärts kam; kein Sonnenstrahl drang durch
die üppige Laubfülle; das Wasser war schwarz wie Tinte.
Der Batang Lnpar kommt aus dem Buuot-See, welcher
etwa vier Meilen Durchmesser hat. Er erschien der Reisen-
den sehr merkwürdig, denn er war mit Baumstämmen an-
gefüllt, die nicht wurzellos uud zerstreut umherlagen, sondern
dicht neben einander standen und zwar so, als ob ste in den
Boden eingerammt worden wären; nur hatten sie weder
Zweige noch Wipfel und das Ganze sah ans wie eine von
Menschenhänden angelegte Pfahlbefestigung. Ein breiter
natürlicher Kanal führte hindurch zu einem andern See,
dem Taoman, der doppelt so groß war wie der Buuot
und spiegelklares Wasser hatte.
*) So sagt Ida Pfeiffer. Ubi ist das malayische Wort für
N am; die See-Dayaks ueuueu diese Frucht Abuk. So steht es
in Breveton's Bokabnlarinm, das Spenser St. John im zweiten
Bande S. 392 ff. mittheilt. A.
Streifzügc unter den Dayaks auf Borneo.
137
Aus dem Taoman - See kam sie in den Strom Kaynas,
der etwa eine halbe englische Meile breit war; er hat aber,
gleich den übrigen Flüssen der Insel, ans weiten Strecken
keine genau bezeichneten Ufer, tritt hänsig aus und über-
schwemmt große Waldstrecken. Am 1. Februar laugte Ida
Pfeiffer in Sintang an und hatte die eigentlichen Gefah-
ren der Reise überstanden, denn diejenigen Dayaks, welche
stromabwärts bis zur Küste wohnen, stehen nnter der Herr-
schast malayischer Häuptlinge, und an den Sultan von
Sintang hatte die Reisende ein Empfehlungsschreiben von
James Brooke.
Sie lobt die unabhängigen Dayaks als gute zurück-
haltende Menschen; sie konnte alle ihre Sachen offen liegen
lassen, ohne daß etwas abhanden kam, und nie hatte sie sich
über Zudringlichkeit zu beschweren. Das häusliche Leben
fand sie patriarchalisch. Der freie Dayak baut Reis, Mais,
etwas Tabak, manchmal auch Zuckerrohr und Ubi, gewinnt
Fett aus der Kawaufrucht, sammelt in den Wäldern Damar-
harz, das ihm als Belenchtnngsstofs dient, nnd hat Sago,
zum Diwan, der etwa eine Elle höher war als der übrige
Fußboden. Ein mit einem farbigen Tuche bedeckter Tisch,
ein Stuhl und, in Ermangelung eines zweiten, eine Kiste
standen da. Der Sultan und Ida nahmen am Tische Platz,
die Minister und Würdenträger setzten sich der Wand ent-
lang auf die platte Erde. Draußen war ein Volksgedränge,
denn die Leute hatten noch nie eine Europäerin gesehen.
Das Empfehlungsschreiben wurde auf einer silbernen
Tasse herbeigebracht; der Träger rutschte auf deu Knieen
bis dicht an den Sultan hinan und küßte ihm die Hand.
Der erste Minister mußte den Brief offnen nnd lesen.
Nachher wurden Erfrischungen gereicht; für den Sultan
brachte man einen Teller, für die Europäerin ein ganzes
Gedeck. Allen im Saale Anwesenden wurde etwas gereicht,
Thee ohue Zucker und allerlei Früchte und Leckereien.
Dieser freundliche Sultan führte die Fremde auch in
seine Fr an engemäch er. Er ist ein rechter Despot, denn
er hat jedem Uuterthau verboten, mehr als eine Frau zn
nehmen und das Recht der Vielweiberei sich allein vorbe-
Opiumraucher in Pontianak.
Rattang und oft auch Kokosnüsse. Einen Theil dieser Er-
Zeugnisse vertauscht er gegen Zinn, Glasperlen, Salz nnd
rothes Tuch. Die Frauen werden, wie wir schon früher
bemerkten, von den Männern gut behandelt.
In Sintang fand Fran Pfeiffer eine gute Aufnahme.
Der Sultan, ein Malaye, ließ sie in einer mit zwanzig Rüde-
reru bemannten Barke abholen, und als sie vor dem hölzernen
Palast ankam, spielten die Musikanten und Kanonen wurden
abgefeuert. Ihre Audienz schildert sie höchst ergötzlich. Vom
Ufer des Kapnas bis zum Palast war der etwa zweihundert
Schritt weite Weg mit Matten belegt. Das Einsührungs-
schreiben von Brooke hatte sie in zwei seidene Taschentücher
gewickelt und ein Diener trug es hinter ihr her. Der
Sultan kam ihr halbwegs entgegen, um ihr seine Aufmerk-
samkeit zu bezeigen, sie sah ihm aber die Verlegenheit an,
denn er wußte offenbar nicht, wie er sich einer Europäerin
gegenüber benehmen sollte. Er streckte ihr mit komischer
Grazie die Fingerspitze entgegen, was nach mohammedaui-
scheu Begriffen schon eine große Kühnheit war. Sie ihrer-
seits legte ihre Fingerspitzen aus die seinigen, und so tänzelten
beide, der malayische Sultan und die muthige Wienerin, bis
Globus für 1862. Nr. 29.
halten. So schreibt Frau Pfeiffer; uns will jedoch diese
Angabe unwahrscheinlich bedünken.
Der Sultan hatte noch nie eine Europäerin gesehen,
und sich deshalb am Abend vorher bei dem Diener, welchen
die Reisende ans Sarawak mitgebracht hatte, genau er-
kündigt, wie Radfcha Brooke Damen zn empfangen pflege.
Tisch nnd Stuhl hatte der Sultan in aller Eile während
der Nacht verfertigen lassen und das Geschirr, welches er
auftragen ließ, gehörte der Frau Pfeiffer; der Sultau hatte
es vom Diener geborgt. Am andern Tag in aller Frühe
erwiederte er den Besuch; er hatte unserer Landsmännin
ein Sampang, das heißt ein knrzes Boot, znr Verfügung
gestellt, auf welchem sie dann nach Pontianak hinab fuhr.
Bei dem eben erwähnten Besuche brachte der Sultan seinen
Vater und mehrere Verwandte von mütterlicher Seite mit;
sie benahmen sich aber sehr zudringlich und neugierig. Sie
mußte vor diesen Malayeu Alles hüten und bergen; der
Vater des Sultans eignete sich sogar den Reisesack an und
fragte, wozu man Seife, Kamm und Zahnbürste gebrauche.
Als sie ihm, chinesisch radebrechend, das gesagt hatte, be-
trachtete er die Sacheu als sein Eigenthum. „Ich nahm ihm
18
138 Streifzüge unter den D
aber Alles ohne Serentome wieder ab und gab ihm ein paar
kleine Bilder und andere Kleinigkeiten."
Nach einer Stromfahrt von vierthalb Tagen kam sie
wohlbehalten in Pontianak an. Ter dortige Sultan steht
durchaus unter holländischem Einflüsse. Sie macht der
niederländischen Regierung einen schweren Vorwurf daraus,
daß dieselbe dem grundverderblichen Opiumrauchen Vor-
schub leistet, weil der Opiumverkauf ihr große Summen
abwirft.
Eines Abends ging sie in den chinesischen Stadttheil,
und wagte sich dreist in die sechs kleinen öffentlichen Säle, wo
Opium geraucht wird. Sie war Zeuge eines widerwär-
tigen Schauspiels. Die Raucher saßen oder lagen auf
Matten; neben ihnen standen kleine Lampen zum Anzünden
der Pfeifen. Aufsallend war die Gewandtheit und Sicher-
heit, mit welcher auch solche Raucher, die kaum noch ihrer
Sinne mächtig waren, die Oessnuug der Pseise an die
Flamme der Lampe brachten. Ein Raucher steht vom
Boden auf; er ist ganz betäubt und lallt die Worte vor
sich hin; er möchte sich gern nach Hause schleppen, fällt
aber draußen vor der Schwelle nieder. Ein anderer lag be-
wußtlos auf der Matte; andere saßen mit hohlen Wangen
und tief eingefallenen Augen da, trüb vor sich hinstarrend;
wieder andere waren ausgelassen heiter und schwatzten und
lachten, bis sie niedersanken, um dann in himmlischen
Träumen zu schwelgen. Selbst Frauen rauchten Opium!
Als Ida Pfeiffer den oben geschilderten Ausflug von
Sarawak nach Pontianak unternahm, war sie schon einiger-
maßen mit dem Nordwesten Borneos bekannt; denn vorher
hatte sie das gefährliche Wagstück unternommen, jene
Dayaks zu besuchen, welche am Sakarran, einem Zu-
fluffe des Bataug Lupar, wohnen. Diese gehören, wie
wir schon weiter oben nachgewiesen haben, zu den See-
Dayaks. Die Männer legen den höchsten Werth auf einen
Halsschmuck, der aus einer Schnur aufgereihter Menschen-
zähne besteht; die Frauen haben viel weniger Schmuck und
Putz als die Männer, und nicht einmal Ohrringe, aber zur
Entschädigung eine große Anzahl schwerer Ringe aus Zinn
oder Blei, manchmal bis zu zwanzig Pfund Schwere, am
Leibe.
Ueberall fand sie bei den Stämmen am Sakarran
Menschenköpfe in Menge, theils frisch, theils schon alt
und mumienartig eingetrocknet. Diese waren förmlich ge-
räuchert worden und so schwarz wie Kohle; das Fleisch war
halb vertrocknet, aber die Haut unversehrt, der Mund weit
offen, so daß man die Zähne sah. Auf dem Schädel saß
noch das dichte Haar. Es machte den Dayaks viel Ver-
gnügen, die Köpfe aus den Netzen oder Körben, in welchen
sie diese Siegeszeichen aufbewahren, herauszunehmen und der
Fremden zu zeigen.
Die Köpfe werden mit großer Geschicklichkeit scharf und
mit großer Schnelligkeit vom Rumpf herabgeschnitten. Wenn
ein Dayak solch einen Kops in die Hand nahm, spie er ihn
an, die Kinder schlugen ihn und spuckten auf die Erde. „Mich
überlief ein Schauder. Aber ich mußte mir doch sagen,
daß wir Europäer nicht nur nicht über diesen von uns
verachteten Wilden stehen, sondern weit weniger Werth stnd
als sie. Ist nicht unsere Geschichte aus jeder Seite mit
Schandthaten, Mord und Verrath beschrieben? Man denke
an die Religionskriege in Deutschland und Frankreich, an
die Eroberung Amerikas, an die Inquisition! In unseren
Tagen sind wir äußerlich mehr polirt und civilisirt, aber
darum doch nicht minder grausam. Berühmte Leute in
yaks auf Bornco.
Europa schmücken zwar nicht, wie die barbarischen Dayaks,
eine armselige Hütte mit Menschenköpfen auf, aber sie
könnten mit den Opfern ihres Ehrgeizes die Prunksäle
ihrer Paläste anfüllen. Ich bin erstaunt darüber, daß wir
Europäer die Dreistigkeit haben, über die armen Wilden so
streng zu urtheilen, die doch weder Erziehung genießen, noch
eine Religion haben, welche ihnen Sanftmuth, Milde und
Abscheu vor Blutvergießen einschärft." Frau Pfeiffer hätte
noch hinzufügen können, daß bei den Dayaks das Kopf-
abschneiden mit einem religiösen Wahn in Verbindung steht.
Daß auch der Aberglaube dabei eine Rolle spielt, wird von
ihr ausdrücklich Hervorgel,oben. Wenn ein Rajah krank
wird, oder eine Reise zu einem andern Stamme unternimmt,
dann thut sein Stamm das Gelübde, einen Menschenkops
zn opfern, falls der Herrscher wieder gesund wird oder
wohlbehalten heimkehrt. Wenn er stirbt, wird gleichfalls
ein Kopf geopfert. Dasselbe ist der Fall beim Abschluß
von Friedensverträgen, doch tritt jetzt bei manchen Stämmen
an die Stelle des Menschen ein Schwein.
Am 22. Januar hatte Frau Pfeiffer sich aus dem
Lupar eingeschifft, um auf diesem Strom bis an den Fuß
der Sekamil-Bergkette zu gelangen und dann diese zu über-
schreiten. Unterwegs sprach sie am liebsten gerade bei solchen
Stämmen vor, welche für die wildesten und grausamsten
gelten, aber ste fürchtete sich nicht, ging in die Häuser, um
dort zu übernachten, schüttelte Männern und Frauen die
Hand, setzte sich mitten unter sie, nahm die Kinder aus den
Schooß und ging in den Wald, um Insekten zn fangen.
Anfangs machten sich die Dayaks darüber lustig, denn vom
Sammeln für ein Naturalienkabinet haben sie natürlich
keinen Begriff; als ihnen aber die Europäerin sagte, daß sie
solcheThiere uöthig habe, um aus denselben Arzneien zn be-
reiten, giugen sie ihr hülfreich au die Hand. Wenn sie Abends
in die Hütte zurückkam, fand sie Matten für sich ausge-
breitet; die Dayaks hatten von ihren Sachen nichts an-
gerührt, und als sie aß, gingen sie abseit, um sie nicht zn
stören. „Ich hatte gar keine Furcht, obwohl weit und breit
keine Hülse für mich gewesen wäre, und obwohl ich mich
mitten unter Liebhabern von Menschenköpfen befand. Aber
ich wußte, daß Radscha Brooke's Name auch bis hierher
gedrungen war."
Am nächsten Mittage rastete sie bei einem andern
Stamme, dessen Krieger erst vor zwei Tagen mit einem Men-
schenkopse zurückgekehrt waren; diese Trophäe hing, nebst
anderen, die aber schon getrocknet waren, über deni Heerde,
neben welchem man der Fremden einen Ehrenplatz ange-
wiesen hatte. Diesen durfte sie aus keinen Fall ausschlagen,
so entsetzlich unangenehm ihr auch die ganze Sache war.
Sie erzählt, wie die schon getrockneten, über ihr ausge-
hängten Köpfe bei jedem Luftzug aneinanderfchlngen und
wie der üble Geruch vou dem jüngstabgeschnittenen ihr
Qual und Uebelkeit verursachte. Dazu kamen die ausge-
regten Männer, welche im Hause uoch hin- und hergingen,
als schon das Feuer ausgelöscht war. Da verging ihr, wie
sie sagt, alle Lust zum Schlafen, und wir glauben ihr das
eben so gern, wie die Versicherung, daß sie Fieberanwand-
lungen bekam.' Es war ihr unmöglich, länger liegen zu
bleiben, und auszustehen wagte sie nicht; sie nahm also eine
sitzende Stellung an, und verfiel erst spät gegen Morgen
in Schlummer.
Auffallend war ihr, daß die Flüffe in Borneo zumeist
sehr dunkelgefärbtes Wasser haben. Das rührt nicht von
der Menge von Blättern her, welche hineinfallen, denn sie
fand später auf der Insel Ceram Flüsse unter ähnlichen
Verhältnissen wie auf Borueo, und doch waren jene klar
wie Krystall.
Streifzüge unter den
Am 26. Januar befand sie sich am Fuße der Berg-
kette, welche sie überschreiten wollte. Aber sie erfuhr, daß
eben damals zwei Stämme mit einander in Fehde waren,
und man versicherte sie, daß sie nicht mit heiler Haut hin-
durchkommen werde. Sie müsse umkehren. Das wollte
[ie jedoch unter keiner Bedingung! sie war entschlossen, vor-
wärts zu gehen, und hoffte darauf, daß Radscha Brooke's
Flagge ihr unter den wilden Barbaren ein schützender
Talisman sein werde. Sie zog die Flagge auf und ruderte
weiter. Bald nachher drang Kriegsgeheul und der Schall
von Gongs und Trommeln in ihr Ohr: das Boot bog um
einen Vorsprung und nun hatte die weiße Frau einen An-
blick, der auch unverzagten Männern hätte Furcht einjagen
können. Aus einer Anhöhe unweit vom Ufer standen an
die hundert Dayaks, mit Schild und Parang (Hanmesser)
bewaffnet, erhoben ein entsetzliches Geschrei und machten
drohende Geberden.
Frau Pfeiffer zitterte, aber an einen Rückzug war
uicht mehr zu denken; nur muthiges Auftreten konnte
Rettung bringen. Bor dem Hügel lag mitten im Fluß eine
Sandbank. Der malayische Koch, welchen ein Beamter
des Radscha Brooks ihr zur Begleitung mitgegeben hatte,
ging nun auf diese Sandbank und begann mit dem Dayak-
Häuptling ein Gespräch. Nach einer kleinen Weile kamen
die Wilden vom Hügel herab; viele stiegen in ihre Nachen,
andere schwammen, und binnen wenigen Minuten war das
Boot von ihnen völlig umzingelt. Ida Pfeiffer glaubte,
ihre letzte Stunde sei gekommen, und es war für sie keine
unangenehme Ueberraschnng, als der Koch ihr zurief, das
Ganze bedeute eine freundliche Begrüßung. Gleichzeitig
schwenkten die Dayaks ein kleines weißes Tuch. Die Flagge
des Radscha Brooke hatte sich wirklich als Talisman be-
währt. Die Wilden fügten der Reisenden nicht nur kein
Leid zu, sondern erwiesen ihr die größte Freundlichkeit. Sie
mußte an's Ufer kommen, man begegnete ihr mit Auszeich-
uuug und sie war gerührt von der Verehrung, welche diese
Barbaren gegen Radscha Brooke zeigten. Die Reisende
bringt diesem großen Manne wohlverdiente Huldigungen
dar und spendet ihm in reichem Maaße das gebührende Lob.
Bei jenen Dayaks waren die Frauen noch weit dienstfertiger
als die Männer und setzten ihr Speise in Hülle und Fülle
vor, namentlich Kuchen von verschiedener Art. „Mehrere
Männer trugen am Halse einen kleinen Korb, der dazu be-
stimmt ist, als Behälter für einen Menschenkops zu dienen.
Er besteht aus sehr seinem Flechtwerk und ist mit Muscheln
und Menschenhaaren verziert. Diesen letztern darf der
Dayak als Schmuck nur dann tragen, wenn er schon einen
Menschenkopf abgeschnitten hat. Er vertritt also gleichsam
jene „Auszeichnung", welche das civilisirteEuropa etwa als
„ Ordensdekoration " bezeichnet.
Die B erg-D ay ak s in jenem Lande sind, wie wir schon
bemerkten, wesentlich friedliche Leute und eben deshalb sind
sie stets in Gefahr, von den Malayen oder den See-Dayaks
überfallen zu werden. Sie legten deshalb ihre Dörfer
an solchen Stellen an, wo die Oertlichkeit der Verteidigung
günstig ist. Manche haben auch den Feinden, wenn diese
keine Feuerwaffen besaßen, mit Erfolg Gegenwehr ge-
leistet.
Die Häuser haben zwar eine ähnliche Einrichtung wie
jene der See-Dayaks, aber die Dörfer selbst haben im
Bergland eine andere Anlage als jene in der Fläche. Hugh
Low, welcher viele derselben gesehen hat, bemerkt, daß eine
Häuserreihe selten mehr als sechs bis zehn Wohnungen
t Dayaks auf Borneo. 139
unter einem und demselben Dache habe, und solche Reihen
liegen nach allen Richtungen hin zerstreut, obwohl der Ver-
theidignng halber jede einzelne der andern so nahe steht,
wie die Beschaffenheit des Bodens erlaubt. Die Häuser
stehen auf Pfählen und sind im Allgemeinen nicht so groß
und bequem wie jene im Flachlande. In allen Wohnorten
der Land-Dayaks findet man ein Haus von achteckiger Ge-
stalt mit einem spitz zulaufenden Dache, das allemal in
einiger Entfernung von anderen Hänsern liegt und keine
Galerie hat; man gelangt in das Innere von unten herauf
vermittelst eiuer Fallthür. In größeren Dörfern sind ge-
wöhnlich mehrere solcher Pangahs. Sie sind alle sehr
geräumig und werden von den Knaben und unverheirateten
jungen Männern aufgeführt; denn wenn diese das Alter
der Mannbarkeit erreicht haben, dürfen sie nicht mehr in
den übrigen Häusern des Dorfes wohnen.
Das Paugah ist das größte und beste Haus in der
Gemeinde, und wird deshalb Fremden, welche den Stamm
besuchen, zur Wohnung angewiesen; auch halten dort die
Aeltesten ihre Versammlungen und besprechen alle öffent-
lichen Angelegenheiten. Im Pangah hängt auch eine große
Trommel; sie besteht aus einer über einen hohlen Baum-
stumpf gespannten Thierhaut, und man giebt mit ihr bei
drohender Gesahr das Lärmzeichen. In diesem Hause
schlafen Nachts die jnngen Leute auf Matten, die am Tage
bei Seite geschafft werden; an den Querbalken, auf welchem
der Fußboden ruht, hängen die Köpfe, welche der Stamm
seit Generationen erbeutet hat, aber die Zahl dieser Sieges-
zeichen ist nicht bedeutend, und selbst bei großen Gemeinden
geringer als in mancher einzelnen Familie bei den See-
Dayaks.
Die Dörfer haben Fruchtgärten, in denen namentlich
Durian gezogen wird, der, frisch vom Baume gepflückt,
herrlich schmeckt und duftet, während er schon nach zwei
Tagen einen üblen Geruch annimmt. Die Berg-Dayaks
ziehen ihn allem Andern vor. Alle Obstsorten des Archi-
pelagns liefern, auch an der Straße von Malakka, zwei
Ernten im Jahre, aber auf Borueo drei, manchmal auch
vier unmittelbar hintereinander und in reichlicher Fülle.
Aber dann find sie erschöpft und geben zwei bis drei Jahre
lang gar keinen Ertrag; aber dann andere Bäume, die sich
schon ausgeruht haben; so entsteht nie eine Verlegenheit.
Die Befestigung der Dörfer besteht hauptsächlich
aus starkem Pfahlwerk von Bambusstämmen oder auch von
hartem Holze. Diese senkrechten Pfähle werden durchflochteu
mit Bambus, dessen Spitzen in allen Richtungen aus der
Außenseite hervorstehen und wie spanische Reiter den An-
greifenden entgegenstarren. Solch ein P a g a r oder Pfahl-
zauu ist etwa sechs Fuß hoch, schützt das Dorf au allen
zugängigen Stellen und hat nur zwei Eingänge, die aber
so geschlossen werden können, daß sie völlig einen Bestand-
theil der Pfahlreihe bilden.
Das Hügelland wird nach allen Richtungen hin von
eigentümlichen Pfaden durchzogen. Diese führen über
Anhöhen und durch Moräste, weil der Dayak feine Wege
gern in möglichst gerader Richtung anlegt. Sie werden
gebildet aus Baumstämmen, die zwei Fuß über dem Boden
auf untergelegten Stützen ruhen, uud gewöhnlich nur etwa
drei Zoll im Durchmesser halten. Die Rinde wird abge-
schält, damit der^ nackte Fuß nicht abgleite. Man legt
mehrere solcher Stämme der Länge nach neben einander und
nimmt an manchen Stellen auch wohl Bambus.
Eigenthümlich sind auch die lustigeu Brücken. Da,
wo ein Fluß oder Gießbach im Wege liegt, sucht der Dayak
an einer passenden Stelle zwei einander gerade gegenüber
liegende Bäume aus, deren Zweige weit über das Wasser
18*
140
Streifzüge unter den Dayaks auf Bornec.
hinaushängen.- Solche benutzt er für seine Hängebrücke von
Bambus und befestigt bkse an die starken Aeste vermittelst
langer Rattangs (Rotangs).
Der Brückenpfad besteht nur aus einem starken Bam-
busstamme, an welchen man auf der einen Seite eine Art
von Geländer befestigt, das aber mehr scheinbaren als wirk-
lichen Halt verleiht. Der Pfad fällt an beiden Enden des
Brückenstammes in sehr scharfem Winkel ab, und für einen
Europäer ist der Gang über eine solche „Brücke" nichts
weniger als angenehm, denn sie schwankt nicht nur aus und
ab unter den Tritten, sondern wird nicht selten auch vom
Winde hin und her bewegt. Aber der Dayak schreitet, mit
einer schweren Last auf dem Kopfe, sicher darüber hinweg,
ohne auch nur das Geländer zn berühren; indeß trägt er
einen Stab in der Hand, niit dessen Hülse er wie mit einer
Balancirstange das Gleichgewicht hält. Manchmal sind
diese Brücken in einer Höhe von sechszig Fu^z über schäu-
Utende Gießbäche und Felsabgründe hinweggespannt, aber
der Dayak hat starke Nerven und ist ganz unbekümmert, sicher
wie ein Seiltänzer. Sein nackter Fuß leistet ihm fast die-
selben Dienste wie die Hand, mit ihm kann er greisen und
seine Zehen sind so gelenkig wie Finger. Mit besohlten
Schuhen kann man freilich auf solchen Dayak-Wegeu nichts
ausrichten; der Europäer muß eine passendere Fußbekleidung
wählen.*)
Wir wenden uns von der Nordwestküste nach einer
ganz entgegengesetzten Region, nach dem Südosten von
Borneo, über welchen wir von einem deutschen Reisenden,
Dr. C. A. L. M. Schwan er aus Mannheim, interessante
Nachrichten erhalten haben. Er durchwanderte jene Gegend
in den Jahren 1843 bis 1847 und war der erste Europäer,
welcher die Strecke zwischen Banjarmassing bis Pontianak
auf dem Laudwege zurücklegte. Im Jahre 1848 ging er
nach Batavia, arbeitete dort feine Reisebemerkungen aus,
erhielt von der niederländischen Kolonialregierung abermals
den Auftrag, den Südosten Borneos weiter zu durch-
forschen, starb aber in Batavia am 30. März 1859. Er
war im Jahre 1817 geboren. Sein Werk erschien in
holländischer Sprache zu Amsterdam 1854 in zwei Bänden.
Auf deu südöstlichen Theil der Insel macht die hollän-
dische Regierung Anspruch und rechnet denselben unter ihre
Besitzungen. Ihr Einfluß ist aber nur sehr bedingt und,
wie die blutigen Aufstände in den letzten Jahren bewiesen
haben, sehr unsicher. Selbst in der wichtigen Stadt Ban-
jarmassing, wo die Holländer die stärkste Besatzung hatten,
waren sie mit Vernichtung bedroht.
Den bedeutendsten Strom bildet der D o u s o u, B a u j a s,
Banjar oder Barito, denn er führt alle diese verschiedenen
Namen. Seine Nebenflüsse strömen, wie er selber, von
Norden gen Süden und bilden in ihrem untern Laufe mit
ihm ein labyrinthisch verschlungenes Geäder. Das Land
wird auf einem Umkreise von mehr als hundert Wegstunden
periodisch überschwemmt und bildet eigentlich nur einen un-
geHeuern, in Morästen stehenden Urwald. Die stets umher-
schweifenden Eingeborenen haben kaum andere Verbindungs-
Wege als die Stromläufe.
Die Stadt Banjarmassing liegt am Banjar; ihre
Häuser stehen auf Pfählen, weil alltäglich die Flnth die
Umgegend unter Wasser setzt. Zwischen den einzelnen
Wohnungen bilden Bretterstege die Straße; aber viele Wohn-
*) Unsere Abbildung der Bambusbriicke ist jeuer uachgebildet,
welche sich in Low's Werke, Seite 286, findet.
gebäude stehen jedes aus einem Floß, Rakti, und die deui
Wasser zugekehrte Seite bildet dann den Waarenladen, und
am Markttage ist der Fluß mit kleinen Nachen bedeckt, deren
Eigenthümer allerlei Waaren ausbieten. Die Bevölkerung
ist in unablässiger Bewegung auf dem Wasser, denn feste
Straßen hat sie, wie schon gesagt, gar nicht; deshalb fehlen
auch Pferde und Wagen, und nicht mit Unrecht hat man
Banjarmassing eine schwimmende Stadt genannt. Wir
können beiläufig bemerken, daß ganz dasselbe von Brnni
an der Nordwestküste gesagt werden kann.
Wir wollen unsern Landsmann aus einigen seiner
Ausslüge begleiten. Er verließ die Stadt Palingkau am
31. Oktober 1847; ein malayischer Tomonggong (Häupt-
ling) hatte sich ihm angeschlossen. Seine beiden Boote waren
mit zwanzig Dayaks aus Pulu Petak bemannt, itttd so fuhr
er den Fluß Murung hinab bis an die Mündung des
Trussan, welche jenen Strom mit dem Kahayan ver-
bindet. An diesem letztern Flusse traf er einige Biadschu-
Familien, welche Jagd auf wilde Büffel machten. Sie
hatten mit Baumstämmen und Gestrüpp einen großen Platz
umzäunt und dabei einige ziemlich weite Oessnungen ge-
lassen. Inmitten des größern Raumes war ein kleiner
Platz umzäunt, in welchem gezähmte und abgerichtete Büffel
sich befanden. Zu diesen kamen die wilden, wenn sie aber
durch die in jener engern Einzäunung gelassene Oesfnung
dringen wollten, fielen sie in eine Grube. Flugs eilten die
Biadschus herbei, banden die Thiere mit Rattangs, zogen
ihnen einen Ring durch die Nase und bändigten sie. Diese
Jäger hatten auf solche Weise im Laufe eines Jahres mehr
als sechszig Büffel gefangen.
Nun fuhr Schwaner in den Kahayan hinein und am
Tjukang Pamali vorüber. Das ist eine bezauberte
Stätte, wo böse Geister Hausen; deshalb wird kein Ein-
geborner dort Holz fällen oder Früchte pflücken; wer das
wage, verliert, wie man glaubt, feinen Verstand. Der-
gleichen vom Aberglauben geheiligte Stellen giebt es auch an
anderen Flüssen und im innern Lande. Hier kann man sie
an den häusig dort wachsenden Nibongpalmeu erkennen, die
sonst nur au der Meeresküste und iu deren Nähe wachsen.
Der Kahayan macht in seinem obern Lause sehr viele
Krümmungen. Eine derselben heißt Rantau Gadscha
Muudor, die Krümmung des Elephanten, welcher um-
kehrte. Diese Benennung ist ausfallend, weil das Thier
auf Borneo nicht vorkommt und den meisten Bewohnern un-
bekannt ist. Vielleicht rührt sie aus früheren Zeiten her,
in denen Hinduhäuptlinge einen Theil Borneos im Besitze
hatten und sich im Kriege der Elephanten bedienten.
An jene Krümmung knüpft sich eine Thiersage. Ver-
langen, langen Jahren kam ein Elephant den Kahayan
aufwärts, uni die Thiere im Lande zu bekämpfen. Um,
ihnen Schreck einzujagen und zu zeigen, wie gewaltig er fei,
schickte er einen Boten heraus, welcher einen seiner Ele-
phantenzähne zum Zeichen der Herausforderung überbringen
mußte. Darob erschraken alle Thiere ganz entsetzlich und
wollten sich dem Elephanten unterwerfen. Da trat aber
das Stachelschwein aus und gab der Sache eine andere
Wendung. Nehmt, sprach es, die Herausforderung an und
schickt dem Feind eine meiner Stacheln, damit er sehe, was
für Haare wir haben. So geschah es; der Elephant ließ
sich überlisten und zog ab. —
Weiter aufwärts fand Schwaner viele bewohnte aber
auch verlassene Kampongs (Dörfer). Auch bei den letzteren
sieht man gewöhnlich noch viele Götzenbilder und Kokos-
Palmen, welche beide zeigen, daß an solchen Stellen einst
eine zahlreiche Bevölkerung wohnte. Dann und wann trifft
man Balais, d. h. Häuser, in welchen die Gemeinde des
142
Streifzüge unter den Dayaks auf Borneo.
Kampongs ihre Berathungen hält und, wenn Reisende an-
fangen*), ihre Feste feiert. Sie sind einfach, aber größer
als die Privathäuser, und gewöhnlich liegt die Dorfschmiede
in der Rähe. Diese Balais entsprächen demnach etwa den
weiter oben erwähnten Paugahs der Berg-Dayaks.
Manche Kampongs haben Festungswerke, daß heißt,
sie sind mit dreißig Fuß hohen Pfählen aus Eichenholz
umgeben. Auf dieseu stecken hohe Staugeu, welche man
an der Spitze mit Figuren geschmückt hat, die einenKalao
(Rhinocerosvogel) vorstellen. Einige dieser hölzernen Vögel
halten in ihren Füßen Menschenköpfe. Im Innern der
Umpfählnng stehen allemal viele Götzenbilder.
Am obern Kahayan Hausen die Ot-Danoms. Sie
haben ihren Namen von der Lage des Landes, welches sie
sind wohl von einem und demselben Stamme; auch hat die
Sprache so große Aehulichkeit, daß sie einander recht gut
verstehen. Bilians, eine Art von Bayaderen, welche
weiter stromabwärts in allen Kampongs vorhanden sind,
findet man nicht bei den Ot Danoms, wohl aber haben die
Frauen uud Töchter reicher Leute eiue eigentümliche Auf-
gabe. Sie müssen Kranke heilen, indem sie die bösen Geister
beschwören und austreiben, die Seelen der Verstorbenen
dorthin führen, wo die Vorfahren sich aushalten, uud von
den Göttern Glück und Reichthum erbitten. Aber Mädchen
oder Frau ist nur dann zu einer solchen Art von Priester-
schast besähigt, wenn die Seele eines Sangsangs, was
wir etwa mit Engel wiedergeben können, ihr in den Leib
gefahren ist. So lange ein solcher in ihr verweilt, muß sie
Ot-DanomS auf Borneo vor einem Götzenbilder
bewohnen, denn dauoin ist Wasser uud ot heißt obeu, auf-
wärts. Sie gleichen in ihrer äußern Erscheinung den übri-
geu Dayaks des östlichen Theiles von Borneo, und be-
schäftigen sich vorzugsweise mit Reisbau uud Goldwaschen.
Das letztere ist einträglich genug, denn der Staub liefert
fo viel vou dem edelu Metalle, daß sie damit alle Gegeu-
stände, deren sie bedürfen, bezahlen können. Uebrigens
geht kein Ot-Dauom des Handels wegen über seine Landes-
grenze hinaus, und das hat er auch nicht uöthig, weil
Handelsleute aus Pulo Petak ihm die Waareu bringen.
Die Sitten und Gebräuche der Ot-Danoms stimmen
im Wesentlichen mit jenen der Biadschus überein und beide
*) Man nennt ein solches Gebäude deshalb auch Balai
tomoi, das heißt Haus der Reisende n.
sich von ihrer Familie fern halten. Die Seele eines Abge-
schiedenen wird sogleich von vielen Sangsang in die andere
Welt geleitet, während die Bilians, oder sagen wir hier
Priesteriuueu, Gesäuge anstimmen; sie muß über eiue Brücke
gehen, die dicht am Sterbehause beginnt und im Auseut-
Haltsorte der Seligen endigt.
Die Leiche wird iu's Freie gebracht; man entfernt das
Fleisch von den Knochen, verbrennt diese, sammelt die Asche
in eine Urne und stellt diese in das Sandong, Haus der
Todteu. Beim Leichenhause werden Büffel, Schweine und
Menschen geopfert und die Köpfe dieser Geschlackteten im
Sandong aufgehängt. Der Ot-Danomhäuptliug Tundan,
mit welchem Schwaner verkehrte, hatte seiner verstorbenen
Frau acht vollständige Anzüge und alle Schmucksachen auf
die Bahre gelegt und unmittelbar nach ihrem Tod einen
Bilder aus dem chinesischen Leben, nach dem Roman King-ping-mei.
143
Sklaven geopfert; als die Leiche aus dem Hause gebracht
wurde, ließ er wieder drei abschlachten, und als die Knochen
verbrannt wurden, mußten noch acht Sklaven, sechszig
Schweine und zwei Büffel auf Scheiterhaufen ihr Leben
lassen.
Die Ot-Danoms tättowireu sich am ganzen Körper,
mit Ausnahme des Gesichts. Früher war die Tättowirung
einfach, seitdem aber die Bilians (Priesterinnen) kund ge-
macht haben, wie die Sangsangs sich tättowiren, will jeder
Ot-Danom seine Haut wie diese Engel schmücken. Der
Speer ist als Waffe erst in neueren Zeiten bei ihnen einge-
führt worden, und auch jetzt noch legen sie großen Werth
auf das Blasrohr, aus welchem sie vergiftete Pfeile
schießen.
Wir schließen unsere Bemerkungen über Borneo mit
der Erwähnung einer eigenthümlichen Anschauung bei den
Ot Danoms. Sie halten nämlich den Hund bei dessen
Lebzeiten und nach dem Tod in hohen Ehren; ihrer Mei-
nnng nach ist er mit einer ähnlichen Seele begabt, wie
der Mensch, und er stammt von Patti Palangkaing,
dem Könige der Thiere, ab. Dieser führte einmal in
einer Thierversammlung den Borsitz, war aber so ärmlich
gekleidet, daß alle Anwesenden ihn auslachten. Darob er-
grimmte er, stürzte mitten in seine Unterthanen hinein und
biß wild um sich; da entflohen alle, aber nachher setzten sie
ihn ab. Seitdem hegt er unversöhnlichen Haß gegen die
Rebellen und macht unablässig Jagd auf sie. Dieser Haß
ging auf feiue Nachkommen über, und gerade deshalb
werden diese, die Huude, von den Ot-Danoms hochgehalten.
Der Hausherr wickelt die Leiche eines Hnndes in Zeug ein,
uud legt auf und in die Grube, welche immer dicht bei der
Hütte gegraben wird, Salz und Neis. Die Götter bringen
die Hundeseele in das Hunde-Paradies. Auf dem Grabe
des treuen Dieners wird ein Pfahl aufgepflanzt und an
diesem hängen die Köpfe von Ebern und Hirfchen, bei deren
Erlegung der Hund behülflich gewesen ist.
Lilder aus dem chinesischen Leben
Mitgetheilt von Gco
Die Chinesen lieben es eben so sehr wie wir, ihre Sitten in
Romanen zu spiegeln; ihre Literatur ist au derartigen Büchern sehr
reich und von uns Europäern in dieser Richtung noch lange nicht
genug durchforscht. Unsere Reiseuden mögeu schildern so viel sie
wollen: so tief werden sie uns nie einweihen in die Geheimnisse des
chinesischen Lebens, wie eiu eingeborener Romanschreiber; denn nie
werden sie uns lehren, chinesische Verhältnisse mit chine-
fischen Augen zu betrachten.
Ein berühmter Roman von kolossalem Umfange liegt mir im
Originale vor: Der Kin ping mei. Schon längst würde er sich
Bahn nach dem Westen gebrochen haben, hätten ihm nicht die ästh-
uud sonstigen ethischen Vorurtheile der fremden Barbaren im Wege
gestanden. Anch ich muß mich nur aus sehr diskrete Auszüge be-
schränken, welche ich in lesbarem Deutsch mittheile. Sie führen
uns in ein Stück innern und häuslichen Lebens der Chine-
sen hinein, und zeigen uns, in welcher Weise die Söhne des Blumen-
reiches der Mitte Romane schreiben, und welcherlei Lektüre die ge-
bildeten Stände zu ihrer Unterhaltung lieben.
Es ist nöthig, den Leser mit dem Terrain bekannt zu machen,
bevor er in Einzelheiten eingeführt wird.
Der Held des Stückes ist der Spezereihändler Si men
king. Ein verzogenes Kind so lange er Kind war, wird er ein
leichtsinniger Manu, sobald er in die Jahre tritt, wo der Mensch zu
Merken Pflegt, wie schön der Leichtsinn ist; Gesundheit, Schönheit
und Verstand, die goldenen Eigenschaften des Körpers und des
Geistes, sind in vollem Maße sein, und an der silbernen Eigen-
Ichast, die man in der Tasche trägt, fehlt es ihm erst recht nicht.
Die „gnten Freunde" kommen also ganz von selbst. Der Verfasser
moralisirt:
„Wenn sie den Becher ergreifen und Wein trinken, sind sie Ein
Herz und Eine Seele. Warum sind sie wohl so zärtlich wie
Brüder? — Wenn von der ebenen Erde sich Plötzlich Wind oder
^Lelle erhebt, dann erst kann man das Herz des Freundes er-
kennen."
Der Ehestand, in den er tritt, die Gardinenpredigten einer
klugen Gattin ändern an der Lebensweise und dem Umgange des
. nach dem Roman King-ping-mei.
von der Gabelcntz.
gezöpfteu Roues gar nichts; im Gegentheil, bald soll die lockere
Clique zwischen Si men king und seinen Neuen Freunden in einen
Bund auf Leben und Tod umgeschmiedet werden. Wie dies
j bewerkstelligt wurde, mag der Roman wörtlich erzählen.
1. Der Bruderbund.
Um ihrem Bündniß die religiöse Weihe zu geben, versammeln
sich die Freunde in einem Tempel der Tao-sse. *) Mit Scherzen
vertreiben sie sich die Zeit, während der Priester die Vorbereitungen
zum Opfer trifft: schließlich erzählt einer, Namens Jng pe tsio, fol-
gende Anekdote: „Ein Tiger hatte einen Mann mit den Zähnen ge*
packt. Der Sohn wollte den Vater befreien, zog das Schwert nn d
tödtete das Ungeheuer; da rief jener noch aus dem Racheu des
Tigers heraus: Sohn, haue nicht überflüssiger Weise zu, du ver-
dirbst sonst das schöne Fell! "
Noch lachten alle laut auf, da kam der Priester U, der mit
seinen Vorkehrungen fertig war, und sprach: „Meine Herrn, wollen
Sie nun die Papiere anbrennen?" Er holte einen Zettel hervor,
der ans einer Seite gelb war, uud sprach: „Soweit hätte ich die
Urkunde abgefaßt; wen von Ihnen soll ich aber zuerst nennen, uud
wen dann? Wenn Sie sich über die Reihenfolge vereinigt haben,
will ich die geehrten Namen aufschreiben."
„Jedenfalls," riefen Alle wie aus einem Munde, „gebührt
Herrn Si men king der Vorrang."
„Nein", sprach Jener, „das Alter muß entscheiden! Jng pe
tsio ist älter als ich; schreiben Sie den zuerst."
Jng pe tsio steckte die Zunge heraus: „Ach," sprach er, „laßt
uicht mich unbedeutenden Menschen das Glück vorwegnehmen!
Heutzutage geht es nach Reichthum und Ansehen; wer fragt nach
dem Alter? Uebrigeus bin ich nicht einmal der Aelteste hier, und
wenn ich es wäre, würden mir doch immer noch zwei Dinge im
Wege stehen: Erstens kann ich mich an Tilgend durchaus nicht mit
*) Bekanntlich herrschen in China drei Religionen, die des Buddha, die
des Confncins und jene des Tao sse, von denen die erste im Volk, die zweite
unter den Gebildeten am meisten verbreitet, die dritte, die am meisten aber-
gläubige ist.
144 Bilder aus dem chinesischen Leben, nach dem Roman King-ping-mei.
Herrn Si men king messen. Zweitens nennt man mich immer „den
kleinen Jng"; wäre ich der Aelteste, so müßte ich doch „der große
Jng" heißen. Wenn nun zwei Lente kämen und der Eine riefe:
Kleiner Jng! und der Andere: Großer Jng! — wem sollte ich da
antwortend"
Si men king lachte: „Wie kann nur ein Mensch, der so wie
Dn schwätzt bis die Eingeweide Platzen, so viel boshafte Worte
machen!" Schließlich mußte er doch dem Zureden der Frennde
nachgeben und die erste Stelle übernehmen, auf ihn folgte Jng pe
tsio und so sort.
Als der Priester U die Urkunde fertig hatte, zündete er Räncher-
stäbchen und Wachs an, ließ Alle nach der Reihe sich aufstellen,
öffnete das Schriftstück und las mit lauter Stimme:
„Im Reiche Snng, ^der Provinz Schan tnng, dem zn Tnng-
phing-sn gehörigen Distrikte Thing-ho haben die aufrichtigen
Männer Si men king, Jng pe tsio, Siei hi tat, Hua tse hiü, Suu
tiau hua, Tschn schi man, Yün li scheo, U tian na, Tschang schi
tsiei und Pe lai kuan am heutigen Tage, unter Waschen der Hände
und Verbrennen von Weihrauch, den himmlischen Rathschluß be-
gehrt. Nachsinnend überlege ich, daß die rechte Linie des Pfirsich-
gartens schwierig ist, daß der Sinn Aller Wunderbares begehrt und
ohne Furcht sein Muster nachzuahmen strebt. Die Freundschaft
des Kuan tschnng und des Pao schu war innig, und unser Herz
will sie wiederholen und ihren Sinn nachahmen. Da überdieß
zwischen den vier Meeren*) Alle Brüdern gleich sind, warum sollten
nicht Männer aus verschiedenen Familien wie Fleisch und Knochen
verbunden werden? So haben sie denn einen günstigen Tag des
Jahres Tscheng so gewählt*"), ein Schwein und ein Schaf als
Opferthiere, auch Räucherstäbe und Papier geopfert, sich gereinigt,
ihre Andacht verrichtet und mit aufrichtigem Sinn zu dein obersten
Herrn des Himmels, zudem den Tag übernehmenden Geist mit
fünf Gesichtern, Kuug tfao, zum Schutzgeiste des Distriktes, Tscheng
hoang, nnd zu allen wandelnden Geistern gebetet, daß sie alle den
frommen Duft dieses Opfers annehmen und prüfen mochten, und
hat Si men king geschworen: wenn wir anch nicht 'an einem Tage
geboren sind, fo wünschen wir doch an einem Tage zu sterben.
Diesen Schwur wollen wir dauernd und wahr machen nnd Lust
und Freude theileu, in Unglück und Kummer uns beistehen, stets
wie zu Anfang Freunde bleiben, wenn wir reich und angesehen
sind; der Zeit, wo wir arm und elend waren, eingedenk bleiben und
ewig einander vertrauen. Unsere Freundschaft sei wie die auf- und
niedergehenden Sonne und Mond, unsere Liebe hoch wie der Himmel
und tief wie die Erde. Nach diesem Schwüre wollen wir einträchtig
sein, ohne je uns zu entzweien. Auch bitten wir die Geister, daß
sie Allen ein langes Leben, Aller Häusern ein grenzenloses Glück
verleihen, denn alle Anwesenden vertrauen der Gnade und dem
Schutze der Geister. — Dieser Schwur wurde an dem und dem
Tage des und des Monats des Jahres Tscheng ho niederge-
schrieben."
Nachdem der Priester U solches verlesen und Alle, um den
Geistern ihre Ehrfurcht zu bezeigen, sich nach der Reihe acht Mal
vor ihnen verneigt, dann sich von ihnen verabschiedet und Papier-
geld verbrannt hatten, wurden die Opfergeräthe wieder in Ver-
Wahrung ' gebracht. Bald darauf rief U seine Leute, ließ das
Schwein und das Schas schlachten, Hühner, Fische, Früchte n. s. w.
anrichten und alles auf zwei großen Schüsseln nnd Schalen ans
zwei Tafeln aufstellen. Erst nahm Timen king, dann die Anderen
nach der Reihe Platz; der Priester saß als Tischgenosse zur Seite.
Der Wem machte mehrere Male die Runde, man trieb allerhand
Kurzweil und besprach gründlich die ^Vorzüge des gemeinsamen
Zechens.
*) D. i. auf Erden.
**) Es ist Sitte bei den Chinesen, für jede einigermaßen einflußreiche
Unternehmung einen günstigen Tag zu wählen. Ihre Kalender sind darauf
eingerichtet, ähnlich wie unsere älteren, mit ihrem „gut Aderlassen" u. f. w.
Der Schriftsteller begeistert sich hier zu folgendem Verse:
„Die Sonne, die sie aus dem Reiche Fn sang aufsteigen ge-
sehen, geht bald hinter den Bergen unter. Nachdem sie sich be-
trunken, gehen sie auf ihre Diener gestützt nach Hans, nnd hinter
den Gipfeln der Bäume leuchtet der junge Mond hervor."
2. Ein Besuch.
Si men king mußte früher als die Anderen das Gelag ver-
lassen, weil ihm plötzlich das Erkranken seiner zweiten Frau ge-
meldet wurde. Einige Tage darauf tritt Jug pe tsio mit lachender
Miene ein. Si men king begrüßt ihn und nöthigt ihn zum Sitzen.
„Wie befindet sich meine Schwägerin?" fragt der Gast.
„Dem äußern Ansehen nach ist noch keine Besserung einge-
treten, " lautete die Antwort; „ich weiß nicht wie sie genesen soll.
— Haben Sie etwas gegessen, oder noch nicht?"
Da es sich nicht geschickt hätte, wenn der Angeredete verneinend
geantwortet hätte, sagt er: „Rathen Sie einmal."
„Sie haben wohl gegessen?"
Jng pe tsio verdeckt seinen Mund: „Da haben Sie es nicht
errathen," sagt er.
Si men king lacht: „Sonderbarer Hund, wenn Dn nicht ge-
gessen hast, so sage es doch gleich! Was sollen die Komplimente?"
Er ruft seine Diener und befiehlt ihnen: „Richtet Reis an und
bringt ihn herein. Ich will mit meinem Bruder zusammen essen."
3. Ein chinesischer Herkules.
Bald gehen die beiden Frennde zusammen aus, um einen selte-
nen Aufzug anzusehen: Ein fürchterlicher Tiger, der lauge die
Gegend unsicher gemacht hatte, war durch den mächtigen Faust-
schlag eines Mannes erlegt worden. Jubelnd geleitet das Volk
seinen Wohlthäter durch die Stadt. Der Held war Usuug. Ihm
sind folgende Verse gewidmet*).
„Sein großer Körper war stark und kräftig, über sieben Fuß
hoch, sein breites Gesicht wohlgebildet und viereckig (!), er mochte
vier- oder fünfundzwanzig Jahr alt sein. Die Augen waren groß
nnd weit geöffnet; wenn man sie von fernsah, schienen sie zwei
glänzende Sterne. Wenn man die beiden festgeschlossenen Fäuste
sah, glichen sie eisernen Keulen. Wenn er den Fuß erhob, sauk den
Tigern und Leoparden ans dem hohen Gebirge der Mnth; wenn er
die Faust sinken ließ, wagte kein Bär in den tiefen Schluchten den
Sprung. Auf dem Kopfe trug er eine viereckige Mütze, auf die oben
eine doppelte silberne Blume gestickt war. Seine Kleidung war
ein blutbefleckter Koller, über den ein Stück rothes Zeug geworfen
war."
4. Eine Kokette.
Tschang ta ho war ein Mann von zehn Tausend Tael Ver-
mögen, besaß ein Hans von über hundert Zimmern und war,
obschon über sechzig Jahre, doch noch kinderlos. Da seine Frau
ein sehr strenges Scepter führte, so war im Hanse auch nicht Ein
hübsches Mädchen. Der Mann schlug oft an die Brust und seufzte:
„Schon so lange verheirathet und noch kinderlos! Was nützt mir
mein unermeßlicher Reichthum? " Die Frau sprach: „Wenn das
ist, so will ich einen Unterhändler aufsuchen und zwei Mädchen
kaufen, denen ich früh nnd Abends Musikunterricht geben lasse.
Was meinst Du?" Der Gatte dankte erfreut für ein solches An-
erbieten.
Die Frau hielt Wort und nach wenigen Tagen waren zwei
Mädchen Namens Pan kin lian nnd Pe iü lian in Tschang ta ho's
Hause. „Pan kin lian war die sechste Tochter des am südlichen
Thore wohnenden Schneiders Pan. Da sie von klein ans schön
von Gestalt, anch ihre Füße eingeschnürt und klein waren, so hatte
*) Die chinesischen Romanschreiber lieben es, ihren Erzählungen selbst
gemachte Verse anzuflechten, als wären es Stellen aus irgend einem bekann
ten Gedichte.
Bilder aus dem chinesischen Leben, nach dem Roman King-Ping-mei.
145
man sie Kin Hau*) genannt. Nach dein Tode ihres Vaters wurde
es der Mutter schwer, sich zn ernähren; deshalb verkaufte sie das
neunjährige Mädchen in das Haus des Mandarinen Wang tschao
sinan, wo sie musiciren und singen, bei Gelegenheit auch schreiben
lernte. Von Hans aus klug und geschickt, lernte sie schon im zwölften
und dreizehnten Jahre die Augen braun malen, die Augen schmücken,
sich weiß und roth schminken und alle Künste einer Musikantin.
Sie verstand Bücher und wußte die Schristzeicheu. Das Haupt
angemessen frisirt, den Körper in ein knapp anliegendes Kleid
gehüllt, sich zierend und kokettirend, wußte sie sich eiu Ansehen zu
geben. Als sie fünfzehn Jahr alt geworden war, starb Wang tschao
siuau, und die Wittwe jagte sie scheltend fort und verkaufte sie für
dreißig Tael Silber au Tfchaug ta ho.
Sie war zugleich mit Pe iü lian in dessen Hans gekommen
und Beide mußten hier musiciren und singen lernen. Pan kin lian
lernte ohne Mühe die Cither, ihre Gefährtin die Harfe spielen.
Beide schliefen in einem Zimmer. Frau Iii schi liebte anfangs
Beide sehr und beschenkte sie mit golduem und silbernem Kopfputze.
Später starb Pe iü liau, und Pan kin lian blieb allein übrig; sie
hatte bis zn ihrem achtzehnten Jahre sehr zugenommen; ihr Gesicht
glich einer Psirsichblüthe, ihre Augenbrauen waren so schön, wie
der wachsende Mond. Auch hätte sie Tschaug ta ho gern zu seiner
Geliebten gemacht, er fürchtete sich nur vor der Eifersucht seiner
Alten."
Die Alte wird doch eifersüchtig.
„Sie mißhandelte das Mädchen auf hunderterlei Art, bis
Tschang ta ho, der sah, wie unerträglich dieser ihre Lage wurde,
sich mit schwerem Herzen entschloß, ihr ein Abschiedsgeschenk zu
machen und sie dann au einen rechtschaffenen Mann zu verheiratheu.
Seine Diener empfahlen ihm Usnng's Bruder, den Pastetenbäcker
U-da, der im Hause zur Miethe wohnte, und Tschang ta ho, dem
nichts erwünschter war, als die Persou deu ganzen Tag unter Augen
zn haben, ergriff die Gelegenheit mit Freuden und gab sie dem
U-da umsonst, ohne sich auch nur einen Heller von ihm bezahlen zu
lassen."
Bald darauf starb der alte Sünder, und die Wittwe hatte
nichts eiliger zu thuu, als ihre Rivalin ans dem Hanse zu jageu;
— deu Mauu natürlich mit. Ueber Letztern berichtet der Roman:
„Da die Leute feine Schwäche und zwerghafte Gestalt sahen,
so gaben sie ihm Spitznamen, wie „der anderthalbzöllige Nagel,"
oder „ die UlmenrindeDie Namen waren nicht übel gewählt,
denn sein ganzer Körper war runzelig und häßlich, Kopf und Gesicht
schmal uud klein."
„Pan kiu liau hatte, nachdem sie den U-da geheirathet, seine
Schwäche und Unbedeutendheit erkannt, verabscheute ihn und lebte
mit ihm in beständigem Zanke. Des Tschang ta ho überdrüssig
klagte siel Sind denn alle Männer in der Welt alle geworden? —
Sie trinken nur immer Wein, uud wo es zu eilen gilt, sind sie wie
augenagelt und bewegen sich nicht! Ju welchem Leben **) habe ich
nur gesündigt, daß ich in dieses Pech hineingefallen bin? Ach,
Jammer ohne Ende!"
So oft sie allein war, sang sie das Lied „ Schan Po hang" :
„Ju denke an die vergangenen Zeiten, — mein Schicksal ist
verfehlt! Ich habe dich für einen Mauu gehalten, — mich selbst
rühme ich nicht; wie kann der Rabe mit dem Phönix verglichen
werden? Ich bin wie das reine Gold, begraben im Schöße der
Erde. — Jener ist nur eiu Stück Messing: kann das mit meiner
Goldfarbe verglichen werden? Da er nur eiu Stück gemeines
Gestein ist, durch welches Glück umschlingt er meinen schneeweißen
Edelsteinnacken ? Wie die Glückseligkeitsblume, die auf dem Mist-
Haufen wächst, bin ich mit ihm durch das Schicksal gepaart.
*) D. i. goldene Wasserlilie, die poetische Bezeichnung für die einge-
schnürten Füßchen der Damen.
**) Bezieht sich auf die Seelenwanderung.
Globus für 1862. Nr. 2».
Wie freudlos ist es iu meinem Innern! Hört mich! ich bin ein
goldener Mauerziegel: wie bin ich mit dem Erdbewurfe zufam-
mengekommen?"
„Wer dies liest, der höre: Jedes Weib heutzutage, wenn sie
nur einigermaßen hübsch uud klug uud geschickt ist, will nur einen
guten Mann haben. Wenn einer wie U-da ist, mag er noch so viel
gute Eigenschaften haben, — immer wird er Anlaß zn Ekel und
Ueberdrnß geben. Von Alters her haben schöne Leute selten ein
tugendhaftes und verständiges Paar abgegeben, eben so wenig, wie
Gold kaufende nnd verkaufende Leute zusammenpassen."
„U-da ging täglich aus, um seine Pasteten nmherzutragen, und
kam erst Abends zurück. Pau kiu lian stand, wenn der Mann
außen war, den ganzen Tag unter dem Thürvorhange*), biß
Melonenkerne auf, steckte ihre kleinen Füßchen geflissentlich hervor
und lockte so leichtsinnige Menschen an. Täglich gab es deren, die
an ihrer Thür unbesonnene Reden führten, scherzten nud sangen.
Sie sprachen: Wie ist so ein gutes Stück Hammelfleisch einem
Huude iu's Maul gefallen? und dergleichen Scherze mehr. So
konnte denn U-da nicht länger iu der braune» Steingasse wohnen
bleiben, er mußte sich mit seiner Frau über einen Wohnungswechsel
berathen. Die Frau sprach: „Wenn Du unwissender, dummer,
erbärmlicher Mensch Dich bei Jemand einmiethest, wo wenige und
kleine Zimmer sind, so werden gewiß niederträchtige Menschen
kommen und Dich angreifen. Sammle doch lieber eiu paar Tael
Silbers uud miethe dann einige Zimmer in einem anständigen
Hause; das macht doch einen bessern Eindruck und Du wirst die
Neckereien der Leute los!" „Wo soll ich aber," meinte U-da, „das
Geld hernehmen, um eiu solches Haus zu mietheu?" Pan kin liau
spuckte aus: „Dummes Vieh!" rief sie „Du bist eiu Mauu, aber
eiu tölpelhafter! Wirst Du uie aufhören, wie ein altes Weib mich
zur Verzweiflung zu bringen? Wenn Du kein Geld hast, so
verkaufe doch meine Haarnadeln; das hält nicht schwer, uud wir
werden sie bald wieder ersetzen können."
5. Die Höflichkeit.
Eines Tages begegnet U-da seinem herkulischen Bruder. Beide
sind herzlich über das Wiedersehen erfreut und Usuug muß dem
Bruder iu seiue Wohnung folgen. Dort angekommen setzen sie
sich auf den Söller. Dann rief U-da die Pan kin liau, mn sie dem
Usuug vorzustellen: „Der neulich auf dem Kiang-kang Gebirge den
Tiger erschlagen hat, ist dieser, Dein Schwager. Jetzt ist aber
mein leiblicher Bruder Polizeipräfekt. "
Pan kin lian verneigte sich und sprach: „Möge Ihnen alles
Glück zu Theil werden. "
Usuug verneigte sich daukeud und wollte sich niederwerfen;
aber die Schwägerin hielt ihn zurück: „Halten Sic an! Ich geringe
Frau müßte befürchten, ihrem Glücke im Wege zn stehen."")
„Schwägerin," bat Usuug, „nehmen Sie die gebührende Ehr-
bezengnng an!" Beide begrüßten sich nochmals gegenseitig. —
Schon jetzt stellt Pan kin lian insgeheim Vergleiche zwischen
deu beiden Brüdern an und natürlich trägt dabei U-da nicht den
Sieg davon. Bald fragt sie: „Wie alt sind Sie?"
„Ich habe," antwortet Usnng, „unverdienter Weise mein acht-
nndzwanzigstes Jahr erreicht."
Uns erscheint die Frage ebenso tadellos, wie die Antwort
komisch. Der Chinese sieht iu erstem nichts Unpassendes, in letzte-
rer eine ihm sehr geläufige Phrase der Bescheidenheit. Auch zieht
die junge Frau gauz unbefangen den Schluß: „Da sind Sic ja
drei Jahr älter als ich."
In dem Lande, „wo Alles verkehrt ist", lieben es nämlich die
*) D, h. in der Hausthür, welche durch eine Art Marquise oder Nou>
lean geschützt ist.
**) Nämlich: wenn ich dnldete, daß Sie sich so vor mir erniedrigen.
19
146
Neapolitanische Charakterköpfe.
Damen mehr, sich ein höheres Alter zu geben, als umgekehrt. Je
älter, desto respektabler, denken sie.
Der Leser hat geahnt, daß Usnng schon jetzt in Pan kin lian's
weitumfassenden Herzen einen großen Raum einnimmt. Der Schrift-
steller zeichnet das Verhältniß zwischen der nicht mehr ganz jngend-
licheu, aber um so verliebteren Schwägerin und dem frischen aber
kühlen Schwager in einem hübschen Bilde:
„Die verwelkte Blume folgt freiwillig dem fließenden Wasser;
aber das fließende Wasser kümmert sich nicht um die verwelkte
Blume." —
Neapolitanische Charakterköpfe. *)
ii.
Der charakterlose Witzbold Filomeno Alessandroni. — Salvatore Morelli, der Volksdichter und Idealist, — Der Republikaner Nicotera. — Lorenzo Zaccaro
als Reformator der Kirche. —
Nachdem wir zwei Leute aus dem eigentlichen Volke in ihren
Eigeuthümlichkeiteu betrachtet haben, wollen wir jetzt einen neapo-
litauischen Gelehrten, der in der That ein wahres Universalgenie
ist, nämlich Filomeno Alessandroni, den launigen Redakteur
des Witzblattes „Arlechino", in Augenschein nehmen. Schon
sein Aeußeres deutet auf eine ungewöhnliche Persönlichkeit hin. Er
ist von mittler Größe, doch lenkt seine interessante Physiognomie
sofort die Aufmerksamkeit eines Jeden auf ihn. Mit einem
stechenden, durchdringenden Blicke, den selbst ein Unbefangener
kaum zu ertragen vermag, vereint sich in seinen Zügen ein Aus-
druck von unverwüstlicher Laune, der sich nicht schildern läßt.
Gleichwohl schimmert dazwischen wieder ein so gutes Theil Ber-
schmitztheit hindurch, daß man kein großer Physiognomiker zu sein
braucht, um zu erratheu, daß seine überaus spitze Feder immer
nur der siegenden Partei gehört.
Signor Filomeno Alessandroni schreibt gegen Verschwiegenheit
und Geld für die Blätter aller Parteien und läßt oft die Feder
nicht trocken werden, um eine Meinung, die er eben noch mi^
kühnster Sophistik in dem einen Blatte vertheidigt, im nächsten
Augenblicke mit der ganzen Lange seines kostbaren Witzes in einem
für ein gegnerisches Blatt geschriebenen Artikel als Blödsinn dar-
zustellen. Seine Weltanschauung ist die des vollendeten Cyuikers,
dabei aber äußert sie sich in so liebenswürdig naiver Weise, daß
man ihm gegenüber seiner grenzenlosen Gesinnungslosigkeit kaum
zürnen mag, wenn er sich mit den Worten entschuldigt: „Was
wollt Ihr? Das Stachelschwein hilft sich durch seine
Stacheln fort, ich friste mein Leben durch meine Feder. Mir
ist die ganze Welt viel zu klein, als daß ich mich über irgend
etwas Anderes ärgern könnte, als wenn mich hungert, während
dumme Esel Champagner trinken."
Für gewöhnlich geht Alessandroni mit den Mazzinisten um
uud schreibt ihnen die bissigsten Leitartikel. Seine Freundschaft zu
den Mazzinisten hindert ihn jedoch nicht, nebenbei der gute Rath-
geber des Polizeipräfekteu von Neapel zu sein, denn diese Rath-
schläge tragen ja Geld ein, uud Geld, sagt Filomeno, braucht
man, wenn uns die Welt nicht, statt mit Brot, mit Fußtritten
regaliren soll. Leider braucht aber Filomeno sehr viel Geld, denn
er ist den Nymphen der schönen Golfstadt von ganzer Seele ergeben,
und diese Nymphen geben ihrer Sprödigkeit nnr gegen den Sirenen-
klang der Piaster den Abschied. Außerdem hat er offenbar zn
feinem Unglück in der Jugend den Horaz zu sehr studirt uud das
„nunc est bibcndum" des römischen Dichters zn gut auswendig
gelernt, um es je wieder vergessen zn können. Aber man muß ihn
sehen, wenn er nach des Aages Last uud Mühe, nachdem er seine
tapfere Feder in allen Lagern der Politik spazieren geführt, in einer
Cantina (Weinkeller) dein Bacchus opfert. Daun ist er ganz er
*) Siehe Seite 89.
selbst, und sein seltenes Genie, dem die Götter keine Znthat, mit
einziger Ausnahme der Gewissenhaftigkeit, verweigerten, glänzt
dann in den seltensten Farben und gefällt sich in den wunderbarsten
Sprüngen des Humors. Um ihn her schallt beständig unans-
löschliches, homerisches Gelächter, neben ihm leert sich wie durch
Zauber Flasche auf Flasche, sein Mund bleibt nicht still, immer
wieder znckt ein neuer Witz hervor und dabei schreibt er gemüthlich
von Zeit zn Zeit eine Stelle für seinen Arlechino oder entwirft
für denselben mit gewandter Hand irgend eine jener Karrikaturen,
die nur aus dem Hexengebräu der Phantasie eines so seltsamen
Genies hervorwuchern köunen. Plötzlich aber wird er hinaus-
gerufen. Ein Theaterdiener bittet ihn, zu dieser oder jener Sängerin
nach dem San Carlo-Theater zu folgen, und wenige Augenblicke
nachher schreibt er in der Garderobe einer Bühnenprinzessin unter
ihren Umarmungen die Recension über die heutige Vorstellung,
welche er gar nicht geseheu, und die doch Alle wieder morgen als
ein Muster geistvollen Styls und tiefer Beobachtungsgabe rühmen
werden.
Daß Filomeno mich Improvisator ist, versteht sich ganz
von selbst. Und wie improvisirt er! Vers ans Vers fließt wie ein
luftiges Fatamorganabild aus ferner Seele, ohne daß er sich auch
nur zu besinnen brauchte. Aber plötzlich im schönsten, lyrischen
Schwünge gefällt es seinem Capriccio, ans dem reinen Himmel der
Idee in den tiefsten Schmutz Neapels herabzufallen und Zoten zu
versisiciren, gegen die ähnliche Leistungen antiker Dichter kindisch-
unschuldige Versuche sind. — Bei Tage geht er nie ohne eine
tüchtige Reitpeitsche ans, mit der er jedem Lazzarone, der nicht flink
auf sein Kommando springt, sofort regalirt. Er hat noch nie für
die Besorgung eines Billet-donx einen Grano bezahlt. Seine ge-
fürchtete Reitpeitsche überwindet alle Snbtilitäten der gemeinen
Neapolitaner gegen unbezahlte Dienstleistungen.
Aber wie ihn die Kleineu fürchten, so fürchten ihn auch die
Großen, welche er mit den Großthaten seiner Feder im Arlechino
traktirt. Filomeno Alessandroni könnte ein großer Mann sein,
wenn er menschliche Größe nicht für einen Wechsel hielte, der erst
nach Lebensabschluß ausgeglichen wird. Er könnte reich sein,
wenn er es nicht bequemer fände. Andere Geld bewachen zu lassen,
das er durch die Waffe seiner Feder, wenn er es braucht, in die
Hand bekommen kann. Er könnte geachtet sein, wenn er es nicht
vorzöge, der ganzen Welt seine Verachtung dadurch zn beweisen,
daß er sich vor ihr jnst, wenn es ihm gefällt, iu den Schmutz
wälzt. Filomeno Alessandroni schrieb schon unter deu Bourboueu au
seinem Arlechino, und die Polizei der Bourbonen war lange nicht
klug genug, um ihm auf den Pelz kommen zu können; dafür hat
sie seine Moral vergiftet. Filomeno ist der wahre Typus des durch
und durch begabten aber verderbten neapolitanischen Volkes, welches
der Despotismus (— aber dieser nicht allein —) zum physischen
wie moralischen Proletarier gemacht hat. Das Einzige, was
Neapolitanische Charakterköpfe.
147
Alessandroni sich aus den Zeiten höherer Menschenwürde gerettet
hat, ist die treue Liebe zu seiner armen Mutter und Schwester, welche
er durch feine Feder ernährt. Wer ihn je lachen und Witze sprudeln
sah, wer je seine geistvollen Aussätze und Diatriben las und danu
sein Leben und Treiben, das eigentlich ein selbstbewußtes Schlamm-
bad ist, betrachtet, kann sich nicht enthalten, ihn mit den schönen
Ruinen seiner Heimath zu vergleichen, aus denen trotz alles
Moders und aller Verwesung immer wieder frischer Epheu und
frische duftende Blumen hervorsprossen. Was hätte aus ihm iu
anderen Verhältnissen und anderer Zeit Alles werden können!
Im Alterthum wäre er sicher eiue Art vou Alcibiades ge-
Wesen. Oft, wenn ich Abends neben ihm saß, kam ich nn-
willkürlich auf deu Gedanken der Seelenwanderung oder glaubte
mich in eine jener lustigen athenischen Gesellschaften versetzt, wo
der leichtsinnige Liebling des Perikles mit seinem Geist und seiner
Laune Fangball spielte.
Wir würden das neapolitanische Schriftstellerthum nicht au-
schaulich darstellen, wenn wir nnserm Alcibiades Filomeno nicht
einen andern Charakterkopf in dem bekannten Dichter und Schrift-
steller Salvatore Morelli entgegenstellten, der, so weit dies
unter dem lächeludeu Himmel Neapels eben möglich ist, das
larmoyante Fach vertritt.
Salvatore Morelli ist von kleiner, untersetzter Gestalt, mit
einer Physiognomie, die unwillkürlich au die Formation der Spitz-
maus erinnert. Aus seinen klaren Augen schaut ein gutmüthiger,
gemüthlicher Geist, zeitweis jedoch auch ein maßloser Hochmnth
heraus. Er schätzt Philosophie und Poesie als die beiden höchsten
Genien, welche das Leben der Sterblichen erleuchten, sich selbst
hält er für den auserlesenen Erdensohn, bei dem sie beide schon an
der Wiege, wie weiland die glückbringenden Feen des nordischen
Märchens, Pathe gestanden. Er ist der bescheideneu Ansicht, daß
er allein der Mann sei, alle Probleme der Zukunft zu löseu, wenn
seine undankbaren Mitbürger seinen Geist durch die ihm gebührende
Ruhmesspende zum höchsten Fluge begeistern werden. Um des
ihm nöthigen Quantums Ruhms theilhaftig zu werden, hat er
seine bedeutende Begabung bisher auf alle möglichen Arbeiten
zersplittert, die ihm aber, eben weil er zu vielerlei treibt, nicht das
Ansehen verschafft haben, das er unfehlbar erreicht haben dürfe,
wenn er mit seinen Geisteskräften mehr Maß zu halten und sie iu
einem bestimmten Fache zn concentriren wüßte.
Aber nicht blos seine Fähigkeiten hat er in jeder möglichen
Weise strapazirt, um das Phantom des Ruhms mit beiden Händen
zn ergreifen. Auch sein nicht unbedeutendes Vermögen hat er au
diese trostlose Hetzjagd verwandt und nunmehr fast gänzlich ansge-
zehrt. Es dürfte sich schwer berechnen lassen, wie viele hundert
Ducati er sonst immer während eines Monats daran spendirte,
nm seinen Namen in den Blättern genanut zu sehen. Das
von ihm geschriebene inoralphilosophische Werk „La Donna e la
Seienza" (Die Frau und die Wissenschaft) hat ihm allein durch
Druck, Reklamen und Anzeigen nahezu an 2000 Ducati gekostet.
Leider ist es zu gelehrt geschrieben, um populär zu werden, was
es wirklich verdiente. In diesem ganz schätzbaren Werke will er
nachweisen, daß die Zukunft der Menschheit iu deuHändeu
der Frauen liege, da dieselben den Bürger zur Welt bringen
und ans ihn den ersten und für das ganze Leben wichtigsten Einfluß
üben. Den Gedanken zu diesem Werke faßte er während seiner
traurigen zwölfjährigen Gefangenschaft als politischer Verbrecher
iu den furchtbaren Kerkern von Jschia. Denn Salvatore Morelli
ist, seine Ruhmesuarrheit ausgenoiumeu, ein Ehrenmann und Po-
litischer Märtyrer, der iu seinem 35. Jahre schon graue Haare hat,
— eiue Folge seiner Kerkerleiden. Er ist nun einer der eifrigsten
Mazzinisten und hat sich in jüngster Zeit darauf gelegt, das Volk
durch politische Lieder zu erziehen. Einige seiner Volkslieder sind
in der That nicht ohne Schwnng und Werth, allein gerade diese
letzte Manie, Volksdichter zu werden, hat seinem Vermögen den
Gnadenstoß gegeben. Er ließ nämlich, sobald er irgend ein neues
Lied gedichtet, dasselbe sofort komponiren und griff danu jeden
Lazzarone, den er erwischte, ans der Straße auf, lud ihn zu sich,
traktirte ihn und bezahlte ihm Geld, damit er sein Lied auswendig
lerne uud singe. Diese Taktik hat ihn jetzt geradezu iu große
Dürftigkeit gebracht. Gleichwohl aber ist er uicht zu bewegen ge-
wesen, irgend eines der ihm mehrere Male vom Turiner Ministe-
rinm angeboteneu Aemter anzunehmen, weil er sich zn sehr in sein
politisches Märtyrerthum verliebt hat und lieber hungern als
diesem entsagen will. Eines seiner besten Volkslieder beginnt mit
dem Verse:
Figliuoli noii piangcte,
Se searso cibo avete ;
II cuor di Garibaldi
Avrli di Voi pieta!
(Ihr Niedrigen und Kleinen
Mögt nicht vor Hunger weinen;
Das Herz des Garibaldi
Erbarmt sich Euer bald!)
In Bezug darauf fragte ihn eines Tages ein reaktionäres
Blatt, wann denn das Herz Garibaldi's sich Seiner erbarmen werde,
daß er am Abend jeden Tages wisse, ob er morgen etwas zn leben
finden werde?
Die Sucht, zu glänzen und nach mehr auszusehen, als man
wirklich repräsentirt, ist überhaupt eiu Nationalfehler der Neapoli-
taner, und Leute, welche sich dies Aussehen ganz besonders gaben,
werden vom Volkswitz mit dem Spottnamen Don Cicillo be-
ehrt. Der Don Cicillo ist eigentlich der arme Edelmann, der sich
womöglich mit einem Herzogstitel brüstet, aber kaum täglich 5 Gram
Rente zu verzehren hat. Aber anch der Bürger, welcher mit dem-
selben geringen Einkommen es unter seiner Würde hält, sich Geld
zn erarbeiten, der immer mit wohlsrisirtem Haar, wohlgewichstem
Bart, weißem Hemdkragen (oft ohne Hemd, nicht selten sogar von
Papier), nie fehlenden Glanzhaudfchnhen, Stegreifen und Glanz-
stiefeln geht, die Reitpeitsche trägt, ohne je ein Pferd bestiegen zu
haben, nicht zu Mittag ißt, aber deu ganzen Tag in deu Kaffee-
Häusern herumlungert, trägt den Spottnamen Don Cicillo.
Sehen wir uns dagegen jetzt einen wahrhaften Edelmann in
der Person des berühmten Barons Nicotera an, der im Jahre
1850 unter dem unglücklichen Rosalino Pisacoue mit einem Häns-
lein verwegener Patrioten einen Einfall in Kalabrieu machte, dort
die Gefängnisse der politischen Gefangenen öffnete, in der Nähe von
Potenza jedoch von einer allzugroßen Uebermacht königlicher Truppen,
nach heldenmütiger Vertheidignng, geschlagen, verwundet und
gefangen wurde. Baron Nicotera, der deu Titel vor seinem Namen
aus republikanischem Stolz weggestrichen hat uud sich ganz einfach
Bürger Nicotera nennen läßt, ist mit der Tochter des durch seine
Leiden um de? Sache der Freiheit willen berühmt gewordenen
Barons Poerio vermählt, die ihn iu seiner gefährlichen Laufbahn
als treue uud tapfere Genossin begleitet. Obwohl nicht zu groß,
ist er doch schlank gewachsen und trägt einen antiken Kops mit Voll-
bart und dem Ausdruck entschiedener Energie, wie er ans den
Körper jedes Spartauers gepaßt habeu würde. Gleich den Helden
des Alterthums ist er bereit, sein ganzes Leben der Sache seines
Volkes, welches er mit südlicher Glut liebt, zn opfern. Er hat
lange Jahre im Kerker geschmachtet und in einem sicilianischen Ge-
fängnisse selbst die Tortur erduldet. Mit Schwert und Feder
kämpft er nun unausgesetzt für seiu geliebtes Vaterland, seit er
durch Garibaldi IS60 befreit worden. Er ist der gefürchtetste Re-
pnblikauer iu ganz Italien, ein Todfeind des Turnier Ministeriums,
das ihn jetzt, nachdem es ihm gelungen, dem General Pallaviciuo
in der Affaire bei Aspromeute zu entgehen, mit rastloser Emsigkeit
verfolgen läßt. Sein einziger Ehrgeiz ist, seiner Partei zum isiege
zu verhelfen. Baron Nicotera ist das Bild des neapolitanischen
Volkes, wie es sich erheben wird, wenn es die Flecken langer Knecht-
schaft abgewaschen und nnter dem Lichte der Freiheit uud gesunder
Erziehung sich wiedergeboren haben wird. Ja. ich glaube nicht zu
19 *
148 Leben und Treiben auf dein Marktplatz in Rio Grande do Snl, Süd-Brasilien.
viel zn sagen, daß Nicotera, der ebenso kühn und tapfer wie Gari-
baldi selbst ist, einst nach dein Tode dieses ersten Helden Italiens,
wenn es nöthig sein dürfte, dessen Mission mit dem Schwerte wieder
aufnehmen und glücklich zu Eude führen wird.*)
Ich glaube, diese Galerie neapolitanischer Charakterköpfe,
deren ich noch viele auszeichnen könnte, für jetzt nicht würdiger be-
schließen zn können, als indem ich noch einen Blick auf den Refor-
mator Italiens, den unermüdlichen Bekämpfer des weltlichen
Papstthuins, Lorenzo Zaccaro, werfe. Lorenzo Zaccaro, der
Gründer nud Präsident des Vereins für gegenseitige Unterstützung
des liberalen italienischen Klerus, ist 1815 in San Lorenzo Bellissi,
einem kleinen Orte Calabriens, geboren. Wie Luther, so rühmt
auch er sich aus dem Volke zn stammen. Von seiner Familie zum
Priester bestimmt, trat er frühzeitig in ein Seminar, that sich
bald durch seine Geistesgaben hervor und ward schon in seinem
dreinndzwanzigsten Jahre Priester und Professor aiu Seminar zn
Cassano, wo er sich bald einen bedeutenden Ruf als Kanzelredner
erwarb. Die Polizei fand jedoch seine Predigten und Schulvor-
träge zu liberal und untersagte ihm Beides. Ans seiuer Thätigkeit
herausgerissen, ging er nach Neapel, wo er sich ausschließlich mit
philosophischen Studien beschäftigte und mehrere philosophische
Arbeiten veröffentlichte; durch diese erwarb er sich einen geachteten
Namen.
Im Jahre 1848 schloß er sich mit ganzer Seele der Bewegung
an und redigirte damals zwei politisch-religiöse Blätter, deu
„Amico del Popolo" und die „Religione e Liberia", die beide sich
durch ihre ebeuso liberale als ,naßvolle Sprache auszeichneten nud
seineu politischen Takt, durch seine seltene Vorhersieht in die Zu-
kunft, offenbarten. Im Jahre 1850 machte ihm die bonrbonische
Regierung einen Prozeß, er entging ihr jedoch, indem er sich in
*) Es darf übrigens nicht außer Acht bleiben, das; zwischen dem Despo
tismnS, welcher ein Volk knechtet, und dein geknechteten Volk eine Wechsel-
wirkung vorhanden ist. Bei den Süditalienern ist offenbar das anthropolo-
gisch ethnische Element wesentlich in Anschlag zu bringen; die Blutmischung
dort war seit vielen Jahrhunderten nicht derart, einen straffen Volkscharakter
auskommen zu lassen. Gewiß wird es ein Glück sein, wenn Neapel weder
bourbonischer noch piemontestscher Zwangsherrschaft unterliegt, und die letztere
ist jetzt ärger als die erstere je gewesen; wir glauben aber, daß man die
Hoffnungen in Betreff einer nachhaltigen sittlichen EntWickelung des Voltes
in Süditalien nicht allzuhoch spannen dürfe. Red.
die Abtei von Monte-Cassino flüchtete. Als 1853 das über ihm
schwebende Gewitter sich etwas verzogen hatte, verließ er die Ab-
tei und begab sich als Rektor des Seiuiuars nach Bojano in der
Provinz Molise. Allein bald ward er wegen seiner liberalen Ge-
sinnung von dort vertrieben, nud so ging er wieder nach Neapel,
wo er sich ganz in seine Studien begrub, bis er 1857 verhaftet und,
obwohl unschuldig, iu deu Prozeß Agesilao Milauo's verwickelt
wurde. Zwei Jahre lang schmachtete er in den furchtbaren Ge-
fängnissen der Concordia, deren Pforten sich ihm erst wieder öffne-
ten, als Franz II. am 28. Juni 1860 die Konstitution, welche Gari-
baldi's Siege iuSicilieu ihm abgerungen, erließ. Mitten unter den
Stürmen der Revolution von 1860 bereitete Lorenzo Zaccaro sein
größtes Werk vor. Lange schou hatte er sich mit dem Gedankeu
eiuer „Reformation der katholischen Kirche getragen, welche den
Katholicisnms mit der menschlichen Vernunft aussöhnen und unter
der Reinheit des ursprünglichen Christenthums alle Sekten der
vielgespaltenen Christenheit wieder vereinen möge." Zu Ansang
Januars 1861 gelang es ihm, die bekannte Associazione di mutuo
soccorso del Clero liberale italiano zu gründen nnd gleichzeitig ein
religiös-politisches Blatt, welches die Idee der neuen Reformation
verficht, nuter dem Namen La Colonna di Fnoco (Die Fenersänle)
in's Leben zn rufen.
Dieser Vereiu hat sich seitdem durch Zweigvereiue über ganz
Italien ausgedehnt nnd bereitet die Gründung einer „Italienischen
Nationalkirche" vor. Lorenzo Zaccaro arbeitet unermüdlich für
die reine Lehre nnd für feiu Vaterland, während er sich feinen
Lebensunterhalt dadnrch gewinnt, daß er eine von ihm gegründete
Lehranstalt, in welcher er Philosophie nnd Aesthetik vorträgt, als
Direktor verwaltet.
Die Gestalt Zaccaro's ist mittelgroß, seine Haltung sehr würde-
voll, seiu nahezu klassisches Profil wird durch deu sreuudlich-ernsten
Ausdruck seiner Züge und den geistvollen Blick seiner großen Augen
angenehm belebt. Sein Vortrag ist voll südlicher Lebendigkeit
nnd doch immer voll Maß. Er spricht weniger schnell als klar
und deutlich und immer voll Eindruck auf feine Zuhörer. Lorenzo
Zaccaro wird, wie feine Anhänger glauben, iu Italien das voll-
enden, was Arualdo di Brescia. Savanarola und Giordano
Bruno vor ihm ruhmvoll begonnen haben.
Eduard Rüffer.
Leben nnd Treiben aus dem Marktplatz in Rio Grande do Zn!, Siid-Srasilien.
Rio Grande do Sul, 10. August 1862.
Unser Marktplatz bildet, wie in allen Städten Südamerikas,
nach alter portugiesischer nnd spanischer Sitte ein im Viereck auf-
geführtes niedriges Gebäude, das äußerlich mit Luken und iu-
wendig mit Verandas versehen ist. Dasselbe liegt am Hafen und
bildet den Hintergrund des Municipalplatzes, der öffentlichen
Promenade gegenüber. Auf der Nordseite dieses Platzes steht das
großartige Zollgebäude mit seinem mächtigen Thore, durch welches
Maaren im Werthe von manchen hunderttausend Dollars ge-
schafft werden.
Wenn man vom Zollamte hinunterschreitet nach dem Gestade,
wo Schiffe aller Nationen ankern, kommt mau au der Börse
vorüber, einem nicht großen, aber hübsch ausgeführten Gebäude.
Hieran reiht sich, in kleiner Entfernung, das Marktgebände.
lieber das niedrige Dach heben sich stolz die Masten einer Menge
von Kauffarteischiffeu empor. Die andere Seite des Markige-
bäudes, uach dem Platze zu, wird abgeschlossen vom Gebäude der
Mnuieipal-Kammern, das ebenfalls in hübschem und solidem Styl
gebant ist. Gegenüber dem Zollgebäude liegen die Magazine für
deu Kriegsbedarf; an diese reiht sich das palastähnliche Haus des
Vice-Präsidenteu der Provinz, jetzt Obristlieutenaut Porsirio Ferreira
Nuues. Die Vorderseite des Platzes bildet die stattliche Hänser-
reihe der Rua da Praia. Von hier führt die öffentliche, mit
Bäumen eingefaßte und mit gußeisernen Bäukeu versehene Prome-
nade hinab ans einen mit Sandsteinen geflasterten nud mit Sitzen
versehenen breiten Wege zum Marktgebäude.
Dieses bildet, wie schou gesagt, du Qnadrat und hat inmitten
jeder Seite desselben einen großen Eingang. Im Innern finden
wir einen großen viereckigen, mit Bäumen beschatteten und iu der
Mitte mit eiuer Cisterue versehenen Platz, der auf allen vier Seiten
von Kolonnaden umgeben ist. In diesen siud viele Fleischbuden,
ans welchen das Volk sein Hauptnahrungsmittel, das Fleisch,
holt. Zwischen den Pfeilern stehen Bäcker und Schweineschlächter
und halten die Produkte ihrer Industrie feil.
Das eigentliche rege nud charakteristische Leben nnd Treiben
aus dem Markte bewegt sich ans dem freien Platze in der Mitte.
Folge mir der geneigte Leser des Globus einmal am Morgen, etwa
Leben und Treiben auf dem Marktplatz in Rio Grande do Snl, Süd-Brasilien.
149
um 7 Uhr, dorthin, um unter dem Dräugeu der Menschen aller
Klassen uud aller Nationen sich dieses Marktgewühl anzusehen.
lim die Gemüse- uud Früchtekäufer herum drängt sich eine
lebhafte Menge; hier die Neg erin mit ihrem grellfarbigen Kleide
und bunten Turban; dort die gelbliche Mulattin, welche
Kleidung und Mienen ihrer Herrschaft nachahmt; sodann der
Neger mit seinen mächtigen Armen, schwellenden Lippen, Herr-
lichen Zähnen und wolligem Haar. Trotz seines schmutzigen
Hemdes und rother wollener Zipfelmütze macht er der hübschen
Mulattin des Hauses den Hof und trägt ihr den Korb mit deu Ein-
känfen. Außer diesen Typen, welche dem Süden eigen sind, sehen
wir sodann den deutschen Schiffsjungen mit blauem Hemd
und flachsenem Haar, den englischen Seemann mit seiner sussi-
sauten Miene, den brasilianischen Marine-Matrosen in
seiner hübschen Uniform, und endlich hie und da ein germanisches
blondgelocktes Köpfchen, welches dem Dienstmädchen irgend eines
deutschen Hanfes angehört. Alles kauft, Alles schreit, Alles schwirrt
durcheinander; aber Alles wird übertönt von den kreischenden
Stimmen und seltsamen Gutturallauten der „Neger von Nation",
das heißt der aus Afrika importirten. Diese thierischen Schreie
sind unerträglich und machen es dem Fremden schwer, in diesem
Gewirr und Geschwirr auszuhalten. Da sitzen sie zwischen ihren
Gemüsen, diese Qnitandeiras (Negerinnen), deu bunten Shawl
um den Kopf gewunden, geschmückt mit Armbändern und Hals-
ketten von Glasperlen in allen Farben, in einer Kokosschale die
eingenommenen großen Kupferstücke sammelnd, nnd unaufhörlich
mit gellendem Schreien in allen Tönen der Skala ihre Waare an-
preisend. Diese Ausrufungen werden nur durch eiue andere
Thätigkeit der Kinnladen unterbrochen, denn mit gieriger Hast
wird inzwischen der Pirao (Brei von Mandioca-Mehl) mit den
Fingern dem Munde zugeführt. Die Kinder, kleine schwarze Krea-
tnren, spielen um die Mutter herum. Andere haben ihre Säug-
linge mit dem Shawl ans dem Rücken festgebunden, uud
während sie verkaufen oder essen, nimmt das kleine Wesen seine
natürliche Nahrung in dieser scheinbar unnatürlichen Lage über
die Schulter hinweg zu sich. Neben der Negerin sehen wir
den Gemüsebauer, einen Sohn der nahe gelegenen Inseln, der die
Produkte derselben zu Markte bringt.
Wenn wir nun unsere Aufmerksamkeit den zum Verkaufe ge-
botenen Gegenstände zuwenden, so fallen uns zuerst in's Auge die
großen Haufen riesenhafter Zwiebeln, die im Sandboden Rio
Grandes (dieser „Königin des Meersandes", wie Av6 Lallemant
sagt) vortrefflich gedeihen. Neben ihnen sehen wir Berge von Kür-
bissen, Abobaras nnd Mngangos genannt, die vom Brasilianer
geschätzt werden. Große Haufen Wassermelonen thiirmen sich auf,
während daneben große Körbe mit Weintrauben zum Kauf eiu-
laden. Wir sehen Massen von Früchten aller Art, neben den euro-
päischen Aepselu uud Birnen die Bananen, die herrlichen Königs-
und die kleinen Bergamot-Orangen, die wohlschmeckenden GoiavaS,
die aromatischen Ara?as, die gelbe Quitte (Marmello), die große
Kokosnuß, deu hiesigeu kleinen, aber wohlschmeckenden Pfirsich, die
duftende Pitanga, die Frucht des Pmheiro, die kleine Goavirovas,
uud viele andere Arten schöner, wohlschmeckender Früchte, die wild
im Walde wachsen und nnr die Mühe des Pflückens nnd Sammelns
verursachen. An anderen Orten des Marktes finden wir, nebst
allen europäischen Gemüsen, das Senfkraut, die vielfachen spani-
schen Pfefferarten, unzählige Kohlarten, Quiuhombos, Batatas,
Chuchäs, Mais, Zuckerrohr, Mandioea-Wurzeln nnd viele andere
Artikel.
Gehen wir nun zum südlichen Thore des Marktgebäudes
hinaus, so gelangen wir ans der einen Seite zum Holzmarkt, ans
der andern zu den Fischständen, die an jedem Tage, reichlich mit den
silberschuppigen Bewohnern des Meeres versorgt sind. Eine große
Menge wohlschmeckender Fischarten, von der drei Fuß langen Baia
und der nicht minder großen Miraguaga, oder dem großen nnd
stachen Lingnado bis zum kleinen widerwärtigen Bagel, dem Lieb-
lingssische der Neger, und zum silberschimmerudeu, kleinen nnd wohl-
schmeckenden Königssische, dessen Oberkiefer in einem langen Stachel
endet, — sie alle werden hier feilgeboten; dazu kommen große
Haufen von kleinen Seekrabben, häßliche Meerkrebse nnd viele an-
dere Thierarten ans dem Wasserreiche.
Auf der andern Seite sitzen auf deu Steinbänken, diu den
Weg zur Promenade einschließen, die Milchverkäufer, welche auch
mit Butter, Käse, Eiern, Hühnern, Schweinen, Ferkeln, zahmen
und wilden Enten, Gänsen uud Schnepfen, Ma?aricos uud der-
gleichen mehr handeln. Wir finden außerdem die rosenfarbige
Löffelgans, die große Pato arminho nnd andere beflügelte Bewoh-
ner der Lagoa dos patos, welche von den unzähligen Vögelarten,
die sie beleben, ihren Namen hat. *)
Der Leser des Globus wird sich nach dieser Beschreibung doch kein
vollständiges Bild eines brasilianischen Marktes entwerfen können.
Die Lebhaftigkeit der Käufer und Verkäufer, das Drängen sehr ver-
schiedener Menschenracen, das Geschrei und di e für d eu Frem deu
unerträgliche Ausdünstung der Neger, das Alles wirkt
betäubend und man zieht sich gern nach den Kolonnaden zurück, nm
von dort den Blick über die wimmelnde und feilschende Menge
schweifen zu. lassen. Aber an den Fleischbuden ist nicht minder
Leben und Bewegung. Der brasilianische Fleischerknecht wetzt sein
ungeheures Messer und zerlegt mit demselben die großen Viertel
der Rio Graudenser Ochsen und Kühe, von denen alltäglich auf
dem Markte 30 bis 40 Stück ansgehanen werben, beim Fleisch ist
ein sehr billiges und Allen zugäugiges Nahrungsmittel, und das
Pfund kostet nur einen Groschen, also nach Maßstab des Geld-
wertes in Deutschland ungefähr drei Pfennige. Das Drängen
und Feilscheu ist bei diesem Artikel doppelt lebhaft; dazwischen ziehen
die Bäckerläden und die Spelunken, wo man wässerigen Kaffee,
Zuckerrohrbranntwein und andere hitzige Getränke ausschenkt, die
Massen an sich. Seitwärts von diesem Getreibe bilden sich andere
Gruppen; man sieht den gemeinen nnd schmutzigen Portugiesen in
Unterhandlung mit dem englischen oder deutschen Kaufmanne, der
in stolzer Ruhe seine Havanacigarre raucht und im Geiste seine
Spekulationen durchdenkt. Dort unterhält sich eine Gruppe von
Geschäftsleuten über den Preis des Viehes, über den Export der
Häute und den Zustand der Börse; unweit davon stehen brasilia-
uische Soldaten, Polizeileute durchschreiten den Markt, eine Schaar
fröhlicher Knaben theilt eine riesige Traube von gelben Bananen;
weiterhin kauft der ehrliche deutsche Handwerker die ihm auch hier
unentbehrlichen Kartoffeln, welche er in einem Tuche nach Hause trägt.
Dort zanken sich Seeleute, hier schimpfen sich Neger und durch diese
Gruppen schreitet stolz der elegante vornehme Brasilianer mit seiner
feinen Wäsche, seinem Chile-Strohhute, die unvermeidliche Stroh-
cigarette oder die schwerere Cigarre im Munde, eiue schone Be-
gleiterin am Arme führend. Diese zeigt schon in früher Morgen-
stunde eine reizende Pariser Toilette (denn man treibt hier den nn-
sinnigsten Lnxns), schleift Sainmt und Seide durch den Staub des
Marktes, läßt ihre Brillanten und goldenen Schmucksachen blitzen
und mehr noch ihre schönen tiefschwarzen Augen, die, von langen
seidenen Wimperu beschattet, uuter dem kleinen Garibaldi- oder
Tudor-Hütchen gar anziehend hervorschauen. Mit Vergnügen
folgt man dem hübschen Paare mit den Augen, bis das Gedränge
der Geschäftigen den müßigen Zuschauer wieder mit fortzieht.
Anders ist das Schauspiel, welches der Markt während der
Saison der Früchte am Abend darbietet. Dann sind der große
Platz uud die Promenaden von Negern gesäubert, die Laternen
schimmern in den Zelten der Fruchthändler, welche die herrlichen,
duftenden Früchte des Südens, schönstens geordnet, zum Gcmiß
darbieten. Die elegante Welt proinenirt, kaust Früchte und ver-
zehrt dieselben auf den Bänken, welche den Weg entlang stehen.
Ein gutes Orchester spielt ausgezeichnete Musikstücke, und man
überläßt sich mit Wonne den kühlen Erholungsstunden, welche die
*) Lagoa dos patos heißt Enteii'Sce; Strandlagune der Enten. A.
150
Die Seychelles-Inseln
und der Salomonsbanm.
unvergleichlichen Nächte des Südens darbieten. Den Reiz der
südlichen Sommernacht genügend zu schildern vermag eine Feder
nicht.
Wen« in majestätischer Stille das Dunkel sich auf die Meeres-
fläche senkt und das reine, von keinem Wölkchen getrübte Sternen-
gelt, an dem das Kreuz des Südens in wunderbarem Glänze
strahlt, sich ausspannt über Rio Grande; wenn die silberne Sichel
des Mondes sich im Meere wiederspiegelt, auf dessen bewegter,
glänzender Fläche die Masten der Schiffe riesige Schatten werfen,
wenn die lane und fächelnde Luft die balsamischen Düfte der
Orangenblüthen von der gegenüberliegenden Insel herüberführt,
dann überkommt uns eine wunderbare Stimmung. Mau genießt
allabendlich von neuem und immer mit gleichem Wonnegefühl
und empfänglichem Gemüthe den zauberischen, großartigen Ein-
druck und überläßt sich in erhöhtem Gefühl doppelt gern der feinen
und angenehmen Geselligkeit, welche bei den Klängen der Musik die
Bekauuteu unter dem glänzenden Sternenzelt vereinigt.
Karl von Koseritz.
Die Seychelles-Inseln
Als wir jüngst den zweiten Band der „Reisen im östlichen
Afrika" lasen, welchen Lyons Mc. Leod 1860 zn London heraus-
gegeben hat, fanden wir in demselben auch einige Bemerkungen über
die Hafelnng der Seychelles-Eilande, denen wir einige Angaben
entlehnen, um eine Erzählung über die Meer-Kokosnuß daran
zu knüpfen, welche in der Geschichte der Erdkunde zn mehr als einer
romantischen Seefahrt Veranlassung gegeben hat. An diese Nuß
hat sich Jahrhunderte lang der Wunderglaube geknüpft, der Ruhm
dieser Frncht war über das ganze Morgen- und Abendland ver-
breitet, und heute — ist sie so gut wie vergessen!
Die Seychellen, neunundzwanzig Eilande, bilden eine
Hafelnng im westlichen Theile des Indischen Oceans und sind in
politischer Beziehung vom Gouverneur der britischen Insel Mauri-
tius abhängig. Sie liegen zwischen 3" 33' und 5" 35' S. Breite,
55° 15' und 56" 10' Ö. Länge, 915 engliche Seemeilen nördlich
von Mauritius, 550 nordöstlich von Madagaskar, 1500 von der
Westküste Indiens. Sie wurden im Anfange des fünfzehnten
Jahrhunderts von deu Portugiesen entdeckt, wahrscheinlich von dem
Geschwader, welches unter Ferdinand Snarez >506 in einem Orkan
an die Küste von San Loureuzo, dem heutigen Madagaskar, ver-
schlagen wurde. Sie bezeichneten die Gruppe als die Sieben
Brüder, nach sieben kleinen Inseln, die bei Mahe liegen.
Nach Telsair, von welchem Lyons Mc. Leod ausführliche
Mittheilungen erhalten hat, find alle Seychellen gebirgig, gut be-
waldet und nicht wasserarm. Im Jahre >742 wurden sie vom
Kapitän Lazare P i c a u l t besucht, welchen M a h 6 d e L a b o u r d o n -
naye, Gouverneur der französischen Besitzungen in Indien, dorthin
geschickt hatte. Dieser nahm von ihnen Besitz, nannte sie die La-
bourdonuaye-Juseln und gab der größten die Benennung
Mahe. Späterhin erhielten sie nach dem Marineminister Herault
de Seychelles ihren heutigen Namen.
Diese 27 Inseln heißen: Mahe, Samte Anne, Anx Cerfs,
Anonyme, Sud-Est, Lougue, Moyeuue, Roude, Therese, La Eon-
ception, Silhouette, du Nord, Praslin, Ladigue, Curieuse, noch
eine Roude, Aride, Felicite, les denx Soenrs (zwei Eilaude),
Marianne, Aux Reciss, Les Mamelles, Cousin, Cousine, Aux
Fregates, Aux Baches Marines, Denis, von allen die am weitesten
nach Norden liegende, und Plate, die südlichste. Alle liegen auf
Saud und Korallen. Das Klima ist ungeachtet der äquatorialen
Lage mild und gilt für gesund, denn da Sümpfe fehlen, ist auch
keine Malaria vorhanden; epidemische Krankheiten und endemische
Fieber kommen nicht vor.
Auch reichen die Orkane, von welchen Mauritius und
Neunion oftmals so schwer heimgesucht werden, nicht bis zu deu
Seychellen, denn diese Winde gehen nicht über den 10. Grad süd-
licher Breite hinaus. Auch jene, welche über das Nordende von
Madagaskar hinwegbranseu und an den Küsten von Mosambik
Verwüstungen anrichten, kommen nicht bis zn diesem Archipelagns.
lnd der Salomonsbanm.
Die Temperatur ist sehr gleichmäßig und hält sich zwischen 80 bis
84» F.; die Extreme liegen zwischen 70 bis 74" bei Nacht in der
kühlen, und von 84 bis manchmal zu 92" F. in der heißen Regen-
zeit. Vom Mai bis Oktober weht der Südost-Monsun, vom
November bis April der Südwest-Monsnn, welcher Regen, Hitze
- und Gewitter bringt. Es ist ein großer Borzug dieser Inseln, daß
sie auch einen ganz ausgezeichneten Hafen besitzen, in welchem auch
beim heftigsten Sturm eine ganze Flotte sicher vor Anker liegen
kann.
Die Seychellen waren auch den Arabern bekannt, erhielten
aber erst nach 1742 Ansiedler. Einige Frauzoseu ans Bonrbon
und Jsle de France (jetzt Rennion und Mauritius) ließen sich ans
Mahe nieder. Im Jahre 1794 nahm ein englisches Geschwader
diese Inseln, welche 1814 förmlich an Großbritannien abgetreten
wurden. Die größte Insel ist, wie schon bemerkt, Mahe, 17 Miles
lang, 4 breit und bis zn 2000 Fuß hoch, fruchtbar, gut bewässert
und malerisch. An der Ostseite liegt eine prächtige Bucht, 4 Miles
tief, 3 V2 Miles breit, vou einigen kleinen Inseln eingeschlossen, auf
deren Außenseite Korallenbänke liegen. Diese haben aber offene
Durchfahrten, vermittelst welcher man in den sichern Hafen gelangt,
der für mehrere hundert Schiffe Raum und trefflichen Ankergrnnd
hat und hinter welchem noch ein kleineres Hafenbecken liegt. Die
Engländer, welche eine leidige und lästige Virtuosität darin besitzen,
geographische Verwirrung anzurichten und die Erde und den Ocean
mit Wellingtons, Victorias, Ulberts :c. überschwemmen, haben auch
diesen Hafen Port Victoria genannt; so heißt auch die an dem-
selben liegende Stadt.
Die Erzeugnisse der Inseln können unter Umständen von Be-
dentnng werden; Baumwolle, Zuckerrohr, ausgezeichneter Tabak
und Reis gedeihen vortrefflich; und groß ist der Reichthum nutz-
barer Hölzer, namentlich auch zum Schiffsbau; der Schiffsbohr-
wurm (Teredo navalis) kann denselben nichts anhaben. Andere
Erzengnisse sind Mais, Manioc, Kaffee, Cacao, Gewürznelken,
Zimmt; Ananas. Brodfrucht, Tamarinde, Mango, Bananen.
Gnavas, Citronen, Orangen, 9)mns, Bataten; Rindvieh, Geflügel,
Fische und Austern; dazu kommen noch Schildkröten bis zn andert-
halb Centner Schwere, und die grüne Art wird nicht selten zwei
bis drei Centner schwer. Die erste Art, welche einen „Habichts-
schnabel" hat (hawkbilled turtle), wird auf den Inseln Caret
genannt. Die grüne aber Tortue. — So weit Lyons Mc. Leod.
Aber alle diese Erzeugnisse, so werthvoll sie sein mögen, sind
nicht so berühmt wie die Co co do Mar, Lodoicea Sechcllarum,
Doppel-Kokosnuß, Cocos Maldivicus, Rumph, Nux raedica des
Clusius. Wir findeneineBefchreibungdes Baumes, welchen Georg
Forst er in einem Anhange zn seiner Übersetzung von Rochen's
Reise nach Madagaskar, Berlin 1792, S. 143 mitgetheilt hat.
Der Baum, so heißt es dort, wird 40 bis 50 Fuß hoch (— nach
Mc. Leod S. 224 von 50 bis 120 Fnß, 12 bis 15 Zoll Durchmesser
Die Seychelles-Inseln und der Salomonsbaum.
151
fast bis znm Gipfel —), seine Krone besteht aus 10 bis 12 gefieder-
ten Palmblättern und die Gestalt dieses schönen Baumes läßt sich
mit einem großen Fächer vergleichen. Jedes große Palmblatt steht
auf einem sechs Fuß laugen Blattstiele, der am Rand ausgeschweift
ist. Unter den Achseln der Blätter kommt ein Büschel hervor, dessen
Zweige an ihren Enden die weiblichen Bliithen tragen. Der
reifende Fruchtknoten verwandelt sich in eiue kugelförmige Frucht,
die acht bis zehn Zoll im Durchmesser hat. Die äußere Schale ist
dick und faserig, wie an der gewöhnlichen Kokosnuß, und die
Gestalt der Nuß hat etwas Sonderbares. Sie besteht nämlich
aus zwei länglich niereuförmigen, an einer Seite etwas platten, an
der auderu convexen Hälften, welche in der Mitte an einander ge-
wachsen siud. Im Junern ist sie mit einem milchigen, aber bitter
und widerlich schmeckenden Saft angefüllt.
Nach Lyons Mc. Leod haben die Blätter, den Stengel mit ge-
rechnet, welcher stark genug ist, einen Mann zu tragen, zwanzig
bis dreißig Fuß Länge. Der Banm trägt erst nach dem zwanzig-
sten Jahre Frucht und braucht 13V Jahre, bevor er seine völlige
EntWickelung erreicht. Insgemein ist die Frucht doppelt, manchmal
aber auch dreifach. Sie bleibt etwa drei Jahre am Baume hängen;
wenn sie reif ist, fällt sie ab und kann nicht genossen werden, während
sie jung einen kühlen, erfrischenden Saft giebt. Die herabgefallene
Nuß, vorausgesetzt, daß sie schattig liegt, keimt schon nach einigen
Monaten und bildet eine neue Pflanze. Die Krone bezeichnet man
als Kohl, und sie wird gegessen wie jene der ächten Kohlpalme.
Diese Doppel-Kokosnnß kommt lediglich und allein
auf den drei Inseln Praslin, Cnriense und Ronde,
soust nirgends vor; nur dort trägt sie Früchte. —
Diese waren lange Zeit mit dem Dunkel des Geheimnisses
umhüllt, man wußte wohl, daß sie aus dem Morgen lau de kamen
aber ihre eigentliche Heimath blieb unbekannt. Der ferne Orient
war im Mittelalter uud uoch lauge nachher die Region der Wunder.
Aus ihr kamen, auf laugem uud weitem Wege, Diamanten und
Edelsteine, Gewürze uud feine Gewebe, und die Sage war ununter-
brechen geschäftig, neue Wunder zu melden. Der Bogel Phönix
uud der Vogel Rock, daö Diamantenthal, die Magnetinsel uud
dergleichen mehr haben lange die Einbildungskraft im Abendlande
beschäftigt.
Hockgeschätzt war auch eine seltene Nuß, der man eine
ganz wunderbare Heilkraft zuschrieb. So kostbar erachtete man
sie, daß sie bei den indischen Kaufleuten, durch welche sie iu den
Handel kam, als Travautsch ere, Schatz, bezeichnet wurde. Die
Mohammedaner brachten sie mit dem weisen König der Juden in
Verbindung, nannten sie Salom onsnuß und mit diesem Namen
wurde die Frucht auch von den Christen bezeichnet. Sie galt für
ein unfehlbares Mittel gegen jede Art von Gift, und wurde deshalb
in Europa, namentlich im sechszehnten Jahrhundert, als au den
Höfen die Giftmischerei nicht zn den Seltenheiten gehörte, eifrig
gesucht. Sie galt außerdem für ein Universalmittel. Wenn man
ein Stück von dem harten Nußkern mit Wasser in einem Gefäß
aus Porphyr zerrieb und, je nach Beschaffenheit der Krankheit oder
nach der Anweisung des Arztes, mit rothem oder weißem Korallen-
Pulver, Ebeuholz oder Hirschhorn vermengte, dann wurden alle
kranke Säfte aus dem Körper vertrieben. Es galt schon für
stärkend uud heilkräftig wenn man aus der polirteu, aus der Nuß
bereiteten Schale reines Wasser trank, und man gab dem Besitzer
gern einen hohen Preis für die Erlanbniß, solches Wasser zu ge-
nießen. Fürsten ließen solche Trinkgeschirre mit Gold und Edel-
steinen verzieren; die Nuß selber galt für antiskorbutisch uud
wirksam gegen eiue gewisse böse Krankheit, welche nach der Ent-
decknng Amerikas in Europa nnd Asien weit um sich griff. Man
bezahlte eine Nuß mit zwei - bis dreitausend Thalern und glaubte
auch dann uoch einen guten Kauf gemacht zu haben.
Wuchs sie doch auf einem Banme, von welchem nur ein ein-
J'ges Exemplar auf Erden vorhanden sei! So sagten die
indischen Kaufleute. Die Wurzeln dieses Baumes standen im in-
dischen Ocean, nicht weit von Java, irgendwo zwischen den zehn-
tausend Eilanden des östlichen Archipelagus, wo das Meer so tief
war, daß man auch mit der längsten Senkleiue keinen Grund fand.
Ans dieser Tiefe wuchs aber der Salomonsbaum empor bis au's
Tageslicht. Auf feinem höchsten Gezweig horstete ein Greif, der
allabendlich eine der vielen Inseln besuchte und ein Rhinoceros oder
einen Elephanten verspeiste. Und wenn ein Schiff das Unglück
hatte, in die Nähe jenes Baumes zu kommen, dann lag es stille,
war festgebannt und der Greif fraß alle Matrosen ans, täglich einen.
Die reifen Nüsse fielen von den Zweigen iu's Meer und wurden
von Wind und Wellen in anderen Gegenden au's Land getrieben
oder von Seeleuten aufgefischt.
Gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts umschiffte Basco
da Gama die Südspitze von Afrika und eröffnete dem Handel
nach Indien eine neue Bahn. Die Portugiesen hatten das „ Vor-
gebirge der Stürme" (Cabo tormentoso) nicht gefürchtet und ließen
sich auch nicht durch den Vogel Greif schrecken. Muthig suchten sie
nach dem Horste des gefräßigen Uuthiers, konnten aber trotz aller
Bemühungen denselben nicht auffinden. Aber Salomonsniisse
erhielten sie im fernen Orient ans dem Wege des Handels, und
machten daran in Europa großen Prosit, denn die Preise blieben
hoch. Hatte doch ein indischer König für eine einzige Nuß ein
ganzes Schiff sammt der Ladung gefordert und auch erhalten!
Der deutsche Kaiser Rudolf der Zweite bot viertausend Gulden für
eine Nuß, bekam sie aber nicht, denn sein Gebot galt für zu gering.
Aus allen Theileu Europas reisten Kranke nach Venedig, Lissabon
oder Antwerpen, um Wasser aus ganzen oder zerstückelten Nuß-
schalen zu trinken. Wie viel Betrug mag dabei mitnnterge-
laufen fein!
Nach den Portugiesen drangen auch die Holländer und Eng-
länder iu den Indischen Ocean, suchten gleich jenen die Wundernuß,
waren aber nicht glücklicher. Aber wenn sie keine sichere Kunde
über den Banm mitbrachten, so erzählten sie doch neue Wunder.
Sie hätten, sagten sie, auf deu Meeresgrunde ganze Wälder des
Baumes gesehen; das Meer sei an solchen Stellen ruhig, spiegel-
.hell und durchsichtig. Ueber den Wellen hatte freilich Niemand den
Banm bemerkt, aber so viel stellte sich nach und nach als sicher
heraus, daß mau die Wundernuß bald im freien Wasser des In-
dischen Oceans, bald au der Küste von Malabar gefunden hatte;
aber am allerhäufigsten traf mau sie am Gestade der Malediven,
welche südwestlich von der Südspitze Indiens, dem Kap Comorin,
eine lange Flur von mehreren tausend kleinen Inseln zwischen l"
siidl. Breite bis 9° N. Br. bilden. Sie wurde deshalb von denBota-
uikeru als Cocos maldivicus bezeichnet. Garcias ab Horto, der
um 1553 schrieb, vermuthete gauz richtig, daß dieser Banm in
einem damals uoch unbekannten Laude wachse, aus welchem die
Nüsse durch Wind uud Meeresströmungen nach anderen Gegenden
getrieben würden.
Dagegen meinten andere Schriftsteller, die Nuß sei ein
Produkt des Meeres, noch andere meinten, sie wachse auf irgend
einer der vielen maledivischen Inseln. Das war geradezu ein Uu-
glück für die Bewohner dieser letzteren, denn der Schatz reizte die
Raubsucht. Ein Herrscher in Bengalen rüstete 1 (>07 eine Flotte
aus, landete auf den Malediven, mordete, plünderte und fuhr
mit einer reichen Beute heim, unter der sich aber der Salomonsbaum
nicht befand. Und doch war der Zug unternommen worden, um
gerade diesen Schatz zu holen. Dieser Raubzug ist aber für die Erd-
künde von großer Erheblichkeit geworden. Der indische Fürst be-
freite einen französischen Seefahrer aus Laval in der Mayeime in
Frankreich, Namens P yrar d, der vor sechs Jahren bei deu Male-
diveu Schiffbruch gelitten hatte. Er schrieb ein Werk, in welchem
er nachwies, daß die Nuß auf jenen Inseln nicht wachse, sondern
dort nur augeschwemmt werde; sie werde als Eigenthum des
Königs betrachtet, uud weint man eine Nuß finde, werde sie unter
großen Feierlichkeiten dem Könige gebracht. Auf Verheimlichung
152
Eine Gazellenjagd in Persien.
einer Nuß oder- auch nur eines Stücks derselben war Todesstrafe
gesetzt.
Nun wußten die Naturforscher des siebeuzehnteu Jahrhnnders
allerdings, daß die Coco do Mar nicht auf den Malediven wuchs,
allein woher sie kam, das blieb ihnen nach wie vor ein Räthsel.
Aber ein Baterland mußte sie doch haben! Allerlei sinnreiche
Kombinationen wurden auf's Tapet gebracht. Die große indische
Halbinsel, so sagte mau, habe sich wahrscheinlich einst bis zn den
Malediven erstreckt, aber in Folge einer „gewaltigen Zuckung der
Natur" seien die Landstrecken, durch welche jene Eilande einst mit
dem Kap Comoriu zusammengehangen, unter den Wasserspiegel
des Oceans hinabgesunken. Der Baum, von welchem die Salo-
monsnnß komme, wachse fort auf dem Meeresgrunde. Die reife
Nuß falle ab und erhebe sich, da sie leichter als das Wasser sei,
an die Oberfläche, während Früchte, die auf der Erde wachfeu,
zu Boden fallen. Glaubte doch selbst der große Rumphins,
dessen Herbarium amboinense von großem wissenschaftlichem Werth
ist, „daß die Kalapa laut*) (wie die Malayenjene Nuß nennen),
kein Erzeugniß der Erde sei; sie falle zufällig in's Meer und ver-
härte dort; der Baum selbst sei dem menschlichen Auge bisher
verborgen geblieben. „Die Nuß ist ein Mirakel der Natur, die
größte Merkwürdigkeit, welche das Meer birgt."
Aber jenes „Mirakel" erhielt endlich eine sehr natürliche Auf-
klärnng. Allmälig kamen die Aerzte zu der Ansicht, daß es mit
den Heilkräften der Salomousuuß nicht viel zu bedeuten habe;
mau untersuchte nämlich die Frucht chemisch. Aber als Seltenheit
behielt sie immer noch einen hohen Werth, und in Indien und
China, wo man immer noch au ihre Heilkräfte glaubte, wurde sie
nach wie vor theuer bezahlt. Man gab immer noch dreihundert
Thaler für eine kleine, tausend Thaler für eine größere Nuß, und
jene, die einen Fuß im Durchmesser hielten, fanden für dreitausend
Thaler willige Käufer.
Plötzlich lief im Jahre 1770 ein französischer Kauffahrer in
Calcntta ein und bot, zum Erstaunen aller Leute, eine ganze
Ladung Salomonsuüsse zum Berkauf ans. Er ließ sie zu
Hunderten auf's Verdeck werfen, und nun war es mit der Selten-
heit und den sehr hohen Preisen vorbei. Aber das Geheimuiß,.
von woher diese Nüsse gekommen waren, behielt er anfangs für
") K a 1 a ji a; the coconut palm, a coconut, C o c o s n u c if e ra. Kalapa
laut; the Seychelle or sea coconut, Lodoicea secheHarum. Siehe
Graminar ancl dictionary of tlie Malay Language, witli a preliminary dis-
sertaliön, by Jlohn Crawfurd. London 1852. Vol. II. p. 72. Saatt ist
bekanntlich das malayische Wort für Meer, Occan. A.
sich, vertraute es aber nachher einem englischen Kaufmanushause
an, das noch in demselben Jahre eine Ladung Nüsse nach Bombay
brachte.
Mit der Entdeckung verhielt es sich in folgender Weise. Der
schon früher erwähnte Mähe de Labourdouuaye hatte L743 einen
Seeoffizier, Picault, von Jsle de France nach den Seychellen
geschickt, um diese Inselgruppe näher zu erforschen. Dieser eut-
deckte einige früher nicht bekannte Eilande, deren eines er als
Palmeninsel bezeichnete, weil auf ihr eilte große Menge präch-
tiger Palmen standen. Weiter bemerkte er nichts. Eine neue
Expedition ging 1708 nach den Seychellen; Befehlshaber war
Kapitän Dnchemin, der einen Hydrographen, Barre, mit-
genommen hatte. Dieser fand, daß die Palmen auf der eben
bezeichneten Jufel als Frucht die Coco do Mar, Salomonsnuß,
trugen, sprach aber darüber nur mit dem Kapitän. Im Jahre
>770 gingen sie dann wieder nach der Palmeninsel und schafften
jene Ladung Nüsse nach Calcntta. Die Insel bezeichneten sie mit
dem Namen Praslin, welchen sie behalten hat.
Wir haben schon gesagt, daß die Lodoicea Seychellarnm ein
prächtiger Baum ist. Die zwanzig Fnß langen Blätter werden
bis zu zehn Fuß breit. Alljährlich bildet sich in der Mitte des
Gipfels ein neues Blatt, das wie ein Fächer geschlossen nud von
einer Art duuigeu Ueberzuges geschützt ist und sich senkrecht bis zn
zehn Fuß Höhe emporhebt, ehe es sich öffnet uud anmnthig biegend
nach unten hinüberhängt. Vom Baume fällt alljährlich ein Blatt,
das älteste, ab und läßt einen Ring oder eiue Narbe zurück; au
diesen Narben kann man das Alter des Baumes genau erkennen.
Einige Palmen sind vierhundert Jahre alt und noch immer
kräftig.
Die männlichen und weiblichen Blütheu wachsen auf ver-
fchiedenen Bäumen. Etwa im dreißigsten Jahre setzt die weibliche
eiue große Frnchttraube an, die aus fünf bis sechs Nüssen besteht,
nud jede derselben ist von einer äußern Hülle, etwa wie bei der
Kokos, umschlossen. Die Nuß selbst hat etwa einen Fuß Länge,
ist länglichrund uud au einem Ende abgeplattet. Die Trauben-
büschel wiegen mehr als einen halben Centner. Die großen Blätter
werden beim Hänserbau nützlich verwandt, namentlich zum Dach-
decken, aus der Nuß bereitet man allerlei Haus- uud Schmuck-
geräth. Aus hundert Blättern kann man bequem eiu ganzes Haus
bauen.
Diese Palme auf den Seychellen ist eiu sehr schöner und sehr
nützlicher Baum, aber der Wunderglaube, welcher sich früher au
ihn knüpfte, ist für immer dahin.
Eine Ga)tlleni
Die Araber haben das Vergnügen, welches die Jagd ge-
währt, oftmals in Versen verherrlicht. „Sie verscheucht alle
Sorgen ans dem Gemüthe, kräftigt den Geist, erfreut das Herz
uud macht deu Leib gesund. Sie bildet gute Reiter; der Jäger
muß sich rasch in den Sattel schwingen und fest auf dem Rosse
sitzen; mit diesem sprengt er über Felsen und Abgründe, über Sand
und Strauch. Der Jäger ist eiu mnthiger Mann."
Dein Europäer gewährt es keine geringe Lust, mit deu Persern
auf die Jagd zn gehen; Alles an ihr ist eigenthümlich, man glaubt
sich in's volle Mittelalter versetzt. Ein Reisender schildert solch
eine Pürsch, die er im persischen Kurdistan, in der Ebene von
W-eramin, mitmachte.
Der Falke spielt dabei eiue Hauptrolle, er ist der Hasen und
Gazellen gefährlichster Feind. Auf den sandigen, vielfach welligen
uud eiugefurchteu Ebenen sind beide Thiere häufig; sie nähren sich
agd in Perjien.
von dem spärlichen Gesträuch und namentlich vom Thymian, der
in großer Menge wächst. Sobald ein Hase in Sicht kommt,
schießen die Windhunde wie Pfeile hinter ihm her, uud der Falke
wird losgelassen. Anfangs kreist er hoch in den Lüften, dann
fällt er wie ein Blitz auf den Hasen herab und packt ihn am Halse.
Manchmal ist aber Meister Lampe so kräftig, daß er den Falten
eiue Strecke weit mit sich fort schleift. Aber dieser läßt nicht gern
! los, und bald sind die Windhunde zur Stelle. In diesem Fall ist
der Hase natürlich verloren; aber nicht immer glückt dem Falken
der Stoß, und wenn das der Fall ist, wird er übellaunig nnd
verliert die Lust; dann müssen die Hunde allein das Beste thnn;
aber dadurch wird die Jagd mühsam, uud manchmal kommt der
Hase mit heiler Haut davon.
Wir hatten, so erzählt ein europäischer Jäger, uus nicht zu
beklagen; der Morgen war gut ausgefallen, und nun wollten wir
154
Der Zobel am Amurstrom.
frühstücken. Unser Tisch — die sandige Wüste! Teppiche wurden
ausgebreitet und die Köche machten sich an's Werk. Bald knisterte
ein Feuer, welches sie mit dem dürren Gesträuch unterhielten, und
über demselben staken am Spieße große Stücken Hammelfleisches,
die im Voraus hergerichtet waren und jetzt am Feuer reichlich mit
Salz und Pfeffer beschüttet wurden. Auch ein Paar Hasen wurden
geopfert; das Vordertheil bekamen die Hunde, die ja eben so
gut für Uuglaubige gelten, wie wir Europäer; wir nahmen
das Hintertheil und den Rücken.
DasKebab, denn so nennen die Perser das Hammelfleisch,
welches sie am Spieße braten, war sehr zart und von ganz vor-
trefflichem Gefchmacke. Der schon am Abend vorher gekochte Reis
wurde aufgewärmt, uud au klarem Wasser hatten wir keinen
Mangel. Pferde, Hunde, Falken und Menschen wurden gespeist
und getränkt; über uns lachte ein heiterer Himmel und nirgends
war ein Schatten, außer dem, welchen wir selbst warfen.
An einem andern Tage hatten wir Gazellenjagd. Mit
Sonnenaufgang waren wir Alle auf den Beinen. Der Falke und
die Hunde, welche ihr Meisterstück machen sollten, hatten am Tage
vorher fasten müssen. Zwei persische Nomaden (Jliyats) führten
den Zng als Späher und sahen die wilden Thiere schon, wenn
unsere europäischen, weniger geübten Augen noch nichts erblickten.
Wenn sie einen gelben Fleck am fernen Horizont bemerkten, sprachen
sie: „Seht dort, eine Gazelle!" Und allemal hatten die Nomaden
Recht. Auch das Gehör ist bei dieseu Söhnen der Wüste wunderbar
scharf und fein.
Sobald die Jäger Gazellen erblicken, schleichen sie mit Vor-
ficht näher, um zu sehen, wie viel Thiere beisammen sind uud
nach welcher Richtung hin siebeim Aesen gehen. Die Art und Weise,
Jagd auf sie zu machen, wird durch die Bodeubeschasseuheit bediugt
uud bestimmt. Bei der Renn- und Hetzjagd verfährt mau iu fol-
gender Weife: Mau bringt Hunde und Falken den Gazellen so
nahe als möglich und die Reiter halten sich dicht neben einander.
Die Gazelleu bemerken aber bald, daß in ihrer Nähe etwas Außer-
gewöhnliches vorgeht, schäum mit ihren großen, klaren Augen nach
der Richtung hin, in welcher sie Unrath wittern, spitzen die Ohren
und schnobern mit der Nase. Sobald sie dann wissen, daß man
ihnen nachstellt, rennen sie fort wie der Wind uud gewinnen manch-
mal einen so weiten Vorsprung, daß man sie nicht einholen kann.
Aber der Falke durchschneidet die Lüste, die Windhunde rasen über
deu Saud, welchen sie kaum streifen, die Jäger sprengen hinterher
iu verschiedenen Richtungen. Die Hunde gewinnen in der Regel
anfangs einen Vorsprung, aber das dauert nicht lange; sie bleiben
zurück, und dann lassen die Jäger eine zweite Meute los, welche sie
auf den Pferden lose oder in Körben mit sich genommen haben.
Nun aber ist der Falke über den Gazellen, er wählt sich ein Opfer
aus dem Rudel und die Hunde folgen ihm. Plötzlich schießt er
hernieder auf den Kopf des Thieres und benimmt ihm durch deu
Schlag seiner Flügel das Augenlicht. Die Gazelle springt auf
oder zur Seite, aber sie ist ihrer Bewegung nicht mehr mächtig;
ihre Bemühungen, sich des Feindes zu entledigen, sind vergeblich, er
krallt sich mit den Fängen immer tiefer ein, und während er sein
Opfer an Hals, Augen uud Kopf peinigt, sind anch die Hunde
herbeigekommen, packen die Gazelle an den Hinterläufen uud macheu
dem armen Thiere das Garaus.
Aber die Gazelle ist gerettet, wenn der Falke seine Schuldig-
keit uicht thut uud obendrein keine zweite Hundemente in Vorrath
ist. Dann hat die erste nur vergebliche Arbeit und muß zurückge-
rufen werden.
Der Falke wird darauf abgerichtet, seinen Angriff gegen die
Augen zu richten. Zu diesem Behuf nimmt der Falkenmeister eine
mit Stroh ausgestopfte Gazellenhaut und steckt Fleisch in die
Augenhöhlen. Sobald er dann dem hungrigen Ranbvogel die
Hanbe abnimmt, stürzt dieser ans den Kopf der Strohpuppe los
uud frißt das Fleisch.
Mau betreibt aber die Gazellenjagd auch noch auf andere
Weise. Die Schützen bilden ans dem Anstand einen weiten Halb-
kreis, in dessen Mitte die Gazellen sich befinden. Sie verbergen
sich, so gut es eben gehen will, hinter dem Gesträuch, legen sich platt
auf deu Bauch und verhalten sich ganz still. Eine andere Ab-
theilung beschreibt inzwischen ganz langsam die andere Hälfte des
Kreises. Die Gazellen merken lange gar nichts, sobald sie aber
den Feind wittern, suchen sie zu entrinnen.
Diese persische Gazelle gleicht der Antilope und sieht im Ban
einem Reh ähnlich. Hals, Rücken und die Außenseite der Beine
sind hellbraun, Banch und Hintergestell schön weiß, der mit
schwarzen, spitzen Hörnern bewehrte Kopf ist grau uud braun, das
Auge mit einem weißen Ring eingefaßt.
Die Jäger schießeu in das Rudel hinein; ein verwundetes
Thier ist allemal verloren uud wird vou deu Huudeu überholt.
Zuweilen benutzt man anch Kameele bei der Gazelleujagd. Das
große Thier ist der flüchtigen Gazelle bekannt uud sie fürchtet sich
uicht vor demselben. Der Jäger, welcher eine Falle gestellt hat,
sucht nun, auf dem Kameele reitend, jene in dieselbe zn treiben. In
der Nähe liegen ohnedies andere Jäger auf dem Anstand uud
paffeu auf.
Uebrigeus ist auf manchen persischen Wüstenflächen der Sand
so sein uud leicht, daß er beim geringsten Windzug iu die Luft ge-
trieben wird, uud dann ist keine Jagd möglich.
Der Zobel a
Der Zobel hat für das Amurlaud, wie für die nordischen Wild-
uisse Asiens überhaupt, lange die Rolle des goldenen Vließes ge-
spielt. Das Jagen nach diesen: Thiere trug wesentlich zur Eut-
deckung und Eroberung des Landes bei. Den ersten kühnen Frei-
beutern, welche vor mehr als zweihundert Jahren das Amurland
betraten uud in blutigen Kämpfen mit den Eingeborenen und mit
den Chinesen sich bis an die Mündung des Stromes Bahn brachen,
hat das Zobelfell als ein nicht geringer Lohn ihrer Mühen und Ge-
fahren vorgeschwebt.
Als wir neulich Dr. Leopold vou Schrenck's „Reisen und
Forschungen im Amurlande in den Jahren 1854 bis 1850",
St. Petersburg 1858, lasen, fanden wir im ersten Bande eine sehr
Amurstrom.
eingehende Darstellung über den Zobel, welcher wir die folgenden
Angaben auszugsweise entlehnen.
Die russischeu Freibeuter drangen iu der Mitte des sieben-
zehnten Jahrhunderts in Sibirien immer weiter nach Osten vor,
erpreßten von den Landesbewohnern reichen Tribut an Zobeln und
schickten die Felle uach Jakutsk uud Moskau. Pojarkow, der 1644
iu der Nähe der Amurmündung überwinterte, brachte von den
Giljaken, welche au der Küste des Festlandes und dem westlichen
Gestade der Insel Sachalin wohnen, 12 Zimmer Zobel uud 16
Zobelpelze mit; und später sammelten Stepanof und Pufchtschin
eine Tributkasse vou 120 Zimmern Zobel ein. Aber diese er-
zwuugeue Abgabe ging nicht regelmäßig ein, weil die Kriege
Der Zobel am Amurstrom.
155
zwischen Chinesen und Russen hindernd einwirkten; auch mußten
sich die Letzteren, in Folge des Nertschinsker Vertrages von 1689,
ganz vom Amurstrome zurückziehen.
Schrenck traf den Zobel in dem von ihm bereisten Theile der
Mandschurei und überall spielt er bei den Eingeborenen eine große
Rolle, denn er ist das wichtigste ihrer jagdbaren Pelzthiere; er
bildet die Einheit in der relativen Werth schätznng aller
Pelzwerke, ist die gangbarste Münze im Tauschhandel
jener Völker und ein unentbehrlicher Faktor ihres
Wohlstandes. Am rechten Ufer des Argun (einem der beiden
Hauptquellströme des Amur), hat er au Menge schon sehr abge-
nommen, wie überhaupt am obern Amur, und statt seiner richten
die Jäger nun ihr Hauptaugenmerk auf das Ei ch h ö ru ch eu. Dieses
hat um so stärker zugenommen, je mehr sich sein Hauptfeind,
der Zobel, verminderte, und jetzt bildet es in dem Maße den
Hauptertrag der Jagden, daß man diese überhaupt schlechtweg als
Bjelkowjo, d. h. Eichhörnchen-Jagden, bezeichnet. Der Zobel
kommt wahrscheinlich auch au den linken Zuflüssen des Snugari
vor; in den waldreichen Gegenden am obern Usnri ist er nicht
selten und die Chinesen erhoben dort von den Jagdnomaden Tribut
in Zobelfellen. Schrenck traf dort einen chinesischen Beamten,
welcher mit solchen und anderen Pelzwerken reich beladen war.
Der Zobel kommt in jener Region nach Süden hin bis zum
44.« N. Br. vor, und wahrscheinlich setzt erst das Verschwinden
aller Nadelholzwalduug auch im Gebirge seiner Verbreitung
nach Süden hin eine Grenze. Denn für die letztere ist Waldung,
namentlich von Nadelholz ein nothwendiges Element. Da wo
sie verschwindet und wo am untern Laufe des Ufsuri die Ufer ebeu
und wiefeuartig sind, findet man ihn nur im Gebirge, und dasselbe
ist am Amur der Fall.
Deshalb legte die chinesische Regierung stets Werth auf den
Besitz der nördlich vom Amur gelegenen waldreichen Gebirge,
denn sie waren „reiches Zobellaud". Unterhalb des Ufsuri, wo
der Amurstrom sich uach Norden wendet und bis an seine Müu-
dnng ein gebirgiges und waldreiches Gelände durchströmt, nähert
sich der Zobel mit der Nadelholzwaldung mehr und mehr den nn-
mittelbaren Ufern des Stroms, welche er an der Mündung des
Gorieflnfses erreicht; von dort beobachtete Schrenck ihn bis an die
Meeresküste in großer Zahl.
Während der Jahre 1854 bis 1856, in welche Schrenck's
Wanderungen durch jene Region fallen, flössen den Handelsleuten
aus Jrkutsk und von der russisch-amerikanischen Handelsgesellschaft
vom untern Amur her viele taufende von Zobelfellen zu.
Dieses Pelzthier hat sich aber auch über die anliegenden Inseln
verbreitet, z. B. aus den Schantarifcheu Eilanden, auf Sachalin,
wo es noch häusiger ist als auf dem Kontinente, bis an das Süd-
ende vorkommt und im Handel der Japaner von Bedeutung ist.
Vielleicht und wahrscheinlich liegt an jenem Südende der genannten
Insel seine Aeqnatorialgreuze.
Der Zobel hat keine gleichmäßige Farbe; er bietet eine Reihe
von Schattirnngen dar, von einer beinahe schwarzen bis zu einer
hellbraunen, röthlichen uud gelbliche». Bei der Benrtheilung des
Handelswerthes kommen diese Verschiedenheiten sehr in Betracht.
Je dunkler das Fell, um so theurer, je Heller, um so wohlfeiler ist
es. Em geübter Zobelkenner kann beiiu ersten Blick auf ein Fell
die Gegend Sibiriens oder den Fluß bezeichnen, von welchem das
Thier herrührt. Im Amurlande gilt als Regel, daß der Zobel,
je weiter nach Ost und Süd, also je mehr er sich von dem Innern
nach der Meeresküste und von den nordischen Wildnissen Sibiriens
nach den gemäßigteren Gegenden hin entfernt, auch desto mehr au
Güte abnimmt, denn das Haar verliert au Schwärze uud Dich-
tigkeit. Ju Sibirien jagt man die besten Zobel an der Olekma
und dem Aldau, uud jene am obern Amur stehen den sehr ge-
schätzten Nertschinskischen Zobeln nur wenig nach. Das gilt
namentlich von jenen in der Umgeud von Albasin. Die Eiuge-
boreueu (die Maugunen und Giljaken) unterscheiden nach der Güte
des Felles den Zobel vom linken uud jenen vom rechten Amurnser.
Auf der Insel Sachalin kommt er meist so hell vor, daß er kaum
dem schwarzen Thiere ans dem Innern Sibiriens ähnelt. Schrenck
erkennt in ihm eine interessante Mittelsorm zwischen dem asia-
tischen und dem uordamerikauischen Zobel, welche die größte Aehu-
lichkeit mit dem letzter:: hat, nur ist er mehr graubraun, jener
amerikanische dagegen mehr röthlich- braun.
Vom Innern Sibiriens aus uach Westen hin zeigt sich eine
Abnahme in der Güte der Zobelfelle, und auch uach Osten hin ist
in manchen Strichen dasselbe der Fall. Jene auf Kamtschatka sind
Heller, dagegen werden die von den Küsten des ochotskischen Meeres
mit für die besten gerechnet. Aber die allerbesten Zobel, welche es
überhaupt giebt, sind, wie schon bemerkt, jeue au der Olekma.
Vou dort fiudet eine Abnahme der Schwärze nach Westen
über den Fluß Witim, uach Osten über den Aldan, und dann auch
uach Norden und Süden statt. Mit dieser Erscheinung stehen
Schrenck's Beobachtungen im Amurlaude im Einklänge.
„Wir sehen", sagt er, „die Linien wachsender, schönerer uud
kräftigerer Eutwickeluug des Zobels, gleich Radien nach einem
Mittelpunkte, nämlich der Gegend an der Olekma, zusammen-
treffen. Dort im Innern Ostasiens müssen wir daher auch die
ursprüngliche Heimath, den Mittel- und Ausgangs-
Punkt der Verbreitung des Zobels annehmen. Wir sehen
diesen Punkt innerhalb des sibirischen Kontinents, in einem aus-
gesprochen kontinentalen Klima, mit den excessivsten Winterfrösten,
in der Nähe der Kältepole und dabei in einer gebirgigen, mit hoher
nordischer Nadelwaldung bestandenen Regionen liegen. In der
Vereinigung dieser verschiedenen Momente müssen wir deshalb
auch die der EntWickelung dieses Thieres günstigen Bedingungen
erblicken, uud in deren theilweiser, allmäliger, größerer oder ge-
ringerer Abnahme von jenem Pnnkt ans, den Grund seines all-
mäligen Verkümmerns uud die Erklärung für die Grenzen seiner
Verbreitung suchen."
Pallas meinte, daß namentlich die Schwärze des Felles von
der Art der Waldung abhänge, welche der Zobel bewohnt; die
besten sollen in Tannenwäldern, weniger dunkle in Pappel-
uud Weideugehölzeu, die hellsteu endlich in Lärchen- und
Cedernwaldnngen und Gestrüppen vorkommen. Mit diesen
Bemerkungen stimmeu anch Schrenck's Beobachtungen Überein.
Die Insel Sachalin, wo der schlechteste Zobel vorkommt, ist
zugleich das Cedernland des Amurstromes. Aber der Charakter
der Waldung darf doch nicht als alleiniges leitendes Moment an-
gesehen werden. Das Bestimmende für die Verbreitung uud
kräftigste Eutwickeluug des Zobels liegt vielmehr iu dem Zusammen-
treffen mehrerer Momente.
20*
156
Kleine Nachrichten.
Kleine U
Der australische Kontinent zum dritten Male durchwandert.
Burke und Landsborongh haben in M'Kinlay einen Nachfolger
erhalten. Dieser Reisende war von den Außenbezirken Südanstra-
liens nach Norden hin bis zum Carpentariabnsen und von dort
nach Port Denison in Queensland gegangen. Am 18. September
war Kapitän Adams mit der Brigg Fortune in Sydney ans Port
Denison angekommen und brachte Kunde, daß M'Kinlay glücklich
eingetroffen sei, und zwar in der ersten Hälfte des Julimonats. —
In Melbourne wird eine Eisenbahn nach dem Golfe
von Carpentaria projektirt. Ein Bericht sagt: „Vielen er-
scheint der Vorschlag als Wahnsinn, es sollte mich aber gar nicht
wundern, wenn binnen hier und zehn Jahren die Sache gethan
wäre. Die ganze Gegend im Osten der von Landsborongh durch-
wanderten Linie wird bald von Ansiedlern in Besitz genommen sein,
und man wird dann für erleichterten Transport sorgen müssen.
Eine Bahn mit Plattschienen (Tramway) bis nach Carpentaria,
uud etu elektrischer Telegraph zur Verbindung mit Europa wird
nicht allzulange ans sich warten lassen/'
Uebrigens haben sich im Laufe dieses Jahres wieder die be-
kannten scharfen meteorologischen Gegensätze iit Australien empfind-
lich bemerkbar gemacht. Vom nördlichen Queensland bis zum
Kap Howe (Südost-Australien) herrschte entsetzliche Dürre, welche
den ganzen Osten heimsuchte, während nach Westen hin, in Victoria
und Süd-Australien, Regen in ungeheurer Menge fiel.
Ausstand der Neger in St. Vincent. Da wo keine indischen
und chinesischen Arbeiter auf den Antillen beim Plantagenbau
thätig sind, haben die weißen Leute mit deu Negern große Noth
uud müssen sich nicht selten übertriebenen Forderungen fügen. Die
Neger wollen nicht arbeiten, falls sie nicht außer dem Taglohn
auch Rum, Zucker und dergleichen mehr erhalten. Auf einzelnen
Pflanzungen der westindischen Insel St. Vincent ist nun die Rum-
Vergütung ihnen entzogen worden, weil sie schädlich wirkte. Sofort
stellten die Neger alle Arbeit ein. Dazu hätten sie ein Recht gehabt;
aber sie gingen weiter, rotteten sich zusammen und mißhandelten
nicht nur deu Aufseher der Pflanzung, sondern auch die Polizei,
welche herbeikam, um Ruhe zu stiften. Dann bewaffneten sich
mehrere hundert Männer uud Frauen mit Messern, Flinten und
Knütteln, bliesen auf ächt afrikanische Art Lärm vermittelst großer
Seemuscheln, legten Feuer au die Zuckerfelder, steckten Häuser in
Brand und stürmten wie Rasende auf der Insel umher. Von
Monnt Bentiuck zogen sie aus, verwüsteten was sie unterwegs
fanden, schlugen auf alle Weiße ein, Weiber und Kinder nicht
ausgenommen, und zogen im Oktober gegen die Stadt Kiugstown.
Die Negerunruhen wurden so gefährlich, daß der Gouverneur
Musgrave den Kriegszustand verkündete uud in aller Eile >50
Freiwillige ausrief, welche sofort mit einigen Kanonen ausrückten.
Die Ruhestörer hatten mit dem schwarzen Pöbel in der Stadt
Einverständnisse angeknüpft und mit ihnen verabredet, Kin g s to w n
erst auszuplündern und dann in Brand zu stecken. Am 2. Oktober
ritten die Freiwilligen unter Major van Heyningen den Meuterern
entgegen, die, etwa 800 Köpfe stark, unweit der Stadt lagen.
Nachdem sie einige Gegenwehr geleistet hatten, stoben sie ans
einander und flüchteten in die Wälder. Diese Niederlage kam gerade
recht; denn als sich die Nachricht vou derselben verbreitete, wurden
ein paar tausend andere Neger stutzig. Diese hatteu sich nämlich
in einem andern Theile der Insel zusammengerottet und zogen ebeu
gegen Georgetown, um diese Stadt zu plündern und ein-
zuäscheru. Die Diuge waren aber doch noch sehr ängstlich; da
kam zum Glück ein Kriegsschiff von dem benachbarten Barbadoes
mit einer Abtheilung Soldaten, welche sofort landeten, Streifzüge
machten uud etwa zweihundert Neger gefangen nahmen.
Nun kam die Beichte, und es stellte sich heraus , daß die Rum-
frage nur ein Vorwand gewesen war. Unter den Negern der Insel
hatte sich seit längerer Zeit eine Verschwörung gebildet, die einen
durchaus kommunistischen Zweck hatte. Dk Neger, so lerntet
der Bericht, wollten sämmtliche Plantagen auf St. Vincent sich
aneignen und alle Weißen und Mulatten ermorden; vor
allen Dingen hatten sie aber schon die weißen Frauen im
voraus unter sich vertheilt; die Rädelsführer hatten die schönsten
für sich ausgesucht.
Die alte Klage, daß es am Ende den Weißen gar nicht mehr
möglich sei, neben den freien Negern in Westindien zn leben,
wird jetzt abermals erhoben. Es muß aber auch bemerkt werden,
daß die Neger den Mulatten eben so seind sind, wie den Weißen,
und daß sie es auch auf deren Ausrottung absehen. Die Geschichte
von Haiti, welche sich so wesentlich um einen Kampf zwischen
ch r i ch t e n.
Negern uud Mulatten dreht, zeigt gleichfalls, wie tief Haß
und Abneigung zwischen deu schwarzen und gelben Leuten, den
urwüchsig barbarischen Afrikanern ungemischten Blutes uud den
Mischlingen, ist.
So lange England diese westindischen Inseln im Besitz bat,
kann ein allgemeiner Ausbruch der Negerbarbarei durch Waffen-
gewalt verhindert werden; aber mau deute einmal, was kommen
müßte, wenn dieser Schutz der Bayonnette fehlte? Es wäre
gewiß zweckmäßig, wenn jeder Abolitionist von Profession auf
irgend einer der Antillen ein halbes Dutzend Lehrjahre unter freien
Negern zu verleben hätte. Vielleicht kämen dann wenigstens
Einige zum Nachdenken; Alle gewiß nicht, beim Fanatiker und
Doktrinäre beharren bei ihrer Formel. Sie können nie Unrecht
haben; ihnen gegenüber hat nur die ganze Welt Unrecht, und in
den Thatsacheu liegt für solche Doktrinäre kein Beweis und keine
Logik.
Dcportirtc in West-Australien. In der Novembersitzung
der Londoner geographischen Gesellschaft sprach Gouverneur
Kennedy über West-Australien; nach dieser Kolonie werden
auch jetzt noch Verbrecher depvrtirt, nnd man hat aus England
etwa 7000 dorthin gesandt. Diese Diebe, sagte der Gouverneur,
sind ehrliche Menschen geworden. Der Procentsatz von Verbrechen
ist in West-Australien geringer als irgendwo in den britischen
Besitzungen, denn die Leute werden zur Arbeit angehalten, nnd
haben stets Arbeit vollauf. So lange auf je einen Verbrecher zwei
freie Einwanderer iu die Kolonie kommen, habe diese gar nichts
gegen die Aufnahme der ersteren einzuwenden. —
Wir unsererseits meinen, daß Gouverneur Kennedy ganz
recht habe. Es ist viel zweckmäßiger, Verbrecher iu neue Länder
zu bringen, wo sie vollauf zu arbeiten haben, von ihrem laster-
haften Umgange getrennt und alten bösen Gewohnheiten und Ver-
suchungen entrückt sind, als sie in Europa erst in Gefängnisse zu
sperren und nach „abgesessener" Strafe wieder freizulassen, um
unter zehu Malen neun Mal rückfällig zn werden und eine Pest-
beule der Gesellschaft zu bleiben. Aber unsere moderne Philan-
thropie, die freilich oft in einem wunderlichen Labyrinth umher-
taumelt, hat sich gegen die Deportation erklärt.
Deutsche Kolonien in Brasilien. Ueber die deutscheu Nieder-
lassungen iu der Provinz Santa Catharina giebt das zu
Rio de Janeiro erscheinende Journal do Commercio einige Mit-
theilnnaen anö dem Berichte des Präsidenten der Provinz.
Die Kolonisten, sagte er, leben im Allgemeinen zufrieden,
haben aber mit mehr oder weniger Schwierigkeiten zn kämpfen,
nnd die EntWickelung geht langsam. Die im März 185 l gegrün-
dete Kolonie Donna Francisca zählte 1854 erst l 194 Seelen,
jetzt 919 Familien, zusammen mit 3050 Köpfen. Sie hat große
Pflanzungen von Maudioca, Mais, Bohnen, Reis, Zuckerrohr und
Tabak, auch manche industrielle Unternehmungen, z. B. 42 Man-
diocamehl-Fabriken, 20 Zuckerfabriken, 5 Mais - und Reismühlen.
Zwei Kolonisten haben eine Art Seidenraupe entdeckt, dieselbe
anderthalb Jahre laug beobachtet und versprechen sich große Vor-
theile von ihr. Auf der Kolonie Sta. Isabel befinden sich (>84
Personen; in der 1860 gegründeten Niederlassung Brnsqne 727;
die Kolonie Blumenau zählt etwa 1500 Seelen.
Vom Juni 1860 bis März 1862 sind in der Provinz Sta.
Catharina 1224 Personen eingewandert. Der Staat hat für die
Kolonisation iu dieser Provinz von 1855 bis 1861 verausgabt
506,950 Milreis, etwa 362,000 Thaler nach deutschem Gelde.
Civilisation ans Sicilicn. Wir erwähnten jüngst der unge-
heuren Menge von Mordthaten auf der Insel Korsika. Jetzt wird
unterm 18. November aus Palermo auf Sicilien geschrieben:
„Ueberall auf der Insel herrscht Furcht und Verbitterung, Schrecken
und Verheerung, Kampf und Mord. Man kann die Zustände iu
deu drei Worten zusammenfassen: Elend, Blut und Thränen. Allent-
halb Ranb, Mord, Diebstahl; in allen Zweigen der Staatsver-
waltung herrscht Bestechung, statt der Freiheit Belagerungszustand.
Vom 1. Januar bis zum 25. Oktober 1862 wurden im Bereiche
des Palermitaner Gerichtsbezirkes 6745 Verbrechen begangen; da-
von waren Blntthaten 743, qualificirte Diebstähle 1099, verschie-
dene Verbrechen 931, Gewalttätigkeiten 3134, Gesetzesübertre-
tungen 838! In weniger als fünf Monaten also 743
Blntthaten; aber dabei sind die unzähligen Körperverletzungen,
Kleine
welche unter der allgemeinen Bezeichnung „Gewaltthätigkeiten"
begriffen sind, nicht mitgerechnet.
Ans Hinterindien. Siam und die Franzosen. Wir haben
wiederholt darauf hingewiesen, daß Frankreich großen Werth darauf
legt, sich in Hinterindien eine Machtstellung zn verschaffen. Darin
liegt der Grund zu dein Kriege, welchen es gegen den König vonAn-
nam vom Zaune brach. Es erzwang einen Frieden, welcher ihm das
östliche, bisher dem Kaiser von Annam unterworfene K a mb o d sch a,
das Deltaland des Mekong, verschaffte. Die Hauptstadt der
neuen Besitzung ist Saigong. Der westliche Theil von Kam-
bodscha bildet eine Provinz des Königreichs Siam, aber auch auf
diesen haben es, den jüngsten Nachrichten zufolge, die Franzosen
abgesehen. Sie trachten dahin, den ganzen Lauf des großen und
schönen Mekong, welcher aus dem südwestlichen China herab-
strömt, von sich abhängig zu macheu, während Engländer zu Nau-
guhn in Barma den, bis auf Weiteres uoch phantastischen, Plan
entworfen haben, von dieser Stadt aus eine Eisenbahn nach
jenem südwestlichen China (der Provinz Uiin nau) zn bauen. Die
Provinz Kambodscha, in soweit sie nördlich von dein an die Fran-
zosen abgetretenen Theile liegt und siamesisch ist, befindet sich in
einem Zustande der Rebellion; ein Nachkomme der früheren Könige
will das Land wieder unabhängig machen. Nun behaupten die
Frauzosen, siamesische Truppen hätten bei Verfolgung der Auf-
ständischen sich einer Gebietsverletzuug schuldig gemacht. Das tst
aber lediglich ein Vorwand, denn eine auch nur annähernd sestbe-
stimmte Grenzscheide ist in jenen Gegenden gar nicht gezogen worden.
Aber der französische Admiral Bonnard hat schon mit dem siame-
fischen Hof angebunden, indem er Klage über Gebietsverletzung
führte. Auch kündigte er an, daß er einige bewaffnete Fahrzeuge
stromauf geschickt habe und auf einen freundlichen Empfang der-
selben rechne.
Barma ist im Verfall; indem die Engländer diesem Staate
das Mündungsgebiet des Jrawaddy und die Seeküste wegnahmen,
unterbanden sie ihm die Lebensadern. Barmanische Streifschaareu,
„Banditen", machen Einfälle in's britische Gebiet und haben auch
einige Engländer ermordet. Nun ist Oberst Phayre, ans dessen
von Uule geschilderter Gesaudtschaftsreise uach Amerapura wir im
Globus Mittheilungen gegeben haben, nach der gegenwärtigen
Hauptstadt Mandala'y abgegangen, um vom Kaiser Genug-
thunng zu fordern und endlich einen bündigen Vertrag zn erpressen,
gegen welchen der barmanische Kaiser bis jetzt sich mit Hartnäckig-
fett gesträubt hat. Die Engländer in Ranguhu meinen, daß ein
Krieg unausbleiblich sei und ein Schreiben von dort äußert: „Die
Barmanen glauben, daß wir ihr ganzes Land einver-
leiben wollen, und es erleidet auch keinen Zweifel, daß
wir nns nicht ewig mit unseren Grenzwäldern be-
gnügen können. Die goldene Halbinsel gewinnt mit jedem
Jahre größere Wichtigkeit; auf der einen Seite haben die Eng-
länder, auf der anderen die Franzosen festen Fuß gefaßt."
Die Holländer im Indischen Archipclagns. Streit über Su-
matra. Die Briten beneiden den Holländern die schönen Be-
sitzungen in der ostindischen Eilandflur, und diese erblicken in jenen
lästige Eindringlinge nnd unwillkommene Nachbarn. Nun ist ein
Zank über Sumatra entstanden. Die obere Hälfte dieser Insel
bildet die Ostgrenze einer der wichtigsten Fahrbahnen nn Ocean,
nämlich der Malakkastraße, in und an welcher die Engländer
drei wichtige Punkte inne haben: Singapore, Malakka und
Pulo Pinang. Die Nordspitze steht unter einem unabhängigen
malayischen Fürsten, dem Könige von Aschin (Acheen), m dessen
Lande der vortreffliche Pfeffer wächst, welcher von Pulo Piuaug
in den Handel kommt. Während der napoleonischen Kriege hatten
die Engländer sämmtliche holländische Besitzungen desÄrchipelagns
besetzt/ gaben nach dem Frieden, insbesondere >824, dieselben
wieder zurück, behielten aber Malakka, Ceylon nnd das Vorgebirge
der Guten Hoffnung. Ju dem Vertrage von 1824 war die Fort-
dauer der Selbständigkeit aller bis dahin unabhängigen Staaten
ans Sumatra festgestellt und ausgemacht worden, daß dem Handel
der Engländer wie der Holländer mit jenen Staaten kein Hinder-
niß in den Weg gelegt werden solle. Nun beklagen sich die Eng-
länder darüber, daß Holland ans Sumatra rücksichtslos armektirt
und deu Handel von Pulo Pinang geschädigt habe. Schon 184 !
remonstrirten sie dagegen; aber vor etwa fünf Jahren nahmen die
Holländer das Fürstenthum Siak, das so ziemlich Malakka
gegenüber liegt, in Besitz, nnd jetzt beanspruchen sie die
Oberherrlichkeit über alle Pfesferhäfeu vou Siak nach
Norden hin bis Asch in; anch in Langkat haben sie bereits ihre
Flagge aufgezogen. Die malayischen Fürsten haben sich mit Be-
schwerden an die Engländer gewandt, diese haben ein Kriegsschiff
157
nach Langkat geschickt, und von London ans hat man eine scharfe
diplomatische Note nach dem Haag gesendet.
Wir wollen hier bemerken, daß auf der Südostküste von
Borneo, in Banjarmassing, welches unsere Leser ans der
vorigen Nummer kennen, wieder in Ausstand ausgebrochen ist,
welcher deu Holländern viel zu schaffen macht.
Ostindiens Staats -Einnahmen und Ausgabe». Für das
Jahr 1863 sind die ersteren aus 42,971,200 Pfund Sterling, die
letzteren auf 36,329,400 veranschlagt worden. Die Vertheilung
siudet in folgender Weife statt:
Provinzen. Einnahme. Ausgabe. 5,258,001 Pfd. St.
Bengalen . . . 12,820,746
Nordwest-Provinz 5,502,000 2,251,932 „ „
Andh..... 1,160,900 763,900 „ „
Peudschab . . . 2,843,200 1,136,515 „ „
Bombay und Scinde 7,121,862 3,378,948 „ „
Berar..... 355,400 103,800 „ „
Central-Provinzen 725,300 620,600 ., „
Madras .... 6,395,891 3,275,665 „ „
Straits Settlements 153,800 120,390 „ „
Barma .... 733,000 529,031 „ „
Haiderabad . . . 11,700 9,110 „ „
Unter den Straits Settlements versteht man die engli-
sehen Niederlassungen an der Straße von Malakka, z. B. die Insel
Pulo Pinang nnd die Stadt Malakka. Auch Siugapore gehört
dazu. Haiderabad ist eiue „Nefideutschaft."
Wir wollen hier bemerken, daß die Engländer jetzt angefan-
gen haben, in Indien D a m p f p f l ü g e einzuführen, in Dschessore
und Radschschaji sind dergleichen inThätigkeit.— Die Mündungen
des Hughly, au welchen bekanntlich Calcutta liegt, sind in jüngster
Zeit noch gefährlicher für die Schifffahrt geworden als früher.
Berichte vom Ende Oktobers melden, daß binnen einem halben
Jahre nicht weniger als sechs große Dreimaster auf den Untiefen
gescheitert seien.
Gold in Nen-Seeland. Der Reichthum der Goldgruben
unterliegt eben so wenig einem Zweifel wie die Nachhaltigkeit. Im
Angnst wurde iu der Provinz Otago wieder ein sehr ergiebiges
Goldfeld aufgefunden. Zwei Männer kamen uach dem Hafeuplatze
Dunediu und legten in der dortigen Bank 87 Pfund Gold
nieder, sagten aber nicht, wo sie dasselbe gewonnen hatten, bis die
Regierung ihnen 2000 Pfund Sterling versprach, wenn sie ein
Goldfeld nachweisen könnten, dessen Ausbeute sich binnen drei Mo-
naten ans 16,000 Pfd. St. belaufen würde. Nun gaben sie als
Fundstätte deu oberu Lauf des Clutha- oder Molineux-
Flusses au, 180 Miles von Dunediu, aber jene Gegend ist wegen
Mangels an Straßen oder auch nur Pfaden sehr schwer zugängig.
Trotzdem brachen Leute dorthin auf und zahlten 180Pfund Sterling
Fracht für jede Tonne, also für 20 Centner ungefähr 1200 Thaler
uach unserm Gelde! In Dunediu erhält jeder Handwerker
20 Schillinge, also 6 Thaler 20 Neugroschen, Tagelohn.
Als die Nachricht vou dem neuen Fund in Melbourne, Australien,
bekannt wurde, giug gleich ein ganzes Geschwader von Schiffen
nach Neu-Seeland ab ;' eines z. B. mit 800, ein, anderes mit mehr
als 900 Fahrgästen; binnen acht Tagen waren über 5000 einge-
schifft. Sie wollten theils nach Otago, theils nach Coromandel
in der Provinz Auckland.
Kalifornisches Silber. Wir haben dann und wann erwähnt,
daß am Ostabhange der Sierra Nevada Silbergruben entdeckt und
in Bearbeitung genommen worden seien. Jetzt lesen wir Näheres
darüber iit einer Mittheilung des jüngernHerrn von Richtho fen,
welcher die preußische Expedition uach Ostasien mitmachte nnd sich
im September zu Virginia City, im Territorium Nevada
befand.
Herr von NichtHofen bemerkt, daß aus Kalifornien nach diesem
neuen Gebiete schon sechs Straßen über die sechstausend
Fuß hohen Pässe der Sierra Nevada führen. Man
schaffte mit ungeheuren Kosten Dampfmaschinen nnd Alles, was
zum Grubenbetriebe gehört, über das Gebirge nach dem neuen
Silberlande, und dort wurde binnen zwei Jahren eine so großartige
Betriebsamkeit hervorgerufen, wie man sie in vielen alten Berg-
Werksdistrikten vergeblich sucht.
Im Jahre >860 war die Silberausfuhr noch ganz mibe-
deutend, 1861 stieg sie schon auf drei Millionen Dollars, wird
1862 sich auf mehr als fünf und im Jahre 1863 schon auf zehn
Millionen belaufen, oder, wie Herr von R. meint, sogar nber-
steigen. „Denn, sagt er, die wichtigsten Erzlagerstatten ergeben
noch gar nichts, weil die erforderlichen Verbindungsstraßen zum
Transport vou Maschinen noch nicht vollendet find. Aber unter
158 Kleine
den in Betrieb stehenden Gruben fördert allein eine Kompagnie,
die Ophir-Kompagnie, welche 200 Fuß eines Silberganges besitzt,
ans diesem kleinen Stück monatlich Silber und Gold im Werthe
von 250,000 Dollars, und wird es iu weiteren zwei Monaten ans
400,000 Dollars monatlicher Förderung bringen."
Virginia City, das Emporinm der neuen Silberregion,
liegt in einem wüsten Gebirge und fern von jeder Kommunikation.
Vor drei Jahren wohnten au dieser Stelle nur wenige Indianer,
jetzt hat die Stadt 5000 Einwohner und täglich erhält sie An-
kömmlinge. In der nächsten Umgebung ist ein Dutzend kleiner
Städte aus dem Boden gewachsen. Große Züge von Answande-
rern aus deu östlichen Staaten kommen auf dem beschwerlichen
Landwege durch die Wüste des Großen Salzsees aus Utah täg-
lich durch das Nevada-Territorium und ziehen weiter nach Kali-
formen.
Die Silberregion bildet einen Theil des großen Binnenbeckens,
iu welchem mehrere fruchtbare Thäler liegeu. Aus der wüsten
Fläche ragen einzelne kahle Gebirgszüge auf und in diesen sind
die Erzgänge. _
Schwamm-Fischerei im Adriatischen Meere. Von den zahl-
reichen Arten mögen hier blos jene Hornschwämme näher her-
vorgehoben werden, welche wegen ihrer ausgebreiteten Verwendung
und Brauchbarkeit eiu allgemeines Interesse haben. Im Adria-
tischen Meere kommen zwei Arten von Schwämmen vor, die
Spongia adriatica und S. quarnereusis, welche von Fiume au bis
zur albanesischen Küste von dalmatinischen Fischern gesammelt und
als gute Badeschwämme iu deu Handel gebracht werden. Die ge-
nannten Schwämme zeichnen sich vor den anderen Hornschwämmen
aus durch die Leichtigkeit, mit der sie ausgewaschen und von dem
schwarzen Ueberzuge befreit werden können. Der dalmatinische
Schwamm wird vom Quaruero an bis zn den Jonischen Inseln in
sehr wechselnden Tiefen von 2 bis 20 Faden gefunden. Er scheint
vorzüglich die Küste der zahllosen Jnselcheu und Scoglien zn lieben,
weniger die geschlossenen Häfen. Die Schwammsischerei als Ge-
werbe wird ausschließlich vou den männlichen Bewohnern der
kleinen Insel Crapano, unterhalb Sebenico, ausgeübt. Zu je.zwei
iu einem offenen starken Boote gehen sie im Frühjahr auf deu Fang
ans, der ein sehr mühsamer ist. Der eine Manu dirigirt das Boot,
es langsam vorwärts treibend, während der andere, nur mit einen?
Fuße un Boote sich haltend, mit dem andern balancirend, den
ganzen Körper über den Vorderrand des Fahrzeugs hinausbiegt
und mit scharfen, der Wasseroberfläche soweit wie möglich genäher-
teu Augen nach den Schwämmen am Meeresboden späht. Kräuselt
eiu leichter Wind das Wasser, so wird es durch etwas Oel geglättet.
Der Fischer hält eiue vierziukige, mit langem schwanken Stiele
versehene Gabel, mit der er, wenn er möglichst lothrecht über dem
Schwamm ist, ihn loslöst. Reicht die eine Gabel nicht aus, so
greift er hinter sich und holt eine zweite, die er mit großer Beben-
digkeit an die erste bindet. Die Schwämme werden ganz frisch
geknetet und ausgedrückt. Der Ertrag der dalmatinischen Schwamm-
fifcherei hat sich in den letzten Jahren bei sehr thenrer Waare auf
etwa 10,000 Gulden belaufen. Da nach den bisherigen Beobach-
tuugeu eiue küu stli ch e F o rtP fla n z u u g u n d V erm e h rn n g d er
Schwämme ganz wohl möglich ist, so weis't I)r. Oskar
Schmidt wiederholt darauf hin, wie sehr es im staatsökonomischen
Juteresse wäre, iu dieser Beziehung an der dalmatischen Küste Ver-
suche zu machen. Die Triester Handelskammer ist darauf eiugegau-
gen und es werden diese Versuche im kommenden Frühjahre unter der
Leitung des Herrn Pros. Schmidt unternommen werden, dessen
Werk über die Spougieu des Adriatischeu Meeres sehr
werthvoll ist. Oskar Schmidt war früher Professor iu Jeua,
jetzt lehrt er au der Universität in Graz.
Das Steinöl in den Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Wir haben mehrfach darauf hingewiesen, welche Bedeutung das
in so reichlicher Fülle aus der Erde hervorquellende Steinöl für
Nordamerika gewinnen müsse. Unsere Annahmen finden durch die
Mittheilungen iu deu Börseuartikeln der Neu-Iorker Blätter volle
Bestätigung.
Aus den Häfen der Nord-Union wurden in neun Monaten,
vom 1. Januar bis 30. September ISO L, ausgeführt nur 308,982
Gallonen Steinöl; in demselben Zeitraum 1802 war aber die
Ausfuhr schon aus 6,294,819 Gallonen gestiegen. Dazu kommt
uoch der Verbrauch im Lande selbst, der einen immer größern
Umfang annimmt.
Die Erläuterungsschriften, welche den Zahlen des achten
Censns von 1860 beigegeben sind, enthalten ausführliche Nach-
Weisungen über dieses wichtige Erzeugniß; wir entnehmen denselben
anszngsweise das Folgende:
Petroleum, Stein- oder mineralisches Oel war schon
den Alten bekannt und wurde von ihnen vielfach benutzt. Schou
Herodot erwähnt dasselbe. In seinem flüssigen Zustande findet man
es zum Beispiel au deu Küste» des Kaspischeu Meeres (Baku), in
Barum (Globus II. 303) und in Italien, und nannte es Naphth a.
Die festeren Elemente derselben Substanz sind vorherrschend im
Asphalt und Bitumen; mau findet dasselbe in Menge ans der
Insel Trinidad, wo ein ganzer Asphaltsee vorhanden ist, und im
Todteu Meere.
In Nordamerika wurde deu weißen Bewohnern das Steinöl
in der Mitte des vorigen Jahrhunderts bekannt, und zwar durch
die Seueca-Indianer. Diese fanden es im Oil Ereek, einem
Bache, welcher in dem pennsylvanischen Connty Venango in den
Alleghanyfluß mündet; sodann mich unweit von den Quellen des
Geneseeslusses im Staate Neu-Jork. Damals nannte man es
Seneca- oder Genesee-Oel. Die Indianer verwandten
dasselbe bei ihren religiösen Feierlichkeiten und als Mittel gegen
Wunden. Die Quelle am Oelbache wurde vor etwa vierzig Jahren
gefaßt; der Eigentümer schöpfte das Oel ab mid hatte eine reich-
liche Einnahme. Es ist ermittelt worden, daß vor mehr als
hundert Jahren die Franzosen, welche damals im Besitze des
Mississippithales waren, manche Nachgrabungen auf Oel verau-
staltet haben.
Bis zum Jahre 1845 scheint man nicht gewußt zu habeu, daß
es iu großer Menge vorhanden sei. Als man damals in der Nähe
von Tarentnm, 35 Miles oberhalb Pittsbnrgh am Alleghanv-
slnsse, auf Salz bohrte, traf man eine Oelqnelle. Sofort bildete
sich in Neu-Jork eiue Gesellschaft zur Reinigung desselben, aber
die Ergebnisse sielen nicht befriedigend aus und die Sache ruhte
eiue Zeit laug.
Sie wurde indessen von unternehmenden Leuten bald wieder
aufgenommen. Kaufleute aus Nen-Haven in Connecticut ließen
seit 1857 am Oelbache bohren, erreichten im August 1859 eiue
Tiefe von 71 Fuß und trafen auf eine Quelle /welche täglich
etwa 400 Gallonen lieferte. Dadurch wurde die Nacheiferung an-
gestachelt; noch vor Ende des Jahres 1860 waren nahe an zwei-
tausend Bohrversuche, zum Theil mit großem Erfolg, gemacht
worden, denn schon damals ergaben 74 größere Quellen, bei denen
man Pumpen anwandte, einen täglichen Durchschnittsertrag vou
1165 Fässern (zu 20 Galloueu) rohen Oels, was einen Werth
von etwa 10,000 Dollars repräfentirt. Nun bohrte man auch bis
500 und 600 Fuß Tiefe, und dadurch wurde der Ausfluß vou
Steinöl so bedeutend, daß von einer einzigen Quelle täglich 3000,
vou weniger ergiebigen 15 bis 20 Faß gewonnen wurden.
Die Menge des ans der pennsylvanischen Qelregion auf der
Suubury- und Erie-Bahn beförderten Oels betrug 1859 nur
325 Faß, im Jahre 1861 schon 134,927. Seitdem hat die För-
derung des Steinöls reißend schnell zugenommen, denn im Ganzen
sind 1861 versandt worden nahe au 50«),000 Faß. Der gegen-
wartige Wochenertrag wird auf 250 bis 300,000 Faß auge-
nommen. Ein zu Oil City in Pennsylvanieu erscheinendes Blatt
bemerkte: „Wir hören, daß die Zahl der jetzt fließenden Quellen
75 beträgt, der früher fließenden und gepumpten Quellen sind 62,
die Zahl der gebohrten und in Augriff genommenen 358, ins-
gesammt 495. Der Betrag des versandten Oels wird zu einer
Million Faß angenommen. Die Zahl der Raffinerien beträgt 25;
die Produktion ist im Zunehmen. Man bezahlt das Faß rohen
Oels an deu Quellen mit einem halben Dollar."
An gereinigtem Steinöl sind aus Philadelphia, Neu-Jork,
Boston, Baltimore und San Francisco vom 1.Januar bis l. April
1862 exportirt worden 2,342,032 Gallonen im Werthe von
633,949 Dollars. Die Zufuhren von Kohlenvl und Petroleumöl
in Ciuciunati betrugen in demselben Zeiträume 519,960 Gallonen.
Telegraph zwischen Smyrna und Syra. Am 15. November
ist die Legung eines neuen unterseeischen Telegraphen-
kabels zwischen Smyrna und Syra glücklich von statten ge-
gangen und daher die telegraphische Verbindung zwischenDentsch-
land und Griechenland über Smyrna und Konstantinopel
wiederhergestellt. Die Legung wurde durch einen dem englischen
Hause Newal und Comp, gehörigen Dampfer bewerkstelligt.
Telegraph durch die Mongolei nach Schanghai. Die eng-
tische Telegraphen- Gesellschaft hat die Absicht, eine Telegraphen-
luüe zwischen Kjachta und Peking zn errichten, und wie das
Gerücht sagt, hat mau Aussicht, daß die Arbeiten zum I.September
1863 beendigt sein werden. Diese Linie wird mit der sibirischen
in Verbindung gebracht und alsdann können die Telegramme
ans Schanghai in einigen Stunden nach London gelangen.
Ein direktes Telegramm zwischen Neu-York und San
Francisco. Am 6. November saudte die vereinigte Presse, ein
Verein der verschiedenen Zeitungsredaktionen, zum ersten Mal ihre
Kleine Nachrichten.
159
Telegramme d irekt nach San Francisco. Es war Nachmittags
fünf Ufir. Die Antwort war datirt. Nachmittags zwei und
ein halb Uhr und traf in Nen-Uork zwischen sechs und
sieben Uhr Abends ein. Die Länge der Telegraphenlinien be-
trägt 3500 Miles; der Zeitunterschied zwischen beiden Städten
3 Stunden 14 Minuten. Die Nen-Uorker Tagesblätter werden
von nun au die Tagesnenigkeiten gleichzeitig uiit den Zeitungen
San Franciscos bringen!
Das Eisenbahn-Netz Italiens. In der vorigen Nummer
gaben wir Mittheilungen über einen Theil desselben. Das ge-
sammte italienische Bahnnetz, in seiner Vollendung gedacht, zeichnet
sich, der geographischen Lage der Halbinsel gemäß, gleichsam von
selbst.
Zwei lange Schienenwege laufen den Meeren entlang.
_ Die eine Linie von der Straße von Messina an über Neapel,
Civita Vecchia, Livorno, La Spezzia, Genua uach Nizza.
Die andere geht vom Absätze des Stiefels am Adriatischen
Meere hinauf nach Ancona, von da nach Bologna und in s Po-
thal, wo sie mit dem nördlichen Netze in Verbindung tritt.
In diesem nördlichen Netze sind vier Linien zu unterscheiden:
1. Parma, Piacenza, Alessandria, Turin, Mout Ceuis nach
Lyon in Frankreich.
2. Piacenza, Mailand. Sesto calende, Simplem uach der
Schweiz.
3. Modeua, Mautua, Verona, nach Tyrol.
4. Bologna, Venedig, nach Tri est in Deutschland.
Außerdem werden die beiden langen Linien noch hin und
wieder durch Querliuieu verbunden. Von Florenz nach Bologna
ist der Schienenweg fertig; Rom soll mit beiden Meeren in Ver-
bindnng gebracht werden; in Apnlien und Kalabrieu soll, bei
günstigeren Verhältnissen, ein Schienennetz gezogen werden, welches
jenem im Norden entspricht.
Im Oktober 1862 war das ganze System in 7 Gruppen ge-
theilt:
im Gebrauch, im Bau. Genehmigt.
1. Nördliche..... 913 327
2. Po-Thal, piemontesisch 53« 211 123
„ venetianisch .475 — —
3. Tyrrhenische Central-
bahn...... 389 (»42
4. Römische Centralbahn,
iuclus. päpstliche ... 217 84
5. Neapolitau. Südbahu . 50 37«) 69V
6. Kalabrieu und Sicilien — 40 —
7. Insel Sardinien ... — — 388
Es waren demnach im Gebranch 2975 Kilometer, im
Bau 1927, koncessionirt 1201 Kilometer. Projektirt hat
man 1227 Kilometer, wovon 897 K. auf die calabrisch-siciliauische
Gruppe kommen sollen, 200 anf die nördliche, 19 auf die Insel
Sardinien:c.
Das vollendete System würde 7330 Kilometer für ganz
Italien umfassen.
Schiffsverkehr in den Hafen des Zollvereins. Ju den
(preußischen, hannoverischen und oldenburgischeu) Seehäfen des
deutschen Zollvereins liefen im Jahre 1801 ein: Segelschiffe
17,704, darunter 11,917 beladen, von 583,782 Lasten und mit
80,057 Mann, Dampfschiffe 1883, darunter 1513 beladen, von
209,905 Lasten und mit 20,815 Mann; dagegen liefen ans: Segel-
schiffe 17,410, darunter 12,730 beladen, von 788,003 Lasten und
mit 88,344 Manu, Dampfschiffe 1889, darunter 1018 beladen,
mit 224,233 Lasten und mit 26,506 Mann.
Die Mündung der Rhone. Ein Ausschuß von Sachver-
ständigen ist in Folge eingehender Untersuchungen zu der lieber-
zeugnug gelangt, daß es nicht möglich sei, dieselbe für große See-
schiffe fahrbar zu machen. Als Ersatz wird jedoch ein 1 Kilometer
lauger, 0 Meter tiefer Schiffskanal von Arles nach der
Bucht vou Foz iu Angriff genommen werden.
Kanal dnrch die Landenge von Korinth. Wie der „Moni-
lenr" meldet, hat sich iu Korinth eine Gesellschaft gebildet, um die
Durch stech uug des Isthmus von Korinth zu unternehmen.
Die Breite dieses Kanals soll 34 Metres, seine Tiefe 6 Metres be-
tragen. Seine Ausdehnung würde 6 Kilometer nicht überschreiten.
Für die von Marseille und dem Mittelmeere uach dem Piräeus
gehenden Fahrzeuge würde die Entfernung um 90 Meilen abge-
kürzt; für die aus dem Adriatischeu Meere kommenden Schiffe
wäre die Zeiterfparniß noch beträchtlicher.
Der brasilianische Hafen Bahia ist einer der wichtigsten des
transatlantischen Kaiserreichs, namentlich für die Ausfuhr vou
Zucker uud Tabak. Wir haben Angaben über das Finanzjahr
1859/60. Der Werth ber Gefammteinfnhr belief sich auf 16,220,744
Milreis, also 1,757,897 Pfund Sterling. Im Jahre 1861 liefen
275 fremde Schiffe mit 80,301 Touuen Gehalt eiu. Davon waren
aus Deutschland: von Bremen 15, Hamburg 9, Hannover 4,
Mecklenburg 1, Preußen auch nur 1, zusammen dreißig, alle
unter ihren Partikular flaggen, die nirgends viel bedeute:?
wollen. Aber der armselige Partikularismus der verschiedenen
Regierungen ist schuld, daß wir, in Seeschifffahrt und Seehandel
die dritte Nation in der Welt, unsere schwarzrotgoldene
ihnen weht. Bremen bezog iu dem brasilianischen Finanzjahre,
das vom 30. September bis I. Oktober läuft, 26,383, Hamburg
17,061 Ballen Tabak. _
Der Handel Belgiens. Der gefammte Ein- und Ausfuhr-
handel dieses Landes stellte sich im Jahre 1861 auf den Werth von
1,870,700,1)00 Francs. Ju dieser Ziffer ist der Werth der sämmt-
liehen znin innern Verbrauche, zur direkten Durchführung und zur
Lagerung iu deu Eutrepots eingeführten Waaren mit zusammen
904,9 Millionen Francs mit inbegriffen. Der Geueralhaudel
der ausländischen, znm innern Verbrauch abgefertigten Waaren
betrug 556,8 Millionen, jener der exportirteu belgischen Produkte
aus 453,6 Millionen Francs. Von der gesammten Eiu- uud Aus-
fuhr sind 64,7 Proceut zu Lande oder auf Flußschiffen, 35,3Proceut
zur See befördert worden. Unter den Einfuhrartikeln finden
wir 203,823,483 Kilogramm Getreide aller Art; Dungstoffe
51,517,2 > 7 Kilogramm, Oelkncheu 16,947,394 Kilogramm. Aus-
geführt wurden unter auderm 3,379,051 Tonnen Steinkohlen,
14,641,118 roher Zink, Getreide 24,945,409 Kilogramm, Papier
für 0,190,000 Francs. Eisenerz >50,127,762 Kilogramm; rohe,
behaltene nnd gesägte Steine 251,389,118 Kilogramm. Die See-
transporte werden vermittelt durch 4099 eingelaufene nnd 4095
ausgelaufene Schiffe, zusammen 8194 Fahrzeuge, deren gesammte
Tragfähigkeit 1,564,551 Tonnen, die wirkliche Ladung 1,063,540
Tonnen nnd die Bemannung 88,264 Köpfe betrug. Seit 1856 ist
der Autheil der belgischen Flagge an der Schifffahrtsbeweguug
des Landes eine immer geringere geworden. Die belgische Rhederei
zählte 1857 noch 142 Segel- und 4 Dampfschiffe, 1801 respektive
nur >03 und 8, zusammen III, wovon auf Antwerpen 04
Schiffe mit 22,622 Tonnen kommen, anf Ostende 30 mit 5889
Tonnen. Die übrigen vertheilen sich anf die Häfen Brügge, Gent,
Löwen, Brüssel und Nienport, welche durch Kanäle mit dein Meer
in Verbindung stehen.
Volksmenge im preußischen Staate. Die „Zeitschrift des
königlich preußischen statistischen Bureaus" enthält in übersichtlicher
Zusammenstellung das definitive Resultat der Volkszählung im
preußischen Staate am 3. December 1861. Nach demselben be-
steht die Gesammtbevölkerung, Civil uud Militär zusammen,
ans 18,491,220 Seelen. Dieselben vertheilen sich anf 1000 Städte
mit einer Gesammteiuwohnerzahl von 5,625,852, und anf 332
Kreise des platten Landes zusammen mit 12,865,368 Bewohnern.
Die Zahl der Stadt- und Landkreise beträgt 345. Die Militär-
Bevölkerung, welche iu vorstehenden Zahlen mit enthalten ist, be-
trägt, inclusive der iu Mainz, Luxemburg, Rastatt und Frankfurt
a. M. liegenden 14,720 Mann, zusammen 268,372 Mann, von
denen auf die Städte 263,711, auf das platte Laud 4661 kommen.
Am meisten bevölkert erscheint die Provinz Schlesien; die-
selbe zählt 3,390,695 Seelen. Nächst Schlesien sind die Rhein-
lande am bevölkertsten: 3,215,894 Seelen. Die Provinz
Preußen wird von 2,806,866 Seelen bewohnt. Die Provinz
Brandenburg hat 2,467,559, von denen auf die Stadt Berlin
Seelen. Die Bevölkerung der Hohenzollernschen Lande be-
trägt 64,675, die des Jahdegebietes 950 Seeleu.
Die preußischen Wollmärkte. Auf deu 14 preußischen
Wollmärkten wurden im Jahre 1802 241,05!) Ceutuer Wolle
verkauft, nämlich 5,953 Centuer extrafeine, 63,472 Centner feine,
128,193 Centner mittlere, 44,011 Centner ordinäre. Die be-
dentendsten Märkte sind: Berlin mit 110,810, Breslau mit
160
Kleine Nachrichten.
59,000, Posen mit 20,939, Stettin mit 17,811, Landsberg
an der Warthe mit 14,000 Centner Wolle. Den Hauptumsatz
von extrafeiner Wolle hatte Breslau, von allen anderen Sorten
Berlin. _
Ausfuhr von Seidenwaaren in Lyon. Dieselbe betrug im
Jahre 1861, Bänder eingeschlossen, 333,310,000 Francs; ein
starker Ausfall gegen 1860, denn damals betrug sie für 454,731,485
Francs (121,421,485 Francs weniger). Der Durchschnittsexport
stellt sich für die fünf Jahre vor 1862 auf 420,116,080 Francs im
Jahre. Jener Ausfall ist hauptsächlich eiue Folge des Krieges in
Nordamerika.
Baumwolle in Afrika. In England reitet man alltäglich
auf diesem Steckenpferde, umgeht aber die Hauptsache. Daß iu
Afrika, sowohl im Norden wie im Südeu des Aequators, große
Landstrecken sich für deu Anbau dieser Pflanze eignen, und daß die
Neger Baumwolle für ihren Bedarf bauen, das ist eine weltbe-
kannte Sache, und wir brauchen dafür weder Baikie's noch Living-
stone's oder Anderer Angaben. Nun tritt ein Herr Baxter Laugley
auf und macht abermals Hoffnungen über große Banmwollenzu-
fuhren aus Afrika und beruft sich, unglücklich genug, auf die
Beobachtungen, welche mau am Sambesi gemacht habe. Er weist
aber nicht nach, wie man es anfangen wolle, die Schwarzen zum
regelmäßigen Anbau der Baumwolle zu vermögen, wie diese
entkörnt werden soll, und wo sichere und zuverlässige Transportmittel
sind; auch ist er außer Staud, eiue nur annähernd sichere Schätzung
über den Ertrag in den verschiedenen Regionen zn geben. Seit
zwanzig Jahren immer dasselbe Lied ohne irgend welchen Erfolg.
Aus der Kap-Kolonie. Die Regierung derselben will im
nächsten Jahre eine Telegraphenleitung bis Natal anlegen,
und man zweifelt nicht, daß die gesetzgebende Versammlung die er-
forderlichen Mittel bewilligen werde. Denn das Kap-Parlament
ist freigebig, wenn es sich lim Gelder für Verkehrsmittel handelt,
und notirt deshalb während seiner diesjährigen Sitzung mehr als
eine Million Pfund Sterling für die Eisenbahn von Port
Elisabeth nach Grahamstown, welche allerdings eine sehr
fruchtbare Gegend erschließen wird.
In den westlichen Theilen der Kap-Kolonie waltet noch immer
ganz entschieden das holländische Element vor, und dieses will, so
weit irgend möglich, das englische Element von sich fern halten.
Beide sind einander nicht sympathisch. Diese Holländer wollen
lieber schwarze Arbeiter, welche sich allerdings für das Klima besser
eignen.
Britisch-Cafraria (die Region zwischen dem großen Kei
und demKeiskamma, südlich von den Amatolabergen und seit 1836
respektive 1847 Provinz) hebt sich rasch, und die Hauptstadt Kin g-
Williams-Towu erhält ununterbrochen Zuwachs au Be-
völkerung.
Der Oranje-Freistaat, welchen die holländischen, der eng-
tischen Herrschaft abgeneigten Bauern westlich von Natal und dem
Lande der Basutnkafsern gegründet haben, erhielt jüngst einen be-
trächtlicheu Gebietszuwachs, indem die Gebrüder Kok, Häuptlinge
der Griquas, dem Präsidenten Prätorins ihr sehr ausgedehntes
Gebiet für 50,000 Guldeu abtraten. Die Griquas sind Mestizen,
stammen von holländischen Vorvätern und Hottentottenmüttern ab
und wohnen an den Flüssen Oranje und Vaal.
Zweifelhafter Ausgang der Expedition des Lieutenant
Kruscusteru in das Nördliche Eismeer. Aus Archangel wird
geschrieben: In diesem Jahre wurde durch den Kapitän ersten
Ranges Krusenstern unter Mitwirkung der Regierung eine
Expedition in das Nördliche Eismeer zur Erforschung
des Weges nach der Mündung des Jenissei ausgerüstet.
Am l. August liefeu zu diesem Zwecke aus der Mündung des
Flusses Kuja (Kreis Meseu) zwei Fahrzeuge aus: der Schooner
„Jermak" unter dem Kommando des Lieutenant Krusenstern
und eiue Dacht unter Leitung des Unteroffiziers Korotki, beide
mit drei Matrosen und dem Mesenschen Bürger Rogatschew be-
mannt.
Am 13. September kehrte die Dacht nach dem Dorfe Knja
zurück nnd der Unteroffizier Korotki erklärte, daß die Expedition
glücklich durch die Jugorische Meerenge in das Karische Meer ge-
kommen sei; am 16. August habe er (Korotki) gesehen, daß der
Schooner von dichten Eismassen umgeben gewesen sei, so daß die
Dacht zwei Werst von demselben habe entfernt bleiben müssen.
Zugleich sei ein dichter Nebel gefallen, der sich erst am dritten Tage
zerstreut habe, und da sei nichts mehr von dem Schooner zu sehen
gewesen und er (Korotki) habe nicht mehr gewußt, welchen Weg er
verfolgen solle. Mittlerweile seien große Eismasseu herbeigekom-
meu, welche die kleine Dacht mehrmals ganz umschlossen, so daß
einmal zwei Bretter von dem Bord abgebrochen wnrden. Da habe er
in der Befürchtung, ganz vom Eise eingeschlossen zu werden nnd zn
Grunde zu gehen, beschlossen, seinen Weg nicht mehr fortzusetzen, und
er sei nach der Jugorifchen Straße zurückgekehrt, um daselbst die
Rückkehr des Schoouers „Jermak" zu erwarten. Er habe daselbst
zwei Wochen zugebracht, einige Male mit Rennthieren das Ufer der
Meerenge bis zur Mündung der Kara befahren, um etwas von
dem Schooner zn erfahren, er habe aber nur gesehen, wie die Eis-
massen in immer größerer Menge herangekommen seien. Auch
Nachfragen bei den Samojeden haben kem besseres Resultat er-
geben. Er habe darauf dem samojedischeu Aeltesteu das Borge-
falleue mitgeteilt, und um feilte Mitwirkung gebeten, falls der
Schooner sich blicken lassen sollte. Znletzt sei er nach dem Dorfe
Kuja zurückgekehrt.
Von dem Schooner „Jermak" sind bis jetzt noch keine weite-
ren Nachrichten eingetroffen. —
Vorstehenden Bericht haben wir der uns freundlich übermittel-
ten deutschen St. Petersburger Zeitung vom 27. November entlehnt.
Geographische Schnitzer. Wenn ein gelehrter französischer
Volkswirth den Getreidehasen Dan zig an das Schwarze Meer
verlegt, so lächeln wir in Deutschland, wundern uns aber nicht
darüber; auch begegnen solche Jrrthümer den Engländern nicht
allzuselten. In Deutschland sollte es eigentlich nicht stattfinden,
daß in großen Zeitungen ausfallende geographische Schnitzer derbster
Art vorkommen. Jüngst theilte die Kreuzzeitung eiue poetische
Zuschrift der Maori au die britische Königin Victoria mit, und
bemerkte ganz unbefangen, daß diese Maori in Süd-Afrika
wohnen. Sie sind aber bekanntlich Neuseeländer. — In der Augs-
burger Allgemeinen Zeitung, die doch sonst aufmerksam genug ist,
stand neulich eiue Korrespondenz ans Hong kong in China, in
welcher der Briefsteller erwähnt, daß inder Gegend von Tien tfin
Baumwolle geerntet worden sei; diese müsse aber wohl von einer
besondern Art sein, da bekanntlich Tien tsiu mit St. Peters-
bürg so ziemlich unter demselben Breitegrade läge. —
Ein Blick ans die Karte hätte aber sofort gezeigt, daß jene chine-
fische Hafenstadt südlicher als Peking und mehr als zwanzig
Grade südlicher als St. Petersburg liegt. Das wäre,
abgesehen von den Längengraden, ungefähr ein Abstand wie vou
den Quellen des Mississippi bis zum Mexikanischen Meerbusen,
oder vou St. Petersburg nach Konstantinopel.
Mehrere deutsche Blätter melden unter der Ueberschrist:
Schneefall in Arabien, aus Medeah Folgeudes: „Ein Er-
eiguiß, das, so lange die Araber sich erinnern, nicht gesehen worden
ist, hat hier stattgefunden. Wir haben augenblicklich meterhohen
Schnee. Gestern waren die Bäume noch mit Lanb bedeckt, nnd
heute brechen ihre Zweige unter dem Gewichte der Schneemassen."
Medeah liegt, wie in allen kleinen Schulgeographien zu
lesen ist, in Algerien! Man merkt es doch auch iu Deutschland
sehr, daß zwar auf den Universitäten Katheder für Hebräisch und
Sanskrit und allerlei sonstige Sacheu vorhanden sind, aber nur
auf zweien oder dreien Lehrstühle für Länderkunde und Ethno-
logie. Auch auf den meisten Gymnasien werden diese Fnnda-
mentalwisseuschasteu, die gerade in unserer Zeit ansgedehnten
Verkehrs nöthiger sind als so viele andere, in geradezu kläglicher
Weise vernachlässigt, während man die Schüler mit lateinischen nnd
griechischen Versen quält, als sollten sie alle dermaleinst Konrektoren
werden. In der Welt nnd unter den Völkern wissen dann die
Kenner des alcäischen Metrums nnd des Jonicus a miuori freilich
nicht Bescheid. Sie können einen griechischen Accent richtig setzen,
aber Medecch versetzen sie uach Arabien. Nenlich fragten wir fünf
„studirte" Männer von verschiedenem Berns, wo Nantes läge?
Alle antworteten: in Frankreich. Keiner wnßte, daß es an der
Loire liegt, nnd als sie lasen, daß von St. Nazaire überseeische
Dampfer abfahren, wnßten sie auch nicht ein Jota von dieser
Stadt. Aber griechische Metra und Accente kannten sie, nnd
lateinisch radebrechen konnten sie auch !
Uebrigeus begegnen den englischen Zeitungen noch mehr
geographische Menschlichkeiten als unseren deutschen; so machte
jüngst die Times Krakau zu einer russischen Stadt.
Eine iu Leipzig erscheinende Zeitung meldete nenlich unter der
Ueberschrist: „chinesischer Brauch bei uns nachgeahmt", daß in
einer deutscheu Stadt ein Mann durch Bauch aufschlitzen
Selbstmord begangen habe.
Bekanntlich ist das aber kein chinesischer, sondern ein japani-
scher Brauch.
Herausgegeben von Karl Andree iu Leipzig. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen.
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Vieyehn Tage in Mensa.
Mitgetheilt von Vi'. A. E. B r c h m.
E r st e r Artikel.
Die afrikanische Wüste und der Regen. — Massaua, der Hafenplatz am Rothen Meere. — Die Samchara und ihr Charakter.
Pflanzenwuchs. — Die Schora. —■ Tropischer Charakter. — Das Alpenthal von Mensa. — Thierleben. — Die Bogosländer.
Ihre klimatischen Verhältnisse, Thierleben nnd Vegetation. — Grabhügel. — Das Dorf Mensa. —
Die große Wüste, welche den ganzen Norden Afrikas
einnimmt und über den Arabischen Meerbusen hinweg bis
tief in das Innere von Asien sich fortsetzt, geht nach Süden
hinab allgemach in die S t ep p e über. Eine Grenze zwischen
beiden Gebieten wird durch die Regen bedingt, welche ein-
oder zweimal im Jahre das Land befruchten; — wo sie ihre
belebende Kraft äußern können, muß selbst der Saud der
Wüste sich derselben unterordnen: die Wüste hört da,
liegen, ungleich ärmer als die Ebene oder gar als die eine
und die andere Niederung. Diese Verschiedenheit der Höhe
und Tiefe kann sich nirgends schärfer aussprechen als in
den Gegenden, welche im Westen des südlichen Rothen
Meeres liegen.
Wenn man, von dem Hafeuplatze Massaua aus,
dem Innern des Landes zuwandert, stößt man nach kurzer
Reise an einen hohen Gebirgswall, welcher sich viele
Charakterköpfe dcr Mensa.
wo es regnet, auf, Wüste zu fein. Aber die Grenze
zwischen beiden Gebieten ist keine scharf bestimmte, sondern
eine vielfach wechselnde. Sie hängt wesentlich von der Be-
schaffenheit des Landes ab. Nur in ebenen Gegenden ist
sie eine ziemlich regelmäßige; in gebirgigen ändern sich alle
gewohnten Verhältnisse. Selbst die Wüstengebirge sind
keineswegs überall so öde und arm, wie die sandigen Ebenen,
sondern da, wo sie in bedeutenderen Höhen emporsteigen,
verhältnißmäßig sehr reich an Pflanzen, und umgekehrt sind
die niederen Berge, welche innerhalb des Regengürtels
Globus für 1862. Nr. 80.
Meilen weit von Norden nach Süden hin erstreckt, iu
ziemlich gleicher Richtung mit der Küste des vorhin ge-
nannten Meerbusens. Dieser Gebirgswall ist das
Vorgebirge des afrikanischen Alp eulaudes, welches
eine eigene Welt für sich bildet und die Schönheiten des
Gebirges mit der Pracht der Tropen in sich vereinigt. Es
sollte eigentlich ringsum von Steppen umgeben sein —
denn es liegt vollständig im Gebiete der Regen — allein Dies
ist nicht der Fall. Gerade da, wo man meinen möchte,
daß das Wasser seinen ewigen Kreislauf ununterbrochen
21
162 Vierzehn Tac
ausführen könne, an der Küste des Rothen Meeres nämlich,
zeigt sich dem Auge des kundigen Reisenden ein im höchsten
Grad überraschendes Gebiet.
Die „Samchara", wie der Araber den schmalen
Streifen nennt, welcher östlich des Gebirges und zwischen
diesem und dem Meere verläuft, ist nämlich trotz aller
Regen noch nicht zur Steppe geworden, sondern eher
als Wüste anzusehen, obgleich sie, strenggenommen, als ein
Mittelglied zwischen dieser und der Wüste betrachtet werden
muß. Aus große Strecken hin erinnert sie noch durchaus
an die Wüste, nur in wenigen Thälern ähnelt sie der
Steppe, und blos da, wo das Wasser so recht eigentlich
waltet, beweis't sie, daß sie innerhalb des Regengürtels
liegt. Aber nicht die Lage macht die Samchara zu Dem,
was sie ist, sondern ihre Beschaffenheit. Sie ist
in Mensa.
Wasser seine Bedeutung: denn so schnell wie es ge-
kommen, rauscht es wieder zur Tiefe hernieder, und nur
in der Mitte des Thales gewinnt es Zeit, das Erdreich zu
tränken und ihm die Feuchtigkeit zu gewähren, welche zum
Gedeiheu der unter einer scheitelrecht strahlenden Sonne so
wasserbedürftigen Pflanzen unerläßlich ist. Hier nun macht
sich auch gleich ein reiches Leben bemerklich. An den
schwarzen Bergen klettern die Mimosen, so zu sagen,
mühselig empor; an den schlössen Wänden sinden sie
kaum Nahrung genug, zu bestehen, und können sich deshalb
höchstens zn dürftigen Gesträuchen entwickeln: in der
Niederung recken und dehnen sie sich, erheben sich, ge-
sättigt vom Wasser, zu gewaltigen Bäumen, nehmen andere
Pflanzen zwischen sich auf, gewähren den Schlinggewächsen
gastliche Aufnahme, spenden Gräsern und anderen niederen
Danakil ans der Samchara.
nichts Anderes, als eine Fortsetzung des Gebirgsstockes
selbst, obgleich sie, die Ebene, nur von wenigen und niederen
Hügeln unterbrochen wird: sie ist gewissermaßen das
Schlackenfeld am Fuße eiues gewaltigen Vulkans.
Ganz Abyfsinien zeigt so recht eigentlich, wie es
entstand, und heute noch bricht das Feuer, welches die
Gebirge in die Wolken schob, auf dieser oder jener Spitze
der Berge durch. In der Samchara freilich ist es erloschen,
aber feine Wirkung noch recht wohl zu erkennen. Eine
Menge von Hügeln, zum guteu Theil aus Lava bestehend,
wechselt hier mit schmäleren oder breiteren Thälern ab und
bildet ein Wirrsal von Niederungen, welche, dem Faden
eines Netzes vergleichbar, zwischen den Hügeln und Bergen
verlaufen. So niedrig diese Hügel auch sind, so schroff er-
heben sie sich, und deshalb verliert auf ihnen das
Pflanzen den zu ihrem Gedeiheu nöthigen Schatten und
bilden mit ihnen insgefammt einen Wald, welcher durch seine
Dichtigkeit Das ersetzt, was ihm an Ausdehnung abgeht.
In diesen Thalniederungen allein zeigt sich die Pracht
der Tropen. Wohl sieht man vom Meer aus ein frisch-
grünes, üppiges Band, welches die Küste besäumt; aber
man würde sich täuschen, wenn man glauben wollte,
daß jenes Grün von der Fülle der Tropen spräche. Die
S ch ora ist es, welche hart am Meeresstrande schmale, jedoch
fast undurchdringliche Dickichte bildet, und die Armnth der
hinter ihr liegenden Ebene auf Stellen hin zu verdecken
weiß; aber diese Schora ist als ein Kind des reichen Meeres
anzusehen, ist kein Landbaum: — wie die Mangrove oder
die Kokospalme, gedeiht sie nur im Brakwasser und ver-
schwindet mit der Flutmarke. Man betritt eine Wüste,
Vierzehn 2Ti
wenn man sie hinter sich läßt; man sieht eine Ebene vor
sich, in welcher der nackte Boden lebendigere Farben zeigt,
als die Pflanzenwelt. Das Dunkelschwarz der Hügel,
das lebendige Roth, das Braun und Gelb mancher Berge
dazwischen, die sandfarbene Ebene erscheinen viel färben-
kräftiger als die dürftigen Mimosen, deren frisches Grün
nur in unmittelbarer Nähe erkenntlich, von fern betrachtet
aber als ein farbloses Grau wahrnehmbar wird. In
wenigen breiten Niederungen, immer blos in solchen, welche
wenigstens zeitweilig von Wasser durchströmt werden, heben
sich die dunkelgrünen Euphorbienbüsche lebendig vou
dem gelben Sande ab! außerhalb der Regenbetten nehmen
selbst die Gräser eine sonderbar bleigraue Färbung an, eine
Färbung, auf welcher nur ein einziger Schimmer des leben-
digen Grüns zu liegen scheint. Anders ist es in jenen
tieferen Thäleru zwischen den dunklen Bergen. Hier mischt
sich die Tamariske und der Christusdorn unter die
Mimosen; Balsamsträuche, Asklepiasbüsche und
Salsoleen, Stapelien, Capparis, Ricinus und
Staticeen treten zn den genannten, uud der (5issus klettert
überall an Bäumen und Sträuchern empor und senkt seine
vierseitigen Ranken zu reichen Gewinden hernieder.
Hier vergißt man vollständig, daß man noch in der
Samchara sich befindet; man träumt sich iu die eigentlichen
Tropen hinein und möchte beinahe glauben, daß das nahe
Gebirge, welches in der prachtvollen Beleuchtung der
Gleicherländer einen zauberhaften Anblick gewährt, diesem
nur den Duft der Ferne verdanke. Allein man irrt. So
reich auch die Samchara an den wenigen Stellen der eigent-
lichen Wüste gegenüber erscheint, so arm ist sie im Vergleich
zu dem Gebirge. Dieses Gebirge versteht es, alle Sinne
zu berauschen: denn ohne Unterlaß rollt es neue Zauber-
bilder vor der trunkenen Seele auf;. dieses Gebirge zeigt
sich so recht eigentlich als Das, was es ist: als ein Kleinod
ganz Afrikas. Sein Reichthum ist geradezu bewältigend,
selbst für den Forscher, welcher solchen Reichthum geizend
aufspeichert in Mappen und Kisten, welcher immer nach
Neuem hascht und hier immerdar Neues findet. —
Am 9. März 1862 verließ ich in den Nachmittags-
stunden mit meinem neugewonnenen Freunde, dem Baron
Ban Arkel d'Ablaing, das im Gebüsche der Par-
kingsonien versteckte Dörfchen Umkullu uud ritt iu nord-
westlicher Richtung dein Gebirge zu. Ich war von Seiner-
Hoheit dem Herzog von Sachsen - Kobnrg - Gotha
beauftragt, die günstigst gelegenen Iagdgründe dieser
Gegend auszukundschaften und mancherlei für den Aufent-
halt des Herzogs und seiner Begleiter vorzubereiten.
Alle mit dem Lande vertrauten Europäer, welche ich
in Massaua getroffen hatte, waren einstimmig der Ansicht,
daß die Hochebene von Mensa für unsere Zwecke der
geeignetste Ort sein werde, und so beschloß ich denn, zu-
nächst diesen Theil des Gebirges zu besuchen.
Wir ritten in nordwestlicher Richtung durch die Sam-
chara, einem tiefen Gebirgsthal, dem „Chor" von Mensa
zu, welcher von hier ans den einzigen gangbaren Weg in's
Gebirge bildete. Anfangs zogen wir aus gebahnter Straße
dahin; erst fernab vom Dorfe theilte sich der Weg in mehrere
Pfade, von denen der eine weiter im Thale nach Eilet,
der zweite nach Affuhs und der dritte endlich nach den
nördlicher gelegenen Theilen der Samchara und nach Menfa
führte.
Im Anfange war die Gegend, welche wir durchritten,
sehr öde und arm; wir befanden uus in einer Wüste mit
mehr als wüstenhafter Pflanzenwelt. Einige günstige
Stellen Hatte man zu Feldern umgewandelt und die Durrah
nahte sich eben der Reise. Sie bewies, wie arm doch die
ige in Meusa.
Samchara gegen die weiter im Innern Afrikas gelegenen
Steppen ist; denn sie war verkrüppelt, zum Theil gar nicht
zur Blüte gekommen, vor der Reife fchon abgestorben.
Die sandigen Berge ringsum glicheu uoch gauz denen der
Wüste. Sie bestanden zumeist aus einem sehr grobkörnigen
Kies und zeigten, diesem entsprechend, überall nur sanfte
Formen. Wir erkletterten die erste Reihe und zogen uns
nun auf dem gemachsam sich senkenden Wege in das erste
Thal hernieder, einem Brunnen zu, welcher Desset ge-
nannt wird. Er liegt in einem Regenstrome, welcher die
Ein Somal.
Samchara in vielfachen Windungen durchschneidet, nach
dem Gebirge zu sich verzweigt und nördlich von Umkullu im
Meere mündet. Nur unmittelbar nach den tropischen Regen-
güssen enthält er Wasser; die übrige Zeit des Jahres ist er
überall trocken, bietet aber Dem, welcher nachgräbt, schon
in geringer Tiefe ein wenn auch schmutziges, so doch süßes
Wasser, welches beständig in der Tiefe des Flußbettes
dahin sickert.
Dieser Regenstrom ist der erste Ort, welcher das
thierische Leben der Samchara zuerst bemerklich werden läßt.
Schon hier begegnet der Jäger in dem dichtern Gebüsch
den kleinen, niedlichen Zwergantilopen, welche nebst
"21 *
164
Vierzehn Tage in Mensa.
einem Frankolin Huhn so recht eigentlich als Kinder des
Buschwaldes bezeichnet werden müssen. Schon hier kann man
den Iagdleopard und den Wüstenluchs auffinden; der
Schakal und die gefleckte Hyäne sind regelmäßige Erschei-
nungen, die Gazelle ist gemein und die Sömmerrings-
Antilope wenigstens keine Seltenheit. Eine Mengeder
mir wohlbekannten tropischen Vögel erinnerte mich vielfach
an das Thierleben des Liefern Innern Afrikas; ich glaubte
erst hier mich wieder in den Tropen dieses Erdtheils zu be-
finden. Auch der Mensch mit seinem Treiben brachte mir
alte, liebe Bilder vor die Seele, welche gleichsam jetzt erst
lebendig wurden. Eine weidende Kameelherde von
bette, welches seines Brunnens halber hier Amb a genannt
wird, in gleicher Richtung wie Desset durch die Samchara
verläuft, vou jenem Chor durch größere Tiefe sich unter-
scheidend. Der dritte Tag führte uns durch eine weite
Ebene, welche wegen des Salzgehaltes im Boden blos niedere,
haidenartige, aber prächtig blau blühende Kräuter uud erst
in der Mitte einen förmlichen Steppenwald zeigte. Diese
Ebene ist der bevorzugte Aufenthalt des Straußes und
der stolzen Oryxantilope, mit der ich wenige Tage später
zum ersten Male Bekanntschaft machte. Der Regenstrom
selbst ist vielfach belebt von denselben Thieren, welche man
bei Deffet sieht, aber noch einem ganzen Heere anderer.
Einwohner von Mensa (Jüngling, Mädchen nnd Frau).
einigen hundert Stücken, welche die Mimosenzweige trotz
der nadelscharfen Blätter herunterfraß wie Heu, erinnerte
mich an ähnliche Herden, welche ich früher in Kordofahn
gesehen, und das muntere Volk der Ziegen, welches nn-
weit des Brunnens sich gelagert hatte, mit dem braunen
lanzenbewehrten Hirten, an manchen längstvergangenen Tag,
den ich in den Steppenländern verlebt hatte.
Die folgende Tagereise bot nichts Besonderes dar.
Die Gegend blieb so ziemlich dieselbe, nur daß anstatt der
lebhaft roth gefärbten Sandhügel solche traten, welche ihren
vulkanischen Ursprung nicht verlängnen konnten. Wir
rasteten schon bei guter Zeit an einem zweiten Regenstrom-
welche hier munter sich umhertreiben. Hier begegneten wir
schon den ersten Rinderherden der Mensa. Die Leute
-waren jetzt von ihrem Gebirge herabgekommen, um durch
ihr Vieh die Weide der Samchara ausnutzen zu lassen.
Mit Dunkelwerden erreichten wir eine Mineralquelle,
welche am Fuße des eigentlichen Gebirges entspringt, über-
stiegen am Morgen des dreizehnten einen der auslaufenden
Hügel und kamen nach kurzem Ritte hinab in den Chor
von Meusa, ein tropisches Alpenthal, prangend in
Schönheit und geradezu schwelgend in einem Reichthnme,
den man wohl erschauen, nicht aber beschreiben kann.
Man befindet sich hier wirklich in einer andern Welt.
166 . Vierzehn T.
Der Forscher -fühlt sich arm trotz seines Wissens; denn
zuviel Neues bestürmt alle Sinne auf einmal. Flora's
milde Hand hat ihren Schmuck über alle Gehänge, über
alle Stellungen, über alle Felsenwände gelegt und ein Leben
hervorgerufen von unendlicher Pracht, welches neuem Leben
Unterhalt gewährt und Fülle und Lebensfreude. Mir wird
der erste Eindruck, welchen dieses Thal auf mich machte,
unvergeßlich bleiben. Noch hatte die hereinbrechende Zeit
der Dürre die Zauberei der allbelebenden Regengüsse nicht
verwüsten können. Im frischen Grün prangten die Ge-
hänge des Thales bis hoch zu den Bergen hinauf; alle
Bäume standen im Blätterschmuck, und viele von ihnen
waren eben mit den köstlichsten Blütheu bedeckt und leuchte-
ten, wie in den grünen Teppich eingestickte Blumen, von
den Bergwänden herunter. Gesicht, Geruch und Gehör
schwelgten zu gleicher Zeit. Der Farbenreichthum, welcher
in der südlichen Beleuchtung so recht eigentlich sich geltend
machte, blendete das Auge; der Wohlduft, welcher von den
blühenden Pflanzen ausging, erfüllte das ganze Thal und er-
frischte alle Sinne. Und dazwischen klang und sang es aus
allen Büschen hervor, von allen Gehängen herunter. Wie
grüßend tönte der Flötenruf des äthiopischen Würgers zu
uns herab, drei Töne so metallreich und dabei so mild, wie ein
sterbliches Wesen sie nur hervorrufen kann. Kleine Sänger-
erprobten ihre Kehlen, prachtvoll gefiederte Tauben girrten
und rncksten, Nashornvögel gaben ihre mehr sonderbare
als amnnthige Musik zum Besten, und dazwischen hinein
kreischten und grunzten und bellten die Assen, welche in
langen Reihen oben auf deu Felsgesimsen saßen.
Dieses Thal war es, welches uns das Gebirge er-
schloß, denn bis in sein eigentliches Herz hinein wurde es
uuser Weg, führte es uns weiter, und deshalb verdient es
wohl noch einer kurzen Beschreibung.
Die Bogosläuder gipfeln sich in mehreren Spitzen
unweit des Dorfes Mensa. Man gewahrt diese Fels-
zacken schon am Meere, wie arabische Schiffer versichern,
fast von der jenseitigen Küste aus. Sie erheben sich mehr
als 8000 Fuß über dem Spiegel des Arabischen Meerbusens.
Nach Süden hin hängen sie mit den Gebirgen von Ha-
masseen zusammen, nach den drei übrigen Seiten fallen
sie ab oder setzen sich wenigstens nur als andere Gebirgs-
züge fort. Mehrere sehr tiefe Gebirgsthäler laufen von
der höchsten Höhe strahlenförmig nach den letztgenannten
drei Seiten ans; einige von ihnen münden in der Samchara,
die anderen vereinigen sich mit dem Thale, welches der Ain-
Saba bildet. Dieses, der Chor Labka und der Chor
Mensa, sind die längsten Thäler des ganzen Ge-
biets; nur sie sind lang und reich geuug, einen dürftigen
Wasserfaden zu unterhalten, welcher im Grunde des Thales
dahinrieselt, bald über der Erde, bald uuter derselben sich
verlierend. Auch diese Bächlein besitzen die Eigenthümlich-
feit aller afrikanischen Wasseradern, dazu aber den Charakter
der Gebirgsbäche. Zeitweilig nur fließen sie: die Zeit der
Dürre drückt sie gleichsam uuter die Oberfläche herab.
Weuu aber der Frühling einzieht im Gebirge mit
Donnern und Rauschen, wenn die gewaltigen Güsse her-
niederstürzen, welche in Afrika die Gleicherländer erst zu den
Tropen stempeln, dann schwellen sie plötzlich hoch auf,
wälzen gewaltige Blöcke und Steine mit sich fort in rasen-
der Flucht, entwurzeln die Bäume, welche sich nahe ihrem
Ufer ansiedelten, reißen Alles mit sich hinweg, bilden wild-
schäumende Wasserfälle und stürmen als Ströme in die
Ebene hiuaus. Aber sie schwinden so schnell wieder wie
sie gekommen, und nur die Verwüstung, welche sie hinter-
ließen, die Flutmarke, welche sie an den Felsen zeichneten,
spricht von der Höhe, zu der sie emporstiegen. Bald nach
ge in Mensa.
dem letzten Regen schwindet das Wässerchen im Grnnde zu
eiuem dürftigen Fädchen zusammen, und je weiter die Dürre
vorrückt, um so seltener zeigt es sich über der Oberfläche
der Erde. Dann muß der Mensch im Flußbette schon tiefe
Löcher eingraben, wenn er das seinen Heerden und sich selbst
nöthige Wasser erobern will.
Und die Bogosländer sind noch glücklich im Ver-
gleich zu anderen Ländern Afrikas. Die klimatischen Ver-
Hältnisse in ihnen sind ganz eigenthümlicher Art. Dieser
Theil des Gebirges hat zwei ganz bestimmt ausgesprochene
Regenzeiten. Die erstere fällt, wie in den meisten asri-
kanischen Ländern nördlich des Gleichers, in die Monate
nnsers Hochsommers, die zweite in die nnsers Vorfrühlings.
In den ersten Tagen meines Aufenthaltes im Gebirge hatten
wir täglich Regen, und gerade auf der Hochebene von Mensa
verdrängte ein Gewitter das andere. Von drei verschiedenen
Seiten her kamen die dunkelschwarzen Wolken gezogen, ent-
luden sich in der Höhe des Gebirges, zogen weiter und der
Himmel war wieder klar wie zuvor; nur in den tieferen
Thälern noch braute der Nebel. Gewöhnlich regnete es
einmal am Tage, nicht selten aber auch zwei- und dreimal
und mehrmals tagelang hintereinander; — eine für Afrika
seltene Erscheinung. Die Regen nun sind es, welche wesent-
lich dazu beitragen, diesem Gebiete seine Schönheit zu ver-
leihen und bezüglich zu erhalten.
Das Gebirge selbst besteht aus einem sehr grob-
körnigen Granit, welcher jedoch nur an den höchsten Spitzen
'durchbricht, und aus Thon-und Glimmerschiefer, der
sich wie ein Mantel um den innern Granitkern gelegt hat.
In den tieferen Thälern finden sich steile Wände; dieselben
sind jedoch fast überall zugänglich und würden es noch viel
leichter sein, wenn nicht die Pflanzenwelt selbst dies ver-
hinderte. Alle Wände sind grün bis oben hinauf, und wo
nur ein Plätzchen sich fand, da hat die Pflanzenwelt sicher
Fuß gefaßt. In keinem Theile Afrikas weiter fand ich eine
so ausgedehnte Wurzelung als in den Thälern des Gebirges
von Mensa. Bäume, welche hoch oben ans den Felsen-
platten keimten, holten sich aus dem Grunde den nothwen-
digen Lebenssaft herauf.
Ein Korn, vom Winde Hergetrieben, hatte gekeimt und
einen Strauch, ein Bäumchen gebildet, welches bald nicht
mehr Nahrung genug da oben fand und nun seine Wnrzeln
aussendete, solche sich zu suchen. Tiefer und tiefer senkten
sich dieselbe an der Felswand hernieder, nur schwach sich an
sie heftend. Weiter uud weiter drang die Wurzel vorwärts,
endlich erreichte sie den feuchten Grund des Thales, und
hier erst fand sie ihr Ziel. Gewaltigen Tauen vergleichbar,
hängen die starken Wurzeln an den Felswänden herab oder
sie verflechten sich zu einem Netz, welches ganze Stellen der
Wand überzieht und überall Schößlinge treibt, welche nach
und nach zu neuen Bäumen werden.
Die Armnth an Dammerde bestimmt das Gepräge
der hiesigen Pflanzenwelt. Große, gewaltige Bäume giebt
es nur im Grunde des Thales, nahe dein Bächlein, an oder
in dessen Bette. Die Wände sind zwar üppig begrünt, aber
doch nur von kleinen, zwerg- aber nicht krüppelhaften Bäumen
bestanden. An den Wänden wuchert namentlich die Akazie
empor, und nur an den günstigsten Stellen treten andere
Bäume zwischen sie herein; im Thalgrunde dagegen erheben
sich die prächtigen Tamarinden mit ihren blaugrünlich
schimmernden Kronen; die Kigelien mit dem herrlichen
Laubgewölbe, aus welchem die gewaltigen, gurkenartigen, an
langen Stielen aufgehängten Früchte hervorschimmern, der
Baobab oder die Adansonie, die Mimosen, welche
hier zu hohen, schönen Bäumen geworden sind, ein unserer
Ulme täuschend ähnlicher, mir unbekannter Baum und
Vierzehn T
viele andere, über das sie umlagernde Dickicht der Sträucher
und aus den Lauben uud Gewölben, welche die Schling-
pflanzen bilden. Blumen aller Art, Gräser, Cacteen und
Euphorbien, schmarotzende Loranthen und andere
Pflanzen ohne Zahl bemächtigen sich des von den Bäumen
selbst nicht in Besitz genommenen Erdreichs nnd verleihen
den Wänden auf große Strecken hin schmückende Farben.
Je höher man im Thale aufwärts steigt, um so kräfti-
ger und reicher erscheint die Pflanzenwelt. Von etwa
4000 Fuß über dem Meer an tritt die Sykomore, bald
darauf der Oelbanm und mit ihm die prächtige Krön-
leuchtereuphorbie auf. Erstere bildet hier uud da einen
Wald oder Haiu für sich- aber auch wenn dies nicht der
Fall, verleiht sie dem Gebirge ein besonderes Gepräge. Sie
ist hier größer und gewaltiger als in dem wasserreichen Nil-
thal, sie giebt einer ganzen Welt von Schlingpflanzen Ob-
dach und Nahrung. Einzelne dieser Bäume erscheinen
gewissermaßen nur als Träger der Schlinggewächse, welche
einen förmlichen Mantel um sie geschlagen und einen großen
Theil ihrer Krone geradezu erstickt haben; ich erinnere mich
namentlich des einen Baumes, welcher seine dürren Aeste
wie entsagend hier und da durch das dicke Gelaube einer
Winde streckte, die ihn so dicht umhüllte, daß man nur eine
einzige, ununterbrochene, von ihr gebildete Blätterwand vor
sich sah. An der obern Grenze der Shkomoren kommen
die Kronleuchtereuphorbieu zur Herrschaft. Es sind
Cacteen, welche zu Bäumen geworden sind, aber zu Bäumen,
deren Regelmäßigkeit, deren wunderbarer Vau Jedermann
zur Verwunderung hinreißen muß. Sie heben sich licht
ab von dem dunklen Gelände und verleihen der Landschaft
einen prächtigen Schmuck. Auch die Oelbäume tragen
wesentlich dazu bei, diesem Gürtel einen gewissen Charakter
zu verleihen. Wie Jedermann weiß, welcher Oelpslanzun-
gen sah, gehören diese Sinnbilder des Friedens zu den lang-
weiligsten Pflanzen, welche es geben kann; hier oben aber,
inmitten des großartigsten Reichthums der Pflanzenwelt,
kommen sie nie fo zur Herrschaft, daß ihr Anblick uuauge-
nehm werden könnte, nnd vervollständigen dafür die so
mannichsaltigen Schattirnngen des Gelanbes. Ihr nnge-
wiffes Graugrün sticht prächtig ab von den auf große
große Strecken hin durch die blühende Aloe rothgelb er-
scheinenden Wänden, von den Blättern und Blüten mancher
Schlingpflanzen oder von dem dunklen Gelaube anderer
Bäume.
Einem Laieu iu der Pflanzenkunde, wie ich es bin,
ist es unmöglich, auf deu Neichthum uud die Pracht der
Pflanzenwelt weiter einzugehen; in dem Vorstehenden ist
übrigens auch das Gepräge des Gebirges in seinen Haupt-
zügen gezeichnet. —
Bald nach unserer Ankunft im Thale schallte uns hoch
von oben herab ein sonderbarer Rus entgegen. Er rührte
von Thieren her, welche ich auch hier zum ersten Male
kennen lernte, von den Hamadriaspavianen nämlich,
welche in ungeheuren Schaaren diese Gebirge bewohnen,
und so gut als ausschließlich auf Felfeu leben. Wie auf
dem Kamme des Gebirges liegende Felsblöcke sahen die
großen, graubemäntelten Thiere aus, welche jene wie Gebell
klingenden Laute vou sich gegeben hatten, und erst als wir
näher kamen, wurde es unter ihnen lebendig. Gruuzeud,
quiekend, kreischend, schreiend und bellend, kurz eiueu Lärm
hervorrufend, als ob ein Nndel Wildschweine durch das
Dickicht bräche, bewegten sich die Affen von einer Seite des
Berges zu der andern, und als wir um eine Thalbiegung
kamen, sahen wir an einer senkrechten Wand des Berges
hier auf schmalen Gesimsen eine ununterbrochene Reihe von
mindestens 120 Stück Pavianen wie eine Gnirlande an
;e in Mensa. 107
den Felsen angehängt. Unsere Schüsse scheuchten sie in eine
wilde Flucht: — doch ich habe von den Affen an einem andern
Orte schon genugsam geredet.— (S. 168).
Von uuu an fehlte es uns, den Thierfreunden, nie
mehr an Unterhaltung. Das Thal von Mensa wußte überall
etwas Neues zu bieten und verstand es, die Aufmerksamkeit
hundertfach zu fesseln. Aber auch jeder andere Reisende
würde von ihm zufriedengestellt werden. Ich brauche mich
bei den landschaftlichen Schönheiten des Chor von Mensa
nicht aufzuhalten, der freundliche Leser, welcher sich ein
Alpenthal iu die Tropenwelt gerückt denkt, vermag dieses
sich vorzustellen, und unsere schöne Abbildung zeigt die
Pflanzenwelt, welche das Gepräge der Landschaft bestimmt,
ungleich treuer, als ich sie beschreiben könnte. Dafür muß
ich erwähnen, daß der Weg im Thale, für Kameele
wenigstens, ein außerordentlich schwieriger war.
Die Maulthiere kletterten leicht an den verschiedenen
Felsabsätzgen empor, welche den Weg unterbrachen, oder
schritten ohne Besinnen wiederholt durch das Bächleiu
hindurch, welches die Mitte des Thales einnahm; den
Kameelen aber verursachten alle diese Uebergänge das größte
Unbehagen und Angst und Sorgen ohne Maß und Ziel.
Sie waren es auch, welche die Reise nnnöthig aufhielten.
Mit dem Maulthier ist man im Stande, den ganzen Chor
in einem Tage zu durchreiten, mit Kameelen aber braucht
man mindestens drei Tage, auch wenn die Thiere nur mit
dem halben Gewichte, welches sie tragen können, belastet
werden. Sie geberden sich an jeder nur einigermaßen uu-
günstigen Stelle geradezu wie verzweifelt, schreien laut auf,
weigern sich vorwärts zu gehen, lassen sich weder durch gute
Worte, uoch durch Schlagen und Schelten bedeuten, und
ärgern deu Reisenden fast ebenso wie den Treiber. Man
darf froh sein, wenn man nüt ihnen während des ganzen
langen Tages eine Strecke überwindet, welche der schnell und
sedernd dahingehende Abyssinier in drei bis vier Stunden
zurücklegt. Die Unbranchbarkeit der Kameele ist wohl auch
der Hauptgrund, daß die Mensa andere Thiere zum Last-
tragen gewöhnt haben, ihre Ochsen nämlich, auf welche ich
weiter unten zurückkommen werde.
Der Chor von Mensa gehört so recht eigentlich zum
Besitzthum der Bewohnerschaft des anf der Hochebene ge-
legenen Dorfes. Ungefähr in der Mitte seiner Länge breitet
er sich zu einem von ziemlich hohen Bergen umgebenen Kessel
aus, in dessen Grunde man Felder angelegt hat. Diese
Stelle heißt Laba. An der einen Bergeswand erheben
sich blendendweiß erscheinende runde Kegel: sie bilden Merk-
steine von dem Wechsel und Wandel des Lebens der Gebirgs-
bewohner; denn sie sind nichts Anderes als die Grabstätten
Derer, welche hier unten ihre Laufbahn beschlossen.
Diese Grabhügel sind Abyssinien ganz eigentümlich;
in den übrigen Theilen Afrikas findet man sie nicht. In
weitem Kreise um das Grab herum schichtet man eine andere
senkrechte Ringmauer auf; deu von ihr umschlossenen Raum
füllt man mit großen und kleinen Steinen aus, schichtet
diese in einem Hausen hoch auf und überlegt sie endlich mit
blendenden Quarzstücken, welche man vou weit und breit
her zusammenträgt. Die tropische Erzeugungsfähigkeit sorgt
bald für grüne Umrankung und Umlanbnng, und dann
heben sich diese Gräber um so heller von dem dunkeln Hinter-
gründe ab. Die Gräber selbst sind ein eigentümlicher
Beweis einer Gefühlstiefe, welche man sonst bei den Mensa
wahrlich nicht vermuthet; sie sind den Wohnungen der
Lebenden gegenüber stattliche Gebäude zu nennen , sie zeigen,
wie sehr auch diese rohen Gebirgsvölker Afrikas ihre Todten
verehren. Der Lebendige begnügt sich mit einer erbärm-
168
Vierzehn Tage in Mensa.
lichen Hütte aus Reisern, über dem Leichnam des Gestor-
benen erhebt sich ein Gebäude! —
In dem obern Theile des Thales von Mensa wird
der Weg steiniger und schwieriger zu begehen. Hier und da
stehung. Diese sind es, welche ihn austreten! der Mensch
giebt sich keine Mühe, den Rindern nachzuhelfen. Wie die
Steine herabrollten vom Gebirge, bleiben sie liegen; man
überläßt es den Thieren, sich zwischen ihnen einen Pfad zu
Mantel- Pavian.
windet er sich schon im Zickzack an den Bergwänden empor.
Das Thal selbst ist auf große Strecken hin ein Wirrsal von
Felsblöcken, zwischen denen sich große Bäume erheben und
zum förmlichen Walde eiuen. Der Weg selbst dankt nur
den auf- und niederkletternden Rinderherden seine Ent-
wählen, so gut oder so schlecht sie können. Alle im Gebirge
geborenen Rinder sind an solche Pfade gewöhnt, und die
Meufcheu klettern, leicht wie sie, an den Wänden hinauf und
hernieder. Wirklich halsbrechende Pfade giebt es in diesem
Theile des Gebirges nicht, doch muß man immer vorsichtig
170
Vierzehn Tage in Mensa.
reiten, zumal da? wo der Weg auf Strecken hin über glatte
Felsblöcke hinwegführt, und wiederholt wird man genöthigt
abzusteigen und das widerstrebende Maulthier am Zügel
nachzuführen. Wie entsetzlich solche Wege den Kameelen
werden, vermag sich nur Der auszumalen, welcher diese
edlen Geschöpfe in unangenehmen Lagen ihres Lebens be-
obachtet hat.
Der letzte Theil des Weges kommt nur zuweilen in
den Chor herab. Er zieht sich an den Bergwänden hin,
weil das enge Felsenthal den hier wohnenden Menschen uu-
überwindliche Hindernisse in den Weg legt. Nahe bei
Mensa breitet es sich mehr und mehr aus, steigt aber uoch
fortwährend bedeutend. Indem man um einen vorspringen-
den Berg sich windet, gelangt man zu einer sanft geneigten
Tie Gräber
Ebene, welche an der tiefsten Stelle von hohen Sykomoren
und einem schier undurchdringlichen Buschwalde bedeckt ist.
Unter diesen Sykomoren begegnet man den ersten Dorf-
bewohnern; denn in dem Schatten dieser Bäume kommt
das Wässerchen zu Tage, welchem man bisher entgegenging.
Von hier aus hat man nur noch wenige Minuten bis zu
einem Felsenwalle zu gehen, welcher quer durch das Thal sich
hindurchzieht; ihn übersteigt mau, und vor sich hat man die
breite Hochebene, auf welcher das Dorf liegt. (Siehe die
Abbildung). Einige Gräber gauz im Vordergründe, aber
ohne jene kegelförmigen Quarzhaufen auf ihnen, find die
ersten Gebäude, welche man gewahrt; vom Dorfe selbst
sieht man noch Nichts. Der eine südliche Theil liegt hinter
mächtigen Steinblöcken versteckt, welche eine große Strecke
des südlichen Gehänges bedecken und nur der Aloe und
andern: Niedern Gestrüpp Raum lassen; der andere Theil,
welcher durch die ganze Breite der Hochebene von jenem ge-
trennt ist, wird durch einen von Norden her vorspringenden
Berg verdeckt.
Das Dorf Mensa liegt ungefähr 5090 Fuß über
dem Meere, jedenfalls nicht niedriger; denn die Kolqual-
euphorbie, welche nach Ansicht vieler Botaniker unter 5000
Fuß über dem Meere uicht vorkommt, zieht sich von Mensa
aus allseitig noch tief in die Thäler hinab. Zwischen beiden
Dörfern breitet sich eiue freie, nur in der Mitte von einem
seichten Regenbette durchzogene Ebene aus, auf welcher mau
außer niederm Gestrüpp und einigen hohen Sykomoren
weder Baum- uoch Gräswuchs bemerken kann; denn blos
der Mensa.
während der großen Regenzeit wird diese Ebene zum Feld
umgewandelt. Die unmittelbare Umgebung des Dorfes ist
überhaupt öde und arm, und anch in deu Bergen ist das
Holz in der nächsten Nähe des Dorfes abgehauen oder
wenigstens sehr gelichtet; die Berge selbst siud ohnehin
gerade hier sehr pflanzenarm. Nichtsdestoweniger besitzt die
Landschaft ihre großen Schönheiten. Allseitig schließen hohe
Berge die Hochebene ein; mehrere von ihnen recken kühn-
gezackte Gipfel stolz in die Wolken, und die diesen Gipfeln
eigentümliche lichtrothe Färbung des Granits sticht lebendig
ab von dem Dunkel der tieferen Bergwände, von den mit
üppigem Pflanzenwuchs erfüllten Schluchten und von den
mit dem Dufte der Ferne überhauchten Gebirgen weiter
hinten. Mitten aus der Hochebeue erhebt sich zudem ein
Schilderungen
einzeln stehender, gewaltiger Felsblock von sonderbarer
Bildung, welcher gar wesentlich dazu beiträgt, die laud-
schaftlichen Reize dieser Ebene zu erhöhen.
Unser Führer, eiu deutscher Kaufmann aus Massaua,
geleitete uns iu eine der Hütten, deren Besitzerin, ein uraltes
Mütterchen, er von srüherher kannte. Dort brachten wir
unser weniges Gepäck unter, und diese Hütte betrachteten
wir als unsere Wohnung für die nächsten Tage. Mensa
gefiel mir so ausnehmend, daß ich beschloß, hier für die
herzogliche Jagdgesellschaft Hütten erbauen zn lassen, so
gut oder richtiger so schlecht dies deu guten Leuten von
Mensa möglich war. Ein Laienbruder, welcher zu der in
Abyfsiuieu thätigeu Mission gehörte, Pater Filippini,
leistete uns wesentliche Dienste. Er war nicht nur mit den
Sitten und Gebräuchen der Mensaleute vollkommen bekannt,
sondern auch in dem edlen Waidwerk wohlerfahren, und
somit ganz geeignet, uns in jeder Hinsicht nützlich zu sein.
Unser erster Aufenthalt währte nur wenige Tage, kaum
lange genug, um die notwendigsten Vorbereitungen für
deu späten: Aufenthalt zu treffen, und nur der Güte des
Paters verdankten wir es, daß wir überhaupt iu wenige»
Tagen diese Prüfungsreise als beendet ansehen konnten.
aus Venedig. y\\
Wir zogeu auf demselben Wege, den wir gekommen,
wiederum nach Umkullu zurück, benutzten die uns bis zur
Ankunft des Herzogs übrig bleibende Zeit zu verschiedenen
Jagden, und traten dann gewissermaßen als Führer der
Jagdgesellschaft zum zweiten Male die Reise nach deu
Bergen an.
Es ist durchaus nicht meine Absicht, hier eine Reise-
beschreibuug zu geben; ich will vielmehr versuchen, das,
was ich über Land mid Leute beobachten konnte, zusammen-
zustellen. Deshalb brauche ich nur zu erwähnen, daß wir
nach fünftägiger Reise Anfangs April zum zweiten Male
in Mensa eintrafen und nunmehr unsere Jagden mid Ar-
beiten eigentlich begannen. Die erwähnten Strohhäuser
für die Jagdgesellschaft waren inzwischen Dank der Güte
unseres Freundes Filippini fertig geworden, und somit
fanden wir die erwünschte Unterkunft in unmittelbarer Nähe
des Dorfes und hatten dabei deu Vortheil, manchen Un-
auuehmlichkeiten zn entgehen, welche solcher Aufenthalt stets
im Gefolge zn haben pflegt. Belästigt wurden wir freilich
immer noch geling; aber gerade diese Belästigungen dienten
dazu, uns Land und Lente in gewisser Hinsicht kennen zn
lehren.
Schilderungen ans Venedig.
Erster Artikel.
Die ersten Eindrücke. - - Markusplatz und Piazzetta. — Mondscheinnüchte. — Gondelsahrten. — Kanäle, Paläste, Ruinen. — Lorbeer
und Cypresse.— Wird dein Verfall abzuhelfen sein?— Ein Stegreifdichter auf dem slawonischen Userstaden.— Die Granitsäulen
an der Piazetta. — Der Uhrthnrin, — Eine Rundschau vom Campanile herab. — Das Malerische und Schöne einer unregelmäßigen
Architektur gegenüber dem modernen Kasernenstyl. — Die Markuskirche. — Die Kunstschätze. — Eine Fahrt in der Kühle. —
Der kleine Kanal Bernardo. — Die Treppe im Malteserhof. —
Wer zum ersten Male die Lagunenstadt betritt, wird
zmn Schwärmer. Mag er auch soust von kaltem Gemüthe,
ein Mann der ruhigen Prosa des Verstandes sein, so aus-
gedörrt wie nur möglich, — in Venedig packt ihn eine
poetische Anwandlung, neue Eindrücke dnrchbeben ihn, er
staunt, bewundert und weiß sich anfangs gar nicht zurecht
zu finden. Ist er aber ein klassisch gebildeter Mann, kennt
er die Geschichte nnd hat er Verständnis; für die Knnst,
bann überwältigt ihn ein ganz eigenes Traumleben, das nur
allmälig schwindet. Man hat so manche Schilderungen
über die vormalige Königin der Adria gelesen, die Abbil-
düngen ihrer Kunstwerke gesehen, uub doch kommt Einem
Alles neu vor, die Ueberraschnngen wollen kein Ende
nehmen, der Zauber hastet lange. Venedig ist gleichsam
die Eingangspforte zu Italien, aber schon dort spürt man
den verlockenden Hang und Drang nach dem Süden, welcher
von je die Menschen ans dem Norden ergriff nnd sie packte
wie Sirenengesang.
Ich habe Briese vor mir liegen, die ich im September
1853 in die Heimath schrieb und seit jener Zeit nicht wieder
in den Händen hatte. Sie rnfen alte Erinnerungen wach
nnd schildern die frischen Eindrücke während der ersten Tage
meines Aufenthalts. Venedig überwältigt auch Leute, die
schon viele Städte Europas gesehen haben. Bruchstücke
ans den Briefen, abgerissene Stellen, welche die Stimmung
kennzeichnen, mögen hier eine Stelle finden.
--Es ist Pracht und Herrlichkeit bei allem Verfall,
bei allem italienischen Schmutz, monumentale historische
Größe. Ueber dem Ganzen liegt die stille Weihe einer
Elegie; die Größe ist längst verschwunden, aber Alles ge-
mahnt daran, daß sie einst gewaltig war.
Ich lebe sprungweise in Empfindungen, in Anregungen
ans einer Feenwelt. Da wohne ich am Großen Kanal,
den ich auf eine weite Strecke hin überblicke. Mir gegen-
über liegen die Kirche San Giorgio Maggiore, das Zoll-
haus und die prächtige Kirche Santa Maria della Salute,
welche sich gestern Nacht im Mondschein wunderbar magisch
mit ihrer prächtigen Kuppel vom blauen Himmel abhob.
Auf dem Kanal ein ununterbrochenes Hingleiten von
Gondeln. Eben fährt eine vorüber, in welcher zwei Kapn-
ziner sitzen; eine andere begegnet ihnen, die auch einen
Ordensbruder trägt. Sie halten still. Die Mönche scherzen,
lachen, gestikuliren; ehe sie sich trennen, reichen sie einander
die Tabaksdose und rufen einander noch dies und jenes zu,
so weit die Stimme reicht. Diese Mönche haben offenbar
eine sehr behagliche Lebens- und Weltverdauung; sauber
sind sie gerade nicht, aber mir doch lieber als geleckte Mucker
mit gescheiteltem Haar, schwarzem Frack und weißer Hals-
binde.
Aber wie kann ich nur in Venedig an solche trübselige
Augenverdreher beuten; es ist wirklich Schade, denn solche
Figuren verderben alle Poesie.
— Der Llopddampser Roma brachte uus vou Triest
in sechsthalb Stunden hierher. Die Adria war nicht un-
22"°
172 Schilderungen ans Venedig.
ruhig und nicht tückisch; nie habe ich eine glattere Seefahrt ! ein Stück Geschichte heraus. Alles ist mir neu, aber wenig
gehabt. Allmälig tauchte die Stadt aus deu Lagunen aus; vor ist mir fremd.
dem Dogeupalaste rasselten die Ankerketten, die Roma stand Als wir heimkamen, hatten wir noch einen entzückenden
still, Gondeln und Barken umschwärmten sie. Der Himmel Genuß. Ich sagte schon, daß unserer Wohnung gegenüber
war heiter, das Wetter wie an einem schönen Junitag im die Salnte-Kirche liegt. Der Mond versilberte den breiten
Rheingau. Kanal und die Kirche mit ihren Marmorkuppeln. Es war
— Der erste Gang war uach dem Markusplatze, und ein prächtiger Anblick! Als ich mich eben niedergelegt hatte,
wir blieben dort bis Mitternacht; es bauute uns fest; das stimmte ein Goudolier am Traghetto (der Fähre), an welcher
süße Nichtsthun der Italiener kam auch über uns; wir unser Haus steht, einen leisen Gesang an, bei dessen Tönen
schlenderten umher wie ueapolitauische Lazzaroui, im Sonnen- ich einschlief.
schein und im Mondlicht. --Ich begreife, weshalb so viel von venetianischen
Und wie sahen wir gleich am ersten Abend diesen uu- Mondschein-Nächten erzählt und geschrieben wird. Ich
vergleichlichen Markusplatz! Gegen neun Uhr ging hinter habe sie so wunderschön erlebt, wie nur die kühnste Ein-
dem Campanile, dem freistehenden Glockenturme, der volle bildnngskrast sie wünschen oder ersinnen mag. Es macht
Mond auf, versilberte die Knppeln der Markuskirche und
den ganzen Platz, der abgeschlossen ist wie ein Saal. Wir
gehen auf den kleinen Platz, die Piazzetta, um dem Gewühl
zu entrinnen, und dort bescheint der Mond deu Dogeu-
Palast und seine volle Scheibe spiegelt sich und slimmert im
Kanal. Magisches Licht ist ausgegossen über diese steinernen
Monumeute. Diese Ruhe that uns wohl. Wir gingen ans
die Brücke, welche zum Molo dei Schiavoui führt, und sahen
im Halbdunkel die Seufzerbrücke. Dann schlenderten wir
wieder aus deu Markusplatz, erfrischten uns mit Eis und
traten nach elf Uhr unsere Rückwanderung an. Der erste
Tag in Venedig war wunderschön, voll ungetrübten Ge-
nusses, von heiliger, reiner Weihe, ungestörter Wonne
und von zauberhaftem Eindruck auf das Gemüth.
— Aus jedem Stein und jeder Säule quillt gleichsam
einen bewältigenden Eindruck, wenn man sieht, wie die
Scheibe hinter der Hauptkuppel der Markuskirche steht und
den Knopf versilbert wie mit einer Gloriole, einem milden
Diadem. Dann rückte sie weiter hinter den Campauile und
fiel auf deu vou Gasflammen blinkenden Platz, welchen eine
bunte Menschenmenge füllte. An zehn Stellen hörte ich
Guitarrenklang, Geigenspiel, Gesang, und jeder „Künstler"
fand willige Hörer aus allen Klassen und Stände». Ich
nahm Platz vor dem deutschen Kaffeehause. Neben mir stand
eine Gruppe von „Griechen", aber sie hatten slawische Ge-
sichter oder große Albanesernasen, hinter ihnen bärtige Jta-
lieuer mit rothen Kappen, die Arbeitsjacke nachlässig, und
eben deshalb malerisch, über die Schulter geworfen. Jeder
Bänkelsänger hatte ein aufmerksames Publikum, das gleich-
sam mitspielt und ein sehr lebhaftes Geberdenspiel zeigt.
Vor dem Dogenpalcist.
Schilderungen aus Venedig.
173
Der Markusplatz ist Abends wie ein Feensaal; die
Gassen westlich von ihm, gleichen schmalen, engen Korridoren,
sie sind ein von Lichtmassen flimmernder Bazar.
— Ich fahre dreimal an jedem Tage, früh am Morgen,
Nachmittags, wenn Alles still und öde ist, und am Abend,
auf den Kanälen, um zu verschiedenen Stunden auch ver-
schiedene Eindrücke in mich aufzunehmen. Wie viel Pracht
und Größe ist hier gewesen! Aber nun trägt Alles deu
ohnehin macht, dann erreichen sie allerdings ihren Zweck.
Die Namen so vieler Paläste erinnern an große Familien,
deren heutige Träger jedoch für sich keinen Ruhm in An-
spruch zu nehmen haben. Venedigs Größe erwuchs aus
der Grundlage des Handels; die Edelleute waren zugleich
Krieger und Kaufleute; heute sind sie weder das Eine noch
das Andere, und Oesterreich thut doch alles Mögliche, um
deu Verkehr zu heben. Warum ist Trieft so rührig und
Lcala antica.
Stempel des Verfalles an sich; die alten Venetianer sind
dahiu, die heutigen Nobili ohne Energie und deshalb sind
sie verkommen. Palast liegt neben Palast, aber wie viele
sind halbe Ruinen! Wahrhaftig, mir liegt nichts so fern,
als ein System Metternich's zu lobeu; wir Deutschen wissen
ja am Besten, wie abscheulich es war. Aber es durfte doch
die Venetianer nicht hindern, Glasscheiben in die leeren
Fenster zu setze» oder herabhängende Läden wenigstens fest-
zunageln. Wollen die Nobili durch deu Verfall deu roman-
tischen und elegischen Eindruck erhöhen, welchen Venedig
weshalb Venedig nicht? Mein Goudolier klagte mir, daß
er manchen Tag keinen Ceutesimo verdiene. Ich sagte ihm,
in Trieft erhalte der Arbeiter drei Centesimi Tagelohn;
weshalb nicht ein paar hundert spärlich erwerbende Gondo-
liere hinübergingen, um zu erwerben und zu sparen; es
würden noch Barkenführer im Uebersluß in Venedig bleiben.
Der Mann entgegnete, es würde sich keiner entschließen,
aus Venedig fortzugehen.
— — Ich glaube, es war Goethe, der einmal sagte:
Man sollte eigentlich nur in Italien leben, nur in Italien
174 Schilderungen
sollten Menschen wohnen. Aber es bleibt doch gut, daß
dem nicht so ist, daß wir außer diesem „Schooßkinde der
Natur" auch uuseru kräftigen, dauerbaren Norden haben.
Ich bin empfänglich für all das Schöue hier, aber ich danke
doch dem Himmel, daß ich ein Deutscher bin. Für Viele
ist dieses Italien eine wundervolle, verlockende Sirene; sie
umwickelt und umschlingt den ganzen Menschen, auch den
innern; Gesang, Wein, Weiber, blauer Himmel, milde Lüste,
das farbige, bunte Leben — Alles bestrickt so verführerisch.
Ich kann mich lebhaft in die Seelenstimmung eines Klein-
städters versetzen, der von alle dem zum ersten Male be-
rührt wird; empfängt doch auch der Viel- und Weitgereiste
so ganz eigenthümliche Eindrücke! Das ist Alles fo leicht,
wiegt sich gleichsam hin und her, und das Nichtsthnn
und Hindämmern hat manchen Reiz. Es wird Einem so
wohl dabei.
Die Lorbeeren und Eypressen in den kleinen Gärten
der Paläste erscheinen wie Symbole der Trauer über den
Versall, über welchen die Bewohner der „Meereskönigin"
sich selber anzuklagen haben. Die heutigen Venetiauer sind,
ich habe es schon gesagt, ohne Spannkraft. Es fragt sich,
ob ihre Stadt auch dann wieder emporblühen werde, wenn
einst die Eisenbahn aus Tirol und ans Deutschland über-
Haupt bis hierher führt. Die Bahn, welche Oesterreich
durch die Lagunen gebaut hat, gereicht ihm zur Ehre und ist
ein Werk, der alten Römer würdig. Der Welthandel hat
eine andere Richtung genommen, seine Hauptaxe ist atlau-
tisch; Weltstapelplatz wird Venedig nie wieder, aber durch
die Dampfschissfahrt kann es sich wieder heben, wenn die
Venetiauer fleißig und unternehmend werden.
Ihr Schicksal liegt in ihrer Hand. Mir sagte ein Nobile:
„Wir sind wie eiue trauernde Wittwe." Ich entgegnete:
„Da müssen Sie einen starken Mann heiratheu!"—„Aber
wen denn?"— „Den Fleiß, den Unternehmungsgeist;
geben Sie der Vergangenheit den Abschied und erkenueu Sie
die Bedürsmsse der Gegenwart." — Der Mann sah mich
groß an. Solch ein deutscher Rath kam ihm gewiß selt-
sam vor.
Aber freilich, bei dem Hindämmern erwirbt man nicht
die Mittel, die Paläste der Vorfahren anständig zu erhalten.
Einer der schönsten gehört der Taglioni, ein anderer den
Vestris, und so trinken nun Tänzer Champagnerwein in
den Sälen, in welchen einst Dandolo oder Moeenigo oder
Ginstiniani bei Eyperwein an der Tafel saßen.
Für den Reisenden hat aber gerade dieses Bild des
Verfalls einen eigentümlichen Reiz. Diese Denkmäler
mahnen gerade durch ihre Trümmerhastigkeit an die Vergäng-
lichkeit der Dinge, und unwillkürlich ziehen elegische Gefühle
durch uufere Brust. Und das ist die rechte Stimmung, wenn
man durch Venedig fährt, namentlich in den ersten Nach-
Mittagsstunden, wenn Alles still ist und Siesta gehalten wird.
Dann hört man nur das Plätschern der Ruder und zuweilen
auch ein Glockengeläut. Um diese Zeit ist Venedig wie im
Halbschlafe; man führt selber ein Traum- und Dämmerleben.
--Die Stegreifdichter, so sagt man mir, werden
seltener in Italien. Ich habe einen aus der alten Schute
Abends an der Riva dei Schiavoni gehört, da er aber im
veuetianischen Dialekt sang, nicht viel von seinen Worten
verstanden. Groß wird der Verlust nicht gewesen sein,
aber interessant waren die lebendige Ausdrucksweise, das
heftige Spiel der Geberden, die Armbewegung, die Ab-
stufung im Tone. Der Eindruck wird vervollständigt durch
das, was zum Improvisator gehört, ich meine die Staffage
eines italienischen Publikums, das niit Spannung dem Bor-
trage folgt und gleichsam mitspielt. Die Gruppen nahmen
sich eigenthümlich aus bei Mondschein und Gasflamme;
aus Venedig.
sie standen vor einem Kaffeehause, das vorzugsweise von
Leuten aus der Levante besucht wird. Ich sah Gondoliere
mit Kappen und Schärpen theils von rother, theils von
grüner Farbe; Griechen mit dem rothen Fes, Albanesen in
ihren sackweiten, bis auf die Kuiee herabfallenden Fnsta-
nellen, Türken mit Turban und Pelzrock, dalmatinische Ma-
trosen in hellbrauner grober Wollkleidung, uud unter diesen
fand ich einige Prachtexemplare von wahren Banditenge-
sichtern. Daneben Damen von der leichtfertigen Gattung,
von denen manche sich durch schwarze Tracht und Trauer-
flor interessant zu machen suchen; in einiger Entfernung
Geigentöne und Guitarrenklang, und diese Seenen auf dem
glatten Pflaster am Meeresufer, bei Moud- und Sternen-
schein, der sich im Meere wiederspiegelt, — das Alles zu-
sammen macht einen ganz eigenthümlichen Eindruck auf den
Menschen aus dem Norden. —
Eine der vortrefflichsten Schilderungen Venedigs hat
Adalbert von Beanmont geliefert. Auch er fand die ersten Ein-
drücke „feenhaft", die Paläste schienen ihm wie für Neptun,
Venus und deren Hofstaat geschaffen. Der Zufall hat zeigen
wollen, wie das Schöne und Malerische eine vollendete
Vereinigung hervorbringen können. Aus Allem haucht uud
duftet Poesie hervor, wie aus Blumen der Wohlgeruch.
Venedig ist gleichsam eine Königin der Künste zwischen
Himmel und Wasser uud verdankt der Erde nichts. Ich
wollte, sagt Beaumont, ein paar Monate in Venedig bleiben
und verweilte dort drei Jahre. Venedig ist Königin des
Meeres, wie Kairo eiue „Königin der Nächte".
Ich fuhr von der Eisenbahn auf dem schwimmenden
Omnibus der ganzen Länge des in Schlangenwindung durch
Veuedig zieheudeu Großen Kanals bis an die Piazzetta.
Dort stieg ich aus. Wenige Schritte von der Marmor-
treppe ragen die beiden Grauitsänlen empor, welche der
Doge Michieli aus dem Morgenlande hergebracht hat. Der
Lombarde Niccolo Barattieri errichtete sie au der Stelle,
welche sie noch einnehmen, im Jahre 1150. Auf der einen
steht der geflügelte Löwe des heiligen Markus, auf der an-
dern der heilige Theodor mit dem Strahlenkranz ans dem
Haupt und dem Krokodil unter den Füßen. Zwischen diesen
Säulen durften in früheren Zeiten nur Edelleute hindurch-
gehen; aber dieses Vorrecht ist längst beseitigt.
Wir sind nun auf der Piazzetta. Zur Rechtat streckt
sich die Riva dei Schiavoni lang am Kauale hin; links liegt
die Zecca, das Münzgebäude, ein Werk Sansovino's.
Gegenüber sehen wir den Dogeupalast, mit seinem röthlichen
Marmorgemäuer und den offenen Bogengängen. Weiter-
hin St. Markus, die „unsterbliche Basilika", die so reich ist
an herrlichen Mosaiken und schimmerndem Golde. Und
ihr gegenüber steht der Campanile, der riesige Glockenthurm,
der aber seine Umgebungen nicht im Mindesten drückt. Im
Hintergründe des Platzes gewahrt man den Uhrthurm, der
eigentlich weniger Thurm ist, sondern eher Mittelstück eines
großen Hanses. Sein Untergeschoß bildet zugleich den Ein-
gang oder das offene Thor zur Merceria, der Kaufmanns-
straße, die man als Bazar bezeichnen kann; die Südseite
bildet den östlichen Schluß der alten Prokuratieu, welche etil
Viereck des Markusplatzes einschließen. Das große Ziffer-
blatt zeigt die 24 Stunden der alten italienischen Tages-
rechnnng. Die Vorderseite des vierten Stockes ist mit den:
Löwen geschmückt; auf der flachen Thurmdecke steheu zwei
große Mohren aus Erz und schlagen auf der gewaltigen,
zwischen ihnen hängenden Glocke die Stunden an. Von
dort oben hat man die schönste Aussicht auf den Markus-
platz und die Piazzetta. Rechts der Platz mit den römisch-
griechischen Hallen der Proknratien und des Atriums, links
| die orientalische Hauptseite der Markuskirche; weiterhin die
Schilderungen
lustige Spitzbogenreihe des Dogenpalastes und seine freie,
kühne Ecke; vorn die Piazzetta in ihrer Längenausdehnung;
zwischen den beiden oben erwähnten Säulen hindurch, über
die Gondeln und die Lagunen hinweg, die Kirche auf Giorgio
Maggiore.
Aber wir besteigen den Campanile ohne Anstrengung;
ein Pferd könnte hinaufgehen, so bequem kommt man hinauf.
Dieser Glockenthurm steht da wie eiu steinerner Mast des
großen Marmorschiffes Venedig, das in dieser rnhigen Lagune
liegt. Von dort herab gewinnen wir einen Blick über das
wunderbare Ensemble von Palästen, Wasser, Himmel und
Bergen, Schiffen, Barken und Menschen. Vom Markus-
platze gehen die Menschenwogen aus und strömen dorthin
zurück; er ist das Herz, iu welchem alle Adern dieser wunder-
aus Venedig, 175
Vom Campanile ans halten wir eine Rundschau. Wir
sehen einen Gürtel von Felsen und Sand. Da ist zuerst der
Lido, dann gewahren wft Mctlcmtocco, Palestrina, die Mu-
razzi und weiterhin dicht am Festlande Chioggia. Zwischen
diesen Punkten läuft eiu gewaltiger Damm; diese Inseln
bilden die Schutzwehr für Venedig sowohl gegen die Meeres-
wogen, wie gegen feindliche Schiffe. Nur drei wohlbefestigte
Fahrstraßen führen zum Hafen, der im Uebrigen geschlossen
ist wie ein See. Weiterhin, vorgeschobenen Wachtposten
vergleichbar, sehen wir die Insel San Lazzaro, wo die
Armenier ihr Kloster haben, San Cervolo und andere
Inseln.
Zn unseren Füßen breitet sich der Markusplatz aus.
Die Mannigfaltigkeit des Baustils dort, wie auf so vielen
baren Stadt zusammenlaufen. Man übersieht den ganzen
Canal grande, welcher die Stadt in zwei große Hälften
scheidet; durch die berühmte Rialtobrücke stehen sie mit
einander in Verbindung. Den Horizont bildet das Meer.
Unter uns liegen Hunderte von Palästen und unzählige
Kirchen.
Dieses Venedig, das sich aus dem Wogen emporhebt,
hat vierthalbhundert Brücken und ein paar tausend Gassen
und Gäßchen. Der Fremde hat Mühe, sich in diesen Irr-
gewinden zurecht zu finden. In seinen glänzenden Tagen
zählte Venedig mehr als zweimalhunderttansend Einwohner;
jetzt nicht viel über die Hälfte. Denn, wie gesagt, .es ist
nn Verfall, aber es bleibt doch immer die Stadt der Dogen;
es ist nicht mehr reich, seine Bewohner bethätigen kein frisches
^'eben, aber es ist schön und fesselnd.
anderen Punkten der Stadt, ist ganz geeignet, unseren
neumodischen Baumeistern die Neberzengnng ans-
zudringen, daß ihr unglückseliges System abfo-
luter Regelmäßigkeit geradezu die Kunst todt-
schlägt. Hier steht kaum etwas iu regelrechtem Wiukel,
kein Monument gleicht dem andern, und doch welchen Eindruck
macht das Gauze! Man vergleiche damit uusern neumodi-
scheu Kasernenstyl, der geradezu abscheulich ist. Der Uhr-
thurm steht in den alten Prokuratieu, mit deren Baustyl er
nicht die geringste Uebereinstimmnng hat; der kleine Löwen-
Hof unterbricht den Winkel des Platzes; der Dom ist byzan-
tinisch, aber seine Säulen, Kuppeln, Kapitäle und Farben
sind ganz und gar mannichsaltig. Wie viele alte Tempel
Griechenlands und Asiens haben die Stoffe hergeben müssen
zu diesem Gebäude, das doch eine so ergreifende und fo
176 Schilderungen ans Venedig.
malerische Wirkung auf den Beschauer macht! An den Fuß oberung von Konstantinopel, Athen, Ephesus und andere
des Campanile lehnt sich, wie der Zwerg an einen Riesen, Städte der Levante. Sie erzählen uns beredt ein Stück
die Logietta, eine kleine Kirche im Renaissancestyl, von rosen- venetianischer Geschichte aus deu Tagen des Glanzes, und
rothem Marmor und Erz, fein und kokett, ein wahres Bijou. für den Kunstforscher ist Venedig eine heilige Stadt, und
Dann macht der Markusplatz eine Biegung und wir sind ans eine Pilgerfahrt zn ihr bringt reichlichen Lohn,
der Piazzetta. Venedig ist einem Museum von Kostbar- Als der Doge Pietro Orseolo die Basilika bauen lassen
feiten vergleichbar. wollte, verschrieb er ans dem Oriente Künstler und Arbeiter.
Hier fehlt alles Das, was unsere Architekten als Einheit Jedes Fahrzeug der veuetiauifcheu Flotte, das aus dem
im Plan, als Symmetrie bezeichnen, und doch bildet dieses Mittelmeere heimfuhr, mußte Steine zum Bau des Heilig-
Der kleine Ä
Ganze mit dem Baustyl aus gauz verschiedenen Zeiten und
Ländern eiue wundervolle, architektonische Gefammtheit.
Wer möchte wohl den Markusplatz „regelmäßig" haben, im
Sinne des Kartenhaus- und Kafernenstyls, der kaum etwas
Anderes als gerade Linien und gräßliche Langweile kennt?
Gottlob, die Markuskirche ist gründlich nnregel-
mäßig. Wir finden an der Vorderseite Säulen von asiatischem
Porphyr und afrikanischem Marmor in sehr verschiedenen
Farben, Gestalten und Größen. Sie erinnern an die Er-
tarbo - Kanal.
thums herbeischaffen. DiefeKirche sollte noch stattlicher werden,
als jene der heiligen Sophia in Konstantinopel. Der Eine
brachte aus Koriuth, der Andere ans Rhodns, der Dritte aus
einer andern Stadt Marmorsäulen und Kapitaler; Schnitz-
werke aus Elfenbein, Mosaiken, Lampen, Reliquienschreine,
Schmuck und allerlei Kirchengeräth kam aus allen Himmels-
gegenden. Im zehnten und elften Jahrhundert erhoben sich
die Mauern, Gewölbe und Säulen. Nun nmgiebt ein ge-
wölbter Gang von 128 Bogen die Kirche, welche 220 Fuß
Aus Bayard Taylor's Reisen in Lappland.
177
lang ist und einen Umfang von 950 Fuß hat. Die St.
Markus-Kathedrale ist in der That eine kosmopolitische Zu-
sammenhäufung und gekrönt mit Kuppeln, welche vielmehr
an jene von Kairo, Damaskus und Jspahan, als an die
platteren von Byzanz erinnern.
Die Republik hat viele Kriege geführt, manche Bund-
nisse und Verträge geschlossen, und dabei immer ihr Venedig
bedacht. Der Löwe des heiligen Markus hat eiu Schwert
iu der Tatze und sich immer sehr gern de» Löwenantheil ge-
sichert; er nahm, was er bekommen konnte, von griechischen,
römischen oder mohammedanischen Kunstwerken. Viele erwarb
Venedig auch auf friedlichem Wege durch den Handel. Eine
Thür aus der Sophienkirche bildet noch jetzt das rechte Ein-
gangsthor zur St. Markus-Kathedrale; auch die Palla d'oro
am Hauptaltar gehörte einer byzantinischen Kirche au;
Säulen von Serpentinstein :c. kamen vom Tempel aus
Jerusalem, ans Sidon, Tyrus, Ptolemais, knrz, die ganze
Levante steuerte freiwillig oder gezwungen bei. Ganz außer-
ordentliche Beiträge lieferte Konstantinopel nach der Er-
obernng durch die Frauken und Venetianer im Jahre 1204.
Die letzteren hatten nicht weniger als sünshundert Galeeren
ausgerüstet. Der große Doge Dandolo befehligte ein Heer
von vierzigtausend Mann, und die Blüte der europäischen
Ritterschaft machte den Zug mit. Er selbst pflanzte das
Banner des heiligen Markus in Konstantinopel auf.
Während der Plünderung dieser Stadt wurden allerdings
manche kostbare Schätze der Kunst zerstört, aber man rettete
doch Vieles, uud Manches davon kam der Markuskirche zu
Gute und ist bis auf unsere Tage gekommen. Gegen-
wärtig läßt die österreichische Regienntg bedeutende Aus-
besserungen in derselben vornehmen; sie waren dringend
nöthig geworden.
Doch wir verlassen die Kirche, gehen aus die Piazzetta
uud steigen iu ein offenes Boot, eine Barke. Es ist spät
am Nachmittage, die Luft nicht mehr drückend heiß, uud
Hunderte von Leuten fahren spazieren, f'resco, wie man es
nennt; man will Kühle einathmen, nachdem die Siesta
vorüber ist. Nitit herrscht Leben und Regsamkeit auf dem
Kanal, uud ein schöner Herbstabend steht in Aussicht; auch
scheint der Mond, der, es muß wiederholt werden, iu
Venedig eiue so große Rolle spielt. Wer die Stadt nicht
bei Mondschein gesehen hat, entbehrt einen wahren Hoch-
geuuß. Die Lichtwirkuug ist oft magisch. Hier fällt ein
heller Streifen durch eiue enge Gasse oder uuter einer Brücke
hindurch nud versilbert das Wasser; dort liegt der Schein
auf einem Balkon uud die Fenster glitzern; eine Kirche ist
wie mit Licht übergössen nnd neben ihr liegt Dunkel iu deu
engen Gassen, in welche kein Strahl fällt. Die Fenster-
säuleu uud Verzierungen an manchen Palästen treten fast
in Tageshelle hervor, nnd die arabischen Paläste, wie
Ca d'oro, Loredan und Michieli, nehmen sich wunderbar
prächtig aus. Der Gondelführer erzählt, und die Chronik
hat es auch behauptet, daß eiu Michieli bei der Belagerung
von Tyrus nicht weniger als elfhundert Sarazenen mit
eigener Hand den Kopf vom Rumpfe säbelte. Der Gondolier
glaubt steif und fest an diese Heldenthat. Da sind die
Palazzi Pisani, Tiepolo, Mansrini und so manche andere,
welche durch ihre imposante Masse wirken; sie liegen im
Halbdunkel, Bergen vergleichbar.
Wir lassen den Gondolier in Nebenkanäle ablenken,
uud gelangen zum Kanal Bernardo neben dem Campo
San Paulo; er hat Licht genug und unser Bild stellt ihn
ganz genau dar. Weiterhin kommen wir vor das große
Fenicetheater, dann unter die Paterniansbrücke nnd landen
an der Straße della Vida oder delle Locande. Nun sind
wir an dem Ziele, welches wir uns für heute vorgesteckt
hatten, uämlich bei dem Corte del Maltese, dem
Malteserhof. Er ist berühmt wegen seiner herrlichen
Treppe, der sogenannten Scala antiea. Sie gehört zum
Palaste der Patriziersamilie Minelli und wird mit Recht
für ein wahres Prachtwerk gehalten. Man werfe einen
Blick auf unsere Abbildung. Wie leicht und malerisch er-
scheint der Bau; eiu Rundbogen, luftig uud schmuck auzu-
schauen, ist neben und über dem andern, das Ganze thnrm-
artig. Die Treppe ist im Style des fünfzehnten Jahrhunderts
aufgeführt, wie man sagt, von einem der berühmten Bau-
meister Lombardi, welcher eine Art von Nachbildung des
schiefen Thurms vou Pisa dem Palast anschließen wollte.
Aber sie unterscheidet sich von diesem dadurch, daß die
Basis der Bogen, welche die Säulen tragen, nicht horizontal
liegt, sondern, wie die Boge» selbst, mit Treppeustusen
allmälig aufsteigt. Das Ganze ist aus istrischem Marmor
ausgeführt uud zugleich stark uud zierlich. Deu Mittelpunkt
der Spirale bildet eine aus achtzig runden Schichten be-
stehende Säule; diese ruudeu Schichten sind aber nichts
weiter als das innere Ende jeder Stufe, deren äußeres
Ende auf deu Bogen und Säulen ruht. Der Thurm hat
sieben Stockwerke; das erste wird vou sieben Säulen ge-
tragen, die fünf anderen haben deren acht und das oberste
hat vierzehn, zusammen sechszig Säulen nnd einhundert
und zwölf Stufen, die eine Länge von etwa sieben Fuß
haben. Die Höhe des Ganzen beträgt zwei uud zwanzig
und einen halben Meter. Treppe uud Palast stehen in
jedem Stockwerke vermittelst Galerie» im Renaissancestyl
in Verbindung.
Ans Gayard Taylor's Reise in Lappland.
Erster Artikel.
In Muoniovara. — Ein finnisches Dampfbad. — Einübung im Schlittenfahren mit Rennlhicrcn, — Finnische Charakterköpfe und allerlei Typen. — Fahrt
über schneebedeckte Einöden.— Kälte und Nordlicht.— Sil Palajoki und Suoutajärvi.— Lippajärvi.— Die Wasserscheide.— Lappländische Wohnungen.—
Ankunft in Kautokeiuo. —
Unser lieber nordamerikanischer Freund Bayard Taylor ist Binnen anderthalb Jahrzehnten hat Taylor ungeheure Räume
in der That ein „Weltfahrer"; er hat, gleich weiland Ida Pfeiffer durchmessen, und vieler Menschen Länder gesehen und Sitten er-
oder dem in dieser Beziehung nicht minder zähen Friedrich kündet. Als junger Mann war er Einer der ersten, welche den Zug
Gerstäcker, die „Laufkrankheit". über die weiten Prairien wagten und iu das damals neue Gold-
Globus für 1862. Nr. 30. 23
178
Aus Bayard Taylor's Reise in Lappland.
land Kalifornien vordrangen. Von diesem lieferte er eine treffliche
Beschreibung. Ein paar Jahre später finden wir ihn ans dem
Ocean; er besucht die Lieu kieu (Lntschn-)Jnseln, die Häfen Chinas
und Japan. In diesem letztern befreite er einen amerikanischen
Steuermann, den strammen Braisted, welcher seitdem von Taylor
unzertrennlich und gleichsam dessen Schatten ist; denn er be-
gleitet ihn überall hin. Taylor machte iu Ostafrika eine Fahrt
auf dem Nil bis über Chartnm hinaus, er hat Bäder ge-
uommen in Alexandria wie in der heiligen Ganga Strom-
fluten, im Rhein, im Hudson, im Mississippi, unter allen Kli-
mateu. Am liebsten verweilte er immer in Deutschland, welchem
er einen nicht geringen Theil seiner gediegenen Bildung ver-
dankt. Auch fließt mancher deutsche Blutstropfen in den Adern
dieses Reisenden, der besonders das grüne, idyllische Thüringen
liebt. Er spricht unsere Sprache so geläufig wie wir selber, und
hat eine Eigenschaft, welche bei den Uankees sonst nicht zn finden
ist, — Gemüth uud Gemächlichkeit.
Bor einigen Jahren überraschte uns unser Freund mit einem
Werke, das einen Theil seiner Reisen im Norden schildert. Es
führt den Titel: Northern Travel. Summer aud Winter
Pictures of Swedeu, Lapland aud Norway. Ein reiner
Zufall trägt die Schuld, daß wir damals das Werk nur flüchtig
durchblätterten, und ebenso wollte ein Zufall, daß wir jüngst
dasselbe näher betrachteten. Einige Mittheilungen werden den
Lesern des Globus gewiß willkommen sein.
Bayard Taylor hat einen klaren Blick uud eiue ebenso feine
als scharfe Beobachtungsgabe. Ein Mann, der so viel gesehen wie
er, lernt den Kern von der Schale uuterscheideu. Dabei erzählt
er anspruchslos und anmnthig, er ist zugleich unterhaltend und
belehrend. Wir wollen ihm auf einigen Streifzügeu durch
Lappland folgen, welche er in den ersten Monaten des Jahres
>857 unternahm.
In Muuiovara trat uns ein hübscher, schlanker Mann ent-
gegen, den wir an der ganz grauen Kleidung sogleich als reifenden
Engländer erkannten. Es war der englische Naturforscher W o l l e y;
er freute sich, vou uus iu seiner Muttersprache angeredet zu werden,
uud verschaffte uns sogleich iu dem Hause eines norwegischen Zun-
mermanns eine Wohnung, in der wir uus gegen die grimmige
Kälte sehr wohl geborgen fühlten.
Man kann sich kaum eiue uuwirthlichere Gegend denken, als
jene, in der wir uus hier befanden; so weit unser Auge in dem
dämmerigen Zwielicht reichte, sahen wir nichts als weiße Hügel
und verkrüppelte Fichten, dazwischen die zerstreuten schwarzen
Hütten des Orts und hie und da wohl einen neben Reunthieren
schweigeud hinziehenden Menschen.
Das Haus des Zimmermanns war aus behaueueu Fichten-
balken ausgeführt, die Ritzen waren dicht mit Moos verstopft und
ein eiserner Ofen in nuserm Zimmer verbreitete eine augenehme
Wärme. Betten und Hausgeräthe waren im besten Znstande und
selbst ein kleiner Teppich fehlte nicht. Der Zimmermann, Herr
Knoblock, sprach etwas deutsch; seine hübsche blühende Tochter, ein
blondes Nordlaudmädcheu, brachte uns, uach schwedischer Sitte,
früh den Kaffee, als wir noch iin Bette lageu. Lappland erschien
uns fast als ein Sybaris, gegenüber dem, was wir erwartet hatten.
Auf den Rath des Herrn Wolley machten wir uus mit einem
finnischen Dampfbade bekannt. Das Badehaus war nur klein,
aus Holz aufgeführt und ohne Fenster. Ein finnisches Dienstmäd-
chen setzte es für uus iu Staud uud führte uns hinein. Ein heißer
Dampf, fast wie im Innern orientalischer Bäder, schlug uus eut-
gegen. Iu der Mitte staud ein Pfeiler von erhitzten Steinen, auf
denen abgebrochene Birkenreiser einen angenehmen Geruch ver-
breiteten, und ein großer Zuber mit Wasser. Auf dem Fußboden
lag Stroh und nnter dem Dache zog sich ein mit weichem Heu be-
decktes Gerüst hin, auf dem mau dem vollen Dampfstrom ans-
gesetzt war. Einige Bänke und Stühle für die Kleider vervoll-
ständigten die Einrichtung.
Das Bademädchen trat ein und Herr Wolley begann sich zn
entkleiden, iudem er uns bemerkte, daß das Mädchen uns reiben
und durchkneten werde. Es ist dies nur als Zeichen der reinen
Sitteu der hiesigen Bevölkerung aufzunehmen, bei der man eine
falsche Scham nicht kennt. Die ärmeren Familien gehen hier in
ihre Badezimmer zusammen, und Vater, Mutter und Kinder reiben
sich gegenseitig den Rücken. Wir legten uns nun entkleidet aus
das mit Heu bedeckte Gerüst; das Mädchen goß Wasser ans die
heißen Steine, welches verdunstete und uns in einen starken
Schweiß versetzte. Dann peitschte sie uns ziemlich stark mit Birken-
rnthen vom Kopfe bis zn den Füßen. Als wir genug gerieben und
halb zerkocht waren, stiegen wir herab, wurden mit Seife abge-
waschen und mit heißem Wasser übergössen. Die Finnen gehen
während des Bades noch oft in's Freie hinaus uud wälzen sich zur
Erfrischung im Schnee umher. Ich wagte es, nackt hiuauszu-
treten und einen Augenblick die kalte Luft auf meine erhitzte Haut
wirken zn lassen, obwohl das Thermometer auf Null (uach Fahren-
heit) stand.
Wir beschlossen auf den Rath des Herrn Wolley, uns im Fahren
mit Renuth i ereu zu üben. Denn über die Gebirge, welche zwischen
nns uud uuserm nächsten Ziel, Kautokeino in Norwegen, lagen,
kommt man nur mit Reunthieren fort. Ich zog deu laudesüblicheu
„P o es k" aus Rennthierfell und meine russischen Pelzstiefeln an uud
setzte mich in den „Pulk". Diese Pulks lassen sich aiu besten mit
einem Kahne vergleichen; sie find vorne zugeschärft, hinten viereckig,
ungefähr fünf Fuß laug, einen Fuß tief uud anderthalb Fuß breit.
Man sitzt darin ausrecht uud streckt die Füße vor sich hin. Das
Geschirr des Rennthieres besteht nur aus einem ledernen Riemen,
der um den Hals gelegt wird, von welchem aus ein Seil, unter
dem Bauche durch, bis zur Spitze des Pulks geht. Der einfache
Zügel ist am linken Hörne des Thieres befestigt und geht über den
Rücken hinüber zur rechten Hand des Kutschireudeu.
Ich setzte lnich in den Pulk und erwartete das Zeichen zur
Abfahrt. Mein Rennthier war stark und fanf'te mit mir wie der
Wind deu schneeigen Hügel hinab. Der Athem verging mir, der
Pnlk schleuderte vou der einen Seite zur andern und in der nächsten
Minute lag ich draußen im Schnee. Das Rennthier, welches mit
dem Zügel an meinem Arme befestigt war, stand still nnd glotzte
mich dulum au. Ich begann den Versuch von neuem, obgleich mir
das Gesicht von dein unfreiwilligen Schneebad, mit einer starken
Eiskruste überzogen war. Doch war der Erfolg der nämliche, und
als ich endlich wieder etwas zn mir kam und hinter mich blickte,
sah ich deu starken Körper Braisted's wie einen Schneemann er-
scheinen; er hatte sich eben von seinem dritten Umwerfen erhoben.
Zuletzt bekam ich einige Uebung im Fahren mit dem Rennthierpulk:
ich konnte das Gleichgewicht halten und schoß in dem grauen
arktischen Zwielichte geräuschlos über den Schnee hin. So bekam
ich den ersten ordentlichen Begriff vom arktischen Reisen uud dachte
au Milgge's „ Asraja" uud Alles, was sich an die Poesie des
Nordens knüpfte.
Meine freie Zeit benutzte ich, um einige typische Finnen nnd
Lappen zu zeichnen, und Herr Wolley war mir behilflich, charakte-
ristische Leute zum Sitzen zu bewegen. Ein alter Finne, Namens
Niemi, versprach zu kommen, wurde dann aber mißtrauisch und wir
mußten wiederholt nach ihm schicken. „Ich kenne die Reisenden,"
sagte er, „sie sammeln die Schädel der Leute uud nehmen sie mit
heim. Sie sind meist so reich, daß sie alle Richter bestechen; wer
weiß, ob sie nicht auch meinen Schädel wollen?"
Endlich entschloß er sich doch nach vielem Zureden, sich zeichnen zn
lassen. Er war dreiundsiebenzig Jahre alt, sah aber wie ein an-
gehender Sechziger aus; das Haar war stark und schwarz, das
Gesicht geröthet.' Die buschigen Augenbrauen waren rabenschwarz,
i die Augen groß und tiefliegend, die Nase dick und hervorragend uud
die Winkel des großen Mundes herabgezogen, was ihm einen
Aus Bayard Taylor's Reise in Lappland.
179
melancholischen Ausdruck gab. Er hielt ganz still während ich ihn
zeichnete, und das wohlgetroffene Bild erkannte sofort Jeder. Als
ich fertig war, gab ich ihm eiu Geldstück. Er war sehr erfreut
darüber und sagte zu dem Zimmermann Knoblock: „Sie sind nicht
alle gleich schlecht, diese Reisenden; vielleicht sammeln sie auch keine
Schädel."
Bald nachdem er gegangen war, kam ein altes Lappenweib,
Elsa, in ihrem Rennthierpulk angefahren. Sie war in ihrer voll-
ständigen Laudeskleidung: einem blauen Rocke mit weiten, scharlach-
roth verbrämten Aermeln und trug eine sonderbare birnförmig ge-
staltete Mütze. Sie setzte sich auf ein Fell nieder und drehte
Rennthiersehnen, die sie mit der flachen Hand rollte, während ich
sie zeichnete. Da es dunkel wurde, war ich geuöthigt, bei Kerzen-
licht zu zeichneu, und als ich die Kerze näher hielt um ihre Gesichts-
züge besser zu erkennen, rief sie aus: „Sieh mich au, o Menschen-
söhn!" Sie behauptete, daß ich überirdische Kräfte besäße, da ich
so weit hergekommen sei und ein Bild von ihr ans Papier macheu
könne. Als ich ihr einen Reichsthaler gab, war sie hocherfreut und
sagte: „Was! ich habe Kaffee und Tabak bekommen und erhalte
nun noch baares Geld! Tausend Dank, o Menschensohn!"
Nachdem wir uns einige Tage iu Muoniovara aufgehalten
hatten, kamen sieben Rennthiere an, welche wir gemiethet hatten,
nm ims weiter nach Nor-
den zu führen; wir hatten
uns mit „Poesks" ans
Rennthierfell versehen, so
wie sie die Lappen tragen.
Unsere Handschuhe waren
gleichfalls aus Reuuthier-
fell, und um den Hals
hatten wir Boas aus Eich-
hörnchenpelz.
Am 15. Januar 1857
brachen wir von Muouio-
vara auf. Da wir das
unfruchtbare, rauhe Tafel-
laud durchreisen mußten,
welches die Wasserscheide
zwischen dem Bottnischen
Busen und dem Nordi-
scheu Meere bildet, so hatten wir uns auf drei Tage mit Nahrung
versehen. Als Dolmetscher begleitete uns der Sohn des Ziinmer-
manns. Unsere Fahrt ging vor Sonnenaufgang durch das herrlich
beleuchtete Thal des Muonio; der Schnee erschien überall iu
bleicher, safrangelber Farbe, die Wälder auf den Hügeln leuchteten
wie Opale und die entfernte Bergkette von Palastyntre glühte in
rosigem Lichte mit fapphirblanen Schatten. Diese nordischen
Beleuchtungen machen einen so erhabenen Eindruck, daß feine
Feder, feixt Piusel hinreicht, sie genügend zu beschreiben. Bei
Muonioniska fuhren wir über den bis zum Bodeu ausgefrore-
nen Strom auf das russische Ufer hinüber. Der Weg war gnt,
doch mein Nennthier faul und wollte nicht recht vorwärts, so daß
ich häufig aussteigen und es durchpeitschen mußte. Ich vertauschte
es daher bald mit einem andern, das zwar kleiner war, aber
feuriger ausgriff. Unser Führer war ein hübscher blauäugiger
Finne, mit weißem, rothgefärbten Gesicht. Er hieß Isaak, ward
aber ineist nur „langer Isaak", Pitka Isaak, genannt. Wir hatten
alle Ursache, mit ihm zufrieden zn sein; unser kleiner Dolmetscher
war uns aber beinahe unbezahlbar.
Die Kälte ward während unserer Fahrt immer empfindlicher
uud das Quecksilber sauk bis 33 Grad unter Null (Fahrenheit).
Ich mußte das gauze Gesicht bis auf die Augen in der Boa ver-
stecken und die Füße uud Zehen fortwährend bewegen, damit sie
nicht erfrören. Die Nacht war still, nichts belebte die einförmige
Gegend; überall, wo sich der Blick hinwandte, traf er auf Schuee,
Oede uud Tod. Für alle diese Unbequemlichkeiten entschädigte
Fischerhiittcn in Lappland.
nns ein herrliches Nordlicht, das gerade im Norden vor uns
stand uud seinen Schein auf unfern schneeigen Pfad warf. Aus
einem großen Bogen schössen gelbe Strahlen in das Firmament
hinein, die aber gleich wieder zurückzuckten, wie der Hammer Thors
anch nach geschehenem Wurfe wieder in die Hand zurückkehrt.
In P alajoki kamen wir hungrig und halb erfroren an, doch
war anch dort unsere Aufnahme nicht die beste; denn in dein
Zimmer, das man uns anwies, fanden wir eine zolldicke Eiskruste
auf den Fensterscheiben nnd der Wind pfiff durch die Ritzen des
Balkenwerks. Unsere Lebensmittel waren steinhart gefroren, daö
Fleisch hatte sich in rothen finnländifchen Granit und das Brod in
Glimmerschiefer verwandelt. Die Wirthiu begann sogleich diese
Sachen auszuthauen, während ich bei dem Schein einer Kienholz-
fackel das Bild eines schwarzhaarigen, olivenbraunen, dicknasigen
und dicklippigen Burschen zeichnete, der sich Erik Johann Som-
bafi nannte. Als wir unsere anfgethanten Speisen verzehrt hatten,
bereitete uns die Wirthin in einer Ecke des Geniachs ein Lager
aus Rennthierfellen und die ganze Einwohnerschaft des Hanfes
blieb neugierig bei uus stehen, um unferm Entkleiden beizuwohnen,
was wir denn auch sofort, ohne uns Zwang auzuthuu, in ächt sin-
nischer Weise vollbrachten.
Als wir am Morgen weiter fuhren, schneite und stürmte es
heftig; die Landschaft blieb
im Ganzen dieselbe nnd
als wir anf dem Pal aj o k,
einem Nebenflüsse des
Muonio, hinfuhren, war
die Temperatur der Luft
beinahe warm zu nennen,
nämlich 8 Grad unter Null
(Fahrenheit)! Iu dem
kleinen Flecken Snonta-
järvi fütterten wir unsere
Rennthiere. Wir traten
in eine Hütte, in welcher
wir ein junges hübsches
Weib mit einem Säugling
fanden. Das Feuer am
Heerde war erloschen und
der Wind strich durch die
Fugen des Gebäudes. Der lange Isaak nnd das Weib begrüßten
sich, indem sie, nach finnischer Weise, den rechten Arm einer dem
andern um den Leib legten, denn der Händedruck gilt nur
als ein Zeichen des Dankes für eine erwiesene Gunst.
Der Weg führte uns Nachmittags durch eine Wildniß, die
mit Seen bedeckt war, nnd über schneebedeckte Marschen, auf denen
hier und da verkrüppelte Birken standen. Als der Weg unter dein
Schnee gänzlich verschwand, wußten ihn die Rennthiere selbst mit
erstaunlicher Leichtigkeit wieder aufzufinden, so daß wir uns iu
dieser Beziehung fest anf sie verlassen konnten. Ich hatte wieder
mein Rennthier gewechselt und ein sehr wildes, kräftiges Exemplar
vor meinem Pulk; fobald ich es in Trab setzte, raunte es über
Braisted's Pulk hin, warf mich dann selbst nm und verursachte in
unserer Karavane noch allerlei Störung und Unfug, so daß ich das
Fahren mit Renuthiereu herzlich satt bekam.
Vor uns lag der elende Weiler Lippajärvi, an der west-
lichen Seite des kahlen Lippivaragebirges, dem höchsten
Punkte Lapplands in dieser Gegend (über 1900 Fuß Meereshöhe).
Selten habe ich eiu so armseliges, gottverlassenes Dorf wie dieses
gesehen. Einige wenige schwarze Hütten und eine endlose Schnee-
wüste — das war Alles. Nachdem wir in einer Art von Stativiis-
haus etwas genossen und ausgeruht hatten, fuhren wir um Mitter-
nacht weiter. Eiu dicker Nebel bedeckte die Gegend und wir konnten
nur wenig vom Pfad erkennen. Alles lag in einer Todtenstille
nnd nur das Knirschen der Pulks auf dem Schuee war zu ver-
nehmen; so glichen wir einer Geisterkarawane. Daß und wie
23*
180
Aus Bayard Tavlor's
Reisen in Lappland.
meine Führer den Weg fanden, war mir unbegreiflich, denn
nirgends war ein hervorragender Gegenstand zn erblicken, der als
Landmarke dienen konnte. Wir befanden uns nun auf der Wasser-
scheide zwischen dem Bottnischen Bnsen und dem Nordischen Meere,
etwa 1400 Fuß Meereshöhe; die Birken waren zn kleinen
Sträuchern zusammengeschrumpft.
Unangenehm ward ich durch die Nachricht überrascht, daß in
dieser Wilduiß unsere Führer den Weg verloren hatten. Bald
fuhren wir nun in dieser, bald in jener Richtung, doch ohne Resul-
tat. Fort ging die wilde Jagd über kahle Felsenmassen, Birken-
dickichte und ungeheure Schneehügel. Auf dem unebenen Boden
ward mein Pulk hin und her geworfen und ich mit ihm, so arg wie
es mir nur einmal im Leben erging, als ich nämlich in einem
Kutter über die Korallenriffe von Ln-Tschn fuhr.
so wie die Männer in Poesks gekleidet, unterhielten auf den
Steinen in der Mitte des Zeltes ein Feuer; doch war die innere
Luft gerade so kalt, wie die draußen. Das verbrannte Birkenholz
gab einen so starken Qualm von sich, daß wir nach einer halbeu
Stunde kaum noch sehen und athmen konnten. Die Frauenzimmer
schienen dadurch nicht belästigt zu werden, doch bemerkte ich, daß sie
sehr entzündete Augen hatten. Nach einiger Zeit traten noch zwei
starke junge Mädchen, von etwa L7 Jahren, und eiu zweijähriges
Kind eiu; letzteres trug auch schou eine vollständige Nennthier-
kleidnng. Alle zeigten sich friedlich und zuvorkommend gegen uns,
doch war an eine Unterhaltung nicht zn denken. Diese Franen-
zimmer fand ich nicht so klein und häßlich, wie man sich die Lappen
gewöhnlich vorstellt. Die Grundfarbe ihres Gesichts war loh-
braun, doch wareu ihre Wangen geröthet und die Augen dunkel-
MMR
Ein Lagerdorf
Nachdem wir ziemlich lange Zeit umhergeirrt wareu, fchlng !
Huudegebell au unser Ohr. Wir folgten dem willkommenen Klang,
erreichten einen steilen Bergrücken, auf dem uns eine ganze Meute
Hunde empfing, uud sahen im Hintergrund, den schwarzen Kegel
eines Lappenzeltes. Der lange Isaak weckte die Bewohner, und
Kindergeschrei bewies uns bald, daß hier Leben und Liebe wohne.
Wir erhielten einen Führer. Während dieser mit meinen Leuten
unterhandelte, schritt ich, fortwährend von den wolfartigeu Hunden
angebellt, mitten in das Dorf hinein. In allen diesen kegelför-
migen Hütten ward es lebendig, die Leute zündeten Späne an
und aus der ober» Oeffuung der Kegelhütten drang der Lichtschein
hervor, so daß es plötzlich uns vorkam, als befänden wir uns
inmitten einer Gruppe feuerspeiender Berge.
Die Lappen gestatteten uns bereitwillig bei ihnen einzutreten.
Wir lüfteten die Vorhangthür ans Rennthierfell und stolperten
über einige Hnnde in das Innere der Hütte. Zwei Franen, gerade
? in Lappland.
! granblan. Ihre Sprache klang angenehm. Abgesehen von all'
dem Pittoresken, was mich umgab, fühlte ich mich doch sehr mibe-
haglich; denn auf der einen Seite ward ich fast gebraten, während
mich auf der andern fror; dazu schmerzteu mir Augen und Lunge
von dem starken Rauch. Als die Weiber einige Hnnde fortgejagt
hatten und ich mich niederlegen konnte, ward meine Lage etwas
erträglicher. Wie aber eine ganze Familie und eine große Menge
Hunde in diesen, nur acht Fnß im Durchmesser haltenden Zelten
Unterkommen kann, ist mir heute noch ein Räthfel.
Als nnser neuer Führer mit seinen Rennthieren bereit war,
ging es im Nebel über Stock nnd Stein vorwärts. Nachdem wir
wiederum zwei Stnudeu weidlich durchgerüttelt wareu, erklärte auch
der Lappe, deu Weg verloren zu haben. Er bat uns, auf ihn zu
warten, indem er vorausgehen nnd den Weg suchen wolle. Nach
einer peinvollen Viertelstunde hörten wir ihn endlich in ziemlicher
Entfernung schreien; wir folgten seiner Stimme und er brachte
Das Vordringen Rußlands nach Inner-Asien.
181
uns nun nach Eitaj ärvi in Norwegen. Wir hatten fast zwanzig
Stunden gefastet und konnten kanin erwarten, bis unser Brot auf-
gethant und der Kaffee gekocht war. Am Nachmittage fuhren wir
auf einem zugefrorenen Strome nördlich weiter. Um fünf Uhr
erreichten wir Siepe, ein aus etwa sechs Hütten bestehendes Dorf,
das zwei norwegische Meilen von uuseriu Reiseziele Kantokeino
entfernt liegt. Der lange Isaak wollte hier übernachten, doch wir
widersetzten uns. Die größte Hütte war schmutzig uud mit einem
unangenehmen Geruch erfüllt. In einem Winkel lagen zwei von
Wolfen zerrissene Renuthierkälber. Wir rauchten unsere Pfeifen,
während unsere Reuuthiere ihr Moos verzehrten; eiu starker,
blondhaariger Lappe diente uns als Führer nach Kantokeino
Nach drei Stunden erblickten wir Licht, das uns die hölzerueu
Hütten von Kautokeiuo anzeigte. Seit wir Lippajärni verlassen,
hatten wir 00 englische Meilen, 13 bis 14 deutsche, zurückgelegt,
durch Schnee uud Wildnisse, ohne die Rennthiere gewechselt
zu haben.
Wir waren nun in Kantokeino.
Das Vordringen Rnßll
(Aus Karl Andree's Ge
Unter den kleinen Nachrichten dieser Nummer des Globus findet
der Leser eine kurze Notiz, die anscheinend von geringer Bedeutung
fein könnte. Die russische Regierung hat eine Poststraße von einem
Punkt aiu Ural nach dem Jaxartes eröffnet, also nach dm alten
Transoxiana, wo die nordische Macht nun schon längst festen Fuß
gewonnen hat uud Nachbarin der Chauate Ost-Turkistans gewor-
den ist. Der Jaxartes ist schon von russischen Dampfern bis in das
Gebiet von Chokand hinauf befahren worden, uud das Vordringen
nach Innerasien erfährt seit Iahreu keine Unterbrechung.
Die Handelsbeziehungen Rußlands zn jenen Regionen habe
ich in meiner Geographie deö Welthandels, in der eben ausgegebe-
uen Lieferung, welche den Karawanenverkehr in Asien darstellt, ein-
gehend erörtert, uud ich entlehne ihr die folgenden Bemerkungen,
aus welchen hervorgeht, daß die Notiz über Eröffnnng jener Post-
straße von Belang ist. Das Vordringen der Russen in Ostasien
wird gelegentlich im Globus eingehend geschildert werden.
„Wir können S ein ip ala tin sk als die mittlere CS t tt b rnch
station nach dem innern Asien bezeichnen, denn von ihr
ans ziehen die Karawanen recht in das Herz dieses Kontinentes;
die östliche ist Kiach ta, südlich vom Baikalsee; die westliche, nach
Europa hin, Oreuburg iu der Uralregiou. Als die russische
Ac'acht gegen Südosten hin immer weiter vordrang und mit den
Völkern TurauS in lebhaftere Berührung kam, entstand das Be-
diirfuiß, zunächst die Grenze gegen Einfälle der Kirgisen n»d der
Turkestauer zu sichern, sodann auch für den Verkehr M i t te lp unktc
zn schaffen. Deshalb zog mau iu weitem Bogen eine Militär-
linie vou Gurjew au der Mündung des Ural- oder Jaik-FlnsseS
ixt das Kaöpifche Meer bis au deu Altai, uud baute eine Menge
vou Burgen, die allmälig immer weiter nach Süden hin vorge-
schoben wurden, um namentlich die Kirgisen und Tnrkomanen im
Zaume zn halten. Die Besatzung bilden Kosacken, ein muthiges,
unternehmendes, auch zum Handelsbetrieb aufgelegtes Geschlecht,
das auf einer Strecke von mehr als dritthalb hundert deutscheu
Meile» diese asiatische Grenze bewacht. Mau baute aber auch
Städte, Häsen im Steppenoceane, damit die Schiffe der
Wüste, welche diesen „trockenen Oceau" durchfurchen, sicher eiu-
laufen könnten, und unter diesen Steppeuhäfeu ist das iu der ersten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts gegründete Orenbnrg bei
weitem der wichtigste Platz. Er liegt am Nordsaum der las-
pisch-uralischeu Steppe, westlich vom Gebirge Ural uud dem
gleichnamigen Flusse, und zog bald Karawanen ans Chnoa und
Buchara au.
Mit einer ganz bewundernswürdigen-Zähigkeit verfolgt man
von Seiten Rußlands den Plan, immer weiter nach Jnnerasieu
vorzudringen und den Handel desselben zu koulrolireu. Diese Aus-
daner, begünstigt durch die Schwäche der chinesischen Regierung,
ittds nach Inner-Ästen.
ographie des Welthandels).
wird von glänzendem Erfolge begleitet. Die russische Grenze
ist bis nach Korea hin vorgerückt worden; die Kalkas-
Mongolen haben sich unterworfen uud im Westen sind nun die Kir-
gisen durchaus abhängig. Rußland ist bis an das Himmelsge-
birge (Thian schau, Mustag) vorgerückt und die ganze Dsuugarei
liegt vor ihm offen.
Sievers war schon 1793 bis zum Tarbagataigebirge vorge-
drungeu: Pntimstef kam 1 s 11 als Handelsdolmetscher bis nach
Kuldscha liiii? Tschngntschak, deu beiden bedeutendsten Städten der
Dsuugarei; der Kaufmann Bnleninof ging 182! von Semipa-
latinsk nach Kaschgar. Im Jahre I S.'i 1 gründeten die Russen deu
Ort Ayagus oder Sergiupol, au dem Flusse Ayagus, welcher
vou Osten her iu deu Balkasch-See fließt. So gewannen sie festen
Fuß uud unu unterwarf sich ihnen eiu Theil der großen ^iir-
giseuHorde. Der Astronom Fedoroff gelaugte au die Müu-
duug der Lepsa iu deu Balkasch-See, besuchte das Westufer des
Dsaisau-Sees, uud iu den Jahren IS 1 (> bis 1842 drangen
Schreit k uud Kare Ii u bis iu die gebirgigen Theile der Dsuu-
garei. Der Erstere überschritt auch deu Alatau und die chinesische
Grenze nnd gelangte bis Tschngntschack.
Die Russen besetzten dann deu fruchtbaren Theil der Dsun-
garei, welcher als Laud der sieben Ströine bezeichnet wird,
uud bauten >840 am Fuße des dsuugarischcn Alatau die Stadt
Kopal am obcrn Kifil Agadfch. Seitdem entstand ein lebhafter
Handelsverkehr über die chinesische Grenze hinüber mit Kuldscha
uud Tschugntschack, aber er war anfangs Schleichhandel, weil
die chinesischen Behörden deu regelrechten Verkehr unter allerlei
Vorwänden verboten hatten. Die Russen traten jedoch fest auf;
Oberst Kowalefsky unternahm 1851 eine Expedition nach
Kuldscha und erzwang die Erlaubuiß zur Anlage russischer Fakto-
reien in beiden Städten. Auch schloß er einen Handelsvertrag
am 0. August 1851; es ist aber für die russische Politik bezeichnend,
daß derselbe erst im Miirg 1801 amtlich bekannt gemacht wurde.
Bald nach Kowalessky'ö Expedition »ahm General Hasford,
Gouverneur vou Westsibirieu, das gauze Land zwischen dem Fluß
Jli und dem Alatau im Besitz, 1854, und gründete am Fuße dieses
Gebirges in dem fruchtbaren Almatythale die befestigte Ortschaft
W e r no i e. Dann unterwarf sich abermals ein Sultan der großen
Kirgiseuhorde; die Russen mischten sich in die Streitigkeiten der
verschiedenen Stämme nnd das neue, in Besitz genommene Land
bildet nun die Provinz Semipalatinsk. Sie drangen bis an
das Himmelsgebirge vor; durch die Reisen Semenof's, >857,
und W e l i ch a n o f's wurden diese neuen Regionen genauer bekannt.
Der Letztere wanderte kühn bis nach Kaschgar. Ein ansgezeich-
neter Sinologe, Sacharos, welcher längere Zeit der russischen
geistlichen Mission in Peking beigegeben war, ist zum Konsul in
182
Das Vordringen Rußlands in Inner-Asien.
Knldscha ernannt worden. Weninkof und Golnbef erforschten
1859 die Region am Jssi M. So hat sich Rußland als Keil
bis tief nach Jnnerasien hineingedrängt. In Kaschgar
errichtete es eine Faktorei. Wernoie (43° 15' N. 76° 59' 30" O.
von Greenwich) liegt fast im Mittelpunkte von Asien und ist mit
der Stadt Kopal durch Kosackendörser verbuudeu. — Lc pays des
sept rivieres et la contree transilienne, par C. de Sabir, im
pariser Bulletitt de la soeiete de Geographie. 1861. II. 335 ff.
Eine Karte vom russisch-chinesischen Grenzgebiet am Balkasch-See
und Jssi tut enthalten die Mitteilungen aus I. Perthes geogra-
phischer Anstalt, vom Jahre 1858.
Dem Czar ist demnach nun auch ein Theil der Dsnngarei
unterworfen, und russische Reifeude sind schon bis Kaschgar vor-
gedrungen. Die Erfolge im unabhängigen Turkistau siud uicht
minder belangreich. Rußland ist durch die Herrschaft üb er d i e
Wolgamündungen, über das Kaspifche Meer und über den
Aral-See darauf hingewiesen, auf Perfieu und die große
Bncharei einen vorwiegenden Einfluß zu üben. In den Aral-
See fallen der Oxus und der Jaxartes, die zugleich Alpen-,
Steppen- und Wüstenströme sind. Ihnen entlang oder über sie
hinweglaufen die großen Handelswege zu den verschiedenen
Stapelplätzen; deshalb haben die asiatischen Großmächte zu allen
Zeiten hohen Werth auf deu Besitz dieser Regionen gelegt.
Rußland versuchte schon 1717 in Chiwa, dem Oasenland
am untern Oxus, festen Fuß zu gewinnen; im Jahre 1731 bemühte
es sich einen direkten Handel mit Buchara zu eröffnen, und baute
die Stadt Oreuburg, welche sofort den Karawanenverkehr von
Chiwa nnd Buchara au sich zog, während jener von Kaschgar,
über Taschkend, sich nach dem 1734 erbauten Troitzk wandte.
Rußland trat in engere Beziehung zu den Kirgisen, ließ den obern
Lauf des Jrtysch befahren, und legte der Grenze entlang eine
Anzahl vou Militärposten an, welche zugleich Stationen für
den Handel sind, und diesem Schutz gewähren. Sie reichen von
der Mündung des Uralflusses nach Osten hin bis Omsk in Sibirien
und weiter bis nachUst Kamenogorsk. Auch au derMüuduug des
Jaxartes, welcheu, wie bemerkt, Dampfer während der letzten Jahre
versuchsweise bis in die Nähe von Chokand befahren haben, und
auf den Inseln im Aral-See sind Festungen gebaut worden Die
russische Grenze ist von Attock, dem wichtigen Uebergangspnnkt am
Indus, nur uoch dreihundert Wegstunden eutserut. Rußland
kontrolirt den gesammteu Handel, welchen Tnrkistan
mit dem Norden treibt; es ist nun zum großen Theil
Herr des innerasiatischen Verkehrs. Alle Waaren, welche
Inner-Asien vom Norden her bezieht, müssen nothwendig dnrch
russisches Gebiet gehen. Der Czar hat viele tnrkoinanische Hänpt-
linge durch Gescheuke sich geneigt gemacht; die Chane der Kirgisen
haben ihm Treue gelobt, nnd seit 1854 ist das Chauat Chiwa im
Grunde ein Vasallenstaat Rußlands geworden. Beim Chan
residirt eiu russischer Gesandter, die chiwenzischen Reiterschaaren
werden, vertragsmäßig, von russischen Oberossiziereu befehligt.
Rußland hat in der Stadt Urgendsch Kasernen gebaut, und der
Chan erhält alljährlich zehntausend Tomans in Gold von seinem
Freund und Verbündeten in St. Petersburg. Auch mit dem Chan
von Buchara ist eiu Freundschaftsvertrag geschlossen worden.
Rußland hat an der Ostseite des Kaspischen Sees, auf
der Halbinsel Mangyschlak, etwas südlich vom Kap Karagan,
die Festung Nowo Petrowsk gebaut; sie liegt nur 86 deutsche
Meilen vom Aral-See entfernt, nnd die zwischen beiden Punkten
umherziehenden Tnrkomanenstämme sind durch Jahresspeudeu in
russisches Interesse gezogen worden. Nowo Petrowsk steht in direk-
tem Karawanenverkehr mit Chiwa; die Kameele werden hart am
Hafen entladen, und von diesem beträgt die Entfernung nach Astra-
chan, wohin Dampfer gehen, unr 40 deutsche Meilen. Jwanin,
welcher 1846 die Halbinsel Mangyschlak näher erforschte, bemerkt:
„Es steht zu hoffen, daß der Handel des Mittlern
Asiens, Afghanistans und des östlichen Persiens seinen
natürlichen Weg über Chiwa, Nen Petrowsk, Astrachan
nnd ans der Wolga nach Nischni Nowgorod gehen
werde." (Druckschriften der rusischeu geographischen Gesellschaft.
Weimar 1849. S. 665.
Diese Auuahiue kauu sich in vollem Umfange verwirklichen,
sobald Rußland die Wo lg ab ahn vollendet, welche von großartiger
Bedeutung für den Verkehr werden muß. Ich will hier gleich
darauf hinweisen, daß die Engländer ihr durch eine Enphrat-
bahn eiu Paroli bieten wollen. In Astrachan ist freilich noch
immer kein Aufschwung zu bemerken, nnd die dortigen Kanflente
scheinen von der Wichtigkeit, welche diese Stadt dnrch ihre Welt-
läge haben könnte und ohne Zweifel einst gewinnen wird, kaum
eine Ahuuug zu haben. In der Russischen Revue, vou Wil-
helm Wolfsohn, Leipzig 1862, Heft I, S. 97 ff. wird das iu
einem Anffatz über Astrachan als Handelsstadt ausdrücklich hervor-
gehoben.
Eiu scharfblickender Kaufmann, Pitfch ngin (Nordische Biene,
6. April 1848), jubelte, als Rußland endlich am Aral-See festen
Fuß gewonnen hatte. Im Jahre 1841 führten die Russen den
ersten Krapp aus Buchara und Chiwa ein, 1847 holte die Aralische
Handelsgesellschaft davon schon 26,666 Pud, und aus ihren Antrieb
wurde der Anbau dieses Färbestoffes beträchtlich ausgedehnt. Auch
Indigo kommt über Buchara und Taschkend. Pitschngin ruft aus:
„Auf dem Amn können wir bis vor die Thore von
Afghanistan gelangen; dort liegt das reiche Feld des Handels,
wohin die russischen Kaufleute iu Zukuuft streben müssen. Dazu
bedarf es weiter nichts, als daß wir uns rühren; dort ist uns nicht
nur der Indigo zur Haud, souderu seiu Heimathlaud selbst, In-
dien. Schon jetzt ist die halbe Arbeit gethan; ich habe unter-
nehmende Geuosseu gefunden, und unsere Waareutrausporte gehen
nun in großem Maaßstabe nicht nur uach Chiwa, Buchara und
Taschkend, souderu auch nach Chokand, und von dort wollen wir
Transporte uach Samarkand nnd Kaschgar senden. Die Eng-
länder sparen kein Geld, nud dringen mit ihrer gewöhnlichen
Rührigkeit nach Mittelasien vor; wir finden auf jenen Märkten
viele englische Waaren, namentlich Zitze. Unsere Handelsagenten
berichten mir, daß sie sich bemühen, über Kaschgar nach China vor-
zudringen; auch haben sie direkte Pläne ans Buchara. Wenn der
Handel Englands über so ungeheure Land- und Meeresstrecken
dringt, was hindert uns, die wir doch viel näher sind, in die Nach-
barschast Indiens zu gelangen? "
Als Murawieff von seiner Reise nach Chiwa, 1819, zurück-
kam, schrieb er, daß man den Waarenzng aus Hochasien und selbst
aus Indien über Chiwa nud Astrachan lenken, und so einen Han-
delszug vom Indus und Amu Darja (Oxus) uach Rußland her-
stellen körnte. „Sobald wir Herren von Chiwa sind, wer-
den andere Staaten ohne Weiteres vou uns abhängig:
wir wandeln dann Chiwa in eine Schildwacht um, welche deu Ver-
kehr gegen die Steppenvölker schützt." Nach 1854 ist diese Hoffnung
zur Wahrheit geworden.
Seit Katharina der Zweiten ist Rußland auch iu den kanka-
fischen Regionen unablässig vorgedrungen; es erwarb durch glück-
liche Kriege und Verträge von 1774 bis 1829 die Krim, den
Kaukasus, die ganze Ostküste des schwarzen Meeres,
Miugrelieu, Jmerethi, Guriel, Georgien, Persisch-
Armenien mit Eriwan, die Araxesgrenze, und im Süden
derselben einen Theil von M o g a n und T a ly s ch.
Eine Abrnndnng finden diese Eroberungen erst, wenn anch
Türkisch-Armenien und die kleiuasiatische Südküste des Schwarzen
Meerss, westlich bis zum Kisil-Jrmak oder vielmehr bis und mit
Sinope, in russischem Besitze sich befinden.
Rußlands Handelspolitik in Asien war von Anfang an weit-
sehend und klug berechnet; seine Machtentfaltnng ist großartig,
und großartig sind auch seine Erfolge.
Der Streit über den Gorilla und Dn Chaillu.
183
Der Streit über den Gorilla und Du Chaillu.
Derselbe hat bekanntlich in England viele Leute in Bewegung
gesetzt und wir haben über die Phasen desselben im Globus mehr-
mals Notizen gegeben. So lebhaft war die Theilnahme, daß einige
Männer sich entschlossen, nach dem äquatorialen Afrika au deu
Gabunstrom zu reisen, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen,
was in Du Chaillu's Darstellung Wahrheit und was Dichtung
sei. Winwood Reede und ein „berühmter indischer Jäger, der
alte Schekarry," schifften nach dem Gabnn, wo sie im Früh-
jähr 1862 ankamen. Nach fünf Monaten gab Reede ein Urthal
ab, datirt Loanda (portugiesische Hafenstadt iu Südwestafrika)
vom 7. September; es ist im Athenäum vom 22. November ge-
druckt und besagt im Wesentlichen Folgendes: —
Ich bin, nach fünfmonatlichem Verweilen im Lande, in der
Lage, zu behaupten, daß Herr Du Chaillu weder Leoparden, noch
Büffel oder Löwen geschossen hat; — daß der Gorilla nicht auf
seine Brust einpaukt, als wäre sie eine Trommel; — daß derKnlu-
kamba nicht den Schrei Knln oder einen derartigen Ruf ver-
nehmen läßt; — daß ein junger Gorilla in der Gefangenschaft nicht
wild sich benimmt, — und daß Herr Du Chaillu, welcher be-
hauptet, am l. Juni 1859 in Camma arg vom Fieber heimge-
sucht worden zu sein, sich am Gabun und zwar im besten Wohlsein
aufhielt.
Mougilomba, der gar kein eingeborener Jäger ist, und deu ich
drei Monate als meinen Koch und Gehülfen bei Naturwissenschaft-
liehen Sammlungen in meinem Dienste gehabt habe, dnpirte
Herrn R. B. Walker, als er diesem gegenüber behauptete, Herr
Du Chailln habe zwei Gorillas getödtet.
Die nachfolgenden Thatsachen über den Gorilla habe ich er-
kündet bei den Balengi am Muni, bei den Schekany und Fau's am
Gabun, bei den Kommi BakölL :c. am Fernando Vaz; au diesen
Strömen habe ich, jedoch ohne Erfolg, Jagd auf die Gorillas ge-
macht, habe nur Leute ausgeforscht, die wirklich Jäger waren,
und lege nur Gewicht auf Dinge, die mir auch anderweit bestätigt
wurden.
Das Ergebniß stellt sich folgendermaßen heraus. Nur in
den dichtesten Wäldern hält sich der Gorilla auf; er nährt sich aus-
schließlich von Pflanzenstoffen, und da, wo eine gewisse Art Gras
wächst, darf man sicher annehmen, daß er sich in der Nähe befinde.
Mittags und Abends kommt er iu die Pflanzungen der Dörfer,
um Bananen zu essen. Gelegentlich läßt er einen wilden Schrei
hören, der bei Zornesausbrüchen zn einer Art von Gebell wird. Etia
hat mir diesen Ruf vorgemacht. Bei Tage geht der Gorilla, wie
ich selber bezeugen kann, denn ich bin ihm stundenweit auf seinen
Spuren nachgekrochen, auf alleu Vieren, und manchmal steigt er
ans die Bäume. Bei Nacht wählt er sich einen großen Baum aus,
um auf demselben zu schlafen. Er ist ungemein vorsichtig und
scharf von Geruch. Das trächtige Weib baut sich (gerade wie
das des Knlnkamba und Tschimpanse) ein Nest, welches nach der
Geburt verlassen wird. Ich habe mehrere solcher Nester gesehen;
sie sind Lager von trockeueu Stecken und kleinen, von den Bäumen
abgerissenen Zweigen.
Was die Wildheit des Gorilla anbelangt, so wird er ans
seinen Feind losgehen, wenn dieser ihn verwundet oder verfehlt hat.
Diesen Angriff macht er auf allen Vieren, aber die Eingeborenen,
die selber flink wie Affen sind, weichen ihm gewöhnlich aus. Etia,
dessen liuke Hand sehr verstümmelt war, sagte mir, daß der Gorilla
ihm sein Handgelenk mit dem Hinterfüße packte und seine Haud,
als wäre sie ein Bananeubüschel, nach dem Munde zu führte.
Zweierlei steht fest: man fürchtet den Gorilla weniger als den
Leoparden, und die Geschichte von dein Manne, der in Camma von
einem Gorilla getödtet worden sein soll, ist vollständig erfunden.
Man erzählt wohl von einem solchen Vorfall, aber seit Menschen-
gedenken hat ein solcher sich nicht ereignet.
Die Angabe, daß der Gorilla eine Stellung nehme, als ob er
boxen wolle, und auf seine Brust Poche, als wäre sie eine Trommel,
rührt vou Queugueza her, ist aber einstimmig in Abrede gestellt
worden von allen Jägern, vom Muni im Norden bis zum Fer-
uaudo Vaz im Süden. So gab eiu alter Wilder iu einem ob-
fcureu afrikanischen Dorf eine Lüge zum Besten, welche dann die
Runde durch ganz Europa gemacht hat.
Das Apiugi-Land, die Ultima Thüle vou Du Chaillu's
Erforschung, liegt vom Gnmbi (Ngnmbi) nur vier Tagereisen (zn
Fuß) entfernt, iu südlicher Richtung. Aber am Rembo hat er eine
längere Wanderung gemacht.
Seiue Schilderung der Fan's (Ba fanh), welche er mit Herrn
Mackay ans Korisko besuchte, ist sehr gut. Als ich deu Gabun
bis zu dessen Stromschnellen in der Sierra del Cristal befuhr, kam
ich eine Strecke weit in ihr Land hinein. Ich fand in ihnen fried-
liche, gastfreie Menschen; ab er si e si n d nnb estr e i tb a r Ka nni -
b alen; das hat mir einer von ihnen selber zugestanden. Selbst
den Bericht über ihren Hang, menschliche Leicheu zu fressen,
fand ich wenigstens in Einem Falle bestätigt, und zwar durch eine
Aussage, deren Glaubwürdigkeit ich nicht iu Zweifel ziehen kann.
Du Chaillu's Buch ist eiu seltsames Gemisch von Wahr-
heit und Dichtung; es wurde verfaßt nach Du Chaillu's Notizen
vou einem in der literarischen Welt Neu-Jorks wohlbekannten
Manne. Was Herrn Dn Chaillu anbetrifft, so verlaugt vou mir
die Gerechtigkeit, zu bekennen, daß ich aus denselben Quellen, ans
welchen ich Beweise für seine falschen Behauptungen erhielt, anch
erfuhr, er sei ein vortrefflicher Schütze, habe großen Muth und
Ausdauer, manche Entbehrungen und vielerlei Mißgeschick er-
duldet, wovon er nichts erzählt. Sein Charakter als Kaufmann
sei ungerechter Weise angefochten worden; seine Leistungen für die
Naturwissenschaften seien von großem Belang, und während seines
Aufenthalts in Afrika hat er sich die Achtung sowohl der Einge-
borenen wie auch der Missionare erworben. Es möge mir gestattet
sein, mein Bedauern auszusprechen, daß er aus thöriger Eitelkeit
oder, weil er sich übel beratheu ließ, falsche Blumen in den Lorbeer
gewunden hat, welchen er im Uebrigen so wohl und mit großen An-
strengungen erworben. —
Das ist die Ansicht Winwood Reede's, und sie hat viel-
leicht Einiges richtige getroffen. Aus Du Chaillu's Buche gaben
wir, Globus I, S. 43 bis 52, einen größern Auszug, welcher aus-
führliche Mittheilungen über deu Gorilla und die Fau-Kannibalen
enthält. Wir verweisen den Leser auf jenen Bericht.
Wir hatten zu jeuer Zeit schou eine Abbildung eines Aben-
teners, welches Du Chaillu iu den Urwäldern am Gabun erlebt
hat, legten sie jedoch zurück, weil sie uns gar zu sehr an ein Sen-
sationsbild im Geschmacke der Uaukees gemahnte. Der äquatoriale
afrikanische Wald ist übrigens als Vegetationsbild recht gut, und
deswegen möge das Bild jetzt veröffentlicht werden. Abenteuer
mit Schlangen gehören nicht zn den Seltenheiten, aber wir möchten
doch nicht behaupten, daß das Dargestellte photographische Genauig-
keit habe.
Dn Chailln hat übrigens, wie wir eben finden, auf
Reede's Bericht, in der Times, eine öffentliche Antwort ertheilt:
„Was wollen, schreibt er, fünf Monate bedeuten, wenn es
sich darum handelt, die ungeheuren von mir durchwanderten
Strecken zu erforschen, Flüsse hinanzufahren, über Gebirge zn
steigen, mit vielen Stämmen genau bekannt zn werden, ihre ver-
schiedeueu Mundarten zu lernen, manchen lieben Tag mit ihnen zn
palavern?c. ? Wie mag ein Mann, der so wenige Erfahrungen
hat, auch nur wagen, Widerspruch zu erheben gegen das, was
184
Der Streit über den Gorilla und Du Chailln.
ich erlebte! Wir erfahren nicht, ob Herr Reede je zuvor in einem
tropischen Klima, namentlich in West-Afrika, gewesen sei; ob und
wie lange er das Fieber gehabt oder durch welch ein Wunder er
von demselben verschont geblieben. Wir haben keinen einzigen
Beweis dafür, daß er als Jäger so tüchtig sei, um über andere
Jäger ein Urtheil zu fällen. Wie kann imd darf er nun aber in
Abrede stellen, was ich wirklich gehört, gethan und erlebt habe?
Herr Reede sagt, daß er selber Jagd auf deu Gorilla ge-
macht habe; „stets ohne Erfolg", und ich will ihm sagen weshalb.
Die alten afrikanischen Jäger nehmen einen Mann in die Gegenden,
wo der Gorilla haust, nur dann mit, wenn er Nervenstärke und
Geschick bethätigt; Herr Reede war nicht lange genug bei diesen
Leuten, um ihnen die Ueberzenguug beizubringen, ob er diese Eigen-
schaften besitze. Er vernahm, daß ich ein guter Schütze sei und
die Zuneigung der Eingeborenen erworben habe :c. Nun, daraus
würde, und für Ruin und Tabak eine große Liebhaberei hat. Nie
ist Mougilomba auf der Jagd bei mir gewesen; er hatte nur mein
Depot zn bewachen, von welchem ich manchmal hundert Miles
entfernt war; seilte Aussage hat demnach nicht den geringsten
Werth.
Reede's Angabe, daß ich ain Gabun mich aufgehalten,
während ich au meinem Bnche geschrieben, ich hätte mich gerade
zu jeuer Zeit ain Kamma aufgehalten, gründet sich ans eine Notiz
in meinem Buche, welche ich in den späteren Auslagen verbessert
habe; sie beruhte auf einer flüchtig niedergeschriebenen Stelle.
Ich habe einundzwanzig Gerippe und Felle vom
Gorilla nach Europa gebracht, wo man dergleichen noch nicht
hatte. Mau behauptete, ich hätte sie vou deu Eingeborenen ge-
kaust, nud vou diesen würde mau noch mehrere bekommen können.
Nim will jedes Museum und jeder Schausteller dergleichen gern
Du Chaillu in einem Urwald im äquatorialen Westafnka,
erklärt sich wohl mein Erfolg, während Herr R. stundenlaug nud ,
vergeblich hinter den Gorillas „herkroch".
Er behauptet nicht, daß er jemals einen Gorilla gesehen, be- !
mängelt aber meine Schilderung des Thieres und seiner Gewohn-
heiten. Ich will in Bezug darauf nur bemerken, wie viele Ge-
legenheit zum Beobachten ich gehabt habe, und überlasse die Be-
stätignug meiner Angaben der Zukunft. Mougilomba, der
„gar kein eingeborner Jägei' sei", wird in meinem Buche nur
zweimal erwähnt uud ich habe ihn gar nicht für einen Jäger ans-
gegeben; er war ein vierzehnjähriger Knabe, der mich auf einer
Strecke Weges begleitete und zwar zu demselben Zwecke, für
welchen Herr Reede ihn bei sich hatte; dieser hatte ihm freilich
keine Gorillahäute zum Aufbewahren anzuvertrauen. Aber wenn
auch Mougilomba zugegen gewesen wäre, als ich Gorillas schoß,
so sollte es mich dennoch gar nicht Wunder nehmen, wenn er oder
irgend ein anderer Afrikaner au seiner Stelle Angaben gemacht
hätte, wie sie der ihn Ausfragende eben haben wollte, namentlich
da er nicht besorgte, daß er mir wieder unter die Augen kommen
kaufen, aber seit 18 Monaten ist noch keine einzige Gorillhaut
ans Afrika herüber gebracht worden. Wie kommt es denn, daß
ich allein vollständige Exemplare erhielt nud noch dazu in solcher
Menge, und daß inzwischen Niemand einen Gorilla gekauft,
geschossen oder auch nur gesehen hat? Nicht einmal Herr Reede
mit seinem Jäger, der „fünf Monate im Lande" gewesen! —•
So Du Chaillu. Er bietet dann seinen Gegnern eine Wette
an. Sie sollen 2000 Pfund Sterling in einer Bank niederlegen,
er werde 1000 Pfund Sterling dagegen depouiren; „dann will ich
nach dem Gorillalande gehen, nud wenn ich nicht binnen zwei
Jahren (denn ich setze diese lauge Zeit wegen des Fiebers oder
anderer Möglichkeitsfälle) ein halbes Dutzend Gorillas schieße und
deren Gerippe und Felle (diese präservirt mit einem Mittel, welches
die Herren mir einzuhändigen haben) liefern, dann will ich meiner
eintausend Pfund Sterling verlustig gehen. Andrerseits nehme
ich die 2000 Pfund als Ersatz für meine Kosten in Anspruch, und
es soll mich sehr freuen, wenn der unerschrockenste meiner Gegner
das Waguiß in meiner Gesellschaft mitmachen will."
Enthüllungen über den afrikanischen Reisenden David Livingstone.
185
Der Gorillatödter erklärt zum Schlüsse, daß er weiter nichts
auf die gegen ihn gerichteten Angriffe zu erwiedern habe. —
Wir wollen hier gleich eine Notiz über die Fan anschließen.
In der Sitzung der Londoner geographischen Gesellschaft vom
18. November wurde eine Mittheilung Bnrton's über diesen
Volksstamm verlesen. Der unermüdliche Forscher (er ist Konsul
auf Fernando Po), war einen Tag, am 13. April 1862, in dem
Handelsdorfe Mayyan gewesen, in Begleitung eines Herrn
Tippit von der Baraka-Faktorei. Burton schildert den über alle
Beschreibung eutsetzlicheu Lärm in jenem Dorfe und die FanS. Sie
feien, sagt er, sanft von Ansehen und hätten kein krauses Haar,
wie doch soust die übrigen Küstenneger. Auch Burton bestätigt
ihren Kannibalismus, will aber wissen, daß nur die im Krieg Er-
schlagenen verzehrt würden, und diese nur vou den Männern und
insgeheim; „auch habe man nie ein Glied von einem Menschen in
den Dörfern gesehen." —
Da Burton nur einen einzigen Tag bei den Fans war, so
kann seine Aussage gegenüber Denen, welche der vortreffliche Wilson
in seinem Buch über Westafrika giebt, und dem Zeugnisse Reede's,
in vorliegendem Fall auch jenem Du Chailln's gegenüber, unserer
Meinung nach nicht iu's Gewicht fallen, außer in dein, was zur Be-
stätiguug der Aussagen jener drei Männer dient.
Enthüllungen über den südafrikai
Wir haben wahrlich eine große Achtung vor dem Muthe, der
Zähigkeit und Ausdauer dieses Mannes. Er hat der Wissenschaft
ein großes, früher uubekaimtes Gebiet erschlossen; ihm zuerst von
allen Europäern gelang es, Afrika im Süden des Erdgleichers in
der ganzen Breite des Festlandes zu durchwandern, und auf dieser
Reise von den Mündungen des Sambesi im Osten bis nach San
Paulo de Loauda im Westen hat Livingstone, von neun und zwanzig
tödtlichen Fieberanfällen heimgesucht, eiuem mörderischen Klima
Trotz geboten. Noch mehr. Alle Beschwerden und Entbehrungen
hinderten ihn nicht, auch später seine Entdeckungsreisen fortzusetzen;
er war au der Mündung des Rufuma, und hat vorn Sambesi
aus den Nyassa-See erreicht, über welchen er werthvolle, wenn
auch jetzt noch unvollständige Nachrichten gab. Also alle Achtung
vor dem Muthe dieses Mannes.
Aber er hat aus der auderu Seite auch große Mängel.
Offenbar fehlt es ihm an Menschenkenntuiß und klarer, ruhiger
Erwägung. Sein Urteilsvermögen ist nicht eben stark, und deshalb
hat er sich und Alle, die ihm glaubten, sehr oft getäuscht. Die
Makololo, von welchen er sehr große Erwartungen rege machte,
haben sich nachträglich als Wilde von gewöhnlichem Schlage ge-
zeigt; auch sie sind Barbaren, an denen die Civilisationsbestre-
bnngen bankerott werden. Und Livingstone war gewiß' nicht der
Mann, ihnen „Gesittung" beizubringen, und daß sie ihn mehr als
einmal gründlich zum Besten gehabt haben, geht aus seinem
größern Reisewerke deutlich genug hervor. Auch waren die Mittel,
welche der reisende Missionar anwandte, die Barbaren für feiu
puritanisches Christenthum zu gewinnen, oft von seltsamer und
verschrobener Art.
Er selber erzählt das gauz naiv, ohne anch nur eine Ahnung
zu habeu, welche Mißgriffe er beging. Auf seinem Znge durch
Afrika kam er nach Schinte's Stadt (12° 37' 35" S. Br,,
22° 47' D. L.). Dort wohnt das schwarze Volk der Balonda, und
der Häuptling Schütte nahm den weißen Mann sehr zuvorkommend
auf. Auf welche Weise suchte nun der Missionar dem Wilden
und dessen Leuten einen Begriff vou europäischer Civilifation und
Neigung zum Christenthum beizubringend Livingstone führte eine
Laterna magica bei sich, und zeigte ihm zuerst den Abraham,
wie er bereit ist, seinen Sohn Isaak als Opfer abzn-
schlachten, um seinem Jehova gefällig zu sein. Darin lag,
einfach gesagt, eine wahre Barbarei, denn der alte Patriarch mit
grauem Barte, der sein Messer aufhebt, um seinen eigenen Knaben
zu schlachten und dadurch, wie er meinte, seinem Gotte wohlgefällig
zu werden, und der in der Laterna magica ungeheure Dimen-
sionen annahm, erschreckte die Neger und erinnerte sie sofort an
Menschenopfer. Livingstone erzählt nun recht ausführlich, wie
die Schwarzen sich vor den Gestalten, welche lebensgroß erschienen,
gefürchtet hätten, als sie das langeMesser sahen, mit welchem Isaak
Globus für 1862. Nr. 30.
chen Reisenden David Livingstone.
hingemordet werden sollte. Die Balondamänner hätten gemeint,
so behauptet der Missionär, jener Mensch mit dem Messer gleiche
doch mehr einem Gott, als die Figuren ans Holz und Thon,
welche bei den Balonda verehrt werden! Dann erzählte ihnen
Livingstone: jener Messermami sei der Erste seines Stammes,
welchem Gott die Bibel gegeben habe, und unter den
Kindern des Messermannes sei der Heiland jnng geworden!
Aber die armen Negerfraueu — Livingstone erzählt es selber,
ohne auch nur zu ahnen, daß er einen Mißgriff gemacht oder eine
Barbarei sich zu Schulden kommen ließ — vernahmen das Alles
mit Staunen und Schrecken. Dann ließ er sie in die Laterna
magica schanen, und Abraham schien das Meffei nicht gegen feinen
Knaben, sondern, in Folge optischer Wirkung, gegen die armen
schwarzen Weiber zu zücken. Entsetzt schrieen sie: „Mutter,
Mutter!" rannten fort, stürzten und durch einander und waren
fortan nicht zu bewegen, näher zu kommen! (Livingstone, Journal,
von S. 273 an; er erzählt dort ausführlich seine Erlebnisse in
Schinte's Stadt.)
Ein Manu, der solche Mißgriffe macht, hat kein gesundes
Urtheil. Liviugstoue bethätigt aber diesen Mangel anch, wenn er
auf das Steckenpferd der Engländer: afrikanische Baum-
wolle, kommt. Er füttert seine britischen Landsleute unablässig
mit Baumwollen-und, was nicht fehlen darf, wenn es sich um eiu
zahlendes englisches Publikum handelt, mit Missions-Hoffnungen,
und das thnt er schon seit langer Zeit. Daß er eö auf Täuschung
Anderer abgesehen habe, glauben wir nicht, aber daß er sich selber
und Andere seither immer getäuscht hat, unterliegt keinem Zweifel.
Noch im Anfange des Jahres 1802 schrieb er vom Sambesi aus:
„Sobald wir einen Dampfer auf dem Nyafsa-See haben, dann
gewinnen wir Zugang zn einem Gebiete von 300,000
Quadratmeilen, das Baumwolle erzeugt, und dann
werden wir auch, durch EntWickelung eines ehrlichen Handels-
zweiges, dem Sklaven Handel die Wurzel abschneiden." (Globus
II, S. 381.)
Wir unsererseits haben, wie aufmerksame Leser wissen, mehr-
mals mit Entschiedenheit hervorgehoben, daß Livingstone sich irre.
Nun kommt ans Afrika selbst die Bestätigung, daß er im Jrrthum
gewesen. Das „Baumwollenparadies" ist in der von Livingstone
geschilderten Art nicht vorhanden. Nicht minder hat er sich ge-
täuscht über den angeblich friedlichen Sinn der Schwarzen in der
Gegend am Nyafsa-See und am Flusse Schire, und über die Ge-
snndheitsverhältnisse jener Region; gerade die Punkte, welche er
als gesuud schilderte, haben sich als mörderisch erwiesen.
Vor wenigen Monaten brachten wir im Globus (II, Nr. 24,
S. 380 ff.) einen Aufsatz: „Livingstone auf dem Nyaffa-
See; Missionen und Baumwolle", und theilten einen Brief
Livingstone's au Heinrich Barth mit; wir vervollständigten die
24
186
Enthüllungen über den südafrikanischen Reisenden David Livingstone.
darin enthaltenen Nachrichten durch Mittheilungen, welche in den
Blättern der Kapstadt veröffentlicht wurden, und durch die ein
eigentümliches Streiflicht auf Livingstone fällt. Wir müssen die
Leser bitten, jenen Aufsatz einmal wieder anzusehen; das Folgende
wird ihnen dann im Ganzen wie im Einzelnen besser verständlich
sein. Wir heben hervor, daß die „friedlichen" Ajawas den Geist-
lichen Proctor und andere Missionäre ermordet hatten, daß
Bischof M ackenzie und dessen Gehülfe Bnrrnp dem Fieber er-
lagen, daß das ganze Land weit und breit in Verwirrung war, daß
Livingstone sich in Waffenkampf mit den Schwarzen einließ, aber
den Bischof tadelte, daß dieser ein Gleiches gethau. Inzwischen
haben wir später (Globus HI, S. 32) gemeldet, daß auch Liviug-
stoue's Frau dem afrikanischen Fieber erlegen sei.
Jetzt finden alle die hier erwähnten Dinge eine Erläuterung,
welche einen Einblick in die Wirren jener Gegend und über Living-
stone's Verfahren giebt; wir erhalten Nachrichten, über die er selber
nnr sehr mangelhaft nach Enropa geschrieben hat. Er selber ist
Presbyterianer; die Missionäre, welche am Nyassa eine Station
gründen wollten, sind oder waren Anhänger der anglikanischen
Hochkirche ans Cambridge und Oxford, von wo ans sie anch ihre
Geldmittel erhalten. Livingstone scheint mit ihnen nicht ans dem
besten Fnße gestanden zu haben.
Nnn liegt ein ausführliches Schreiben des Missionars H.
Rowley an Herrn Glover, einen Geistlichen in Kapstadt, vor, in
welchem berichtet wird, weshalb nnd unter welchen Umständen die
anglikanischen Missionäre sich von Magomera nach Chibisa's
Dorfe, das am Schire-Flnfse liegt, zurückzogen. Wir werden
ans dem langen Schreiben, welches wir in der Times vom 20. No-
vember finden, hier alles Wesentliche mittheilen. —
Bozinja (Chibisa's Village, am rechten Ufer des Schire),
7. Mai 1862. Sie werben schon erfahren haben, lieber Herr
Glover, daß wir während unserer ersten Reise nach dem Gebirgs-
lande dieser Gegend, welche wir unter Dr. Livingstone's Führung
unternahmen, mit einigen Sklavenhändlern zusammentrafen
nnd deren Sklaven befreiten, nnd daß, während wir ihnen
die Sklaven abnahmen, ein verzweifeltes Gefecht mit einer Ab-
theilnng Ajawa stattfand. Diese waren in das Gebiet der
M an g and sch a (—das zn beiden Seiten des Schire liegt—) ein-
gedrungen, zerstörten dort Dörfer, mordeten Leute und machten Ge-
fangene. Die Mangandscha hatten so große Furcht vor den Ajawa,
daß die Gegend südlich von Zomba ganz menschenleer war; die Leute
flüchteten zu Hunderten. Livingstone wollte denselben Vertrauen
einflößen und rieth uns, Magomera zum Ort unserer Nieder-
lassung zu wählen. Das geschah, sofort aber wurden wir von
Seiten einer Menge von Mangandfcha-Häuptlingen behelligt,
welche in uns drangen, auch gegen andere Abtheilungen der Ajawa
zu marschireu, welche ebeu so große Verwüstungen anrichteten, als
jene, welche aus Livingstone's Befehl angegriffen worden
waren. Ich sage mit Absicht „ans Livingstone's Befehl
(rtircction, Anleitung) angegriffen", weil er, wie ich glaube,
uns wegen dessen tadelt, was wir später thaten. Und doch war
dieses nur eine Erfüllung feines Programms, eine nn-
vermeidliche Folge feines Rathes und seiner eigenen
Handlungen.
Von dem Augenblicke, da Livingstone anfing, die Sklaven
zu befreien, war fein ganzes Verfahren das des Angreifeus.
Er machte förmlich Jagd aus Sklavenhändler nach
allen Richtungen hin, und wenn er hörte, daß die Ajawa
Gefangeue gemacht hatten, um sie an die Sklavenhändler zu ver-
kaufen, dann zog er mit Vorbedacht ans, um sie anszn-
suchen und ihnen, nötigenfalls mit offenbarer Ge-
walt, die Gefangenen abzunehmen.
Als er mit ihnen zusammentraf, fand er sie allerdings weit
stärker, als er vermnthet, und würde sich wohl zurückgezogen haben,
wenn sie nicht zuerst Feuer auf ihn gegeben hätten. Hätte er
aber den Rückzug angetreten, so würde er es ans Klugheit, nicht
ausPriucip, gethau haben; denn als er umherzog, um jene
Leute auszusuchen, drangen seine Begleiter in alle Dörfer, wo sie
jene vermntheteu, feuerten ihre Flinten ab und machten jede Art
von kriegerischen Demonstrationen. Die Worte, welche er vor
seinem Weggange von Magomera zu den dort versammelten Häupt-
lingen sprach, enthielten nichts von einer rein defensiven Poli-
tik, welche er jetzt, glaubeich, für sich in Anspruch nimmt. Von
sich und uns redend sprach er (— zu den Wilden —): Ihr habt
uns bisher nur als kämpfende Männer gesehen, aber wir wünschen
nicht, daß ihr uns in solchem Charakter kennen sollt. Meine
Brüder, welche zu Magomera bleiben werden (— die anglikanischen
Missionäre —), wünschen euch über den großen Gott zu belehren,
der unser Aller guter Vater ist. Sie werden ans Magomera eine
seste Burg machen, in welcher Alle, die sich fürchten, eine Zuflucht
finden können. Ich glaube nicht, daß die Ajawa euch wieder be-
unruhigen; nachdem wir ihnen eine Lektion gegeben, werden sie
sich wohl ruhig verhalten; sollten sie es aber wieder so machen wie
bisher, dann werde ich bald wieder hier sein und wir müssen
wieder einmal bei ihnen nachsehen.
Wir, so fährt Rowley fort, wurden zu dem Glauben verleitet,
daß die Ajawa muthwilligerweise und in böswilliger Absicht ihr
eigenes Land verlassen hätten, daß ihr einziges Trachten dahin
gehe, Sklaven zu fangen, um diese au die portugiesischen Händler
zu verkaufen, von denen sie angeblich aufgestachelt worden seien,
und daß sie bei alledem mit teufelischer Grausamkeit zu Werke
gingen. In der Hauptsache war das anch ganz richtig, aber mit
Ausnahme einer wichtigen Angabe, der nämlich, daß sie ihr eige-
ues Land ans freien Stücken muthwillig verlassen hätten. Wir
kamen erst nach einiger Zeit dahinter, wie es sich mit dieser Sache
verhielt; da wir aber die eigentlichen Thatsachen nicht kannten und
über andere Fakta uns nicht minder in Urkunde befanden, so
glaubten wir, wir seien im Rechte und hätten nur eine Handlung
der Gerechtigkeit geübt, gleich passend für Laien wie für Geistliche,
indem wir den Mangandscha Beistand leisteten. Diese
hatten uns freundlich aufgenommen, gingen auf die Bedingungen
ein, welche wir ihnen stellten, wollten den Sklavenhandel in ihrem
Laude ausrotten, und so thaten wir, was wir konnten, mit Waffen-
gewalt, um sie von jener Bande gransamer Menschen zu befreien.
Wir glaubten daß, wenn dieses Letztere erreicht wäre, die Man-
gandscha Selbstvertrauen und Unabhängigkeit wieder gewinnen
würden, daß Frieden zurückkehre und die Mission festen Fuß im
Laude gewinnen könnte.
Mit solchen Ideen und Gefühlen führten wir die Mangand-
fcha (— in den Kampf —) gegen die Ajawa, bei Chirombo und
Chikela. Aber unsere Annahmen verwirklichten sich nicht. Wir
erfuhren nämlich bald, daß der Krieg zwischen den Mangandscha
und den Ajawa weit mehr vom Charakter einer Stammesfehde an
sich hatte, als wir geglaubt, und daß jene Ajawa, welche sich im
Lande (— der Mangandscha —) befanden, durch die Gewalt un-
widerstehlicher Verhältnisse gezwungen worden waren, ihre eigene
Heimath zu verlassen; wir überzeugten uns ferner, daß sehr viele
von ihnen friedlich lebten und daß sie weiter keine Schuld hatten,
als da zu wohnen, wo sie sich befanden.
Bis zu dem Tage, an welchem wir Magomera verließen,
hatten wir unablässig Besuche von Häuptlingen ans allen Rich-
tungen. Sie alle drangen in uns, gegen die Ajawa zu marschireu,
und alle ohne Ausnahme erklärten, daß die Ajawa sich der Gran-
samkeiteu schuldig gemacht, wegen deren wir gegen sie gezogen
waren. Aber sie sagten die Wahrheit nicht; wir konnten
für keine einzige Aussage einen Beweis beigebracht
erhalten. Es versteht sich von selbst, daß wir es abschlugen, aber-
mals in den Krieg zu ziehen. Da nun die Ajawa vor uns eben
so große Furcht zu haben schienen, wie die Mangandscha vor ihnen
(— den Ajawa —), so hofften wir, daß unsere Anwesenheit im
Lande zum Frieden beitragen werde. Und das würde auch wohl
so gekommen sein ohne das Betragen, welches sich die Mangandscha
Enthüllungen über den südafrikanischen Reisenden David Livingstone.
187
während der letztverflossenen fünf Monate erlaubten. Sie sind nn-
fähig, sich im Kriege zu vertheidigen, aber trotzdem befolgen sie doch
in Friedenszeiten eine Politik aufreizender Herausforderung. Wir
ermittelten, daß sie währeud der Regenzeit manche Ajawa, welche
in vereinzelten Dörfern lebten, gefangen wegschleppten oder er-
mordeten, und daß sie, unter Mißbrauch unseres Namens,
noch andere Missethaten verübt hatten. Ein solches Verfahren
hatte jene Folgen, die nicht ausbleiben konnten; nun ist Krieg überall
im Lande und die Mangandscha zittern und beben.
Die unmittelbare Ursache des Krieges ist folgende: Unweit
von Magomera wohnte ein Ajawahänptling, Namens Kempama.
Er war mit einer Anzahl seiner Landsleute seit drei Jahren im
Lande, bestellte den Acker, und benahm sich, was selbst die Man-
gandscha nicht in Abrede stellten, friedlich. Nur ein gewisser
Barwi, Mangandschahäuptling, welchem ursprünglich das Land
gehörte, sprach gegen ihn, und ging uns wiederholt an, jenen
Kempama zu vertreibe«. Dazu gaben wir uns jedoch nicht
her und bewiesen ihm, daß seine Anschuldigungen gegen Kempama
falsch seien. Barwi ist ein verdorbener Mensch : er that alles, um
Kempama zu reizen; vielleicht dachte er, daß, wenn eine Fehde zum
Ausbruch käme, wir ihm helfen würden, trotzdem wir ihm jede
Aussicht auf dergleichen benommen hatten. Endlich wurde Kem-
pama's Bruder durch einen der Leute Barwi's ermordet. Als
Rache dafür verbrannte Kempama das Dorf des Mörders.
Von da an lagen uns die Mangandscha Tag und Nacht in den
Ohren, wir möchten in den Krieg ziehen, aber wir wiesen sie immer
zurück.
Die Ajawa verfahren mit mehr Bedacht als die Mangand-
scha, und nach jener That Kempama's ergriffen sie alle gleich die
Offensive. Barwi, Mongazi und einige andere Häuptlinge zogen
gegen Kempama, der sie auf's Haupt schlug, Barwi's Dorf und
noch sechs andere Dörfer verbrannte, welche eine Stunde bis au-
derthalb Stunden Wegs um Magomera herum lagen, er machte
viele Gefangene und erklärte, da einmal von Seiten der Man-
gandscha der Krieg angefangen worden sei, so solle auch Krieg sein.
In unserer Nachbarschaft, zwischen uns und den Ajawa, lagen
keine Dörfer. Die Ajawa bekamen fortwährend Zuzug von ihren
Landsleuten und von verräterischen Maugaudscha. Barwi's eigner
Bruder half daran, jenen zu verderben. Unter den Ajawa ist viel
Clanschaft. Wir gingen nicht gegen alle, aber alle, mit wenigen
Ausnahmen, betrachteten uns als ihre Feinde. Nun erwogen wir,
was wir zu thun hätten, und dreierlei Wege kouuteu eingeschlagen
werden. Erstens: wir konnten ohne Weiteres einen Angriff gegen
die Ajawa unternehmen. Zweitens: wir konnten in Magomera
abwarten, bis man uns angriff. Drittens: wir konnten Mago-
mera verlassen und uns in einer friedlichem Gegend niederlassen.
Wir hatten bereits den Entschluß gefaßt, die Ajawa nicht
wieder anzugreifen; mit gutem Gewissen hätten wir das auch nicht :
gekonnt, nachdem wir nun wußten, wie es sich mit ihnen nnd mit
den Maugaudscha wirklich verhielt. In Magomera wollten wir
um so weniger bleiben, da wir erfuhren, daß die Ajawa uns an-
greifen wollten, wenn sie die dazn erforderlichen Verstärkungen er-
halten hätten. So beschlossen wir denn unfern Abzug, und nun
sind wir hier mit allen unseren Leuten und eifrig darüber ans,
Hütten zu bauen. Wir sind hier fern von jenen Völkern, in einer
angenehmen und, ich hoffe, auch gesunden Lage, ans Sandstein-
boden, fünfzig Fnß über den Strome (—dem Schire —). Mit
Gottes Beistand können wir dann wohl im Fortgange der Zeit
wieder in's Bergland vordringen. Bon Magomera hätten wir
übrigens doch fortziehen müssen, denn es ist ein Pestloch; nur
durch Gottes Gnade sind wir dem Schicksal entgangen, welches
den Missionären in Linyanti (— wohin sie anf Livingstone's Antrieb
gegangen waren —) zu Theil wurden. 'Wir haben mehr als
fünfzig unserer Leute durch Dyssenterie, Geschwüre
und Mangel an Nahrung verloren, denn während der
letzten drei Monate hatten wir als Heimsuchungen zugleich Krieg,
Hnngersuoth und Pestilenz. Unser eigenes Befinden war
aus Mangel an Mehl und anderer geeigneter Nahrung ganz er-
bärmlich. Ich meinerseits bin zweimal durch Dyssenterie dem
Tode uahe gewesen, befinde mich aber jetzt wieder ganz wohl.
Meine Brüder (— die übrigen Missionäre—) litten wiederholt
am Fieber und Diarrhöe. Wir mußteu zwei Drittel der mitge-
brachten Vorräthe in der Vega, dem Proviantschiffe, zu Johanna
zurücklassen, den» der Pionier (— Livingstone s Dampfer —) war
nicht geeignet, sie auszunehmen. Dadurch litten wir viel.
Das Bergland ist nicht, iu dem Sinne wie man immer
von ihm behauptet hat, geeignet zur Produktion der
Baumwolle, und selbst wenn es dazn geeignet wäre,
würde es nicht rentiren, von dort Baumwolle anszu-
führen; fchou die Trausportkosten allein würden viel
zu hoch sein.
Livingstone war im Jrrthum, als er behauptete,
daß nur dreißig Miles Landtransport zwischen dem
schiffbaren Theile des Rno und dem Schirwa lägen.
Man kann keinen Punkt des Sees vom Schire oder vom
Rno aus erreichen, ohne einen Weg von l 00 Miles über
sehr schwieriges Gelände zu machen, und Wagentrans-
Port ist dort ganz unmöglich.
Livingstone ließ sich durch eine Luftspiegelung täuschen
und war gar uicht am See, als er obige Behauptung folgern zu
können glaubte. —
So lautet der Brief Rowley's, der auf uns den Eindruck der
Wahrhaftigkeit macht. Ein Blatt in der Kapstadt, der Cape
Argus, bemerkt, daß Livingstone die Missionäre wegen des Eon-
flikts verdeckt tadle; er schrieb „daß der Kampf mit den Ajawa sie
iu eiue falsche Lage gebracht habe; auch tadle er sie, daß sie Mago-
mera verlassen hätten, um eine fernere Collision zu vermeiden."
Livingstone schrieb an Sir Thomas Maclear unterm 2l. Juni
1802: „Ich bedaure, daß die Missionäre zurückgegangen sind, aber
unter den obwaltenden Umständen war das vielleicht wohlgethan.
Ihnen fehlte ein energisches Haupt. Herr Proctor ist ein guter
verständiger Manu mit gehöriger Festigkeit, aber der Kampf mit
den Ajawa brachte sie alle in eine falsche Lage. Ich glaube aber,
daß sie dabei Recht thaten, und es ist von großer Wichtigkeit, daß
ihr Gewissen alles billigt, was sie thaten."
Gegenüber den Thatsachen, welche Rowley anführt, sind das
nichtssagende Redensarten ; man sieht, daß Liviugstoue, um deutsch
zu reden, um deu Brei herumgeht.
Wir unsererseits wollen keinen Stein auf deu muthigen Ent-
decker werfen, aber daß sein Verfahren, gelind ausgedrückt, oft eben
so unverständig war, wie seine Urtheile nnd Rathschläge, das liegt
klar genug vor. Er steckt iu ähnlichen Täuschungen wie viele andere
Missionäre, nnd giebt der ruhigen Prosa des gesunden Menschen-
Verstandes uicht allemal das ihr gebührende Recht. Die That-
fachen reden.
Livingstone veranlaßt? die gläubigen Gemüther in England,
Missionäre uach Südafrika in Gegenden zu senden, wo angeblich
gesunde Punkte seien. Diese bethörten Lente sind wegge-
sterben wie die Fliegen.
Er stellte eine Bekehrung von Barbaren in Aussicht, die nichts
von Bekehrung wissen wollten.
Er stellte Schwarze als friedliche Menschen dar, welche sich
dann als blutgierige, wilde Barbaren erwiesen.
Er zeigte den Engländern ein Baumwollenparadies von
300,000 Quadratmeilen, und dasselbe ist ein Nebelbild.
Höchst unklugerweise mischte er sich in die Stammesstreitig-
feiten der Barbaren. Indem er gewaltsam Sklaven befreien
wollte, vergoß er Blut, und beging, wir können keinen andern
Ausdruck anwenden, eine pseudophilanthropische Donqnixoterie,
durch welche er, wie die Thatsachen beweisen, den Hauptzweck, die
Sache der Mission zu fördern, nicht blos gefährdete, sondern ver-
eitelte. Gewiß wäre es ein Segen, wenn dem abscheulichen
24*
188
Die Arbeiten an dem Kanal auf der Landenge von Snez.
Sklavenhandel und Sklavenraub eine Ende gemacht würde. Aber
Livingstone kennt genug von Afrika, um zu wissen, daß er am aller-
wenigsten jenen Gräneln steuern könnte, und daß gar nichts damit
genützt war, wenn er ein paar hundert Sklaven aus der Gewalt
der Ajawa befreite. Diese Leute, Ajawas wie Maugandschas,
werden ihn gar nicht verstanden oder begriffen haben. Will Living-
stone einen Kreuzzug gegen ganz Afrika unternehmen? Soweit
Afrika schwarz ist, finden wir Sklaverei und Sklavenraub überall.
Ausrotten kauu mau die eine oder andere erst, wenn der europäische
Einfluß überwiegend geworden ist; was man früher thut, ist ver- 1
lorene Mühe. Kraftstücke, wie Livingstoue gegen die Ajawa zum
Bestell gab, mögen in der Londoner Exeterhalle bei Leuten gelten,
die viel ans Phrasen geben und wenig auf Thatfachen, Naturge-
setze oder gesunden Menschenverstand, aber was dergleichen in der
Praxis für Folgen hat, ergiebt sich aus Rowley's Briefe. Es ist
llml abzuwarten, was Liviugstoue gegen denselben wird einwenden
können.
*) Wir finden, nachdem das Obige schon gesetzt war, in der Times vom
28. November von einem „Mitglied? des Generaleomitü" ein Schreiben,
welches Herrn Livingstone in Bezug auf das Verfahren gegen die Ajawa in
Schutz nimmt, aber zngiebt, daß die erste Kollision mit den Negern „unter
Livingstone's Anspicien" stattgefunden habe. Wir gehen ans die Kontroverse
nicht weiter ein, da ohne Zweifel Livingstone selber gelegentlich auf Rowley's
Brief erläuternd eingehen muß, alsdann kommen wir auf den Gegenstand
zurück. A.
Die Arbeiten an dem Kanal
Unsere Leser wissen, daß wir dem großen Werk einen ge-
deihlichen Fortgang und ein glückliches Ende wünschen, denn jeder
neue Verbindungsweg, welcher int Interesse des Verkehrs eröffnet
wird, ist ein Vortheil für die Welt. Namentlich würde es ein
für große Seeschiffe fahrbarer Kanal sein, welcher das Mittelmeer
und den Indischen Ocean mit einander in Verbindung brächte.
Wir gehören nicht im Mindesten zu deu Gegnern des Snez-
kanals, aber das ruhmredige Aufpuffen, welches seit nun sechs
Jahren kein Ende nehmen will, hat uns vom Anfang an höchlich
mißfallen. Auch haben wir schon im Jahre 1856 unseren Be-
denken Ausdruck gegeben nnd sie motivirt; einige derselben stellten
wir im Globus (Nr. 2.) zusammen. Noch heute finden wir
auch nicht deu geringsten Anlaß, nur eiu einziges Bedenken
oder einen Zweifel an der planmäßigen Ausführung des Werks,
an der Möglichkeit einer Vollendung, wie sie von den Franzosen
projektirt ist, fallen zn lassen.
Eben jetzt ruft man von Paris aus wieder einmal Triumph.
Wir haben das Journal de l'Jsthme de Suez regelmäßig gelesen
und folgten den Erörterungen dieses Blattes. Nun äußert dasselbe
in seiner Nr. 153: „Keiu verständiger Mensch kann jetzt noch die
Ausführbarkeit des Kanals bezweifeln von dem Tag an, da er
zwischen Port Said (am Mittelmeer) und Timsah hergestellt ist. Auf
diesem Theile der Linie ist früher noch nie ein Kanal gegraben wor-
den; diese Strecke war die einzige, in deren Betreff man uoch Be-
deuklichkeiteu erheben konnte. Von Timsah nach Snez war schon
in früheren Jahrhunderten zu vier verschiedenen Malen ein Kanal
gegraben (— nnd eben so oft wieder aufgegeben! —). Nun aber
können wir ohne Furcht behaupten, daß das Problem materiell
und souverän gelöst ist, weil nun die Verbindung vom Meer ans
bis Timsah reicht. Weiter hinaus bleibt nur noch das zn thnu
übrig, was schou die Alten mit ungleich geringeren Hülfsmitteln fer-
tig gebracht haben."
Wir sehen in diesen Aenßernngen lediglich Redensarten, die
anf keinen „verständigen Menschen" Eindruck machen werden. In-
zwischen ist die vielbesprochene Schwelle El Gisr durchbrochen
worden, das Wasser des Mittelmeeres kommt bis Timsah. Der
Durchbru ch ist aber mir ein Provisor ischerGraben, 12 Metres,
etwa 40 Fuß, breit und 2.1 Meter tief. Der Kanal selbst soll aber
50 Metres Breite und 8 Metres Wassertiefe haben. Die ganze
Länge des Suezkauals beträgt ungefähr 150 Kilometres; der
provisorische Durchstich ist 08 K. lang. Anf der übrigen Strecke
führen 48 K. durch die Bitterseen und andere Bodensenkungen, die
nnter dem Meeresuiveau liegen. Ein weiterer Durchstich
würde eine Länge von 34 K. haben müssen, nm einen Wasserstrom
von geringer Tiefe ans dem Rothen Meer in das Mittelmeer, ohne
Schleusen, zu leiten.
auf der Landenge von Sny.
Nach dem hier Gesagten hat der provisorische Graben unr eiu
Achtzehntel des Wasserdnrchschnittes, welchen der vollendete Kanal
haben soll. Der See von Mensaleh ist nnr 2 Metres tief; sieben-
zehu Achtzehntel des vollendeten Kanaldurchschnittes anf der ganzen
Linie müssen noch ansgehoben werden. Bis jetzt ist etwa ein
Siebenzigstel von der gesammten zu bewegenden Erdmasse ge-
fördert worden.
Der französische Schiffskapitän Ronssin, welcher jüngst die
Linie besichtigte, bemerkt, daß der Vicekönig Said Pascha etwa
25,000 Fellahs zu deu Arbeiten zwinge; jeder Stamm, jedes Dorf
mnß ein Kontingent stellen, das etwa einen Monat lang ain Kanal
schaffen muß; der Arbeiter kann dabei monatlich 8 bis 10 Francs
verdienen. Diese arabisch-ägyptischen Bauern sind nicht zu be-
wegen, sich europäischer Werkzeuge zu bedienen; sie arbeiten mit
den Händen mid kleinen Mulden. Den provisorischen Kanal hofft
man bis zu Ende des Jahres 1803 zu vollenden; er wird dann
von Port Said bis Snez reichen, kann aber für den Kanal selber
nichts beweisen; denn daß man einen Wassergraben durch die Land-
enge ziehen könne, ist von keiner Seite bezweifelt worden, wohl
aber, daß ein großer Schiffskanal mit guten Häfen an den
Endpunkten herzustellen sei. lind wäre ein solcher möglich, so
würden eiu paar Jahrzehnte erforderlich sein, bevor er fertig her-
gestellt wäre. Der provisorische Kanal wird für die große Schiff-
fahrt ohne alle Bedeutung sein.
Während die Pariser Berichte gerade jetzt so große Hoffnungen
rege machen, lauten Mittheilungen aus Alexandria vom I7.No-
vember ganz entgegengesetzt. Der Gegenstand ist so wichtig, daß
wir das Wesentliche mittheilen wollen. Der Times z. B. schreibt
man, daß das ganze Kanalprojekt feinem Ende nahe,
gerade jetzt, wo so viel Aufhebens davon gemacht worden,
daß man das Wasser ans dem Mittelmeer, oder, richtiger ge-
sagt, ails dem Mensaleh-See in das Becken des Timsah-Sees
geleitet hat.
Die Herstellnng des Grabens, der „Rigole", welcher die Ver-
bindmtgsrinne für die Leitung des Wassers bis in die Mitte des
Isthmus bildet, ist im vorigen Sommer mit großem Eifer betrieben
worden, aber es sei dabei hauptsächlich auf die Erregung von Sen-
sation in Europa abgesehen. Dieser Graben hat die Hälfte des
Kapitals d.er Kanalgesellschaft verschlungen; er ist nichts weiter
als ein Graben von geringer Breite und hat im größern Theile
seines Laufes kaum zwölf Zoll Wasser. Es gehörte eine starke
Einbildungskraft dazu, darin einen erfolgreichen Schritt zur lieber-
Windung der vielen Schwierigkeiten zn sehen, welche die Gesellschaft
zu beseitigen hat. Selbst wenn man von der sehr wichtigen Frage
über die Einfahrten zum maritimen Kanal absieht, bleibt fest-
stehen, daß die „Rigole" nur einen geringen Theil von der Hälfte
Kleine Nachrichten.
189
der Arbeit ausmacht, welche noch ans dem Jsthmns selbst zn be-
schaffen ist.
Am Mittelländischen Meere soll Port Said in einen brauch-
baren Hafen für Seeschisse umgewandelt werden; aber die Schwie-
rigkeiten, welche gerade dabei sehr groß erscheinen, sind so weit
von einer Lösung entfernt wie je zuvor. Der Vicekönig (— welcher
von der französischen Gesellschaft bewogen wurde, sich mit vielen
Millionen bei dem Kanalprojekt zn betheiligen, und der jetzt be-
deutlich zu werden scheint —) hat den englischen Wasserbanmeister
Hawkshaw kommen lassen, um die für Anlage des projektirten
Hafens ausgewählte Oertlichkeit zn untersuchen und Bericht zu
erstatten.
Ein anderer schwieriger Punkt besteht darin, eine feste Grund-
läge für die Ufer des projektirten Kanals zu schaffen, welcher
durch den Menfaleh-See hindurchgeführt werden soll. Der
Boden dieses Sees besteht aus Schlamm, der auf einem, wie be-
hanptet wird, hinlänglich steifen Thon ruht. Dagegen erfährt
man, daß diese Thonlage nicht sehr dick sei, und daß sie obendrein
weggeschafft werden müsse, um einem Kanal, welcher große See-
schiffe tragen soll, die erforderliche Tiefe zn geben. Nun liegt aber
unter dem Thon ein Bett dünnen, halbflüssigen Schlammes, der
gar keine Festigkeit darbietet. Dort sind demnach sehr viele ge-
waltige Schwierigkeiten zu überwinden.
Die beim Kanalprojekt betheiligten Franzosen haben gerade
unter ihren Landsleuten selber die schärfsten Kritiker gefunden, und
eben jetzt hat eiu französischer Ingenieur, welcher bei den Kanal-
arbeiten betheiligt war, in Alexandria manche Enthüllungen durch
den Druck veröffentlicht.
Zunächst erwähnt er der Steinbrüche von Mex, welche in
der Nähe von Alexandria liegen, und weift nach, daß die Be-
rechnungen der Kompagnie unrichtig seien. Sie behauptete wieder-
holt, daß das Ausbrechen der Steine und der Transport der
letzteren nach Port Said sich geringer stelle als die ursprüngliche Be-
rechuung von 14y2 Francs für den Kubikmeter, während dieselben
sich auf 48 Francs öl Centimes belaufen haben, wenn sie in den
Booten der Kompagnie transportirt werden; die Unterhaltung
dieser Boote erfordere jährlich an 30,000Pfund Sterling. Während
der letztverslossenen zwei Jahre habe man nur etwa 50,000 Knbik-
meter Steine gebrochen und nach Port Said geschafft; dort feien
aber 995,000 Kubikmeter erforderlich! Wie lange Zeit wird dem-
nach verfließen, ehe man die zum Bau der Hafendämme erforder-
lichen Steine uach Port Said schafft?
Ueber den Süßwasserkanal, der ans dein Nil zum
maritimen Kanäle führt, stellt der Ingenieur die amtlichen Berichte
der Kompagnie zusammen und weist nach, daß sie mit der Wirk-
lichkeit nicht übereinstimmen. An Ort und Stelle habe man die
Berichte der Pariser Blätter mit dem größten Erstaunen gelesen.
Wir erfahren, daß es den Beamten der Kompagnie streng
verboten ist, den Zeitungen oder Privatleuten anch nur
die geringste Mittheilung über den Fortgang der Ar-
beiten zu machen.
Einige Arbeiten, die zu wiederholten Malen als fertig und
vollendet geschildert wurden, sind noch nicht einmal ernstlich in
Angriff genommen worden. Das amtliche Blatt der Kompagnie
(—das Journal de l'Jsthme de Suez ist gemeint, welches der Re-
daktion des Globus regelmäßig zukommt, und aus welchem wir dann
und wann Auszüge geben —), behauptet, daß der Süßwasserkaual,
dessen Herstellung ursprünglich auf 9, ja von Einigen anf 18 Millio-
nen Francs veranschlagt worden sei, nur 2 Millionen kosten werde.
Aber der jetzt vorhandene Süßwasserkanal, 26 Miles lang und
40 Fuß breit, ist gar nicht der ursprünglich projektirte (— wir
glauben von Talabot projektirte —) und kann wegen der ganzen
Art und Weise, wie man ihn angelegt hat, zu dem erforderlichen
Zwecke gar nicht benutzt werden. Ohnehin ist er in einem viel zn
niedrigen Niveau ausgegraben und kann deshalb nicht bis uach
Suez fortgeführt werden. Man hat also nicht nur nichts erspart,
sondern wird diesen Süßwasserkanal höchst wahrscheinlich ganz
aufgeben müssen. Wenn die Kompagnie überhaupt ihren Plan
noch ferner ausführen will, dann wird es nöthig sein, einen
neuen Süßwasserkanal zu graben, der von einem höhern
Niveau bei Kairo ausgeht, dessen Herstellung aber nicht unter
500,000 Pf. Sterling erfordern würde. —
So lantet der Bericht ans Alexandria. Auf jeden Fall steht
die Vollendung des Suezkanals noch in sehr weitem Felde. Schon
vor Jahren haben wir *) unsererseits daraus hingewiesen, daß
die größten Schwierigkeiten nicht etwa darin lägen,
einen Kanal von einem Meere bis zum andern zn
graben, sondern an den Meeren, aus schlechten nn-
sicheren Rheden, praktikable und sichere Häfen zu
fchäffen. Darauf ist, so weit das Technische in Betracht kommt,
der Schwerpunkt zu legen.
Die Times knüpft an jenen Bericht einige Bemerkungen. Es
führt, sagt sie, mehr als ein Weg nach Indien, und jener über
den Isthmus von Suez ist keineswegs der beste. Wenn der Kanal
wirklich vollendet wird, dann kann es sich wohl treffen, daß er
schon einen Monat nach seiner Eröffnung keinen Mitbewerb be-
stehen kann. Heutzutage ist nicht ferner das Meer die sicherste
Straße, denn es gilt der Grundsatz iu der Berkehrsbewegung, daß
man überall, wo es sich irgend thnn läßt, den Dampfer verläßt,
um auf die Eisenbahn überzugehen. Wenn anch die Landenge in
Aegypten durchstochen würde, so wäre doch die moderne Ungeduld
und Hast uicht damit einverstanden, den großen Winkel des Rothen
Meeres und der arabischen Halbinsel zn machen. — Die Times
weist dann auf eine Enphratbahn hin, welche wir unsererseits
schon 1857 iu ihrer Bedeutung zu würdigen versucht haku.**)
Eine Linie, die man von London nach Bombay zieht, läuft den
Enphrat entlang. Durch Benutzung des Suezkanals erspart mau
nichts, wenn die Seereise an der Küste von Syrien endigt. „Nun
sagt Herr von Lesseps vielleicht: die Enphratbahn schwebe in den
Wolken. Ganz gut, aber wo ist denn sein Kanal? Wenn,
beiläufig bemerkt, dieser nicht zu Staude kommt, so ist alles
darauf verwandte Geld weggeworfen, und dieses und die auf
den Kaual verwandte Arbeit hätten nützlichere Dienste leisten
können." —
*) Geographische Wanderungen, von Karl Andree, Dresden 1859,
Ii. S. 121 ff., in dem Aufsatze über den Suezkanal und dessen Be-
d eutung. Wir schrieben denselben im Jahre 1856, und er erschien zuerst in
der wissenschaftlichen Beilage zur Leipziger Zeitung.
**) Geographische Wanderungen II. S. 162 ff.
Kleine Nachrichten.
Forschungsreise anf dem Niger. Während der Löwentödter eine Handelsstraße zu eröffnen, und daß sie nicht minder sich be-
Gerard seme Streifzüge in Westafrika wagen will, hat der frau- mühe, von Algerien ans durch die große Wüste bis eben dahin,
zöfische Kapckan Magnan eine Schiffsexpedition auf dem Niger überhaupt nach Nigritien hin, sich Verkehrswege zu sichern. Nun
projektirt. Wir machten wiederholt im Globus daraus aufmerksam, soll ein Versuch gemacht werden, den Plan von einer dritten Seite
wie viel Gewicht die französische Regierung darauf legt, vou ibrem her in Angriff zu nehmen, und es gereicht der französischen Re-
Senegambien aus nach dem obern Niger, bis Timbuktu hin, gierung zum Lobe, daß sie dem Kapitän Magnan drei Dampfer
190
Kleine Nachrichten.
zur Verfügung stellt, welche sie ausdrücklich zu diesem BeHufe hat
bauen lassen. Zwei sind Boote mit Schaufelrädern, und eins
derselben kann auseinandergenommenwerden, im Fall es nöthig
wäre, basselbe über Wasserfälle hinwegzubringen; ber britte
Dampfer hat eine Schraube; alle brei finb mit plattem Boben
gebaut nnb gehen belaben nicht tiefer als vierthalb Fuß. Magnan
will brei Nieberlagen ober Faktoreien errichten: bie erste im Niger-
belta, bie zweite bei Timbuktu, bie britte noch weiter oben bei
Bammaku. Von biesem letztern Orte hat allerbings bie Ver-
binbung mit Senegambien keine Schwierigkeiten mehr; unsicherer
wirb ber beabsichtigte Karawanenverkehr nach Algier sein, beibe
aber finb in Aussicht genommen, nicht ntinber eine regelmäßige
Dampfschifffahrt auf beut Niger.
Alexander Ziegler über die deutschen Expeditionen in
Afrika. Schwerlich hat ein anberer Privatmann mit größerm Eifer
unb günstigem! Erfolge Zeit, Mühe nnb Gelb barauf verwaubt,
bieseu Unternehmungen förberlich zu sein. Er war babei^ ebenso
uuverbrosseu uub uuermüblich, wie in Bezug aus bie Schiller-
stistuug. Wir wissen bestimmt, baß bnrch ihn Tansenbe von Thalern
für bie afrikanischeu Expebitioueu zusammengebracht worben siub,
unb auch jetzt ist feine Wärme nicht im minbesten erkaltet. Von
Ziegler's „Geschichte beutscher Nationalnitternehmungen" be-
fiitbet sich jetzt bie siebente Auflage unter ber Presse. Unser Freunb
hatte bie Gefälligkeit, uns einen Aushängebogen zur Verfügung zu
stellen, welcher bie letzten Nachrichten über bie afrikanischen Expebi-
tioueu znsammenfaßt. Wir heben aus bemselben bas Nachsolgeube
heraus. —
Was Herrn v. Henglin betrifft, ber bekanntlich, anstatt von
Massaua nach Chartrnn u. s. w. zu gehen, mit Dr. Stenbner unb
Schubert bie iustruktionswibrige Reise nach Abessinien einge-
schlagen hatte, so ist berselbe von Gonbar wo (er am 23. Januar
>862 ankam), Aboa, Djenba in Abessinien nach Chartum zurück-
gekehrt. Mag man über Henglin außerbem urtheilen wie man
will, so viel steht fest, baß er ein vorzüglich befähigter Reiseuber
ist, baß er sammt seinen Begleitern sehr interessante unb werth-
volle Berichte sowie Sammlungen eingesenbet unb sich um bie
Länber- unb VBlferfunbc Afrikas sehr verbient gemacht hat. Leiber
sinb bie letzten von ihm seit Monaten gesammelten Bälge nnb
Pflanzen aus ber Reise nach Doka bnrch einen heftigen Regen so
bnrchnäßt werben, baß fast alle Sammlungen weggeworfen werben
mußten.
Martin Lnb wig Hanfal war bekanntlich mit ben in den
Bogoslänbern gesammelten natnrhistorischen Sammlungen schon
am 23. Oktober 1861 von Keren nach Chartum aufgebrochen, wo
er anch am 1. December angekommen ist. Diese Sammlungen
finb, auf's Beste erhalten, bereits in Gotha angelangt, unb von ba
au ihre Bestimmungsorte: Stuttgart, Bern u. f. w. abgegangen.
In Bezug auf die deutsche Weftexpeditiou ist zu bemerken,
baß Munzinger unb Kiuzelbach über Kassela am 9. März iu
Chartum nnb am 20. April in l'Obeib (El Obeib), ber Haupt-
stabt von Korbofan, angekommen waren, um von hier bnrch Darfur
nach Wabai vorzubringen. Nach einein breimonatlichen Aufent-
halte bafelbst waren biese wackeren Männer leiber genöthigt, bie
Rückreise nach Chartum (Ankunft 9. Juli) unb Deutschland anzn-
treten, woselbst auch Kiuzelbach glücklich angelangt ist, währenb
Munzinger ans bei» weitern Wege über Sauakiu zurückkehren
wollte. Der Entschluß zur Rückreise war gefaßt worben, nachbem
sie bie Ueberzengnng gewonnen hatten, baß es ihnen unmöglich sei,
bnrch Darfur nach'Wabai vorzubringen, ohne ihr Leben in bie
äußerste Gefahr zu bringen. Der Sultan von Darfur hatte ihnen
am 10. Juli auf bas Gesuch, sein Laub zu Passiren, ein diplomati-
sches Antwortschreiben gesaubt, wonach ben beiben Reisenben zwar
gestattet würbe, nach Darfur zu kommen, jeboch mit ber Hinwei-
snng, baß ber Sultan für fein Volk nicht einstehen könne. Dann war
noch bie Bebingung ansbrücklich beigefügt worben, baß sie sich ba-
für verbürgten, es werbe, im Falle sie bort stürben, deshalb
kein Verbacht nnb keine Anklage gegen ben Sultan erhoben werben.
Da hiernach bie Möglichkeit nnb Wahrscheinlichkeit bes Tobes ber
Reisenden benn boch gar zu stark in ben Vorbergrunb gestellt
würbe, jeber irgend» möglichen Anklage aber im Voraus begegnet
werben sollte, so schien es ben Reisenben geratheuer, ihre Rückkehr
anzutreten. Unb wahrlich — bein Verdienste seine Krone — biese
Männer haben ehrlich geleistet, was überhaupt bei ihrem gesahr-
vollen uub so schwer zu erreichendem Ziele von menschlicher An-
strengung, Umsicht uub Energie erwartet werben konnte. —
Wir lassen bie Muthmaßnngen uub Erörterungen, ob Ebnarb
Bogel noch am Leben sei ober nicht, bei Seite, theilen aber mit,
was Alexanber Ziegler über Herrn von Beurmann bemerkt. Er
schreibt:
Währenb gegenwärtig bie „Ost-Expebition" zum Abschluß
gekommen ist, hat Herr von Beurmann (West-Expedition) seine
-
schwierige Aufgabe mit großer Energie nnb Umsicht verfolgt.
Derselbe ist ohne Zaubern von Bengasi am 13. Januar 1862 über
Ubschila, Dschalo, Marabeh, Sella, Fngga, Temissa nach
Mnrsnk vorgebrnngen, nachbem er sich genöthigt gesehen hat,
seinen frühem Plan, von Dschalo birekt über Kebabo nnb Wab-
schanga nach Wara vorzubringen, aufzugeben. Am 15. April hat
Hr. v. Beurmann Mnrsnk, bie Hauptstabt von Feffan, erreicht nnb
vom letzten Tagemarsche (s. A. Petermann „Mitteilungen", Er-
gänznngsheft Nr. 8, S. 77) noch folgenben Umstanb wörtlich er-
wähnt: „Ich selbst —so schreibt Herr v. Beurmann—hatte kaum
bas Dorf (Habj, Habjil, 2y2 Stnnbe östlich von Mnrsnk gelegen)
verlassen, als ein Reiter ans mich zugesprengt kam, ber sich mir
aus Italienisch als ben Diener bes Herrn Duveyrier (bes sehr
tüchtigen französischen Reisenben, ber im vorigen Jahre jene
Gegenb besucht hat) vorstellte unb mich einlnb, in bas Haus
besselben zu ziehen, bas früher bas Konfulatsgebänbe
gewesen."
Nach ben neuesten Nachrichten ist Hr. v. Beurmann (besseu
schöner Plan, von Mnrsnk nach Waschanga zu gehen nach, in ben
letzten Tagen bes Juli eingegangenen Nachrichten au ber Habgier
bes Sultans ber Tebn unb an ben zu geringen Mitteln bes Rei-
seubeu ebenfalls gescheitert war) am 28. Juli in Gesellschaft einer
von einem ihm be'freuubeten Araber geführten Karawane vonMnrfnk
nach bem Snban (Kukaua iu Borun) aufgebrochen, um von ba, nach
Wabai vorzubringen. Seitbem haben sichwiebemm Gerüchte ver-
breitet, baß er unterwegs ausgeraubt, wenn nicht ermorbet worben
sei. Diese Gerüchte, so weit sie mit ben Aussagen eines mysteriösen
Menschen in Verbinbuug stehen, ber sich als Araber unter bem
Namen Sliman, als Italiener als Francesco Silemi beim
englischen Vicekousul in Beughasi mit ber Vorspiegelung eingeführt
hat, baß er eine briefliche Empfehlung ober Mittheilung von bem
Reisenben von Beurmann habe, biese Gerüchte finb von Dr. Barth
auf ihren richtigen Stanbpnnkt zurückgeführt worben. Barth
zeigt nämlich, baß jener Gauner wahrscheinlich nur in ber Absicht,
ein Sümmchen für sich erschwinbeln, Mittheilungen über ben ihm
vielleicht bekannt geworbenen Hrn. von Beurmann gemacht hat
unb auch hat macheu können. — Dieser Sliman, ber wirklich
mit bem Reisenben in naher Berührung gestauben haben kann, hat
nämlich vor bem Vicekousul in Beughasi (bem er sich als einen
wegen Morbes aus Konstautinopel verbannten Italiener zu er-
kennen gegeben, ber zur Strafe in Ketten bis Wabai (!) geschickt
worben sei, von wo ans er Bagirmi u. s. w. besucht habe), nicht
nur ausgesagt, baß er in Bagirmi vor Jahren einen christlichen
Gefangenen (!) gesehen, sonbem baß auch Beurmann (ber ihm
vergeblich 400 Dollars geboten, um von ihm über Bomu nach
Wabai geleitet zu werben) zur Zeit schon in Wabai angelangt sein
würbe, wenn er nicht, was ihm wahrscheinlicher sei, ans bem
Wege ermordet worben. Zu gleicher Zeit aber hat ein Einwohner
aus Sella, welchen Ort Beurmann auf seiner Reise nach Murfnk
passirt ist, in Bengasi ausgesagt, baß jeuer Sliman ein ganz ver-
logener Mensch sei, ber ben Herrn von Beurmann wohl in bas
Innere geführt uub ihn bort beraubt, wenn nicht ermorbet haben
könne.
In welcher Beziehung bieser Bewohner von Sella zu Sliman
steht, ob er nur besseu Spießgesell bei bieser Gaunerei ist u. s. w.,
können wir ebensowenig wissen, als ben Anlaß ber Trennung bieser
Kumpane von Herrn von Beurmann. Wir brauchen aber nicht
gleich bas Schlimmste anzunehmen; beim so viel steht fest: ist
Sliman wirklich von Beurinmnt's Mörder, so wäre er gewiß nicht
nach wenigen Tagen nach Mnrsnk zurückgekehrt nnb später nach
Beughasi gegangen, wo ber Reisenbe längere Zeit mit ben au-
gesehensten Männern aus Regiemugs- uub Kaufmannskreisen
verkehrt hatte. Aus ben weiteren Aussagen Sliman's geht
übrigens evibent hervor, baß er ein grober Lügner nnb Schwinbler
ist unb baß bas Gerücht von bem Unglück, welches v. Beurmann
betroffen habe (wie Dr. Barth in ber Sitzung ber geographischen
Gesellschaft in Berlin am 15. Nov. 1862 scharfsinnig nachgewiesen
hat) bei ber Kürze ber Zeit unmöglich aus bem Innern bis an
bie Küste nnb nach Europa gelaugt sein kann.
Wir sehen baher mit Zuversicht ber nächsten Nachricht entgegen,
unb halten unsere seit Jahren rastlos verfolgte Ausgabe, Beiträge für
die deutschen Expeditionen zu sammeln, in Bezug auf v. Beurmann
für noch nicht erledigt. Deshalb wiederholen wir hiermit die Bitte
daß, wer es irgend vermag, diesen braven Mann, der todesmnthig
sein junges hoffnungsreiches Leben zur Aufhellung der Schicksale
unseres verschollenen deutschen Landsmannes einsetzte, und somit
das Höchste, sein Leben, der Wissenschaft zum Opfer zu bringen
bereit ist, auch fernerhin unterstützen wolle, damit derselbe rüstig
denjenigen Ort erreichen kann, wo unbedingte Gewißheit über
Eduard Vogel erlaugt wird, oder damit er,' falls diesem schwie-
rigen Vordringen sich unüberwindliche Hindernisse entgegenstellen
sollten, wohlbehalten in die deutsche Heimat zurückkehren könne,
Kleine
nicht aber elendiglich zu Grnnde gehe. Wer ein so warmes Herz
für nationale Ehre gezeigt, sein Leben so todesmnthig in die
Schanze geschlagen hat, wie es der junge Lieutenant v. Benrmann
gethan, der hat ein Recht, sich mit einem großen Feldherrn ans
gleiche Stufe zu stellen und den Dank des Baterlandes zu bean-
spruchen. —
(In dem Augenblicke, da dieser Bogen in die
Presse gehoben wurde, erfahren wir, daß Herr von
Benrmann glücklich zn Kukana in Bornn angekommen
sei.— A.—)
Kolonisirnng von Nord-Australien. Wir haben wiederholt
darauf hingewiesen, daß die Australier große Erwartungen von
den jüngst von Landsborongh, Burke und Mac Kinlay entdeckten
Regionen im Nordosten hegen. Jetzt lesen wir, daß bereits von
verschiedenen Seiten her Ansiedler in Menge mit Familie und
Bich dorthin aufgebrochen sind, selbst aus Victoria und Neusüd-
wales. Da man aber zu dem vermeintlichen Gelobten Lande nur
durch weite Wüstenstrecken gelangt, so hat man der Regierung
vorgeschlagen, zwischen Menindie und dein Coopers Creek eine
ganze Linie von Brunnen zu graben, so daß die Karawanen an
jedem Abend Wasser fänden. An Plänen zur Kolonisaton i 111
Norden ist kein Maugel, entschieden wurde jedoch noch nichts.
Inzwischen sind aber schon Privatleute auf eigene Hand dorthin
gezogen, manche haben freilich ihre Voreiligkeit mit dem Tode ge-
büßt; sie sind vor Durst verschmachtet, und andere wurden von
den Eingeborenen ermordet. ^
Die Lokalregierung hat sich bereit erklärt, einen Theil der
Kosten zur Gründung einer Niederlassung am Kap Jork,
unweit der Torresstraße, zu tragen und zwar unter folgenden
Bedingungen: — Der Gouverneur von Queensland hat Ort und
Stelle auszuwählen. Die Centralregiernng stellt eine Abtheilung
Seesoldaten und ein Fahrzeug zum Schutz der Kolonie für die
ersten drei Jahre. (— Sie hat sich dazu bereit erklärt —•.)
Zwischen der neuen Niederlassung uud Brisbane, derHauptstadt
von Queensland, soll eine Verbindung aus dem Seeweg unter-
halten und zu diesem Zweck iu Port Denison ein Kohlendepot
angelegt werden. Anch giebt die Regierung 1500 Pfund Sterling
zur Errichtung der nöthiaen Gebäude. Die Kolonie Queensland
stellt einen Landkommissarins und die Krone einen Polizeibeamten.
Fortschritt der Ansiedelungen auf Nen-Kaledonien. Frankreich
weiß deu Werth dieser Jusel vollkommen zu würdigen und macht
Anstrengungen, dieselbe zu heben. Die Zeit wird lehren, ob die
Franzosen dort die bekannte Thatsache Lügen strafen, daß sie auf
das Kolonisiren sich nicht verstehen. An gutem Willen fehlt es
nicht, und die neuesten Vorgänge liefern wieder deu Beweis dafür.
Gouverneur ist der bekauute Seefahrer, Kapitän Guillain. Im
vorigen Sommer brachten zwei Kauffahrer aus Sydney nach
Port de France, wo der Kern der Niederlassungen sich befindet,
eine Anzahl von Einwanderern und eine Anzahl Anderer wurde
demnächst erwartet. Au der üppigen Fruchtbarkeit des Bodeus
kann man nicht zweifelu; mehrere Arten von Zuckerrohr sind auf
der Insel einheimisch und dienen den Eingeborenen, welche fast
den ganzen Tag über Zuckerrohr kaueu, zur Nahrung. Neu-
Kaledonien kann für die Erzeugung von Zucker wichtig werden,
und wird für diese Waare iy Australien stets einen nahen und
sichern Absatzmarkt haben. Ob auch der Weinstock so gut gedeihen
werde, ist wohl noch die Frage.
Am 14. August kam die Kriegsfregatte Isis aus Frankreich
nach Port de France. Sie hatte am Bord 233 Gendarmen,
Artilleristen, Soldaten, Matrosen und Militärsträflinge, daneben
auch mehrere Handwerker. Sie brachte anch vielerlei Sämereien,
Pflanzen uud Thiere. Vom Kap hatte sie Constantia-Reben und
etwa ein Dntzend Schafe und Böcke mit Fettschwänzen geholt; von
Reunion brachte sie Feldhühner, Wachteln, fünfzig Landschild-
kröten, zwei Axis (indische Hirsche) und mancherlei Pflanzen mit.
Man will eine Musterplautage anlegen.
Japanische Kolonisation. Die Regierung des japanischen
Kaisers will verhindern, daß die in der Nähe ihres Reiches liegen-
den kleinen Eilande, welche sich etwa zn europäischen Ansiedelungen
signen, nicht in die Hände der Fremden fallen. Deshalb hat sie
im Jahre 1862 die bisher weuig beachtete Insel Ogasawara,
„welche südlich von uuserm Reiche liegt," iu Besitz genommen nnd,
was bemerkenswert!) erscheint, weil es neu ist, den Staaten, mit
welchen Japan Verträge abgeschlossen, über diesen Schritt amt-
liche Mittheilungen gemacht. In derselben sagt sie, daß die Fahrt
uach jener Insel in der letzten Zeit gehemmt worden sei, aber jetzt
„haben wir den Midsuuo Tsikngono Kami, Gouverneur unserer
ausländische Angelegenheiten, und den Metsnke (Aufseher) Hatstoli
öil Asi, dorthin gesandt und unsere Beamten dort eingesetzt, um
191
die Kolonisirnng wieder zu bewerkstelligen. Uud von nun an sollen
nicht nur Brennholz, Wasser und Lebensmittel, sondern auch Stein-
kohlen uud andere nothwendige Artikel auf der Insel vorhanden
sein, um für den Gebrauch der Schiffe zu dienen, welche künftighin
in der Nähe der Insel fahren."
Einwanderung in die La Plata- Staaten. Nach mehr-
jährigem Bürgerkrieg ist endlich seit August die Ruhe iu der
Argentinischen Conföderation wieder hergestellt und General
Mitre einstimmig zum Präsidenten erwählt worden. Die Nach-
richten vom Anfang Oktobers melden, daß die Silberminen in der
Provinz San Juan einen reichen Ertrag geben. Die Regierung
begreift, daß sie das Land nur dann rasch emporbringen kann,
wenn sie fleißige Einwanderer in dasselbe zieht, und die kläglichen
Verhältnisse in der Danke?-Union werden wahrscheinlich dazu bei-
tragen, einen Theil der Answandernngslustigeu vou Nordamerika
abzulenken. In den Plataländeru finden sie jedenfalls eiu ebenso
gesundes Klima und gar keinen Steuerdruck, der von nun an in der
Nordunion eine große Rolle spielen wird. Wir lesen im Börsen-
berichte der Times vom 24. November, daß der Kongreß von
Bueuos-Ayres ein Gesetz gegeben hat, demgemäß jedem Ansiedler,
welcher den Acker bebauen will, eine Strecke Landes verabfolgt
werden soll. Ein Frankfurter Handelshaus, Werner und
Kompagnie, habe mit der Regierung einen Vertrag über die
Ansiedelung von zehn tan send Familien ans Deutschland
abgeschlossen, dessen nähere Bestimmungen wir noch nicht kennen.
Solchen Ansiedlern, welche Baumwolle baueu wollen, werden
Ländereien am Rio Salado zur Verfügung gestellt. Der Bericht
sagt, iu jener Region sei die Baumwollenstaude einheimisch.
Die Mormonen im Utah - Gebiete. Sie haben im Oktober
eine große Ackerbau- und GeWerbeausstellung in Great
Salt Lake City gehalten, über welche die dort anwesenden „Heiden"
in nicht geringes Erstaunen geriethen, während die „Heiligen"
nicht ohne Stolz auf die Ergebnisse ihrer Betriebsamkeit hin-
blickten. Sie lieferten den Beweis, was fleißige Menschen aus einer
Wüstenei zu machen vermögen. Allerdings hat ihr Gebiet manche
fruchtbare Strecken, uud diese geben überall, wo Bewässerung an-
gewandt werden kann, reichen Ertrag. Das ausgestellte Obst
war, von den Trauben abgesehen, so gut wie jenes in Kalifornien,
die Getreidearten ließen nichts zu wünschen übrig, und die Weizen-
ernte war so reichlich ausgefallen, daß sie für die Gesammt-
bewohner am Utah auf zwei Jahre ausreicht und obendrein anch
die durchziehenden Auswanderer vollauf versorgt werden können.
Sehr zufrieden find die Mormonen mit ihrem Tabak und Hanf;
auch Proben von Baumwolle und Baumwollenzeugen waren auf
der Ausstellung. Sie zählen eine große Menge kräftiger Hand-
werker unter sich, die aus allen nördlichen Ländern Europas ge-
kommen siud, iusbefoudere haben sie tüchtige Maschinenbauer.
Die Ausstellung dauerte zehn Tage. Das Volk ist mit Brigham
Uvung's Regierung durchaus zufrieden und bewies das iu einer
für die Mormonen charakteristischen Weise. Man faßte nämlich
den Beschluß, daß Uoung die Leitung über die gesammten Arbeits-
Verhältnisse haben solle, damit eine richtige Ausgleichung in der
Arbeit stattfinde und die Hilfsquellen methodisch entwickelt würden.
Bisher hat jeder Einwanderer auf eigene Haud uud uach Gut-
dünken Ackerbau getrieben, und so kam es, daß an manchen Ge-
treidearten Uebersluß war, während es an anderen fehlte. Künftig
soll Uonng sagen, wer Baumwolle oder Flachs, Weizen ?c. bauen
solle.
Sklavenhandel an der Ostknste von Afrika. Trotz dem Ver-
trage. welchen die Engländer mit dem Jmam von Sansibar ab-
geschlossen haben, nimmt dieser schwarze Handel in jenen Gegenden
ununterbrochenen Fvrtgang. Nicht mit Unrecht machte man ihnen
bisher den Vorwurf, daß sie zwar an der westafrikamscheu Küste
eiue beträchtliche Anzahl von Kreuzern unterhielten, aber die öst-
liche Seite vernachlässigten. Wie viel Arbeit es dort giebt geht
aus der Thatsache hervor, daß die Dampfslup Ariel binnen zwölf
Monaten nicht weniger als 20 arabische Dhaus aufgebracht hat.
Einige dieser Schiffe hatten 54, 82, einige sogar bis zn'lOO Sklaven
au Bord. Der Kapitän des Ariel brachte unter anderen auch eiue
Dhan auf, welche in der Einfahrt zum Hafen von Sansibar
Sklaven geladen hatte, und diese Frechheit wurde noch dadurch
gesteigert, daß der arabische Schiffsführer einen Paß vom Sultan
vou Sansibar vorzeigte. Dieser hatte übrigens dem Kreuzer Er-
mächtiguug gegeben, verdächtige Schiffe in seinen Gewässern zu
durchsuchen; in dem hier erwähnten Falle erklärte er, der Sklaven-
schiffer habe keinen Anspruch auf seinen Schutz, weil er den mit
Großbritannien abgeschlossenen Vertrag verletzt und gegen ein Re-
giernngsverbot sich verfehlt habe. Sein Schiff wurde iu öffeut-
licher Gerichtssitzung als gute Prise erklärt; die Negersklaven
192
Kleine Nachrichten.
brachte man nach den Seychellen und die Schiffsbemannung wurde
auf mehrere aussegelnde Fahrzeuge vertheilt. Aus einem längern
Bericht ersehen wir, daß der Ariel Fahrzeuge bis iu die vom Sultan
abhängigen Häfen verfolgte; eine Sklavendhau zum Beispiel suchte
Schutz in der Nähe Brawas; die Mannschaft rettete sich au's
Land und ließ etwa 100 Sklaven auf dem Schiffe, das iu die
Braudung trieb. Es war unmöglich für die Engländer, dasselbe
zu erreichen: an der Küste standen drohend Schaaren bewaffneter
Eingeborenen. Diese Somal bemächtigten sich dann der Sklaven,
welche von den Engländern nicht gerettet werden konnten. Eiue
andere Dhau flüchtete iu den Hafen vouMombasa uud feuerte
auf die Boote des Ariel, die auch vom Land aus beschossen wurdeu,
aber am Eude den Sklavenhändler doch wegnahmen. Er war zu
Sür (Sohar) am persischen Meerbusen ausgerüstet worden. —
Wahrscheinlich sieht der Im am von Sansibar den Sklavenschiffen
durch die Finger; den Sklavenhandel selbst kann er ohnehin nicht
verbieten, weil derselbe auf das Engste mit den Begriffen der Neger
wie der ostafrikanischen Negroiden und uicht minder mit jenen
der Somal, Gallavölker und Araber verwachsen ist. Der Sultan
hätte gar keine Macht, einem solchen Verbote Kraft zu geben.
Englische Kreuzer werden den abscheulichen Handel wohl stören und
für die Unternehmer gefahrvoller machen, aber ein Eude nimmt
er darum nicht. Uebrigeus wird kaum eiu einziger von allen
Sklaven, welche den Negerschiffen entrissen werden, seine Heimath
wiedersehen; denn die meisten kommen weit aus dem Innern.
Indem die englischen Kreuzer die schwarze Ladung wegnehmen,
haben sie ihrerseits den Profit, daß ihre Besitzungen „schwarze
Lehrlinge" als Arbeiter bekommen, au welchen es fehlt. Der
befreite Neger muß eiue bestimmte Reihe vou Jahren gegen einen
gewissen Lohn arbeiten. Das ist für ihn immerhin ein Glück und
ein Gewinn, denn er wird auf immer der Barbarei entzogen, und
indem mau ihn zur Arbeit zwingt, wird er aus einem unnützen
Wilden, welcher er in seiner Heimath ist, ein mehr oder weniger
nützliches Individuum.
Die normannischen Inseln im Kanal siud jüngst von Austed
und Latham ausführlich geschildert worden. Wir erfahren, daß in
diesem „Kanal-Paradiese" das Leben jetzt beinahe eben so kost-
spielig ist wie iu London, und bei weitem nicht mehr so ruhig
nnd abgeschieden, wie noch vor zehn oder fünfzehn Jahren.
Die Eingeborenen auf Jersey lieben die Esche nicht, und
haben das Sprichwort: Un fern dans un lignage et un frene dans
nn heritage, est un de trop. — Seetaug wird als Dünger und
als Breuuftoff verwandt, uud als Brak bezeichnet: daher das
normannische Barech als Benennung für die Algen, und davon
das englische Wreck. Das letztere bedeutet (f. N. I. Thomas
Englisch-deutsches Wörterbuch, Bremeu 1856) nicht blos ein Wrack,
ein gescheitertes Schiff, sondern auch sogenannte Seetristen, d. h.
allerlei im Meere herumtreibendeDiuge, und insbesondere, Wrack
geschrieben, den Seetang, Fncus. - Auf den Kanalinseln, wo
der letztere vou so großer Wichtigkeit ist, hat mau iu Bezug auf
die Eigenthumsverhältniffe an demselben manche eigenthümliche
Bestimmungen. An einem Feuer vou Vraic sitzt man behaglich,
und Schinken, welche man über demselben räuchert, werden sehr
geschätzt.
Die berühmten Gnernsey-Lilien kamen ursprünglich aus
Japau, uud zwar mit einem holländischen Fahrzeuge, das an der
Insel strandete. Die sogenannten Chanmontel-Birnen er-
reichen eine mächtige Größe. Bei Laporte auf Gnernsey wurde
1849 eine solche ausgestellt, welche 6'/2 Zoll lang, 38 Unzen schwer
war und 14Va Zoll im Umfange hielt. Im Jahre 1861 nahm
man in Bailiffs-Croß, gleichfalls auf Guerufey, vier Birnen von
einein Baume, die zusammen achthalb Pfund wogen.
Noch ein Telegraph durch Nordamerika. Die Beamten der
Hudsousbay-Gesellschaft in London haben beschlossen, von Canada
aus eiue Telegrapheuverbiudnng durch die gauze Breite des Ge-
biets der Kompagnie bis nach Britisch-Columbia, an den gold-
reichen Fraserstrom uud demnach au die Küsten des Großen Oceaus
zu bauen. Die Arbeiten sollen nnverweilt iu Angriff genommen
werden.
Eine Poststraße vom Ural nach Jnnerasien. Die russische
Negierung sorgt unablässig für die Ausdehnung des Verkehrs mit
Jnnerasien und hat dabei'namentlich auch die Gegenden am
Jaxartes in's Auge gefaßt. So meldete im November die zu
Astrachan erscheinende Gouvernemeutszeitung, daß die Reise auf
der unlängst eröffneten Poststraße von Orsk am Ural nach
der Festung Kapaly am Syr-Darja (Jaxartes) nur vier
bis fünf Tage dauere. Die Strecke beträgt 738 Werst, also mehr
als ein h uudert deutsche Meilen! Früher bedurfte man nahe an
zwei Monate, um dieselbe zurückzulegen.
Vom Vorgebirge der Guten Hoffnung. Zwischen Kapstadt
einerseits und den angebauten Bezirken von Malmesbnry, La Perle,
Stellenbosch und Wellington andererseits, liegt eine ziemlich große
Strecke Landes noch ganz wüst. Man ließ sie unbeachtet, weil sie
sehr saudig ist; jetzt hat mau aber ermittelt, daß unter einer
dünnen Sanddecke ein ungemein fruchtbarer Humus liegt, von
welchem mau int Jahre drei Ernten erzielen kann. Der Anbau
hat nun begonnen.
Merkwürdig ist der Umstand, daß aus der Kapkolonie eiue
nicht unbeträchtliche Auswanderung nach Neuseeland be-
gönnen hat. Wahrscheinlich haben die Goldentdecknngen dazu den
Anstoß gegeben.
Der Reisende G. I. Andersson ist von seiner jüngsten Wan-
deruug uach dem Lande der Damara wieder heimgekommen, und
hat einige dieser Wilden mitgebracht. Er hat auch einen kürzern
Weg nach dem Damaraland entdeckt.
Kanal oder Eisenbahn durch die hinterindische Halbinsel.
Schiffe, welche ans dem Bengalischen Meerbnsen nach Hinter-
iudien uud China fahren, nehmen den Weg dnrch die Straße von
Malakka; derselbe würde aber vermittelst eiues Kanals durch die
schmale Halbinsel wesentlich abgekürzt werden. Davon ist seit
Jahren schon oft die Rede gewesen, es scheint aber, als ob man
gegenwärtig die Ausführung des Planes anbahnen wolle. Kanäle
erfordern indessen viel Geld nnd Zeit; deshalb erheben sich
Stimmen dafür, eiue Eisenbahn über die Landenge von
Kran zu legen. Ein Blick auf die Karte zeigt, daß'sie den
schmälsten Theil des Isthmus bildet. Ihr höchster Punkt liegt
nur 75 englische Fnß über dem Meeresspiegel; auf der westlichen
Seite mündet der Fluß Packschang, auf der östlichen dringt
der Meerbusen von Siam tief iu's Land ein. Diese Gegend ist
vor Kurzem durch Kapitän Fräser und den Ingenieur Forlo ug
näher erforscht worden. Diesen zufolge ist sie gesund; bei den
Einwohnern herrscht kein Kastenvornrtheil. Einer Eisenbahn stehen
keine Hindernisse entgegen, sie würde den Weg, im Vergleich zu
jenem durch die Malakka-Straße, um etwa 200 deutsche Meilen
abkürzen.
Italienische Häfen. Kraft des neuen italienischen Zollregle-
ments, welches mit dem 1. Januar 1863 in's Leben tritt, werden
die Häsen von Ankona, Livorno uud Messiua aufhören
Freihäfen zu feiu.
Die Schisfsahrt Gennas nnd die Handelsbewegung dieses
Platzes siud im Zunehmen. Im Jahre 1861 belief sich die Hafen-
bewegung anf 8993 Schiffe mit einem Gehalt von l,985,710
Tonnen; der einheimische Handel wurde vermittelt von 7242 Fahr-
zeugen mit 1,068,726 Tonnen. Dabei ist freilich jeder Kahn mit-
gerechnet, so oft er ein- nnd auslief. Aber Genna ist im Auf-
schwünge; namentlich hat die Dampfschifffahrt iu deu letzten
Jahren bedeutend zugenommen; neue Dampferlinien, nach Spa-
ntett, deu Niederlanden und Holland, sind eröffnet worden. Der
Einfuhrhandel steigt durch die vermehrte uud erleichterte Verbiu-
dnng mit dem Hinterlande. Wir wollen hinzufügen, daß die
Schiffe wegen Mangels an Rückfracht zum größten Theile wieder
in Ballast versegeln müssen.
Das Sorgho - Zuckerrohr ist iu Amerika schnell iu Aufnahme
gekommen. Wir fanden darüber folgende Notiz in der zn St. Louis
iu Missouri erscheinenden „Westlichen Post" vom December 1861:
Chinesisches Sorgho-Zuckerrohr, das iu Missouri
uud Illinois noch so wenig Eroberungen gemacht und Hoffnungen
erregt hat, ist für Iowa nahe daran, ein Stapelartikel zu werden.
In allen Conuties, wo mau eiueu Versuch damit machte, gerieth
es über alle Erwartungen gnt. Man berechnet jetzt schon, daß das
Jahr über durch die Sorghum-Zucht dem Staate nicht weniger
als 1 Million Dollars an' Einfuhr erspart wird. Eine Million
Dollars in dieser Weise erspart, ist aber gleich zwei Millionen,
welche der Staat ans dem Zuckerrohr geerutet hat. Dabei steht
mau iu Iowa immer noch aus dein Versuchs st adium. Es
dürfte daher uach dem bisherigen Gelingen das nächste Jahr wohl
der doppelte Betrag in Zuckerrohr angelegt werden. Der aus
dem Znckerrohr in Iowa erzielte Syrup kostet durchschnittlich 50
bis 60 Ceuts per Gallone.
Herausgegeben vou KarlAndree in Leipzig. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildbnrghausen.
Verlag des Bibliographische» Instituts in Hildbnrghausen. — Druck von C. Grumbach iu Leipzig.
Schilderungen nns Venedig.
Zweiter Artikel.
Der Dogenpalast.— Charakter der Bauart. — Die Senfzerbriicke und die Hinrichtungen tut Kanal Orfano. —- Das Arsenal.—
Betrachtungen über den Verfall von Venedigs Haudelsgröße. —- Der Umschwung im Verkehr. — Palazzo Foscari. — Die letzten
der Familie Foscari. — Wohnhäuser berühmter Männer. —
Aus der Taufkapelle der Markuskirche gelangt man umgeben zugleich von aller Pracht der Künste und allem
unmittelbar unter die schöne Porta della Carta, ein Luxus des Wohllebens, aber auch von allen Schrecknissen,
Meisterwerk Bartolommeo's aus dem Jahre 1439. So welche unzertrennlich sind von Tortur, Marterwerkzeugen,
berühren sich die Kirche, in welcher Gott verehrt wird, und geheimer Angeberei, einer erbarmungslosen Polizei, unter-
der Palast, in welchem die Gerechtigkeit wohnen sollte, un- irdischen Kerkern, in welchen jede Hoffnung begraben war
mittelbar, und das war auch völlig entsprechend der ge- und in die kein Lichtstrahl siel.
Äin Pcilc
heinmißvvllen Regierung, in welcher der Rath der Zehn und
die drei Staatsinquisitoren ihre unabänderlichen Urtheile
fällten. Diese galten für unfehlbar-; eine Berufung war
nicht möglich. Die Kirche hat ihre Kapellen, der Palast
seine Gefängnisse; der Richter hatte den Henker zur Hand.
Und der Herzog, welcher in diesem Palaste thronte, war
Globus für 1863. Nr. 31.
Foscari.
Dieser Palazzo dncale, der Dogenpalast, macht
aus deu Beschauer einen zugleich großartigen und an-
muthenden Eindruck. Die Mauern erinnern au eine Festung
oder Burg; die in spärlicher Menge angebrachten Fenster
sind eng und lassen nichts vom Innern ahnen; das Ganze hat
etwas von einem morgenländischen Sera'i. Die eine Seite
25
194 Schilderungen
des Vierecks liegt der Kirche gegenüber, die zweite stößt an I
die Piazzetta, die dritte auf das Meer, die vierte ist nur
durch eiuen schmalen Kanal von den Kerkergebäuden ge-
trennt und mit ihnen durch die zwischen Himmel und Erde
geschlagene Seufzerbrücke verbunden.
Der Palast hat ein Gepräge, das zugleich an drei
Welttheile gemahnt: an Europa, Asien und Afrika. Wir
sehen zunächst eine Reihe von Spitzbogengängen, mit
Säulen, die keine Basis, aber gewaltige Kapitäle haben.
Der Bogengang dient als Stütze für eine zweite Kolonnade,
deren durchbrochener Fries wieder die aus rofenrothem und
weißem Marmor aufgeführte Palastmauer trägt. Dieser
so zu sagen lichte und offene Theil, auf welchem das Volle
und Massive ruht, bildet zu dem letztern einen um so mehr
wirksamen Gegensatz, da das Licht, wenn es ans die massiven
Theile fällt, die Söller, die Bogen und Verzierungen nur
noch viel schlanker erscheinen läßt. An diesem wunderbaren
Bauwerke wird das Massive vom Leeren und Luftigen ge-
tragen. Es scheint fast, als habe Caleudario, der dieses
Meisterwerk schuf, einen Versuch macheu wollen, alle Ge-
setze der Statik unbeachtet zu lassen, denn er gab den ge-
waltigen Massen, welche den Winkel, die Ecke des Palastes
bilden, weiter nichts zum Stützpunkt als eine einzelne
Säule. Die Söller sowohl wie die Skulpturen an den
beiden großen Fenstern, welche nach der Piazzetta und nach
der Riva hinausgehen, sind Arbeiten Sansovino's.
Diese Steine sind in der That sprechende Denkmäler
und erinnern an alle berühmten Namen Venedigs, der
Dogen sowohl wie großer Künstler: Falieri, Morosini,
Foscari, Sansovino, Bittoria, Tintoretto, Paul Verouese.
Der innere Hofraum entspricht der Großartigkeit der
Außenseite nicht: dort rennen alle möglichen und ganz ver-
schiedenen Style, arabisch und gothisch, Renaissance und
Zopf, wirr gegeneinander. Die, nach zwei kolossalen Stand-
bilderu des Neptun und Mars, sogenannte Niesentreppe
tritt in den viereckigen Hofraum hinaus, gleich einer an die
Wand gelehnten Leiter, und führt zu einer offenen Galerie,
iu welcher auch die Scala d'oro, die goldene Treppe,
ausläuft und vermittelst deren man zu den großen Sälen
gelangt. Dort aber findet man einen wahren Schatz von
Herrlichkeiten beisammen: Stukkaturen von Vittoria, Ge-
mälde von Paul Verouese, antike Marmorwerke, Thüren,
Karnieße und Decken von geschnitztem und vergoldetem
Cedernholz, Mosaiken von kostbarem Gestein, prächtiges
Gegitter, großartige Herde, herrliche Rahmen. Das Alles
ist dort beisammen, nicht wie in unseren Sammlungen und
Museen, die oft deu Eindruck machen, als wäre man in
einem Spital untergegangener Civilisationen; sondern die
Künstler alle haben genau gewußt, was sie wollten, was
paßte und ziemlich oder hierher gehörig war, damit ein har-
monischer Eindruck aus dem Ganzen hervorquelle. Darum
empfindet der Beschauer auch keine Ermüdung; nirgends ist
etwas überladen.
Solch einen Eindruck des Ruhigen und Harmonischen
macht denn auch, bei aller Großartigkeit, der Saal der
Ambassadoren mit seinen fünf herrlichen Bildern von
Tintoretto und Paul Veronefe und dem herrlichen Herde,
der nicht weniger als zehntausend Goldthaler kostete.
Scamozzi hat ihn nach Titian's Zeichnungen gearbeitet.
Die beide» Säulen aus Verdautik, welche die Eingangsthür
zum Rathssaale stützen, sollen, der Sage znfolge, aus
Salomou's Tempel herrühren.
Ein anderer Saal ist von Antonio da Ponte und
Compagna unter Paul Verouese's Leitung verziert
worden. Dort sieht man noch den Sitz des Dogen mit
niedergedrückten Kissen und zu beiden Seiten die Sitze der
aus Venedig.
Senatoren. An diesen Saal stößt jener, in welchem der
Rath der Fünfhundert sich versammelte; an dem prachtvollen
Plafond haben die größten Maler und Bildhauer gearbeitet.
Damals trieb man die Kunst uoch nicht als ein Abstraktes,
nicht die Kunst lediglich der Kunst wegen, wie man sich
heutzutage ausdrückt, sondern sie sollte einen Zweck haben,
sollte geeignete Anwendung finden. Der Künstler spielte
nicht deu vornehmen Mann, der manche nützliche Dinge
als unter seiner Würde erachtet. Jene großen, nnüber-
trosfenen italienischen Künstler gingen in die Werkstätten, in
denen Stoffe, Waffen, Juweliersachen, Glaswaaren, Hans-
geräthe und dergleichen mehr gearbeitet wurden, gaben
guten Rath, vermittelten den Arbeitern das Verständniß
der Kunst und überwachten mit lebhaften! Interesse solche
Werke und solche Arbeiter, bei denen es sich der Mühe ver-
lohnte. So wirkte ihr Talent ersprießlich auch in weiteren
Kreisen, und was hat die Kunst dabei gewonnen!
Aus diesem Prachtsaale kommt man anf die Seufzer-
brücke. „Wer sie betrat, ließ jede Hoffnung schwinden!"
Man kann sich keinen schärfern Gegensatz denken. Diese
Brücke führte in die Staatsgefängnisse, also— denn das ist
gleichbedeutend— in den Tod. Da, wo sie beginnt, liegt
auch der Sitzungssaal der Staatsinquisitoren; eine mit Pol-
stern ausgekleidete Thür trennte die Richter von den Henkern.
In jenem Zimmer, an welches sich so viele gräßliche und eut-
schliche Erinnerungen knüpfen, saßen die drei Männer, in
deren Händen das Geschick Aller lag, welche der Republik
angehörten. Der Rath der Zehn hielt seine Sitzungen
nur bei Nacht; seiue Mitglieder hatten Masken vor dem
Gesicht; Alles war geheim, die Richter selbst sollten ein-
ander nicht kennen.
Die Seufzerbrücke aber, mit ihren kleinen Fenstern
von gegittertem Marmor, erfüllte die Veuetiauer mit größerm
Schrecken, als jetzt ein Blutgerüst auf freiem Platze ver-
möchte. Manchmal sah man Abends oder in später Nacht,
daß rother Lichtschein durch die Fensteröffnungen fiel. Wer
diesen Schein des Todes gewahrte, dem zog ein kalter
Schauder durch die Glieder und er bebte bis in Mark und
Bein hinein. Und wenn eine Barke mit rothem Licht in
den engen Kanal hineinfuhr, dann eilte jede andere Gondel
rasch von dannen, und keine hätte gewagt, der geheimniß-
vollen Barke zu folgen. Verloren, dem Tode geweiht war
der Mann, welcher jene Brücke überschritten hatte; die kleine
Pforte unter derselben, kaum über Wasserhöhe, wurde ge-
öffnet. Man nahm den Unglücklichen heraus, legte ihn die
Leichenbarke und warf ein Bahrtuch über ihn. Noch ein-
mal sah er den Himmel, an welchem Sterne blinkten; er
athmete nicht mehr den Moderdunst des feuchten Kerkers,
sondern die frische Seeluft; noch einmal sog er den Blumen-
duft aus deu Gärten ein, welchen ein leiser Wind über das
Wasser hinfächlte; er hörte das Plätschern der Wellen, den
Schlag der Ruder; aus der Ferne tönte ein dumpfes Ge-
rausch vom Markusplatze zu ihm hinüber, er vernahm den
Klang der Geigen oder Mandolinen; aber allmälig ver-
schwand das Alles. Die Todtenbarke mit ihrem rothen
Flammenzeichen und ihren maskirten Ruderern snhr lang-
sam weiter, über die Giudecea hinaus, in der Richtung nach
Poveglia hin in den Kanal Orsano hinein. Dort sind
Wasser und Schlamm tief; dort übergab man das Opfer
der Flut. Den Fischern war verboten, in diesem Kanäle
Netze auszuwerfen, und die Polizei trug Sorge, daß dem
Befehle gehorsamt wurde. Die Todtenbarke hielt bei einem
der vielen Pfähle an, welche die Fahrbahn in dieser nassen
Wüste bezeichnen. Auf einem dieser Absteckpfähle befindet
sich auch heute uoch ein Schrein mit einer Madonna, und
dort unterhalten die Gondoliere ein Lämpchen. Vor diesem
Schilderungen
Schrein sprach der dem Tode Verfallene sein letztes Gebet.
Die Henkersknechte banden ihm Steine an den Hals und
versenkten ihn; der Oberhenker schrieb beim Leuchten der
rotheu Flamme die Einzelnheiten der Hinrichtung in ein
Buch. DieVenetianer waren „Christen" und „civilisirte
Lente".
Der Saal, in welchem der Große Rath seine Sitznn-
gen hielt, ist der größte in der Welt, 154 Fuß laug,
75 breit und 45 hoch. Gegenwärtig werden kostbare Bücher-
auö Venedig. 195
An dem schönen Fenster des Balkons, einem Werke
des Tnllins Lombardo, stand die Gemahlin des Dogen, um-
geben von ihrem Hofstaate, wenn am Himmelfahrtstage (der
Senza) der Doge auf dem Bncentanro seine Vermählung
mit dem Adriatischeu Meere feierte. Gegeu Mittag wurde
das Schiff von deu berühmten Arfenalloti ans dem
Arsenale hinausgerudert. Dieser Buceutauro war vergoldet,
das Takelwerk umwand man mit Blumen, sein Spiegel
trug ein Standbild der Gerechtigkeit. Wenn der Doge am
Scala d'oro int
schätze in ihm aufbewahrt. Auf der einen Seite befindet
sich die berühmte Glorie des Paradieses von Tintoretto, der
auf diesem Gemälde mehr als zehntausend Figuren zu-
sammeugedräugt hat. Das ist ein Kraftstück, welches über
die wahre Kunst hinausgeht. Das Karnies wird von Por-
träts der Dogen eingenommen. Den fünfzigste Nahmen ist
ohne Bild, hat aber die Inschrift: „Hier ist die Stelle für
Marino Falieri, der seiner Verbrechen wegen enthauptet
wurde."
Dogenpalast.
Ufer vor dem Palazzo dncale eingestiegen war, fuhr der
Buceutauro weiter bis zum Lido, wo das eigentliche Meer
beginnt. Er trug den goldenen Herzogsmantel und die
gehörnte Dogenmütze (Corno dncale), und warf dann, als
Symbol der Vermählung mit dem Oeean, einen Rjug,
dessen Edelstein ein Sapphir war, in die Fluten. Währ end
der Feierlichkeit donnerten die Kanonen vom Arsenal bis
znin JL'tbo; dann wurde der Buceutauro, welchem alle Gon-
delu der Siguoria folgten, wieder nach dem Palaste zurück-
25*
Schilderungen aus Venedig. 197
Land- und Seekrieg aufgespeichert; auf den Werften baute
man die größten Schiffe, welche das Mittelalter kannte,
wenn man einzelne große Kriegsfahrzeuge der deutschen
Hansa ausnimmt (— diese brachte zuerst Kanonen ans die
Schiffe; die übrigen Völker machten uns Deutschen das erst
nach —); vou dort stachen sie auch Vollständig ausgerüstet
und mit dem Rufi „Es lebe Sauct Markus!" iu See,
und fuhren zwar nicht „bis an's Ende der Welt", aber bis
iu die fernsten Häfen des Mittelländischen Meeres. Venedigs
Handelsmacht in Europa. Sie hatten dreihundert Kriegs-
schiffe und fechs und dreißigtausend Seeleute. —
Man nimmt gewöhnlich an, daß Venedigs Neber-
macht und Handelsgröße inVerfall gerathen seien
in Folge der Entdeckung Amerikas und seit der Auffindung
des Seeweges nach Ostindien durch die Portugiesen. Auch
gerudert. Abeuds wurde das Schiff glänzend beleuchtet und
am andern Tage wieder in's Arsenal unter sein Schutzdach
zurückgebracht.
Dieses Arsenal, die Darsena, war einst weltberühmt,
und erinnert an die Seemacht der Venetianer in den besten
Tagen der Republik. Es nimmt eine Fläche von zwei ita-
lienifchen Miglien ein, und das ungeheure Magazin wird
durch Bastionen und mächtige Mauern geschützt. Dort
war iu gewaltiger Menge Bedarf uud Vorrath für den
Palcizzo Ferro,
Macht war durch die Kriegsflotte bedingt. Schon seit 558
spielte diese Republik eine wichtige Rolle auf dem Meere;
fiebenzig Jahre vor Karl dem Großen hatte es Arsenale,
geschickte Schiffsbaumeister uud große Fahrzeuge; mit Hülfe
derselben eroberten die Venetianer das stark befestigte Na-
venua. Im neunten Jahrhundert hatten fie Dreimaster,
welche man früher nicht kannte, und machten sich iu Dalma-
tien, im byzantinischen Reiche und bei den Saracenen ge-
fürchtet. Dann waren sie Jahrhunderte lang die erste
198
Schilderungen
aus Venedig.
Alfred von Beaumont schließt sich dieser Ansicht an. Ge-
wiß waren beide Thatfacheu von großem Einfluß auf die
Blüte der italienischen Handelsstaaten überhaupt, aber sie
allein erklären den Verfall nicht. Manche politische Ver-
Hältnisse, insbesondere auch die aristokratische Verknöcherung
Venedigs, fallen dabei schwer in's Gewicht. Es kamen auch
uoch andere Verhältnisse hinzu, die gewöhnlich übersehen
werden, welche aber für die Handelsgeschichte von Beden-
tnng sind. Ich will darüber einige Andeutungen geben.
Im Mittelalter waren es vorzugsweise die Venetiauer,
von welchen Europa mit den Erzeugnissen Indiens, über-
Haupt des fernen Orients, versorgt wurde. Aber sie waren
nur Zwischenhändler und konnten auch uichts anderes
sein, weil ihre Seefahrten nicht über das Mittelmeer hin-
ausreichten, und alle indischen Maaren an die Küsten des-
selben auf weitem Landwege oder über das Rothe Meer zu
deu mediterraneischen Häsen gebracht wurden. Die Vene-
tianer waren außer Stande, diese Güter aus deu Erzeu-
gungsländern selbst abzuholen; in und am Mittelmeere
hatten sie eroberte Besitzungen, aber eigentliche Kolonien be-
saßen sie nirgends. Als Handelsleute waren sie Aufkäufer;
es lag gar uicht iu ihrer Macht, den Handel zu lenken und
zu leiten, ihm seine Bahnen vorzuschreiben. Sobald Ver-
Hältnisse eintraten, welche die Venetiauer uicht beherrschen
konnten, mußte ihre U ebermacht schwinde». Und so geschah
es anch.
Schon seit der Mitte des neunten Jahrhunderts und
bis weit in die Zeiten der Kreuzzüge hinein waren die Sa-
racenen vorherrschende Seemacht von den Küsten Syriens
und Aegyptens bis zur Straße von Gibraltar. Sie ge-
boten entschieden im südlichen Mittelmeere. Venedig hatte
im Adriatischen Meere keinen Nebenbuhler und überflügelte
außerhalb desselben anch die Genuesen; es hielt ferner
Stand gegen die Araber, mit welchen es Verträge abschloß.
Nur durch diese war es ihm möglich, indische Erzengnisse
zn kaufen, und es verkehrte mit den Mohammedanern,
allen päpstlichen Verboten und Bannbullen zum Trotz.
Der Handel mit den Ungläubigen trug uicht wenig dazu
bei, in die veuetiauische Gewerbsamkeit Schwung zu bringe«
und den Reichthum der Stadt zu befördern. Die Vene-
tianer führten den Arabern, namentlich jenen in Syrien
und Aegypten, Damaste, Zeuge überhaupt, Goldfäden,
Glasperlen, weiße Sklave«, Kupfer und Messing, Zinn-
ober und viele andere Maaren zu, welche dann von den
Arabern über das Morgenland und bis nach Indien hin
vertheilt wurden. Zwar unterlag der Verkehr im Oriente
schwerem Zolldruck, und alle Bestrebungen der Venetianer
konnten denselben nur theilweise mindern; aber Venedig
schlug diese Zölle auf die Maaren, welche das übrige
Europa um deu Betrag jener Abgaben thenrer bezahlen
mußte.
Ohne diesen Zolldruck und ohne das geradezu
widersinnige und barbarische Verfahren der
Türken, welche seit 1 526 im Besitz Aegyptens
waren, hätte der Maarenzng aus Indien über
das Rothe Meer noch eine geraume Zeit einen
großen Theil der frühern Bedeutung sich be-
wahren können. Er wurde aber lahm gelegt durch die
stupide Blödsichtigkeit der Osmanen, die nicht einmal ihren
eignen Vortheil verstanden.
Die Venetiauer begriffen sehr Wohl, was für sie auf
dem Spiele stand, und überwachte» schon in der zweiten
Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts mit Eifersucht alle
Schritte der Portugiesen, welche sich regten und einen An-
theil aiu indischen Handel für sich haben wollte». Sic
trachteten dahin, die indischen Maaren ohne Vermittlung
der Araber oder Venetianer zu bezieheu. Aus diesem Grunde
machte Columbus seine bekannten Vorschläge gerade dem
portugiesischen Hofe. Der große Genuese dachte ja nicht
daran, auf westlichem Wege »eue Länder zu entdecken; er
wollte nur auf eiller direkten Meeresbahn nach den Gewürz-
ländern Ostasiens fahren. In Lissabon begriff man ihn
nicht; man gedachte die Vortheile auf anderm Wege ge-
Winnen zu können, und deshalb sandte König Johann 1487
zwei portugiesische Edelleute, welche der arabischen Zunge
mächtig waren, in die „Sarazenenländer", um Bericht über
dieselben zu erstatten. Beide kamen bis Aden; von dort
giilg der eine nach Abyssinien, um hier deu vielbesprochenen
Priester Johann zu suchen, der andere gelangte »ach Indien
und verweilte auch eiue Zeit lang zu Ormüs int persischen
Meerbusen. Ein paar Jahre später umsegelte dann Vasco
da Gama die Südspitze von Afrika und fand den Seeweg
nach Indien.
Seit jener Zeit kämpften Portugiesen und Moham-
medaner um den Besitz des indischen Handels; Jene folgten
Diesen bis in den hinterindischen Archipelagns und kamen
bis zu den Molukkeu, der klassischen Heimat der Werth-
vollen Gewürze. Bei ihrem östlichen Handel leistete ihnen
das Silber, welches ans dem fast gleichzeitig entdeckten
Amerika schon tut ersten Viertel des sechszehnten Jahr-
Hunderts durch die Spanier in großer Menge nach Europa
kam, erheblichen Vortheil. Mo die Portugiesen nicht
rauben konnten, und das thaten sie am liebsten, dort mußten
sie baar zahlen.
Die christlichen Venetianer hatten inzwischen gemein-
schaftliche Sache gemacht mit den Mohammedanern gegen
die christlichen Portugiesen, denn die Handelseiferfncht
kannte keine Bedeute«. Sie lieferten den „Sarazenen"
Kriegsbedarf »»d gössen ihnen, sogar in Indien, Kanonen.
Als man in der Lagunenstadt erfuhr, daß die Portugiesen
zur See nach Indien gefahren seien und von dort Schiffs-
ladungen mit Gewürz heimgebracht hätten, sähe» kluge
Staatsmänner die Gefahr und rietheu zu kräftigem Ein-
schreiten. Im Senate wurde entwickelt, daß der Weg über
das Rothe Meer den Wettbewerb mit dem atlautifcheu
Seewege wohl bestehen ititb daß man auch i» Zukunft die
Waaren billiger liefern könne, als die Portugiesen es ver-
möchten, vorausgesetzt, daß der mohammedanische
Zoll wegfalle. Ja, man dachte an die Wiederherstellung
des alten Kanals, welcher einst aus de»l Nil zum Rothen
Meere geführt habe. Diefe Ansichten waren für jene Zeit
vollkommen richtig, denn bei der UnVollkommenheit der
damaligen Seefahrkunst dauerte eine Seereise nach Ostindien
sechs bis acht Mouate; eine Hin- und Rückfahrt nahm
allemal über eiu Jahr i» Anspruch. Damals war aller-
dings der Weg über das Rothe Meer der kürzere; jetzt, bei
vervollkommneter Schifffahrt, ist er es nicht mehr.
Den Venetianern blieben zwei Auswege, um sich nach
wie vor ihren Hauptautheil am indischen Handel zn sichern.
Der eine bestaud darin, Aegypten für sich zu erobern,
aber dazu fehlte es ihnen an Macht; der Halbmond des
Islam glänzte gerade in jener Zeit am hellsten, und schon
der Gedanke, dem türkischen Sultan das von ihm eben er-
wordene mohammedanische Aegypten wegzunehmen, galt
für verwegen.
Aber nichts hinderte die Venetianer, dasselbe zu thun,
was von Seiten der Portugiesen geschah. Sie waren nicht
minder erfahrene Seefahrer wie diese; weshalb fuhren
sie nicht auch direkt nach Indien? Zwar hatten sie
vom inner« Winkel des Adriatischen Meeres aus einen
weiter» Weg als die Portugiesen von Lissabon, einem
atlantische« Hafen, aus, aber der größere Aufwand an Zeit
wäre gedeckt worden durch Ersparung des ägyptischen Zolles.
Diese Erwägung leuchtete gerade den Portugiesen so sehr
ein, sie erwarteten mit solcher Bestimmtheit ein Vorangehen
Venedigs in diesem Sinne, daß König Emanuel sich geneigt
erklärte, die Venetianer mit einigen Galeeren beim indischen
Gewürzhandel zu betheiligeu und ihnen Privilegien zu ver-
leihen. Aber der alte Geist lebte uicht mehr in Venedig,
der Blick reichte nicht über das Mittelmeer hinaus, das
doch von nun an, dem gewaltigen Oeean gegenüber, wie
eine „Pfütze" war; in der Signoria waltete die irrige An-
sicht vor, daß der neue Handelsweg nicht von langer Dauer
sein könne; auch wollte mau den türkischen Sultan nicht
erzürnen, ihm nicht die Zölle in Aegypten entziehen, nicht
einen Krieg mit dem übermächtigen Padischah sich aufbürden.
Man war kleinmüthig geworden in Venedig. Als sich dann
zeigte, daß die Portugiesen von Jahr zn Jahr mehr Ge-
würze ans Indien nach Europa brachten, daß der neue
Weg nicht wieder verlassen wurde, da erst, aber zu spät,
schlug man den Portugiesen vor, alle indischen Gewürze für
einen bestimmten Preis von ihnen zu kaufen. Man meinte
auch bei völlig veränderter Weltlage das alte Monopol be-
wahren zu können. Aber Portugal gab eine ablehnende
Antwort; der Sultan beschränkte den Handel in Aegypten,
um sein Konstautinopel zum Hauptausfuhrhafen zu erheben;
Venedig wurde iu die großen europäischen Kriege verwickelt;
Kaiser Karl der Fünfte legte auf alle venetianischen Waaren,
die iu feilt ausgedehntes Reich eingingen, doppelte Zölle,
und die einst so stolze Lagunenstadt wurde von einem Schlage
nach dem andern betroffen. Der alte Glanz war dahin,
das politische Siechthum fraß immer tiefer. Als große,
mächtige, einheitliche Staaten sich bildeten, konnte eine
Macht, die eine einzige Stadt zur Grundlage hatte und
deren Gebiet über weite Räume zerstreut war, nur noch
wenig gelten, und nichts ist kläglicher als das Erlöschen
dieser einst so gewaltigen, aber einer völligen Erstarrung
anheimgefallenen Adelsrepublik am Ende des achtzehnten
Jahrhunderts. Das geschlossene große Goldene Buch konnte
Venedig nicht retten.
Nun gilt von der Dogenstadt, was der Dichter (Alfred
Meißner) so schon ausdrückt:
„Der Weg zu ihren Thoren, er ist im Meer verloren,
Durch ihre Gassen fluthet und ebbt die salzige See;
Das Frühlicht, das mit Trauern auf ihren Marnlormauern
Sich täglich neu verblutet, weint Thränen ihrem Weh.
Die Klöster und die Dome, wie Schlösser für Phantome,
Die trauernden Paläste auf Inseln ringsumher,
Die Gassen ltub die Brücken, wo nie ein Roß zu blicken,
Die alten Mauerreste, wie prachtvoll uud wie leer!
Veröden uud vewilderu, — du Moos au Marmorbilderu,
Du blasses Phosphorschimmern, wo eine Leiche ruht!
Meerried cms allen Stufen, Wehlaut iu jedem Rufen,
Ein stillverhaltnes Wimmern, geht durch die ganze Fluch."
„Die Stadt in den Lagunen, sie ist ein Traum von
Stein."
* *
Betrachten wir nns einen der berühmtesten Pracht-
Paläste, den Palazzo Foseari am Großen Kanal. Ge-
rade er giebt ein recht anschauliches Bild des Verfalls von
Venedig, au dem, wir wiederholen es, die Venetianer selber
Schuld sind. Was hilft es denn jetzt, wenn ein Enthusiast
in einem „Italienischen Wanderbuch" ausruft, daß „die
Erinnerung an vergangene Größe lebe", — sie ist ver-
gangen, uud im Staatsleben Venedigs war wahrlich nichts,
das ein Wiederaufleben wünscheuswerth erscheinen lassen
aus Venedig. 199
könnte. Was tobt, ist tobt. Was hilft es auch, wenn „der
Nobile, welcher seinen Ursprung ans Heldengeschlechtern
herleitet, durch die blaue Lagune fährt?" Er, dieser mo-
derne Nobile, thut nichts; er lebt vom Schweiße der Bauern,
die ihm den halben Ernteertrag geben müssen. Und was
soll die hohle Redensart: „Der Löwe von San Marco ist
nicht tobt, er schläft nur!" Em solches Umherwerfen mit
Phrasen, die keinen Sinn und keinen Inhalt haben, macht
leinen guten Eindruck. Die Thatsacheu sind unbarmherzig,
uud das ist auch die Geschichte, welche über das alteVeuebig
längst hinweggeschritten ist.
Doch ber Palazzo Foseari. Die Familie Ginstiniani
ließ ihn zu Enbe bes vierzehnten Jahrhnnberts von dem
berühmten Baumeister Bartolommeo Buouo aufführen.
Ihr gehörte auch ein daneben liegender großer Palast,
dessen Erbauung in dieselbe Zeit fällt. Den erstern ver-
kaufte Bernardo Giustiniani 1428 an den Senat, welcher
mit dem schönen Palaste den Markgrafen von Mantua eiu
Geschenk machte. Einige Zeit nachher kam er wieder in
den Besitz des Staates, welcher ihn an den Dogen Fran-
ceseo Foseari verkaufte. Dieser ließ noch ein Geschoß
aussetzen und seitdem trägt das Gebäude den Namen,
welchen es noch jetzt führt.
Der Palast besteht aus einer Flur zu ebener Erde
uud drei Geschossen. Die Galerien der beiden ersteren haben
Ballone von weißem Marmor und Fenster mit bem Klee-
blatte, ganz iu bem halb saraeenischen, halb gothischen Style;
gerabe in Venedig bilben beibe ein sehr ansprechenbes Ganze.
Der Palast gewährt einen imposanten Anblick und über-
gipfelt bie umliegenden Gebänbe; sie treten vor ihm in beu
Hintergrund». Bei aller Mannhaftigkeit machen doch die
Einzelnheiten den Eindruck des Zierlichen. Palazzo Foseari
ist ein Prachtwerk mit seinen zwei und vierzig Fenstern uud
Thüren an der Vorderseite, seinen Säulen von rothem,
weißem uud schwarzem Marmor, den schön gemeißelten
Kapitalen, den kleinen Säulen und den Löwen an den
Ballonen.
Aber er fällt buchstäblich iu Trümmer. Ganz genau
passen die Verse Alfred Meißner's:
Es gähnen die Portale
Am mächtigen Kanäle.
Jn's schweigende Gewässer
Fällt langsam Stein ans Stein.
Thüren und Glasfenster sind herausgerissen worden, der
Wind zieht durch den Palast, Regen dringt ein, Ratten
wimmeln iu Schaaren, Alles trägt den Stempel der Ver-
Wüstung, so sehr, daß man meinen könnte, im Innern habe
vor Jahren einmal eine Fenersbrnust gewüthet. Wo sind
nun Pracht und Luxus in diesem Palaste, dessen Decken und
Wände von Paris B0rd0ne gemalt waren, in welchem
Titian sechs Jahre gearbeitet hatte, und der Werke von
Tintoretto uud Paul Verouefe befaß! Sie siud fort,
aber die prächtigen Stukkaturarbeiten Vittoria's an Ka-
mitten, Thüren und Plasonds, diese sind noch vorhanden.
Alles ist wüst und öde im Palazzo Foseari. Bean-
mont schildert den Eindruck, welchen man empfängt, wenn
man ihn durchwandert; ich kann bezeugen, daß feine Em-
pfindungen wahr siud, sie übermannten mehr oder weniger
Jeden. Ich war, schreibt er. allein, als ich dieses Gebäude
zum ersten Mate betrat. Seit dem frühen Morgen war
ich durch das labyrinthische Gewirr der vielen engen Gassen
geschlendert, hatte mich auch einige Male verirrt. Aber
darauf kam mir wenig an, denn überall sah ich Neues und
Interessantes, besonders in den Hofräumen. Da stand ich
plötzlich vor einem eisernen Gitterthore, dessen Gewölbe-
200
Schilderungen aus Venedig.
bogen mit seinen Wappen und Skulpturen sich vortrefflich
ausnahm. Diese Thür führte, was in Venedig selten ist,
auf einen weiten Hofraum, der auf zwei Seiten hohe, mit
Zinnen versehene Mauern hatte. So war der Eingang
zum Palazzo Foscari von der Landseite, von der Straße her.
Ich fand alle Thüren offen und ging unter das Atrio,
die Eingangshalle, welche sich bis an den Kanal verlängert.
Gewöhnlich findet man in den öden Hallen der Paläste
einige Gondoliere, welche Schatten suchen. Hier war Alles
bot sich nur zum Cicerone an; er kenne, sagte er, jeden
Winkel des Palastes, und das war allerdings der Fall.
Sein Vater hatte dem Nicolo Foscari als Gondolier ge-
dient; mein Cicerone hatte in diesem Palaste das Licht der
Welt erblickt. Es lebten, wie ich zu meiner Ueberraschnng
erfuhr, noch jetzt Foscari.
Der Gondolier erbot sich, mir die Familienpapiere zu
zeigeu, führte mich in einen leeren Saal, öffnete einen Wand-
schränk und zeigte mir in der That Urkunden des Hauses.
Hofraum im Palazzo Salviato.
Verfall, aber unendlich malerisch und herrlich der Ausblick
auf den Kanal. Auf der Treppe zur Rechten stieg ich zur
ersten Galerie hinauf, deren eines Ende nach dem Hofe,
das andere aus den Kanal hinausgeht. Dort lehnte ich
mich an das Balkongemäuer und war im Sinnen und im
Betrachten wie verloren, als mich ein zerlumpter Gondolier
anredete, ein großer, plumper Gesell mit boshaftem ver-
fchwommenem Blick und rothem Haar, so recht ein Typus
der Banditen, der Bravi, welche in Romanen und Melo-
dramen uns idealisirt geschildert werden. Dieser Mensch
Ein kurzer Ueberblick der Familiengeschichte dieses
edeln Hauses wird den Lesern willkommen sein. Die älteste
sichere Urkunde ist vom Jahre 1297. Die Familie stammt
aus Mestre, kam aber schon im neunten Jahrhundert nach
Venedig, und mehrere Angehörige derselben bekleideten das
Tribunenamt. Im Jahre 1 122, zur Zeit des Dogen Do-
nienico Michiel, wurden Giovanni und Gniglielmo Foscari
in den Rath der Edeln aufgenommen; 1211 machten drei
Foscari den Flottenzug nach Kandia mit. Der erstePatri-
zier in der Familie war Philipp, dessen 1297 erwähnt
202 Schilderungen
wird, als Gradenigo Doge war. Damals wurde das !
„Goldene Buch" geschlossen, in welchem die zur veuetiaui-
scheu Aristokratie oder vielmehr Oligarchie gehörenden Fa-
Milien verzeichnet standen. Zn diesen zählten nun auch die
Foscari. Der letzte Senator aus der Familie war Frau-
cesco. Er hatte zwei Söhne, Nikolaus und Philipp. Der
Erstere war 1732 geboren. Er bekleidete die Stelle eines
venetianischen Gesandten in St. Petersburg, und verans-
gabte als solcher einen großen Theil seines Vermögens;
denn ein vornehmer Patrizier ließ sich seine der Republik
geleisteten Dienste von dieser nicht bezahlen. Im Jahre
1792 wurde er zum Bailli iu Konstantinopel ernannt,
kümmerte sich wenig mit Geschäfte und starb sehr arm am
11. August 1811.
(Sein Bruder Philipp, über dessen Ableben wir nichts
Näheres wissen, hatte zwei Söhne und drei Töchter. T^ie
Faniilie war nach und nach in dürftige Umstände gerathen;
sie besaß weiter nichts mehr als den Palast und einige mit
Handfesten schwer belastete Ländereien. Nun theilten jene
fünf Kinder den Palast unter sich, und um ihr Leben zu
fristen, verkauften sie die Ahnenbilder, die Gemälde von
Titian, Giorgione und Paul Veronese, die Prachttapeten,
die Bilderrahmen uud kostbaren Schnitzarbeiten, welche für
Meisterwerke Brnstolon's galten. Alles wurde aus Raud
und Band gerissen, uud die Juden des Ghetto machten gute
Geschäfte.
Der Erlös aus alleu diesen Herrlichkeiten war gering;
im Getümmel der napoleonischen Kriege dachten wenige
Privatleute au das Aufkaufen von Kunstsachen, und in
Venedig war zu jener Zeit das Geld so rar, daß die Fos-
cari aus dem Verkauf jener Gegenstände sich nur mit Mühe
das Leben fristen konnten. Die Abkömmlinge der stolzen
Dogenfamilie sanken bis auf die tiefste Stufe der Ver-
kommenheit hinab; einige wurden fahrende Komödianten,
andere verkauften ihre Reize für Geld, noch andere sind
ausgewandert und im Palaste blieben nur zwei Töchter zu-
rück. Sie waren so arm, daß sie keine Männer fanden,
und zu rechtschaffne um ehrlos zu werden.
Sie also blieben iu dem Palaste, der nun verödet war;
sie schritten durch die Säle, in welchen ihre Vorfahren
Könige als Gäste und Verwandte der Familie beherbergt
hatten. Da ist zum Beispiel das Gemach, welches König
Heinrich der Dritte von Frankreich, nachdem er heimlich
sein polnisches Königreich verlassen hatte, sieben Monate
laug bewohnte. Eine lateinische Inschrift, welche an diesen
Aufenthalt erinnert, steht noch über dent Kamin. In
dem uach der linken Seite hin gegenüber liegenden Saale
wohnte König Kasimir von Polen mit seiner Gemahlin.
Ich durchwanderte, tief bewegt von so manchen ge-
schichtlichen Erinnerungen, die verschiedenen Ruinen. Da
führte mein rothhaariger Gondolier mich aus einer, vor-
mals geheimen, Treppe vor eine Thür, welche kein Schloß
hatte; statt desselben diente ein Strick. „Wir wollen hinein-
gehen", sagteer; „Sie können sich überzeugen, daß der
Palazzo doch noch nicht ganz verlassen ist; es sind noch Foscari
hier." Ich trat in einen kleinen Saal, dessen zierliches
Schnitzwerk durch deu Rauch einer ärmlichen Küche ge-
schwärzt war; an den Wänden hingen noch Fetzen von
Seidentapeten herab; in den Wänden sah ich noch die
Rahmen, aus denen man die Bilder ohne große Schonung
herausgenommen hatte. Zerbrocheue Töpfe standen und
lagen umher, au Nägeln hingen ein paar Kasserole, und
das Zimmergeräth bestand aus eiu paar wackeligen Stühleu
und Tischen. In einem Nebengemache sah es noch schlimmer
aus , weil dort einige Spuren früherer Pracht übrig waren
und einen schreienden Gegensatz zu dem Elende bildeten.
aus Venedig.
Jammer uud Alter hatten sogar den Sinn für Reinlichkeit
uud Schicklichkeit getödtet. An der Wand hing ein Bild
König Christians des Vierten von Dänemark, der einst
hier gewohnt hat. Die Inden des Ghetto wollten dieses
Bild nicht kaufen, denn aus der Arbeit eiues unbekannten
dänischen Malers war keiu Geld herauszuschlagen.
Und welch ein Dunst und übler Geruch iu diesem
Zimmer! Statt des Bettes lag eiue alte Matratze auf ein
paar Brettern; und es preßte mir das Herz zusammen, als
eine alte, schwarzgekleidete Frau auf mich zutrat uud mich
begrüßte. Das war die Letzte der Foscari!
In einem Winkel saß ihre kranke Schwester, welche
gleich ihr die Siebettzig schon längst überschritten hatte.
Jene Gräfin Foscari machte trotz der Lumpen, iu welche sie
gekleidet war, dennoch deu Eindruck einer vornehmen Dame.
Sie sprach vou dem Mißgeschick ihrer Familie; da fiel ein
Sonnenstrahl ut's Fenster hinein ans die arme alte Foscari.
Die älteste der beiden Schwestern starb bald nachher; der
überlebenden nahm sich eine fremde, edelgesinnte Fran, keine
Italienerin, an, nnd sie gab mir Gelegenheit, das Elend
der Armen zu mildern.
Ein paar Jahre später führte mich der Zufall iu eine
der vielen Calle, engen Gassen, hinter dem Palazzo Foscari,
nnd es siel mir ans, daß ich dort ungewöhnlich viele Leute
traf. Bald nachher erschien die Gräfin Foscari. Sie verließ
an jenem Tage den Palast ihrer Ahnen; die Gläubiger
hatten ihn subhastireu lassen. Die alte Dame vergoß
Thränen, und bald nachher ist sie gestorben. —
(— Den Palazzo Foscari hat dann die österreichische
Regierung angekauft uud vor gänzlichem Verfalle bewahrt;
sie verlegte die Kriegsschule dorthin und hat ihn wieder in
wohnlichen Stand gesetzt. Sie konnte zwar die alte Pracht
uicht wieder herstellen, und diese hätte ja auch unter ganz
veränderten Umständen keinen Sinn gehabt, aber sie ließ
ihn im Innern wie int Aenßern ordentlich Herrichten. —)
So viel vom Palazzo Foscari. Wir wollen noch
einige andere geschichtlich denkwürdige Gebäude betrachten,
und fahren in einen Eanaletto ein, in welchem wir die
Thürme der Kirchen del Carmine und bei Frari erblicken.
Neben der Brücke dei Nomboli oder della Donna onesta,
am Eingange zur Via di Ca Cent'anni steht das Haus, in
welchem 1707 der Dichter Goldoni zur Welt kam. Die
oligarchische Republik war undankbar gegen den ausgezeich-
ueten Mann; die Nobili bekümmerten sich überhaupt nicht
viel um Dichter und Schriftsteller. Die Casa Goldoni ist,
beiläufig bemerkt, ein allerliebstes Muster eines venetia-
nischen Bürgerhauses.
Fast auf Schritt ttnd Tritt werden geschichtliche Er-
innerttngen iu uns wachgerufen, in jedem kleinen Kanal
und Gäßchen, in jedem Atrio oder Cortile; der Künstler
uud der Forscher siudet überall feine Rechnung. Da sieht
man eine Skulptur, welche sofort die Meisterhand verräth,
Standbilder der Venns und des Neptun von vortrefflicher
Arbeit. Wir fahren weiter nnd gelangen an das Hans
des berühmten Reisenden Marco Polo. In der Contrada
San Canciano, an der Stelle, welche man jetzt als Bin
grando bezeichnet, steht noch ein Theil von Titian's Hanse;
au der Calle della pieta erblicken wir die Büste Alessandro
Vittoria's, welcher die goldene Treppe und die schönsten
Säle im Dogenpalaste baute. Auf dem Campo silvestre
wohnte Giorgio Barbarelli, der Giorgione, welcher sein
Hans mit herrlichen Freskobildern geschmückt hatte; jetzt sind
sie verblaßt. Unweit der Kirche del Carmine liegt das Haus
des Mohren Othello, der aber kein schwarzer, dickwulstiger
Neger war, denn einen solchen hätte eine Desdemona nicht
lieben können, das wäre eine widerwärtige Berirrnng des
■
Schilderungen ans Venedig.
Geschmacks und des Instinktes einer edeln weißen Jungfrau
gewesen, sondern ein Maure aus Nordafrika, eiu Mann
aus arabischem Blute mit bräunlicher Hautfarbe.
Wer iu Venedig nur die Kirchen und Mnseen und ein
paar berühmte Paläste besucht, und das thun die meisten
Fremden, erhält nur einen schwachen Eindruck und Begriff
von dein eigentlichen Charakter dieser wunderbaren Stadt.
andere Großmächte Eroberungen herausgegeben hätten; wie
kann man Oesterreich znmnthen, Venetiens sich zu ent-
äußern, das ihm als Äquivalent für das heutige Belgien
abgetreten wurde? Was aus dem Versuch, eine Republik
Venedig herzustellen, werden kann, hat sich iu den Iahren
1848 und J 849 gezeigt. Und aus dem napoleonischen
Vasallenstaate der sich Königreich nennt, kehren die Venetianer,
Wer sich den vollen Genuß verschaffen will, muß längere
Zeit verweilen und alle Gassen und Kanäle durchstreifen;
er wird dann auf manche verborgene Schätze treffen, von
welchen die Reisehandbücher nichts erzählen. Aber Verfall
ist Alles, und was au Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit
vorhanden, ist vorzugsweise das Werk der deutschen Re-
gierung, welche das einst herrenlose Venedig als Entschä-
diguug für den weiland zum deutschen Reiche gehörenden
Burgundischen Kreis erhielt, Wir haben nicht gehört, daß
welche dorthin gewandert waren, in Masse zurück nach der
Lagunenstadt.
Verschwunden sind die Tage, als, gleich lebendiger Sage,
Venedig lichtnmflossen, gelebt in Ruhmesglanz.'
Als Dandolo, der Blinde, hertrieb init gutem Winde,
Mit seinen eh'rnen Rossen, vom Sturme auf Byzanz.
Venedig, nachtgeborgen, für dich giebt's keinen Morgen.
Stirb mit verhülltem Haupte, entthronte Königin!
204 Im Rothen Meer und iin Busen von Aden.
Im Rothen Meer und im Gusen von Ädeii.
Die Bedeutung der Regionen cun Rothen Meer und am Indischen Ocean. — Rivalität der Engländer und Franzosen. — Besitznahme
wichtiger Punkte. — Die Streifziige Heinrich Lambert's. — Die Hafenplätze Zeyla, Tadschurra, Mokka und Hodeida. — Aden. —
Eine abessinische Karawane. — Die eingeborenen Häuptlinge au der Küste. — Ein türkischer Pascha. — Lambert's Ermordung
bei den Muschasch-Inseln. —
Mehrfach haben wir darauf hingewiesen, welche Wich-
tigkeit die Regionen am Indischen Ocean durch den Auf-
schwnng des Verkehrs in unseren Tagen gewinnen. Der
Arabische Golf, dessen nördliches Ende durch eine Eisenbahn
mit Alexandria in Verbindung steht, ist eine vielbefahrene
Post- und Handelsstraße und wird regelmäßig von
Dampfern beschifft. Dergleichen gehen auch iiu Persischen
Meerbusen und auf dem Schat el Arab bis Basra, zu-
weilen auch den Tigris hinauf bis Bagdad. Die Leitung
eiues Telegraphendrahtes am Enphrat hin, dem Gestade
Veludschistans entlang, bis Karratschi unweit der Mündung
des Indus, ist gesichert, und dieses Verkehrsmittel soll im
Laufe des Jahres 1863 dem öffentlichen Gebrauch über-
geben werden. Bei Karratschi laufen die indischen Drähte
zusammen, welche die ganze Halbinsel durchziehen und bis
liegt, und diesen wollen sie nicht aus derHaud geben, sondern
bewachen ihn mit eifersüchtigen Augen. Einen wichtigen
Punkt nach dem andern nahmen sie in Besitz; zuerst 1841
Aden, das sie zu einem „Gibraltar des Ostens" um-
schufen; von dort ans beherrschen sie die arabischen Meere
und den Indischen Ocean. Als der Suezkanal auf's Tapet
kam, eigneten sie sich sofort die Insel Perim au; sie liegt
in der Bab el Mandeb, und ihre Geschütze bestreichen die
Fahrbahn, welche den Ein- und Ausgang zum Rothen
Meere bildet. An der afrikanischen Seite besetzten sie die
Dahlak-Jnseln, welche dem Hasen Massawa gegenüber
liegen; durch diesen verkehrt Nord-Abessinien mit dem
Rothen Meer. Aus Süd-Abessinien kommen Karawanen
nach den beiden Häfen Zeila (Selah) und Tadfchurra; um
diese zu kontrolireu und den Handel auf der Küstenstrecke,
Die Bucht
zu den Reishäfen in Britifch-Barma gehen. Auf dem
Indus und dem Setledsch fahren Dampfer bis in das Herz
des Pendschab hinein, auf dem Ganges bis Allahabad,
und von Madras zieht sich eine Eisenbahn gerade durch die
indische Halbinsel bis an die westliche Küste. Der Handel
Europas mit der ostafrikanischen Küste, namentlich mit
Sansibar, steigert sich von Jahr zu Jahr, und Madagaskar
fängt an in den Vorderdrund zu treten. In Abessinien ist
es, bis auf Weiteres, dem kühnen christlichen Krieger
Theodoros gelungen, ein äthiopisches Kaiserreich wieder-
aufzurichten, und so sicher fühlt er sich, daß er im Herbst
1862 in das Niederland hinabzog, um Takka, eiue jetzt
der ägyptischen Herrschaft unterworfene Region, zu erobern;
auch hat er Absichten auf die Provinz Sennür.
Die Handelshäfen am Rothen Meere stehen unter
der Oberherrlichkeit des Sultans der Osmanen, welcher
Paschas einsetzt. Auch die Häfen an der Westseite des Meer-
bnsens von Aden sind ihm unterworfen, aber an den Ge-
staden Afrikas wie Arabiens sind die Türken verhaßt und
man trägt ihr Joch uur mit Widerwillen. Tatsächlich
herrschen in jenen Gegenden die Engländer vor; ihr plan-
mäßiges Verfahren zeigt, welchen Werth sie darauf legen,
gerade dort einen vorwaltenden Einfluß sich zu bewahren und
denselben immer mehr auszudehnen. Sie wissen sehr wohl,
daß am Arabische» Meere der Schlüssel zu Indien
i Amphila,
welche die Danakil und die Somalbednineu inne haben,
zu überwachen, besetzten sie auch die M u sch asch-Inseln.
Solchergestalt haben sie die wichtigsten Punkte vorweg-
genommen.
Aber Fr a n kr e i ch arbeitet mit Eifer dahin, im Südosten
eine Rolle zu spielen. Die Verbindungen mit Madagaskar,
wo man sich dieDiego-Snarez-Bay abtreten läßt, und
die Besitznahme der Komoro-Jnseln sind nur einzelne
Glieder einer langen Kette. Seit länger als zwanzig Jahren
sind katholische Sendboten am Werke, den französischen
Einfluß zu fördern; auf ihren Antrieb wurden 1839 aus
dem abessiuischeu Königreich Tigre die protestantischen
Missionäre verjagt, welche von England aus dorthin
geschickt worden waren. Die Napoleonische Politik arbei-
tet dem Kaiser Theodor entgegen, welcher den Eng-
ländern freundlich gesinnt ist. König Ludwig Philipp kaufte
einem Häuptling in der Samchara den Hafen von Aid
ab, und später nahmen die Franzosen eine Zeitlang auch die
Bay vou Hamsila (Amphila) in Besitz. Beides hatte
damals keine Folgen, aber man verlor in Paris jene Region
nicht aus deu Augen. Jetzt eben lesen wir in der November-
Nummer der „ Nouvelles Annales des voyages", daß Frank-
reich einem Häuptling der Danakil den Hafen Obok für
50,000 Francs abgekauft habe. Dieser Punkt liegt unter
dein 12. Grade nördlicher Breite, an der Nordseite der Bucht
Im Rothen Meer und im Busen von Aden. 205
von Tadschurra, zwischen dieser Stadt und Ras- (d. h. Kap) ! wohnten, vermissen wir jede großartige Auffassung auch
Bir, und hat guten Ankergrund. ! maritimer Verhältnisse; man nimmt dann und wann eine
Diese Notiz erinnerte uns an die Fahrten und Aben- Art von Anlauf, bleibt aber, wie immer, im Halben stecken
teuer eines gewissen Heinrich Lambert, der fünf Jahre uud leistet wenig.
lang, von 1855 bis 1859, die Häfen im Rothen Meere und Heinrich Lambert war ein Vorläufer für den fran-
am Busen von Aden besuchte, Erkundigungen einzog, mit zösischen Einfluß, ein Bruder jenes Joseph Lambert,
den Häuptlingen Verbindungen anknüpfte, die Eifersucht welcher auf Madagaskar eine Verschwörung gegen die alte
der Engländer erregte und zuletzt bei den Mnschasch-Jnseln Königin Ranovalo anzettelte. Er und Laborde hatten Ida
am 4. Juni 1859 ermordet wurde. Im vorigen Sommer Pfeiffer in dieselbe verwickelt; wir haben in unseren Schil-
ist in Paris (Le Tour du Moude, Nr. 135) seiu Tagebuch, deruugen über Madagaskar ausführlicher davou gesprochen,
vielleicht nicht ganz vollständig, veröffentlicht worden. Unter- ! Nun kommt zu Tage, daß der Kronprinz Nakoto,'der jetzige
nehmende Männer solcher Art, mit etwas abenteuerlichem ' Nadama der Zweite, der „Idealist", in jene Angelegenheit
Anfluge, die für ihren eigenen Vortheil zunächst, dann aber > verwickelt war. Ida Pfeiffer ist elend an den Folgen des
auch zu Gunsten ihres Vaterlandes arbeiten, sind nicht selten Madagaskarfiebers gestorben; aber Laborde ist bei dem
wichtige Vorläufer und bahnen ernsthafte Dinge an. Leuten
dieser Art verdankt England viel, Frankreich nicht minder.
Wir Deutschen aber, obwohl unser Seeverkehr unendlich
mehr ausgedehnt ist als jener der Franzosen, haben leider
keine Regierung, in welcher eine großartige Auffassung
oceauischer Verhältnisse zu finden wäre; wo sie ist,
in den beiden Hansestädten, fehlt die Macht. An kühnen,
unternehmenden Leuten habeu wir geradezu Ueberfluß, aber
sie dienen und nützen anderen Völkern, weil man sie bei uns
uicht zu verwenden weiß. In Wien freilich hat man seit
Brnck's Wirksamkeit ein solches Verständniß, aber es liegt
in der Sache selber, daß Oesterreich hauptsächlich die Levante
in's Auge faßt, und dort siud seine Leistungen auch aller
Ehren Werth. Auch der an Ergebnissen reichen Fahrt der
Novara um die Erde müssen wir niit Ruhm uud Anerken-
nuug erwähnen. In Berlin, wo Humboldt uud Ritter
Narrenspiele, welches jetzt auf Madagaskar aufgeführt wird,
zum „Herzog von Emirene" ernannt worden. Joseph Lambert
war Radama's Gesandter in Paris und arbeitet auf der
afrikanischen Insel für den Napoleonischen Einfluß.
Wir erwähnen aller dieser Dinge, damit der Leser
sehe, um welcherlei Dinge es sich hier handle und welcherlei
Verflechtungen sie haben. Heinrich Lambert's Tagebuch ge-
währt einen Einblick in die zerrütteten Verhältnisse jener halb-
barbarischen Länder, welche, wir wiederholen es, gerade
jetzt von Wichtigkeit sind. Wir wollen aus diesem Tage-
buche Einiges herausheben, uud dasselbe aus anderen
Quellen, namentlich aus Burton's Reise nachHärrär, er-
gänzen, um ein lebhafter gefärbtes Bild zu geben.
Joseph Lambert war Pflanzer auf der englischen Insel
Mauritius, ehe er aus'Madagaskar eine Rolle spielte. Er
wollte eine Dampfschifffahrt nach Aden einrichten und schickte
206 Im Rothen Meer in
seinen Bruder Heinrich dorthin, um allerlei Einleitungen zu
treffen. Dieser war früher Freiwilliger iu der Marine ge-
Wesen, 1850 zu seinem Bruder nach Mauritius gegangen,
hatte für denselben Zucker in Australien verkauft, sich iu deu
neuentdeckten Goldgegenden umgesehen, und hatte Ersah-
ruugeu genug eingesammelt. Abgesehen von der Dampfschiff-
fahrt, sollte er auch für feinen Bruder Joseph Handelsver-
bindungen in den verschiedenen Häfen am Rothen Meer
und am Golf vou Aden anknüpfen, und der „freien Ein-
Wanderung" nach der französischen Insel Reunion, das heißt
dem Sklavenhandel unter neuer Gestalt, ein Augenmerk
zuwenden.
In den letzten Monaten des Jahres 1855 begann er
seilte Kreuz- und Querzüge, landete iu Aden und miethete
dort ein arabisches Fahrzeug, iu welchem er nach Zeyla
segelte. Dort knüpfte er Verbindung mit den: Häuptling an,
welcher von dem türkischen Pascha von Hodeida (einem ara-
bischen Hasen etwas südlich vom 15. Breitengrad) abhängt.
Die Einwohnerzahl beträgt nicht viel über dreitausend
Kopse; sie find Araber, Somali und indische Bauiaueu.
Lambert bestätigt, was wir aus Burtou's Beschreibung
wissen, daß nämlich der Häuptling selbst über die Umgebung
der Stadt nichts zu gebieten hat, denn die Nomadeuhäupt-
liuge erkennen seine Autorität uicht au, und er hat große
Roth, sich der Jsa-Somali zu erwehren. Von Zeyla fuhr
Lambert nach Tadfchurra, das auf der andern Seite der
Bucht liegt, etwa dreitausend Seelen zählt und dessen Häupt-
liug damals vom Pascha von Hodeida unabhängig war.
Er nannte sich Mohammed Mohammed, gab sich für einen
Abkömmling des Propheten aus und üaßte die Türken.
Nach Burton hat Zeyla nahe an 4000 Einwohner,
ein Dutzend steinerne Häuser, die weiß angetiiucht sind, und
eiuige hundert Arisch, das heißt Hütten. Ein eigentlicher
Hafen ist nicht vorhanden und die offene Rhede bei Nord-
wind deu Schiffen sehr gefährlich; bei West- und Süd-
stürmen können sie gar nicht ankern. Dieser kleine Ort
hat nicht weniger als sechs Moscheen, ist nicht so ungesund
wie Adeu, beherrscht deu benachbarten Hafenplatz Tadfchurra
und bildet deu Küstenplatz für Härrär und das südliche
Abessinien. Karawanen von dort kommen mit Elfenbein,
Sklaven, Häuten, Honig, Antilopenhörnern und Gummi;
die Küste liefert Schwämme, Korallen und kleine Perlen;
aus dem Innern kommt eine vortreffliche Sorte Kaffee.
Als Burton die Brunnen in der Umgegend besuchen wollte,
gab der Gouverneur ihm vier mit Luntengewehreu bewaffnete
Araber mit, denn ein solches Geleit war nöthig, um ihn
vor einem Uebersalle der Beduinen zu sichern.
Lambert segelte von Tadfchurra nach Mokka, das
einst ein berühmter Handelsplatz war, jetzt aber immer mehr
sinkt und den Wettbewerb von Aden nicht bestehen kann.
Doch zeugt noch Manches von srüherm Wohlstande, z. B.
dreistöckige Häuser, von denen aber jetzt viele unbewohnt
sind und nach und uach zusammenfallen. Lambert schätzt
die Einwohnerzahl auf nur etwa fünfzehnhundert Köpfe.
Von Mokka giug er nach Hodeida, besuchte den Mahmud
Pascha, welcher über das Küstenland gebietet, so weit es
überhaupt den Türken gehorchen will, und fand eine gast-
liche Aufnahme. Die Stadt gewährt mit ihren Häusern aus
Holz und Stroh keinen angenehmen Eindruck, hat aber
ungefähr zehntausend Einwohner: Araber, Türken, Somali
und Abessiuier; der Handelsverkehr ist lebhaft. Der Pascha
befehligt eine Besatzung von etwa tausend Soldaten, welche
damals seit dreizehn Monaten keinen Sold bekommen hatten;
drei Kompagnien waren deshalb desertirt. Dann schiffte
Lambert nach der abefsinischen Küste hinüber und besuchte
Massawa, wo er sich ungefähr einen Monat aufhielt;
> im Busen von Aden.
eilten Ausflug iu's Innere durfte er uicht wagen, weil die
Danakil dem türkischen Pascha Krieg erklärt hatten.
Wir können den: Reisenden nicht ans allen seinen Kreuz-
und Querzügen folgen; er war unablässig in großer Thätig-
keit, bald in dem einen, bald in dem andern Hafenplatz, und
beobachtete gut. In Aden bewunderte er die großartigen
Cisternen, welche schon zu König Salomo's Zeiten vor-
handelt, später vernachlässigt, jetzt aber von den Engländern
wiederhergestellt und vergrößert worden sind. DieFestnngs-
werke sind nun uneinnehmbar; Aden beherrscht, wie wir
schon bemerkten, das Arabische Meer. Es war zur Zeit der
Besitznahme ein armseliger Flecken mit höchstens anderthalb
tausend Einwohnern, jetzt zählt es etwa vierzigtausend, die
eine ethnologische Musterkarte bilden, denn man findet, außer
Europäern, Araber, Somali, indische Kaufleute und Parsis,
Juden aus Saua k. Für die Dampfer der großen eng-
tischen Peninsular and Oriental Company ist iu Adeu eine
Hauptkohlenniederlage.
Lambert ging wieder nach Zeyla, beredete dort mit
dem Häuptling seine Pläne, und der Mann versprach ihm
Schutz und Förderung. Burton hat ihn geschildert. Er
hieß Scharmarkay ben Ali Saleh, hatten ziemlich helle
Hautfarbe, denn fein Großvater war ein ans Abessinien
hergebrachter Sklav, trieb früher das Gewerbe eines Schiffs-
kapitäns, rettete 1825 einigen englischen Seefahrern das
Leben und wurde durch britischen Einfluß Häuptling eines
Stammes und später Statthalter von Zeyla. In jungen
Jahren ging er als tapferer Krieger immer mit vier Speeren
bewaffnet in den Kampf, verlor ein Auge und trug sich noch
als Greis mit dem Gedanken au Eroberung der ganzen
umliegenden Küste. Aber der Pascha setzte ihn ab, weil er-
eilte Karawane geplündert habe. Er zog sich mit der Habe,
welche er erpreßt hatte, nach Aden zu seinen Freunden, den
Engländern, zurück, nahm aber bald, wie wir weiter unten
erzählen, ein klägliches Ende.
Iu Tadschurra machte der alte Mohammed Mo-
hammed dem Reisenden vertrauliche Mittheilungen. Bor
einigen Monaten sei ein englisches Kriegsschiff aus Adeu
angelaugt; es hatte einen höhern Offizier an Bord, welcher
dem Häuptling einschärfte, keinem Franzosen, der etwa
nach Tadschurra komme, Schutz augedeiheu zu
lassen!
Eben damals ging eine Karawane von Tadschurra
uach Schoa und den abefsinischen Gallagegenden ab; sie
wollte vier Monate ausbleiben, und rechnete für den Hin-
weg uach Schoa etwa vierzig Tage. Jedes Kameel war
mit ungefähr drei Centnern beladen. Die Fracht bestand
in Zeugen ans Seide, Wolle und Baumwolle, Fayence-,
Krystall- und Glaswaaren, Qnineaillerien, Metallwaaren,
Salz und Lnutengewehreu für die Elephauteujagd. Die
Rückfracht besteht iu Vieh, Kaffee, Elfenbein, Straußfedern,
Goldstanb, Häuten und Fellen, Talg, Getreide, Gummi,
Wachs, Zibeth, Kit st o ldas bekannte Mittel gegen den Band-
wurm) und Sklaven, die noch immer in großer Menge an-
gebracht werden. Lambert, der in Rücksicht ans die „freie
Auswanderung" dieser Waare besondere Aufmerksamkeit
zuwandte, meint, ans genaue Erkundigungen gestützt, daß
ans den Häsen des Rothen Meeres, aus jenen am Golf
vou Aden, am Persischen Meerbusen nnd der ostafrikanischen
Küste südlich bis Kiloa, alljährlich immer noch etwa vierzig-
tausend Sklaven exportirt werden. Jene Tadschurra-
Karawane wollte ungefähr eintausend Stück aus Abessinien
mitbringen, wo, beiläufig bemerkt, Kaiser Theodor jetzt den
Sklavenhandel verboten hat. Sie hatte den Schutz der
Jsa-Somali erkauft, denn ohne diesen hätte sie die Reise
nach dem inner» Lande gar nicht wagen dürfen.
Im Rothen Meer und im Busen von Aden. 207
Lambert besuchte Oboc, „einen vortrefflichen, durch-
ans geschützten Ankerplatz". Das Land dort gehört den
Danakil, einem nomadischen Hirtenvolke. Er war der erste
Europäer, welchen diese Leute sahen. „Sie betrachteten
mich wie ein überirdisches Wesen, und die Frauen wollten
anfangs mir gar nicht nahe kommen, so sehr fürchteten sie
sich. Ich ließ aber im Dorf einige Geschenke anstheilen
und nun wurden die Leute zahm. Sie bedauerten meine
Abreise sehr." Aber er hatte diesen Punkt in's Auge ge-
faßt und kam schon nach einigen Monaten wieder nach Oboe,
wo man ihn abermals freundlich aufnahm, besuchte wieder-
holt Tadschnrra und Zeyla, und wurde iu letztem Orte mit
einer Ehrensalve empfangen; Abends führten die Beduinen
Kriegsspiele auf uud geriethen dabei unter sich in blutige
Händel.
„Der Erfolg, welche» ich auf meinen verschiedenen
Reisen gehabt, hat die Eifersucht der Engländer erregt; sie
wollen in dem Arabischen Meere Niemand anders dulden
und dort ausschließlich herrschen. Sie verboten den Haupt-
lingen, mich freundlich aufzunehmen, und überwachten mich
und meinen Diener auf das Genaueste."
Lambert war inzwischen zum französischen Konsular-
ageuteu in Aden ernannt worden, und hatte auch die schon
Freundes an. Am 5. Februar 1858 erschien eine fran-
zöfische Kriegsbrigg, Kommandant Meqnet, in Aden,
um das Rothe Meer zu befahren. Lambert ging als Dol-
metscher an Bord, erzählte jenen Vorfall, Meqnet fuhr
nach Hodeida und zwang den Pascha zur Heraus-
gäbe der 20,000 Francs. So mischten sich die Fran-
zosen ganz unbefugt iu jene Händel. „Der dankbare Abu
Bekr bot nun dem Kommandanten seine Dienste an und
erklärte sich bereit, den Hafen Tadschnrra an
Frankreich abzutreten. Die Pariser Regierung fand in-
dessen es uicht geeignet, auf den Antrag einzugehen."
Inzwischen war Joseph Lambert auf' Madagaskar-
bankerott geworden, weil die Dampferlinie nicht rentirte,
und seinem Plane, „freie Einwanderer" nach Mauritius
uud Reuuiou zu schaffen, insbesondere von Seiten Englands
Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Auch Heinrich
Lambert verlor sein Vermögen und wollte nach Europa zu-
rückreisen; ohnehin war seine Gesundheit geschwächt. Zu-
vor wollte er aber noch eine Angelegenheit iu Hodeida
abwickeln, nnd das wurde verhängnißvoll.
Lambert hatte ein Schiff nach Zeyla gesandt, das von
seinem Feinde Scharmarkay mit Beschlag belegt wurde; die
Bemannung zerstreute sich, die Ladung war verloren. Nun
oben erwähnte Bucht vou Amphila besucht, welche ganz
eigenthümliche Felsbilduugeu zeigt.
Inzwischen ereigneten sich in jenen Gegenden allerlei
Veränderungen. Der bisherige Pascha von Hodeida,
Mahmud, mit welchem Lambert auf freuudlicheiu Fuße
stand, war abberufen und durch einen andern Türken Na-
mens Achmet ersetzt wordeu, welcher sich als einen Gegner
der Franzosen zeigte. In Zeyla wurden die Zolleinnahmen
verpachtet. Bewerber waren Scharmarkay und Abu
Bekr Ibrahim, Häuptling der Eingeborenen von Ta-
dschnrra und Lambert's Freund. Der Erstere bot dem Pascha
eintausend Thaler, der letztere fünfhundert mehr, und ihm
wurde der Pacht zugeschlagen. Lambert versprach ihm, wie
er auch dem Scharmarkay gethan, behülflich zu sein beim
Bergen von allerlei Gegenständen von der französischen
Kriegskorvette Caiman, welche einst vor Zeyla Schisfbruch
gelitten. Abu Bekr brachte auch etwas vom Kupferbeschlag
au's Licht. Davon nahm Scharmarkay Anlaß, seinen
Nebenbuhler des Diebstahls anzuklagen, und zwar beim
Pascha. Er bot diesem jetzt zweitausend Thaler für den
Zollpacht und ließ den Abu Bekr in Eisen legen. Nachdem
dieser acht Mouate gefangen gesessen, gab er dem Pascha
ein Lösegeld von 5000 Thalern, etwa 20,000 Francs.
Achmet nahm das Geld nnd theilte es mit Scharmarkay.
So ungefähr steht es mit der „türkischen Wirtschaft"
in jenen Gegenden. Nun aber nahm Lambert sich seines
stellte der Schissspatrou eine Entschädigungsklage gegen
den Frauzoseu an, dieser wurde gegen Scharmarkay klag-
bar, der vom Pascha von Hodeida abhing; dort wollte
Lambert darauf dringen, daß der Missethäter abgesetzt
werde uud ihm 800 Thaler Entschädigung zahle. Ende
Mai 1859 fuhr er von Aden ab, in der arabischen Barke
Natschery; der Nakoda, Schiffsführer, hieß Abdul Ahy
und war vom Stamme der Isa-Somali. Lambert wurde
insgeheim gewarnt, er solle ja nicht abreisen, denn ein
Unglück bedrohe ihn. Aber er snhr dennoch am 30. Mai ab,
um seine Klage in Hodeida zu betreiben. Der Pascha nahm
ihn freundlich auf und versprach, Scharmarkay solle Alles
bezahlen; ja er gab dem Franzosen einen Säbel, welchen
derselbe zum Zeichen der Belohnung dem Abu Bekr Ibrahim
überreichen möge, denn dieser Letztere solle fortan an Schar-
markay's Stelle Dota, d. h. Gouverneur von Zeyla, sein.
Am 3. Juni fuhr Lambert aus dem Rothen Meere
nach Tadschnrra ab, und war am folgenden Tage bei den
Müschasch-Inseln; dort legte der Nakoda sein Schiff iu
einem engen Kanäle zwischen zwei Eilanden vor Anker; er
wollte an dem Tage ans irgend einem Grunde von dort nicht
nach Tadschnrra fahren, wohin er doch sehr bequem hätte
kommen können. Darüber gerieth Lambert mit ihm
in einen heftigen Zank. —
So weit reicht Lambert's Tagebuch. Seit jenem
4. Jnni sah man ihn nicht mehr; ein Gerücht wollte wissen.
208 Im Rothen Meer und im Busen von Aden.
die Barke Natschery habe am 5. Juni am Kap Dschibuti!
unfern denMuschasch-Juselu Schiffbruch gelitten, und in
demselben sei Lambert mit seinen beiden Dienern ertrunken.
Ein Theil der Mannschaft habe sich auf das Festland ge-
rettet. Diese Einzelnheiten wurden durch eine Untersuchung,
welche Playfair, Vicegouverneur von Aden, au Ort und
Stelle vornehmen ließ, bestätigt.
Die Sache verhielt sich aber anders. Abu Bekr Ibra-
him, welchem ntcm den Säbel von Seiten des Paschas über-
brachte, nahm denselben nicht an und schrieb an Joseph
Lambert nach Mauritius, er wisse, daß Heinrich Lambert
ermordet worden sei. Dini nämlich, ein Vetter Abu
Bekr's, hatte auf der bei Kap Dschibuti! au deu Strand ge-
triebenen Barke Blutspuren gesehen und einen Matrosen
Regierung that ihre Schuldigkeit und gab sofort dem Schiffs-
kapitän Fleuriot de l'Angle Befehl, die Sache zu betreiben.
Er besuchte alle oben genannten Häfen, hatte aber einen
harten Stand gegen die planmäßige Trägheit der englischen
Behörden, welche es mit deu Türken hielten, mtd gegen die
verschlagene List der Araber, welche ihn in die Irre führen
wollten. Sechs volle Monate trödelte sich die Angelegenheit
hin und her. Endlich gelang es ihm, Abdul Ahy, welcher
der Hauptschuldige war, an Bord zu bringen; er hatte sich
in's Land zn seinem Stamme, den Jssa-Somali, geflüchtet.
Man versprach ihm die Freiheit, wenn er Alles beichte, nud
gab ihm dafür das Ehrenwort. Am 8. Juli 1801 kam er
auf das vor Zeyla liegende Schiff Somme; er war von
allen Notabeln Zeylas und etwa einhundert Somalhänpt-
Vor der Bl
gefragt, was das bedeute. Die Antwort lautete: „Wir
haben H üh n er g efch la ch tet." Aber es wurde entgegnet,
daß eine so große Blutmenge uicht von Hühnern herrühren
könne. Darauf gestand der Matrose ein, Lambert sei er-
mordet worden und die Thäter hätten sich in die Berge ge-
flüchtet.
Inzwischen hatte auch Achmet Pascha einen Kawassen
abgeschickt, um einen nähern Einblick in die oben erwähnten
Entschädigungsansprüche Lambert's zu gewinnen. Dieser
sah auch Blutspuren und entdeckte die Kleider des Ermor-
deten, welche man versteckt hatte. Diesen Kawaß setzte
Achmet, dein solche Aussagen nicht paßten, ab und ver-
bannte ihn nach Dschidda, wo er jedoch seine Aussage auf
dem französischen Konsulate wiederholte. Joseph Lambert
aber verlangte in Paris Genngthnnng für den Mord. Die
cht von Aden.
! lingen begleitet. Der ganze Auftritt war malerisch: der
Kapitän und die Offiziere waren in voller Uniform, die
Somal in ihrer Wüstentracht; Abu Bekr trug einen kost-
baren Turban von Kaschmirzeug, welches ihm der Er-
lnordete vor zwei Jahren „als Geschenk imNamen Frank-
reichs verehrt hatte." Auch der Richter, Kadi, von Zeyla
war zugegen. Dann sagte Abdul Ahy, anfangs zitternd,
aus, er habe bei der Abfahrt von Aden noch nicht an den
Mord gedacht, aber iu Hode'i'da eine Barke aus Zeyla
getroffen; der Nakoda brachte zwei Agenten Scharmarkay's:
I Ali bar Omar Tur und Mohammed Raffan Robly, und
sie hatten einen Brief an Anat Bel Fakil, Exbankier Schar-
markay's; dieser Letztere öffnete das Schreiben, welches den
Tod Lamberts forderte, und sandte dasselbe an Achmet
Pascha. Dieser zeigte sich einverstanden. Anat beweg den
Im Rothen Meer und im Busen von Aden.
Ali Bar und den Mohammed, sich mit dem Schiffsführer
Abdul Ahy in's Einvernehmen zu setzen, und diese waren
gegen ihn gleich freigebig mit Versprechungen und Dro-
Hungen; sie schworen ihm den Tod, wenn er nicht seiue
Hand biete. Er willigte ein, wenn man ihm einen schrift-
lichen Befehl ausfertigen wolle. Das geschah; er wnrde
mit Scharmarkay's Siegel bekräftigt; letzteres hatte Ahy
Bar mit aus Zeyla gebracht. —
Als nun das Schiff, wie oben berichtet, zwischen den
Mufchafch-Inseln lag, nahm Lambert sein Abendbrot und
legte sich schlafen. „Da gingen wir auf ihn zu, um ihn
Diese Aussagen erwiesen sich als durchaus der Wahr-
heit getreu. Abdul Ahy wurde, dem ihm gegebenen Ehren-
Worte gemäß, entlassen; aber die Anderen sollten nach
Europa gebracht werden, um in Konstantinopel von der
Pforte bestraft zu werden. Scharmarkay starb an Bord
der Somme vor Dschidda an einer Pulsadergeschwulst. Der
Bösewicht gestand ein; er sagte: er wolle europäische Kleider
anlegen, das heißt' mit Türken und Arabern nichts mehr
zu schaffen haben. Wenn aber ein Muselmann den Turban
ablegt, dann gesteht er damit ganz von selbst ein, daß er
ein schweres Verbrechen begangen habe. Noch zwei andere
Dolmetscher Jsniael aus Aden.
mit Knütteln todt zu schlagen. Er sprang auf und versetzte
mir einen Schlag gegen die Brust, so, daß ich weiter nichts
mehr machen konnte und zwei Monate lang Blut spie.
Aber die Schiffsleute warfen sich auf ihn und er wurde ge-
tobtet. Das Blut strömte aus seinem Munde auf Deck
und Waareu. Der Leiche banden wir Steine an die Füße
und versenkten sie in's Meer. Die beiden Diener Lambert s
wurden gleichfalls ermordet, das Schiff ließen wir auf deu
Strand treiben. Ich bin jedoch in der ganzen Sache nur der
gehorsame Diener des Pascha gewesen; ich mußte meinem
Herrn Folge leisten. Ich wurde mit dem Tode bedroht,
falls ich Lambert uicht ermordete. Aus Furcht gab ich nach;
ich war der Arm zur That, uicht die Seele."
Schuldige starben unterwegs; einer der Matrosen verendete
im Spitale zu Brest an der Schwindsucht; die übrigen
brachte man nach Konstantinopel.
Aber zwei Männer, Jsmael, ein getreuer Dolmetscher
Lamberts, und Diui, ein Vetter Abu Bekr Jbrahim's (der
jetzt Gouverneur von Zeyla ist, und also Scharmarkay's
Stelle einnimmt), wurden im November 1861 nach Paris
gebracht, wo sie bis iu den März 1862 blieben. Sie
wurden mit Freundlichkeit und Geschenken überhäuft, man
zeigte ihnen alle Wunder einer großen europäischen Haupt-
stadt, auf deu Bällen wurden sie von den Damen aus-
gezeichnet und waren eine Zeitlang Löwen des Tages.
Globus für 1863. Nr. 31.
210
Briefe über Polen.
Briefe über Polen.
Mitgetheilt von Dr. I. Caro/)
IV.
Die polnischen Juden und ihre Stellung.
Man kann von der polnischen Städtebevölkerung nicht gnt
reden, ohne der Inden besondere Erwähnung zu thnn. Einer-
seits geben sie den Städten oder manchen Stadttheilen ein eigenes
Gepräge, andererseits sind sie ein geschichtlicher Faktor von ein-
schneidender Bedeutung. Ihre Seelenzahl belauft sich in dein
heute russischen Polen, auf ungefähr 600,000, beinahe ebenso viel,
als das fanatische Königspaar Ferdiuaud und Jsabella, um die
Zeit der Entdeckung Amerikas, aus Spanien vertrieben. Doch
wie ganz anders stellen sich die polnischen Juden heute dar, jenen
gegenüber, die, gehetzt von der Inquisition, getreten von einem
fanatischen und unwissenden Volke, dennoch mit einem sichtlichen
Adel der Seele und der Erscheinung selbst die Scheiterhaufen
bestiegen.
Massenhafte Verfolgungen der Juden weiset die Geschichte
Polen's nicht ans; im Gegeutheil, eö werden die Schaaren der ans
dem Westen herüberströmenden Söhne Jakob's mit jener Gastlich-
feit aufgenommen, die den Polen eigen ist. Aber Schlimmeres
wüthet gegen sie in diesem Lande, als Mord und Scheiterhaufen:
es ist die Vernichtung der Ehre, mindestens nach außen hin. Diese
sittliche Verstümmlung zertrümmert die edlereu Beziehungen zu dem
Allgemeinen, zum Staate, zur Gesellschaft, und die ganze Fülle
menschlicher oder, wie man gewöhnlicher sagt, humaner Empfindung
drängt sich iu die innersten Kreise zusammen. In der Familie,
in der mehr noch von der Gemeinschaft der Leiden, als von der
Gemeinsamkeit des Zwecks oder der Idee fest umschlosseneu Ge-
meinde, muß man das sittliche Vermögen aufsuchen, das diesen
Volksstamm, trotz der Schicksale, welche kein Analogon in der Welt-
gcschichte haben, über den Sturmfluten erhalten hat. Aus der
Familie und der Gemeinde heraus entwickelt sich auch weiter-
hin ihre Kulturwirkuug, gerade wie bei den Deutschen, deren
Kulturmissiou auch vom Staate schou lauge nicht mehr ge-
tragen wird.
Deutsche Schriftsteller, sobald sie Über Juden und polnische
Juden insbesondere reden, werden in der Regel zu lauter Juve-
naleit.**) Wie wohlfeil ist da der kleine Witz über die langen Röcke,
über die langen Schläfenlocken, über den ungeschorenen Bart, und
besonders über das barbarische —Gemanschel. Aber mir ist es noch
nicht vorgekommen, daß das nationale Gewissen Einem von ihnen
zugerufen hätte: Der Jargon der polnischen Juden ist weder ein
Erbtheil des Mansche — noch des Judas, sondern es ist Deutsch,
eiu Denkmal deutscher Geschichte, so gut wie die Spitzbogeuseuster
und aufstrebenden Thürmcheu der Nürnberger Häuser und Kirchen.
Doch wir wollen der Reihe nach verfahren.
Auf dem siebenten und achten Felde der Gnesener Kathedral-
thüren, welche zwischen 1117 und 1180 angefertigt wurden, und
welche Sceum aus dem Leben des Bischofs Adalbert nach den
Lebensbeschreibungen des Johann Canaparins und des Bischofs
Bruno enthalten, sind zwei Darstellungen angebracht, welche ein
*) Von Herrn Dr. I. Caro wird demnächst in der Heeren-Nkert'schen
Sammlung eine Geschichte Polens erscheinen; sie bildet die Fortsetzung
jener, welche Professor 3!öpell in Breslau begonnen, von welcher derselbe
aber nur einen Band geliefert hat. Herr Caro hat im vorigen Jahre viele
polnische Archive durchforscht, und schon 1861 eine sehr werthvolle Mono-
graphie veröffentlicht: „Das Interregnum Polens im Jahre 1857, und
die Parteikämpfe der Häuser Zborowski und Zamojski. Nach den Quellen
bearbeitet. Gotha 1801."
**) Natürlich nehme ich meinen hochverehrten Freund B o g u m i l G o l z aus.
Zengniß für die Anwesenheit der Juden zu den Zeiten des heiligen
Adalbert in Polen ablegen. Allein sowohl dieses als andere An-
zeichen deuten doch nur aus kleine Häuflein hin, die sich später in
den russischen Steppen und iu der tatarische» Horde verloren haben
müssen. Größere Einwanderungen fanden nach der Angabe des
böhmischen Chronisten Cosmas von Prag um die Zeit der Kreuz-
züge statt, als der furor teutonicus eine Richtung genommen hatte,
die von der religiösen Versenkung des Mittelalters vorgeschrieben
war. Damals zerstreuten sich die deutschen Inden, gehetzt von
den deutscheu Rittern, über alle Theile der damals bekannten Welt,
und trugen Reminiscenzen deutscher Nationalität und besonders
deutsche Sprache au Orte, wohin selbst der keine Entfernung
vom Mutterlaude scheuende deutsche Kolonist nicht gedrungen war.
Daher kam es, daß fast alle Inden des Abendlandes,
vom Fuße des Kaukasus an bis zn den silbernen Fluten
des Tweed und Clyde, durch deutsche Mundart sich ver-
ständigten, deutsch sprachen, und sogar (mindestens
die Frauen) deutsch beteten.
Keiner Nationalität nämlich haben sich die Juden innerlich
so sehr assimilirt, als der deutschen, trotz einem doch wiederum
beispiellosen Antagonismus der beiden Raceu, welche in ihrer Ver-
Mischung eine geistig uud körperlich ungemein bevorzugte Art er-
geben, wie mir der Herr Herausgeber des Globus, welcher, wie
ich weiß, iu dieser Beziehung eingehende Beobachtungen ange-
stellt hat, wohl bezeugen wird.*) Doch das mir beiher. So
aber haben wir es uns zn erklären, daß fast alle Juden Po-
lens deutsch sprechen. Erst in neuester Zeit, seit dem Aufkoni-
men des „ Natioualitäteupriuzipsmachen manche Juden in
Polen rührende und rührige Anstrengungen, um sich die Landes-
spräche als Verkehrssprache anzueignen, und sie haben es zum
Theil, namentlich in den großen Städten, schon dahin gebracht,
daß sie eine Vergessenheit der deutschen Sprache affectiven
können!!
Das Uebergewicht der polnischen Inden im Verkehr und
Handel beruht meist auf ihrer höher» Bildung. Bildung bei
polnischen Juden? Ja doch, Bildung! Jeder polnische Jude
kann lesen und schreiben, was bekanntlich nicht jeder polnische Edel-
mann kann, und von den polnischen Bauern uur die allerwenigsten
verstehen. Sie lesen und schreiben nicht polnisch, nicht deutsch,
sondern nur hebräisch, aber das ist nur eine bloße Form; sie
schreiben deutsch mit hebräischen Lettern. Ich habe von einem
polnischen Juden Glossen zu Lessing's „Erziehung des
Menschengeschlechts", in hebräischen Lettern geschrieben, ge-
sehen, die im Deutschen abgedruckt zu werden verdient hätten.
O uoch mehr! Iu Galizien kam ich spät Abends in ein Dorf. Es
regnete draußen und war so stockfinster, daß ich meine kleine Hand-
*) Die Sache hat ihre volle Richtigkeit. Seit manchem Jahre habe ich
derselben Aufmerksamkeit zugewandt und gefunden, daß die Erzeugnisse aus
Mischehen zwischen jüdischen und deutschen Leuten in überwiegender Mehr-
zahl ganz vortreffliche Menscheuexemplare bilden. DieseBlntmifchungthut
gut; es muß eine Art von innerer Wahlverwandtschaft, von geistiger Assimi
tät vorhanden sein. Das germanische Element gewinnt physisch wie Psychisch
bald die Oberhand, der semitische Typus tritt zurück. Unter den sehr vielen
Mischehen dieser Art, welche ich zu beobachten Gelegenheit nahm, habe ich
keine unglückichen gefunden, wohl aber viele, in jeder Beziehung exempla-
rifche. Es ist als ob bei den Produkten jüdisch ■ deutscher Mischehen die
guten Eigenschaften der beiden Typen vorwiegend zur Geltung kämen; bei
denen aus slawisch-jüdischen Verbindungen, die übrigens weit seltener vor
kommen, habe ich ein solches Vorschlagen der guten Eigenschaften an den
Mischlingen nicht wahrnehmen können. A.
Briefe über Polen.
211
laterne vorn an die Deichsel des Wagens hängen lassen mußte.
Im ganzen Dorfe waren die Lichter bereits ausgelöscht, mir in
einem Hanse glänzten die Fenster noch in die dunkle Nacht hinans.
Dort fuhren wir vor. Darin wohnte der „Randar" (Arrendator),
der einen Schank hielt. Ein Rembraudt'sches Bild! Auf dem Kamin
prasselten einige „Scheit" Kiefernholz. Auf dem Schenktische
brannte ein dünnes, gezogenes Unschlittlicht, daneben stand eine
Flasche und ein Branntweingläschen. Um den Tisch herum saßen
fünf Bauern iu ihren blauen Kitteln. Oben stand, gegen das Licht
gewendet, der Arrendator, eine hohe, dünne Gestalt mit brennend
rothen Haaren; in den Händen hielt er ein Buch, aus welchem er
den Bauern vorlas — nein, vortrug, bald polnisch, bald in
dem jüdisch-deutschen Jargon; mit lebhaften Geberden begleitet er
seine Rede, und jeder Satz aus dem Buche giebt ihm Veranlassung
zu weitläufigen Auseinandersetzungen^ Was ist das für ein Buch?
„Die Erzählung von der schönen Genovefa!" — ein
deutsches Volksbuch.
Ueberhaupt ist der Verkehr zwischen polnischen Juden und
Bauern, wenn nicht die Geistlichkeit verhetzend und fanatisirend
dazwischen tritt, von einer rührend naiven Humanität. Der Jude
ist des Bauern Rathgeber in schwierigen Verhältnissen, sein Arzt
in Krankheitsfällen, sein Advokat in Prozessen, sein Wohlthäter
in der Armnth, sein Leihhans im Falle der Geldverlegenheit.
Wenn die Schuld auf das Bauerngut eingeschrieben ist, dann
nimmt der Jude fast gar keine Geldzinsen; der Bauer bringt sie
freiwillig — bald einen Scheffel Weizen, bald ein Viertel Roggen,
eine Gaus, ein Huhu, eine Ente, eine Mandel Eier, einen Sack
Kartoffeln n. dgl. Wenn der Bauer zu Markte geht, hat er fast
immer Etwas im Korbe: „dla zyda" (für den Juden). So naiv
gemüthlich redet er auch mit ihm; sie dntzen sich nnd der Bauer
nennt ihn stets: „Herr Jude-Schneider" oder „Herr Jude-
Schuster" oder „Herr Jude-Kaufmann". Auch der Edelmann
verkehrt freundlich mit dem Juden, besonders wenn er Geld braucht,
aber immer iu der Art, wie man, wenn man bei Laune ist, mit
einem possirlichen Hunde freundlich thnt. Er trinkt mit ihm, er-
fährt mit ihm, er handelt mit ihm, aber bricht die Laune hervor,
so läßt er ihn — obgleich der Jude vielleicht graue Haare hat —
mit Kräukuug aller Menschenwürde „Mali jofis" taugen, d.h.
Asseusprüuge machen.
So ist des Inden Stellung nach Außen hin. Nicht so, wie
Heine sagt: „Hund mit hündischen Gedanken", sondern manchmal
erfüllt von adeligen Gefühlen, getragen von rein menschlichen Ge-
danken der Treue, Liebe und Menschlichkeit — aber behandelt wie
ein Hnnd.
In der Familie aber und in der Gemeinde ist er ein Bürger —
in des Wortes verwegenster Konsequenz. Sein ganzes Streben,
sein ganzes Dichten und Trachten, seine Haltung, seiu Haus, sein
Anzug, die Erziehung, die er seinen Kindern giebt, beruht ans
einem einzigen Prinzip, das sich in dem Worte „bckowed"
(in Ehren) ausspricht. Er hat ganz eigentümliche Begriffe von
der Ehre. Wie beim bekannten „Krautjunker" besteht ihm der
Inhalt der Ehre nicht gerade in allerstrengster und unzweideutiger
Moral, sondern in einer Anzahl willkürlich begrenzter Begriffe,
die bei jenem, dem Junker, in falsch verstandener historischer
Stabilität, bei dem polnischen Juden iu eben so falsch aufgefaßter
religiöser Stabilität ihren Grund haben. Dem polnischen Juden
gilt als besondere Ehrlosigkeit jede Verletzung der Keuschheit, jede
Bestrafung durch die öffentliche Gewalt, jeder brüske Bruch mit
der herkömmlichen Form der Religionsübung — aber auch die
Unwissenheit und die Armnth. Die letztere schändet nicht
gerade, aber sie läßt doch nicht zu, daß mau „bckowed" leben
kann. Reich, gelehrt ititd geachtet, oder besser geehrt zu seiu,
darin liegt der höchste Ehrgeiz des polnischen Juden.
Sehen wir uns sein Haus au. Ein Zimmer, „die Putzstube",
ist gewiß mit irgendwelchen Luxusgegeustäuden geschmückt. Sollte
er auch das ganze Jahr auf harter Pritsche schlafen; in der „Putz-
stub" muß ein Kanapee oder ein türkisches Sopha (Ottomane)
stehen. An den Fenstern hängen stets Gardinen. In: Winter ist
das Zimmer fast immer überheizt, in der Mitte hängt ein Kron-
leuchter von Glas oder Bronze, auf dem am Freitag Abend die
Lichter angezündet werden. In einer Ecke summt den ganzen Tag
der „Samowar" (eine überaus praktische, russische Theemaschine),
denn bei der augeborueu Mäßigkeit der Juden im Trinken ist der
massenhafte Genuß des Thees zumeist das Reizmittel, womit sie
sich gegen das Landesklima in Harmonie setzen. Dafür ist ihre
Küche reichhaltiger und nur wegen unerträglich scharfer Würznug
nicht schmackhaft. Unvergleichlich gut kochen sie alle Arten von
Fischen.
Die vielbesprochene Kleidung der Juden in Poleu, die aus
einem langen Rocke (Chlat), bald mit bald ohne Taille, einer pelz-
verbrämten Mütze nnd einem seidenen Leibgürtel besteht, ist nichts
weniger als specisisch-jüdischen Ursprungs, sondern ist eben nur
deu Judeu der Slawenländer eigen nnd ihnen mit deu Slawen
gemeinsam. Die eigenthümliche Haar- nnd Barttonr beruht auf
buchstäblicher Befolgung des Verbotes im 3. Buche Moses Kap. 2 t,
V. 5. (— „Er soll anch keine Platte machen auf seinem Haupte,
uoch seinen Bart abscheeren und an ihrem Leibe kein Mahl
pfetzen". —)
Nur iu maucheu Städteu Polens wohnen die Inden in abge-
sonderten Vierteln; in den meisten, namentlich kleineren, Hansen sie
unter ihren christlichen Mitbürgern. Wenn die Uebnng der Cere-
monien ein Heraustreten ans den Räumen des Hauses fordert,
sind sie unbekümmert darum, ob die Seltsamkeit deu Spott der
Christen herausruft. Sie verstecken ihre religiöse Uebnng nicht,
ja zeigen dieselbe bisweilen mit einem gewissen Selbstbewußtsein.
Namentlich wird die augenfällige Laubhütte am Laubhütteufeste
geru gezeigt. Seltsam genug sieht dauu die Judeustraße aus.
Aus Brettern werden vor dem Hanse vier Wände zusammenge-
zimmert uud statt des Daches eiue Menge Baumäste mit leben-
digein Laub aufgethürmt. Im Innern werden die Wände mit
seidenen, leinenen oder damastenen Decken behängt. Schnüre, ans
denen zahllose Roßkastanien aufgezogen sind, schmücken die Wand-
kanten, und Blumen- oder Laubgewinde ziehen sich an der Decke
bis in die Mitte hin, wo ein großer Kürbiß hängt, dessen Samen-
gehänse sorgfältig ausgeleert ist. In dem Kürbißfleische sind
passende Inschriften ausgeschnitten und ein Licht, das im Innern
angezündet wird, läßt die Buchstaben transparent erscheinen. In
dieser Hütte ist mit weißem Linnen der Tisch gedeckt und ein Paar-
silberne oder blankgescheuerte Messiugleuchter stehen in der Mitte.
Ist das Mahl, ob reichlich ob kärglich, gehalten, dann singt der
polnische Jude seine eigentümlichen Synagogengesänge, die halb
in jenen slawisch-elegischen Molltonarten, halb in den phrygischen
und lydischen Weisen der altersgrauen Anfänge der Musik erklingen.
Unbewußt knüpft er die Jahrtausende an einander; in dein gesninm-
teil Liede ruht seine von Druck uud Qual ermüdete Seele; hier ist
er kein Hund, keines Menschen Knecht, hier fühlt er sich so gut wie
alle Anderen, besser uoch, mehr noch--ein Kind des allmächtigen
Vaters im Himmel.
Und nachhaltig ist die Wirkung solcher sittlichen Augenblicke.
Kein Volk der Erde kann sich gleicher Wohlthätigkeit rühmen, als
die polnischen Juden. Freilich geben sie unvernünftig, unüberlegt.
Sie erziehen förmlich die Bettler und schaffen der Arbeitsscheu und
der Bettelei eiue bedenkliche Zuversicht. Das Vertrauen auf ihre
gutherzige Unterstützung ist sogroß, daß leider eine beträchtliche
Anzahl von Individuen darauf allein ihre Lebenshoffnungen
bauen. Ich feinte Leute, die mehr als die Hälfte ihres Einkommens
Jahr aus Jahr ein — au arme Leute — (ich kann es bei der Uu-
Vernunft ihrer Vertheiluug nicht anders nennen) vergeuden. Keine
Gemeinde ist ohne ein Krankenhaus, keine ohne eiu Lehrhaus, dessen
Besucher auf Unkosten der Gemeinde erhalten werden. Nie appel-
lirt man an die Wohlthätigkeit der Juden umsonst. Daß sie
keinen Unterschied der Konfessionen dabei machen, ist bekannt.
27*
212
Aus Bayard Taylor's
Reisen in Lappland.
Es ist bei so vielen vortrefflichen Eigenschaften, zu denen noch
eine außerordentliche geistige Rührigkeit und ein scharfer
Verstand kommen, ungemein beklageuswerth, daß die polnischen
Juden so wenig den Forderungen der Gesellschaft, die sie nmgiebt,
sich akkomo'diren. Es mag zum Theil wahr sein, daß die Gesell-
schast mich eigentlich keine Forderungen an sie stellt, weil eine ge-
wisse — nennen wir das Kind mit dem rechten Namen — Unflätig-
keit sie abstößt, eine äußerliche und wohl anch innerliche Unsauber-
feit. Allein es ist dabei schwer zn unterscheiden, was Ursache
und was Wirkung ist. Es ist seiner Zeit wenig besser in Deutsch-
laud geweseu, und doch ist in so kurzer Zeit ein so großer Prozeß
der Civilisation vor sich gegangen. Freilich bringt das deutsche
Volk andere Fonds zu solche» Missioueu mit sich, als das polnische.
Aber wo es Menschen giebt, die der Liebe und der Freude fähig
sind, da ist die Hoffnung wohlbegründet, daß sie auch das Gute
und das Schöne in gleicher Weise einst erfassen werden.
Selten freilich wird dem polnischen Juden Freude zu Theil.
Die einzigen Freuden, die er hat, beziehen sich auf die Familie.
In ihren Gemeindefesten lastet noch der Schmerz einer staatlichen
nnd bürgerlichen Unterdrückung, deren Verschwinden kaum in nn-
seren Tagen erst begonnen hat. Nur einmal im Jahre wird die
Freude so laut, daß sie bis zur Straße hinausschallt — am Tage
der Thorafreude. Frauen umkränzen die Gesetzrolleu im Lehr-
hanse mit Blumengewinden; Matronen werfen den Knaben und
Mädchen Bonbons, Mandeln nnd Rosinen zu; unter den Männern
kreist der Becher nnd Lieder erschallen im Chor. Der Rabbiner
nimmt die Thora in die Hand, das ganze Häuflein ordnet sich zum
bunten Zuge. Ueber dem Rabbi wird ein Baldachin getragen;
vor- und nebenan ziehen die Aeltesten der Gemeinde. So geht's
über die Straße weg. Die Buben spotten hinterdrein, und bis-
weilen wirft die Bosheit auch wohl gar einen Stein dazwischen.
Was giltst wo die Freude herrscht, da ist für Haß kein Ranm.
Und Freude, wirkliche Freude herrscht. Greise Warden zn Kindern,
sie springen so rüstig vor ihrem Kleinod her, die langen Röcke
flattern im Winde, weit geöffnet sind die Pforten der lichterstrahlen-
den Synagoge, jener Synagoge, die, gleich der Kirche, gleich der
Moschee, gleich jedem Gottes- oder Götterhans, eine Trösterin ist
gegen den Ungestüm des Schmerzes wie der Frende.
Ans S ayard Taylors Reise in Lappland.
Zweiter Artikel.
Aufenthalt in Kantokeino. — Die Strenge eines lappländischen Winters. — Die Muckerversnche unter den Lappen. — Fanatismus und
Mordthaten. —
Während meines Aufenthalts in Dresden hatte mir mein
Freund Alexander Ziegler einen Empfehlungsbrief des Hammer-
fester Kaufmanns Berger an seinen Haushälter in Kantokeino ver-
schafft. Schon in Mnoniovara aber hatte ich erfahren, daß Herr
Berger sich gegenwärtig in Kantokeino selbst anshalte, so daß ich
ihm dort nur seinen eigenen Brief zu übergeben brauchte. Wir
kamen iudeß so spät an, daß ich im Gasthause zu übernachten be-
schloß. Das einzige Zimmer desselben war aber ganz vollgestopft
von Lappen; dazn gesellte sich der erstickende Ranch von Birken-
reisig, den ich bereits kennen gelernt hatte. Ehe ich mich dieser
erstickenden Atmosphäre aussetzen wollte, beschloß ich, lieber unter
meinem Pulk im Schnee liegen zu bleiben. Der lange Isaak aber
führte uns zum Haufe des „Länsmanns" oder Bürgermeisters, wo
wir anklopften. Hier trat uns Herr Berger selbst entgegen und
redete uns in fließendem Englisch an. Sogleich wurden wir in ein
hübsch eingerichtetes Zimmer geführt, vor uns stand eine reich-
besetzte Tafel, nnd als wir uns in dem schneeweißen Leinenzeuge der
Betten ausstreckten, waren alle Leiden der Reise vergessen und
wir priesen die Civilisation, die sich bis hierher erstreckte.
Der Länsmann sprach ziemlich gut englisch. Außer ihm und
Herrn Berger bestaub die civilisirte Bevölkerung Kantokeinos noch
aus einem Studenten der Theologie, der die lappische Sprache
; lernte, und den: Pastor Hvosles. Der Ort wird vom nordi-
schen Eismeere durch das unbewohnte Kiölengebirg und von den
finnischen Niederlassungen am Mnonio durch das öde Tafelland
getrennt, welches wir so eben durchreist hatten. Als Mittelpunkt
eineö Landstriches, in dem die Lappen während des Sommers mit
ihren Rennthierheerden umherziehen, ist Kantokeino doch ein Platz
von einiger Wichtigkeit, besonders für den Handel und die Kultivi-
ruug der Lappländer. Die erste Kirche ward unter Karl XI. im
Jahre 106» hier erbaut. Später siedelten sich auch einige Finnen
an, doch vermischten sie sich allmälig mit den Lappen, so daß man
augenblicklich wenig nnvermischtes reines Blnt hier findet. Zu
bemerken ist, daß die Norweger fälschlicherweise die Lappen Finnen
und die Finnen Qnänen nennen.
Kantokeino liegt in einem flachen Becken, das sich nach
Nordost öffnet. Obgleich es nur 835 Fuß über dem Meeresspiegel
liegt, kommt doch kein Gewächs in der unfruchtbaren Gegend fort
und blos schwarze Hütteu unterbrechen die Schneeeinöde. Nur mit
der größteu Schwierigkeit kamen einigemal Kartoffeln' zur Reife;
die frühen Herbstfröste tobten alles Pflanzenleben. Außer Renn-
thierfleisch, Milch und Käse bringt die Gegend nichts hervor. Das
Getreide wird ans einer Entfernung von 11.2 engl. Meilen, ans
Altenfjord, geholt. Da die Wege nur im Winter fahrbar sind,
so kommt Alles gefroren an. Die Kartoffeln sind so hart wie
Kieselsteine, Zucker und Salz werden felsenfest und selbst der Wein
erstarrt. So bewahrt man die Lebensmittel bis zum Gebrauch
auf, wo man sie dann schnell am Feuer ansthaut. Der Geschmack
leidet dabei wenig, und ich aß an der Tafel des Länsmanns Kar-
toffeln, Kohl und eingemachtes Obst, denen man es nicht anmerkte,
daß sie gefroren gewesen waren.
Früher war der Ort im Sommer ganz verlassen, und nur im
Wiuter besucht. Seit einigen Jahren jedoch hat sich die ständige
Einwohnerschaft vermehrt nnd während des ganzen Jahres wird
Kirche gehalten. Der Winter ist die rechte Jahreszeit, in der man
die Lappen in ihrem charakteristischen Thun und Treiben stndiren
muß; dann befinden sich etwa achthundert derselben hier, während
im Sommer ihre Zahl unter hundert sinkt. Viele Familien, be-
sonders jene, in deren Adern auch sinnisches Blut fließt, leben in
Holzhütten, die mit einem Herde und ein oder zwei Fenstern ver-
sehen siud; die meisten aber bewohnen Erdhütten, welche großen
Maulwurfshügeln gleichen; sie sind mit Schnee überdeckt nnd man
würde sie nicht für menschliche Wohnstätten halten, wenn der auf-
steigende Ranch sie nicht als solche verriethe. Zn beiden Seiten des
Flnsses stehen die Vorrathshäuschen der Lappen, in denen sie ihre
Geräthe während ihrer Sommerwanderungen aufbewahren; jene
Aus Bayard Taylor's Reisen in Lappland.
213
sind ans Birkenpfählen errichtet, um die Natten und Mäuse vom
Eindringen abzuhalten. Die Kirche steht auf einer kleinen Er-
höhnng und der Belfried oder Glockenthurm abseits allein, wie es
in Schweden gebräuchlich ist.
Am andern Morgen um lo Uhr war es schon so hell genug,
daß ich lesen konnte. Der südliche Himmel glich einer Flut vou
goldenem und orangegelbem Licht und war hier und da mit einigen
rothen Wölkchen betüpfelt. Wir gingen in die Kirche, um dem
lappischen Gottesdienste beizuwohnen. Da Pastor Hvoslef krank war,
so las der lappische Schuliueister nur einige Gebete iu der uuge-
heizten Kirche. Man erwärmt diese deshalb nicht, weil die alten
Rennthierkleider und der gefrorene Schmutz der Lappen aufthauen
nud einen schrecklichen Geruch verbreiten würden. Gewöhnlich ist
die Kälte draußen und die Temperatur im Innern der Kirche die-
selbe, und der gefrorene Athem des Schulmeisters siel wie eiue
frostige Wolke vou dem Manne herab, so daß dieser zeitweilig
nicht zu sehen war. Pastor Hvoslef versicherte mich, bei
einer Kälte von 35 Grad unter Null (Fahrenheit) ge-
predigt zu h aben. „Dann, erzählte er mir, froren mirdie
Worte vor dem Munde und fielen wie ein Schnee-
schauer auf die Häupter der Andächtigen." Er mußte mir
recht geben, daß bei einer solchen Kälte die Andacht mit einfröre,
da Jedermann an den Schutz seines Körpers denke. —
Der Himmel hatte sich unterdessen immer mehr aufgehellt.
Die Oraugefarbe ging in Rosa über und die schneebedeckten weißen
Hügel hoben sich gegen den karmiurotheu Streifen am Horizonte
scharf ab. Etwa um halb elf Uhr schoß ein lichter rother Streifen
auf, der allmälig iu eiue feurige Flamme überging, welche sich
laugsam westwärts bewegte, so daß wir jeden Augenblick das Auf-
tauchen der Sonnenscheibe erwarteten. Als die Uhr des Läns-
manns gerade Mittag zeigte, war der Glanz der Flauimeusäule
am stärksten. Bald aber wurde er schwächer; die Farben des Fir-
maments begannen in derselben Ordnung, wie sie sich eingestellt
hatten, zu verschwinden. Die Souiieuscheibe erschien uns nicht
und wir hatten einen Tag ohne Sonne gesehen.
Ich ging in das Hans des Schulmeisters, um eine Skizze von
Kantokeino aufzunehmen, doch die Fensterscheiben waren so dick
überfroren, daß ich uicht hiudurchseheu konnte und genöthigt war,
im Freien mit bloßen Händen zu arbeiten. Dann brachten wir
den Nachmittag beim Länsmann zu. Fortwährend kamen Lappen,
um uns anzustaunen, da sie gehört hatten, wir seien aus Amerika.
Durch Herrn Berger ließen sie sich über unsere Religion und Ge-
setze unterrichten. Nicht wenig waren sie erstaunt, daß sie die drei
norwegischen Einwohner des Ortes ohne Schwierigkeit mit uns
sprechen hörten. Der einarmige Schulmeister des Dorfes, Lars
Kaiuo, kam zu mir und bot mir Bezahlung an, wenn ich
ihn abzeichnen wollte. Ungläubig willigte er ein, als ich ihn
umsonst zu zeichnen versprach, unter der Bedingung, daß auch seiu
Weib mit portraitirt werde. Am nächsten Morgen erschien er iu
seinen Festtagskleidern, die von blauem Tuch und mit Roth und
Gelb besetzt waren. Furchtsam begleitete ihn sein etwa 25 Jahre
altes Weib; sie hatte ein flaches rnndes Gesicht und schlug während
der ganzen Sitzung ihre Augen nicht auf. Lars erhielt einen
halben Dollar von mir, und als dies bekannt wurde, stürmten alle
Lappen von Kautokeiuo und sogar aus entfernteren Gegenden auf
mich ein, damit ich sie abbilden solle. Doch das kurze Tageslicht
erlaubte mir nicht viel zu zeichnen, und außerdem fanden sich hier
wenige Lappen von reinem, nnvermifchtem Blute.
Ich hatte jetzt schon genng Lappen gesehen, um meiue Bor-
urtheile über sie auszugeben und sie beurtheileu zu können. Die
Verwandtschaft mit der finnischen Race wird sowohl durch die
Sprache als die Gesichtszüge der Lappen Angezeigt; doch kouute ich
mongolische Spuren au ihnen nicht wahrnehmen. Sie sind fetter
nud auch hübscher als die uordischeu Ausläufer dieser Rasse und
gleichen den Eskimos in nichts als in ihrer rohen, schmutzigen
Lebensweise. Den Unterschied zwischen Lappen und Finnen findet
Leopold von Bnch im Gebrauche der Dampfbäder bei Letzteren und
dem Abscheu vor dem Wasser der Erstereu.
Obgleich alle Lappen zum Christeuthum bekehrt siud und
keiner Heirathen darf, bevor er nicht lesen kann, so ist doch an die
Stelle des alten Aberglaubens in mancher Beziehung nur eiue
neue Form desselben getreten. Die Mäßigkeitsvereine haben unter
ihnen viel Gutes gewirkt und mit der Sittlichkeit steht es im All-
gemeinen so wie iu Schweden und Norwegen überhaupt. Der
Gebrauch, mit den Gästen das Ehebett zu thcileu, ist, wenn er je
existirte, gänzlich verschwunden. Aber Diebstahl ist nicht selten;
von schwereren Verbrechen hört mau nichts.
Seitdem das Heidenthum bei deu Lappen dem Christenthum
Platz gemacht hat, ist die Romantik verschwunden. Die Zeiten
der Zauberer, welche silberne Grotten in den Kiölengebirgen ent-
deckten, siud vorüber; Alles hat hier einen frommen und gewöhn-
lichen Anstrich genommen; die unbedeutenden Reste der Volkspoesie
haben sich verloren, und statt der Gesänge, welche man an die Geister
der Winde, Wolken und Berge richtete, behaupten lappische Mucker,
vom heiligen Geiste besessen zu seiu. Jedenfalls wäre es für
einen Reisenden interessanter, einen Hexensabbat!) als ein Mucker-
kouveutikel in Lapplaud zu beschreiben. —
Ich bemerkte oben, daß bei den Lappen ein Aberglauben an
die Stelle des andern getreten sei; als Beleg könueu Excesse dienen,
die in Kautokeiuo 1853 stattfanden. Durch die Predigten des
Lastadius uud anderer Missionäre brach unter den Lappen eine
muckerische Seuche aus, die sich iu der Form von Verzückungen,
Visionen uud Besesseuseiu offenbarte. Die ganze Gegend ward
davon augesteckt und viele Ruhestörungen waren die Folge. Es
war nichts Ungewöhnliches, daß ein Lappe mitten im Gottesdienste
erklärte, vom heiligen Geiste besessen zu sein, und verlangte, daß
man seine Erweckuugeu anhören solle. Der frühere Länsmann
sperrte die meisten Ruhestörer ein; dieses reizte die Fanatiker so,
daß sie eine förmliche Verschwörung anzettelten, welche in den
Sommermonate» weiter ausgebrütet wurde.
Was nun folgte, erzähle ich nach dem Berichte, den ich ans
Pastor Hvoslefs eignem Munde habe. Eines Morgens früh im
Oktober, als die Lappen von ihren Sommerwandernngen heim-
gekehrt waren, ward Hvoslef von der Frau eiues Kaufmanns ans
dem Schlafe aufgeschreckt; sie berichtete mit Entsetzen, daß man ihren
Mann ermordet habe. Der Pastor ging mit nnd fand den Mann
tobt auf der Hansflur liegen; nnterdessen stürmte eine Bande von
etwa dreißig Lappen, darunter die meisten der vom heiligen Geist
erleuchteten, das Haus des Läusmanns, deu sie mit ihren Messern
und Keulen ermorden. Dann banden sie den Pastor Hvoslef und
seine Frau, peitschten beide mit Ruthen und erklärten, sie tobten
zu wollen, wenn sie die göttliche Sendung ihres Propheten nicht
anerkennen würden. — Durch Zuzug anderer vernünftig gebliebener
Lappen ward Hvoslef aus seiner mißlichen Lage befreit und die
Verräther wnrden gefangen genommen, Die Haupträdelsführer
wurden hingerichtet, die anderen hatten im Gefängnisse zu
Christiauia zu büßen. Seitdem hat sich die Muckerei unter den
Lappen etwas gelegt, doch im Geheimen dauert sie uoch fort.
Als ich deu Pastor Hvoslef, einen ächten Ehrenmann, be-
suchte, saud ich iu seinem Hanse etwas, was ich nicht im Herzen
Lapplands erwartet hätte, nämlich ein Piano. Frau Hvoslef
spielte uns allerlei beliebte Sachen, nnd als sie endlich den „Uankee
Doodle" begann, erscholl so etwas wie ein indianischer Kriegsrnf
aus Braisted's erstauntem Munde. Das hatten wir Amerikaner
hier nicht erwartet.
214.
Die Sklavenjagden der Europäer am Weißen Nil.
die Sklavenjagden der C
Vor einiger Zeit entwarfen wir eine Schilderung der sndane-
fischen Hauptstadt Chartum (Globus II, Nr. 24), und des elen-
den „Abschaums", aus welchem fast alle dort wohnenden Europäer
bestehen. Wir finden jetzt wieder Beweise für das dort Gesagte
und wollen sie mittheilen. Sie gewähren einen Einblick in die
entsetzliche Niederträchtigkeit und Verwilderung, welche in den Ne-
gioueu am Weißen Nil im Schwange geht.
Ein Reisender, welcher jüngst Abefsinien durchwanderte, I a m e s
W.Baker, schreibt aus Chartum vom 20. September 1862
Folgendes:
Aegypten uud der Sudan werden mit Sklaven versorgt,
welche alljährlich zu Tausenden bei den Stämmen an, Weißen Nil
geraubt sind.
Das Hauptquartier, von welchen in jedem Jahre die Expedi-
tionen ausziehen, ist hier iu Chartum, der Hauptstadt des ägypti-
scheu Sudan, am Zusammenflusse des Weißen und des Blauen
Nils. Hier residirt ein ägyptischer Geueralgonvernenr, hier haben
England, Frankreich nnd Oesterreich Konsuln. Die schwarze Be-
völkernng der Stadt besteht aus dem Abschäume des Menschen-
geschlechts, und dieser Abschaum wird von den weißen Kaufleuten
bei den Raubzügen auf dem Weißen Nil verwandt. Die Kaufleute
siud Europäer, Syrer, Türken uud Araber.
Der Weiße Nil liefert au Erzeugnissen vorzugsweise nur
Sklaven und Elfenbein. In früheren Jahren tauschte man
Elfenbein vorzugsweise gegen Glasperleu, kupferne Ringe und
Lanzenspitzen ein, aber durch Konkurrenz sind die schwarzen Stämme
mit diesen Artikeln dermaßen überschwemmt worden, daß diese
sehr wohlfeil geworden sind, das Elfenbein hingegen im Preise
stieg. So bildet jetzt fast allein nur Rindvieh das
Tauschmittel in diesem Handel. Nun kann man von Char-
tum aus das Vieh nicht so weit stromauf bringen, die Kauf-
leute siud Flußpiraten geworden und treiben ihr Geschäft
in folgender Art.
Der Kaufmann sendet von Chartum aus eine Partie von 80
bis etwa 20» bewaffneten Leuten in Segelschiffen aus. Diese sind
reichlich versorgt mit Schießbedarf, mit kupfernen Ringen, Glas-
perlen und dergleichen; damit werden diejenigen Eingeborenen be-
zahlt, welche das Elfenbein von den Stationen (die oft weit land-
ein liegen) nach den Schiffen bringen.
Sobald diese Kauffahrer oder, richtiger gesagt, Strom-
Piraten, in eine Gegend kommen, wo der eingeborene Stamm
viel Rindvieh besitzt, gehen sie an's Land, umzingeln ein Dorf,
schießen auf die Einwohner, stecken die Hütten iu Brand, tödten die
Männer und treiben Vieh, Weiber nnd Kinder fort. Nun haben
sie Vieh als Zahlmittel; die menschliche Beute wird mit Stricken
zusammengebunden nnd nach den Schiffen getrieben. Inzwischen
sind ein paar tausend Häupter Rindvieh geraubt, und mit diesen
zieht eine starke Abtheilung Bewaffneter nach dem Innern zu solchen
Stämmen, welche viel Elfenbein liegen haben. Ist solch ein
Stamm schwach, dann macht man nicht viel Umstände mit ihm
und nimmt ihm seine Habe fort; ist er stark, dann beginnt man
den Tauschhandel und schafft das dadurch erworbene Elfenbein
nach den Schiffen.
Aber durch diesen Tauschhandel ist nun der Vorrath an Rind-
vieh erschöpft. Was sollen die Piraten dann anfangen? Sie
wissen Rath zu schaffen, denn sie schließen einen Bund mit irgend
einem andern Stamme, welcher mit jenem, der eben sein Elfenbein
gegen Vieh vertauscht hatte, iu Feindschaft steht. Mit jenem zweiten
ziehen die Strompiraten gegen den erstem und nehmen ihm
alles Vieh wieder ab. Die eine Hälfte bekommt der neue Ver-
büudete für seinen Beistand; die zweite Hälfte erhält er auch, muß
aber dafür Elfenbein geben.
ropäer am Weißen W.
So hat der Strompirat schon zwei Ladungen Elfenbein um-
sonst, aber nun mangelt es ihm abermals an dem unentbehrlichen
Zahl- uud Tauschmittel. Er muß wieder Rindvieh haben, schließt
also eine neue Allianz mit irgend einem andern Stamm und be-
raubt seinen letzten Verbündeten. Solchergestalt bekommt er nicht
selten dnrch wiederholten Raub das gestohlene Vieh drei bis vier
Mal in seine Hände und bezahlt damit ebenso oftmals Elfenbein,
das neben den geraubteu Sklaven iu den Schiffen geborgen wird.
Nachdem diese Razzias einen guten Ertrag gegeben haben,
fahren die Schiffe nach den befestigten Faktoreien, deren diese
Piraten-Kaufleute manche iu verschiedene« Gegenden besitzen. So-
bald Sklaven nnd Elfenbein dort geborgen sind, segeln die Schiffe
wieder fort, um einen neuen Raubzug zu machen, und wenn sie
solchergestalt volle Ladung haben, fahren sie nach Chartnm zurück.
Die Mannschaft erhält den Betrag ihres Soldes in
Sklaven ausgezahlt, uud zwar iu der Weife, daß ihr nur
etwa der dritte Theil des Marktwertes, welchen ein Sklave hat,
angerechnet wird; dadurch stachelt man ihre Lust au. Die Sklaveu
werden losgeschlagen, sobald sich eine passende Gelegenheit dar-
bietet; man legt ihnen Handschellen an, giebt ihnen um den Hals
eine Stange, und sie müssen in langer Reihe, zusammengefesselt,
gehen.
Die .Scheußlichkeiten, welche diese von den Chartumer Kauf-
leuteu ausgeschickten Banditen verüben, spotten aller Beschreibung.
Jetzt will ich aber nur die Thatsache selber feststellen nnd hier nicht
auf Einzelnheiten eingehen. Diese Chartumer Halunken sind ans
das Menschenjagen so versessen, daß ich mir keine Leute zur Fahrt
nach Süden verschaffen kann. Ein Engländer, den sie als einen
Gegner dieses Sklavenraubes uud Sklavenhandels kennen, be-
kommt keine Leute. Ich muß bemerken, daß in einigen Fällen auch
die britische Flagge auf dem Weißen Nil Sklaveuladuugeu deckt.—
So lautet das Schreiben Baker's, welches wir in der Times
fanden. Gleichzeitig lasen wir aber auch einen Brief Lejean's
aus Chartum au die Redaktion von Ed. Charton's Le Tour du
Monde. Er ist ohne Datum; wir wollen denselben mittheilen, weil
Baker's Angaben dadurch bestätigt uud vervollständigt werden.
Also Lejean schreibt: — Ich bin in Chartum, wo man mich
zu allen Henkern wünscht. Das thut auch der alte T. (— wahr-
scheinlich Thibault gemeint —), der gauz uud gar zum Sudanesen
geworden ist. Dieser Feindschaft kann ich entgegenstellen meinen
amtlichen Charakter (— L. ist, wie wir früher im Globus mitgetheilt
haben, französischer Vicekousul zu Massawa—), meine Verachtung,
welche ich vor jenen Leuten hege, die Theiluahme ausgezeichneter
Männer, welche sich auf der Durchreise hier aufhalten, namentlich
jene Heugliu's, der eiue glänzende Reise in Abessinien gemacht
hat, uud jene der rechtlichen Leute von der europäischen Kolonie,
z. B. der Brüder Poncet nnd Bolognesi's.
Betrübende Nachrichten! Die Hetzjagd auf Sklaven
verzehnfacht die Verbrechen. Jüngst ist eiue Landstrecke, etwa so
groß wie zwei Drittheile von Belgien, dadurch vollständig zur Ein-
öde geworden.
Mohammed Her uud der (arabische) Stamm der Abu Rüf
sind über die Denka-Neger hergefallen, die in dem Viereck des
Winkels wohnten, welchen das Land zwischen dem Sobat und dem
Weißen Nil bildet, nnd haben keinen einzigen Denka ver-
schont. Als ich an jenem Lande vorüberkam, war es mit Dörfern
bedeckt; jetzt ist es eine Wüstenei. Das „Menschenvieh" war
dort in so großer Menge vorhanden, daß auf den Antheil
selbst des geringsten Matrosen sechszig Denka-Neger
als Prise kamen.
Vor wenigen Tagen hat sich nun auch hier von Chartum aus
Eine Trappenjagd in Persien.
215
ein ©um*) auf Kameelen im Bewegung gesetzt, um in der Gegend
oberhalb des Denka- Landes die Sache zu wiederholen.
Der Sudan wird auf diese Art regelmäßig gleichsam ab-
getrieben oder abgeholzt, förmlich nach Quadraten! Aber wie
könnt ihr guteu Neger euch nur beklagen? Europa könnte euch
freilich mit einem einzigen Worte retten, aber ihr wohnt weit, seid
nur Negerpack und der Abolitionismns datirt schon von Anno
1820; er ist verjährt. Europa liest die Lobeserhebungen auf
Said Pascha, oder was die Blätter über die kurhessische
Angelegenheit sagen, die freilich auch arg genug ist.
Judeß, England schläft nicht. P et her ick, der früher
auch nicht sauber war (obwohl seine Gegner übertrieben haben),
hat Alles durch eiu kräftiges Eingreifen wieder gnt gemacht. Er
hat englische Unterthanen, welche des Sklavenhandels an-
geschnldigt worden sind, in Eisen legen lassen, seinen eigenen
Stellvertreter nicht ausgenommen, und sie sind von ihm nach Kairo
geschickt worden, wo ihrer die gesetzliche Strafe harrt.
Dazu gehörte Muth, und manche Leute glauben, daß man
deshalb Petherick ermorden werde. Er ist nun inG oudokoro;
die Piraten, welche mit dem Stellvertreter unter einer Decke steckten,
sind im Aufstand, und Petherick hat von hier ans 120 Mann Ver-
stärkung verlangt. Der panische Schrecken ist in Folge jenes
Durchgreifms so stark, daß alle Europäer, mit Ausnahme
der beiden Poncet, welche niemals Sklavenhandel getrieben (?),
den Weißen Strom verlassen haben. Petherick hat ein
mittelmäßiges Buch geschrieben, aber eine große That gethau. — —
Was die beiden Poncet betrifft, so wollen wir bemerken,
daß sie, anderen Angaben zufolge, nicht viel besser sind, als die
übrigen Chartumer Handelsleute. Wir haben früher ausführlich
erzählt, daß diese beiden Leute au Vaudey's Zügen betheiligt waren.
Lejean ist also wohl für sie wie für Bologuefi parteiisch.
Interessant ist aber der Schluß seiues Brieses: —
*) Ei» Naubkriegszug heißt GhaSwa; der Anführer desselben wird als
Agnid, d. h. Edler, bezeichnet; seine Schaar, das Aufgebot, welches er
mit sich führt, heißt Gnm. A.
Kaiser Theodor (von Abessinien) hat erklärt, daß er gegen
Chartum ziehen wolle, und bereits, nach biblischer Art, dein Häupt-
liuge der Abu Haras angekündigt, daß dieser ihm sein Zelt bereite.
Theodor hat die Unello-Gallas bezwungen und will im
Oktober an der (sudanesischen, ägyptischen) Grenze feilt. Möge
Gott ihm beistehen! Er schafft, überall wohin er kommt, den
Sklavenhandel ab, und wenn er den Sudan erobert, so kann
dieser nur dabei gewinnen.
Chartum muß einmal gehörig ausfegt werden! —
Nachdem wir das Obige geschrieben, lasen wir einen Bericht
über die Sitzung der Londoner geographischen Gesellschaft vom
24. November. Eine Mittheilung des englischen Generalkonsuls
Saunders iu Alexandria meldet, daß Petherick oben am
Weißen Nil sich iu einer sehr bedenklichen Lage befand; indessen
hatte die ägyptische Regierung ihrem Gouverneur des Sudan
Befehl ertheilt, Herrn Petherick Beistand zu leisten. Der Bericht
erwähnt, daß Speke und Graut auf manche unerwartete
Schwierigkeiten gestoßen seien, durch welche ihr Vordringen ver-
zögert wurde. Uebrigeus seien gerade jetzt drei euglischeDamen
von Chartum aus den Weißen Nil hinangefahren, und sie könnten
möglicherweise die ersten Europäer sein, welche Speke begegnen.
Ein Verwandter dieser Damen bemerkte, es sei ursprünglich ihre
Absicht gewesen, einige Zeit in Chartum zn verweilen (—allerdings
ein höchst wunderlicher Plan für europäische Frauen—), da sie
aber keine passende Wohnung gefuudeu, so hätten sie einen vom
Bruder des Vicekönigs zurückgelassenen Dampfer gemiethet, nin
mit demselben bis Gondokoro hinauf zn fahren.
Briefe dieser Damen bestätigen Alles, was wir oben aus
Baker s Berichte mitgetheilt haben, und daß der Sklavenhandel in
der schamlosesten Weise im Schwange gehe. Die weißen Fraueu
haben mehrere Neger freigekauft; als sie den Werth von etwa zehn
Pfund Sterling gezahlt hatten, gab ihnen der Sklavenhändler
zwei beinahe verhungerte alte Franc» freiwillig mit in den Kauf.
Sie waren vom Stamme der Denka.
Eine Trappenjagd in Persien.
Wir haben in einer frühern Nummer eine Jagd ans Hafen und
Gazellen geschildert; jetzt wollen wir die Jäger auf einer Trappen-
jagd begleiten, welche nicht minder reich au Aufregungen ist und
dem europäischen Waidmanne viel Nenes und Ueberrascheudes
darbietet. Wir folgen demselben Reisenden, welchem wir die
früheren Mittheilungen entlehnten. —
In Teheran trafen wir den Wali (Nnterstatthalter) von
Kurdistan, welcher in seine Provinz heimkehrte und uns einlud, ihn
auf einigen Jagdzügen in der Ebene von Weramin zu begleiten.
Auf diesen Antrag gingen wir mit Freuden ein, und unser Abzug
aus Teheran geschah mit allem Pomp und Ceremoniell, welche
durch das Herkommen ein- für allemal vorgeschrieben sind.
Der Zug wurde vou zwei Reitern eröffnet. Der eine (welchen
unser Bild in seiner ganzen Stattlichkeit zeigt), trug am Sattel-
bäum eine kleine Trommel; wenn dieselbe gerührt wird, wissen
Menschen und Thiere, daß sie sich versammeln sollen. Das ist ein
alter kurdischer Brauch.
Daun folgte der Wali; neben ihm ritten wir Drei, feine
europäischen Gäste. Hinter uns kamen fünf Falkeniere, jeder mit
einem Vogel ans der Faust, fünf Reiter, deren jeder zwei Wind-
Hunde au der Leine führte, dann folgten Büchsen- und Pfeifen-
träger uud zuletzt eiu Abdar, dem als Sattel ein Teppich diente,
welcher später als Tisch uud Tischtuch benutzt wurde. In zwei
großen Reisetaschen aus schönem Teppichzeuge führte er allerlei
Geräthe bei sich, welche er bei Zubereitung der Speisen nicht eut-
behren konnte; in einem köcherartigem Gehäuse stak ein Sonnen-
schirm; an einer Kette hing eine Schale von Kokosnuß, mit
welcher unterwegs Wasser geschöpft ward, uud an seinem Gürtel
baumelten eiu Dutzend kleine, mit allerlei Gewürz augefüllte
Ledersäcke. Ans dem Rücken hängt, einem halben Panzer ver-
gleichbar, ein mächtiges Kaffeebrett.
Eine zweite Abtheilung des Znges bestand ans einer Anzahl
von Maulthieren, welche mit allerlei nothwendigen Sachen be-
laden waren. Sie verließen uns aber bald, um nach der Stelle
zu gelangen, wo das erste Nachtlager gehalten werden sollte. Ich
für meine Person hatte einen Diener, der eiu Handpferd und drei
Hunde führte.
So zogen wir in die Wüste hinaus. Unsere Hauptabsicbt war,
Gazellen zu jageu, es verstand sich aber von selbst, daß wir nicht
verschmähten, was sich anderweitig ans denl Wege darbot. Unsere
Reiter belustigten sich, um die Einförmigkeit des Zuges zn unter-
brechen, dann und wann mit Scheingefechten; sie führten eine so-
genannte Fautasia auf. Die Falken waren stolz und verhielten sich
ruhig, die Hunde bellten oder heulten und zerrten in ihrer Unge-
216
Eine Trappenjagd in Persien.
dnld an den Leinen, die Pferde ließen an Munterkeit nichts zu
wünschen übrig. Auch war das Wetter schön, und wir Alle be-
fanden uns in heiterer Stimmung. Aber unsere Ungeduld mußte»
wir zügeln, bis wir iu die eigentliche Jagdregion gelangten, die
etwa zwanzig Reisestunden entfernt lag.
Am ersten Tage kamen wir nach Weramin und an dessen
Ruinen vorüber. DieHnnde desWali überholten einen armenHasen
und rissen ihn in Stücke; mein Reitknecht, dessen Hunde sehr flink
waren, erbeutete einen Fuchs. Am Abend wurde in Weramin
dem Wali eine Ehre angethan. Drei Musikanten erschienen,
breiteten einen Teppich aus und begannen zu spielen und Lieder
zn ihrer Musik zu singen. (Unser Bild zeigt die Gruppe.) Das
Tamburin war obligat. Die Pausen wurden mit Erzählungen
ausgefüllt. Wir fragten den einen Spielmann, wie er darüber
Persische Musikanten.
Doch wir wenden uns wieder zu den Reisenden. Sie zogen
am andern Morgen von Weramin aus auf die Trappenjagd. Der
Hnbara, eine kleine Trappenart, ist in jener Gegend sehr hänsig.
Sobald der Jäger eines Vogels ansichtig wird, nimmt der Falke-
uier dem Falken die Haube ab und übergiebt ihn dem Herrn, welcher
ihn auf seine, mit einem Lederhandschuh bewehrte Faust nimmt.
Der Falke hat gefastet; er wittert seine Beute vielleicht schon, bevor
noch der Jäger dieselbe erblickt; er starrt nach einer Richtung hin,
bewegt den Hals, und der Reiter läßt sein Pferd langsam gehen,
bis er selber deu Hubara sieht. Dann öffnet er die Finger uud
läßt den Falken frei, welcher nun wie ein Pfeil dahinfchießt. An-
fangs fliegt er in horizontaler Richtung, bald aber steigt er in die
Luft, um seines Opfers sicher zn sein. Es kommt selten vor, daß
ein Hubara ihm nicht zur Beute wird. Er schlägt in den Trappen
denke, daß jetzt so manche Europäer uach Persieu kämen, um dort
abendländische Wissenschaften und Küuste zu verbreiten? Der
Manu entgegnete: das sei gewiß sehr zweckmäßig, weil Allah
wolle, daß die Menschen etwas lernen; es habe aber mit der Sache
doch eine» Haken. „Ein Weiser hat erzählt, was einst einem Raben
widerfuhr: der Rabe nämlich war seit langer Zeit eifersüchtig auf
ein Feldhuhn, das so zierlichen Schritt und Gang hatte. Nnn
wollte er eben so hübsch gehen, mußte aber uach viele» Versuchen
und langen Bemühungen daraus verzichten; er hatte seine eigene
Natur beeinträchtigt uud obendrein seinen Zweck nicht erreicht; er
konnte am Ende nicht einmal mehr so gnt gehen wie früher; selbst
das hatte er verlernt." —
In diesem persischen Gleichnisse liegt hoher Sinn. Man kann
die europäische Kultur nicht mit Erfolg verPfropfen, wie das unser
abendländischer Civilisationsdünkel thnn zn können wähnt. Unser
Philosoph Fichte hat das schon vor länger als einem halben Jahr-
hundert sehr gut hervorgehoben. —
seine Fänge und dieser stürzt mit ihm zu Boden, wehrt sich aber
tapfer, so gnt und so lange er kann. Allein der Falke läßt ihn nicht
los uud sitzt am Eude stolz uud triumphirend auf seinem Schlacht-
opser, das ergern zerfleischen möchte. Inzwischen sind nun die
Jäger herbeigeeilt, um das zu verhindern. Sie finden den Ranb-
Vogel in einer Art von wilder Wnth; er rupft dem Hubara Federu
aus und hackt iu das Fleisch mit unbeschreiblicher Gier hinein. Er
soll und darf sich aber nicht vollfressen, weil er dann vorerst nicht
weiter zur Jagd gebraucht werden kann; tanglich ist er dazu nur,
wenn ihn recht gehungert hat. Aber während der kurzen Zeit, in
welcher er den Vogel als seinen Fraß betrachtet und einzelne her-
ausgehackte Fleischklnmpen verschlingt, schlägt er heftig mit seinen
langen Flügelu und streift deu Bodeu. Daun kommt es vor, daß
er sich Federn abbricht und auf lange Zeit unbrauchbar wird.
Das wollen aber die Jäger verhindern uud deshalb springen sie so
rasch als möglich nur herbei. Der Falkeuier springt vom Pferde,
klemmt deu Falken zwischen seine Kuiee, verhindert ihn mit den
218
Die Sandwichsinseln und die Walsischfänger in der Südsee.
Schwingen den Boden zu peitschen und hält ein Stück Fleisch hin,
um ihn vom Trappen abzulenken. Er darf ihn aber nur allmälig
von diesem hinwegziehen.
Ich habe vier Trappen auf solche Art jagen sehen; ein fünfter
gehörte einer größern Art au, widerstand dem ersten Anpralle des
Raubthiers, brachte diesem eine Wunde bei und entrann. Der
kleine Hubara ist ein sehr hübscher Vogel, mit graugelbem, braun
durchsprenkeltem Gesieder, einem Busch auf dem Kopf uud einer
ausgefranzten Halskrause vou laugen, weißen, schwarz zugespitzten
Federn; sein Hals ist lang, sein Schnabel gleicht einem Nagel, die
stelzenartigeu Beine haben drei Zehen.
Es wurde schou bemerkt, daß der Falkenträger einen starken
Handschuh uöthig habe, denn die Fänge des Falken sind mächtig
und scharf. Die Haube ist gewöhnlich von brennender Farbe uud
zuweilen werthvoll geschmückt. Unser Bild zeigt, in welcher Weise
sie dem Falken aufgesetzt wird. Ein ans die Gazellenjagd abge-
richtetet Falke hatte eine solche Haube, au welcher die Oesfnnngen
für die Augen am Rande mit Perlen besetzt waren. Das Raub-
thier gewöhnt sich übrigens sehr gut au den Menschen; unterwegs
unterhält sich der Träger mit ihm und muntert ihn an, bevor er
ihn auf seine Beute losläßt. Nach dem Kampfe schmeichelt er
ihm, feuchtet ihm den Schnabel an und glättet ihm die Federn an
den Schwingen uud am Schwänze.
Manchmal verliert der Falke das Wild aus den Augen; dann
ist es Aufgabe der Jäger, ihn durch allerlei Zuruf wieder auf die
rechte Spur zu lenken. Wenn er etwa auf einen Baum sich setzt,
wird er heruntergeholt, indem man ihm einen Adlersittig zuwirft,
welcher au einem Bindfaden befestigt ist. Hilft das noch nicht,
so hält man ihm ein Stück frischen Fleisches vor; dann kommt
er. weil ihn hungert.
Die Sandwichsinseln und die Walfischfänger in der Sndsee.
Die Zahl dieser letzteren hat sich seit einigen Jahren ver-
mindert, weil der Fang nicht ergiebig ausfiel, uud dadurch find
die Interessen der Sandwichs-Inseln (Hawaii-Gruppe) empfindlich
berührt worden. Die Schiffer betrachteten die Inselgruppe als einen
Sammelplatz und Erfrischungspunkt, wo sie neu sich ausrüsteten, uud
wir erinnern nus, gelesen zu haben, daß im Hafen von Honolulu
auf der Insel Oahn einst nicht weniger als 89 Walsischfahrer bei-
fammen lagen. Die Ausrüstung solcher Schiffe griff in das ganze
Verkehrsleben der Inseln ein, ja bestimmte dasselbe. Nun ist
durch die plötzliche Verminderung und das theilweise Ausbleiben
dieser Flotte ein Stillstand eingetreten, der aber wohlthätige
Folgen haben wird. Man hat nämlich angefangen dem Ackerbau
uud der Viehzucht eiue größere Ausdehnung zn geben, uud dadurch
werden die wirtschaftlichen Verhältnisse selbständig. Besonders
hebt sich der Zuckerbau, für welchen die Hawaii-Inseln trefflich
geeignet sind. Während sie >860 erst 1,444,27 L Pfund Zucker
ausführten, betrug der Export 1861 schon 2,562,498 Pfund, also
über eiue Million Pfund mehr. Beträchtlich ist anch die Zunahme
der Ausfuhr von Wolle, welche von 76,006 auf 119,000 Pfund
stieg. Auf allen Inseln werden neue Zuckerpflauzungen angelegt.
Im Jahre 1861 hat man anch mit dem Reisbau begonnen; der
Reis giebt in jedem Jahre zwei Ernten, und die Waare ist
vorzüglich. Auch Baumwolle gedeiht. Nicht unbedeutend ist
die Ausfuhr von Tripang (Biche de Mer), welcher den Chinesen
für eine Leckerei gilt, gleich dem Fnugns, von welchem 1861
nahe an 100,000 Pfund exportirt wurden. Er wächst auf den
Bäumen der Urwälder Hawaiis. Wichtig ist auch der Anbau des
Kaffees, aber jahrelang war derselbe von einer Plage heimge-
sucht: Insekten überzogen die Bäume uud nahmen ihnen alle Kraft.
Der Kaffee von den Saudwichs-Juselu ist sehr gut. Andere Aus-
suhrartitel sind Salz, Hörner nnd Koknsnnßöl, das von Fannings-
Eiland kommt.
Mit Kalifornien und Oregon wird von Honolulu nach San
Franeisco eine regelmäßige Packet schifffahrt unterhalten. Viele
von dem letzter» Hafen nach China und Japau bestimmte Schiffe
laufen Honolulu an, um Wasser und Lebensmittel oder Fracht
einzunehmen. Die Fahrzeuge der zwischen China uud Kalifornien
projektive!' Dampferlinie werden bei Honolulu einen Hauptanhalte-
und Kohlenplatz haben. Nach dem Amur besteht von Honolulu
aus eine, jetzt noch nicht ganz regelmäßige, Verbindung. Die
von San Francisco nach dem Amur bestimmten Schiffe laufen
dort an und bringen aus Asien eine große Menge von gesalzenem
Lachs mit. Die russisch-amerikanische Kompagnie will von ihrer
Hauptniederlassung Sitka (Neu-Archangel) aus regelmäßige
Eissendnngen nach Honolulu, vou 1863 an, machen.
Ein Bericht des preußischen Konsulats zn Honolnln bemerkt,
daß auf den Inseln der Mangel an Arbeitskräften immer mehr
fühlbar werde, und sagt: „Es ist eiue erwiesene Thatsache,
daß dieHawaiischeRasse im Aussterben begriffen ist."
Diese Thatsache läßt sich leider nicht in Abrede stellen; wir
haben darüber schou vor mehreren Jahren Betrachtungen an-
gestellt. Wir sagten in einer Abhandlung über das Erwachen
der Südsee Folgendes: —
„In der Südsee wirkt der Contakt zwischen dem
weißen nnd dunkelgefärbten Menschen, sei er braun oder
schwarz, nicht minder zersetzend und auflösend, wie bei den
Wald- uud Prairie - Indianern Nordamerikas. In Australien
uud Tasmanien verschwindet der Eingeborene; auch auf Neuseeland,
das kaum noch hunderttausend Maoris zählt, uimmt die Volks-
zahl rasch ab; auf derHawaii-Gruppe ist sie seit Cooks Tagen
uM vier Fünftel zusammen geschwunden; ans Tahiti zeigt
sich dasselbe uud auf den übrigen Inseln beobachtet man dieselbe
Erscheinung."
„In Polynesien hat der Andrang der Weißen kaum
erst begonnen, nnd doch tritt es schon klar zn Tage,
daß alle diese Polynesier rettungslos dem Untergänge
geweiht sind. Das Verhäuguiß will [eine Erfüllung haben und
läßt sich nicht abwenden; alle Bemühungen, dem Verlaufe der
Dinge Stillstand zu gebieten, werden vergeblich sein."
„Die Polynesier mit ihrer halben oder völligen Barbarei sind
durch die Europäer uud Nordamerikaner aus dem Gleichgewichte
geworfen worden. Das Alte ist unwiederbringlich dahin, uud
das Neue vermögen sie, ihrer ganzen Beschaffenheit nach, nicht zn
bewältigen. Sie nehmen es an uud auf, aber es bleibt ihnen
innerlich theils ganz fremd, theils wird es ihnen nur bis zn
einem gewissen Grade verständlich."
„Ein schlimmerer Feind als die Blattern sind die starken Ge-
tränke, uud die Bemühungen der Missionäre, dieses Gift von
ihnen fern zu halten, können immer nur bis zu einem gewissen
Grade vou Erfolg sein."
„Aus dem Zusammenleben der verschiedenen Nassen entsteht
eine Mischung, welche mit allen Mängeln der Halb-
schlächtigkeit behaftet ist. Die Natur hat dergleichen
Blendlinge überall nur ungern, und vervielfältigt sie aus
ihnen selbst heraus, zuerst mit Widerwillen, bis sie ihnen endlich,
Verpflanzung der Fieberrinde au? Südamerika nach Ostindien.
219
meist schon in der vierten Generation, die Zeugungs- und San-
gnugsfähigkeit entzieht. Mischlinge, welche fortbestehen wollen,
müssen sich stets Zuschuß aus deu reinen, nicht hybriden, Schlägen
holen. Aber in der Südsee nehmen die Dinge einen solchen
Verlans, daß diese Blendlinge vor dem weißen Menschen
verschwinden werden; er zersetzt und vernichtet auch
sie."
„Das braune Meuschenelement, der Urtypus wie der
Mischling, ist im Abzüge, und wenn noch nicht unser Jahr-
! hundert, so doch sicher eins der nächsten, wird den Tag sehen, an
welchem der letzte ureingeborene Polynesier verschwin-
det. Gleich den braunen Menschen werden anch die schwarzen
Stämme untergehen, vielleicht in weniger friedlicher Weise."
„Aber verenden werden sie alle an der ihnen zu-
gebrachten europäischen (Zivilisation. Die Zukunft
der Südsee ist dem weißen Menschen und seinem Ber-
kehr gesichert. (Geographische Wanderungen, von Karl
Andree, Dresden >859, Theil II, S. 319 ff.)
Verpflanzung der Fiederrinde
Der Bedarf au Fieberrinde ist ungeheuer. In den letzten
Jahren sind allein in England durchschnittlich 4,200,000 Pfnnd
eingeführt worden. Die amerikanischen Chinchona-Wälder Neu-
Grauadas, Ecuadors, Perus und Bolivias können kaum genug lie-
fern, und jetzt kommen etwa 3 Millionen Pfund zur Ausfuhr. Mau
fragt ängstlich, wie lauge sie überhaupt noch einen auch nur mäßi-
gen Bedarf vou diesem nun unentbehrlichen Arzneimittel werden
liefern können. Die Chinchonapflanzen bilden nicht etwa ganze
Wälder, sondern stehen vereinzelt, und beim Sammeln der Rinde
nehmen die Indianer nicht die mindeste Rücksicht. Der hohe Preis
der Waare veranlaßt die Leute, dieselbe auch in den abgelegensten
Gegenden aufzusuchen. Mancher Cascarillero (Riudensamm-
ler) hat dabei in den Wildnissen sein Leben eingebüßt.
Aber es steht zu befürchten, daß auch diese fern im Innern
von Peru und Bolivia liegenden Gegenden in nicht gar langer Zeit
erschöpft sein werden, und dort die heilsame Pflanze ausgehe, wie
der Moa auf Neu-Seeland oder der Vogel Dodo-Droute auf der
Insel Mauritius. Die Cascarilla ist das einzige sichere, ganz
fpecififche Mittel gegen manche Arten von Fieber, und die Aerzte
kennen keinen Ersatz. Was für ein maßloses Unglück, wenn die
Chinchona ausginge! (S. übrigens S. 221.)
Die spanische Kolonialverwaltuug war schlecht und auf Plus-
macherei gestellt. Aber auch selbst in Bezug auf diese zeigte sie sich
kurzsichtig. Schon vor länger als hundert Jahren machte Ulloa
darauf aufmerksam, daß die Schonung der Cascarilla geboten sei;
Jussieu, Rniz, Pavon, Alexander von Humboldt wiederholten ein-
driuglich diese Mahnung, die Wälder, in welchen die Pflanze sich
findet, unter besondere Obhut zu nehmen. Die spanische Krone
achtete nicht darauf, und die elenden Regierungen der sogenannten
Republiken Peru und Bolivia dachten bis auf deu heutigen Tag
nicht daran, einen Schutz zu gewähren, der doch so dringend
uöthig ist.
Das Quiuiu wird nun mit Gold aufgewogen; der Verbrauch
steigt. Eben jetzt, während des Krieges in Nordamerika, ist der
Bedarf größer als je, und England verausgabt allein für seine
Armee in Indien jährlich vierzigtausend Pfund Sterling, um die
Apotheken mit Quiuiu zu versorgen. Nun ist klar geworden, daß
gegenüber der, man kann wohl sagen, verbrecherischen Sorglosigkeit
der südamerikanischen Regierungen etwas Durchgreifendes geschehen
mußte, um der Welt ein so wichtiges Arzneimittel auch für die
Folgezeit zu erhalten; man durfte nicht mehr, wie seither, der Natur
Alles allein überlassen. In Deutschland, Holland und England
haben seit langer Zeit Männer der Wissenschaft darauf gedrungen,
die Chinchona nach Ost - und Westindien zu verpflanzen, aber anch
die europäischen Regierungen waren lauge Zeit für einen so zweck-
mäßigen Rath nicht zugängig und hatten taube Ohren.
Endlich, im Jahre 1852, machte die'uiederläudische Regierung
einen Anfang und ließ Chinchonapflanzen nach Java bringen. Un-
glücklicherweise war aber die Art, welche man bekommen hatte, eine
der am wenigsten werthvollen, nämlich die Chinchona Pahudiana,
is Südamerika nach Ostindien.
und die Versuche mit anderen Arten wollten anfangs nicht gedeihen.
Allmälig stellten sich jedoch bessere Ergebnisse heraus; anch die
englisch-indische Regierung wurde aufmerksam und beauftragte
einen tüchtigen Mann, Clements R. M arkh am, Chinchonapflanzen
aus Peru zu holen und dieselben nach Indien zn übersiedeln.
Markham hat sich seines Auftrags glänzend entledigt, und in
feinen „Travels in Peru and India, while superintending
the Collection of Chinchona plants and seeds in South America,
and tlieir introduction into India", ausführlich erzählt, welchen
Mühseligkeiten und Gefahren er sich unterzog, um seineu Auftrag
auszuführen. Wir haben das vor Kurzem in London erschienene
Buch noch nicht erhalten, finden aber im Athenäum eine Besprechung
desselben, welcher wir die nachfolgenden Notizen entlehnen.
Markham hatte durch fein Werk: „Cuzco und Lima" seine
gründliche Kunde über die Verhältnisse von Peru und Bolivia ge-
zeigt; er spricht nicht blos spanisch, sondern, was von viel größern?
Belang war, anch das Qnechua, diese altpernanische Sprache,
welche von den Indianern geredet wird.
Am 2. März 1861 landete er in Jslay, welches die Leser
des Globns jüngst kennen gelernt haben (S. 129 ff.) nnd zog von
dort so rasch als nur möglich nach dem Innern. Ueber seine eigent-
lichen Absichten durfte er nicht das Mindeste verlauten lassen, denn
die peruanische Regierung war voll Argwohn und wollte keine
Chinchonapflanzen oder Samen aus dem Lande lassen. Schon
dem deutsche» Botaniker Haßkarl, welcher im Auftrage der
niederländischen Regierung nach Peru gekommen war, hatte sie
alle möglichen Hindernisse in deu Weg gelegt. Deshalb mußte
Markham doppelt vorsichtig sein. Glücklich gelangte er über Are-
quipa und Pinto uach Crncera am vstli chen Abhänge derAudes,
recht eigentlich in das Herz der Chinchona-Region, bevor noch
irgend ein Verdacht rege geworden war.
In Sandia traf er Vorbereitungen zu einer Wanderung in
die Urwälder und kaufte Lebensmittel au, weil er weiterhin der-
gleichen nicht mehr haben konnte. Seine Begleitung bestand aus
vier Indianern, von denen aber einer bald fortlief, dem Gärtner
Weir und einem Mestizen. Nun gelangte er in eine Gegend,
deren großartige Sceuerie ihn entzückte, allein die Pfade waren
schlecht und gefährlich, denn sie führten bald an fürchterlichen Ab-
gründen hin, bald über steile Höhen nnd sehr oft mußten Flüsse
durchwatet werden. Endlich gelangte Markham bis an die äußerste
Grenze der Gesittung, in das Thal von Tampobata, wo ein
alter freundlicher Bolivianer, Don Juan de la Cruz Girouda, eine
Niederlassung hatte. Nun befand sich der Reisende im Mittel-
punkte der Region, in welcher die werthvolle Chinchona Caiisaya
steht. Der Pflauzeuwuchs war nngemeiu üppig in diesem heiß-
feuchteu Thal. Im Januar und Februar regnet es dort uuauf-
höflich und die Sonne kommt gar nicht zum Vorschein; Marz,
April, Oktober, November und Deeember sind nicht viel besser,
und das ganze Jahr hat nur drei trockene Monate.
Markham fand einen Cascarillero Namens Martine;, mit
28*
220
Verpflanzung der Fieberrinde aus Südamerika nach Ostindien.
welchem er in der Qnechnasprache verkehrte; dieser begleitete ihn
in die Wälder, welche nie zuvor ein Europäer betreten hatte, in
denen Bären nnd Jaguare Hausen, und wo Markham, so lange
seine Lebensmittel ausreichten, eifrig Pflanzen sammelte. Er er-
zählt Folgendes.
Die Wurzeln breiteten sich ans dem Gestein aus, einem meta-
morphischen Thouschiefer, ohne Fossilien, etwas glimmer- und
eisenhaltig; er wird durch das Wachsthum der Pflanzen leicht in
dünne Platten zerbrochen. An diesem Standorte war die Chin-
chona Calisaya häufiger als an allen anderen Stellen, welche ich
gesehen hatte. Obeu auf der Kette hatten sich zwei Bären sorgsam
ein behagliches Lager bereitet. Von dort hatten wir eine weite Aus-
schau über die Windungen, welche der Fluß machte und die wald-
bedeckten Berge au seinem jenseitigen Ufer. Auf diefeu Bergen be-
merkten wir ein paar lange, kahle Stellen, fürchterliche Erdfälle,
welche im Walde keineswegs selten vorkommen. Dann stürzen ge-
waltige Felsmassen, mächtige Bäume und Gesträuche mit ge-
waltigem Krachen herab. Ich bemerkte eine sehr schöne weiße
Stephanotis, die über das Gestein kroch. Nach einem sehr an-
strengenden aber gelungenen Tagewerke kehrten wir am Abend bei
heftigem Regen nach nnserm Lager zurück, wo freilich inzwischen
die Lebensmittel ausgegangen waren. Am 7. Mai suchten wir
noch einige Brotkrumen aus den Säcken zusammen, dann aber
starrte uns die Hungersuoth an und wir mußten sofort den Rück-
weg antreten. Die Pflanzen wurden sorgfältig in Moos verpackt
und in zwei Matten gelegt. So hatte ich etwa zweihundert
Chinchona-Pflanzen. Es war keine leichte Arbeit, diese fünft-
halb Fuß im Umfang haltenden Mattenbündel auf so schlüpfrigen
nnd gefährlichen Pfaden zu tragen; HerrWeir fiel dabei einmal in
einen Fluß. —
Bei Gironda fand Markham nur spärliche Vorräthe, was ihn
jedoch weniger kümmerte, als ein Brief des Alcalden der Ortschaft
Qniaca, der ihm verbot, Pflanzen oder Sämereien
mitzunehmen, „denn das werde des Landes Nnin sein."
Gironda besorgte für seine Person Unannehmlichkeiten nnd rieth
seinem Gaste, die ganze Sammlung von Pflanzen, welche nun
529 Stück betrugen, wegzuwerfen. Diesen freundlichen Rath be-
folgte Markham natürlich nicht, machte sich aber so rasch als mög-
tid> aus dem Stanbe, weil inzwischen das Volk gegen ihn anfge-
wiegelt worden war.
Markham nahm seine Zuflucht zur List. Er sandte den
Gärtner Weir nach Crncera, während er selber mit den Pflanzen
über die eisigen Höhen der Cordillera entfloh. Ein Beamter, Don
Manuel Martel, hatte in Crncera aufgepaßt und war wüthend,
daß seiue Beute ihm entgangen war. Markham erreichte glücklich
den Hafenplatz Jslay am 1. Juni, nnd verpackte dort seinen kost-
baren Schatz so sorgfältig als möglich in Ward'sche Kisten. Die
Zollbeamten in Jslay erklärten indessen, es sei nicht erlaubt,
Chiuchouapflauzen auszuführen, und so mnßte erst noch von der
Regierung in Lima ein Befehl erwirkt werden, welcher die Ver-
kabung nnd Wegführung gestattete. Zn guter Letzt sollte noch ein
Bubenstück ausgeführt werden; denn von peruanischer Seite wurde
ein Mann gedungen, heimlicher Weise bei Nachtzeit Löcher in die
Kisten zn bohren, heißes Wasser hinein zu gießeu und ans solche
Weise die Pflanzen zu tödteu. Glücklicherweise wurde der Anschlag
vereitelt und Markham segelte ab. —
Wir wundern uns, weshalb mau nicht der erbärmlichen
peruanischen Regierung ohne Weiteres gesagt hat: „Du wirst durch
Deiue klägliche Nachlässigkeit großes Unheil über die Welt bringen;
diese bedarf des Qniniu, wir wollen Chiuchouapflanzeu haben;
wir werden Leute schicken, um sie zu holen, und wenn dn ihnen
Hindernisse in den Weg legst, so bombardiren wir dir deine
Häfen." Das sieht scheinbar gewaltthätig ans, wäre aber in
diesem Falle durchaus gerechtfertigt, nud eiue bloße Drohung
wäre sicherlich genug gewesen, um selbst peruanische Kreolen zn
Verstände zu bringen.
Die indische Regierung machte einen Fehler durch Übel au-
brachte Knauserei. Markham hatte ihr dringend gerathen, an der
südamerikanischen Küste einen Dampfer bereit zu halten, damit er
sofort die Pflanzennach Indien so rasch als möglich bringen könne.
Aber ein Dampfer war nicht da. Die Pflanzen gingen also
aus Peru über Panama nach England und von dort
mit der Ueberlandpost durch Aegypten, über das
Rothe Meer, nach Indien!!
Markham hat nun auch Pflanzen und Samen von einigen
seiner Agenten, Spruce und Prittchett, welche in anderen Gegen-
den für ihn thätig waren und von der niederländischen Regierung
erhalten worden. Nun hat er Chinchonapflanzungeu
in Indien auf drei verschiedeneu Punkten angelegt:
auf Ceylon, in der Nilgheris und bei Darschiling
am Himalaya. Er hat die Oertlichkeiten selber ausgewählt
und giebt auch in dieser Hinsicht ausführliche Erläuterungen,
welchen eine Aufzählung der in Indien einheimischen Pflanzen,
die gegen Fieber angewandt werden, beigefügt ist.
Wir wolleu eiuige Bemerkungen hersetzen. Die Fieberrinde,
welche oft ganz unrichtig als Chinarinde bezeichnet wird, erhielt
den Namen Chinchona nach der durch dieses Mittel von einer
Krankheit geheilten Gemahlin des spanischen Vicekönigs von Peru,
1638, des Grafen Chinchon. Die Indianer kannten die Heilkraft
der Rinde; sie wurde aber den Spaniern lange verheimlicht.
Chinchon nahm 1640 eiue Quantität dieser Rinde nach Europa
mit, und von nun an wurde sie ein officinelles Mittel gegen das
Fieber. Man bezeichnete es lange Zeit als Pulver der Gräfin,
auch wohl Jesuitenpulver, weil die Jesuiten 1649 eine große
Menge nach Rom geschickt hatten. Kardinal Lngo vertheilte viel
davon an die Armen; die Reichen wogen das „Kardinal-
Pulver" mit Gold auf. Gegen Ende des siebenzehnten Jahr-
hunderts kostete die Dosis Chinchonapnlver einen Lonisd'or. Die
protestantischen Aerzte sträubten sich lange gegen die Anwendung
eines katholischen Pulvers!
Diesen letztern Punkt hat Humboldt in seinen „Ansichten
der Natur" II, S. 372 hervorgehoben. Das Städtchen Loxa,
sagt er, hat der wirksamsten aller Fieberrinden den Namen gegeben:
Qnina oder Cascarilla sina de Loxa. Sie ist das köstliche
Erzeugniß des Baumes Chinchona Condaminea; er wurde früher
in der irrigen Voraussetzung, als käme alle China des Handels
von einer und derselben Banmart, Chinchona officinalis genannt.
Sebastian Badns behauptete, sie sei schon 1632 nach Alcala
de Heuares, oder 1646 nach Madrid gebracht worden.
Die vortrefflichste China von Loxa wächst zwei bis drei Meilen
südöstlich von der Stadt auf Glimmerschiefer und Gneiß, in den
Höhen zwischen 5400 und 7200 Fuß. Man schlägt den Baum
während der ersten Blütezeit, das heißt im vierten oder siebenten
Jahre, je nachdem er ans einem kräftigen Wurzelsprößling oder
ans Samen entstanden ist. Humboldt bemerkt: „Mit Erstaunen
vernahmen wir, daß zur Zeit meiner Reise jährlich um Loxa auf
königliche Rechnung nur 110 Centner Fieberrinde von der C. con-
daminea durch die China-Sammler (Cascarilleros oder China-
Jäger, Cazadores de Qnina), eingebracht wurden. Nichts von
diesem herrlichen Produkte kam damals in den Handel, sondern der
ganze Borrath wurde über den Südseehafen Payta um das Kap
Horn nach Cadiz für den Gebranch des Hofes geschickt.
Um diese geringe Zahl von 11,000 spanischen Pfunden abzuliefern,
fällte man jährlich acht- bis neunhundert Chinabäume. Die
älteren und dickeren Stämme wurden immer seltener; aber die
Ueppigkeit des Wuchses ist so groß, daß die jüngeren, jetzt be-
nutzten, bei kaum 6 Zoll Durchmesser oft schon 50 bis 60 Fuß
Höhe erreichen. Der schöne Baum, mit 5 Zoll langen und 2 Zoll
breiten Blättern geschmückt, strebt immer, wo er im wilden
Dickicht steht, sich über die Nachbarbäume zu erheben. Das höhere
Kleine Nachrichten.
221
Laub verbreitet, vom Winde stark bewegt, einen sonderbaren, in
großer Ferne erkennbaren röthlichen Schimmer. Die mittlere
Temperatur in den Gebüschen von 0. condaminea oscellirt zwischen
1272 uud 15° R., das ist ungefähr die mittlere Jahrestemperatur
von Florenz und der Insel Madeira." —
Auch Pöppig hat in seinem berühmten Reisewerke manche
Nachrichten über die Cascarilla. Er weist nach, daß die Auf-
suchung und der Handel mit dieser Fieberrinde die Ursache zu
Ansiedelungen iu deu wilden Bergen von Chiuchao und Cuchero
gab. Diese „Sorten von Huanuco" kamen etwa 1785 zuerst iu deu
Handel uud Unternehmer aus Biscaya verdienten daran große
Summen; aber gewissenlose Spekulanten ließen sich schon damals
Verfälschungen zu Schulden kommen, indem sie die ächten Rinden
aus der Gegend von Huanuco mit anderen geringeren vermischten,
z. B. mit solchen aus Bolivia. Die großen Grundbesitzer theilten
die Cascarillaforsten in Schläge, welche abgetrieben wurden.
Pöppig klagte, vor nun dreißig Jahren, über das „Raubgewerbe".
Bei einiger Vorsicht, meint er, würden die verschiedenen Chinchona-
bäume nie ausgerottet werden, wie Manche, aus Uubekauutschaft
mit ihren Eigenthümlichkeiten, wohl fürchteten. Man habe blos
die Vorsicht zu beobachten, den Stamm möglichst nahe au der
Wurzel abzuhauen; dann könne man des Nachwuchses sicher seiu.
Um Cuchero, iu einer milden Gegend, kann man die jnngen Stämme
schon nach sechs Jahren fällen; in kälteren Gegenden, in der der
Puna benachbarten Region der Cejawälder, wo eine sehr wirksame
Rinde wächst, sind zwanzig Jahre erforderlich.
Kleine II
Burton und Dn Chaillu. Konsul Bnrton ist ans Fernando
Po ans einige Zeit nach Europa zurückgekommen und erhebt seine
Stimme in der vielbesprochenen Gorillasache iu der Times
vom 23. December. In manchen Dingen, sagt er, bin ich mit
Du Chaillu nicht einverstanden, aber es läßt sich noch darüber
streiten, ob das Recht auf meiner oder seiner Seite sei. Ich will
nur Folgendes bemerken. Ich verweilte drei Wochen in der Gegend
am Gabun, ging während dieser Zeit bis zum Kap Lopez und er-
forschte den südöstlichen Arm des Stromes weiter aufwärts als
irgend ein Reisender vor mir gethau Nun muß ich eingestehen,
daß ich seitdem eine höhere Meinung von Du Chaillu bekam, als
ich bis dahin gehabt. Die Mpongne (Eingeborene) nennen ihn
Mpolo, d. h. den dicken Manu, uud rühmen ihn als einen aus-
gezeichneten Jäger. Kein Mensch, ein neidischer Europäer etwa
ausgenommen, zweifelt daran, daß er Gorillas geschossen habe.
Das will doch etwas sagen, denn wir drei Engländer: Levison,
Winwood Reade nnd meine Wenigkeit, wir haben keine ge-
schössen. —
Ein Ersatzmittel für die Chinarinde. An einer andern
Stelle haben wir erzählt, wie große Mühe man sich gegeben hat,
die Chinchona-Pslanze ans Peru nach Indien zu verpflanzen.
Jetzt lesen wir, daß gerade in diesem letztem Laude ein Ersatz-
mittel bekannt geworden sei. Die Pariser Akklimatisations- Gesell-
schast hat nämlich einen Kasten mit Samen von Caesalpina Bon-
ducella aus Indien erhalten; in dem Begleitschreiben sagt Dr.
Hager, daß diese Pflanze als ein Specificum gegen iutermittirende
Fieber betrachtet werde. In Bengalen nennt man sie Natha;
sie ist eine kleine kriechende Pflanze, bildet eine Nuß mit sehr bitterm
Kern und dieser besitze die Eigenschaften der Chiuchouariude
(China, Ouiuiu, Cascarilla) iu sehr hohem Grade. Nur habe
sie außerdem noch die gute Eigenschaft, daß sie öffnend wirke, und
das ist für tropische Gegenden, wo die Leber so stark afficirt wird,
ein großer Vorzug. Man zerquetscht eine Nuß, setzt drei oder
vier Pfefferkörner hinzu uud nimmt davon täglich vier bis fünf
Mal mitScheretta-Thee (einem Aufguß von Gentiana cherayita),
und dieses Mittel hat sich, wie der Bericht meldet, so wirksam er-
wiesen, daß die europäischen Aerzte in Indien wahrscheinlich bald
die Chinarinde ganz bei Seite lassen werden. Scheretta ist eine
Art Gentiane, welche auf deu Bergen am Ganges wächst und auf
allen Bazaren Bengalens verkauft wird. Ihre fiebervertreibende
Kraft ist weit stärker als jene unserer europäischen Gentiana lutea.
Von deu indischen Aerzten wird sie auch als stärkendes Mittel an-
gewandt, und als Pulver, vermischt mit Gewürzen, in Kastoröl
gegeben; äußerlich wendet man sie gegen Wasserbruch au; auf
Ämboia innerlich gegen die Würmer, die Wurzel gegen Magen-
schwäche. In Aegypten werden die Nüsse als Ämnlete am Halse
getragen. Diese Nüsse werden von den Meeresströmungen weithin
getragen, z. B. an die Küsten von Schottland, wo man sie als
Molnkka-Boh nen bezeichnet. Man meint, daß die Pflanze
in Algerien uud Südsraukreich gedeihen könne.
Neue Gespinnst-Pflanzen. Diese fangen an eine große Rolle
in der deutschen Industrie zu spielen. DitRhea oder das chine-
sische Gras tu ch aus Ostindien ist verwendbar für die Papier-
fabrikation und zu Tauwerk. Für die europäische Seilerei dürfte
auch die Faser der Bananen von Bedeutung werden. Die größte
Beachtung verdient die brasilianische Seiden-Baumwolle; !
ch r i ch t e n.
dieselbe wird aus dem Flaum der Sameukuospeu verschiedener
Bäume und Sträucher gewonnen; sie ist zuweilen gelblich, sieht
der Baumwolle sehr ähnlich nnd ist für die Papierfabrikation, dann
für Schießbaumwolle jedenfalls ganz geeignet, obfchou zum Ver-
spinnen manchmal zu spröde. Die Tropenländer bringen eine
nnermeßliche Menge von dieser Seideubanmwolle hervor.
Eine amerikanische Pflanze, die Agave american a (Aloi>),
liefert ein ausgezeichnetes Surrogat für Roßhaar und Schweins-
borsten und kommt in der Bürstenfabrikation und bei der Polsterung
von Möbeln immer mehr in Aufnahme. Zum BeHufe der iu-
dustriellen Verwerthung dieses neuen Rohstoffes hat sich iu England
eine Aktien-Gesellschaft gebildet. Seit fünf oder sechs Jahren
verwenden die englischen Hutmacher und Papierfabrikanten ein
spanisches Binsengras, Esparta oder Alfa genannt; es wird
massenhaft ans Spanien eingeführt. Die Franzosen haben eben-
falls ein aus dem Pflanzenreiche gewonnenes „Roßhaar", sie
nennen es „crin vegetal" und bereiten es ans dem Baste der in
Algerien heimischen Chamaerops humilis. In derselben franzö-
sischen Kolonie weiß man den Bast der zwei Pflanzen Alfa und
Diss zu mannigfaltigen industriellen Zwecken, als Dachdeckung,
Packleinwand, Säcke, Matten u. s. w. zu verwenden; auch findet
der Bast der Alfa großen Absatz in den Papiermühlen des Mutter-
laudes.
Ferner verarbeiten die Franzosen den Bast einer Species von
Lecythis zu Hülsen von Cigaretteu, In der französischen Kolonie
Reunion werden jährlich nicht weniger als 3,000,000 Zucker- und
Kaffeesäcke ans den Blättern einer Species des Schrauben-
bäum es verfertigt; die alten Säcke wandern in Frankreich nach
der Papiermühle.
Die englischen Papierfabrikanten importireu ein ähnliches
Material, nämlich die Zuckersäcke ans Manila. DieNeapo-
litaner fangen an, aus den Fasern einerPflanze (Coronille emerus)
gute Zwirne und Tuche herzustellen; sie haben ferner gelernt, ans
den Zweigen der Weide ein wunderbar schönes Geflecht zu
verfertigen, welches dem feinsten Strohgeflecht ähnlich sieht. Die
Spanier brachten in London einen sogenannten Palmenhanf
zur Ausstellung, der aus der Gegend vou Karthageua uud Al-
meria vou dem dort vorkommenden Palmenbaume gewonnen
wird.
Besonders reich an Surrogaten für Baumwolle, Flachs und
Hanf ist Ostindien. Doch sind dieselben für jetzt von unter-
geordneter Bedeutung, da es hauptsächlich darauf ankommt, die
Produktion der echten Baumwolle dort iu Aufschwung zu bringen.
Man schätzt die gegenwärtige Baumwollernte Ostindiens ans
jährliche 3000 Millionen Pfund, wovon jedoch ein großer Theil
im Jnlande selbst verarbeitet wird. Die Flocke ist gröber und
kürzer als die amerikanische und würde eine sehr verbesserte Be-
arbeitungsmethode erheischen, wenn sie die amerikanische ersetzen
soll. Die Engländer sind bereits energisch ans Werk gegangen,
um den Rohstoff, ohne welche ihre Industrie nicht leben kann, auf
eigenem Boden zu erzielen. „König Baumwolle" bleibt allge-
waltig, wie er war; aber er soll fortan nicht mehr als Geißel
für politisches Wohlverhalten in den Händen der Uankees sich be-
finden, sondern sein Domicil an den Usern des Jnduö und Ganges
aufschlagen. Die Eröffnung des Suezkanals würde die Baum-
woll-Sendungen aus Ostindien sehr beschleunigen, aber nicht
wohlfeiler macheu. ^
Oesterreich besitzt keine von den bisher erwähnten Surrogat-
222
Kleine Nachrichten.
Gefpinnstpslanzen. In Preußen erzeugt man aus den Fasern
der Tannen- oder Fichtenuadel ein Material, welches unter dem
Namen Waldw olle zur Füllung von Matratzen verwendet selbst
zu Stoffen verwebt wird. Durch den eigenthümlichen Geruch
dieser Wolle sollen die Betten von Insekten verschont bleiben. Anch
verdient die Bearbeitung der Weiden-, Pappel- und Linden-
Hölzer Erwähnung, obschon dieselben keinen eigentlichen Faserstoff
liefern. Man verarbeitet dieselben in Böh m e n zu Geflechten und
verfertigt daraus allerlei Bekleidungsstücke, als Hüte, Kappen,
Beinkleider, Röcke, die recht hübsch aussehen und sehr billig sind.
Außereuropäische Thiere nach »nserm Erdtheil übersiedelt.
Die Londoner Akklimatisations- (Eingewöhnnngs-) Gesellschaft
hat neulich wieder eilte Summe von 150 Pfund Sterling bewilligt,
um australische Thiere nach England zu verpflanzen. Sie will
jetzt einige Wonga-Wonga und Tauben mit brouce-
farbigen Schwingen kommen lassen; sodann auch Wombats
und S to cksisch e v om Mnrray. Der bekannte Thierübersiedler
Wilson zu Melbourne in Australien will der Londoner Gesellschaft
alle Maschineu und Vorrichtungen, welche sich für solche Thier-
reisen zweckmäßig erwiesen haben, willig überlassen. Von Berlin
erhalten die Londoner Fische, insbesondere den Zander (Lucio
perca), und die Australier wollen sich hu Frühjahr 1863 eine
Ladung unserer Sperlinge ans der Gegend von Leipzig kommen
lassen. Dr. Schlegel in Altenburg hat sehr richtig darauf auf-
merksam gemacht, daß diese Jahreszeit unzweckmäßig sei, und daß
es besser gewesen wäre, die Sperlinge im Herbste, nach der Brut-
zeit, fortzuschicken. Die chinesischen Schafe bewähren sich in
England sehr gut. Lord Powerscourt theilt mit, daß ein Schaf
gleichzeitig vier Lämmer bekommen habe. Pnter aus Honduras,
welche im September angekommen sind, haben 20 Eier gelegt;
nenn davon sind ausgekommen, und sieben Junge leben. Aus
Algier hat man eine Menge von Pflanzen und Sämereien ge-
bracht nnd hat diese vertheilt. Die Dioscorea Batatas ist in
fettein, leichtem Boden gut gediehen. Auch mit dem Sorgho-
Zuckerrohr will man in England Versuche machen.
Reunthiere in der Schweiz. Im Kanton Graubüuden, im
Ober-Engadiu, wo theilweise das Klima jenem des nördlichen
Finnland ähnelt und wo isländisches Moos, die Hauptnahrung
der Renuthiere, in Menge wächst, gedenkt mau die letztereu einzn-
führen. Ein Norweger aus Tromsö hat dazu seiue Mitwirkung
angeboten.
Bergwerks- und Hütten-Betrieb in Preußen. Die Ergeb-
nifse desselben haben sich im Jahre 1861 quantitativ beträchtlich
vermehrt, und in einigen Landestheilen trug die Vollendung wich-
tiger Schienenwege wesentlich zur Belebung des Bergbaues bei.
Daö gilt insbesondere von der Verbindung der Eisenerzreviere von
Siegen und Wetzlar mit dem Rhein und der Ruhr. Die Zeit-
fchrift für das Berg-, Hütten- nnd Salinen-Wesen im preußischen
Staate bringt über Betrieb und Ertrag ausführliche Mittheilun-
gen, denen wir einige Angaben entlehnen.
Die Zahl der Bergwerke betrug 2690, das Quantum ihrer
Erzeugung 83,908,892 Tonnen und 10,520,175 Centner, zu-
sammen in einem Werthe von 31,353,523 Thalern. In diesen
Werken waren 110,524 Arbeiter beschäftigt; deren Frauen und
Kinder betrugen an Zahl 208,190 Köpfe.
Sehr bedeutend ist die Steinkohlenförderung: 452
Werke lieferten 58,890,201 Tonnen im Werthe von 21,808,326
Thalern; sie beschäftigen 68,229 Arbeiter.
Die Zahl der Braunkohlenwerke betrug 431; die Förde-
ruug 22,137,159 Tonnen, Werth 3,038,997 Thaler, 10,744
Arbeiter.
All Eisenerzen wurden iu 1137 Werkeil 2,875,472 Tonnen
im Werthe von 1,727,696 Thalern gefördert: 13,440 Arbeiter.
Zinkerze in 83 Werken 6,573,637 Centner, Werth
1,430,749 Thaler, 7501 Arbeiter.
Der Werth sämmtlicher Hüttenprodukte, welche in
1374 Hütten producirt wurden, betrug 07,095,518 Thaler; das
Gewicht 20,487,955 Centner; dazu noch 8 Pfund Gold und
38,317 Pfund Silber. Zusammen 60,724 Arbeiter.
Auf die Hohofenprodnktion kommen 8,986,777 Centner,
Werth 13,964,922 Thaler.
Die Produktion von Rohzink betrug 1,171,445 Centner; der
Kupferhüttenbetrieb lieferte 45,468'Centner im Werthe von
1,450,395 Thalern.
Die Salinen lieferten iu 3 Steinsalzwerken 609,215
Centner und 47,233 Kali-(Abraum-) Salze im Werthe von
>19,549 Thalern; Siedesalz in 18 Werken, 2,269,568 Centn er,
Werth 1,452,317 Thaler.
Schließlich wollen wir hervorheben, daß Preußen 12 Guß-
stahl-Werke hat, welche 209,920 Centner im Prodnktionswerthe
von 2,810,200 Thalern lieferten.
Kohlen in Großbritannien. Den jüngsten Znsammenstellnn-
gen zufolge sind 1861 nicht weniger als 83,635,2 14 Tons (zu
20 Centnern) Steinkohlen in Großbritannien und Irland gefördert
worden. Davon kamen auf:
Gruben. Tons.
Durham und Northumberlaud . 271. 19,144,965.
Cumberlaud....... 28. 1,255,644.
Uorkshire........ 397. 9,374,600.
Derbyshire und Nottinghamshire 180. 5,116,319.
Leicestershire....... 11. 740,000.
Marwicks!) ire....... 16. 670,000.
Stassordshire und Worcestershire 580. 7,253,750.
Laucashire ....... 373. 12,195,500.
Cheshire........ 39. 801,570.
Shropshire....... 66. 829,750.
Glocestershire, Somerfetshire und
Devonfhire...... 112. 6,514,025.
Wales......... 398. 8,561,021.
Schottland....... 424. 11,081,000.
Irland ........ 46. 123,070.
Die Kohlenerzeugung hat in den letzten acht Jahren sehr be-
deutend zugenommen. Mau hatte an Gruben (Collieries):
1854 . . . 2,397 Gruben 64,661,401 Tons
1856 . . . 2,829 „ 06,645,450 „
1859 . . . 2,949 „ 71,979,765 „
1861 . . . 3,052 „ 83,635,214 „
Von dieser Ungeheuern Menge wurden 1861 exportirt nur
7,560,758 Tous Kohle; alles Uebrige wurde im Laude selbst ver-
braucht.
Von der Ausfuhr kommeu auf: Frankreich 1,436,160; Däne-
mark 542,567; Hamburg 514,427; Preußen 439,096; Italien
417,629; Spanien und die Kanarischen Inseln 403,238; Amerika,
atlantische Häfen, 349,931; Rußland, nördliche Häfen, 342,513;
nichtenglisches Westiudieu 262,932; Hollaud 262,932; Schweden
214,004; Britisch-Indien 199,069; Türkei 174,686; britisches
Nordamerika 165,824; Brasilien 157,281; Norwegen 135,221;
Britisch-Westindien 127,768; Malta 115,731; Portugal, Azoren
und Madeira 108,794; Hannover 100,312. Länder mit we-
niger als 100,000 Tonnen finden wir in der Tabelle nicht auf-
geführt.
Man sieht, daß nächst Frankreich Deutschland der wichtigste
Abnehmer ist, mit 1,053,835. Aber es wird iu deu englischen Ta-
belleu nicht als GesammtHeit aufgeführt. Es ist immer das alte
Lied und der alte Jammer, so lange wir nicht nnsere schwarzroth-
goldeue Flagge haben. Diese ist das Caeterum censeo!
Erzeugung vou Eisenerz iu Großbritannien und Irland
18(11. Die Zusammenstellungen ergeben, daß dieselbe sich ans die
Ziffer von 7,215,518 Tons im Werthe von 2,302,371 Pfd. St.
belief. Auf Schottland kommen 1,975,000, auf Irland nur 165
Tons; alles Uebrige entfällt auf England, wo anf das North
Riding von Uorkshire allein 1,130,000, auf Staffordfhire 1,250,000
Tons kommen. ___
Transport von Mineralien auf den britischen Eisenbahnen.
Derselbe belief sich 1861 auf die ungeheure Ziffer von 63,604,334
Tous, jede zu 20 Centnern, und trug deu Eifeubahugesellschasteu
eiue Frachtsumme von 5,194,193 Pfund Sterling ein! Am be-
trächtlichsten war dieser Verkehr anf der Nordost-Bahn mit
6,979,524 Tons.
Zur Statistik der britischen Finanzverwaltung. Dem neue-
steu Blaubuche zufolge betrugen die Einnahmen des Vereinigten
Königreichs, nach Abzug der Erhebungskosten, 1861: 63,905,884
(gegen 07,458,093 in 1860); davon kamen anf Zölle 22,765,338;
Accife 17,266,586; Stempel 8,307,287; Einkommen-
steuer 6,687,750 Pfd. Sterling. Der Rest vertheilte sich auf
Gruud- und Aufwandsteller, Post (1,351,669), Domänen und ver-
schiedene kleine Einnahmen.
Die Ausgaben: 66,120,092 (gegen68,069,231 iu 1860). Da-
von entfallen auf die permanente Staatsschuld 23,710,327;
Annuitäten 1,843,876, also zusammen 25,554,203; dazu für
die schwebende Schuld 536,057, so daß die Zinsen für die
Staatsschuld iusgesammt sich auf 26,090,260 Pfd. Sterling
belaufen.
Die Civilliste und die Civilverwaltuug erfordern
11,712,491; das Landheer 15,709,299; die Flotte '12,608,042,
Kleine Nachrichten.
223
zusammen 28,317,341 Pfd. St., also für Schulden und Armee
eine Summe von mehr als 50,000,000 Pfd. Sterling!
Die Staatsschuld betrug 799,949,807 Pfd. St., wovon
15,529,800 auf die schwebende kommen.
Der wirkliche Gefammtwerth der Ein- und Ausfuhr des Ver-
einigten Königreichs stellte sich:
1854 1861
Einfuhr. . . . 152,289,053 . . 217,351,881 Pfd. St.
Ausfuhr . . . 115,821,092 . . 160,809,430 „ „
Also Ein- und Aus-
fuhr zusammen: 268,210,145 . . 378,161,311 „
Man sieht, wie beträchtlich die Zunahme ist. Bon der Aus-
fuhr waren 18,636,366 Pfd. St. ausländische und Kolouialpro-
dnkte; das Uebrige englische Erzeugnisse.
W e st i n d i e n:
Australien:
Ceylon:
Mauritius:
Kapkolonie:
Einfuhren.
5,331), 528
27,780,449
3,551,239
2,769,209
2,665,902
Von Interesse ist Budget der Einnahmen und Ausgaben in
den verschiedenen Kolonien.
186». Einnahmen.
Indien .... 39,705,822
Nordaiucrik. Kolonien 8,466,717
1,005,085
6.053,246
767,101
553,419 ,
742,771 ,
Demnach beliefen sich die Einnahmen der Kolonien, abge-
sehen von Nen-Seeland, über welches keine genauen Angaben
vorlagen, auf 57,938,314, die Ausgaben auf62,013,411 Pfd.St.
186».
DieStaatsschnld Indiens betrug:
„ „ Canadas „
„ Westindiens „
„ „ Nensüdwales „
., „ Victoria „
,, „ Südaustralien „
Westindien
Australien
Ceylon .
Mauritius
Kapkolonie
Ausfuhren.
5,696,485 Pfd. Sterling;
21,982,286 .,
2,550,586 „ „
2,259,640 „
2,080,398
Ausgaben.
44,622,269 Pfd.
7,995,747 „
1,065,085 „
5,773,290 „
705,440 „
500,854 „
729,690
98,107,460 Pfd. St.
12,144,264 „ „
1,578,026 „ „
3,830,230 „ „
5,118,160 „ „
870,100 „ „
Kolonialverhaltnisse Algeriens. Die im Jahre 1861 ver-
anstaltete Volkszählung ergab Folgeudes: Die Bevölkerung
innerhalb des sogenannten 'Kolonisationsbezirkes oder Civil-
territoriums — mit Ausschluß der außerhalb desselben lebenden
Stämme der Eingeborenen, welche vou den Beamten des Arabischen
Bureaus regiert werden — betrug 592,745 Seelen. Davon kamen
Zur Statistik des britischen Kolonialreiches. Den jüngsten
amtlichen Nachweisimgen des englischen Kolonialamtes zufolge
beträgt der Flächeuraum der 51 oder 52 Kolonien 3,319,640 Ge-
viertmiles.
Bou diesen kommen 933,722 auf Indien, 1,587,434 auf
Australien und 523,162 auf Nordamerika.
Die Volksmenge in fämmtlicheu Kolonien stellte sich nach
den jüngsten Zählungen auf 144,499,761 Seelen, sie ist also nnge-
fähr fünfmal so beträchtlich als jene der Vereinigten Königreiche.
Auf Britisch-In dien allein entfallen 135,634,244 Köpfe.
In den Kolonien mit gemäßigtem Klima hat sich binnen
zwanzig Jahren die Volksmenge mehr als verdreifacht. Sie be-
trug nämlich in Britisch-Amerika, Australien und Süd-
asrika im Jahre 1838 erst 1,575,615 Seelen, und im Anfange
deö Jahres 1859 schon 4,920,790.
In den tropisch en Kolonien, welche nur sehr schwachen Zn-
wachs erhalten, waltete ein ganz anderes Verhältnis; ob. West-
indien, die Westküste von Afrika, Ceylon, Mauritius, Hongkong,
St. Helena nnd Bermuda hatten 1838 eine Volksmenge von zu-
sammen 2,283,606 Seelen nnd zwanzig Jahre später 3,227,851!
Die Einfuhren in die erste Klasse von Kolonien betrugen
8,801,415 Pfd. Sterling; nach zwanzig Jahren hatten sie sich ver-
vierfacht, in der zweiten Klasse dagegen kaum verdoppelt.
Die Ausfuhren steigerten sich bei der ersten Klasse um das
Sechsfache, bei der letztern nur um 20 Procent. Bei Ceylon
und Mauritius war das Verhältniß allerdings günstiger, denn
diese Inseln haben indische Arbeiter, aber Westindien blieb in
Folge der Negeremaucipatiou um so mehr zurück.
Die amtlichen Nachweise beziehen sich zumeist auf das Jahr
1860. In demselben betrug die Einfuhr an Waaren und edlen
Metallen nach Indien 40,622,103 Pfd. Sterling, die Ans-
fuhr an Waaren ans Indien nur 28,889,210 Pfd. Sterling.
Die uordamerikanischen Kolonien führten ein für
11,985,155 nnd exportirten für 10,993,722 Pfd. Sterling.
auf die Provinzen: Algier 197,048, Oran 109,464, Kon-
stautiue 286,233. Die Zahl der Europäer ist auch jetzt,
nachdem seit der Besitznahme mehr als dreißig Jahre verflossen
find, noch sehr gering, denn unter jenen 592,745 Seelen sind nur
112,229 Franzosen, und davon besteht ein sehr beträchtlicher
Theil aus deutschredenden Elsässeru nnd Lothringern; Europäer
aus anderen Ländern sind 80,517 vorhanden. So wenig
Anziehungskraft hat für die eigentlichen Franzosen eine Kolonie,
welche ihnen gleichsam vor der Thür liegt. Die Zahl der Juden
betrug 28,097, jene der Mohammedaner 358,760. Der Nest
der Ziffer kommt auf Eingeborene, welche sich zeitweilig im Civil-
territorium aufhielten. Uebrigens hat die europäische Bevölkerung
des
000
seit 1856 doch um 33,494 Seelen zugenommen.
Die einheimische Bevölkerung, welche außerhalb
Civilterritoriums auf dem „Militärgebiete" wohnt, ist auf 2,400,
Köpfe veranschlagt worden. Es find Araber, Mauren, Kabylen,
Mosabiten nnd Neger.
Große Mühe giebt sich die Negierung, den Ackerbau unter den
Arabern einzubürgern oder zu beleben; sie hat ihnen namentlich
einen einfachen aber sehr zweckmäßigen Pflug gegeben. Der Anbau
des Weins und der Baumwolle nimmt zu; bei Belizane in
Oran^siud Versuche mit dem Anbau des Zuckerrohrs gelungen.
Bon Tabak wurden mehr als 4 Millionen Pfund ausgeführt,
Baumwolle aber nur 8797 Kilogramme; also ist der Anfang
schwach. Einen in ihrer Art nicht unbedentenden Exportartikel
bilden frische Gemüse während der Wintermonate.
Den Banmwollenban will man, wie es scheint, ernstlich
in Angriff nehmen, und zn diesem Zwecke bat sich, wie wir so
eben lesen, in Paris eine große Kompagnie gebildet. Die Ernte
von 1862 entsprach aber nicht den Erwartungen, denn der Bezirk
von Oran lieferte kaum 1000 Ballen, während man auf das
Doppelte gerechnet hatte. Eine englische Kompagnie, welche Baum-
wolle in Thale der Tafna bauen wollte, hat sich zurückgezogen
und sucht nun Ländereien im südlichen Italien. Wir wollen bei-
läufig bemerken, daß mau auch im Rhouedelta Versuche mit dem
Anbau der Baumwolle macht. Algeriens Gesammtertrag stellte
sich 1862 ans nur 1,220,000 Kilogramme.
Die Zahl der angekommenen Schiffe betrug 1797 mit 168,106
Tonnen Gehalt. Zn Gunsten der französischen Schifffahrt bestehen
Differentialabgaben.
Etwa 8000 Deutsche lebcu in Algerien. Jene in Oran kamen
durch eine schlechte Ernte in große Bedränguiß.
Bunte Mnstcrkarte der Einwanderung in Nord - Amerika.
Heber die Einwanderung selbst haben wir neulich Ziffern mit-
getheilt; wir tragen jetzt einige Angaben Über die Herknnfts-
länder nach.
Ans dem Vereinigten Königreich Großbritannien kamen
von 1851 bis 1861 nicht weniger als 1,338,093 Köpfe. Davon
ans England 247,125, ans Schottland 38,331 nnd aus Irland
748,740; ans Wales 6319, und dazu uoch 297,578 „aus Groß-
britaunien niid Irland im Allgemeinen". Man sieht, wie sehr
das irische Element vorschlägt und stärker ist als das „angcl-
sächsische."
Aus Deutschland kamen 907,780 Köpfe. Etwa 50,000
davon sind jetzt als Kanonenfutter im Kriege geblieben, nnd die
Uankeeblätter sagen, die „deutschen Miethlinge" seien sehr nützlich
zu verwenden.
Ans „Preußen" kamen 43,887 Seelen. Wir erlaube« uns,
diese „Preußen" den Deutschen zuzuzählen; auch erkennen sie in
Nordamerika nur die schwarz-roth-goldene flagge an, nnd singen
dort „Ich bin ein Deutscher, kennt ihr meine Farben."
Ans der Schweiz kamen 25,011; ans Frankreich 76,358,
zumeist Lothringer und Elsässer, die sich drüben sofort ganz natnr-
gemäß den Deutschen anschließen.
Die Uankee-Union hat demnach binnen zehn Jahren ungefähr
1,050,000 dentschredende Menschen dnrch Einwanderung erhalten.
Ans Britisch-Nordamerika kamen 59,309; Norwegen
und Schweden 20,931, Dänemark 3745, fast lauter Mor-
monen.
Spanien lieferte 9298, Westindien 10,660: Italien
7012, China 41,397, Belgien 4738.
Die Musterkarte ist bunt genug. Zu den Obigen kommen
noch 25,538 Einwanderer, deren Nationalität nicht festgestellt
worden ist.
Volkszahl in Württemberg. Nach dem durch das königlich
statistisch-topographische Bureau in Stuttgart entworfenen neuen
Hof- nnd StaatShandbnche zählt Württemberg, was die am
3. Deeember 1861 anwesende Bevölkerung betrifft, 16 Städte von
! mehr als 5000 Seelen in nachstehender Abstufung: Stuttgart
56,103, und mit den zur Stadt gehörigen 3 Weilern 61,314, Hlm
224
Kleine Nachrichten.
22,736, Eßlingen 15,059, Heilbronn 14,333, Reutlingen
13,449, Ludwigsburg 11,201, Tübingen 8709, Gmünd
8298, Kannstadt 7414, Hall 6862, Ravensburg 6817,
Göppingen 6762, Tuttlingen 6397, Nottenburg 5996,
Biberach 5723, Kirchheim 5478, Freudenstadt 5291. Im
ganzen Laude betrug nach der am genannten Tage vorgenommenen
Zählung die Summe der ortsanwesenden Bevölkerung 1,720,7OS
und die der ortsangehörigen Bevölkerung 1,822,920 Seeleu.
Volkszahl von Städten in Preußen. Der Generalübersicht
des statistischen Bnreaus zufolge sind, nach Berlin mit 547,571
Seelen, die volkreichsten Städte des Königreichs Preußen: Bres-
lau niit 145,589, Köln mit 120,568, Königsberg mit 94,579,
Danzig mit 82,765, Magdeburg mit 67,607, Stettin mit
64,431, Aachen mit 59,941, Elberfeld mit 56,307, Posen
mit 51,232 und Krefeld mit 50,584 Einwohnern. In den 1000
Städten wohnen 5,625,852, auf dem Lande, das in 332 Kreise
eingetheilt ist, 12,865,368 Seelen. Auf der Quadratmeile lebeu
in Preußen gegenwärtig durchschnittlich etwa 3625 Köpfe.
Volksmenge von St. Petersburg. Dieselbe betrug nach der
neuesten Zählung 586,293 Seelen, wovon nur 212,649 weiblichen
Geschlechts.
Gent in Ostflandern zählt 54 Banmwoll-Spinn- und Webe-
reieu mit etwa 600,000 Spindeln und 7000 Webstühlen, welche
zusaminen eiu Kapital vou 35 y2 Mill. Francs repräsentiren. Zahl
der Spinner 10,000, Weber 6000.
Die Bevölkerung der (Stadt betrug 120,140 Seeleu im Jahre
1861, jene der Provinz Ostflandern 804,894, Westflandern
634,918. Für ganz Belgien 1830: 4,064,235; sie war 1861
gestiegen auf 4,782,256 Seelen.
Die Volksmenge von Paris belief sich im December 1862
auf 1,616,141 Köpfe. Sie verzehrte 2,850,082 Hektoliter au gei-
stigen Getränken; an 1) Rinds-, Kalbs- und Hammelfleisch von
Thieren, welche iu deu städtische» Schlachthäusern geschlachtet
wurden, 88,049,684 Kilogramme; 2) Schweinefleisch 10,153,888
Kilogramme. Dazu kamen von 1) noch 14,740,545 K. und von
2) noch 6,546,486 Kilogramme. Bei allen diesen Ziffern sind
Herz, Leber!c. nicht mitgerechnet. Der Fischverbrauch betrug
10,862,745 Francs, jener der Austern 2,214,444, des Geflügels
und Wildprets 20,730,391, der Butter 23,992,729, der Eier
11,727,462 Fraucs. Dazu kommen etwa 10'/s Kilogramme Salz
und 7,931,246 Kilogramme Eis. Diese Ziffern gelten für das
Jahr 1861.
Die Jonischen Inseln hatten 1860 eine Bevölkerung von
232,426 Seeleu, zumeist sogenannte Jnselgriechen. Sie prodncir-
ten in dem genannten Jahre 69,553 Fässer Olivenöl im Werthe
von 50 bis 55 Schilling, 30,250,897 Pfund Korinthen und
148,539 Fässer Wein im Werthe von 11 bis 21 Schilling. Zum
Getreidebau eignen sich die Eilande nicht, sie erzeugten nur 67,580
Bushels Weizen; Korinthen bilden das Hauptprodukt. Die Vieh-
zucht ist unbedeutend. Die Einnahmen betrugen 140,855 Pfd.St.,
die Ausgaben 151,187 Pfd. St. Für die er'steren bildet der Aus-
gaugszoll auf Oel die Hauptquelle, denn er betrug in jenem Jahr
etwa 80,000 Pfund; auch Korinthen zahlen eine Exportabgabe.
Schifffahrtsbcwcgnng von Trapezunt. Im Jahre 1861
haben im Hafen von Trapeznnt 45 österreichische Dampf-
schiffe nud 5 Segelschiffe verkehrt. Die Tonuenlast derselben be-
trug 30,063, der Werth der zugeführten Güter 8,440,000, jener der
zur Rückfracht verladenen 4,5l3,000 Gnlden. Der Verkehr Oester-
reichs in Trapeznnt steht hiernach nur gegen jenen der Türk e^i
zurück, welcher 41 Dampfer und 52 Segelschiffe mit 31,927
Tonnen umfaßte. Frankreich mit 48 Dampferu und 1 Segel-
schiff von 20.949 Tonnen, dann Rußland mit 23 Dampferu und
9 Segelschiffen mit 14,067 Tonnen erscheinen noch mit erheblichen
Ziffern, außerdem nahmen nur Euglaud mit 4Dampfern, dann
Griechenland, Italien und die Jonischen Inseln mit wenigen Segel-
schiffen am Handel von Trapezuut Autheil.
Kalifornien deckt jetzt seinen Bedarf an Südfrüchten na-
mentlich an Fei gen und Rosinen selber. Die Ausfuhr in diesen
Artikeln hat begonnen. i
Herausgegeben von Karl Andree in Leipzig. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen.
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Am Boifv-Fluß in Oregon sind sehr ergiebige Gold-
gruben entdeckt worden.
Die Deutschen in Ungarn nnd Siebenbürgen. Der zu Prag
erscheinende „Tagesbote ans Böhmen ", ein Blatt, das sich um die
deutsche Sache iu jenem Lande entschiedene Verdienste erwirbt und
dem wir uusere volle Anerkennung zollen, enthält eine Reihenfolge
von Aufsätzen über „dieDeutscheu fern vom Heimatlande".
Es weht ein frischer, gesunder, patriotischer Geist durch dieselben,
und wir entlehnen ihnen Folgendes:
Die meisten der 800,000 in Ungarn seit lauger Zeit auge-
siedelten Deutscheu haben sich in letzter Zeit durch ein unselbständiges
Kokettiren mit dem Magyarenthum unvorteilhaft bemerkbar ge-
macht. Freilich trug hierzu dieUnguust geographischer, geschichtlicher
und politischer Verhältnisse Vieles mit bei. In der Zips wohnen
54,000 Deutsche, am dichtesten im Popradcr Bezirke. Hauptsächlich
kameu sie als Bergleute, bildeten den Bund der 24 Städte und
führten deutsche Gemeindeverfassung und deutsches Städtewesen
ein. Doch schon seit dem fünfzehnten Jahrhundert stirbt das
Deutschthum theilweise dort ab; iu den zerstreuten Orten wird es
allmälig durch das Slawenthum nach einem natürlichen Gesetze
aufgeschlürft und unter den Spießbürgern der protestantischen
Städte greift das Magyaroueuthum Platz. Mau trägt dort
Kalpak und Sporen, kann zwar hänfig nicht magyarisch sprechen,
verleugnet aber gern die Muttersprache und schimpft die abge-
tretenen Beamten „deutsche Hunde". Gut deutsch geblieben
sind die gewerbfleißigen, wohlhabenden Metzenseifner, ein
Theil des Ka schau er Bürgerthums, die Krikehajer und die
Deutschen iu der Marmarosch; letztere wohnen zwar nur in
Dörfern, zeichneu sich aber, wie übrigens die deutschen Ackerwirthe
in Ungarn überhaupt, durch Fleiß und Kenntnisse Vortheilhaft vor
allen Nachbarn aus.
Viele Grabstätten deutschen Lebens weis't uns das Land
westlich der Donau, wo die „schwäbischen Kolonien", die
zum Theil unter Maria Theresia augelegt wurden, meist ohne
allen nationalen Halt sind. Wir übergehen die Winzer der Ofener
Gegend und die Dentfchm in der Militärgrenze, um uns einem
erfreulichem Bilde: dem Sachfenthnm in Siebenbürgen,
zuzuwenden.
Siebenbürgen, Land des Segens,
Land der Fülle, Land der Kraft!
Mit dem Gürtel der Karpathen,
Niit den glänzend grünen Saaten,
Land voll Geld nnd Rebensaft!
So singt der Trausfylvane, wenn er „draußeu im Reiche"
auf einer deutschen Hoschnle studirt. Dort, bei seinen Stammes-
genossen, erzählt der Sachse von der Liebe und Treue, die sein
Volk dem Mutterlande bewahrt; mit rührender Sorgfalt erhält
man, obgleich hundert Meilen getrennt, die Beziehungen zu der
Urheimat. Mit Frende erfüllt es jeden Deutschen, der nach
Siebenbürgen kommt, wenn er sieht, was dort seine Stammes-
genossen geschaffen haben. Feste Steinhäuser, weiß getüncht vou
Außen und reinlich von Juueu, unterscheiden gleich vortheilhast
die sächsischen Dörfer von deueu ihrer magyarischen und rumäui-
schen Nachbarn. Als die „Sachsen" von Geisa I. in jene Länder
als Kolonisten (Bergleute, Winzer:c.) gerufen wurden, nannte der
Stiftuugsbrief jene Gegenden ein „Defertnm", die jetzt die best-
knlüvirten in Siebenbürgen sind. Nach so langer Zeit, trotz der
weiten Entfernung vom Stamme, haben sie doch ihr nationales
Bewußtsein und die Empfänglichkeit für geistiges Streben und
Leben und die rege Beachtuug aller intellektuellen Strömungen im
Mutterlande bewahrt. Sie sind geblieben, was sie bei ihrem Ein-
tritt in das Land waren: d e n t s ch e M ä n n e r. Alle unser Deutsch-
laud jetzt bewegenden Ideen, die Sänger-, Turner - und Schützen-
vereine, haben bei ihnen auch Eingang gefunden, und die sächsischen
Städte Bistritz, Mediasch, Schäßburg, Hermannstadt
und Kronstadt haben ein blühendes Veremsleben aufzuweisen.
Man feierte in Mediasch am 5. August dieses Jahres ein großes
Verbrüderungsfest aller sächsischen Vereine; Turner, Schützen und
Säuger aller Orte nahmen daran Theil, ebenso der siebenbürgisch-
sächsische Landwirthschaftsverein, die Gnstav-Adolph-Stiftung
und der Verein für siebenbürgische Landeskunde. Obgleich nur
etwa 250,000 Seelen, so braucht man doch nicht für ein Unter-
gehen der sächsischen Nation besorgt zu sein. Bis zum letzten
Blutstropfen hält der Sachse au seinem Deutschthum fest; das
bewies im Jahre 1848 der evangelische Prediger Stephan Ludwig
Roth, der, ein Opfer feiner deutschen Ueberzeuguug, von den
Magyaren kriegsrechtlich gemordet ward.
Tarsus in Cilicieu, die Stadt des Apostels Paulus.
Sagen aus dem Alterthum. — Geschichtliches. — Antonius und Kleopatra. — Die Rhede von Merdin. — Der Fluß Cydnus. — Die
Christen in Tarsus. — Eine griechische Hochzeit. — Eigenthümliche Branche. — Eine armenische Taufe. — Ruinen und Alterthümer
bei Tarsus. — Die Nekropolis nnd das Grabmal Sardanapals. — Pompejopolis. Solöeismen. — Anamur und Celenderis. —
Adana nnd Mopsveste. — Waffentanz der Tnrkomanen. — Tnmlo Kalessi und die aleische Ebene. —
„Ich bin ein jüdischer Mann, geboren zu Tarsen in Man bezeichnete sie als Tarsus, Stadt des Hnses.
Cilicia, und erzogen in dieser Stadt zu den Füßen Gama- Auf jeden Fall beweisen die Sagen, daß sie in ein hohes
liel's, gelehret mit allem Fleiß in dem väterlichen Gesetz." Alter hinauf reicht. Als die Perser in VorderasiSU herrschten,
So schreibt Paulus in der Apostelgeschichte. Seine war Tarsus Residenz eines vom Großkönig abhängigen
Vaterstadt, die reichste und wichtigste im alten Cilicien, war Fürstengeschlechts. Unter dem jüngern Cyrus wurde die
Ter Flus; PyrainuS bei Missiö.
«
im Alterthum hochberühmt. Als Erbauer wird von der Stadt von dessen griechischen Soldaten ausgeplündert, aber
morgenländischen Sage Sardan ap al bezeichnet; die nach und nach erholte sie sich, wurde auch durch ihre Univer-
Griechen ihrerseits wollten wissen, sie sei gegründet worden sität berühmt und war in den Tagen der Römer wieder zu
von Triptolemos, als er die Jo suchte; in der Nähe habe Glanz und Wohlstand herangewachsen. Während der-
er den Huf der in eine Kuh verwandelten Jo gefunden. Bürgerkriege zwischen Julius Cäsar und Pompejus segelte
Noch andere sagen, jener Hns habe dem Pegasus angehört, Antonius nach der Schlacht bei Philippi, gen Tarsus,
auf welchem bis zu dieser Stätte hin Bellerophon wo Kleopatra seiner harrte. Die Königin Aegyptens,
geritten sei. damals fünf nnd zwanzig Jahr alt, prangte gerade in der
Globus für I8K3. Nr. 32. 29
226 Tarsus in Cilicien, die
ganzen Fülle ihrer bezaubernden Schönheit und Anmuth.
Den Besieger des Brutus und Cassins empfing sie als
Venns geschmückt; sie fuhr in einem vergoldeten Schiffe;
die Segel waren purpurfarben, die Nuder mit Silber ein-
gelegt. Nachlässig lag sie auf schwellenden Polstern, umgeben
von Knaben als Amoretten und von Mädchen als Nereiden.
Antonius, von den Reizen Kleopatra's überwältigt, wurde
Sklave der Aegypterin.
Während der Kaiserzeit gingen die guten Tage von Tar-
sus zu Ende. Die Stadt litt durch die Uebersälle isanrischer
Bergräuber. Aber ihre Lage war so günstig, daß sie unter den
Byzantinern langsam wieder empor kam. Dann erschienen
die Kreuzfahrer aus dem Abendlande und fanden sie als
eine immerhin noch ansehnliche Stadt. Unweit derselben
fand unser Kaiser Rothbart seinen Tod. Im elften
Jahrhundert waren Armenier, aus ihrer Heimath am
Ararat verdrängt, nach Cilicien gekommen, hatten die
Festungen der Byzantiner erobert und ein Reich gegründet,
adt des Apostels Paulus.
Syriens im Osten, mit Städten gleichsam übersäet, zumeist
griechischen Kolonien. Auch das Land war stark bevölkert;
heute zählt es nur zwei Städte, die nicht völlig nnbe-
deutend sind: Tarsus undAdaua, und hat sicherlich nicht
viel über 100,000 Einwohner. Herrscher ist der osmanische
Sultan; die Landbevölkerung besteht zumeist aus noma-
dischen Tnrkomanen; in den Städten sindet man Neberreste
der alten Bevölkerung: Griechen, Armenier, Syrer, Araber,
Auruks und Zigenner.
Als Hafen für Tarsus dient jetzt die Rhede von
Merdin; der Name ist türkisch und bedeutet Myrthen.
Dieser kleine Flecken wird zumeist von Tnrkomanen bewohnt,
aber uebeu deu Hütteu derselben stehen auch europäische Ge-
bäude, z. B. ein Zollhans, Magazine, ein Lazareth und ein
sogenannter Palast, der aber weiter nichts ist als Hans des
Gouverneurs, Wohnung des Hafenmeisters und außerdem
noch Kaserne. Auch ist er nur einstöckig; aber der Fremde
betrachtet ihn nicht ohne Interesse, weil die Bausteine aus den
das bis gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts bestand;
dann unterlag es den Muselmännern. Bon den arme-
nischen Königen Ciliciens leitet jener Prinz Leo, welcher
in unseren Tagen oft von sich reden gemacht hat, seine
Abkunft her. Der gänzliche Verfall kam mit der Türken-
Herrschaft, und nun hat Tarsus längst keinen Hasen mehr;
es ist heute ohue Bedeutung.
Aber der klassische Boden bleibt. Welch eine Reihe
von Wechselfällen und Umwandlungen von den Tagen
Bellerophon's und Sardanapal's bis heute, wo im isstschen
Meerbusen Dampfer fahren!
Schon früher haben wir (Globus Nr. 21) einen Be-
rieht über Cilicien mitgetheilt, den wir jetzt vervollständigen.
Wir folgen dabei demselben Reisenden, Langlo is, welchen
wir auch damals begleiteten. Wir hoben hervor, daß
Cilieien, eine der wichtigsten Landschaften Kleinasiens,
auf allen Seiten vom Tanrusgebirge umschlossen sei; nur
die Südseite wird vom Mittelländischen Meere bespült.
Diese bildet nun eine zum großen Theil versumpfte Ebene,
aber im Alterthum war dieser etwa fünfzig deutsche Meilen
lange Küstenrand, von Pamphylien im Westen bis zur Grenze
Ruinen des alten Pompejopolis genommen worden sind.
Heber den Häusern der europäischen Konsuln wehen an
Sonntagen die Landesflaggen derselben. Das Qnaran-
tainelazareth ist in türkischem, das heißt abscheulichem.
Zustand, hat feuchte, dumpfe Zellen und keine Fenster-
scheiben; der Dolmetscher, welchen Langlois als ganz ge-
sundeu Mann mitgebracht hatte, bekam in demselben ein
perniciöses Fieber, an welchem er schon nach einigen Tagen
starb.
Tarsus selbst steht inmitten einer großen Ebene, welche
der Mesarlyk Tschai, der Eyduus der Alten, durch-
strömt, ist vou Bäumen und Gärten nmgeben und gleicht
einer grünen Oase. Sie zählt ungefähr siebentausend Ein-
wohner, unter denen sich, von den Konsuln abgesehen, nur
wenige Europäer befinden. Ein Haus gleicht so ziemlich
dem andern; die Gebäude stehen so dicht neben einander,
daß die Dachterrassen sich fast berühren. Größere Ban-
werke sind nur in geringer Zahl vorhanden; dahin gehören
einige Moscheen, ein paar Chane, d. h. Einkehrhäuser, und
ein Bazar. In den engen, schmutzigen Straßen herrscht
Gedränge; die Karawanenkameele drängen sich mit Mühe
Das eiserne Thor bei Tarsus.
Tarsus in Cilieien, die Stadt des Apostels Paulus.
227
hindurch, und fast immer ist auf der einen oder andern
Stelle die (Zirkulation gehemmt.
Das Schönste au Tarsus sind die Ruinen in der
Umgegend: das Grabmal des Sardanapalns, die römische
Wasserleitung und die Nekropolis. Diese letztere besteht
aus einem Hügel, der eine reiche Ausbeute au Alterthümern,
namentlich an Terracotten, gewährt.
Den wohlhabendsten Theil der Einwohnerschaft bilden
die Christen, nämlich Griechen und Armenier. Die Türken
sind träg wie überall, treiben keiueu Handel, lassen ihre
Aecker von Bauern, Fellahs, bestellen und leben vom Er-
trage der Felder. Lauglois möge schildern, wie es sich mit
den Griechen verhält; er lernte sie näher kennen und wnrde
in die Familienkreise eingeführt. Einem Türken kann das
nicht begegnen, weil die Damen dann von der Gesellschaft
fern bleiben müßten.
Ein fehr wohlhabender griechischer Kaufmann lud deu
Fremden zur Hochzeit fetner Tochter ein. Der Bruder der
Braut überbrachte ihm eine Wachskerze, welche uufere Ein-
— Zehn Brokatröcke ans Aleppo, Zeuge aus Damas-
kus, Halsbänder, goldene Armbänder:c.
Tritt ein und bringe Deine Freunde mit.
Die Hausthür wurde geöffuet und Alle strömten rasch
in das Haus. Dort begann ein orientalisches Orchester
seine allerdings nicht harmouische Musik; gleichzeitig stimm-
ten die Weiber in den Frauengemächern einen Gesang an
und draußen knallten die Flintenschüsse. Ich fand die
Tische mit den reichen Gaben bedeckt, welche der Bräutigam
aufgezählt hatte, und bemerkte unter Anderm auch reich mit
Silber verzierte Wasserpfeifen (Narghile), Tassen aus Japau,
zierliche Filigranarbeiten, allerlei Vasen, Teppiche und was
sonst noch zum Haus- und Zimmergeräth wohlhabender
Asiaten gehört.
Das Alles wurde genau besichtigt und die Gäste stritten
in einer uns Europäern undelikat erscheinenden Weise laut hin
und her über den Geldwerth der verschiedenen Gegenstände.
Unterdessen hatten die Diener in einem großen Saale die
Speisen aufgetragen, namentlich gebratene Schöpfe, ganze
Grabmal des <$cr
ladnngskarten ersetzt. Am anberaumten Tage war die ge-
sammle christliche Bevölkerung der Stadt aus den Beinen:
die Männer trugen neue Kleider, die Frauen ihre besten
Turbane und Mieder, die mit Edelsteinen besetzt waren,
und Diener feuerten vom frühen Morgen an Flintenschüsse
unter den Fenstern der Brant ab.
Ich begab mich, sagt Langlois, zunächst in das Hans
des Bräutigams, deu seine Freunde nach Möglichkeit heraus-
geputzt hatten; er erwartete den Vater der Braut, welcher
ihn zum Hause der letztern geleiten sollte. Wer kam,
wünschte Glück und überreichte dem Bräutigam eiu Gescheuk,
etwa seidene Tücher, einen Fes aus Stambul, gestickte
Schuhe, Hühner, Früchte oder auch baares Geld. Zuletzt
kam der Vater und der Zug setzte sich in Bewegung. Vor
dem Hause der Braut blieb er stehen; der Vater ging hinein,
erschien aber bald am Fenster und richtete nun an den
Bräutigam solgeude Fragen:
Wer bist Du und was willst Du?
— Mein Herr, ich bin Dein Sklav und bitte Dich
ergebenst, daß Du mir Deine Tochter zum Weibe gebest.
Welche Mitgift bringst Du?
-danapal bei Tarsus.
Pyramiden von Reis und vielerlei Zuckersachen. Die
Gäste griffen tapfer zu und die Hämmel wurden in der Art
zerlegt, daß Jeder fich ein beliebiges Stück heruntersäbelte.
Wer trinken wollte, schöpfte Wasser aus einem silbernen
Kübel.
Nach der Mahlzeit griff Jeder zur Tabakspfeife und
man trank Kaffee. Allmälig brach die Dunkelheit herein
und dann gab der Ceremomenmeister das Zeichen zum Auf-
bruche, denn man mußte nach der Kirche.
Die Braut hatte sich bisher noch gar nicht blicken
lassen: jetzt aber war für sie der Augenblick gekommen, sich
dem Bräutigam und den Gästen vorzustellen. Aus dem
Nebengemache vernahmen wir Schluchzen; gleich nachher
wurde der Vorhang _ zurückgeschlagen und ein ganz in
Schleier verhülltes weibliches Wesen, von zwei Frauen ge-
leitet, trat vor. Das war die Braut, und sie wurde mit
lautem Zurufe begrüßt. Darauf spielte die Musik, welche
deu Zug eröffnete, und dieser begab sich nach der griechischen
Kirche. Das Flintengeknall nahm kein Ende. Die Kirche
strahlte in hellem Glanz, aber der Zug durfte erst hinein,
nachdem der Bräutigam dem Bischöfe dieselben Fragen be-
29 *
Der Reisende und sein Dolmetscher^
erhascht, lebt des Glaubens, daß er sich noch im Laufe
des Jahres verheirathen werde.
Auch nach Beendigung der religiösen Feierlichkeit und
während des Zuges nach Hanse blieb die Braut immer noch
verschleiert. Im Brautgemache nahm sie dann auf einem
erhöhten Sitze Platz und der Gesang begann von Neuem.
Und nun erst wurde ihr Gatte eingeführt. Mit der Spitze
eines krummen Säbels hob er den Schleier in die
Höhe; die Gäste brachen in hellen Jubel aus, während die
Braut laut weinte und dann in Ohnmacht siel. Das
Letztere darf niemals fehlen, es ist einmal so vorgeschrieben
und herkömmlich. Aber sie erholte sich recht bald und dann
wnrde gegessen und tapfer gezecht, bis Manche einen starken
Rausch hatten. —
Das war eine griechische Hochzeit; betrachten wir uns
nun eine armenische Taufe.
Ich übersandte am Tauftage der Gevatterin nicht etwa
ein paar Handschuhe, denn das ist nicht Brauch im Orieut,
sondern einen persischen Gürtel und einen Ring, und ging
dann mit einigen anderen Eingeladenen in Mapseli's Haus,
wo schou Alles für die Taufe hergerichtet war. Beim Ein-
treten wnrde ich von den Dienern mit Wohlgerüchen über-
gössen und in verschiedenen Gefäßen brannte Myrrhe. Ich
mußte einen Trunk zum Willkommen genießen, und fand in
den Gemächern schon eine zahlreiche Versammlung. Mapseli
gab mir einen Kuß über den andern und reichte mir das
Kind, welches ich meinerseits zu küssen hatte. Bald nachher
erschien die Gevatterin; diese durfte ich aber uicht küssen.
Nachdem Alle aus Diwanen Platz genommen, trugen
die Diener einen Tisch herbei, stellten ein Becken darauf und
füllten dasselbe mit Wein. Der armenische Bischos, Ogannes,
erschien mit einigen Geistlichen; jeder Gast nahm eine Kerze,
Tarsus in Cilicien, die Stadt des Apostels Paulus.
antwortet hatte, welche schon früher der Brautvater an ihn
gerichtet hatte. Dann trat das Brautpaar vor den Altar.
Der Bischof zerbrach ein Brot in mehrere Stücke, reichte
einige derselben dem Bräutigam und der Braut und warf
die übrigen unter die Umstehenden. Damit war das Zeichen
zu einer allgemeinen Verwirrung gegeben. Jeder bückte sich,
um etwas zu erhaschen, drängte den Andern zurück, es gab
ein förmliches Handgemenge und die Lente knufften und
schlugen einander, während der Prälat über Alle seinen
Segen sprach. Ich verstand diesen skandalösen Auftritt
nicht und wollte mich einmengen; man sagte mir aber, daß
diese Art der Brotvertheilnng ein sehr alter Brauch im
Morgenlande sei; wer bei dieser Gelegenheit ein Stück Brot
I Der Chawadscha Mapseli, ein reicher Armenier, mit
welchem ich näher bekannt geworden war, bat mich, unter
Aufwendung aller orientalischen Redeblumen, zum Pathen
bei seinem neugeborenen Knaben. Insbesondere legte er
Gewicht darauf, daß die Dame, welche Gevatterin sein
solle, ein wahrer Ausbund von Schönheit sei. Ich gab
nach.
„Welche Namen soll Dein Pathchen haben?" fragte
mich Mapseli. Bei den Armeniern giebt nicht der Vater,
sondern der Gevatter den Namen, und wir kamen überein,
den jungen Mapseli Ogln zu taufen als Martyros Gar-
abed Asdn-adfadnr, zn deutsch: Märtyrer, Vorläufer,
Gottgesandt.
Tarsus in Cilicien, die Stadt des Apostels Paulus.
229
Bajazzo aut Golf von Slleyonbrette.
war ich nicht vorbereitet und bat den Geistlichen, sie so zu
stellen, daß ich sie als römischer Katholik mit gutem Ge-
wissen beantworten könne; übrigens sei ich von vorn herein
mit Allem einverstanden, was er in Bezug auf die Religion
des Knaben für angemessen erachte.
Der Prälat entgegnete: „Es handelt sich hier lediglich
um eine Förmlichkeit; Du brauchst nur ja zu sagen; alle Ver-
antwortlichkeit wird von der Gevatterin übernommen."
Damit waren alle Bedenken aus dem Wege geräumt:
der Prälat nahm seinen Hirtenstab, zeigte mit demselben
nach allen vier Himmelsgegenden, sprach laut die Namen
des Kindes und erklärte, daß dasselbe fortan zu den Christen
der armenischen Kirche gehöre.
Die kirchliche Feier war vorüber, das Festmahl begann.
Auch hier trug man gebratene Lämmer, Reis, Süßigkeiten
Ueberraschnng, an den Abhängen des Hügels viele Bruch-
stücke, welche mit jenen Statuetten Ähnlichkeit hatten. Es
war mir, sagt er, wie ein Traum; vor mir lag ein wahres
Bergwerk von Alterthümern fast zu Tage. Ich bewog den
Knaben durch eiu Geldgeschenk, reinen Mund zu halten,
kaufte dem Eigenthümer Grund und Boden ab, und begann
sofort mit den Nachgrabungen. Die Ergebnisse übertrafen
meine Erwartung; tagtäglich kamen ganze Massen von
Figuren und Bruchstücke von Gefäßen zum Vorschein, und
zwar in solcher Menge, daß ich ein ganzes Kauffahrteischiff
damit hätte beladen können. Eine nicht unbeträchtliche
Menge habe ich nach Europa geschickt, obwohl der Gouver-
nenr von Tarsus mir alle möglichen Hindernisse in den
Weg legte. Fernere Nachgrabungen werden aber wohl noch
ganz andere Erzeugnisse der tarsiotischen Keramik ans Licht
bringen.
küßte dem Prälaten ehrerbietig die Hand und dieser sprach
nun ein Gebet.
Ich stand zur Rechten des Bischofs, meine Gevatterin,
Sidi Miriam, zur Linken. Der Prälat gab mir eine Kerze
nud raunte mir in's Ohr, jedesmal, wenn er mich leise an-
stoße, solle ich Amen antworten.
Man brachte den Knaben, welchem der Bischof mit
fachkundiger Hand alle Bekleidung abnahm. Nachdem er
jedes einzelne Stück gesegnet hatte, tauchte er den Täufling
dreimal in jenes mit Wein gefüllte Becken, und richtete dann
die Frage an mich, ob es mein Wille sei, daß mein Pathe
in der christlichen Religion, gemäß den Satzungen der Gre-
gorianischen Kirche, erzogen werden solle? Auf diese Frage
und Komthnrwein in Menge auf. Die Frauen mußten
warten, bis wir Männer gegessen hatten.--
Es ist schon bemerkt worden, daß die Umgebung von
Tarsus eine reiche Fundgrube für Alterthümer dar-
bietet. In dem Tumnlns, welchen die Türken als Güö slük
Kal ak bezeichnen, sind viele antiquarische Schätze verborgen.
Langlois kam denselben durch einen bloßen Zufall auf die
Spur. Ein Knabe, von welchem er einige alte Münzen
gekauft hatte, brachte ihm eines Tages mehrere sehr hübsche
Thonstatuetten, welche er auf dem Wege zu jenem Tninnlus
beim Dorfe Giaur Ro'i und vor dem Kandschi- (Frauen-)
Thore bei Tarsus selbst gefunden hatte. Er ging mit dem
Knaben zu der Fundstätte und gewahrte, zu seiner freudigen
230 Tarsus tu Cilicien, die
Diese Nekropole von Tarsus liegt unweit von dem
Stadtgarten, in welchem sich das sogenannte Sardanapals-
grab befindet. Es ist ein großes Bauwerk aus Pudding-
stein, 115 Meter lang, 45 Meter breit und ungefähr
8 Meter hoch. Die alten Schriftsteller berichten, daß
Alexander von Macedonien einige Tage vor der Schlacht
von Jsfus mit seinem Heer an diesem Denkmale vorbei-
marschirt sei. Es bildet ein längliches Biereck; im Innern
befinden sich zwei massive Würfel, gleichfalls aus Pudding-
stein, von welchem man mit dem Hammer, trotz aller An-
strengungen, nichts abschlagen kann. Langlois legte ganz
geheim eine Pulvermine, aber auch mit ihr richtete er nichts
ans, und so bleibt es denn bis auf den heutigen Tag tut
Dunkel, was sich in diesem Denkmal eigentlich befindet.
Der Reisende unternahm Ausflüge auch in die weitere
Umgegend, und sie waren im Allgemeinen recht lohnend.
Er besuchte zum Beispiel die Ruinen v on Pomp ej op o lts,
welche am Meere, zwei Stunden von Mersin, sechs Stunden
Stadt des Apostels Paulus.
geht östlich über Mersin nach Tarsus und Adana. Wir
haben Lamas, Selefke, Kalo Korakesinm, Corycus, Lampron
und Auazarbus fchon früher (Globus Nr. 21) geschildert,
und wollen hier nur hervorheben, was noch von bemerkens-
werthen Alterthümern in den verschiedenen Städten vor-
Händen ist. Die Ruinen von Corycus gewähren einen
imposanten Anblick. Eine Burg steht am Meeresufer, eine
andere auf einem Eilande. Beide sind von Feudalbaronen,
Vasallen der Krone Armenien, gebaut worden und jetzt
unbewohnt.
Die Straße nach Selefke (Selencia) führt dem Meer
entlang, aber manchmal über steile Höhen; die ganze Gegend
ist verödet; auf einer achttägigen Wanderung traf Langlois
Menschen nur iu Lamas. Er kam nach dem Kap Ana-
mur, dem füdlichsten Vorgebirge Kleinasiens, das
von einem weit vorspringenden Ausläufer des Taurus ge-
bildet wird und einst die äußerste Grenze der armenischen
' Besitzungen bildete. Als der Reifende an einent Herbsttage
^ ORAhDl
Die Ruinen von Corycus.
von Tarsus nach Westen entfernt liegen. Vom alten
Theater ist Manches noch leidlich erhalten, die von Pom-
pejus errichteten Mauern stehen noch. Inmitten der alten
Stadt, deren Boden nun von Schutt uud Gestrüpp bedeckt
ist, erheben sich, zwei Reihen bildend, vierzig Säulen, die
noch ihre Kapitäle haben. Die durch sie gebildete Straße,
der Dromos, führte zu dem, jetzt von Sand verschütteten
Hauptthore. —
Pompejopolis war die Vaterstadt des komischen
Dichters Phil ein Ott, des Stoikers Chrysippus und des
Dichters Aratns, dessen astronomisches Lehrgedicht bis auf
unsere Tage gekommen ist. Auch sein Grabmal steht noch.
Wir wollen hinzufügen, daß die Stadt vor den Römerzeiten
den Namen So l ö führte. Sie war von Rhodos aus gegrün-
det worden, die Bewohner sprachen aber das Griechische so
fehlerhaft, daß man schon im Alterthum einen Sprachfehler
als Solöcismus bezeichnete. Ponipejns fand jenes Solö
von Einwohnern beinahe völlig verlassen, siedelte einen
Theil der von ihm gefangen genommenen cilicifchen See-
ränber dort an uud gab ihm seinen Namen.
Von Pompejopolis führen zwei Wege in den Taurus
und nach Selefke, über Lamas und Corycus; ein dritter
dort war, zeigte sein Thermometer 38 Grad C. im Schatten!
Der Herbst ist in Cilicien, namentlich an der Küste, wo
die Nordwinde nicht zn spüren sind, ungemein heiß, gleich
den Sommermonaten, und der Winter ist überall sehr kalt.
Das Land hat ein ezccessives Klima; die hohen schnee-
bedeckten Gipfel des Gebirges kann man vom Meer ans zu
Pferd in achtzehn bis zwanzig Stunden erreichen, und in
den Bergen liegt der Schnee manchmal sechs Ellen hoch.
In der Stadt Anamur, dem alten Anemnrium, sieht
man noch Trümmer einer Wasserleitung, halbverfallene
Mauern und zwei Theater. Das eine, noch ziemlich wohl
erhalten, scheint einst ein Dach gehabt zu haben. Die
Nekropolis besteht aus kleinen, von einander getrennten
Gebäuden, deren jedes in zwei Gemächer getheilt ist. Die
innere Kammer hat allemal mehrere Leichengewölbe oder
Zellen; dort wurden die Todten beigesetzt, während das
äußere Geutach als Opferzimmer diente. Anemurium ntttß
eine bedeutende Stadt gewesen sein; jetzt wohnen in dem
Orte Tnrkomanen. Aus dem Hügel steht eine Burg, deren
im Mittelalter mehrfach erwähnt wird; am Fuße desselben
strömt eilt Fluß, wahrscheinlich ist er der Arymagdos des
Ptolemäns.
Tarsus in Cilicien, die Stadt des Apostels Paulus.
231
Zwischen Anamur und Celenderis, einer zwölf Weg-
stunden entfernten Stadt am Meere, liegen die Ruinen
von Nagidus und von Arsinoe, die nichts Besonderes
darbieten, und weiter östlich die Trümmer von Melaria.
Die Ruinen von Celenderis sind wichtig; sie
liegen an einer kleinen Bucht und nehmen eine Länge von
einer halben Wegstunde ein. Man sieht namentlich eine
Wasserleitung und kleine Bauwerke, die sehr sest gewölbt
so zuträglich ist, daß im Lande behauptet wird, es heile
alle Krankheiten.
Betrachten wir uns nun noch Adana, eine Stadt von
etwa zwanzigtausend Einwohnern, am Sehnn tscha'i, dem
Sarus der Alten. Er entspringt im Taurus und fließt
unweit der Mündung des Cyduus ins Meer. Vermittelst
überdeckter Kanäle hat man Wasser von ihm in die Stadt ge-
leitet, und dort speist es die Brunnen und die Bäder. Adana
Grabmal des Aratus.
in diesem ausgedörrten Lande, in welchem die Turkomanen
nur am Rande der Sümpfe spärliche Weide für ihr Vieh
finden. Diese Nomaden bereiten Zeltgerippe aus diesem
Schilf und überdecken sie mit Filz. Solche bewegliche
Hütten geben den Leuten einigen Schutz gegen die brennende
Hitze; aber die Turkomanen verlassen immer so früh als
möglich im Jahre die ungesunde Ebene und ziehen in die Ge-
birgsthaler, wo die Luft und namentlich das kühle Wasser
Tumlo Kalessi.
sie unter sein Joch zu beugen sucht. Vor allen Dingen
möchte er sie zu einem seßhaften Leben zwingen, aber da-
gegen sträuben sie sich. Deshalb ist unablässiger Streit, der
manchmal in offene Fehde ausbricht. Gewöhnlich müßten
die Türken nachgeben, und wenn der Sultan dem Namen
nach Herr ist, so bleiben in der Sache selbst die Turkomanen
unabhängig.
Man gelangt in vier Stunden von Adana nach Missis,
Säulen von Pompejopolis.
sind; jedes derselben schließt einen schönen Sarkophag ein; hat diese letzteren in Menge, dann auch noch viele Moscheen,
griechische Inschriften besagen, wer dort begraben liegt. Chane und einen Bazar. Als Langlois sich dort aufhielt,
Die ganze Strecke zwischen Anamur und Tarsus, und wurde der Pascha von den turkomanischen Häuptlingen stark
noch weiter östlich bis Adana, ist dürr und verödet; an bedrängt; die Nomaden erkennen nur die Beys ihres eigenen
manchen Stellen führt der Weg durch gefährliche Moräste. Stammes als Oberhaupt an, und diese suchen so unab-
Bon Tarsus ab siudet man keinen Wafferlauf, keine Quelle hängig als immer möglich zu bleiben, während der Pascha
232 Tarsus in Cilicien, die Z
dem Mopsveste der Alten. Diese von dem berühmten
Seher Mopsos gegründete Stadt ist jetzt ein elender Ort,
in dessen Umgegend der Tnrkomanenstamm der Farsak Ogln
umherzieht. Jene Leute sind weit und breit berühmt, weil
sie mit dem Säbel vortrefflich umzugehen wissen, und sich
auf das Wersen mit dem Dscherid «der Scheibe) vortrefflich
verstehen. Bei ihnen war Langlois Zeuge eines eigenthüm-
lichen Auftrittes. Der Häuptling hatte den Reisenden gast-
lich aufgenommen und ließ vor ihm einen Waffen tanz
aufführen. Dieser ist zugleich Spiel und kriegerische Hebung.
Die Männer versammeln sich, selbst die Frauen kommen
aus den Zelten herbei. Es war beinahe dunkel; ein Feuer,
welches man mit Strauchwerk unterhielt, gab die Be-
leuchtung.
dt des Apostels Paulus.
tönen in immer rascheren Weisen, die Klingen schwirren
und funkeln immer mehr, das Kriegsgeschrei wird heftiger,
diese drei Männer brüllen und springen wie Tiger. Plötzlich
halten sie an, stehen wie gebannt fest; zuletzt kommen sie
langsamen Schrittes auf den Aga zu, knieen vor ihm
nieder, beugen das Haupt bis zur Erde und legen, zum
Zeichen der Unterwürfigkeit, ihre Damaseenerklingen auf
den Kops. Der Aga spricht freundliche Worte und heißt
sie aufstehen; inzwischen sind aber schon andere Tänzer au-
getreten und dasselbe Schauspiel wird wiederholt."
Bon diesem Tnrkomanenlager war Missis nur etwa
eiue Stunde entfernt. Es ist ein armseliger Ort mit ver-
sallenen Hütten und eingestürzten Moscheen und Minareten.
Oestlich fließt der Pyramus, über welchen die Römer eine
„Ein zum Kriege gerüsteter Turkomane trat vor, kam
bis nahe an uns heran und that einige Schritte nach dem
Takte, während zwei andere ein Tamburin schlugen und Flöte
bliesen, anfangs in langsamen, dann in immer rascheren
Akkorden. Der Krieger wurde lebhafter; er sah im Geist
einen Feind; diesem bietet er durch Geberde und Worte
Trotz, fordert ihn heraus, stürzt gegeu ihn ein, schwingt
seinen Säbel, weicht ein wenig zurück, greift abermals an
und erhebt ein Siegesgeschrei. Nun tritt ein zweiter Tänzer
auf und begrüßt jenen mit dem Säbel; gleich nachher er-
scheint ein dritter und alle zusammen beginnen dann einen
wahrhaft schrecklichen Tanz. Die Damascenerklingen der
Drei, welche nahe bei einander stehen, pfeifen durch die
Luft; ein Fehltritt, ein Ausgleiten, ein Fehlhieb, und sie
wären Kinder des Todes; aber Tamburin und Flöten er-
Brücke geschlagen haben. Neben einer in Trümmer liegen-
den byzantinischen Burg liegt eine Nekropolis, in welcher
Langlois viele griechische Inschriften fand.
Unweit von Missis nach Norden hin liegen, zu beiden
Seiten des Pyramus, zwei Burgen. Die eine, Tumlo
Kalessi, war zur Zeit der armenischen Herrschaft von Be-
dentnng; im Jahre 1212 gab König Leo der Zweite diese
Burg, welche damals Amnd (Adamodana) hieß, den Rittern
des deutschen Ordens. Die Schenkungsbulle befindet sich
im Archive zu Berlin.
Die Straße von Missis nach Aias fand der Reisende
unsicher. Ein Räuberhauptmann, Stephau Ogln der Bücke-
lige, trieb dort sein Unwesen; er brach oft mit seinen dreißig
Banditen ans den Schluchten des Giaur Dagh hervor, um
Karawanen zu plündern. Bon Aias ging Langlois nach
Turkomanenhäuptling; armenischer Bischof; cilicische Christen-
Di? Kolonie Queensland
Tarsus zurück, er machte aber einen Umweg, weil er eine
von Europäern uoch nicht durchwanderte Gegend erforschen
wollte, die einst berühmte aleische Ebene. Jetzt ist sie
zum großen Theile versumpft und hat sogar einige Salz-
feen, an welchen die Büffel eine Znflncht finden. Im Alter-
thnm ward sie als ergiebig gepriesen, noch im Mittelalter
rühmte man ihre Fruchtbarkeit; nun ist sie wüst und öde.
in Nordost-Australien. £33
Auf be» Ruinen von Mallns steht ein Tnrkomanendors;
mohammedanische Pomaden ziehen umher, wo einst, „nach-
dem er den Himmlischen Allen verhaßt war", einsam um-
herirrte B e l l e r o p h o u,
— sein Herz verzehrend in Kummer,
Durch die aleische Flur, der Sterblichen Pfade vermeidend.
Die Kolonie Ourciiglmid in Aordost-Äustralien.
Erster Artikel.
Geographische Nebersicht. — Volksmenge und Städte. — Auch hier ein Goldsieber. — Kolonialregierung. — Bodenverhältnisse und
Pflanzenwuchs. — Graöbrände. — Der Grasbaum. — Höhenzüge als Grenzscheiden. — Wälder. — Undurchdringliche Scrubs ltud
Moräste. — Flüsse, Creeks, Wasserlöcher und Gullies. — Wie mau Reisenden den Weg zeigt. — Klimatische Verhältnisse. —
Neberschwemmungen, Luftspiegelung, Sonnenbrand und Wirbelwinde. — Nachtheilige Einwirkungen des Klimas. —
Die einheimische Augenkrankheit. —
Britisch-Columbia an der Nordwestküste von Amerika
und Queensland im nordöstlichen Australien sind die
jüngsten organisirten Kolonien Großbritanniens, und beide
werden im Fortgange der Zeit von großer Bedeutung
werden. Die eine hat sechs Monat im Jahre Winter,
die andere reicht bis über den Wendekreis des Steinbocks
und ist wesentlich tropisch: jene ist ein Gold-, Holz-und
Fisch-Land, diese möchte man vorzugsweise zu einer Baum-
Wollenregion machen. Beide haben eine günstige Weltlage
am Großen Ocean.
Queensland ist erst im December 1859 eine selb-
ständige Kolonie geworden: bis dahin bildete ihr Gebiet
einen Theil von Neusüdwales, den Moreton-Bay-
Distrikt. Diese Bucht liegt unter 27 Grad S. Br. und
wurde 1779 vou Cook eutdeckt, aber der Fluß Brisbane,
an welchem die gleichnamige Hauptstadt der neuen Kolonie
liegt, erst 1823 von Oxley, welcher ans Sydney in diese
Gegend geschickt worden war, um eine geeignete Stelle zur
Anlage einer Sträflingsniederlassung aufzusuchen.
Eine solche wurde bald nachher an der Moreton-Bay ge-
gründet, aber schon 1842 wieder ausgehoben, weil von da
an nur freie Kolonisten sich im Distrikte niederlassen durften.
Sqnatters kamen in Menge herbei und brachten Vieh mit,
das sich auf den ausgedehnten Weidegründen rasch ver-
mehrte und gut gedieh.
Schon im April 1869 reichten die Ansiedelungen dieser
Viehhirten bis znm Broad Suud, 22° S. Br., und 1861
bereits ein paar Grade weiter nach Norden hin, bis an den
Fluß Bnrdekin, dessen Mündung man bisher nicht gekannt
hatte. Ueber die Grenzlinie geriethen Neusüdwales uud
Queensland in Streit; die britische Regierung wollte sie
dem 39. Breitegrad entlang ziehen, in Sydney setzte man
aber durch, daß sie etwas weiter nach Norden hinausgerückt
wurde. Sie beginnt nun bei Point Danger, 28° 8" S. Br.,
läuft von da nach Westen der Bergkette entlang bis zur
Great Dividing Range uud folgt derselben bis zum 29°;
von dort zieht eine niedrigere Hügelkette westlich bis zum
Flusse Dumaresk oder Severn; die Linie folgt dem Laufe
desselben bis zum Flusse Macintyre, und diesem entlang bis
sie den 29°. S. Br. wieder erreicht, und dann ans diesem
parallel nach Westen hin bis zum 141° Ö. Länge und weiter
nach Norden hin bis an's Meer.
Globus für 1863. Nr. 32.
Innerhalb dieser Begrenzung hat Queensland einen
Flächenraum von mehr als 559,999 englischen Geviert-
meilen. Wir haben im Globus die Resultate der ueuesten
Entdeckungen von Bnrke, Landsborough und Mac Kinlay
mitgetheilt, und hervorgehoben, daß Sqnatters in Menge
nach den früher noch nicht erforschten Gegenden gezogen
oder noch unterwegs sind. An manchen fruchtbaren, mehr
oder weniger gut bewässerten und zur Viehzucht geeigneten
Strecken sehlt es offenbar in jenem Nordosten Australiens
nicht, und man meint, daß das Klima aus deu Hochebenen
uud im Gebirge für die Schafzucht nicht zu heiß sein werde.
Man hofft auch, wie schon bemerkt, Baumwolle, sodann
Zucker und Reis bauen zu können.
Die Kolonisten von Queensland geben sich jetzt große
Mühe Ansiedler anzuziehen, und heben natürlich die wirk-
lichen oder angeblichen Vorzüge ganz besonders hervor,
während sie die Schattenseiten verschweigen oder zu mildern
suchen. Das thnt z. B. auch Westgarth.*) Der größte
Theil, wenn uicht das Ganze, liege ja jenseit der Region
mit uugewissem Klima, das südlich von Queensland große
Extreme von Hitze und Kälte darbiete und vou Dürre
und heißen Winden viel zu leide» habe. Durch tropische
Regengüsse sei Nordaustralien in günstigeren Verhältnissen
als Central- und Süd-Australien; von diesen Regen werde
ganz Queensland befruchtet; die jährliche Regeumeuge
betrage doppelt so viel als im Süden. In Brisbane,
27° 5' S. Br., betrug die Regenmenge in dem mit dem
39. September abschließenden Jahre 55V2 Zoll; es regnete
an 131 Tagen, am meisten in den Monaten Februar, März,
April und August. Das Klima, so sagt Westgarth weiter,
ist heiß, aber gesund, und für die Leibesbeschaffenheit der
Europäer geeignet; das gilt besonders von den südlichen,
gemäßigteren Strecken, und hat sich auch an den Kolonisten
durchaus bewährt. (?) Die mittlere Jahrestemperatur war,
Morgens 9 Uhr beobachtet, 68° F. (etwa 29° C.) Für
die einzelnen Monate ergaben sich: Oktober 69,7; November
74,9; December 77,8; Januar 79,2; Februar 76,9; März
75,8; April 79,2; Mai 69,8; Juni 54,5; Juli 55; August
58; September 62° F.—
*) Australia, its rise, progress and present condition by
William Westgarth. Edinburgh 1861. S. 36 ss.
30
934 Die Kolonie Queenslan
Die Zahlen mögen ganz richtig sein, aber Westgarth s
Angaben über die Gesundheit und den gemäßigten
Charakter des Klimas sind falsch. Das soll weiter
unten nachgewiesen werden; und wir legen Gewicht darauf,
weil Deutschland ein Interesse daran hat, die Verhält-
nisse jener Kolonie kennen zu lernen. Denn bereits sind
einige Schiffsladungen deutscher Auswanderer
nach Queensland geschafft worden, und ganz kürzlich wurde
uns mitgetheilt, daß man sich bemühe, noch Tausende der-
selben dorthin zu schaffen.
Im Jahre 1851 lebten im heutigen Queensland
8575 Seelen, 1856 schon 17.082 auf 174,600 Quadrat-
miles; am 31. December 1860 schon 28,056, wovon
16,817 männlich, 11,239 weiblich. Die beiden wich-
tigsten Städte waren Brisbane mit etwa 7000 und
Jpswich mit 4500 Einwohnern. Schon im Jahre 1858
hatte die Kolonie an vierthalb Millionen Schafe,
450,000 Häupter Rindvieh und 50,000 Pferde. Den
wichtigsten Exportartikel bildet Wolle, wovon in dem mit
dem 30. September 1860 abschließenden Jahre 4,826,500
Pfund im Werthe von 422,319 Pfd. Sterling ausgeführt
wurde; Talg für 34,120 Pfd. Sterling. Die Kolonial-
einnahmen betrugen 178,589 Pfd. Sterling.
Auch Queensland ist vom Goldfieber nicht verschont
geblieben und hat Vortheil von demselben gehabt. Im
August 1858 verbreitete sich die Nachricht, daß am Flusse
Fitzroy, der unter etwa 23^/^ S. Br. in die Keppel-
Bay mündet, Gold gefunden worden fei. Jene Gegend
war damals noch fast ganz unbekannt, jetzt aber strömten
aus Sydney und selbst aus Melbourne und anderen Häsen
Victorias solche Massen von Abenteurern herbei, daß deren
im Oktober schon etwa sechstausend an Ort und Stelle
waren. Ju der That war Gold vorhanden, etwa 70 Miles
von der Mündung des Fitzroy, an einer Stelle, welche
Cannna heißt. Bald aber entstand große Roth, es fehlte
an Lebensmitteln, Taufende zogen wieder ab und Andere,
welche zu Schiffe von Sydney gekommen waren, gingen
gar nicht an's Land, als sie den Sachverhalt erfuhren. Nun
hatten aber die zurückgekehrten Goldgräber keine Gelegenheit
wieder heimzufahren und mußten im Laude bleiben. Sie
gründeten die Ortschaft Nockhampton, 30 Miles von
der Mündung des Fitzroy, welche jetzt schon eine wichtige
Station bildet und ohne Zweifel künftig zn großer Be-
dentnng gelangt.
Queensland wurde am I. December 1859 selbständig;
die Verfassung war schon am 6. Juni durch Geheimraths-
beschluß genehmigt worden. Das erste Parlament ver-
sammelte sich am 29. Mai 1860. Die Assembly, das
Unterhaus, besteht aus 26 vom Volke gewählten Abgeord-
neten; die 15 Mitglieder des Oberhauses (Council) werden
von der Krone ernannt. Es stellte vor Allem fest, daß keine
Religionsgenossenschast auf Geldbeihülfe von Staatswegen
zu rechnen habe, und beseitigte damit verständigerweise eine
Streitfrage, welche deu andere» australischen Kolonien seit
langer Zeit viel zu schaffen macht. Der geringste Verkaufs-
preis für den Acre Landes beträgt ein Pfnnd Sterling; das
Land wird im Ausstrich verkauft und muß sofort baar be-
zahlt werden. Die Einwanderung solcher Leute, welche
auf ihre eigenen Kosten nach Queensland kommen, wird
durch Prämien begünstigt.
Die obigen Angaben, welche wir dem BucheWestgarth's
entlehnt haben, können wir aus einer vortrefflichen Quelle
vervollständigen. Ein Schweizer, Eduard Marcet, der
seit längerer Zeit in der Kolonie, im Distrikte Burnett,
wohnt, hat über dieselbe einen sehr eingehenden nnd
interessanten Bericht erstattet, der einen klaren Einblick in
in Nordost-Australien.
die Verhältnisse gewährt. Wir halten die Schilderung für
durchaus unbefangen und der Wahrheit gemäß. *)
Das erste mit deportirten Verbrechern beladene Schiff
kam 1834 nach der Moretonbay. Es fand dort einen ge-
räumigen Hafen, einen breiten Strom und fruchtbaren
Boden. Die Gegend gehörte, wie fchon früher gesagt
wurde, zur Kolonie Neusüdwales und stand seit 1821 unter
dem Generallieutenant Brisbane. Sie blieb etwa bis 1840
Strafkolonie.
Die neue Kolonie hat einen größern Flächeninhalt als
irgend eine andere in Australien, und reicht nach Norden
hin bis an die Torresstraße. Im Fortgange der Zeit wird
sie Land abgeben müssen, aus welchem sich dann wieder
eine selbständige Kolonie bildet. Gegenwärtig mag sie etwa
30,000 weiße Einwohner zählen. Jeder Bezirk hat seine
besondere Gerichtsbarkeit und Polizei. Die Leute auf dem
Lande, die Squatters, wohnen im „Busch", das heißt den
bewaldeten Gegenden, und treiben Viehzucht. Fast alle
alten Ansiedler kamen als arme Leute, viele auch als Ver
brecher in die Kolonie; wohlhabende Leute erschienen erst
später. Von jenen Ersteren sind manche sehr reich geworden.
Die sittlichen Zustände lassen auch jetzt uoch Vieles zu'
wünschen übrig. In einzelnen Gegenden treiben sich noch
Räuber, die berüchtigten Bnshrangers, umher, und an
Dieben fehlt es nirgends; ebenso nicht an Trunkenbolden,
Spielern und Gaunern. Alle Sekten sind vertreten, auch
die Juden, welche Hausirhandel treiben und im Busch von
einer Station zur andern gehen. Die Jrländer sind zu-
meist Katholiken, die Deutschen Lutheraner. Von diesen
sind viele Schäfer, andere leben in den Städten als Tabaks-
Händler, Uhrmacher und Handwerker. Sie sind sehr thätig
und betriebsam. Auch Chinesen sind schon nach Queens-
land gekommen.
Von eigentlichem Ackerbau ist uoch wenig die Rede;
das muß man zum Theil auf die Eigentümlichkeit des
Klimas schreiben, das von einem Extremin's andere
überschlägt und die Produkte europäischer Vegetation
verbrennt oder ersäuft. Weizen zum Beispiel kann
nicht gedeihen, die Sonne verdorrt ihn oder er versault
durch Regen. Dasselbe ist mit den Gemüsen der Fall,
namentlich auch mit der Kartoffel; nur die Weintrauben
machen eine Ausnahme. Sieben regenlofe Monate
sind gar keine Seltenheit, und noch häufiger sind Wochen-
lang anhaltende Platzregen. Aber für tropische Er-
zengnisse ist das Klima wohl geeignet. Baumwolle gedeiht,
es fragt sich aber, ob sie unter den seitherigen Verhältnissen
Nutzen abwirft, denn der Tagelohn für einen Arbeiter, dem
man auch Wohnung und Kost geben muß, stellt sich auf zehn
Francs, das sind 2 Thaler 10 Silbergroschen. Chinesische
Kulis arbeiten allerdings für billigern Lohn. Mais kommt
fast überall fort, auch Reis und Zucker kaun auf einzelnen
Punkten gedeihen.
Der Boden ist in vielen Gegenden ungemein srncht-
bar; Alles treibt, aber uicht Alles reift. Der Pflanzen-
wuchs erscheint sehr mannichfaltig. Allgemein tritt der
Gnmbanm auf (ein Eucalyptus aus der Familie der
Myrtaceen); der „Apfelbaum", welcher einigermaßen an
unsern europäischen erinnert; der E i s e n r i n d e n b an m (anch
ein Eucalyptus), dessen Rinde ungemein hart ist. Bei
allen diesen Bäumen und noch sehr vielen anderen finden
wir die Eigeuthümlichkeit, daß die Blätter klein sind und
der Sonne nicht ihre breite Seite zukehren, sondern die
*) Notice sur laprovince de Queensland, Australie
septentrionale. Par Edouard Marcet (20 mars 1861). Me-
moires de la societe de Geographie de Geneve, 1861. Tome II.
p. 23 — 84.
Die Kolonie Queens!«
Schneide, so daß sie eine eigenthümliche Art von Schatten
werfen. In einer Gegend, wo die Hitze fast so stark ist
wie im tropischen Afrika, wünscht man aber mehr Baum-
schatten. Der Stamm ist öfters sehr lang und die Aeste
treten gewöhnlich erst in der Mitte der Gesammthöhe auf.
Der Gumbaum verliert „im Winter" nicht seine Blätter,
wohl aber die Rinde, welche in Fetzen oder Lappen abfällt;
dann sieht der Stamm kreideweiß aus. Im Allgemeinen
ist das Grün bei weitem nicht so lebhaft wie bei den euro-
patschen Bäumen, und bei manchen sehen die Blätter wie
mit Weiß überpudert aus.
Grasartige Pflanzen und Kräuter sind in
Menge vorhauden. Ein Ansiedler sand an einer eiuzigeu
Stelle nicht weniger als zwei und dreißig ganz verschiedene,
und viele sind wissenschaftlich noch gar nicht bekannt.
Manche bleiben das ganze Jahr hindurch kurz und frisch,
andere erreichen eine Höhe von sechs bis sieben Fnß nnd
verdorren im Sommer. Dann steckt mau sie in Brand
und wählt dazu einen Tag, an welchem der Wind stark
weht. Solch ein Gras- und Krautbrand gewährt bei
Nacht eiuen großartigen Anblick und hält sehr wohl einen
Vergleich mit den nordamerikanischen Prairiebräuden aus.
Die Gräser siud verschieden je nach der Beschaffen-
heit der Bäume, welche an Ort und Stelle wachsen. Da,
wo der Gumbaum vorwaltet, treten allemal dieselben Gräser
aus; beim Eisenrindenbanm sind sie in Formen und Eigen-
schafteu verschieden. Darin liegt ein Fingerzeig
für die Viehzüchter, denn sie können daraus ab-
nehmen, welche Gegenden fich am besten für die
Schafzucht eignen. Uebrigens ist der Pflanzenwuchs in
Queensland je nach den Breitengraden verschieden und in
der Nähe des Wendekreises ein anderer als weiter nach
Süden hin. Stuart faud dort eine Art Feigenbaum, einen
andern, welcher mit dem Orangenbaum Aehnlichkeit hat,
und eine Palme, welche aber „keine Datteln trägt". Am
meisten siel ihm der sogenannte Bohnenbaum aus, dessen
Körner große Aehnlichkeit mit Bohnen haben; er ist auch
dichter belaubt als alle anderen und giebt deshalb mehr
Schatten. Die Blätter stehen paarweise, die Rinde ist glatt
und aschenfarbig; das Holz fühlt sich angenehm an und ist
nicht einmal so dicht wie Korkholz. Er hat so zarte Wurzeln,
daß man dieselben mit einem gewöhnlichen Messer durch-
schneiden kann, wird vierzig bis fünfzig Fuß hoch und hat
vier Fuß Durchmesser. Stuart fand ihn zuerst unter 24 0
S. Br., und weiter nach Norden hin trat er in viel größe-
rer Menge auf.
Auffallend ist der große Mangel an wilden Blu-
m en. Abgesehen von einem Baume, dessen gelbe Blüten
einen starken Vanillegeruch haben, findet man bei anderen,
welche man dann nnd wann sieht, gar keinen Dnft. An
Enropa erinnert nur eine gelbe Blume, welche nnserm Löwen-
zahn ähnelt; sie verwelkt aber, sobald der Sommer eintritt.
In dem anßertropischen Queensland ist der Gras-
bäum, eine Art Xantorrhöa, besonders auffallend. Er
bildet einen kleinen walzenartigen Stamm von fünf bis sieben
Fuß Höhe und einem auf dieser Länge sich sast gleichbleiben-
den Durchmesser vou sechs Zoll. Vou diesem kleinen
Stamme, der eine ranhe harzige Rinde hat, hängen von
oben lange, büschelartig geschlossene, grasartige Blätter
herab; sie sind etwa dritthalb Fuß laug, fallen in anmuthi-
ger Biegung nach abwärts, etwa so wie bei der Trauer-
weide. Diese Blätter sind an ihrer Basis breit nnd ver-
jüngen sich allmälig bis zn einer ganz scharfen Spitze. Aus
dem Centrum des Hanptstammes und 'der Mitte dieses
Büschels vou Grasblättern wächst ein Stiel oder Schaft
kerzengerade bis zu acht und zehn Fuß Höhe empor und
in Nordost-Australien. 235
trägt die Blumen. Dieser Schaft ist walzenartig, hat
überall einen Durchmesser von anderthalb Zoll und ist, gleich
dem Stamme, aus welchem er sich erhebt, ganz kahl. Dieser
seltsame Banm kommt nur an gewissen Stellen vor, dort
aber tritt er in sehr großer Menge gesellschaftlich auf. Ver-
eiuzelte Exemplare bemerkte man bisher nicht; bis zu eiuem
oder zwei Grad südlich vom Wendekreise des Krebses ist er
sehr gemein.
Werfen wir nun einen Blick auf die B o d e n b e f ch a f f e n -
heit von Queensland.
Das Gelände ist in hohem Grad ungleichartig. Der
Wanderer findet bald ausgedehnte, ganz flache Ebenen,
deren Ende er nicht absieht; sie sind mit hohem, leicht zer-
^rechlichem Grase bestanden. Dann kommt er an Hügel-
reihen, die vortrefflich bewaldet sind. Bei den Ansiedlern
heißen sie Ranges, nnd sie dienen als Grenzscheiden für
die verschiedenen Distrikte. Man trifft ferner ungeheure
Urwälder von unbekannter Ausdehnung, die vielleicht bis
zu einer großen Wüstenei sich erstrecken, für deren Vor-
handeufein im Innern manche Gründe zu sprechen scheinen;
wahrscheinlich ist sie aber nicht ohne Menschen. (— Diese
Annahme einer großen, zusammenhängenden Centralwüste
ist durch die neuesten Entdeckungen bekanntlich nicht bestätigt
worden —). Reisende wolleu da, wo sie am Rande der
vermeintlichen Wüste zu seiu glaubten, kupferfarbige Leute
gefeheu haben, die etwas civilisirt und einigermaßen den
Menschen mongolischen Schlages ähnlich seien; sie hätten
durch Zeichen angedeutet, daß ein weiteres Vordringen mit
großer Gefahr verbunden fei. Die Reifenden kehrten dann
auch um.
Marcet wirft die Frage auf.' „Könnte man etwa
annehmen, daß eine chinesische Kolouie nach Australien ein-
gewandert sei, und zwar zn einer Zeit, da Europa diesen
Erdtheil uoch nicht kannte, und daß diese nach und nach, in
Folge der Einwirkung moralischer und physischer Ursachen,
auf den niedrigen Standpunkt herabgesunken sei, ans dem
wir sie nun finden?"*).
Queensland ist, die große Ebene abgerechnet, als ein
ungeheurer Wald zu betrachten, in welchem, je nach den Oert-
lichkeiten, die eine oder andere Banmgattuug vorherrscht.
In einigen Gegenden stehen die Bäume weit zerstreut, in
anderen stehen sie dichter, und auf manchen Strecken in
solcher Menge und fo dicht, daß sie eine für weiße Leute fast
undurchdringliche Masse bilden. Diese Dickichte, von den
Engländern Scrubs genannt, werden allemal von einer ein-
zigen Baumart gebildet; die Stämme sind im Allgemeinen
dünn, sehr schlank, haben viel Gezweig nnd am Eude
desselben sehr dichtes Blattwerk. Nicht selten haben solche
Scrubs eiue große Ausdehuuug; sie dienen den Eiuge-
borenen und wilden Thiereu zum Schlupfwinkel. Manche
sehen von fern aus wie eine schwarze Masse und sind
undurchdringlich wie eiue Mauer. Wer hineingehen
will, muß sich mit der Axt den Weg bahnen nnd laust Ge-
fahr, sich zu verirren und das Leben zn verlieren.
Diese Mnthmaßung hat nicht die allergeringste Wahr-
scheinlichkeit für sich. Einmal sind die Chinesen nicht kupferfarbig,
sondern weizengelb. Sodann sind sie ungemein zähe Leute, welche
von ihrer Eigentümlichkeit nichts aufgeben. Am allerwenigsten
hätten sie in einein zur Agrikultur geeigneten Lande den Ackerbau
vergessen oder verlernt; sie wären unter allen Umständen den ganz
rohen und wilden Eingeborenen überlegen gewesen, nnd Härten sich
von diesen sicherlich nicht in eine Wüstenei drängen lassen, sondern
wären am Meere geblieben. Mit der Annahme von Kolonien aus
fernen Gegenden nnd in unbekannten Zeiten wird noch immer viel
zn viel Milchrauch getrieben, am meisten aber in Bezug ans das
vorcolnmbische Amerika. Der Wissenschaft wird damit rein gar
uichts genützt. A.
30*
236 Die Kolonie Queenslan
Queensland hat keine so hohen Gebirge wie Neusüd-
Wales. Au vielen Stellen ist der Boden sandig, an ande-
ren mit stehenden Lachen, Morästen, überdeckt, sogenannten
Swamps. —
Australien hat nur ein paar beträchtliche Ströme
und auch Queensland ist hydrographisch mangelhaft ge-
gliedert. Neber die neuerdings von Reisenden im Norden
besuchten Flüsse haben wir noch kein recht übersichtliches
Gesammtbild; wir wollen also hier nur die schon seit einiger
Zeit bekannten erwähnen, zunächst den Brisbane, welcher
in die Moretonbay mündet. Er strömt in gewundenem
Laufe von Osten nach Westen, hat eine Länge von ungefähr
50 Wegstunden und da, wo er am breitesten ist, ungefähr
159 Fuß. Zwanzig Stunden von der Mündung aufwärts
wird er schon ein ganz schmaler Kanal, und er ist eigentlich
nur etwa 16 Stunden weit schiffbar. Sein Bett ist tief,
die Strömung fo ungemein schwach, daß er beinahe keine
andere hat als jene, welche von Ebbe und Flut bewirkt
wird; diese Gezeiten aber reichen wohl 36 Stunden weit
landein, und bis dahin ist auch das Flußwasser brakig, also
ungenießbar. Der Brisbane hat wenig oder gar keine
eigentlichen Zuflüsse, und nimmt nur dauu und wann ein
Bächlein aus. Weiter nach Norden hin sind die Flüsse
Fitzroy, Connor und Isaacs die bedeutendsten, aber
der letztgenannte bildet doch im Sommer nur eiue Reihen-
folge von Wasserlöchern.
Manche Gesließe Australiens haben einen, man kann
sagen, eigensinnigen Lauf; statt nach dem Meere hin zn
strömen, nehmen sie ihre Richtung nach dem Innern hin
und vertieren sich entweder im Sand, oder man möchte sagen,
in einem verfaulten Erdreich. Aus dieser Eigentümlich-
keit hat man früher einen Schluß auf das Vorhandensein
eines großen Binnensees ziehen wollen. In vielen Gegen-
den zeigt Australien statt der eigentlichen Flüsse eine eigen-
tümliche Art von Wasserläufen, welche man als Creeks
bezeichnet. Auch in Queensland sind diese Creeks sehr ver-
schieden an Länge, Größe und Tiefe. Einige sind bis zn
zwölf Wegstunden lang und 20 bis 30 Fuß tief. Der
breiteste, welchen Mareet gesehen, hatte 70 Fuß Breite; die
meisten sind aber nur klein und haben feixt Wasser mehr,
wenn ein paar Monate lang kein Regen gefallen ist. Aber
in manchen erhält sich das Wasser, ohne daß ein Zufluß
aus Quellen wahrzunehmen ist, auch zur Zeit der größten
Hitze so rein und frisch wie in strömenden Gesließen. Am
häufigsten findet man die Creeks in bewaldeten Gegenden
mit unebenem Gelände, aber in der Ebene kann man tage-
lang reisen, ohne auch nur einen einzigen anzutreffen.
Nach Norden scheinen sie häufiger vorzukommen; sie be-
stehen in manchen Gegenden nur aus einer Reihenfolge von
Wasserlöchern, Waterholes, und diese liegen oftmals
im Bett eines alten sehr großen Flusses. Man trifft fast
überall in Australien unzweideutige Spuren früherer großer
Ströme, die vielleicht manchen großen Flüssen Amerikas
nichts nachgaben; sie sind aber in Folge irgend einer großen
Erderfchütteruug verschwunden.
Außer deu Creeks und Waterholes giebt es auch noch
sogenannte Gnllies. (— Der englische Name Gully be-
zeichnet eine durch Wasserströme im Boden entstandene Ber-
tiefung, einen Kolk, eine Rinne oder Gosse; auch einen Ab-
lauf. —) Sie sind Verästelungen der Creeks, denen sie in
der Regenzeit Wasser zuführen, gewöhnlich nur schmal, nicht
ties und liegen oft ganz trocken. Ein Gully verhält sich
zum Creek, wie bei Höhenzügen eine Ridge zur Range,
und beide sind für Leute, die im Busche wandern, nützliche
Wegweiser. Wenn Jemand nach der Richtung fragt, welche
er einzuschlagen habe, dann sagt man ihm etwa- „Gehe
in Nordost-Australien.
eine Stunde lang geradezu der Sonne entgegen; dann wird
sie da oder da stehen; laß sie etwas zur Rechten. Eine
Stunde von hier kommst Du an ein Gully, das trocken ist.
Geh an demselben abwärts, halt Dich dicht ihm entlang,
denn sonst geräthst Du iu einen Morast. Nachdem Du
etwas über zwei Stunden gegangen bist, wirst Du au eiueu
Creek kommen. Vermeide dann den Scrub, welcher Dir
zur Rechten liegt, laß denselben im Rücken liegen und geh
dem Creek entlang, bis Du an einer kleinen, steinigen Ridge
bist. Dazu gebrauchst Du etwa drei Stunden. Geh um
die Ridge herum, dann hast Du die Kudarah-Range vor
Dir. Es wird inzwischen dunkel geworden sein, der Mond
scheint nicht; also behalte den Abendstern im Auge, der da
steht. Halte Dich dann ein wenig rechts. Wenn Du in
dieser Richtung drei Miles zurückgelegt hast, dann kommst
Dn aus die andere Seite der Range und findest am Fuße
derselben zwei große Wasserlöcher. Dort mußt Du Dich
nach links hinwenden und findest in einer Entfernung von
etwa zwölfhundert Schritten die Station. Geh oder reite
jedoch langsam, sonst kannst Dn in ein Wasserloch fallen.
Nicht wahr, Du hast mich verstanden?" — Gewöhnlich er-
reicht aber ein Reisender nach einer so „klaren Auseinander-
setzung" die Station nicht, sondern muß irgendwo im Busch
übernachten.
„Das Klima von Queensland bietet einige
interessante Erscheinungen dar. Der „Winter" beginnt
zu Ende des Aprilmonats; dann läßt die Gluthitze der
Sommersonne etwas nach. Durch sie war Alles erschöpft
und gelb geworden; nun erwacht die Natur aus dem Sommer-
schlaf und das Grün tritt auf. Pferde und Schafe waren
schon des trockenen Grases überdrüssig und magerten sichtlich
ab; jetzt freuen sie sich wieder des frischen Futters. Denn
reichlich herabströmender Regen erquickt die Erde, die Vögel
sind munterer, die viersüßigeu Thiere aufgeweckter, auch
der Mensch fühlt sich wie neugeboren, nachdem die gewaltige
Hitze ihn erschöpft und entnervt hatte. Aber die Frende
währt nicht lange, denn nach Verlauf von zwei Monaten
befinden wir uns mitten im Winter. Juli und August sind
die kältesten Monate, und gegen Kälte ist man, nach der
langen drückenden Hitze, ungemein empfindlich. Nachts
fröstelt uns unter drei wollenen Decken, am Tage fällt der
Thermometer nicht niedriger wie zn Genf int Juni oder
Juli; man reitet ohne Rock und Weste aus. Aber sofort
nach Sonnenuntergang stellt sich in schroffer Weise die Kälte
ein, der Thermometer fällt rasch von 19 bis 20° R. bis
auf Null, und Nachts bekommt das Wasser in den Hütten
eine Eiskruste. Das gilt insbesondere von der Gegend, in
welcher ich mich aufhalte; sie liegt etwa dreißig gute Weg-
stunden fndlich vom Wendekreise des Steinbocks. Merk-
würdigerweise habe ich außerhalb meiner Hütte niemals Eis
bemerkt, und ich kann mir diese Anomalie nicht erklären.
Schnee fällt niemals, immer Regen."
Der Winter dauert gewöhnlich bis zu Ende des August
und er ist in jeder Hinsicht d.em Sommer vorzuziehen. Dann
kommt der Frühling oder, wenn mau will, Herbst; nun ist
der Pslanzenwuchs am kräftigsten und man hält Ernte.
Aber bald stellt sich der entsetzliche Sommer ein und sofort
wird die ganze Natur krank. Die Sonne gleicht einem breu-
ueudeu Herde, und die Hitze ist geradezu unerträglich, wenn
nicht etwa ein Luftzug geht. Mau ist daran gewöhnt, sich
so viel als irgend möglich gegen Sonnenstiche zu schützen,
aber sie kommen trotzdem sehr oft vor und verursachen
nicht selten plötzlichen Tod. Selbst Schwindel tritt ein und
Athembeklemmuug, welche den Menschen zu ersticken droht.
Auch ereignen sich Fälle, daß Menschen in Folge von Ein-
Wirkung der Sonne irrsinnig werden. Marcet erzählt
Bemerkungen über
Folgendes. Ein gesunder, kräftiger Mann war aus Sydney
gekommen uud befand sich erst seit ein paar Tagen in den
nördlichen Distrikten. Ich war an einem heißen Januar-
tage mit ihm in den Busch geritten; plötzlich stieg er vom
Pferde und warf sich iu's Gras unter einen Gumbaum.
Auf meine Frage, ob er müde sei, fragte er mich, wo er sich
befinde, ob etwa iu George Street zu Sydney. Er hatte
Alles vergessen, was seit Wochen mit ihm vorgegangen
war. Nach etwa süns Minuten kam er wieder zum Be-
wußtsein. —
Im Sommer stellt sich fast an jedem Tage eiu Sturm
ein, manchmal hat man sogar zwei oder drei Orkane. Das
Klima v on Queensland ist ein extremes. Wir haben
entweder große Dürre, oder das Land steht buchstäblich
unter Wasser. Die „ Ueberflutungen ", Flo o d s,
treten regelmäßig in jedem Jahre ein, namentlich bei An-
beginn der Regenzeit. Es braucht gar nicht lange 'zu
regnen, ein paar Tage genügen zu einer Ueberfchwemmung.
Dann füllen sich die Creeks, bekommen eine reißende Strö-
wnng, als wären sie Gießbäche, treten über ihre Ufer uud
das Land gleicht weit und breit einem See. In Neu-
südwales sind sie noch viel schrecklicher als in Queensland
und richten auch größern Schaden an, weil dort der Acker-
bau ausgedehnter ist. Mehr oder weniger Vieh ertrinkt
allemal in Queensland, aber gewöhnlich bleiben die Woh-
nnngen verschont. Dann und wann ertrinken Menschen
beim Reiten oder Schwimmen durch die Creeks.
Während des heißen Sommers sind aus den Ebenen
die Lustspiegeluugen häusig: sie gleichen denen iu der
Sahara. Auch Wirbelwinde fehlen nicht. Bei ruhiger
Luft fängt plötzlich das Gras an sich zu bewegen, eine
manchmal 150 Fuß hohe Säule vou Staub wirbelt heran,
führt zuweilen große Stücke Holz mit sich, drxht. sich fort-
während um sich selbst, nimmt eine mehr oder weniger
pyramidale Gestalt an, treibt in rasender Eile weiter und
verliert sich später im Luftraum. Die Gegenden, über welche
sie hinwegfegte, gleichen einem frischgepflügten Acker. Solche
Wirbelsäulen stellten sich nur an den allerheißesten Sommer-
tageu ein. Sie können gefährlich werden und reißen zu-
weilen Menschen und Schafe eine Strecke weit in die Luft.
Manchmal bewegt sich die Luftsäule auch in horizontaler
Richtung, aber man kann ihr ans dem Wege gehen.
Australien hat keine Epidemien, welche, wie z. B.
das gelbe Fieber, in anderen heißen Ländern so große Ver-
heernngen anrichten. In den Städten erscheint dann uud
wann die Cholera, aber im Allgemeinen nicht sehr bösartig.
Aber Queensland hat gefährliche Fieber, deren Heilung
lange Zeit erfordet. Am häufigsten kommt ein Tertian-
sieber mit Zittern vor; es läßt eine Schwäche zurück, die
nur laugsam verschwindet, bei Manchen erst, wenn sie
wieder iu Europa sind.
Bemerkungen über
Es ist offenbar, daß nach der großen Rebellion Indien in
vieler Beziehung große Fortschritte gemacht hat. Die Regierung
sah wohl ein, wie viele Fehler begangen waren, und bemühte sich,
eiu besseres System au die Stelle des alten zu setzen. Jetzt hat
die indische Regierung statistische Angaben zusammenstellen und
bekannt macheu lassen, welche einen Einblick in die gegenwärtigen
Verhältnisse eröffnen. Sie umfassen zwei „regnlirte" Provinzen,
Britisch - Ostindien. 237
Das Klima von Queensland übt eine sehr nachtheilige
Wirkung auf das Nervensystem. Mit vierzig Jahren
ist der Mensch alt, die Haare werden weiß oder
fallen aus, dieHände zittern und auch der Stärkste
leidet an rheumatischen Schmerzen. Der Eine
klagt über Rückenweh, der Andere über unaufhörlichen Kopf-
schmerz, ein Dritter über Leibweh, ein Vierter wird die
: Augenentzündung nicht los. Alle diese Krankheiten und Un-
bequemlichkeiten rühren her vom Klima, von dem beschwer-
lichen Leben im Busch und von der Nahrung. Die letztere
besteht unabänderlich aus gesalzenem Rind- oder Hammel-
fleisch uud Brot; dazu trinkt man Thee. Gemüse versteht
ohnehin kein Engländer zu kochen, uud Kartoffeln sind erst
neuerdings in's Land gekommen. Das Leben im Busch
bringt Anstrengungen aller Art mit sich: oft muß der Reiter
tagelang hinter dem Rindvieh herjagen, das halb wild ge-
worden ist, schläft Nachts unter freien: Himmel, wird früh
vonr kalten Than aufgeweckt und hat oft wochenlang keine
eigentliche Ruhezeit. Das wirkt auf den Körper ein.
Das, was die Engländer als Blight bezeichnen, ist
eine eigeuthümliche Augenkrankheit. Man behauptet,
daß sie nur in Australien vorkomme, wo säst Jeder von ihr
heimgesucht wird. Ansangs stellt sich ein leichter Schmerz
ein, etwa so, als ob ein Sandkorn in's Auge gekommen
wäre; iu den nächsten Tagen verschlimmert sich das Uebel
rasch, eiue scharfe Entzündung kommt hinzu, ergreift die
Augenlider, schließt dieselben fast hermetisch, sie schwellen
an, werden hart und der Kranke kann gar nicht mehr sehen.
Aus den Augenwinkeln dringt eiue weiße, halbflüssige
Materie. Die Entzündung erstreckt sich zuweilen auch auf
Stirn, Nase und Mund; bei Marcet ergriff sie sogar die
Brust. Sie verursacht heftigen Schmerz: es ist dem Kranken,
als ob er kleine Glasscherben im Auge habe. Acht Tage
hatte er gar keinen Schlas und phantasirte. Dann ösfnen
sich die Augenlider plötzlich und es strömt viel Wasser
heraus; die Entzündung läßt allmälig nach, aber statt ihrer
stellt sich ein unablässiger Reiz ein, der zwar nicht so äußerst
schmerzhaft ist, aber doch etliche Wochen anhält. Man
muß einen Schleier vor den Augen tragen. Bei Manchen
läßt die Krankheit ein schwaches Gesicht zurück; weder Jung
noch Alt, Arn: oder Reich, Städter oder Landmanu bleibt
vou ihr verschont; aber nur in der heißen Jahreszeit tritt
sie auf. Iu Australien meinen Manche, sie rühre von dem
Gift einer kleineu blauen Fliege her, welche den Leuteu
in's Auge kommt; das ist aber unwahrscheinlich; ohne
Zweifel find Hitze und Sonnenbrand die Hauptursachen.
Manche bekommen sie mehr als einmal, und man kennt noch
keiu wirksames Heilmittel.
Brustkranken ist das Klima von Queensland durch-
aus zuträglich; alle verspüren Linderung und manche ge-
nesen völlig.
Kritisch-Ostindien.
nämlich Madras und Bombay, und zwei „nicht regnlirte",
das Pendschab und Barma. Bald werden aber alle Provinzen
„regulirt" sein, denu der größte Theil des indischen Reiches hat
nun dieselben Gesetze über Kriminalweseu, Polizei, Abgaben und
Civilproceß. Die uicht regulirteu haben noch keine Legislaturen
und werden mit absoluter Gewalt vom Generalstatthalter regiert;
dort ist ein patriarchalischer Despotismus, der für viele noch wenig
238
Bemerkungen über Britisch-Ostindien.
civilisirte Stämme bis auf Weiteres sich am besten zu eignen
scheint.
Bengalen, mit etwa 40 Millionen Einwohnern, hatte 186t
eiue Einnahme vou 14,132,350 Pfd. Sterling, während die
Ans gäbe nur 4,903,410 Pfd. St. betrug, und rechnet man die
Manufakturkosten für die beiden Monopolwaren Opium
und Salz ab, so stellen sich die Ausgaben auf kaum 3 Millionen.
Diese Provinz liefert demnach einen Ueberschnß von 9 V« Millionen
Mehr als ein Drittel des Einkommens fließt aus der Landtaxe,
welche binnen zwei Jahren von 3,758,970 auf 4,130,700 Pfd. St.
gestiegeu ist; die Zölle lieferten 2,732,322 Pfd. St. Der Salz-
verbrauch ist binnen zwanzig Jahren um 64 Procent gestiegen,
und beträgt jetzt 320,000 Tons. Die Arbeitslöhne sind gegen
früher um das Doppelte gestiegen. Das Opium gewährte 1845
eine Einnahme vou 2,206,120 und 1860 von 3,317,605 Pfd. St,
1861 aber noch nicht volle dritthalb Millionen, weil den Produ-
ceuteu jetzt von der Regierung ein höherer Preis gezahlt wird. Auf
Erziehungskosten werden leider nur 80,000 Pfd. St. verwandt;
der Staat zahlt also kaum einen halben Penny auf den Kopf; uud
unter Aufsicht der Regierung standen nur 879 Schulen mit
52,895 Schülern. Das ist sehr wenig unter 40 Millionen Seelen;
direkt von der Regierung hingen nur 244 Schulen mit 19,396
Schülern ab. Für das Justizwesen betrugen die Ausgaben
532,360, für die Polizei 397,000 Pfd. St. Die Regierung
verausgabte für öffentliche Arbeiten 533,600 Pfd. St., die
Lokalverwaltnngen etwa 94,000 Pfd. St.
Die Präsidentschaft Madras hat 22y2 Millionen Seelen
und einen Flächenraum, der nur eiu Drittel so beträchtlich ist als
jener von Bengalen. In Madras herrscht bei der Besteuerung
das Reiotwarry-System, demgemäß jeder Bauer seine Ab-
gaben direkt an die Regierung zahlt. Das ist, sagt ein Correspon-
dent der Times, allezeit ein Mühlstein am Halse von Madras ge-
wesen, hat den Aufschwung an Volksmenge, Verkehr und Einnahme
zurückgehalten, denn dieses System legte faktisch die Verwaltung,
insoweit der Bauer (Reiot) mit ihr iu Berührung kam, in die
Hände von Eingeborenen, welche ihren Einfluß benutzten, um den
Bauer zu drücken. *)
*) Die Sache wird für die meisten Leser einer Erläuterung bedürfen.
Indien ist recht wesentlich ein Bauernland; aber im Bodenbesitze sind
durch die vielen Kriege und inneren Bewegungen große Veränderungen vor-
gegangen und Vieles ist unbestimmt geworden. Das Wort Reiot ist eigent-
lich arabisch und bedeutet Unter than. In Indien bezeichnet es zunächst
eine steuerzahlende Person, dann einen Landbauer im Allgemeinen; dann
auch einen Mann, der in Abhängigkeit von einem Grundherrn steht. Seit
den ältesten Zeiten haben in Indien alle Regierungen ihre Haupteinnahme
aus Grund und Boden bezogen; nach sehr alten Gesetzen ist die regierende
Gewalt zur Erhebung eines gewissen Antheils von dem Ertrage, welchen
der Baner erntet, berechtigt, und sie erhebt diesen in Geld oder Produkten.
Der Reiot hat ihn immer willig entrichtet, obwohl er in Kriegszeiten manch-
mal den sechsten Theil des Ertrages ausmachte. Der regierende Herr giebt
Erlaubnis; zur Bebauung des Landes, denn nach Hindugesetzen ist eS sein
Eigenthum; Privatländereien haben nur an der Malabarküste existirt Der
Inder erkennt das Recht des Fürsten auf das vom Bauer bestellte Land in
der Theorie an, betrachtet aber in der Praxis sich selber als den eigent-
lichen Besitzer, so lange er dem Fürsten den gebührenden Autheil entrichtet.
Als die Mohammedaner Herrscher wurden, erniedrigte ihr Zwangsgesetz den
Bauer zum Taglöhner: außer dem Saatkorn und der zum Unterhalt seiner
Familie nothwendigeu Nahrung mußte er den ganzen Ertrag dem Fürsten
überlassen! Erst der Mogul Akbar der Große regelte das Berhältniß und
verordnete, daß die Abgabe an den Fürsten den dritten Theil der Ernte im
Geldwerth betragen solle. Für die bäuerlichen Verhältnisse in In-
dien ist es charakteristisch, daß der Landbesitz mehr ein Eigenthum ganzer
Dorfgemeinden als einzelner Individuen ist. Diese Dorfgemeinden sind
in sich wie kleine Republiken; sie haben sich erhalten, wenn alles Andere
verschwunden ist. — Wir verweisen gern auf ein Werk, das vom einem fleißi-
gen und umsichtigen Gelehrten, Professor Karl Bo'ttger in Dessau, ge-
schrieben worden ist, und das die inneren Verhältnisse Indiens übersichtlich
schildert. Wir meinen die »Kulturgeschichte Indiens, enthaltend
Schilderungen des Kastenwesens, religiösen Lebens, des Volkscharakters, der
Erziehung und Mission, der Kunst und Wissenschaft, der Regierung und Ver-
waltung, der Produkte, des Handels und der Finanzen, des Landbaues uud
Das britische System der Besteuerung der Bodenkultur ist.
beiläufig bemerkt, weit günstiger als das der einheimischen Regie-
rnngen; die Abgabe ist aus deu Reinertrag gelegt und nach iudi-
scheu Begriffen nicht allzudrückend. Andere Abgaben hat dann
der Bauer nicht.
Was -die Präsidentschaft Madras anbelangt, so ist die Ab-
gäbe nach und nach vermindert und so viel neues Land iu An-
bau genommen worden, daß die Landtaxe seit 1857 sich um eine
halbe Million vermehrt hat. Die Gesammteinnahme betrug
6,083,883 Pfd. St. in 1861; davon kommen 68 Procent auf
die Laudtaxe (doppelt so viel wie in Bengalen), 5^ auf Accife,
141/5 auf Salz, 3V2 auf Zölle, 5 auf Stempel und 2~/3 Procent
auf die Einkommensteuer. Von der Gesammteinnahme wurden
10 Procent auf öffentliche Arbeiten verwandt.
Die nicht regulirteu Provinzen sind Gebiete, die erst in späterer
Zeit erworben wurden; sie bedürfen einer starken Militärbesatzung,
das neue Regierungssystem verwächst nur sehr allmälig mit den
Landesbewohnern, nnd die Ausgaben sind beträchtlicher als die
Einnahmen.
Das Pendschab lieferte eine Einnahme von 3,047,083 Pfd.
St. uud hätte, wenn blos die Civilverwaltnng uud deren Aus-
gaben in Betracht kämen, einen Ueberschnß von 1,400,318. Aber
das Pendschab ist eine Grenzprovinz und hat deshalb eine starke
Militärbesatzung. Die Laudtaxe liefert mehr als die Hälfte der
Gesammteinnahme, nämlich 1,822,065 Pfd. St. In 1982 Schulen
sind 52,840 Schüler vorhanden, für welche die indische Reichs-
regierung beinahe 22,000 Pfd. St. verausgabt. Die Volksmenge
beträgt etwa 15 Millionen Seelen anf 100,406 englischen Geviert-
meilen.
In Barma kam England in Berührung mit Völkern vom
sogenannten indochinesischem Stamm nnd von buddhistischer Re-
ligiou. Es besitzt au der Ostküste des bengalischen Meerbusens die
drei Provinzen Arrakan, Tenuasserim uud Pegu, welche eiue
Längenstrecke von etwa 900 Miles haben. Der König von Barma
ist anf allen Seiten eingeschlossen, den Engländern fehlt für ihre
Besitzungen eine geeignete Grenze; die jetzt vorhandene, vielfach
unbestimmte, wird durch barmanische Räuberschaareu unsicher ge-
macht, „und der Tag, an welchem ganz Barma britische
Besitzung wird, ist vielleicht nicht mehr fern."
Auf diesen Punkt haben wir im Globus schon mehrfach hin-
gewiesen: die Engländer gieren jetzt förmlich nach dem Besitze von
Barma, und der indische Korrespondent der Times (8. December)
sagt in dieser Beziehnng mit trockener Unverschämtheit: „Es ist
wirklich ein glorioses Land durch seinen Reis und seine Hölzer,
Steinöl und andere Produkte, welche allesammt über die drei Häfen
Akyab, Ranguhu und Manlmein exportirt worden, jetzt
schou im Werthe von 6 Millionen Pfd. Sterling jährlich." Dieses
schöne Land hat, soweit es jetzt britisch ist, kaum zwei Millionen
Einwohner, nnd nur 1,608,108 Acres sind bebaut. „Aber trotz-
dem hat unsere Regierung solche Erfolge gehabt, daß wir eine
Million Pfd. St. Einkommen erheben; das Volk dort ist zwar
schwerer besteuert als anderswo unsere Uuterthauen, aber es ist
so wohlhabend, daß es davon nichts verspürt!"
„Nächst dem Pendschab macht Britisch-Barma, unter unseren
neu erworbeneu Provinzen, die meisten Fortschritte; dann folgt
Scinde, nachher kommen die Centralprovinzen, welche für den
Baumwollenbau so geeignet sind; die letzteren wurden acht Jahre
lang ziemlich vernachlässigt; jetzt widmet man ihnen sorgfältige Be-
riicksichtiguug."
Britisch-Barma hat mehr englische Ansiedler an der
Küste als irgend eine andere Region Indiens; auch wandern
der Reiots," Hr. Bottger hat dabei auch Manches aus dein Nachlasse Leo
pold vou Orlich's benutzen können. Der Abschnitt über Landbau. Pacht
system und Reiots steht S. 337 bis 3(>6. A.
Wohin soll man gefährliche Verbrecher transportiren? Das Cameroncs- Gebirge an der westafrikanischen Küste. 239
Chinesen in großer Anzahl ein, die Schans strömen über die
Grenze, nicht minder viele Barmanen, welche dem Drnck ent-
fliehen wollen.
Am 1. November 1862 waren vier Jahre seit dem „Tode" der
ostindischen Kompagnie verflossen, und an demselben Tage hat die
Regierung iu Calcutta die ersten Rupien mit neuem Ge-
präge ausgegeben. Der Name Kompagnie ist nuu für immer
abgeschafft.
Die Times knüpft an die von ihrem Correspondenten mitge-
theilten Ziffern einige Betrachtungen und bemerkt sehr richtig, daß
das Anwachsen der englischen Macht in Indien in der That als
ein Mirakel betrachtet werden könne. Vor achtzig Jahren bestand
dieses indische Reich aus einer Anhäufung asiatischer Staaten,
welche dem Namen nach unter der Herrschaft des Großmognls sich
befanden. Die Engländer besaßen nur kleine Handelsniederlas-
suugeu an der Seeküste. Der Großmogul war schwach geworden;
seine Provinzen waren zum Theil in der Gewalt unabhängiger
Stämme oder erblicher Statthalter, und mit den Ersteren mußten
die Engländer furchtbare Kriege führen. Alle Eroberer, welche
nach Indien eindrangen, kamen von Nordwesten her durch das
Peudschab und setzten sich dann im Duab, zwischen der Yamuua
und dem Ganges fest, wo Agra und Delhi Hauptstädte wurden;
von dort ans unterhielt man die Verbindung mit Lahore. Die
Engländer dagegen draugeu nicht von Norden her in's Land, son-
dern von Calcutta und Madras; jetzt aber, wo sie anch im
Norden herrscheu, hat das Pendschab eine hervorragende Wichtig-
keit erhalten, und die Stadt Simla ist ein Punkt von Bedeutung
geworden.
Als die Herrschaft des Großmogul zu Ende ging, blieben
zwei große unabhängige Mächte übrig und zwei erbliche Statt-
Halter, die zu Souveränen geworden waren; ein Dritter, der
Snbadar von Bengalen, war von Calcutta aus schou be-
zwuugeu worden, und die Engländer besaßen nun ein Land vom
Umfang eines europäischen Königreichs. Jenseit der Grenze dieses
Bengalen lag Audh, eiu uicht unbeträchtliches Königreich; aber
mau ließ es fast unbeachtet, und es ist erst vor wenigen Jahren ein-
verleibt worden. Ein anderer großer Statthalter, der Nizam von
Haiderabad im Dekan, ist Herrscher bis auf diesen Tag geblieben,
aber dem englischen Einflüsse kann er sich nicht entziehen. Dagegen
wurden Kriege geführt mit Hayder Ali von Maissur uud dessen
Sohn Tippu Sahib im Süden und mit den Maharatten im Nord-
Westen. Beide Gegner wurden uach langen uud gewaltige:? Kämpfen
niedergeschlagen. Bevor die Engländer Seriugapatam erstürmt
hatten, war Madras für sie der wichtigste Punkt; nach Tippu's
Falle wurde es für die britische Politik verhältuißmäßig unbedeutend.
Großmächtig aber wurde England erst, nachdem es zwanzig Jahre
später die Maharatten bezwungen und nun in ungefährdetem Be-
sitze der Ceutralgegeudeu sich befaud.
Seitdem verging fast kein Jahr ohne neue Eroberungen uud
Einverleibungen; ununterbrochen ist „assimilirt" worden. Man
nahm die unabhängigen kleineu Staaten erst unter „Protektion",
nachher wurden sie unter einem beliebigen Vorwand, an welchem
es nie gefehlt hat, einverleibt; man konfiscirte Herrscher und Länder.
Mit der Eroberung von Sciude bekam England den Indus, mit
Tennasserün die Ostküste des Beugalischeu Meerbusens.
Gegenwärtig liegt der Schwerpunkt im Peudschab; dort siud
die wichtigsten Pässe, und sie werden sorgfältig bewacht; der Gene-
ralstatthalter hält zuweilen Hos in Simla, das man als Klein-
Calcntta bezeichnet.
Seit 1857 hat das frühere System einige Aendernngen er-
fahren. „Wir wünschen keine neuen Einverleibungen, wenn wir
dieselben umgehen können, auch liegt eigentlich kein Anreiz zn
weiterer Ausdehnung vor, ausgenommen in Barma. Auf
die Eroberung dieses Landes wird speknlirt, weil sie wohl zur
Notwendigkeit werden könnte und und jedenfalls Gewinn bringen
würde".
Wohin soll man gefährliche Verbrecher transportiren? Äas Camerones-Gebirge an der
westafrikanischen Rüste.
Diese Frage muß auch vom geographischen Standpunkt aus uicht mehr dulden, und sie hatten vollkommen Recht. Freie uud
erörtert werden. Australien zeigt, von welcher Wichtigkeit sie für rechtschaffene Arbeiter waren nun in genügender Menge zn haben,
eine Kolonie werden kann. und die „Convicts" bildeten immerhin einen zweideutigen Theil
Der Staat hat ganz entschieden eiu Recht, gemeingefährliche der Gesellschaft. Nur allein Westanstralien willigte ein, auch
Verbrecher, systematische Sünder uud Taugenichtse, welche sich ferner Verbrecher, aber nur iu so geringer Anzahl, aufzunehmen,
als unverbesserlich erwiesen habeu uud weder Person noch Eigen- daß sie den rechtschaffenen Leuten nicht gefährlich werden konnten,
thum achten, unschädlich zu machen. Er richtet sie hin, sperrt sie Das Mutterland gab aber das System nur ungern auf; es hatte
ein oder deportirt sie. Die Todesstrafe wird in unseren Tagen den Plan, von nun au die zur Deportation Verurtheilteu uach
seltener vollzogen als früher; im Gefängniß ist der Verbrecher nn- der südafrikanischen Kapkolonie zn bringen; aber diese gerieth
schädlich, so lange er in Hast bleibt; aber die Gesellschaft hat keine darüber geradezu iu Aufruhr uud drohte mit einer Revolution,
Garantie, daß er nach seiner Entlassung nicht wieder von vorn wenn der Plan zwangsweise durchgeführt werden sollte. Die An-
anfängt. Es giebt nicht viele Beispiele, daß rohe Verbrecher von siedler verweigerten ein paar mit Verbrechern beladenen Schiffen
Profession sich wirklich gebessert hätten. Das System, diese ge- geradezu das Landen, und die Regierung mußte nachgeben,
fährlichen Subjekte fortzuschaffen, in neue Länder zn bringen, wo ! Seitdem blieb keine andere Wahl, als die Verbrecher iu
sie zn ernster Arbeit gezwungen waren uud die Aussicht hatten, Europa in Haft zu behalten. Aber bei sehr vielen wurde die
Eigenthum zu erwerben, war ohne Zweifel ganz richtig, und es Dauer der letztern verkürzt, namentlich für solche Individuen,
spricht nicht gegen die Sache selbst, daß in der Anwendung, Aus- welche sich im Gefängnisse wirklich oder scheinbar gut betrugen,
sührnng uud Methode manche Fehler begangen worden sind. Das Parlament genehmigte 1853, daß die Regierungsbeamten
England, welches allem unter allen Seemächten das Depor- solchen Leuten Urlaubsscheine ausstellen durften. Mit solchen wur-
tiruugs-System iu großem Maßstab angewandt hat, sah sich den sie entlassen. Die falsche Philanthropie, welche eine so große
im Jahre 1852 genöthigt, dasselbe vorerst fallen zu lassen. Als und schädliche Rolle spielt, errang aus Kosten der Sicherheit recht-
in Australien die Zahl der freien Ansiedler mehr und mehr an- i schaffener Leute einen großen Sieg. Mau hörte uicht auf den sehr
wuchs, wollten die Kolonisten eine fernere Zufuhr von Verbrechern : richtigen Einwand des alten Palmerston, welcher hervorhob, daß
240 Wohin soll man gefährliche Verbrecher transportiren? Das Camerones-Gebirge an der westafrikanischen Küste.
ein Urlaubsschein in einer dünn bevölkerten Kolonie etwas ganz
Anderes sei, als in einer von Millionen Menschen bewohnten Haupt-
stadt. Mau warf eine große Menge von Verbrechern auf das
Pflaster, und die Zahl der vom Oktober 1853 bis dahin 1862 aus
den Gefängnissen entlassenen Verbrecher beläuft sich iu Euglaud
und Wales auf die ungeheure Ziffer von etwa 123,000 Individuen!
Sehr viele wurden sofort rückfällig; die Beaufsichtigung ist schwer
und theilweife unmöglich und die öffentliche Sicherheit wurde iu
einer beispiellosen Art gefährdet. Das sogenannte Garrotiren,
das Knebeln, Berauben nud Ermorden von Leuten am hellen
Tage wurde etwas Gewöhnliches, und nun ist man gezwungen,
das Deportationssystem, welches man niemals hätte aufgeben
sollen, wieder einzuführen.
Jetzt steht die Frage auf dem Punkte, welche uns hier im
Globus berührt. Wohin soll man die gemeingefährlichen Lente
bringen? Das geographische Element muß entscheiden. Australien
will keine Verbrecher mehr; die westliche Kolonie, am Schwan-
slnsse, mit der Hauptstadt Perth, nimmt, wie schon gesagt, nur
bedingungsweise eine geringe Anzahl auf. Nun sind andere Bor-
schläge auf's Tapet gebracht worden.
Zunächst Queensland, das wir an einer andern Stelle
unseres Blattes schildern. Man hält manche Strecken in Nord-
austragen für geeignet; aber die Queenslander werden sicherlich
ihre Einwilligung verweigern; ohnehin füllt sich Nordaustralien
schon jetzt mit Viehzüchtern. Wir meinen, daß man in London
auf jenen Plan wird verzichten müssen.
Von anderer Seite sind die M aluinen, welche von den Eng-
ländern Falklauds-Juselu genannt werden, als eine passende
Oertlichkeit bezeichnet worden. Wir glauben mit Nurecht. Diese
Inseln sind zwar reich an Torf, aber ohne allen Banmwuchs, das
Klima ist sehr feucht, und die Verbrecher würden vielfach Gelegen-
heit haben, von dort zu entrinnen. Denn bei den Malninen laufeu
alljährlich viele Walfischfahrer an, deren Bemannung nicht selten
aus Schisssleuteu sehr anrüchiger Art besteht. Auch die den Falk-
laudö-Juselu gegenüber liegende Küste von Patagonien wurde
in Vorschlag gebracht, aber diese gehört den Engländern nicht;
die Argentinische Konföderation betrachtet dieselbe als
ihren Besitz. Ohnehin würden dort die Verbrecher leicht zu
entfliehen vermögen, und iu Bereinigung mit den Judianerhorden
des inneru Patagonieus viel Unheil anrichten können. Ein Protest
der Argeutiner würde bestimmt nicht ausbleiben.
Die Südsee-Inseln hat man noch nicht iu Betracht gezogen,
und England ist, obwohl die Zahl seiner Kolonien ein halbes
Hundert übersteigt, in nicht geringer Verlegenheit, um eine geeig-
nete Oertlichkeit für die Deportirten ausfindig zu machen. Denn
auch Labrador würde schwerlich dein Zweck entsprechen.
Nun tritt eiu vielfach erfahrener Manu mit einer Ansicht hervor,
die manches Einleuchtende hat. Wir meinen den berühmten Reisen-
deu Kapitän Richard Burton, den unsere Leser kennen. Er ist
Konsul auf der spanischen Insel Fernaudo Po uud für die Biafra-
Bay, das heißt die äquatorialen Küstengegenden von Westafrika,
und verweilt gegenwärtig in London. Wir wollen den wesentlichen
Inhalt seines Vorschlages mittheilen.
Schon 1856 hatte der um die Entdeckungsfahrten ans dem
Niger vielfach verdiente Mac Gregor Laird darauf hinge-
wiesen, daß das Camerones-Gebirge mit der Amboise-
Bay als eine geeignete Oertlichkeit zur Ansiedelung von Sträs-
liugeu sich empfehle. Schwarze Arbeiter müßten vom Seehafen
aus nach dem Hochland eine Straße bauen. Ans dem Gebirge
könnten die Verbrecher nicht entrinnen, weil das ungesunde Klima
im Tieflande ihnen das ganz von selbst verbieten würde. Das
Hochland ist unbewohnt, die Deportirten wären dort förmlich
isolirt; au Beschäftigung wäre kein Mangel: sie müßten Holz
fällen, Wege anlegen und den Ackerbau treiben, um sich Nahrnngs-
mittel zu verschaffen. Wer im Hochlande bleibt, ist seines Lebens
sicher; wer in's Niederland flüchtet, rennt dem Tod in die Arme.
Die Sträflinge können Negerinnen zu Weibern nehmen.
Burton erklärt, daß er mit diesen Ansichten Laird's unbedingt
einverstanden sei. Er habe die Weihnachtszeit von 1861 im Ca-
merones-Gebirge zugebracht, lieber diese Berge bemerkt er Fol-
geudes: Sie steigen im Hintergrunde der Biafra-Bay empor, etwa
unter 4« 25' S.Br., 300Miles vomAequator. Sie sind nicht, wie
man bisher annahm, eine ifolirt aufsteigende Bergmasse, sondern,
wie Burton meint, gleichsam der Strebepfeiler einer großen Sierra,
welche, durch die von der See her mit unbewaffneten Augen ficht-
baren Rnmbi- und Qua-Hügel verbunden, in nordöstlicher
Richtung vielleicht bis zum Berg Atlantik« hinzieht, der uns
durch Heinrich Barth bekannt geworden ist; er liegt südlich
vom Binue in Adamaua. Dieser Cameroues-Stütz- oder Strebe-
Pfeiler mag ungefähr 500 Geviertmiles haben, abwechselnd Busch
und Wald, Grasland uud unfruchtbarem Boden. Läuft aber
das Gebirge bis zum Atlantik«, so ist der Raum wenigstens
fünfzig Mal beträchtlicher.
Vor allen Dingen müßte man für die Deportirten, welche
man an die Amboise-Bay bringt, eine Gesundheitsstation her-
stellen, deuu die Küsteugegeud ist geradezu giftig.
Das Schiff Prometheus, Kapitän Bedingsield, lag 1861 eine
Zeitlang vor dem Hafen Lagos (— an der Nordseite des
Aequators, an der Küste von Aornba uud jetzt von den Engländern
in Besitz genommen —) und verlor von einhundert Weißen
uicht weniger als vierundachtzig Todte und völlig
Invalide.
Im Bonuy-Flnsse (—Nigerdelta—) starben von 280
Mann binnen 78 Tagen nicht weniger als 134!
Das Schiff Osprey hatte 17 Leute Bemannung;
alle starben, nur allein d er Kapitän blieb übrig.
In diesen Fällen richtete das gelbe Fieber die Verwüstung
an, das im Nen-Calabarslnsse fort und fort wüthet, während es
im Bonny einem eben so gefährlichen Typhus gewichen ist.
Auf Fernando Po starb en von 231 Weißen binnen
zwei Mouateu 76.
„Also ist eine Gesundheitsstation dringend uöthig; eiue Reise
nach England allein hilft nichts. Als ich jüngst im afrikanischen
Dampfer Atheniau heimkehrte, stellte sich heraus, daß alle
Passagiere, welche aus den Küstenhäfen an Bord gekommen waren,
trotz großer Fürsorge eines trefflichen Arztes, krank wurden. Ein
Officier, welcher in Afrika selbst das Fiebe.r niemals
gehabt hatte, bekam dasselbe am Bord."
Man muß mehrere Stationen anlegen. Die erste an der
Amboise-Bay auf der Insel Mondori, einem etwa 200 Fnß
hohen Felsen am Eingange zur Bucht, wo frische Seeluft weht;
in Clarence Town auf Fernaudo Po geht dagegen der Wind über
ausgedehnte Sümpfe uud wirkt schädlich.
Es ist uicht gut gethau, Fieberkranke plötzlich aus dem Tief-
lande bis in sehr hochliegende Gegenden zu schaffen; deshalb muß
die zweite Station auf dein Berge Henry, 1500 Fnß über dem
Meer, angelegt werden; er liegt etwa anderthalb Miles von der
Missionsniederlassung. Die dritte wäre 7000 Fuß über dem Meere
zu bauen; dort ist Grasland, aber auch Wald, und durch den
sogenannten Schwarzen Krater gegen die Nordostwinde ge-
schützt. Bis dahin kann man im Zickzack einen Fahrweg anlegen;
höher als 7000 Fuß braucht man der Gesundheit balber nicht zu
gehen. Oberhalb des Schwarzen Kraters wächst Gras und Klee;
das Gesteiu ist Lava; Schnee kann man für das ganze Jahr ans-
speichern, und wer Kälte genießen will, kann nach Sakers
Camp gehen, wo bei Tagesanbruch der Thermoiueter unter Null
steht, die Decken gefrieren und der Spitzberg mit Reif bedeckt ist.
Sträflingen, welche sich ordentlich betragen, sollte man erlauben,
schwarze Frauen zu Heirathen. Entfliehen konnte Keiner; wenn
man den Eingeborenen eine Flasche Rnm gäbe, würden sie ganz
*
Neue Nachrichten aus Tibet. Das Vordringen der kal
gewiß die Wiedereinliefernng des Entwichene« bewerkstelligen. Das i
Tiefland hat ein geradezu mörderisches Klima, und die Küste ist
so gefährlich, daß uicht selten auch die Neger, die doch wahre Am-
phibien sind, iiu Meere zn Schaden koinmen. Bis zu einer Höhe
von etwa '!(»)<> Fuß ist das Land gut bevölkert, und Buschrangers,
wie iu Australien, könnten in Westafrika nicht auskommen.
Au der Amboise-Bay fänden die von denSpaniern ans Fernando
Po vertriebenen protestantischen Missionäre, welche in Amboise und
am Cameronesslnsse Niederlassungen haben, ein geeignetes Feld
für ihre Wirksamkeit unter den Sträflingen. In der Bay müßte
zur Ueberwachung ein abgetakeltes Schiff liegen, mit Soldaten
von schwarzen westindischen Regimentern als Besatznng.
„Ich kann diesen Plan mit gutem Gewissen empfehlen; auf
keinen Fall konnte die Ausführung Jemanden Schaden bringen,
und kostspielig wäre er auch nicht." Dann wirft Bnrton einen
scharfen Seitenblick anf die, welche sich durch Livingstone's
P Hautast er eieu haben bethvren lasseu. Die Ansicht, welche wir
Holischen Missionäre in das Gebiet des Dalai Lama. 241
unsererseits darüber geäußert haben (Globus Nr. 30, S. 185), eut-
spricht jener, welche Bnrton ausspricht. Er sagt:
„Seither hat man jährlich 5000 Pfund Sterling für den
riesigen Humbug, den Sambesi-Fluß, vergeudet. Aber
heute ist wohl endlich Jedermann überzeugt, daß die iu Aussicht
gestellte EntWickelung der dortigen Hülssqnellen lediglich der
Traum eiues Sanguinikers war. Weil man aber in jener
Gegend noch immer auf große geographische Ergebnisse wartet, so
möge meinethalben der Sambesi-Fuß fein halbes Salair fortbe-
kommen, die andere Hälfte sollte man aber anf Amboise-Bay ver-
wenden."
„Da werden Einige schreien, es sei doch recht gransam, die
armen Garvtters nach einem solchen Klima zu transportiren! Aber
Denen ist zu antworten: Wenn jenes Klima für mich und andere
Lente, die keiue Verbrecher siud, gut genug ist, dann werden sich
anch die mit Urlaubsscheinen versehenen Garotters nicht über
dasselbe beklagen dürfen!"
Nene llachrichten ans Tibet. Das Vordringen der katholischen Missionare in das Gebiet
des Vata'i Lama.
Preiswürdiger Eifer der Lazaristen. — Die früheren Versuche, in's Innere von Tibet zu gelangen. — Thomms Dcsnuizure's Reife aus dem westlichen China
nach Kiaomdo. — Unfreundlicher Empfang zu Kiang Ka in der tibetanischen Provinz Kam. — Großartige Gebirgslandschaft. — Das unabhängige Fürsten-
thum Tscha ya. — Aufenthalt in Kiaomdo. — Hindernisse der Weiterreise nach Hlassa. — Durand's Nachrichten über die Rebellion im westlichen «hina. —
Natioualgardeu, — Grausamkeiten. — Ta tsieu lu, die Eingangspforte nach Tibet. — Die Stationen znr Rast. — In Lithang. — Buddhistische Klöster
und verschiedene Arten von Gebetmaschinen. — In Bathang. — Die Hochebene von Tiang Ka. —
Die französischen Missionäre vom Lazaristenorden, welche so
lange Zeit dem Bekehrungswerk iu China obliegen, haben sich
vorgenommen, nach Hlassa, der Hauptstadt von Tibet, vorzu-
dringen, und dort ihr Evangelium zu predigen. Im Angesichte
des Buddha-La, jeues Batikaus, in welchem der asiatische Papst,
der Dalat Lama, wohnt, wollen sie die Lehre und den Glauben
der römisch-katholischen Christenheit verkünden. Dabei bewähren
sie einen Muth und eine Ausdauer, welche über alles Lob erhaben
sind. Wir, von nnsem Standpunkt ans, folgen mit Theilnahme
den Bemühungen dieser tapfereu Männer, weil sie uns wichtige
Kunde über bisher wenig bekannte Regionen geben, in denen sie
die geographischen Pioniere siud, und wir erfahren in der
That viel Interessantes durch sie.
Schon vor beinahe einem Jahre (Globus Nr. 13, S. 24 sf.)
schilderten wir die Bemühungen der Missionäre, uach Tibet vor-
zudringen. Der jetzt verstorbene Abbe Hnc war der erste Europäer
gewesen, welcher von Osten her Hlassa, l>>4(>, erreicht hatte. Er
war von Peking aus durch die Mongolei bis an den Knku Nor ge-
zogen, hatte das Bajan Charat- und dann das Tantla-Gebirge
überschritten und sein Ziel erreicht. Im März 1846 wurde er
jedoch aus Hlassa verwiesen, aber nicht etwa durch Unduldsamkeit
der buddhistischen Geistlichen, sondern durch deu chinesischen Re-
giernugsbevollmächtigteu, der ihn auf der großen Straße zurück-
transportiren ließ. Huc's Beschreibung seiner Reise ist iin höchsten
Grade ansprechend, lehrreich und von spannendem Interesse; sie
führt uns ganz und gar ein in das mongolische und tibetanische
Leben und Treiben, und namentlich lernen wir durch sie die Ver-
hälluisse des buddhistischen Klosterlebeus mit einer geradezu pla-
stischeu Anschaulichkeit kennen*).
Huc hatte die Bahn gebrochen; die Möglichkeit, bis Hlassa zu
*) Ich habe das Werk in einer deutschen Bearbeitung herausgegeben:
„Wanderungen durch die Mongolei nach Tibet zur Haupt-
stadt des Tale Lama. Von Hnc und Gäbet." Leipzig 1855. A.
Globus für 1863. Nr. 3?.
gelangen und dort zu predigen, war bewiesen, und seitdem haben
die Brüder vom Orden des heiligen Lazarus jenen buddhistischen
Kernpunkt uicht mehr aus deu Augen verloren. Wir verweisen
anf unsere frühere Schilderung, in welcher wir zeigten, wie Abbe
Krick dreimal vou Süden her, namentlich am Bramapntra auf-
wärts, deu Versuch wagte, uach Tibet zu gelangen, und daß er
1851, sammt seinem Gefährten Bonry, durch den wilden Stamm
der Mischemi ermordet wurde. Wir zeigten, wie Bernard und
Desgodius 1857 vom Setledsch aus, also einige Hundert
deutsche Meilen weiter nach Westen hin, durch die Ketteu des
Himalayagebirges eiu ähnliches Ziel, aber vergeblich, verfolgten;
daß der Erstere bald nachher iu Indien starb, der Andere nach
China ging, um von dort aus (wie wir jetzt erfahren) mit
besserm Erfolge über die tibetanische Grenze zn gehen. In dieser
Gegend war Reno n seit 1851 thätig gewesen und, als Kauf-
mann verkleidet, nach Lithang gekommen, also uach einer wichtigen
Grenzstadt im östlichen Tibet. Er sowohl, wie der nach ihm
kommende Missionär Fage, wurde freundlich aufgenommen, und
gründete im kleinen Königreiche A teil tfe, auf tibetanischem
Boden, im Thale von Bonga, eine Erziehungsanstalt, welche
anfangs gedieh, aber >858 von Räubern überfallen uud ausge-
plündert wurde. Renon entrann mit genauer Roth dem Tode und
ging bis auf Weiteres uach Bathang, einer wichtigen tibeta-
uischeu Grenzstadt.
Bis so weit haben wir früher die Erlebnisse dieser Missionäre
erzählt, und wir erwähnen iu aller Kürze dieser Umstände, weil
sie zum Verständnisse der folgenden Mittheilungen nöthig sind.
Wir finden nun iu den zu Lyon erscheinenden „Anuales de la
propagatiou de la foi, Nr. 204", eine Reihenfolge ausführlicher
Berichte über die Fortschritte der Missionäre in Osttibet; diese sind
bereits auf halbem Wege nach Hlassa, uud allem Anscheine zufolge
werden am Ende ihre Bemühungen mit Erfolg gekrönt werden.
Thon?ine Desmazures, Bischof von Sinope und aposto-
lischer Vikar von Tibet, schreibt aus Kiaomdo (— es ist das
31
242
Neue Nachrichten aus Tibet.
Tsiamdo unserer Karten gemeint —) vom 27. (*29?) Oktober
1861 einen ausführlichen Bericht. Wir wollen den Missionär selber
sprechen lassen. —
Da wären wir nun endlich in Tibet, und unter Gottes Hülse
hoffe ich, daß wir dieses Land niemals wieder verlassen werden.
Aber es hat viel Anstrengung und Geld gekostet, bis wir hierher
gelangten. Im vorigen Jahre schickte ich christliche Kaufleute
voraus, um mir den Weg bis Hlassa zu ebnen, wohin ich in
diesem Jahre inkognito zu gehen gedachte, wie das seither die
nach China eindringenden Missionäre gethan halben. Aber kaiser-
liche Pässe von französischen und chinesischen Bevollmächtigten
gewährten uns großen Nutzen, denn solche Dokumente stehen hier-
in höchstem Ansehen. Wir mußten nun als französische Missionäre
austreten und als ofsicielle Personen reisen. Ich sandte Herrn
Fage nach Tschentn znm Statthalter der chinesischen Provinz
Sn tschuen, um die uöthigeu Einführungsschreiben zu besorgen. —
Am 15. April brach ich mit Herrn Desgodins nach Ta
tsian ln auf; dort wollten wir Missionäre (Fage, Gontelle
und Durand) zusammentreffen und dann gemeinschaftlich in's
Innere von Tibet reisen. Als Bedeckung gegen die Räuber
gab mau uns eine Ehrenwache von chinesischen Soldaten und Ein-
geborenen mit, und am 7. Mai 1861 verließen wir die Atadt Ta
tsian ln. Ein christlicher Offizier trug die französische Flagge vor
der Karawane her; an seiner Mütze hatte er deu Mandarinen-
knops.
Unsere Reise war nicht so beschwerlich wie vormals jene von
Huc und Gäbet. Freilich fiel uns, trotz der vorgerückten Jahres-
zeit, manchmal Schnee auf deu Kopf uud während der Nacht war
es sehr kalt; das Eis auf deu Bergen war jedoch geschmolzen und
der Weg nicht mehr gefährlich. Ueberall wurden wir wie Per-
fouen vou Rang aufgenommen, aber es fehlte uns doch manchmal
an geeigneten Nahrungsmitteln. In den weit von einander entfernt
liegenden Wohnstätten, die als Stationen dienen, gab es weder
Milch oder Butter, uoch Fleisch, uud ich kam zu Kiaug Ka
in eiuem so kläglichen Zustande der Erschöpfung an, daß ich
mein Ende nahe glaubte. Das war am 4. Juni 1861. In diesem
Flecken ist eiu Scheu Pi oder chinesischer Hauptmann, auch
wohnt hier der tibetanische Gouverneur der Provinz Kam.
In Kiaug Ka fanden wir Herrn Renon, den mnthigen
Sendbote», welcher die Mission Bouga in einer wilden Thal-
schlucht gründete. Jetzt wohnte er seit zwanzig Monaten in K'iang
Ka und verlangte nachdrücklich Schutz für die von ihm in Bonga
gegründete Waisenanstalt (Globus II, S. 26), welche man ihm
jedoch verweigerte. Schon im Jahre 1849 begann er seine Ver-
suche, in Tibet einzudringen.
Zwei Meilen vor K'iang Ka meldete uns ein Bote, daß der
Kong kuang, das heißt die Wohnung für reisende Mandarinen,
dergleichen man seither immer für uns in Bereitschaft gehalten,
uns verweigert werden solle. Der chinesische Hauptmann habe
das Volk aufgewiegelt, um uns zur Rückkehr zil zwingen. Wir
aber gingen bei entsetzlichem Regen weiter, wurden nicht ehrenvoll
empfangen und zogen gerades Wegs nach Renon's Wohnung.
Zwei volle Mouate blieben wir in Kiaug Ka. Renon besorgte
alle Verhandlungen mit den Mandarinen und dem tibetanischen
Gouverneur, die uus feindlich gesinnt blieben. Sie ließen die
kaiserlichen Dokumente unbeachtet, kümmerten sich nicht um die Be-
stimmuugen des mit Frankreich abgeschlossenen Friedensvertrags
nnd eben so wenig um Befehle des Gouverneurs von Sn tschnen.
Unter diesen Umständen beschlossen wir, nach Tscha mon to nnd
Hlassa aufzubrechen, um unsere Sache den Mandarinen vorzn-
tragen, welche Vorgesetzte des widerspenstigen Hauptmanns waren.
Ich ordnete an. daß Renon nach Hlassa gehen solle, stellte mich
und Desgodins unter seine Leitung und am 5. August brachen wir
auf. Fage, Gontelle und Durand blieben vorerst in Kiaug Ka;
sie sollten von dort nach Bonga zurückkehren, sobald wir unserer-
seits den gebührenden und uöthigen Schutz für die dortige Station
ausgewirkt haben würden.
Die zweite Abtheilung der Reise war noch günstiger als die
erste. Zwar fanden wir die Berge viel steiler, aber die Eismassen,
welche in der Winterzeit dort liegen uud auf deueu man oft auf
großen Strecken hinabrntschen muß, waren nun in grüne Matten
verwandelt und mit Blnmen gleichsam übersäet. Viele kleine Pfützen
und Lachen, welche von geschmolzenem Schnee herrührten, bewiesen,
daß jetzt, im Monat August, der Winter kaum gewichen war. Aber
nun erschien Alles grün nnd blühend; wilde Enten von gelber
Farbe waren so wenig scheu, daß wir ihnen bis auf wenige
Schritte nahen konnten; hoch über nns kreisten Adler. Das Ge-
birge bot eigenthümliche geologische Verhältnisse dar: großartige,
schauerliche Landschaften wechselten mit lieblichen Gegenden, nnd
ans diesen Hochebenen, welche zu den höchsten der Erde gehören,
hatten wir eine fast tropische Sonne. Die Eingeborenen gaben
uns gern Schaft, Ochsenfleisch, Käse, Bntter und andere Nahrungs-
mittel tu Ueberflnß; Alles traf zusammen, um unsere Reise so lehr-
reich und augenehm als möglich zu machen. Aber ich war leider
krank, und Reuou auch; er hatte Fieber mit häusigem Erbrechen.
Wir besuchten die großen Lamaklöster von Ly tang, Pa
tang, Tscha ya und Kiaomdo; wir sahen den großen Leichen-
stein, ans welchem die Tibetaner die Menschenleichen legen, damit
sie von den Geiern gefressen werden. Während diese ihr Mahl
halten, find die Lamas und die Leidtragenden beisammen, trinken
Thee, scherzen nnd belustigen sich, bis die Geier alles Fleisch ans-
gefressen haben. Dann zerbricht man auch noch die Knochen, da-
mit das Begräbniß vollständig sei.
Renon war in Kiaug Ka mit tibetanischen Häuptlingen bekannt
geworden, und deshalb fanden wir einen freundlichen Empfang.
Die Leute kamen uns festlich entgegen, machten nns mit ihren
Freunden und Verwandten bekannt, und wir lernten durch sie auch
audere Häuptinge kennen. Während unserer sechstägigen Wände-
rung im Fürstenthum Tscha ya, das unabhängig ist und
wo die chinesischen Mandarinen die Erlanbniß znm Durchreisen
mit Geld erkaufen müssen, fanden wir überall nur freundliche Auf-
nähme und Wohlwollen. So weit ging dasselbe, daß der lebende
Buddha in dem Lamakloster, welches Beherrscherin des Landes ist,
mich bat, dort französische Missionäre zu stationären. Der Gouver-
neur von Tscha ya hatte unterwegs an allen Stationen die Ulas
bereit, das heißt Lastthiere, welche die Bewohner im Frohndienste
stellen müssen, und gab uns nicht nur ein Geleit von Soldaten,
sondern auch einen Dolmetscher. So ging Alles vortrefflich von
Statten, ausgenommen daß wir am Tage vor unserm Einzug in
Tscha mou to oder Kiaomdo (Tschiamdo) bei starkem Regen
auf schlechten Wegen in Lebensgefahr geriethen. Der Pfad war
abschüssig, schmal nnd schlüpfrig und wir Alle stiegen von unseren
Pferden; nur allein der Soldat, welcher uusern Zng eröffnete, blieb
zu Roß. Dieser kecke Reiter hatte manches hundert Mal Regierungs-
dePeschen befördert, war daran gewöhnt, steile Wege hinan und
hinab zu galoppiren, und betrachtete es als einen Ehrenpunkt, auch
jetzt noch im Sattel zu bleiben. Aber zweimal strauchelte sein
Pferd, glücklicherweise nicht an den gefährlichsten Stellen, nnd am
Ende mußte er doch auch absteigen. Aber was sollte ich Kranker
beginnen? Jedermann sagte mir, daß ich mit zitternden Beinen
nnd wankendem Gange mehr Lebensgefahr ausstünde als auf
meinem Maulthier, und nun nahm ein Mann, der selber Mühe
genug hatte, sich aus den Füßen zu erhalten, mein Thier beim
Zaume, während ein anderer den Schweif hielt. So ging es fort;
aber Desgodins, der dicht hinter mir schritt, sagte mir nachher, daß
er jeden Augenblick meinen Sturz i» die Tiefe befürchtet habe und
bereit gewesen sei, mir die Absolution zu ertheilen.
Die Gefahr ging indessen glücklich vorüber und am 19. August
zogen wir iu Kiaomdo ein. Dort war 1849 Renon angehalten
und zum Rücktransport nach Kanton verurtheilt worden; nun aber,
i im Jahre 1861, hatten die Dinge eine ganz andere Wendung ge-
Das Vordringen der katholischen Missionäre in das Gebiet des Dalai Lama.
243
nommen. Der Militärmandarin mit der ganzen Besatzung und
der Civilmandarin mit seinen Beamten standen am Thor, em-
psingen uns feierlich und geleiteten uns in ein Zelt, wo Thee für
uns bereit gehalten wurde. Nachdem wir diesen getrunken, führte
man uns in eine für uns hergerichtete Wohnung. Dort wurden
uns ausgesuchte Speisen aufgetragen-, die Mönche des großen Lama-
klosters schickten einen ganzen gebratenen Hammel, der in Figura
gebraten war und auf allen Vieren stand ; dazu kam noch ein halber
Ochse, den man aus eiuer Tragbahre herbeischleppte, und einige
Säcke mit Reis, Mehl und einer Hülle uud Fülle vou Eßwaaren
verschiedener Art.
Zehn Tage lang ging das so fort; wir wurden mit Achtung
und Auszeichnung behandelt. Am 27. August trafen wir Vorkeh-
rnngen zur Weiterreise für den folgenden Tag. Dann aber kam der
freundliche Civilmadariu und berichtete, daß am Mittag beim
Tschang tschn bo (dem Prokurator des großen Lamaklosters) Briefe
von den Vorstehern der drei größten Lamakloster ans Hlassa einge-
troffen seien, welche böse Nachrichten für uns enthielten. Angedroht
wurden Krieg, Vernichtung und schreckliche Strafen allen Hänpt-
lingen uud Klöstern, wenn irgend ein Mensch sich unterstehen werde,
englischen oder französischen Reisenden, welche nach
Hlaffa gehen wollten, Brennstoffe, Wasser oder Lebensmittel zn
verabfolgen oder ihnen anderweit behülflich zu fem. Diese Drohung
erregte großen Schreck im Lamakloster zu Kiaomdo, aber der
Tschang tschn bo blieb uns trotzdem freundlich gesinnt. Allein die
Ulas für deu nächsten Tag verweigerte er, falls nicht die chine-
fischen Mandarinen alle Verantwortlichkeit auf sich nehmen würden.
Das konnten sie aber um so weniger, da sie nur über ein paar
hundert Soldaten verfügten. So mußten wir denn in Kiaomdo
bleiben, uud das war, wie sich bald zeigte, für uns ein wahres
Glück.
Unser Protest gegen eine solche Verletzung des Rechts uud
der Verträge wurde von unserm wohlwollenden Mandarin nach
Hlassa nnd Tschcn tu übermittelt. Am 30. August brachte ein Eilbote
von Seiten der Repräsentanten des chinesischen Kaisers in Tibet einen
amtlichen Erlaß, demzufolge man uns gut behandeln und in aller
Sicherheit uach Hlassa geleiteu solle. Aber in Anbetracht der Auf-
regung, welche dort unter den Lamas herrschte, hielten wir es doch
für gerathen, die Antwort ans unfern Protest abzuwarten; sie sollte
binnen drei Wocheu einlaufen. Während unseres Aufenthalts in
Kiaomdo find wir, ich wiederhole es, von den Mandarinen wie
vom Volke mit der größten Freundlichkeit behandelt worden.
Anders ergiug es unseren Brüdern, welche wir in Kiang Ka
zurückgelassen. Jene Drohbriefe waren durch deu eingeborenen
Gouverneur jener Stadt veranlaßt worden; er war unser Gegner
und hatte, bevor wir noch gen Kiaomdo ausbrachen, einen Kon-
rier nach Hlassa geschickt, um die dortigen Lamas gegen uns ein-
zunehmen. Dann verbot er den Leuten, deu Missiouäreu irgend
etwas zu geben oder zu verkaufen; „sie sollen zurückreisen oder
Hungers sterben", sagte er. Trotzdem brachten manche Leute
insgeheim Eßwaaren; wurde aber einer dabei ertappt, dann be-
kam er Stockprügel. Durchziehende Soldatm nahmen sich unserer
Brüder an, uud durch solche Leute erfuhren wir in Kiaomdo, wie
traurig es ihnen ging. Sie waren förmlich im Blockadezustand,
aber Fage erklärte iu seiner und seiner Kollegen Namen dem
Tscheu pi, daß sie ihren Posten nicht verlassen würden; sie hätten
Papiere des Kaisers von China und Frankreich, würden im Roth-
fall ihre Maulthiere schlachten nnd verzehren, und wenn sie dann
nichts mehr zn essen hätten, vor seine Thür kommen, um dort zu
sterben. Iu ihrer höchsten Noth nahm sich dann ein Häuptling
ans der Umgegend ihrer an, und ein junger Tibetaner leistete
ihnen wichtige Dienste. Späterhin kamen auch Briefe ans Peking
nnd Tscheu tu (vom Minister des Auswärtigen nnd vom Gouver-
ueur der Provinz Sn tschueu) mit dem ausdrücklichen Befehle, die
sieben namentlich aufgeführten Missionäre gut zu behandeln und
überall so aufzunehmen, wie es sich gebühre. Dein Mandarin
wurde mit Absetzung gedroht, wenn er seine Schuldigkeit nicht
thue. Das Alles wirkte gut; unsere Brüder wurden frei. —
Unsere Hoffnungen sind jetzt nicht etwa geringer; unser Aufent-
halt hier ist nur zeitweilig und Alles scheint darauf hinzudeuten,
daß wir ungehindert werden nach Hlassa gehen können. Unser Ver-
weilen hier kann von Nutzeu sein, denn Kiaomdo ist einer der
wichtigsten Punkte in Tibet für die Verbindungen mit den ver-
schiedenen Fürstenthümern der Provinz Kam, mit dem Knku Noor
in der Mongolei uud deu chinesischen Provinzen Sn tschnen und
Mn uau. Mehrere eingeborene Häuptlinge haben von Tscha ya
Missionäre verlangt; in Kiang Ka haben wir Freunde unter Sol-
daten uud Volk; iu der Nähe vou Bouga will ein ganzes Dorf
zum Christenthum übertreten, in drei anderen bereitet sich Aehnliches
vor, und überall spricht man gnt von uns. Selbst aus D fch afch i
Lumbo, einer nur acht Tagereisen von Hlassa entfernten Stadt,
haben wir Einladungen erhalten. —
So weit Thomms Desmazures. Seiu Bericht gewährt einen
Einblick in die Verhältnisse der chinesisch - tibetanischen Grenz-
gegeuden, über welche wir noch so wenig eingehende Kunde haben.
So viel scheint sicher, daß die Missionäre zäh bleiben und nicht
eher ruhen, als bis sie im Angesichte des buddhistischeu Vatikans
unter den Augen des Dalai Lama ihr Kreuz aufgepflanzt nnd ihre
Predigten gehalten haben. Sie können sich dabei auf die Verträge
stützen. Sie werfen Sauerteig iu jene Gegenden, durch welchen
im Fortgange der Zeit große Veränderungen in Ost- und Central-
Asien bewirkt werden können. Dort sind viele Anstände, die sich
überlebt haben, nnd Alles zeigt, daß auch in jenen Regionen eine
gewaltige Gährnng in den Geistern herrscht. Eine solche ist aber
unumgänglich nöthig nnd trat auch allezeit ein, wenn eine große
geschichtliche Umwandlung, eine Nene Phase der EntWickelung sich
anbahnte.
Sehen wir nun, wie es den Lazaristen in Kiang Ka erging.
Durand schildert ihre Erlebnisse iu eiuem Briefe vom 9. Juni
1861; er lobt das Benehmen der kaiserlichen Beamten und ver-
gleicht die früheren Zustände mit den jetzigen. Auf der Wanderung
aus China nach Tibet, bei welcher er, wegen der Rebellen im
Westen, einen Umweg machen mußte, wurde er oft von National-
gardisten geleitet, unter denen er Christen fand. Diese waren
ihm sehr nützlich, denn, sagteer, jeder Unbekannte galt für einen
Rebellen, und jeder Bürger nahm sich das Recht, einem andern
den Kopf abzuschneiden. Auf eiuer Station erfuhr ich, daß man
einige Tage vor meiner Ankunft ein paar Reisende enthauptet
hatte; gleichzeitig wurden achtzehn Männer verhaftet, denen ganz
dasselbe geschah. Einmal wurden unsere Kisten auf dem Markt-
platz einer Stadt geöffnet. Als die Leute unsere Bücher und
Kircheugeräthe sahen, riefen sie: „Das sind auch Rebellen!"
Da trat aber eine Christin hervor und setzte ihnen auseinander,
daß wir keine Rebellen, sondern „Meister der christlichen Religion"
seien. Man ließ uns dann unbehelligt, hätte uns aber doch
gern was am Zeuge geflickt. Eiu Mann wies auf mich und sagte:
„Diese lange Nase verkündet nichts Gutes." Eiu
Anderer fügte hinzu: „Der rothe Bart und dieKatzenangen
auch nicht."
Wir kamen einmal durch eine Gebirgsschlucht, wo die Sol-
daten der kleineu Festung unsere Koffer öffneten, um sich zu über-
zeugeu, ob wir wirklich keine Banditen seien. Auf einer Strecke
von hundert Meilen hatten wir fast an jedem Tage eine ähnliche
Scheererei, fanden aber zum Glück überall Christen, die uns vou
einer Station zur andern begleiteten und sich bei den National-
garden für uns verbürgten.
Ich erhielt den Auftrag, die Bezirke von Min schau und
Ja tfchen zu bereisen, wohin seit zwei Jahren keine Missionäre
gekommen waren. Dort wütheten eben die Rebellen mit Feuer und
Schwert. Ich war ganz allein. Unterwegs sah ich manche nieder-
gebrannte Ortschaften und Spuren der Verwüstung; die Banditen
waren unbarmherzig und grausam; fast jede Familie hatte durch
31 *
244 Neue Nachrichten aus Tibet. Das Vordringen der katholischen Missionäre in das Gebiet des Dalai Lama.
sie gelitten, denn sie ermordeten die Männer, und so fand ich Frauen
und Kinder verlassen, die Häuser geplündert, die Dörfer als
Brandhaufen, Städte zerstört; an ltiid auf der Landstraße lagen
Leichen in Menge und die Naben hatten vollauf zu fressen. Neberall
Verwüstung, Schrecken und Flucht dort im Westeu Chinas. Drei
Monate lang durchzogen die Rebellen meinen Sprengel und zer-
störten, was sie bei ihren früheren Verwüstungen etwa verschont
hatten. Die, welche jetzt die Provinz Sn tfchueu verheeren, find
in zwei Banden getheilt. Die eine steht unter dem Oberbefehl
eines Mohammedaners, Namens Lan ta tschueu, die andere
unter dem Befehl eines Gastwirthes, der L y tu an tat a heißt.
Nachdem sie erst, jede auf eigene Faust, im Süden und Westen
der Provinz arg gewirthfchaftet hatten, vereinigten sie sich, ge-
meinfchaftlich einen Angriff gegen die Hauptstadt (Tschiaug tu)
zu unternehmen; sie zitterte vor diesen Banditeu. Als ich meinen
Sprengel bereifte, wüthete dort der Mohammedaner an der
Spitze, von etwa zwölstauseud Mann. Ich konnte ihnen glück-
licher Weise ausweichen, traf aber aller Orten mit den Tu an
schan, das heißt deu Nationalgarden, zusammen. Diese Miliz
war theils mit, theils ohne Erlanbniß der Behörden organisirt
worden, nud auch sie ließ sich unerhörte Grausamkeiten zu
Schulde» kommen.
Bor jedem Posten wurde man nach Namen, Stand nud Ge-
burtsort gefragt. Dann sprach der Kommandant: — Kennt Einer
von Euch diesen Menschen? — Nein. — Der Angehaltene spricht:
Aber ich wohne in der und der Stadt, habe da oder dort ein Ge-
schäft.— Das half gewöhnlich uichts, der Kommandant machte
kurzen Proceß und sprach: — Gauz gut, Du bist eiu Ne-
bell. Schlagt ihm den Kopf herunter! — Manchmal
nahm man sich nicht einmal die Mühe, Fragen an einen Mann
zu richten, nahm Alles, was er hatte, nnd hieb ihn dann ans
dem Flecke nieder.
Wir hatten im Thale Ten tiku eiue Schule, iu welcher die
Kinder lateinisch lernten. Ein Rebellentrupp kam und schleppte
mehrere Zöglinge fort, sie entwischten aber sofort. Der eine Knabe
mußte aus Ermüdung hinter den übrigen zurückbleiben, setzte sich
auf einen Stein am Wege und ruhte aus. Da kamen National-
gardisten, die ihn ohne Weiteres todtschlugen! Diese Chinesen sind
eben so feig als barbarisch, den Schwächereu gegenüber grausam,
und niederträchtig vor dem Feinde. Weuu sie einen Mann oder
ein Kind ermordet haben, laufen sie fort.
Unter solchen Leute» mußte ich lauge Zeit Tag und Nacht
wandern. Erst nach etwa drei Mouaten zöge» die Rebellen weiter
gen Osten und nun konnten wir doch einigermaßen anfathnien;
anch schickte mir ThomimZ einen Missionär, der vor Kurzem einge-
troffen war, Herr Biet. Mit diesem brach ich gen Tibet auf,
obwohl ich in Folge großer Beschwerden mich krank fühlte. Man-
darinen, welche uns begegneten, stiegen vom Pferd, um uns zu be-
grüßen, denn vor unserer Karawane ließen wir eine französische
Fahne hertragen, ans welcher mit großen Buchstaben stand:
„Frankreich nnd Tibet." Wir waren gleichsam amtliche
Personen nnd deshalb auch von Zollabgaben frei. Wir waren
Ta dschön, „große Leute".
Wir kamen nach Tatsien lu, einer Grenzstadt in einer
dürren Thalschlucht, wo schou die halbe Bevölkerung tibetanisch ist,
nnd mit Recht bezeichnet man sie als die Eingangspforte nach
Tibet. Einige Tage nach nnS kam Thomiu6; er zog im vollen
bischöflichen Ornat ein, mit dem Kreuz auf der Brust; die Mauda-
riueu begrüßten ihn und gabeu ihm eiu glänzendes Bankett. Man
feuerte uns zu Ehren Kanonen ab, schlug die Tamtams uud wollte
sie die ganze Nacht durch Ehrengarden vor unserer Thür schlagen
lassen; aber das verbaten wir uns doch, deuu wir hätten daun
nicht schlafen können. Ich kam iu besondere Gunst, weil ich im
Stande war, dem Militärmandarinen eine alte Uhr wieder herzu-
stellen.
Nachdem wir in Ta tsien lu eiue möglichst starke Karawane
zusammengebracht hatten, um nötigenfalls Räubern Widerstand
leisten zu können, zogen wir am I. Mai in der Richtung nachHlassa
ab. Diese Karawane bestand aus etwa einhundert Maulthieren
und Gruuzochseu (Jaks), sechszig Männern zu Fuß und zu Pferde
und einem Soldatengeleite, welches die Mandarinen nns mitgaben.
In Tibet muß man in möglichst großer Zahl reisen, sonst wird
man ausgeplündert durch Diebesbanden oder durch die Kia pas,
einen Stamm von Räubern, welche zu Pferd vom Gebirge herab-
sprengen. Wir waren deshalb allemal ganz besonders auf der
Hut, wenn wir an Schluchten vorüberkamen.
Wi? zogen desselben Wegs, welchen Huc 1846 auf seiner Rück-
reise von Hlafsa uach Chiua genommen hat. Wir sahen, gleich
ihm. tiefe Thalschluchten, hohe, oft dürre Berggipfel, dann und
wann dichte Wälder au den Abhänge». Das Ganze machte ei»e»
merkwürdig - fremdartigen Eindruck. Durchschnittlich wurden neun
bis zehn starke Wegstunden zurückgelegt und Abends in einem
Knng knan eingekehrt. Diese Knng knan sind Stationen zur
Rast, welche auf der Straße uach Hlafsa in den eben angegebeneu
Entferuuugeu auseinander liegen. In den kleineren stehen als
Wachtposten gewöhnlich nur drei Soldaten, in den wichtigeren
manchmal zwanzig. Weiter trifft man auf der öden Strecke keine
Meufcheuwohuuugeu, ausgenommen dann nnd wauu, aber nur
sehr selten, eine tibetanische Hütte. Diese Stationen sind nrfprüng-
lich für die reisenden Mandarinen uud Postboten errichtet worden,
jetzt aber zumeist im Versall und ohne alle Bequenilichkeite».
Morgens früh wurde aufgebrochen, um etwa elf Uhr Halt gemacht,,
ein Feuer angezündet, nnd die Tfam p a genossen, das heißt Schrot
von gerösteter Gerste mit Thee uud Butter;- dann ging es wieder
vorwärts, bis die Karawane eine Station erreichte.
So gelaugten wir, immer bergauf und bergab, auf die Hoch-
ebene, auf welcher Li thaug liegt, eiu Ort, deu wir uach acht-
zehn Reisetagen erreichten und den ich weder als Stadt noch als
Dorf bezeichnen kann. Er liegt iu einer weiten, unbebauten Ebene,
wo man weder Feld noch Baum sieht; aber ich bemerkte viele Adler
und Raben. Oberhalb des Ortes liegt an einem Hügel ein Lama-
kloster, das sehr regelmäßig gebaut ist uud einer Stadt gleicht.
Alle Häuser siud roth augestricheu uud über das Gauze rageu drei
vergoldete Kuppelu empor.
Ich habe dieses Kloster besucht. Iu den rotheu Häusern haben
die Mönche ihre Privatwohnungen, die am Tage fast alle ver-
schloffen sind. Aus dem großen Saal unter der Hauptkuppel
draug Geschrei und Gemurmel zu mir. Ich trat näher und ge-
wahrte in einem Hofraum eine Gruppe von Männern, die sich
niedergekanert hatten uud eine rothe Schärpe trugen. Es waren
betende Lamas. Im Inner» sah ich hinter einem znrückgeschlage-
nen Vorhänge das Heiligthum; es wird durch mehrere Reihen von
Säuleu in verschiedene Abtheilungen gesondert. Dort versammeln
sich die Mönche zu gemeinschaftlichem Gebet. Die Wände sind
mit verschiedenen Farben bemalt und im Hintergrund ist eine
Statue Bnddha's. Man führte mich eiue Treppe hinauf zum
Obergeschoß, wo mau uns Thee mit Butter vorsetzte. Eiu Ober-
lama führte eiue lebhafte Unterhaltung und ließ dabei die Kugeln
des Rosenkranzes durch die Fiuger gleiten. Ein Dnnst von übel-
riechender Butter siel uus sehr lästig wir mußten aber gnte Miene
zum bösen Spiele macheu und noch eiue Treppe hinaufsteigen, um
einem lebendigen Bnddha vorgestellt zu werden. Er hatte ein
hübsches Zimmer und wir fanden seine Bibliothek in bester Ord-
nnng. Als wir dann nach dem lebendigen Gotte selber fragten,
lautete die Antwort, er sei kürzlich gestorben, aber vor ein paar
Tagen sei er in Li thang selber auf's Nene zur Welt gekommen.
Bekanntlich glauben die Tibetaner an eine Seelenwanderung.
Die große Kuppel ist mit vergoldetem Kupfer bedeckt; an
allen vier Ecken hängt eine Glocke, welche der Wind hin und her
bewegt, so daß der Klöppel anschlägt. Das ist dann eben so gut,
als ob eiu Gebet gesprochen würde. Auf einer Terrasse stand eine
In der Campagna der brasilianischen Provinz Rio grande do Snl.
245
Reihenfolge von Walzen, die mit Gebetformeln beschrieben sind
und sich um ihre Achse drehen. Solch eine Gebetmaschine heißt
Korlo: sie dreht sich, sobald ein Luftzug geht; auch giebt es
Wassergebetmaschinen, Tschu kor; welche, wie Mühlräder,
von Bächen getrieben werden; andere werden mit der Hand ge-
dreht. In allen Häusern und Dörfern nitd an den Wegen findet
man solche Korlo; der Tibetaner hat dadurch deu Vortheil, daß er
betet, ohne sich dabei irgend zu strapazireu. Denn man hat die
jedenfalls sehr bequeme Ueberzeugnng, daß irgend ein beliebiger
Gegenstand, auf welchem ein Gebet geschrieben steht, allemal
dieses Gebet au feilte Adressen befördere, sobald es, gleichviel
auf welche Weise, iu Bewegung gesetzt wird. Tibet ist aber ein
sehr windiges Land, und so nimmt diese Art von mechanischem
Beten gar kein Ende.
Jenseits Li thang wateten wir, obwohl Maimonat war, durch
Schnee, der Wind wehte so eisig kalt, als wären wir mitten im
Winter, und auf dem sehr hohen Plateau war die Luft sehr dünn.
Uebrigens stieß uns bis Pa tang (Bathang) nichts Bemerkens-
werthes auf: dort aber blieben wir ein paar Tage, um uns zu
erholen und neue Vorräthe einzunehmen. Die Umgegend ist nicht
unfruchtbar, denn es gedeihen Weizen und andere Getreidearten;
auch fanden wir in diesem engen tiefen Thale das Wetter sehr heiß.
Bei unserm Abzüge ließ der Mandarin drei Kanonenschüsse
abfeuern, und nun wanderten wir zwei Tage lang am Kin scha
kiang (dem obern Uang tse kiang) hin und befanden uns am
2. Juni auf der Hochebeue vou Tiaug Ka. Dieser Ort ist ein
Flecken etwa wie Pa tang und Li thang; China hat dort einen
! Militärmandarin und Tibet einen bürgerlichen Beamten. Ans
dieser Höhe gewöhnten sich unsere Lungen nur sehr schwer an die
dünne Luft. —
So lautet der Bericht Gabriel Durand's; aus dem interessanten
Schreiben Desgodiu's werden wir später Einiges nachtragen.
Sit der Campagna der brasilianischen Provinz Rio grande do Ml
Von Karl von Koseritz.
I.
Pelotas, im März 1862.
Nur die Bewohner der Campagna können dem Fremden einen
wahren Begriff der Söhne dieser „heldenmüthigeu Provinz" geben;
in den Städten und an den Küsten, wo die französische Civilisation
mit ihren Cylinderhüten, Glanzstiefeln und Glacehandschuhen die
Hauptrolle spielt und der uiedrig-merkantilische Geist der portngie-
sischen Einwanderung vorherrscht, sieht man nichts von jenem edlen
und ritterlichen, wenn auch etwas uugezähmteu Elemente, welches die
Söhne der Provinz Rio Grande von allen anderen brasilianischen
Stämmen höchst Vortheilhaft unterscheidet. Der Reifende, der nur
den trägen, sensuellen Sohn des Nordens von Brasilien kennt,
würde eine schwere Ungerechtigkeit begehen, wenn er den Rio-
Grandenser jenem vergleichen wollte.
Der chevalereske Geist der ritterlichen spanischen Nation, welche
zuerst die Provinz von europäischer Seite bevölkerte, hat sich in
derselben in seinem Grundtone vielleicht bedeutend mehr erhalten,
wie im eigentlichen Spanien, und iu seinen ehemaligen Kolonien
des Südens, wo die fortwährende Oscillation des Parteikampfes
viele gute Eigenschaften erstickt und Leidenschaften und Laster in nn-
gewöhnlich hohem Grad entwickelt hat.
Der Rio-Grandenser Menschenschlag gehört in physischer Be-
ziehnng zu den schönsten der Erde. Kräftige Figuren, ausdrucks-
volle und regelmäßig schöne Gesichtszüge, schönes Bein, herrliches
Haar und üppiger Bart, zu einem Ganzen vereinigt, welches die
kräftigende Lebensweise in Feld nnd Wald zu einen, wahren Typus
vou männlicher Schönheit ausbildet, geben den Rio-Grandensern
einen der ersten Plätze unter den schönen Menschenschlägen der
Welt. Und beim schönen Geschlechte zeigen sich diese Vorzüge, haupt-
sächlich im Innern des Landes in noch größerm Maßstabe.
Bei einer verhältnißmäßig ungemein zahlreichen weiblichen Be-
völkernng (denn man trifft durchschnittlich in jedem Hanse fünf bis
sechs junge Mädchen) ist mir,während eines jahrelangen Aufenthaltes
im Innern von Rio Grande, selten oder nie ein wirklich häßlicher
oder unästhetischer Typus vorgekommen, wie es deren so viele da-
heim in Europa giebt. Die Töchter der Provinz sind im Durch-
schnitt alle schön zu nennen; die griechischen und römischen Profile
sind unter ihnen vorherrschend; herrlich üppiges nnd seidenweiches
Rabenhaar (nur selten mitbräunlichen oder blonden Nuancen), blen-
dend weißer oder leicht brünetter Teint, blühende schwarze oder
schmachtende braune Augen, hohe Stirnen, kühn gebogene Augen-
brauen, frische Farbe, lieblicher Mund und rundes Kinn bilden
den Grnndtypus ihrer Physiognomien. Dazu kommt eine graziöse
Gestalt, gerundete Büste, schlanke Taille, herrliche Arme und uu-
endlich kleine nnd zierliche Häude nnd Füße. Nun wird der Leser
eine Vorstellung von Dem haben, was das schöne Geschlecht Rio
Grandes wirklich ist. Wenn man nun zu diesen physischen Vor-
zügen noch eine angeborene Grazie und Eleganz, ein gewisses
instinktmäßiges Savoir vivre, wie es allen Spanierinnen und
ihren Abkömmlingen eigen ist, und ihr ungezwungenes zuthnliches
Wesen rechnet, so müssen wir gestehen, daß die wahre Rio-Gran-
denserin, in allen Klassen der Gesellschaft, unleugbare äußere Vor-
züge besitzt. Im Innern des Landes, in ärmlichen Strohhütten,
fern vou aller Civilisation, ohne nur lesen nnd schreiben zu können,
finden wir Rio-Grandenser Mädchen von distingnirtem Aeußeru
und Benehmen nnd einer gewissen angeborenen Grazie nnd
Eleganz, von der man sich daheim kaum eine Vorstellung machen
kann. Und wie so einfach, lieblich und engelsgut nnd brav sind
fast alle diese Töchter der Provinz! O, wer, wie ich, lange Jahre
hindurch iu trautem Umgange mit den hiesigen Familien gelebt
hat, der weiß den sittlich hohen Werth dieser einfachen, graziösen
nnd wirklich guten Naturkinder hoch anzuschlagen. Das Feuer der
Leidenschaft glüht natürlich in den Tiefen ihres schwarzen Auges,
denn sie können nnd sollen ihre südliche Geburt nicht verleugnen.
Ihre Liebe ist glühend wie die Strahlen der Sonne Brasiliens,
aber auch fest und unveränderlich, wie jene in ihrer ewigen Bahn.
Nordische Anhänglichkeit nnd Treue, mit südlicher Leidenschast, mehr
Positivität nnd weniger Schwärmerei vermischt, bilden den Grund-
zng ihres Charakters in Bezug ans die Liebe. Treue Gattinnen,
tüchtige Hansfrauen und liebevolle Mütter, so zeigen sich die
Rio-Grandenserinnen im Allgemeinen, und wenn zu diesen Bor-
zügen sich nicht die südliche Eifersucht iu hohem Grade gesellte, so
möchten sie wohl schwer ihres Gleichen suchen unter anderen Völkern.
Doch die Eifersucht ist die Tarantel, die fast alle sticht — nur muß
mau, um gerecht zu sein, selbst abgesehen vom Feuer des südlichen
246
In der Campagna der brasilianischen Provinz Rio grande do Snl.
Temperaments, zugeben, daß die Männer ihnen im Allgemeinen
genügende Ursache dazu geben. Denn bei dem Sieden ihres südlichen
Blutes, ihrer ungezwungen freien Existenz und lebenskräftigen Kon-
stitutiou schlagen sie nur zu oft über die Stränge und autorisiren
so hinreichend die Othello-Wnth ihrer thenren Ehehälften, die,
weniger au Verstellung gewöhnt als unsere feinerzogeneu Damen,
die nagende Eifersucht nicht,'wie hier, zu verheucheln wiffen uuter
der Eisdecke eines kalten und berechneten Wesens — nein, glühend
wie ihre Liebe ist auch ihre Eifersucht, und wenn sie jene nicht zu
verstecken suchen hinter ceremoniösen Maximen, so zeigen sie auch
diese frei und offen. Und ich möchte nicht entscheiden, auf welcher
Seite im Grunde der Vortheil liegt. Doch lassen wir für den
Augenblick die Frauen, aus die wir uoch zurückkommen werden,
und wenden uns wieder zu den Männern.
Ritterlich, mnthig und von wahrhaft großartigem Charakter
ist der Rio-Graudeuser. Aufgewachsen im kräftigenden Treiben
des Camplebens, von Kindheit auf zn Pferde, stets Waffen tragend
und an eine fortwährende Lebensgefahr bei seinem Arbeiten mit
dem wildeu Vieh (denn durchgängig ist der Mann Viehzüchter) ge-
wöhnt, ist er muthig, kaltblütig in der Gefahr, tapfer wie sein
treuer Stahl, sreimüthig, gastfreuudschastlich und edeldenkend.
Unübertreffliche Reiter, wahre Centauren, wie sie Garibaldi, der
unter ihnen seine ersten Waffenthaten verrichtete und sich bei ihnen
zum Heldeu heranbildete, noch hente in seinen Briefen und Selbst-
biographien nennt, ist das Pferd und die mit demselben verknüpfte
Arbeit des Ueberwachens, des Zusammentreibens und nach den
Städten Trausportireus des wilden Rindviehes ihre Haupt-
beschäftiguug.
Millionen von Ochsen und Kühen weiden ans den Ländereien in
der Provinz, ans denen sie im Urzustände leben, mit Ausnahme von
wenigen zahmen Kühen und Ochsen zum Hausgebrauch. Allwöcheur-
lich ein oder zwei Mal werden sie nun im sogenannten Rodeio
(Rundritt) zu Tausenden von 10 bis 12 Reitern, Peons oder Knechten,
und Fazendeiros, meist Negern und Indianern, zusammengetrieben
nach irgend einem freien Platze. Dort nun sieht man oberflächlich
nach (natürlich von weitem), ob eines oder das andere der Thiere
irgendwelche Wunden (die oft vorkommen und leicht Würmer
erzeugen) hat, nnd diese werden sodann mit dem Lasso gefangen
und ihre Wunden mit^Merkur kurirt. Sodann bezeichnet der
Fazendeiro (Herr der Estancia) eine oder zwei Kühe, die zu»,
wöchentlichen Gebrauch geschlachtet werden sollen, und während
die Peones diese vor sich her nach dem Hanse treiben, läßt mau den
Rest wieder frei in Wiese und Wald sich zerstreuen, wo sie oft
0 bis 8 Legoas, zu einer Estanzia gehörig, bedecken. Beim Hause
angekommen, fängt einer der Peons das zn tödtende Thier mit
dem Lasso, und während dieses sich in wüthenden Sprüngen gegen
die ungewohnten Fesseln bäumt, haut ihm ein anderer mit seinem
langen, breiten uud haarscharfen Messer die Sehnen der Hinter-
länse durch. Hierdurch der Bewegung beraubt, sackt der brüllende
Stier nach hinten zusammen, uud während der Lasso, ihm die mäch-
tigen Hörner umschlingend, diese unschädlich macht, nähert sich ihm
der Peon mit seinen scharsschneidigen Messer und gräbt es in die
Brusthöhle hinein, wo es das Herz erreicht. Nun beginnt das
Blut zu strömen und in einigen Minuten sinkt das mächtige Thier
zusammen uud verendet. Kam» ist es tobt, so machen sich drei oder
vier Peons mit Messern über dasselbe, und im Nu haben sie es des
Felles entkleidet, welches zum Trocknen mit kleinen Pfählen auf der
Erde ausgespannt wird; in weniger als 20 Minuten ist das
mächtige Thier in Stücke zerlegt und am Feuer prasselt schon auf
dem hölzernen Bratspieße der saftige Rippenbraten.
Im Herbst werden die einjährigen Kälber zusammengetrieben
und im Coral, der großen Stein- oder Holzverzänuuug vor dem
Hause, wird ihnen mit dem glühenden Eisen die Marke ihres Be-
sitzers aufgedrückt, welches dann ein Fest für Freunde uud Nachbarn
ist. Während der Sommermonate ziehen nun die Viehkäufer von
den großen Salzfleischfabriken von Pelotas, die mit ihrem Produkte
ganz Brasilien und Havana versehen (in Konkurrenz mit denen der
Laplata-Staaten), durch die gauze Provinz und kaufen das fette
ViehderFazendeiroszumDurchschuittspreisevou 8bis 12>spauischeu
Thalern auf. Wenn sie auf diese Weise eine „Viehtruppe" von
2 bis 3000 Stück zusammengebracht haben, so lassen sie dieselbe
von einem Capataz (Verwalter) und 15 bis 20 Peons, je nach der
Größe der Truppe, hunderte von Meilen weit nach Pelotas treiben,
wo je eine solcher Fabriken jährlich über 20,000 Stück Vieh tödtet
nnd verarbeitet. In einer andern Skizze werde ich einmal eine
solche bluttriefende Fabrik beschreiben; doch jetzt kehren wir zu den
Truppen zurück.
Es ist gewiß ein höchst romantischer Anblick, eine solche
Truppe die breite Heerstraße hinab vom Gebirge hernnterkom-
men zu sehen, ein Anblick, den ich mit dem Fernrohre von
meinem Hanse aus fast täglich genieße. Denke sich der Leser
nun 2 oder 3000 Stück wilden Viehes, welches in einer nnab-
sehbaren Menge die Landstraße bedeckt. Vorweg gehen 80 bis 90
Pferde, zum Dieust der Peons, von der Leitstnte geführt, und
nun folgt jene unendliche Viehmasse, die jetzt langsam, sodann
im Trabe, spräter in Sprüngen, von 20 Reitern im malerischen
Landkostüm umschwärmt wird, die unter fortwährendem Zurufe
das Vieh inmitten des Weges halten. Des Nachts macht man
auf irgend einem freien und baumlosen Weideplatze Halt; hier
läßt man das Vieh grasen, und während die eine Hälfte der Lente
abwechselnd, um das lodernde Feuer herumgelagert, sich dem Schlaf
ergiebt, umschwärmt die andere das Vieh und zwingt es so, auf
demselben Orte zu bleiben. Und am nächsten Morgen geht die
Reise weiter; möge es donnern nnd regnen, möge die Uubill des
Wetters noch so arg sein, die Trnppe marschirt immer weiter.
O, es ist eine mühevolle Arbeit, welche nur die daran gewöhnten
Söhne der Provinz aushalten können; 20 und 30 Tage lang zu
Pferde, bei Regen und bei Sonnenschein, stets aufmerksam und
bereit, dem fliehenden Stiere den Lasso über den Kopf zn werfen,
mit drei, höchstens vier Stunden Schlaf per Nacht, ohne ein einziges
Mal ein anderes Obdach als den freien Himmel, eine andere Nah-
rnng, als das nnr halb am Spieße gebratene Fleisch eines frisch
getödteten Stückes Vieh mit einer Hand voll dumpfigen Maudiok-
mehls zu habeu! Und dies alles für zwei oder drei spanische
Thaler per Tag, welche die Peons verdienen. Und wie oft läuft ihr
Leben Gefahr! Es ist eiu schöner Anblick, aber eine gefährliche
Sache, wenn eine solche Truppe, auf irgend einen Grund hin, aus-
einander sprengt. Mit einem Male stieben diese Tausende von
wilden Ochsen und Kühen nach allen Seiten hin auseinander; in
rasendem Laufe stürzen sie sich die Berge hinab, in die Wälder
hinein, uud nur mit unendlicher Mühe und oft mit Verlust von
vielen Hunderte» Stück Vieh bringen die Leute die Truppe mit
tagelanger Arbeit wieder zusammen. Oft habe ich solchen Austritten
beigewohnt und ich weiß nicht, ob mich in jenem Augenblicke die
Großartigkeit des Anblicks oder der seltene Mnth der Peons mehr
srappirte, denn diese befinden sich hierbei in der größten Lebens-
gefahr.
Auch ist es ein schöner Anblick, wenn eine solche Truppe einen
Fluß (die ja alle hier im Lande keine Brücken haben) schwimmend
passirt, von den Peons umschwärmt, die neben ihren Pferden,
immer schwimmend, »m das Vieh zusammen zu halten, sich uebeu
demselben fortbewegen.
Doch genng von dem hauptsächlichen Betriebe der Provinz, der
Viehzucht; kehreu wir zu den Bewohnern derselben zurück.
Die größte Rolle im Leben des Rio-Grandensers spielt jeden-
falls das Pferd; er liebt sein Lieblingspferd mit demselben Feuer
wie der Araber seine Racenstute. Der hiesige Pferdeschlag ist nicht
gerade schön, doch stark und gut gebaut, und bei einer sorgfältigen
Pflege und Kreuzung der Racen würde er jedenfalls sehr gut
werden. Die Menge der Pferde ist unendlich; Stnten haben gar
keinen Werth, und man findet es lächerlich, sie zu reiten; diejenigen,
Chartum,
247
welche nicht zur Zucht angewendet werden, läßt man wild laufen
oder verkauft sie für einen spanischen Thaler im Durchschnittspreis
au Fabriken, die ihr Fell und Fett verwenden. Diese Stutentruppen
werden auf ähnliche Weise wie die Rindertruppen gemacht und ge-
führt, uud auch sie bieten einen schönen Anblick dar, da ja das
Pferd in der Freiheit und im Urzustände viel graziöser wie das
Rind ist. Doch hier, wo man, selbst in den Straßen der Stadt,
fortwährend freie Pferde herumlaufen sieht, fällt das nicht auf.
Hengste (cavallos inteiros) giebt es auch sehr wenige, da man alle
diejenigen, die uicht zur Produktion für die Stutereien (manadas)
bestimmt sind, schneidet.
Das Pferd ist nun, wie schon gesagt, das Hauptelement des
Rio-Grandenser Camplebens. Ein solcher Campmann würde mit
ungläubigem Lächeln sagen hören, daß man eine halbe Meile zu
Fuße geheu kann, er, der nicht hundert Schritte weit geht, ohne zu
Pferde zn steigen, nnd der sich nicht denken kann, daß Gott die Füße
zu etwas Anderm geschaffen, als unendlich große Sporen daran
zu hängen uud diese beut Pferde iu die Rippen zn stoßen. Vom
Morgen früh bis Abends spät steht das gesattelte Pferd unter dem
wilden Feigen - oder Sinamon-Baume vor dem Hause; am uächsteu
Morgen kommt eiu anderes und so geht es fort Jahr aus Jahr ein;
Männer, Frauen und Kinder, Alles reitet und, um eine Zehntel-
Meile nach dem Hause eines Nachbars zn kommen, sattelt die Fa-
milie acht oder zehn Pferde, und hinterdrein folgen noch die unter-
schiedlichen jüngeren Sprößlinge des Hauses und der Sklaven von
drei bis sechs Jahren, auf ungesattelten Pferden, die sie häufig mit
Trensen, aus der ersten besten Schlingpflanze fabricirt, reiten;
denn vom dritten Jahre an besteigen die Kinder bereits nngesattelte
Pferde nnd vom sechsten an würde es so ein angehender Gaucho
unter seiner Würde finden, nicht sein eigenes Sattelzeug zu besitzen.
C h a r t u m.
Mitgetheilt von vr. Alfred Brehm.*)
I.
Die Geschichte des Sud ahn beginnt erst in unseren Zeiten;
alles Vorhergeschehene ist durch das Blut von Tausenden der Hab-
gier und Rache Geopferten ausgewischt worden. Nur die Neber-
lieferung zieht sich noch wie ein goldener Faden durch dieses trübe
Blutmeer hindurch und giebt Kunde von den glücklicheren Tagen
unter der Herrschaft der eingeborenen Könige aus dem Stamme der
Fnngi; sie berichtet von jenen Zeiten, wo auf der Insel Arg o in
Nnbien noch tausend Schöpfräder kreisten, wo dort noch ein eigner
König Gericht hielt, wo das Volk der Scheine und das zu Berber
und Halfai, wo die Eingeborenen von Sennaar, Rosseeres
und Fassokl noch Häuptlinge wählten und sie mit der königlichen
Würde bekleideten, wo Kordofahn noch nuter dem milden Scepter
Dar-el-Fnhr's stand; sie erzählt von schwarzenFranen, die einst
schwere goldene Ringe in Nasen und Ohren, an Händen nnd Füßen
trugen; sie giebt Kunde von einer Vergangenheit, in welcher mich
der dunkle Mensch in seiner Heimat sich seines Lebens freuen durfte.
Dies ist anders geworden. Ostsudahn wird jetzt von den
Türken beherrscht und ist, wie man, frech genug, zu sagen wagt,
der „Eivilisatiou" zugänglich geworden. Die Erinnerung an die
alten Tage des Glückes dunkelt nur uoch im Gedächtniß Weniger;
seit dem Jahre 1820 aber lebt die Geschichte in Aller Munde. Ans
jene Jahre müssen wir einen Blick werfen, ehe wir uns mit den
schwarzen Bewohnern des Sudahn und ihrer Hauptstadt bekannt
machen.
Mohammed - Ali's Herrschaft in Egypten schien mit der
Niedermetzelung der Mamelucken erst neu gegründet, aber auch ge-
sichert zu sein. Vollkommene Ruhe gab es jedoch noch nicht im
Lande; es erhob sich vielmehr ein Kampf des Muthes, der Rache
und Verzweiflung gegen nnverhältnißmäßige Uebermacht, schäud-
licheu Verrath und gemeine Treulosigkeit. Die Häuptlinge der
Mamelucken waren gefallen, meuchlings gemordet unbesiegt: aber
noch lebte ihre tapfere Kriegerschaar. Ans ihrer Mitte wählte sich
*) Herr Dr. Brehm, jetzt Direktor des zoologischen Gartens in Hain-
bürg, kennt den ägyptischen Sudan und insbesondere Chartum ans eigener
Anschannng. Er verweilte längere Zeit in dieser Stadt, welche jetzt auch in
Verbindung mit den Entdeckungsreisen in den Gegenden am ober» Nil so
häufig genannt wird. Wir haben derselben schon öfter erwähnt, glauben
aber, daß die ausführliche Schilderung des Herrn Brehm unseren Lesern
willkommen sein werde. Wir wollen beiläufig bemerken, daß der Schluß von
Brehm's „Vierzehn Tage in Mensa" in einer der nächsten Nummern
folgen wird. Die Holzschnitte sind nicht rechtzeitig fertig geworden. A.
I diese neue Führer, und, zu schwach, den siegreichen Heeren des
I Emporkömmlings sich zu widersetzen, zogen sich die Krieger nach
Nubieu zurück, iu der Absicht, dort ein neues, von ihnen beherrschtes
Reich zu gründen. Mohammed-Ali's Truppen folgten ihnen auf
dem Fuße nach. Jbrihm, Sais und andere Festungen der Ma-
melucken wurden belagert und erobert, obgleich die Belagerten den
Siegern nur ihre Leichen überließen. Weiter und weiter zogen die
Verfolgten sich zurück nach dem Innern Afrikas, nnd das siegreiche
Vordringen der Türken nnd Egypter führte diese zur Eroberung
von Ländern, nach deren Besitz der egyptische Bonaparte früher nie
gestrebt hatte. Aber dieses Vordringen wurde auch die Quelle na-
menlosen Elends für mehrere Völkerschaften, welche sich bis dahin
ihrer Freiheit und des damit verbundenen Glücks zu erfreuen ge-
habt hatten.
Bis zum letzten Augenblicke hatten die Mamelucken für ihre
Unabhängigkeit gekämpft uud die Nubier, iu deren Land sie geflüch-
tet waren, mit in diese Kämpfe verwickelt, ohne daß dieselben wnß-
ten, wie sie zum Kriege kamen. Sie mußten sich mit den Fremd-
lingen verbünden, denn deren Feind drohte auch ihnen. Aber der
neue Bund brachte ihnen keinen Segen. Weiter und weiter drangen
die egyptischeu Truppen vor. Von den schwächlichen Barabra
konnten sie nicht aufgehalten werden: der Adel Nubien's, die tapfe-
ren, sieggewohnten und siegesstolzen Scheitle, mußten sich dem
heranwogenden Heere entgegenwerfen. Auch sie, die immer Siegen-
den, sollten besiegt werden.
Im Jahre 1820 stellten sich die Scheine dem egyptischen Heere
beim Dorfe Korti gegenüber. „Blutfeld" heißt noch heute die
Ebene, wo die braunen Männer gegen die Fremdlinge stritten, und
lebhaft uoch gedenken die Nachkommen des Unglücks ihrer Väter.
Ein tapferes und heldenmüthiges, aber ungeregeltes, nur mit
Schwert uud Lanze bewaffnetes Kriegsvolk trat Kriegern gegen-
über, deren Waffe das Jenen noch unbekannte Feuerrohr war.
Mit ihren Kindern waren die Frauen deu Männern nachge-
zogen in die Schlacht, um sie durch gellenden Schlachtruf zum
Kampfe anzufeuern oder im frommen (Äebete deu Sieg für sie zu
erflehen; auf ihren Armen hoben sie die Kinder empor, sinnbildlich
andeutend, daß die Schlacht gekämpft werde für Haus uud Herd,
für Weib und Familie.
Der Kampf begann. Tod und Verderben schleuderten die Ge-
schütze der Egypter in die tapferen Reihen der Nubier, furchtbar
Chartum.
249
dröhnte der Donner; eine jener Schreckensscenen wiederholte sich,
wie sie ungebildete, halbwilde Völker schon oft erlebt: die armen
Nubier mußten zum ersten Male die furchtbare Gewalt des Feuer-
gewehrs erfahre». Wohl erreichten die Tapferen die Geschütze, wohl
hieben sie die Mannschaft zusammen und richteten dann ihre
Schwertstreiche auf die metallenen Rohre, weil sie in den Geschützen
belebte Wesen, toddrohende Ungeheuer zu sehen vermeinten; wohl
stritten sie mit einem Muthe, welcher der Freiheit würdig gewesen
wäre: nicht die ruhmvollste Tapferkeit, sondern die Uebermacht der
Waffen entschied den Sieg. Von namenlosem Entsetzen erfaßt,
rottenweise niedergeworfen durch die eisernen und bleiernen Todes-
boten, ergriffen die braunen Männer die Flucht.
Das Wehegeschrei der Frauen übertönte das Kampfgebrüll;
Verzweiflung erfaßte mich sie: aber ihr stolzes Herz beugte sich
nicht vor dem tückischen Ueberwinder. Krampfhaft drückten sie das
Theuerste, was ihnen geblieben, ihre Kinder, au's Herz, und zu
Hunderten stürzten sie sich in die Wogen des Stromes, ruhmvollen
Tod schmachvoller Knechtschaft vorziehend.
Den Übrigbleibenden war die Flucht verwehrt. Zur rechten
und linken Seite des Flusses starrten ihnen öde und dürre Wüsten
entgegen; ihnen boten diese keinen Zufluchtsort: die Wüste selbst
hätte sich gegen sie verschworen, hätte ihneu deu Tod gebracht, vor
dem sie sich flüchten gewollt; sie wären verschmachtet in der Oedt'
wenn sie ihr Vaterland verlassen hätten. Deshalb blieben sie au
der Stätte ihrer Kindheit, und die stolzen Freien beugten den Nacken
unter das Joch der Unterdrücker.
Nur uoch einmal entflammte ihr Heldenfeuer; noch einmal
erhob sich das edle Volk zur letzten Gegenwehr. Der kühne Melik,
El-Nimmr, d. h. Tiger, genannt, versammelte sein Volk. Js-
m a el-P a sch a, des alten Mohammed-Ali Sohn, war mit seinen
Soldaten im Oktober des Jahres 1822 aus vielen Schiffen vor
Schendi, der Hauptstadt des kleinen, gleichnamigen Königreichs,
erschienen. Er verlangte von Nimmr eine größere Menge von
Sklaven und mehr Gold, als je in dem Besitz des Häuptlings und
aller seiner Unterthanen gewesen war; innerhalb dreier Tage sollte
die Kriegsstener entrichtet werden — bei Todesstrafe. Der König
sah sein Verderben vor Augen uud beschloß das Aeußerste zu ver-
sucheu. Vertraute Boteu saudte er aus uach alleu Seiten, uud
wacker arbeiteten die Boten. Sie bliesen den unter der Asche glim-
menden Funken der Empörung an zur hellen vernichtenden Flamme,
während der König selbst seinem Unterdrücker gegenüber die tiefste
Unterwerfung heuchelte.
„Nicht auf dem schlechten Schiffe, o König, bleibe; nimm bei
mir Wohnung! Beziehe mein Hans; ich und die Meinen sind ja,
wie Du weißt, Deiue Sklaven. Harre geduldig, damit Dein Wille
geschehe; es soll weder Dir Etwas mangeln, noch Deinen Leuten
Etwas abgehen."
Und der Türke achtet wirklich des gleißnerischen Wortes, ver-
läßt das sichere Boot im Strom uud bezieht die geräumige uud
kühle, uach der Sitte des Landes ans Stroh erbaute Wohnung,
einen wahren Palast, eine kleine Strohstadt.
Der Abend des letzten Tages bricht herein und haucht seiue
wohlthueude Kühle über Stadt uud Laud. Im letzten Schimmer
der Sonne sitzen der Pascha und seine Getreuen beim Mahle. Vor-
der Serieba oder Strohmauer töut die Tarabuka. Gegenseitig
schleudern die geschmeidigen, brauneu Bursche scharfe Lanzen auf
*) l. Ein tragbarer Stuhl zum Sitzen. — 2. Kopfbedeckung aus Kanri-
muscheln. — 3. Kopfbedeckung aus Strohgeflecht. — 4. Eiu Rahad, Gürtel-
schurz für junge Mädchen. — 5. Schild von Holz uud von Leder. — 6 nnd
7. Tabakspfeifen und Bogen; einige mit feinem, andere mit dickem Leder
überfponuen. — 8. Pfeile. — 9. Lanzen von Bambusstäben. — 10. Köcher!
zwei derselben sind von Pantherfell. — 11. Armband. — 12. Ein Molod,
besondere Art von Spaten. — 13. Ein Trombasch, Hansäbel mit mehreren
Spitzen, zweischneidig. — 14. Kalebasse. — 15. Nugasa, Kriegstrommel. —
16. Mörser und Stößel zum Maisstampfen. — 17- Gafas, Kalebasse und
Buruua, Gefäß aus schwarzem oder rothem Thon. — 18- Eine Tabaka, Stroh-
decke, mit welcher man Gefäße zudeckt, die Getreide, Milch :c. enthalten.
Globus für 1863. Nr. 32.
einander; aber geschickt fangen sie die Wehr mit ihren Schilden auf.
Der Pascha wirft zuweilen einen Blick auf das Getümmel und
ergötzt sich au dem Geschick der Spielenden. Diese wollen ihre
ganze Gewandtheit zeigen. Ihre Bewegungen werden rascher, ihre
Augen feuriger, ihr Kampfeshang wird wilder, grollender: sie
kämpfen scheinbar mit Erbitterung. Immer drohender werden ihre
Spiele, immer heftiger dringen sie auf einander ein. Dumpf tönt
die Trommel dazu, sie anfeuernd, wie znr Zeit wirklichen Kampfes.
Plötzlich hört mau die Tarabuka iu allen übrigen Theilen der
Stadt; man hört sie von Medemme, mau hört sie in den beuach-
barteu Dörfern, man hört sie von Ort zn Ort, im ganzen kleinen
Reich. Ein gellendes Geheul durchzittert die Luft. Die scheinbar
Feindlichen haben sich geeinigt, den wirklichen Feind zu bekämpfen.
Nicht mehr fliege» ihre Lanzen von Schild zn Schild, sondern in
das Innere des Strohpalastes, iu die Brust der Weißen, die uoch
vor wenig Augenblicken so behaglich zugeschaut. Frauen, das ein-
fache Tuch um die Lenden geschürzt, Asche auf dem Haupte, die wel-
keu, schlaffen Brüste au deu Körper festgebunden, eilen herbei,
Flammenbrände schwingend, und im Nu steht der ganze Palast,
die schön eingerichtete kleine Königsstadt, in Flammen. WasWaffen
tragen kann, trägt sie. Weiber stehen, ihr Geschlecht vergessend, in
den Reihen der Männer, Kinder und Greise fechten mit der Kraft
der Männer. Um die brennende Hütte, welche den Pascha und
fünfzig seiuer Offiziere einschließt, beginnt der Vernichtungskampf.
Wer herausflieht, wird niedergestochen, die Bleibenden frißt das
Feuer; Keiner entkommt. Schendi uud M e d e m m e sind in einer
Nacht von den Feinden befreit, uud heute uoch tragen die übrig-
gebliebenen Mauern des festen Schlosses von Medemme die Zeug-
uisse jener Nacht zur Schau: dunkle, große Blutflecken, — heute
noch sichtbar, weil das Sonnenland Nubieu keinen Regen hat, der
sie verwaschen sollte.
Nur wenige von den Kriegern des Paschas entkamen dein
Blntbade und brachten dem gerade in Kordofahn weilenden Mo-
hammed-Bei-el-Defterdahr die grauenvolle Nachricht. Dieser
verdiente sich nunmehr den Namen, welchen er uoch heute trägt:
er wurde wirklich „El-Djelahd", d. h. der Henker Sudahns. Ob-
gleich sich die Nubier mit aller Macht rüsteteu, konnten sie doch den
Feuerwaffen nicht widerstehen; sie wurden nochmals geschlagen,
und alle Grausamkeit, welche iu der Seele eines Menschen Platz
finden kamt, trat jetzt iu scheußlichen Thaten zu Tage.
Die Greuelthateu, welche dieser Henker eines ganzen Volkes
verübte, spotten der Beschreibung. Mohammed-Bei vernichtete die
Blüte der streitbaren Mannschaft Nnbiens und mordete die Greise,
Frauen uud Kinder des unglücklichen Volkes.
Nunmehr war die Unterjochung eine vollendete Thatsache.
Ganze Völker hörten auf Völker zu sein. Ueber die fruchtbaren
Felder jagte der Glutwind der Wüste seinen vernichtenden Flug-
fand; die Häuser der Gemordeten verfielen, die Städte verödeten,
uud auf deu Trümmerhaufen des früheren Wohlstandes erwuchs
eiu sklavisches Geschlecht.
Der Wütherich hatte jeder Leidenschaft fröhuen können, hatte
Alles erreicht — nur Eines nicht! Der stolze König Nimmr war
ihm entgangen! Wohl bot er Alles auf, List uud Bestechung, Ge-
walt uud gleißuerische Milde: der durch die grenzenlose Verehrung
eines Volks geheiligte König spottete des Würgers. Jhu schützte
die Liebe seiner Getreuen. Allerdings fand sich eiu Schurke unter
diesen, der Schwiegervater des Tigerkönigs selbst: — aber die
eigene Tochter stach dem zum Mord ihres Gatteu gedungeneu Vater
das Messer durch's Herz. Nimmr erlag der Last des Alters; er starb
als Heiliger.
Nach dem letzten Blutbad ohne Ende gab es nur uoch eiue
türkisch-egyptische Provinz Nubieu mehr.
Unaufhaltsam drang der Eroberer weiter; der frühere Ver-
uichtungskrieg war zu einem Raubzuge geworden. Es galt nicht
mehr, Völker zu bekriegen: es galt nur noch, sie zu bestehlen. Gold
32
250
Chartum.
und Sklaven, Elfenbein und Straußenfedern waren es, welche lock-
ten; mit solcher Münze bezahlte man den Krieger. Die Königreiche
Halfai und Sennaar waren bald unterjocht und noch schneller ans-
geplündert; weiter im Süden winkte die Goldernte. Aber es war
für jetzt nicht rathsam, auch bis dahin vorzudringen. Man mußte
den Truppen, welche ohnehin schon zu weit vou ihrer Heimat ent-
fernt waren, einen festen Punkt errichten. Die Wahl desselben war
äußerst glücklich.
Da, wo der muntere Gebirgsstrom, der Bahhr-el-Asrakh,
seiue langsamen Fluten mit den trüben Wässern des Weißen Flusses
vermischt, lag ein kleines Dorf: Ch artnm. Aus ihm ist die Haupt-
stadt der Königreiche des Sudahn hervorgegangen. Im Jahre 182?
erbaute man die ersten Strohhütten für die Soldaten oberhalb des
eigentlichen Dorfes und wegen des guten Trinkwassers dicht am
Ufer des Blauen Flusses. Häufige Brände, welche den größten Theil
der Strohhütten mehrmals in Asche legten, zwangen zum Baue
von Lehmgebäuden. Man errichtete eine Wohnung für den Befehls-
Haber der Truppen und zahlreiche Gefängnisse zur Bändigung der
noch widerspenstigen Eingeborenen. Daun gründete man eine Mo-
schee und endlich eine Kaufhalle in der Nähe des Gotteshauses.
Um diese Gebäude herum hat sich das heutige Chartum aufgebaut,
Seine außerordentlich günstige Lage am Bereinigungspunkte
zweier Weltstraßen hat der Stadt einen gewissen Wohlstand ver-
liehen. Seitdem die nunmehr zu Sklaven gewordenen Sndahueseu
faule Ruhe den früheren Kämpfen vorziehen, hat der Handel die
ihm nöthige Sicherheit erhalten können und in Chartum sich einen
Mittelpunkt geschaffen, von welchem aus ungeheure Strecken durch-
zogen und im Siuue des Kaufmanns beherrscht werden.
Chartum beweist dnrch seine heutige Gestalt noch dentlich
daß die Willkür einzelner seiner Einwohner die Straßen nnd
Häuser schuf, nttd daß der ordnende Sinn, welcher die Anlage einer
neuen Stadt gesitteter Völker kennzeichnet, im Sudahn gänzlich
fehlt. Von einer Regelmäßigkeit der Anlage ist keine Rede. Zwar
müudeu mehrere Straßen auf dem Vereinigungspunkte des Ge-
samintlebens, dem Basar, aus, allem sie sind nur deshalb zu
Hauptstraßen geworden, weil andere fehlen. Gleich hinter dem
Markte verändern sie ihre Richtung oder verzweigen sich in so viele
Gäßchen und Winkel, daß mau deutlich sieht, wie nur der Zufall
ihnen eine Bestimmung gegeben hat. Die Stadt wächst ziemlich
bedeutend nach zwei Seiten hin, aber immer in derselbeu Weise.
Weuu man sich Chartum vom Weißen Flusse aus nähert,
nimmt es sich uicht eben Vortheilhaft aus. Während der trockenen
Jahreszeit und dem durch sie bedingten niederen Wasserstande der
Strome kann man sich zu Schiffe nur auf dem Blauen Flusse der
Stadt nähern. Bei weitem der größere Theil der Ankommenden
aber langt, anstatt auf einem Boot im Strom, auf dem Rücken des
Wüstenschiffes au und endet seine eigentliche Reise dann gewöhnlich
am linken Ufer des weißen Flusses, von welchem aus er sich und
sein Gepäck erst überschiffen lassen muß. Der letztgenannte Strom
bespült nur während seines höchsten Standes einen Damm, wel-
che» man zum Schutz gegen seine Fluten gezogen hat : während der
eigentlichen Reisezeit ist er eine gute Sechstelmeile vou der Stadt
entfernt, nnd in seinem früher schlammigen Bett erhebt jetzt die
Durrah ihre hohen rohrartigen Halme. Durch diese Felder zieht
man auf staubigem Wege dahin und gelangt nun ans eine öde,
schmutzige und staubige Eb.eue, aus welcher die graue Stadt sich
emporhebt. Die Umschau gewährt hier ein sehr trauriges Bild.
Nur die frischen Gärten am untern Ende der Stadt und hart au
dem Ufer des Blauen Stromes erfrischen das Auge. Nach dem In-
nern des Landes zu schweift der Blick über eine dürftige Steppe
mit spärlichem Baumwuchs; nach Süden hin gewahrt man einige
wegen der sie umstehenden Mimosen freundlich erscheinende Dörf-
che»: sonst sieht man blos Sand und den Spiegel des Flusses;
denn die Wälder, welche früher bis nach unten reichten, sind bereits
niedergeschlagen. Die Stadt Chartum selbst erscheint als eine ein-
förmig graue Häusermasse ohne jede Abwechselung, über welche sich
da und dort ein Minaret kaum erhebt. Neuerdings haben der Pascha
und einige Europäer größere Wohnungen errichtet; aber auch diese
sind verhälluißmäßig dürftig und arm, falls man nicht den inner-
afrikanischen Maßstab zu Grunde legt.
Ungleich freundlicher sieht die Stadt vom linken Ufer des
Blauen Flusses aus. Dort blickt man zunächst auf den Strom
mit seinen Barken, deren Menge vou Jahr zu Jahr wächst, sieht auf
die Gärten und zwischen die Häuser, welche um so malerischer er-
scheinen, je baufälliger sie sind.
Die Straßen Chartums ähneln sich fämmtlich. Während der
trockenen Jahreszeit sind sie staubig und saudig, während der Regen-
zeit eine ununterbrochene Reihe von Pfützen und Kothhanfen. Der
in ihnen zu jeder Jahreszeit herrschende Gestank und ihre Hitze sind
über alle Begriffe erhaben. Von den Häusern sieht man gewöhn-
lich nur die Thiiren; alles Uebrige ist hinter hohen Lehmmanern
versteckt. Als Ausnahme sind diejenigen Gebäude zu betrachten,
bei denen einige ohne alle Regel nnd Gleichmäßigkeit angelegte
Fensteröffnungen nach außen münden. Das anziehendste Bild ge-
währen die Wege und Straßen während der Regenzeit. Jede Gasse
wird nach einem der heftigen tropischen Gewittergüsse zu einem
Bache, jede Straße zu einein Flusse, jeder freie Platz zu einem See.
Ein solches Ereigniß begeistert natürlich die eingeborene Jugend,
welche der strömende Regen länger, als ihr lieb war, in das Innere
des Hauses bannte. Sofort nach dem Aufhören der letzten Regen-
tropfen wirft sie die wenigen Lumpen von sich, welche, bei den
größeren wenigstens, die Scham nothdürstig decken, stürzt auf die
Straßen und Plätze hinaus und stürzt sich jubelnd und frohlockend
in das Wasser, einem sich suhlenden Rudel vou Schwarzwild ver-
gleichbar. Dein Nordländer gewährt dann jede Straße ein überaus
seltsames und deshalb ungemein fesselndes Bild.
Mit Ausnahme der Amtswohnung des Statthalters und
einiger wenigen anderen Gebäuden sind alle Häuser Chartums
sogenannte Tankh a, d. h. einstöckige, aus Lehmmauern bestehende
Baulichkeiten mit plattem Dache. Jede größere Wohnung bildet
ein für sich abgeschlossenes Ganze, zumal weuu sie einem Türken,
Kopten oder Araber gehört, welchem die Sitte gebietet, den weih-
liehe» Theil seiner Hausgenossen vor Aller Augen zu verbergen.
Die Wohnungen der Vornehmen sind selbstverständlich höher und
größer als die der gemeinen Leute, habe» auch eine ziemlich große
Zahl vou sogenannten Zimmern, besitzen Ställe nnd andere
Räume, unterscheiden sich aber in der Bauart wenig oder nicht von
den Erdhütten, in denen die Aeruisten hausen.
Der Bau einer solchen Wohnung ist ungemein einfach. Man
braucht den nöthigeu Baustoff uicht vou weither zu holen. Der,
welcher Raum vor dem Hanfe hat, grübt einfach dort ein Loch aus,
formt die schlammige Erde, welche er demselben entnimmt, zu Zie-
gelu, trocknet diese in der Sonne und beginnt dann aus ihnen die
Mauern aufzuschichten. Soll die Wohnung eine größere werden
und aus mehreren Zimmern bestehen, so zeichnet man den Plan zu
ihr gleich auf der Baustelle selbst vor und schichtet nun eine Ziegel-
reihe nach der andern auf. Als Verbindungsmittel dient ein zäher
Schlamm, welchen man entweder dem Flußufer entnimmt, oder
aus dem Straßenstaube sich bereitet. Das Haus selbst wird pyra-
midal erbaut, um ihm einen bessern Halt zu verleihen. Thüren
und Fenster sind eigentlich nichts Anderes als Löcher; denn nur
die wenigsten, d. h. die Vornehmen, vergittern jene mit einem engen
Netzwerk an? feinen Holzstäben und hängen vor diese wirkliche
Flügel. Bei weitem das kostspieligste ist und bleibt das Dach. Es
ruht zuerst auf einer Unterlage von ziemlich starken Mimosenbalken,
sodann auf dicht au einander gereihten, über den Balken liegenden
Stäben und endlich aus doppelt über einander gebreiteten Matten
aus Palmenblättern. Die Bedachung selbst wird durch eine mehrere
Zoll dicke, festgestampfte, möglichst geglättete Lehmschicht überdeckt.
Als Ueberzug an der Stelle unseres Kalkes dient ein Gemisch von'
Straßenstaub, Wasser nnd Rindermist; damit werden auch die
Mauern des Hauses vou außen bestrichen. Das Dach ist wenig
Vom Senegal nach Timbuktu.
251
geneigt und ans der untern Seite mit Traufrinnen versehen; die
Mauern des Hanfes selbst überragen es allseitig um ungefähr einen
Fuß. Im Innern des Raumes stampft man die Bodendecke fest
und ebnet sie nach Bedürfnis^ des mehr oder weniger aus Orduuug
sehenden Hausherrn; etwaige Bänke werden gleich aus denselben
Bausteinen mit aufgemauert.
Ein solches Haus kostet so wenig Geld, daß Jedermann es
sich erbauen kann; dem Aermern helfen seine Nachbarn, der Wohl-
habender? dingt sich Werkleute, welche für zwei bis drei Groschen
unseres Geldes ihr Tagewerk verrichten.
Der Fremde oder Reisende, welcher nach Chartum kommt, ist
froh, wenn er unter den Tankhas eine findet, die wenigstens nicht
alle Nachtheile solcher Wohnungen besitzt. Selbstverständlich be-
kommt der Neuangekommene allemal die schlechteste Wohnung,
weil die bessereu bereits in den Besitz der Kundigeren übergegangen
sind. Der Hausherr bietet seinem Abmiether Nichts als die vier
nackten Wände uud etwa eiue Bauk; alles Uebrige muß der Miether
schaffen, und wenn dieser nun ein unpraktischer Gesell ist und nicht
schon in Egypten sich für solche Fälle vorbereitet hat, kommt er oft
recht schlecht weg oder muß thenres Geld zahleu, um die unwohn-
liche Behansnng sich wohnlich zu gestalten.
Die erste Arbeit, welche der neue Miethsmanu zu übernehmen
hat, besteht darin, sein Haus von dem inwohnenden Ungeziefer zu
säubern. Alle dunklen Orte beherbergen, zumal während der Regen-
zeit, Hornissen, große Spiuueu, Skorpione, Eidechsen,
namentlich Gekos und sehr häufig auch Vipern. Auf der Reise
bis Chartum hat man sich schon so an dergleichen Gewürm ge-
wohnt, daß mau niemals die nöthigen Vorsichtsmaßregeln vergißt;
allein es ist doch unangenehm, sich in solcher Gesellschaft zu wissen,
uud man untersucht uud säubert deshalb jedes neue Haus mit
großer Sorgfalt.
Nur die Gekos, jene nächtlich lebenden Eidechsen mit Klebe-
fingern, vertreibt mau uicht, vorausgesetzt daß mau nur irgend
welche Kunde von der Natur uud ihren Erzeugnissen besitzt. Die
unschuldige Lebendigkeit dieser Thiere erfreut, der freundliche Ruf
„Geck, Geck," deu man Nachts vernimmt, erheitert, uud die eifrige
Kerbthierjagd, welche diese zwar häßlich aussehenden, aber doch
recht netten Thiere betreiben, nützt so augenscheinlich, daß man sich
gar bald mit ihnen befreundet. Am unangenehmsten werden nächst
den Skorpionen die fliegenden Kerbthiere. Das summt uud schwirrt
zu allen Oessuungeu herein! Bei Tage sammelt sich eiue Schaar-
gieriger Flieg eu um deu Hausbewohner, Nachts summen die blut-
dürstigen Mücken herein. Wespen uud Hornissen betrachten
die Wohnung als ihr Haus und treiben sich so ungescheut in ihr
herum, als wären sie die rechtmäßigen Besitzer. Kein Fleischstück,
keine Frucht kann der Koch vor ihnen bewahren; sie erscheinen bei
ihm, wie am Tische seines Gebieters. Höchst uugemüthlich siud
auch die Termiten. In jedem dunklen Räume finden sie sich gewiß,
und wehe dann dem Gegenstande, welcher nicht aus Eisen oder
Stahl gemacht worden ist! Sie zernagen ihn in einer einzigen
Nacht, die Kiste, welche die uothwendigeu Bedürfnisse enthält, wie
die schwer errungenen Sammlungen des Reisenden, das Kleidungs-
stück wie den Gewehrschaft. Gegen sie hilft nur öfteres Sprengen
mit Wasser uud das Hohlstellen aller Gegenstände; denn che sie
ihr Zerstörungswerk beginnen, bauen sie sich Röhren aus Erde,
uud diese können sie nur dort bequem anbringen, wo der znr
Vernichtung erkorene Gegenstand mit der Erde selbst in Ver-
biuduug steht.
Die Häuser haben noch andere Mängel. Man bewohnt
Chartum gezwungen eigentlich nur während der Regenzeit; die
übrige Zeit des Jahres lebt man so viel als möglich außerhalb der
Stadt, iu der Strohhütte eines benachbarten Dorfes, im Zelte,
auf Reifen. Die Regenzeit vereinigt die Menschen, wie unser Winter,
obgleich sie den Frühling über das Land bringt. Chartum hat
während derselben stets bedeutend mehr Einwohner, wenigstens
Weiße, als sonst.
Vom Senegal nach Timbnktn.
Wiederholt haben wir darauf hingewiesen, wie großen Werth
— und mit vollem Rechte — die Frauzoseu darauf legen, eine Ver-
biuduug zwischen Seuegambien und deu Regionen am obern Niger
lu's Leben zu rufen. Jüngst erwähnten wir auch, daß sie eine
Dampferlinie von den Mündungen dieses Stromes bis zum obern
Laufe herzustellen sich anschicken. Unsere Leser wissen ferner, welchen
Reiseplan der „Löwentödter" Gerard in's Werk setzen will. Nun
erhalten wir Knude über eine eigenthümliche, offenbar sehr wohl
ausgedachte Expedition, welche schon im Jahre 1860 iu aller Stille
in's Werk gesetzt worden war. Der ausgezeichnete Gouverneur
von Senegambien, Oberst Faidherbe (der von seinem Posten
abbernfen worden ist), gab einem Lieutenant der fenegambischen
Spahis, Aliuu Sai, einem Mohammedaner, den Auftrag, von
St. Louis, der Hauptstadt von Senegambien, nach Timbuktu zu
reife» und von dort nach Algerien zu gehen.
Dieser Aliun Sai ist nun im Spätherbst nach St. Louis zu-
rückgekommen und hat interessante Nachrichten über die gegen-
wärtigen Verhältnisse am obern Niger mitgetheilt. Er fand diese
Länder iu allgemeiner Zerrüttung.
Al Hadfch Omar, ein wilder Fanatiker, welchen die Fran-
zofen in den Jahren 1854 bis 1859 ans den Senegalgegenden mit
Waffengewalt vertrieben, ist jetzt Herr und Gebieter im westlichen
Theile des centralen Sudan. Er hat Ahmadn, den Scheich der
Fulbe, welcher die Landstrecke zwischen Djeune und Timbuktu be-
saß, mit Verrath umsponnen uud dann ermorden lassen.
Deu Lebenslauf dieses wilde« Fanatikers Omar haben wir im
Globus Nr. 7, S. 198 ff., ausführlich geschildert, und wollen des-
halb hier nur einige Punkte hervorheben. Ein schwarzer Marabu
ans dem fenegambischen Futa kam 1851 von einer Pilgerfahrt
nach Mekka in seine Heimat zurück, war nun ein Hadschi, Pilger,
uud seiu Ehrgeiz trieb.ihn, eiue große Rolle zu spielen, etwa in
der Weise, wie zu Aufaug uufers Jahrhunderts Scheich Danfodio,
welcher von der Stadt Sokotn aus das große Reich der Fulbe
gründete. Also warb Omar Verbündete, bewaffnete seine Sklaven
und begann den heiligen Krieg gegen alle Ungläubigen, Heiden wie
Christen, zu predigen; iu der Linken hielt er den Koran, in der
Rechten das Schwert, und versprach seinen Anhängern, außer dem
Paradies iu jeuer Welt, alle Habe seiner Feinde. Nach Verlauf
einiger Monate waren ihm nahe an zwanzigtausend beutelustige
Fanatiker zugeströmt. Sie plünderten zunächst die ganze Land-
schast B ambuk ans, zogen dann an deu obern Senegal und deu
obern Niger und bedrohten hier die Stadt Segv, wo das Volk
(die Bamauas) bisher seinen uralten Fetischdienst gegen die Usur-
Patronen des Islam aufrecht erhalten hat. Hier wurde Omar
zurückgeworfen, zog dann geu Nordwesten nach Kaarta, benutzte
dort innere Zwistigkeiten, schlachtete mit heiliger Unparteilichkeit
Leute aller Parteien ab, verwandelte das Laud iu eiue Wüstenei,
uud that mit der Landschaft Kaffon ein Gleiches, obwohl dort
Mohammedaner wohnten. Aber diese begingen das Verbrechen,
nicht an Omar's göttliche Sendung zu glauben.
252 Die Civilisationskomödie auf Madagaskar und Napoleouifche Annexionen. Bedeutung des Hafens Diego Snarez.
Mit Beute beladen wollte er nach dem feuegambifcheu
Futa zurückkehren, und diese Region sollte deu Kernpunkt seiner
Macht bilden. Auf diesem Zuge traf er mit Europäern zusammen.
Oberst Faidherbe hatte weit oberhalb Bakel am Senegal das
Fort Mediue gebaut, wohin sich viele Leute aus Kaarta und
Kassou geflüchtet hatten. Unter den Kanonen der Burg war von
ihnen ein Dorf gebaut worden. Dieses wollte Omar vernichten.
Wir haben erzählt, daß er durch die Frauzoseu eine empfindliche
Niederlage erlitt Er mußte sich zurückziehen, und man hörte seit
1859 längere Zeit nichts von ihm. „Vorläufig ist er so ziemlich
verschollen und den Europäern nicht mehr gefährlich." So schrieben
wir vor länger als einem Jahre.
Nun hat Aliun Sai neue Kunde gebracht. Omar ließ sich :
nicht eutmuthigeu, sondern er ist nach Osten hin gezogen. Dort
muß er Siege errungen haben, deuu der Spabi-Lieutenant meldet,
daß der Fanatiker das ganze Laud am obern Niger erobert
habe und auch Herr vou Timbuktu sei. Diese Nachricht ist,
iu Hinblick auf die Schilderungen, welche Heinrich Barth über
die ganz eigenthümlichen Verhältnisse jener Handelsstadt entworfen,
in hohem Grad interessant. Omar hat drei seiner Söhne zu
Königen ernannt. Der eine beherrscht Timbuktu, der andere
Djenne, der dritte Kaarta.
Die Reiche, welche im mohammedanischen Sudan vou Zeit
zu Zeit entstehen, nehmen anfangs einen großen Anlauf; die Grün-
der erobern weit und breit viel Land und erfüllen die. Völker mit
Schrecken. Aber die Herrlichkeit dauert kaum eiu paarGeueratioueu;
das Zerfallen geht ebeu so rasch vorwärts, wie vorher die Erobe-
rang, deuu von einer Staatsbildung ist keine Rede; der Schwarze
hat keinen Begriff davon, lind er kennt nur Zwang. Solche zn-
sammeneroberte sogenannte Reiche sind nichts als rohe Aggregate
und Konglomerate, ohne staatlichen Kitt, und zerbröckeln bald.
Wir haben an dem Fulbereiche wieder deu Beweis dafür. Die
Fellata eroberten rasch alles Land bis Bornn und znm Bilme,
aber wir finden auch bei ihnen Alles in völliger Zerrüttung. Die
Franzosen blicken jetzt mit einer gewissen Besorgniß auf Omar, und
wenn er sich nun mit verstärkter Macht wieder nach Westen wendet,
dann kann er ihnen allerdings manche Verlegenheit bereiten, aber
für den Besitz Senegambiens brauchen sie Nichts zu fürchten.
Aliun Sai wurde von den Leuten Omar's gefangen genommen.
In Timbuktu selbst blieb er unbehelligt, als er aber diese Stadt
verlassen hatte und nach Walata ziehen wollte, wurde er am
zweiten Tage seiner Wanderung verhaftet. Drei und zwanzig
Tage blieb er in ihrer Gewalt; dann gelang es ihm, seinen Peini-
gern zu entrinnen. Er fand bei nomadischen Mauren eine Zu-
flucht, und sie geleiteten ihn nach dem frauzöfischeu Militärposten
Bakel am Senegal.
Die Civilisationskomödie auf Madagaskar ttti
Hafens Die
König Radaina der Zweite, der Idealist, welchen unsere Leser
kennen, hat die Freundschaft des Kaisers der Franzosen ebenso wenig
umsonst, wie der italienische König -Ehrenmann. Dieser mußte
Nizza und Savoyen als Preis dafür zahlen, daß er Vasall seines
Nachbars wurde uud sich ohne Erlanbuiß desselben nicht rühren
kann; jener hat Freuudschaftsversicheruugen uud einen schönen
Krönnngsmantel aus Paris erhalten, und andere Quincaillerien,
Tand verschiedener Art dazu; aber diese Gescheute kosten viel: der !
Idealist von Antananarivo hat dem Praktikus vou Paris deu
schönsten Hasen Madagaskars abtreten müssen, nämlich die Diego
Snarez Bay, von welcher aus mau deu Kanal von Mosambik
beherrscht uud die gewissermaßen als ein Aden für jene Region des
Indischen Oceans bezeichnet werden kann.
Die Sache verhält sich folgendermaßen. Radama brannte vor
Eifer, sich in europäischer Weise krönen zn lassen, und seine sran-
zösischen Cereiuonieumeister und Hoflente entwarfen das Programm
ganz nach Napoleonischem Zuschnitte. Zehn Jahre früher hat Ex-
kaifer Faustiu Soulouque auf Hatti eine ähnliche Krönuugskomödie
gespielt und gleichfalls Herzoge, Grafen und Barone in Menge
fabricirt. Auf Madagaskar fand die Feierlichkeit am 22. September
statt. Radama ist Heide; aber die Missionäre, deren Berichte
unsere Leser kennen, veranstalteten mit allem möglichen Pomp der
römischen Kirche ein feierliches Hochamt und weiheten die
Krone, ein Geschenk des Kaisers Napoleon. Dem braun-
häutigen Idealisten wurde eiu prachtvoller Königsmantel über die
Schultern gehängt, gleichfalls ein Geschenk des Pariser Freundes;
die braune Königin war ihrerseits auch nicht leer ausgegangen,
denn Kaiserin Eugeuie, welche sich bekanntlich auf neue Kleider
versteht, hatte ihrer „vielgeliebten Schwester" auf Madagaskar
eine pompöse Robe uud obendrein einen Kröuungsmantel verehrt.
So war Alles in bester Ordnung. Radama, iu Krone uud
Mantel stolzirend, begab sich ans das „Marsfeld", denn was
wäre ein König aller Malgafchen nndHowas ohne eiu Marsfeld ^
Paris hat ein solches; also darf es in Antananarivo nicht fehlen.
d Napoleonische Annexionen. Sedeutnng des
jo Suare).
Gekrönt wurde Radama mit der christlich eingesegneten Krone auf
dem heiligen Steine, der bei den madegassischen Heiden in
großen Ehren steht. Auf diesem heidnischen Denkmale war der
Thron aufgeschlagen. Programmgemäß jubelte das Volk, es
hatte kindische Freude au einem glänzenden Pariser Feuerwerk; Hof
und Diplomatie waren zum königlichen Souper „befohlen". Man
sieht, es fehlt gar nichts an der „Civilifatiou".
Aber, wie schon gesagt, uichts umsonst. Der Mouiteur
giebt eiue Beschreibung der Krönuugsseier in dem bekannten Styl,
und bemerkt, „daß eiu allen Nationen gleich günstiger Handels-
vertrag auf breitester Grundlage abgeschlossen worden sei".
Wie hübsch das klingt! Wie uneigennützig! Der Mouiteur, um
die Uueigeunützigkeit iu's volle Licht zu stellen, sagt weiter: „Man
hat es vermieden, die Frage einer Gebietsabtretung zu
berühren; sie hätte ernste Schwierigkeiten hervorrufen können."
Freilich behauptete trotzdem ein der Pariser Regierung nahestehendes
Blatt, daß der Kaiser sich deu Hafen Diego Snarez habe ab -
treten lassen. Die Sache ist anch ganz richtig.
Zwischen dem 22. September und dein 4. Oktober, au welchem
Napoleons Bevollmächtigter, Schiffskapitän Dupre, Antananarivo
verließ, hat man deu Gegenstand bereinigt. Mau meldet nämlich
von Reuuiou, der bekauuteu französischen Kolonie im Indischen
Oeean, daß Dupre „denText eines Vertrages mitgebracht
habe, kraft dessen König Radama dem Kaiser Napo-
leou deu Hafeu Diego Suarez abtritt."
Die Sache ist also in „uneigennützigerWeise" abgethau. Jener
Hafen ist einer der besten in der Welt, und wir wollen Einiges über
ihn bemerken.
Den äußersten Norden Madagaskars bildet die Provinz
Ankara; den nördlichsten Punkt der Insel bildet Kap Ambre,
12" 12' südl. Breite. Die Gebirge sind mit prächtigen Wäldern
bedeckt, der Boden ist fruchtbar und gut bewässert. Aber die Be-
wohner, die An tank ars, vernachlässigten den Ackerbau, als sie
unter die Herrschaft der Howas gerietheu, und seitdem ist auch die
Die Telegrapheuverbiudnng nach Indien.
253
Viehzucht in Verfall gerathen. Früher wurden alljährlich zwanzig-
bis dreißigtausend Ochsen von dort ausgeführt; dann aber mono-
polisirten die Howas diesen Handel, nnd derselbe kam in Verfall.
Als europäische Besitzung könnte diese Provinz viel Zucker, Reis
nnd Baumwolle liefern.
Die Küsteu von Ankars bieten-der Schifffahrt große Vortheile
dar. Südöstlich vom Kap Ambre liegt die D i e g o S u a r e z - B a y,
welche von Guillain genau untersucht und in seinem großen
Werke beschrieben worden ist*).
Auch Leguevel de Lacombe hat sie schon in den Tagen des Kö-
nigs Ludwig Philipp, 1833 erforscht, und mit seiner Ansicht, daß
sie einen der schönsten Häfen in der Welt bilde, stimmt der englische
Seemann Lloyd überein.**) Der Hafen gilt für einen der gesun-
desten: „er hat an Räumlichkeit und gutem Ankergrund in der
Welt seines Gleichen nicht"; an gutem Trinkwasser ist Uebersluß,
da mehrere Flüsse, z. B. der Makes oder Onghe Bareikes und
der Ca im ans oder Onghe Voueyes in die Bay einmünden.
Die Wälder der Umgegend sind reich an Schiffbauholz. Davon
überzeugte sich schon Kapitäu Owen, welcher 1824 die Bay auf-
nahm, und 1833 Garnier, welcher die französische Fregatte
La Niedre befehligte.
Die geräumige Bucht bildet mehrere Häfen, von denen einer
immer besser ist als der andere, aber alle sind ausgezeichnet. Die
Einfahrt zur Bay ist etwa 2400 Meter laug und 2000 Meter breit;
an einer Stelle wird sie jedoch durch eine Sandbank um etwa die
Hälfte verengt. Fast iu der Mitte der Einfahrt, am Ende der
Sandbank, liegt eine Insel, das Mond ei tan d oder Nossi Volane,
welche sich in einer Länge von 600 Meter dem Ufer parallel hinzieht;
sobald man sie befestigt und an den Ufern Batterien auswirft,
*) Documenta Sur l'histoire et la geographie de la partie occidentale
de Madagascar, in der zweiten Abtheilung. Ihm folgt V. A. Barbier du
Bocage in seinem Buche: Madagascar, possession fran^aise depuis
1642, das ohne Jahreszahl vor etwa drei Jahren in Paris erschien. Da-
mals hegte man schon Pläne auf Madagaskar, und faßte namentlich auch
die Diego Snarez Bay in's Auge, von welcher Barbier eine Specialkarte
giebt. In dem Obigen folge ich den Angaben, welche er von S. 101 an
mittheilt.
»») Lloy d bezeichnet die Diego Snarez Bay als Britisch Sound und
fügt hinzu, daß sie von den Landeseingeborenen Mah azeb a genannt werde.
Er sagt, sie sei one of the finest harbours in the world, about 170 leagnes
from the capital Tananarivo. Besides being very healthy, it is advanta-
geously situated at the conflux of several rivers, which afford excellent
communication for trade with Antsianaka and Iboine, where cattle are
plentiful. — Memoir on Madagascar, by J. A. Lloyd. Journal of
the royal geographica! society of London, 1850. Part I, p. 55. A.
kann man den Hafen sperren nnd ihn uneinnehmbar machen
Außerdem müßte man Batterien auf einer andern kleinen Insel,
Nossi Langour, welche weiter im Innern liegt, aufwerfen. Die
Tiefe der Einfahrt wechselt zwischen 20 nnd 30 Fäden und bietet
also auch den größten Schiffen kein Hinderniß dar.
Das Innere der Diego Suarez-Bay besteht ans fünf großen
Rheden. Diese sind, von Norden her angefangen, die Bncht du
Tounerre oder Donvoneh-Varats, 20 bis 25 Faden tief; die
Bay des Cailloux blancs oder Donvoneh Vatn Fntschi, welche
weiter in's Land hineinreicht, aber weniger tief ist; sie hat jedoch
mehrere kleine Buchten, welche sich vortrefflich als Ankergrund für
kleinere Fahrzeuge eignen. Nach Süden hin liegt die Bay der
Grabesinsel, dann folgt die große Anfe du Bivouac. Sie bespülen
die Nordseite einer Erdzunge, welche sich etwa 8000 Meter weit iu
die große Diego Suarez-Bay hiueiu erstreckt, während ihre Breite
von 1500 bis zu 5500 Meter anwächst. Diese Landzunge ist
ziemlich hoch nnd beherrscht dieselbe; man könnte sie mit leichter
Mühe befestigen, und hier müßte mau die erste europäische Nieder-
lassung gründen. Im Süden derselben liegt eine runde Rhede, der
Ni evre-Hafen, mit 10 bis 15 Faden Tiefe. Die Einfahrt wäre
leicht zu vertheidigeu. Am Süduser des Nievre-Hafens münden
die oben erwähnten Flüsse. Nahe der Ausfahrt aus dem Nidvre-
Hafen auf dem Vorgebirge Tenre Hanga haben die Howas neben
einem Dorf ein kleines Fort angelegt, das aber gar nichts be-
sagen will.
Oestlich vom Hafen Nievre liegt die fünfte Abtheilung der
Diego Suarez-Bay; sie heißt bei den Eingeborenen Donvoneh
Vasa oder Franzosenbay nnd hat 10 bis 13 Faden Tiefe.
In der großen Bay Diego Snarez, diese in ihrer Gesammt-
heit genommen, wird das Centrum von einem herrlichen Becken
gebildet, das zehn Kilometer lang und sieben breit ist; die Tiefe
beträgt 15 bis 30 Fadeu. Sie hat vortrefflichen Ankergrund und
große Aehnlichkeit mit der Bucht von Sebastopol. Sie würde
einen prächtigen Kriegs- und Handelshasen bilden. Man müßte
einige tausend Schwarze aus dein französischen Senegarnbien dort-
hin schaffen, eine französische Niederlassung gründen, und diese
würde bald den Mittelpunkt für einen ausgedehnten Handel bilden.
Schiffe von der afrikanischen Küste, von den Comoro-Inseln, den
Arnirauten, Seychellen, R6union und Mauritius würden sich dort
einfinden. — So weit Barbier.
Man sieht, die Diego Suarez-Bay ist wohl so viel Werth wie
Krone und Krönnngsrnantel, welche man einem braunen Idealisten
schenkt.
Die Telegraphenver
Eine Telegraphenverbinduug nach Indien, welche möglichst
gegen Störungen gesichert ist, erscheint für England als eine Lebens-
frage, und einer solchen gegenüber kommt es nicht in Anschlag, ob
die Kosten sich aus einige hunderttausend Thaler mehr oder weniger
belaufen. Wir bemerkten schon in dem Aufsatz über die Gegenden
am Rotheu Meer und am Busen von Aden, daß jene Linie im
Laufe des Jahres 1863 hergestellt werden solle; jetzt haben wir
speciellere Angaben.
Die Erfahrung hat herausgestellt, daß ein unterseeischer Tele-
graph seinen Dienst um so zuverlässiger verrichtet, je kürzer die
Strecken sind. Je mehr Zwischenstationen ans festem Boden, um
so besser. Deshalb will anch die eine der beiden Kompagnien,
welche Europa mit Nordamerika zu verbinden gedenken, das Tele-
graphentan von Schottland ans nach den Faröern, Island, Grön-
land nnd Labrador legen, also auf einem weilen Umwege. Die
andere Gesellschaft gedenkt ein Tau in nnnnterbrochener Linie quer
ndnng nach Indien.
durch deu Atlantischen Ocean, zwischen Irland und Neufundland,
zn versenken; sie wird demnach ein früher theilweise mißluugeues
Unternehmen von neuem wagen, glaubt aber dnrch sorgfältige
Anfertigung der Drähte und unter Benutzung mancher neueren
Erfahrungen nun den Zweck zu erreichen.
Das Ministerium für die indischen Angelegenheiten trachtet
dahin, daß künftig Nachrichten aus Rauguhu inBritifch-
Barma, aus Arrakan nnd ans ganz Indien binnen
zwölf Stunden nach London gelangen! Die Telegraphen
versuche am Rothen Meere sind aus vielen Ursachen, auf welche
wir hier nicht näher eingehen können, mißlungen. Seit zwei
Jahren hat nun ein erfahrener Ingenieur, Oberst Patrick
Stewart, welchem zwei andere Sachverständige zur Seite
stehen, alle Gegenden, welche mehr oder weniger geeignet erscheinen,
genau erforscht. Zunächst hat er sich für Benutzung der Strecke
entschieden, auf welcher die türkische Regierung bereits einen Draht
/
254
Kleine Nachrichten,
gezogen hat. Zwischen Konstantinopel und Bagdad am
Tigris wird seit einiger Zeit der Telegraph regelmäßig benutzt
und Störungen im Betriebe sind nicht vorgekommen. Diese Linie
zieht sich durch Kleinasien, von Scntari am Bosporus östlich bis
Diarbekir und Mosnl in Assyrien, von dort gen Süden bis zur
Stadt der Chalifen.
Zwischen Bagdad und dem Persischen Meerbusen streifen
Beduinenstämme umher, welche aber schon seit Jahren sich den
Engländern nicht feindlich gesinnt zeigen, weil die Häuptlinge
durch das englische Consulat zn Basra manchmal Geschenke
erhalten; aber sie siud den Türken gram nnd wollen sich dein Joche
des Sultans nicht unterwerfen. Es handelt sich nun darum, diese
Beduinen zu gewinnen, nnd es unterliegt keinem Zweifel, daß die
Häuptlinge als Beschützer des Telegraphen auftreten, wenn man
sie dafür bezahlt. Man glaubt zu diesem Zwecke mit einer Jahres-
ausgäbe von etwa eintausend Pfund Sterling auszureichen. Das
festländische Ende des Telegraphen würde etwas oberhalb der
Mündung des Schat el Arab (so heißt der Strom nach Vereinigung
des Enphrat mit dem Tigris) in der aufblühenden Handelsstadt
Mohammera zu liegen kommen.
Man will aber, um recht sicher zu gehen, uoch eine zweite
Linie auf dem Laude herstellen, nämlich von Bagdad durch
Persien, über Jspahan und Schirls bis Bender Abuschähr
am Persischen Golf. Die Verbindung würde also auch dann nicht
gestört, wenn jene Beduinen dieselbe einmal unterbrächen.
Von der Mündung des Schat el Arab soll das unter-
seeische Tan in drei Abtheilungeu bis zur indischen Küste gelegt
werden. Die gesammte Länge beträgt zwar nur 1100 Miles, aber
man will auch in dieser Beziehung das Sichere vorziehen. Die
erste Stecke soll vom Schat el Arab bis Bender (d. H.Hafen)
Abuschähr (das die Engländer unrichtig Busheer schreiben) unter
dem Wasser hin laufen; Entfernung 170 Miles, in einer Meeres-
tiefe von 20 bis 25 Faden, zu 6 Fuß. Die zweite Strecke reicht
von Abuschähr bis Kap Müssendem, einem öden Felsenvorge-
birge an der Küste von Ost-Arabien; Länge 440 Miles, Tiefe 30
bis 35 Faden. Die dritte Strecke geht von Kap Mnssendom quer-
über bis Guaddel, eiuem kleinen Ort an der Küste von Mekrün,
Kleine II
Ein Brief des Reifenden Schul«ert ans Chart»m. Dieser
muthige Mann, ein Gärtner, wißbegierig und durchdrungen von
Eifer für die Wissenschaft, konnte dem Triebe nicht widerstehen, sich
der Henglin'schen Expedition anzuschließen, nnd scheute dafür keine
Geldopfer. Es ist billig, daß man ihm ebenso viel Theilnahme
bezeige, als anderen Afrikareisendeu. Ein Brief von Schubert an
den jüngst verstorbenen Schuldirektor Vogel in Leipzig, welcher in
der Deutschen Allgemeinen Zeitung durch Hrn. H. Lange zum Ab-
druck gelangte, möge hier eine Stelle finden. —
Herr Schubert, aus Neuschönefeld bei Leipzig, schloß sich
bekanntermaßen der Expedition unter Heuglin an und erreichte
am 7. Juli 1862 Chartum. Vom Fieber hart mitgenommen, war
er geuöthigt, einen Monat dort liegen zu bleiben. Während der
Krankheit hatte er sich vorgenommen, sobald als möglich nach
Europa zurückzukehren, doch mit der wiederkehrenden Gesundheit
erwachte gleichzeitig auch die Lust, weiter zu gehen. Durch deu
österreichischen Konsul, Herrn I)r. Natterer, hörte er von Muu-
zinger ö Reise nachElObed. Herrn Munzing er uachzureiseu war
ihm mcht möglich, auch kehrten die Herren Munzinger und
Kinzelbach, wie bekannt, am 29. Juli wieder nach Chartum
zurück. Herr Schubert war inzwischen mit einem deutschen Kauf-
manne, Herrn Glanschnik, bekannt geworden, der zwanzig Tage-
reisen oberhalb des Raho-Gasal eine Niederlassung besitzt, wo er
einen Tauschhandel mit Salz gegen Kupfer treibt. 'Diesen beschloß
er zu begleiten, um dann von El Hofrah, bis wohin er zn kämmen
gedenkt, nach Wadai vordringen zu können. Doch hören wir selbst,
wie er sich zn dieser Reise vorbereitet und was er noch weiter mitzu-
theilen hat. Herr Schubert schreibt:
unweit der Grenze des Gebiets von Mekrün. Von Guaddel an
der Küste hin bis Karratschi, unweit der Müuduug des Indus,
hat man schon jetzt einen Theil der Linie fertig.
Auf dem Laude sind selbst in jenen orientalischen Gebieten die
Schwierigkeiten der Anlage verhältnißmäßig gering; jene für den
unterseeischen Theil erscheinen größer; die Ingenieure treffen aber
alle nur irgend möglichen Vorkehrungen, um deu Erfolg zu sichern.
Der Konduktor von Kupfer ist stärker als man ihn seither genom-
men, nnd besteht ans vier vereinigten Drahtsegmenten; er bekommt
vier Ueberzüge von Gatta pertscha nnd Chatterton's „Compound";
diese werden mit einem Zeug umwunden, über dasselbe kommt eine
Lage von getheertem Hanf und nachher erst der eigentliche „Schutz"
vou zwölf spiralförmig gewundeneu Eisendrähten, die galvanisirt
und derart hergerichtet sind, daß sie nicht rosten können; denn auch
sie werdeu uoch mit zwei Ueberzügeu vou getheertem Hans versehen
und endlich mit zwei anderen von einer Pateutcomposition, welche
ein Herr Latimer Clark erfunden hat. Sie besteht aus Erdpech,
schwedischem Theer und gepulvertem Kies; diese Mischung wird
heiß aufgetragen, ist sehr biegsam, läßt gar keiu Wasser durch und
kann von Seethieren nicht beschädigt werden.
Die Schiffe, welche das Tan an Ort nnd Stelle bringen,
werden in der'zweiten Hälfte des Juni von Europa abfahren und
die Ingenieure ihre Arbeiten iu dm Monaten November und De-
cember vollenden; dann ist die beste Jahreszeit uud mau hofft
binnen drei Wochen Alles hergerichtet zu haben. Die Kosten des
unterseeischen Theiles sind auf 2,100,000 Thaler veranschlagt
worden.
Wir wollen bemerken, daß man in Australien ernsthaft
darüber ans ist, einen Anschluß der dortigen Telegrapheil an jene
von Hinterasien herzustellen. Schwierigkeiten, welche nicht schon
anderwärts überwunden wären, sind nicht vorhanden, die See-
strecken, in welchen das Tan gelegt werden muß, alle nur sehr kurz,
weil die verschiedenen Inseln nicht weit von einander entfernt sind.
Es gehen vielleicht uoch einige Jahre hin, ehe dieses Unternehmen
in Angriff genommen wird; daß aber Europa und Australien
durch Telegraphen mit einander in Verbindung kommen, ehe unser
Jahrzehnt abläuft, unterliegt keinem Zweifel.
! chrichten.
Zu dieser Reise verwendete ich mein mir aus Aegypten noch
übrig gebliebenes Geld, welches aus 160 Maria-Theresiathalern
bestand. Mein Aufenthalt in Alexandrien und Kairo hatte mich
viel gekostet, und an eine Entschädigung aus der Expeditionskasse
war nicht zu denken; erstens war meine Betheiligung an der Expe-
dition vom Comitö nicht angenommen, uud zweitens besaß Herr
vou Heuglin nicht mehr viel, als wir ans Aegypten fortgingen.
Ich kaufte mir für 20 Thaler Kupfer, aus dem ich Handringe
machen ließ (man braucht diese vom Bache Gasal ab zum Lohn fnr
Träger, da weder Kameele, noch Pferde oder Esel zu haben sind),
ferner 1 Centner kleine weiße Glasperlen für 30 Thlr. und \l-> Ctr.
diverse Sorten für 12 Thlr., desgleichen 30,000 kleine Muscheln für
0 Thlr., Pulver, Blei und Schrot für 13 Thlr., Alaun, Arsenik
und Seife zum Präpariren für 8 Thlr., Papier zum Pflanzen-
trocknen und -Einpacken für 5 Thlr., Kochgeschirr und etwas Pro-
viant für 16 Thlr., Geschenke und Kleinigkeiten für die Könige oder
Häuptlinge für 26 Thlr. Eiuem Diener, den ich mir für die Reise
annahm, zahlte ich sechs Monate Lohn (9 Thlr.) voraus, uud mein
Aufenthalt während der vier Monate in Chartum hat mich 14 Thlr.
gekostet. Herr vou Heuglin uud Di'. Stendner lebten hier billiger
als ich , sie nahmen die Gastfreundschaft der Europäer in Anspruch
uud gingen stets hinaus zu Tische; ich konnte dies nicht, da ich der
französischen Sprache nicht mächtig war, trennte mich deshalb auch
bald nach unserer Ankunft in Chartum von ihnen uud zog in ein
Haus, welches im Garten der Mission dicht am Flusse steht; dort
wohnte auch Herr Glanschnik. Wir machten unsere Küche zusammen,
uud ich lebte hier besser als im Logis bei Herrn von Heuglin; denn
i dort hatte man oft viel zu leiden. Eine Doppelflinte und Revolver
Kleine Nachrichten.
255
hatte ich mir von Europa mitgenommen, eine andere kaufte ich mir
noch von Herrn von Heuglin für 25 Fl., welche ich ihm aber noch
schulde; desgleichen kaufte ich mir noch einen Elephantenstutzen von
Dr. Natterer für 50 Thlr., Letzterm gab ich eine Anweisung nach
Leipzig. Einen Sextanten und einen Azimuthalkompaß werde ich
in der hiesigen Mission geliehen bekommen, und so trete ich wohl-
ausgerüstet meine Weiterreise au, welche am 3. Nov. erfolgen soll.
Es waren bei der Expedition wohl alle diese Effekten; doch waren
diese für mich nicht zugänglich. Lobend erwähne ich noch
hier der Mission, welche mir viele Sachen für ganz geringe Preise
verkaufte und sehr freundschaftlich gegen mich war.
Ein hier angekommener Kaufmann, welcher von Bornu,
Wadai uud Darfur kam, erzählte mir. daß Abd-el-Wahed
(vi-. Bogel) in Wara gewesen ist, von dem dasigen Sultan gut
aufgenommen worden, mit dessen Bezier aber in Streit gerathen
sei, welcher sein Pferd, einen Schimmel, hätte haben wollen.
Dr. Vogel habe diesen aber nicht verschenken wollen; bei einem
Ausgange des Dr. Vogel nach den in der Nähe von Wara gelegenen
Hügeln, welche er erstiegen, sei er auf Befehl des Veziers tum den
dort wohnenden Negern ermordet worden. Der Sultan sei dar-
über sehr böse gewesen nnd habe Gericht gehalten; auch wäre sein
Neisesack, mehrere Instrumente nnd etwas Geld noch in seinen
Händen. Der Aussage dieses Mannes möchte ich Glauben scheu-
ken, es trafen seine angegebenen Entfernungen genau zu; er hatte
den Süden ganz durchreift und sagte mir. er habe auch Abd-el-
Kerim gekannt; wer dies ist, weiß ich nicht, wahrscheinlich Dr.
Barth.' Herr Heuglin geht mit dem jetzt nach Chartnm ge-
kommenen Musa-Pascha, dessen guter Freund er ist, auf einen
Kriegszug nach dem obern Sennaar und der abyssini-
scheu' Greiize. Dr. ^-tendner erwartet noch Gelder von Europa;
er will vou Dougola durch die Große Wüste nach Wadai gehen.
Herr Munzinger ging nach Keren zurück, Herr Hansal ist gegen-
wärtig als Kaufmann hier, und wir Beide pflegten nnd wachten
abwechselnd bei dem zum Tode darniederliegenden Dr. Natterer;
er hatte Fieber und Dysenterie, ist aber seit vier Tagen aus dem
Wege der Besserung. So wird die wohlausgerüstete deutsche
Expedition, die viel ausrichten konnte, nach allen Enden zerstreut.
Ich werde, wie ich Ihnen, lieber Herr Doktor, bei meinem Ab-
schiede sagte, so lange mein Ziel verfolgen, als ich kann; wenn der
Himmel nur immer Gesundheit giebt, so hoffe ich eö auch zu erreichen
Auch glaube ich noch gute Ausbeute machen zu können nach den
Aussagen der Leute, welche schon oben waren und mir auch einen
Stamm der Njam-Njam als Menschenfresser bezeichneten. Wenu
ich wieder nach Europa zurückkehren will, wo werde ich wohl mein
Reisegeld hernehmen? Glanben Sie nicht, Herr Doktor, daß
mir das Comite in Gotha dies schicken wird, oder soll auch ich das
büßen, was der Chef verschuldet, und mich nach der Heimat durch-
betteln?
Aus der Kapkolouic. In einigen Gegenden haben die
Ansiedler beschlossen, Kameele einzuführen, vou deuen sie mehr
Nutzeu erwarteu als von den Ochsen, welche seither ausschließlich
als Trausportthiere benutzt wurden. In der That eignet sich auch
das Schiff der Wüste vortrefflich für die trockenen, sandigen
Gegenden, und es ist nur zu verwundern, daß man so lauge ge-
zögert hat, sich desselben zu bedienen.
In den westlichen Theilen des Kaplaudes hat im verflosseneu
Jahre die große Dürre arge Verheerungen angerichtet; Schafe
und Riudvieh starben täglich zu Hunderten, ja zu Tausenden
hinweg, die Landleute verarmten, nnd znr Hungersnot!) kamen
dann noch die Blattern.
Port Elizabeth, eine neue Stadt, gedeiht gut; die Bürger
haben schon den Grundstein zu einem Museum gelegt; sie wollen
eilte Bildnngsanstalt haben. Dieser Hafen scheint viel Auziehungs-
kraft für die Juden zu haben, sie kamen in Menge dorthin und
banen jetzt eine Synagoge.
Während eine Ans Wanderung vom Kap nach Neu-
seelan d begonnen hat, kommt eben jetzt eine zweite in Gang: in
der östlichen Provinz nämlich schicken sich viele Leute an, nach
Madagaskar überzusiedeln, das ja den Weißen jetzt eröffnet
ist. Sie werden aber Mühe haben, dort ein gesundes Klima zu
finden. Inzwischen will man eine regelmäßige Fahrt von
Dampfern zw ischen Port Natal nnd Mauritius in Gaug
bringen; sie sollen Madagaskar berühren.
Vor einiger Zeit berichteten wir, daß die Griqnas unter
Anführung ihres Häuptlings Adam Kock sich im Nomaus-Laude
niederlassen wollen. Damit waren die Besitzer desselben, Kaffern-
stamme, nicht einverstanden. Sie steckten das ganze Land in
Brand, als die Griqnas sich nahten; auf ungeheuren Strecken
war Alles ein gewaltiges Flammenmeer.
Alls Westiudien. Da man sich auf die Arbeit der freien
Neger auf Jamaiea gar nicht verlassen kann, so will man dort
die Verträge mit den Kulis'(Chinesen) verlängern nnd künftig
nicht mehr auf drei, sondern auf fünf Jahre abschließen.
Die Regierung der Iankee-Union, welche ihre angebliche
Negerfreundlichkeit dadurch bethätigeu will, daß sie die Schwarzen
aus dem Lande schaffen möchte, hat der britischen Regierung den
Vorschlag gethan, solche Neger nach Westindien zu schaffen: die
letztere hat sich iudeß noch nicht daraus eingelassen, während die
Pflanzer auf Jamaica eine solche Einwanderung wünschen, aber
von solchen Negern, die ans den Sklavenstaaten kommen, weil
diese sich auf den Feldbau verstehen und an Arbeit gewöhnt sind.
Neger aus den Nordstaaten sind nirgends willkommen; auch
in Liberia bestätigt sich, daß dort die am wenigsten trägen Leute,
machmal sogar nicht unfleißige, aus den ^klaveustaateu stammen.
Jamaica erhielt 1861 an Einwanderern 3162, wovon nur
513 weiblichen Geschlechts.
Auf Santa Lucia muß mau die Polizeimannschaft ver-
mehren, weil die englische Regierung keine Garnison auf der Insel
hält. Aber im gesetzgebenden Rath wurde hervorgehoben, „daß es
in der Kolonie an Leuten fehle, ans welchen mau eine zuverlässige
Polizeimaunschast bilden könne, eine solche nämlich, welche im
Falle der Roth Leben und Eigenthum schützen könne." Man will
die Regierung um Truppen bitten; die Neger verwildern nämlich
immer mehr.
Wir haben neulich de» Negeraufstand auf St. Vincent
geschildert; jetzt sind mehr als 300 von den Ruhestörern vor Ge-
richt gestellt worden.
Ans der Insel Grenada ist vor etwa sechs Jahren die
Kultur der Kakaobohne eingeführt worden und liefert gute Er-
gebuisse. _______
Alls Südamerika. Die Regierung von Chile läßt gegen-
wärtig durch Sachverständige den Hauptstrom im südlichen Theile
des Landes, nämlich den Bio-bio, nnd dessen Zuflüsse Vesgaro
und Reuarco untersuchen; sie sollen der schiff fahrt eröffnet, die
Nferlandschasten sollen dem Ackerbau übergeben werden.
Die Süd eisenbahn wird von Santiago bis San Fernando,
also ans einer Strecke vou etwa >20 Miles, befahren.
In Peru führt man jetzt Arbeiter von den Südsee-
iuselu ein. Die Regierung hatte zu diesem Zweck eine Gesell-
schaft privilegirt. Nun haben aber Frankreich nnd der König von
Hawaii gagegen protestirt, während die peruanische Regierung
sich auf den Wortlaut der Staatsverfassung beruft und freie Ein-
Wanderer uicht zurückweisen will.
Ein Vetter der SceschiaM. Die letztere taucht alle Jahr
eiu paar Mal aus den Tiefen des Oceans empor, bald hier bald
dort, sie wird aber niemals eingefangen, obwohl sie durch Hunderte
von Zeitungen schwimmt. Ist ein großes, mehr oder weniger
schlangenartiges Seethier vorhanden oder nicht? Die Frage wurde
fast lächerlich, seitdem so viele geradezu fabelhafte Berichte zum
Vorschein kamen. Es giebt aber doch auch ernste Naturforscher,
welche die Möglichkeit uicht rundweg ableugnen. Wir haben,
sagen sie, so manche wunderbare Entdeckungen erlebt, daß eine
Prüfung sich wohl verlohnt. Die gigantischen Ungeheuer der Vor-
welt können ja sehr wohl einige Nachzügler im Ocean zurückgelassen
haben.
Nun enthält ein ernsthaftes Blatt, das „Journal du Havre",
Angaben, welche allerdings Aufmerksamkeit zu verdienen scheinen.
Die Zeitung „Phare de la Loire" meldete jüngst, daß man auf
einer ^nsel in den Mündungen des Amazoneustroms den Leichnam
eines sonderbaren beschuppten Thieres gesunden habe. Dasselbe
war 35 Meter, also etwa 110 Fuß, laug, hatte einen -1 bis 5 Meter-
langen Kopf, der an jenen eines Kaymau erinnerte (wir können
also sagen, einen Krokodilskopf), und statt der Vorderpfoten
Schwimmflossen. Es mußte schou seit einigen Tagen tobt sein,
denn die Haisische hatten an dem bereits in Fänlniß übergehenden
Fleische gefressen. Eiu Stück vom Rückenwirbel ist nach
Nantes gebracht worden, und ist so groß, daß mau sich
desselben bedienen kann, als hätte man einen Stuhl.
Diese Entdeckung wurde im September 1802 gemacht.
Nun trifft es sich, daß eiu anderer Bericht, der aber ans ganz
anderer Quelle kommt, die vorstehenden Angabenergänzen kann.
Wir erfahren durch denselben, wie es kam, daß jenes Thier
in der Salinas-Bay an den Strand trieb.
Kapitän Tombarel nämlich, vom Schiffe Commerce de
Paris, besuchte in den letzten Tagen des Septembermonats in
Rio des Janeiro den Kommandeur'der brasilischen Fregatte Con-
stitntion. Bei diesem Manne, Secondino de Gomenso, traf
er zusammen mit dem Kommandanten Barros, welcher die
Kanonierschaluppe Beluwnte befehligt. Diese Seeleute sprachen
*
256
Kleine Nachrichten.
über allerlei, was ihnen während ihrer letzten Fahrten begegnet
sei. Barros war eben aus dein Amazonenstrome zurückgekommen
und erzählte einen eigentümlichen Vorfall. Er befand sich in
der Deltamündnng des Riesenstromes zwischen den Jnselu und
hatte mit einigen andern Officieren ein Boot bestiegen, um am
Lande zu jageu. Während der Fahrt bemerkten sie, daß ein eigen-
thümlicher Gegenstand, unweit vom Land, aus der Flnt hervor-
tauchte. Vou weitem gesehen, glich derselbe dem Gallion eines
Schiffes. Barros ließ stärker rüdern, kam näherund bald über-
zeugten sich die Brasilianer, daß jener Gegenstand der kolossale
Kops eines großen Thieres sei. Sie jagten demselben vermittelst
einer Miniöbüchse eine Kugel in den Kops, der sofort unter dem
Wasser verschwand. Das Meer gerieth au jeuer Stelle iu heftige
Bewegung.
Man nimmt nun an, daß zwischen dem Berichte Tombarel's
und der Erzählung des Kommandeurs Barros ein Zusammenhang
vorhanden sei. Der Zeitpunkt trifft zu; denn Tombarel kam ein
paar Tage später an die Salmas-Bay als Barros, dessen
Offiziere jenen kolossalen Kopf mit einer Kugel begrüßt hatten.
Auffallend bleibt nur, daß der französische Kapitän weiter
nichts als ein Stück Stückenwirbel von einem mehr als 50 Ellen
laugen Seeungeheuer mitgebracht hat. Die große Bedeutung
eines solchen Thieres mußte doch ein Schissskapitän wohl kennen;
ebenso konnte er wissen, daß ihm die Knochen in Enropa einen
hohen Geldpreis eingebracht hätten. Man sieht, anch bei dieser
„Seeschlange" ist Manches wieder unklar. Es fragt sich nun, was
die Naturforscher zu dem Stück Wirbelbein sagen, dessen man sich
als Stuhl bedienen kann.
Die Insel Wangerooge vor der Küste von Oldenburg, einst
ein berühmtes Seebad, wird bald von der Erde verschwunden sein.
Die Sturmfluten reißen alljährlich mehr. Land fort, und jene,
welche in der Nacht vom 18. auf deu l9. December 1862 wütheten,
haben wieder großen Schaden gethan. Die Insel war in Gefahr,
vou der Springflut völlig verschlungen zu werden. Kein
früherer Orkan, und es sind deren so viele über das unglückliche
Eiland hinweggegangen, war so entsetzlich wie dieser. Unter den
Bewohnern, welche sich anch nach den früheren Unfällen nicht hatten
entschließen können, ihre Heimat zu verlassen, herrschte entsetzliche
Verzweiflung. Augenzeugen berichten, daß die Meereswogen in
wildem, heulendem Gedränge über die ganze Insel hinwegsluteten;
von den wenigen Häusern, welche bis jetzt noch verschont geblieben
waren, verschwandeu sechs, auch jenes, in welchem Gottesdienst ge-
halten wurde, rasch in den Wellen. Durch die Mitte des Landes,
welches von älteren Sturmfluten noch nicht weggeschwemmt worden
war, raste jetzt das Meer, indem es sich einen Weg hiudurchbahute
und eine tiefe Furche iu deu Bodeu riß. Nun hat das wilde Ele-
ment künftig noch mehr Zugang, und Wangerooge ist ohne Rettung
dem völligen Untergange gewecht. Die Stadt Bremen hat bis
jetzt auf dieser oldenbürgischen Insel einen Leuchtthurm unter-
halten und demselben so viele Festigkeit gegeben, als irgend möglich
war. Er ist stehen geblieben und das Werk hat also den Meister-
gelobt.
Ein Orkan auf den Seychellen. Als wir jüngst vom Solomons-
Baum und dessen Doppelnnß sprachen, gaben wir eine Schilde-
rung dieser Inseln und bemerkten, daß dieselben außerhalb der
Region derMeeresorkaue lägen. Diese Thatsache ist im Allgemeinen
auch ganz richtig, und die Bewohner bauen deshalb indem ohnehin
warmen Klima ihre Wohnungen nur sehr leicht auf. Aber in den
Naturerscheinungen kommen auch Ausnahmen vor, und zu diesen
gehört ein entsetzlicher Orkan, welcher am 11. Oktober 1862 über
die Seychellen hereinbrach. Er kam mit furchtbaren Regengüssen,
welche auf Mahe, der Hauptinsel, große Massen von einem Berg
ablösten und dem Flusse, welcher durch Port Victoria strömt, einen
andern Lauf gaben. Dadurch wurden viele Häuser hinweggerissen,
andere stürzten ein, und nicht weniger als 67 Menschen fielen dem
Orkan zum Opfer. Die Noth war groß, zum Glück aber der eng-
lische Kriegsdampfer Orestes au Ort uud Stelle. _ Der Kapitän
ließ Nahrungsmittel aus Land schaffen und durch seineMannschaft
den Schutt ans den Straßen hinwegräumen.
Haifische als Wetterpropheten. Seit zwei Jahren haben
sich an den irischen und britischen Küsten und selbst im Kauale uicht
selten Haisische blicken lassen, sehr gefährliche uud unwillkommene
Gäste, welche früher nur selten beobachtet wurden. Einige Natur-
forscher verkündeten deshalb für das westliche Europa milde
Winter, und sie haben sich nicht geirrt. Die Haifische kommen
nämlich von Westen her im Wasser des Golfstromes, das ja be-
kanntlich viel wärmer ist als jenes des Oeeans, in welchem der
Golfstrom gleichsam einen besondern Fluß bildet. Ihm verdankt
unser nordwestliches Europa sein gelindes Klima. Aber da der
Golfstrom und dessen Temperatur sich gleich bleiben, so fragt es
sich denn doch, ob die Haifische mit deu milderen Wintern etwas
zu schaffen haben; Dov e in Berlin wird wohl eine rationellere Er-
klärung geben.
Die Snlinanttindmig. Nach den amtlichen Mitteilungen
der „Europäischen Donauschifffahrts - Commifsion" sind durch die
Suliua-Müuduugeu aus verschiedenen Häsen der untern
Donau iu das schwarze Meer Eingelaufen:
fchksfe' Tonnen Dam^f. Tonnen
1857 1597 von 288,503 und 141 von 47,377,
dagegen 1860 3288 „ 564.336 „ 203 ., 72,420.
Im Jahre 1861 hat zwar bei den Segelschiffen eine Abnahme
stattgefunden, während bei den Dampfschiffen im Tonnengehalt
eine Zunahme sich gezeigt hat; immerhin ist aber dieBermeh-
rung des Schifffahrtsverkehrs auf der untern Donau
seit den letzten Jahren eine sehr bedeutende und stetig zunehmende.
Die österreichische Flagge hat an diesem Verkehr einen an-
sehnlichen Antheil, da der Tonnengehalt der österreichischen Segel-
und Dampfschiffe beinahe den fünften Theil des Tonnenhaltes
sämmtlicher Fahrzeuge ausmachte. Ueberholt wurde dieselbe nur
vou der griechischen Flagge, ans die 30 Procent des Tonnen-
gehaltes kamen, während die türkische nnd englische 13 Procent,
die sardinische 10 Procent nnd alle übrigen znsammen nnr 14
Procent in Anspruch nehmen.
Die Bleigruben Großbritanniens haben im Jahre 1861
eine Ansbente von 65,634 Tonnen ergeben; Geldwerth 1,445,255
Pfd. St. England hat 224 Bleigruben, Wales 147, die Insel
Man 5, Schottland und Irland haben je 7, zusammen 390
Gruben.
Mineralschätze in Canada. Zu dem Erdöl sind in der
jüngsten Zeit neue Funde gekommen; nämlich bei Sussex Stein-
kohlen; bei Alma im County Albert eine Knpfergrnbe; bei
Lower Prince William, im County Jork, eine Autimonium-
Grube, die erste in Amerika, wo man seither kein Spießglanz
gefunden hatte; eudlich bei Saiut Jreu6e, unweit der Malbay am
Nordufer des St. Lorenz, County Charlevoix, Kupfer und Eisen.
Die drei erstgenannten Oertlichkeiten liegen in Obercauada.
Eisenbahn zwischen Smyrna nnd Ephesns» Sie ist im ver-
floffenen Spätjahre, 15. September, eröffnet, nnd wenn heute
Paulus einen Brief an die Ephefer schreiben wollte, so könnte er
ihn durch den Telegraphen befördern lassen, denn ein solcher läuft
neben der Eisenbahn her. Die Einweihung geschah durch einen
Derwisch, der arabische Gebete sprach. Dann wurde auf den
Ruinen des berühmten Tempels der Diana ein Gastmahl ge-
halten, und Araber, Türken und Europäer zechten in Eintracht
und Heiterkeit.
Die Stadt Chicago in Illinois, einer der wichtigsten Ge-
Getreidehäfen Nordamerikas, hatte im December 1862 eine Be-
völkernng von 137,030 Seelen. Während der letztverflossenen
zwei Jahre betrug der Zuwachs 27,768 Köpfe.
Anwachs der Volksmenge in Australien. Die nachstehenden
Ziffern thnn dar, in welcher Weife die Bevölkerung von Neusüd-
Wales zugenommen hat. Sie betrng 1836: 77,096 Seelen;
1841: 114,765; 1846: 154,534; 1851: 186,243; 1856:266,189;
1861: 349,060 Seelen. Nächst der Hauptstadt Sydney zählten
die meisten Bewohner die Städte Maitland 6096, und Para-
matta 5429 Seelen. _
Volksmenge auf Neuseeland. Nach der Zählung von 1861
betrug die europäische Bevölkerung der beiden großen Inseln
102,014 Seelen, und mit Hinzurechnung der englischen Soldaten
l09,308 Köpfe. Dazu kommen noch^die Insel Stewart mit 53
und die Insel Chatham mit 46 «seelen. Die Hanptstadt der
Grnppe Auckland hatte 7989; Dnnedin, der jetzt so oft ge-
nannte Hafenplatz in der goldreichen Proviug Otago, schon 6523
Seelen. Einen Bericht über die Anzahl der Eingeborenen, der
Maoris, finden wir nicht; es unterliegt aber keinem Zweifel, daß
ihre Zahl schon jetzt weit geringer ist als jene der weißen An-
siedler.
Seransaeaeben von Karl Andree in Leipzig. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildbnrghansen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Nach Barcelona, der Hauptstadt Cataloniens.
Das Reisen in Spanien. — Von Perpignan über den Col de Pertns. — Nach Jnnqnera und Gerona. — Die spanischen Nacht-
wächter. — Schlechte Wege. -— Norias zur Bewässerung der Felder. — Ein Dorfpfarrer. — Auf der Eisenbahn vou Tordera nach
Barcelona. — Bedeutung der Hauptstadt Cataloniens. — Kunstwerke. — Die Straßen. — Der Dom. — Zur Charakteristik der
Bettler. — Die Todtenstadt von Barcelona und die Grabstätten. Maurer als Leichenbestatter. — Die Richtstätte. — Eine Hin-
richtung vermittelst der Garrote. — Bänkelsängerlied ans einen Mörder. — Tanz im Freien. — Die Rambla. —
Das Gebände der Inquisition. —
In unseren Tagen ist eine Reise nach Spanien und int 1 und flach gemacht, wie in den meisten übrigen Gegenden
Lande selbst mit geringen Schwierigkeiten verbunden. In unseres Erdtheils. Die Reise dorthin ist dankbar in vieler
allen Häfen der pyrenäischen Halbinsel legen Dampfer an, Beziehung; mit Interesse betrachtet man den stämmigen
durch die Pyrenäen führen wohlangelegte und gut erhaltene aragonischen Baner, den kräftigen Catalonier, den ge-
Fahrstraßen, und schon nach Verlauf weniger Jahre wird bräunten, nur spärlich bekleideten Valencianer, den Anda-
Spanien von einem Eisenbahnnetze überspannt sein. Die lnsier mit den feurigen Augen und den Castilianer, der
Zeit ist nicht fern, da man von Dresden nach Madrid in anch dann noch eine stolze Haltung bewahrt, wenn er in
drei oder vier Tagen gelangen kann. das allerdürftigste Gewand gekleidet ist.
Eisenbahn >
Alle Länder Europas, vom Nordkap bis zur Straße
von Messina, werden von Touristen durchzogen; mehr oder
weniger verschont blieben bis jetzt nur die sarmatische Ebene,
welche allerdings wenig Anziehendes bietet, und die enro-
päischen Provinzen der Türkei. Die iberische Halbinsel ist
bereits an die Reihe gekommen, und die Zahl der fremden
Reisenden vermehrt sich mit jedem Jahr. Und es verlohnt
sich, namentlich für den Nordeuropäer, in der That, „das
schöne Land des Weins und der Gesänge", den klassischen
Boden des Fandango, des Bolero und der Castaguetten zu
besuchen. Dort ist Vieles neu und auffallend; in Spanien,
dem „ gemilderten Afrika", treten uns manche Eigentümlich-
keiten entgegen, und das Volk ist noch nicht so abgeschliffen
Globus für 18G3. Nr. 33.
i Barcelona.
Bis an den nördlichen Fuß der Pyrenäen, bis Per-
pignan, führt die Eisenbahn. Diese Stadt ist schon
halb catalonisch und die Ortsmundart gleichfalls; ohnehin
gehört das Ronssillon erst seit 1642 zu Frankreich; bis
dahin war diese Landschaft eine spanische Provinz.
In Perpignan besteigt man den Postwagen, der aber
noch gar nichts Spanisches an sich trägt; er hat völlig die
mitteleuropäische Prosa, wird vou einem bürgerlich ge-
kleideten Schirrmeister geführt und von sechs Pferden ge-
zogen. Also noch kein May oral in andalnsischer Tracht,
kein Zagal, kein Dutzendgespann von Manlthieren mit
glänzenden Aparejos. Aber zu beiden Seiten der Straße
stehen Aloöpflanzen, vor deren Spitzen man sich wohl hüten
33
9
258 Nach Barcelona, der
muß, und bald erblickt man den schneebedeckten Gipfel des
Canigou, welcher die übrigen weiß und rosenroth ge-
färbten Berge überragt.
Bald hat man die Ebene hinter sich, kommt durch das
kleine Dorf Bonlon und über den Col de Pertns, einen
steilen Gebirgspaß, aus welchem viele Korkeichen stehen.
Dieser Col bildet seit den ältesten Zeiten den natürlichen
Uebergang in den östlichen Pyrenäen; Pomp ejus und Cäsar
haben ihn überschritten, die Gothen sind über ihn nach
Nlptstadt Cataloniens.
zum großen Verdrnsse der Madrider Regierung, welche gern
alle in derselben gedruckten Bücher vertilgen mochte. Dieser
Dialekt ähnelt dem Limousinischen des Mittelalters, und noch
hente wird in ihm gedichtet. Unter allen Bewohnern der
pyrenäischen Halbinsel sind die Catalonier bei weitem die
betriebsamsten, und das Sprichwort sagt, daß sie aus den
Steinen Brot herausholen können:
Dicen que los Catalanes
I)e las piedras secan panes.
Der Col
Spauieu, die Araber von dort noch Frankreich gezogen.
Ludwig der Vierzehnte ließ in demselben die Burg Belle-
garde bauen, welche den Paß beherrscht.
Die erste Ortschaft auf fpanifchem Boden ist Inn-
qnera; dort nmß man den Paß visiren und das Gepäck
von den Carabineros, so heißen die Zollbeamten, unter-
suchen lassen. Dann kann man sich auf „catalonischem
Boden" frei bewegen. Die Catalonier wollen keine Spanier
sein und sind es auch nicht; sie reden ihre eigene Mundart,
Pertus,
Hinter Juuquera ist das Land ein Wald von Oel-
bäumen, bis in die Gegend von Figueras, das etwa
vierthalb deutsche Meilen nach Süden hin liegt. Diese
Stadt gilt für eine der stärksten Festungen des Landes, für
den „ Schlüssel von Spanienist aber trotzdem mehrfach
genommen worden. Dort bekommt man bereits einen Bor-
geschmack von spanischer Küche im Posthause, Parador de las
Diligeucias. Gut ist sie nicht. Spanien hat manche große
Männer hervorgebracht, aber keinen einzigen berühmten Koch.
Nach Barcelona, der Hauptstadt Cataloniens.' 259
Die nächste Stadt ist Gerona, gleichfalls Festung schicht, loben Gott den Herrn und rufen die Stunden ab.
und schon oftmals belagert. Man hat in Betreff beider Freilich Rattern, die noch jetzt in manchen kleinen Städten
Plätze die Bemerkung geäußert, daß sie für Spanien Deutschlands schnarren, haben sie nicht, doch ihr Ruf und
eigentlich von keinem Nutzen seien und ihm nur im Frieden Gesang erinnern an jenen unserer biederen Nachtwächter,
gehören, denn in den Kriegen niit Frankreich sind sie fast Aber der spanische Name Sereuo klingt hübscher, und auf
immer von dieser letztern Macht eingenommen worden, der andern Seite der Pyrenäen sind ja die Nächte zumeist
Gerona bietet übrigens manche Merkwürdigkeiten dar, zum heiter; also mag der Ausdruck passem Der Gesaug beginnt
Beispiel in den engen und krummen Gassen allerlei wunder- gewöhnlich mit: Alabado sea Dios, Gelobt sei Gott;
liches Schnitzwerk an den Häusern. Der Dom liegt aus daß aber auch die heilige Jungfrau uicht vergessen wird,
Auf dem Col de Pertus.
einer Anhöhe, und an der Puerta de los Apostoles steheu versteht sich von selbst. In Andalusien hat sie sogar den
die zwölf Sendboten, nicht als steinerne Figuren-, sondern Vorrang.
sie sind aus Terracotta verfertigt und zwar Anno 1458. Der Nachtwächterordnung gemäß versammeln sich die
Die Post kommt zu Gerona in der Nacht an, und der Serenos, ehe sie ihre Rundgänge antreten, vor dem Rath-
Reisende vernimmt hier zum ersten Male den melancholischen Hause, dem Ayuutamiento, und von dort ans geht jeder in
Ruf oder Gesang der Serenos, gut deutsch ausgedrückt j sei» Stadtviertel. Der Sereuo ist ein nützliches Mitglied
Nachtwächter. Da schreiten sie einher, diese würdigen der meuschlicheu Gesellschaft; er sieht, gerade wie bei uns,
Männer, angethan mit einem steingrauen Mantel, mit genau zu, ob die Thüreu Wohl verschlossen stud; in
Pike, Laterne und Säbel, wachen, daß kein Schaden ge- dringenden Fällen läßt er sich herbei, die Comadre, zu
260
Nach Barcelona, der Hauptstadt Cataloniens.
deutsch die Hebamme, oder den Arzt, oder den Geistlichen
zu holen; auch wird behauptet, daß er für Geld und gute
Worte den Vermittler zwischen liebenden Seeleu abgebe.
Daß er Fremde, welche sich in den Straßen verirrt haben,
znrechtweis't, gehört eigentlich mit zu seinen Obliegenheiten.
Doch der Postwagen ist angeschirrt, wir müssen ein-
steigen. Wir haben Plätze für die Imperiale belegt. Aber
Himmel! dort oben sitzen catalonische Bauersleute, und
zwar nicht weniger als sieben Mann ans den vier Sitzen,
in einen Thunfisch hinein, steckte die Kerze in das Loch, und
so konnten die Leute doch sehen, wo sie waren.
Weiterhin wurde der Weg noch schlechter und die
Stöße kamen immer derber. Da hielt plötzlich der Wagen
an. Was war das? Weiter nichts, als daß ein Bach eben
so stark angeschwollen war, daß ein Durchfahren uicht
räthlich erschien, und da man nie daran gedacht hatte, eine
Brücke zu bauen, so mußte ebeu still gehalten werden, bis
sich das Wasser etwas verlaufen hatte. Dadurch gewannen
Auf beut Col de Pertus. Korkeiche.
bärtige, verwegene Kerle, die sich aber doch am Ende herbei-
lassen, herabzusteigen und im Wagen selber Platz zu nehmen,
unter und zwischen einem Dutzend mächtig großer Thun-
fische, die aus der kleinen Hafenstadt Palamos gebracht
worden waren. Ueberhaupt merkten wir, daß wir uns auf
spanischem Bodeu befanden, denn die Landstraße war ab-
scheulich und das Rütteln entsetzlich. Wir erbarmten uns
der Bauern und reichten ihnen ein Wachslicht in den Wagen
hinab. Da zog der eine flugs sein Messer, rannte dasselbe
wir Reisenden Mnße, uns die Gegend zu betrachten; ohnehin
war es nun Tag geworden. Die Felder prangten in
üppigem Grün, Dank den Norias, vermittelst deren man
das Land bewässert. Sie sind besonders häufig iu Cata-
louieu und Valencia; Spanien verdankt die „Ananra",
woraus Nona geworden ist, den Arabern. Unser Bild
zeigt, wie eine solche sehr primitive Vorkehrung beschaffen ist.
In einem benachbarten Dorfe machten wir Bekannt-
schaft mit dem Pfarrer, einem wohlgenährten Manne, dem
Nach Barcelona, der Hauptstadt Catalomcns.
261
offenbar eine behagliche Weltverdauung nicht fehlte. Er
hatte eben Gottesdienst gehalten, — wir hatten Sonntag,—
war im Gespräch mit mehreren Leuten aus der Gemeinde
und rauchte gemüthlich seiue Purocigarre. Niemand nimmt
Anstoß daran, daß eiu Geistlicher auf der Straße Tabak
raucht: es ist eben Laudessitte, und er steckt sich ganz nn-
befangen feine Cigarrette bei der Kirchenlampe an. In
den spanischen Kolonien, namentlich in den füdamerika-
nifchen Republiken, ist es ebenso.
nach Barcelona ans den Markt bringen. Nach und uach
füllten sich die Wägen, aber der Zug ging nicht ab, wiewohl
die anberaumte Zeit längst vorüber war. Die Reisenden
hatten Gelegenheit vollauf, die Insassen der dritten Klasse
zu betrachten. Der Anblick war bnnt und malerisch. Da
saßen catalouische Bauern, bekleidet mit Hosen von Sammt-
Manchester, gestreiftem Gürtel und kurzer Jacke, zwischen
Bergen von Melonen und anderen Früchten. Einige hatten
sich in ihren Mantel gehüllt und schliefen, andere schmauch-
Nachtwächter in Catalonim.
Nach Verlauf von etlichen Stundeu war das Wasser
nur noch etwa anderthalb Ellen hoch, und die Durchfahrt
konnte gewagt werden. Freilich wurden die Bauern und
die Thunfische dabei naß, aber zum Glücke war Tordera
uahe, und bis dahin die Eisenbahn, welche Barcelona und
Perpignan verbinden wird, schon vollendet. Also wurde der
Post mit leichtem Herzen Lebewohl gesagt.
Der Frühzng stand bereit; viele Landlente hatten sich
mit Früchten und Gemüsen eingefunden uud wollten sie
ten ihre Papiercigarre; das Ganze bot eiu frappantes Ge-
mälde dar.
Die Bahn nach Barcelona läuft fast immer am Meere
hin und die Landschaft erinnert an jene zwischen Neapel
und Castellamare. Zur Linken liegt das blaue Meer, zahl-
reiche Fischerbarken mit schimmernden Segeln wiegen sich,
Möven vergleichbar, auf der blinkenden Flut; zur Rechten
weidet sich das Auge an dem dunkeln Grün der Johannis-
brot- und Orangenbäume, und auch an Abwechselung fehlt
262
Nach Barcelona, der Hauptstadt Catalomens.
es nicht. Denn zwischen Tordera und Barcelona liegen
nicht weniger als fünfzehn Dörfer und einige Städte, zum
Beispiel das gewerbreiche Matara, aus dessen Feueressen
Rauchmassen emporwirbelten. Die Straße hat zu beiden
Seiten eine Einfassung von Cactns und die Bahn folgt
den Windungen des Ufers; sie liegt fast in gleichem Spiegel
mit dem Meere, und wenn dieses hoch geht, dann sieht es
so aus, als ob die Schienen vom Wasser überflutet wären
und die Wägen im Oceane dahin rollten.
Endlich sind wir in Barcelona. Der unsterbliche
Dichter des Dou O.nixote bezeichnete diese Stadt als einen
Ursitz feiner Sitte, ein Asyl der Fremden, als Spital der
Armen, Heimat tapferer Männer, Zuflucht der Gekränkten,
als einen Ort, der einzig dastehe durch Lage und Schönheit.
Und in der That ist Barcelona eine merkwürdige und fehens-
werthe Stadt. Sie liegt am Fuße des MoutJuich (Juden-
nun Dampfer aus dem Wasser; der biedere Knappe würde
diese Rauchschiffe für Werke des Zauberers Merlin halten.
Die rührige Thätigkeit erinnert an jene von Marseille; man
sieht aus den ersten Blick, daß man sich iu einer Weltstadt
befindet, in welcher Menschen aus alleu Erdtheileu zu-
fammenströmen. Aber manche Stadttheile haben doch ein
eigenthümliches Gepräge sich bewahrt, und zu diesen gehört
die Calle de la Plateria, die Goldschniiedestraße. Eine
solche findet man fast in allen Städten Spaniens, und es
verlohnt sich schon der Mühe, einen Blick in die Läden zu
werfen. Man trifft in denselben mancherlei Gold- und
Silberschmuck, oft sehr plump und schwer, denn das ent-
spricht der Liebhaberei namentlich des Landvolkes; die For-
nteit sind zumeist ganz eigentümlich, man möchte sagen
halbbarbarisch, aber für uns Leute aus den großen Städten
Nordeuropas haben sie etwas Originales, z.B. die mächtig
Eine Noria.
Herges), der die Citadelle bildet und hoch über alle Kirch-
thürme emporragt.
Die Bedeutung Barcelonas ist in der neuern Zeit
wieder gewachsen. Im Mittelalter war es eine der be-
deutendsten Städte Europas und wetteiferte als Handels-
platz mit Venedig und Genua, und auch die Kunst ging
nicht leer aus. Denn die Bildhauer von Barcelona waren
im fünfzehnten Jahrhundert berühmt, und noch jetzt sind
von ihnen manche schöne Arbeiten in Stein, Erz und Eisen
vorhanden, und namentlich die letzteren sind bemerkenswerth.
Sie rühren her von den Rejeros, einer Zunft von Kunst-
lern, welche hauptsächlich eiserne Gitter für Kirchen und
Klöster lieferten; die Arbeit an denselben ist manchmal so
schmuck und fein, daß man glauben könnte, sie sei von Gold-
schmieden verfertigt worden.
Gegenwärtig zählt die Stadt mehr als 120,000 Ein-
wohner und ist zugleich der wichtigste Handelshafen und
die bedeutendste Fabrikstadt des Königreichs. Statt der
Galeeren, welche Sancho Panfa für Ungeheuer hielt, liegeu
großen Ohrringe. Diese sind manchmal so schwer, daß der
Ohrlappen allein sie nicht tragen kann; deshalb muß als
Nebenträger eine Kordel über dem Ohre befestigt werden.
Die Ringe haben gewöhnlich rothe oder grüne Steine;
Statuetten der Madonna von Montserrat, welche bei den
Cataloniern in hohem Ansehen steht, sieht man zu Hunder-
ten und Tausenden.
Die Kirchen Barcelonas reichen zum Theil in das
früheste Mittelalter hinein; manche haben einen, man könnte
sagen zierlichen Styl, und unterscheiden sich in vielen
Dingen wesentlich von unseren nordischen Kirchen. Ans-
fallend erscheint für uns die gemischte Anwendung von Erz
und Stein, welche nicht selten ungemein glückliche Wirkungen
hervorbringt, z. B. an einer großen Engelsgestalt aus dem
fünfzehnten Jahrhundert; das Standbild ist von Stein, die
Flügel sind von Bronce. Die Domkirche, von den Ca-
taloniern Se-u genannt, hat keine Facade, aber das Innere
ist wunderschön. Das hohe Gewölbe wird von schlanken
Pfeilern getragen und die gemalten Glasfenster geben ein,
Nach Barcelona, der Hauptstadt Cataloniens.
263
man möchte sagen, geheimnißvolles Licht, und unter dem
Chor brennen in eine Krypte viele Kerzen zu Ehren der
Schutzheiligen.
Esta es la Eulalia, la de Barcelona,
I)c la rica ciudad la rica joya.
Diese heilige Eulalia gilt also für ein reiches Juwel
der reichen Stadt. Wir müssen hervorheben, daß die Orgel-
pfeifen int Dome von Barcelona nicht, wie in unseren
Kirchen, senkrecht stehen, sondern wagerecht liegen; so sehen
Erfahrung macht den Meister. Der Künstler weiß genau,
an welchen Stellen er sich zu gewissen Tagen einzufinden
habe, um gute Geschäfte zu machen, mit welchen Redens-
arten er die Leute je nach Stand, Alter oder Geschlecht an-
reden müsse; er legt Tonwechsel in seine Bitten, beobachtet
da, wo er gute Wirkung erwartet, ein beredtes Schweigen
mit dem Mund und läßt nur Augen und Mienen sprechen.
Aber manchmal schreit er anch aus voller Lunge' und brüllt
wie ein reißendes Thier. Aber zudringlich wird der Ge-
werbsverständige nie; er kennt das spanische Sprichwort,
Durch einen Gießbach.
sie aus wie übereinander gestapelte Kanonen- und Flinten-
länfe. An dem Untersatze, welcher die Orgel trägt, fanden
wir einen Ungeheuern Saracenenkopf mit einem gewaltigen
rothen Barte. Derartige Mohrenköpfe sind, beiläufig be-
merkt, in den spanischen Kirchen überhaupt keine Seltenheit.
In dem zur Domkirche gehörenden Kloster sind mehrere
Kapellen mit wunderschönen Rejas, das heißt den oben
erwähnten Eisengittern. Im Klosterhofe beschatten hundert-
jährige Orangenbäume einen herrlich gearbeiteten Spring-
brunnen aus dem fünfzehn-
ten Jahrhundert. Er wird
alsFuente delosOeas,
Gänsefontaine, bezeichnet,
weil das Wasser aus dein
Schnabel vou ehernen Gän-
sen hervorspringt. Wir
sahen uns völlig in's Mit-
telalter versetzt, und oben-
drein war der Mirakelhof
mit Bettlern, Landstreichern
und Lumpengesindel ange-
füllt, malerischem Volke,
desgleichen wir im übrigen
Europa längst nicht mehr
sehen.
In Spanien ist die
Bettelei ein Handwerk, ein
Gewerbe wie jedes andere. Der Manu, welcher sich diesem
Nahrungszweige zugewandt hat, fühlt sich in seiner Würde;
ja man kann ihn stolz nennen. Er hüllt sich mit Anstand
in seinen zerlumpten Mantel, uud es ist nicht selten, daß
solch ein Mann ein alter Soldat, ein Guerillero aus beut
Unabhängigkeitskriege ist, oder und zwar noch öfter aus
den Zeiten der karlistifchen Kämpfe. Gewöhnlich ist er mit
einem langen Stocke bewaffnet, dessen er allerdings sehr
nothwendig bedarf, um die Huude abzuwehren; denn diese
leben auch in Spanien aus gespauutem Fuße mit deu Bett-
lern. Wer feilt Gewerbe richtig versteht, treibt dasselbe als
Philosoph, als Künstler. In vielen Familien erbt es vom
Vater auf deu Sohn; der Knabe prägt sich die Lehren und
Weisungen, welche der Vater ihm einschärft, wohl ein, und
Im Zollhciuse zu Junquera.
daß ein unverschämter Bettler nüchtern nach Haufe
kommt.
Die spanischen Kirchen haben keine Stühle, sind aber
mit dicken Matten belegt.
Was wir Kirchhof oder Leichenacker nennen, paßt nicht
für die Begräbnißstätten in den größeren Städten Spa-
uieus und namentlich nicht für Barcelona. Hier würde
man Blumen oder einen Grashalm vergeblich suchen; Alles
ist Stein und Marmor. Man denke sich lange, parallel
laufende Gänge, denen zn
beiden Seiten entlang eine
hohe Mauer läuft. Diese
hat lange Reihen regel-
mäßig angebrachter Fach-
löcher oder Nischen, in
mehreren Geschossen über-
einander, etwa in der Weise
wie Taubenschläge auf un-
seren Landgütern. Jedes
Fach ist für einen Sarg
bestimmt, und beim Be-
gräbniß, — doch kauu von
„ begraben" keine Rede sein,
— verfährt man in folgen-
der Weise.
Eine Leiche wird ange-
sagt, nicht beim Todten-
gräber, denn einen solchen kennt man nicht, sondern beiden
Maurern, weil diesen es obliegt, dem Menschen, welcher
aus dieser Welt geschieden, seine letzte Ruhestätte anzuweisen.
Die Todtenstadt in Barcelona bildet eine Menge von Gassen
und bietet einen merkwürdigen Anblick dar. Gräber der
Neichen sind mit Marmorplatten belegt und tragen den
Namen des Verstorbenen. Die Plätze werden gekauft, ge-
rade so-wie bei uns. Wenn aber nach Ablauf einer gewissen
Zeit die Familie den Preis nicht bezahlt, dann nimmt man
die Leiche heraus, bringt sie in die sogenannten Zangas
und wirft sie dort in eine Grube, wo sie mit anderen ver-
brannt wird. -
Leichenzüge sind in Spanien nicht gebräuchlich; nur
die Familienglieder und die allernächsten Freunde gehen mit
266 Nach Barcelona, der;
zur Begräbuißstätte und sehen, wie der Sarg beigesetzt
wird. Wir waren, sagt Davillier, bei einer solchen Scene
zugegen. Die Maurer schoben eine plumpe Doppelleiter
heran, vermittelst welcher sie zu den höchsten Geschossen ge-
langen können, vor eine der Oeffnungen. Dort reichte der
Sepulturero, der Leichenträger, ihnen den mit künst-
liehen Blumen geschmückten Sarg, in welchem ein Kind lag.
Die Verwandten standen dabei und trösteten die weinende
Mutter. Die Maurer aber rauchten ihre Cigarren, ver-
richteten ihre Obliegenheit ganz handwerksmäßig, schoben
den Sarg hinein und verschlossen die Oeffnung mit Ziegel-
steinen und Mörtel.
Wir nahmen uns den Sepulturero zum Führer, und
er zeigte uns den Leichensaal, in welchem die Verstorbenen
vier und zwanzig Stunden liegen bleiben, ehe man sie in
den Sarg bringt. Um den Arm des Verstorbenen ist ein
Bindfaden geknüpft, der mit einer kleinen Glocke in Ver-
bindung steht. So wird kein Scheintodter in Gefahr
kommen, lebendig begraben zu werdeu, denn Tag und Nacht
ist eiu Wächter neben der Glocke. Seit Menschengedenken
ist übrigens kein Scheintodter bemerkt worden.
Vom Kirchhofe zur Richtstätte ist nicht weit. Nun
traf es sich, daß während unserer Anwesenheit ein Verbrecher
in die andere Welt befördert werden sollte. Das geschieht
nicht, wie in anderen „civilifirten" Ländern, durch Galgen,
Rad, Schwert, Guillotiue, Pulver und Blei, sondern ver-
mittelst der Garrote, einer Erwürgungsmaschine,
welche unter allen Uniständen ihren Dienst ganz 'zuverlässig
verrichtet.
Solch eine Erwürgung von Rechtswegen bildet alle-
mal eiue wichtige Begebenheit. Die Ciegos, das heißt
die blinden Leute, welche, wie wir sagen würden, „Schriften,
gedruckt in diesem Jahre" verkaufen, schreien in den Straßen
den Lebenslauf des Verbrechers aus und verkündigen das
Programm der Hinrichtung. Insgemein wird diese außer-
halb einer Vorstadt auf freiem Felde vollzogen. Nun be-
merkt man überall ein unruhiges, hastiges Treiben: auf den
öffentlichen Plätzen steht Wagen an Wagen; alle füllen sich,
fahren rasch hinaus, bringen die Neugierigen an Ort und
Stelle nnd kommen in vollem Trabe zurück, um eine neue
Ladung einzunehmen. Tausende gehen zu Fuß hinaus, und
der NichtPlatz gleicht einem Jahrmarkt, auf dem viel gegessen
und getrunken wird, nnd wo — es ist überall so! — Per-
sonen weiblichen Geschlechts die Mehrheit bilden.
Der arme Sünder hat oft eine weite Strecke zurück-
zulegen. Man zieht ihm einen gelben Kittel über und setzt
ihn auf einen Esel. In Spanien ist Gelb Farbe der Trauer.
Nun hatte Francisco Vilar<>, ein ohnehin übel beleninun-
detes Individuum, den Alcalden, das heißt Schulzen, seines
Dorfes ermordet. Er hielt sich nur mit Mühe auf dem
Esel fest; zwei nebenher gehende Priester, die ihn: ein Ge-
betbuch in die Hand gegeben hatten, mußten ihn unterstützen.
Vilaro blickte bald anf das Buch, bald ans die Menge; sein
Ange war verschwommen. Mitglieder der Neuebrüderschaft
gingen in langer Reihe vor und hinter dem Delinquenten.
Einige trugen Kerzen, andere Christusbilder, noch andere
hatten Fähnchen in der Hand, aber alle saugen Sterbelieder.
Diese Renebrttder verhüllen das Haupt mit einer Kapuze,
in welcher zwei Löcher für die Augen angebracht sind. Ihr
Gesang klingt dumpf nnd schauerlich. Wir dachten unwill-
kürlich an die Tage, als die Inquisition noch in Blüte stand.
Vilaro war nun a» Ort und Stelle. Auf dem hohen
Blutgerüste stand eine Bank, deren Hinterlehne eiu dicker
Pfahl ist. Der Henker, wie ein gewöhnlicher Taglöhner
gekleidet, wies dem Sünder den Platz an, band ihm Leib
und Hände am Pfahle fest und legte ihm mit den Hals ein
uptstadt Cataloniens.
eisernes Band, das vermittelst einer Vorrichtung durch eine
Schraube enger gemacht werden kann. Sobald der Henker
die letztere dreht, findet die Erwürgung in einem Angen-
blicke statt.
Jetzt wurde Alles still. Der Priester gab dem Deliu-
quenten ein Crucifix in die geknebelten Hände nnd erlaubte
ihm, die Menge anzureden. Er bat den lieben Gott und
die Menschen um Verzeihung und sagte, man möge sich an
ihm eiu Beispiel nehmen. Der Henker stand inzwischen
hinter dem Pfahle bereit; nun hob er die Hände empor, ein
Zittern durchbebte die Menge. Dreimal drehte er am
Schraubenstock, und bei jedem Male machte er das Zeichen
des Kreuzes. Die Weiber schrieen: Ach, der Arme! Vilaro's
Kopf nickte nach der Brnst hinab, blieb dann nnbeweg-
lich, die Zunge quoll aus dem Munde hervor nnd das Ge-
sicht wurde blau. Die Menge zerstreute sich langsam, aber
der Hingerichtete mußte noch eiuige Stunden ausgestellt
bleiben; Soldaten zn Roß und zu Fuß bildeten eiu Viereck
um das Gerüst.
Vilaro's Missethaten waren in ein Bänkelsänger-
lied gebracht und dieses wurde als Flugblatt verkauft.
Merkwürdig, daß diese Art von Volkspoesie überall dasselbe
Gepräge trägt. Ans der „ Morithat" bei Barcelona wollen
wir Einiges mittheilen. Das Blatt führt den Titel: „Er-
mordung des Alcalden von Nipollet." Darin heißt '
es:
„Der Mensch, der einen Mord begeht, und macht deu
andern todt, der ist nichtswürdig für und für, Mitleid ver-
dient er nicht.
Nun seht hier den Verbrecher an, Francisco Vilaro,
einen Bauersmann aus Ripollet, einen schlechten Kerl und
Lump.
Wenn irgendwo ein Huhn war weg, dann sah man
gar nicht nach; man wußte ja schon allemal, der Vilaro hat's
gediebt.
Sein Feld, das ließ er außer Acht, bestellt es niemals
nicht; er bummelt lieber auf die Jagd, das. macht ihm mehr
Plaifir.
Da kam der vierte September heran. Der schlechte
Kerl der Vilaro, der nur auf Mord und Tücke sann, stand
Morgens auf schon früh.
Die Kirchenuhr zu Nipollet, die schlug gerade halb
sechs, da ging der Alcalde Jose Cot, auf einem schattigen
Weg.
3?un hört man plötzlich einen Knall, der Alcalde schreit
O weh! Und weiter hat er nichts gesagt, denn im Umsehn
war er todt!
Denkt nur, neun Kugeln waren ihm, gefahren in den
Leib. Der Mörder beging mit Vorbedacht feine gräßliche
Missethat.
Da kam aber die Gendarmerie (im Spanischen: mozos
de la eseuadra, eine Miliz in Catalonien und Valencia,
welche aufgeboten wird, wenn es sich darum handelt, ge-
fährliche Verbrecher einzusaugen), die liebt er gar nicht
sehr; sie nahm ihm seine Flinte weg, und band ihm Hand
und Fuß.
Für achtzig Thaler Sündengeld, die Juan Bordas
ihm gelobt, weil er deu Alcalden hassen that, beging Vilaro
den Mord.
Zehn Thaler Handgeld gab Bordas ihm, als Ab-
schlagszahlung gleich; ein Schuft betrog deu andern Schuft,
denn fünfe waren falsch.
Nach Barcelona bringt man die zwei, und coufroutiret
sie; das Leugnen half dem Bordas nicht; er mußte ein-
gestehn.
268 . Nach Barcelona, der
An einen Pfahl band man ihn fest, legt um den Hals
einen Neif. So hört er dann sein Urthal an: Bagno auf
Lebenszeit.
Der Vilaro, der schlechte Kerl, der ist uun garrotirt.
Er wurde sechszig Jahre alt. Das hat er für den Mord!"
Diese Flugblätter sind gewöhnlich >uit Holzschnitten
von klassischer Naivetät verziert. In einigen kleinen Städten
bildet die Verfertigung solcher Gedichte und der dazn ge-
hörenden Holzschnitte einen lohnenden Erwerbszweig (wie
bei nus in Deutschland z. 33. in Ruppin) für manche Leute,
z. B. für Manrefa in Catalonien und Carmona in
Andalusien. Diese Fabriken liefern aber auch Heiligen-
legenden, Romanzen, Tauf-, Trau - und Sterbelieder, über-
Haupt svgeuanhte P l iego s. Alle sind einzig in ihrer
Art. — '
Das menschliche Leben bewegt sich in Gegensätzen,
und so fügte der Zufall, daß wir auf dem Wege von der
Die Rambla
Todteustadt an eine Stelle kamen, wo Ball im Freien
gehalten wurde. Auf den Nasenplätzen vor der Festung
belustigten sich catalonische Matrosen mit dem Bolaspiel;
weiterhin liegen die elysäischeu Felder, eiu schattiger Wandel-
gang am Ende der Stadt. Wir hörten Musik uud traten
in einen Saal, in welchem elegant gekleidete Paare tanzten;
aber wir waren nicht nach Barcelona gekommen, um einen
Ball anzusehen, wie man ihn in jeder europäischen Stadt
haben kann, uud eilten wieder in's Freie. Unter einem
schattigen Baume schlürften wir mit Behagen Orchata de
Chufas, den mit Nuß durchwürzten Schnee. Unter den
auf- und abwandelnden Frauen hatten manche eine höchst
aniliuthige Haltung; der Corpino oder schwarze Spenser,
der kurze Rock uud ein rothseidenes, um deu Kopf gewuu-
deues Tuch, — das Alles stand ihnen vortrefflich; nicht
minder die einfache natürliche Blume, welche deu Haarputz
bildete. Die Herreu trugen den Marsille, die kurze cata-
Ionische Jacke, uud das leicht um deu Hals geschlungene
iuptstadt Catalomms.
Tuch war vorne durch eiueu silbernen Ring gezogen. Diese
Leute waren Fabrikarbeiter und Weber; auch die Volks-
musiker waren Handwerker.
Die elegante Bevölkerung von Barcelona kann man
sich in aller Muße aus der Rambla betrachten, denn diese
breite, von Bäumen beschattete Straße bildet ihren Lieb-
lingsspaziergang. Man kann sie etwa mit den Berliner-
Linden oder dem Corso italienischer Städte vergleichen, und
das Gedränge ist oft so groß, daß die Damen nicht einmal
mit beut Fächer spielen können. Dort findet man die vor-
nehme Senora in Seide uud Spitzen, und deu Fischer, der,
seine rothe oder braune Gorra auf dem Kopfe, die Jacke
über der Schulter trägt und den modisch gekleideten Stutzer
mit seinen Elbogen zur Seite drängt.
Unweit der Rambla liegt das Gerichtsgebäude. Es
stammt aus dem fünfzehnten Jahrhundert; im Patio, dem
innern Hofraum, steheu uralte Orangenbäume, welche
in Barcelona.
beinahe bis an die Höhe der Dächer reichen. Unter einer
Galerie sehen wir die Tische der Advokaten, welche ihre An-
gelegenheiten mit ihren Elienten im Freien abmachen.
Man zeigte uns die G efän gn isfe der Inqnisiti on.
Das Gebäude ist finster, äußerst massiv und hat nur kleine
Fenster. Das gräßliche Tribunal hat in Barcelona manches
Opfer gefordert; Folter und Mord gingen, natürlich immer
im Nanien der „Religion der Liebe", lustig tut Schwange,
und dieser schauderhafte Frevel zog sich durch Jahrhunderte!
Außerhalb der Stadt, auf dem P r ad o deSanSeba st i a n,
ist der Quem ad er o, der „Verbrenuungsplatz", auf welchem
die Ketzer „zur größer« Ehre Gottes" deu Flammentod
sterben mußten.
Das Jnqnisitivnsgebände paßte völlig für seine schenß-
liehen Zwecke. Der Mnsterinqnifitor, Tor quem ada,
jener geistliche Mörder, welcher alle Anderen seines Ge-
lichters überragte, muß sich iu demselben recht Wohl befunden
haben. Kein anderer Mensch kann sich rühmen, mehr Ketzer
270 . Die Kolonie Queenslm
verbrannt zn haben. Das war im sechszehnten Secnlnm.
Aber hundert Jahr später hatte die heilige Inquisition von
ihrem grimmigen Eifer noch nicht das Mindeste eingebüßt.
Ein Holländer, welcher 1067 eine Reise durch Spanien
machte, hat eine lebhafte Schilderung entworfen. Dieser
Mann, Aarsens van Sommerdyke, schreibt:
„Dein Angeklagten wird sein Ankläger nicht namhaft
gemacht. Man nimmt ihn fest, bringt Ihn auf die Folter;
er wird verurtheilt und dann verbrannt. Gelegenheit, sich
zu vertheidigeu oder zu verantworten, wird ihm nicht gegeben.
Als ich darüber meinen Tadel aussprach, wußten die Lente
mir weiter nichts zu entgegnen, als: man könne in
Spanien kein schöneres Schauspiel sehen, als ein
Anta da Fe der Inquisition. Denn so bezeichnen sie
die Hinrichtung eines armen Sünders, und sie betrachten
dieselbe ungefähr mit denselben Augen wie ein Stiergefecht.
Häufig werden Leute von der Inquisition verhaftet, denen
weiter nichts zur Last fällt, als daß man in ihnen heimliche
Mohammedaner oder Juden wittert, sie des Morismns
oder Judaismus für verdächtig hält. Solcheu Verdächtigen
setzt man die Coroca auf den Kopf, eine hohe, spitze
Mütze von gelbeni oder rothem Papier, und deshalb nennt
in Nordost-Australien.
mau diese Unglücklichen Encorocados. So führt man
sie durch die Straßen; die Inquisitoren und ihre Beamten
gehen voran, und der Zug begiebt sich nach der Dominikaner-
kirche, wo eine lange Predigt gehalten wird. Manche Ver-
dächtige, welche man für rückfällig hält, werden öffentlich
ausgepeitscht; andere bekommen den San Benito, eine
Art Stola, welche sie am Halse tragen müssen. Die Namen
solcher Sünder werden ausgeschrieben und an den Kirchen-
wänden befestigt. Neben jedem Namen macht man ein
Andreaskreuz, und von solchen sind die meisten Kirchen
Spaniens voll."
So schreibt der Holländer, und solche Kreuze sieht
man auch jetzt noch, obwohl der Inquisition längst ihr
Handwerk gelegt ist. Diese Zeichen einer fanatischen Bar-
barei sind noch nicht völlig verwischt worden, aber sie ge-
hören jetzt der Geschichte an.
Ans die Inquisition passen die Verse aus Goethe's
Braut von Korinth:
Opfer fallen hier,
Weder Lamm noch Stier,
Aber Menschenopfer unerhört!
Die iiulouic (Öiiffiislmii) in Uordost Äustralie».
Zweiter Artikel.
Die schwarzen Eingeborenen und ihr Mangel an Kulturwerth. — Körperbau und Lebensweise. — Kannibalismus; Beweise für dessen
Vorhandensein. — Hochzeitsgebräuche. — Gespensterglanbe.— Der Tingre Mani. — Der Hund in hohen Ehren. — Hordeuleben;
alte Frauen als Inhaberinnen der höchsten Gewalt. — Die weißen Ansiedler. — Jagd auf wilde Menschen. —
Die Squatters. — Das Parlamei t. —
Wer die Eingeborenen Neuhollands näher beobachtet
hat, wird uicht daran zweifeln, daß sie in Bezug ans
Intelligenz eine ungemein niedrige Stufe einnehmen. Der
Sinn der Perfektibilität mangelt ihnen ganz und gar, und
sie können nichts Anderes werden, als was sie einmal sind;
von der Fähigkeit, sich zu entwickeln und auf eine höhere
Stufe zu gelangen, kann gar keine Rede sein. Noch heute
sind sie genau so wie damals, als die ersten Europäer ihr
Land betraten. Man hat große Mühe, zu glauben, daß
die weißen und schwarzen Menschen einem und demselben
Genus angehören. So roh und wild sind die Eingeborenen
von Queensland und Neusüdwales, aber im Innern des
Jnselkontinentes giebt es Stämme, die etwas weniger wild
erscheinen.
Es ist nicht richtig, wenn man sagt, daß die Australier-
mißgestaltet seien. Mareet erklärt ausdrücklich, daß die,
welche er beobachten konnte, sehr wohlgestaltet waren; sie
hatten einen schlanken, zartgebauten Leib und breite Schultern,
und allerdings etwas längere Arme als wir Europäer; aber
das kommt ihnen beim Klettern aus die Bäume sehr zu
statten. Wohlbeleibte Leute sind selten, und das erklärt sich
leicht aus der armseligen Lebensweise, welche der Australier
„im Busche" führt. Auch ist es, wie wir später sehen
werden, gar nicht gut, wenn einer recht dick und hübsch fett
ist. Die Frauen sind im Allgemeinen nicht übel gewachsen
und haben festeres Fleisch als die afrikanischen Negerinnen;
unser Gewährsmann sah Australierinnen mit so schön ge-
formten Beinen und Armen, daß jede Europäerin sie darum
wohl hätte beneiden können. Die Beobachtung hat keiue
Schwierigkeiten, da beide Geschlechter sast immer ganz im-
bekleidet gehen. Die Haut ist nicht ganz so schwarz wie
beim Neger, die Lippen sind weniger wulstig, das Haar ist
nicht so kurz imd auch weniger gekräuselt, das Auge uicht
so groß, aber sehr lebhaft; die Stirn tritt mehr zurück.
Aber auch bei ihnen, wie bei den Negern, dünstet die Haut
einen höchst widerwärtigen Geruch aus. Wenn Mareet
die Ansicht äußert, daß derselbe vou Unreinlichkeit und von
der Nahrung herrühre, so ist er offenbar im Unrecht; diese
Ausdünstung ist eine Nasseneigenthümlichkeit.
Diese Australier haben, wie schon angedeutet wurde,
gar keine Vorstellung von Verbesserung oder Fortschritt; sie
denken nicht daran, sich zu bekleiden, bessere Wohnung oder
gesundere und kräftigere Nahrung zu verschaffen, und fühlen
nicht einmal das Bedürsniß nach dergleichen. Durch Kälte
und Regen leiden sie sehr, und doch gehen sie nackt; sie leiden
fast immer an UnVerdaulichkeit und genießen doch nur rohes,
hartes und ungesundes Fleisch. Den Rheumatismus
werden sie nicht los, schlafen aber trotzdem anf der feuchten
Erde, ohne andere Bedeckung als ein Stück Baumrinde oder
Blätter. Und doch sehen sie es täglich vor Augen, wie die
Europäer leben: aber das kümmert sie nicht, selbst das
Streben zum Nachahmen so handgreiflicher Dinge geht
ihnen ab. Es ist unbestreitbar: sie haben einen äußerst ge-
ringen oder vielmehr gar keinen Kulturwerth, uud die
Theoretiker, welche von einer unbedingten Perfektibilität
aller Menschen träumen, werden auch bei diesen Australiern
Die Kolonie Queensla
mit ihren, aller Ethnologie Hohn sprechenden Phantasien
bankerott.
Die Nahrung besteht aus dem Fleische des Opossums,
des Bandicnt (einer Abart des Käu gern), der großen
Eidechsen, welche vier bis fünf Fuß lang werden, und
Schlangen; auch Gewürm wird nicht verschmäht. Früchte
oder Gemüse haben sie nicht, wohl aber dann und wann
wilden Honig. Von eigentlicher Zubereitung des Fleisches
ist keine Rede; höchstens wirst man das ganze Thier aus
die Kohlen und zieht ihm nicht einmal immer das Fell ab.
Schon uach wenigen Minuten wird das Fleisch vom Feuer
genommen und verzehrt.
Auch in Queensland, wie in anderen Gegenden Anstra-
liens, hat der Eingeborene nicht einmal eine Hütte; zum
Schutze gegeu das Wetter stellt er nur Stücken Rinde gegen
Bäume oder Pfähle. Solch eine Wohnung, wenn der
Ausdruck statthaft wäre, heißt Gonia, und jedes Paar
hat eine solche. Vor der Gonia machen sie ein Feuer an,
das die gauze Nacht hindurch brennt; Beide strecken sich der
Länge nach auf der Erde aus, einander in den Armen haltend,
denn Ehepaare gehen mit einander sehr zärtlich um. Die
Frauen werden nicht etwa hart behandelt; der Mann allein
geht auf die Jagd und besorgt Leibesnahrung für Fran
und Kinder.
Marcet widerlegt die Theoretiker, welche behaupten,
daß in Australien keiu Kannibalismus vorhanden sei. „Ich
weiß nicht", schreibt er, „ob jene Leute überhaupt Australien
mit eigenen Augen angesehen haben, oder in dem Theile
von Queensland gewesen sind, wo ich diese Zeilen auf's
Papier werfe (— im Burnett-Distrikte —). Wären sie
aber dort gewesen, so hätten sie die Augen schließen und die
Ohreu sich verkleben müssen, um nichts zu sehen und zu
hören. Der Kannibalismus existirt überall iu der
Kolonie Queensland, sowohl in den Gegenden, wo
schon weiße Leute wohnen, wie iu den entlegenen Wald-
strecken. Ich habe persönlich Beweise für die Thatfachen,
und weiß wohl, was ich behaupte. Eben jetzig vor zehn
Tagen (10. März 1.861) wurde, kaum dreihundert Schritte
weit von der Hütte entfernt, in welcher ich jetzt schreibe, in
einem Lager der Eingeborenen ein fünfjähriges Kind ge-
tödtet und aufgefressen. Zwei Monate vorher war mit
einem andern Kinde dasselbe geschehen. Ich erzähle das
nicht etwa nach Hörensagen, sondern ich sah die Spuren
des scheußlichen Mahles auf der Lagerstätte, und zwei von
mir befragte Eingeborene, mit welchen ich an demselben
Tage verkehKe, gaben zu, daß sie mitgegessen hätten. Ich
fragte iu ihrer Sprache: „Piccanini budgerri patta?", das
heißt: Schmecken Kiuder gut? Sie antworteten sogleich,
schnalzten wohlgefällig mit der Zunge an den Gaumen und
sprachen: „Jo ai coboug budgerri!" Ja, sehr gut.
Ich benutzte die günstige Gelegenheit, um noch allerlei von
diesen Wilden zu erfahren, und sie erzählten mir, daß nicht
alles Fleisch gegessen werde, sondern nur das Dickbein vom
Schenkel bis'zum Knie; das Beste sei die Hand, alles
Uebrige ist für die Hunde. Menschenfleisch, sagten sie
mir weiter, munde roh weit besser als geröstet. Auf meiue
Frage, wer dem: vorzugsweise als Opfer zum Verzehren
ausersehen werde, äußerten sie, daß man am liebsten die
halbschlächtigen Kinder wähle, die zum Vater einen euro-
päischen Schafhirten, zur Mutter eine Australierin haben.
Man läßt das Kiud heranwachsen, wenn aber die Zeit
gekommen ist, schlägt die eigene Mutter dasselbe
mit einer Keule todt und verzehrt das erste Stück.
Man hat mich versichert, daß das Verzehren von Menschen-
fleisch keineswegs selten vorkomme, aber die europäischen
Ansiedler erfahren nicht alle Fälle."
in Nordost-Australien. 271
Aber der Kannibalismus ist uicht etwa allem darauf
beschränkt; er blüht auch, wenn die Frucht Bugnia reif
ist, nämlich im Januar/) Dann versammeln sich alle An-
gehörigen eines Stammes, um sich an diesen Früchten eine
Güte zu thuu, und mehrere Tage lang genießen sie gar
nichts Anderes, überfüllen sich den Magen und werden so
träg, daß sie uicht aus die Jagd gehen mögen. Nebenher
veranstalten sie ein Festmahl in folgender Weise. Die
älteste Frau der Horde wählt die beiden hübschesten und
fleischigsten Mädchen aus; sie siud zum Opser bestimmt,
man schlägt sie aber todt, wenn sie schlafen. Auch die meisten
*) Mareet meint die Bnnya Bunya, Araucaria Bidwelli.
Sie ist die schönste unter den Araucarien Australiens; ihre weit ans-
gebreiteten Zweige sind dicht mit lanzenförmigen Blättern be-
standen, welche in eine scharfe Spitze auslaufen. Diese Äraucarie
wird dauu und wann bis 130 Fuß hoch, und hat dauu einen Um-
fang von 25 Fuß. Bei Sydney, wohin man sie als Zierbaum
verpflanzt hat, giebt es, nach G. Bennert, Exemplare von
«>0 Fuß Höhe. Dieser Gewährsinauu sah 90 Mikes nordwestlich
von der Moreton-Bay prächtige Bunya-Buuyawälder. Die
Zapfeu siud von „enormer Größe" uud mit eßbarem Samen ge-
füllt, welchen die- Eingeborenen gern genießen. „In der Zeit vom
Januar bis März versammeln sie sich zu Hunderten, um sich darau
eiue Güte zu thuu. Die Nüsse siud süß uud haben einen mandel-
artigen Geschmack. Man sagt, daß der Baum alle drei Jahre eine
sehr ergiebige Ernte trage, und in der Zwischenzeit ausruhe. Mau
siudet diese Äraucarie häusig iu den Gebirgszügen zwischen den
Flüssen Brisbane und Burnett; unter dem 27.° S. Br. wächst sie
sehr dicht auf einer 39 Miles langen, 12 Miles breiten Landstrecke,
welche man auch als das Buuya-Buuya-Laud bezeichnet, und
die Regierung hat einen Befehl erlassen, daß man diese Wälder
schonen solle, weil sie den schwarzen Eingeborenen eine werthvolle
Speise gewähren. Ich maß Zapfen von 9 Zoll Länge und 5 Zoll
im Durchmesser; sie stehen gerade aus deu höchsten Zweigen. Jeder
Stamm besitzt seine besondere Gruppe vou Bäumen,
und jeder Familie ist in einer solchen Gruppe eine be-
stimmte Anzahl vou Bäumen angewiesen, welche von
einer Generation auf die audere erben. Versuche der
einen Horde, sich die Frucht der Bäume, welche einer auderu au-
gehören, anzueignen, führt zum Kriege. Der Bnuya-Buuya-
Baumist das einzige vererbliche Eigenthum, welches
die Eingeborueu keuuen!" (Gatlierings of anaturalist in
Australasia etc. ByGeorge Bennett, London 1860p.325.) Ich
will hinzufügen, daß auf der andern Seite des Großen Weltmeers,
zu beiden Seiten der patagonischenAudes, namentlich auch bei den
Araucanern im südlichen Chile, die dortigen Araucarieu den pa-
tagonischen Stämmen in ähnlicher Weise ein Hauptuahruugsmittel
liefern. So ziehen z. B. die südlichen Patagonier (die zur Gruppe
der Jnaken gehörenden Horden), als Jägervölker stets ans der
Wanderung begriffen, weil sie in einer bestimmten Gegend nur so
lauge verweilen können, als dieselbe ihnen Ausbeute gewährt, iu
jedem Jahr einmal bis au die Quellen deö Rio Negro, um dort
Aepfel uud Kerue der Araucaria einzusammeln. Die chilenische
Äraucarie wächst ans den Eordilleren von Süd-Chile und hat ihren
nördlichsten Standpunkt iu der Breite von Concepcion; ihre südliche
Grenze ist noch uicht ermittelt worden, aber au der Magellaus-
Straße fehlt sie. Sie ist von Pöppig, Reise durch Chile, I,
S. 403, beschrieben worden.
Die kugelrunden Früchte erreichen die Größe eines Menschen-
kopfes und sitzen an den Enden der Zweige; jede Frucht enthält
zwei- bis dreihundert Samenkerne, doppelt so groß wie Mandeln
uud sehr wohlschmeckend. Nicht selten findet man zwanzig bis
dreißig solcher Früchte auf einem Baume, die zu Eude des März
reif sind, zerfallen nud dann ihre Kerne ausstreuen. Sie spielen
in dem rohen Haushalte der patagouischeu Indianer eine noch wich-
tigere Rolle als bei den Australiern. Die Zeit der Ernte ist anch
für jeue eine Art Fastnachtszeit; uud der Ueberfluß an Araucarien-
mandeln ist so groß, daß dieselben für manche Stämme fast
die einzige vegetabilische Nahrung bilden. Pöppig meint,
daß Araucarieuwälder nur auf der Westseite der südchileuischeu
Eordilleren vorkämen; aber d'Orbigny's Wahrnehmungen
sprechen dagegen. Zur Erntezeit finden' sich die südlichen Pata-
gouier am obern Rio Negro ein, bringen Pelzwerk und namentlich
Guanacofelle, uud so bildet sich in der Wilduiß eine Art von
Messe oder Markt, eö geht' ein auf Austausch begründeter
Handelsverkehr vor sich, der nun seit eiu paar Jahrhunderten regel-
mäßig um dieselbe Zeit uud au derselben Stelle stattfindet, falls
uicht etwa gerade Krieg ist. A.
272 Die Kolonie Queensland
Kriegsgefangenen, gleichviel ob Schwarze oder Weiße,
werden verzehrt.
„Unsere Begriffe von gut oder böse sind diesen Anstra-
liern durchaus fremd. Sie kennen keine größere Freude,
als einen Weißen zu bestehlen oder zn ermorden, natürlich
wenn sie es ungestraft thuu können. Ganz besonders haben
sie es auf die europäischen Frauen abgesehen, denn sie
begnügen sich nicht mit ihren Gins, d. h. schwarzen
Weibern, sondern tragen starkes Verlangen nach den white
Marys, wie sie sich ausdrücken. Nachdem eine solche Un-
glückliche die entsetzlichen Umarmungen dieser Kannibalen
hat ausstehen müssen, wird sie getödtet. Wir haben leider
noch oft solche Vorfälle zn beklagen." .
„Der wilde Australier bindet sich an nichts, nur allein
sein Wort hält er; bei dem, was er verspricht, hat es auch
sein Bewenden. Nie wird er einem Weißen, von dem er
einmal betrogen worden ist, wieder Glauben schenken, wird
ihm auch keine Dienstleistung verrichten; ebenso vergißt er-
es nie, wenn jener ihm Wort gehalten; alsdann traut er
ihm. Aber von Dankbarkeit und Erkenntlichkeit hat er keine
Vorstellung; je mehr nian ihm giebt, um so mehr fordert
er, und jeder Eingeborene ist in der Nähe der Stationen
gefährlich, weil er feine Habgier nicht bezähmen kann und
Verbrechen begeht, um sie zu befriedigen."
So viel nian weiß, leben die Angehörigen einer und
derselben Horde mit einander in gutem Einvernehmen. Sie
schweifen, etwa fünfundzwanzig bis dreißig Köpfe stark, im
Land umher und halten sich am liebsten in der Nähe der
Creeks auf. Jedes Paar lebt für sich und ledige Leute sind
selten. Durchgängig bewahrt die Frau dem Manne treue
Anhänglichkeit, und das wird ihr auch nicht eben schwer, da
ein Australier ungefähr ebenso ist wie der andere.
Die australischen Hochzeitsgebräuche würden
europäischen Damen nicht angenehm sein. Der Bräutigam
überfällt bei Nacht die Gouia, in welcher feine Geliebte
schläft, walkt sie und ihre Eltern mit Knüttelschlägen herz-
hast durch und schleppt die ohnmächtige Braut hinweg. So-
bald sie sich wieder erholt, ist sie des Mannes Frau und
ihm sehr ergeben und zngethan. Der Mann seinerseits
hat manchen Strauß zn bestehen; denn er muß sehr Eigen-
thumsrecht an die Frau gegen alle jungen Wilden der Horde,
welche noch kein Weib haben, mit den Waffen vertheidigen,
und dabei geht es nicht selten wild und hart genug her.
In Sitten und Gebräuchen findet man bei den ver-
schiedenen Horden allerlei Abweichungen; wild und bar-
barisch ist freilich Alles. Aber der Todte wird überall unter
lautem Klagegeheul betrauert. Das Schreien währt zwei
Tage; die nächsten Angehörigen zerreißen oder zerschneiden
sich das Fleisch an Armen und Beinen mit scharfen Steinen
dermaßen, daß das Blnt in Strömen herabfließt.
„Gegenwärtig darf man als ausgemacht annehmen,
daß die Eingeborenen Australiens keine Gottheit anbeten,
und von dem, was wir als Religion bezeichnen, auch nicht
den entferntesten Begriff haben." Aber sie nehmen doch
an, daß es einen bösen Geist gebe, und es scheint beinahe,
als ob sie an die Unsterblichkeit der Seele glaube».
In dieser Beziehung erzählt Marcet Folgendes. In
der Nähe unserer Station treibt sich seit einigen Tagen
eiue Baude von Eingeborenen umher: eiu schon sehr alter
Mann, ein altes hinfälliges Weib, zwei junge Frauen und
ein Mann von etwa vierzig Jahren. Um uns so unge-
legene Nachbarn vom Halse zu schaffen, griffen wir zn einer
List. Als am Abend der Mond hinter Wolken stand, hingen
wir einem unserer Leute ein weißes Laken um, das ihn vom
Kopfe bis zum Fuß einhüllte. So angethan ging er lang-
sam auf das Feuer zu, um welches die Wilden sich gelagert
in Nordost-Australien.
hatten; sie waren eben daran, einzuschlafen. Unser Mann
sing an zu brummen; die Wilden blicken auf und fehen, wer
die weiße Gestalt'über das Gras langsam hinschreitet. Das
Geschrei, welches sie nun erhoben, war geradezu fürchter-
lich; sie sprangen auf, die Männer warfen ein paar Speere
nach dem Phantom, verfehlten aber das Ziel, und gleich-
zeitig riefen die Weiber meinen Namen. Ich stellte mich,
als wisse ich nichts von Allem, was vorging; wir stürzten
mit nuseru Flinten bewaffnet ans der Hütte und riefen:
„Schwarze Leute, feid nur ruhig! Haben die Myalls euch
überfallen?" Diese Myalls waren eine feindliche Horde.
Die Schwarzen aber schrieen: „Devil, Devil! Tingre
Mani!" das heißt: „DerTeufel, der Teufel, das Gespenst!"
Alle fünf fielen auf die Kuie, umklammerten unsere Beine
und baten uns, ja nicht fortzugehen. Wenn wir, fagten sie,
nicht dablieben, müßten sie sterben; sie hätten den bösen
Geist gesehen; und dabei jammerten und heulten sie ganz
entsetzlich, sie zitterten wie Espenlaub und konnten vor
Thränen und Schluchzen kaum reden. Ans meine Erkun-
diguugeu nach dem bösen Geiste, vor welchem sie eine so
große Furcht hatten, wurde mir entgegnet, daß derselbe ein
großer Häuptling des feindlichen Stammes der Myall sei,
der vor vielen Monaten gestorben und nun in der Gestalt
eines Weißen wieder auferstanden sei. Er trachte nun da-
hin, sie zu schädigen, und wenn es ihm gelinge, Einem von
ihnen über das Gesicht hinzuhauchen, dann müsse der Letztere
sterben. Das Gespeust muß sich aber sehr selten blicken
lassen, denn nur der alte Mann, welcher es schon einmal
gesehen haben wollte, wußte davon zn erzählen.
Am andern Morgen waren die Wilden abgezogen,
und bald verbreitete sich weit und breit die Kunde, daß der
Tmgre Mani sich aus unserer Station habe blicken lassen,
und wir blieben fortan von unwillkommenen Gästen ver-
schont. Uebrigens gilt das Feuer als eine Art von Talis-
man gegen den Tingre Mani und steht schon deshalb in
hohen Ehren. Die Eingeborenen machen auch bei der
größten Hitze eiu Feuer au und tragen auch auf ihren
Wanderzügen gern einen Feuerbrand mit sich.
Die Wilden in Queensland halten so große Stücke
auf den Hund, daß sie imNotHfalle junge Hunde von ihren
Frauen säugen lassen. Der Tod eines Hundes wird nicht
minder betrauert, wie jener eines Häuptlings oder Freundes.
Mit der obersten Autorität verhält es sich ganz eigen-
thümlich; die höchste Gewalt ist nämlich bei dem
ältesten Weibe der Horde. Dieses hat Macht über
Leben und Tod und giebt den Kriegen:, welche
gegen den Feind ausziehen, Befehle.
Die verschiedenen Horden oder Stämme leben immer
in Feindschaft mit einander, und meistentheils entsteht der
Hader der Frauen wegen, welche hinüber und herüber ge-
raubt werden. Die Gefechte sind manchmal hartnackig und
kosten Blnt. Als Waffen dienen der Bnmerang, die Lanze
und die Keule, welche als Nolla Nolla bezeichnet wird.
Manche Wilde haben auch kleine Streitäxte von Eisen,
welche sie von den Weißen bekommen; sodann verfertigen
sie sich selber solche Waffen aus Knochen oder Stein. Der
Bumeraug, eine Schleuderwaffe in der Gestalt eines Halb-
mondes, von Holz, auf beiden Seiten fpitz und etwa zwei
Fuß lang, wird von den Wilden mit überraschender Ge-
nanigkeit aus weite Strecken hin geworfen und die Noll«
Nolla mit einer geradezu wunderbaren Gewandtheit ge-
fchwungen.
In Queensland sind alle Eingeborenen gefährlich.
In Bezug aus Intelligenz stehen sie, wie schon bemerkt,
ungemein niedrig, ihre Habgier ist nicht zu beschreiben; sie
bestehlen oder tödten ihre Wohlthäter gerade so wohl wie
ihre Feinde. Es ist mehrfach vorgekommen, daß die weißen
Bewohner der Stationen, von welchen die Wilden mit
Nahrung versorgt und gut behandelt worden waren, über-
fallen und ermordet wurden. Zuerst wurden die Männer
getödtet, dann erst die Frauen, nach Mißhandlungen, gegen
deren Schilderungen sich die Feder sträubt. Einen Europäer,
der Feuerwaffen trägt, greifen sie nicht an; vor den letzteren
haben sie eine heillose Furcht, und vor einem weißen Reiter,
der eine Flinte trägt, nehmen fünfzig Australier das Hasen-
panier, als wäre er der Tiugre Maui felber.
Die Ansiedler beobachten keine Schonung gegen die
Eingeborenen. Sobald ein von Mord begleiteter Diebstahl
sich ereignet hat, werden alle Wilden in der Gegend nieder-
gemacht; die berittene Polizei und die Sqnatters schießen
jeden nieder, der ihnen begegnet, und die Jagd auf wilde
Menschen dauert oft mehrere Tage lang. In dem neuen
Lande nördlich vom Wendekreise des Krebses und manchmal
auch im Süden desselben, wartet man nicht allemal, bis sie
ein Verbrechen begangen haben, sondern rottet sie ohne
Weiteres aus. Denn es gilt für einen unbestrittenen Satz,
daß das Leben der weißen Leute und die Ehre ihrer Frauen
nicht eher ungefährdet sein werde, als bis alle Wilden
verschwunden sind. Man hält es keineswegs für ein Ver-
brechen, Barbaren zu tödteu, welche felber auf uichts als
Mord siuueu, etwa wie der Tiger auf seine Beute. Die
englischen Gesetze freilich setzen Todesstrafe auf die Er-
mordung eines Eingeborenen, falls dieselbe ohne genügenden
Grund stattgesunden habe, und vor ein paar Jahren sind
auch drei Europäer wegen Uebertretnng des Gesetzes ge-
hangen worden.
Die eingeborene Bevölkerung von ganz Australien be-
trägt schwerlich mehr als einige hunderttausend Köpfe; wie
viel davon auf die Kolonie Queensland kommen, ist noch
nicht ermittelt worden. Aber diese schwarzen Leute schmelzen
rasch zusammen, und die Anzahl der Todesfälle übersteigt
bei weitem jene der Geburten. Mancherlei Ursachen wirken
zusammen, um die Ziffer der Wilden zu vermindern; dahin
gehören die unablässigen Fehden, welche sie gegen einander
führen, die Krankheiten, welche in Folge dürftiger und
schlechter Nahrung entstehen, die Ausschweifungen der
Mädchen vor der Verheirathung und die Abwesenheit
jedes mütterlichen Instinktes; denn die Aeltern
lassen höchstens zwei Kinder am Leben und er-
sticken die übrigen sofort bei der Geburt. Auch
erreichen diese Wilden nur selten ein hohes Alter; Wenige
'um. 273
überschreiten das fünfzigste oder fechszigste Jahr. Es ist
alle Aussicht vorhanden, daß diefe Barbaren verschwinden,
und die europäischen Ansiedler werden sich gewiß nicht
darüber grämen. —
Neb er diese letzteren entlehnen wir nnferm Gewährs-
manne folgende Bemerkungen. In der Volksvertretung
von Queensland, sagt er, haben die Sqnatters (hier gleich-
bedeutend mit Viehzüchtern) noch das Uebergewicht. Die
„Sqnattokratie" ist mächtig. Im Allgemeinen sind diese
Leute dem Fortschritt und den liberalen Ideen sehr abgeneigt,
denn sie besorgen davon eine Schmälerung ihrer besonderen
Interessen. Die Schaf- und Rindviehzüchter bilden demnach
die konservative Partei und sind als solche dem Ackerbau und
dessen Ausdehnung abgeneigt. Im März 1861 war alles
damals bekannte Land in ihrem Besitz, und es konnte nicht
fehlen, daß sie durch ihre jährlich an Zahl ungemein an-
wachsenden Heerden reich wurden. Sie wollten von ihren
Weidegründen dem Ackerbau wo möglich gar nichts über-
lassen. —
Das ist im Verlaufe der beiden letzten Jahre doch schon
anders geworden; es ist auch Feld genug für den Ackerbau
vorhanden und eben (Mitte Januars 1863) lesen wir, daß
in London die ersten zwanzig Ballen Baumwolle aus
Queensland angelangt sind.
Die Städtebewohner sind liberal oder radikal, und
wollen von den Sqnatters so viel Geld als möglich er-
werben. Die Volksvertretung hat übrigens im Allgemeinen
sehr verständige Gesetze gegeben und die Frage über Lände-
reien nnd Grundbesitz zweckmäßig geregelt. Die Abgeord-
neten halten keine langen Reden, thnn aber ihre Schuldig-
keit, und machen keine unnütze Opposition, weil sie sich über-
zeugt haben, daß die Kolonialregierung wohlmeinend und
mit Umsicht verfährt.
Brisbane hat keinen guten Hafen; die Moreton-
Bay ist nicht tief und die Einfahrt selbst für mittelgroße
Schiffe nur bei hoher Flut thunlich. Fünfzehn Stunden
westlich von Brisbane, da wo der Strom schon eng wird,
liegt Jpswich, das 1861 etwa 3066 Einwohner zählte
und einen lebhaften Handel mit dem Innern trieb.
Queensland wird ohne Zweifel in Folge der neue»
Entdeckungen im Innern und der Einwanderung in nicht
gar lauger Zeit eine wichtige Kolonie werden, besonders
dann, wenn es gelingt, dem Baumwollenbau eine große
Ausdehnung zn geben.
Chart« m.
Mitgetheilt von Dr. Alfred Brehm.
II.
Um nun die Mängel einer Wohnung Chartnms zu begreifen,
müssen wir uns einen Regentag vorstellen, so gut wir dies vermögen.
Eine Todtenstille in der Stadt kündet den Anzug des Wetters.
Die Verkaüfshallen auf dem Markte, die öffentlichen Amtssäle und
Schreibstuben der Regieruug werden geschlossen. Jedermann zieht
sich in seine Behausung zurück; selbst die sonst so lauten, streit-
süchtigen Hunde schleichen mit eingezogenem Schwanz einem stillen
Plätzchen zn. Der Gesang der Vögel, jede Stimme ist verstummt;
sie selbst haben sich im dichtesten Laubwerke der Gärten verborgen.
In der Ferne ballt sich eine dunkle, flammende Wolke zusammen.
Globus für 1863. Nr. 33.
Sie erscheint wie das Feuerzeichen über einer brennenden Stadt
oder einem meilenweit in Flammen stehenden Walde; Dnnkelroth
nnd Braun, Fahlgelb und Gran, Tiefblau nnd Pnrpnr, Brandroth
und Schwarz gattet und vereint sich in allen Schattirungen zu
einem furchtbar anzuschauenden Ganzen. Je kräftiger die Farben
dieser Wolke werden, nm so dunkler wird der Himmel. 35on fern
her vernimmt man ein pfeifendes und sausendes Geräusch. In der
Stadt selbst ist noch Alles tonlos; nur die Hitze und der Luftdruck
mehren sich: die Schwüle wird unerträglich nnd beengend. Immer
kleiner wird der Gesichtskreis. Die Wolke schreitet wie eine wan-
35
274
Chartum.
dein de Mauer dahin und hüllt nach und nach alles Sichtbare in
ihren düstern Schleier.
Plötzlich bewegen sich die Zweige der nächsten Bäume mit
Heftigkeit; der Wind liat sie erreicht. Zuerst sind es mehrere einzelne
Stöße; aber diese Stöße vermehren sich und gehen in einem gleich-
mäßigen Wehen auf. Dieses erwächst in wenig Minuten zum
heftigsten Söhlde, der Wind znm Sturme, der Sturm zum Orkan.
Mit einer beispiellosen Gewalt braus't dieser dahin. Sein Toben
ist so groß, daß man das ausgesprochene Wort nicht tönen hört.
Jeder Laut wird von einem nicht zu beschreibenden Getöse unter-
brechen, von einem Pfeifen und Sausen, Heulen und Rauschen
übertönt, verschlungen. Die Bäume biegen sich wie schlanke Gerten;
die Palmenwipfel neigen sich fast bis anf die Erde herab; in den
Kronen der Mimosen wüthet es, wie wenn der Novembersturm
durch Eicheuwipfel jagt. Tauseude vou Blättern werden losgerissen
und mit fortgeschleudert, die Stämme ächzen, krachen und brechen.
Ganze Kronen rollen sausend im Wirbel dahin. Es ist als ob die
Elemente mit einander kämpfen wollten. Selbst die Grundfesten
der Erde möchte der Orkau erschüttern. In den Ritzen und Spalten,
welche die glühende Sonne während der Monate der Glnt in das
verdorrte schlammige Land einriß, wühlt der Sturm, nimmt dort
den Saud und Staub heraus, bildet aus ihm eben jene Wolke
und führt diese nun durch das Land, schleudert den Sand und den
Staub mit Macht an Mauern und Wände, durch Thür- uud
Fensteröffnungen hindurch, iu das Innere der Gebäude hinein nnd
belegt damit alle Gegenstände liniendick. Im Hanse selbst wird es
so finster, wie während der Nacht.
Da auf einmal übertäuben prasselnde Donnerschläge das
Tosen der Windsbraut. Noch kann man keine Blitze sehen, •— die
Staubwolken sind zn dicht: — aber immer lauter und vernehm-
licher dröhnt das Rollen des Donners durch das allgemeine Ton-
wirrsal Hindurch. Jetzt rauscht es sonderbar dazwischen: es ist, wie
wenn der Hagel Deutschlands Gauen verwüstet. Und doch ist es nur
der Regen, welcher zur Erde strömt. Bald hat er den Staub nieder-
geschlagen, nnd trotz des herabflutenden Wassers wird es hell und
freundlich; der Orkan ermattet, der Sturm schweigt endlich. Noch
rollt der Donner; aber jetzt sieht auch das Auge die Blitze, welche
ohne Unterlaß der Gewitterwolke entflammen, und ununterbrochen
rauscht der Regen.
Mau fühlt sich überaus wohl und behaglich; denn mau gedenkt
jener angstvollen Stunden, welche man im Freien verbracht, über-
rascht von solchem Unwetter, unfähig sich zu bergen. Die Taukha
wandelt sich, Dank diesem behaglichen Gefühl, zn dem wohnlichsten
Räume der Erde um. Da Plötzlich tropft es verdächtig von der
Mitte der Decke herab; das Tropfen wird zum Guß: — und mit
einem Male bricht eine Wasserflut von oben herein. Der heftige
Regen hatte den Ueberzng des Daches und die Schlammdecke auf-
gewühlt, mit ihm die Traufrinne verstopft, einen Teich auf dem
Dache gebildet, uud dieser ergießt jetzt seine Fluten unaufhaltsam
iu das Zimmer herein, anf das mühsam erschwungene Bett, anf
den Tisch, auf die Kisten mit den kostbaren Schätzen, wühlt unten
ein tiefes Loch iu den Fußboden, bildet einen zweiten Teich im
Zimmer, uud angstvoll steht der Reisende in einer Ecke und schaut
der Verwüstung zu!
Wir übertreiben nicht; denn wir haben, so gut es die stumpfe
Feder vermochte, einen Tag ans unserem eigenen Leben zu schildern
versucht. —
Chartum ist arm an öffentlichen Gebäuden. Die Moschee nnd
die Kaufhalle, die Amtswohnung des Statthalters und des Befehls-
Habers der Provinz sind bereits genannt worden; fügen wir ihnen
nun noch die Kasernen, welche die Negersoldaten beherbergen, das
Arsenal und das Lazareth hinzu, so haben wir sie alle aufgezählt.
Sie zu beschreiben ist uunöthig; sie sind eben nichts Anderes als
Tankhas in etwas großartigerem Styl. Eben so zwecklos würde
eS sein, über die Gärten zu reden; denn die Felder bieten für den
Europäer weit mehr des Beachteuswerthen als jene. Werfen wir
deshalb lieber noch einen flüchtigen Blick auf die eigentlichen Ein-
geborenen Chartums uud ihr Leben.
Die Sndahnesen sind ein Gemisch sehr verschiedener Völker-
schasten. Sie bilden gewissermaßen ein Uebergangsglied von den
dunklen Aethiopiern zu den eigentlichen Negern, und wirklich sind
sie als eine Mischlingsrasse zwischen beiden zu betrachten. Mehrere
dunkelfarbige Araberstämme, welche von der jenseitigen Küste des
Rothen Meeres herübergekommen sein mögen, haben ebenfalls
Antheil an diesem Volke gehabt nnd ihm vor allem die Sprache
verliehen.
Es ist eigenthümlich, daß man, um nach dem eigentlichen
Sudahn zu kommen, überall Länder durchreisen muß, iu welchen
die arabische Sprache nicht Landessprache ist, sondern nur als die
edlere nnd reichere von den Gebildeten gesprochen und verstanden
wird. Vou Norden her muß mau erst Nubieu durchreift haben,
wo die Sprache der Barabra herrscht, ehe mau nach Sudahn ge-
langt; von Osten her bekommt man es erst mit Abyssiniern zu thun,
bevor man zu den arabisch redenden Sndahnesen kommt. Nach
Westen hin dehnt sich das Gebiet der arabischen Sprache auch nur
bis zur Grenze Fuhrs und nach Süden hin nicht über die türkisch-
egyptischen Besitzungen hinaus, am Weißen Flusse nicht über den
dreizehnten Grad, am Blauen nicht über den elften. Die Ver-
Mischung verschiedener Völkerschaften zeigt sich recht deutlich iu
Chartum selbst. Außer den Weißen, zn denen wir die Türken,
Griechen nnd übrigen Europäer, die Juden uud Egypter zu rechneu
haben, finden wir in Chartum ansässig: die eigentlichen Landes-
eingeborenen oder Nachkommen der alten Fuugi, Araber uud
Aethiopier, sodann Nnbier, Abyssinier, sowohl tigrisch als
amharisch redend, Gallas und die Vertreter oder bezüglich Nach-
kommen von vier oder fünf Negervölkern, als z.B. Dahr-Fnhri,
Schilluk, Tiukha, Takhale, Fassokle uud andere. In ihren
Sitten uud Gebräuchen ähneln sich diese Leute fast sämmtlich nnd
auch hinsichtlich des Leibesbaues und der Gesichtsbildung sind sie
sich ziemlich gleich, mit alleiniger Ausnahme der Neger, welche noch
durchaus ihr eigentümliches Gepräge bewahrt haben.
Alle Sndahnesen sind dnrchgeheuds wohlgebaute Menschen.
Sie sind mittelhoch oder groß, kräftig nnd im Stande, bedeutende
Leibesanstrengungen zu ertragen. Die Männer sind, mit Ausnahme
der Hassame, schöner als die Frauen; letztere gelten iu vielen
Städten, z. B. gerade in Chartum, als häßlich — der Europäer
würde sie abschreckend häßlich nennen. Ihr Schädel zeigt noch nicht
das Gepräge des Negerschädels; er ist noch rund, die Stirn hoch,
die Nase noch ziemlich vorstehend, die Lippe wenig aufgeworfen,
die Backenknochen nicht besonders vortretend. Ihr Leib hat weder
die unförmliche Breite einiger Negerstämme, noch die grauenvolle
Hagerkeit anderer; ihre Glieder sind kräftig und voll, Hände nnd
Füße verhältnißmäßig klein, bei den Frauen sogar äußerst zierlich.
Die Färbung der Haut ist ein dunkleres oder helleres Braun, vom
Lichtbronzebraun an bis zum dunkelsten Chokoladenbrauu, ja selbst
bis zum Schwarz der Neger; die Haut ist sammtig und namentlich
bei Frauen von einer überraschenden Weiche und einem ganz eigen-
thümlichen Glänze, welcher durch die wiederholten Einreibungen mit
Fett noch besonders erhöht wird.
Die Kleidung ist einfach. Kurze, ziemlich weite Unterbein-
kleider, ein 12 bis 16 Fuß langes und 4 Fuß breites baumwollenes
Umschlagetuch mit hochrotheu oder iudigoblaneu Streifen, San-
dalen und ein dicht auf dem Kopf aufliegendes weißes Mützchen
aus doppeltem Baumwollenzeuge bildet die Kleidung der Männer.
Am linken Oberarme trägt Jeder noch ein kurzes Messer uud oft
auch mehrere Lederrollen, welche geschriebene Amnlets in sich bergen.
Viele tragen auch noch um deu Hals eine an langen Lederschnüren
befestigte Brieftasche. Die Haare scheeren sich die Sndahnesen,
welche die Städte bewohnen, regelmäßig ab, während die Roma-
den der Steppe sie zn einer sonderbaren Perrücke aufputzen, zu
welcher der Hamadryaspavian als Vorbild gesessen hat. In
diesem krausigen, reich mit Butter gesalbten Gelock stecken zwei
Chartum,
275
sorgfältig geglättete, schön verzierte Holznadeln, bestimmt, die zahl-
reiche Einwohnerschaft des edlen Hanptes in Ruhe zu halten. Als
bezeichnendes Merkmal für den Sndahnesen mag auch uoch die
Lanze gelten, welche Jedermann als unentbehrliches Geräth in der
Hand trägt oder bezüglich trug; denn in neuerer Zeit ist ihnen die
Waffe von den Türken verboten worden in Folge häufigen Miß-
brauchs, zu dein der jäh auflodernde Zorn unsere Leute hinriß.
Die Mädchen tragen bis zu ihrer Verheiratung den Rahad,
jene aus mehreren hundert feinen Lederstreifen bestehende Schürze,
welche mit Quasten und zur Bezeichnung der Jungfräulichkeit mit
Muscheln verziert wird, eiu Kleidungsstück, welches die wohlge-
bauten, dunklen, geschmeidigen Körper außerordentlich ziert. Am
Tage der Verheirathung vertauschen sie den zierlichen Rahad mit
einer baumwollenen Schürze und werfen über den Obertheil ihres
Körpers ein langes, aber gazeartig gewebtes Umschlagetuch; die
Füße bekleiden sie mit zierlichen Sandalen; um den Hals hängen
sie sich Amnlete. Die Nase wird mit großen messingenen oder
silbernen Ringen verziert; die Lippen werden blau, die Hände mit
Hennah roth gefärbt; das Haar putzen besondere Künstlerinnen
sorgfältig anf. Man flicht das krause Gelock zuerst in mehr als
hundert dünne Zöpfcheu, stärkt diese mit einer Auflösung von
arabischem Gummi und vereinigt oder gruppirt sie dann zu mehr
oder minder künstlichen Terrassen. Als Haarsalbe dient ganz
einfach ein Gemisch von Schaffett, Rindstalg und Butter, welches
die Wohlhabenderen noch mit wohlriechenden Stoffen versetzen.
Diese Salbe wird so dick aufgetragen, daß erst die Sonnenhitze sie
schmelzen muß. Auch den Körper reiben sich beide Geschlechter mit
einer Salbe eiu, welche sie Delkh a nennen. Sie ist so ziemlich auf
gleiche Weife wie die Haarsalbe zusammengesetzt, schützt die Haut
vor dem Brüchigwerdeu und erhält sie geliud uud geschmeidig. In
vornehmen Häusern des Sudahn war es früher allgemeiner Ge-
brauch, jedem geehrten Gaste durch eine schöne Sklavin vor dem
Schlafengehen seinen Leib mit Delkha einreiben zu lassen. Diese
Fettnng des Körpers hat neben ihren unverkennbaren Vortheilen,
wenigstens in unseren Augen oder bezüglich Nasen, unverkennbare
Nachtheile: sie wird bald ranzig und steigert den unangenehmen
Geruch, welchen alle dunkle Völkerschaften von Haus aus haben,
zuweilen iu's Unerträgliche. —
Charakter uud Sitten der Sudahneseu haben seit der Unter-
jochung des Landes viel von ihrem eigenthümlichen Gepräge ver-
loren; vollständig umgewandelt aber sind sie deshalb noch nicht.
Der Charakter der Sudahnesen unserer Tage ist der aller halb-
wilden, aber doch durch eiue für ihre Umstände ganz vortreffliche
Glaubenslehre schou einigermaßen veredelten Völkerschaften. Wenn
man die Licht- und Schattenseiten ihreö Wesens mit einander ver-
gleicht, kann man nicht lange über sie in Zweifel bleiben. Im
Grnnde genommen sind die Sudahnesen kerngnte Menschen. Sie
sind gastlich und zuvorkommend gegen den Fremden und bei aller
ihrer Armnth immer bereit, einen Dürftigen zu beschenken, oder
einen Hungrigen zu erquicken; sie sind ehrlich, halten das einmal
gegebene Wort, bewahren eiu ihnen anvertrautes Pfand besser als
ihr Eigenthum; sie achten ihre Eltern und lieben ihre Kinder; sie
ehren jede Meinung und lassen den Fremden glanben, reden und
handeln, was und wie er will; sie sind nicht tückisch, nicht hinter-
listig. Aber — die Sudahnesen lügen, betrügen und stehlen, wo sie
nur können; sie sind sinnlichen Genüssen ergeben, sanl, leichtsinnig,
arbeitsscheu, liederlich; sie sind heftig, leicht reizbar: knrz, sie ver-
einigen die sonderbarsten Gegensätze in sich. Genügsam wie wenig
andere Menschen, sind sie wiederum sehr ausschweifend; treu in der
einen Hinsicht, sind sie untreu in einer andern. Wollten wir sie
nach uuseren Ansichten benrtheilen, wir müßten sie für sittlich
äußerst tiefstehende Menschen erklären. Aber wir thäten Unrecht,
wenn wir sie für sittenlos hielten.
Die Sndahnesen thnn das Gute, weil sie vou ihren Vorfahren
her gewohnt sind, es zu thnn, und üben das Böse, ohne eigentlich
zu wissen, daß es böse ist. Ihre Begriffe von gut und böse sind I
ganz andere als die nnsrigen. Sie entschuldigen nicht nur einen
Betrug, einen Diebstahl, einen Mord, sondern sie halten ihn sogar
für eine des Mannes würdige That. Jemanden zu belügen oder
zu betrügen, erscheint ihnen ein Sieg der geistigen Ueberlegenheit
über die Beschränktheit des Andern, ein Mord Nichts als die Be-
friedigung ihrer Rache oder unter Umständen anch eines Bedürs-
nisses. Vor der türkischen Herrschaft war die Blutrache unter ihnen
üblich, und Mord und Todtfchlag kamen alle Tage vor. Die Be-
theiligten fochten ihre Streitigkeiten unter sich selbst aus; ihre
Könige bekümmerten sich wenig oder nicht um die Fehdeu ihrer
Unterthanen. Erst unter der türkischen Herrschaft haben sie erkennen
gelernt, daß Mord und Todtfchlag verschiedene Dinge sind. Der
Sudahnese hielt früher den Tod seines Feindes entweder für eine
gerechte, wohlverdiente Strafe, oder aber für eine mit dem Raube
bedingte Nothweudigkeit, welche er leicht entschuldigen zu können
glaubte. Himmel und Hölle haben jenen Leuten nie den Kummer
gemacht, wie uns, und eigentliche Reue über ein Verbrechen kommt
bei ihnen kaum oder nicht vor. Mohammedaner dem Namen nach,
kennen sie kaum die Gesetze des Islam, und glauben genng zu
thnn, wenn sie einigen Formeln genügen, ganz so, wie unsere
Mucker anch thnn, nur daß bei diesen der große Unterschied statt-
findet, daß sie die Bedeutung ihres Glaubens vollständig erkannt
nnd verstaudeu haben.
Die schlechten Eigenschaften der Sudahnesen sind zumeist anf
Rechnung ihrer Heimat, auf die Einwirkung ihres Klimas zu setzen.
Daß der braune Mann faul ist, liegt in seinen Verhältnissen: er
arbeitet nur, wenn er muß. Aber er braucht so wenig uud sein
Vaterland ist so gesegnet mit Fruchtbarkeit uud Erzeugungskraft,
daß er das Wenige ohne Mühe erringt. Der Sudahnese ist lieder-
lich, weil sein Besitzthum niemals so groß ist, daß der Verlust
desselben ihn unglücklich machen könnte, weil es ihm ohne besondere
Mühe rasch wieder gelingt, sich ein neues Besitzthum zu erwerben.
Er ist sinnlich, weil das Klima, die Pracht der Tropen alle seine
Sinne erregt; er ist ausschweifend, weil er dem augenblicklichen
Genüsse fröhnt, ohne schlimme Folgen desselben für möglich zu
halten, oder, wenn sie wirklich eintreten, an die Ursache zu glanben.
Dazu erlaubt ihm seine Glaubenslehre, sein Leben nach seiner Art
und Weise zu genießen; denn in dem Ausspruche, welchen jeder
Mohammedaner auf der Lippe nnd im Herzen trägt: „Gott ist
barmherzig!" liegt eine Entschuldigung jedes Fehls. Deu furcht-
bareu Gott, welchen die Starrgläubigen unserer Zeit den Schwach-
sinnigen unseres Volkes vormalen, kennen die Mohammedaner
nicht: sie kennen nur einen Gott unendlicher Milde, Gnade und
Barmherzigkeit. Sie meinen, daß dem reuigen Sünder anch dann
noch die Pforten deS Paradieses erschlossen werden, wenn die Rene
im Augenblicke vor dem Sterben über ihn kommt, wenn er noch
vor dem Ende bezeugt, daß er eiu gläubiger Mohammedaner ist;
— warum soll er sich also mit Arbeit quälen, warum mit Büß-
Übungen: er lebt sich und seinen Freuden.
Während des Tages arbeitet der Sudahnese nur höchst wenig,
Auf weichem Lagergestell liegt er in seiner Behausung und psiegt
der Ruhe. Nach Sonnenuntergang beginnt das wahre Leben im
Dorfe wie in der Stadt. Hier oder dort töut die Tarabuka; im
Halbkreise geschaart umsteht das junge Volk eine der Tochter des
Landes nnd läßt sich von Terpsichore begeistern. Der ältere
Mann solgt diesem verlockenden Rufe nur zeitweilig; behaglich
hingestreckt, fast unbekleidet liegt er auf seinem Ankareb, eben
jenem Lagergestell, und schöpft mit einer Kürbisschale sich seinen
Labetrnnk aus einem großen, runden, bauchigen Topfe, welcher fest
in den Sand eingerieben worden ist, damit er nur steht. Dieser
Topf, Burma geuannt, wird mit einem augenehm säuerlich
schmeckenden, äußerst geistigen Getränke gefüllt, welches entfernte
Aehnlichkeit mit nnserm Biere hat. Das Wohlbehagen des guten
Mannes erreicht den höchsten Grad, wenn ein schönes Weib ihm
die Schale füllt und er außer in der Merifa auch in den dunklen
Augen seiner Hebe sich berauschen darf. Was kümmert er sich dann
35*
276
Die Kabeljauinsel St. Pierre.
um Arbeit und Mühsal der Erde, was um die Schönheit der
Natur, das Leuchten der Sterne in der klaren Tropennacht, was
um Allah und seinen Propheten?! Gott ist barmherzig! — er
vergiebt dem Sünder, und deshalb kümmert ihn der Wahn, Sünde
zu thuu, uicht im Geringsten.
Genußsucht und Leichtfertigkeit ist die gemeinsame Eigenschaft
aller Sudahuesen: — schließen ja doch die wegen ihrer Schönheit
berühmten Frauen der Hassaiue vor ihrer Heirath einen ganz
besondern nnd sicherlich merkwürdigen Vertrag mit dem Manne
ihrer Wahl; verlangen sie doch von ihm, daß er ihnen jeden dritten
Tag ohne Widerrede gestatte, ihren „Keif" oder ihr Wohlbehagen
nach eignem Belieben sich zu suchen. Zwei Drittel und ein Drittel
(Diltöin wu dilt) heißt dieser Vertrag, und unter jenen
Stämmen ist er allgemein im Gebrauch.
So leichtfertig, freidenkend und dnldsam in Glaubenssachen
der Sudahnese aber auch ist, so abergläubisch zeigt er sich. Zauberer
und Hexen, Menschen, welche Nachts in Hyänengestalt umherlaufen
oder bei Tage in ein Nilpferd sich verwandeln, Orakelsprüche von
Wahrsagerinnen, gute und böse Geister, Gespenster, der Teufel und
seine höllischen Gesellen und dergleichen Bilder eines krankhaften
Wahns spuken arg in dem Kopfe des braunen Natursohnes herum
und laffeu ihn oft genug die lächerlichsten Handlungen begehen.
Er ist ebeu von Charakter ein Kind, welches sich bald fürchtet, wo
es keine Ursache hätte, bald knabenhaft seines Muthes sich brüstet.
Er ist eiu Kind, welches dem Augenblicke lebt und von seinen
wechselnden Eindrücken sich zu Diesem oder Jenem hinreißen läßt.
Ein grenzenloser Leichtsinn und der rasch auflodernde Jähzorn sind
die Ursachen seiner Laster, und Mangel an Bildnng ist der Grund
seiner Schwäche.
Aber dieser nach unseren Begriffen lasterhafte und schwache
Halbwilde ist ein viel besserer Mensch, als derjenige Sudahnese,
welcher durch Reisen oder sonstwie mit gebildeteren Völkern
zusammen kam; denn von diesen bringt er keineswegs die Tu-
genden und Vorzüge, sondern regelmäßig die Laster und das Be-
wnßtsein derselben mit nach Hanse.
So eigenthümlich, wie der Charakter unserer Leute es ist, sind
auch ihre Sitten. Es würde uns viel zn weit führen, wenn wir
dieselben genauer schildern wollten. Nur einen Blick auf die eigen-
thümlichsten Gebräuche wollen wir hier werfen. Die Sndahueseu
sind Mohammedaner und üben somit die Gebräuche aus, welche
der Islam ihnen vorschreibt; aber der Glaube greift bei diesen
Menschen keineswegs so in das Leben ein, wie bei anderen seiner
Bekenner. Die Sndahnesen gehen ihren eigenen Weg und haben sich
uralte, zum Theil heidnische Gebräuche noch treu bewahrt. Die
Beschneidung der Kuabeu ist unter ihnen üblich; aber sie beschneiden
anch die Mädchen nnd zwar in geradezu fürchterlicher Weise.
Mit dem fünfzehnten Jahre verheirathet sich der Knabe, mit
dem dreizehnten das Mädchen; denn die Unsitte der Egypter, ihre
Mädchen schon im zarten Kindesalter und lange vor der Mannbarkeit
zn verehelichen, kennt der Sudahnese nicht. Wie in den anderen
mohammedanischen Ländern, muß der Bräutigam seinem Schwieger-
vater eiueu Brautschatz zahlen, welcher entweder in Geld oder in
Vieh bestehen kann. Fordert ein Vater zu viel für seiue Tochter, so
greift die Regierung ein und vereinigt das junge Liebespärchen
gegen den Willen der beiden Eltern. Selten ehelicht der Mann
mehr als eine Frau; doch hat fast jeder eine oder mehrere Skla-
Vinnen nebenbei. Die Frau ist unter allen Umständen das Lastthier
im Hause, der Mann der unbedingte Gewaltherrscher. Deshalb
kommt es auch oft genug vor, daß eine Frau ihrem Eheherru
entflieht und zu ihren Angehörigen zurückkehrt, ganze Familien
hierdurch oft in langwierige Streitigkeiten verwickelnd. Die bloßen
Worte: „So wahr der Herr lebt, Weib, ich habe mich von dir
geschieden," genügen, um ein Ehebündniß aufzulösen, doch darf der
Mann nach mohammedanischem Brauche dieselbe Frau später
wieder zu sich nehmen.
Ein schwer Erkrankter wird von sämmtlichen Familienmit-
gliedern besucht und durch das beständige Vorbeten des Glaubens-
bekenntnisses gepeinigt. Antwortet er auf die Worte: „Ich bezeuge,
daß es keinen Gott giebt außer Gott und ich bezeuge, daß Mo-
hammed Gottes Prophet ist," so ist Jedermann überzeugt, daß er
als guter Muselmann stirbt. Den Tod eines Familiengliedes
kündet der weibliche Theil des Hauses der ganzen Nachbarschaft
durch gellendes Geheul und noch hente streut sich die Klagende
Asche und Staub auf das Haupt. Dann sammeln sich die Nachbarn
zur Todtenklage, nnd diese währt bis zu dem wenige Stunden
nach dem Tode folgenden Begräbnisse fort. Abscheulich sind die
Beileidsbezeugungen; die Heuchelei tritt hier noch viel deutlicher
zn Tage, als bei uus zuweilen unter ähnlichen Umständen.
Das tägliche Leben des Sndahnesen zeichnet sich auch durch
mancherlei merkwürdige Bräuche aus. Die gegenseitige Be-
grüßung erfordert eine Reihe Komplimente ohne Ende. Dann
geleitet der Wirth seinen Gast in die Hütte, kanert sich mit ihni auf
die eigenen Fersen nieder und läßt sobald als möglich einen großen
Topf mit der so beliebten Merisa bringen, schlachtet wohl anch eine
Ziege oder, wenn er es vermag, ein Schaf zu Ehren des Gastes
und veranstaltet, wenn es irgend angeht, einen großen Tanz vor
der Hütte. Selbst Fremde werden mit warmem Jubel iu jeder
Hütte aufgenommen; denn der Tag, welcher einen Gast bringt,
gilt als Fest.
Die Nahrung der Sndahnesen ist überaus einfach. Für ge-
wöhnlich besteht sie nur ans einem Mehlbrei, welcher mit Zwiebeln
und mancherlei, aber meist schlechtem Gemüse vermengt wird. Das
Brod wird in dünnen Scheiben auf heißeu Thon- oder Eisenplatten
geröstet, aber niemals durchgebackeu. Die Durah d. h. die Neger-
Hirse und der Dochhen oder das Senfkorn der Bibel sind die
üblichen Getreidearten; sie werden in Wasser eingequellt und dann
von Sklavinnen oder von der Hausfrau auf Steinen zerrieben.
Aus diesem Getreide bereitet man auch die geistigen Getränke. —
Viel ließe sich noch erzählen von diesen Leuten, ihrem Wesen,
ihren Sitten, viel von dem Leben der Europäer, Manches von dem
Handel, welchen Chartum betreibt, Grauenvolles von den Slaven-
jagden, welche von Chartum ausgehen und hier zum Abschlüsse
kommen :c.: — doch dafür ist hier nicht der Ort. Es genügte nns,
Chartum nnd seine eigentlichen Bewohner zu skizziren, und, mag
das Bild anch ein noch so mangelhaftes sein, seine Farben sind der
Natur entlehnt, treu und wahr.
Die Kabeljauin
Bon den großen Besitzungen der Franzosen in Nordamerika
sind diesem Volke nur zwei kleine, aber durch ihre Lage wichtige
Inseln übrig geblieben: Miquelon nnd St. Pierre. Sie
liegen am Eingange des Lorenzbusens, nicht weit von Canada,
*) Yoyage a Terie Neuve par le Comte A. de Gobineau. Paris 1861.
ki Zt. Pierre.*)
Neuschottland und Neusundland entfernt. Graf Gobineau lief
Ende April 1860 mit dem kleinen Kriegsdampfer Gafsendi von
Brest aus, segelte au den Azoren vorüber und erreichte nach einer
Fahrt von zwanzig Tagen St. Pierre.
Die Insel bietet bei der Annäherung einen keineswegs freund-
lichen Anblick; sie ist von einer schäumenden Brandung nmtos't
Die Kabeljauinsel St. Pierre. 277
und erhebt sich, trüb und grau, wie das sie umgebende Meer selbst,
gefärbt, nur wenig mit ihrer Felsenmasse über dasselbe. Die
Annäherung ist nicht ohne Gefahr: denn während drei Viertheilen
des Jahres sieht man das von gefährlichen Klippen umsäumte
Eilaud wegen starker Regengüsse kaum und viele Schisse scheitern
kurz vor der Landung. Um diese Gefahr so viel als möglich zu ver-
riugern, wird deshalb während dieser Zeit dort alle halbe Stunden
eine Kanone gelöst, wodurch die sich nahenden Fahrzeuge ge-
warnt werden.
Wir trafen, sagt Gobineau, beim Landen gerade heiteres
Wetter, und das mit drei Mann besetzte Lootsenboot kam uns schnell
entgegen. Der Oberlootse war ein alter wettergepeitschter See-
mann, der schon vier Söhne auf diesem wildeu Meere verloren
hatte und doch alle Tage wieder ans dasselbe hinausfuhr. Als
wir auf der Rhede Anker geworfen hatten, konnten wir St. Pierre
mit einem Blick überschauen. Die Häuser, welche uns gegenüber
lageu, waren beinahe alle einstöckige, schwarze und verwitterte
Holzgebäude, uur die Wohnung des Gouverneurs war etwas
größer, doch noch immer sehr einfach ausgestattet. Dieser letzteren
gegenüber liegt ein Binnenhafen, in den sich die Schiffe flüchten,
wenn die Rhede wegen stürmischen Wetters unsicher wird. Zu
beiden Seiten der zerstreuten Hütten befindet sich ein aus Kieseln
künstlich aufgeführter Damm, auf dem man den Kabeljau
trocknet. Wir sind nämlich hier ganz im Reiche dieses Fisches;
ihm gehört lebend das Meer, todt das Laud, ja sogar die Luft, die
er mit seinem gerade nicht angenehmen Geruch erfüllt.
Das Laud bietet ungemein wenig Anzieheudes dar; die
häßlichen, felsigen Berge sind mit einer röthlichen, trockenen Vege-
tationsdecke überzogen, und wo man auch den Fuß hinsetzt, überall
trifft man auf wildes, zerklüftetes Gestein. Einige kriechende
Krummhölzer auf den Bergen, die mit Moos und Flechten über-
krnstet siud, nennt man hier einen „Wald". Wenn die Natur bei
der Erschaffung St. Pierres ein recht häßliches Land hervor-
bringen wollte, so hat sie ihren Zweck vollkommen erreicht.
Und wir waren noch während der Sommermonate hier! Im
Winter wird die Existenz außerordentlich traurig. Dicke Nebel
umlagern dauernd die Insel, Eisschollen verhindern den Zugang
zum Hasen, und der Schnee bedeckt in dicken Lagen die Erde.
Eigentümlich aber ist der feine, trockene Schneestaub, der
sich unter Wirbelwinden einstellt. Durch die feinsten Ritzen, die
kleinsten Löcher an Thüren oder Fenstern dringt er in die Gebäude
und bildet ein Schneehäufchen. Wenn dieser Schneestaub fällt, ist
die ganze Luft wie mit fein verteiltem Eis erfüllt; man kann
keinen Schritt weit sehen, da er in die Augen eindringt; man ist
wie geblendet, verliert die schneebedeckten Wege und läuft Gefahr,
in den Stürmen umzukommen, wie dies auch bereits einigen Leuten
geschehen ist.
Diese Unwirthlichkeit des Landes und weil mau im Winter
nicht sischeu kann, sind der Grund, warum St. Pierre nur eiue
schwache bleibende Bevölkerung aufzuweisen hat, die fast nur aus
Beamten und einigen hundert eingeborenen Seeleuten besteht.
Diese letzteren sind fast alle Normannen und Basken, doch haben
sie sich vielfach unter einander vermischt, so daß der ursprüngliche
Typus nicht mehr zu erkennen ist.
Außer einigen Gemüsen wächst in den mühsam unterhaltenen
Gärten der Insel fast nichts und alle Lebensmittel werden aus
der Fremde zugeführt. Das Mehl kommt aus den Vereinigten
Staaten, das Rindvieh aus Neu-Schottland, die Hammel von
Neufundland, von wo man auch das Holz zum Häuserbau be-
zieht.
Gegen Ende des Winters gewinnt aber Rhede nnd Hafen von
St. Pierre ein anderes Ansehen. Der Schneestaub hört auf zu
fallen, die gegen denselben verranimelten Häuser werden geöffnet
und zahlreiche Gasthöfe verschiedenen Ranges stecken ihre Schilder
aus. Auf der Rhede wird es lebhaft von fremden Schiffen, welche
aus fast allen französischen Seestädten, von Bayonne bis Dün-
kirchen, eine bunte Bevölkerung bringen, durch welche die Zahl
der Einwohner bis auf zehn- oder fünfzehntausend erhöht wird.
Es sind dies die Kabeljaufischer, ein eigenthümlicher, aus-
dauernder Menschenschlag, die sich schon durch ihre äußere Er-
scheinung und malerische Tracht auszeichnen. Die Stiefeln reichen
bis zu den Schenkeln hinauf, den Rücken bedeckt ein Mantelkragen
von Wolle oder Leinwand, die Jacken sind roth und blau oder
roth und weiß, die Farbe der Beinkleider ist gewöhnlich nicht mehr
zu erkennen, nnd der Hals steckt in einer ungeheuer großen Binde
oder ist mit allerlei Tüchern und Lappen umwickelt. Auf dem
Kopfe hat der Kabeljausischer einen mächtig großen Hut oder eiue
blaue Wollenmütze, welche über die Ohren gezogen wird. Die
Hände dieser Leute siud etwa so groß wie eine Futterschwinge, ihr
Gesicht ist lederbraun und gewöhnlich mit einem vierzehn Tage alten
Barte verziert. Zum Beschluß gleichsam überzieht diesen ganzen
Menschen eine Schicht von Fischthran, die ihn schon von weitem
durch den Geruch kenntlich macht. Uebrigens befinden sich diese
Leute hier sehr wohl, und wenn sie nicht beim Fischfange beschäftigt
sind, so schleuderu sie, die Hände in den Hosentaschen, in ihrem
schwankenden Matrosenschritte und die Pfeife im Munde, von einem
Wirthshanse iu's andere.
Der Köder, mit dem man den Kabeljau fängt, ist entweder
frisch oder gesalzen; doch scheint dieser Fisch, wenn man ihm beide
Arten vorwirft, die frische Lockspeise vorzuziehen. Den Köder
liefert der „Capelin", ein kleiner Fisch, der im Frühjahre, verfolgt
von den Kabeljanen, an die Küsten von Neufundland kommt und
hier in Masse gefangen wird. Wie wichtig dieser Fischfang ist,
kann mau daraus ersehen, daß jährlich für eine Million
Francs allein von diesen Fischen nach St. Pierre verhandelt wird.
Wenn die Fischergoeletten mit Köder versehen sind, dann steuern
sie iu nordöstlicher Richtung uach den Fischbänken. Sobald
der Kapitän seinen Platz zum Fischen gewählt hat legt er auf
diesem stürmischen nnd tiefen Meere die Segel bei, und verweilt
mehrere Wochen, ohne sich von der Stelle zu rühren. Die langen
Fischleiueu, von welchen sich wagerecht kleinere, mit Angelhaken
und Köder versehene abzweigen, werden ausgeworfen und schwimmen
im Meere herum. Fortwährend werden sie aufgezogen, die ge-
fangenen Fische abgenommen und der Köder wird erneuert. Dem
Kabeljau schueidet man den Kopf ab, öffnet ihn, weidet ihn ans
und reißt ihn in zwei Stücke, welche aufgestapelt und eingesalzen
werden.
Diese Arbeit dauert Tag und Nacht fort, so lange es über-
Haupt Fische zu sangen giebt. Die mit Blut und Fischthran be-
spritzten Matrosen haben keinen Augenblick Ruhe. Ihre Nahrung
besteht bei all' der Anstrengung, welche sie aushalten, nur aus
den Fischen, welche sie fangen; geistige Getränke sind wenig an
Bord. Ist die Bank, auf welcher das Schiff vor Anker liegt,
gerade nicht fischreich, so wagen sich die Matrosen zu dreien und
vieren in kleinen Nachen weiter auf das Meer hinaus und werfen
dort ihre Fangleinen aus. Oft ereignet es sich dann bei stürmischem
Meere, daß sie sammt ihren kleinen Fahrzeugen zu Grunde gehen.
Dafür sind aber auch diese kühnen Fischer, die den Tod fort-
während vor Augen haben, äußerst abgehärtete Seeleute. Für
all' ihre Mühe und Aufopferung haben sie freilich uur geringen
Lohn. Sie werden meist in Frankreich auf Rechnung der Schiffs-
rheder, welche den Fischfang betreiben, angeworben, und erhalten
außer dem kärglichen Sold kaum die Kleider und Nahrungsmittel
während der Campague bezahlt. Trotzdem geht aus Gewohnheit
und Liebe zum Abenteuern der Vater, der Sohn und wieder der
Enkel als Fischer auf die Kabeljaubänke.
278 In der Campagna der brasilianischen Provinz Rio grande do Sul.
In der Campagna der brasilianischen Provinz No grande do Sul.
Von Karl von Koseritz.
II.
Da das Pferd dem Rio-Grandenser Manne unentbehrlicher
ist als Bett, Tisch nnd Stuhl, die oft in Camphäusern gar nicht
existiren, so ist es natürlich, daß auf die Ausschmückung desselben viel
gegeben wird. Wenige nur werden nnter den Rio-Grandensern sein,
die, trotz der größten Anmnth, nicht etwas Silber, zum wenigsten
ein paar silberne Röhren über den Steigbügeln haben. Die
Pferde reicherer Leute starren von Silber: die Köpfe des Sattel-
bocks, die Ecken der Satteldecken, die Zügel, das Gebiß, die
Halfter, das ganze Kopfgeschirr, der Schwanzriem, der handbreite
Brustgürtel, die Steigbügel, die oft ellenlangen Röhren über den
Steigbügelu, sowie die drei bis neun Pfnnd schweren Sporen mit
riesigen Rädern und Griff, Scheide nnd Bandelier des Säbels
sind oft von massivem Silber, sodaß so ein Pferd für sich höchstens
109, oft nicht einmal 8 spanische Thaler Werth, wohl über 4 bis
5000 Milreis Silber trägt. Für die Frauen, die größtenteils auf
europäischen Damensätteln reiten, existirt derselbe Luxus im Zaum-
zeug, und'der Schuh des Sattels ist oft von Silber. Das Rio-
Grandenfer Sattelzeng ist nicht nur sehr beqnem und vortheilhaft
für die Pferde, welche es nie aufreibt, sonderu auch höchst praktisch,
da es bei Tage als Reitzeug und des Nachts als Bett dient. Die
Unterlage bildet eine grobe wollene Decke; über ihr liegt ein großes
Stück nngegerbten Kuhfelles, über diesem eine gewirkte rothe, vier-
doppelt zusammengeschlagene, feine wollene Decke mit Pitfcheln,
die wieder von einer großen Decke von gegerbtem Sohlenleder, mit
vielen eingepreßten Figuren künstlich verziert, bedeckt wird. Aus
dieser nun liegt der Sattelbock, dem ungarischen ähnlich, jedoch
weniger hoch nach hinten und vorn, dessen Ränder gewöhnlich mit
Silber beschlagen sind. Dieser Bock wird mittelst eines spannen-
breiten Gurts von Pferdehaut festgehalten, über dem sodann einige
weiße Schaffelle und eine langhaarige, künstlich bereitete schwarze
wollene Decke zu liegen kommt, und endlich eine kleine gestickte Ober-
decke, die wieder von einem gestickten Gurte gehalten wird. Der
Lasso hängt hinten am Sattelkopfe; die Bolas (Wurfkugeln) liegeu
unter den Schaffellen des Sitzes; um deu Hals des Pferdes liegt
der lange, aus uugegerbtem Kuhfelle verfertigte Riemen (Marador),
der zum Anbinden des Pferdes bestimmt ist; unter dem Zaumzeuge
sieht man noch den künstlich gearbeiteten Halfter nnd die daran
hängende Manea, zwei dnrch einen Ring verbundene Riemen, die
man um die Vorderfüße des Pferdes schnallt, damit es beim
Stehenbleiben vor der Thür nicht fliehen kann. Am andern
Sattelkopfe hängt noch gewöhnlich ein kunstreich geschnitztes und
tätowirtes Trinkhorn, ans dem Horn eines Ochsen gemacht, nnd in
der Hand trägt der Reiter die aus einer Pferdehaut geflochtene nnd
fast immer mit Silber verzierte Peitsche, weit kürzer als unsere
Reitpeitschen. Und nun der Reiter selbst, iu seiner malerischen
Laudestracht! Den Stiefel schmücken jene riesigen, oft vier Pfnnd
schweren, silbernen oder eisernen Sporen, mit Rädern von zwei
bis vier Zoll Durchmesser; auf diese herab fällt die weiße, mit
Stickerei verzierte Unterhose. Ein großes viereckiges Tuch vou greller
Farbe, meist roth oder blau, das ChiripS, ist durch die Beine hin-
durch geschluugen, deren freie Bewegung durch kein enges Beinkleid
gehindert wird. Das Chirip», wird, an der Taille vom Tirador,
einem spaunenbreiteu, schön gestickten Gürtel von rothem Tuch oder
Leder,vorn von vier großen silbernenKnöpfen zusammengehalten nnd
mit Geldtaschen versehen. In diesem Gürtel steckt das lauge Messer
mit silbernem Griff und Scheide; über ihm der Pistolengurt mit
Patronenbehälter, iu dem die treue Begleiterin des Rio-Grandensers,
seine doppelläufige Pistole, steckt, und unter ihm hält das Bandelier
den Säbel mit silberner oder nensilberner Scheide, der die Flanke
des Pferdes schlägt. Ein weißes Hemd, ohne Weste, die die freie
Brust beengen würde, ist von einer kurzen Jacke oder National-
gardenrock (denn alle Rio-Grandenfer sind aktive Nationalgardisten
und tragen fast immer Uniform) bedeckt; ein Halstuch ist iu nur
leichtem Knoten um den nervigen Hals geschlungen, nnd über diesem
Allem flattert der leichte Sommerponcho von meist grellen Farben,
und giebt der Tracht ein malerisches Ansehen, während über dem
Sattelkopfe der große Tuchponcho, für Regeu und Kälte bestimmt,
hängt. Eiu solcher Poncho ist eine Art fast ganz runden Mantels
mit einein Loch und Kragen in der Mitte, dnrch welches der Kopf
gesteckt wird, und der von silbernen Ketten am Halse zusammen-
gehalten ist. Die Tuchponchos sind gewöhnlich mit rothem
Wollenzenge gefüttert und meist blau, die auderen jedoch von
leichtem Stoff-und schönen Farben und mit Goldborten verbrämt,
wenn sie von Offizieren getragen werden. Ans dem lockigen
Rabenhaare trägt der Reiter seinen leichten Chile-Strohhut, vom
Sturmriem mit goldener Quaste unter dem Kinn festgehalten, und
so fliegt er, fürwahr eine romantische, malerische Erscheinung, auf
seinem wilden Rosse, mit den er zusammengewachsen zu sein scheint,
durch Berg nnd Thal dahin.
Daß die Rio-Grandenser, die Kosaken Brasiliens, so wie sie
ihr Roß nie verlassen, anch die Waffen nicht ablegen, brauchen
wir nicht zu wiederholen; Messer und Pistole begleiten sie stets,
selbst im Hans, nnd auf Reisen fehlt auch der Säbel, so wie im
Kriegsdienste die Lauze, die sie mit besonderer Geschicklichkeit Hand-
haben, nie.
Tapfer wie die Löwen, muthig wie alle wahren Natnrkinder,
fehlt ihnen auch der edle männliche Stolz nicht, den ihnen das
Bewußtsein, als freier Manu stets Waffen zutragen, einathmet.
Gutmüthig, gastfreundschaftlich und zuthulich im gewöhnlichen
Leben, ist der Rio-Grandenser eiu Löwe, wenn man ihn beleidigt,
und große Rennionen von vielen Individuen bei öffentlichen Festen,
Wettrennen :c. laufen selten ohne Streitigkeiten und Blutvergießen
ab. Uud nuu wolleu wir uoch deu Rio-Grandenser im Familien-
eben und die schönste, edelste Seite seines Charakters, die ritter-
liche Gastfreundschaft, betrachten.
Die Häuser, selbst die reichsten, sind einfach in der Campagne
von Rio Grande; und selten trifft man ein Herrenhans, wenn-
gleich es solche giebt, auf großen Estancias. Mit Ziegeln gedeckte
Häuser werdeu jetzt häufiger, doch für die ärmere Klasse der Be-
wohner sind die mit Stroh gedeckte» Hänser die gewöhnlichen.
Auf Holzstützen, mit verflochtenen nnd von Lehm bedeckten Zweigen
verbunden, ruht das Strohdach. Iu der Mitte ist eiu Saal mit
einer Thür vorn nnd einer andern nach dem Hofe, aus der einen
Seite das Zimmer der Eltern, auf der and'ern das der Töchter, —
da haben wir das gewöhnliche Camphans mit einem oder zwei
kleinen Fenstern. Vorn liegt der Coral, hinten die Küche und
neben ihr ein Zimmer für die Söhne des Hauses und ein anderes
für Gäste, deuu dieses darf selbst im ärmsten Hause nicht fehlen;
an das Haus schließt sich das Gehöft an, in dem gepflanzt wird,
und der Portreiro (eine geschlossene große Wiese, in der Pferde
weiden können). Quellwasser und ein guter Waschplatz siud
Hauptbedingungen bei der Wahl eines solchen Wohnplatzes. Und
diese ärmliche Hütte ist für den ermüdeten Reisenden ein wahres
Paradies, wo er schöne gastfreundliche Feen findet. Man langt an zu
jeder Stunde des Tages und des Abends und bittet um Erlanbniß
abzusteigen. Der freundliche Herr des Hauses in Hemdsärmeln
In der Campagna der brasilianischen Provinz Rio grande do Snl.
279
und Mützchen, empfängt uns mit einem kräftigen Handdruck und
dem herkömmlichen: Como tem passade? Der Neger ober die
Söhne, oder wenn Beides mangelt, der Hausherr satteln unser
Pferd ab, geben ihm Mais und lassen es in den Portreiro laufen.
Währenddem sind wir eingetreten, wo wir von den hübschen und
freundlichen Töchtern des Hauses empfangen sind, die uns in der
hohlen Schale (cu'ia) deu bittern Mate oder Paragnaythee
bieten, der von Hand in Hand geht und, der Indianer-Friedens-
pfeife gleich, von Allen der Reihe nach mit einer silbernen Röhre
geschlürft wird. Man bittet den Fremden, seine Waffen abzulegen,
es sich bequem zu machen; während eine Tochter in die Küche geht,
das Abendmahl für den späten Gast bereiten zu lassen, bringt die
andere Pautosselu, um die Stiefeln ausziehen zu können, und
uoch eiue andere bietet ihm die Viola (eine Art Gnitarre mit klim-
pernden Drahtsaiten) an, und wenn er dieselbe, Unkenntnis halber,
ausschlägt, so nimmt sie selbst das Instrument und singt mit an-
mnthiger nnd wohltönender Stimme dem Fremden zur Unter-
Haltung volkstümliche Lieder vor. Der Vater, die Mutter uud
die Söhue machen die Unterhaltung allgemein; man sucht aus
Küche und Speisekammer das Beste hervor, um es dem Reisenden,
den man nie gesehen hat uud nie wieder sehen wird, vorzusetzen; alle
Mitglieder der Fanülie scheinen nur auf der Welt zu sein, um ihm
augenehm zu sein. Nach dem reichlichen Abendessen, an dem die
Familie Theil nimmt, räumt man ihm das beste Bett ein; am
andern Morgen ladet man ihn ein, uoch dazubleiben, und wem?
er es ausschlägt, so läßt man ihn nicht ziehen, ohne ihn zum
Frühstück geuöthigt zu haben, und auf sein bereits gesatteltes Pferd
steigend nimmt er Abschied und würde die Leute tödtlich beleidigen,
wenn er ihnen anders was als seinen Dank böte.
Das ist die Gastfreundschaft der armen Rio-Grandeuser; daß
die der reichen ebenso herzlich und uoch viel großartiger ist,
brauchen wir nicht hinzuzufügen.
Diese patriarchalische Gastfreundschaft, verbunden mit dein
offenen ritterlichen Wesen der Rio-Grandenser, ist der hauptsächliche
Reiz des Camplebens, und welches Volk thnt es ihm gleich in
dieser Beziehung? Keins auf der ganzen weiten Erde.
Das Hansgeräth, selbst in reicheren Häusern, ist arm und
wenig. Ein Tisch, einige Bänke, ein großer Wasserbehälter und
einige Koffer macheu das Menblemeut das Wohnzimmers ans;
an den Wänden hängen Zaumzenge, Jagdflinten uud die klassische
Viola, mit hübschen Bändern geschmückt. In dem Schlafzimmer
einige einfache selbstgezimmerte Bettstellen, mit Stroh oder Woll-
Matratzen, reinlichen Betttüchern uud wollenen Decken; an der
Wand in armen Häusern einige Heiligenbilder ohne Nahmen, in
vornehmen eiu kleines Oratorium mit Figuren von Heiligen, ver-
mischt mit allerhand Flaschen und Büscheln medieinischer Kräuter,
die da hängen, das ist Alles, was niau sieht. Bei all' der Aermlich-
keit jedoch herrscht überall eine unendliche Reinlichkeit, denn diese
ist die conditio sine qua non des brasilianischen Hanshalts; ich
glaube nicht, daß es noch irgendwo in der Welt(?!) ein so skrupulös
reinliches Volk giebt. Die Nahrung kann arm seiu, ist aber immer
sauber bereitet und wohlschmeckend. Das Fleisch, srisch oder ge-
salzen, mit den klassischen schwarzen Bohnen, ist das Hauptgericht.
Selbst in reichen Häusern ist die Nahrung in der Campagne
einfach. Des Morgens früh Mate mit Brot und hiesigem etwas
sehr trockenem Käse; um 10 bis I i Uhr Frühstück mit gekochtem
Fleisch, schwarzen Bohnen mit Speck uud Tarque (gesalzenem
Fleisch) und Cluisea (d. h der Hülle entledigte und in Wasser ge-
kochte Maiskörner) mit Milch; sodann Kaffee. Um 4 oder 5 Uhr
kommt das Mittags- oder eher Abendbrot mit denselben Bestand-
theilen, und am Abend trinkt man wieder Mate oder Kaffee.
Kommt ein Fremder, so schlachtet man ein Huhn lind kocht es mit
Reis, oder schmort Linguiza, eine Art von Wurst, recht wohl-
schmeckend, mit Eiern. Und so lebt der Reiche wie der Arme in
der Campagne'. Fleisch fehlt nie, und Bohnen uud Mais erntet
Jeder so viel wie er braucht, aber auch nicht mehr. Dies ist der
Grnnd der so oft gerügten Faulheit der Rio-Grandenser, uud man
mag nicht unrecht habeu. Die Behandlung des Viehes macht, wie
wir oben bewiesen haben, wenig Arbeit; eiu Tag per Woche ist
hierzu hinreichend, selbst auf großen Estaneias. Um Bohnen,
Weizeu und Mais für seinen Hausbedarf zu pflauzen und zwei
Mal int Jahre zu ernten, sind wenige Wochen Arbeit hinreichend,
und da der Rio-Grandenser grundsätzlich nicht mehr als das, was
er gerade braucht, Pflanzt, .so bleibt er den größten Theil des Jahres
müssig, reitet auf Besuch, bekommt solchen, raucht feine Stroh-
eigarre, trinkt Mate, schaukelt sich in seiner Hängematte und
klimpert auf der Viola, oder spielt Solo oder Hazardspiele, denn
Spieler sind fast alle diese freien Söhne der Natur.*)
Daraus muß man aber nicht abnehmen, daß der Rio-
Grandenser nicht fix arbeiten könne, — oh nein, wenn es noth thnt,
so arbeitet er eben so tüchtig wie jedweder Andere. Die reiche
üppige Natur seines Landes giebt ihm fast ohne Arbeit Alles, was
er braucht, uud da feine Ansprüche an's Leben sehr bescheiden sind
nnd er im Allgemeinen von uneigennützigem und indolentem Cha-
rakter ist, sucht er nur eben das Nothwendige zn haben, und zieht
es vor, deu Rest der Zeit seinen Neigungen nach in Ruhe und
Unterhaltung zuzubringen.
Sein Ackerbau sieht seinem Leben ähnlich. Im Frühjahre
wirft er mit der Hacke oder einem groben, von Ochsen gezogenen
Pflug etwas Land um, oder haut mit der Axt im Wald eine
Strecke Bäume nieder und brennt die kleinen Auswüchse ab, um
das so bereitete Feld mit Mais, Bohnen, Weizen, großen süßen
Kartoffeln, Kürbissen nnd Wassermelonen zu besäen. Nach der
Saat überläßt er Gott den Erfolg und bekümmert sich bis zur
Ernte uicht wieder darum ; höchstens schießt er einige wilde Schweine
oder Catoritas uud Papageien, die ihm dieselbe verheeren wollen.
Aber die üppige, fruchtbare Natur seines Landes ist so wunderreich,
daß er auch uichts weiter zu thirn braucht, um zn leben.
Die Frauen besorgen den Haushalt, nähen, waschen, sticken
und bereiten sehr delikate Backwerke; die Rio -Grandenserinuen der
Campagne sind arbeitsam, nähen alle sehr gut, macheu viele feine
Arbeit (eroekst, euio, durchbrochene Stickerei, picado je.) und
zeichnen sich vor Allem durch ihre natürliche und einfache Elegauz,
gute Manieren und große Reinlichkeit ans.
Zweierlei sind die hauptsächlichsten Vergnügungen der Cam-
pague: der Ball und die Wettrennen. Die Bälle finden oft in den
verschiedenen Häusern statt. Fünf bis zehn Familien kommen dort zn-
sammen; man schlachtet ein StückVieh, kauft Wein uud Branntwein,
bereitet einiges Backwerk uud eingemachte Früchte, was die Frauen
ausgezeichnet verstehen, und einer der Chevaliers galants nimmt
die Viola, auf der er den klassischen Fandango mit seinen Variatio-
nen, als anri, tatü je. klimpert, nnd nun beginnt der allgemeine
und höchst graziöse Nationaltanz, einer Quadrille uicht unähnlich,
doch mit gewissen charakteristischen, dem spanischen Bolero ent-
lehnten Figuren.
Ein solcher Fandango, von den jungen schönen Männern und
den üppigen, reizenden, jungen Mädchen der Provinz ausgeführt,
ist ein gar schöner Ablick — da strahlen alle Blicke Lnst uud Ver-
guügen; die Wangen glühen, die Buseu fliegen und die einfachen,
ungekünstelten Kinder der Natur verbergen den Reiz des Tanzes
nicht unter der eeremoniösen Kälte unseres Kontretanzes. Hier ist
Alles Lust, Anmuth und Freiheit. So tanzen die jungen Leute
Nächte hindurch, während die Alten sich am Spieltische vergnügen
nnd die Frauen plaudern.
Die Wettrennen finden oft statt und die Wetten sind bedeutend,
oft von 3 bis 400 Unzen Gold, ohne die Nebenwetten zu rechnen.
Dieselbe finden ohne Hindernisse und auf einem ebenen Plane von
unabsehbarer Länge, je nach der Kraft der Pferde, statt. Die zum
*) Bei aller „Ritterlichkeit" sind die Niograndenser Viehhirten doch nur
Halbbarbaren und ohne Kulturwerth; sie stecken trag im Naturalismus und
sind geistig durchaus unfruchtbar. A.
280
Ethnologische Beiträge.
Rennen bestimmten Pferde werden vorher einige Tage hindurch
vorbereitet und durch wenig Nahrung leichtfüßig gemacht. Von
zwei ausgezeichneten Reitern, in Hemdsärmeln und mit einem Tuch
um den Kopf gewunden, werden sie ohne Sattel, ja ohne Decke
bestiegen, und nun fliegen diese kühnen Reiter in rasendem Galopp
dahin, wobei sie noch suchen, einer den andern vom Pferde zu
werfen, was erlaubt ist und worin gerade die wahre Kunst des
Wettrennens besteht. Daß es hierbei nicht ohne Schaden und oft
genug mit dem Verluste des Lebens abgeht, brauche ich nicht zu
sagen, das versteht sich von selbst. Solchen Wettrennen wohnen
stets viele Männer, Frauen und Kinder bei, nnd wie es natürlich
ist, folgen dem Hauptreunen noch viele andere kleine, so daß das
Fest oft mehrere Tage lang dauert.
Und hiermit wollen wir für heute der Campagne von Rio
Grande mit ihren trefflichen, ritterlichen Bewohnern und reizenden
Töchtern Adieu sagen.
Ethnologische Beiträge.
i.
Wir werden unter dieser Überschrift in zwangloser Weise
eine Reihe von Mitteilungen über ethnologische und anthropo-
logische Gegenstände bringen. Die Ethnologie wird immer wich-
tiger und gestaltet sich nach und nach zu einer Wissenschaft, welche
die Bande bloßer Empirie abstreift und für welche bereits viele
neue Gesichtspunkte und Grundlagen gewonnen worden sind. Au
einem andern Orte haben wir geäußert, es könne keinem Zweifel
unterliegen, daß die Völkerkunde weit mehr als bis jetzt der
Fall gewesen, znr Grundlage auch der Staatswissenschaft
werden müsse. Durch sie werden sich in der Politik, im Staats-
leben der Völker, manche Ausgleichungen erzielen lassen, nach
welchen man bis jetzt vergeblich gesucht hat. Die Ethnologie mit
ihren Lehren ist eine unerbittliche Feindin der Phrase und der ab-
strakten Allgemeinheiten.
Sie zieht die anthropologische Anlage, die wesentliche und
innere Anlage und Naturbegabung der verschiedenen großen
Menschenstämme, Gruppen uud Familien, genau in Erwägung
und faßt deren physische und psychische Begabung in's Auge. Der
Ethnolog begreift die verschiedenen Civilisationen und Kulturen
in ihrem eigentlichen Wesen, in ihrer Berechtigung; er versteht,
von Innen heraus, den Gang ihrer Entwickelung, der allemal
dnrch eine tiefe anthropolo gis che und ethnische Anlage be-
dingt wird. Der Ethnolog weiß ferner, daß der Grad der
Kulturfähigkeit uud Kulturmöglichkeit nicht etwa aller-
wärts und bei allen Gruppen und Familien dieselbe ist, sondern
daß er uns von Anbeginn der Geschichte in einer großen Menge
von Abstufungen entgegentritt, die nicht ein Ergebniß des Zn-
fall es sind; denn die verschiedenen großen Gruppen der „Mensch-
heit" haben sehr verschiedene Kulturwerthe, und es kommt
darauf an, deren Wesen und Eigenart zn verstehen. Mit abstrakten
Formeln, mit dem „Mensch ist Mensch; ein Mensch ist so gut wie
der andere", überhaupt mit Allgemeinheiten wird nichts erklärt.
Als Thatsache steht fest, daß die verschiedenen großen Gruppen
in ihrem innern und vielfach auch in ihrem äußern Wesen sich
gleich bleiben nnd im Fortgange von Jahrhunderten nnd Jahr-
taufenden nur schwache Modifikationen erfahren. Sie bilden
Gegensätze, welche durch die „Civilisation" nicht beseitigt werden
können, weil dieselbe innere, ein- und angeborene Anlagen zu be-
seitigeu unvermögend ist. Das eigentliche Grundwesen, die
psychische Anlage und Begabuug kann sie nicht umgestalten;
die Civilisation ist ohnmächtig gegenüber Dem, was
von der Natur einmal als immanent gegeben ist und
was dieselbe Permanent behauptet uud behaupten
will. Die Natur ist beharrlich und läßt sich keinen Zwang an-
thun. Es ist nicht etwa Zufall, daß durch Mischung verschiedener
Rassen sich keine konstanten Mischlingsvarietälen bilden lassen:
nicht Zufall, daß die verschiedenen großen „Rassen" nicht zu einer
allen Menschen gemeinsamen Urform werden wollen oder können,
und daß tief im Innersten liegende Anziehungen und Abstoßuugeu
vorhanden sind, die sich niemals beseitigen oder völlig besiegen
lassen.
Diese Umstände sind von uns schon mehrfach im Globus au-
gedeutet worden und werden gelegentlich eine weitere Erörterung
finden. Wir beginnen nun unsere Beiträge, indem wir die An-
sichten mittheilen, welche ein ausgezeichneter Mann, I. Crawsnrd,
Vorsitzender der Londoner ethnologischen Gesellschaft, in der Januar-
sitzuug dieses Gelehrtenvereins aussprach. Er redete „Ueber die
Mischung der Rasseu und wie weit dieselbe von Ein-
flnß auf Fortschritt uud Civilisation ist."
Er erörterte die Verhältnisse Afrikas. Der schmale Streifen
fruchtbaren Landes zwischen der großen Wüste und dem Atlasge-
birge, von welchem manche Gefließe Herabkommen, hat fruchtbaren
Boden und manche Aehnlichkeit mit dem südlichsten Europa. Die
ursprünglichen Bewohner haben im Vergleich zu anderen Afrikanern
eine helle Hautfarbe und reden eine Sprache, die von allen anderen
verschieden ist. Man bezeichnet diese Menschen als Berbern oder
Kabaylen. Diese Rasse ist ganz offenbar eine besondere, eigen-
artige, von anderen verschiedene, aber im Allgemeinen mehr enro-
päisch als afrikanisch. Trotz des Klimas und fruchtbaren Bodens
haben die Menschen der Berberrasse, also Libyer, Numider und
Manritanier(?), sich niemals so weit zur Civilisation und Kraft
erhoben, daß sie es bis zur Bildung eines einheitlichen, mächtigen
Staates gebracht hätten. Sie konnten weder ihre Unabhängig-
keit behaupten, noch Fremden die Ansiedelung verwehren. Seit
dreißig Jahrhunderten findet bei ihnen eine Vermischung mit
Völkern anderer Abstammung statt; sie geschah mit Phöniziern
und Griechen, welche dort Kolonien hatten; mit Römern, welche
600 Jahre lang Beherrscher Nordafrikas waren; mit Vandalen,
also Menschen germanischer Abkunft, welche ein Jahrhundert lang
in einem Theile Nordafrikas geboten; mit Byzantinern und endlich
mit Arabern, die nun seit etwa 700 Jahren im Lande sind. Dazu
sind noch Türken nnd Franzosen gekommen.
Die Einwirkung des arabischen Elements ist am stärksten
gewesen nnd am tiefsten eingedrungen. In den meisten offenen,
zugängigen und fruchtbarsten Landestheilen ist die arabische Zunge
vorwaltend geworden; wir finden in den Städten und auf dem
platten Land eine Mischlingsbevölkerung, zu welcher auch die aus
Spanien vertriebenen Mauren einen starken Beitrag geliefert
haben. Aber man darf annehmen, daß, trotz aller dieser fremden
Zuthaten, das Element der Ureingebornen noch heute vorherrscht,
uud daß die Bewohner der Berberei nicht gerade wesentlich von
den alten Nnmideru uud Mauritaniern abweichen. Sicher bleibt,
daß von griechischem, italienischem und germanischem Blute keine
Spuren mehr vorhanden sind (— höchstens die blauen Augen bei
Ethnologische Beiträge.
281
einzelnen Kabaylen —); es ist im berberischen und arabischen ver-
schwömmen.
Ein Umstand verdient hervorgehoben zu werden. Auf der
pyrenäischen Halbinsel vermischte sich das Blnt der Araber mit dem
spanischen, und dort erreichten sie einen höhern Grad von Civili-
sation, als in ihrem eigenen oder in irgend einem fremden Lande.
In Afrika dagegen, wo sie sich mit berberisch-mauritanischem
Blute vermischten, sind sie Halbbarbaren. Das Letztere ist nicht
die Folge des Bodeus oder Klimas; denn Südspanien und Nord-
afrika weichen in dieser Beziehung nicht sehr weit von einander ab.
In Aegypten haben einheimisches und fremdes Blut sich
ausgedehnter und in größerer Menge mit einander gemischt, als
sonst irgendwo. Die ältesten Urbewohner bildeten einen besondern
Schlag, der in physischer und geistiger Hinsicht von allen anderen
sich unterschied, anch von den benachbarten Phöniziern und
Arabern. Begünstigt durch die eigenthümliche Beschaffenheit ihres
Landes, erreichten vie Aegypter schon in sehr früher Zeit eine hohe
materielle Civilisation. Thomas Buckle wollte diese frühe Civi-
lisatiou der Aegypter daraus herleiten, daß ihr Land Datteln
hervorbringe. Das ist aber eine wilde, durchaus grundlose An-
nähme; denn die Thatsache steht fest, daß kein vorzugsweise von
Früchten und Wurzeln und von mehlhaltigem Marke der Bäume
sich nährendes Volk jemals eine auch nur mäßige Civilisations-
stufe erreicht habe. Kein Volk, welchem Getreide fehlte, hat
die Schreibekunst erfunden. In den gemäßigten Regiouen der
alten Welt steht Weizen in erster Reihe, in den heißen Gegenden
Asiens der Reis, in Amerika der Mais.
Die Civilisation der Aegypter war von schwächlichem Wesen,
ihre Regierung ganz despotisch, ihr Aberglaube von so verächt-
licher Art, daß die doch sonst ziemlich toleranten Römer ihn nicht
duldeten. Die Aegypter vergeudeten ihre Energie im Erbauen ge-
waltiger Gräber und Tempel für namenlose Könige und ver-
götterte Ochsen. Ihnen fehlte der Mnth, sich selbst zu vertheidigen,
und ihr Reichthum zog fremde Eroberer herbei. Die Aegypter
ihrerseits unterjochten nur arme Völker iu ihrer Nachbarschaft, und
selbst ein so wenig zahlreiches Volk wie die Juden konnten ihnen
Trotz bieten nnd ans der Knechtschaft entrinnen, sobald sie einen
tüchtigen Führer bekamen.
In Folge der mannichsachen Eroberungen fand eine große
Blutvermischung statt. Den Ueberliefernngen der Aegypter zufolge
wurden sie vou Nomadenvölkern bezwungen und regiert, etwa wie
die Chinesen von den Tataren. Späterhin kamen die Perser, etwa
100 Jahre, dann auf ungefähr 300 Jahre Griechen, uachher
folgte, unter verschiedenen Gestalten, die römische Herrschaft 700
Jahre lang. Griechen nnd Römer unterwarfen Aegypten mit
geringerer Mühe als in unseren Tagen die Engländer Hindnstan,
und sie regierten Aegypten in ähnlicher Weise, wie die Engländer
Indien regieren. Auch die Araber wurden mit leichter Mühe
Herren des Landes; Aegypten lag gleichsam vor ihrer Thür, und
mohammedanische Fanatiker spielten iu Aegypten etwa eine Rolle
wie die sächsischen Eroberer in Britannien. Sie vermischten sich
mit den Landesbewohnern und verschafften ihrer Sprache nnd ihren
Einrichtung Geltung.
Die Herrschaft der Araber dauert eigentlich heute noch, denn
jene der Türken und Mamelucken ist eigentlich nur als eine Modi-
sication derselben zu betrachten. Sie ist nun etwa 1200 Jahre
alt. Die Masse des Volkes im heutigen Aegypten ist unwissend
nnd geknechtet, aber kräftig uud arbeitsam. Die Fellahs, das
Produkt der Mischungen, sind schwarzhaarige Leute mit gelber Haut-
färbe uud geistig wie leiblich wohl uicht sehr von den Unterthanen
der alten Pharaonen verschieden (?); arabische Ankömmlinge
haben wohl allezeit in Aegypten gelebt. Die Kopten, deren
Anzahl uicht beträchlich ist, haben die Religion, welche sie in den
Römerzeiten annahmen, und sprechen die nun allerdings vielfach
verderbte und veränderte Sprache ihrer altägyptischen Vorfahren.
Globus für 1863. Nr. 33.
Die Neger. Bei Menschenstämmen, die auf einer niedrigen
Entwickelnngsstnse sich befinden, scheint eine Antipathie vor-
Händen zn sein, sich mit anderen Racen zn vermischen, ähnlich
wie bei niederen Thieren, welche in wildem Zustande sich nicht
einmal mit sehr nahe verwandten Species vermischen, während sie
das in gezähmtem Zustande allerdings thun. Hottentotten und
Kaffern vermischen sich nicht mit einander; auch giebt es, wie
Crawsurd meint, keine Kreuzung zwischen Kasseru uud Negern,
Somali oder Galla. Es ist wahrscheinlich, daß unter der weit
verbreiteten Menschengruppe, welche man als jene der Neger be-
bezeichnet, mindestens eben so große Verschiedenheiten stattfinden,
wie unter den Europäern. In Afrika selbst halten sich die verschie-
denen Stämme ziemlich entfernt von einander; wenn aber die
Neger nach anderen Ländern übersiedelt werden, z. B. nach
Amerika, dann vermischen sie sich, und es entsteht eine Masse,
in welcher die früheren Judividualitäteu nicht mehr heraus zn
kennen sind.
Die Araber haben sich vielfach mit Negern vermischt. Ber-
mittelst des Monsuns hat die Schifffahrt von Arabien nach Ost-
afrika keine Schwierigkeiten, und arabische Ansiedelungen ans
dieser ostafrikanischen Küste reichen in eine sehr hohe Zeit hinauf.
Seit dem Anbeginne des Islam wurden sie zahlreicher. Alljährlich
fahren mit dem Nordostmonsun Tausende von Arabern hinüber;
ein Theil kehrt mit dem Südwestmonsun wieder zurück, aber
viele bleiben auch iu Afrika. Die Nachkommen derselben sind
zwar auch, nachdem Mischung mit Negern stattgefunden hat,
immer noch kenntlich, aber die Mehrheit der Schwarzen, unter
welchen sie leben, übt einen bedeutenden Einfluß; denn diese Misch-
liuge lassen allmälig die arabische Sprache fallen und bedienen
sich im Verkehr einer afrikanischen (— zumeist reden sie das
Suaheli —). Etwas Aehnliches sehen wir in Persien und
Indien; in dem erstem Lande ist, trotz der Eroberung durch Araber,
die Sprache der Letzteren eben so wenig herrschend geworden, wie
das Persische in Indien.
Der arabische Einfluß hat aus die Neger in Afrika einen
wohlthätigen Einfluß geübt; da, wo er sich zeigt, siud die Schwarzen
einigermaßen vermenschlicht worden. Wo der Mohammedanismus
zur Geltung kommt, verschwinden wenigstens Menschenopfer und
Kannibalismus, welche in Westafrika so allgemein im Schwange
gehen. Arabisches Blut ist das einzige, welches in Afrika einen
merklichen Einfluß auf die Negervölker gehabt hat, aber er erstreckt
sich doch immer nur auf einen geringen Theil der Neger. Die
weitaus überwiegende Masse derselben befindet sich auch heute noch
in demselben Zustande äußerster Barbarei, durch welchen sie sich
von Anbeginn kennzeichnet. Ein Neger ist Sklav des Andern,
Alle sind Sklaven jedes beliebigen Fremden, welcher Macht genug
besitzt, sie zu unterwerfen. —
An diese Bemerkungen Crawsurd's knüpften sich in der
ethnologischen Gesellschaft eine lebhafte Erörterung. Di-. Sand-
Wirt h sprach über die Einwirkungen des Klimas; er machte die
offenbar sehr richtige Bemerkung, daß den verschiedenen großen
Menschengruppen auch verschiedene Klimate entsprächen, in
denen allein sie ganz uud völlig ihrer Anlage und Beschaffenheit
geinäß gediehen. Wenn sie aus den für sie geeigneten Klimaten
in andere Klimate versetzt werden, so findet bei ihnen nicht etwa
eine dem erstern entsprechende Umwandlung statt, sie gewöhnen
sich nicht etwa in dasselbe ein. Es giebt eben Klimate, in
denen Menschengruppen, welche ursprünglich anderen
Klimaten angehören, nicht gedeihen und in welchen
sie auf die Dauer sich nicht halten können. „Die
Engländer iu Indien liefern den Beweis dafür, daß eine Raffe
ausstirbt, wenn sie in ein ganz verschiedenes Klima kämmt; es
giebt keine Enkel von Engländern, welche Generationen lang in
Indien gewohnt haben."
Wir haben im Globus mehrfach Andeutungen iiber diesen Satz
gegeben nnd ihn in die Formel gefaßt, daß der Mensch ^in
36
282
Oöffentliche Zustände in den Ländern am La Plata - Strom.
Kosmopolit sei. Sandwirth'sBemerkungen gelten aber nicht von
ganz Indien, z. B. nicht von den höher gelegenen Gegenden, also
nicht von den Nilgherris oder den Vorbergen des Himalaya, wohl
aber von der bengalischen Tiefebene. Sandwirth hätte noch hervor-
heben können, daß in Bengalen die dort gezeugten englischen Kinder
selten über zehn Jahre alt werden; man bringt sie deshalb, wenn
sie sieben oder acht Jahre alt sind, nach Europa oder in eine ge-
birgige Gegend; erst wenn die Periode des Mannbarwerdens
überstanden ist, können sie ohne Gefahr iu die heiße Region zurück-
kehren. Wir geben einen weitern Beleg. In den südafrikanischen
Besitzungen Portugals, sowohl in Angola und Benguela an der
Westküste, wie in Mosambik an der Ostküste, giebt es keiu Beispiel
von einer portugiesischen Familie, welche sich auch nur bis auf die
dritte Generation gebracht hätte.
Bnenos Ayres, 10. December 1862."-)
Die argentinischen Republiken wären so recht dazu geeignet,
eines der glücklichsten Länder der Erde zn werden, aber sie sind noch
immer weit entfernt davon. Die gütige Natur hat ihnen nichts
versagt, die Menschen verstehen jedoch diese Vortheile und diesen
reichen Segen nicht zn benutzen. Fast alle ehemals spanischen
Kolonien schleppen das Unglück mit sich herum; es ist als sei ihnen
dasselbe an die Fersen mit ehernen Klammern geheftet. Hier in
den Regionen am La Plata haben sie nun Meeresküste, schiffbare
Niesenströme, ans denen man taufend Stunden landeinwärts
fahren kann, fruchtbaren Boden, gefnndes Klima, politische Un-
abhängigkeit, und mit allen diesen Geschenken Gottes wissen sie
rein gar nichts anzufangen. An einzelnen gebildeten und trefflichen
Leuten ist kein Mangel; diese begreifen auch recht wohl, wo es fehlt
nnd worin die Ursache des vielen Jammers liegt; sie mühen sich
ab, zn helfen und zu bessern, so viel sie ihrerseits können, aber sie
haben eine Riesenarbeit vor sich. Wie wollen sie der allgemeinen
Verwilderung steuern, wie die Nohheit der Ganchos bändigen,
die Eifersüchtelei zwischen den verschiedenen Provinzen niederhalten,
dem Ehrgeize herrschsüchtiger Soldaten Schranken setzen?
Aus dem großen Bürgerkriege sind wir vorerst nnd bis auf
Weiteres heraus. Buenos Ayres hat gesiegt und hier am
Orte bemerkt mau nicht viel von den zerrütteten Verhältnissen, von
denen das Innere heimgesucht wird. Ich will Ihren Lesern einige
Schilderungen geben, welche ein Schlaglicht anf die Zustände
werfen. Während die ganze Welt fortschreitet, sind unsere Pro-
viuzeu mehr und mehr zurückgekommen. Die Schuld fällt ledig-
lich auf das Volk selbst, anf die Gauchowirthfchaft, welche
nicht genug bekommen kann an Bürgerkriegen und Provinzial-
fehden, und damit den wilden Indianern Thor und Thür öffnet.
Diese unbändigen Reiter sind eben jetzt eine ärgere Geißel als je
zuvor; allemal, wenn die Weißen sich untereinander zerfleischen,
kommen die Wilden oben anf und haben freien und weiten Spiel-
räum. —
Heute ist das Land weit und breit verwüstet. Die kleinen
Ortschaften auf dem platten Lande sind verheert und ausgeraubt,
zum Theil auch ausgemordet worden, nnd zwar ebeu sowohl durch
Weiße wie durch Braune. Antrieb und Aufschwung sucht mau
vergeblich. Jetzt, bei der europäischen Baumwollennoth, haben
*) Besten Dank! Mir schon am 21. Januar zugekommen. Ich bitte
um^ernere Mittheilungen. A.
Für vollkommen richtig halten wir auch die Bemerkung des
Herrn Christie: „Aus den Blutvermischuugeu der großen Rassen
kommt durchgängig ein verschlechtertes Produkt hervor. Es
giebt bestimmte Zonen, welche bestimmten Menschengruppen von
der Natur augewiesen sind."
Dr. Siemens hob Folgendes hervor: Die Frauen üben
einen großen Einfluß. Wenn Eroberer in ein Land kommen und
einheimische Franen heirathen, dann lernen die Kinder Vorzugs-
weise die Sprache der Mutter und nehmen Landessitten an.
Bringen aber Eroberer nnd Einwanderer ihre Frauen mit, dann
bewahren sie ihre Sprache und Civilisatiou.
Der alte Jahn hat das einmal niit der Formel ausge-
drückt: „ Es muttert sich bei Kindern viel mehr als daß es sich
vatert."
Gauchowirthfchaft. —
wir eine Cottonmanie, nnd Jeder möchte Baumwolle bauen. Auch
ist es Thatsache, daß weite Laudstreckeu sich gauz ausgezeichnet
dazu eignen, daß man keine faulen Neger braucht, sondern daß
weiße Leute iu diesem glücklichen Klima, ohne Nachtheil für ihre
Gesundheit, Baumwolle bauen können. Haben sie es früher doch
schon mit Erfolg gethan. Einst blühte der Baumwolleubau in der
Provinz Catamarca und lieferte den Bedarf für das ganze
Land; jetzt sind Gutsbesitzer von dort hierher gekommen, um sich
Samen zu holen, denn in Catamarca ist keine Baumwollenstaude
mehr; mau weiß uicht einmal, wie sie aussieht!
Iu der Stadt Cordov a befaud sich eiust eine Universität,
die berühmteste in ganz Südamerika; sie ist so verfallen, daß ich
sie nicht einmal mit einem deutschen Untergymnasium vergleichen
möchte.
Santa F6, eine vormals so wichtige Stadt, fällt fast in
Trümmer. Die trägen Bewohner haben keine Uferkaien gebaut,
und so ist es gekommen, daß der Rio Salado Straßen und Kirchen
unterwühlt und in seine Fluten hineiugerissen hat. Während die
Santafecinos sich in den grimmigen Bürgerkrieg gemischt hatten,
stürmten die wilden Indianer ans dem Gran Chaco heran nnd
ritten, mordend und plündernd, bis anf den Marktplatz der Stadt.
Mendoza ist seit dem Erdbeben ein Trümmerhaufen; man
hat auf der alten Stelle hölzerne Häuser aufgeführt; aber von Anf-
blühen der Stadt kann keine Rede mehr sein, denn ihre Lage be-
findet sich recht eigentlich in einem Erdbebenfocus.
Rofario, der Hafen oberhalb unserer Stadt, gleichfalls am
rechten Ufer des Stromes, sollte während der Trennung zwischen
Buenos Ayres und den übrigen Provinzen durch künstliche Mittel,
z. B. Differentialzölle, zu einem großen Handelsplatze hinanfge-
schraubt werden. Nun ist es in seine frühere Unbedeutendheit zn-
rückversunken, wie Paranä (La Bajada del Parana), die Haupt-
stadt der Conföderation während der Trennung; man hat neulich
Parana mit deu Ruinen von Balbek in Syrien verglichen.
Aber wir haben doch „Fortschritt"; er ist freilich von ganz
eigenthümlicher Art. In der Erdbebenstadt Mendoza hat sich ein
Club del Progreso gebildet; dem Programm gemäß läuft sein
Hauptzweck darauf hinaus— Bälle zu geben! Die dort er-
scheinende Zeitung „Tnpnügato" füllt ihre Spalten mit Beschrei-
bnng von Tanzvergnügungen, die in Maypu, in Mendoza und an
anderen Orten abgehalten werden. Als man am 19. November
eben sich lustig im Reigen drehte, kam wieder einmal ein Erdstoß,
der heftigste seit dem großen Erdbeben. Aber man gewöhnt sich
Oeffentliche Zustände in den Ländern am ta Mw-Strom.
Allgemeine Verhältnisse in den argentinischen Republiken. — Kein Fortschritt. — Zur Kennzeichnung der Verhältnisse im Innern. —
Die Kämpfe mit den Indianern. —
Öffentliche Zustände in den Ländern ctm La Plata - Strom.
283
an Alles, der Ball nahm trotzdem seinen Fortgang. Ein wirk-
licher Fortschritt wäre es aber, wenn der Plan eines Herrn Sauze,
eine regelmäßige Postverbindung mit Chile über den
Uspallata-Paß herzustellen, nicht blos Projekt bliebe. Mendoza
soll dafür den Ausgangspunkt bilden.
In den oberen Provinzen sieht es noch ganz besonders unruhig
aus. In der Stadt Catamarca treibt sich eine Bande ver-
wegener Gesellen umher. Neulich machten sie sich das Vergnügen,
eine Menge Kugeln in den Gouverneurspalast zu schießen, während
Seine Excellenz eben bei Tische saß. Als die Nationalgarde ans-
gerufen wurde, entfernten sich die Missethäter und zogen auf das
flache Land. Von Seiten des Gouverneurs ist ihnen kund gethan
worden, daß man sie im Betrctungssalle „lynchen" werde. Dieses
Uankeewort hat sich hierzu Lande eingebürgert. In Cordova
treiben sich auch Gauchobaudeu umher, rauben, bringenden
Ertrag ihrer Plünderungen in die Stadt zum Verkauf, und
Niemand wagt sie anzutasten. Es ist gewiß recht löblich, daß mau
iu Cordova ein topographisches Bureau einrichtet, aber die
öffentliche Sicherheit ist doch noch werthvoller.
In La Rioja sieht es auch unruhig aus. Die Lente dort
haben den Commiffarius der Bundesregierung beim Kragen ge-
nommen und eingesperrt; sie sagen, er sei ein Verschwörer.
In der Provinz San Juan sucht alle Welt nach neuen
Silbergruben, und das ist wenigstens harmlos; eben so die
Cottonmauie in Santiago del Estero, wo man endlich daran
denkt, einmal ernstlich zu Probiren, ob der Rio Dnlce schiffbar
sei. Dreihundert Jahre vergingen, ehe Spanier und Gauchos
auch nur darau dachten, einen Kahn aus den Rio Salado zu
bringen; da kamen 1856 die Nordamerikaner, und siehe da, sie
dampften diesen Strom dritthalbhnudert Stunden weit hinauf.
Die Fremden erst mußten erscheinen, um eine so treffliche Wasser-
straße, welche bis hoch iu die inneren Provinzen hineinführt, zu
entdecken. Ueberhaupt ist Alles, was wirklich für Fortschritt gelten
kann, hier zu Lande von Fremden angeregt und durchgeführt worden.
Hätten unsere Argentiner nur deu hundertsten Theil von Blut
und Energie, welche sie in den unaufhörlichen Bürgerkriegen ver-
geudeteu, daran gesetzt, die Indianer zu Paaren zu treiben, so
wären diese Söhne der Wildniß längst entweder völlig ausgerottet,
oder doch derart gezüchtigt und zurückgedrängt, daß sie nicht mehr
lästig fallen konnten. Jetzt aber sind die braunen Männer der
Pampas eine wahre Geißel für das ganze Land. Durch sie ist die
sichere Verbindung zwischen den einzelnen Provinzen unterbrochen;
jeder Indianer ist der geschworene Todfeind des Weißen, und bis
jetzt hat man diese wilden Stämme nicht mit Erfolg züchtigen
können. Sie sind die Beduiuen von Südamerika. Sie stürmen
über unsere Grenzen herein, treiben Viehherden weg und morden,
wo sie können. Wir in unserer Provinz Buenos Ayres haben
allerdings eiue Grenzlinie gezogen, einen bewaffneten Kordon, aber
die Grenze ist zu weit ausgedehnt und die braunen Reiter durch-
brechen die Linie, ohne daß es bemerkt wird. Doch ist hier der
Nachtheil verhältnißmäßig gering; aber nach dem Innern hin ist
ihnen Alles preisgegeben. Ich will Ihnen einige Beispiele an-
führen, an denen Sie abnehmen können, wie die Verhältnisse
stehen. Größere Dörfer sind hier überhaupt nicht vorhanden,
wohl aber viele Estancias, Viehgehöfte, welche weit zerstreut
liegen. Diese sind das Raubziel der berittenen Jndi an erHorden,
und gegenwärtig liegen alle Estancias ans einer der wichtigsten
Landstraßen, an jener von Rosario nach Cordova, völlig in
Trümmern. In der Provinz Santa Fe steht es eben so schlimm;
sie wird von Indianern durchzogen; ich sagte schon oben, daß
dieselben bis in die Stadt gestreift sind.
Fast noch schlimmer als die Indianer der Pampas sind jene
des Gran Chaco. Sie treiben es so arg, daß endlich in der Mitte
des vorigen Monats der Krieg mit ihnen aufgenommen werden
mußte. Oberst Martini an o Charras rückte vom Grenzfort
Libertad mit etwa zweihundert Mann Truppen gegen sie aus.
Er legte in nördlicher Richtung binnen neun Tagen eine Strecke
von etwa 70 Leguas (nördlich von Santa Fe) zurück, fand einen
verlassenen Lagerplatz und zog dann drei Tage lang nach Westen
hin bis an den Arroyo Sarnoso, wo er auf einige Chaco-Jndianer
traf. Durch diese wurden die übrigen gewarnt, nnd man mußte
deshalb die Hoffnung, sie nnvermnthet zu überfallen, aufgeben.
Die Truppen drangen indeß weiter vor, erblickten nach einiger
Zeit ein Lagerfeuer und kamen zn einer verlassenen Hütte, denn die
Wilden hatten sich in einen Wald zurückgezogen. Cbarras machte
einige Beute, kam in s Handgemenge mit den Indianern, nahm
einige gefangen uud verfolgte die anderen bis an den Chicharon,
wo er sich einer Anzahl von Weibern nnd Kindern bemächtigte. Ein
Gleiches geschah bei der Laguna del Perro, wo es ihm gelang, den
Sohn des gefürchteten Kaziken Xaver einzufangen. Am 1 December,
nachdem die Haupthorde ihm überall ausgewichen war, zog er gen
Süden, um eine Bande, welche in Santa Fe Raubzüge machte,
zu überfallen. Das gelang. Sie bestand aus 3V Mann, von
denen 19 erschlagen wurden. Am folgenden Tag überraschte er
wieder 70 Indianer, bevor dieselben zu Pferde steigen konnten,
und nun entstand ein Geinetzel, das volle anderthalb Stunden
dauerte. Nicht weniger als 31 Wilde wurden erschossen oder
niedergehauen, nachdem sie sich mit wahrer Verzweiflung gewehrt
hatten.
Der Kazike laver forderte den Obersten zum Zwei-
kämpf und Charras nahm denselben an. Der Kazike
fiel, von einer Kugel durchbohrt. Einem zweiten Kaziken
geschah dasselbe. Der Streiszng des Obersten Charras hatte
folgende Resultate: 53 indianische Krieger wurden getödtet, 35
Weiber und Kinder gefangen, 418 Pferde, 210 Schafe, 28 Häupter
Rindvieh erbeutet; dazn noch Häute, Stranßfedern und 45 Lanzen.
Aber die Raubzüge werden fortdauern, so lange das Land
nicht stärker bevölkert ist; jetzt haben sie in der dünnen, weit zer-
streuten Bevölkerung gleichsam eine Prämie, und nachdem eiue
Horde gezüchtigt worden ist, erscheint eine andere. Eben, nach-
dem Charras seinen Zng unternommen hatte, erschien in der Nähe
von Rosario eiue Schaar von 300 indianischen Kriegern, tödtete
zwölf Weiße nnd trieb die Heerden fort; die Miliz weigerte
sich, die Wilden zn verfolgen; bei Santa Fe hatten sie kurz
vorher 22 Weiße ermordet. Nun eudlich ist der Gonvernenr
Cullen aufgebrochen, um sie zu verfolgen.
Sobald wir Eisenbahnen bis Santa F6 und Cordova be-
kommen, und diese eine dichtere Bevölkerung nach sich ziehen,
werden diese Dinge sich ändern. Die wahnsinnigen, rein zweck-
losen Bürgerkriege müssen auch endlich einmal aufhören, und die
Einwanderung aus Europa wird stärker werden; dann wird es
auch möglich sein, die Indianer unschädlich zn machen.
Mit unserer Dampfschifffahrt, welche weithin Leben nnd
Regsamkeit verbreitet, geht es gut vorwärts. Wir haben gegen
Süden hin Dampfer nach Bahia Blanca und Patagones; wöchent-
lich einige Male Verbindung mit Montevideo nnd ebenso mit
Colonia, die beide am jenseitigen Ufer des LaPlata liegen. Ebenso
fahren Stromdampfer den La Plata uud den Paraguay aufwärts
nach Rosario, Paraua, Santa F6, nach Asnncion in Paraguay,
und sogar bis in das Herz von Brasilien hinein, nämlich bis
Cnyab-1 in der Provinz Matto grosso. Eine Stromlänge solcher
Art hat ganz Europa nicht aufzuweisen, selbst Wolga und Donau-
verschwinden dagegen.
Was könnte ans diesem Lande werden, wenn mich nur
100,000 Deutsche iu demselben angesiedelt wären; wenn eine
Million vou Denen, welche nach Nordamerika, z. B. an den Mis-
j sissippi gegangen sind, hier in diesen La Plata - Regionen eine neue
I Heimat gesucht hätten? — v. v. —
36*
284
Die Jpecacuanha in Matto-Grosso.
Die Jpecacuanha in Matto-Grosso.
Für dm Handel mit dieser wichsigen Arzneipflanze, Cephaelis
Ipecacnanha, bildet die kleine Stadt Villa Maria in der brasi-
lianischen Provinz Matto-Grosso einen Hauptmittelpunkt. Sie
liegt am obern Paraguayflusse, und schien eine Zeitlang von großer
Bedeutung werden zu wollen. Aber die Regierung that nichts für
sie, die Bewohner selbst wußten die Vortheile der Lage nicht nach
Gebühr zu benutzen, und der einzige direkte Verbindungsweg zum
Meere blieb ihnen überdies verschlossen, indem Paraguay und die
atlantischen Staaten die Schifffahrt anf dem untern Theile des
Stromes nicht erlaubtem So blieb Villa Maria eiu unbedeutender
Ort, der jetzt etwa sechshundert Bewohner zählt, und mit den zu
ihm gehörigen noch kleineren Ortschaften und Wäldern kaum acht-
hundert, von denen viele Sklaven sind.
Die Ipecacnanha wächst in großer Menge an den Ufern des
obern Paragnay, des Rio Vermelho, des Seputuba und des
Eaba?al. Die Ernte wird gewöhnlich in der trockenen Jahreszeit
vorgenommen, nnd fällt somit in die Monate von März bis
September. Manchmal geschieht sie aber auch zur Regenzeit, weil
sich dann die Wurzeln leichter ausziehen lassen. Häufig kommen
Nachen aus der Stadt Cuyaba, fahren den gleichnamigen Strom
hinab nud rudern dann in den Paragnay hinein, um Jpecacuanha
zu holen, von welcher jährlich Taufende von Arrobas (zu 25 Pfund)
aus dieser Gegend verführt werden. Im Jahre 1814 schickte die
Regierung den Dezembargador Jose Fraucisco Leal in den
Distrikt Villa Maria und an den Rio Cabayal, um Gold zu
suchen. Er saud zwar nicht so viel von diesem edeln Metall
als man erwartet hatte, wohl aber eine überraschende Menge
Jpecacuanha. Doch vergingen mehrere Jahre, ehe man diese
wichtige Entdeckung irgendwie nutzbar machte. Erst 1830 sammelte
ein Kaufmann, Jose da Costa Leite, zwei Arroben, schickte sie
nach Rio de Janeiro und erhielt 1600 Reis für das Pfund. Das
war ein hoher Preis, der die Spekulation reizte, und man beutete
nun die Jpecacuanha stark aus, bis 1837. Dann fiel sie allmälig im
Preise, weil sie in zn großer Menge anf den Markt geworfen wurde;
man rechnet von 1830 bis 1837 nicht weniger als 25,000 Arroben.
Von da bis 1844 war wieder ein Stillstand; nachher begann die
Ausbeute abermals stärker zu werden. Die Waare stand nun in
Rio 850 bis 900 Reis, und dieser Preis gilt für so Vortheilhaft,
daß alle Theile Nutzen bei demselben haben. Da die Jpecacuanha
erst mit ihrem sechszehnten Jahre (??) voll ausgewachsen ist —
wenigstens behaupten das die Landesbewohner — und die Ueber-
fülluug des Marktes große Nachtheile brachte, so ist wohl au-
zunehmen, daß ferner nicht so starke Preisschwankungen eintreten
werden.
Die Pslauze wächst in feuchten ebenen Wäldern, welche fan-
digen Boden haben, und läßt sich leicht erkennen, da man sie von
allen übrigen auf den ersten Blick unterscheiden kann. Der Strich,
wo man sie am häufigsten findet, mißt etwa zwölf Wegstunden
von Norden nach Süden, und erstreckt sich dreißig Stunden weit
nach Westeu, von Villa Maria aus. Die Nachen der Jpecacuanha-
sucher nehmen außer den eigentlichen Antheilhabern der Partie noch
eine Anzahl gemietheter Leute mit, welche monatlich 6000 bis 7000
Reis, das ist etwa zehn bis zwölf Gulden rheinisch, erhalten. Sie
'heißen, wie alle um Lohn gedungenen Leute im Lande, E a m a r a d o s.
Ferner schließen sich der Expedition zwei sogenannte Praticos
an, welche mit den Standorten der Jpecacuanha gut vertraut
sind und etwas höhern Lohn erhalten. Sobald der Nachen die
rechte Stelle erreicht hat, steigt der Pratico mit einigen Camarados
an's Land, bahnt einen Weg (eine Picada) durch das Wald-
gestrüpp, der oft länger als eine Stunde ist, und nachher werden
mehrere Neben- und Seitenpfade angelegt. Durchschnittlich muß
eiu Arbeiter täglich zwölf Pfund sammeln, die sich nach dem
Trocknen anf etwa fünf Pfund rednciren. Er kann es aber auch
bis auf dreißig Pfund bringen. An sich ist die Arbeit nicht be-
schwerlich, aber die ungeheure Masse von lästigen Insekten aller
Art werden dort zn einer wahren Qnal. Der Unternehmer der
Expedition verdient insgemein 4000 Reis auf jeden Tag und jeden
Arbeiter. Daß Mangel an Jpecacuauha eintreten werde, ist nicht
wohl anzunehmen, da anch kleine Wurzelfasern neue Pflanzen
treiben.
Im Juli 1845 besuchte der Reisende Weddell die Jpeca-
cuanhawälder. EinPoaieiro, d.h. ein Mann, der mit dieser
Arzneipflanze handelte, hatte sich erboten, ihn zn begleiten. Zum
Steuermann seines Kanots hatte er einen Mulatten und zwei
Chiqnitosindianer, welche ruderten. Der Nachen bestand in
einem ausgehöhlten Baumstamm. Aus dem Paraguay wurde
in den Caba?alsluß gesteuert. Weddell litt entsetzlich von den
Stichen der Earrapatos, wovon es in den Wäldern wimmelt;
dieses Insekt ist so klein, daß man es mit bloßen Augen kanm
gewahren kann, dringt durch Kleider und Nähte, und man kann
sich nur dadurch vor ihm schützen, daß man den ganzen Körper mit
Tabakssaft einreibt. In den Wäldern treiben sich Jaguare in
Menge umher, der Fluß wimmelt von Kaymans, und die
Ehiquitos machten sich ein Vergnügen daraus, ihnen mit einem
großen Hakeu das Rückgrat zu zerschmettern.. Am Ufer finden
sich Cabiais ein; sie sind großer wie ein Eber, treiben sich in
Rudeln von acht bis zehn Stück nmher und reuneu iu's Dickicht,
sobald ein Feind ihnen nahe kommt.
Am 3. Juli fuhr Weddell iu deu Rio Vermelho und war am
Abend an einer Stelle, die als Porto de Buruo bezeichnet wird.
Dort halten die Poaieiros an, weil in der Nähe die Wälder be-
beginnen, in welchen die Jpecacuanha wächst. Der Vermelho ist
dort kaum dreißig Fuß breit, fließt aber sehr schnell und hat häufig
wegen der hineingestürzten Baumstämme ein unsicheres Fahr-
wasser. Am andern Morgen ging der Reisende in den Wald, der
ans Acuris-Palmen und Uana-assns (Attalea compta) bestand;
aber er war dermaßen mit Gestrüpp und Schlingpflanzen ver-
wachsen, „daß man sich darin fing, wie die Spinne in einem
Netze." Doch liegt dieser Wald noch zu tief, als daß die Jpeca-
cuanha darin gedeihen könnte; zur Regenzeit steht er unter Wasser.
Wo aber das Land ein wenig höher nnd trockener liegt, wächst
die weiche Palmitopalme schlank empor; neben ihr die Bacaba
(Oenocarpus bacaba), die Buriti (Mauritia vinifera) und Catisar
(Iriarta exonhoza) mit den merkwürdigen Wurzeln, welche der
Stamm wohl bis zu sechs Fuß Höhe in die Luft treibt und welche
schräglaufend dem Baume gleichsam als Stütze dienen.
Dort aus festem Bodeu, welcher die Moräste ausschließt, im
Schatten dieser Bäume wächst die Jpecacuanha am liebsten; sie ist
ein kleiner Strauch mit einfachem, unten nacktem Stamme, die blaß-
grünen Blätter wachsen meist oben an der Pflanze. Die „Poaia"
steht selten vereinzelt, sondern meist mit mehreren anderen ihres-
gleichen dicht bei einander; sie bildet gleichsam Büschel, Sträuße,
welche man im Lande als Redoleiro s bezeichnet. Der Poaieiro
faßt die Pflanze mit der einen Hand, wo möglich den ganzen
Büschel auf einmal, schiebt mit der andern einen harten spitzen
Stock, den Saracoa, unter nnd hebt so das Ganze auf einmal
heraus. Es kommt besonders darauf an, daß die Wurzeln nicht
gebrochen werden. Nachdem er seine Beute von der anhaftenden
Erde gereinigt hat, wirft er sie in einen Sack (Embora), den er
an seiner Seite hängen hat, nnd geht zu einem andern Büschel.
Während der Regenzeit lassen sich die Wurzeln am leichtesten aus-
heben. Bei Einbruch der Dunkelheit finden sich die am Tage im
Walde zerstreuten Arbeiter auf ihrem Sammelplatze ein und
liefern den Ertrag an ihren „Intendanten" ab, der ihn wägt nud
Kleine Nachrichten.
285
Alles auf lederne Hänte ausbreitet. Ost ist die Wurzel schon nach
einigen Tagen trocken, denn man legt die Wurzeln an die Sonne
und bewahrt sie Nachts vor Than. Wird sie noch etwas feucht
verpackt, so bricht sie nachher nicht so gut und sieht auch nicht so
röthlich und harzig aus, wie sie eigentlich sein muß.
Uebrigeus wird zu allen Jahreszeiten Jpecacnanha ge-
sammelt, doch in der Regenzeit weniger als in den trockenen Mo-
naten. Wir haben schon oben erwähnt, daß die Poaia sich auch
aus den kleinsten Wnrzelfafern wieder fortpflanzt; die Poaieiros
wissen das sehr wohl und lassen immer einige kleine Wurzeln
zurück, die sie mit Erde bedecken. Aber an solchen Stellen kann
erst nach drei oder vier Jahren wieder gesammelt werden.
Kleine t!
F. Kanitz Wer die Länder der europäischen Türkei. Nur
Wenige kennen die vielfach interessanten Länder des illyrischen
Dreiecks so gründlich wie dieser ausgezeichnete Künstler. Seit einer
Reihe von Jahren hat er dieselben in Bezug auf Geographie,
Völkerkunde, Naturbeschaffenheit und besonders auf Knust, na-
mentlich Architektur, gründlich durchforscht, und auch während
seiner Wanderungen im vorigen Jahre abermals eine ungemein
reiche Ausbeute nach Wien heimgebracht.
Seine vortrefflichen Zeichnungen, welche die Natur und das
Volksleben der slawischen Bewohner der europäischen Türkei er-
läutern, sind aus der Jllustrirten Zeitung weltbekannt geworden
und erfreuen sich der allgemeinen Anerkennung. Der Globus
wird demnächst eine Reihenfolge von Illustrationen des Herrn
Kanitz über Montenegro, die Herzegowina, Dalmatien,
Serbien und Bulgarien mit reichhaltigem Text bringen,
welchen das Interesse der Leser nicht fehlen wird.
Kanitz verließ auf seiner jüngsten Wanderung, ausgerüstet
mit allen Vorstudien und einer von ihm nach englischen und
russischen Quellen ausgearbeiteten Routenkarte, im Juni 1862
Wien, um, zur Ergänzung seiner früheren Reisen, diesmal Bnl-
g arien zu erforschen, und namentlich von Tiruova aus im Zickzack
durch die hohen Balkanpässe über Kazan, Osmanbazar und
Barna nach dem Schwarzen Meere vorzudringen. Der Balkan
war seither vorzugsweise in militärisch-politischen Absichten er-
forscht worden; dagegen war er in Bezng ans ethnographische und
archäologische Verhältnisse weniger untersucht worden. Kanitz
versprach sich also von seiner jedenfalls mühseligen Wanderung
eine reiche Ausbeute. Leider konnte er seinen Reiseplan nicht nach
Wunsch durchführen, weil die bekannten Belgrader Vorfälle auch
in den tiefen Schluchten des Häuius Wiederhall fanden. Er gab
den dringenden Vorstellungen des türkischen Gouverneurs von
Widdiu nach und beschränkte sich darauf, deu nördlichen Theil
Bulgariens, zwischen Donau, Timok uud dem serbischen Ge-
birge zu durchforschen. Er besuchte das Omblathal mit seinen
prachtvollen Hochebenen, die Feste Belgrad schick, die Grenz-
karaula Vrtschka Tschnka, die Ruinen von Knla, und
sammelte über die von ihm besuchten, vielfach zerstreuten Tataren-
Ansiedelungen interessante Angaben. Wir werden über das
Alles im Globus Berichte und Illustrationen von Herrn Kanitz
mittheilen, uud bemerken hier, daß von ihm früher erschienen:
Römische Funde in Serbien, veröffentlicht von der kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften in Wien. — Itineraires d'im vovage
en Servie; releves par M. Kanitz, cn 1860. Paris. — Serbiens
byzantinische Monumente, gedruckt iu der k. k. Staatsdruckerei. —
Demnächst wird Herr K. ein ethnographisches Werk: „Nen-Serbien"
veröffentlichen und die von ihm gezeichneten serbischen Gebirgs-
Profile erscheinen lassen.
In derJannarsitznng der mathematisch-naturwissenschaftlichen
Klasse der Wiener Akademie legte Herr Kanitz eine Karte vor,
welche die geographischen Resultate seiner sechsmouatlicheu Reisen
im Fürstenthum Serbien enthält. _
Nach einer kurzen Darstellung der Schwierigkeiten, mit welchen
die Kartographie in der Türkei zu kämpfen hat (es fehlt nämlich in
einem großen Theile derselben an trigonometrischen Aufnahmen
und genauen Höhenmessungen), beleuchtete er die verdienstvollen
Arbeiten von Viquesnel, Boue, Hahn^ Zach u. A., und
ging dann speziell zur Kiepert'schen Karte Serbiens über. Diese
Karte zeigt große geographische Jrrthümer, auch die Ortsuameu
siud oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Diese Fehler fallen aber
der Mangelhaftigkeit der von Kiepert benützten Daten, nicht dem
fleißigen deutschen Kartographen zur Last.
Die Kanitz'sche Karte berichtigt eiue große Zahl Angaben iu
orographischer, hydrographischer und topographischer Beziehung.
a ch r i ch t e n.
So z. B. das wichtige Defile der serbischen Morava
zwischen dem Kablar und Ootschar, die Lage des 6000 Fuß
hohen Koparnik, das Gebiet des Jbar und der Raschka,
die Quellen des großen Timok n. s. w.
Mit Hülfe des Kompasses uud der vou günstig gelegeneu
Orientiruugspuukteu aufgenommenen Gebirgsprosile, welche letztere
Viquesnel in seinem Kartenwerke: „La Turquic de l'Europe"
veröffentlichte, hat Herr Kanitz auch viele Gebirge, z. B. die
Triglavkette am Jbar, den Povlen, Maglen, Beloga,
Mossinje, Delapatschka, Kobassitza, dann mehrere
neueStraßeu uud Verbind uugswege, die beiden auf fer-
bischem Boden liegenden Forts Mala Zvornik am Drin und
Elisabeth-Fort bei Orsova, ferner hunderte von Orten uud
deu Znsammenfluß der serbischen und bulgarischen Morava bei
Stalatsch zum ersten Male eingetragen.
Die Karte zeigt auch fünfundvierzig Pnnkte, an welchen von
Kanitz oder vor ihm archäologische Fuude gemacht worden
sind, und ergänzt seine Abhandlung: „Die römischen Funde in
Serbien."
Der Reisende schließt seinen Bortrag mit dem Wunsche, daß
die zahlreichen, werthvollen geographischen Arbeiten der letzten
Jahre recht bald in einer neuen Karte der Türkei verwerthet
werden möchten, nnd glaubt, daß diese Arbeit zunächst von
Oesterreich erwartet werden dürfte, dessen Grenzen mit den tnr-
tischen von Castel Lastna am Adriatischen Meere bis zum Save-
Einflüsse iu die Donau zusammenfallen. Oesterreich, so nahe an
den Schicksalen der Türkei iuteressirt, sei nicht nur berechtigt,
sondern verpflichtet, an den großen civilisatorischen Aufgaben mit-
zuarbeiten, die von viel entfernteren Staaten in den ihm stamm-
verwandten Donanläudern mit Eifer verfolgt werden. .
Heinrich Barth's Wanderung in den Süd-Donanländern.
Anch dieser berühmte Reisende hat im vorigen Sommer einen Theil
der Süd-Donauländer durchwandert. In der Novembersitzuug
der Geographischen Gesellschaft zu Berlin gab er eine Nebersicht
seiner Streifznge. Nachdem er Beobachtungen in den Central-
Karpathen nnd den siebenbürgischen Karpathen ange-
stellt, ging er durch die Walachei nach Rustschuck, überstieg den
Balkan nnd verweilte eine Zeitlang in Filippopel. Von dort
wandte er sich nach Basard schick, besuchte das iu einer maleri-
scheu Thalschlucht liegende Kloster Rilo, welches nicht weniger als
108 Mönche zählt, und bestieg am 21. September deu Berg Rilo,
dessen Höhe er aus etwa 8500 Fuß schätzt. Vom Gipfel desselben er-
blickte er den Per in Dagh, einen der höchsten Berge der europäi-
scheu Türkei. Bon Rilo ging Barth gen Südwesten nach dem Bar-
d'ar und dem Paß von Demir Kapu, durch welchen dieser Fluß
strömt; dann gelangt er nach Monastir, schlug die Richtung
nach Osten ein, gen Thessalien, bestieg anch den Olymp, die
Kuppe des heiligen Elias, welcher aber nicht den höchsten Gipfel
bildet, uud wanderte nach dem Kloster des heiligen Dyonisins
hinab. Nachdem er dort ausgeruht, ging er über Pydna nack
Thessalonich, und trat dann die Heimreise an, auf welcher er
Atheu und Syra berührte.
Die geographische Gesellschaft zu St. Petersburg, welche sich
um die Förderung der Wissenschaft große Verdienste erwirbt, hat
vorigen December ihre Jahressitzung gehalten. Dieselbe wurde
vom Geueraladjutauteu Lütke eröffnet.
Zuerst verlas Besobrasow, Sekretär der geographischen
Gesellschaft, den iuteressauteu Bericht über die Leistuugeu dieser
gelehrten Korporation für das Jahr 1862. Zunächst wurden die
wissenschaftlichen Expeditionen erwähnt, welche unter dem
286 . Kleine
Schutze der Gesellschaft unternommen worden sind und die ganze
Bedeutsamkeit ihrer Arbeiten zu Tage treteu lassen.
In dem entfernten Ostsibirien, an der Mündung des Amur,
hat die Expedition, welche unter der Leitung des Herrn Schmidt
steht, kostbare Dateu gesammelt, durch welche die Wissenschaft
binnen Kurzem bereichert werden soll. Dieselben werden die
Karte von Sibirien nicht nur verbessern, sondern vollständig
verändern, indem sie die Richtung der hauptsächlichsten Gebirgs-
züge feststellen, welche den nordöstlichen Theil Asiens in der Nähe
des Oceans durchziehen. _ Sie werden außerdem ein ungeheures
Material an ethnographischen, geschichtlichen und anderen Nach-
richten über diese bisher so wenig bekannte Gegend liefern.
Im Süden von Nußland hat Herr v. Baer in Folge einer
Einladung der Gesellschaft die Ursachen der angeblichen Senkung
des Wasserspiegels des Asowschen Meeres untersucht. Die For-
schungen dieses ausgezeichneten Gelehrten scheinen vollständig die
Beftirchtnugeu über diesen Gegenstand, welcher die Schifffahrt und
unfern auswärtigeu Haudel so nahe betrifft, beseitigt zu haben.
Auf den Grenzen Chinas hat die Gesellschaft von der
Gelegenheit Nutzen gezogen, welche ihr das Ministerium des Aus-
wärtigeu gewährte/ um durch Vermiüelnng der Grenz - Demar-
kations-Kommission geographische Nachrichten zn sammeln.
Endlich geht die Gesellschaft damit um, eine Reihe von
wissenschaftlichen Reisen in das europäische Rußland
unternehmen zu lassen, um die statistischen, ethnographischen, in-
dnstriellen und ökonomischen Verhältnisse systematisch zu erforschen.
Als ern jöegmit zur Ausführung dieses Planes erscheint die Reise,
welche Herr Besobrasow im Jahre 1862 in die Ukraine unter-
nommen hat. Im Jahre 1863 soll eine Expedition, für welche das
Unterrichtsministerinm eine Summe vou 10,000 Rubel beigesteuert
hat, in die westlichen Provinzen abgehen, wo die Erscheinungen,
welche durch die Verschiedenheit der Nassen herbeigeführt
werden, ein besonderes wissenschaftliches Interesse bieten.
Von den anderen Arbeiten der geographischen Gesellschaft
müssen die Herausgabe einer General-Karte Rußlands, das
Erscheinen der ersten Lieferung eines geographischen Wörterbuchs,
dessen Redaktion Herru Ssemeuow anvertraut ist, uud die
Memoiren der Gesellschaft erwähnt werden.
Nach dem Verlesen des Berichts wnrde zur Verkeilung der
durch die geographische Gesellschaft für wissenschaftliche Arbeiten
ausgesetzten Preise geschritten. Große Medaillen erhielten Herr
Struve für seine Arbeiten bei Messung des Meridianbogens uud
Herr Dahl, Verfasser eines Volkswörterbuchs.
Drei kleine Medaillen wurden den Herren Danilewski,
Verfasser einer Arbeit über die Fischereien des Kaspischen Meeres,
Bessonow und Tntikow bewilligt. Die Herren Podgorski,
Gehülfe des Sekretärs der Gesellschaft, der ihr schon 16 Jahre
seineDienste gewidmet hat, Garelin, Mann und Babadjanow
erhielten silberne Medaillen, während den Herren Dimiuski,
Orlowski und Golischew bronzene zuerkannt wurden.
Eigenthiimlichkeiten in der Normaudic. Ein ungenannter
Engländer hat über das Leben uud Treiben der Bewohner dieser
französischen Landschaft ein interessantes Buch veröffentlicht. Wir
erfahren ans demselben, daß eingesalzene Schnecken ein sehr
beliebtes und kräftigendes Nahrungsmittel bilden. Warum auch
nicht? Der Geschmack ist verschieden; die Zigeuner ziehen unfern
Schweinigel allen anderen Delikatessen vor, die Chinesen lieben
Nattenfleisch und manchen nordamerikanischen Indianern ist ein
gerösteter Huud lieber als ein saftiges Hinterviertel vom Büffel.—
In der Normandie sammeln die Kinder Rosenkäfer, welche man
den Enten vorwirft. Diese müssen aber nebenher anderes Fntter
haben, sonst hat das Fleisch einen unangenehmen Geschmack. —
Den Aalfang betreibt man anch mit Hunden. Der Engländer
sah an der Bucht von Cancale eine alte Frau mit Korb undHacke.
Ihr weißer Hund hatte einen Fuchskopf, stehende Ohren, langes
Haar und einen zweimal gewundenen Schwanz, und dieser letztern
Eigenthümlichkeit wegen nennt man einen solchen Hund Trom-
pete. . Die Frau rief: „Geh und fnche!" Der Hund schnobert,
findet ein Loch im Sande, kratzt und heult. Die Frau kommt
herbei, hilft mit der Hacke nach, findet einen Aal nnd wirft ihn
in den Korb. — Seeraben werden durch Küchenkünste derart her-
gerichtet, daß sie wie Schnepfen schmecken.
Aus Neuseeland und Australien. Die neuseeländischen Gold-
selber geben fortwährend einen guten Ertrag. Im Hafen Du-
uediu kamen mit einer Eskorte, welche einen Ertrag von vierzehn
Tagen ablieferte, Mitte Novembers 1862 nicht weniger als 15,505
Unzen Gold an. Viele Arbeiter kommen aber nach Australien
zurück, wo am Jordan nnd im Gipps-Laude (dem südöstlichen
Theile der Kolonie Victoria) neue Goldfelder entdeckt worden find.
In Queensland nimmt Alles einen rüstigen Fortgang.
Im nördlichen Theile, unweit vou Port Demsou, waren im
Oktober Goldfelder nnd Kupfer gruben gefunden worden;
Wolle kam im beträchtlicher Menge zur Verschiffung; die Baum-
wolle stand gut; aber man klagte über Dürre, diese große Plage
Australiens. Die Eingewöhnungsgesellschaft hat chinesische
Schafe eingeführt. — Die Zahl der Dampfer, welche die Ver-
bindung mit Neusüdwales vermitteln, ist vermehrt worden. —
Zwischen dem 31. Oktober und 3. November waren vier Schiffe
eingelaufen, welche zusammen 1509 europäische Einwanderer
brachten.
Die Frage über Gründung einer Kolonie an der Nord-
spitze Australi eus ist nun entschieden worden. Man hat dazu
Port Albany auf der Albany-Insel bestimmt, welche dicht bei
Kap Aork liegt. Die Stadt soll Somerset heißen, und in
Brisbane hat sich sofort eine Kompagnie gebildet, welche Ansiedler
dorthin schaffen und von Port Albany aus eiue regelmäßige
Ausfuhr australisch er Pferde nach Indien betreiben will.
Der Rio San Francisco ist zwar kein so bedeutender Fluß
wie der Amazonas (Marauhou), seine Wichtigkeit liegt aber darin,
daß er die Gold- uud Edelsteingruben von Minas Geraes mit
dem Meere verbindet, und bei dem Mangel zu jeder Jahreszeit
praktikabler Landstraßen aus Pernambnco, Bahia, Sergipe
und Minas Geraes nach Rio de Janeiro, die Produkte dieser
Provinzen mit der Hauptstadt verbindet. Vor der Hand ist für
Brasilien noch immer das Meer die Haupt-Verkehrsstraße; darum
ist jeder Weg so wichtig, der aus dem Innern zum Meere, führt
und die Regierung erfüllt nur eine ihrer wichtigsten Aufgaben,
wenn sie gerade diese Lebensadern des Verkehrs genau durch-
forschen, für Verbesserungen vorbereiten nnd dadurch die Verbin-
düngen der einzelnen Tbeile des ungeheuren Landes unter einander
erleichtern läßt.
Der San Francisco entspringt auf der Westseite der im
Süden von Miuas Geraes liegenden Gebirge, fließt von dort bis
zum 10. Grade S. Br. nördlich, also fast in gleicher Richtung mit
der Ostküste des Landes, wendet sich dann schwach nach Osten und
ergießt seine Wassermasse nach einem fast 300 Meilen laugen Laufe
bei San Antonio in's Atlantische Meer. Er trennt nacheinander
die Provinzen Minas Geraes und Pernambnco von Bahia,
und kurz vor seiner Mündung auch die kleinen Provinzen S er-
gipe uud Alagoas als Greuzscheide. Seine Zuflüsse sind zahllos,
seine Schnellen und Fälle, namentlich der Cachoeira de Paulo-
Affonfo, welchen der Kaiser auf seiner letzten Reise nach den Nord-
Provinzen besucht, berühmt.
Die Schifffahrt auf dem San Francisco bietet bedeutende
Schwierigkeiten dar, die bis jetzt nur in der ureigenen Weise des
Landes überwunden werden. Das Strombett zeigt eine fast fort-
laufende Kette von Inseln, zwischen welchen hindurch sich das Boot
und die Barke die Fahrstraße zu sucheu hat. Vou beiden Seiten
sind die Zuflüsse außerordentlich zahlreich an Flüssen wie Bächen
(Riachos) und dadurch ein regelmäßiges Fortschreiten in der Steige-
rnng der Wassermasse veranlaßt, die indessen nicht in gleichem
Maße die Fahrbarkeit bedingt. Diese aber muß erreicht 'werden,
wenn man das so fruchtbare Innere des ganzen San Francisco-
stromgebietes erschließen will.
Die brasilianische Regierung hat in den Jahren 1852 bis
1854 den San Francisco durch den Civilingenieur Halfeld er-
forschen lassen, und zwar in dessen Lause von dem Wasserfalle bei
Pirapora uud dem Zuflüsse des Rio das BelhaS bis zur Mündung
in den Atlantischen Ocean, nördlich von Rio de Janeiro, unter
dem lO.o S. Br. Sie hat diese Flußaufnahme veröffentlichen
lassen, und in der von einem Deutschen, Eduard Rendsburg,
geleiteten kaiserlichen lithographischen Anstalt sind die Pläne und
Karten gedruckt wordeu. Die Gesammtergebnisse sind in einem
„Prachtwerk" enthalten, das 1860 zu Rio erschien. Wir wollen
nicht unterlassen, die Meinung auszusprechen, daß wir eiue ge-
wisse Barbarei darin finden, wenn solche Werke mit einem ganz
unnützen Luxus gedruckt und dadurch so vertheuert werden, daß
sie Hunderte von Thalern kosten, also für Privatleute und für die
meisten öffentlichen Bibliotheken unzugäugig werden. Der Wissen-
schast ist an einer solchen „Pracht" gar nichts gelegen, und solche
„Prachtwerke" sind halbwegs unnütz. So hat mau jüngst zur
tausendjährigen Feier des russischen Reiches ein großes ethno-
graphisches Werk in St. Petersburg gedruckt, das nur zwei
hundert Thaler kostet, iu großem Folioformat erschien und sich
so unbequem liest, daß man sich unwillig abwendet. Die Bilder
möchte man immerhin luxuriös ausstatten, wenn man will, aber
die Texte sollte mau iu handlicherm Format geben, etwa wie bei
dem großen Werke der Gebrüder Schlagintweit, obwohl auch an
diesem der Luxus zu tadeln bleibt. Aber die Quartbäude lassen
Kleine
sich doch wenigstens lesen, und gelesen zu werden ist ja der Zweck
eines Buches.
Bankerotte in England und Wales. Die Zahl derselben
hat int Jahre 1862 sich ans die Ziffer von 9308 belaufen. Davon
kommen 4104 auf London.
Geldertrag der Eisenbahnen in Großbritannien. Er be-
trug 1862 die Summe von 28,198,282 Pfund Sterling, und die
befahrenen Strecken hatten zusammen eine Länge von 10,084
Miles.
Eine Bibelübersetzung in chinesischer Sprache ist von Albert
Cnlbertson am 27. März 1862 zu Schanghai vollendet worden.
Bisher waren noch nicht sämmtliche Bücher des Alten und Neuen
Testamentes in die Sprache des Blumenreiches der Mitte übersetzt
worden.
Dampfer zwischen China und Kalifornien fahren jetzt regel-
mäßig, und zwar von Hongkong ans. Sie laufen bei Schanghai
und iu eiueui japanischen Hafen an. Das erste Schiff dieser
Linie, die Scotland, traf am 23. December 1862 in Sau Frau-
cisco ein und hatte 1000 Tonnen Frachtgüter, zumeist Thee.
Die Nordamerikauer haben sich auch hier wieder von den Eng-
ländern deu Rang ablaufen lassen.
Ans Kalifornien. Zu San Sacramento ist am 8. Januar
unter großen Festlichkeiten mit dem Bau der californischen Ab-
theilnng der großen Pacific-Eisen bahn begonnen worden.
Für das Geld, welches in einem von fanatischen und stellenjagen-
den Iankees heraufbeschworenen Kriege bis jetzt schon vergeudet
worden ist, hätten sechs Eisenbahnen von Mississippi bis zum
Stillen Weltmeere gebaut werden können.
An Edelmetallen erhielt San Francisco im Jahre 1860
folgende Zufuhren: Aus Wash o e etwa 6 Millionen? aus Ore-
gon und dem Territorium Washington 3 Millionen; aus
Britisch-Columbia IV» Millionen; aus verschiedenen anderen
nichtcalifornischen Gegenden 1,900,000; aus Californien selbst
36 Millionen, zusammen etwa 40,000,000 Dollars.
Das chinesische Zuckersorgho in Nordamerika fängt au
unter den Ackerbauerzeuguissen eine immer wichtigere Rolle zu
spieleu. Wir erwähnten jüngst, wie beträchtlich die Ernte von
dieser Getreideart im Staate Iowa ist. Jetzt lesen wir, daß im
Staate Ohio 1862 nicht weniger als 15 Millionen Gallonen Syrup
aus Sorgho gewouuueu worden seien, halten aber diese Angabe
für sehr übertrieben. Am 6. Januar ist zu Columbus in Ohio
eine „Staats-Sorgho-Convention" abgehalteu worden; das Pro-
gramm, welches zu derselben einlud, meldet, daß von etwa
10,000 Ackerbauern 10 Millionen Gallonen Sorghosyrup geliefert
worden seien (also schon 5 Millionen) weniger und daß die Gallone
durchschnittlich mit einem halben Dollar bezahlt werde. Wichtig
ist das Sorgho für die Papierfabrikation. Im Staat Illinois
sind zwei Papiermühlen, welche nur Sorgho verarbeiten, und eine
Zätuncj, die Chicago Tribüne, wird auf Sorghopapier gedruckt.
In Ohio bereitet mau aus Sorghokörueru ein Mehl, das jenem aus
Buchweizen vorgezogen wird.
Einwanderung in Neu-Jork 18li2. Nach dem amtlichen
Berichte kamen an 105,385 (gegen 68,311 in 1861; 108,682 in
1860; 85,602 in 1859, und 84,226 iu 1858) Köpfe. Vou deueu
1862 waren 76,306 Ausländer. Bon 1847 bis Ende 18 62
sind im Nen-Dorker Hafen nicht weniger als 2,811,9 16
ausländische Passagiere angekommen.
Die Herkunft der Einwanderer von 1862 war folgende:
Irland 32^217, England 7975, Schottland 692, Wales' 1062;
Deutschland Gott Lob nur 20,740. Dänemark 1689 (meist
Mormonen); Schweiz 1254; Frankreich 1188; Schweden 663;
Italien 487; Holland 456; Belgien 195; Westiudien 156; Spa-
nien 124; Südamerika 92; Neuschottland 67; Polen 50; Nußland
46; Sardinien 39; Canada 33; Norwegen 22; Chiua 15; Por-
tngal 13; Mexiko 13; Sicilien 9; Griechenland 6; Türkei 3;
Ostindien 1.
Ans Großbritannien sind während der letztverslossenen 15
Jahre eingewandert 1,586,188 Köpfe, wovon 1,165,035 aus
Irland. Daraus erklärt sich, daß so Vieles im öffentlichen
Leben und Treiben des Uankeelandes verwildert uud au das
smaragdgrüne Eiland erinnert.
Die Kohlenznfuhr in London betrug 1862 nicht weniger als
4,977,251 Tons nnd 2 Centner; sie war aber 1861 noch beträcht-
287
licher gewesen, nämlich 5,227,774 Tons 17 Centner. Wie be-
dentend der Kohlentransport für die Schifffahrt ist, ergiebt sich
daraus, daß 1862 nicht weniger als 10,521 Kohlenfah'rzeuge in
London einliefen; sie brachten 3,442,402 Tonnen. Davon kamen
aus Newcastle 3235 mit 1,180,534, aus Suuderlaud 2575 mit
1,024,475 Tonnen.
Die Volksmenge Algeriens, über welche wir neulich einige
Angaben brachten, ist nach der jüngsten Zähluug vou 1862 auf
3,062,124 Köpfe gestiegen; das wären 470,769 mehr als 1856.
Da aber eine solche Zunahme in sechs Jahren geradezu unmöglich
ist, so muß die frühere Zähluug iu hohem Grade mangelhaft ge-
Wesen sein. Die Ziffer der seit 1856 eingewanderten Euro-
päer beträgt nur 33,444 Köpfe.
Volksmenge im australischen Victoria. Sie ist trotz der
starken Auswanderung nach den Goldgegenden von Neuseeland im
Anwachsen. Die Zählung vom 30. September 4862 ergiebt eine
Ziffer von 549,901 Köpfe, wovon 322,984 männlich und 226,917
weiblich.
Die Zufuhr von chinesischem Thee nach Europa ist im
Jahre 1862 beträchtlicher gewesen als je zuvor. Dazu trug wesent-
lich der Umstand bei, daß Rußland jetzt auch iu seinen Seehäfen
die Einfuhr gestattet, während dieselbe früher verboten war. Es
erhebt seit April 1861 von dem anf dem Seeweg eingeführten
schwarzen Thee einen Zoll von zehn Silbergroschen, und hat in
neun Monaten, bis zun: Schlüsse des Jahres, zwischen zehn und
elf Millionen Pftmd anf diesem Wege bezogen. Früher bezog es
uur Karawanenthee.
Die chinesische Theeausfnhr wird, soweit Europa iu Frage
kommt, beinahe völlig durch England vermittelt, von wo die Vor-
räthe sich über andere Länder vertheilen. Während dasselbe 1861
die allerdings schon sehr beträchtliche Menge von 92,750,000 Pfund
iinportirte, ist diese Ziffer im Jahre 1862 angewachsen anf
106,500,000 Pfund, wovon beinahe 79 Millionen Pfund auf den
einheimischen Verbrauch vou Großbritannien und Irland kommen.
Einfuhr von Gold und Silber in England.
1861 1862
Gold . . . 12,650,735 Pfd. St. 20,412,941 Pfd. St.
Silber . . 6,497,526 „ „ 10,104,725 „
Der Gesammtimport von edlen Metallen betrug demnach im
Jahre 1861 nur 19,148,261, und 1862 die gewaltige Ziffer von
30,517,666Pfd.St. Die Ausfuhreubetrugeu 1861: 20,158,728,
und 1862: 27,607,498 Pfd. St.
Von den letzteren geht 'der größere Theil nach Asien, insbe-
sondere nach Indien und China, die vorzugsweise Silber ver-
schlingen, vou welchem sie wenig oder nichts wieder herausgeben.
Im erstenHalbjahre 1862 gingen z.B. aus England nach Bombay
für 4,070,248 Pfd. St. an Gold und Silber, von letzterm nicht
weniger als 3,693,765 Pfd. St.; uach Madras 268,000, Caleutta
458,000, Singapore 161,000, Pinang 27,000, Hongkong
794,000, Schanghai 547,000 Pfd. St. Neber Marseille gingen
in jenen sechs Agnaten anch für 2,497,075 Pfd. St. nach Indien
nnd China.
Die Hauptstadt von Barma ist nicht mehr Amerapura,
sondern das etwas nördlicher liegende Mandelay. Dort haben
die Engländer am 10. November 1862 einen Handelsvertrag mit
dem König abgeschlossen, welcher ihnen das Recht giebt, einen Be-
vollmächtigten am barmanischen Hofe zu halten.
Das nordamerikanische Steiuöl, über welches wir ausführ-
liche Mitteilungen gebracht haben, war im Jahre 1860 ein im
Welthandel ganz unbekannter Artikel, hat aber rasch eine solche
Bedeutung gewonnen, daß schon im Laufe des Jahres 1862 nicht
weniger alö ueuu Millioueu Gallonen nach Europa verschifft
worden sind.
Fruchtbarkeit m Kalifornien, Daß dieses Land Früchte vou
riesigem Wnchse, z. B. ellenlange Möhren, liefert, ist bekannt. Im
Oktober sandte ein Leser der Zeitung Alta California dem Heraus-
geber zum Geschenk drei Kartoffeln, welche einen Sack füllten.
Jede derselben wog mcht weniger als zwanzig Pfund. Diese
Angabe ist kein Uankeehumbug.
Der letzte Großmogul ist in den ersten Tagen des Novembers
1862, als Gefangener der Engländer, zu Ranguhn in Britisch-
Barma gestorben, in einer hölzernen Hütte. Dieser weiland König
288
Kleine Nachrichten.
von Delhi, Mohammed Bah aber Chan, wurde neunzig Jahre
alt. So kläglich ist der Nachfolger Timnr's, Baber's und Akbar
des Großen ausgegangen. Das großmüthige England zahlte ihm
eine monatliche Pension von einem Pfund Sterling, und eben
so viel bekommt jedes seiner nachgelassenen Kinder!
Ein Berliner Kind unter den Afghanen. Im Jahre 1857
schickte die englisch-ostindische Regierung eine Gesandtschaft nach
Afghanistan, au deren Spitze Major Lum den stand. Ein Bericht
von dem ihr beigegebcneu Arzte, Dr. Bellow, ist kürzlich in
London erschienen. Er erzählt Folgendes: Wir kamen uach Kau-
d ah ar. Einige Tage vor uus war dort ein Europäer eingetroffen;
zuletzt hatte er sich in He rat aufgehalten. Seiner ausdrücklichen
Erklärung zufolge war er kein Engländer, aber der Kronprinz
hielt ihn offenbar für einen englischen Spion, und wurde in seinem
allerdings unbegründetem Verdachte nur noch bestärkt, als der
Fremde darauf drang, daß man ihn uach Bombay weiter reisen
lassen solle. Der Manu sollte uns persönlich gegenüber gestellt
werden, und vermittelst einer Nuterhaltung in persischer Sprache
(_ von den Engländern scheint also keiner Deutsch verstanden
zu baben!! —) erfuhren wir Folgendes: Er nannte sich Frt c b r t ch
Wilhelm Yapurt (—dieser Name ist sichtlich unrichtig —),
war 47 Jahre alt, aus Berlin gebürtig und hatte seine Vater-
stadt vor etwa fünf und zwanzig Jahren verlassen. Ungefähr
zwanzig Jahre lang trieb er sich in verschiedenen Ländern der
Türkei umher, war auch im nördlichen Arabien, war reisender
Arzt und sammelte Pflanzen. Nachdem er sich in Konstantinopel,
Kairo, Aleppo, Jerusalem, Erzerum, Bagdad und vielen Städten
Kleinasiens aufgehalten, war er nach Persien gegangen, hatte in
Teheran als Schuhmacher seinen Lebensunterhalt erworben und
unter anderm auch für den Obersten Rawlinson gearbeitet. Nun
hatte er vor einem Jahre Teheran verlassen, um über Herat und
Kandahar nach Bombay zu wandern. In Herat wurde er für
verdächtig gehalten und eingesperrt, sehr grausam behandelt, mit
Halsabschneiden bedroht, am Ende aber doch freigelassen, aber
nackt und bloß, denn alle seine Habe wurde ihm inuebehalten. Er-
ging zu Fuß nach Kandahar und litt unterwegs große Beschwerden,
namentlich durch Kälte; die Zehen am rechten Fuße waren durch
Frost verloren gegangen. Späterhin ließ ihn Dost Mohammed
nach Kabul bringen, und wir konnten seitdem nichts mehr über
ihn in Erfahrung bringen. Die Sipahis unserer Garde zuckten
aber die Schulter und äußerten: Möge Gott ihn in seinen Schutz
nehmen! — Er wird also wohl ein Opfer des Verdachts ge-
worden sein.
Ein englisches Urtheil iilier Livingstone. Vor Kurzem er-
hielten wir eine Zuschrift von einem würdigen Gelehrten, der uns
die Frage stellte, ob wir im Globus Nr. 30, S. 185 nicht ein
allzuscharfes Urtheil über den Reisenden und Missionär Livingstone
ausgesprochen hätten. Wir selber können uus der Antwort über-
heben, wenn wir ein englisches Blatt reden lassen, dessen Urtheil
genau auf dasselbe hinausläuft, was wir früher gesagt haben.
Livingstone hat in einem Briefe, welcher in der Londoner geo-
graphischen Gesellschaft vorgelesen wurde, eingeräumt, daß eö mit
den von ihm so vielgerühmten Aussichten seiner Ostafrikani-
schen Mission nichts sei. Daran knüpft nun ber „Examiner"
folgende Bemerkungen:
Er versprach uus Baumwolle, Zucker und Jubigo, also
Gegenstänbe, welche ein Wilber niemals prodncirt; wir haben
natürlich Weber Baumwolle, noch Zucker oder Indigo bekommen.
Er versprach uns Handelsverkehr, aber von einem solchen
ist keine Rede, obwohl ein Konsul mit 500 Pfund Sterling Gehalt
angestellt wurde.
Er versprach uns Bekehrungen zum Christenthum; aber er
hat Niemand bekehrt. .
Er sagte uns, das Klima sei gesund; aber ein Bischof und
mehrere unserer vorzüglichsten Missionäre sind in den ungesunden
Sumpfgegenden der Sambesi-Region umgekommen.
Mit einem Worte, die Tausende, welche von den Universitäten
und von Seiten der Regierung bewilligt und verausgabt wurden,
führten zu den unglücklichsten Resultaten. Es ist ohne Zweifel ein
arger Mißgriff, die Gründung einer Mission und Kolonie zu ver-
suchen unter Wilden, die weit abgelegen im Innern wohnen.
Es war ein großer Fehler, die projektirte Kolonie in dem Ge-
biet einer andern europäischen Macht anlegen zu wollen. Denn
vr. Livingstone befand sich in Gegenden, welche seit Jahrhunderten
portugiesisches Territorium gewesen sind. Das begriff er endlich.
Dann setzte er seine Hoffnungen auf den Rnfnma, welcher
die Grenze des portugiesischen Gebiets bildet, und in seinem Briefe
beschreibt er eine Reise, welche er stromanswärts gemacht hat.
Seine Mittheilungen sind lehrreich.
Die Mündung des Rnfnma liegt etwa l0 Grad süblich vom
Aeqnator. Dr. Livingstone gebrauchte einen ganzen Monat, nm
in Kähnen eine Strecke von 150 Miles zurückzulegen; er machte
also an jebem Tage etwa zwei Wegstunben. Dann kam er an
Katarakten, über welche er nicht hinwegkonnte; seiner Annahme zu-
folge befanb er sich bamals noch etwa drei Tagereisen vom Nyassa-
See entfernt nnb von ber Stelle, welche er für Eröffnung eines
Hanbelsverkehrs für zweckmäßig hält. Aber bas sinb Meinungen,
betten jebe sichere Unterlage fehlt. Er sagt nichts von einem
Hafen an ber Münbnng bes Stromes. Diese ist brei Viertel-
Miles breit, aber nur für Boote fahrbar, welche uicht tiefer als
18 Zoll im Wasser gehen, nnb auch dieses nicht einmal bas ganze
Jahr hinbnrch.
Nachdem die Fahrt mit nnbelabenen Booten einen Monat
lang gedauert hat, ist Livingstone noch brei Tagereisen entfernt
von bem See ber Verheißung. Aber ber Weg borthin ist nnge-
bahnt, bte ganze Strecke mit Walb rntb Gebüsch bebeckt.
Das Lanb am Rnfnma beschreibt Livingstone als grau;
hin unb wieder sieht man einen grünen Baum, uub bann nnb
wann in ben Wäldern einen angebauten Fleck. Die ganze Gegenb
nahm sich wenig versprechenb ans; aber, sagt er, es sei gerade Wiu-
terzeit gewesen. Doch haben wir niemals gehört, baß unter bem
zehnten Breiteugrade eiu sehr erheblicher Unterschieb zwischen
Sommer unb Winter stattsinbet. Uub was bie Lanbesbewohner
anbelangt, so erzählt der gelehrte, hochwürdige Herr Folgendes:
„Durch das Gebiet einiger Stämme kamen wir unangefochten
hindurch, aber eine andere Rotte bieser Strompiraten folgte uns,
bis wir uns in einer engen Durchfahrt unter einem hohen Ufer
befanden, und dann schössen sie mit Pfeilen auf uns. Wir hielten
an, unterhanbellen nnb gaben ihnen um bes lieben Friebens wegen
30 Aarbs Calieo. Währenb bieser Zeit besanben wir uns nur
40 Uards weit vou einer Partie, welche Musketen nnb Bogen
hatte unb auf bem hohen Ufer stanb. Wir fuhren weiter nnb
hielten jene Leute für friedlich, dann aber bekamen wir eine Ladung
ans Musketen, Kugeln und Pfeile, entflohen aber nicht, sondern
erwiderten das Feuer. Da nahmen sie Reißaus."
Hier, so sagt der Examiner, spielt unser Missionär, gerade
so wie er es am Schire gethan, die Rolle Mohammed's, doch ohne
solchen Erfolg. Wir fragen aber, aus welchem Gruude Dr. Living-
stone die Leute, welche ihn angriffen, als Strompiraten be-
zeichnet? Uns scheinen sie ganz einfach Landeseinwohner zu sein,
ungastlich, feindselig gesinnt, raub süchtig und gar nicht geneigt
sich zum Christenthum bekehren zu lasseu.
Der Reisende will eine Art von Industrie bei ihnen angetroffen
haben und äußert, sie hätten viel Getreide in den Wäldern aus
gespeichert gehabt. Aber wie konnte er das wissen, da er gar nicht
In die Wälder gekommen ist und mit den Leuten selbst nur in feind-
liche Berührung gerieth? Er behauptet ferner von einem Volke,
von welchem er nur wenig sah und wenig erfuhr, es baue eine
große Menge ölhaltiger Pflanzen. Die ganze Angabe wird wohl
darauf hinauslaufen, daß er dann und wann ein Fleckchen Landes
gesehen hat, das mit Sesam bestellt war, dessen Bau wenig Mühe
kostet und der unter allen ölhaltigen Pflanzen den geringsten Ertrag
an Oel giebt.
Er sagt ferner: „Man treibt viel Handel, denn die Kähne
bringen Reis und tauschen dafür Salz ein; auch sahen wir
nirgends größere Ebenholzbäume als am Rufuma." Wer hat
aber jemals gehört, daß man viel Handel auf Kähnen treibt.
Das Ebenholz ist kein wichtiger Handelsartikel; Großbritannien
führt jährlich davon nur für etwa 20,000 Pfund Sterling ein.
Wenn auch Ostafrika den ganzen Betrag liefern könnte (es liefert
aber bis jetzt gar nichts davon), so wäre das Ebenholz noch keine
Mission und kein Konsulat Werth. Es ist tadelswerth, daß man
über so winzige Dinge so große Worte macht. Dr. Livingstone ist
ohne Frage ein Reisender von Talent, Unternehmungsgeist und
vortrefflicher Leibesbeschaffenheit, aber es ist nun offenbar genug,
daß bei ihm Eifer und Einbildungskraft weit stärker
sind als sein Urtheil. Wir gelangen nun zu der Annahme,
man werde ein aus seinen Rath und Antrieb begonnenes, aber
aussichts- nnb hoffnungsloses Unternehmen jetzt enblich fallen
lassen. —
Der Leser sieht, baß mau iu Englanb jetzt sich genau so aus-
spricht unb ganz basselbe Urtheil fällt, wie wir schon längst im
Globus. Daß auch ein Mann wie Richard Burton Liviugstoue's
Pläue, welche im Sambesi-Lande verwirklicht werden sollten, einen
großen Schwindel genannt hat, ist vou uus schou vor einem
Monat hervorgehoben worden.
Kerausaeaebenvon KatlAndree in Leipzig. — Für fcic Redaktion verantwortlich:
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildbnrghausen. — Druck
H errmann I. Meyer in Hildburghausen. —
von C. Grumbach in Leipzig.
Vierzehn Tage tu Mensa.
Mitgetheilt von Dr. A. E. Vre h m.
Zweiter Artikel/)
Das Dorf Mensa. — Die Hütten und die Kirche. —- Der Berathungsbaum. — Eine tausendjährige Sykomore. — Die Leute in
Mensa. — Die Frauen. — Ackerbau uud Viehzucht. — Das Herdenleben im innern Südostafrika. — Rinderherden und Tränken. —
Wanderzüge. — Schafe mit Fettschwänzen. — Milchgennß. — Tabak. —
Das Dorf Mensa besteht aus ungefähr hundert Hütten.
In dem südlichen Theile der Ortschaft liegt die größere
Menge der Wohnungen; der nördliche Thal enthält deren
kaum über dreißig. Die Hütten sind schlechter, als man sie
sonst wo im Innern Afrikas findet.
Alle Völkerschaften, welche innerhalb des Regen-
gürtels der afrikanischen Wendekreisländer leben, sind durch
drängt worden. Dort wohnt man im Tokhnl, der in
ganz Mittelafrika weit verbreiteten, gewöhnlichen Behausung.
Sie ist ganz geeignet, allen Unbilden des Wetters Trotz zu
bieten. Ans einer kreisrunden Hecke aus Psahlwerk und
Durrahstroh erhebt sich aus denselben Stoffen ein kegelför-
mig gestaltetes Dach, welches vollkommen wasserdicht ist.
Dornengezänn umhegt es zum Schutze gegen Ranbthiere
Bewohnerinnen von Mensa.
die Regenzeit belehrt worden, sich Wohnungen zn erbauen,
welche wirklichen Schutz gewähren. Die Hütte des ägyptischen
Fellah ist ein elender Bau aus Nilschlamm, ost nur zur
Nothdurst mit Maisstroh überdeckt: die Wohnung der
Nnbier ist gewöhnlich ein würfelförmiger Bau aus Durrah-
stroh, niit niedriger Thür, ohne Fenster. Diese Bauart
genügt für die regenlosen Länder des untern Nilgebiets,
in den regenreichen Tropen ist sie durch eine bessere ver-
*) Vergleiche Globus Nr. 30 S. 1C1 bis 171;
letzte Artikel folgt in der nächsten Nummer.
der dritte und
Globus für 1863. Nr. 34.
oder auch gegen die sreßwüthigen Kameele, welche sonst die
Hütte bis auf das Pfahlwerk verspeisen würden; Straußen-
eier schmücken die Spitze. Manche der freien Negerstämme
zieren es noch außerdem in mannigfach verfchiedener Weife.
Die Hafsan'ie, ein Hirtenvolk am Weißen Nil, hausen in
zierlichen, über dem Boden ans Pfahlwerk ruhenden Hütten,
deren Dach und Wände aus gut geflochtenen und geschmack-
voll ausgeputzten Matten, welche ebenfalls dem Regen
widerstehen, gebildet werden. Uud selbst die Zelte der
Wanderhirten sind wasserdicht. Die Mensa scheinen von
einer ihrer Heimath entsprechenden Wohnung keinen Begriff
37
290 • Vierzehn Tc
zu haben. Formen- und Farbensinn gehen ihnen gänzlich
ab; Bequemlichkeit ist ein Wort, dessen Sinn sie gar nicht
verstehen.
Alle Behausungen der Mensa sind backofenartige
Hütten aus wirr durch- und übereinandergeworsenem Reisig.
Biegsame, ziemlich starke Schößlinge bilden ein Gerüst, über
welches man Reisholz schichtet. Niemals giebt man sich
.Mühe, den erbärmlichen Bau so zu dichteu, daß er als
Schutz gegeu das Wetter angesehen werden kann. Der
Rauch findet freien Abzug, der Regen ungehinderten Zugang.
Eine kleiue, niedrige Thür führt in's Innere des hohlen
Reiserhaufens. Hier gewahrt man dieselbe Unfertigkeit wie
außen. Anstatt des weichen, federnden Ankhareb, einer ganz
vortrefflichen, über den Boden erhöhten Lagerstätte aus
Holz - und Flechtwerk, sieht man einen elenden Schlafplatz:
aneinander gereihte Stäbe, welche auf Querhölzern ruhen,
die ihrerseits wieder von.oben gegabelten Pfählen getragen
werden. Diese Bettstätte ist in der Regel mit einer Hütte
in der Hütte, mit einem laubenähnlichen Bau aus Reisern,
überdacht, uicht aber überdichtet, denn der Regen durchnäßt
anch deu hier Schlafenden, als ob er gar keine Bedachung
über sich habe.
Außer einigen irdenen Töpfen, dem unentbehrlichen
Reibstein, auf welchem das Getreide zerkleinert wird,
einem großen topfartigen Getreidespeicher aus lufttrockenem
Schlamm, einer Axt, welche wegen ihrer Unbranchbarkeit
geradezu die Lachlust herausfordert, und einigen Schläuchen
und Ledersäcken sieht man keine Gerätschaften im Innern
der Hütte.
Ungleich besser sind diejenigen Wohnungen in Mensa,
bei deren Bau die Natur selbst mit thätig war: Höhlungen
unter und Klüfte zwischen den großen Blöcken in der Nähe
des Dorfes, welche eben nur überdacht oder umkleidet zu
werden brauchten.
Eine niedere Dornenhecke pflegt die Wohnungen einer
Familie oder mehrere Hütten zugleich zu umschließen.
Gewöhnlich ist ei« Platz innerhalb der Umzäunung zn einem
Gärtchen hergerichtet. In ihm baut man ausschließlich
Tabak; denn dieses edle Kraut rauchen und kauen beide
Geschlechter unserer Gebirgsbewohner leidenschaftlich gern.
Mensa besitzt nur Ein öffentliches Gebäude, die Kirche.
Sie ist eine Hütte von etwas anderer Bauart, obwohl sie das
Gepräge der hier üblichen Baukunst nicht im Geringsten
verleugnet. Ihre Lage ist amnuthig. Sie liegt beinahe
versteckt zwischen Grabhügeln, deren blendend weiße Kegel
auf weithin schimmern. Das Innere des Gotteshauses
betrat ich nicht, weil der Zugang nur Sonntags gestattet
ist und ich an den verschiedenen Sonntagen krank oder
sonstwie verhindert war.
Weit wichtigere Orte als die Kirche sind einige Bäume
im Dorfe, unter denen vom Morgen bis znni Abend
wenigstens Einige der edlen Bewohner des Dorfes anzn-
treffen sind, scheinbar in ernsten Geschäften. In der That
werden unter diesen Bäumen die der G^sammtheit wichtigen
Dinge berathen, und sie sind sonnt gewissermaßen mit
unseren Rath- und Gerichtshäusern zu vergleichen. Zwischen
beiden Theilen der Ortschaft steht eine tausendjährige
Sykomore, iu deren Schatten das ganze herzogliche Lager
niitsammt den 40 Kameelen, 20 Manlthieren und dem an
diesen Thieren hängenden Troß Platz gefunden haben
würde. Ich erwählte deshalb vor allen anderen Orten
den Platz unter der Sykomore zu uuferm Lager, und bat
meinen rasch gewonnenen Freund Fillipini, dort die bereits
erwähnten Strohhäuser aufrichten zu lassen. Unser Vor-
haben wurde jedoch verhindert. In feierlichem Zuge er-
schienen die Alten des Dorfes, um uns zn bitten, diesen
in Mensa.
Baum uicht zu verunheiligen. So lange Mensa gestanden,
habe er zu Versammlungen des ganzen Stammes seinen
freundlichen Schatten geboten, und jeder Mensa sähe ihn
als einen heiligen Ort an. Die Leute sprachen so ernst und
würdig, uud ich kannte von meiner ersten Reise her die
Ehrfurcht der Jnnerafrikaner vor derartigen Bäumen und
bezüglich die Folgen einer Verletzung solcher Ehrfurcht so
gut, daß ich uach einigen vermittelnden Worten ohne
Weiteres von meinem Borhaben abstand. Es beleidigte
mich auch uicht im Geringsten, als ich später sehen mußte,
daß unter demselben Baume die pöbelhafte Jugeud des
Dorfes sich herumflegelte, oder Rinderherden Mittagsruhe
hielten, denn ich hatte es sehr wohl verstanden, daß nur
wir, Heiden oder Ketzer in den Augen der Mensa, den
Baum vernnheiligt haben würden.
Noch weit wichtiger als die Berathungsbänme sind,
ist ein Ort in der Nähe des Dorfes: die Stelle unterhalb
des letzteu Felsenwalles im Thale, ans welcher das oben
erwähnte Wässerchen zu Tage tritt. Es ist ein ganz reizen-
der Ort. Das Gebirge entfaltet neben und um ihn seine
ganze Pracht. Das uie versiechende Wasser hat tropische
Fülle in's Leben gerufen und erhalten. Ein fast oder ganz
undurchdringliches Dickicht umgiebt das Bett des Bäch-
leins. Hohe Bäume, namentlich Sykomoren, verleihen ihm
einen ewigen Schatten. Nur wenige Lichtstrahlen stehlen
sich zwischen den Zweigen dieser Bäume hindurch bis zum
Wasser. Das Licht blitzt und glitzert in den Kronen der
Bäume, spielt mit den an den äußersten Zweigen schwanken-
den Webervogelnestern. Morgens und Abends klingen
tausend und andere tausende von Vogelstimmen in das
heimliche Dunkel hinein. Den heisern Ruf der Glanz-
drossel, welche ihr Prachtgefieder im Strahl der Sonne
spiegelt, übertönt der Flötenruf des Würgers, das
dumpfe Heulen der Helmvögel, das Rucksen, Girren der
Tauben. Zwergantilopen und Frankolinhühner
schleichen durch's Gebüsch; Abends kommt der stolze Aga-
seen (eine mehr als hirschgroße Antilope), Nachts Pardel
und Löwe hierher zur Tränke. Aber das Thierleben ist
nicht das, was ich hier schon schildern will: auch der Mensch
belebt diese heimliche, fort und fort segenspendende Stelle,
welche seine Ansiedelung oben aus der Höhe erst möglich
macht, vou Morgen bis zum Abend. Hierher zieht der
Mensa namentlich in den Früh- und Abendstunden in langen
Reihen. Das schattige Bett des Wässerchens ist der allge-
meine Brunnen, der Wasch- und Badeplatz, die Tränkstelle
der Herden. Höchst sonderbare Auftritte, Stellungen, Lagen
sieht man hier. Zimperliche Leute finden Gelegenheit znm
Errötheu; den» manche Blöße wird hier offenbar.—
Ich weiß nicht mit Bestimmtheit anzugeben, zu welchem
größern Volksstamme die Mensa eigentlich gezählt werden
müssen. Der Sprache nach rechnet man sie zu deu Tigr«;
doch sind die Sprachforscher darüber noch nicht ganz einig.
Mich hat es von jeher ziemlich gleichgültig gelassen, von
woher ein Volk oder Mensch stammt; ich betrachte mir das
eine wie deu andern, wie es oder er ist. Das habe ich
denn auch diesmal gethan.
Die Mensa sind schöne, wohlgebaute und wohlgebildete
Menschen von licht- bis dunkelbrauner Hautfarbe. Ihre
Gesichtszüge ähneln denen der Kankafier mehr als denen
der eigentlichen Neger. Das Haar ist etwas gekräuselt,
nicht aber wollig; der Bart ist schwach. Blendendweiß sind
die Zähne. Die Männer sind durchgängig schöner als die
Weiber.
Beide Geschlechter kleiden sich höchst einfach. Die
Männer tragen kurze Beinkleider, welche durch einen Gurt
festgehalten werden, und ein langes Tuch, welches um die
292 ' Vierzehn Tage in Mensa.
Schultern geworfen wird und Nachts als Decke bleut. Trotz der Höhe ihres Gebirges sind die Mensa ächte
Häufig ist dieses Tuch das einzige Kleidungsstück; es wird Kinder der Tropen. Sie wachsen auf, wie wassergesättigte
dann wie ein Schurz um die Lenden geschlagen. Sandalen Pflanzen unter der Sonne der Gleicherländer aufschießen,
tragen nicht Alle; denn Viele laufen barfuß. Die Knaben ! Die Mädchen- sind mit dem zwölften bis vierzehnten Jahre
gehen bis iu's fünfte, sechste Jahr fast oder ganz nackt erwachsen. Bereits im Alter von zehn bis elf Jahren be-
und lassen sich auch das Haupthaar bis auf eine Stirn- ginnt sich ihre Büste zn entwickeln; im Alter von 13 Jahren
locke abschereu. Aeltere Männer putzen sich das edle Haupt sind sie zur vollendeten Jungfrau gereift. Aber ihre Blüte-
in derselbe Weise, wie der Hamadryaspavian sich trägt. zeit welkt rasch dahin. Schon mit dem dreißigsten Lenz
Sie krämpen den Mittlern Theil aufwärts und flechten ihres Lebens sind ihre Reize verblichen, und der leider auch
das Uebrige ringsum in hunderte von kleinen Zöpfchen, jetzt noch entblößte Busen hat mit dem des dreizehnjährigen
Eine oder zwei lange, geglättete Holznadeln stecken in dem Mädchens keine Ähnlichkeit mehr. Mit dem 35. Lebens-
krausen Gelock und dienen dazu, die Ruhe und Ordnung jähre rückt das Weib in die Zahl der Altgewordenen ein.
unter der zahlreichen Bewohnerschaft des Filzes herzustellen. Der Mann xeift später, erhält sich dafür aber anch seine
Am linken Oberarme wird regelmäßig ein kurzes Dolch- Vollkraft bis in's 40. und 45. Jahr. Im Ganzen scheint
messer befestigt. — Die Frauen sind nach denselben Grund- das Völkchen ein gesundes und hohes Alter zu erreichen,
sähen, aber doch sehr verschieden gekleidet. So lauge das Greise von 60 bis 70 Jahren sollen keine Seltenheit sein.
Mädchen unverheiratet ist, umhüllt es die Schenkel mit Die Mensa sind vorzugsweise Viehzüchter, ihr ganzes
dem Rahhad, einer Schürze, welche aus vielen hundert | Leben hängt von dein ihrer Herden ab. Getreidebau be-
schmalen Federstreiseu besteht, schert sich das Haar theil-
weise, oder flechtet es in langherabhängende dünne Zopfchen,
ltnb schmückt sich die Handgelenke und die Knöchel mit
silbernen Spangen oder wenigstens mit Ketten ans Glas-
perlen, zuweileu auch die Nase — wie die Ohren — mit
silbernen Ringen. Am Tage der Verheirathnng zer-
schneidet der Ehemann den Rahhad und giebt seiner Gattin
dafür ein etwas reicheres Umschlagetuch, als er selbst trägt,
und ein Paar Sandalen. Später wird das Tnch oft mit
einem weich gegerbten, viereckig zugeschuitteueu Rindsleder
vertauscht, welches so um den Leib geschlagen wird, daß die
Enden vorn übereinander liegen. Die Haut ist steif, liegt
schlecht au und sieht häßlich aus. Einzelne Frauen, Wohl
nur die der Reicheren, sind besser und anständiger gekleidet;
sie verhüllen sich auch das Gesicht mit ihrem Tuche oder
mit einem Schleier, wenn sie einen fremden Mann ge-
wahren; sie haben von den Frauen der Türken und Araber
Einiges angenommen. — Ob die Frauen sich Lippen und
Augenwimpern färben, wie die Sudahnesinnen es thuu, weiß
ich nicht; ich habe nichts Derartiges beobachtet.
treiben sie nur der höchsten Nothdurft halber und keines-
wegs in befonderm Umfange. Einige Stellen uuten im
Thale sind zu Feldern umgewandelt worden, und auf ihnen
baut man während der kleinen Regenzeit Getreide, nämlich
Durrah oder Kasferhirse; mit Beginn der großen Regen-
zeit wird die Hochebene in unmittelbarer Nähe des Dorfes
bestellt. Mau reißt mit einem überaus einfachen Pfluge
Furchen in den Boden und streut in diese Durrahkörner
ein; nachher läßt man die Natur das Weitere besorgen und
bekümmert sich erst dann wieder um die Saat, wenn die
Pflanze bereits deu Kreislauf ihres Lebens durchgemacht
und ihre schweren Halme der brechenden Hand entgegen-
neigt. Nur die Vögel des Himmels machen den Leuten
oft recht zu schaffen. Vor allen sind es die Webervögel,
welche in unzähligen Scharen in der reifenden Frucht ein-
fallen und nach Art unserer Sperlinge ihren Zoll er-
heben. Zur Verscheuchung dieser Gäste müssen eigene
Wachen ausgestellt werden. Schlimmer noch ist es, wenn
sich Assen in der Nähe der Felder zeigen. Sie verlangen
die angestrengteste Wachsamkeit und gar nicht selten ernst-
294 ° Vierzehn T
haften Kampf, wenn ihr boshaftes Treiben vereitelt und
dem Greuel ihrer Verwüstungen Einhalt gethan werden
soll. Die Affen würden in der That, ließe man sie ge-
währen, alle Hoffnungen auf die Ernte vernichten.
Gleichwohl will alle Arbeit, welche der Feldbau ver-
ursacht, wenig bedeuten gegen die Mühe und Anfitterl-
samkeit, welche die Viehzucht beansprucht. Wie bei den
Nomaden des Innern dreht sich die ganze Wissenschaft des
Lebens unserer Leute einzig und allein um die Erhaltung
und Vermehrung der Herden. Den Umgang mit Vieh lernt
der Mensa von Jugend auf. Schon als Knabe folgt er
dem Vater oder dem altern Bruder auf seiueu Zügeu mit
der Herde, und als Jüngling bekommt er diese unter eigene
Obhut. Der Mensa hält sich um so verständiger, je besser-
er mit Vieh umzugehen versteht, und er achtet sich um so
glücklicher, je zahlreicher seiue Herde ist. Die Zahl seiner
Rinder bedingt seinen Wohlstand und seine Stellung im
Staat oder richtiger im Volke.
Es scheint mir geboten, hier einmal von der mir ge-
stellten Aufgabe abzuschweifen, um dem mit den inner-
afrikanischen Verhältnissen weniger vertrauten Leser über-
Haupt einen Begriff von dem Herden- n>id Hirtenleben
jeuer Länder zu geben Die Verhältnisse siud hier so ganz
anders, als bei uns zu Lande, daß sie wohl eine allgemeine
Berücksichtigung verdienen.
Jnnerasrika ist überaus reich an Hausthieren, iiiib
zwar an Rindern, an Ziegen und an Schafen. Die Rinder
stehen bei allen Volksstämmen des Innern in höchster
Achtung. Ein Sndahnefe z. B. nimmt es gar nicht übel,
wenn man ihm den Ehrentitel „Ochse" gießt; „denn",
sagt er, „der Ochse ist ein kräftiges, starkes und nützliches
Thier, und ein Mensch, welcher die gleichen Eigenschaften
besitzt, ist rühmenswerth." Bei den festansitzenden Inner-
asrikanern kommt die Rinderzucht jedoch nirgends zur voll-
ständigsten Entwicklung. Sie bedingt ein Wanderleben der
Leute, und ein solches führen alle Stämme, welche im wirk-
lichen Sinne Viehhirten sind. Ein solches führen auch die
Mensa.
Als der Ostfndahn durch die Türken unterjocht wurde,
sahen diese zu ihrem höchsten Erstaunen ungeheure Herden
der nützlichen Hansthiere von einem Orte der Steppe zun:
'andern ziehen. Sie beschlossen sofort, solchen Reichthum
in der ersprießlichsten Weise zu nützen. In Folge der nach
Egypten gesandten Berichte kam Mohammed-Albans den
Gedanken, den vollen Bedarf an Zngthieren und Schlacht-
vieh aus dem Ostfndahn zu entnehmen. Man erhob also
Tribut vou den Nomadenstämmen und führte jahrelang
nach einander zahlreiche Herden von Ostfndahn nach
Egypten aus. Die Zahl der auf diese Weise dem Lande
entzogenen Riuder kann keiner Schätzung unterliegen; doch
wird man nicht irren, wenn man sie auf mindestens eine
Million anschlägt. Ans dem weiten und beschwerlichen
Wege längs des Nils gewahrt man heute noch in allen nn-
fruchtbaren Gegenden Nnbiens Marksteine jener Zeit, die
Gerippe der aus Mangel an Nahrung und in Folge der
Anstrengung gestürzten Rinder. Zuweilen bedecken sie den
genommenen Weg meilenweit, so daß man nach ihnen sich
richten kann. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß die
Knochen von mehr als 10,000 Rindern im Sande der
Nnbischen Wüste bleichen. Demungeachtet übersteigt die
Anzahl der Rinder, welche die Bewohner Ostsudahns be-
sitzen, alle Vorstellungen. Die größten unserer Ritterguts-
;e in Mensa.
besitzer und Viehzüchter erscheinen in diesem Punkt arm
gegenüber einem der unbemittelteren Sndahnesen.
Nahe dem Dorfe Melbes in Kordasahn tieft sich
die Steppe zu einem weitem Kessel ein, in dessen Grunde
man Brunnen an Brunnen angelegt hat, einzig und allein
zu dem Zwecke, die täglich hier während der Mittagszeit
zusammenströmenden Herden zu tränken. In diesem Kessel
habe ich mehr als einen Monat lang vom frühen Morgen
an bis znni späten Abend und während der ganzen Nacht
hindurch ein kaum zu beschreibendes Gewühl von Menschen
und Herden beobachtet. Neben jedem Brunnen hatte man
6 bis 8 flache Tränkteiche aufgebaut, große, natürliche
Tröge, welche mit thoniger Erde eingedämmt sind. Diese
Tröge wurden alltäglich gefüllt und von den zur Tränke
kommenden Herden vollständig wieder geleert. In den
Mittagsstunden sah man Nichts als eine ununterbrochene
Masse von eifrig sich hin- und herdrängenden Thieren,
zwischen denen hier und da eine dunkle Mannesgestalt
hervorragte. Die dann versammelten Rinder erschienen
als eine braune, wogende Masse, über welche sich ein Wald
von Hornspitzen erhob. Von den dazwischen hin- und
hergehenden Männern war oft keine Spur mehr zu ent-
decken; das Braun wurde die eiuzige hervortretende Farbe.
Der ganze Tränkplatz glich einem Stall, in welchem seit
Monaten kein Reinigungswerkzeng in Bewegung gesetzt
wurde. Ungeachtet der dörrenden Sonne lag der Koth
überall mehr als snßtief auf dem Boden; nur die Tränk-
teiche wurden sorgfältig rein gehalten. Unmöglich erscheint
es mir, die Menge der Rinder, welche hier versammelt
waren, zu schätzen: ich bezweifle aber, daß hier täglich ihrer
weniger als 60,000 Stück zusammen kamen.
Einen so großen Reichthum besitzen die Mensa nicht;
ihre Herden sind jedoch immer noch höchst ansehnlich, und
manche von den Leuten, welche in einer der beschriebenen
erbärmlichen Hütten herrschen, nennen 5 bis 6000 Zunder
ihr Eigenthum.
Das Rind der Mensa gehört zu der Art und Rasse,
welcher die Naturforscher den Namen „afrikanischer Buckel-
ochse" gegeben haben. Es ist ein schönes, wohlgebautes,
kräftiges Thier, besonders durch die gewaltigen, weitge-
stellten Hörner ausgezeichnet, und unter den afrikanischen
Rindern genau Dasselbe, was die Schweizerkühe unter
unseren Rassen- ein Geschöpf, bei welchem das Gebirgs-
leben alle Fähigkeiten geweckt und zur höchstmöglichen Stufe
ausgebildet hat. Der Sanga, wie dieser Ochse genannt
wird, ist ein äußerst geschicktes, gewandtes und bewegliches,
dennoch aber höchst gntmüthiges, lenksames Thier, welches
Jedermann gefallen muß. Aber dem Fremden gegenüber
zeigt es sich ängstlich; so lange es die gewohnten Gestalten
seiner Hirten um sich hat, ist es das ruhigste und beste
Rind, welches ich überhaupt kenne.
Eine zahlreiche Viehherde der Mensa gewährt einen
wirklich prachtvollen Anblick, man mag ihr begegnen wo
man will. Wenn die Rinder weiden, klettern sie zerstreut
auf den Berghängen umher, leichtfüßigen Antilopen
vergleichbar; wenn es aber zur Tränke geht, oder wenn die
Herde uach der vielleicht gerade nahrnngsreichen Samchara
hinabgetrieben wird, zieht sie im dichtgedrängten Zuge
dahin, nicht selten Viertelstunden lang das enge Thal er-
füllend. Einer der stattlichsten Mensa im vollen Waffen-
schmucke schreitet lockend und rufend den Rindern voraus;
ihm folgen die lasttragenden Ochsen, bepackt mit den oben-
genannten Lederschlänchen, mit biegsamen Stäben, welche
znm Aufbau der Hütte, zur Herstelluug des Bettes uud
sonstwie verwendet werden, mit Lederhäuten, Töpfen n.dergl.,
j oder beritten von der Frau des Herdenbesitzers, welche auf
Vierzehn Tc
dem Rücken des Ochsen die regelmäßige Wanderung zurück-
zulegen pflegt. Hinter diesem Stärksten und Bevorzugtesten
der Herde folgen die übrigen Rinder in buntem Gewimmel,
und hier und da wandelt zwischen ihnen eine der dunklen
Mannesgestalten dahin, so recht in der Mitte der Herde,
als bester Beweis von dem innigen, brüderlichen Verhältnis?,
welches zwischen Hirt und Herde stattfindet. Den langen
Aug beschließen die jüngeren männlichen Glieder des Herden-
besitzers. Hunderte von Vögeln umschwärmen die wandernde
Herde, namentlich der Madenhacker und während des
Winters die Schafstelze sind regelmäßige Gäste dabei.
Die ersteren klettern wie Spechte auf den Thieren hin nnd
her, oder au ihnen auf und nieder, hängen sich unten am
Bauche an, klettern am Hals empor, setzen sich auf dem
Kopf, auf der Firste des Rückens nieder, lesen überall die
Kerfe auf, welche die Rinder belästigen, nnd werden als
nützliche Schmarozer von diesen gern geduldet. Die letzteren
laufen zierlichen Ganges neben der Herde einher, ohne sich
aus dem Rücken der Thiere niederzulassen, fliegen, wenn
ihnen die Rinder zu schnell voraneilten, behend ihnen nach,
setzen sich auf den nächsten Bäumen nieder, nnd die
Männchen singen dann flugs ihren lieblichen Gesang von
da oben herunter und eilen wiederum den inzwischen weiter-
trabenden Gastgebern nach. Auch der Gebirgs- oder der
Wüsteurabe halten sich gern bei den Rindern, und diese
sind so von den guten Diensten der Vögel überzeugt, daß
sie auch ihnen ohne Weiteres die Gastfreundschaft ge-
währen.
Zwei Mal im Jahre wandern die Mensa von der
Höhe ihres Gebirges zur Tiefe der Samchara hernieder,
und von dort wiederum nach oben empor, ziehen also vier
Mal im Jahre von einem Orte zum andern. Dies geschieht,
um die Weide allüberall bestmöglichst auszunützen. Nach
dem ersten Regengüsse kleidet sich die tiefere Samchara in
ein frischgrünes Gewand; in allen Niederungen deckt dann
ein zartes, saftiges Gras den Boden, nnd im Schatten der
Gebüsche schießen nahrungsreiche Kräuter auf. Diese nnd
der Grasteppich bildeu die Weide, welche die Mensa jetzt
aussuchen. Das nöthige Gepäck wird den stärksten Ochsen
ausgeladen, und in langen Reihen ziehen die Herden vom
Gebirge hernieder, eine nach der andern. Unten in der
Ebene sammeln sich die Besitzer an den gewohnten Plätzen,
bessern den schon vor Jahren gebildeten Dornenzauu aus
oder erbauen sich eine neue Seriba, errichten innerhalb der-
selben ihre Hütten und führen von hier ans ihr Vieh nach
den Weideplätzen. Mit der zunehmenden Dürre ziehen sie
sich mehr und mehr gegen das Gebirge hin, in welchem es
noch regnet, wenn unten schon laugst Alles verdorrte, wei-
deu erst in den fernliegenden Thälern nnd rücken allgemach
höher und höher zu ihrem Dorf empor. Auch im Gebirge
haben sie ihre feststehenden Seribas oder wenigstens be-
stimmte Hirtenplätze. Wenn man eine der Bergspitzen er-
steigt, sieht man überall diese Plätze grün heraufschimmern.
Sie sind stets so gewählt, daß das Vieh in der nächsten
Nähe Weide findet und Nachts ein möglichst bequemes Lager
hat. Mau hat alle Gebüsche niedergeschlagen oder weg-
gebrannt und so eine Ebene geschaffen, welche durch den
reichlich hier aufgespeicherten Dünger zu besonderer Frucht-
barkeit befähigt wird uud uach dem Abzüge der Herden mit
üppigem Grase sich dicht bedeckt. Während der trockenen
Zeit halten sich die Herden stets im Gebirge auf, und je
mehr die Dürre überhand nimmt, um so höher steigen sie
in ihren Bergen empor. Der erste Regen, welcher fällt,
ist jedes Mal das Zeichen zum Niedergange, der letzte das
zum Emporsteigen.
Die Mensa hüten ohne Hunde. Ihre Rinder sind so
e in Mensa. 295
gut gezogen, daß sie jedem Rufe Folge leisten. Von Jugend
auf gewöhnt, mit ihrem Hirten in innigster Gemeinschaft zu
leben, erkennen sie diesen willig als ihren Führer an und
folgen ihm ans Schritt und Tritt. Der Hirt seinerseits
thnt Alles, um das Freundfchaftsverhältniß zur Voll-
kommenheit zu bringen. Er lenkt seine Herde mit guten
Worten, und denkt nieinals daran, ein störriges Stück durch
Härte zu zwingen. Eine Schleuder, wie die spanischen
Hirten sie tragen, oder eine Peitsche, wie die unsrigen sie
führen, sind ihm unbekannte Dinge.
Mit Tagesanbruch verläßt der Mann rufend und
lockend die Seriba nnd hinter ihm folgt die blökende Herde.
Bis gegen Mittag hin durchzieht der Hirt niit seinen
Thieren gemächlich ein bestimmtes Gebiet, dann geht er
der Tränke zu. Hier verweilen die durstigen Rinder mehrere
Stunden, lagern sich, um wiederzukäuen, und zeigen dann
durch erneute Freßlust die Zeit des Aufbruchs an. Die
übrigen Nachmittagsstunden sind wieder der Weide ge-
widmet, uud mit Sonnenuntergang trifft die ganze Herde
bei der Seriba ein. Innerhalb dieser sieht man jetzt nn-
zählige Feuer, vor jeder Hütte eins, dazn bestimmt, runde,
glatte Steine möglichst zn erhitzen. Beim Eintreffen der
Herden haben diese Steine bereits den nothigeu Grad von
Wärme erlangt, und nun saßt jede Melkerin einen der-
selben vermittelst zweier Holzstäbe, wirft ihn in ein ge-
slochtenes Gefäß, und eilt den milchgebenden Kühen zu.
Der Stein erhitzt die ohnehin warme Milch beinahe bis
zum Siedepunkte, giebt ihr aber zugleich einen räucherigen,
dem Neuling unausstehlichen Geschmack. In den Augen
der Mensa freilich gilt lauwarme oder kalte und uuge-
räucherte Milch nur halb so viel als die uach ihrer Art be-
sonders wohlschmeckende, heiße uud räucherige, und zudem
glauben sie, daß nur so abgekochte Milch sich längere Zeit
frisch erhalte.
Nach dem Melken thun sich die Rinder im Innern der
Seriba nieder, und fünf bis sechs Feuer, welche die gauze
Nacht hindurch unterhalten werden, und die jetzt zur Gel-
tung kommenden Hunde schützen sie hinlänglich vor etwaigen
Angriffen der Ranbthiere. Mich hat es Wunder genom-
men, die Mensa so wenig über den Schaden klagen zn
hören, welchen der Löwe allen innerafrikanischen Vieh-
züchtern anthnt. Im Ostsud ah u ist der Zoll, welchen der
König der Wildniß erhebt, ein sehr empfindlicher; denn der
Löwe bethätigt dort fast allnächtlich seine beiden arabischen
Namen: Saba, der Würger der Herden, oder Assed, der
Aufruhr-Erregende. Er wandert den Nomaden uach, wo-
hin sie sich auch wenden mögen, zieht mit ihnen 'in die Steppe
hinaus nnd kehrt wiederum mit ihnen zu den wasserreichen
Niederungen zurück; er ist den Herden überall auf den Fersen.
In deu Bogosländern fürchtet man den Leopard, welcher
das Großvieh in Ruhe läßt uud nur das Kleinvieh an-
greift, ungleich mehr als den Löwen. Die Seribas der
Mensa sind im Vergleich zu den Umzäunungen der Sndah-
nesen dürftig und schlecht, nnd gleichwohl klagen die Mensa
nicht über das gewaltige Raubthier. Die Hyänen dagegen,
welche allnächtlich die Hirten in ebenso großer Anzahl um-
schleichen, als sie iu der Nähe der Dörfer sich einfinden,
fürchtet Niemand. Die Mensa kennen ihre Feigheit so gut,
daß sie die widerlichen Räuber höchstens verachten.
Bei Gelegeuheit der Herden muß ich noch einer Thier-
ordnuug gedenken, welche regelmäßig in deren Nähe sich
einfindet, der Fledermäuse nämlich. Henglin's hübsche
Beobachtung, daß diese Thiere den Herden überall nach-
folgen, fand ich vollkommen bestätigt Die Fledermäuse
wandern den Herden nach wie die Schakale dem Löwen;
aber dies geschieht keineswegs in der bösen Absicht, in
296
Vierzehn Tage in Mensa.
welcher die Blattnasen Amerikas Pferde und Maulthiere
verfolgen, sondern der Kerbthiere, namentlich der Fliegen
halber, welche jede Herde in Unmassen umschwärmen und
den Fledermäusen Nachts gute Jagd versprechen. Ehe die
Herden in der Nähe des Dorfes angekommen waren, sah
man nur fetten Abends eine Fledermaus; an demselben
Abend aber, wo die Herden zum ersten Mal in einer
Seriba in der Nähe des Dorfes lagerten, tummelten sich
Hunderte von Flatterthieren in der Luft herum. —
Außer den Rindern halten die Mensa auch Ziegen
und Schafe, jedoch nur in geringer Zahl. Das Klein-
vieh gehört in ganz Mittelafrika zu den beliebtesten Haus-
daß man der Ziege zu Gefallen nicht wandernd umher-
zieht, wie des Rindes wegen. Für das Kleinvieh erbaut
man neben der Wohnung einen Stall, welcher nur da-
durch von der Hütte des Gebirgsbewohners sich unter-
scheidet, daß er fester und schöner gebaut ist als diese —
des Leoparden wegen, welcher recht wohl weiß, was der
Stall beherbergt. Ungeachtet dieser Vernachlässigung wird
die Ziege beinahe ebenso vielfach benutzt, als das Rind.
Man trinkt ihre Milch, ißt ihr Fleisch und verwendet end-
lich ihr Fell zu allerhand Schläuchen, Kleidungsstücken,
z. B. dem früher erwähnten Rahhad oder der Jungfern-
schürze u. f. w.
Rinderhirt in Mensa.
n»V\>
thieren. In Kordofahn und am Weißen Flusse begegnet
man äußerst zahlreichen Herden, in den Urwäldern, an den
Flüssen nicht minder; anch in der Samchara trifft man mit
ziemlich starken Ziegenherden zusammen. Im bunten Ge-
dränge belebt das neckische Volk die dunklen Hügel, ver-
theilt sich weit über die dürren Ebenen, umlagert alle
Brunnen und umblökt jede Hütte. Familien nomadisiren
der Ziege zu Gefallen; kleine Zeltdörfer entstehen und ver-
gehen ihretwegen. Nicht so ist es in Mensa. Hier wendet
man dem Rind alle Kräfte zu und hält das Schaf und die
Ziege nur nebenbei. Blos der Arme, welcher es noch nicht
zu einer Rinderherde gebracht hat, oder der in Mensa an-
sässige Weiße züchtet Ziegen und Schase, der ächte Mensa
ist viel zu stolz dazu. Und daher kommt es denn auch, I
Es ist natürlich, daß das ganze übrige Leben der
Mensa mit der Viehzucht zusammenhängt. Die Nahrung
unserer Leute ist weniger als bei den übrigen Inner-
asrikanern eine pflanzliche, vielmehr eine größtentheils
thierische. Zwar wird selbstverständlich das Getreide nicht
umsonst gebaut, sondern, wie im Innern von ganz Afrika,
nachdem man es gemahlen, zu dünnen, schlissigen Kuchen ge-
backen oder zu einem Nahrungsbrei gekocht; allein Brot wie
Brei bildeu durchaus nicht das hauptsächlichste Nahrungs-
mittel der Mensa. Dieses ist die Milch. Sie genießen
die Greise wie die Kinder, und zwar in einer Menge, wie
nirgends anderswo. Tage-, ja wochenlang besteht die Nah-
rung unserer Leute nur aus Milch und Durrahbrot, be-
züglich Durrahbrei, und wenn das Getreide fehlen sollte,
Bierzehn Tage in Mensa.
297
macht es dem Mensa durchaus Nichts aus; dann trinkt er
Milch allein. Sein Leibesbau beweist, daß solche Nah-
rung als eine höchst ersprießliche betrachtet werden muß;
der Mensa steht an Größe, Kraft und Gewandtheit nur
wenig afrikanischen Völkerschaften nach.
Neben der Milch genießt der Mensa auch das Fleisch
seiner Hausthiere. In einem so wildreichen Lande, wie es
die Bogosländer sind, hat es für einen Menschen nicht
eben große Schwierigkeiten, sich durch die Jagd zu ernähren
oder durch sie wenigstens einen guten Theil seiues Lebens-
Unterhalts zu gewinnen. Der Mensa ist jedoch nichts
weniger als ein Jäger, und sein sogenannter Glaube, oder
Autilopen und die Frankolinhühner finden Gnade
vor dem Blödsinne der wackern Christen, und würden von
ihnen gegessen werden, wenn — sie sich so leicht erlangen
ließen, als jene wohl wünschen mögen.
So bleibt dem biedern Gebirgsbewohner nur seine
Herde übrig, wenn er seine Lust nach Fleisch befriedigen will.
Bei sestlicheu Gelegenheiten stirbt eines der auserwählten
Rinder den Tod zu Gunsten des menschlichen Magens.
Der vergleichende Beobachter kommt in Verlegenheit, wenn
er bestimmen will, wer eigentlich den guten Mensa bei
Zurichtung ihrer Fleischspeisen Unterricht ertheilt hat. Ein
bedeutender Einfluß der Hyäne oder des Geiers ist nicht
yy ^V'
Fettschwanzschafe.
richtiger Aberglaube, trägt nur dazu bei, ihm die Jagd zu
verleiten. Mau darf von vornherein annehmen, daß der
Mensa dem Vernünftigen ungleich weniger zugängig ist,
als dem Unvernünftigen; seine Unvernunft geht aber weiter,
als man meinen möchte.
Von allen den Thieren, welche die Heimat dieser
Christen beherbergt, genügen nur wenige den Ansprüchen
und Ansichten der Mensa. Das Wildschwein Abyffiniens
trägt sein saftiges Wildpret ungefährdet dnrch den Wald
im Mensagebiete — denn es gilt als unrein; der Hase
darf fich ohne Sorgen sein Lager in unmittelbarer Nähe
des Dorfes graben — denn er hat gespaltene Zehen, und
ist also unrein; der Klippschliefer, dessen Fleisch die Be-
dninen Arabiens als leckere Speise betrachten, theilt den-
selben Fehler, welchen der Fuß des Hafen besitzt. Nur die
Globus für 1863. Nr. 34.
zu verkennen. Das Thier wird nach mohammedanischer
Weise geschlachtet, d. h. durch Zerschneiden der Halsschlag-
ädern getödtet, und es fragt sich noch sehr, ob die mir
unverständlich gebliebenen Worte, welche beim Abstechen
ausgestoßen worden, nicht dieselben sind, welche die Be-
kenner des Islam ausrufen. Sobald die letzten Zuckungen
des Thieres vorüber sind, enthäutet man es, wirft es aus
und benutzt dann gleich die Haut als Schlachtmulde. Das
Fleisch'wird sorgsam von den Knochen abgeschält und zer-
stückelt, sodann zertrümmert man auch das Knochengerüst.
Ein großes Feuer wurde bei Beginn der Schlächterei an-
gezündet, auf ihm macht man inzwischen Steine glühend,
und mit ihnen bildet man endlich einen Rost, ans welchem
die Fleischstücken gebraten werden. Gierigen Auges stieren
die Geiermenschen in die leuchtende Glut; endlich ist das
38
298 Bilderschrift der nord
Fleisch einigermaßen gar geworden. Jetzt machen die
edlen Mensa ihren Lehrmeistern, Hyäne und Geier, Ehre.
Sie essen nicht etwa, sondern sie fressen echt vieh-, bezüglich
ranbthiermäßig. Die Knochen werden mittlerweile auch
in's Feuer geschoben und, wenn ihr Mark gekocht ist, gierig
ausgesaugt. Das ganze Mahl hat etwas so Abscheuliches,
daß ich meiner Feder eine weitere Beschreibung nicht zu-
mnthen will. —
Die geistigen Getränke der Sndahnesen, Bilbil und
Merisa, Gebräne aus Durrah und Docheumalz, sind
den Mensa unbekannt. Dafür ist unter ihnen eine Art
Meth oder Honigwein, Tetsch genannt, ganz allgemein in
Gebrauch. Der Tetsch schmeckt angenehm, gilt für gesund
und ist somit ein empfehlenswertes Ersatzmittel anderer
geistigen Getränke. Er wird bereitet, indem man Honig
mit Wasser verdünnt und dann in einem großen ^opse,
welcher innerhalb der Hütten, und zwar in unmittelbarer
Nähe der Feuerstätte, zur Gährung bringt, darauf mit der
Blüte einer mir unbekannten Pflanze hopst und dann sich
klären läßt.
Mit diesem Getränk gipfelt sich die bei Bereitung von
Nahrungsmitteln in Frage kommende chemische Wissenschaft
unserer Gebirgsleute.
lerikanischen Indianer.
Außer den eigentlichen Nahrungsmitteln scheint der
Genuß des Tabaks allen Mensa Bedürfniß zu sein. Die
Jnnerafrikaner rauchen und kauen leidenschaftlich gern die
Blätter dieses edlen Krautes. Jhuen ist der Tabak dasselbe,
was das Salz einem Wiederkäuer. Der Mensa meint,
ohne Tabak nicht leben zu können. Aber er versteht es nicht,
die achtbare Pflanze zu würdigen, versteht es auch nicht,
sie zu behaudelu. Grün noch, im vollen Safte, werden
die Blätter abgepflückt, sofort auf Steinen zermahlen, in
Kuchen geformt und endlich an der Sonne getrocknet. Diese
Kuchen haben freilich den einen Vortheil, daß der Tabak
in ihnen den kleinstmöglichen Raum einnimmt, aber die
Bereitung derselben verdirbt den Tabak so, daß er für
Europäer gänzlich ungenießbar wird, daß selbst der Mensa
ihn nur aus einer Wasserpfeife rauchen kann. Unser Mann
verlangt freilich etwas starke Reize seiner Sinne. Ihm
behagt sein Knäller mindestens ebenso, als einem gebildeten
Gaumen die echte Negalia. Ohne Pfeife sieht man den
Mensa selten, so ungesüg dieselbe auch ist. Er führt seine
Wasserpfeife auf allen seinen Zügen mit sich; sie geht, wie
bei den Indianern, von Mund zu Mund; ohne sie wird
kein wichtiges Geschäft begonnen, keins vollendet.
Bilderschrift der nordamerikanischcn Indianer.*)
Charakter der Jndianersprache. — Bilderschrift statt des mangelnden Alphabets. — Symbolische Figuren. — Die Sippen und ihr
Sinnbild: Totem. — Religiöse Vorstellungen. — Geister und Geisterglaube. — Opfer, Fasten und Träume.— Zauberer, Wahr-
sager und Propheten. — Anwendung der Bilderschrift. — Die ^'eichenpfähle. — Medawiu, die Gabe und Kunst durch Zauber zu
heilen; Jesukawin, die Kunst des Weissagens. — Das Wabino. — Die Jahreszeit der Festlichkeiten. — Ein Wabino-Gesang
und dessen Bilderschrift. —
Die Indianer Nordamerikas hatten vor ihrer Bekannt-
schaft mit den Europäern keine Ahnung von einem Alphabet.
Der rothe Manu erkannte das Sinnbild seines Stammes
an der rohen Abbildung irgend eines Thieres, welche auf
die glatte Fläche eines Steines oder ein Stück Birkenrinde
gezeichnet war. Die Bedeutung solcher Figurenzeichnungen
verstand er so gut, wie der weiße Mann den Inhalt eines
Briefes. Diese Schriftgemälde finden wir verbreitet bei
allen Stämmen, sie ahmen sichtbare Gegenstände nach, oder
stellen Phantasiegebilde dar.
Die Sprache dieser Völker ist vorzugsweise materia-
listisch, ungemein reichhaltig für alles Sichtbare und Hand-
greifliche, und dieser Unistand trägt wesentlich dazu bei,
*) The Indian in his Wigwam, or characteristics of
the red race of America. From original notes and manuscripts.
By Henry Rowe Schoolcraft. New York 1848. p. 206—229;
p. 291—303.
Algic researches, comprising inquiries respecting the
mental characteristics of the North American Indians. By EI. R.
Schoolcraft. New York 1839. Zwei Bände, au vielen Stellen.
Svdanu desselben Verfassers großes, auf Kosteu des Kongresses
gedrucktes Werk Historical and Statistical Information respecting
the history, condition and prospects of the Indian Tri des of
North America. Philadelphia 1851. 4. Vol. I. Der ausführ-
liche Abschnitt Indian Pictography, p. 333 ff. Diesem mit großer
Pracht gedruckten Werke sind unsere bildlichen Darstellungen ent-
nommen.
Ich babe schon 1851 über die Bilderschrift oder Schrift-
gemälde Mittheilungen gegeben in: Nordamerika in geographi-
schen und geschichtlichen Umrisses von Karl Andree. Braun-
schweig 1853. Zweite Auflage, S. 237 ff.
der Rede des Indianers malerischen Glanz und pomphafte
Fülle zu verleihen. Aber keine Sprache nordameri-
kanifcher Indianer hat Ausdrücke für unsere Be-
griffe: Enthaltsamkeit, Gerechtigkeit, Dankbar-
keit oder Frömmigkeit. Nicht greif- oder nicht sichtbare
Dinge umschreibt der Indianer; Glück bezeichnet er
durch Glanz oder wolkenlosen Himmel; Frieden stiften
nennt er: einen Waldbaum pflanzen, oder: die Streitaxt
begraben; Schmerz oder Betrübniß mit: die Stacheln
der Cactuspflanze sind durch meine Mokassins gedrungen.
Die Sprache ist überhaupt reich an Metaphern und Alle-
gorien.
Die Bilderschrift der Azteken im alten Mexiko war
bekanntlich sehr umfassend ausgebildet und entwickelt; aber
wir geheu hier uicht darauf ein und wollen nur bemerken,
daß auch mehrere Völker Südamerikas, z. B. jene auf dem
Hochlande von Neu-Granada und Quito und die alten
Peruaner, eine solche kannten. Bei den Letzteren bedeutet,
in der Quechua-Sprache, das Wort Quelccauni zugleich
Schreiben und Malen. Die Natchez am untern Mississippi
malten symbolische Figuren auf ihre Leichengewänder; die
mehr nördlich wohnenden Stämme hatten konventionelle
Zeichen und Malereien für das ihnen mangelnde Alphabet.
Sie zeichnen oder malen mit verschiedenen Farben die Fign-
ren, nicht oft auf Steinflächen, häufig an Baumstämme, am
liebsten auf Birkenrinde, welche auch den Vorzug hat,
daß sie zusammengerollt werden kann. Diese Bilderschrift
war zur Zeit der Entdeckung bei allen Völkergruppen von
der Halbinsel Florida bis zur Hudsonsbay vorhanden; aber
Bilderschrift der nord
zumeist bedienten sich derselben die Völker algonkini-
schen Stammes. Zu diesen gehören unter anderen die Mik-
maks in Neuschottland und am St. Lorenz, die Mohikaner,
Delawaren, Snsquehannoks; die Krihs un Süden des
Athabaska-Sees, die Ottawas in Canada und Michigan,
die Odschibwäs, welche vom östlichen Ende des Obern
Sees bis zum nördlichen Red River wohnen; die Miamis,
die Sahk- und Fuchs-Indianer; endlich auch die Schahuis,
die Schwarzfüße am Obern Saskatschewanflnsse nnd anch
die Schayennes.
Von großer Bedeutung sür das ganze Leben und Wesen
der Indianer und zugleich für das Verständniß ihrer Bilder-
schrist sind die Familien- und Stammverhältnisse. Jedes
Volk theilt sich in Stämme; jeder Stamm in Sippen
(welche die Schotten mit ihren heimischen Clans vergleichen)
und diese in Familien.
Jede Sippe hat ihren besondern Namen und ihr
eigenes Siuubild. Dieses wird allemal einem Thier ent-
lehnt; bei den Algonkinern heißt es ein Totem und be-
zeichnet die Blutsverwandtschaft, die Familienbande. Wir
können den Totem als eine Art von heraldischem Symbol
bezeichnen; der Indianer kann an einem solchen den Stamm -
bäum nachweisen, und setzt allemal den Totem auf den
Grabpfosten (Adschidatik) des Verstorbenen.
Die Bilderschrift der Indianer ist ideographisch;
sie besteht aus Zeicheu, mit welchen man ganze Ideen und
Sentenzen ausdrückt; die Begriffe sind durch Uebereiukommen
festgestellt, und die Bilder geben AnHaltepunkte für das
Gedächtniß. Man entlehnt die Zeichen allen Naturreichen,
auch von Erde, Wasser und Luft. Dabei ist aber wohl zu
beobachten, daß der Indianer diesen materiellen Zeichen
etwas Geistiges unterlegt. Der rothe Mann ist iu seiner
Weise durch und durch religiös, die Religion durchdringt
und bestimmt sein ganzes Leben, ist mit ihm durch und durch
verslochten. Der Indianer denkt und thut nichts, ohne sich
seiner Abhängigkeit von einer höhern Macht bewußt zu sein;
er beginnt Krieg, schließt Frieden, geht auf die Jagd nur
erst, nachdem er gottesdienstliche Feierlichkeiten vorgenommen
hat, und diese geben sogar seinen Spielen und seinen Be-
lnstignngen ein eigentümliches Gepräge. Die Religion
selbst ist ein ganz seltsames Gemisch von Glaubens-
Meinungen, Lehren, Aberglauben und Gebräuchen, für welche
ein Europäer nur mit großer Mühe ein Verständniß ge-
winnt. Ilebrigens wollen wir hervorheben, daß der In-
dianer sich das höchste Wesen nur in Verbindung mit Zeit
und Raum vorstellt; ein unendliches nnd ewiges Wesen
kann er sich nicht wohl denken. Sein Großer Geist ist
belebt und beseelt; er hat seine Emanationen und demgemäß
ist in jeder Kraft eine Gottheit thätig. Ein äußerst feiner
Polytheismus durchzieht alle Vorstellungen des Indianers.
In dem Schießgewehr, das Feuer giebt, steckt ein Geist;
im Räderwerk einer Uhr, im Konipas, im Diamant, in
einem Insekt ist ein Geist. Jede verborgene Thätigkeit,
jeder geheimnißvolle Einfluß wird personificirt; ein Gott
wohnt in der Sonne, im Mond, im ganzen Himmelszelt,
der Lufthimmel ist von Geistern belebt; mit anderen Worten,
die Gottheit zerfällt iu eine unendliche Menge von Bruch-
theilen. Der Indianer verehrt nur Das, was außer ihm
ist; im Bogel und Fisch, im Bären und Büffel verehrt er
Geister, aber nicht im Menschen; er kennt deshalb nicht
Priester, die zu Göttern erhoben werden. Er verehrt
lediglich was er nicht ergründen kann und was ihm geheim-
nißvoll erscheint.
Die unabhängigen Geister sind theils böse, theils
wohlwollend, üben auf den Menschen großen Einfluß und
nerikanischen Indianer. 299
müssen gewonnen, versöhnt oder vertrieben werden. Die
ganze sichtbare und unsichtbare Welt ist belebt; Erde und
Himmel, von der Sonne bis zum Wurme, siud mit einer
thätigen, belebten Intelligenz erfüllt; aber den allezeit
sichtbaren Himmelskörpern, deren Einfluß auf Erde und
Menschen von ununterbrochener Dauer ist, wird die meiste
Beachtung geschenkt. Manito, Mouedo ist uicht etwa,
was bei den Christen: Gott, Schöpfer Himmels und der
Erde, bedeutet, sondern einfach ein Geist, das unbekannte,
aber wirksame Göttliche, das der Indianer sich geneigt
macheu will. Deshalb betet er zu demselben und bringt
Opfer dar; als solches ist z. B. der ht's Feuer geworfene
Tabak zu betrachten, denn der Tabak ist eine geheiligte
Pflanze.
Durch Fasten und Träume gewinnt der Odschibwä
sich einen besondern Schntzgeist, erwirbt er sich einen Gott.
Er schwärzt sein Gesicht, zieht sich in eine einsame Hütte
zurück, fastet und betet, bis ihm sein Schutzgeist sichtbar
wird, etwa in der Gestalt einer Thierhaut, einer Feder,
eines Steiues :c. Den auf folche Art ihm offenbarten
Fetisch trägt er bei sich, nicht als den Geist selber, sondern
als Zeichen der Gunst, als ein Pfand für die Nähe des
Beschützers, im Krieg und auf der Jagd.
Bis anf einen gewissen Punkt kann der Mensch die
Kräfte der Natur sich unterwerfen und dienstbar machen.
Das weiß auch der Indianer. Der eine versteht solch eine
Bewältigung der Naturkräfte besser als der andere, oder
giebt das doch vor. Er tritt dann als Zauberer auf, und
dergleichen findet man in allen Stämmen. Aber er ver-
fährt auf eigeue Hand, gehört nicht etwa einem Priester-
stand an, welcher überhaupt uicht vorhanden ist, und hat
mit den gottesdienstlichen Gebräuchen und den Opfern des
Stammes nichts zu schaffen. Manchmal ist er nebenbei
auch Wahrsager und Prophet (Jossakid) und legt sich
die Gabe der Weissagung bei. Die Zauberer üben großen
Einfluß,und Schoolcraft wurde durch eiuen dieferPauaus,
einen Ottawa, welcher sich zum Christenthum bekehrt hatte,
iu alle Geheimnisse eingeweiht. Er erfuhr, was es mit den
drei Geheimbünden, welche im Leben der algonkinifchen
Völker eine wichtige Rolle spielen, für eine Bewandtniß
habe, und gewann einen tiefen Einblick in jene „drei aber-
gläubigen Bräuche", nämlich in das Meta, Jifnkan
und Mab ino. Der erstere bezieht sich auf die Heilung
von Krankheiten durch Zauberformeln, der zweite
auf das Wahrsagen; die dritte „Teufelei" ist erst vor
etlichen Menschenaltern unter den Pottawatomis durch einen
mondsüchtigen Mann ausgebracht worden, und wir werden
weiter unten davon reden.
Als jener zum Christenthum bekehrte Zauberer, Namens
Tschusko, sich zu Offenbarungen und zur Einweihung ver-
helfen wollte, fastete er stark, damit er lebhafte Träume be-
komme. In diesen sah er eine Schildkröte, einen Schwan,
einen Specht und noch andere Gestalten, die er auf Baum-
rinde gezeichnet hat. (S. 300.) Diese wurden seine selber
Schutzgeister und waren behülflich, wenn er in seiner Hütte
zauberte. Sie glich einer zugespitzten, oben offenen Pyra-
mide; die Pfosten waren mit Häuten umzogen. Der Zauberer
findet nur Glauben, wenn eine folche Hütte sich wie durch
übernatürliche Kraft heftig bewegt und hin- und herschwankt,
sobald der Panau seine Zauberklapper rührt. Dann ist
ihm der Geist, dessen er bedarf, um Wirkungen hervor-
zubringen, gegenwärtig; er kann seine Beschwörungen be-
ginnen und orakelhafte Antworten ertheilen. Tschusko heilte
Kranke mit wirksamen Arzneien, mit einem weißen und
grünen Stäbchen, zwei kleinen steinernen Bildern und durch
Saugen an einzelnen Theilen des siechen Körpers, in dessen
38*
300
Bilderschrift der nordamerikanischen Indianer.
Inneres er, seinem Ausdrucke zufolge, durch das Fleisch
blickte. Er war fest überzeugt, daß eine höhere Kraft in
ihm wirksam gewesen sei; nachdem er Christ geworden war,
meinte er, sie sei ihm damals vom „Teufel" verliehen
worden.
Nachdem wir dieses vorausgeschickt, wird der Leser
wohl überzeugt sein, daß der Indianer an seine pictogra-
phischen Darstellungen glaubt. Sie sind verschiedener
Art. Mit dem Ausdruck Kekeewiu*) (Kikiuin) bezeichnet
man die bildliche Darstellung solcher Dinge, welche jeder
Angehörige des Stammes versteht. Dagegen sind Kekee-
uowiu Lehren der Medas oder Priester und der Jossa-
keed (Dschossakihds), das heißt der Propheten. Die Kunde
solcher Kekeenowin ist beschränkt ans Männer, welche das
System der Zauberheilung kennen.
Die erstere Art besteht, wie gesagt, aus allgemein ver-
ständlichen Zeichen, wie man sie auf Begräbnißstätten,
Jagd- und Reisezügen anwendet. Sie kommt auch bei den
I. Kekeewin. 1. Gewöhnliche, allgemein verständ-
liche Zeichen, z. B. für Reisewanderungen. — 2. Adji -
datigwuu: Zeichen für Grabdenkmäler.
II. Kekeenowin. 1. Mebäumt, Medicin. —
2. Das kleinere Je'sukawin, Geisterbeschwörung. —
3. Wabino, für Gesänge bei Lustbarkeiten und Orgien. - -
4. Keossawin, Jagd. — 5. Das höhere Jesukawiu,
Prophetie. — 6. Nundobewuuewun, Krieg. — 7.
Sageawin, Liebe.— 8. Mnzzinabikon, geschichtliche
Erinnerung.
Wir wollen einige dieser Schriftgemälde erläutern und
mit den Adjit atigwuu, den „Todtenpsählen", beginnen.
Der Name kommt von dem Zeitwort adjidj, umkehren,
umwenden, und das Wort soll andeuten, daß der Totem
der eingescharrten Person umgekehrt, ans den Kopf gestellt
ist. Dadurch deutet man an, daß er in die Erde zurück-
gekehrt sei. Atig bedeutet einen Baum, Pfahl, Stock,
Brett; wun bezeichnet den Pluralis.
Schutzgeister des, Zauberers Tschusko.
Mnzzinabiks, den Schriftlichen auf Steinen, vor.
Manche Figuren sind beiden Systemen gemeinsam; aber
die Sinnbilder für die Nngamoons, das heißt der Ge-
sänge, welche nach den Bildern (als Gedächtnißbehelfen) bei
Heilungen, beim Wabino, in Kriegs- und Jagdgesängen
angewandt werden, sind nur den Eingeweihten ver-
ständlich. Wer sie erlernt, muß dein Lehrer eine Entschä-
dignng zahlen, ein Honorar für jeden Gesang. Als Lehrbuch
dienen Zeichnungen auf Birkenrinde, die' geheim gehalten
werden müssen, wie die Lehre selbst.
Die Bilderschrift findet Anwendung in folgender
Weise:
*) Es ist ein wahrer Jammer, daß Schoolcraft keinen Begriff
von phonetischer Schreibart hat. Durch diesen Mangel wird
Vieles in seinen sonst so verdienstvollen Leistungen widerwärtig und
geradezu unbrauchbar. Er hat keinen Begriff vom Wiedergeben
eines reinen Vokales. Das ist schon arg genug bei den Eug-
ländern, aber doppelt arg bei den Aankees.' Uns bleibt nichts
übrig, als die indianischen Namen so wiederzugeben, wie wir sie
eben finden. S. schreibt die Namen nicht einmal gleichmäßig,
sondern bald so bald anders.
Der Indianer hat große Hochachtung vor dem Todten
und betrauert den Abgeschiedenen aufrichtig. Noch jetzt
stehen die früheren Besitzer Canadas, die Franzosen, in
gutem Andenken, weil sie niemals die Ruhestätten der Ver-
storbenen verletzt hab^n. Diese Leichenäcker liegen oft in
sehr malerischer Gegend, zum Beispiel aus einem Hügel im
Thale. Man giebt dem Todten seine werthvollsten Sachen
mit ins Grab und bezeichnet dasselbe durch einen Erd-
anfwnrf. Der Verstorbene wird mit seinen besten Kleidern
angethan, dann mit Häuten und Birkenrinde umwickelt und
wo möglich in einen hölzernen Sarg gethan. Bei den
Sionx und den westlichen Odschibwäs legt man ihn auf eiu
Gerüst oder iu einen Baum, läßt ihn dort, bis das Fleisch
vergangen ist, sammelt dann die Knochen, begräbt sie und
bezeichnet die Stelle mit einem Leichenpsahl, am liebsten
von Cedernholz, der am Kopfende steht. Dieser Adjid atig
enthält die symbolischen oder repräsentativen Zeichen, also
namentlich seinen Totem, die Bezeichnung, wie viele Kriegs-
züge er mitgemacht und wieviele Schädelhäute er den
Feinden abgezogen hat. Bei Häuptlingen sügt man wohl
auch eine Kriegsfahne hinzu; bei großen Kriegern hängt
Bilderschrift der nori
man über dem Grabe die von ihnen erbeuteten Skalps auf
und schmückt den Leicheupfahl mit Federn vom Adler, vom
schwalbenschwänzigen Falkeu oder irgend einem andern
Raubvogel. Aber das steht in Verbindung mit religiösen
Branchen; ebenso auch der Umstand, daß man auf dem Grab
ein Feuer anzündet.
Unsere Abbildung zeigt zwei Leichenpfähle. Jener
zur Linken ist der Adjidatig des berühmten Kriegers und
Häuptlings Waboschig, der 1793 am Obern See starb.
Er gehörte zur Sippe des Addik, das heißt des Reuu-
thiers. Dieses ist fein Totem, es steht auf dem Grab-
Pfahle, aber umgekehrt, zum Zeichen, daß der Mann todt
sei. Sein Personenname, „der Weiße Fischer", ist nicht mit
angebracht. Die sieben Querstriche zur Linken bedeuten,
daß er Anführer iu sieben Kriegszügen war. Die drei
kleinen Striche unter dem Totem zeigeu an, daß er drei
Wunden in Schlachten erhalten hatte. Unter diesen drei
kleinen Strichen ist der Kops eines Moosethiers (des ameri-
amerikanischen Indianer. Mi
will, muß vou dieseu Einrichtungen Kunde besitze«, weil
sehr viele Figuren sich ans dieselben beziehen.
Meda (sprich Midä) bedeutet die Heilkraft, welche
sich durch Anwendung eines thierischen oder mineralischen
Gegenstandes äußert, etwa durch kleine Metallstückchen,
Knochen,Federn und dergleichen, welche indem sogenannten
Medicinbentel, Guschkepetäguu, aufbewahrt werden.
Diese gelten als Gegenstände, welche einen geheimnißvollen
Einfluß vermitteln. Der Midawinini, welcher die
Heilung vornimmt, ist ein Zauberer uud verschieden von
dem M n s ch k eke w in in i, welcher als Arzt in gewöhnlichem
Sinne betrachtet werden kann, weil er nnr trockene oder
flüssige Arzneien anwendet, Blut abzapft, vermittelst eines
auf die Haut gesetzten Thierhornes schröpft und, gleich
einem Wundarzte, Geschwüre öffnet. Der Midawinini hat
seinen Namen von Mi tut, das hier ein geheimnißvolles
Princip bedeutet; er ist uicht Doktor, sondern Zauberer,
wendet nicht Arzneien an, sondern magische Mittel. Die
Grabpfähle
der Odschibwäs. der Dakota's,
kanischen Elennthiers); diese Figur will besagen, daß der
Krieger einst einen verzweifelten Kampf mit einem solchen
bestanden habe. Die Streitaxt deutet an, er sei im Kriege
von großem Einfluß gewesen; die neun Querstriche zur
Rechten belehren uns, daß er neun Feinde erschlagen hat.
Er war ein Odfchibwä-Indianer.
Der Leichenpfahl zur Rechten steht über dem Grab
eines Kriegers der Dakota, das heißt der Sioux, welche
mit den Odschibwäs seit Jahrhunderten in unversöhnlicher
Erbfehde liegen. Schoolcraft fand denselben bei Fort
Snelling am Mississippi, sieben Mites oberhalb der Ein-
mündung des St. Petersflnfses, im heutigen Staate Minne-
sota. Die Figuren besagen, daß der Krieger sieben Männer,
fünf Frauen und vier Kinder erschlagen habe.
Schon oben sagten wir, daß das Medawin, die
Kunst durch Zauber Krankheiten zu heilen, und das
Jesukawiu oder die Prophetengabe eine große Be-
deutuug im Lebeu der Indianer habe. Beide reichen in ein
hohes Alterthum hinaus, siud ungemein weit verbreitet
uud das Volk glaubt daran. Wer die Bilderschrift deuten
Leute, welche sich darauf verstehen, bilden Gesellschaften
oder Verbrüderungen, in welche Jeder aufgenommen werden
kann, der nachweis't, daß er seine Sache verstehe.
Die Kunst des Weissagens, Jesnkawin, wird
von einzelnen Leuten ausgeübt, welche die Begabung dazu
in sich verspüren. Ein solcher Mann, der Jossakeed, sagt
Dinge vorher, wendet sich auch au die Geister, wie der Me-
dawiuini, uud bedient sich zum Hervorlocken der geheimniß-
vollen Kräfte gleichfalls der Knochen, ausgestopfter Vögel
und dergleichen. Beide schlagen die Zaubertrommel, aber
Gesänge und Beschwörungen sind verschieden. Der Jossa-
keed wendet sich ausschließlich und allein an den Großen
Geist, und bei seinem Geschäft geht Alles sehr feierlich zu;
das Volk benimmt sich ehrfürchtig dabei.
Das Wabino hält man für eine Art Seitenstück zum
Medawin, es gilt für eine Art Korruption desselben, besteht
in einer Art von nächtlichen Festlichkeiten und ist neuern
Ursprungs. In die Wabinogesäuge spielt auch die Liebe
hinein, was beim Medawin und Jesnkawin nicht der Fall
ist. Die Wabinomysterien werden immer bei Nacht, nie bei
302
Bilderschrift der nordamerikanischen Indianer.
Tage gefeiert, und Gaukeleien mit Feuer spielen eine Nolle.
Mau hört manchmal Nachts den Ton der Trommel und
Gesänge aus weiter Ferne. Der Ausdruck Wabiuo kommt
her von Wabin, Morgenlicht; die Feierlichkeiten dauern
bis zu Tagesanbruch.
Die indianischen Jägernomaden leben in Fülle und
Freuden, nachdem die Winter- und Frühlingsjagden vorüber
sind. Dann feiern sie gleichsam einen Fasching. Der Mann
kommt aus den Wäldern mit seiner Beute zurück und vet>
tauscht Pelzwerk und Ahornzucker gegen Mannsakturwäaren
und allerlei andere Sachen, deren er sonst bedarf. Er hat nun
ruhige Tage, denn auf die Pelzjagd geht er nicht; die Felle
sind mit Eintritt der warmen Jahreszeit nichts Werth und
die Thiers werden geschont. Im Frühjahr, etwa gegen den
ersten Juni, sind die Wälder im Norden des 42. Breite-
grades verödet; die verschiedenen Jägerhorden ziehen nach
den verschiedenen Forts der Hudsousbay-Gesellschaft oder
nach den Städten an der Grenze, an Flüsse und Seen. Die
jungen Leute spielen Ball und führen Tänze aus, die älte-
reu beratschlagen über öffentliche Angelegenheiten; die
Medas, Wabuios und Jossakeeds zeigen ihre Künste, ein
Fest solgt dem andern, so lange die Mittel vorhalten. Es
liegt in der Natur des indianischen Jagdnomaden, daß er
das Vergangene vergißt, an die Zukunft nicht denkt; er-
freut sich nun des warmen, milden Wetters, hat nichts zu
thuu, vergeudet was er besitzt und wird ausgelassen. Weuu
aber der Herbst iu's Land gekommen ist, muß er wieder in
den Wald ziehen und jagen; bald kommt auch der Winter
niit Eis und Schnee.
Schon weiter oben deuteten wir au, daß die Männer,
welchen den Geheimbünden angehören, sich bestreben, Gewalt
über die geheimen Naturkräfte, über die Geister, zu gewinnen;
sie wollen die Gunst der guten Geister erwerben, damit diese
ihnen auf der Jagd und im Kriege nützen, oder ihnen bei
Heilung von Kranken behülflich seien; sie bringen Opfer,
singen oder sprechen Beschwörungsformeln, rufen auch die
übelwollenden Geister au, damit diese ihnen im gesell-
schaftlichen Verkehr und in den Leidenschaften freien Spiel-
räum lassen.
Wir wollen einen W ab in o-Gesang mittheilen, der
auf eine Holztafel geschnitten ist, und welchen wir in natür-
licher Größe wiedergeben. Er gewährt einen sehr klaren
Begriff von der Pictographie der Odfchibwäin -
diäner und zeigt, wie diese Bilderschrift dem Gedächtnisse
zu Hülse kommt. Ein in die Mysterien des Wabino einge-
weihter Mann singt ihn.
Figur 1 malt einen Einleitungsgesang. Das Bild
stellt eine, zu nächtlichem Tanz hergerichtete Hütte dar; sie
ist mit sieben Kreuzen bezeichnet, welche Leichen bedeuten,
und mit Zauberknochen und Federn darüber geschmückt. Der
Indianer nimmt an, daß diese Hütte sich bewegen und fort-
kriechen könne. Der Besitzer desselben ladet Gäste ein
und singt:
Wabino (Wabino)
Pi mo da (er kriecht)
Ni wi gi wam (mein Wigwam)
Wabino, pimoda, ni wigiwam.
Hi, auh, ha. Nhnh i wä, nhnh i wä,
Ha, ha! Huh, huh, hnh!
Das heißt: „MeineHütte kriecht (bewegt sich) durch die
Gewalt des Wabino".
Figur 2. Ein Indianer hält eine Schlange in der
Hand. Es wird angenommen, daß er sie vermittelst einer
Zauberkraft unter ^oer Erde gefangen habe, und nun zeigt
er sie im Triumph, um zu beweisen, wie geschickt er sei. Die
Worte lauten: *)
„Unter der Erde hervor habe ich sie genommen".
Zwischen 2 und 3 befindet sich auf der pictographischeu
Tafel eiu Strich, der eiue Pause bedeutet. Nach derselben
singen alle Anwesenden, die Musik hebt an und es wird
wieder getanzt.
Figur 3. Ein sitzender Indianer, das Haupt mit
Federn geschmückt, hält einen Trommelschlägel in der Hand
und singt:
„Ich bin auch ein Wabino; ich bin auch ein Wabino".
Figur 4. Ein Geist, der auf der Hälfte des Himmels
tanzt. Die Hörner bezeichnen entweder einen Geist oder
einen Wabino, der vom Geist erfüllt ist (wie bei Figur 2).
„Ich lasse den Wabino tanzen".
Figur 5. Ein mit Federn verzierter Zauberknochen.
Er ist eiu Symbol, welcher die Macht und Fähigkeit, wie
mit Federn durch die Luft zu fliegen, andeutet:
„Der Himmel, der Himmel, ich segle auf ihlN".
Figur 6. Eine große Schlange, genannt Kitschi
Kinabik, die immer, wie auch hier, mit Hörnern dargestellt
wird. Sie ist das Symbol des Lebens.
„Ich bin ein Wabinogeist. Dies ist mein Werk!"
Figur 7. Ein Jäger mit Bogen und Pfeil. Indem
er sich von Zauberkraft durchdruugeu glaubt, vermeint er
Thiere aus großer Entfernung sehen zu können und sie in
seinen Pfad zu bannen, damit er im Stande sei, sie zu
erlegeu.
„Ich arbeite mit zwei Leibern".
Figur 8. Eine schwarze Eule, die selten vorkommt.
„Die Eule, die Eule, die große schwarze Eule".
Figur 9. Ein Wolf, der auf dem Himmel steht.
Er sucht eiue Jagdbeute. Die Figur ist ein Sinnbild»
der Wachsamkeit.
„Laß mich danach jagen".
Figur 10. Flammen.
„Brennende Flammen, brennende Flammen".
Figur 11. Ein noch nicht ausgewachsenes Kind vor
der Geburt, das nur auf eiuer Seite einen Flügel hat.
„Mein kleines Kind, mein kleines Kind, du dauerst mich".
Figur 12. Ein von einem Dämon belebter Baum.
„Wenn ich stehe, drehe ich mich rundum".
Figur 13. Eiu Mädcheu, das die Bewerbungen
Vieler abgewiesen hat. Ein verschmähter Liebhaber ver-
schafft sich eine mystische Median und wirft ihr dieselbe auf
Brust und Füße. Darüber schläft sie ein, er nimmt sie ge-
saugen und entführt sie in die Wälder.
Der Chor stimmt einen Trinmphgesang an. Pause.
Fignr 14. Ein Wabinogeist in den Lüften, mit
Flügeln und Schwanz wie ein Vogel. Er ist mächtig auf
Erden und im Himmel.
„Wabino, laß uns stehen".
Figur 15. Ein Symbol des Mondes, das einen
großen Wabinogeist darstellt. Seine Macht als Geist wird
durch die Hörner angedeutet; die Strahlen hängen wie ein
Bart herab. Das Symbol ist dunkel. Der Sänger singt
bei dieser Figur:
„Ich habe es gemacht mit meinem Rücken".
Figur 16. Eiu Wabinoknochen, verziert wie bei 1
und 5.
„Ich habe gemacht, daß er um sein Leben kämpfen mußte".
*) Wir lassen den indianischen Text weg.
dB lmmn?, murRTn mrrm mumm MW CZ
304
Die ehemaligen Sitze der Slawen in Deutschland.
Figur 17. Ein Baum mit Menschenfüßen; ist ein
Symbol der Gewalt, welche der Wabino über das Pflanzen-
reich hat.
„Ich tanze, bis der Morgen kommt".
Figur 18. Ein Zauberknochen; er soll andeuten,
daß der Sänger übernatürliche Kräfte besitze.
„Tanzt in der Rnnde".
Figur 19. Ein Trommelschlägel; er bedeutet einen
Mann, welcher dem andern in der Wabinokuust hilft.
„Und auch ich, mein Sohn".
Figur 20. Ein Wabino mit einem Horn und einem
Trommelschläge! in der rechten Hand. Bedeutet ein neu
eingeweihtes Mitglied.
„Ich besorge, dieser da sei ein Wabino".
Figur 21. Ein Mann ohne Kopf, der oben auf der
Erde steht. Em Symbol wuuderthätiger Macht. Mit An-
spielung auf Figur l wird gesungen:
„Ich bewirke, daß dein Leib gehe".
Figur 22. Ein Baum, der bis zum Himmelsbogen
reicht.
„Ich male meinen Baum bis in den Himmel".
Figur 23. Eine Art menschlicher Gestalt mit Hör-
nern nnd einer Keule, die Figur eines Wabino.
„Ich wünsche einen Sohn".
Figur 24. Der schwalbenschwänzige Falke, welcher
vorzugsweise von Schlangen lebt; er ist ein Sinnbild der
Stärke im Kriege.
„Mein Wabino-Himmel!"
Diese Worte werden viermal wiederholt. Dann Pause.
Die Tänzer ruhen ein wenig aus; nachher beginnen sie
wieder.
Figur 25. Ein Obermeister in der Wabino-Ge-
nossenschaft mit einem umgekehrten Horn und nur einem
Arme. Dadurch soll angedeutet werden, wie groß trotzdem
seine Gewalt sei. Das Herz zeigt, daß er sich auch auf deu
Meda verstehe.
„Mein Leib ist ein großer Wabino".
Figur 26. Ein Vogel von böser Vorbedeutung.
„Meines Sohnes Knochen, der gehende Knochen".
Figur 27. Em menschlicher Körper mit Kopf und
Flügeln vom Vogel.
„Sie werden in die Höhe fliegen, mein Freund".
Figur 28. Ein Mifsissai, Puter; Symbol des
Rühmens, welches der Sänger für sich in Anspruch nimmt.
„Den Puter gebrauche ich".
Figur 29. Ein Wolf, hier Symbol des Aufspürens.
„Ich habe einen Wolf, eine Wolfshaut".
Figur 30. Fliegende Eidechse. Die angebliche Kraft
des Aufspürens wird iu Zweifel gezogen.
„Dort ist kein Geist, dort ist kein Geist: Wabino-Geist!"
Figur 31. Ein Wabino-Geist, der fliegen kann.
„Großer Wabino, großer Wabino, ich mache den Wabino."
Längere Pause iu Tauz und Gesang.
Figur 32. Eine Tabakspfeife, die bei den Wabino-
feierlichkeiten benutzt wird. Sie ist ein Sinnbild des
Friedens und der Sänger raucht sie, um sich guten Erfolg
zu sichern.
„Was siehst du, Meda, mein Geisterbruder?"
Figur 33 und 34. Symbol des Mondes mit
Strahlen:c.
„In der Nacht komme ich und füge Dir Schaden zu".
Figur 35. Ein Wabino. Offenbar ein Symbol
der Sonne. ' %
„Ich sitze im Osten".
Figur 36. Eine Art von Drache, ein Ungeheuer.
Bezeichnet große Gewalt über Leben und Tod.
„Mit meinem Körper, Bruder, werde dich ich niederschlagen."
Figur 37. Ein Wolf mit einem bezauberten Herzen;
damit soll die Zaubergewalt des Meda augedeutet werden.
„Nenne, laufe Wolf, dein Leib gehört mir".
Figur 38. Ein Zanberknochen, das Symbol der
Zauberkunst. —
Das ist ein Wabinogesang. Uns kommt das Ganze
widersinnig vor, ohne allen Zusammenhang, aber der In-
dianer, der Eingeweihte, legt kabbalistischen Sinn hinein.
Für uns geben die Figuren keinen Schlüssel zu den Worten,
aus welchen der Gesang besteht, höchstens könnten sie eine
gewisse Jdeenverbindnng hervorrufen. Die Worte müssen
also von den Indianern dem Gedächtniß eingeprägt worden
sein, ehe sie nach den Bildern gesprochen oder gesungen
werden können.
Uebrigens zeigt ein Blick auf die Bilder, wie ver-
schieden diese echten indianischen Pictographien von denen
sind, welche vor etwa einem Jahre der Abbe Domenech für
dergleichen ausgab, als er das „Schmierbuch eines deutschen
Hinterwäldlerjungen iu Canada" für indianische Bilder-
schrift ausgab und daran tiefsinnige Erörterungen knüpfte.
Er belud dadurch sich mit unsterblicher Lächerlichkeit, und nicht
minder that es der französische Minister Walewski, welcher
aus dem Kommentar zu jenem „Schmierbuche" die Folge-
ruug zog, daß Frankreich in Bezug auf die ernste Wissen-
schaft und den Scharfsinn seiner Gelehrten „an der Spitze
der Civilisation und des Menschengeschlechts" marschire.
Wir werden demnächst noch eine echte Pictographie
mittheilen, einen Liebesgesang der Odschibwäs.
Die ehemaligen Zitze der
Berührung zwischen Slawen und Germanen an der Weichsel. — Die Wende
Pole» in Schlesien und Pommern. — Die Polaben in Nordostdentschland.
manisirnng des Nordostens. — Zerstreute slawische Ansiedelungen
Dnrch die gesammte slawische Welt geht ein Drängen und
Treiben, welches in hohem Grade die Aufmerksamkeit Deutschlands
verdient. Die Slawen sind es müde geworden, ihre bisherige
mehr passive Rolle fortzuspielen, nnd trachten danach, Theil an
den großeu Kulturbestrebungen des europäischen Westens zu
nehmen. In Folge dessen widmet auch seit einiger Zeit die deutsche
Slawen in Deutschland.
:» in Oesterreich, Steiermark :c. — Die Ausbreitung der Tschechen. — Die
Lutizer, Bodrizer und Serben. — Ausrottung des Slawenthums und Ger-
im Innern Deutschlands, der Schweiz, Hollands und Englands.
Presse dieser Bewegung mehr Aufmerksamkeit und vermittelt uns
die Kenntuiß dieser bisher nicht genugsam beachteten Völker.*)
Sie haben im Globus schon zu wiederholten Malen die
Slawen, insbesondere die uns zunächst wohnenden, zum Gegen-
*) Vergleiche: Die westslawischen Völker, ihre Stellung in Europa und
ihre Bestrebungen. Leipzig, 1859.
Die ehemaligen Sitze der Slawen in Deutschland.
305
stand Ihrer Betrachtungen gemacht. Sie schilderten unsere pol-
nischen Nachbarn, brachten Mittheilungen über die unter uns
wohnenden Wenden, und ich werde, wenn Sie es gestatten, dem-
nächst iu Briefen aus Böhmen die mit uns in nächster Beziehung
stehenden Tschechen und ihr Verhältuiß zum Deutschthum dar-
stellen.
Bei den Berührungen, welche zwischen Deutschen und Slawen
von jeher an der germanischen Ostgrenze stattfanden, und bei den
wechselseitigen Überflutungen des einen Volkes durch das andere
in den Gegenden zwischen Elbe und Weichsel, ist es jedenfalls von
Interesse, Nachrichten über jene Slawen zn bringen, welche einst
den ursprünglich deutschen Nordosten Jahrhunderte lang
besiedelten, dann aber dieseu, in Folge deutscher Rnckströmung,
durch Schwert uud Pflug an die Germanen verloren. Jene seit
beinahe tausend Jahren thätigeRückströmnng der deutschen Stämme
ist noch heute in vollem Gange, uud kämpft jetzt gegen die West-
lichen Vorposten des Slawenthums in Posen uud Böhmen au.
Manche ausgezeichnete deutsche Forscher, wie Thuumauu,
Gebhardt, Schlözer, Lmtsch, Wersebe, Kannegießer, Giesebrecht,
Zenss n.A. haben sich mit dem iuuerhalb der deutschen Grenzen jetzt
verschwundenen Slawenthum beschäftigt; naturgemäß brachte aber
erst ein Slawe, der berühmte auf deutschen Hochschulen gebildete
Slowake Schasarik, einigermaßen Abschluß in diesen bis dahin
etwas dunkeln Theil der Geschichte. Seine Slawischen Alter-
thümer") siud ein Werk, das sich dm Arbeiten eines Jakob
Grimm an die Seite stellen kann; es verbreitet in überraschender
Weise Licht über den Osten Europas und dient uns auch im Fol-
geudeu vielfach zum Führer.
Bekannt ist, daß die slawischen Völker noch jetzt den größten
Theil Europas einnehmen und au Bevölkerungszahl keiner andern
Völkergruppe dieses Erdtheils nachstehen. Nun belehrt uns aber
die Geschichte, daß sie vor tausend Jahren einen noch viel aus-
gedehntem Raum in Europa inne hatten; denn fast die Hälfte
der jetzigen deutscheu Länder, namentlich Ostdeutschland, sodann
das ganze heutige Uugaru vor der Eroberung dnrch die Magyaren,
endlich viele heutzutage vou den Türken beherrschten Landstriche auf
der thrakischen Halbinsel waren von ihnen besetzt; ihre Haupt-
Wohnsitze hatten sie aber in den von den genannten Ländern nach
Osten zu liegenden ausgedehnten Ebenen jenseits der Weichsel und
in den Karpathen.
Die Scheide zwischen der germanischen und slawischen Welt ist
von Anfang der historischen Zeit zwischen Oder und Weichsel
zn suchen; hier waren Völker beiderlei Stammes angesessen und
mit einander im Verkehr. Dies gilt namentlich von dm einst
dort wohnenden Gothen, und auch die deu Sprachen beider Völker
wechselseitig entlehnten Wörter können dafür erneu Beweis liefern.
So z. B. heißt im Slawischen chljebBrot, im Gothischen klaibs,
woher denn wieder unser hochdeutsches Wort Laib in „Laib Brot"
stammt. Ebenso fand auch eine Wechselwirkung mit den skandi-
navischen Sprachen statt; als Beleg mag dienen, daß der Name
des Elennthieres sich am besten von dem slawischen Worte für
Hirsch, jelen, ableiten läßt.
Vier große slawische Völkerschaften kamen zunächst mit den
Deutschen iu Berührung und besetzten deutsche Lande, wurden
aber im Fortgange der Zeit zum großen Theil wieder aus denselben
vertrieben. Im Süden griffen weit in das heutige deutsche Gebiet
die Slowenen oder Winden ein; eine bedeutendere Ausdehnung
kam einst auch den Tschechen zu, und fast ganz Norddeutschland,
namentlich die heutigen preußischen Lande, warm von dm Polen
und Polaben, d. h. Anwohner der Elbe (Labe), besetzt. Die
letzteren siud bis auf die wenigen Wenden in der Lausitz gänzlich
verschwunden.
Nach dem Abznge der Langobarden nach Italien nahmen in
*) Slowanske starozitnosti sepsal P. I- Ssafarik. Praze,
1837. (Auch deutsch von Wuttke und Mosig v. Aehrenfeld. Leipzig,
1843.) Für uns kommen besonders Ks 43 und 44 in Betracht.
Globus für 1863. Nr. 34.
dm Jahren 592 bis 595 Slawen des korntanifchm Stammes
(Slowenen oder Winden) die Gegenden des heutigen Oesterreich,
Steiermark, Kärnthen und Krain ein und bildeten so,
wiewohl vielfach mit Awaren gemischt, eine slawische Grenzmark
gegen die deutschen fränkisch-bayerischen Lande. Aber die Franken
gewannen jene Landstriche zurück, die ackerbautreibenden Slawen
geriethen in Leibeigenschaft und verschwanden schon im zwölften
Jahrhundert gänzlich. Nach ihnen hat aber noch die windische
Mark den Namen, und der Name Steiermark schreibt sich von
dem slawischen Flnßnamen Schtyra her. Das ganze Puster-
thal (vom slawischen Bystrien) war einst von Slawen bewohnt.
In Salzburg und Bayern reichten die slawischen Niederlassungen
bis zur Salza und zum Inn; auch das Piuzschgan, das
Ziller- und Wupperthal waren slawisch, so daß das gesammte
dort von Slawen besetzte Land 150 Onadratmeilm betrug. Unter
der Gewalt der Deutschen verloren diese Slawen sehr bald ihre
Sprache, aber die Kennzeichen ihrer Herkunft erhielten sich noch
lange. Die Stadt Graz (Hrad ec) zeigt noch durch ihren Namen
ihren slawischen Ursprung, ebenso beweisen viele andere slawische
Ortsnamen die vormalige Anwesenheit der Slawen in jenen
Gegenden, besonders die mit Windisch zusammengesetzten, wie
Windischmatrei, Windischgräz n. A.
In der Mitte des fünften Jahrhunderts nahmen dieTfchechen
das einst von den deutschen Markomannen besetzte Böhmen ein;
aber sie sauden es nicht menschenleer und nahmen es mit ge-
waffneter Hand; „denn kein Volk, am wenigsten das deutsche,
sagt Schasarik, überläßt seine Sitze und Städte freiwillig den
Feinden." Die Sitze der Tschechen in Böhmen fallen in jener
Zeit mit dm natürlichen Grenzen dieses Landes znsammen, ja sie
reichten noch über dieselben hinaus; denn im Osten hielten sie das
Glazische besetzt und im Westen gehörte Wunsiedel, Waldsassen,
Tirschenreuth und Bernau zn ihrem Lande. Heutzutage nehmen
diese Slawen aber nur etwa die Hälfte des Raumes ein, welchen
sie einst inne gehabt; wir werden später eingehend erörtern, wie
es kam, daß die Deutschen ihren alten Boden wiedergewannen.
Als gegen Ende des vierten Jahrhunderts die deutschen Völker
der Wandalen, Sciren, Burm, Burgunder, Gepidm, Hernler,
Tnrcilinger und Langobarden von der Oder und Ostsee nach
Süden und Westen hin aufbrachen, rückten die kriegerischen
Weichselslawen in deren verlassene Sitze ein. Diese Weichsel-
slawen waren ein Theil des großen Lechen- oder P o l en st a mm e s
(der Name Pole kommt vom Worte pole — Feld, so daß Polen
Bewohner von Feldern, Ebenen sind). Sie nahmen von deutschen
Landschaften zunächst Schlesien uud Pommeru ein. In
Schlesien, welches nach den deutschen Silingern benannt ist, führen
heute noch manche Städte, Flüsse uud Berge aus dem Slawischen
abgeleitete Namen; so heißt Breslan eigentlich Wroclaw und
der Zobteuberg hat seine Benennung von den dort gefeierten
Soboky der alten Slawen. Ausgenommen eiueu Theil Ober-
schlesims und einige Striche an dm Grenzen, ist Schlesien schon
längst wieder ganz dem Dmtschthum gewonnen.
Pommern bedeutet Land der Meerauwohuer; es war
seiner ganzen Ausdehnung nach von Polen bewohnt, die aber fast
gleichzeitig mit dem Falle des polabifchm Slawenthnms (siehe
weiter unten) den Deutschen Platz machen mnßtm. Nur die
Kaschubeu iu Hinterpommeru sind von diesen alten Slawen
übergeblieben.
Die Deutschen bezeichneten von jeher nnd wo immer sie mit
dm Slawen zusammentrafen, diese als Wenden oder Winden,
ebenso wie wir die keltischen und romanischen Völker Wälsche
nennen. Jetzt ist in der Schrift der Ansdrnck „Slawe" gebräuch-
licher geworden, aber der gemeine Mann hält an dem Worte
„Wende" fest und bezeichnet speciell mit ihm die noch jetzt in der Lau-
sitz lebenden Sorben, sowie die in den Elblanden ausgerotteten Sla-
wen. Diese letzteren waren einst ein etliche Millionen Seelen zählen-
des Volk, das nun bis auf die kümmerlichen Reste in den Lausitzen
39
306
Die ehemaligen Sitze der
Slawen in Deutschland.
gänzlich verschwunden ist. Schafarik begreift sie unter dem allge-
meinen Namen Po laben, d. h. Elbanwohner, von dem slawischen
Worte Labe — Elbe. Das Land der Polaben hatte folgende
Grenzen: Im Norden die Ostsee, von der östlichen Odermündung
bis in die Gegend des heutigen Kiel in Holstein, mit Einschluß der
Inseln Wolin, Rügen und Femern (hierher scheinen auch die Süd-
bornholmer zu gehören. Globus II, 349); im Osten scheiden
Oder und Bober die Polaben von den polnischen, im Süden und
Südwesten das Riesengebirge und das Erzgebirge von den tschechi-
scheu Slawen; die westliche Grenze wird gebildet von einer Scheide-
liuie, die vom Fichtelgebirge an den Saalquellen beginnt, im Bette
dieses Flusses bis zur Einmündung desselben in die Elbe fortgeht,
sodann dem Laufe der Elbe bis dahin folgt, wo die Steckenitz mit
derselben zusammenfließt und von da an der Steckenitz, Trawe,
am Plöner- und Schwerinersee bis zur obern Eider in der Nähe
von Kiel dergestalt fortläuft, daß die Wohnsitze der Deutschen
und Slawen an beiden Seiten dieser Linie bisweilen ineinander-
greifen, so daß die Slawen namentlich an der Jeezel in Lüne--
burg, in dem Thüringer Gau Wiuidou, am Main und an der
Rednitz, au der obern Raab, Kaub und am Regen in größerer
Menge saßen, während sie zerstreut bis zum Rheiue hin wohnten.
Die Hauptvölker innerhalb dieses Länderraumes waren fol-
geude: DieLutizer oder Welaten, nördlich über den Serben,
zwischen der Oder, der Ostsee und der Elbe. Die Bodrizer oder
Obotriten, westlich von den vorigen in Mecklenburg und Hol-
stein, und die Sorben in der Lausitz und Sachsen östlich von der
Saale.
In diesen Sitzen uud in dieser Lage fiuden wir die verschie-
denen Stämme der pol abischeu Slawen zu Ansang des neunten
Jahrhunderts, als bei Gelegenheit der Vernichtungskriege Karl's
des Großen und seiner Nachfolger gegen dieselben die Geschichte
etwas mehr Licht zu verbreiten beginnt. Am natürlichsten uud
wahrscheinlichsten kann mau diese Slawen für eine Ausbreitung
der Weichselslaweu ansehen, die, aus denselben Gründen wie jene,
in verschiedenen Zeiträumen vom zweiten bis sechsten Jahrhundert
in unser Vaterland einrückten. Wir finden sie dort in völliger Un-
abhängigkeit unter der Herrschaft eingeborener Fürsten,-aber fort-
während in langwierigen uud blutigen Kämpfen mit den Deutschen
begriffen, welche dem slawischen Andränge Grenzeu setzten und die
verlorenen Lande zurückeroberten.
Die Lutizer zerfielen in mehrere kleine Stämme, deren einer
die Jusel Rügen, slawisch Rana, besetzt hielt. Die Hauptstadt
Orevkunda, jetzt Arkoua, auf der Halbinsel Witow, mitSwauta-
wit's Heiligthume, ward 1168 von den Dänen zerstört. Andere
Städte warenGora, jetzt Bergen, und Koreniza, jetzt Garz.
Auf Wolin wohnten die Woliner, deren Hauptstadt Wineta
oder Jnlin nach Adam's von Bremen Schilderung einst eine
prächtige, reiche Stadt war, die mit dem Norden Handel trieb.
Viele norddeutsche Sageu klingen noch von ihr, wie von Arkona
uud den Heiligthümern auf Rügeu, uach, doch ist dabei zu be-
merken, daß dies alles dem slawischen, nicht dem germanischeu
Alterthum augehört. An der Peene wohnten die Trschespen-
jauer, an der Tolense (Doleuica —Thalsluß) die Dolenzer. Ein
Hauptstamm der Lutizer waren die Ukraner, welche der heutigen
Uckermark den Namen gaben; unter ihren Städten blühte die
alte Burg Pozdiwlk, jetzt Pasewalk. An der Havel hatten die
Stodoraner oder Hawelaner, an der Spree die Spre-
waner, an der Dosse die Doschaner ihren Sitz; die Haupt-
stadt der letztern war Wysoka (zu deutsch Hoch st ad t), jetzt
Wittstock.
Westlich von den Lutizern, zwischen der Ostsee und der Elbe,
von der Warnow und Stepeuitz bis zur Trave, wohnte der zwar
weniger zahlreiche, jedoch ebenso berühmte und kriegerische Volks-
stamm der Bodrizer, von den Deutschen Obotriten genauut.
Die Wagrier, eine Abtheilung derselben waren im östlichen
Holstein angesessen; ihre Hauptorte wareu Bukowec (Lübeck),
Stargard (alte Burg, Oldenburg), Utin (Eutin) n. s. w. Die
Insel Femern hielten sie gleichfalls besetzt und zu Adam's von
Bremen Zeit war dort eine Hauptstation der slawischen Seeräuber.
Die Hauptstadt der Polabzer war Ratibor, jetzt Ratzeburg,
die der Gliujauer Potlustin (Puttlitz). Sie erstreckten sich
weit in die Priegnitz hinein bis Lenzen (Lentschin).
Von besonderm Interesse für uns Deutsche ist der bodrizische
Stamm der Drewaueu (d. i. Holzbewohner), weil er inmitten
der Germanen am längsten sich seine slawische Nationalität be-
wahrte. Die Drewaner hatten das Gebiet des Flüßchens Jeezel,
das von der linken Seite her in die Elbe mündet, inne. Diese
Gegend wird noch bis heute der „wendische Distrikt" genannt und
in ihm liegen die Städte Lüchow, Dannenberg, Hitzacker,
Wustrow (slawisch Ostrow, d. i. Insel) und Bergen (slawisch
Gora). Wir besitzen Noch aus dem Ende des siebenzehnten Jahrhuu-
derts in drewauischer Sprache niedergeschriebene Gebete, welche be-
weisen, daß diese mit der lansttzischen nahe verwandt war. Erst in
der Mitte des vorigen Jahrhunderts starben dort die letzten Leute,
welche noch wendisch redeten. Aber noch heutzutage unterscheiden
sich diese vormaligen Wenden in Hinsicht aus Charakter, Tracht,
Lebensweise, Dialekt, Sitten und Gebräuche so scharf vou ihren
germanischeu Nachbarn, daß ein aufmerksamer Beobachter sehr
bald den Slawenabkömmling unter Hunderten von rein nieder-
sächsischen Baueru herausfinden wird. Während bei den Deutschen
vor der gleichmachenden Kultur allmälig eiue alte Sitte uach der
auderu verschwindet, halten diese Wenden mit großer Pietät an
den Gebräuchen ihrer Vorfahren fest. In nenester Zeit hat Eduard
Ziehen in anmuthigeu Erzähluugeu*) diese germauisirteuSlawen
geschildert, aus deueu wir hier Ewiges mittheilen.
Als Karl der Große die Sachsen besiegt hatte, siedelte er
viele derselben nach Franken (z. B. Sachsenhausen) uud Flandern
über und rief in die von ihnen verlassenen Gaue an der Ilmenau
und in der Altmark im Jahre 804 eben jene Drewaner. Ein
Dorf derselben erkennt man auf den ersten Blick an seiner Bauart.
Diese ist eine doppelte. Die Häuser der von Wenden gegründeten
Dörfer liegen hufeisenförmig um einen freien Platz herum, so daß
der Ort gewöhnlich nur eiue einzige Einfahrt hat. Die Gebäude
kehren sämmtlich die Giebelseite nach diesem freien Platz und die
Schennen, Stallungen und Hofräuiue befinden sich hinter denselben.
Bei deu weudischeu Dörfern aber, die deutsche Namen führen,
also wohl ursprünglich vou Deutscheu angelegt wurden, liegen die
Nebengebäude nach der Straße hinzu uud die Häuser zu beiden
leiten derselben. Die wendischen Bauernhäuser unter-
scheiden sich durch ihre eigentümliche Banart und Einrichtung in
mehrfacher Beziehung vou den deutschen Häusern. Während bei
diesen Ständer und Riegel nur dazu da sind, um dem Mauerwerk
Festigkeit zu verleihen, sieht man auf der uach dem freien Platze
hin gekehrten Giebelseite der wendischen Wohnhänser eine wahre
Mosaikarbeit von rothen Backsteinen und schmalem Ständer- und
Riegelholz, welches eiue Unzahl kleiner Fächer bildet, die das
sauber mit Kalk ausgestrichene Mauerwerk ausfüllt.**) Die Dächer
sind mit Stroh gedeckt. An der Giebelseite befindet das sich quer-
getheilte Eingangsthor (vergl. Globus III, 117); über diesem
siud buutgemalte und mit Bibelsprüchen geschmückte Balken. Auf
dem Giebel aber prangt ein hoher zinnerner Aufsatz, eine Art von
Blumenstrauß mit einer Windfahne.**") Das Innere der Häuser
*) Wendische Weiden. Erzählungen ans dem wendischen Volksleben.
Leipzig 1854. Vergleiche besonders die Vorrede.
**) Gerade wie im „Alten Land", einer Marsch bei Hamburg, die aber
von Flamländern besiedelt ward. Allmer's Marschenbuch S, 292.
*'*) Dieser Zinnaufsatz kann als höchst charakteristisch für die wendischen
Häuser gelten. An ihrer Stelle haben die Niedersachsen die alten Pferde-
köpfe aus Holz geschnitzt. Das Pferd war den alten Sachsen heilig; eine
Erinnerung daran bewahrt jetzt noch das springende Roß im brannschweigi-
schen und hannoverschen Wappen. Ueber die Pferdeköpfe au den Bauer-
häusern vergl. Peez in Westermaun's Jllustr. Monatsschrift 1858 und
Allmers, Marschenbuch. A—ee.
Die ehemaligen Sitze der Slawen in Deutschland. 307
weicht nicht sehr von den niedersächsischen ab; wie bei diesem
sind Diele, Stallungen und Kammern unter einem Dache ver-
einigt.
Die Tracht der jungen Mädchen bietet dagegen einiges Be-
sondere. Die Röcke und Mieder sind von Heller Farbe; die eben-
falls hellfarbigen Schürzen haben eine beträchtliche Breite, so daß
sie fast den ganzen Rock umschließen. Das feine Halstuch verstehen
die Wendinnen in eine Unzahl bauschiger Falten „znsammenzn-
spendeln", wenn man es auseinander gefaltet erblickt. Die Mütze
ist mit grellrotheu seidenen Bändern geschmückt und mit allerlei
Goldstickerei verziert. Große mächtige silberne oder goldene Ohr-
ringe hängen bis auf die Halökranse herab.
Von der wendischen Sprache haben sich nur uoch die Orts-
uameu und einzelne Wörter im Muude des Volks erhalten,
deren eigentliche Bedeutung das letztere nicht einmal mehr keimt.
Die heutigen Wenden reden niedersächsisch (plattdeutsch), wie es
im Osten und Norden der Elbe gesprochen wird; doch ist bezeich-
nend für sie, daß sie das h im Begiun eines Wortes nicht aus-
sprechen können und statt Herz, Hahn, Hund immer 'erz, 'ahn,
'und sagen. —
Den dritten Hauptstamm der polabischeu Slawen bildeten
die S 0 rb en. Sie saßen vom Bober über die Elbe bis zur Saale
uud zum Fichtelgebirge. Von den Unterstämmen derselben wollen
wir die Lnsitschaner in der Niederlausitz erwähnen. Ihr Gau
hatte ohne Zweifel von dem Worte lnh, Aue, Niederung, seinen
Namen und klingt noch in dem Worte Lausitz fort. Ju der Ober-
lausitz wohuteu die Miltschauer. Ueber diesen beiden Slawen-
stammen hat ein besonders günstiges Geschick gewaltet, denn sie
sind allein von alleu Polabeu übrig geblieben uud die heutigen
Wenden in der Lausitz sind ihre Nachkommen (Globus II, 245).
Die anderen zum serbischeu Stamme gehörigen Völkerschaften sind
alle untergegangen, wie z. B. die Glo matsch er, deren Städte
Glomaci (Lommatsch), Cirin (Zehren), Doblin
(Döbeln) und Mogelini (Mügeln) waren; ferner die
Schkndizi, welche bei Schkeuditz wohnten.
Einen so bedeutenden Raum nahmen einst die Slawen in
uuserm Deutschland ein. Heute sind kaum schwache Spuren vou
ihnen übrig geblieben; da, wo einst die Laute einer dem Tschechischen
und Polnischen verwandten Slawenmundart erklangen, wohnen
heute rein deutsche Leute; in der einst slawischen Priegnitz ward
ein deutscher Kernmann, Friedrich Ludwig Jahn, und auf Rügen,
wo die Opferaltäre slawischer Götzen rauchten, der Patriot Ernst
Moritz Arndt geboren. Wie kam es, daß dort slawische Art von
Grund aus verschwand? Die Geschichte vielleicht des längsten
und blutigsten Krieges, der je geführt ward, giebt uns darüber
Aufschluß. Wir wollen kurz einige Daten aus derselben er-
wähnen. Es handelte sich in diesem vielhundertjährigen Kampfe
um die Ausrottung eines Volks durch das andere. Als Deck-
mautel aber mußte das Cbristeuthmu dienen.
Die germanischen Völker hatten sich allmälig von der für sie
so folgeschweren Zeit der Völkerwanderung erholt. Karl der Große
stand an ihrer Spitze; ihm waren im Norden schon die Sachsen
unterlegen und jetzt begauu auch für die Polabeu eine stürmische
Periode. Der Kaiser bediente sich jeglichen Mittels, um die
Slawen in Güte oder Gewalt zu unterwerfen und in den ehemals
deutschen Ländern das Christenthum zu verbreiten, wobei ihm die
inneren Zwiste der Slawen zu Hilfe kamen. Das Theilen uud
Herrscheu ward fortan ein Grundsatz der deutschen Politik gegen-
über den Slawen, und während der ganzen Zeit dieser erbitterten
Kämpfe seheu wir das eine oder andere polabischeVolk ans Seite der
Deutschen gegen seine Stammesgenossen in Waffen. Doch konnte
Karl der Große die Polaben nicht gänzlich unterwerfen; er errichtete
Bürgen und Grenzfesten in ihrem Lande, wurde auch als Ober-
Herr vou ihnen anerkannt nnd erhielt Tribut. Aber zu Hause
lebten die Slawen nach ihren einheimischen Gesetzen unter einge- j
borenen Fürsten uud warteten nur auf die nächste Gelegenheit, das
fremde Joch abzuschütteln. Auch mit der Einführung des Christen-
thums war Karl nicht so glücklich gewesen, wie bei den Sachsen.
Die Polaben blieben ihren nationalen Göttern treu.
Mit der Herrschaft des sächsischen Hauses in Deutschland wich
das Glück von den Slawen. Heinrich I. eröffnete in seiner that-
kräftigen Weise den Krieg gegen sie und unterwarf viele Stämme;
sein Sohn Otto I. trat ganz in seine Fußtapfen. Unter Beiden
machte das Christenthum schou bedeutende Fortschritte. Zu Oldeu-
bürg in Wagrien, in Havelberg (946), in Brandenburg (949),
dann in Magdeburg, Merseburg, Zeitz und Meißen (968) wurden
Bisthümer zur Bekehrung der Slawen angelegt und überall feste
Burgen nnd Marken errichtet, in die man deutsche Ansiedler
zog. Vor Allem aber wüthete Markgraf Gero, diese „Geißel der
Slawen", mit dem Schwert, und selbst mit uuedelu, Verrätherischen
Mitteln gegen die Polaben.
Unter Otto's Nachfolgern dauerten die Kriege mit Wechsel-
seitigem Erfolge fort. Oft standen die kanm unterworfenen Slawen
aus und verjagten und ermordeten die Deutschen und Christen.
Aber ihre Kraft war gebrochen. Auch die Dänen kämpften gegen
sie, uud als endlich der Dänenkönig Waldemar die Insel Rügen,
den letzten Znsluchtsort der heidnischen Slawen, in der Mitte des
zwölften Jahrhunderts eroberte nnd den Tempel zu Arkoua bis
auf den Grund zerstörte, stand der Verdeutschung der Slawen
zwischen Elbe, Oder und Ostsee nichts mehr entgegen; sie ward
mit ungewöhnlicher Raschheit betrieben uud in kurzer Zeit zu
Stande gebracht. Unaufhörlich errichtete man in den polabifchen
Ländern deutsche Burgen und besetzte ganze Gaue mit
deutschem Volke. Im Meißner Lande wirkte besonders Konrad
von Wettin gegen die Slawen; er hat sich dadurch einen Namen
gemacht, daß er in jenen Läuderstrichen durch das Schwert, wie
durch böse Künste und List die Slawen zum größten Theil aus-
rottete (1124 bis 1137). Die Lausitzer Sorben hatten ein besseres
Schicksal ; da sie zeitweilig zur böhmischen Krone gehörten, konnten
sie sich ihre Nationalität retten.
So ist der ursprünglich deutsche, dann slawische
Nordosten unseres Vaterlandes wieder deutsch geworden.
Der Grundtypus der Bevölkerung bleibt, ganz abgesehen von der
Sprache, der deutsche, wenn auch eine slawische Beimischung
sich keineswegs verkennen läßt; das beweisen allein schon die vielen
slawischen Eigennamen, wohin in erster Linie die sich ans ow,
in und itz endigenden zu rechnen sind.
Es bleibt uns noch übrig, einige Worte über die zerstreut im
Innern Deutschlands angesesseneu Slawen zu sagen. Die vor-
herrschende Neigung der Slawen zum Ackerbau bereitete ihnen oft
selbst bei ihren Gegnern eine freundliche Aufnahme. Mau zog
sie heran, um durch die Kriege menschenleer gewordene oder wüste
Gegenden urbar zu machen. So berief zu Anfang des achten
Jahrhunderts der „heilige" Bonifacins zahlreiches flavifches Volk
in die Gegend von Fulda, an den obern Main, in das Würz-
burgische, Bambergische, Baireuthische, in Gegenden, die nach
Ausrottung derWälder in fruchtbares Ackerland verwandelt wurden
und noch lange „windische" hießen. Der „heilige" Mann nennt diese
heidnischen Slawen ein foedissimum et deterrimum genus I10-
minum, verschweigt aber anch ihre Tugenden nicht uud lobt be-
sonders die Treue der slawischen Fraueu. Viele dieser Ansiedelungen
bewahrten bis in's vierzehnte Jahrhuudert ihre Nationalität. —
Auch an der obern Unstrut und au der Wipper, in der Nähe des
Städtchens Ehrich, war ein eigener slawischer Gau, Winidon
genannt. An der Rednitz in Franken hatten die Poraduitschaner
ihre Niederlassungen, die in den Urkunden des Mittelalters nicht
selten terra slavorum genannt werden. Ihre Germanisirung gelang
erst im zwölften Jahrhundert, doch soll sich dort noch die Spur
des Slaventhums in Gestalt und Sitte, in Sprache und Tracht
erkennen lassen.
39--
308
Die französischen Eroberungen in Cochinchina.
Zu den am weitesten westlich gelegenen Kolonien der Slawen
gehören die im Kanton Wallis iin Thale Anniviers, sechs
Stunden von Sitten gelegenen. Das Volk nennt diese Slawen,
welche noch heute eiueu verdorbenen slawischen Dialekt reden, (?)
Hunnen. Die Namen dortiger Städte und Feldmarken lassen sich
nur ans slawische zurückführen; so bedeutet Granges —Gradec,
Crimeuza — Kremenica, Luc — Lnka u. f. w.
Erwiesen ist auch, daß in der Mitte des sechsten Jahrhunderts
in der Gegend von Utrecht in Holland eine slawische Ansiedelung
bestand; vielleicht ist sie vou solchen Slawen gegründet worden,
die an der Ostsee wohnten und zu Schiffe nach den Niederlanden
kamen. Getrennt von ihren Stamingenoffen und überall von
feindlichen Völkern umgeben, behaupteten sie aber ihre Nationalität
' nicht lauge. Von ihnen sind nur einige slawische Ortsnamen und
einige Worte im Altholländischen übrig geblieben. Von dieser
slawischen Kolonie leitet denn auch Schasarik eiue Niederlassung
in England ab, die in Wiltshire (Weletenheim) ihren Sitz nahm
und durch die der Name,der Stadt Wiltou, sowie mehrere sla-
wische Wörter und Ausdrücke in der englischen Sprache erklärt
werden/) Richard A.
*) Also im angelsächsischen Königreiche W essex. Auch in England hat
man neuerdings wieder ans die Sache hingewiesen, 3. B. D. Mackintosh
in seinen Kesults of Ethnological Observations made during the last ten
years in England and Wales. Er hebt hervor, daß es in Portsmouth (also
in Hampshire, wo auch Winchester liegt) und der Umgegend sehr schwer sei,
die Bewohner nach ihrer Abstammung zu klafsificiren. Zwischen Southamptou
und Salisbnry sei der sächsische Typus vorherrschend, und man trinke
dort noch allgemein das altsächsische Getränk, den Meth. Dann fährt er
fort: „Im mittler» und nördlichen Hampshire hat das Volk
im Allgemeinen eine dunklere Hantfarbe, welche sich sehr von
jener unterscheiden, die man in anderen Theilen Englands
antrifft. Man hat mir gegenüber die Ansicht ausgesprochen, diese Leute
seien Wenden oder ein belgischer Stamm von wendischer
Abkunft. But wheter this opinion has arisen from the old name of
Winchester, Venta Belgarum, or has had a better foundation, I shall not
pretend to say.
Mackiutosh's in vieler Beziehung interessanter Aufsatz steht in den Trans-
actions of the Ethnological society of London. Vol. I. New Series, 1861.
S. 211 bis 221, die Stelle S. 215. A-ee.
Die französischen Eroberungen in Cochinchina.
Klimatische Verhältnisse. — Einheimische Krankheiten. — Schilderung des annamitischen Volkes. — Die französische Provinz. —
Die Hauptstadt Saigong. —
Wir haben mehrfach über diese „Annexion" gesprochen und
brauchen hier die Bedeutung derselben nicht zu erörtern. Man hat
das Land am untern Me kong dem Kaiser von Annam abge-
zwungen; die jüngsten Nachrichten aus dem östlichen Asien melden
indessen, daß die Auuamiteu zwar besiegt, aber noch keineswegs
zur Ruhe gebracht worden sind. Doch ist es keine Frage, daß sie
am Ende der Ueberlegenheit der europäischen Waffen sich fügen
werden.
Die Eroberung hat aber auch ihre Schattenseiten, und diese
wollen wir nach dem Berichte Bineteau's schildern; weil dieser
einen Einblick in die Verhältnisse gewährt. Er ist datirt aus
Saigong, derHanptstadt der neuen französischen „Kolonie", vom
11. September 1862.
Das französische Cochinchina ist eine von zahllosen Strom-
armen und Flußabzweignngen durchschnittene Ebene, mit tief-
liegendem sumpfigem Boden, in welchem man überall eine Elle
bis drei Fuß tief unter der Erdoberfläche Wasser findet; das Klima
ist außerordentlich heiß, aber dabei herrscht das ganze Jahr hin-
durch bei Tag und Nacht eine ungemein starke Feuchtigkeit. Diese
ist Ursache der großen Fruchtbarkeit, aber auch die Quelle vieler
Kraukheiteu. Unter diesen ist den Europäern ganz besonders
nachtheilig die Dysenterie, und die Franzosen haben daran sehr
viele Soldaten verloren. Man darf sich den Sonnenstrahlen nicht
aussetzen, weil der Sonnenstich meist verhängnißvoll wird; die
Ch olera ist einheimisch, richtet aber keinebedentendenBerheernngen
au. Häusig sind perniciöse und intermittirende Fieber, Krämpfe
und trockene Koliken, alles Folgen der schädlichen Snmpfausdün-
stnngen; Blutmangel uud Schwindsucht kommen häufig vor;
Wunden heilen nur schwer; einfache Mückenstiche haben zuweilen
böse Folgen. Ein Europäer, der sich einigermaßen gegen die Ein-
Wirkungen dieses höchst ungesunden Klimas schützen will, muß
außerordentlich mäßig leben und sehr vorsichtig sein. Ist aber die
Krankheit einmal da, dann verläuft sie ungemein rasch. Man
darf nur wenig essen und trinken; selbst der häufige Genuß vou
Kaffee ist nicht ohne Gefahr; geistige Getränke sind geradezu Gift;
am zuträglichsten ist ein schwacher Theeansgnß, welcher auch das
gewöhnliche Geträuk der Landeseingeborenen bildet.
Alles Flußwasser ist unrein durch zersetzte Pflanzen, und auch
das Brunnenwasser darf man nicht rein trinken. Der Himmel ist
zumeist bewölkt, die Hitze drückend, die Atmosphäre erschlaffend,
namentlich in den Mittagsstunden. Fast alle Tage kommt ein
Gewitter, und in der Zeit, da der Monsuu wechselt, sind die
Stürme und Orkane fürchterlich.
Die trockene Jahreszeit beginnt kurz nach dem Nordost-
Monsun und währt vom December bis März; die Regenzeit folgt
auf den Südwest-Monfnn nnd dauert vom Mai bis Oktober.
Die Nächte sind durchgängig heiter und ruhig.
Die Annamiten, kleine, hagere Menschen, haben eine ziem-
lich stark gebräunte Haut, straffes, plattes Haar, spärlichen Bart-
wuchs, dünne Stimme, ein stupides Aussehen; sie sind verkom-
mene Geschöpfe, beide Geschlechter abschreckend häßlich und über
alle Beschreibung unsauber; sie verbreiten einen ekelhaften Geruch
von Kokosöl und kauen unablässig Betel. Es jammert Einen,
diese unglücklichen, oft von unheilbaren Krankheiten heimgesuchten
Geschöpfe zu sehen; man darf ihnen schon wegen ihres vielen Unge-
ziesers nicht nahe kommen. Ihre Sitten sind äußerst schlecht, die
Fraueueben so schamlos als häßlich; die Tracht ähnelt einiger-
maßen der bekannten chinesischen, aber den Kopfputz haben die
Männer etwa so wie die Malayen. Die kleinen Kinder laufen bis
zum fünften Jahr unbekleidet umher; man scheert ihnen das
Haupthaar ab und läßt nur eiueu kleinen Büschel oben auf dem
Kopfe stehen.
Diese Meuscheu wohueu in armseligen Hütteu, die zumeist
auf Bambuspfähleu über dem Wasser stehen; Viele haben keine
anderen Wohnungen als Sampn's, lange Boote, die ans einem
ausgehöhlten Baumstämme besteheu. Ueber dieses Boot spannen
sie eine Matte, gehen selten an's Land und treiben das ganze Jahr
hindurch Fischfang.
Der Annamit ist schwach und dabei feig und grausam; er
stiehlt geru und ist dem Seeranb ergeben. Vor den Europäern
fürchtet er sich sehr, nnd ein paar Soldaten können die Bewohner
einer ganzen Dorfschaft in die Flucht jagen. In Kriegszeiten
bauen sie nicht ohne einiges Geschick Festungswerke, hinter denen
sie sich vertheidigen, so gut es eben gehen will; im offenen Felde
Ein Sturmgewitter in Queensland.
309
können sie aber gar nichts ausrichten. Ihre Bewaffnung, Lanzen
und Luntenflinten, ist schlecht; mit Feuerwaffen wissen sie nicht um-
zugehen. Gefährlich siud sie nur, weun sie in überlegener Menge
in einem Hinterhalte liegen; Gefangene werden mit empörender
Grausamkeit gequält.
Zu Ehren und Würden gelangen nur Männer, welche wissen-
schaftliche Prüfungen bestanden haben. Die Sprache der
Annamiten ist wesentlich von jener der Chinesen verschieden; beide
Völker verstehen einander nicht, bedienen sich aber derselben
Schriftzeichen. In religiöser Beziehung herrscht große Gleichgül-
kigkeit; die Mehrzahl bekennt sich zum Buddhismus; die katho-
lischeu Missionäre haben Proselyten gemacht.
Alle tropischen Gewächse gedeihen vortrefflich; europäische
Gemüse und Obstarten kommen nicht fort. Im Innern trifft man
Elephanten und sehr viele Tiger, im Sumpflande mächtige wilde
Büffel, in den höheren Ebenen von Kambodscha auch eiue kleinere
Art Riudvieh mit einem Höcker; Ziegen und Schafe sind selten.
Pferdezucht ist unbekannt; die Franzosen beziehen ihren Bedarf
an Rossen aus Manila. Krokodile findet man in allen Gewässern,
Schlangen sind häufig; dazu kommen Skorpione, Kakerlaken,
große Spinnen-Eidechsen; in den Wohnungen bilden die Natten
eine arge Plage und die Stechmücken werden nicht minder lästig;
ebenso die weißen, rothen und schwarzen Ameisen, welche Alles,
was nicht von Metall ist, auffressen, und vor denen man kaum
etwas sichern kann.
Die Annamiten verstehen sich auf die Bearbeitung der edlen
Metalle; sie verfertigen daraus Ringe, Hals - und Armbänder für
die Frauen und Barren, welche als Geld umlaufen. Diese sind
höchst selten von Gold, meist von Silber, nnd haben einen ver-
änderlichen Werth. Im gewöhnlichen Berkehr hat man die be-
kannnten Sapeken, runde Zinkstücke mit einem viereckigen Loch
in der Mitte. Man zieht sie ans, so daß sie einen Strang bilden,
und 600 Stück gelten einen Franc nnd acht Centimes. In deu
französischen Besitzungen hat der mexikanische Dollar Zwangscours
uud gilt 5 Francs nnd 37 Centimes.
Frankreich hat gegenwärtig inne die Provinzen Ghia diuh
(Saigong), Bien hoa („Laudesgreuze"), Myt ho („Beglücktes
Land") uud die Inselgruppe von Pulo Coudor, wo eine Nieder-
lassung für Sträflinge angelegt worden ist. Den Hauptplatz bildet
die Ansiedelung bei Saigong; diese anuamitische Stadt
selbst wurde während des Krieges durch die Spanier und Fran-
zosen zerstört, und von der vormaligen Hauptstadt Nieder-
Cochiuchiuas ist weiter nichts übrig geblieben, als eine in Trümmern
liegende Citadelle und da und dort ein verfallenes Haus.
Saigoug liegt 60 Kilometer vom Meere, am rechten Ufer
eines großen Stromes, der in den Gebirgen von Laos entspringt
und mit zwei Hauptmündungen, unweit vom Kap St. Jacques,
iu's chinesische Meer fällt. Die Schifffahrt nach Saigong hinauf
ist wegeu der vielen Saudbänke schwierig; die Franzosen haben im
August 1862 einen Leuchtthurm errichtet. Der Fluß vou Saigoug
steht übrigens vermittelst zweier großer Abzweigungen mit einer
der Mündnugen des Stromes von Kambodscha, nämlich dem
Mekong, in Verbindung; er ist breit, tief und die größten Schiffe
können bis Saigong gelangen. Die neue Stadt, welche die
Frauzofeu baueu, nimmt einen großen Flächenraum ein. Sie
wird begreuzt im Norden vom Arroyo (d. h. Stromkanal) de
l'Avalanche, im Süden vom chinesischen Arroyo, im Osten vom
Saigongflnsse und im Westen von der Gräberebene, einem großen
annamatischen Leichenacker. Am Userstadeu liegen zumeist Ma-
gaziue, dort haben auch die chinesischen Kaufleute ihre Lädeu.
Westlich vou der Stadt liegt ein vorgeschobener Posten, der eiust
eiue Pagode war, und anderthalb Stunden von Saigong am
chinesischen Arroyo die nur vonChiuesen bewohnte Stadt Scholen,
mit 15,000 Seelen; sie treiben einen ausgedehnten Handel, vor-
züglich mit Reis. Unweit derselben liegt der Posten Caymai nnd
das Spital von Scho knan.
Die Regierung ist militärisch. Die Provinz Ghia dinh
zerfällt in drei Präfekturen, Phn's, und von diesen jede wieder
in drei Unterpräsektureu, Huyen's. Jede hat einen Inspektor der
„ eingeborenen Angelegenheiten". Die eingeborenen Beamten
müssen die dreifarbige Schärpe tragen.
Der Frieden zwischen den Franzosen und dem Könige Tü
Düc wurde am 5. Juni 1862 abgeschlossen. Ihm zufolge wurden
die vier oben genannten Provinzen abgetreten, und der König hat
außerdem eiue beträchtliche Kriegsentschädigung zu zahlen; bis
das Letztere geschehen, behalten die Franzosen die Provinz Biuh
lüoug im Besitz.
Einwanderung von Chinesen darf nur allein in der Stadt
Saigong stattfinden; die Franzosen bestimmen, wo nnd in welchen
Dörfern dieselben sich niederlassen sollen. Außerhalb des
für jede Citadelle gezogenen Rayons dürfen Europäer
keine Gebäude aufführen, nicht einmal provisorisch.
Der Besitz von Cochinchina kann werthvoll werden, wird
aber manche Opfer, namentlich an Menschenleben, erfordern.
Ein Sturmgewitter in Oueensland.
Die Sommerhitze im nordöstlichen Australien, insbesondere
in den Gegenden des Wendekreises, ist ungemein drückend, wird
aber dann und wann durch gewaltige Krisen unterbrochen. Es ist
dann, als ob die Natur selber sich gegeu eine so fürchterliche Hitze
auflehne und alle ihre latenten Kräfte zusammenraffe, um vermittelst
derselben eine Ausgleichung herbeizuführen.
Während der Sommerzeit stellt durchgängig an jedem Tag
ein Gewitter sich ein, manchmal hat man deren aber auch zwei oder
drei. Weuu aber, was zuweilen vorkommt, die Hitze beträchtlich die
mittlere Temperatur der wärmsten Tage übersteigt, dann bleibt ein
Orkan (Hurrikan) nicht aus. Glücklicherweise sind diese gewal-
tigen Naturkrisen nicht allzuhänsig, aber ausgemacht'bleibt, daß
diese Sturmgewitter im nordöstlichen Australien zn den heftigsten
auf Erden gehören.
Der Schweizer Marcet, welchen unsere Leser aus seineu
Schilderungen der Kolonie Queensland keimen, hat in sehr leb-
haster Weife einen Orkan geschildert, welchen er selbst erlebte. Ich
war, sagt er, an einem Novembertage bei Sonnenaufgang fortge-
ritten, um den „Busch" zu besuchen. Schon um sieben Uhr war
die Hitze ungemein stark, der Himmel unbewölkt und die Sonne
-schoß ihre feurigen Strahlen auf die Erde herab. Um elf Uhr war
die Atmosphäre beinahe erstickend; ich mußte mehrmals vom
Pferde steigen, um eiu wenig im Schatten auszuruhen, aber
leider nur in einem Schatten wie Australien ihn bieten kann, unter
einem Gumbanme. Meinen Pferden erging es wie mir selber; sie
keuchten und waren ganz hin. Mehrmals wandelte mich ein
Schwindel an uud mein Bewußtsein schwand auf Augenblicke;
mein Kopf war schwer und eingenommen und die Grelle des Lichtes
blendete mein Auge. Es war mir, als sei die ganze Luft verderbt
worden nnd als habe sie ihre Fähigkeit eingebüßt, die Lunge auf-
zufchwellen. Keiu Vogel ließ einen Laut vernehmen; es war, als
ob die ganze Natur niedergedrückt sei uud keuche. Nur ein ein-
310
Gebräuche bei Hochzeiten, Kindtaufen und Begräbnissen in Schweden.
ziges lebendiges Wesen, das ich sah, schien sich wohl zu befinden,
und das war eiue etwa zwei Ellen lange, braune Schlange. Sie
lag gemächlich in der Sonne an einen: Wasserloch und schien sich
in der Glut ganz vortrefflich zn befinden. Daß ich ihr sehr gern
weit auswich, versteht sich von selbst, denn ihr Biß ist giftig und
wäre an einen solchen Tag unbedingt tödtlich gewesen.
Ich ritt langsam weiter. Es war inzwischen Mittag geworden,
aber die Atmosphäre war nicht mehr Lust, sondern geradezu Feuer.
Ich konnte kaum noch athmen und spürte wohl, daß ich eine solche
Temperatur uicht lauge mehr aushalteu könne. Aber was sollte
geschehend Ich befand mich mindestens süus Wegstunden von jeder
Wohnung entfernt.
Da stieg etwas Dunkles am Himmel auf, eiue kleine schwarze
Wolke, welche anfangs nicht von der Stelle rücken wollte. Eine
Zeitlang blieb sie ganz allein, dann aber bildeten sich in anderen
Gegenden des Horizonts und gleich nachher auf allen Seiten ahn-
liche Wolken, die anfingen sich zu bewegen, bald rasch und immer
rascher liefen und von den Luftströmungen nach einem gemein-
schaftlichen Mittelpunkte getrieben wnrden. Nach wenigen Minu-
ten hatten sich diese düsteren Wolken zu einer rabenschwarzen Masse
zusammengeballt, nnd der Himmel sah nun aus wie der Indische
Ocean bei Stnrmwetter.
Das Gewölk zog höher, es rückte vor die Sonne, und jetzt
lagerte sich Finsterniß über die Erde. Und welch eine Düsterniß!
Da begann der Donner zu rolleu, der Wiederhall murmelte durch
die Wälder nnd wurde nach und nach heftiger. Der Orkan brauste
heran. Bald sah ich auch deu ersten Blitz, er zerriß das Gewölk
nnd in demselben Augenblicke erzitterte und erbebte Alles. Ich
glitt vom Pferde herab und überließ das Thier feinem Instinkt.
Nun vernahm ich ein seltsames Geräusch; das Werk der Zer-
störnng hatte in meiner unmittelbaren Nähe begonnen. Eine
Windsbraut, über alle Beschreibung furchtbar, warf Alles nieder,
was in ihrem Wege lag; sie schuf Trümmer und Verwüstung.
Nach allen Seiten hin flogen Aeste umher, Waldrieseu wurden mit
den Wurzeln ausgerissen, oder gebrochen, als seien sie dünne
Stecken; das Rauschen und Krachen war entsetzlich. Mir schien
als würde der ganze Wald niedergelegt wie ein Getreidefeld. Es
war etwa zwei Uhr Nachmittags und die Finsterniß wie in einer
ganz dunkeln, mondlosen Nacht. Ich war betäubt und überwältigt
von einem so gewaltigen Ereigniß; ich erbebte durch Mark und
Bein, ich legte mich nieder. Und seltsam genug, aus der Anhöhe,
wo ich mich gerade befand, war der Wind kaum zu spüren.
Schon glaubte ich mich sicher, aber bald wurde auch diese
Stelle vom Wirbel gepackt nnd jetzt krachten in meiner nnmittel-
barer Nähe die Riesenbäume. Ich warf mich nun der Länge nach
zn Boden, mit dem Gesicht nach unten, und schloß die Augen. Es
war, als lüge ein entsetzliches Alpdrücken auf mir. Da vernahm
ich ein plötzliches Krachen dicht hinter mir und blickte auf; ein
Riesenbaum war mit den Wurzelu ausgehoben worden, schwankte
hin und her, riß einen Nachbar um und beide stürzten nieder. Ich
lag unter ihnen. Der Boden erzitterte so, wie es wohl bei einem
Erdbeben der Fall sein mag, nnd ich war unter einer Masse von
Schutt und Zweigen wie begraben.
In dem grauenvollen Unwetter trat eine ganz kurze Pause ein.
Dann aber prasselte ein gewaltiger Hagel herab; die Körner waren
so dick wie Taubeneier, peitschten aus mich ein und bald rann mir
das Blut vom Leibe. Der Hagelsturm dauerte nicht lange; ihm
folgte ein entsetzlicher Regenguß, der geradezu iu Strömen herab-
siel und binnen wenigen Minuten das Land unter Wasser setzte.
Der Orkan war vorüber gebrans't, ich hörte sein Brüllen und
Toben nur noch aus der Ferne, und nach einiger Zeit fiel kein
Tropfen mehr. Nun gingen auch die Wolken auseinander, die
Sonnenstrahlen kamen zum Vorschein und ich sah einen ganz Herr-
lichen Regenbogen. Alles war so überraschend und bewältigend,
daß ich unwillkürlich auf die Knie fiel; eine wahrhaft andächtige
Stimmung war über mich gekommen. Gott ist groß!
Als ich dann um mich blickte, wurde mir klar, daß ich meine
Rettung nur einem glücklichen Zufalle, fast möchte ich sagen, einem
Wunder verdankte. Der Boden war mit Aesten und Zweigen
völlig überdeckt, die Vertiesuugeu standen unter Wasser, mit dem
auch die Wurzellöcher der ausgerissenen Bäume angefüllt waren.
Meine Pferde standen in der Nähe, über und über naß, aber nicht
schwer beschädigt. Nun stieg ich wieder in deu Sattel, die Lust
hatte sich abgekühlt und ich athmete freier.
Gegen Abend erreichte ich die Station, wo man mir Glück
wünschte, daß ich mit dem Leben und mit heiler Haut davon ge-
kommen sei. Einen so entsetzlichen Orkan hatte man seit vielen
Jahren in Queensland nicht erlebt. Ich aber war nun damit zu-
frieden, eiu so gewaltiges Naturschauspiel kennen gelernt zu haben,
aber an einem Mal ist es genug!
Gebräuche bei Hochzeiten, Kindtaufen und Segriitmijseu in Schweden.
Das Kirchspiel Danmark bei Upsala. — Hammarbh, einst Landgut nnd botanischer Garten Linn<5's. — Die Bauern. — Kronbräute. — Thronhimmel der
Bräute. — Essen, Trinken und Tanzen. — Seifengeld für Neugeborne. —
Stockholm, 6. Februar 1863.
Ueberall werden Hochzeiten, Kiudtauseu und Begräbnisse, be- j
sonders die zuerst genannten, in Schweden noch nach alterthüm-
licher Weise mit vielen Umständen und großem Gepränge gefeiert,
obgleich aus den Städten immer mehr die neuen, iu allen Ländern
üblichen, einfacheren, mit weniger Umständen verbundenen Sitten
unaufhaltsam auch in den Lauddistrikteu Anerkennung finden und
die alten gäuzlich zu verdrängen drohen, so wie dieses auch mit den
alten Kleidertrachten geschieht. Obgleich diese Gebräuche iu den
verschiedeneu Theilen des großen Schwedenlandes in manchen
Stücken von einander abweichen, so stimmen sie doch wiederum iu
anderen mit einander überein, weshalb wir uns darauf beschränken
wollen, dieselben in einem einzelnen Kirchspiele, Danmark, zu
beschreiben, weil dieses so ziemlich in der Mitte des Landes liegt.
Voran schicken wir eine kurze Schilderung dieses Kirchspiels 4n ge-
schichtlicher, topographischer und ethnographischer Hinsicht.
Der dänische König Hendrik Skateler überfiel, um seinen Sohn
Magnns Hendrikson, dessen Mutter eine Tochter des Sveakönigs
Ragvald Knaphösde war, auf den schwedischen Thron zn setzen,
am 18. Mai des Jahres 1160 den schwedischen König Erik IX. oder
den Heiligen bei Upsala, nahm ihn nach einer tapfern Gegenwehr
gefangen und ließ ihn sogleich enthaupten. Bald aber sammelten
sich die Schweden und rächten den Tod ihres geliebten Königs
(der darauf als Schwedens Schutzheiliger verehrt wurde), indem
sie die Dänen schlugen nnd von der gemachten Beute eine schöne,
geräumige, massive Kirche ausführten, die davon den Ranken
Danmark (d. i. Dänemark) erhielt. Sie ist im Ganzen noch jetzt
in ihrer ursprünglichen Gestalt vorhanden, obgleich nun die hohe
Thurmspitze und vier kleinere Thürme, die 1699 vom Blitze ge-
troffen wurden, nicht wieder hergestellt wordey sind. Diese Kirche
liegt etwas über eiue deutsche Meile iu südöstlicher Richtung von
Upsala entfernt, in der Mitte des Kirchspiels, welches seit 1635 die
Gebräuche bei Hochzeiten, Kindtansen und Begräbnissen in Schweden.
311
Präbende eines Professors der Theologie an der Universität in
Upsala ist, der dort einen Pfarrhof besitzt und Einkünfte bezieht,
zunächst aber von einem daselbst wohnenden Kaplan verwaltet
wird.
Das Kirchspiel ist beinahe eine deutsche (0,48 schwedische)
Q.-M. groß und gehört der großen, fruchtbaren und getreidereichen
upläudischeu Ebene an. Von Alterthümern sind mehrere (17)
Runensteine und Geschlechtshügel (die den deutschen Hünen-
gräbern ähnlich sind) vorhanden. Unter den wenigen größeren
Gütern ist Hammarby deshalb sehr merkwürdig, weil es 1758
bis 1778 in dem Besitze des großen Botanikers Karl von Linne
war, welcher hier einen botanischen Garten anlegte, seine Samm-
lungen hatte, während der langen Universitätsferien dort wohnte,
in einem noch jetzt vorhandenen massiven Gebäude vertrauteren
Schülern, die ihm hieher folgten und sich auch benachbarten Bauer-
bösen in Kost gaben, Vorlesungen hielt (Katheder, Tische und
Bänke sind noch an ihren alten Plätzen), Besuche von Reisenden
annahm, welche ans allen Theilen Europas zu dein „König der
Blumen" hinströmten und der hier auch 1778 in einem Alter von fast
71 Jahren verschied. Seine Witwe starb hier ebenfalls, 94 Jahre
alt, und seine Tochter Louise (1839) in der Nähe, auf Hubby,
in einem Alter von 90 Jahren.
Die Bewohner, deren Zahl 1860 auf 1053 stieg, gehören
größtenteils dem Bauernstand an, zeichnen sich ans durch Sitt-
lichkeit, Gastfreiheit und Freigebigkeit, sowie durch eine gewisse
Selbständigkeit, die sich zu befreien strebt von jedem Baude, das
sie in irgend eine Abhängigkeit versetzt oder ihrer Freiheit Fesseln
anlegt, daher sie auch stets die ihnen obliegenden Auflagen an
dem bestimmten Tag entrichten, ohne daß man daraus auf eine
größere Wohlhabenheit als bei ihren Nachbarn zu schließen be-
rechtigt ist, obgleich man sie im Allgemeinen wohlhabend nennen
kann. Ihre Kleidertracht ist einfach und reinlich, nähert sich
jedoch schon schon sehr der städtischen; die alte Nationaltracht
verschwindet immer mehr.
Die Heirathen werden hier theils nach vorhergegangenen
förmlichen Verlobungen, theils ohne solche abgeschlossen. Nach-
dem die Kontrahenten sich mit einander verständigt und die Ein-
willigung ihrer Eltern oder Vormünder erhalten haben, begeben
sie sich mit einander in die Stadt und kaufen gegenseitige Braut-
gescheuke, die in Ring und Kleidern, bisweilen auch in Silber-
stücken bestehen. An den Tagen des zweiten und dritten Ansge-
bots nimmt die Braut von ihren unverheirateten Jugendfreun-
dinnen Geschenke an. An dem Abende vor der Hochzeit, dem Jung-
gesellenabende (Svennquäll), muß der Bräutigam, wie es heißt,
sich von allen Mädchen lostanzen; da ist in seinem Hofe eiue eben
so große Znrüstnng wie in dem der Braut. Am Hochzeitstage
versammeln sich bei ihm früh Morgens nebst dem Geistlichen alle
diejenigen, welche er seinerseits zur Hochzeit eingeladen hat. Nach
eingenommenem Frühstück reist mau nach dem Brauthof, um sich
dort wiederum zu Tische zu setzen; je größer das Gefolge des
Bräutigams ist, für um so ehrenhafter wird es angesehen. Unter-
wegs hört man Töne von Klarinetten und Violinen; man hat
also Gelegenheit, die Geschicklichkeit der Spielleute zu bewundern,
welche zu gleicher Zeit ihre Pferde lenken nnd dennoch ihre Jnstrn-
mente zu behandeln verstehen. Bei jedem Gitterthore, durch welches
der Weg führt, streut der Bräutigam mit freigebiger Hand Kupfer-
geld für die öffnenden Kinder aus. Seiue Eltern bleiben zu
Hause, um'diejenigen zu bewirthen, welche nur zu dem Aus-
reituugssest eingeladen sind, und begeben sich erst am folgenden
Tage uach dem Hofe der Braut. Die Hochzeiten werden gewöhn-
lich an einem Sonntagsnachmittag im Herbst oder während der
Weihnachtszeit, die in Schweden 20 Tage oder bis zum 13. Januar
dauert, gefeiert. Ist die Braut eiue Kronbraut, d. h. eiue unbe-
scholtene Jungfrau, die das Recht hat, außer dem Kranz eine Krone
zu tragen, so wird sie in dem nächsten Hose des Dorfes gekleidet,
wohin sich unter Musik der Geistliche mit dem Bräutigam und
allen Gästen begiebt, um dort die Trauung zu vollziehen, was
nunmehr nie in der Kirche geschieht, wie ehemals nnd noch jetzt an
vielen Orten.
Sobald die Braut vernimmt, daß der Bräutigam im Anzüge
sei, beeilt sie sich, unbemerkt von ihm, ihren Auserwählten durch
die Fenstergardine oder eine Ritze in der Thüre zu sehen, ehe er sie
erblickt hat, sonst würde sie ein so unglückliches Ereigniß niemals
vergessen und die Ehe könnte nicht glücklich werden. Nach vollendeter
Trauung, bei welcher ein kostbarer Thronhimmel (Brudpell) oder
jetzt gewöhnlich ein Shawl von vier jungen nnverheiratheten Per-
sonen beiderlei Geschlechts über dem Brautpaare gehalten wird,
so wie nach den Glückwünschen, die jeder Einzelne dem Paare dar-
bringen muß, kehrt der Geistliche mit den Neuvermählten in das
Hochzeitshaus zurück und setzt sich mit ihnen zn Tische zur Rechten
des Bräutigams. Hier müssen sie aber wohl eine halbe Stunde
auf die Ankunft der Gäste warten, welche von den Wirthen auf
dem Hof aufgesucht und gleichsam mir Gewalt an den Tisch ge-
bracht werden müssen.
Die Gesundheit des Brautpaars wird bei Tisch unter Musik
gewöhnlich in Wein oder Punsch getrunken. Von dem Bräutigam
und den Gästen wird für die Braut eingesammelt, und Geschenke
der Eltern werden an das Brautpaar abgegeben. Die Mahlzeit
wird mit einem einsegnenden Gebete von dem Geistlichen begonnen
nnd mit Gesang und Danksagung beendigt. Darauf wird der
Tanz vou dem Geistlichen und der Braut eröffnet und dann fort-
gesetzt bis gegen 2 oder 3 Uhr in der Nacht, da der Braut die
Krone „abgetanzt" wird, indem sie mit verbundenen Augen, um-
tanzt vou allen anwesenden Mädchen, die Krone einer derselben
aufsetzt, welche dann dem herrschenden Glauben zufolge zuerst Braut
werden wird, und hiermit fährt sie fort mit allen. Darauf wird
sie ans einen Stnhl gesetzt, hoch emporgehoben und trinkt nun
unter Hurrahrufen den Abschiedstoast aller Mädchen und „die zn-
künftige Gesundheit aller Ehefrauen" (d. h. die Gesundheit aller
künftigen Frauen). Jetzt wird die Braut von den Frauen bean-
sprucht, die Mädchen aber wollen sie nicht von sich lassen, sondern
suchen sie so lange wie möglich festzuhalten; endlich aber geben sie
nach, die Frauen nehmen die Braut unter sich auf, und nun hebt
der Tanz von Neuem au.
Ebenso geht es zu mit dem Bräutigamstanze; nur ist dieser
etwas hurtiger und lebhafter, uud wenn die verheiratheten Männer
den Bräutigam von den Junggesellen hinwegführen wollen, ist der
Kampf oft so heftig, daß dem Bräutigam dabei die Kleider zer-
rissen werden und er selbst nicht ohne einige Schrammen davon
kommt. Darauf entfernt sich das Brautpaar, kehrt aber bald
zurück in den achtbaren Kleidern eines jungen Ehemanns und
einer jungen Ehefrau, begleitet von den Brautjungfern und Braut-
führern, welche taktmäßig nach der Musik die brennenden Lichter
schwenken, die sie zur Ehre des jungen Paares tragen. Jetzt muß
dieses die Gäste mit „der Speise der jungen Ehefrau" traktireu,
welche iu Aepfelu, Konfekt, Gebäck und Syrupsbrauntwein be-
steht. Hierauf beginnt der Ehetanz, nnd wenn dieser beendigt ist,
setzt man sich ordentlich zu Tische, um Abendbrot zn speisen,
womit man etwa gegen sechs Uhr Morgens zn Ende ist. Jetzt
wird Alles still: die jungen Ehegatten verfügen sich in das Brant-
gemach, die verheiratheten Gäste in angrenzende Zimmer oder
benachbarte Bauerhöfe, die jungen Leute aber, Jünglinge nnd
Mädchen um einander in bunter Reihe, legen sich in dem großen
Tanzzimmer auf ein ausgebreitetes Strohlager, um von den
großen Strapazen auszuruhen.
Um die Mittagszeit kommt wiederum Leben und Bewegung
in die Gesellschaft. Zuerst ist das junge Paar in Ordnung und
kommt zn allen Gästen mit Frühstück an's Bett. Wenn diese sich
wieder in dem Hochzeithause gesammelt haben,' so beginnt von
neuem der Tanz, der bis vier oder fünf Uhr Nachmittags fort-
dauert; dann setzt man sich zu Tische, um das „Bratenfett" zu ver-
zehren. Jetzt treten zwei abenteuerlich angekleidete Masken, eine
312
H. Stern's Reise zu den Falaschas oder abyssinischen Juden.
Manns- und eine Frauensperson, herein, jede derselben reicht den
Gästen einen Klingbeutel hin, in welchen diese ein wenig Kleingeld
opfern müssen, das der Köchin gegeben wird; das komische Paar
aber sucht dann noch durch allerlei lustige Schnurren und Schwanke
die Gäste zu uuterhalteu, und je besser es ihm gelingt, die Lach- ,
muskeln der Zuhörer in Bewegung zu setzeu, um so besser hat es
feine Rolle gespielt. Nach beendigter Mahlzeit hebt der Tanz von
Neuem an und dauert nun die ganze Nacht hindurch. Am dritten
Tage brechen einige von den Gästen auf und kehren nach Hause
zurück; doch ist die Hochzeit keineswegs schon zu Ende: die junge
Frau muß uoch alle Mädchen bewrrthen, die ihr beim Aufgebot
Gescheute gegeben haben und nicht zur Hochzeit geladen gewesen
sind. Für diese ist wiederum Gastmahl und Tanz.
Zu Aufauge dieses Jahrhunderts geschahen die Trauungen
immer in der Kirche beim Gottesdienste. Damals kamen die
Gäste mit dem Bräutigam au der Spitze angeritten und verübten
trotz der bestehenden Verbote vielen Lärm und manchen Unfng in
der Kirche. Die Braut fuhr iu einem verdeckten Wagen; auf dem
Rückwege saß der Bräutigam neben ihr, und die Fahrt ging so
langsam, daß das ganze, paarweise reitende Gefolge vor ihnen
den Hochzeithof erreichte, dort einen Imbiß nehmen, dann wieder
umkehren und seinen Platz hinter dem Wagen einnehmen konnte,
ehe dieser das Ziel erreichte.
Kindtaufen sind jetzt nie mehr in der Kirche, sondern
immer bei dem Pastor oder auch zu Hause. Ehemals ritten die
Gevattern mit dem Kinde nach der Kirche an einem Sonn- oder
Festtage, das Kind wurde vor dem Gottesdienste getauft, und
die Jungfer-Gevatterin brachte darauf dasselbe der Mutter
zurück. Jetzt siud die Kindtaufen gewöhnlich an dem Nachmittag
eines Wochentages. Der Geistliche erhält das Kind von der ver-
heiratheten Gevatterin, giebt dasselbe nach verrichteter Taufe der
Jungfrau-Gevatterin, und diese bringt es der Mutter wieder.
Das sogenaute „Seifengeld " (Tvalpenningar) für den Neugeborenen
wird nicht, wie in anderen Kirchspielen, eingesammelt, sondern nach
beendigter Mahlzeit geht jeder zu der Mutter, daukt für die Be-
wirthuug und drückt ihr dabei einen Bankzettel in die Hand. Bei
größeren Kindtaufen kann die Abgabe recht bedeutend sein. Am
folgenden Morgen kehren die Gäste zum Frühstück zurück.
Die Begräbnisse geben den Hochzeiten an Znrüstnngen
kaum nach. Ist das Haus ein wohlhabendes, so wird der Ver-
storbene an einem Sonntagsvormittagsmorgen begraben. Der
Geistliche reist nebst den Gästen nach dem Hofe des Verstorbenen
und begiebt sich von dort so früh mit der Leiche hinweg, daß der
Gottesdienst nicht aufgehalten wird. Während zum Gottesdienst
eingeläutet wird, trägt mau die Leiche auf einer Bahre zum Grabe.
Der Sarg ist immer an dem Kopf- und Fußende mit blanken
Platten und einem Kreuz auf dem Deckel, bisweilen auch mit
Sternen an den Seiten und mit versilberten Füßen geziert. Nach
Beendigung des Gottesdienstes werden Personalien über den Ver-
storbenen gehalten, und an dem Denkmale, das späterhin über
dem Grabe errichtet wird, werden das Kreuz und die Platten an-
gebracht, auf welchen der Name, der Gebnrts- und Todestag,
sowie etwa ein Liedervers stehen. Nach beendigtem Gottesdienste
reift man zurück in das Trauerhaus und nimmt dort das Mittags-
essen ein. Selten sieht man da den Witwer oder die Witwe bei
Tische, und so lange die Tranerzeit dauert, stehen die Leid-
tragenden in der Kirche nicht auf, wenn das Glaubensbekenntniß
oder das Evangelium gelesen wird. Die Weiber sehen nicht einmal
auf, sondern sitzen zur Bezeichnung ihrer tiefen Trauer mit be-
deckten und niedergebeugten Gesichtern in ihrer Kirchenbank.
C. F. Fr.
H. Stern's Reife zu den Falaschas oder abyssinischen Inden.
Zwangsheirathen für Kinder im ägyptischen Sudan. — König Theodoros von Abysstnien. — Was ist gnter Ton an der Tafel vornehmer Abyssinier? —
Die Dörfer der Falaschas. — Sitten, Charakter nnd Abneigung gegen den Handel. —
Im Lande Habesch, namentlich im südwestlichen Theile, leben
Inden, über welche unsere Kunde seither nichts weniger als voll-
ständig war. Nun haben wir eingehende Nachrichten erhalten.
Die englische Gesellschaft, welche sich die Bekehrung der Kinder
Israel zur Aufgabe gemacht hat, sendet Glaubensboten in alle
Welt aus und benutzt als solche vorzugsweise jüdische Gelehrte,
welche zum Christenthum übergetreten sind. Das empfiehlt sich
schon deshalb, weil solche Leute das Wesen ihrer früheren Neligions-
genossen weit besser verstehen als Missionäre, die in christlichen
Vorstellungen aufgewachsen sind.
Zn diesen Judensendboten gehört der Reverend H. Stern,
der, wie mauche Andere seines Berufes, von deutscher Abstammung
ist. Er hat jüngst in englischer Sprache „Wanderungen unter
den Falaschas in Abyssinien" herausgegeben. Das Buch
selbst ist uns noch nicht zu Gesicht gekommen; wir finden aber
Auszüge aus demselben in Nr. 1837 des „Athenäum", denen wir
Einiges entlehnen.
Stern fuhr von Bnlak bei Kairo den Nil hinauf bis Korosko,
zog durch die Wüste nach Chartnm, und von da ans dem Blanen
Nil uach Abyssinien zu den Falaschas. Er verließ den Strom bei
Abu Haras und schlug die Richtung nach Osten ein. In der
Stadt Gedtlref (— dem berühmten Gummimarkte —) fand er
Alles in größter Aufregung. Die Regierung hatte eben ein
Gebot veröffentlicht, demgemäß alle über vierzehn
Jahre alte Knaben und alle über neun Jahre alte
Mädchen sich binnen vierzehn Tagen verheirathen
mußten. Alle, welche dieser Verordnung nicht nachkamen, sollten
ausgepeitscht nnd obendrein mit Geldbußen belegt werden!
Es ist begreiflich, daß die Kinder sich lieber verheiratheten, als
sich auspeitschen ließen, und in Gedaref wimmelte es von Braut-
paaren.
Das türkisch-ägyptische Regiment lastet schwer ans diesen
Gegenden. Weiterhin nach Osten, jenseit der abyssinischen Grenze,
sah es sehr unruhig aus. König Theodoros war mit einer
stattlichen Reiterschaar vom Gebirgslande herabgekommen, um
einen Aufstand zu unterdrücken. Das Lager dieses mnthigen
Herrschers von Aethiopien stand in einem Thale; der Missionär
° stellte sich vor, wurde freundlich aufgenommen nnd bekam Er-
laubniß, unter den Falaschas zu predigen nnd zu bekehren so viel
ihm beliebe.
Wir haben im Globus mehr als einmal dieses merkwürdigen
Mannes erwähnt, der in Aethiopien wie ein Meteor aufgestiegen
ist und danach strebt, das alte äthiopische Reich wieder anfzn-
richten. Ganz kürzlich, im Spätjahr 1862, hat er den Krieg gegen
den Pascha von Chartnm begonnen; er will den Aegyptern die wich-
tige Landschaft Takka wegnehmen. Herr von Henglin, der mit
ihm aus früheren Zeiten her befreundet ist, war bei ihm, und wir
werden wohl später einmal sehr.ausführliche Nachrichten über
Theodoros erhalten.
Der Judenmissionär Stern war aber schon vor Ansbrnch
Ethnologische Beiträge.
313
dieses Krieges in Abyssinien. Er meint, daß Theodoros auch
verwerfliche Mittel nicht verschmäht habe, um den Thron zu
erlangen. Als in der Provinz Godjam eine Rebellion ausbrach,
verwüstete er weit und breit das Land und ließ eine große Anzahl
von Menschen martern und niederhauen. Als dann ein Jahr
später seine Gemahlin starb, erblickte er darin eine Strafe des
Himmels für die abscheulichen Grausamkeiten, welche er verübt,
und legte öffentlich ein Gelübde ab, daß er nie wieder von seiner
Leidenschaft sich beherrschen lassen wolle.
Am Hoflager begegnete dem Missionär etwas Unangenehmes;
er gab entsetzlichen Anstoß. Sitten, Geschmack und Begriffe von
Anstand und Schicklichkeit sind eben in verschiedenen Ländern
verschieden.
Der König hatte den Fremden zur Tafel geladen. Die Mahl-
zeit bestand, weil gerade Fasttag war, einfach ans Teffkucheu und
Meth. „Da machte ich einen Verstoß gegen die Sitten des vor-
nehmen Lebens. Nach abyssinischen Begriffen muß jeder Mann
von aristokratischer Abkunft ein feines Gewand (Schama) mit
dnnkelrothem Randbesatz tragen, und beim Essen schmatzen wie
ein Schwein. Davon wußte ich leider uichts; ich aß so, wie wir
in Europa es für schicklich halten, aber das trug mir den Tadel der
Gesellschaft ein; die Leute raunten sich allerlei in's Ohr. Endlich
fiel mir die Sache auf und ich fragte den Engländer Bell
(— welcher ein hohes Kriegsamt bei Theodoros bekleidete —ob
ich etwas Unangemessenes gethan habe. Bell entgegnete: Gewiß
haben Sie das. Ihr Betragen ist so nngentlemanly, daß alle
Gäste glauben müssen, Sie seien ein Mensch ohne alle Erziehung
und Bildung, und gar nicht gewohnt, sich in anständiger Gesell-
schaft zu bewegen. — Nun, wodurch habe ich denn eine so schmei-
chelhafte Meinung verdient? — Einfach durch die Art und Weise,
wie Sie essen. Wenn Sie ein Gentleman wären, so würden Sie
das bei Tafel beweisen; Sie müssen recht laut und derb schmatzen
und Keiner wird bezweifeln, daß Sie ein Mann von Stande seien.
Da Sie aber uicht schmatzen und die Speisen lautlos kauen, so
glaubt hier Jeder, daß Sie eiu armer Tropf seien.—Ich erklärte
dann den abyssinischen Aristokraten, daß bei mir zu Land, in
Europa, eine andere Sitte herrsche, und damit brachte ich die
Dinge wieder in das richtige Geleise."
Der Missionär klagt, daß er in Abyssinien viel Schmutz und
Unsittlichkeit gefunden habe. Theodoros selbst wurde von den im
Land anwesenden Europäern wegen seiner Rechtschaffenheit, Un-
eigennützigkeit und Sittenreinheit sehr gelobt, aber seine Unter-
thanen seien unzuverlässig, hinterlistig, sittenlos.
Stern besuchte den Abu na, den Patriarchen der abyssiuischeu
Kirche, der Anfangs etwas zurückhaltend war, zuletzt aber nichts
gegen die Mission unter den Juden einzuwenden hatte. Am
Tage Mariä Empfängniß war feierlicher Tanz, den wir aber
nach unseren Begriffen nicht als eigentlichen Tanz bezeichnen
würden; er ist mehr eine Art von gymnastischer Uebung.
Die Mission wurde zn Gen da begründet, das recht eigent-
lich im Mittelpunkte der Falaschastämme liegt. Das Wort be-
deutet Verbannte und mit denselben werden die Juden in Abys-
sinien allgemein bezeichnet. Sie haben sich einen in das hohe Alter
hinaufreichenden Stammbaum zurecht gemacht, und wollen zur
Zeit der Königin von Saba nach Aethiopien gekommen sein. Von
Menilek, dem Sohne, welchen diese mit Salomo gezeugt, leiten sie
die abyssinischen Könige ab. Die Falaschas waren einst unab-
hängig, standen unter Königen, welche alle Gideon hießen, und
unter Königinnen, welche stets Judith benannt wurden. Jetzt sind
sie iu fünf abyssinischen Provinzen zerstreut und man erkennt ihre
Dörfer anf den ersten Blick. Auf der Spitze des Tempels ist nämlich
allemal ein rother Topf angebracht.
Die Falaschas rühmen sich, unmittelbar von Abraham, Isaak
und Jakob abzustammen und ihr altjüdisches Blut rein erhalten
zu haben. Mischheirathen mit anderen Stämmen sind durchaus
verboten; ja es gilt schon für Sünde, das Hans eines Anders-
gläubigen zu betreten; wer eine solche begeht, mnß sich einer Reim-
guug unterwerfen und ganz frische Kleider anlegen; dann erst darf
er wieder in sein Haus gehen. Diese Ausschließlichkeit hat übrigens
gute Folgeu gehabt, denn sie bewahrte die Falaschas vor der Aus-
schweifung und Sittenlosigkeit, welche sonst in Abyssinien allge-
mein sind. Jedermann gesteht ein, daß die Falaschas, Frauen
wie Männer, die zehn Gebote streng befolgen. Heirathen in früher
Jugend sind bei ihnen nicht gestattet, da Männer erst zwischen dem
zwanzigsten uud dreißigsten, Mädchen zwischen dem fünfzehnten
und zwanzigsten Jahre sich vermählen. Ehescheidungen sind nicht
gestattet; Vielweiberei ist uicht erlaubt; Frauen und Mädchen
gehen nnverschleiert frei umher. Die Tempel haben drei Abthei-
lnngen, der Eingang liegt nach Osten hin.
Barbarisch ist eine Sitte, welche mit überstrengen Begriffen
von Reinigung zusammenhängt. Neben jedem Dorfe befindet sich
eine „unreine Hütte". Dorthin schafft man die Kranken, deren
Tod für unabwendbar gilt; sie liegen dort verlassen; kein Ber-
wandter darf bei ihnen sein; nur Menschen, welche für unrein
gelten, dürfen sich um solche kümmern. Merkwürdig erscheint die
Thatsache, daß diese abyssinischen Juden dem Handel
äußerst abgeneigt sind und ihn geradezu verachten.'
Stern schreibt:
„Diese Falaschas sind von exemplarischer Sittlichkeit, unge-
mein sauber, sehr audächtig uud glaubeusstreng und dabei sehr
fleißig und thätig. Sie treiben Ackerbau und Viehzucht und auch
einige Handwerke: man findet z.B. nuter ihnen Weber, Töpfer
uud Schmiede. Der Handel gilt ihnen für nnverträg-
lich mit dem mosaischen Glauben uud mau findet unter
dieser Viertelmilliou Menschen nicht einen einzigen
Kaufmann."
Es kann bei Leuten, welche so abgeschlossen leben, nicht be-
fremden, daß sie alle anderen Religionen verabscheuen; ohnehin sind
sie zumeist von Götzendienern umgeben und die christliche abyssinische
Kirche hat, in ihrem Verfall, anch nichts Anlockendes. Stern
seinerseits wußte es dahin zu bringen, daß man ihn höflich aus-
nahm und er sich in Genda niederlassen konnte. Natürlich giebt er
sich, wie alle Missionäre, großen Bekehrungshoffnungen für die
Zukunft hin.
Ethnologische Seiträge.
Resultate der Rafsenmischung in Central-Amerika.
Der nordamerikanische Reisende und Alterthumsforscher E.
G. Sqnier, welchem wir ein vortreffliches Werk über die india-
nifchen Alterthümer im Mississippithale verdanken, erörtert in
einem andern Buche *) die Vermischung der verschiedenen Rassen
*) Notes on Central America, particularly the states of Honduras
Globus für 1863. Nr. 34.
II.
in den central-amerikanischen Staaten. Sie hat gerade in diesen in
sehr ausgedehnter Weise stattgefunden. Seine Beobachtungen und
Forschungen laufen im Wesentlichen aus die nachstehenden Ergeb-
nisse hinaus.
and San Salvador; their geography, topography, climate, population, re-
sources, productions etc. and the proposed interoceanic railway, by E.G.
Squier, New-York, 1855. Remarks on population p. 33 seqq.
40
314
Ethnologische Beiträge.
Central-Amerika, also die Staaten Guatemala, Honduras,
San Salvador, Nicaragua und Costa Rica, ist unter allen ehemals
spanischen Kolonien verhältuißmäßig am stärksten bevölkert. Die
Einwohnerzahl wächst andauernd nnd rasch, aber das aus der
Fremde hinzugebrachte Element, das weiße europäische, ist
im Abnehmen begriffen, und der ganze Zug der Dinge
arbeitet darauf hm, daß es in der eingeborenen Rasse,
in den Indianern mehr oder weniger schnell aufgehe.
Gleich den meisten Repnliken des spanischen Amerika (nur Chile
und jene am La Plata bilden bis auf einen gewissen Grad Aus-
nahmen) giebt Central-Amerika einen deutlichen und sichern Be-
leg für die Gesetze, welche durch das Studium der Anthropologie
und Ethnologie seit etwa einem halben Jahrhundert ermittelt
worden sind. Diese Gesetze sind von großer Bedeutung auch für
den Staatsmann und den Volkswirth; er darf sie nicht
unbeachtet lassen, wenn er sich befähigen will, eiu richtiges
uud sicheres Urtheil zu fällen. Durch die Vervielfältigung und
Beschleunigung des Verkehrs siud die verschiedenen Menscheustämme
(Rassen) in häufige Berührungen gebracht worden, und deshalb
ist die Frage zu deren Erörterung wir uns wenden, nach Sqnier,
dessen Ansichten wir für sehr wohl begründet halten, nicht blos
für die Wissenschaft von Bedeutung geworden, sondern auch für
das praktische Leben.
Die großen Unterschiede und Abweichungen, welche
in leiblicher, geistiger und sittlicher Beziehung zwischen den ver-
schiedensarbigen Familien der Menschheit wahrgenommen werden
und sich in allen Lebensverhältnissen geltend macheu, siud nicht
Ergebnisse des Zufalls uud der Einwirkung äußerer
Umständ e, sondern liegen in der tiefinnersten Ureigen-
thümlichkeit dieser verschiedenen Rassen; sie sind radikal,
permanent, immanent.
Eine Blutvermischung zwischen verschiedenen
Menschenrassen, welche durch die Natur selbst auf
immer nnd ewig von einander getrennt sind, eine
Amalgamirnng zwischen höheren und niederen Rassen,
ergiebt nie etwas Harmonisches, sondern hat allemal
schl echte Folgen.
Dafür spricht nnd sprach stets nnd überall die Erfahrung; die
Geschichte liefert Zeugnisse und Belege. Als ausgemacht stellt sich
Folgendes herans:
Eine Rasse geht in der andern auf, wird von ihr absorbirt
in allen Fällen, wo eine Vermischung zwischen zwei verschiedeneu
Rassen stattfindet und wo das fehlt, was der Unkundige als
Vor urtheil, als „Vorurtheil der Hautfarbe" bezeichnet. Dieses
vermeintliche Vorurtheil ist aber eiu sehr richtiger und werthvoller
natürlicher Instinkt, und dieser ist noch überall von der Natur
selbst gerächt wordeu, wann uud wo mau ihm zuwider handelte.
Die Anffchlürfnng uud Zersetzung geht um so rascher vou statten,
je mehr der Typus zweier, auf solche Weise mit einander ge-
mischter Rassen ein annähernder ist uud je nachdem der eine oder
andere überwiegt. Die Natur verewigt keine mensch-
lichen Ha lbschlächtigkeiten; das ist ihr ganz nnd gar-
zuwider, sie vertilgt dieselben uud erlaubt zum Beispiel feilte per-
manente Rasse von Mulatten. (—Auf diesen Punkt werden
wir gelegentlich näher eingehen, denn er ist sehr wichtig. —)
Verletzungen und Beeinträchtigungen der Rassenunter-
schiede und jenes Instinkts, der darauf gerichtet ist, die höhe-
ren Rassen in ihrer Reinheit und Unverletzlichkeit zu bewahren,
führen allemal zu unheilvollen Resultaten und wirken nach-
theilig auf die körperlichen, geistigen und moralischen
Eigenschaften nnd Begriffe derjenigen Völker, welche
die weisen Fingerzeige der Natur uud ihre Gesetze
außer Acht lassen. Das heißt: Die Menschen, welche solchen
Vermischungen ihren Ursprung verdanken, haben im Allgemeinen
in ihrer leiblichen, geistigen und sittlichen Beschaffenheit Mängel,
welche sehr häufig in einem solchen Grade hervortreten, daß sie
gegenüber den reinen Nassen einen höchst ungünstigen Gegensatz
bilden.
Diese Mängel zeigen sich insbesoudere auch iu Allem, was sich
auf Staats- uud Regiernngsverhältniffe bezieht. Die anarchischen
Zustände in fast allen südamerikanischen Republiken, wo die nnbe-
dingte Gleichberechtigung aller Rassen und Mischungen in's Leben
getreten ist und wo sie alle sich unbehindert in ihrer Weise bewegen
können, zeugen dafür. In Mexiko, Central-Amerika nnd Süd-
amerika ist das Volk durch die uneingeschränkte Rassenvermischung
demoralisirt worden. Die höheren Typen, weil an Zahl gering,
werden überall von den niedrigeren zersetzt und ausgeschlürft. Der
Kampf der Barbarei gegen die höhere Civilisation ruht keineu
Augenblick und die Resultate liegen zu Tage. Es giebt unter der
Gesellschaft, wenn von einer solchen dort die Rede sein kann, keinen
innern Zusammenhang, keine Durchdringung der verschiedenen
Bestandtheile, keine Sympathien des einen zum andern. Alles ist
Gegensatz.
In Mexiko sind von acht Millionen Einwohnern des Landes
kaum eine Million Weiße, in Central-Amerika unter zwei
Millionen noch nicht zweimalhnnderttansend. Es wäre gewagt, die
Behauptung aufzustellen, daß Südsee-Insulaner oder amerikanische
Indianer befähigt seien, sich mit den Grundsätzen zu durchdriugeu,
von welchen unsere höheren bürgerlichen, gesellschaftlichen und staat-
lichen Einrichtungen bedingt werden. Weder Instinkt noch Ge-
wohnheiten und Anlagen dieser Rassen sind mit der Entwicklung
solcher Organisationen verträglich, und auch eiue sorgfältige Er-
ziehuug, welche ohnehin bei den Massen ihre Schwierigkeiten fände,
würde nicht im Stande sein, ihnen ein solches Verständniß dafür
beizubringen, daß sie zur praktischen Ausübung befähigt wären.
Auf den Sandwichs-Jnselnsehen wir allerdings eine konstitutionelle
Monarchie, aber Regierung und Verwaltung sind iu den Händen
weißer Leute, welche auch die Verfassung entworfen haben uud als
die eigentlichen Herrscher betrachtet werden müssen. Die Ansichten
der Indianer im Südwesten der Vereinigten Staaten, in den söge-
nannten Jndianerterritorien, entsprechen höchstens dem sogenannten
patriarchalischen System; wo dort Fortschritt vorhanden ist, rührt
er von Männern her, die zu drei Viertheilen europäisches Blut in
den Adern haben und den Weißen folgen.
In den meisten spanischen Republiken hat die Gleichstellung
der Indianer mit den weißen Menschen sowohl in politischer wie
gesellschaftlicher Beziehung nur endlose Anarchie in's Leben gerufen;
überall ist der Staatskörper mit Auflösung bedroht. In Guate-
mala und Uucatau hat diese Gleichstellung eiueu grausamen,
höchst blutigen Kastenkrieg, einen Rassenkampf, im Gefolge
gehabt; auf Jamaica ist seit der Emancipation ein großer Theil
der Neger völlig verwildert.
Die Weißen haben sehr recht und thun sehr wohl daran, wenn
sie unerbittlich sich weigern, ihr Blnt zu verschlechtern. Die Ber-
ständigen unter ihnen wollen die geistigen Anlagen nicht schwächen,
die Hautfarbe nicht dunkler machen.
Die Bevölkerung von Central - Amerika beläuft sich auf
etwa zwei Millionen Seelen, etwas mehr oder weniger, da die
Zählungen nicht speciell und keineswegs genau sind. Annähernd
trifft jedoch obige Ziffer zu.
Interessant ist das gegenseitige Zahlenverhältniß von Weißen,
unvermischten Indianern und Mischlingen; diese letzteren bezeichnet
man als Ladinos. Alle Beobachter stimmen darin überein, daß,
wie wir schon oben andeuteten, in Ceutral-Amerika die Weißen
nicht nur relativ, sondern auch absolut au Zahl abnehme:^
die reinen Indianer rasch zunehmen und die Ladinos
sich mehr und mehr dem iudiauischen Typus annähern.
Der Erzbischof von Guatemala, Pelaez, nahm für 1837 eine
Gesammtbevölkerung von 1,390,513 Seelen an, uud davon waren:
Weiße 89,979; Ladinos 619,167; reine Indianer 687,367;
demgemäß kommt ein Weißer ans sechszehn Mischlinge und
König Mongkut von Siam und das Leicheubegäugniß eines christlichen Bischofs.
315
Indianer. Seit jener Zeit haben sich die Verhältnisse derart ge-
staltet, daß jetzt 1 zu 20 das Richtige ist.
Im Staate Nicaragua waren 1823 von 174,213 Seelen:
Indianer zwei Fünftel; Ladinosauch zwei Fünftel, und we-
niger als ein Fünftel Weiße. Don Miguel Sarabia bemerkte
schon damals: „Die Zahl der Weißen nimmt ab; das ist allge-
meine Tendenz bei ihnen."
Für den Staat Guatemala stellt Crowe folgendes Verhält-
niß fest: Indianer %; Weiße lJA0; Neger y5o; Ladinos
ein Viertel; Mulatten Vs«; Sambos, das heißt Mischlinge
von Negern und Indianern, '/wo-
Squier nimmt an: Weiße 100,000; Neger 10,000; Misch-
linge 800,000; Indianer 1,109,000.
So viel über Central-Amerika. Demnächst will ich Angaben
über die Rassenverhältuisse in anderen Staaten der westlichen Erd-
halbe mittheilen. A.
König Mongkut von Siam nnd das Leichenbegängniß eines christlichen Bischofs.
Der gute König Mongkut, Beherrscher des Reiches Siam,
das in Hinterindien zwischen Barma und Cochinchina mitten inne
liegt, ist eiue im höchsten Grade merkwürdige Erscheinung. Der
Orient hat eine solche nie zuvor gesehen. *) Auf dem goldenen
Throne zn Bangkok sitzt er als ein unumschränkter Despot; aber
der ehemalige buddhistische Mönch ist ein philosophischer Monarch,
in religiöseu Dingen duldsam in höchstem Grad, ein Mann,
welcher seinen Tacitus und Ho?az in der Ursprache liest, englisch
geläufig redet und schreibt und mit der europäischen Literatur
wohl bekannt ist. Katholiken und Protestanten, Europäer nnd
Amerikaner, welche er allesammt mit zuvorkommender Güte und
gleicher Gerechtigkeit behandelt, sind des Lobes voll über diesen
„herrlichenHeiden", den „ruhmreichen Monarchen", wie ein katho-
lischer Missionär ihn nennt.
Mongkut ist sich immer gleich geblieben nnd hat neuerdings
wieder bewiesen, daß er Verdienste ohne Unterschied der Herkunft
oder der kirchlichen Meinungen eines Menschen zn ehren weiß.
Wir wollen den Hergang nach den Mitteilungen des apostolischen
Provikars Clemenceau erzählen.
Seit länger als dreißig Jahren sind katholische Missionäre in
Siam eifrig am Werk, um Buddhisten zu bekehren. Während
sie in Cochinchina (Annam) verfolgt wurden, fanden sie hier eine
gastliche uud zuvorkommende Aufnahme. Unter ihnen nahm
Paillegoix, ein auch iu wissenschaftlicher Beziehung sehr hervor-
ragender Manu, entschieden den ersten Platz ein. Am 18. Juni
1862 ist er in Bangkok gestorben. Dieser gelehrte Mann war es,
welcher eine Korrespondenz zwischen König Mongkut nnd dem
römischen Papste vermittelte; der Buddhist bezeichuete den Ober-
Hirten der katholischen Christenheit als „die erste Majestät der
Welt".
Paillegoix war schon im Jahre 1830 nach Siam gekommen,
gründete eine Lehranstalt, befand sich von 1831 bis 1834 im Lande
Laos, bekam dort das gefährliche, auch in seinen Nachwirkungen
höchst lästige Waldfieber und mußte nach Singapore gehen,
um seine Gesundheit einigermaßen wieder herzustellen. Daun ging
er wieder nach Bangkok, wo er den Bau zweier Kirchen leitete,
zum Coadjntor des Bischofs und später selber zum Bischof von
Mallos ernannt wurde; auch war er apostolischer Vikar. Unter
ihm erreichte die Zahl der katholischen Statioueu dreizehn; allein
in der Hauptstadt Bangkok sind sechs katholische Kirchen; eine ist
zn Juthia, eiue andere zu Schantabnn, in neun oder zehn Pro-
vinzen befinden sich Kapellen. Paillegoix hat viele siamesische
Handschriften gesammelt und selber in der siamesischen Sprache,
welcher er vollkommen Meister war, geistliche nnd wissenschaftliche
Bücher geschrieben. Wir heben hervor: seine Siamesische Grammatik
in lateinischer Sprache; ein lateinisch-siamesisches Wörterbuch,
*) Wir verweisen auf Band i, S. 140 ff. des Globus, wo wir ein
lebenswahres Gleichbild Mougkut's und eine eingehende Schilderung dieses
seltenen Mannes gegeben haben.
beide in der Druckerei der Mission zu Bangkok gedruckt. In
Paris erschien von ihm ein S i a m e s i s ch - l a t e i n i s ch - fr a n z ö s i s ch-
englisches Wörterbuch. Sehr werthvoll ist auch seine iu
französischer Sprache verfaßte „Beschreibung des König-
reichs Thai oder Siam", welche wir bei unserer frühern Dar-
stelluug (Nr. 5) benutzt habe». Sie ist ungemein werthvoll; weit
besser als das oberflächliche Buch des Sir John Bowring,
welcher jenem Vieles entlehnt hat. Doch dies nur beiläufig.
Paillegoix war im Jahre 1835 mit Mongkut bekannt ge-
worden. Damals wohnte der Prinz in einer Pagode unweit von
der katholischen Kirche; er war Talapoiue, buddhistischer Priester
in einem Kloster. Der regierende König, Mongknt's Bruder, war
gegen den letztern mißtrauisch, und dieser suchte uud fand Ruhe
im Kloster. Damals führte er den Namen Tfchao fa yai,
studirte das Pali, die heilige Sprache der Buddhisten, und das
Sanskrit. Dann erwachte in ihm der Wunsch, mit der Literatur
des Abendlandes bekannt zu werden, uud er nahm zuerst bei
einem eingeborenen katholischen Priester Unterricht im Lateinischen.
Bald nachher wurde er mit Paillegoix bekannt, der schon damals
geläufig Siamesisch sprach und nun Lehrer nnd bald anch Freund
des fürstlichen Talapoinen wurde. Mongkut lernte rasch; der
Katholik und der Buddhist, beide geistliche:, Standes, erörterten
oft religiöse Gegenstände, und Mongkut gab willig zu, daß der
Buddhismus viel Fabelhaftes enthalte. Aber er mochte nicht Christ
werden, sondern hat selber ein religiöses System aufgestellt, das er
für seine Siamesen angemessen erachtet. Dem Könige mißfiel der
freundschaftliche Verkehr Tschao fa yai's mit dem abendländischen
Geistlichen und er rief jenen aus der Pagode ab, um ihn in ein
anderes, weitab in der äußersten Vorstadt gelegenes Kloster zu
schicken. Der Talapoiue verabschiedete sich vom Papisten, und
Beide kamen überein, ihre Verbindungen aufzugeben uud bessere
Zeiten abzuwarten. Diese erschienen, als Mongkut deu Thron be-
stieg, und der König hat seinem frühern Lehrer bis zu dessen Tod
eine treue Freundschaft bewahrt.
Er bewies sie anch, als Paillegoix gestorben war. Der edle
Priester und gelehrte Mann, dessen wir unsererseits ganz besonders
erwähnen, weil er sich Verdienste um die Länder- und Völkerkunde
erworben, war allgemein beliebt. Als sein Ableben bekannt
wurde, flaggten alle Konsulate zum Zeichen der Trauer am halben
Mast. Mongkut schrieb sofort an die Missionäre, daß er seine
Freundschaft durch Erhöhung der Leichenfeierlichkeiten seinerseits
zn beweisen wünsche, und fügte zart bei: „so viel die Bräuche der
christlichen Religion dergleichen statthaft erscheinen lassen." Der
Verstorbene sei ihm ein wahrer Freund gewesen, und durch
Paillegoix sei zwischen ihm und Seiner Heiligkeit Papst Pins,
dieser „höchsten Majestät der Welt" ein Briefwechsel vermittelt
worden. Auch die Prinzen und hohen Mandarinen bezeigten
ihre Theilnahme.
Die Feierlichkeiten fanden mit allem üblichen Pomp statt.
Die Leiche wurde in einen doppelten Sarg gelegt und anf das
316
Kleine Nachrichten.
beleuchtete Trauergerüst gestellt. Drei Tage dauerte die Feierlich-
feit; sie begann am ersten Juli. Achtzig Christen aus Auuam
trugen den Sarg, der aus ein bewegliches Gerüst gestellt wurde.
Diese asiatischen Bekehrten waren mit weißen Beinkleidern und
weißem Turban bekleidet; das ist so Brauch in ihrem Heimatland.
Ein Führer derselben Nation eröffnete den Zug und schlug dabei
mit zwei Stäben gegeneinander. Den bischöflichen Ornat trugen
die siamesischen Zöglinge der Missionsanstalt.
Die Himmelfahrtskirche liegt im südlichen Theile von Bangkok,
die Empsängnißkirche im nördlichen. In beiden waren prächtige
Katafalke errichtet. In der letztern sollte Bischof Paillegoix beige-
setzt werden, und dorthinging, von der erstern aus, der Zug. Die
Entfernung zwischen beiden Punkten beträgt mehr als zwei Weg-
stunden und zwar auf dem Strome, welcher die Hauptver-
kehrsstraße von Bangkok bildet. Es handelte sich demnach
um einen Begräbnißzng zu Wasser.
Mougkut ließ drei Palastdschonken ausschmücken, deren jede
von fünfzig bis sechszig Männern gerudert wurde. Auf die
größte dieser Barkeu sollte der Sarg gebracht werden, und der
König hatte dazu einen hohen Thronhimmel Herrichten lassen;
die beiden anderen Barken bildeten das Gefolge. Auch der erste
Minister stellte zwei Galeeren, jede mit vierzig Ruderern, und
diese sollten den Zug eröffnen. Alle Ruderer waren gleichmäßig
gekleidet; jene in den königlichen Barken saßen, die in den anderen
ruderten im Stehen. Mongkut ließ zwei Geschütze vor der Em-
psängnißkirche ausfahren, und als der Sarg beigesetzt wurde,
fünfzehn Schüsse geben.
Dieser Leichenzug bot einen großartigen und für einen Euro-
päer in jeder Hinsicht überraschenden Anblick dar. Auf seiner
Wasserfahrt mnßte er am königlichen Palaste vorüber, und der
König kam an die Schiffslände hinab, um seinem Freunde noch
einen Beweis aufrichtiger Theiluahme zu geben.
Alle in Bangkok anwesende Europäer und viele eingeborene
Christen hatten sich in der Himmelfahrtskirche versammelt. Als
der Sarg hinausgetragen wurde, präseutirteu die Soldaten, welche
der König aufgestellt hatte, gingen dann zu beiden Seiten des
Zuges und die Regimentsmnsik spielte einen Trauermarsch. Das
war am ersten Juli.
Am folgenden Tage fand die große Procession auf dem Flusse
statt. Schon in aller Frühe waren die Geistlichen, Konsuln, die
Europäer überhaupt Und die Christen in der Kirche versammelt,
auch hatten sich viele buddhistische Mandarinen eingefunden. Nach
Vollziehung der Kirchengebräuche wurde der Sarg an's Ufer ge-
tragen, wo alle Barken bereit lagen. Nun fuhren sie stromauf,
voran ein großes, von achtzig Annamiten gerudertes Boot; auf
diesem befand sich die Regimentsmusik und spielte Trauermärsche.
Dann folgten zwei prachtvoll aufgeschmückte Barken, jede mit
vierzig Ruderern; sie fuhren neben einander, und hinter ihnen,
gleichen Strich haltend, die übrigen Fahrzeuge, welche den Zug
bildeten, zunächst die Barken der verschiedenen religiösen Brüder-
schaften und der Priester, deren jeder sein besonderes Schiff hatte.
Nun erst kamen die drei königlichen Dschonken; aus der, welche den
Sarg enthielt, wehte eine schwarze Fahne; die Ruderer, lauter
Siamesen, waren in Trauer gekleidet. Das übrige Gefolge be-
stand aus eiuer großen Menge anderer Barken, voran jene der
Konsuln und vornehmen Mandarinen. An beiden Stromufern stand
eine unzählige Menschenmenge. Nie zuvor hatte man in Bangkok
solch ein eigentümliches Schauspiel gesehen.
Auf dem königlichen Palaste wehte die Reichsflagge am
halben Mast. Als dort der Zug iu Sicht kam, verließ Mongkut,
begleitet von der königlichen Familie, seine Gemächer, stieg hinab
und ging auf einen für ihn bereit liegenden Dampfer, um von dort
den Zug in der Nähe zu betrachten. Als die Barken der Mis-
sionäre an ihm vorüber kamen, nahmen die Ruderer ihre Hüte ab
und wollten, nach Landessitte niederknieen, aber der König wehrte
das durch Zeichen ab und erwiederte freundlich die Grüße der
Geistlichen. Er gab einem christlichen Mandarinen eine mit Geld
gefüllte Börse, um den Armen Almosen zu spenden.
So gelangte der Zug nach der Empsäuguißkirche, wo der
Sarg am andern Tage beigesetzt wurde.
Interessant ist ein Brief, welchen Mongkut am 9. Juli 1862
an die Missionäre schrieb. Sie hatten ihm zum Andenken einen
Ring übersandt, welchen der Verstorbene getragen. Der König
dankt dafür und schreibt: „Der hochwürdige Bischof von Mallos
ist acht uud zwanzig Jahre lang mein guter, inniger und anfrich-
tiger Freund gewesen. Der Inhalt Ihres Schreibens und das Ge-
schenk haben mir große Freude gemacht. Diesen geweihten Ring,
— ich habe ihn gleich wieder erkannt — trug der Selige, als er
mich zum ersten Male besuchte; er hat ihn späterhin mir gezeigt.
Er trug ihn am Finger, wenn er den Segen sprach über das christ-
liche Volk. Mit Vergnügen vernehme ich den Wunsch, welchen
Sie mir ausdrücken: daß dieses Erinnerungszeichen an meinen
intimen, seligen Freund auch für mich eine Quelle des Segens
sein möge."
Wir wollen hinzufügen, daß König Mongkut der eiuzige
Mouarch iu Asien ist, der niemals mit den Europäern in irgend
welche Irrungen gerieth. Unsere abendländischen Brüder sind
bekanntlich daran gewöhnt, gegen „heidnische" Potentaten sehr
übermüthig und aufdringlich sich zu benehmen, und das pflegen sie
dann „Civilisatiou" zu nennen. Aber ein Mann wie Mongkut, der
Verstand hat und alle Verpflichtungen, welche er eingeht, redlich
erfüllt, imponirt doch sowohl den Kaufleuten, welche vermeinen,
die ganze Welt sei nur des Handels wegen da, wie den Diplo-
maten, welche sich gar zu gern etwas zn thnn machen, auch sehr
häufig dann, wenn das sehr vom Uebel ist.
Kleine lt
Der Flächeninhalt der Schweiz endlich genau bestimmt.
Nach einer an uns gelangten Mittheilung des Hrn. Berlepsch in
Zürich (für Schweizerische Landeskunde gegenwärtig eine der ersten
Autoritäten) kann endlich einmal der Flächeninhalt der Schweiz
und ihrer einzelnen Kantone definitiv festgestellt worden. Bisher
variirten die Größeangaben dieses kleinen Ländchens um einige
hundert (!) Quadrat-Meileu. Reden in seiner Handels-
geographie und mit ihm Hoffmann uud Cannabich geben 096 O.-M.,
Picot in seiner Statistik 716Q.-M. (eine gegenwärtig noch in
vielen geographischen Handbücher» festgehaltene Zahl), Fransciu i
ch r i ch t e n.
in seiner Statistica clella Svizzera 732 O.-M. und Gerold Meher
v. Knonau iu seiner Erdkunde der schweizerischen Eidgenossenschaft
gar 873% Q.-M au. Durch die auf Kosten der Eidgenossenschaft
angestellten Vermessungen für das vortreffliche Düfour'sche Karten-
werk gelangte man nach und nach zu genaueren Zahlen, und aber-
malige neue Berechnungen des eidgenössischen topographischen
Bureaus in Genf ergeben jetzt, nachdem säiumtliche Meßtischblätter
vollständig vorliegen, endlich die für die Zukunft allein gültige
und wahre Größe' des Areals der Schweiz auf 41,418 Q.-Kilo-
meter oder 7522/,0 Q,-Meilen an.
Kleine
Es ergiebt sich aus der cjenaneu Ueb erficht (welche in Hrn.
Berlepsch' Reisehandbuch für die Schweiz pr. 1863 demnächst der-
öffentlicht wird), daß Graubünden mit 130,48 Q.-M. (7185
Q.-Kiloin.) der größte und Zug mit 4,34 Q.-M. (239 Q.-K.)
der kleinste Freistaat der Schweiz ist (NB. wenn man die beiden
Halbkantone Basel und Appenzell nicht trennt, in welchem Fall
allerdings die Inneren Rhoden von Appenzell mit 2,88 Q.-M.
und das Gebiet von Basel-Stadt mit 0,67 Q.-M. oder 37 Kilom.
noch kleiner sind). Der zweitgrößte Kanton ist Bern mit 125,11
Q.-M. In diesem kommen ans den Kilometer 68 Einwohner,
während Zürich deren auf gleichem Flächenraum 154 und Appen-
zell Außer-Rhoden gar 185 nachweis't, eine der dichtesten Bevölke-
rungen von ganz Europa.
'Es wäre zu wünschen, daß obige nunmehr definitive
Zahlen aus dem Globus in alle geographischen Kompendien
übergingen, um endlich eine übereinstimmende Angabe herzu-
stellen.
Zur Negerfrage. In Cairo, Staat Illinois, haben die
Aankees ein Depot errichtet, in welchem flüchtige Sklaven oder
solche Neger, welche man ihren Herren raubt, untergebracht
werden. Man bekümmert sich aber wenig um diese Nigger, nach-
dem man sie „befreit" hat. Im Jankeelande bedeutet das so viel,
als diese armen, verführten und betrogenen Schwarzen dem klag-
lichsten Elende preisgeben. Die Depotgebäude siud schmutzig, und
es wimmelt in ihnen von Natten derart, daß die Schwarzen lieber
im kaltenWinter im Freien blieben, Tag und Nacht. Im December
kam eine alte Negerfrau nach Cairo und ging Abends in ein
Depot. Am andern Morgen fand man, daß sie von den Ratten
überwältigt und bei lebendigem Leibe zu mehr als der Hälfte auf-
gefressen worden war. Philanthropie!
Die tiefe Abneiguug der Weißen gegen den Neger tritt anch
in Eanada sehr stark'hervor. Die abolitionistischen Uankees habeu
seit etwa zehn Jahren eine große philanthropische Diebs-
Vereinigung gebildet, welche sich als Unterirdische Eisen-
bahn-Gesellschaft bezeichnet. Die Mitglieder gaben Geld,
damit ihre Agenten in den Sklavenstaaten Neger zur Flucht be-
redeten. Diese Sklaven wurden dann nach Canada geschafft und
dort von den edlen Menschenfreunden nicht weiter beachtet. Man
hatte sie ihren Herren gestohlen, das war genug für diese Art von
Philanthropie; in Canada konnten sie dann sterben uud verderben,
waren sie doch nun „frei". Canada protestirte gegen solche Ge-
schenke und sah mit Schrecken, daß ihm uach und nach etwa 40,000
solcher schwarzen Proletarier in's Land geworfen wurden. Mehrere
Schiffsladungen hat es auf Kolouialkosteu fort und uach West-
iudieu geschafft. Die ihm unwillkommenen uud aufgezwungenen,
von ihren „Befreiern" im Stiche gelassenen Neger haben in Ca-
uada Kinder gezeugt, und es fragt sich nun, in welcher Weise den-
selben Schulunterricht ertheilt werden soll, ob in Gemeinschaft mit
weißen Kindern oder nicht. Ein zu Montreal erscheinendes Blatt,
der „Commercial Advertiser", erörtert diese Frage und bemerkt,
daß die oberste Schulbehörde sich gegeu diese Gemeinschaft erklärt
habe. Unter den Gründen für diese Entscheidung finden wir anch
den, „daß eine solche Gemeinschaft für die Weißen wider-
wärtig und für die Schwarzen von keinem Nutzen sei." Die
Neger hielten dann eine Jndiguationsversammlnng und erklärten
den Bericht für „ disrepntabel und unheilig". Das genannte
Blatt schreibt: „In jenen Theilen von Westeanada, in welchen
sich eine zahlreiche Negerbevölkerung findet, herrscht eine sehr
starke und wir glauben natürliche und erklärliche Abneigung gegen
jene Schulgemeinschaft. Es wäre reine Ziererei und Uu-
Wahrheit, in Abrede zu stellen, daß der Neger, so wie
wir ihn kennen, einer degradirteu Rasse angehört und
intellectuell wie moralisch tief unter demWeißeu steht.
Diese Inferiorität hat bei den Schwarzen Gewohnheiten und
Sitten im Gefolge, welche eine Gemeinschaft zwischen weißen und
schwarzen Kindern für die ersteren durchaus unstatthaft erscheinen
läßt. Die weißeu Eltern haben ganz recht, wenn sie ihre Kinder
nicht mit den schwarzen in eine und dieselbe Schule gehen lassen
wollen. Die Natur hat zwischen beiden Rassen eine Grenzscheide
gezogen, welche nicht plötzlich (— überhaupt nicht —) übersprungen
werdeu kauu. Diese Scheidung wird nicht allein durch die
Hautfarbe bewirkt, diese bildet nur einen geringen Theil des
Negroismns, gegen welchen der Sinn des Europäers sich
empört." —
So das canadische Blatt. Uns fällt dabei dabei ein anderer
Umstand ein. _ Vor etwa zwölf Jahren kaufte Pater Jguaz
Knoblecher in seiner Missionsstation zu Goudokoro am obern
Weißen Nil eine Anzahl von schwarzen Sklavenkindern frei und
schickte dieselben uach Oesterreich. Die Negermädcheu wurden,
irren wir nicht in Klagenfurt, in einem Nonnenkloster unter-
gebracht, und mit Liebe und Sorgfalt erzogen. Ein aufrichtig
317
philanthropischer, hochgestellter Mann iuOesterreich erzählte uns 1853
mit großer Befriedigung, wie „charmant" die kleinen schwarzen
Mädchen sich anließen, nnd daß sie eben so gut begriffen uud eben
so rasch lernten wie die weißen Mädchen, mit denen sie gleichzeitig
unterrichtet würden. Wir unsererseits machten gegen eine solche
Gemeinschaft manche ethnologische und moralische Bedenken
geltend, denen aber unser Freund entgegenstellte: „daß schwarze
Menschen gerade so gut uud ganz derselben geistigen Entwicklung
fähig seien, als weiße." Wir entgegneten, es sei ein Er-
sahrnngssatz, daß Negerkinder mit den weißen gleichen
Schritt halten könnten bis zu der Periode, wo der Knabe zum
Jüngling wird; diese tritt beim Neger um mehrere Jahre früher
ein als bei nns Europäeru. Nach derselben bleibt der Neger sta-
tionär, der Weiße aber fängt dann erst recht an, sich zu entwickeln.
Nach Jahren sahen wir unfern Freund auf dem statistischen Kon-
gresse zu Wien wieder nnd fragten nach den „charmanten Neger-
kinderu". Der Verlans war genau so gewesen, wie wir befürchtet.
Als die schwarzen Mädchen in den Uebergängen zur Jungfrau
waren, hatten sich in sittlicher Beziehung so arge Uebelstände uud
so große moralische Nachtheile für die weißen Mädchen heraus-
gestellt, daß man die Gemeinschaft rasch aufhob.
Madcr s Bemerkungen über die Otschi-Neger an der Sklaven-
killte von Guinea. Auf dem Akuapem-Gebirge in Mittel-
Westafrika (Guineaküste) uud den Thalgründen, welche diese Gebirge
dnrchschnerden, lebt der Stamm der Otschi-Neger. In diesem
vormals dänischen, aber 1850 an England abgetretenen Gebiet
arbeiten Baseler Missionäre. Ussn nnd Akropong sind ihre
Stationen. Letztere ist zugleich Hauptort des genannten Stammes,
nnd hier arbeitete eine Reihe von Jahren hindurch der Missionär
Mader, welcher neulich Mittheiluugen über die religiösen An-
schauungen dieses Volkes machte, lieber die Fetische uud die
Gestirne bemerkt er Folgendes:
Das Wort Obosom für Fetisch ist eine Zusammensetzung
aus obo — Steiu uud som — dienen, bedeutet also Stein-
dienst^ Der Otschi-Neger bezeichnet mit diesem Worte überhaupt
jeden Stein, den er sich zu seinem Gott erwählt und welchem er
göttliche Ehre erweist. Der Stein nimmt bei den Otschis eine
wichtige Stelle ein, und alle ursprünglichen Fetische siud bei ihm
Steine. Von diesen — den Hauptfetischen — verschieden sind die
Fetische der Fetischpropheten, welche erst später in Aufnahme
kamen. Nach der Ansicht dieses Volkes sind die Fetische Geister
uud dem gewöhnlichen Ange unsichtbar; nur der Fetischprophet
kauu sie sehen; mancher aber meint, er erblicke sie nicht vollständig.
Sie erscheinen nicht immer in derselben Gestalt und Kleidnng,
sondern wechseln sehr oft; sie werden sichtbar als Könige, Minister
u. s. w., oft auch als Bettelleute uud tobten in letzterer Stellung
einen Jeden, der ihnen keine Gabe darreicht. Der Otschi-Neger
erweist daher dem Fremden Gutes, weil derselbe möglicherweise
ein Fetisch sein könnte. Die Lebensweise der Fetische gleicht voll-
kommen jener der Menschen, anch ihre Beschäftigung ist dieselbe.
Ein Dieb, welchen der Bestohlene bei einem Fetisch verflucht,
stirbt au demselben Tage, welchen man für das Eintreffen des
Fluches bestimmt hat. Kommt dagegen der Dieb dem Bestvhlenen
znvor nnd verflucht ihn ebenfalls, so kann auch dieser sehr leicht
getödtet werden. Eine Frau, welche untreu geworden ist nnd die
That nicht einräumen will, stirbt, sobald man ihr bei einem
Fetisch flucht. Ein Mann, von welchem das Glück gewichen ist,
muß einem Fetisch Opfer bringen, uud dieser sagt ihm dann, wer
die Schuld daran trage, und belehrt ihn zugleich darüber, was er
seinem Feinde thun soll. Alles, was er demselben anwünscht,
geschieht sofort, nnd von da ab stellt sich wieder Glück bei ihm ein.
Ein kinderloses Weib verschreibt sich einem Fetisch zum Eigenthum,
wenn er ihr Kinder geben wolle. Tritt dieser Fall ein, so ist das
Kind ein Fetischkind und gehört dem Fetisch.
Es giebt Fetische, welche tobten, und solche, die das Leben
erhalten, z. B. der Fetisch Dasikyi im Voltastrome bei Akwam.
Hexen werden nicht getödtet, weil sie bei Nacht die
Lichtträger der Fetische siud.
Die Fetische, als Kinder Gottes, führen die Aufsicht über die
Menschen. Wer sich durch schlechte Aufführung ihre Ungnade zu-
gezogeu, wird getödtet. Zu diesem Zwecke verwandeln sich die
Fetische in reißende Thiere oder Bäume uud bringen ihn nm's
Leben. Die Europäer gelten für die Brüder der Fetische,
weil die Hautfarbe einiger Fetische weiß sei. Die Fetische spielen
zugleich die Rolle der Vermittler zwischen dem höchsten Wesen mit
den Menschen.
Die Sterne, der Mond und die Sonne sind bevorzugte Diener-
Gottes, weshalb er ihnen anch einen Lichtglanz verliehen hat, be-
sonders der Sonne. Diese schaut vermittelst ihres hohen Licht-
glanzcs voll Güte und Wohlwollen herab auf die Erde, weicht
318 • Kleine
von ihrer Bahn nicht ab und erscheint daher auch alle Morgen regel-
mäßig wieder. Obwohl ihr Lichtglanz sehr stark ist, so verübt sie
doch keine solche Gewaltthätigkeit wie der Mond bei Nacht. Dafür
erscheint dieser auch nicht jeden Tag, sondern nur alle dreißig Tage
weniger zwei. Der Mond ist ein Mörder, weil er die
kleine Todtentrommel mit sich führt. Beim Tode eines
Königs wird nämlich die Todtentrommel geschlagen, und die
Mon'dflecken sind nach der Ansicht des Otschi-Negers die Todten-
trommel. Wenn der Mond dieselbe schlägt, dann sterben viele
Menschen; geht er voll auf, so erscheinen mit ihm die verschieden-
artigsten Krankheiten, und deshalb leidet das höchste Wesen nicht,
daß er alle Tage voll sei, weil sonst alle Bewohner der Erde
sterben würden. Wegen seiner großen Geschicklichkeit im Trommel-
schlagen behält ihn aber Gott noch. Der Mond ist der Oberste
nnter den Trommelschlägern des Himmels und ruft als
solcher durch das Schlagen der Trommel die Himmelsbewohner
zusammen, lös't auch die Versammlung durch Trommelschlag
wieder auf. Die Sterne stiften Kindersegen.
Richard Burton iilier Wcstafrika. Der vortreffliche Reisende
ist wieder nach Fernando Po zurückgefahren, nachdem er in der
Times noch einmal sich sehr verständig über den „schwarzen Erd-
theil" ausgesprochen hat. Unsere Leser kennen seine Ansichten über
die Gründung einer Strafkolonie ans dem Camerones-
g ebirg e (Globus Nr. 32 S.239); Burton hat dieselbe wiederholt
scharf betont. Er schildert, daß Afrika jetzt noch völlig wild sei;
aber es liege in der Hand der Europäer, sich in hochgelegenen und
gesunden Gegenden anzusiedeln. Die Besitzungen an der Küste,
Faktoreien wie Sierra Leone und Bulama, seien in dieser Be-
ziehung nur von geringem Werth. In den zweckmäßig gelegenen
Oertlichkeiten müßten, sagte er, deportirte Sträflinge, als Vor-
länfer rechtschaffener Kolonisten und mit Hülfe von Negern, die
schwersten Arbeiten verrichten. Dann fährt Burton fort:
„Mau hat mich gefragt, was aus dem Mulatteng es ch lech t
werden solle, welches durch Vermischung der weißen Deportirten
mit schwarzen afrikanischen Frauen entstehen würde. Meine Ant-
wort ist: ein solches Mulattengeschlecht kann und wird
nicht permanent sein. Ich kann an diesem Orte nicht in eine
anthropologische Untersuchung eingehen, aber ich habe die feste
Ueberzengnug, daß ein Mulatte in der That ein
Quasi-Maulthier ist, dessen Abkömmlinge durchgän-
gig unfruchtbar sind. Sie erlösch en und verschwinden,
wenn sie nicht Blut aus einem der beiden und ermischten
Typen erhalten, und dann erfolgt ein Rückschlag zu
einem dieserreinen Typen."
Wir halten diese Ansicht Bnrton's für durchaus richtig und
werden unsererseits in den Ethnologischen Beiträgen gelegentlich
Beweise dafür beibringen. Mischlinge, welche Produkte ganz ver-
schieden«: Rassen sind, werden von der Natur nicht über die dritte,
höchstens vierte Generation fortgepflanzt. —
Baumwolle,— denn wer kann jetzt in England Etwas
über fremde Erdtheile sagen, ohne der Baumwolle zu erwähnen,—
kann, wenn Arbeitskräfte vorhanden sind und geleitet werden, am
Niger nnd in den Bimbiabergen in jeder beliebigen Menge gebaut
werden. Man sollte die Deportirten dafür benutzen. An der
Meeresküste selbst darf man keine weißen Menschen ansiedeln; aber
in der Cameronesgegend steigt das Gelbe Fieber nicht über
500 Fuß Meereshöhe; andere Fieber gehen nicht über 2500 Fnß
und tropische Krankheiten überhaupt bleiben unter 7000 Fuß
Meereshöhe.
Mason's und Dixon's Linie. So bezeichnet man bekannt-
lich sehr oft die Grenzlinie, welche in der seitherigen Union in Nord-
amerika die nichtsklavenhaltenden Staaten von den sklavenhalten-
den trennt. Im gemeinen Leben nennt man die letztere auch wohl
kurzweg Dixie.
Woher kommt diese Benennung? Der Gegensatz zwischen
Norden nnd Süden ist nicht erst von gestern, sondern stellte sich
schon heraus, bevor die Union überhaupt gebildet wurde. Man
zog eine Linie zwischen den protestantischen Pennsylvaniern und
dem damals vorzugsweise katholischen Maryland. Lord Balti-
more, Gründer der letztern Kolonie, und Wilhelm Penn waren in
Streit über Grenzansprüche zwischen den beiden damaligen Pro-
vinzen; dieser dauerte von 1083 an etwa achtzig Jahre lang und
wurde manchmal, ohnehin durch religiöse Abneigungen noch ver-
bittert, sehr heftig. Endlich wurden Feldmesser ernannt, damit
man doch einmal über die Grenzgegend in's Klare komme. Sie
begannen mit ihren Arbeiten am Äap Henlopen, Delaware-Bay,
und sollten von dort eine Linie gerade nach Westen hin ziehen bis
zu einem Punkte, welcher mittewegs zwischen jenem Kap und der
Küste der Chefapeake-Bay liegt. Bon diesem „Mittelpunkte" sollte
die Linie nördlich gehen und dann geradeaus westlich bis an die
Westgrenze beider Provinzen. Die Feldmesser vollendeten die
Arbeit, aber beide Theile waren mit derselben nicht zufrieden,
weil jeder sich beeinträchtigt glaubte. Sie veranlaßten, daß zwei
englische Mathematiker, Charles Mason und Jeremiah Dixon,
eine neue Vermessung vornahmen; diese war nach drei Jahren
(1767) vollendet. Es ergab sich, daß die Arbeit jener Feldmesser
ganz richtig war.
Die Linie zog durch das frühere Gebiet der Leni-Lenape's
(Delaware - Indianer ), welche sich außerordentlich beunruhigt
fühlten, als sie die Mathematiker sahen, welche Nachts dnrch
lange Röhren nach den Sternen guckten und mit langen Ketten
Grund und Boden vermaßen. Als die Linie einen durch Urwald
ziehenden Kriegspfad der Indianer erreichte, erklärten diese, daß
sie weiteren Ausnahmen des Landes mit bewaffneter Hand Wider-
stand leisten würden. Die Geometer kehrten dann nach Phila-
delphia zurück.
Am Ende jeder fünften Meile wurden, der Grenzlinie ent-
lang, Steine gesetzt; sie waren aus der einen Seite mit dem
Wappen Lord Baltimore's, auf der andern mit jenem der Familie
Penn bezeichnet. Außerdem setzte mau in Entfernungen von je
einer Meile kleinere Steine, welche mit M. (Maryland) und P.
(Pennfylvanien) bezeichnet waren. Diese Steine ließ man aus
England kommen!
An diese Grenzlinie knüpfte das Volk allerlei Aberglauben.
Da, wo die schnurgerade nach Westen lansende Abtheilung der-
selben beginnt, lag die Ortschaft Newcastle, nnd um dielbe herum
war ein zwölf Miles im Umfang haltender Kreis vermessen worden,
eine Art von neutralem Ausgangspunkte. Dort sollte es nicht
ganz geheuer sein, es war gleichsam behexter Grund und Boden.
Die Wappenzeichen auf den Fünfmeilen-Steinen sahen auch so
geheimnißvoll aus; es ging dabei gewiß nicht mit rechten Dingen
zu, und noch heute steht der „Sterngucker-Stein" am Anfange
der Linie, wo die Feldmesser astronomische Beobachtungen gemacht
haben. Unter demselben vermnthete man einen Schatz und er
wurde einmal heimlich aufgenommen, weil unermeßliche Gold-
summen eines Kapitän Kid dort vergraben sein sollten. Ein im
Land umherziehender Schwindler, welcher sich für einen „Geist"
ausgab, datirte 1797 seine Orakel aus: „Dreizehn Miles von
Newcastle, Delaware."
So verhält es sich mit der Masons- und Dixons-Linie.
Sie sollte eine „Friedenslinie" sein. Die Deutschen und Quäker
iu Pennsyvanien verkauften, als die Einwanderung stärker wurde
nnd sie uuu keiner Sklaven mehr bedurften, weil weiße Arbeit
billiger war, ihre Neger um theures Geld an ihre südlichen Nach-
barn, zu welchen des heißern Klimas wegen weit weniger
Emigranten kamen, und wurden — „Abolitionisten". Das kostete
sie nichts.
Neue Staaten in Nordamerika. Während die bisherige Union
der Vereinigten Staaten auseinandergefallen nnd keine Aussicht
vorhanden ist, daß sie in der alten Weise wieder hergestellt werden
könne, schicken mehrere „Territorien" sich an, als Staaten in den
Nordbund einzutreten. Der Anschluß an diesen wird durch die
geographische Lage dieser Gebiete bedingt. Ein Territorium, das
wünscht, als Staat aufgenommen zu werden, hat diese Absicht
dem Kongresse zu melden, welcher das Gesuch einem Ausschusse
zur Begutachtung überweist. Ein solcher hat nun entschieden, daß
der Aufnahme der bisherigen Gebiete Nevada, Colorado,
Nebraska und Utah kein Hiuderuiß im Wege stehe, voraus-
gesetzt, daß iu Utah, dem Mormonenstaate, die Vielweiberei ab-
geschafft werde. Dazu werden die Mormonen sich auf keinen Fall
verstehen, und der Washingtoner Kongreß hat ohnehin kein ver-
faffuugsmäßiges Recht, ein solches Verbot zu erlassen.
Die Staatengruppe am Stillen Ocean wird durch
Nevada vermehrt werden; dieser Staat liegt östlich von der
Sierra Nevada, und zu ihm gehören auch die höchst ergiebigen
Silbergrnben von Washoe. Die übrigen Staaten der Gruppe
siud Calisoruien und Oregon. Der nördliche Theil des
letztern ist als Territorium Washington abgezweigt worden;
dieses wird aber spätestens binnen drei Jahren die hinlängliche
Einwohnerzahl haben, um einen Staat _ zu bilden. Diese
„paeisische Gruppe" ist offenbar dazu bestimmt, künftig einen
selbständigen Staatenbund zu bilden; in jener Gegend liegt eine
große Zukunft.
Colorado liegt an und iu den Rocky Mountains, da wo
die Prairieu au's Hochgebirge stoßen; es ist die Region der Gold-
gruben am Pikes Pik.
Die Gebiete Arizona, Idaho nnd Neofho sind noch
schwach besiedelt und werden erst nach Verlans längerer Zeit sich
zu Staaten bilden können.
Kleine
Britisch-Columbia ȟb die Insel Vancouver. Diese junge
Kolonie an der Nordwestkiiste Amerikas nimmt einen ungemein
raschen Aufschwung, und der Hafenplatz Victoria auf der Jusel
Vancouver hat sich binnen zwei Jahren zu einer mächtigen Stadt
emporgeschwungen. Früher lief dort alljährlich eiu einziges Schiff
ein; es brachte die Waarensendung der Hudsonsbay-Kompaguie
aus Europa und fuhr mit Pelzwerk beladen wieder zurück. Jetzt
hat die Stadt drei große Gasthöfe und eine Menge von Kost-
Häusern; an den Werften liegen die Schiffe drei Reihen tief. Die
vielen schon vorhandenen Magazine sind mit englischen Gütern
gefüllt nnd im December 1862 waren mehrere Dutzend neuer
WaarenhäNser im Bau. Victoria ist Hauptsammelpunkt für die
„Miners" und Alles, was mit diesen Goldgräbern zusammen-
hängt; es wird aber auch als Handelsstadt einst eine ähnliche Rolle
spielen wie San Francisco in Califoruieu, ein Mittelpunkt sein, von
welchem ans die Haudelswaareu nach Norden hin sich bis zn dem
russischen Sitka nnd nach Westen hin bis zu den Sandwichsinseln
vertheilen. Die Einwanderung strömt in großen Zügen herbei,
nnd viele Ansiedler wenden sich dem Betriebe von Gewerben zu.
Eine mit beträchtlichen Geldmitteln arbeitende Gesellschaft betreibt
das Räuchern des Lachses und des Hörings iu großem Maßstab,
und hat mit dem Export dieses Fabrikats begonnen. Nach dem
drei Miles entfernt liegenden Esqnimalt, das einen ganz vor-
trefflichen Hafen hat, soll im Laufe dieses Jahres eine Eisenbahn
gebaut werden; die Umgegend ist von Ackerbauern in Besitz ge-
nommen worden, und die Stadt selbst, in welcher sich bereits zwei
Lagerbierbrauereien befinden, wird mit Gas beleuchtet. Die
Deutschen haben ihren Turnverein und ihre Lieder-
t afel; eine Handelsbank, eine Seeafsekurauz sind im Entstehen,
am Schauspielhaus? wird fleißig gebaut; auch besteht ein Jockey-
klnb. Für das Schulwesen sind sehr beträchtliche Summen ans-
geworfen worden.
Unter den Ausfnhrwaaren ist bis jetzt noch das Pelzwerk
von Bedeutung gewesen, aber das Monopol, welches die Hudsons-
bay- Kompagnie besaß, ist 1859 abgeschafft und der Pelzhandel
freigegeben worden. Durch die Konkurrenz vieler Käufer wurde
es den Indianern möglich, höhere Preise als früher für das Pelz-
werk zn erzielen; aber sie bekommen nun Branntwein so viel sie
wollen, was zur Zeit des Monopols nicht der Fall war. Ein be-
trunkener Indianer ist im höchsten Grad unbändig, uud seit
einigen Jahren sind die Fehden unter den wilden Jägerstämmen
so häusig und blutig geworden, daß diese Söhne des Waldes,
durch das Feuerwaffer bethört, sich gegenseitig ausrotten. Auch
die Pelzthiere werden immer seltener. Die Hudsonsbay-Kompagnie
schonte dieselben, namentlich die Weibchen, welche trächtig waren;
jetzt aber wird daran nicht mehr gedacht.
Außer dem Pelzwerke kommen noch Häute, Fischthrau und
Gold zur Ausfuhr; iu New-Westmiuster, der Hauptstadt von
Britisch-Columbia, ist eine Münze, die aber in Victoria weit besser
am Platze wäre. Es ist ein Fehler, daß Columbia uud Vancouver
zwei besondere Kolonien bilden; man hätte sie von vornherein
vereinigen sollen.
Vancouver ist reich an Bau- und Nutzhölzern, die in
Menge zur Ausfuhr gelangen, aber seinen Hanptschatz bilden
Steinkohlen, die um 10 Procent leichter sind als jene aus
Wales, aber sich für alle Zwecke, auch für Dampfmaschinen,
vortrefflich eignen. Victoria allein verbraucht monatlich schon
7000 Tons Kohlen.
Eine Ansicht über Polen. Es ist richtig, daß bei dem
gegenwärtigen Aufstand in Polen manche Insurgenten auch ein
communistisches Programm verwirklichen möchten. In Hinblick
darauf äußert ein Berliner Blatt Folgendes.
Die Polen müssen es uns Deutschen schon zu gute halten,
wenn wir mißtrauisch gegen sie werden. Die Ereignisse jenseits
der Grenze zeigen, daß dieBesorgniß vor einem Versuche, die Bar-
tholomäusuacht oder die Sicilianische Vesper zu wiederholen, nicht
ganz ohne Grund ist. Die Leidenschaften des gemeinen Mannes
sind offenbar auf das Höchste augestachelt. Er soll der Erbe des
beseitigten Deutschen oder Juden werden. Der Landmann em-
psängt, wenn dies nahe goldene Zeitalter hereingebrochen, die
heilige polnische Erde wieder, welche der deutsche Nachbar für
schweres Geld gekauft hat. Die schönsteu Häuser in den Städten
werden auch ueue Herren bekommen, und der polnische Glaube
wird der alleiuherrschende in dem heiligen polnischen Laude sein.
Der von den Deutschen bedrohte Papst (!) wird sicher in
Rom weilen können. Gott verzeihe es Denen, die solche Toll-
heiten kolportiren! Der gemeine Mann glaubt Alles, was ihm
von gewisser Seite mitgetheilt wird. Er weiß von der Vergangen-
heit nichts mehr. Die Alten, welche „die gute polnische Zeit"
selbst mit erlebt haben, sind stumpf oder todt. Die jetzige Geue-
ration weiß von der alten Zeit nichts mehr, als man für zweck-
chrichten. Zig
mäßig hält, ihr mitzntheilen. Man sage nicht, der polnische
Bauer sei durch Schaden klng geworden. Er ist seiner Natur
nach sehr harmlos; er hat sogar viele gnte Eigenschaften und
würde Niemand zu nahe treten, wenn er nicht aufgehetzt wird;
aber das geschieht eben reichlich. Schlimmer ist das Proletariat
der kleinen Städte, meistens ans verkommenen Handwerkern be-
stehend. Es ist zu Allem fähig, hat gar Nichts zu verlieren, im
Gegentheil hofft es auf: Beute.' Es giebt genug verständige Polen,
die das einsehen; ihre Stimme aber wird im entscheidenden Mo-
ment verhallen. ^ Neulich zankte sich ein Proletarier mit einem
Juden ans der Straße. Drohend streckt Ersterer ihm die Fänste
entgegen und ruft ihm zu: Warte nur uoch kurze Zeit, dann wirst
Du was erleben! Der Jude lief erschreckt fort.
Franen nnd Nadelarbeit. Diese sind in den meisten Ländern
unzertrennlich von einander, aber in Abyssinien wird die
Nadel von der Frau verachtet. Der Missionär H. Stern
bemerkt, daß die Abyssinierinnen, trotz ihrer großen Vorliebe für
gestickte Kleider, nie eine Nadel in die Hand nehmen; sie wissen
mit einer solchen gar nicht umzugehen. Jeder Stich wird von
Männern gemacht. „Es ist mir immer komisch vorgekommen, wenn
ich einen Manu von riesenhaftem Wuchs und mit gewaltigem Boll-
bart da sitzen nnd was das Zeug halten wollte, nähen sah,
während Mädchen nnd Frauen alle Verrichtungen besorgten,
welche bei uns reiche der Stallknechte sind. Mehrmals versuchte
ich in dieser Beziehung eine Aendernng einzuführen; das erregte
aber einen großen Unwillen und ich mußte die Sache fallen
lassen. Auch das Kleiderwaschen ist lediglich Angelegenheit der
Männer. Freilich haben die Abyssinier eine große Abneigung
gegen reines Leinen und gegen cin sauberes Gesicht; wenn aber
einmal das Gewand (die Schama) gereinigt werden soll, dann
geschieht es von stämmigen Kerlen, die hinter dem Pfluge besser
am Platze wären. Die Franen holen Holz und Wasser, säubern
die Ställe, bereiten Brot und kochen."
Seidenbau in den La Plata-Ländern. Bisher hat Europa
den größten Theil seiner ausländischen Seidenznfnhr aus China
bezogen, und dieselbe ist in den letzten Jahren durchschnittlich auf
70,000 Ballen und mehr gestiegen. Zu uicht geringem Theil muß
sie baar bezahlt werden, nnd dadurch ist der regelmäßige Abzug
des Silbers^beträchtlich vermehrt worden. Nun zeigt sich aber
vielfach iu Südeuropa das Bestreben, die Seidenzncht auszu-
dehnen, und ein Gleiches ist der Fall mit Uruguay und Para-
guay in Südamerika. Iu der Umgegend von Montevideo, wo
viele tansende von Italienern wohnen, haben die Versuche ein nn-
gemein güustiges Ergebniß geliefert, uud die erste Seuduug von Co-
cons, etwa 70 Pfund schwer, ist im December nach Paris gelangt.
In Uruguay gedeiht die, jetzt auch iu unseren Gärten sehr häufige
Ricinuspflanze vortrefflich; sie wird binnen wenigen Mo-
nateu ein paar Ellen hoch und hat viele acht bis zwölf Zoll breite
Blätter. Diese letzteren sind das beste Futter für eiue Seideu-
Wurmart, welche man aus zwei Varietäten züchtet. Die eine ist
der Ricinuspflanze eigenthümlich, die andere ist Ailanthns glan-
dnlosa, welche gleichfalls in europäischen Gärten vorkommt/ In
dem günstigen Klima jener südamerikanischen Gegenden hat man
in einem Jahre nicht weniger als sechs Seidenernten gemacht.
Ein Seidenzüchter aus Asuucion, der Hauptstadt von Paraguay,
bemerkt, daß er von einem Acre Landes etwa zwei Millionen
Cocons gewinne, welche ungefähr acht Centner Seide geben.
Daß gleichzeitig mit der Seideuzncht in den La Plata-Ländern
auch der Baumwollenban große Aufmerksamkeit erregt, ist von
uns schou früher im Globus erwähnt worden.
Akklimatisirte Thiere in Australien. Wir finden über
diesen mehrfach von uns erwähnten Gegenstand einige neue.An-
gaben. Weiße Schwäue, welche als ein Geschenk der Königin
Victoria nach Neuseeland gekommen sind, gedeihen nnd haben ge-
brütet. Vou einem Paar can a d isch er Gä nse entflog ein Thier;
das andere vermischte sich mit den gewöhnlichen Gänsen nnd es ist
eine sehr hübsche Kreuzung herausgekommen. Taucher kommen
sehr gut vorwärts. Das Alles gilt von North Shore Lake auf
Neuseeland. — In Victoria erwartet man Rehe. Hasen, Feld-
Hühner, Krähen und Sperlinge aus Europa; Hirsche, Kaschmir-
ziegen und schwarze Feldhühner kamen aus Indien; afrikanische
Strauße, Fasanen, Hühner und Antilopen vom Vorgebirge der
Guten Hoffnung. Zu Miumi in Neusüdwales befinden sich die
vor einigen Jahren eingeführten Angoraziegen sehr wohl; sie
liefern viel Wolle, rnid ihr Fleisch wird dem allerbesten Hammel-
fleische gleichgestellt. Sie lammen jährlich zweimal und bekommen
gewöhnlich zwei Lämmer.
320
Kleine Nachrichten.
Die Kaffeeansfnhr Brasiliens hat im Jahre L862 sich auf
1,485,220 Säcke gestellt, gegen 2,069,627 im Vorjahre. Während
nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika 1861 exportirt
wurden 741,152 Säcke, gingen wegen des Krieges im verflossenen
Jahre dorthin mir 385,479 Säcke. Deutschland bezieht direkt nicht
viel brasilianischen Kaffee, der bei nns nicht beliebt ist; Hamburg
und Altona erhielten 21,879, Bremen bekam 15,362 Säcke. Die
wichtigsten Abnehmer für den Brasilkaffee sind die B. Staaten und
die Häfen am Mittelländischen Meer. Im Durchschnitt kommen
jährlich zwei Millionen Säcke zur Ausfuhr.
Baumwolle in Queensland. Wir haben derselben mehrfach
erwähnt; die Kolonisten hegen offenbar große Hoffnungen und
geben sich alle Mühe, englische Kapitalien in ihr Land zu zieheu.
Ein Herr Herbert, Sekretär der Kolonie, hielt im Januar zu
Manchester einen Vortrag, in welchem er die Dinge in ein sehr gün-
stiges Licht stellte. Als besonders geeignet schilderte er einen etwa
60 Miles breiten Landstreifen an dem Seehafen nnd an den schiff-
baren Flüssen, nämlich den Brisbane-Distrikt, die Flüsse Mary,
Fitzroy und die Keppelbay unter dem Wendekreise des Steinbocks;
ferner die Gegend bei Port Denison und das Land au der Edge-
cumbebay. Er rühmte das Klima als ungemein gesund; nach
dem, was wir aus Marcet's Schilderungen mitgetheilt haben,
werden die Leser des Globus in dieser Beziehung einige Zweifel
hegen.
Sir Charles Nicholson hob hervor, daß der Baumwollen-
bau in Queensland vorerst etwas Künstliches an sich trage. Ein-
mal seien die Preise gegenwärtig ganz beispiellos hoch; die Legis-
latnr der Kolonie zahle eine Prämie von 5 bis 10 Pence für das
Pfund, und gebe Baumwollenbauern Land unentgeltlich. Unter
solchen Umstanden könnten weiße Arbeiter bei den jetzigen hohen
Löhnen, nämlich i2/3 bis 3 Thaler per Tag, den Bau betreiben.
Aber mau thue am besten, asiatische Kulis dafür zu ver-
wenden. In Queensland wird die Banmwollenstaude peren-
nirend und trägt sechs bis sieben Jahre. Aber das Gedeihen hängt
vorzugsweise von den Arbeiterverhältnissen ab. Daß man auf
die Dauer 5 bis 15 Schillinge Tagelohn bezahlen könne, ist nn-
denkbar. Die Einführung von Kulis erscheint demnach als eine
Lebensfrage.
Vou der Arbeit freier Neger will mau nichts wissen; die
Erfahrung hat gelehrt, daß man sich auf dieselbe gar nicht ver-
lassen kann, wohl aber anf jene der Malabaren und Chinesen.
Ostindische Baumwolle. Im Jahre 1862 wurden davon
697.862 Ballen nach England gebracht; 1861 nur 356,495 ; 1860
nur 168,263 Ballen. In 1859 177,398; 1858 319,574 Ballen.
Man hofft 1863 die Ausfuhr ostindischer Baumwolle auf eine
Million Ballen zu bringen. In Ostindien hat ein solcher nur
375 Pfund, in Nordamerika 445 bis 450 Pfund.
Die Eisenbahn von Ealcntta nach Benares ist im December
1862 ihrer ganzen Länge nach eröffnet worden. Die Strecke von
540 Miles wird in 25 Stunden zurückgelegt, und der Fahrpreis
beträgt in der ersten Klasse 5 Pfd. St. 5 Schill. 3 Pence, in der
zweiten die Hälfte. Zwischen Benares und Allahabad ist die
Bahn noch uicht volleudet, und man bedient sich der Postwägen;
aber bei Allahabad beginnt der Schienenweg wieder nnd geht über
Kahnpur (Cawupore) nach Agra. Aus der Beuaresbahn sind so-
genannte Schlafwägen nach amerikanischem Muster angebracht.
In den Eisenbahnen von Großbritannien nnd Irland
war bis zu Ende des Jahres 1861 das ungeheure Kapital vou
362,327,338 Pfd. Sterling angelegt worden. Die bei weitem
größte Anzahl der Schienenwege befinden sich im Besitz von zwölf
großen Kompagnien; das Kapital einer derselben, der „Great
Western", beträgt 28,184,474 Pfund Sterling!
Unterseeischer Telegraph zwischen Sardinien und Sieilien.
Derselbe ist zu Ende des Jahres 1862 gelegt worden. Unweit von
Caglian, bei Porto Gionco, etwas nördlich vom Cavallo-Lencht-
thnrm, am Kap Carbonaro liegt der sardinische Ausgangspunkt;
jener auf Sieilien bei einem alten Saracenenthurm, dem Torre
Nnbia, anderthalb Miles von Trapani nnd 12 Miles von Mar-
sala entfernt.
Deutsche Kanflente tu St. Petersburg. Die Waareuein-
fuhr dieses Hafens betrug im Jahre 1862 den Werth vou
80,754,391 Silberrubeln, die Ausfuhr, mit Einschluß des baareu
Geldes, 60,657,399 Rubel. Die bedeutendsten Importeure waren
Müller und Hauff mit 5,396,750 Silberrubel, Katharine Hoff
und Comp. 3,572,500 R.; I. E. Güutzberg mit 2,968,863, L.
Knoop n. Comp, mit 2,521,800 R. Unter den großen Import-
Häusern befindet sich nur ein russisches, Gebrüder Elipejeff, mit
4,233,232 R. Die eben erwähnten deutschen Häuser stehen auch
in den Exportlisten voran, nnd zu ihnen kommt noch Wyneken nnd
Compagnie mit 2,436,216 Silberrnbel.
Wieder ein neuer Webestoff. Die Banmwollennoth macht
erfinderisch. Jüngst gaben wir im Globus eine Uebersicht von
Webestoffen, welche in unseren Tagen eine erhöhte Bedeutung ge-
Wonnen haben; es scheint nun, als ob abermals ein neuer hinzu-
kommen solle. Wir finden in einem Neuyorker Blatte folgende
Angabe. — Herr H. Hawfon hielt im Franklin-Institute zu Phila-
delphia einen Bortrag, in welchem er nachwies, wie nützlich und
vielseitig die Faser des Hibiscus Mo scheutos oder H. pa-
lustris verwandt werden könne. Dieser „amerikanische
Dsch ute" eigne sich zur Verfertigung von Papier, Stricken, Ge-
weben und dergleichen mehr. Die Pflanze ist in den nördlichen
Staaten einheimisch und wächst in großer Menge in den feuchten
Niederungen der Staateu Neu-Jork, Pennsylvauieu und Neu-
Jersey, würde aber auch in vielen anderen Gegenden gedeihen.
Die Amerikaner haben aus den Fasern bereits Seile und Taue
verfertigt, nnd da die Proben so gut ausgefallen siud, daß sie
nichts zu wünschen übrig lassen, so hat eine Kompagnie ein Patent
genommen, um die „Hibiscusfafer-Fabrikation" im Großen zu
treiben.
Wir wollen eine Bemerkung über den wichtigen Webestoff
Dschute (Inte, wie die Engländer schreiben) hinzufügen. In
Indien nennt man ihn Paht. Er besteht aus zwei Arten Cor-
chorns, nämlich C. capsularis und C. olitorins. Schon vor
länger als einem halben Jahrhundert machte der berühmte Bo-
taniker Roxbnrgh dringend auf den großen Nutzen dieser Faser
aufmerksam, aber die Fabrikanten hatten damals das Baum-
wollensieber und kümmerten sich nicht um die Rathschläge des
Mannes der Wissenschaft. Das in Indien aus Dschute verfertigte
Garn und die Proben von daraus gewebten Zeugen fanden keine
Beachtung; erst nach 1840 kam das Dschute allmälig in Aufnahme,
und ist nun für Handel nnd Fabrikation von großer Wichtigkeit
geworden.
In Ostindien bezeichnet man die Gewebe aus Corchorus
capsularis als Ghu uala paht, jene aus dem C. olitarius als
Banghi paht, macht aber im Uebrigeu keinen besondern Unter-
schied zwischen beiden, weil sie gleich zäh sind. Am meisten wird
die Pflanze inBengalen gebaut, man findet sie aber auch iuAnnam,
Siam nndSüdchina, wo sie gleichfalls in ausgedehuterWeise benutzt
wird. In Indien bestimmt mau nur die besteu Faseru zur Ausfuhr,
der Rest wird im Lande selbst verarbeitet. Der Verbrauch ist dort
ungemein beträchtlich. Ein großer Theil der Säcke zum Ver-
packen von Reis und Zucker, die sogenannten Gunny-Säcke,
werden ans Dschnte verfertigt. Nachdem sie in Europa ihres
Inhalts entledigt sind, schickt man sie nach Nordamerika, wo sie
zum Verpacken der Baumwolle verwandt werden und dann sich
über die ganze Erde verbreiten. Die ärmeren Bewohner Indiens
tragen Kleider aus Dschute, welche aus Megili, einem von
den Frauen gewebten Zeuge, verfertigt werden.
Großbritannien bezieht gegenwärtig im Jahr etwa 80 bis
100 Millionen Pfund Dschnte. *
Rindfleisch ans Spitzbergen. Im vorigen Herbst wurde zu
Tromsöe in Norwegen bei einem festlichen Mittagsmahle frisches
Rindfleisch anf die Tafel gesetzt, das ganz vortrefflich war und
von allen Gästen gelobt wurde. Au dieses Gericht knüpfte sich ein
geographisches Interesse. Ein norwegisches Fahrzeug, das im
Sommer 1862 Spitzbergen besuchte, saud dort mehrere Zinn-
büchsen, welche der Nordpolfahrer Sir John Parry schon vor
sechs und dreißig Jahren niedergelegt hatte. Der Inhalt war
unter dem Eis unverdorben geblieben.
Parry machte bekanntlich 1827 den mißlungenen Versuch, vou
Spitzbergen aus zu Schlitten bis an den Nordpol vorzudringen;
er meinte, bis dorthin zusammenhängende Strecken glatten Eises
zu finden. Parry's Schiff, Hekla, war im Jimi 1827 bei Spitz-
bergen. Der Reisende bestieg ein Boot, fuhr vierzig Stunden weit
in offener ruhiger See nach Norden hin, fand aber kein glattes
Eis, kam bis 82" 45' 5" nördlicher Breite und mußte dauu um-
kehren.
Herausgegeben von KarlAndree in Leipzig. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghansen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildbnrghauscn. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Vieych» Tage iu Mensa.
Mitgetheilt von Vi'. A. E. B r e h M.
Dritter und letzter Artikel.
Die Oberherrschaft des Kaisers von Abyssinien. — Tribut an die Türken. — Der Scheich. — Erfolglosigkeit der christlichen Missions-
bemühnngen und Ausbreitung des Mohammedanismus in Afrika. — Vorstellungen der Mensa über das Christenthum. — Häusliches
und eheliches Leben.— Stellung der Frauen. — Tanz und Musik. — Mangel an Gastfreundschaft. — Das Thierleben. — Affen,
Katzenthiere, Schakal, Hyäne, Hombachs, Zebra-Mangusta, Hasen, Eichhörner. — Antilopenarten. — Der Elephant. —
Klippschliefer und Warzenschwein. — Die Vögel. —
lieber das öffentliche und häusliche Leben der Mensa keitsverhältniß der Mensa mehr ein scheinbares als wirk-
kann ich leider nur sehr wenig berichten: die paar Tage, liches. Sie sind dem Kaiser von Abyssinien so lange unter-
welche wir im Gebirge verlebten, reichten zu umfassenden than, als Soldaten desselben in ihren Dörfern selbst oder
Beobachtungen über diesen Gegenstand nicht ans. Was wenigstens in unmittelbarer Nähe von Mensa und Keeren
Ein Konzert in Mensa.
ich erfuhr und bemerkte, ist Folgendes: Die Mensa und liegen. Der Bicekönig oder Statthalter von Hamasseen
Bogos werden seitens der Abyssinier als ein dem Kaiser unternimmt alljährlich einen oder auch zwei Züge mit Heeres-
Theodorunterworfener Volksstamm angesehen, wäh- macht, um einen gewissen Tribut einzufordern. Diese Zoll-
rend die einen wie die anderen keinen eigentlichen Herrn erhebnng artet aber regelmäßig in einen Raubzug aus, und
über sich erkennen wollen. In der That ist das Abhängig- deshalb ist es auch ganz gewöhnlich, daß bei Ankunft der Sol-
Globus für 1863. Nr. 35. 41
322 • Vierzehn Ta
baten die Bewohnerschaft von Mensa sowohl als von Keeren
mit ihrer beweglichen Habe auswandert und ihren werthen
Stammesgenossen eben nur die leeren Hütten überläßt. Alle
Gebirge im Mensa- oder Bogoslande erleichtern eine solche
Flucht vor den Unterdrückern in jeder Hinsicht; es wird den
Soldaten gradezu unmöglich, den Herdenbesitzern zu folgen,
und diese kehren, wenn der Hunger ihre Feinde wieder
wegtrieb, unbesorgt uach ihrem Dorfe zurück. Als Unter-
thanen des Kaisers von Abyssinien kann man demnach die
Mensa keineswegs betrachten.
Das Verhältniß, welches zwischen unseren Leuten und
den Türken stattfindet, ist von den eben geschilderten Zu-
ständen kaum verschied«?. Die türkische Herrschaft, welcher
sich die Bewohner der Samchara unterwerfen mußten, macht
sich den Mensa bemerktich, sobald sie in die Tiefebene mit
ihren Herden hinabkommen. Dann unternimmt der Naib
oder eingeborene Fürst des Landes auf Befehl des türkischen
Pascha einen Streifzug, fordert von ihnen eine gewisse
Anzahl von Rindern und kehrt mit diesen nach Massaua
zurück. Die Beherrschung der Hirten endet mit dem Tage
der Rückkehr nach ihrem Gebirg.
Ich bin nicht ganz darüber klar geworden, wie weit
sich die Mensa dem von ihnen selbst erwählten Oberhaupte,
dem SchLich, unterordnen; nur das eine kann man mit
Bestimmtheit sagen: dieser Scheich oder Häuptling ist der
reichste Herdenbesitzer und genießt schon als solcher ein
verhältnißmäßig bedeutendes Ansehen. Während unseres
Aufenthalts hatteu wir wiederholt Gelegenheit zu bemerken,
daß feinen Anordnungen Folge geleistet wurde; wie weit
aber diese Unterwürfigkeit geht, ist eine Frage, welche ich
nicht zu beantworten vermag.
In einem eigentümlichen Verhältnisse stehen die
Seelenhirten der Mensa zu ihren Schafen. Schon feit
einigen zwanzig Jahren hatte sich eine katholische Mission,
welche theils in Umkullu, theils in Keeren und Mensa
haust, angelegen sein lassen, den christlichen Gebirgsbe-
wohnern einen Begriff des Christenthums beizubringen.
Ihre Bemühungen fiud zeitweilig von großem Erfolge gekrönt
gewesen; zeitweilig, sage ich, d. h. so lange die Mission
Geschenke der verschiedensten Art, namentlich Schnaps und
Wein, zu verabreichen hatte. Je mehr aber der Vorrath an
diesen beliebten Getränken abnahm, um so lauer wurden auch
die Christen, und in den Zeiten der Dürre benahmen sie
sich regelmäßig so, als wären sie niemals Christen gewesen.
Es geht hier eben wie fast überall, wo christliche Missio-
näre wirken: sie gewinnen in kurzer Zeit eiue Menge Leute,
welche sich dazu verstehen, einige Gebräuche des
Christenthums uachzuäffeu! Daß man sich in der
Lehre wie in der Ausübung auf Aeußerlichkeiteu be-
schränkt, versteht sich ganz vou selbst. Die Sendboten
des Glanbens sind vollkommen befriedigt, wenn der dem
Teufel Abgerungene sich herbeiläßt, „Jesus Christus"
und „Jungfrau Maria" zu rufen, wiederholt Kreuze zu
schlagen uud am Sonntag Morgen in der Nähe der Kirche
oder in dieser selbst zu heulen. Ich habe nicht erfahren,
daß die Missionäre Abyssiniens sich dieselben Niederträch-
tigkeiten zu Schulden kommen ließen, wie die katholische
Mission im Ostsudahn, welche sogar zu bezüglichen Tauf-
handlungen und dergleichen sich herabwürdigte; soviel aber
ist gewijz, daß der ganze Einfluß, welchen die Mission auf
die Mensa und Bogos bisher gehabt hat, gleich Null zu
setzen ist; — man müßte denn einen politischen Einfluß,
welcher nicht abzusprechen ist, mit in Rechnung bringen
wollen. Es verdient endlich einmal gesagt zu werden, daß
die christlichen Missionen in Afrika in Glaubens-
fachen eben nichts Anderes bewirken, als über-
: in Mensa.
spannten oder glaubenskranken Europäern und
Europäerinnen eine gewisse Genngthuung zu
geben. Die Mission mag für die Europäer ihr Gutes
haben; unter deu Eingeborenen Afrikas erobert sie sich nur
dem Namen nach einen gewissen Boden. Nicht die Send-
boten des Glaubens sind es, welche die Bildung
Europas nach fremden Erdtheilen tragen, fondern
die Sendboten des Handels! Diesen Satz erachte ich
nach meinen Erfahrungen als eine unumstößliche Wahr-
heit. *)
Eine Mission, welche seit mehr als zwanzig Jahren
unter ursprünglich christlichen Völkerschaften gewirkt hat,
müßte, so sollte man glauben, ganze Länder dem Christen-
thum unterworfen haben. Dies aber ist keineswegs der
Fall; im Gegentheil, — das Christenthum verliert in den
Mensa- und Bogosländern von Jahr zu Jahr an Beken-
nern und zwar zu Gunsten des Islam, welcher nnanfhalt-
faui über das Innere Afrikas sich ausbreitet und schon jetzt
überall in Abyssinien seine Anhänger hat. Ein Volksstamm,
wie die Mensa es sind, wird die hohe Idee der Menschlich-
keit, welche int Christenthum' begründet ist, niemals erfassen
können und sich zu deu Gebräuchen des Islam weit mehr
hingezogen fühlen, als zu den ihm unverständlichen Dogmen
des Christenthums. Das mohammedanische Paradies ist
weit verlockender als der nüchterne christliche Himmel, und
die allgemeine Milde des Islam läßt manche Härten ver-
gessen. Dazu kommt nun freilich noch, daß die Missionäre
des Islam die Hölle weit weniger berücksichtigen, als die
christlichen Glaubenssendboten Dies zu thuu pflegen. Der-
jeuige, welcher mit mohammedanischen und christlichen
Misstonären verkehrt hat, bleibt selten lange in Zweifel,
wem er den Vorzug zu geben hat. Mit dem Stückchen
christlichen Himmels, welchen der eiue Missionär und zwar
Leuten in Aussicht stellt, deren Anschauungen die eines
Kindes sind, ist die Hölle mit ihrer ganzen Tenfelei regel-
mäßig so innig verschmolzen, daß der Natursohn sich angst-
erfüllt vou einem Glauben abwendet, welcher weit mehr
androht, als er verspricht. Die Drohung ist wohlverstäud-
lich; das Versprochene erfordert, wenn es begriffen sein soll,
schon einen sehr gebildeten Geist. Ganz anders geht der
Missionär des Islam, der schlichte brauue Kaufmann,
welcher mit feinen Waaren von Ort zu Ort pilgert, zu
Werke. Seine Lehre ist das arabische Wort „Allah
kerihm" — Gott ist barmherzig — und er verlangt
durchaus Nichts weiter, als daß derjenige, welchen er für
seinen Glauben zu gewinnen wünscht, dieses Wort und dann
*) Der Herausgeber des Globus kann sicherlich nicht in den
Verdacht kommen, die übertriebenen Erwartungen zu theilen,
welche mau über die Missionen in fremden Erdtheilen so eifrig dem
europäischen, geldzahlenden Publikum einzuflößen sncht. Wir haben
häufig Gelegenheit genommen, darauf hinzuweisen, wie Vieles
dabei Humbug ist uud wie äußerst geringfügig die Resultate gegeu-
über den „Hoffnungen" siud. Aber obigem Satze des Herrn Ver-
fassers möchten wir doch die Thatsache beifügen, daß Missionäre
wie Jgnaz Knoblecher und Ängelo Vinco am obern Weißen
Nil doch ganz anders uud unendlich würdiger die Bildung Euro-
pas vertreten haben, als das habgierige Gesindel der europäischen
Elfenbeinhändler uud Sklaveuräuber in Chartnm, die Herr Dr.
Brehm selber mehr als einmal in ihrer ganzen Nichtswürdigkeit
vortrefflich geschildert hat. Eiu anderer deutscher Reisender ent-
warf neulich in einem Privatbrief au uus eine Charakteristik dieser
Äausleute, welche er ans eigener Anschauung kennt, nnd bezeichnete
jene Bande am Nil alseinen „Rattenkönig von Halunken".
Die oben im Text folgenden Bemerkungen Dr. Brehm's fließen
übrigens ans Wahrnehumugeu uud eigeueu Auschauuugeu, und
wir wollen betonen, daß wir mündlich und schriftlich von anderen
afrikanischen Reifenden Mittheilungen in demselben Sinn erhalten
haben. Die Berichte unbefangener Beobachter lauteu eben anders
als jene in den Mifsionsblätteru. A.
Vierzehn Ti
das einfache Glanbensbekenntniß: „Es giebt nur einen Gott
und Mohammed ist sein Prophet" gläubig ausspreche: damit
eröffnet er ihm alle Pforten des Himmels.
Gerade in den Bogosländern kann man den Verfall
des Christenthums leicht wahrnehmen. Alle Bogos und
Mensa waren ursprünglich Christen; gegenwärtig sehen
sich bereits ein Viertel dieser Leute als Bekenner des Is-
lam an.
Ein Mensa oder Bogos, welcher niit Mohammedanern
ißt, glaubt sein Christenthum unwiderruflich verloren zu
haben. Dies klingt im allerhöchsten Grad auffallend, ist
aber buchstäblich wahr und nimmt auch Deu uicht Wunder,
welcher erfuhr, in was denn eigentlich das Christenthum
unserer Leute besteht.
Selbst deu Geistlichen des Dorfes, mit welchem ich
tagelang verkehrte, fragte man vergeblich nach irgend einem
vernünftigen Glaubenssatze des Christenthums. Nach seiner
Ansicht haben die Christen „drei Götter, von denen der eine
Sohn des anderen und zugleich der eiues Weibes ist, welches
Jungfrau blieb, nachdem sie den Gott geboren", lieber
den dritten Gott wußte der gute Mann gar keine Rechen-
schaft zu geben. Die großen Feste des Christenthums konnte
er nur theilweise erklären; von der Lebensgeschichte unseres
Glaubenslehrers hatte er einige dunkle Vorstellungen. Das
Eine aber wußte er genau: daß derjenige dem Teufel un-
rettbar verfallen feiu müsse, welcher von einem Thiere ge-
gcssen, dessen Kehle von der Hand oder mit dem Messer
eines Mohammedaners durchschnitten wurde! Die um-
wohnenden Mohammedaner wissen auch Nichts von ihrem
Glanben; in diesem einen Punkte sind sie aber genau der-
selben Meinung wie die Christen. Man kann wahrhaftig
fagen, daß sich das ganze Christenthum der Mensa darauf
beschränkt, Speisen zn vermeiden, welche von mohammeda-
nischer Hand irgendwie zubereitet worden sind. Während
unserer Reise mußten wir stets den christlichen Eingeborenen
ein besonderes Schaf geben oder einem von ihnen erlegten
Wilde die Kehle durchschneiden lassen, wenn wir wollten,
daß sie von der Fleischkost äßen. Geradezu lächerlich ist,
daß die guten Bogos nur sich für die wahren Christen an-
sehen und Europäer z. B. kaum anerkennen wollen. Wir
Alle wurden von den Mensa als mindestens ebenso arge
Ketzer betrachtet, wie z. B. die Mohammedaner.
In ihrem ehelichen und häuslichen Leben unterscheiden
sich die Mensa kaum oder uicht vou den umwohnenden
Jnnerasrikanern. Auch unter ihnen muß der Heiraths-
lustige einen Brantschatz zahlen, welchen der Vater seiner
Braut einstreicht. Wie im ganzen Sudahn, verheirathen
sich nur Erwachsene. Die Unsitte der Eghpter, Mädchen
von 6 bis 8 Jahren zu verheirathen, findet unter den
braunen Leuten uicht statt. Unter vierzehn Jahren wird sich
selten ein Mädchen verehelichen; in diesem Alter ist es aber,
wie bereits bemerkt, vollständig erwachsen. Schon Mädchen
von zwölf Jahren, welche noch in den Rähhad sich kleiden,
beweisen dnrch ihre ganze Erscheinung und zumal durch die
üppige, uutadelhast gebaute Büste, daß sie heirathssähig ge-
worden sind.
Abweichend von manchen sndahnesischeu Volksstämmen,
scheinen die Mensa verhältnißmäßig keusch zu leben. Es
giebt zwar in ihrem Dorf auch viele feile Dirnen, welche
den Fremden in höchst zudringlicher Weise lästig fallen;
allein diese Dirnen werden von den Mensa ebenso verachtet,
als es bei uns zu Lande unter gleichen Umständen der Fall
ist. Vor der Verheirathung halten die Mädchen streng ans
ihren guten Rus und müssen Dies thnn, weil die Sitte den
Vater berechtigt, seine Tochter umzubringen, wenn sich
ergiebt, daß sie vor ihrer Verheirathung Hymens Freuden
e in Mensa. 323
sich hingab. Gleichwohl kommt es und keineswegs selten
vor, daß die alte gute Sitte arg verletzt wird; dauu pflegen
die sündigen Mädchen zu einer Thnya, welche ringsum
auf den Bergen ziemlich häufig wächst, ihre Zuflucht zn
nehmen; denn ein gewisses Verbrechen, das keiner nähern
Bezeichnung bedars, gilt bei den Mensa, wie überall im
Innern Afrikas, durchaus nicht als ein solches.
Die Frau ist auch unter den Mensa die Sklavin ihres
Eheherrn; ihr liegen alle häuslichen Geschäfte ob. Der
Mann bekümmert stch einzig und allein um seine Viehzucht
und läßt stch höchstens herbei, die biegsamen Ruthen zu
schneiden, welche zum Ausbau der Hütte verwendet werden.
Der Aufbau der Wohnung selbst ist ebenfalls Sache der
Frau. Ein Mann wird es als große Schande betrachten,
wenn er sich zu irgend einem häuslichen Dienste herbeiließe;
Wasser oder Brennholz herbeischaffen, gilt als eine schmach-
volle Entwürdigung. Selbst Knaben nehmen an diesen
Geschäften nicht Theil; sie lassen sich höchstens herbei, die
nach Holz oder Wasser ausgehenden Mädchen zu begleiten.
Man sieht Mädchen von sechs Jahren, welche kaum deu
schweren Wafferschlanch schleppen können, mühsam unter der
verhältnißmäßigen Last einherkeucheu; sie könnten aber er-
liegen, ohne daß ein Mann sich hergäbe, ihnen zu helfen.
Der Mann verläßt, wenn er in Mensa anwesend ist und
Nichts mit dem Viehhüten zu thuu hat, am Morgen seine
Hütte, mit der Pfeife oder wenigstens mit einem plattge-
schälten, an dem einen Ende krummgebogenen Stock in der
Hand, und wendet sich einem der Versammlungsplätze im
Dorfe zu. Hier verweilt er einen guten Theil des Tages,
auf den weißen Steinen sitzend oder unter Umständen der
Länge lang ans der Erde liegend. Bei Gelegenheit dieser
Versammlung werden die notwendigen Geschäfte abge-
fprochen und zugleich manche andere Dinge erledigt. So
sieht man hier den Barbier und Haarkräusler, d. h. irgend
eiuen beliebigen juugeu Manu, iit Thätigkeit, um einem
seiner Freuude das krause Haargelock aufzulockern, zu flechten,
zu kräuseln und einzufetten oder unter Umständen abzn-
scheereu; man bemerkt einen oder den andern, welcher die
Nadel handhabt n. s. w. Müßige Knaben umstehen regel-
mäßig diese Männergruppen, führen gelegentlich eine kleine
Balgerei aus und tummeln sich überhaupt mit aller Unge-
zwnngenheit vor den Alten umher, ohne durch diese irgend-
wie behelligt zu werden. Nirgends in ganz Inner-
asrika habe ich so bengelhafte Knaben gefunden,
als in Mensa; hier wachsen die Kinder auf wie wilde
Thiere.
Mit Souueuuutergaug sammeln sich die nun aus dem
Joch entrouueuen Mädchen auf den öffentlichen Plätzen,
und nunmehr pflegt ein sonderbarer Tanz zu beginnen.
Drei bis sechs Mädchen stellen sich in einen Kreis zusammen,
mit den Gesichtern gegen einander und springen unter ein-
tönigem Geschrei abwechselnd von dem einen Bein auf das
andere, stundenlang, ohne Unterbrechung. Die jüngeren
Burscheu des Dorfes stehen dicht hinter ihnen, in einem
zweiten Kreise, und abwechselnd faßt einer nach dem andern
eines der tanzenden Mägdlein bei der Schulter und bemüht
sich, ihr bei dem wechselseitigen Sich-Erheben und Nieder-
senken behülslich zu sein. Die übrigen verherrlichen durch
Sprünge und eigenthümliche Schwenkungen ihrer Spazier-
stocke den Tanz, brüllen auch uach Leibeskräften mit. Dieses
Vergnügen währt bis in die tiefe Nacht, jedoch nur wenn
der Mond scheint, denn während der dunklen Nächte wagen
sich die Mensa nicht aus ihren Hütten heraus, uuzweifel-
Haft aus Furcht vor den Raubthieren, welche allnächtlich
das Dorf umschleichen.
An gewissen Festtagen hört man auch noch eine andere
41 *
Vierzehn Tage in Mensa.
Musik; dann geben nämlich die Flötenbläser ihre Künste
zum Besten. Die abyssinischen Flöten sind hohle Röhren
mit verschiedenen kleinen Schalllöchern, welche aber nicht,
wie unsere Flöten, seitlich angesetzt, sondern nach Art der
Mundorgeln geblasen werden. In Mensa hörte man am
Ostermorgen drei dieser Künstler eine Musik ausführen, bei
welcher der Einfluß einer blökenden Knhherde nicht zn ver-
kennen war. Ich will durchaus nicht behaupten, daß die
Musik unangenehm gewesen wäre, aber sie hatte ein unnenn-
bares Etwas an sich, welches ganz unzweifelhaft an Schal-
meienklang, kurz an Hirtengedudel erinnerte. Während des
Es wollte mir scheinen, daß die Mensa nicht eben
große Freunde der Fremden sind. In ganz Innerafrika ist
die Gastlichkeit der Grundzug aller Volksstämme; unter der
mohammedanischen Bevölkerung wenigstens wird das schöne
Wort des Propheten überall beherzigt' „Der Gast, weicher
zu deinem Dache eingeht, ist ein Geschenk des Himmels; als
solches halte ihn!" Die Mensa scheinen eine Ausnahme
zu machen; mir wenigstens kam es vor, als wüßten sie nicht,
was Gastfreundschaft zu bedeuten habe. Keiner von nns
kann sich rühmen, besonderer Freundlichkeit theilhaftig ge-
worden zu sein. Der Geistliche des Ortes machte gewisser-
Spielens führten die Tonkünstler zugleich uoch einen fon-
derbaren Tanz auf und gaben somit auch dem Auge Be-
schästigung. Diese Musik ist den Mensa ganz eigenthüm-
lich; doch giebt es auch einzelne Künstler unter ihnen, welche
das bevorzugte Tonwerkzeug der Samcharalente zu Hand-
haben verstehen. Dieses Werkzeug ist eine Fidel im Urzn-
stände, d. h. eine roh und grob zusammengebaute Geige
init einer Saite, welche letztere aus mehreren Pferdehaaren
besteht. Man bearbeitet sie mit einem entsprechend ein-
fachen Bogen und bringt damit ein Gerassel hervor, welches '
entfernt an Töne erinnert. Eine Handtrommel mit Schellen
unterstützt gewöhnlich diesen Tonunfug auf das Wirk-
famste. —
maßen eine Ausnahme; aber diese Ausnahme war auch nur
auf Eigennutz begründet. Geradezu abscheulich benahm sich
der Scheich. Hätte der Naib der Samchara dem Herzoge
nicht das Geleit gegeben und überall vermittelt und ge-
schlichtet' wir hätten höchst wahrscheinlich mit der pöbelhaften
Gesellschaft noch Streit bekommen. In ihren Forderungen
waren die Mensa unverschämt; nnaufgefordert brachten sie
gar Nichts, und Das, was wir brauchten, mußten wir theuer
genug bezahlen. Im Ostsnhdan findet sich in jedem Dorfe
ein besonderes Hans, welches jede«! Fremden bereitwillig
zur Wohnung gegeben wird: in Mensa mnßten wir uns die
Hütten erst bauen und das Holz dazu verhältnißmaßig sehr
theuer bezahlen. Alle Sndahnesen bemühen sich, soviel als
Vierzehn T,
möglich, den Fremden zu erheitern, zu vergnügen; manche
Völkerschaften sind geradezu erfinderisch, wenn es gilt, ihrem
Gaste sich angenehm zu zeigen: die Mensa haben nns nur
belästigt. Da war Nichts in unserm Besitz, welches von
ihnen nicht gewünscht oder richtiger beansprucht worden
wäre! Es hätte Roth gethan, daß ich den Mädchen die
Knöpfe von meinem Hemd oder von den Beinkleidern ab-
geschnitten hätte, um sie zu befriedigen; verlangt haben sie
Alles, was ich an mir trug, vom Scheitel bis zur Zehe.
Selbst die Riemen an der Jagdtasche waren Gegenstand
ihrer Wünsche. Dinge, mit denen sie entschieden Nichts
anzufangen wußten, wie z. B. Zündhütchen, wurden mit
ge in Mensa. 325
lieh; im Ganzen aber muß ich bei meiner nicht günstigen
j Meinung beharren.
Nach Vorstehendem wird es wohl schwerlich einem
, meiner Leser noch wunderlich vorkommen, wenn ich ihm ver-
sichere, daß mich die Thiere des Mensagebietes von der zweiten
Ordnung an weit mehr anzogen, als die Menschen. Ganz
Habesch ist für deu Thierkundigen eiu Eden. Er findet tag-
täglich etwas Neues für seinen Geist; er sindet aber auch
genug für sein Herz. Wenig Erdstriche mag es geben, in
denen, so wie hier, das Ausfallende, Gewaltige mit dem
Anmuthigen, Lieblichen sich paart. Der massige Elephant
oder das wüste Warzenschwein theilt mit dem lieblichen
ziemlichem Ungestüm gefordert. Eine schreiende Rotte von
ungezogenen Jungen und Trupps von nicht weniger lau-
ten Mädchen umlagerten unsere Wohnstätte vom Morgen
bis zum Abend, und Nachts schlichen sich seile Dirnen durch
und um das Lager. Man hatte eigentlich niemals Ruhe
vor dem zudringlichen Volk, nnd ich, meinerseits, habe
wiederholt bedauert, daß die Behendigkeit und Gewandtheit
der Knaben meinen Wünschen, einen oder den andern
einmal tüchtig abznprügeln, spottete. Blos wenn wir Nachts
ans ihren Tanzplätzen erschienen, waren sie freundlich und
zuvorkommend. Dann führte man uns auch wohl bis in
den engern Kreis und legte unsere Hände aus die Schultern
der Mädchen, mit der Ausforderung, deren Tanz zu unter-
stützen, und wenn wir Dies thaten, belohnte uns stets ein
Beifallsgebrüll. Auch auf der Jagd waren einige behülf-
I Paradiesfliegenfänger (Muscipeta) dasselbe Vater-
land; der Donner aus des Löwen Brust übertönt Nachts
das gemüthliche Spinnen des Ziegenmelkers; in den
Büschen, über denen mächtige aber ekelhafte Geier kreisen,
; treiben sich schmucke Zwergböckcheu und nette, sanges-
kundige Sänger umher. Dem beobachtenden Auge wird
ein unendlicher, unbeschreiblicher Reichthum an Gestalten
und Farben offenbar; das Ohr lauscht bald mit Ent-
zücken, bald wieder mit Grauen deu Tönen, welche das
! Leben des Waldes wecken bei Tag und bei Nacht. Ich
halte es zur Vervollständigung meiner Skizze für nner-
läßlich, dieser Thierwelt auch hier flüchtig zu gedenken:
ausführlich habe ich sie in einem besondern Werkchen be-
handelt, welches unter dem Titel: „Beiträge zur Kunde
einiger Wirbelthiere von Habesch" als Wissenschaft-
Zwergbvckchen und Frankolinhuhn.
326 • Vierzehn Ta
licher Anhang zum Reisewerke des Herzogs demnächst er-
scheinen wird.
Namentlich die beiden ersten Klassen des Thierreichs,
die Sängethiere und Vögel, sind zahlreich vorhanden.
Fast jede Ordnung ist vertreten. Längs der Bergwände
ziehen in langen Reihen die Paviane dahin, ohne Unter-
laß versuchend, wie sie das Besitzthum des Menschen zu
schädigen vermögen, den Männern ein Gegenstand des Ab-
scheus, den Frauen ein solcher des Entsetzens: — denn mehr
von ihnen verlieren ihr Leben durch die Paviane
als durch den Löwen oder den Leoparden! Sie, die
armen, lasttragenden Sklavinnen, kommen beim Holzholen
oft genug mit den unzüchtigen Geschöpfen zusammen, er-
regen deren wildeste Begierden, werden von den Scheusalen
angefallen und, wenn sie sich zn wehren versuchen, furchtbar
gemißhandelt, ja oft sofort getödtet. Ich habe Erzählungen
über solche Angriffe von so verschiedener Seite und aus so
glaubwürdigem Munde vernommen, daß ich an ihrer Wahr-
heit nicht wohl mehr zweifeln kann. Ungleich harmloser als
diese widerlichsten aller Affen sind ihre Verwandten, die
Meerkatzen. Sie haben zwar auch den besten Willen,
allerlei Unfug auzustisteu, sind aber viel zu schwach, als
daß sie schaden könnten. In leichtfertiger Behäbigkeit ver-
bringen sie ihr Dasein. Sie wissen aus Allem noch Nutzen
für sich zu ziehen, verstehen es meisterhaft, jede Gabe, welche
die Natur ihnen bietet, auszubeuten. Ein grenzenloser Leicht-
sinn Hilst ihnen über so manchen Schreck, so manches Un-
gemach hinweg, und ihr erfinderischer Geist ist nie um einen
Ausweg verlegen, wenn Roth an den Mann kommt.
Sie beleben alle dicht mit hohen Bäumen bestandenen Thal-
stellen nnd erheitern durch ihre Gauklerkünste den Reifenden.
Dennoch theilen auch sie seitens der Eingeborenen die Miß-
acktnng, welche auf ihrem Geschlechte ruht. Bei den wenig
thierfreundlichen Mensa sieht man niemals eine Meerkatze
in der Gefangenschaft: die Leute sind viel zu denkfaul, als
daß sie den Humor des Affen würdigen könnten.
Die Bogosländer beherbergen mehrere Mitglieder der
Katzenfamilie; doch verdienen hier nur Löwe und Leopard
Beachtung. Der erstere ist nicht selten, der letztere gemein.
Zn gewissen Zeiten vergeht im Dorfe Mensa keine Nacht,
ohne daß man die Stimme des Königs der Thiers ver-
nimmt. Gleichwohl fürchtet man den ungestümen Gast ver-
hältnißmäßig wenig. Sein Jagdgebiet ist so reich, daß der
Hunger nur selten übermächtig wird und ihn die Scheu vor
dem Menschen und seinem Treiben vergessen läßt. Während
meines ersten Aufenthaltes in Mensa umschlich er mehrere
Nächte das Dorf und meldete in gewöhnlicher Weife sein
Vorhandensein, ohne jedoch in die Gehege einzufallen.
Weit gefährlicher und deshalb gefürchteter ist der Leopard.
Mit der Gewandtheit dieses vollendetsten aller Raubmörder
geht seine beispiellose Frechheit Hand in Hand. Er scheut
den Menschen gar nicht, und kaum das allen Naubthiereu so
entsetzliche Feuer; er kommt dreist bis in die Hütten herein
und raubt und mordet vor den Augen der Leute, ja, er
achtet nicht einmal das Geschrei oder die nach ihm geschlen-
derte Lanze. In Zeit von drei Monaten hat er aus dem
einzigen Dorfe Mensa acht Kinder weggetragen, der unge-
zählten Ziegen und Schafe nicht zu gedenken. Pater Fi-
lipini hat während seines Aufenthaltes in den Bogos-
ländern ein paar Dutzend Leoparden getödtet! Diese Zahlen
beweisen mehr als lange Beschreibungen. — Man be-
gegnet dem Leoparden gar nicht selten anch bei Tage; wir
trafen ihn ein paar Mal an. und einer büßte feine Frechheit
mit dem Leben, als er am hellen, lichten Mittage einem von
d'Ablaing und mir angeschossenen Hamadryaspavian
den Garaus machen wollte, und zwar vor unseren Augen.
e in Mensa.
Auch die Hunde sind im Gebiete der Mensa durch
mehrere Mitglieder vertreten. Der Kabern, ein Wolf, ist
bei Mensa ziemlich selten, um so häusiger aber das Mittel-
glied zwischen Isegrim und Reinecke, der Schakal. Er
umlungert das Dors bei Tag und bei Nacht; ihn spürt,
hört, sieht und erlegt man säst bei jeder länger währenden
Jagd. Neugierig schaute er in den Nachmittagsstunden in
unser Lager und gewissermaßen in das Rohr eines der
Jäger unserer Reisegesellschaft hinein — natürlich zu seinem
Verderben. — Als Erzfeind des jungen Kleinviehs und
diebischer Hüttenbesucher wird er arg gehaßt. Doch hat er
wenigstens in einer Hinsicht sein Gutes: er heult weniger
als sein nördlicher Verwandter.— Mit Einbruch der Nacht
gesellt sich ihm die gefleckte Hyäne, das gemeinste Raub-
thier jener Gegenden, zu und kündet durch langgezogene
Klagetöne ihren lebhaften Wunsch nach irgendwelcher Nah-
rnng au, um den ewig bellenden Magen zn befriedigen.
Auch sie wird von den Eingeborenen arg gehaßt, obgleich sie
nicht gerade einen erheblichen Schaden zufügt, sondern durch
ihren unersättlichen Hunger, welcher auch die schmnzigsten
Anfwurfsstosfe des menschlichen Leibes für genußfähig er-
klärt, eher nützlich wird.
An der Stelle Grimb art's, des echt mönchischen Ein-
siedlers und Gntschmeckers, schleicht ein eigenthümlicher
Gesell durch den Wald von Mensa, der Honigdachs oder
Reitel nämlich, ein in jeder Hinsicht merkwürdiges Thier,
welches der kleinen Jagd mit Eifer obliegt, unangegriffen
ruhig seine Straße zieht, angegriffen aber seine Stinkdrüsen
noch besser und wirksamer als sein starkes Gebiß zn ge-
brauchen und mit ihnen männiglich sich vom Leibe zn halten
weiß. Als arger Stänker theilt er die Mißachtung der bis
jetzt Genannten.
Behend und gewandt treibt ein anderes kleines Raub-
thier, die gestreifte oder Zebra-Mangn st a, ihre Jagd
nach Marderart, nur daß sie auch bei Tage ihren Ge-
schaffen fleißig nachgeht. Sie wird zur wahren Augenweide
für jeden Thierfrennd; denn ihr geistiges Wesen ist ebenso
anziehend, als ihre leiblichen Begabungen es sind. Kleine
Sängethiere, Vögel nnd deren Eier, Kerbthiere, Würmer
und Früchte aller Art bilden ihre Nahrung; weil sie aber
dem ebenfalls nach den Eiern der wilden Hühner ver-
langenden Mensa oft in das Gehege kommt, hat anch sie
sich die Freundschaft des edlen Weltbeherrschers verscherzt.
Dafür hat sie sich andere Freunde gesucht: sie lebt nämlich
mit den Klippschliefern und gewissen Eidechsen in
innigen Verhältnissen.
Die übrigen kleinen Räuber darf ich übergehen; sie
sind weniger fähig, die allgemeine Beachtung auf sich zu
ziehen. Dagegen muß ich wohl einiger Nager Erwähnung
thnn: zunächst, wie billig, des Verwandten unseres Lampe,
eines lauglöffeligeu, durch allzu große Vernachlässigung gänz-
lich verwandelten Hasen, welcher dem nordischen Jäger
wegen seiner beispiellosen Dummheit und Dreistigkeit ge-
radezn widerwärtig wird. Sein Fußbau gewährt ihm, wie
ich schon oben bemerkte, die wünschenswertheste Sicherheit,
welcher ein grasfressendes, also genießbares Thier sich freuen
kann. Der Mensa straft das ihm als unrein erscheinende
Geschöpf einfach mit Verachtung und bekümmert sich nicht
im Geringsten um sein Thun und Treiben. In Folge dessen
hat der Hase verlernt, seinen gefährlichsten Feind zn fürchten,
und geht ihm kaum mehr aus dem Wege. Er würde zur
' Landplage werden, wenn das Raubgezücht ebenso alberne
Ansichten hätte, wie der Mensch. — Unter den übrigen
Nagern macht sich hauptsächlich noch einer bemerklich: ein
Erdeichhorn (Xerus), welches sich mitten im Dorse, zumal
zwischen den Gräbern, paarweise angesiedelt hat und bei Tage
Vierzehn T<
in reger Thätigkeit ist. Das Baumeichhorn, welches
einzeln im Walde sich findet, hat mit jenem, wie mit dem
unfern, hinsichtlich feines Wefens keine Ähnlichkeit, es ist
ein langweiliges, träges Geschöpf.
Höchst anziehende Thiere sind die Wiederkäuer, welche
bei Mensa leben, zumal die Antilopen. Namentlich drei
Arten finden sich: der Algafeen oder Agafeen (Kudu
der Südafrikaner — Slepsiceros Kudu), der Klipp-
springer (Oreotragus saltatrix) und das Zwergböckchen
(Cephalophus Hemprichiana). Keines dieser Thiere ähnelt
dem andern. Der Agafeen, ein überaus stolzes Geschöpf,
zieht rudelweise nach Art unseres Edelwildes längs der
Bergwände dahin und kommt nicht selten bis dicht an Mensa
heran, obwohl er unter allen Umständen dem Menschen aus
dem Wege geht. Der Klippspringer, in Mensa „Sassa"
genannt, bewohnt alle Bergkämme rings um das Dorf herum
und stellt fich gegen Abend den in Mensa Weilenden oft
genug zur Schau, indem er einen der auf dem Kamme
liegenden Felsblöcke besteigt und dort halbe Stunden lang
'regungslos verharrt, wie eine in Erz gegoffene Bildsäule.
Ihn trifft man bei jedem längern Jagdausfluge im Gebirge
an; und wenn man auch keineswegs immer so glücklich ist,
sich dem wunderbar behenden Gebirgskinde bis auf Schuß-
weite zu nähern, hat man doch stets feiner Augen Lust an
dem über alle Beschreibung gewandten Bergsteiger, dessen
Läufe ans federndem Stahl geschmiedet zn sein scheinen und
dessen Kühnheit und Sicherheit im Sprunge zu wahrer Be-
geisterung hinreißt. Der Agaseen fesselt durch seinen Adel,
der Klippspringer durch seine Gewandtheit, der Zwerg-
bock durch feine Anmnth. Die beigegebene Abbildung ent-
spricht leider der Wirklichkeit nicht. Sie läßt das zierliche
Wesen plump und groß erscheinen, groß trotz des als Maß-
stab hinzugezeichneten Frankolinhuhnes. Das Zwerg-
böckchen ist, was sein Name sagt, — ein Zwerg unter den
Antilopen; es ist kaum größer, als ein frischgesetztes Reh-
kälbchen. Dabei aber ist es ebenmäßig gebaut vom Wirbel
bis zum Huf. Streng paarweise — eine seltene Ausnahme
unter Säugethieren! —- lebt es häusig in allen Buschwäldern
von ganz Habesch und so auch in nnserm Gebiete. Sein
Leben ist ein Idyll' es fesselt Jedermann, und ich kann
nur bedauern, daß ich es hier nicht ausführlich schildern
darf.
Die Ordnung der Vielhnfer ist auffallend reich ver-
treten. In Familien oder Herden von fünfzehn bis über
hundert Stücken durchzieht der afrikanische Elephant das
Gebirge. Noch fehlt dem Menschen, seinem einzigen ge-
fährlichen Feinde, die furchtbare Feuerwaffe, und deshalb
darf sich der Riese des Waldes noch seines Lebens freuen.
Die reiche Natur bietet ihm Alles, was er bedarf, in Fülle;
und wenn oben in der Höhe die Nahrung knapp wird, wenn
die Wasser sich unter der Thalsohle bergen und der zwei
Male iin Jahr eintretende Frühling, d. h. die Regenzeit,
noch fern ist, zieht sich das gewaltige Thier nach der Nie-
dernng des immer wasserhaltigen Ain-Saba zurück, und
findet dort Das, was oben ihm zn mangeln anfing. So
wandern die Elephantenherden viermal jährlich an Mensa
vorüber, zweimal nach unten und zweimal nach oben. Bis
hoch iu's Gebirge hinauf steigen sie empor; Stellungen,
welche einem Pferde nnersteiglich sind, werden von ihnen
ohne Mühe überwunden; deun wie ein berechnender
Straßenbaumeister gehen sie zu Werke: bedächtig und ver-
ständig wählen sie ihre Wege. Ich entdeckte ihre Losung
schon bei meinem ersten Besuch im Gebirge und fand bei
unferm Zuge frische Fährten ans, stieß aber bei der Gesell-
schast ans Unglauben: Niemand wollte es für möglich halten,
daß Elephanten im Hochgebirg leben, an den steilen Berg-
e in Mensa. ZZ7
wänden hin sich bewegen könnten! Erst später überzeugte
man sich durch glückliche Jagd des Herzogs von der Wahr-
heit meiner Mittheilungen.
Ein zwerghafter Verwandter dieses Riesen, der mnrmel-
thierähnliche Klippschliefer, ist häufig überall, wo es zer-
klüftete Felsenwände giebt, auch ganz in der Nähe der Ort-
schast. Nirgends kann man diese anziehenden Geschöpfe
mit so großer Leichtigkeit beobachten als hier, wo man so
recht mitten unten ihnen lebt. Sie verlangen eine längere
Beobachtung; denn ihr Leben bietet dem Kundigen einen
außerordentlich reichen Stoff dazu.
Erwähne ich nur noch des Warzenschweins, dieses
Ungeheuers iu seiner Familie, welches wegen seiner gewal-
tigen Hauer ebenso sehr an ein Nilpferd oder an den Ele-
fanten wie an ein Schwein erinnert, fo habe ich die hervor-
ragendem Gestalten der ersten Klasse wenigstens genannt.
Ausführlicheres mag man in dem schon bezeichneten Buche
nachlesen.
Flüchtiger noch als die Sängethiere muß ich die Vögel
hier behandeln. Die Bogosländer sind so reich an diesen
„Lustgestalten der Thierwelt", daß es selbst dem Laien schwer
fallen muß, aus der Menge der prachtvoll gefärbten, eigen-
thümlich gestalteten oder hinsichtlich ihres Lebens merk-
würdigen Geschöpfe die prächtigsten oder merkwürdigsten
herauszusuchen — um wie vielmehr dem Forscher, welcher
jeden einzelnen Vogel schön, merkwürdig oder anziehend
findet! Es ist eine Lust und Freude, in solchem Lande zu
sammeln, zu forschen, zu beobachten! Der Nenling staunt
und schwelgt — falls er überhaupt Sinn und Verstand hat
für die Natur und ihr Leben. Anfänglich ist ein ruhiges
Belauschen, ein verständiges Forschen unmöglich. Der ewige
Wechsel der Eindrücke beschäftigt alle Sinne, und man muß
wenigstens an einige Gestalten schon gewöhnt sein, wenn
man andere, neue erfassen will. Mein erster, fünfjähriger
Aufenthalt in Afrika kam mir zu Statten: ich brachte den
Ueberblick der Thierwelt schon mit mir in dies Paradies des
Forschers. Aber doch eilte die Zeit mir mit Windesflügeln
davon, und von der ganzen, großen Herrlichkeit ist mir nur
Weniges geblieben! Davon nun gebe ich hier einige kleine
Bruchstücke.
Die edle Zunft der Raubvögel ist in solch beutereichem
Gebiete zahlreich vorhanden. Ueber den hohen Gebirgen
kreisen sast ebenso viele Geier und Adler, als über den
Urwäldern der Niederungen. Der unreinliche Mensch giebt
den Schmutzgeiern tagtäglich neue Nahrung und damit
neue Beschäftigung; deshalb vermißt man diese wohlthätigen
Vögel an keinem Orte. Sie folgen den Herden, wie den
Handelszügen; sie umschweben allmorgentlich die Kothplätze
in der Nähe des Dorfes und schauen begierig, aber doch
vergnüglich dem Menschen zu, wenn dieser sich anschickt,
ihnen Arbeit und Nahrung zn geben. Ihre großen Ver-
wandten, die Aasgeier, erscheinen erst dann, wenn irgend
welches Aas sie herbeiruft. In ungemessenen Höhen, in
solchen, wohin das menschliche Auge ihnen nicht zn folgen
vermag, ziehen sie dahin: aber ihr Auge beherrscht Gebiete,
welche deutsche „Länder" an Flächeninhalt übertreffen, und
ihre mächtigen Schwingen tragen sie rasch durch Meilen
dahin nach dem Orte, auf welchem ein todtwundes Wild
fein Sterbebett fand oder ein Stück der reichen Viehherden
fein letztes Röcheln ausstößt. Daher sind sie nirgends und
überall; sie sind da, wo kein Ange sie bemerkte, zur Stelle,
sobald der Schlächter einem Thiere die Kehle durchschnitt,
sobald der Jäger sein Messer zieht, ein von ihm erlegtes
Wild auszuweiden. Drei Arten vornehmlich leben hier:
der Schopf- und der Ohrengeier und ein langhälfiger
328
Vierzehn Tage in Mensa.
Aasvogel, den ich zu Ehren des großen Forschers Rüppell
benannt habe.
Aus der Adlerfamilie finden sich einige beachtenswerthe
Arten. Der Raubadler hat hauptsächlich den so ge-
meinen Hasen den Krieg erklärt; der farbenprächtige, die
Seltener gewahrt man einen der stolzen Edelsalken,
welche hier stets gute Jagd halten; viel häufiger schou be-
gegnet man einem Sperber oder dem Singhabicht jener
Gegenden, welcher freilich nur dem Namen nach ein Sänger,
in Wahrheit vielmehr ein stiller, langweiliger Gesell ist, der
Klippschliefer.
Bläne mehr durchspielende als durchfliegende Gaukler
strebt dem giftigen Gewürm mit Mnth und Eifer uach und
hat deshalb sich allgemeine Achtung erworben. Hevai-
Semai (Himmelsaffe) nennen ihn die Abyssinier; in diesem
Namen liegt seine Beschreibung. Er ist der wunderbarste
Flügelkünstler in seiner Familie.
sich schlecht und recht dnrch's Leben schlägt. -— Gemein,
wie überall in ganz Nordost-Asrika, ist der Schmarotzer-
milan, jener dreiste, unverschämte Bettler, ein „Abu-
Said" in Vogelgestalt, welcher den Menschen ebenso arg
belästigt, wie seine edlen Gewerbsgenossen. Ihn braucht
man nicht aufzusuchen, er kommt ans freien Stücken bis
Vierzehn Tage in Mensa. 329
auf, ja bis in das Zelt und in die Hütte, um zu betteln ihre Freude daran haben können, und dabei in aller Stille
und zu stehlen. morden und würgen. Ihr schauerliches Geheul dnrchtönt
Auch die Nacht hat ihre Räuber. Ein Uhu und eine auch hier den Wald — aber die Dichtung hat sich solcher
Der Elephant.
Ohreule sind nirgends gerade selten im Wald und kommen, Töne noch nicht bemächtigt: kein Mensch weiß hiervon
so versteckt sie auch leben, doch oft genug vor das Auge des der wilden Jagd Etwas zu erzählen.
Reisenden; denn auch in Afrika hassen die Vögel des Lichts Freundlicher sind andere Nachtstimmen aus Vogel-
jene tückischen, scheinheiligen Schleicher, jene Psasfen der munde, welche man in den tieferen Gebirgsthäleru all-
Bogelwelt, welche die Augen verdrehen, daß unsere Mucker abendlich vernimmt: die spinnenden Laute, welche die Nacht-
Globus für 1863. Nr. 35. 42
330
Vierzehn Tage in Mensa.
schwalben oder Ziegenmelker hören lassen. Solche
Nachtmusik hat etwas ungemein Angenehmes; man freut
sich, wenn man sie hört. Das Gebirg ist übrigens arm an
diesen Vögeln, welche in allen unter niederen Breiten ge-
legenen Ländern häusig sind; dies nimmt Den aber nicht
Wunder, welcher die ungewöhnlich kalten Nächte jener
Höhen aus eigener Erfahrung kennen gelernt hat.
Dagegen sind die Tagschwalben um so häusigere
Erscheinungen. Unter den vielen einheimischen Arten, welche
über den Nordländer dahin eilen, sieht dieser zu seiner inni-
gen Freude anch die lieben Bekannten aus der Heimat,
welche hier vorüber- und weiter nach Süden hin ziehen,
wenn der Winter die freundlichen Thiere aus dem eigenen
Vaterlande vertrieb.
Nicht eben häufig siud jeue, deu Schwalben iu so
vieler Hinsicht ähnelnden Vögel, die Bienenfresser:
prächtige und liebenswürdige Geschöpfe, deren ganzes Wesen
und Sein anziehend erscheint; — wie gern möchte ich sie
ausführlicher beschreiben, wären diese Blätter dazu die
rechte Stelle!
Einige andere hierauf folgende Prachtvögel muß ich
übergehen, weil ihre Aufzählung nur den Forscher angeht:
dagegen darf ich die Kolibris unseres Gebiets, die Honig-
saug er nämlich, nicht unerwähnt lassen. Sie gehören zu
den häufigsten Vögeln deS Mensalandes; sie sind die leben-
digen, in aller Farbenpracht der Wendekreisländer schim-
mernden Blumen, welche die spendende Natur den köstlichen
„tobten" Blüten beigab, als hätte sie ihre Schönheit er-
höhen sollen. Nur wer diese lieblichen Geschöpfe mit selbst-
eigenen Augen sah, lebend, schwebend, von Blüte zu Blüte
gaukelnd, scheinbar den Wohlgeruch der Blumen mit deren
Süßigkeit einschlürfend, in Wirklichkeit aber sie von den ver-
derbendrohenden Kerfen säubernd - nur der kann sich ein
getreues Bild von diesen Zaubergestalten ausmalen und in
die tiesinnerste Seele einprägen. An solchen Thieren er-
lahmt die Hand, welche die beschreibende Feder führen soll;
vor solchem Leben verstummt das Wort. ,
Sie, die Lieblichen und Stimmbegabten, mögen uns
zu den eigentlichen Sängern führen. Habesch, die asrika-
nische Schweiz, ist ein Wunderland: es ist eine Alpenwelt,
unter die Tropen gerückt. Diese Alpenwelt hat ihren Klang,
ihren Sang sich erhalten. Neben den vielen Schreiern
lassen gar viele tüchtige Sänger ihre frischfröhlichen, ton-
und klangreichen Lieder vernehmen — und wenn auch der
Sänger König und Königin, Sprosser und Nachtigall,
fehlen: sie werden wenigstens nicht unwürdig vertreten.
Die B n s ch s ch l üp s er und S ch m ä her, ächte Gras m ü ck e n
und Drossliuge, Stelzeu und Fliegenfänger jubeln
ihre Gesänge, unter denen es gar manches prächtige Lied
giebt, laut und schmetternd weit hinaus in die herrliche Welt
und sie erquicken damit das Herz des fühlenden Men-
schen. Aber auch viele bekannte Klänge werden hier laut.
Manche liebe Freunde aus der Heimat nehmen hier Herberge
aus der Winterszeit, und andere, wie das fchmucke Kind
unserer Gebirgsbäche, die gelbe Stelze, haben sich sogar
bleibend hier angesiedelt. In solcher Gesellschaft geht dem
Nordländer so recht das Herz auf: denn die liebe Heimat
ist gar ein eigen Ding, und ihre Laute, Klänge und Lieder
sind eine Sprache, die man verstehen, nachreden muß, im
innersten Herzen. Ueber den heimischen Liedern vergißt
man die Zaubertöne selbst dieser Fremde, vergißt man den
glockenreinen Flötenruf des äthiopischen Würgers, das
bauchrednerische Gemurmel der Nariua, — des Wnuder-
vogels, welcher zit Ehren itiid Gedenken eines Hotten-
tottenmädchens seinen Namen trägt —, vergißt man das
laute Geschwätz der Weißköpfe, das Kollern des Pifang-
fressers, das dnmpfe Geheul der Helmvögel und alle
die hundert anderen Lante, Töne, Klänge, welche hier lant
werden.
Einige Kegelschnäbler verdienen ebenfalls Beach-
tnng. Ein sehr kurzschwänziger Rabe ist dem Gebirg eigen-
thümlich; er zeigt sich, sobald man in das erste Thal einge-
treten ist, anstatt des weißbrüstigen Verwandten, welcher
die tieferen Ebenen bewohnt. Aber er ist ein vollständiger
Rabe in Geist und Wesen und daher einer ausführlichen
Schilderung uicht bedürftig. Die Glanzdrofseln sind
bezeichnender für unser Gebiet. Sie verstehen den Wald
zu beleben. Ihr kreischender Schrei verhallt zwar unter
all' den Stimmen des Waldes; das metallisch schimmernde
Sammetgesieder aber läßt die regsamen Vögel bald bemerk-
lich werden. Dieses Gefieder ist in seiner Art vollendet zu
nennen. Die blendende Sonne spiegelt auf ihm sich wieder
und blitzt helle Streiflichter durch das Gezweige, als ob sie
von einer polirten Stahlfläche zurückgeworfen würden. Der
ganze Urwald schillert zudem in den prächtigsten Metall-
färben: es ist eine Lust, die ganze Zauberei, welche das
Licht aus solchem Gesieder auszuüben versteht, anzuschauen.
Ein anderer, zu derselben Zunft gehöriger Vogel, der
Madenhacker, gehört, wie sie, zum Bilde der Landschaft.
Er ist der zwar eigennützige aber treue Freund aller größeren
Säugethiere, deren Leib ihm Nahrung geben muß. Wie
ein Specht an den Bänmen, klettert er an Rindern, Pfer-
den, Maulthieren, Elephanten herum, oben auf dem Rücken,
unter dem Bauche dahin, am Halse, am Kopfe Hill und
wieder, an deu Beinen auf und nieder, das Thier mag
stehen, liegen oder stch bewegen. Der Anblick eines so von
Schmarotzern be.ästigten Thieres hat etwas höchst Ueber-
raschendes.
Unter den Finken machen sich die Webervögel zumeist
bemerklich. Sie verleihen den Bäumen ein ganz eigenthüm-
liches Gepräge. Eine einzige Mimose muß einer zahlreichen
Ansiedelung dieser geselligen Thiere Raum geben. An jedeni
ihrer Zweige fast hängt eins jener zierlichen, slaschenförmigen
Nester, schaukelud im Winde, und jedes dieser Nester hat
seine Bewohner, jedes beherbergt eine Familie oder min-
destens ein treuverbundenes Paar. Das schwatzt und schwirrt
und spinnt vhne Ende! Einige kommen, andere gehen; diese
fingen sich zärtliche Liebeslieder, jene äzen die hungrige Brut.
Der Baum wird zun: Mittelpunkte des regsten Lebens. Die
Webervögel sind so anziehende Gesellen, daß man ihretwegen
die anderen Finken fast übersieht. Und doch finden sich nnter
diesen noch sehr beachtnngswerthe Geschöpfe. Mit Staunen
folgt das Auge einem fliegenden Männchen der Paradies-
w ittw e, welches seinen Wohl dreimal körperlaugen, schweren
Schwanz mühsam durch die Lüste schleppt; mit Lust beob-
achtet man das Leben und Treiben der Zwerge in dieser
Familie, welche unter dem Namen „Bengalafinken" auch
bei uns zu Lande wohlbekannt geworden find, weil jeder
Vogelhändler sie iu seiueu Käsigen eingekerkert zeigt.
Eine ganz sonderbare Sippschaft bewohut die aller-
dichtesten, jedem andern Geschöpf geradezu uudurchdriug-
liehe» Hecken, Lauben und Gebüsche. Es sind die Mäuse-
vögel (Colins) — wirkliche Mäuse unter den Vögeln! —
äußerst merkwürdig gestaltete und durch ihr Lebe» sehr ans-
salleude Thiere. In kleinen Gesellschaften oder Familien von
sechs bis acht Stücken fliegen sie von einem jener Ranken-
gehege zum ander«, schlüpfen in die Dichtung, winden sich
kriechend zwischen den engsten Verschlingungen durch, pflücken
sich Knospen, Blätter und Früchte zur Nahrung und er-
fcheiueu nach längerer Zeit anf der entgegengesetzten Seite
des Gebüsches, um nach einem andern, eben so dichten zu
spähen, welchem sie dann anch, einer nach dem andern.
Vierzehn Tage in Mensa.
331
schwirrend und schwebend zufliegen. Ihre Stimme hört man Ueber die Ordnung der Klettervögel ist wenig zu
nur, wenn sie fliegen; sie sind aber auch dann verhältniß- berichten. Die Papageien gehören nicht zu deu häufigen
mäßig ruhig. ! Vögeln dieses Theiles des Gebirges, obgleich dieKolqual-
Ganz das Gegentheil muß man von den Pisang- euphorbie — deren getreues Bild wir nachträglich hier
fressen: sagen. Sie verursachen einen Heidenlärm, und geben (S.324)— der eigentliche Wohnbaum eines prächtigen
verstehen es, die auffallendsten Laute herauszustoßen. Am Zwergpapageis ist. Die Bartvögel kommen nur einzeln
meisten ähneln sie hierin noch einem polternden und kollern- vor und sind still, bis auf eiueu, den Perlvogel, welcher
den Birkhahn. Man bemerkt sie bald; denn sie lieben nüt seinem Weibchen im Verein einen lustigen Gesang vor-
es, sich zu zeigen, und die großen Vögel fallen anf weithin trägt; die Spechte treten nur in kleinen Arten auf, und
in's Auge. Die ihnen entfernt verwandten Helmvögel die Knkuke sind auch nicht häufig.
(Corythaix) sind stillere, jedoch keineswegs weniger auf- Dagegen ist das Gebirge reich an Tauben von ver-
fallende Geschöpfe. Sie leben familienweise auf deu Hoch- j schiedeneu Größen uud Färbungen. Sie beleben den Wald
bäumen des Waldes, fliegen nach Heherart von einer Stelle aller Orten, die niedersten Gebüsche ebensowohl, wie die
zur andern uud entfalten dabei die volle, sonst ganz ver- Kronen der höchsten Bäume. Man sieht sie paarweise nnd
Helmvogel und Hornrabe.
steckte Pracht ihrer Schwingen. Ihre Stimme ist ein dumpfes
Heulen.
Mehrere Arten der Nashornvögel bewohnen mit
ihnen dieselben Orte. Der Hornrabe ist ziemlich selten;
seine kleineren Verwandten dagegen machen sich überall be-
merklich. Sie sind die Wächter des Waldes. Dem Leo-
parden verleiden sie oft seine Jagd, dem Uhu verbittern
sie das Leben. Jedes gefährliche oder auffallende Thier
wird sicher rechtzeitig von ihnen erspäht und sofort der ganzen
Thierwelt angekündigt. Eine Rotte schreilustiger Vögel
sammelt sich um sie und schreit mit; der ganze Wald kommt
iu Aufruhr. Aufmerksam prüft das Zwerg böckchen oder
der Algaseen seine Umgebung; denn selbst die Säuge-
thiere achten der Warnung. Der Räuber verliert durch
diese Wächter oft geuug eiue Beute, deren er sich schon
sicher wähnte.
in Flügen von Hunderten. Dem Forscher bieten sie reichen
Stoff zur Beobachtung.
Auch die Hühner sind sehr häufig. Unsere Wachtel
nimmt zur Winterszeit auch im Bogoslande Herberge uud
schwirrt oft genug vor dem Jäger auf. Das Perlhuhn
bewohnt in zahlreichen Ketten alle sonnigen Gehänge, und
die Frankoline, zumal eine große, schöne Art, ist gemein.
Sie leben paarweise, und nur so lange ihre Brnt noch nicht
selbständig ist iu Ketten. Ihr lauter Ruf übertönt in den
Morgen- und Abendstunden alle übrigen Stimmen des
Waldes.
Sogar einige Lauf- und Sumpfvögel hausen im
Gebirge. Auf der Hochebene bei Mensa vernimmt man
allnächtlich den lauten Ruf des Dickfuß: an dem Wässer-
chen im Thale lebt cht Zwergreiher und der so merk-
würdige Schattenvogel (Scopus), dessen großes Nest
42*
332
Bilderschrift der nordamerikanischen Indianer.
kröte im Walde. Sonst habe ich nur noch Frösche und
Kröten bemerkt.
Von den übrigen Klassen des Thierreichs muß ich
schweigen. Ich könnte nur wenige Namen nennen — und
das will ich nicht. Daß sie, vor allen anderen die Kerb-
thiere, in entsprechender Anzahl sich finden, bedarf wohl
kaum der Erwähnung. —
man überall im Thal auf den starkästigeu Mimosen sieht.
Selbst Schwimmvögel verirren sich zur Regenzeit in die
für sie sonst so unwirklichen Höhen.
Die Klasse der Lurche ist zwar verhältnißmäßig arm
an Arten, aber doch noch zahlreich genug. Buntfarbige, im
Strahl der Sonne in allen Farben schillerude Eidechsen
beleben alle Felswände, alle Halden, und zwar in ganz
anderer Weise als in uuserm Norden; denn die Glut der
Sonne verleiht ihnen eine unglaubliche Regsamkeit. Doru-
eidechseu bewohnen mit Klippschliefer und Mangnste
dieselben Felsen, und Gekos, Eidechsen mit Klebefingern,
die dunklen Ritzen und Spalten im Gesteiu. Schlangen
scheinen selten zu sein; doch erlegte ich mehrere, unter ihnen
eiue über sechs Fuß lauge, mir unbekannte Art mit Achtung
einflößenden Gifthaken. Eine Wasserschildkröte sindet
sich in den Tümpeln des Bächleins und eine Landschild-
Vorstehende Schilderung will nichts anderes sein, als
eine flüchtige Skizze. Sie ist ein Schattenbild der Wirklich-
keit, aber die Umrisse sind treu gezeichnet. Dies ist der
einzige Werth, den meine Mittheilungen haben mögen.
Jedenfalls lassen sie Eins mehr errathen als erkennen: die
erhebende Pracht und den unendlichen Neichthnm
dieses erst seit weuig Iahren unserer Kenntniß
erschlossenen Geb irgs landes.
Bilderschrift der nordamerikanischen Indianer.
Liebes- und Kriegsgesänge.
Wir haben in der vorigen Nummer das Wesen der Gesäuge werden von den Kriegern angestimmt, bevor sie aus-
indianischen Schriftgemälde dargestellt, und dasselbe an ziehen, um den Feind aufzusuchen. Die Figuren, welche
einem Wabino-Gefange erläutert. Heute wollen wir die unsere Tafel und in derselben Größe so wiedergiebt, wie
Erläuterung von Kriegs- und Liebesgesängen folgen laffen. sie auf den Tafeln oder auf der Birkenrinde stehen, ge-
Die erstereu fallen unter die Abtheilung, welche als hören dem Kekinowin an, „dem höchsten Grade der Sym-
Nundobunewin, Krieg, bezeichnet wird. Die Bilder- bolik", wie unser Gewährsmann Schoolcraft sich ausdrückt,
zeichen sind auch hier Hülssmittel für das Gedächtniß, und die Zunächst wollen wir die untere Abtheilung erklären;
Bilderschrift der nordamerikanischen Indianer. ZZZ
die Tafel muß von der Linken zur Rechten gelesen werden. j dingung aller Erkenntnis? für den Menschen, sondern in
Sie stellt einen zusammenhängenden Gesang dar, welchen diesem Fall ist sie vorzugsweise ein Sinnbild der Wach-
ein einzelner Krieger oder auch der Chor mit ihm singt. sanikeit. Der Krieger singt:
Die erste Figur stellt die Sonne dar. Sie bedeutet Ich stehe auf; ich erhebe mich,
hier nicht blos den Urquell des Lichtes und die Grundbe- Die folgende Figur stellt ihn selber dar. Indem er
Kriegs - und Liebesgesänge der Odschibwäs.
334
Bilderschrift der nordamerikanischen Indianer.
mit der einen Hand auf die Erde hin zeigt und mit der
andern nach Oben weist, deutet er an, daß er große Macht
und Geschicklichkeit besitze. Er fingt:
Ich nehme den Himmel, ich nehme die Erde.
In der dritten Figur erscheint er, der Krieger nnd
Sänger, unter dem Symbol des Mondes; damit will er
sagen, daß die Nacht, in der man unbemerkt bleibt, sich am
besten für kriegerische Unternehmungen eigne. Er singt
stolz und mit gehobenem Gefühl:
Ich gehe durch den Himmelsranm.
In der letzten Figur personificirt er die Venus, die
„Frau im Osten", den Morgenstern; er ruft denselben an,
als einen Zeugen feiner Tapferkeit und kriegerischen List.
Die Frau im Osten ruft.
Im Odfchibwätexte lautet der Gesang:
1. Tsche be mo ak sa aini.
2. Ma mo yah ua geezhik
Me mo yah, na ahkee
A!a mo yah na.
3. Bai uo sa yah na, geezhigong
Bai mo sa ya na.
4. Wa buu ong tuz-ze kwai
Ne wan ween, ue go ho ga.
Wenn man diese Verse ihres symbolischen Charakters
entkleidet, lauten sie folgendermaßen.
1. Ich stehe auf, um den Kriegspfad zu fachen.
2. Vor mir liegen Erde und Himmel.
3. Ich gehe bei Tag und bei Nacht
4. Und der Hesperus ist mein Führer.
Die oberste Abtheilung unserer Tafel enthält gleich-
falls einen Kriegsgesang. Die erste Figur stellt einen
gewandten, schnellfüßigen Krieger dar. Damit er als solcher
gekennzeichnet sei, hat er Flügel. Er singt:
Ich möchte die Flügel des schnellste» Vogels haben.
Zweite Fign r. Der Krieger steht unter dem Morgen-
steril, der gleichsam seine Schildwacht bildet und andeutet,
daß er für diese Nacht nun sein Unternehmen beendet habe.
Jeden Tag blicke ich nach dir-, den halben Tag singe ich
meinen Gesang.
Dritte Figur. Er steht mit seiner Kriegskeule und
der Klapper unter dem Himmel, welcher sich über ihm wölbt,
und singt:
Ich werfe meinen Körper hinweg.
Vierte Figur. Der Adler, als Sinnbild des Ge-
Metzels, umschreitet den Himmel.
Die Vögel fliegen in der Luft.
Fünfte Figur. Der Krieger nimmt au, er fei im
Gefecht erschlagen worden und siugt:
Ich preise mich glücklich, unter den Erschlagenen zu seiu.
Sechste Figur. Er tröstet sich mit dem Gedanken,
daß hoher Nachruhm ihm nicht fehlen könne, nnd dieser
Gedanke wird symbolisch durch einen Himmelsgeist ans-
gedrückt:
Die Geister in der Höhe wiederholen meinen Nameu.
In unsere Begriffe und in unsere Sprache Überträgen,
würde der Gesang lauten:
Ich wünsche mir die Schnelligkeit eines Vogels, um auf den
Feind herabzustürzen.
Nach dem Morgenstern blicke ich, der meine Schritte leitet.
Meinen Leib weihe ich dem Kampfe.
Ich schöpfe Muth aus dem Flug des Adlers.
Es ist mir recht, wenn ich unter den in der Schlacht Gefallenen
bin.
Daun wird mein Name mit Ruhm genannt werden.
Einen solchen Sinn legt der indianische Krieger in die
rhapsodischen Worte, die uns kahl, mager nnd ohne Zu-
sammenhang erscheinen, und dabei wird er warm und ans-
geregt, wie unsere europäischen Krieger bei ihren Gesäugen,
niutherfüllt und voll von Thatenlnst. Die symbolischen
Bilderfiguren bilden den Schlüssel für dieNnga moon nn,
die Gesänge, und die hier mitgetheilten Proben zeigen, in
welcher Weise man sich dieser mnemonischen Symbole be-
dient.
Die Symbole für Liebesgesänge lSageawiu)
lernen wir aus der Mittlern Abtheilung der Tafel kennen.
Figur eins stellt einen Menschen dar, welcher glaubt,
daß er Zauberkraft besitze, um das andere Geschlecht zu be-
»zaubern. Er hält sich für einen Monedo, göttlichen Geist,
stellt sich im Gemälde als solchen dar und singt:
Mein Gemälde macht mich zu einem Gott.
In Figur zwei führt er diesen Gedanken weiter aus;
er bethätigt seine Zaubergewalt, indem er sich als Musiker
zeigt, welcher die Zaubertrommel schlägt:
Höre die Töne meiner Stimme, meines Gesäuges; es ist meine
Stimme!
In Figur drei scheu wir schon die Wirkungen seiner
Zauberkraft; er sitzt in einer heimlichen Hütte.
Ich verberge mich und sitze doch uebeu ihr.
Figur vier deutet an, daß er die Geliebte für sich
gewonnen habe; beide haben nur einen Arm, sind ganz
vereinigt. Er singt dabei:
Ich kann sie verlegen machen, denn ich höre Alles, was sie
von mir sagt.
In Figur fünf befindet er sich auf einer Insel, und
singt:
Wäre sie auch auf einer fernen Insel; ich könnte macheu, daß
sie zu mir herüber schwämme.
Figur sechs. Die Geliebte schläft. Er rühmt sich
seiner Zaubergewalt, welche es ihm möglich machte, ihr Herz
für sich zu gewinnen:
Wenn sie auch noch so weit, selbst auf der andern Seite der
Erde, entfernt wäre.
Figur sieben. Ein Herz.
Ich spreche zu deinem Herzen.
Dieser Nngaumon würde in unserer Sprache folgen-
dermaßen lauten:
Meine Gestalt und meine Person machen mich groß.
Höre die Stimme meines Gesäuges: es ist meine Stimme.
Ich kauu mich in geheimuißvoller Weise unsichtbar machen.
Alle deine Gedanken sind mir bekannt. Erröthe!
Und wenn du auch aus einer weit entfernten Insel wärest, ich
könnte dich zu mir herüber locken,
Ja, wenn du auch auf der andern Seite der Erde wärest;
Ich spreche zu deinem offen vor mir liegenden Herzen.
Ethnologische Beiträge.
335
Ethnologische Beiträge,
in.
Indianer und Mischlinge in Bolivia, Per» und in den
La Plata-Ländern.
In Ländern, wo verschiedene Rassen neben einander leben
iu,d außerdem noch Mischlinge in großer Zahl vorhanden sind,
fehlt unter den Menschen der innere Zusammenhang, die gegen-
seitige Uebereinstimmung, das gleichartige Denken, Fühlen und
Streben. Ohne diese und bei völligem Mangel von Wahlver-
wandtschast und vonBewußtseiu der Zusammengehörigkeit, ist aber
eine wohlgeordnete Gesellschaft unmöglich. Wo aber eine solche
fehlt, können auch die bürgerlichen und staatlichen Verhält-
nisse nicht gesund sein.
Die Menschenklassen durchdringen dort einander nicht,
sondern liegen als gegenseitig fremdartige Schichten neben
einander, nnd die Elemente der Abstoßung und Abneigung sind
unter ihnen weit mehr vorwiegend als jene der Anziehung. Die
Mischlinge ihrerseits bilden nicht, wie der Unkundige vielleicht
denken könnte, ein verbindendes Glied, einen Uebergang, sondern
stehen schroff von den Urtypen geschieden, ans deren Vermischung
sie entsprossen sind. Der Mulatte sieht vornehm aus den Vollblut-
ueger herab, welcher seinerseits jenen haßt, weil dieser sich, der Bei-
mischnng weißen Blutes halber, für vornehmer hält. Bei den
Weißen gilt der Mulatte nie und nirgends für voll, und eheliche
Verbindungen zwischen Weißen nnd Mulatten bilden selbst in West-
indieu ungemein seltene Ausuahmeu. Schon der Umstand, daß
diese Mischlinge in unendlich überwiegender Menge Erzengnisse
illegitimer Verbindungen sind, hängt der ganzen Klasse eine ge-
wisse Makel au. Wahrscheinlich giebt es z. B. in ganz Nord-
amerika nicht eine einzige Ehe zwischen einem Mulatten und einer
weißen Frau. Der Mulatte seinerseits hält sich im Allgemeinen
für zu vornehm, eine Negerin zu Heirathen; er blickt stolz anf den
„Nigger" herab. Zwischen beiden liegt eine weite, unausfüllbare
Kluft, und wir sehen das am deutlichsten und iu grauenhafter
Weise auf Haiti, iu dessen Geschichte es sich, seitdem diese Insel
unabhängig geworden ist, vorzugsweise um den Gegensatz und die
erbitterte Feindschaft zwischen Schwarzen nnd Gelben handelt.
Sie hat zu Nasseukriegen geführt, welche mit entsetzlicher Barbarei
geführt wurden. Gegenwärtig herrscht Waffenstillstand, aber das
Feuer glimmt fortwährend unter der Asche.
In den ehemals spanischen Ko l o n i en A m erikas zerklüftet
sich die Bevölkerung in vier verschiedene Klassen. Zwei derselben
sind ans der Fremde dorthin gekommen: die Europäer, Weiße»,
imd die Afrikaner, Schwarze». Die Indianer, Brau-
neu, sind Ureiugeboreue. Dazu kommen die Mischlinge in
so mannigfachen Abstufungen, daß man zum Beispiel iu Peru
dieselben nach Dutzenden zählt nnd für die meisten derselben eine
besondere Namensbezeichnnng hat. Wir kommen anf Pern, das
auch in ethnologischer Beziehung ein sehr interessantes Land ist,
gelegentlich näher zurück; hier wollen wir einige Bemerkungen
und Angaben über jenen Theil des alten Jukareiches gebeu, welcher
als Hochperu oder Bolivia eine selbständige Republik bildet.
Nach der Zählung von 1846 hatte Bolivia 1,373,896 Ein-
wohner. Davon hatten sich 659,398 für Weiße ausgegeben.
Bekanntlich will der Mischling in allen Ländern so viel als möglich
für einen Weißen gelten, vor allen Dingen aber möchte es der
halbschlächtige Mensch in Amerika. Wer einen brasilianischen
Mulatten einen Mulatten nennen wollte, würde ihn tödtlich be-
leidigen und müßte auf einen Messerstich gefaßt sein; wer ihn aber
als Senhor Brauco, d. h. Weißer Herr, anredet, darf eines
freundlichen Entgegenkommens sicher sein.
In Bolivia sind unter den „Weißeu", deren Ziffer die Volks-
zählnng ergab, alle Mestizen, das heißt die Mischlinge von
Weißen und Indianern, in ihren sehr verschiedenen Abstnfnngen
begriffen, und man bezeichnet sie dort als Cholos. Die Zahl der
Neger ist in jenem Hochlande sehr unbedeutend.
Wie bedeutend das Uebergewicht der Indianer in Bolivia
ist, ergiebt sich ans den Ziffern. Die Zahl der Vollblutindianer
betrug 711,498. Von den angeblich Weißen, 659,398, dürfen
wir auf die Mischlinge dreist 406,000 rechnen, so daß für die
Weißen etwa eine Viertel-Million Seelen übrig bleiben. Das
ist aber eine vollauf reichliche Annahme, und man darf selbst bei
diesen nicht einmal eine genaue Blutprobe vornehmen; man würde
dabei sehr häufig die Spuren indianischer Znthat heranserkennen.
Dergleichen Prüfungen sind unbeliebt iu deu Creoleurepubliken.
Selbst in Chile, wo doch die indianische Beimischung am aller-
schwächsten ist, hat man bei der Volkszählung sich wohl gehütet,
diesen Punkt hervorzuheben. Perez Rosales übergeht in seinem
trefflichen Werk über Chile denselben vollständig. Jedermann
möchte eben für einen Weißen gelten.
Die wirklichen Weißen leben in Bolivia zumeist in den
Städten; auf dem Land ist geradezu Alles indianisch, aber die
Vertheilnng der Rassen in den einzelnen Provinzen in hohem Grad
ungleich. In der Provinz Beni kommen 37 Indianer
auf einen „Weißen", in Ornro 10 anf 1, in La Paz 4 anf 1,
in Atacama 21/2 auf 1, in Potosi V2 anf 1, Chuqnisaca 1 anf 3,
Santa Cruz i auf 2, Cochabamba l anf 5, Tarija 1 auf 21
Seelen. Wohl zu merken, daß hier unter den Weißen alle Cholos
begriffen sind; die ächten Weißen gehören, außerhalb der Städte,
namentlich der großen, zu deu Seltenheiten.
Dieses indianische Volk steht aller europäischen Civilisation
durchaus fern; die Weißeu, die „Creoleu", schweben mit dem, was
sie von solcher Civilisation bisher noch bewahrt haben, geradezu
iu der Lnft, sie hängen gleichsam über einem Abgrunde von Bar-
barei. Denn durch sie ist die eigenartige EntWickelung der Indianer,
die wir unter den Jnkas finden, völlig gebrochen worden. Allerlei
Fremdartiges, Europäisches ist ihnen zugebracht, aber bloß äußer-
lich und auch nur theilweise gleichsam aufgehäugt worden; das
Innere ist davon durchaus unberührt geblieben. Und noch bis
auf diesen Tag wurzeln tief in dem braunen Volk allerlei, zumeist
unklare Ueberliesernngeu aus deu Tagen vor de? Eroberung;
Gebräuche, Glanbensvorstellungen nnd Vorurtheile haben sich
mit ««geschwächter Kraft vererbt, nnd was man in Peru bei deu
Indianern als „Christenthum" findet, würden wir iu Europa
schwerlich als solches gelten lassen.
Mit Vergnügen las ich vor einigen Jahren sehr verständig
geschriebene Bemerkungen über die Ackerbanverhältnisse Bolivias,
welche ein französischer Reisender, Leon Favre Claivaroz (in
der Revue Contemperaiue) mittheilt. Er schildert die Mestizen
nnd das indianische Landvolk sehr anschaulich. Unter Umständen,
meint er, würden die Cholos, welche bisher eigentlich nur Werk-
zenge in der Hand der Weißen gewesen sind, gemeinschaftliche
Sache mit den Indianern machen; diese aber stehen in offen aus-
gesprochenem Gegensatze zn den Weißen und machen aus ihrer tief
im Innern wurzelnden Feindschaft nnd ans ihrem Ingrimm kein
Hehl.
Die Weißen in den Provinzen Beni, Ornro und La Paz
schweben in steter Furcht, von deu Indianern ausgemordet zu
werden. Die Indianer wurden von den weißen Eroberern als
eine besondere Kaste betrachtet, nnd die Gebräuche und An-
schauungen der Vorfahren gingen von einem Geschlecht auf das
336
Ueber zwei mächtige, unter den Augen der Menschen,
vndere über. Der bei weitem zahlreichste Theil der Indianer blieb
den politischen Bewegungen fern und wurde von keiner geistigen
Strömung berührt. Nie hat ein Indianer sich als einen Spanier
betrachtet. Der eben genannte Reisende bemerkt: „Die Bewohner
von La Paz können Einem sagen, von welchem fieberhaften Schrecken
sie jedesmal ergriffen werden, wenn bei irgend einer Bewe-
gung der erbliche Haß aufflammt, welchen die Kupfer-
farbigen gegen die Weißen hegen. Die Asche des Aufstandes von
1781, als Tnpac Amarn (Nachkomme der Jnkas), sich gegen die
Spanier erhob, ist noch nicht abgekühlt. Was sollte werden und
was wird geschehen, wenn einmal ein Funke bis in die verborgene
Masse geheimer Hoffnungen und Rachewünsche fällt? Man
fürchtet einen socialen Krieg, ein zweites St. Domingo
in Bolivia. Es giebt nur ein einziges Mittel, einem solchen
vorzubeugen: massenhafte Einwanderung aus Europa."
So äußert sich Claivaroz. Aber die Weißen in fast allen
Creolenrepubliken haben beiuahe den Instinkt zur Selbstrettung ver-
loren, Sie wütheu gegen einander in Bürgerkriegen, schlachten
sich gegenseitig ab, vermindern ihre Zahl und geben den anderen
Farben die Waffe in die Hand. Bisher haben sich, wie ich schon
hervorhob, die Cholos als Werkzeuge der Weißeu benutzen lassen,
aber die neuesten Bewegungen in Bolivia zeigen, daß sie ihrerseits
der untergeordneten Rolle müde sind.
Nun stehen die Dinge etwa so: Die Indianer, als „Kinder
der Sonne", hoffen noch immer, in dumpfem und unklarem Hin-
brüten, auf eine Wiederkehr der Jnkas. Christen sind sie nur dem
Namen nach und insoweit sie die Gebräuche der katholischen Kirche
beobachten; daneben geht das alte Heidenthum fort. Noch heute
beten sie zu Pachacamac. ohue eine genaue Vorstellung von dem
alten Gotte zu haben, der ihnen aber näher steht als jener, welchen
die christlichen Priester ihnen verkündigen und den sie wie eine
fremdartige Pflanze betrachten. Ganz öffentlich, ohne Scheu vor
dem Pfarrer, bringen sie der Erde Trankopfer dar; die Erde ist
ihnen „Mutter" lind wird mit Chicha (dem gegohreneu Getränk
aus Mais) besprengt.
Im Uebrigen lebt der Qnechna- oder Aymara-Indianer ohne
jeden höhern Antrieb dahin, führt ein vegetatives Dasein, kaut
Coca und zahlt Stenern. Die „CHolada" dagegen, die Ge-
sammtheit der Mestizen, trachtet nach Ansehen, Stellung und Ge-
walt im Staate; sie fühlt sich, will nicht nur völlige Gleichstellung
mit den Weißen in gesellschaftlicher Beziehung, sondern möchte
auch herrscheu.
Einwanderung aus Europa bekommt Bolivia nicht; die Zahl
der Weißen ist anch dort im Abnehmen, und die höhere Gesittung,
so viel vou ihr vorhanden ist, verschwindet in demselben Maße,
als das weiße Element sich verringert. —
Von der Bnntscheckigkeit der Bevölkerung könnte ich
aus Tschndi und anderen Schriftstellern schon jetzt eine lange Reihe
von Belegen geben, ich will aber hier nur ein Beispiel mittheilen.
Ein sehr ruhiger und vortrefflicher Beobachter, welcher den ethno-
logischen Verhältnissen eine ganz besondere Sorgfalt zuwendet,
vr. Karl von Scherzer in Wien, war mit der österreichischen
Fregatte Novara im Hasen von Callao und verweilte einige Zeit
iu der Hauptstadt Perus, Lima. Von dort machte er einen Ritt,
lieber zwei mächtige, unter den Äugen
entstiegene
Erster
Daß zuweilen Inseln sich ans dem Grunde des Meeres
erheben, bald um die einmal eingenommene Stätte zu behaupten,
bald um uach einiger Zeit sich wieder in die Fluten, denen sie
um einen in Rinnen liegenden Pachacamac-Tempel zn besuchen.
Dieser liegt iu der Nähe von Caxamarquilla. Unterwegs kam
unser Landsmann an einen Rancho, ein einsam liegendes Gehöft,
und faud dort vierzehn Männer in süßem Nichtsthun. Was für
Leute waren das? Scherzer giebt Antwort: „Von diesen vier-
zehn Individuen gehörte kein einziges derselben Nasse
an; es waren Menschen von allen Farben und Schatti-
rnngen! Weiße, Indianer, Neger, Chinesen, Mestizen,
Mulatten, Zambos (d. h. Mischlinge von Negern und In-
dianern) :c." Er knüpft an diese Thatsache folgende Bemerkuu-
gen: „Für den genanern Beobachter, sagt er, ist eine solche Er-
scheinung von tiefer Bedeutung. Sie gestattet uns einen Einblick
in die Ursachen, welche den höhern socialen, geistigen und politi-
schen Aufschwung Chiles im Vergleiche zn dem Niedern Kultur-
zustande Perus veranlassen. Man trifft in Peru überhaupt
eher fünfzig Farbige aller Schattirungen, bevor man
einem Vollblutweißen begegnet. In Chile dagegen, und
das ist ein großer Vorzug, welchen diese Republik voraus hat,
muß man tief in's Innere des Landes dringen, ehe man mit den
Indianern in Berührung kommt, während eine Negerbevölkerung
ganz fehlt. In den Küstenstädten Chiles leben fast ausschließlich
Weiße."
Da Herr von Scherzer Chiles erwähnt, so will ich die An-
gaben hinzufügen, welche vor einigen Jahren ein in Valdivia,
Südchile, ansässiger Deutscher über die dortigen Indianer machte.
An den Vollblütigen, sagt er, bemerke man die sogenannte Cal-
lama, das heißt einen schwarzen Hautflecken oberhalb der letzten
Rückenwirbel. Bei Leuten von uuvermischtem Blut und bei den
Mestizen, namentlich bei diesen Mischlingen, trete er durch die
hellere Hautfarbe sehr hervor; im dritten Grade werde diese Cal-
lama schwächer, im fünften Grade verschwinde sie aber ganz. Das
entspräche also den Beobachtungen, welche man an den Quarterons
und Quinterons im tropischen Amerika und überhaupt machen
kann, nur daß man dort den Mischnngsgrad an der Lnna (dem
weißen halben Mond) an den Nägeln erkennt.
Ueber die chilenischen Mestizen fällt der Deutsche iu Val-
divia ein scharfes Urtheil; dasselbe belegt den Satz, daß die Misch-
linge schlechter sind als die beiderseitigen reinen Typen.
„Im Verkehr sind die reinen Indianer bei Weitem den M e-
stizen vorzuziehen. Diese vereinigen in sich die Laster
beider Nationen. Rachsucht und Hinterlist, gepaart mit Faul-
heit und geistiger Indolenz, sodann Feigheit, sind die Hauptzüge
des erbärmlichen Charakters der letzteren."
Ich will zum Schluß eine Stelle aus Darwin's Reise
(I. S. 90) anführen. Im Süden der argentinischen Provinz
Buenos Ayres, am patagonischen Rio Colorado, traf er im Jahre
1833, in der Nähe von Bahia blanca, auf Schaaren von Soldaten,
mit welchen Don Manuel Rosas Krieg gegen die Indianer führte.
Die Buntscheckigkeit dieser Soldaten siel ihm sofort auf: „Eine so
abscheuliche, banditenartige Armee ist wohl nie zuvor irgendwo bei-
sammeu gewesen. Die überwiegende Zahl bestand aus Leuten
vo n gemischtem Blut; es waren Blendlinge von Negern, In-
dianern und Spaniern. Ich weiß den eigentümlichen Grund
nicht, warum Lente vou solcher Abkunft so äußerst selten einen
guten Gesichtsausdruck haben." A.
der Menschen, dem Innnern der Erde
Fenerderge.
Artikel.
entstiegen, hinabzusinken; daß ferner, selbst mitten auf dem Fest-
lande, der Boden unter unseren Füßen erbebt, auch wohl hin und
wieder sich spaltet oder gar einsinkt, ist eine bekannte Sache und
dem Innern der Erde entstiegene Feuerberge.
337
eine allgemeine Erfahrung. Daß aber sogar Berge, die in einigen
Fällen eine Höhe von mehreren tausend Fuß erreichten, wenn auch
nicht plötzlich, aber doch innerhalb einer verhältnißmäßig kurzen
Zeit unter den Augen der Menschen sich erheben konnten und in
dieser Lage bis auf unsere Zeit verharrten, dürfte Wohl nicht allen
unseren Lesern bekannt sein. Jedenfalls gehören solche Ereignisse
mit zu deu denkwürdigsten und überraschendsten, welche das Ge-
biet der Geologie aufzuweisen hat, und wohl nur wenige andere
Phänomene dürften geeignet sein, ein gleiches Interesse zu erregen.
Ueberdies siud sie außerordentlich selten, und so lange die Geschichte
besteht, finden wir auf ihren Tafeln nur vier solcher Fälle verzeich-
uet, die sämmtlich auf vulkanischem Gelände stattfanden und von
denen sich einer schon vor dem Beginn unserer Zeitrechnung er-
eignete. Zwei dieser stauuenswerthen Begebenheiten trugen sich
in Europa, die beiden anderen in Amerika zn. Diese beiden letzteren
wollen wir zum besondern Gegenstand unserer Betrachtungen
machen, hinsichtlich der beiden ersteren uns aber kürzer fassen.
Das älteste bekannte Phänomen dieser Art fällt in die Zeit
vor Chr. Geb., wahrscheinlich in die Jahre 277 bis 274, nnd fand
auf dem klassischen Boden Griechenlands, nämlich auf der Halb-
infel Methone oder, wie sie jetzt heißt, Methana am Hermionischen
Meerbusen statt. Ovid in seinen Metamorphosen und Pausa-
nias iu seiner Geographie erzählen bereits von vulkanischen Er-
scheinungen in dieser Gegend, doch ist es zweifelhaft, ob sie von
einem und demselben Ereignisse reden. Ovid's Schilderung einer
angeblich schon im Mythenalter erfolgten Bildung eines Berges
bei Trözene auf der genannten Halbinsel ist bekannt; Pansan i a s
erzählt von einem vulkanischen Ausbruche, der hier znr Zeit des
Antigonus, des Sohnes des Königs Demetrius, um die vorhin
angegebene Zeit sich zugetragen habe, aber ans ihren Beschreibungen
läßt sich die Lokalität nicht mehr genau ermitteln. Als zur Zeit
des griechischen Freiheitskampfes eine französische Armee nach dem
Peloponnes geschickt wurde, nnd Ibrahim Pascha ans dem Lande
vertrieb, waren derselben auch mehrere Naturforscher, unter
ihnen Virlet als Geolog, beigegeben, um Griechenland in natur-
historischer Beziehung näher zu untersuchen. Nach diesem Gelehrten
hat die Südspitze der Halbinsel Methone ein höchst unwirkliches
Ansehen; ein sehr steil abfallendes, wie verbrannt aussehendes Vor-
gebirge erhebt sich aus der See mehr als 2200 Fuß hoch und besteht
bald aus rotheu, schon zersetzten, bald ans dunkelblauen, flüssig
gewesenen, vulkanischen Felsarten, welche den hier auftretenden
Kalk gehoben und umgewandelt haben, so daß er wie gebrannt,
zerfressen, porös nnd nach allen Richtungen zerborsten erscheint.
Bisweilen hat er in Folge dieser Umwandlung auch ein faseriges
oder erdiges Ansehen erhalten. Aus diesen Kalkmassen treten
warme Quellen hervor, welche von Leidenden mit vielem Erfolg
besucht werden, besonders bei rheumatischen und gichtischen Be-
schwerden. Die Stelle, au welcher jeue Katastrophe sich zutrug,
konnte auch Virlet nicht näher bezeichnen, obwohl er angiebt, daß
es wahrscheinlich derjenige Ort sei, der heute zu Tage Kaimeni-
Petra, d. h. verbrannter Fels, heiße und der wegen der daselbst
vorkommenden dunkeln, verschlackten Gebirgsmassen diesen Namen
erhalten habe. Pausanias nennt den fraglichen Ort Me-
thone uud sagt, er gehöre zur Halbinsel Trözene; es seien hier-
in einer Entfernung von etwa 30 Stadien warme Quellen aus
dem Bodeu hervorgebrochen, welche zu feiner Zeit noch vorhanden
gewesen wären. Zugleich sei die Erde durch einen feurigen Aus-
brnch zu einer Höhe von sieben Stadien — nahe an 4000 Fuß —
empvrgetriebeu worden; diese Stelle konnte theils wegen der daselbst
herrschenden Hitze, theils wegen des Schwefeldampfes, der sich
überall hin verbreitete, gar nicht betreten werden. Während der
Nacht leuchtete sie weit umher nnd die innere Gährnng erhitzte
sie so sehr, daß das Meer fünf Stadien weit kochte und auf
20 Stadien hin ganz trübe erschien. Während dieses Vorgangs
sollen sich auch in demselben thurmhohe Massen von Felstrümmern
gebildet haben.
Globus für 1863. Nr. 35.
Das zweite Ereigniß dieser Art trng sich auf der italienischen
Halbinsel in der Nähe von Neapel bei Pnzzuoli im Jahre 1538
zu. Nach vorausgegangenen zweijährigen Erdbeben erfolgte hier ein
spaltenartiges Aufbrechen des Bodens, verbunden mit dem Aus-
treten von Feuer und Dampf, so wie mit der Bildung eines nner-
gründlichen Schlundes, aus welchem sieben Tage und Nächte
hindurch ungeheure Quantitäten von Asche, Lava und andere Ge-
steinstrümmer emporgeschleudert wurden, die theilweise in den
Krater wieder hinabfielen, größtentheils aber rund um denselben
sich absetzten und so zu der Entstehung eiues hügelartigen Berges
die nächste Veranlassung gaben, dessen Höhe nahe an 500 Fuß und
dessen Umfang an seiner Basis beinahe 8000 Fuß betrug. Er erhielt
deu bezeichnenden Namen Monte »novo oder Monte di Cinere
und führt denselben auch noch jetzt. Obwohl nun dies Ereigniß
durchaus keinem Zweifel unterliegt, so herrscheu doch über die Art
und Weise der Bildung dieser neuentstandenen Berge bis auf deu
heutigen Tag unter den Geologen verschiedene Ansichten, die noch
ihrer Lösung entgegensehen. Manche halten nämlich den Monte
nnovo nicht für das Produkt einer Aufschüttung loser, aus dem
Krater hervorgetriebener Trümmergesteine, sondern für einen söge-
nannten Erhebnngskrater, d. h. für das Produkt vulkanischer
Kräfte, welche die Erdrinde an einer solchen Stelle, die den gering-
sten Widerstand leistete, erhoben nnd zuletzt durchbrochen haben,
ohne daß damit ein Erguß von Lava uud aualogen Substanzen
verbunden gewesen wäre.
Weit großartiger gestalteten sich die Verhältnisse, als gegen
die Mitte des vorigen Jahrhunderts nach vorausgegangenem hef-
tigen Erdbeben im spanischen Amerika zwei vulkanische Berge, mau
kann wohl sagen, plötzlich dem Schooße der Erde entstiegen, eine
bedeutende Höhe erlangten und in derselben bis auf unsere Tage
sich erhalten haben. Der eine derselben liegt in Mexiko und heißt
Jornllo, der andere dagegen mehr südlich im Staate San Sal-
vador und sührt den Namen Jsalco. Dieser letztere ist erst in der
neuesten Zeit bekannter geworden.
Der Jorullo.
Er liegt unter 18° 53' 30" nördl. Breite und 2° 26' 10" westl.
Länge von der Hauptstadt Mexiko und kann von ihr aus in sechs
Tagereisen erreicht werden. Man kennt die Zeit seiner Entstehung
ziemlich genau; sie fällt nämlich in die Nacht vom 28. auf den
29. Septbr. des Jahres 1759, so daß also das Alter dieses Berges
nur etwa ein Jahrhundert beträgt. Glücklicherweise sind uns Be-
richte von Leuten erhalten worden, welche Augenzeugen waren
von der Bildung dieses Vulkans, dessen Höhe 4149 Fuß über dem
Meeresspiegel betragen soll, wie Burkart angiebt. Als dieser
Reisende behufs bergmännischer Versuche und Arbeiten sich längere
Zeit iu Mexiko aufhielt, gelangte er durch einen glücklichen Zufall
iu deu Besitz eines beim Sekretariat der Verwaltung des Bisthums
von Michoaean aufbewahrten, in Guacana am 19. Oktbr. 1759
geschriebenen Briefes, worin der Augenzeuge der Erscheinung Fol-
gendes sagt: Schon lauge vor dem Ausbruche des Vulkaus von
Jorullo, der am 29. Septbr. 1759 des Morgens um 3 Uhr erfolgte,
uud zwar vom 29. Juni desselben Jahres an, wurden die Bewohner
der Umgegend durch heftige Erdbeben erschreckt. Gegen zwei Uhr
am Nachmittage des erstgenannten Tages war die dem Vulkan nahe
gelegene Meierei des Jorullo schon ganz zn Grunde gerichtet; die
von dem Berge ausgeworfene große Menge von Sand, Asche und
Wasser zerstörte alle Häuser, Bäume und Zuckerpflanzungen und
es blieb uns nur uoch der Trost, daß kein Menschenleben dabei zu
Grunde ging. Auch in dem Bergwerksorte Inguarau hatten
die wiederholten Erdstöße Schrecken unter deu Bewohnern ver-
breitet, denn die Zahl derselben belief sich auf 47 in einem Tage,
die 10 bis 12, welche mau iu deu darauf folgenden Tagen verspürte,
nicht mitgerechnet; sie waren so heftig nnd schrecklich, daß man
glaubte, es flösse irgend ein reißender Strom unter der Erde, doch
43
338
Ueber zwei mächtige, unter den Augen der Menschen,
verspürte man sie am Jornllo selbst noch weit heftiger. In dem
diesem Berge am nächst gelegenen Dorfe Guacaua ereignete sich
dasselbe, und es fiel und fällt hier noch so viele Asche, daß sie alle
Felder bedeckt und die Fruchtfluren zerstört, ohne daß eine Aehre
gerettet werden kann; das Vieh starb ans Maugel an Futter und
Wasser, oder hat sich verloren, ohne daß die Eigenthümer wissen,
wohin es geflohen. Durch deu Vulkan tritt so viel Wasser aus
dem Gebirge, daß der bei dem Jorullo entspringende, früher nur
wenig wasserreiche Bach Gnanaca jetzt nicht zu durchwaten ist
uud das Dorf zu überschwemmen droht; gegen 8 Uhr Abends
beginnt er anzuschwellen, wächst dann bis gegen 10 Uhr Morgens
des folgenden Tages und nimmt nun wieder ab. Dies Wasser ist
aber so schmutzig und stinkend, daß die Schiere, welche es getrunken,
davon gestorben sind. Seitdem der Vulkan in Ausbruch gerathen,
sehen wir so schmutzig aus, als wären wir Ms einem Grabe von
Asche mid Stanb erstanden, und die Asche fällt in solcher Menge,
daß alle Bäume geknickt werden, und die Kirche, das Hospital und
die Häuser unter ihrem Gewichte einzustürzen drohen. Die Dun-
kelheit ist undurchdringlich und wird nur von den Blitzstrahlen uu-
terbrocheu; die Erdstöße, zwar weniger stark als im Anfange,
hören noch nicht auf, sie haben Seuchen im Gefolge, welche sich
weit verbreiten n. s. w.
Clavigero erzählt in seiner Geschichte von Mexiko, daß der
Jorullo (der bei ihm anch unter dem Namen Jornyo vorkommt) vor
dem Jahre 1759 nur eiu kleiner Hügel gewesen sei, aus welchem
eine Zuckermühle staud, aber am 29. September d. I. erfolgte
während eines starken Erdbebens ein Ausbruch von Feuer uud
glühenden Steinen, wodurch jeue Mühle und das Dorf Gnacana
zerstört wurden. In Folge dessen bildeten sich drei hohe Berge,
deren Umfang nach dem Berichte des D. Juan Mannet de
Bnstamente, des damaligeu Gouverneurs der Provinz Michoa-
can, worin der Jornllo liegt, aus eigener Anschauung etwa (> Meilen
betragen habe. Die Asche sei bei dem Ausbruche des Vulkans
bis nach der Stadt Qneretaro geschlendert und zwar in solcher
Menge, daß es in der (50 Meilen davon entfernten Stadt Morelia
nöthig geworden sei zwei bis drei Mal täglich die Höfe reinigen
zu lassen.
Ungeachtet der Jorullo, wie wir bereits bemerkt, gerade nicht
weit von der Landeshauptstadt entfernt ist, so wurde er doch bis zu
Ansang unseres Jahrhunderts von keinem einzigen wissenschaftlich
gebildeten Reisenden besucht. Erst von dieser Zeit au erhielten wir
nähere Kunde über ihn, und zwar sind es vorzugsweise Deutsche,
welche sich in dieser Beziehung unvergängliches Verdienst er-
warben.
Als nämlich die spanische Regierung zur Hebuug des mexika-
nischen Bergbaues deutsche Bergleute iu Sold genommen und
darauf in jenes Land geschickt hatte, haben mehrere derselben,
unter ihnen besonders Schmidt, den Jorullo besucht uud ihren
Bericht darüber iu deutschen Zeitschriften (namentlich in der Berg-
baukuude) veröffentlicht. Räch einer dieser Erzählungen liegt der
Berg etwa 30 Meileu von Valladolid gegen Süden entfernt uud
ist ans einer Fläche entstanden, ans welcher mehrere Zucker-Plan-
tagen angelegt waren. Mau verspürte Anfangs ein gewaltiges
Erdbeben, welches die Bewohner dieser Gegend zur Flucht verau-
laßte; hierauf öffnete sich die Erde nud warf so viele Steiue und
Asche ans, daß viele Meilen weit sich Niemand dieser Stelle nähern
konnte. Die Hanptverwüstnng erfolgte indeß in einem Umkreise
von 1— 17-2 Meileu. In deu ersten vier Jahren waren die fort-
währenden Ausbrüche des Vulkans sehr heftig, nachher aber —
und wie es scheint bis zum Jahre 1778 — ließeu sie au ihrer
Stärke uach. Jetzt raucht dieser Bullau nur noch; zur Regenzeit
verspürt mau auch einige leichte Erderschütterungen. Der Berg
hat die Gestalt eines abgestumpften Kegels, seine Höhe beträgt an
der Morgenseite 5 — 600 Fuß, mit einem Verflachen von 45 Graden,
au der Süd- und Abendseite ist er etwas höher. Wenn man
hinauskommt, passirt mau eine Art Fläche voller Spalten, die
einen Schuh uud darüber breit sind, ans denen Ranch und Dampf
emporsteigt; diese Fläche bildet rundumher deu Kranz des Kraters,
dessen Schlund ganz eingerollt und mit senkrechten oder über-
hängenden Felswäudeu umgeben ist. Die Weitung des Kraters
beträgt von Süd nach Nord 800 uud von Ost uach West 400 Fuß.
Man siudet hier keine eigentlichen Laven, sondern halb geschmolzene
Steiue, die mit verschiedenen Salzen znfammeugebackeu siud.
Gegeu Abend hin findet man noch an mehreren Orten brennende
Stellen, und am Ende der Verwüstung, welche man das „üble
Land" (Mal-pays) nennt, trifft man außerdem viele fiedeud
heiße Quellen an. —
Ein Anderer unserer deutschen Bergleute berichtet uach der
Erzählung einer glaubwürdigen Person, die damals ans dem
Landgute wohnte, welches durch deu vulkanischen Ausbruch außer-
ordentlich litt, Folgendes: Am 27. Jnli im Jahre 1759 verspürte
man auf dem Laudgute (Hacienda) Jornllo und in der Umgegend
ein Erdbeben, verbunden mit einem Getöse, welches mit dem auf
einem Kauoueuschuß folgenden Wiederhall Aehnlichkeit hatte. Es
schien wie ans einer großen Höhle zu kommen nnd wiederholte sich
mit den Erschütterungen alle 4 Stunden. Beides zusammen hielt
etwa einen Monat an, dann aber wurden die Erdbeben häufiger
uud das Getöse so schrecklich, daß man glaubeu sollte, es wären
alle benachbarten Berge zusammengestürzt; zugleich hatte es deu
Anschein, als wenn der ganze Erdboden gehoben würde. Auf
solche Weise ging es fort, aber zuletzt so heftig und wiederholt, daß
iu jeder Minute 4, 0 uud 8 Schläge gehört wurdcu, gerade als
wenn zwei Kriegsschiffe sich gegenseitig beschießen. Endlich zer-
platzte der Vulkan am 29. September früh um halb 4 Uhr und
dabei wurde auch der Berg von S. Francisco mitten durch ge-
spalten und auseinander getheilt. Die Erdbeben mit dem unter-
irdischen Donner hatten 3 Monate nnd 5 Tage gedauert; sie
wurden alle Tage heftiger uud zuletzt hielt das Getöse ununter-
krochen bis zum völligen Ausbruche des Vulkans an. In der
vom Gute Jorullo 20 Meilen entfernten Stadt Pasqnaro waren
die Erderschütterungen auch bemerkbar, jedoch nur schwach und
ohne eilt Geräusch dabei zu vernehmen. —
A. von Humboldt war der erste wissenschaftliche Reisende,
welcher im Jahre 1803 iu Begleitung seines Freundes Bonpl and
den Jorullo besuchte und die an ihm und die in seiner nächsten
Umgebung vorkommenden Erscheinungen einer umfafsendeu uud
sorgfältigen Untersuchung unterwarf. Es könne — so meint er —
selbst für denjenigen Beobachter, welcher mit dem Anblicke von
Ländern, die durch vulkanisches Feuer verwüstet sind, weniger
vertraut ist, nicht im Mindesten zweifelhaft bleiben, daß der ganze
Boden des früher erwähnten Mal-pays, welcher einen Flächen-
räum von 1,800,000 Q.-Toisen einnehme, durch den unterirdischen
vulkanischen Proceß iu die Höhe gehoben worden sei. Da wo
dieser emporgehobene Boden mit der Ebene (playa) des Jorullo
zusammenhängt — welche letztere keine Aendernng irgend einer Art
erlitten hat — findet man nämlich, im Osten von San Jsidoro,
einen senkrechten, 28 bis 30 Fuß hohen Abfall des Erdreichs. Die
schwarzen, thonigen Lagen, aus welchen das Mal-pays besteht,
erscheinen hier wie zerbrochen und lassen in einem Durchschnitte
von Nordost nach Südwest horizontale, wellenförmig gebogene
Schichtungsklüfte wahrnehmen. Jenseits dieses senkrechten Ab-
falles oder stufenweisen Absatzes steigt man über einen blasenartig
gewölbten Boden nach der Schlucht oder gangartigen Kluft,
welcher mehrere vulkanische Hügel oder Berge entstiegen sind, von
denen einer, und zwar der größte, der eigentliche Jorullo (el volcan
grande) zu Humboldt's Zeit noch entzündet war. Die Wölbung
des Bodens beträgt hier an einigen Stellen 78, an anderen
90 Toisen, d. h. der Fuß des Jorullo oder vielmehr der mittlere
Theil der Ebene des Mal-pays, wo der große Vulkan plötzlich
emporsteigt, ist ungefähr 10 Fuß höher als der Raud des Mal-
pays beim ersten senkrechten Falle. Dieses Terrain bezeichnen die
dem Innern der Erde entstiegene Feuerberge.
339
Eingeborenen mit dem Namen tierra hueca, d. h. hohler Grund.
Diese Ansicht siudet ihre Bestätigung in dem Getöse, welches der
Huftritt von Pferden veranlaßt, iu der Menge hier vorhandener
Spalten, im stellenweisen Einsinken des Bodens, besonders aber in
dem höchst merkwürdigen plötzlichen Verschwinden der im Jorullo-
Thale befindlichen Flüsse Cuitimba und San Pedro, welche
ostwärts vom Vulkan unsichtbar werden und am westlichen Rande
des Mal-pays iu der Gestalt heißer Quellen von 52" C. wieder zum
Vorschein kommen. Die Oberfläche des Bodens zeigt sich nur mit
wenig vulkanischer Asche bedeckt uud das Rnud - Erhabene des
Mal-pays kann keineswegs als durch Aufhäufungen von Schlacken
oder durch Auswürfe eines Kraters verursacht gelteu, wie iu späte-
rer Zeit mehrere Gegner der Hnmboldt'schen Ansichten, besonders
E. Schleiden, behauptet haben. Aus diesem aufgetriebeneu
Bodeu sind im September des Jahres 1759 mehrere Tausend
kleiner basaltischer Kegel hervorgetreten, welche mau iu der Um-
gegend Hornos, Hornitos (Oefen) nennt. Sie liegen alle einzeln
zerstreut, so daß man, um zu dem Fnße des großen Vnlkans zu
gelangen, gleichsam kleine gewundene Straßen zn durchwandern
hat. Diese Höruitos sind kaum 6 bis 10 Fuß hoch; zu Hum-
boldt's Zeit brach etwas unterhalb ihrer Spitze Rauch hervor,
welcher etwa bis zu 50 Fuß Höhe sichtbar blieb. Im Jahre 1780
war ihre Wärme noch so beträchtlich, daß man Cigarren, an
Stangen befestigt und 2 bis 3 Zoll tief in eine der Seitenöffuuugeu
gebracht, anzünden konnte. Diese Kegel bestanden ans Basalt-
sphäroiden; letztere waren häufig abgeplattet uud hatten 8 Zoll
bis 3 Fuß im Durchmesser; eine thouige Masse, mit verschiedene-
tig gewundenen Schichten, umhüllt in der Regel jene Sphäroide.
Ihr Kern ist dichter uud frischer als die deuselbeu umschließenden
Lagen, deren Zahl öfters 25 bis 30 beträgt. Die ganze Masse der
Basalte, stets durchzogen von heißen gesäuerten Dämpfen, ist in
hohem Grade zersetzt, so daß sie oft nur aus einem schwarzen, eisen-
schüssigen Thon besteht. Bringt man das Ohr in die Nähe eines
dieser Hornitos, so vernimmt man ein dumpfes Getöse, wie wenn
ein unterirdischer Wasserfall sich unter ihnen bewege; vielleicht wird
dasselbe durch die im Mal-pays sich verlierenden Wasser des Rio
Cuitimba und San Pedro hervorgebracht. Diese Sphäroide sind
also zu basaltischen Hügeln ausgethürmt, die, bei Menschengedenken,
ans der Erde emporgetrieben wurden, folglich nicht als Streifen
alter Lavaströme, oder als Erzeugniß zersetzter, gegliederter Basalt-
sänken, noch als zufällige Aufhäufung von Auswürfen eines fern
liegenden Kraters angesehen werden können. Wahrscheinlich ist es
die Macht der elastischen Dämpfe, welche mit jenen Hornitos in
Blasengestalt die gewölbte Ebene des Mal-pays bedeckt hat, so
wie die Oberfläche einer zähen Flüssigkeit durch in ihr enthaltene,
aber zu entweichen strebende Gase mit Blasen besetzt erscheint.
Die die Hornitos überziehende Hülle ist so wenig fest, daß sie unter
den Füßen eines Manlthieres zusammenbricht, wenn man es zum
Besteigen dieser Kegel antreibt.
Als Burkart 24 Jahre nach A. von Humboldt deu Jo-
rullo besuchte, hatte sich Brauches iu deu unmittelbaren Umge-
bnngen des Vulkans so sehr geändert, daß die frühere Beschreibung
nur uoch sehr wenig auf ihu paßte, namentlich hatten seine Aus-
brüche gänzlich aufgehört. Der Jorullo liegt nach Burkart in
einem Thale, welches eine Legua im Durchmesser haben mag.
Gegen Norden ist dasselbe von einer hohen Bergkette begrenzt, in
welcher sich mehrere abgestumpfte, konische Bergformen bemerklich
machen: gegen Osten durchziehen die gleichzeitig mit dem Jorullo
gebildeten Feuerberge das Thal, dasselbe hier unter rechtem
Wiukel begrenzend und seine beiden Abhänge mit einander ver-
bindend. Etwa 2'/z Legnas nordwestlich vom Vnlkan, springt die
nördliche Bergkette fast rechtwinkelig in das Thal hinein, so daß
es beim ersten Anblick scheint, als befände man sich in einem
gänzlich geschlossenen Kessel. Dieses Thal wurde vor dem Ausbruche
des Jorullo vou deu beiden, bereits früher erwähnten Bächen
durchströmt und bewässert, welche an dem Cerro Santa Jueö
entsprangen und ihren Lauf von Ost nach West nahmen. Aber in
der Nacht vom 28. auf den 29. September 1759 verschwanden sie
plötzlich und es traten dagegen 21/2 Legnas westlich vom Vulkan
mehrere heiße Quellen hervor, welche das von hier ans enger wer-
dende Thal durchfließen und, nachdem sie mehrere andere kleine
Bäche aufgenommen haben, hinter dem Dorf Aguacaua sich in
den Rio bei Marqnez ergießen. Diese Quellen sind außerordent-
lich reich mit Schwefelwasserstoff imprägnirt, welches sich auch
fortwährend aus ihnen entbindet; ihre Temperatur faud Burkart
bei 30" Luftwärme gleich 38" C. Vergleicht mau hiermit die An-
gäbe von A. von Humboldt, so erhält man eine Differenz von
14,7 Grad um welche sich das Wasser abgekühlt hat, wahrscheinlich
weil der unterirdische vulkanische Proceß nicht mehr seine frühere
Intensität besitzt.
Von der Playa de Jorullo liegt der Hauptvulkan (vi volcan
grande) in gleicher Richtung, fast 2 Leguas entfernt; die Lavaer-
güsfe und die Bodenerhebungen, welche mit dem Ausbruch im
Jahre >759 verbunden waren, haben sich bis in die Nähe der
Meierei des Jorullo erstreckt. Gleich Humboldt fand anch
Burkart den Boden auf dieser westlichen Seite in einer Eni-
fernnng von 1V2 bis 2 Leguas um den Vulkan herum senkrecht in
die Höhe gehoben. Durch dieses Emporheben ist eine 30 bis
35 Fuß hohe, seukrecht begrenzte Erhöhung um den Vnlkan ent-
standen', welche nur au wenigen Punkten den Zugang zn demselben
gestattet. Vou dem äußern Rande dieser Erhebung nach dem
Hauptvulkan hin steigt der Boden nur sauft au, uud aus den:
Quecksilberstande des Barometers ergiebt sich eine Höhe von
2800 Fuß über dem Meere für diese Ebene. Hinsichtlich der Hör-
nitos, welche eiust dieselbe iu so großer Menge bedeckten, bemerkt
Burkart, daß eine große Zahl derselben gänzlich verschwunden
waren, viele andere ihre Form sehr geändert hatten, was er theils
den, in dieser südlichen Zone eigenthümlichen, äußerst heftigen
Regengüssen, theils der kräftigen, täglich sich mehr ausbreitenden
Vegetation zuzuschreiben geneigt ist. Nur wenige dieser Kegel
zeigten uoch eiue höhere Temperatur als die der Luft, uud fast gar
keine mehr stießen wässerige Dämpfe aus. Nahe dem Räude der
emporgehobenen Bodeufläche, bestanden die kleinen Kegel größten-
theils aus basaltischen porösen Laven, näher dem Hauptvulkan
aus einem Konglomerat basaltischer Lava, nur schwach und ohne
sichtliche Biudemasse mit einander verbunden. Dies Konglomerat,
wahrscheinlich bei den Eruptionen im Jahre 1759 durch eiuge-
schlosseue Gase oher wässerige Dämpfe emporgetriebeu, setzt die
Kegel in eoncentrifch-schaligeu Schichten zusammen. Durch die
unausgesetzte Einwirkung der Atmosphärilien ist bei den meisten
derselben die Kegelform verschwunden, während sie sich bei den
basaltischen noch erhalten hat. Nur die sonderbaren Zeichnungen
auf dem Boden von concentrischen, langgezogenen, 8 bis 10 Zoll
von einander abstehenden Ringen lassen noch auf das frühere
Vorhandensein der erstem: schließen. Doch anch diese ihre letzte
Spnr wird wahrscheinlich in wenigen Jahren nicht mehr sichtbar
sein, da schon jetzt mächtige Lagen vulkanischen Sandes, durch
Regengüsse vou deu steilen Abhängen des Vulkans herunterge-
führt, diese concentrischen Zeichnungen au vielen Punkten be-
decken.
Was nun den eigentlichen Jorullo und die ihm zur Seite
liegenden Vulkane betrifft, so sind sie, wie A. von Humboldt
meint, auf einer großen Spalte hervorgetreten. Der Fuß tiefer
Berge erhebt sich 160, ihre Gipfel aber 4 bis 500 Meter über die
sie umgebende Ebene. Der mittlere unter ihnen war damals noch
entzündet und in Thätigkeit begriffen; nach Norden hin hatte sich
aus ihm eine ungeheure Masse basaltischer Lava, welche Bruchstücke
vou granitischen Syenit-Gesteinen umhüllte, ergossen. Um in den
Krater des Jorullo zu gelangen, sah sich Humboldt genöthigt,
mehrere Spalten zu überschreiten, ans denen fchwefeligsanre Dämpfe
hervordrangen und deren Temperatur 85".betrug, während in der
Tiefe des Kraterö die Luft eine Temperatur von 47", an einigen
43*
340
Der polnische Bauer.
Stellen sogar von 58 bis 60° zeigte. Die Lava des Jornllo war
von basaltartiger Beschaffenheit, dicht im Innern, schwammig an
der Oberfläche, dabei sehr feinkörnig, keine Hornblende, wohl
Der polnij
Allgemeine Zustände. — Branntwein.
Aus dem Kreise Pieschen, Provinz Posen,
im Februar..
Im Globus fand ich in den Briefen Uber Polen manche sehr
zutreffende Bemerkungen über den polnischen Bauer. Da ich in der
Lage bin, denselben hier in meiner Gegend seit vielen Jahren genau
beobachten zu können, so glaube ich, Ihnen einige Bemerkungen
über deu großpolnischen Bauer senden zu dürfen. Diese Volks-
klaffe ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen von erhöhter Wich-
tigkeit; der kleine Adel will ihn für seine Zwecke gewinnen, wirft
kommunistische Dinge in ihn hinein, die Geistlichkeit sucht ihn zu
fanatisiren; er wird von verschiedenen Seiten her aufgerührt.
Seheu wir, welch ein Manu dieser Bauer ist.
Ein Sprüchwort sagt: „Polen ist der Bauern Hölle", und
nicht mit Unrecht, wenn man sich in die Zeit zurückversetzt denkt,
wo der Edelmann über Person, Zeit und Arbeitskraft des Bauern
verfügen durfte. Der Bauer lebte in einem halbwilden Zustand;
als Sklave seines Herrn mußte er die Befehle desselben blindlings
befolgen, und Ungehorsam oder etwaige Freiheitsgelüste wurden
durch starke Auflagen von Peitschenhieben vertrieben. Für seine
Familie zu sorgen fand er wenig Zeit, da sowohl der Edelmann
und dessen Beamte seine Zeit völlig in Anspruch nahmen und als
Lohn ihn noch obendrein mit Stockhieben traktirten. Seine
Wohnung glich vollkommen der eines Wilden, nur etwa mit dem
Unterschiede, daß in jene des Letztern Licht und frische Lnft nnge-
hindert eindringen kann, während in die Wohnung des Erstern
weder Licht noch frische Luft kam; ein pestartiger Geruch strömte
jedem Eintretenden entgegen. Gewöhnlich theilte der Mensch den
engen Raum seiuer Hütte noch mit den Hausthieren.
Doch dieser Zustand hörte durch deutsche Einflüsse auf. Der
Bauer fiug an ein Anderer zn werden, als er frei wurde. Der
Ertrag seiner Arbeit gehörte nun ihm, kam ihm uud seiner Familie
zu gute. Nach und nach erhob er sich etwas aus dem gesunkenen
Zustande. Wer vor 30 und 40 Jahren im Poseuschen die pol-
nischen Dörfer und ihre Bewohner gesehen hat und sieht sie heute
wieder, erstaunt über den unverkennbaren Fortschritt. Zwar fehlt
noch sehr, sehr viel, wenn die Ländereien dem polnischen Bauer
einen Ertrag gewähren sollen, wie dies bei den Deutschen der Fall
ist. Seine Ackerwerkzeuge sind noch immer höchst einfach, er kann
daher auch nur unvollkommene Arbeit mit ihnen liefern. Bei
Bewirthschastnng der Ländereien ist das Dreifeldersystem allge-
mein. Aber so viel auch jetzt uoch mangelt, es ist doch immer-
hin schon ein Fortschritt gethan, und Zeit und Belehrungen und
deutsche Beispiele werden wohl auch ferner dazn beitragen, daß es
weiter vorwärts gehe. Manche Wohnung hat einen frenndlichern
Anstrich gewonnen, manchmal.ist sie sogar schon von einer Obst-
banmpflanznng umgeben. Die berüchtigte „polnische Wirtschaft"
hat sich schon in Manchem geändert, seitdem deutsche Einflüsse und
Rechtssicherheit vorhanden sind.
Der Körperbau des Bauern ist kräftiger Natur, obwohl er sich
mit den einfachsten Speisen begnügt. Kartoffeln, Erbsen und Sauer-
kraut sind die gewöhnlichen Nahrungsmittel. Oft genießt man die
Speisen ohne jegliche Würze, selbst ohne Beigabe von Fett. Fleisch
aber Olivin und außerdem uoch kleine Krystalle glasigen Feld-
spaths umschließend.
che Gauer.
— Quacksalberei und Aberglaube. —
ist eiu Leckerbissen und kommt selten auf deu Tisch. Während der
Fastenzeit fettet man die Speisen nicht mit Speck oder Butter,
sondern mit Lein- oder Rüböl. Bei dürftiger Nahrung verrichtet
der Bauer doch anstrengende Arbeiten mit frohem Muthe. Freilich
bedarf er dazu eiues Hebels: — des Branntweins, dem er
fröhnt, als wäre er ein nordamerikanischer Indianer.
Der Branntwein ist das krebsartige Geschwür,
woran fast der ganze Bauernstand leidet. Ohne dieses
unglückliche Getränk scheint ihm die Welt öde und leer, sein Dasein
ein elendes. Der Branntwein trägt zn nicht geringeni Theile
die Schuld, daß die Ländereien des Bauern so mangelhaft be-
stellt werden. Der Wohlstand wird daher anch nicht eher fest
gegründet sein, als bis er diesem Laster entsagt. Ob er das
aber thnt?? Tausende von Wirtschaften sind schon dem Götzen
Feuerwasser zum Opfer gefallen. Hier nur ein Beispiel. Ein
Bauer in meiner Nähe besaß eine schöne, große Wirthschaft in
blühendem Zustande. Der Viehstand war vortrefflich und Alles
wäre recht gut gegangen ohne den Branntwein. Trank der Bauer
tüchtig, so stand ihm seine Ehehälfte im Trinken nicht nach, und
kaum waren ein paar Jahre in's Land gegangen, da mußte er
seiner Väter Wirthschaft verlassen und eine kleinere annehmen.
Nach einem Jahre war jedoch auch diese dem Götzen zum Opfer
gefallen. Jetzt dient der Mann als Knecht.
Wenn der Bauer bei dem Besuche der Kirche, des Marktes
oder des Kruges einmal in's Trinken kommt, und das thut er fast
durchgängig, dann ist auch sehr selten an ein Maßhalten zu deukeu.
Unuuterbrocheu gießt man Branntwein hinab. Die Stimmung
des Trinkers wird eine äußerst heitere. Kaum ertönt ein Dndelsack
oder eine elende Fiedel, so beginnt auch schon der Fuß den
Boden zn stampfen; die Melodien oder Tänze begleitet er sogleich
mit seinem Gesang und tanzt dabei, den ersten Besten packend, in
der Stube umher. Das Gelage dauert fort, bis endlich des
Schnapses Kraft sich zeigt und der Bauer fauft oder unsanft unter
den Tisch oder bei seiuem Heimgang in einen Graben oder auch
mitten in den Weg fällt, wo er dann seinen Rausch ausschläft.
Vor einiger Zeit ging in einer finstern Nacht das Rad eines
Wagens einem solchen Trunkenbold über den Kopf, und dieser
Fall steht nicht vereinzelt da, sondern kommt häufig vor.
Doch nicht immer verläuft es so ruhig bei den Gelagen. Oft
gerathen die erhitzten Köpfe aneinander. Stuhlbeine, Stöcke,
Steine uud Messer bilden furchtbare Waffen in der Bauern
Händen, uud ohne blutige Köpfe geht es niemals ab. Es kommt
auch häufig vor, daß Leute zu Krüppeln geschlagen werden, oder
gar todt auf dem Platze bleiben. Nicht selten nehmen die Frauen
am Kampfe thätigen Antheil und inachen den Gegnern ihrer
Männer nicht wenig zn schaffen, indem sie diesen die Haare
zerzausen und das Gesicht zerkratzen. Eine Vorstellung von dem
Toben, dem Geschrei und Lärmen kann sich nur Der machen, der
einer solchen polnischen Prügelei schon zugesehen hat,
Die kleidsame Nationaltracht ist schon fast gänzlich ver-
schwnnden. Ein Theil des Volkes schwelgt noch immer in Hoff-
nnng des wiederherzustellenden Königreichs Polen und giebt sich
Täuschungen hin, die zu erfüllen nur Göttern möglich wäre. Die
Weitere Nachrichten aus Tibet. Desgodin's Reisen und seine Besuche in den Lamaklöstern :c.
341
Bauern werden von der Geistlichkeit aufgeregt, welche
einen großen Einfluß auf sie ausübt; andere hoffen durch Wieder-
Herstellung des neuen Königreiches ihre zerrütteten Finanzen
zn verbessern, oder ein kleines Hauswesen mit einem größern zu
vertauschen. Aber der klügere Theil gedenkt der Zeiten, wo der
Bauer auf ein Strohgebnud gelegt und ihm die Autorität des
Edelmanns sehr handgreiflich klar gemacht wurde.
Der polnische Bauer ist im höchsten Grad aber-
gläubig. Er glaubt an gnte und böse Tage, und wird an
letzteren niemals Getreide säen, weil es ihm sonst mißrathen
würde; auch unternimmt er an solchen Tagen kein wichtiges Ge-
schüft, weil er das Fehlschlagen desselben befürchtet. Am Sonn-
abend würde er um keinen Preis Dünger auf's Feld fahren; der
Hagel würde unfehlbar seine Felder verwüsten. Beim Säen ge-
braucht er bei jeder Getreideart besondere Mittel. Bei Weizen
und Hirse nimmt er entweder Erde vom Kirchhofe oder auch
einen Knochen und thut ihn in das Getreide, damit die Sper-
linge den Samen nicht ausfressen und zur Zeit der Ernte das Feld
nicht verwüsten. Die Sperlinge besuchen freilich trotzdem das
Weizen- oder Hirsefeld, und dann „verbannt" er sie auf
irgend einen Baum oder in einen Stranch. Er nimmt
zu diesem BeHufe neun Körner Weizen oder Hirse, geht vor
Sonnenaufgang auf das bestimmte Feld und spricht an jeder der
vier Ecken drei Mal: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und
des heiligen Geistes." Darauf geht er auf einen Baum oder
Stranch zn, zerkaut diese neun Körner nnd wirft sie bei dein Ver-
banuungsorte rückwärts über den Kopf.
Am Weihnachtsabende giebt jeder Baner dem Vieh Höring,
Hagebutte, Honig, Striezel nnd Brot ein; ebenso umbindet er
jeden Obstbaum mit einem Strohseile, damit derselbe reichlichFrncht
trage. Es kommt vor, daß eine Kuh lauge nicht rindert; dann
nimmt er ein Mützchen von einem Kinde, das noch nicht sechs
Wochen alt ist, wäscht dasselbe und giebt das Wasser der Kuh
zu trinken. Beim Kalben einer Kuh achtet er darauf, ob es blökt.
Wenn dies der Fall ist, setzt er es nicht ab, weil es doch „ein-
gehen" würde. In die erste Suppe, welche diese Kuh erhält,
legt er eine Scheere und einen Kamm, damit sie gut fressen
soll und ihr die Milch nicht „abgenommen" werden könne. Ebenso
giebt man einem Schwein in die erste Suppe Exkremente von
einem Hunde, damit es gut fressen soll. Beim „Absetzen" eines
Kalbes nimmt sowohl der Bauer als seine Frau ein Stückchen
Brot in den Mund, welches sie zerkauen, damit das Kalb leicht
fressen lerne.
Aehnlicher Mittel giebt es so viele, daß um sie alle aufzu-
schreiben eilt Foliaut uöthig wäre.
Ein Bauer, welcher selbst erkaukt, oder in dessen Familie sich
Jemand unwohl befindet, nimmt nicht etwa seine Zuflucht zu
einem Arzte, denn dieser kann ihm nach seiuer Meinung doch nichts
nützen; nein, er geht zum ersten besten alten Weib oder Manne,
welche in dem Rufe stehen, sie könnten „gut versprechen".
Nun wird die betreffende Krankheit „ versprochen" und man
quacksalbert.
Damit der Leser sich einen Begriff von dieser Heilmethode
mache, theile ich statt Hunderter nur zwei „Versprechungen" mit.
I. Bei allen Krankheiten anzuwenden.
Komm in mein Herz, o mein Gott, als ein hochgewünschtes
Gut. Zwar wirst du in mir nicht finden Würdigung deiner
Hoheit, doch aber weil du aus Nichts Alles machst, so mache dir
einen Thron in mir, auf welchem dir beliebt zu bleiben.
Komm mein Heiland, der dn bist gegeißelt worden mit
sechstausend und sechshundert und sechsnudsechszig Streichen, daß
kein Fleck ohue Wunden übrig war: ich küsse Hände und Füße
nnd dein Herz noch vielmehr; wenn dn, mein Jesu, mit dem
Speer das Herz ausschließen wirst, wirst dn mich, so hart ich bin,
anch aufschließen. Ich sehe dein Haupt mit Dornen gekrönt, die
Augen vom Wachen trübe, die Wangen mit Malstreichen zer-
schlagen, die Achsel durch Schwöre des Kreuzes eröffnet zur Hei-
ligung meiner armen Seele.
In die sechstausend, sechshundert nnd sechsnudsechszig Streiche
1. Verberg ich, 2. versenk ich, 3. verschließ ich alle Krankheit.
Heilige Dreifaltigkeit, sei gelobt und gebenedeiet. Gott Bater,
Sohn und heiliger Geist, durch deinen Namen versegne ich dieser
Person alle Krankheit, ftt Amen.
2. Bei einer Augenkrankheit.
Maria ging über Berg und über Thal, trug drei Blumen
in ihrer Hand. Die eine war Gott Vater, die andere Gott Sohn,
und die dritte war Gott heiliger Geist, die Blume uns Wehethat
vom Auge reißt.
Gott grüße dich, du gnadenreiche Morgen-, Mittag- und
Abendsonne und Mond; nehmt diese Krankheit davon; nehmt sie,
um Mitternacht, da soll sie sein fortgebracht. sss Amen.
Weitere Nachrichten aus Tibet. Desgodin's Reisen nnd seine Gesuche in den Lamaklöstern. —
lieber den Data'/ Lama.
Des Lazaristen Desgodin Schilderung der tibetanischen Hochebenen. — Heerden; der Uak und der DzoS, — Spärlicher Ackerbau. — Gastliche Aufnahme
uud Festlichkeiten in Tsiamdo. — Besuche in den Lamaklöstern. — Ein fleischgewordener Gott. — Der Lamaismus und die lamaische Hierarchie. — Päpste
und Kardmäle. — Wahl des Dala'i Lama. — Hofränke. — Drei Päpste nach einander vergiftet. — Der Nomichan. — Aufstand der Mönche
des Klosters Sera bei Hlassa. —
Wir wollen unfern frühern Bericht iiber die Reisen mnthiger
Lazaristen, welche von dem westlichen China ans nach Tibet hinein-
gedrungen sind, vervollständigen nnd nehmen unsere Schilderungen
da auf. wo wir S. 245 abbracheu. Wir erzählte» die Erlebnisse,
welche Thomine Desmaznres nnd Durand in den Städten
Kiaomdo und Kiang ka gehabt, nnd wie man von der tibetanischen
Hauptstadt aus ihrem weitern Vordringen Hindernisse in den Weg
legte. Diese Mittheiluugeu werden durch einen Brief des Missionärs
Desgodins vervollständigt; derselbe ist datirt aus Tscha mou to !
oder Tsiamdo vom 26. August 1861, und wir wollen den wesent-
lichen Inhalt wiedergeben. - ' !
Die Missionäre blieben etwa zwei Monate in Kiang ka und
verhandelten hin nnd her mit den chinesischen und tibetanischen
Mandarinen. Sie drangen darauf, ihre Reise nach Hlassa fort-
zusetzen, konnten aber nichts ausrichten. Endlich trennten sie sich
in zwei Partien. Fage, Gontelle nnd Durand blieben in Kiang ka,
nni gelegentlich nach der früher von uns erwähnten Missionsstation
Bonga zn gehen, während Thomine, Renon und Desgodins
am 5. August abreisten und die Richtung nach Hlassa einschlugen.
Seit einem Monate hatte es fast ununterbrochen geregnet; jetzt
wurde aber der Himmel klar und die Wanderung durch Gegenden,
welche so viel Neues darboten, war sehr angenehm. Sie führte
342
Weitere Nachrichten aus Tibet. Desgodin's Reisen und seine Besuche
über eine Reihenfolge von Thälern oder eigentlich gewaltigen
Hochebenen, deren mittlere Erhebung über der Meeres-
fläche mindestens zehn- bis zwölftausend Fuß beträgt.
In alleu Thälern strömen große Bäche und manchmal anch be-
trächtliche Flüsse, welche iu größere Wasserläufe einmünden. Unter
diesen sind derKin scha Hang nnd der Lan tsang kiaug bieBe-
dentendsten. Zwischen diesen beiden lanfen, als trennende Schranke,
sehr hohe Gebirgsketten von Nord nach Südost; der erstgenannte
Strom durchzieht China und bildet in seinem untern Lau.se den
Aang tse kiaug; der andere fällt unweit von Sa'igoug in's cochiu-
chiuesische Meer; er wäre demnach der Me kong. Die höchsten Gipfel
jener Gebirge sind stets mit Schnee bedeckt, und selbst im August
führte der Weg manchmal über Strecken, wo noch Schnee lag. Sie
bildeten einen eigenthüinlichen Gegensatz zn den Frühlingsblumen
und zn dem sast reifen Getreide an den Vergabhängen. Anf
kleinem Räume waren gleichsam alle Jahreszeiten vereinigt.
DieThäler bilden sehr ausgedehnteWeidegrüude, aufweichen
zahlreiche Heerden von Yaks (— Grnnzochsen, taugutischeu Büf-
feln —) weiden; außerdem auch viele Dzo s, das heißt Hornvieh,
welches aus einer Kreuzung vom Uak und dem gewöhnlichen Rind-
viehschlag entsteht, und dann anch manche Heerde dieses letztern.
Auch Pferde, Manlthiere, Schafe und Ziegen sieht man in unzähliger
Menge auf diesen Bergweiden. Die Heelden bilden den Reichthum
des Landes; Jaks nnd Dzos dienen als Lastthiere, geben den Be-
wohnern eine saftige Nahrung und aus dem langen Haar dieser
Thiere verfertigt man Seile und Decken. Das tibetanische Pferd
ist hübsch und zierlich gebaut, dabei kräftig und klettert au deu
Bergen hinauf und hinab wie eine Ziege. Jedermann ist in diesen
Gegenden beritten. Das Vließ der Schafe und Ziegen ist beinahe
seidenweich, verdient durchaus seinen guten Ruf, und das Fleisch
dieser Wollthiere schmeckt vortrefflich.
Der Ackerbau will in dieser Region der Viehzüchter nicht viel
bedeuten. Bei den Dörfern findet man allerdings einige Acker-
strecken mit Weizen, Gerste, Fin ko (einer Abart von Gerste) und
Buchweizen bestellt; kleine Gärten sieht man nur dann und wann,
und sie gehören allemal einem Chinesen, der wohl auch etwas Ge-
müse zieht, das aber nicht gut ist, weil der Winter zu früh eintritt
und die Pflanzen zu ordentlichem Ausreifen kaum Zeit haben. Anf
dem Wege uach Hlassa sind überhaupt Dörfer iu sehr geringer Menge
vorhanden; nur allein iu der Gegend von Tscha ya ist das Land
weniger dünn bevölkert.
Die Region jenseits Kiang ka wird von den Chinesen als sehr
barbarisch verschrieen, weil die Bewohner sich einigermaßen nnab-
hängig erhalten haben und den durchreisenden Mandarinen so viel
als irgend möglich abpressen. Gegen uns, sagt Desgodius, waren
sie äußerst gefällig; sie schienen zn begreifen, daß wir gekommen
seien, um ihnen Gntes zu erweisen, nicht aber um sie „aufzufressen".
Die Häuptlinge, sonst ein Schrecken aller Reisenden, machten uns
freundschaftliche Besuche und brachten Geschenke; die letzteren konnten
wir freilich nicht erwiedern, denn wir hatten nichts zu geben. Das
war allerdings ein Uebelstand, denn in Tibet muß man bei jedem
Besuch erst eine Kata, ein seines Seidentnch, überreichen und
obendrein irgeud ein Geschenk beifügen.
Ueberall nahm man uns vortrefflich auf, und hier in Tsiamdo
zogen wir gewissermaßen im Triumph ein. Die fünf Mandarinen
nnd die Soldaten, alle in Staatskleidern, empfingen uns vor der
Stadt unter Zelten; man reichte uns Thee, geleitete uns zum
Koug knau, der für uns hergerichteten Ehrenwohnung, und bald
erschienen auch andere Beamte, um uns die Aufwartung zu machen.
An Ehrenmahlzeiten fehlte es gleichfalls nicht, und die gegenseitigen
Besuche wollen kein Ende nehmen. Wie sich doch die Zeiten geändert
haben! Vor wenigen Jahren uoch töbtetc man die Missionäre,
oder führte sie als Gefangene nach Canton (— Herrn Huc —); jetzt
werden sie mit einer Höflichkeit ohne Gleichen, und obendrein von
den Mandarinen, in ihre Missionen eingeführt. Dieses.Mirakel
in der chinesischen Politik verdanken wir den englisch-französischen
Waffen nnd den Verträgen. Auch haben sich manche hohe Würden-
träger in Peking günstig für uns ausgesprochen nnd das ist anf
andere Beamte nicht ohne gute Wirkung geblieben. Manche Man-
darinen haben uns sogar gebeten, daß wir an höherer Stelle unfern
Einfluß zu ihren Gunsten geltend machen möchten. Wir wollen
diese günstigen Umstände benutzen, uns in Hlassa selbst festzusetzen,
und dort für Tibetaner und Chinesen Schulen eröffnen, namentlich
aber uns verlassener Kinder annehmen.
Aber wir werden auf viele und große Schwierigkeiten stoßen.
In der Stadt Hlassa allein leben mehr als zwanzig-
tansend buddhistische Geistliche, Lama's, deren religiöser
und politischer Einfluß gewaltig ist. Es scheint, als ob diese Bonzen-
armee vor unseren geringen Personen sich sehr fürchte; denn als
sie Nachricht bekamen, daß wir im Anzüge seien, verlangten sie
vom chinesischen Gouverneur, daß er uns das Predigen verbieten
möge. Wir wissen noch nicht, welche Wendung diese Sache nehmen
wird; vielleicht verweist der Gouverneur die Bonzen anf den In-
halt des Friedensvertrags. Wir unsererseits vertrauen auf Gott
nnd die Wahrheit, denn sonst wäre eö doch wohl etwas leichtsinnig,
mit dem Kopse gegen den ganzen Lamaismus anzurennen, nnd
Hlassa ist die feste Burg desselben.
Aber nicht alle Lamas sind so schlimm. Wir haben zwei ihrer
großen und prächtigen Klöster besucht nnd hatten uns der aller-
besten Aufnahme zu erfreuen. Die Lente sprachen viel von Europa
und dessen Herrlichkeiten, über Philosophie, Theologie, Astronomie,
Mechanik, Botanik und dergleichen mehr. Sie wunderten sich auch,
daß ausländische Barbaren, wie wir, über wissenschaftliche Gegen-
stände Rede und Antwort geben konnten nnd sogar allerlei wußten,
was ihnen neu war. Die meisten sind aber ungebildete Leute. Unter den
Oberkainas in Tscha ya lernte ich einen Mann mit hciterm, blühen-
den Gesichte kennen; sein Blick war lebhaft und seine Unterhaltung
lebendig und geistvoll. Er betrachtete mit großem Interesse unsere
naturwissenschaftlichen Abbildungen und hatte Freude au uuserm
Fernrohr und dem Mikroskop. Er war ein lebender Buddha, ein
fleischgewordener Gott, aber ich behandelte ihn wie einen simpeln
Sterblichen. Er war von uns dermaßen erbaut, daß er den Wunsch
aussprach, in Tscha ya möchte eine Mission gegründet werden.
Wir haben schon drei große Lamaserien gesehen. Die in
Lytang zählt drei- bis viertausend Lamas, jene in Tscha ya wohl
an die neunhundert und die hier in Tsiamdo ungefähr dreizehn-
hundert. Die Lamas bleiben aber nicht allzeit in ihren Klöstern:
manche besuchen Familien und beten dort, andere machen Wall-
fahrten nnd betteln unterwegs, noch andere treiben Handel anf
eigene Rechnung oder für das Kloster. Frömmigkeit und Studien
nehmen nicht gerade viel Zeit in Anspruch. —
(— Das pflegt in den europäischen Lamaserien, z. B. in Jta-
lien, Spanien und noch anderen Ländern sich oft ebenso zn verhalten
wie iu Tibet. — Aber der christliche Mönch Desgodins, der immer
den Ausdruck Lamaserie gebraucht, obwohl er ebenso gnt anch
Kloster sagen könnte, ruft salbungsvoll ans: „Welch ein Gegen-
satz zn unseren christlichen Klöstern, wo Alles so ernst zugeht, so
wohl geregelt, so fromm, so nützlich ist. Ohne Frage, der Teufel,
dieser Nachäffer der Gottheit, deren Rechte er ufnrpirt, hat hier-
in Tibet unsere Mönchseinrichtungen nachahmen wollen, aber er ist
damit uicht zurecht gekommen, sondern er hat nur einen kläglichen
Nachdruck zn Stande gebracht!" ■—)
Der mnthige Lazarist bemerkt weiter, daß er schon unterwegs
mit Bekehrungen den Anfang gemacht habe. Vier junge Männer
erboten sich, mit nach Hlassa zn gehen; sie wollten eine Pilgerfahrt
dorthin unternehmen nnd lernten nun den römischen Katechismus.
In Hlassa wollten die Lazaristen einige vou Renon in tibetanischer
Sprache verfaßte Andachtsbücher drucken. Freilich kam es vor
allen Dingen darauf au, erst einmal nach der Hauptstadt der
buddhistischen Welt zu gelangen. Von Tsiamdo dorthin hat man
fünfundzwanzig große Stationen zurückzulegen, zusammen 250
Lienes, also reichlich l 30 deutsche Meilen. Die Reisenden gebrauchen
in den Lamaklöstern, —
Neb er den Dalai Lama.
343
dazu gewöhnlich !j5 bis -10 Tage und der Weg ist ungemein be-
schwerlich. Zur Winterszeit erfrieren Manche oder stürzen in die
Abgründe, aber im Sommer ist keine Gefahr.
„Wir werden durch Gegenden kommen, welche an Höhe dem
Himalaya wohl nicht nachstehen. Aber die Gestaltung beider Ge-
birgsketten ist sehr verschieden. Im Himalaya sind die verschiedenen
Ketten durch ungeheure und sehr tiefe Schluchten getrennt, und
das ganze Gebirg? bietet einen ungemein großartigen Anblick dar,
aber hier in Tibet ist das gauze Land sehr hoch; die Ebenen, welche
zwischen den Gebirgen liegen und Thäler bilden, erscheinen als
Wellen eines mächtigen Plateaus und der Blick ist fast immer be-
grenzt. Das Gestein liegt überall geschichtet, aber in unendlich
mannigfaltiger Art, bald senkrecht, bald wagerecht, geneigt, ge-
brechen oder gekrümmt, und dazwischen laufen Lagen von verschie-
den gefärbter Erde. Sehr häufig ist ein schwarzer Marmor mit
weißem Geäder und ein gelblicher Kalkstein. Wälder sieht man
fast gar nicht, und der Mangel au Holz ist so groß, daß man als
Brennstoff den Viehdünger benutzt, die sogenannten Argots;
die Tibetaner haben dafür den Ausdruck Kieh ua. Dagegen
sind die Weiden sehr reich an duftenden Gewächsen und Arznei-
pflanzen."
Wir wollen den obigen Bemerkungen des Lazaristen Desgodiuö
Einiges hinzufügen und zunächst hervorheben, daß Karl Friedrich
Köppen's Buch: „Die lamaische Hierarchie und Kirche",
Berlin 185Ü (bei Ferdinand Schneider) seinen Gegenstand in ganz
ausgezeichneter Weise behandelt. Es ist ein Werk, welches seinem
Verfasser und der deutschen Wissenschaft Ehre macht, und bildet in
gewisser Beziehung eine Fortsetzung und Ergänzung von Köppeu's
nicht minder sorgfältig gearbeitetem Werke: „Die Religion des
Buddha". Der Abschnitt über die lamaische Hierarchie und Kirche '
läßt nichts zu wünschen übrig und gewährt auch iu das Klosterlebeu
einen tiefen Einblick Köppeu hebt hervor, daß der Lamaismus au
sich und in seinem Ursprünge nichts weiter sei, als ein korrumpirter,
durch Siwaismns verunstalteter Buddhismus, über welchen er
anch iu seiner religösen Theorie kaum hinausgekommen sei; auch
habe er nichts wesentlich Neues geschaffen. Seine Dogmatik und
Moral, seine Kosmologie und Metaphysik sind buddhistisch; seine
Profan-Mythologie, Dämonologie und Magie, so weit diese
letztere für kanonisch gelte, seien theils buddhistisch, theils siwaitisch.
Der Lamaismus sei der buddhistische Katholieismus.
Die Fortentwickelung und Vollendung der priesterlichen Gewalt iu
sich und den Laien gegenüber, und die damit verbundene Aus-
bilduug einer äußern, sichtbaren, Länder und Völker beherrschenden
Kirche und eines Kirchenstaates, sei der wesentliche Charakterzug,
durch welchen sich der eine vom ältern Christenthum, der andere
vom indischen Buddhismus unterscheide. —
Die Spitze des hierarchischen Systems bilden die beiden sou-
veräuen, sich gleich dem Phönix stets verjüngenden, unsterblichen,
unfehlbaren, nach derMeinnngder Gläubigen geradezu allwissenden
und allmächtigen Großlamen. Der eine wohnt auf Potala
(—has ist richtiger als Buddha la, wie Huc schreibt —) bei
Hlassa; er ist der sogenannte Dalai Lama; der andere wohnt in
b Kra schisf Lhnn po(Tschafchilumbo), und ist der Pan tschhen (Rem-
bndfchi). Beide sind nicht blos Oberhäupter der Geistlichkeit und
Kirche, sondern zugleich weltliche Herrscher Tibets, jeder in seinem
Theile. Bei übrigens gleicher geistlicher Autorität hat der Dalai
Lama ein viel größeres Gebiet und also anch eine größere politische
Macht als der Pan tschhen. Beide waren, als Jünger und Nach-
folger Tsongkhapa's, ursprünglich nur Oberpriester der von diesem
gestifteten gelbmützigen Tngendfekte, dGe tnggs pa,
und wurden höchstens als solche von den älteren rothmützigen
Sekten anerkannt, deren Häupter lange Zeit denselben Rang in
Anspruch nahmen. Aber nun sind, wahrscheinlich durch Einfluß
der chinesischen Regierung, die obersten Bischöfe der Rothmützen,
z. B. auch in Ladakh und Butan, in eine gewisse Abhängigkeit von
den gelbmützigen Päpsten gebracht worden.
Die zweite Rangklasse der lamaifchen Hierarchie besteht aus
den sogenannten Chntnktns. Der Name ist mongolisch uud
bedeutet ehrwürdig. Sie entsprechen etwa den Kardinälen
und Erzbifchöfe», deren Verrichtungen ihnen auch, je nach
Zeit und Umständen, obliegen. Auch sie gelten für wiedergeborene
Heilige. Sie bilden das geistliche Konsistorium, sind Stellvertreter
des Dalai Lama, auch oberste Seeleuhirten und Aufseher iu den
Sprengel» der lamaischen Kirche; im eigentlichen Tibet ist aber
auch die ganze Civilverwaltung in ihren Händeu. Es giebt
auch weibliche Bischöfe, Chutuktissiunen.
Die Chutuktus haben mit dem Dalai Lama und dein Pan
tschhen Lama das Prädikat Rin po tschhe (Reinbudfchi), d. h.
Kleinod, gemein; auf sie folgen im Range die fimpelnWieder-
geborenen, die Chnbilghane, deren Anzahl sehr groß ist.
In der Mongolei nnd im Schueelaude Tibet rühmen sich zahlreiche
Klöster eines inkaruirteu Abtes, eines lebenden Buddha, uud
ein solcher war auch jeuer, von welchem weiter oben der katholische
Mönch Desgodins spricht. Jedes lamaische Kloster trachtet dar-
nach, eine» lebendigen Heiligen zn besitzen, etwa so wie im Abend-
lande jedes einen todteu Heiligen oder Reliquien von einem solchen
zu besitzen wünscht. Die päpstliche Centralgewalt in Hlassa
kommt, namentlich bei den Mongolen, derartigen Wünschen gern
entgegen.
Ueber die Lebeudigwerduug Buddha's in vieleil verschiedeneu
Personen entschied früher allein die päpstliche Hierarchie zn Hlassa ;
seit einigen Menschenaltern reden aber, aus politischen Gründen,
die chinesischen Behörden ein Wort hinein und bezeichnen die
Individuen, iu denen Gott Fleisch geworden sei.
Die Wahl des Dalai Lama findet in folgender Weise
' statt. Wenn die Seele des Papstes der buddhistischen Welt die
körperliche Hülle abgestreift hat, dauu müssen die Namen fämmt
licher, um die Zeit seiueö Todes iu Tibet geborenen männlichen
Kinder in das Tempelkloster b La brang zn Hlassa eingesandt
werden. Namentlich haben solche Eltern, die da glanben, in ihren
Familien eine Inkarnation (einen fleischgewordenen Gott) zu be-
sitzen, besondere Mittheilungen zu machen. Die Wahl darf dann
erst vorgenommen werden, wenn unter den bezeichneten Kindern
drei wirkliche, wahrhaftige, unzweifelhafte Chnbilghane anfge-
fnnden worden sind, das heißt, bis man drei Kandidaten anf-
gestellt hat, welche anch der chinesischen Regiernng, also der Schntz-
macht, völlig genehm sind. Nur die Namen dieser drei Kinder wer-
den auf goldene Wahlzettel geschrieben nnd in eine goldene Urne
gethan, welche der chinesische Kaiser Khian lnng zn diesem Behuf
im Jahre 1792 nach Hlassa geschickt hat. Nim tritt das Kardinal-
kolleginm znm Conclave zusammen, bleibt nnter Fasten nnd Ge-
beten sechs Tage in geistlicher Znrückgezogenheit; am siebenten
zieht der Dekan das Loos, nnd der Säugling oder Knabe, dessen
Name ans der Urne hervorgeht, wird dann Dalai Lama. Die
beiden anderen Kandidaten erhalten jeder ein Schmerzensgeld von
50V Silbernnzen. —
An Ränken fehlt es in Hlassa nicht, nnd eben so wenig an
Unruhen. Abb6 Hnc erzählt, wie wild es 1844 im lamaischen
Rom herging. Der Dalai Lama, das geistliche Oberhaupt
der bnddhistisschen Welt, war damals ein nennjähriger Knab e;
seine dre i Vorg änger waren alle eines gewaltsamen Todes
gestorben, bevor sie das Alter der Volljährigkeit, nämlich das
zwanzigste Jahr, erreicht hatten. Darüber war die Bevölkerung
in Trauer und Bestürzung; sie vermuthete, daß dabei grauenvolle
Missethaten im Spiele seien; man erzählte ans den Straßen nnd
in den Klöstern die Einzelnheiten, welche sich bei jeder dieser drei
Mordthaten zugetragen hatten. Der eine sei erwürgt, der zweite
vou der Decke seines Schlafgemachs erschlagen, der dritte ver-
giftet worden. Allgemein wnrde der Nominchan als Thäter
344
Die geographische Gruppirung der keltischen Völker.
bezeichnet, d. l). der „Glaubenskönig". Er ist gleichsam Vicekönig,
Premierminister, und leitet die weltlichen Geschäfte; er war gleich-
sam Vormund des unmündigen Dalai Lama. Seine Stelle ist also
einflußreich. Der damalige Inhaber stammte aus einer fürstlichen
Familie in Sifan (Taugut), war sehr ehrgeizig uud hatte die
nicht weniger als fünfzehntausend Köpfe zählende
Mönchsbevölkernng des Klosters Sera, das ganz in der
Nähe von Hlassa liegt, durch Ertheiluug von Privilegien und
Geldspenden ganz für sich gewonnen. Diese Lamaarmee war also
dem Nominchan völlig ergeben, und die übrige« Minister (es sind
deren vier und sie heißen Kal o ns) konnten dein Verbrecher nichts
anhaben. Die Mönche erklärten den Bösewicht, welcher drei
Päpste ermordet hatte, für einen Heiligen ersten Ranges.
Die Minister und Kardinäle nahmen zur List ihre Zuflucht,
und verständigten sich auch mit dem zweiten Papst, dem Pan-
tschhen Rembudschi vou Dschaschilumbo. Die Kardinäle bezeich-
ueten einen Knaben als eventuellen Papst und der Nominchan
bewies demselben scheinbar große Ehrfurcht. Die Feinde des
Mörders schickten 1844 insgeheim eine Gesandtschaft nach Peking
uud ließe» Eröffnungen am kaiserlichen Hofe machen. Dieser
nahm sich der Sache an und fertigte einen klugen Diplomaten, den
aus der Zeit des ersten englischen Opiumkrieges bekannten Ki schan,
nach Hlassa ab. Dort verständigte sich dieser schlaue Mandschu mit
den Gegnern des Nominchan, verhaftete denselben uud nahm auch
dessen nächste Vertraute gesaugeu. Um von denselben Geständnisse
zu erlangen, ließ er ihnen lange Bambusnadeln unter die
Fingernägel schlagen, denn „durch dieses Mittel wurde die
Wahrheit vom Jrrthum abgesondert und das Verfahren des
Nominchan zu Tage gelegt". So lautet der chinesische Bericht.
Der Nominchan sollte auf die Folter gebracht werden, gestand aber
im Voraus sein Verbrechen ein: einen Papst habe er vergiftet, den
zweiten erstickt, den dritten erwürgt.
Der Bericht ging nach Peking ab. Drei Monate später war
ganz Hlassa in einer Ungeheuern Aufregung, denn am Palast des
Nominchan und in der Hauptstraße der Stadt war auf gelbem
Papier eiu mit einem Rande von geflügelten Drachen umgebenes
Edict Seiner Majestät angeheftet. In demselben schilderte der
Kaiser die Thaten des Verbrechers, welcher auf ewige Zeiten nach
der Mandschurei verbannt wurde. Das war allerdings für einen
dreifachen Mörder eine gelinde Strafe.
Aber die Mönche des Klosters Sera, welche ihren Privilegien
uud Geld spendenden Beschützer verloren, wurden grimmig und
wüthend. Die geistliche Armee verließ Gebetbücher und Gebet-
mühlen und griff zu irdischen Waffen. Die wildgewordenen Bonzen
stürmten nach der Hauptstadt; durch dichte Staubwolken tönte ihr
Geschrei. Das Volk rief: „Die Lamas von Sera kommen!" und
diese wälzten sich wie eine Lawine nach dem Palaste des chinesischen
Diplomaten. „Nieder mit K'i schau, Tod den Chinesen!" war ihr
Schlachtruf. Aber Ki schau hatte sich vorsichtig entfernt. Dann
theilten die Bonzen sich in mehrere Haufen; es kam zum Blut-
vergießen und ein tibetanischer Staatsminister wurde in Stücke
zerrissen. Das Gefängniß des Nominchan wurde erbrochen und
die Bonzen wollten den Befreiten im Triumphe nach dem Kloster
Sera tragen. Aber dessen weigerte er sich, weil dadurch seine Lage
nur verschlimmert werden könne; er wolle dem kaiserlichen Erlaß
Folge geben.
Als die Nacht hereinbrach, zogen dann die Mönche, welche
selbst von ihrem bisherigen Beschützer nur mit Mühe beruhigt
werde« konnten, nach ihrem Kloster zurück, drohten jedoch, am
folgenden Tage wieder zu kommen. Als sie diese« Pla« verwirk-
liche« wollte«, wurden sie von tibetanischen und chinesischen Sol-
daten angegriffen und die Bläser der Meermuschel gaben das Zeichen
zum Angriffe.
Da entfiel den geistlichen Ruhestörern der Mnth. Sie warfen
die Waffen weg, flüchteten in ihre Klosterzellen, holten die Gebet-
bücher wieder hervor und sangen bald nachher im Tempel wie
gewöhnlich ihren Chorgesang, — als ob gar nichts vorgefallen
wäre!
Die geographische Gruppirung der -keltischen Völker.
Eiu sehr gründlicher Gelehrter, Dr. H. Brandes in Leipzig,
hat die Streitfrage über die alten Kelten in einem vortrefflichen
Werke zu eine»! gewissen Abschlüsse gebracht. Dasselbe führt den
Titel: „Das ethnographische Verhältniß der Kelten und
Germanen nach den Ansichten der Alten und den sprach-
lichen Ueberresten. Leipzig 1857."
Die Kelten, ein im Alterthum weit über Europa verbreiteter
mächtiger Völkerstamm, leben heute nur noch als Bruchstücke und
Trümmer im äußersten Norwesten Europas und sind auf wenige
Millionen zusammengeschmolzen. Wir finden sie in Frankreich,
den britischen Inseln, in der Schweiz, in Belgien, im südlichen
Deutschland, vielleicht im nördlichen Spanien; sodann in Ober-
italieu und als Eroberer auch in Kleinasien (Galatien).
Unter den Gelehrten erhob sich die Frage: ob etwa Ger-
mane« und Kelten ein und dasselbe Volk seien? Manche
verfochten diese Behauptung und führten als Beleg Sätze aus
Schriftstellern des Alterthums au, in welchen germanische Stämme
als keltische Leute bezeichnet werden.
Aber deutsche Gelehrte, z. B. auch I. Grimm, F. Bopp,
Pott:c. wiesen nach: daß Kelten und Germanen aller-
dings Zweige des großen indo-enropäischen Völker-
stammes, und wohl «lit einander verwandt, aber nicht
identisch seien.
Dagegen erhob sich Professor H oltzmann in Heidelberg. Er
suchte 1855 iu seine!« Werke „Kelten und Germanen" folgende
Behauptungen nachzuweisen.
1. Die jetzigen Kelten sind keine Nachkommen der
alten Kelten, sondern der nichtkeltischen Briten des
Alterthums.
2. Kelten uud Germanen sind einerlei.
Die Frage galt wieder als eine offene; Holtzmann's Ansichten
fanden da und dort Zustimmung; deshalb nah«: Brandes die
Untersuchung von Neuem auf uud führte sie mit ebenso gediegener
Gelehrsamkeit als lichtvoller Klarheit in dem oben genannten Werke
zn Ende. Jüngst hat er in einer Sitzung des Vereins von Freun-
den der Erdkunde zu Leipzig die Ergebnisse seiner Forschungen vor-
getragen und in dem Ersten Jahresberichte desselben dieselben ver-
öffentliche
Er weist nach, daß die Briten allerdings von den Alten
als Kelten anerkannt werden und daß die heutigen Kelten nnbe-
bestreitbar Nachkommen der alten Kelten sind. Damit warf er
Holtzmann's Hypothesen über den Hansen. Auch stellt sich als uu-
widerlegbar heraus, daß Germanen und Kelten, als besondere
Völkerzweige, nebeneinander zu stellen sind; sie sind ver-
wandt, aber nicht identisch.
Die geographische Gruppirung der keltischen Völker.
345
Brandes faßt seine Forschungen in folgender Weise zu-
sammen:
Die meisten Länder, welche ehemals von Kelten bewohnt ge-
wesen, sind von germanischen und romanischen Völkern in Besitz
genommen worden. Die Kelten theilen sich noch heute, wie schon
im Alterthum, iu zwei Hauptäste, deren Sprachen sich wesentlich
dadurch unterscheiden, daß die des ältern gadhelischen Astes
auf der Stufe der Gaumenlaute da stehen, wo der jüngere kym-
rifche Ast Lippenlaute hat. Daß der gadhelifche Ast der ältere
sein müsse, ergiebt sich auch aus dem Umstände, daß er am weitesten
nordwestlich wohnt, also auf der nach Westen gehenden Wanderung
der indoeuropäischen Völker in dieser Richtung die Spitze gebildet
haben dürfte. Heutigen Tages gehören diesem Ast an die Sprachen
der eigentlichen Iren, der Gälen in Hochschottland und
der Bewohner der Insel Man. Schon in alteuZeiten scheinen
sie durch die nachdrängenden Kymren fast genau auf dieselben
Grenzen beschränkt worden zu sein, die sie jetzt noch inne haben.
Bereits römische Schriftsteller unterscheiden auf der britischen
Hauptinsel zwei verschiedene Bevölkerungen, unter denen die süd-
lichere mit den Galliern des Festlandes als nahe verwandt charak-
terisirt wird: die Sprache dieses südlichen Gebietes müßte sich
demnach durch Lippenlaute kennzeichnen, im Gegensatze zn den
Gaumenlauten des Nordens; und es ist daher wohl zulässig, als
Sprachgrenze beider Aeste — mindestens schon um 688
unserer Zeitrechnung — den Severuswall anzunehmen, in
dessen nächster Nähe Nenuius einen Ort erwähnt, den das nördlich
angrenzende Volk Cenail, die Angeln dagegen Peneltuu nannten.
Tün (Zaun) bezeichnet bei den Angelsachsen häusig ein kleines
Oertchen oder Dörfchen; beseitigt man diese angelsächsische An-
Hängesilbe, so stehen einander Cenail nnd Penel gegenüber, also
zwei für die beiden keltischen Sprachäste charakteristische Formen
eines uud desselben Ortsnamens, wie das an Sprachgrenzen nicht
selten vorkommt.
Die Gadhelen haben den Stürmen der Zeit ungleich kräs-
tigern Widerstand geleistet, als die im Alterthnme weit zahlreicheren
Kymren. Diese sind jetzt auf Wales uud die Bretagne
beschränkt, und anf englischem Boden läßt sich ihr allmäliges
Zusammenschwinden einigermaßen historisch verfolgen. Noch in
Shakefpeare's Zeit sprach ein Theil des Volkes in Devonshire einen
kymrischen Dialekt, uud um 1768 lebte von den Kymren von Corn-
Wallis nur noch eine Fischerfrau, Dolli Pentraeth, welche sich des ihr
angestammten cornifchen Dialektes zu bedienen verstand, der seit-
dem ebenfalls ausgestorben ist.
Die Sachsen, Jüten und Angeln drangen in Britannien von
Osten nach Westen vor, so daß die schon stark romanisirten Kymren,
welche sie vorfanden, entweder sich unterwarfen oder westwärts
zurückwichen. Ein Theil ging damals nach Gallien hinüber; aber
diese fanden dort eingeborene Stammverwandte, welche ebenfalls
ihre Volkstümlichkeit im Kampfe gegen das Römerthum sich zum
Theil erhalten hatten, am reinsten in der Bretagne, welche den
eindringenden Römern und Germanen ain entferntesten lag und
den kymrischen Gallieru am längsten als Rückzugs- und
Sammelpunkt gedient hatte.
Es versteht sich von selbst, daß ein so zahlreiches, über so
große Ränme verbreitetes Volk, wie die Gallier, in größere und
kleinere Masseu gespalteu erscheinen mußte; darauf wirken mit
Notwendigkeit die verschiedenartigen klimatischen und örtlichen
Verhältnisse, so wie die mannigfaltigen Einflüsse ein, welche die
verschiedenen Theike eines Volkes von Seiten verschiedener (friedlich
oder gewaltsam eingreifender) Nationen erfahren. Schon vor Be-
ginn der römischen Besitzergreifungen in Gallien hatten z. B. der
Handelsbetrieb der Griechen im Süden und das allmälige Vor-
dringen der Germanen im Norden als ändernde Momente auf die
Gallier eingewirkt. Schon Cäsar bemerkte eine merkbare Ungleich-
artigkeit innerhalb des gallischen Volksthums, welche nicht etwa
Globus für 1863. Nr.3S.
politischer, sondern entschieden ethnographischer Natur war.
Sein ethnographisches System läßt sich so darstellen:
Britanni Galli Germani
Aqnitani Celtae Belgae
Britanni Belgier Galli in Germanici.
Daß die Südbriten den belgischen Galliern nahe verwandt
waren, bezeugt er ausdrücklich, während er die ethnographische
Stellung der Nordbriten dahingestellt sein läßt. (Caes. bell.
Gall. Y, 12.) Die Nordbriten trieben wenig Ackerbau, meist Vieh-
zncht; die Südbriten bauten ihre Aecker, und bewohnten Hänser,
welche den gallischen ähnlich waren n. s. w. In ganz ähnlicher
Weise unterscheidet er die Gallier des Festlandes in Belgae, Aqni-
tani nnd Celtae, die in Sprache, Staatseinrichtungen nnd Gesetzen
von einander abwichen. Die echtesten und ungemischtesten Gallier
waren offenbar die Celtae, welche vorzugsweise den Namen
Galli von den Römern erhielten, nnd mit Nachbarvölkern am
wenigsten in Berührung gekommen waren. Die Aquitaui
dagegen bildeten von gallischer Seite her den Uebergang zu
den benachbarten Iberern auf der pyreuäifchen Halbinsel,
wo von iberischer Seite die Keltiberer diesen Uebergang ver-
mittelten.
Die Belgae endlich wohnten im Norden Galliens und an
der germauischeu Grenze entlang, und ans Cäsar's verschiedenen
Angaben ergiebt sich für sie eine dreifache ethnographische Glie-
deruug: es gab einen Distrikt Belginm, das Gebiet echter Kelten
jenes Namens, von wo aus die Besitznahme des südlichen Bri-
tannien erfolgt war, ferner eine Reihe von Gebieten, deren keltisch-
belgische Bevölkerung germanische Zumischung erfahren hatte, ohne
daß die Volksnamen dadurch alterirt worden wären, endlich am
weitesten östlich einige Völkchen, die sich zu Belgien rechneten, in
denen eine solche Zumischung aber in solchem Grade stattgefunden
haben mochte, daß man sie geradezu Germaui zu nennen Pflegte.
Gewicht darauf ist zu legen, daß diese belgischen Germanen am
Niederrhein wohnten, — ein Beweis, daß der Hauptstoß der
wandernden Germanen auf die ihnen vorausgehenden Kelten ebenda
im Norden erfolgt sein mußte. Allem Anscheine nach besetzten die
einwandernden Germanen den nördlichen Theil ihres jetzigen Vater-
landes zuerst, und noch Jahrhunderte nach dieser Einwanderung
wohnten an der oberu Donau Völker, welche man mindestens theil-
weise zn den Kelten zu zählen berechtigt ist. Der Eroberuugszüge
der Gallier uach Oberitalien nnd Galatien in Kleinasien ist oben
gedacht worden.
Betrachtet man nun die geographische Gruppirung der
keltischen Völker, und zieht dabei ihre relative Reinheit oder
Gemischtheit mit anderen ethnographischen Elementen in Rechnung,
so ist ein Rückschluß auf die vermuthliche Richtnng ihrer Einwan-
deruug wohl gestattet. Die Einwanderung der Kelten in
Europa ging, wie die der übrigen europäischen Nordvölker, nörd-
lich am Schwarzen Meere vorüber; von da scheinen sie an der
Donau aufwärts gezogen zu sein, nnd noch im dritten Jahrhundert
v. Chr. waren es wahrscheinlich solche Donaukelten, welche zum
Theil Hellas in Schrecken setzten, zum Theil nach Kleinasien
hinübergingen. Die Keltenvölker in Süddeutschland, deren
noch Tacitus im I. 98 n. Chr. gedenkt, sind dann als sitzengebliebene
Ueberreste der westwärts weiterziehenden keltischen Hauptmasse an-
zusehen. Dadurch wird nicht ausgeschlosseu, daß nachträglich, wie
Cäsar berichtet, eine erobernde Schaar wieder von Gallien nach
Germanien gezogen sein mag.
Fast alle kymrischen Kelten erlagen den Römern und wurden
in Oberitalien völlig, im südlichen Gallien größtentheils, im nörd-
lichen Gallien und im südlichen Britannien in geringem Grade
44
346
Dattelpalmen und Datteln,
romanisirt. Wo aber das Römerthum das keltische Volks-
thum nicht zerstört hatte, geschah es durch die erobernde» Ger-
Dattelpalmen
Wir können die Dattelpalme gewissermaßen als einen Baum
des Arabers bezeichnen, denn er legt auf ihn mehr Gewicht als
auf irgend einen andern. Es gilt für ein Verbrechen, ihn vor der
Zeit zu fälle»; der Islam schärft dieses Gebot ein, und als der
Chalif Abu Bekr seine Feldherren ans Eroberung aussandte, schärfte
er ihnen streng ein, die Frnchtbämne zu schonen. Ganz dieselbe
Weisung hatte schon Moses seinen Israeliten gegeben.
Der Dattelbaum ist die Zierde der Oasen, über denen oft
eine wunderbare Pracht und Frische liegt, und im Gegensatze zur
Wüste gewinne» sie ei»en noch erhöhten Reiz. Unter den Datteln,
welche etwa eine Klafter weit auseiuanderstehen, wachsen Apri-
kosen, Pfirsiche, Granatbäume mit fchönrothen Blüten, Orangen
mit der goldgelben Frucht, die Henneh mit ihren rothen Kügelchen.
Von einer Dattelpalme zur andern schlingen sich Rebengewinde;
alle anbaufähigen Stellen tragen Mais oder Gerste, Klee und
Tabak, nnd das Ganze bildet herrliche Gärten, welche bei den
Arabern Beda heißen. Die Dörfer liegen gewöhnlich am Rande
der Oase, damit kein fruchtbarer, der Bewässerung fähiger Fleck
Erde uuangebant wäre. In solchen Datteloasen herrscht eine
wunderbar reine Atmosphäre; die Wüste ist beinahe ohne allen
Dunst; die Sonne gießt über die ganze Bodenfläche einen wunder-
baren Glauz aus, Alles, wohin Licht fällt, spiegelt in wunder-
barer Helle, und was im Schatten bleibt, hebt sich scharf ab nnd
bildet auf der Oberfläche der Wüste eben so viele dunkle Gegen-
stände. Aber gerade dieser Anvermittelte Gegensatz zwischen Licht
und Schatten hat etwas Hartes, nimmt der Landschaft Amnnth
und Harmonie. Befremdend großartig ist Alles, aber anch schroff
und wild.
Doch wir wenden uns zum Dattelbaume, welcher das Brot
für viele Millionen Mensche» bildet n»d an den sich ei» »icht ge-
riuges Stück Halbkultur knüpft. Seine geographische Verbreitung
ist ungemein ausgedehnt; die Region reicht zu beiden Seiteü des
Wendekreises vom Atlantischen Ocean an der afrikanischen Küste
bis zum untern Indus, zwischen dem 12. nnd 37. Grade nörd-
licher Breite. Auf dieser weiten Strecke ist der Dattelbanm den
Landesbewohnern so nützlich wie der Bambus in Ostasien, wie die
Kokospalme in der Aequatorialregiou; er giebt dem Menschen
Nahrung, Kleidung, Obdach und Hausgeräth. In Nordafrika
bezeichnet man einen breiten Gürtel Landes, der sich von Marokko
bis an den Nil zieht, als das Dattelland, Belad el Dscherid.
Dasselbe umfaßt namentlich die Oasen Tafilelt, Wargla, Tnggnrt,
Nefta, jene in Tripolis, sodann Siwah und Audschila. Oestlich
vom Notheu Meere gedeihen die Datteln in Arabien nnd jene von
Medina sind hochberühmt; sie werden mit jenen verglichen, welche
im südlichen Tunesien wachsen.
Wir sagteu eben, wie mannigfach der Dattelbaum benutzt
werde. Die Blattstiele, Dscherid, benutzt der Mensch zu Latten,
zur Verfertigung von Fenstern, Thiiren und Sitzen; aus deu Fasern
bereitet er Stricke und grobes Zeug zu Säcke»; a»s deu Blättern,
S af, macht er Besen, Matten, Kissen, Fächer, Körbchen, Kopf-
bedeckuugen, Eimer; die Blüten des männlichen Baumes genießt
man, als Reizmittel, mit Citronensast; die Hülle der Blüte, Kenia-
mim, wird als Arznei benutzt, das netzartige Gewebe über den
Wurzeln, Lisa, liefert Stoff zu Stricken und zum Ausstopfen
der Kameelsättel; man verflicht dasselbe mit Kameelhaaren und es
liefert dann ein Zeug zur Zeltbedecknng; auch bereitet mau ans der
Lisa Lunten zum Abfeuern der Luntengewehre. Der frische Saft,
manen, so daß die Kymren nur noch in unbedeutenden Resten
fortleben.
und Datteln.
el Ma, ist süß und heißt Dattelmilch; gegohreu giebt er den
Dattelwein und abgezogen den Dattelbranntwein. Aus dem Holze
macht man Dachbalken, Bretter, Pfähle, Thürpfosten, Barken,
Ackergeräth, Röhren zur Wasserleitung und noch mancherlei Haus-
geräth.
Der Leser wird begreifen, daß ein so nützlicher Baum von
den Menschen hochgeschätzt wird; ohnehin bildet die Dattel eine
wichtige Handelswaare.
Im Allgemeinen überschreitet die Dattel nicht gern den
33. Grad nördlicher Breite; doch ist sie durch die Araber nach ein-
zelnen Gegenden Spaniens nnd des europäischen Mittelmeergestades
verpflanzt worden, ferner nach dem portugiesischen Algarve. Anch
Sicilien, Syrien und einige Striche Kleinasiens haben Dattel-
bäume; es ist aber schwer, genau zu bestimmen, bis wie weit
nach Norden hin die Früchte reif werden.
Die Römer hielten anfangs Palästina für die Heimat der
Datteln, aber dort wird die Frucht nicht reis (z. B. an der Küste
nicht einmal bei Jaffa). Als sie das Land bezwungen hatten, stellten
sie das eroberte Judäa als ein trauerndes Weib dar, das unter
einem Palmbaume sitzt. Aber am Nil, am Enphrat und Tigris
sahen die Legionen doch ganz andere, doppelt so hohe Dattelbäume.
Die Frucht will hoch über der Erde stehen, verlangt viel Sonne
nnd freie Luft. Erst ist sie grün, dann wird sie bernsteingelb, nach-
her goldgelb oder karmoisinroth; sie ist gleichsam ein von der Sonne
gebackenes Brot, das aus die Erde herabfällt und ohne Mühe ein-
gesammelt wird. Im Oktober oder November findet die Ernte statt;
ein Mann steigt ans den Baun: nnd wirft die Früchte auf die unten
ausgebreiteten Matten herab, wo man sie aufsammelt. Die frische
Dattel gilt für die beste; die trockene wird ausgekernt, eine Zeitlang
der Sonne ausgesetzt und läßt sich dann sehr gut aufbewahren. Sie
schwitzt einen Theil ihres reichen Zuckergehaltes ans, den Dattel-
Honig. Die getrockneten Früchte benutzt man zu allerlei Teig
nnd Gebäck; mit Mehl durchknetet, geben sie ein gesundes, wohl-
schmeckendes Brot, Bsissa.
Diese Bsissa ist für deu Reisenden in der Wüste, was der aus
Büffelfleisch bereitete Pemmicau für die nordamerikanischen Pelz-
länder, den» in gepreßtem Zustande hält sich dieses Nahrungsmittel
wohl zehn oder zwölf Jahre lang, nnd die Karawanen haben von
demselben stets Vorrath bei sich. Die Bereitung erfordert keine
Schwierigkeiten; man bürstet jede Dattel mit einem kleinen Beseil
rein, damit kein Sand haften bleibe, macht mit einem scharfen
Stein oder Messer einen Einschnitt, nimmt den Kern heraus, wirft
die Früchte in ein viereckiges Holzgefäß, legt ein Brett darüber,
belastet dieses mit Steinen, und durch das Pressen entsteht dann
der Dattelbrotkuchen.
Im Spätherbst, zur Erntezeit, herrscht drei Monate lang ein
reges, frohes Leben überall, wo Datteln stehen. In oder neben den
Hainen entstehen Zeltdörfer, die Kinder namentlich essen sich rund
nnd dick, und der Reisende sieht, wie sie, nach reichlicher Mahlzeit,
grnppenweis im Schatten liegen und schlafen; der edle Banm,
welcher Kühlung gewährt, rauscht ihnen zu Hknpten, und dann
und wann fällt durch die vom Luftzuge bewegten Blätter ein
Sonnenstrahl auf diese kleinen Araber, welche, mit ihren bunten
Lumpen bekleidet und die rothe Kappe auf dem Kopfe, ein maleri-
sches Bild gewähren. '
Im arabischen Nedschd trifft der Reisende dann und wann ans
salzige Pfützen oder Wasserläufe, welche durch die sandige Fläche
Dattelpalmen
und Datteln.
347
oder gewundene Thalniederungen ziehen. Dort findet er sicherlich
Palmengrnppen, weil diese Bäume salzgeschwängerten Boden lieben.
Auf solchen Stellen werden sie sehr hoch und geben treffliche Frucht.
Gerade in so öden Gegenden gewährt die Dattel eine hohe Wohl-
that. Wenn man bei einer geradezu feurigen Atmosphäre, manch-
mal in einer Hitze von 170 Grad F., gewandert ist, und gelaugt an
einen Palmenwald, so scheint es dem Menschen, als wäre er in's
Paradies versetzt. Er lebt wieder ans, kanu frei athmen; die Kühle
giebt ihm neue Kraft uud er bekommt wieder Neigung etwas zu
essen. Das Kameel kniet sofort iin Schatten nieder und giebt sein
Wohlbehagen durch tiefes Grunzen zn erkennen. Vielleicht trifft es
sich, daß Datteln auf dem grünbewachsenen Boden liegen und
Labung gewähren. Jetzt wird der kleine tragbare Herd, der nur
zehn Zoll hoch uud sechs Zoll breit ist, hervorgezogen und über ein
Feuer aus Mimoseuholz gestellt; bald siedet das Wasser und der
würzige Kaffee verbreitet feinen belebenden Duft. Man schlürft ihn
mit Wonne ein, genießt etwas Brot und Datteln. Das ist ein
bescheidenes, aber gesundes Mahl, wie eS für die Wüste paßt.
Nachdem man sich gesättigt, streckt man sich unter der Dattelpalme
behaglich aus, raucht Dscheblitabak, ächtes Kraut vom Libanon,
und fühlt sich unaussprechlich wohl. Bald aber wandelt uns der
Schlummer an, unsere Augenlider fallen zu, das Pfeifenrohr ent-
gleitet der Hand, und während eines erquickenden Schlafes gaukelt
uns ein Tranin Bilder aus der nordischen Heimat vor.
Doch wir überspringen Arabien und wenden uns nach dein
Mündungsstrome des Euphrat uud Tigris, dem Schat el Arab,
der seiu Wasser iu den Persischen Meerbusen wälzt. Je näher dem
Ocean zu, um so weiter weichen die Ufer des Stromes zurück. Auf
der Seite zur Rechten gewahren wir ausgedehnte Schlammflächen,
ein Erzeugniß des Westwindes, der in jener Gegend vorherrscht
und unablässig gewaltige Staubwolken in's Meer jagt. Dieser
Staub wird allmälig das Meer und den gauzeu Golf ausfüllen;
nur der Schat el Arab wird übrig bleiben und die Niederung durch-
strömen, wie der Nil seiu Deltaland. War doch auch das untere
Nilthal einst ein Golf des Mittelländischen Meeres, und wir sehen
die deutlichen Anzeichen dafür jetzt einhundert deutsche Meilen ober-
halb der heutigen Küste. Wie viele Jahrtausende mögen verflossen
sein, seitdem das Salzwasser aus der Gegeud zurückgewichen ist,
wo wir heute die Ruinen von Theben finden! Nach eben so vielen
Jahrtausenden wird der Persische Meerbusen ein grünes Thal bilden,
übersäet mit Städten und Dörfern uud Hainen von Dattelpalmen.
Am Rande dieses Golfes gedeihen diese überall bis nach Maskat
in Ostarabien.
Der Baum ist ungemein malerisch, weit mehr als die Abbil-
duugeu glauben inachen; denn auf den Gemälden fehlt das Leben,
der Duft, der Orient. Die junge Dattelpalme wächst ähnlich wie
eine Aloe aus dem Bodeu hervor uud ist dicht mit Blättern be-
wachfeu, die uahe über der Wurzel laug sind und höher hinauf
kürzer werden, so daß der junge Baum wie ein Obelisk aussieht.
Ein Hain junger Dattelpalmen, die noch nicht beschnitten worden
sind, also etwa im sechsten oder siebenten Jahre, sieht geradezu
reizend aus. Dann aber werden die unteren Blätter entfernt; der
Stamm schießt nun rasch in die Höhe und gipfelt in einem Alter
von fünfzig Jahren bis 120 Fuß. Daun ist er in seiner Vollkraft,
bewahrt sich diese noch ein Jahrhundert laug, säugt nachher an
weniger Früchte zu tragen; wenn er aber zweihundert Jahre lang
die Hitze ertragen hat, wird er zwar unfruchtbar, aber er stirbt
noch nicht ab. Er ist immer noch ein schöner Baum, der das Auge
erfreut. Sein Tod erfolgt erst, wenn er sechshundert Jahre alt ist;
in Judieu soll es aber tausendjährige Dattelpalmen geben. So
sagen Viele; wir aber schenken den Angaben eines sorgfältigen Be-
obachters, des Grafen d'Escayrac, Glauben. Er bemerkt in
seinen Schilderungen, welche sich auf das Belad el Dfcherid be-
ziehen: „Die Dattelpalme kaiin 200 bis 250 Jahre erreichen;
doch sieht man nur selten Bäume, die über 80 Jahre
alt siud. Wenn sie absterben wollen oder sollen, zapft man ihnen
im Frühjahr unterhalb der Blätter am Stamme an drei Stellen
den Saft ab und fängt diesen in Gefäßen auf, die au jedem Mor-
gen geleert werden. Dieses Abzapfen kann etwa drei Monate lang
fortgesetzt werden. Man neniit im Dattellande diese Flüssigkeit
Lagini uud ihr Geschmack ähnelt der Kokosmilch oder auch dem
Palmwein, und iu deu Oasen wird eine große Menge davon ver-
braucht; au jedem Morgen wird er von Kindern seilgeboten, sie
rufen: Lagnii mlihah ia Lakini! Nach 24 Stunden geht er
in Gähruug über." '
Die Araber, ein Volk, das poetischen Ausdruck liebt, haben
viele Gleichnisse, welche sich auf die Dattelpalme beziehen. Da
sitzt der Beduine auf einem altersgrauen Stamme, welchen der
Wind zu Bodeu geworfen hat; er stellt Betrachtungen an und
vergleicht ihn mit dem Schicksale des großen arabischen Volkes.
Einst war dasselbe ein Schrecken der Welt; bald nach dem Ableben
des Propheten stürmten die Chalifen mit dem Schwerte des
Glaubens bewaffnet weit und breit über die Länder hin, eroberten
große Reiche, erwarben hohen Ruhm, und was ist übrig ge-
blieben? Der Araber füttert seiu Kameel, verkauft Datteln uud
die ungläubigen Männer aus dem Abendlande sind vorgedrungen
bis in die Nähe von Mohammed's Grab!
Es giebt mehr als fechszig verschiedene Arten des Dattel-
baums, deren Früchte in Bezug aus ihre Gestalt sehr wesentlich von
einander abweichen. Bei manchen Arten ist sie tauglich oder ab-
gerundet, oval, walzenförmig :e. Die guten Datteln sind durch-
sichtig; die ägyptischen, mit Ausnahme der langen gelblichen Art
von Rosette, werden genossen, wenn sie roth sind. Insgemein
hat die Dattel die Gestalt ihres Kerns, nach welchem man auf
jene der Frucht schließen kann.
Die vorzüglichste Art des Dattelbaums ist der Degleh,
welchen man in Belad el Dscherid baut; er wird bis zu achtzig
Fuß hoch, trägt sehr reichlich und hat acht bis zehn Fruchtbüschel,
dereu jeder zwölf bis zwanzig Pfund schwer wird. Nicht minder
ausgezeichnet ist die Mouachir, welche aber nicht häufig ist uud
im Handel gar nicht vorkommt; sie wächst in den Oasen Nesta
und Tozer, und was an Früchten gewonnen wird, geht nach
Tunis an den Hof des Beys. Auch die Datteln von Tafilelt
haben einen guten Ruf; die uubifchen sind nicht so gut. Im Nil-
lande zwischen Wady Halfa und Chartum sollen etwa eine Million
Dattelpalmen stehen.
Die Dattel giebt nur Früchte, wo sie bewässert wird; da wo
sie au dürren Orten steht, ist sicherlich einmal ein Wasserplatz ge-
wesen. In Aegypten widmet man ihr nicht die gehörige Sorgfalt,
weil man es an Bewässerung fehlen läßt; dagegen ist sie in Belad
el Dscherid Gegeustaud einer äußerst sorgfältigen Pflege. Man
pflanzt die Bäume rautenförmig und führt ihnen an jedem
Morgen das uöthige Wasser zu. Die Dattelpalme wird mehr aus
Setzreiseru als aus Samen gezogen. Der junge Banm, wenn
weiblichen Geschlechts, giebt schou nach fünf Jahren die ersten
Früchte; man hindert aber, um ihn nicht anzustrengen, die rasche
Entwickelung.
In den Ländern, wo Datteln iu Menge wachse«, wird der
Erwerb der Leibesnahrung den Menschen eben so leicht, wie in
Gegeudeu, wo sie vorzugsweise von Bananen und Kokosnüssen
leben. Dort fehlt der Anreiz zum Fleiß und znr Arbeit, diesen
Grundlagen einer höhern Gesittung, nnd die Dattelläuder sind
deshalb im Allgemeinen nicht über eine Halbcivilisation hinaus-
gekommen.
44*
348
Kleine Nachrichten.
Kleine A
Australische Entdeckungsreisende. Berichte aus Adelaide in
Südaustralien melden, daß während der Weihuachtstage dort die
in letzter Zeit so oft genannten Reisenden Howitt, Mac Kinlay
und Stuart beisammen waren. Howitt hatte die Knochen
von Bnrke nnd Wills in zwei Säcken bei sich und wollte
dieselben nach Melbourne briugeu. So hatte die Regierung der
Kolonie Victoria befohlen! Die Ueberreste der verschmachteten
Entdecker sollten in großem Schaugepränge, das mau ihneu zu
Ehren veranstalten wollte, durch die Straßen von Melbourne ge-
tragen und in dieser Stadt beigesetzt werden. Man wird ihnen
ein Denkmal setzen.
Stuart, ein Hauptbahnbrecher für australische Entdeckungen,
hat das ganze Festland bis zum Van-Diemens-Golf durch-
wandert. Dieser bespült einen Theil des Arnhems-Landes in Nord-
anstralien, 130 und 131° D. L. Stuart erreichte dort das Meer
cm einer Stelle, die 30 Miles östlich vom Kap Hotham liegt. Er
hatte sechs Wochen nöthig, um sich mit seinem Lenten dnrch das
dichte Gebüsch zu arbeiten, vor welchem er im November 1861 um-
kehren mußte. Im Norden desselben fand er schöne Flüsse und
hübsches Land, das er für Ackerbau und Viehzucht geeignet hält;
anch meint er, daß man dort Gold finden werde, denn darauf
deutete Manches hin. Die Strecke gen Osten vom Van-Diemens-
Golf bis zum Carpentaria-Golf legte er allein zurück; die An-
strengungen haben ihn aber so mitgenommen und erschöpft, daß er
längere Zeit der Ruhe Pflegen muß, um sich wieder zu erholen.
Die Kolonisten wissen die Verdienste der Reisenden zn wür-
digen. Landsborongh ist in Melbourne mit einem werthvollen
Silberservice beschenkt worden; das Parlament von Süd-Australien
hat für Mac Kinlay eine Ehrensumme von tausend Pfund Ster-
ling bewilligt, weil er mit Erfolg die Reise vom Golf St. Vincent
im Süden bis zum Earpeutaria-Buseu im Norden glücklich zurück-
gelegt habe.
Die geographische Gesellschaft in London hat den Vorzug,
daß sich ihr Ditz in der größten Weltstadt befindet, wo allezeit
Leute aus allen Erdtheilen versammelt sind. In ihren Sitzungen
findet mau immer interessante Gäste uud berühmte Reisende. In
der Versammlung vom Februar waren unter anderen gegenwärtig:
Der persische Gesandte Mirza Dschasfer Chan uud ein anderer
Orientale, Herr Mahmud Chau; der berühmte Hydrograph
Kapitän Manry, welchem wir die von Professor Böttger in
Dessau vortrefflich bearbeitete Physische Geographie des Meeres
und die Sailiug- Directious verdanken; Dr. Colenso, Bischof
aus Natal in Südostafrika, gegen welchen jetzt die anglikanischen
Orthodoxen Sturm laufen, weil er den Maßstab der Kritik an den
Pentateuch gelegt hat; die Nordpolfahrer B ack uud Collinsou;
General Rawlinson, welcher sich seit vielen Jahren bemüht, die
Keilschrift zu erläutern; Oberlientenaut Waugh, bekannt durch
seine Vermessungen im Himalaya; der Löwentödter Gerard,
Kapitän Pim; der ehemalige Konsul in Mosambik, Lyons Mae
Leod, nnd unser Landsmann Barthold Seemann. Den Vorsitz
führte Roderich Murchison. Er bemerkte, daß die Nachricht von
Petherick's Tode noch nicht beglaubigt sei, uud der Reisende
vielleicht iu einer der am obern Weißen Nil zerstreut liegenden
Elfenbeinstationen eine Zuflucht gefunden habe. Aus einem Briefe
Baker's, datirt Chartnm den 12. December 1802, ergiebt sich,
daß über Petherick keine zuverlä ssige Nachricht in jener Stadt
eingetroffen war. — Eine Mittheilung von Dr. Baikie über die
Länder am Niger wurde vou dem ausgezeichneten südafrika-
nischen Reifenden Galton vorgelesen; Baikie empfiehlt die Grün-
duug einer Handelsfaktorei am Einflüsse des Tschadda in den
Niger, gegen deren Zweckmäßigkeit der alte Crawsnrd Ein-
Wendungen machte. — Am Schlüsse wünschte Murchison dem
Löwentödter, welcher nun seine gefährliche Wanderung nach Inner-
afrika angetreten hat, eine glückliche Reise.
Ludwig Krays in Ostafrika. Unser Landsmann scheint den
Plan aufgegeben zu haben, von der Ostküste bei Mombas nach dem
Innern Afrikas bis Abessiuieu vorzudringen. Er ist wieder in
Europa; ein aus Kornthal in Würtemberg vom 6. Januar 1863
datirter Brief ist in der Londoner MissionSgesellschast vorgelesen
worden. Wir erfahren daraus, daß Krapf in Kifuludiui deu
Missionar Rebmann bei der Arbeit traf. Er unterrichtete eine
„geringe Anzahl" von Wauikas, um sie für die Taufe vorzube-
reiten. Krapf meinte, daß gegenwärtig bei den Wanika.mehr
auszurichten fei als früher. Wir hätten, sagt er, Hunderte nnd
ch r i ch t e n.
Tansende für alle Arten von Handarbeit haben können. Es hat
sich Vieles seit 1839, wo ich sie zuerst besuchte, verändert. Die
räuberischen Masais habeu deu Wauika die Heerden genommen,
und während der letztverflossenen drei Jahre sind sie von Hungers-
uoth heimgesucht worden. Gegenwärtig verlangen sie nicht mehr
Geschenke,' sondern Arbeit, uud jeder europäische Lehrer kauu sicher
sein, mit offenen Armen aufgenommen zu werden. —
Man kann fragen: weshalb die Wanika erst Arbeit von
Fremden verlangen und nicht für sich selber arbeiten? Es wird
ja nichts sie hindern, dem Boden so viel abzugewinnen, wie sie
gebranchen und noch viel mehr, wenn sie fleißig fein wollen.
Deutsche Ansiedler an der Mostitokiiste iu Central-Amerika.
Eine nicht unbeträchtliche Anzahl unserer Landsleute hat, wegen des
zerrüttenden Bürgerkrieges, den Vereinigten Staaten den Rücken
gekehrt. Manche sind nach Canada gegangen, andere nach Costa
Rica, einige auch nach der sogenannten Moskitoküste, welche zum
Staate Nicaragua gehört. Sie befinden sich also in derselben
Gegend, in welcher vor etwa sechszehn Jahren eine Berliner
Kolonisationsgesellschaft, der allerdings jeder praktische Verstand
abging, kläglich scheiterte.
lieber die gegenwärtige Lage der Ansiedler finden wir ein
Schreiben in der Nen-Iorker Staatszeitung ans Blnesields
vom 10. December 1862. Die Bemerkung, daß die Fiebererschei-
nungen eine Folge des Umbrechens der Erde auf Waldlichtungen
sei, ist ohne allen Zweifel richtig.
Der Ansiedler schreibt: — Wir haben hier in den letzten Mo-
naten schlimme Zeiten durchgemacht — schlimm, wegen der vielen
Krankheitsfälle. Fieber, die leicht bösartig wurden, indem sie
einen typhösen Charakter annahmen, waren an der Tagesordnung.
Es ist nicht anzunehmen, daß Akklimatisation Ursache des Krank-
seins war, denn die meisten Deutschen hatten schon ein Jahr am
Rio Grande zugebracht; auch blieben die älteren farbigen Ein-
wohner keineswegs verschont, sondern fast in jedem Hause waren
Kranke zu finden. Trotzdem sind nur zwei Todesfälle vorge-
kommen: eine deutsche Frau uud ein Eingeborener starben.
Da Bluesields deu Ruf hat, der gesundeste Platz an der Küste
zn sein, so ist es nur um so wahrscheinlicher, daß diese uuge-
wöhuliche Kränklichkeit durch das Niederschlagen
großer Strecken Urwaldes verursacht wurde. Ich er-
innere mich dabei, daß iu Friedrichsburg, einem der gesundesten
Plätze in West-Texas, im ersten Jahre der Ansiedelung die Leute
so sehr von Krankheiten befallen wurden, daß man die Leichen
in Decken gewickelt oder in Säcke gesteckt auf den Todtenkarren
warf. Auch dort wirkten die nämlichen Ursachen, die
Miasmen, welche dem niedergehauenen Wald ent-
stiegen, und der Mangel an geeigneten Lebensmitteln. Es kam
zu der anhaltenden Kränklichkeit noch ein anderer Umstand, welcher
die deutschen Ansiedler in Blnesields mnthlos machte, nämlich die
Vernichtung ihrer Feldfrüchte durch Vieh, das die gemeinschast-
liche Feuz durchbrach. Es half nichts, daß dem Hanptfenzbrecher,
einer Knh, die Augen bedeckt wurden, sie brach dennoch durch,
uud hatte sie die Bresche einmal eröffnet, so fehlte es ihr natürlich
nicht an Nachfolgern. Der Eigenthümer hat jetzt endlich den
dringenden Vorstellungen der Betheiligten (d. h. Benachteiligten)
sowie des Magistrats in soweit nachgegeben, daß er seine Kuh zu
Weihnachten schlachten will. Da er ein armer Mann ist, kann er
deu Schaden nicht ersetzen.
Soviel über die Ursachen der allgemeinen Muthlosigkeit.
Die Ankunft neuer Ansiedler aus Calisoruien hat
den Eutmuthigteu jetzt frischen Muth eingeflößt. Diese Lentchen
ließen sich durch uichts irre machen, bauten sich auf ihrem Platze
gleich ein Haus uud machten sich frisch an die Arbeit. Da sie
geklärtes Land kaufen konnten, so waren sie der schweren und zeit-
raubenden Arbeit des Waldklärens überhoben nnd konnten sogleich
rni's Graben und Bepflanzen gehen.
Bisher war nur ein einziges Hans auf dem von den Deutschen
bearbeiteten Land errichtet; jetzt wollen sich die Meisten auf ihren
Theil eiu Haus setzen, indem sie den Vortheil erkennen, welchen
eine beständige Beaufsichtigung des Landes, sowie die Gelegenheit,
jedes trockene Stündchen und Viertelstündchen während eines
Regentages zum Pflanzen zu benutzen, gewährt.
Die Aussicht, daß mehr Deutsche hierher kommen werden,
spornt Alle zu neuer Thätigkeit an. dennmitdenNegernuud
Mulatten (hier Kreolen genannt) ist nichts aufzustellen,
sie lieben die Trägheit und den alten Schlendrian zu sehr.
Kleine
Diejenigen Deutschen, welche von hier aus an den St. Juan-
sluß gingen, arbeiten dort noch für die Transit-Kompagnie. Daß
zwei derselben gestorben sind, ist bei den Strapazen, welchen sie
ausgesetzt waren, nicht zu verwundern. Da gegenwärtig der Tage-
lohn von der Kompagnie auf VJ4 Dollar ohne Beköstigung herab-
gesetzt worden ist, so haben einige Arbeiter in Greytown den Vor-
schlag des Herrn Wolf, frühern Mayors der Stadt, aucze-
nommen, sich in der Nähe seiner Plantage aus der Costaricaseite
des Flusses niederzulassen. Wie ich höre, hat dieser Herr jedem
Deutscheu, der auf seiuer Plantage Arbeit aunehmen will, 20 Dollars
per Monat geboten.
Die Nicaragua Transit-Kompagnie muß ihre Trausport-
mittel noch nicht in gehörigen Stand gesetzt haben, denn die
Passagiere mußten über den Isthmus, zwischen Del Sur und
Virgin-Bay, theils auf Eseln reiten, theils zu Fuße gehen, da
keine Wageu vorhaudeu waren. Ferner erwies sich das Dampf-
boot auf dem Fluß als nnlenkfam, weshalb die Maschinerie
jetzt herausgenommen und einer Reparatur unterworfen wurde.
Eine Hauptschwierigkeit, die sich auf dieser Route darbietet,
sind die Fälle des St. Juan, welche bei trockener Jahreszeit vom
Dampfboot nicht passirt werdeu können, wodurch danu ein Um-
laden aller Effekten nöthig wird; Verlust von Zeit und Sachen ist
aber die gewöhnliche Folge vielen Umladens. Hoffen wir, daß
auch dies Hinderniß mit der Zeit durch menschliche Energie über-
wunden wird.
Bedeutung der Centralprovinzen Ostindiens. Ueber diese
hat der oberste Verwaltuugsbeamte, Temple, welcher sich die
Hebung der ihm anvertrauten Gebiete eifrig angelegen sein läßt,
einen sehr eingehenden Bericht erstattet; er äußert darin Folgendes:
Die Centralprovinzen sind die zweitbesten Baumwoll-
selber in Indien und werden fortwährend au Wichtigkeit zu-
nehmen. Zur Hebung derselben wird die Schifffahrt auf dem
Godavery eröffnet und eine Zweigbahn des von Bombay
auslaufenden großen Peniufular- Schienenwegs binnen Jahresfrist
bis zur Stadt Nagpur fortgeführt fein. Stellt man ein gleich-
seitiges Dreieck, mit einer Basis von 55V engl. Meilen von Ost
nach West, in die Mitte einer Karte von Indien, so wird das nn-
gefähr den Umfang dieser Provinzen darstellen. Mit einem Flächen-
ranme von 150,000 engl. Q.-Meilen wird ihre Bevölkerung zu
9 Millionen Seelen geschätzt. Die im Süden der Nerbadda von
Osten nach Westeu streichenden Satpnra-Berge scheiden das
Land in zwei fast gleiche Hälften; die Gebirgs- uud Waldbezirke
sind reich an Eisen und Kohlen, wie in älteren Zeiten mich an
Diamanten, uud die daruuter liegenden Ebenen sind das große
Baumwollenland, das zum Theil der Godavery bewässert.
Diese Provinzen, Gebirg und Ebene, sind so ziemlich in dem
alten Gondwana enthalten. Die Gond waren gewiß in vor-
geschichtlicher Zeit der schönste nud mächtigste von deu eiugeboreueu
Stämmen Indiens. Große Architektnrtrümmer zeugen noch für
den Glanz ihrer Dynastien und die Größe der Hauptstädte ihrer
vier Königreiche — Mandala, Deoghur, KHerta uud
Tschau da. In dem Maß als die (arischen) Hindu sich über die
Halbinsel verbreiteten, zogen sich die Goud-Häuptlinge in die
Gebirge zurück, uud das Volk entartete zuWilden, welcheMenschen
Opfer darbrachten, während ihre Häuptlinge sich etwas daraus zu
gut thuu, durch Heirath mit ihren arischen Besiegern einiges Radsch-
puteublut in ihre Adern zu bekommen. Die Mohammedaner
folgten und machten Nagpnr zu einer Dependenz ihres großen
Vicekönigreichs Dekhan, und als das Mognlreich mit Anrengzeb's
Tod im Jahre 1707 zusammenbrach, wurde Centralindien von
Maharatten und Pindarls überzogen. Das Maharattenhans
Sindia nahm Sügor. das Hans Bhonsla Nagpnr als seinen
Theil. Die Abkömmlinge der mohammedanischen Gondfürsten von
Deoghur und der Hindufürsten von Tschanda existiren noch als
britische Staatspensionäre, aber von den zwei anderen Gond-
königlichen sind alle Spuren verwischt. Die Bhonslasamilie
besaß Berar so gut wie Nagpur, aber nach dem großen Maharatten-
kriege von 1803 gaben wir jene schöne Provinz dem Nizam von
Heyderabad, und jetzt verwalten wir sie wieder als Unterpfand für
die Bezahlung seines Militärkontingents.
Der Bericht schildert weiter das in Centralindien bestehende
eigenthümliche Grundbesitzsystem. Es giebt da keine Dorf-
fchaften, welche, als solche, Feld zusammenpachten uud deu
Bodenzins direkt an den Staat entrichten, sondern es giebt nur
einzelne Zemiudare, mit denen der Staat, als der allge-
meine Grundherr, einen Pachtvertrag abschließt, und an welchen
dann die Bauern als deren Kleinpächter Zinsen. Temple
meint: das sei ein für die Zukunft günstiges Verhältniß, in-
dein damit der Kern einer gebildetem Menschenklasse gegeben sei,
woran es in jenen asiatischen Ländern regelmäßig so sehr fehle.
Uebrigens ist nur etwa eiu Siebentel des Landes angebaut,
349
und der Grundzins beträgt durchschnittlich nicht über 1 Shil-
ling per Morgen; doch der für Baumwollenland betrug für
voriges Jahr 1 y2 bis 6 Shilling. Von der Führung der Eisen-
. bahn durch 'das Laud, mit entsprechenden Seitenwegen, der
Schiffbarmachuug des Godavery, der Hebuug des Bewässerungs-
systems u. s. w. wird aber schou binnen wenigen Jahreu eine
völlige Umwälzung der dortigeu Verhältnisse, uud besonders für
das fruchtbare Nagpur eine große Entwickeluug erwartet. Bis
jetzt erträgt diese Provinz ihre Verwaltungskosten noch nicht, da
namentlich auf die dortigen Militärverhältnisse 380,000 Pf. St.
jährlich verwendet werden, indem es von den zwei politisch ge-
fährlichsten Klassen Indiens, den Mohammedanern und Maha-
ratten des Dekhan, umgeben ist, unter denen Nana Sahib's Agen-
ten fortwährend zu wühlen suchen. Auf Straßenbau werden dort
in diesem Jahre 220,000 Pf. Sterl. oder ein Viertel des Provinzial-
eiukommeus verwendet. Wenn erst die Peninsular-Eisenbahn
fertig gebaut ist, werden 365 englische Meilen derselben dnrch die
Centralprovinzen führen, und es ist im Plane, dann die nach
Calcntta bestimmten europäischen Postfelleisen auf derselben von
Bombay aus dahin zu befördern, uud umgekehrt. —
Die beideu jetzt in Baumwollenkultur befindlichen Landstriche
sind das Thal des Godavery und seiner Zuflüsse, und die
vom Mahauaddi bewässerte Hochebene von Tschattisghnr. In
jenem waren 1801 281,214 englische Morgen mit Baumwolle be-
stellt und lieferten 19,301,388 Pfund Ertrag. Der Ertrag des
andern Bezirks ist zu 36,750,000 Pfund Baumwolle veranschlagt,
welche Schätzung Temple jedoch zu hoch fiudet. Hingung hat
im Süden war bisher der große Banmwollenmarkt, mit
dem aber Ar vi im Norden und Deoll in der Mitte des Landes
zu rivalisiren angefangen haben. . . Die hohen Preise, die jetzt für
indische Baumwolle gezahlt werden, haben im Süden die nämliche
Wirkung geäußert wie im Nordwesten: iu Masnlipatam (auf der
Ostküste vou Madras) waren Ende Septembers vorigen Jahres
7-1,229 Morgen mit Baumwolle bepflanzt, gegen 47,733 Morgen
im Jahre 1861. Aber die eingeborenen Kattunweber sind, iu Folge
der starken Ausfuhr des Rohstoffs bei starker Einfuhr von Stückgut
aus England, übel daran, und viele derselben haben die Web-
stühle verlassen, um Beschäftigung beim Eisenbahnbau zu suchen.
Ein anderes sonderbares Ergebniß der Baumwolleukrisis ist, daß,
während in einem Bezirke so viel Boden der Baumwollkultnr zuge-
wandt wurde, die Cerealien im Preise stiegen, was dann die Be.
wohner eines andern Bezirks veranlaßt hat, ihre bisherigen Baum-
wollfelder mit Korn zu besäen. In Folge dessen hat sich z. B. in
Coimbator, am Fnße der Nilagheris oder Blauen Berge, das
mit Baumwolle bestellte Feld von 43 640 auf 7169 Morgen ver-
mindert.
Deutsche Weihnachtsfeier iu Kalifornien. Unsere am Stillen
Weltmeere wohnenden Landslcute haben, gleich jenen in Australien,
die Weihnachtsfeier sich bewahrt, uud Alt wie Jung erfreuen
sich an den von Lichtern strahlenden, mit allerlei Siebensachen be-
hängten grünen Zweigen. An herrlichen Weihnachtsbäumen fehlt es
nicht; auf dem Christmarkte zu Sau Francisco waren sie in reicher
Auswahl vorhanden uud zwar in mehr als dreißig Arten
von immergrünen Nadelhölzern. Ein deutsches Blatt,
der ,,^?an Francisco Demokrat", schreibt in einer gemüthlichen
Anwandlung: „Froher Lärm durchzieht unsere Straßen; ein
ganzer Wald von Tannen scheint über Nacht aufgeschossen zu
sein, unsere milde Sonne fällt warm und hell auf die fröhliche
Meufcheumasse, Kinder ziehen lärmend mit Trommeln und
Pfeifen daher. Und über alle breitet ein stiller Frieden seine segens-
reichen Schwingen, der Segen unseres überreichen Landes drückt
sich iu jeder Miene ans uud verkündet, daß Rnhe und Frieden
wenigstens Ein stilles Plätzchen auf diesem Erdenrund, an den
fernen Ufern des Großen Oceans, des Pacific, gefunden habe.
Nicht düstere Tannen blos, die im kalten Vaterland allein das
Grün des Winters bilden, machen unsere Stadt zum grünen
Walde. Jener Segen der Natur, welcher unser Land ans seinem
reichsten Füllhorn überschüttet, läßt einen Wald von Tannen,
Cypressen nnd Lorbeer um uns aufschießen, der Mammuthbaum
breitet stolz seiue Aeste uebeu der Monterey-Cypresse, dem Roth-
holz, dem Lebensbaume, dem grünen Lorbeer mit seinen rotheu
Beeren, den immergrünen Eichen, nnd zwischen ihnen strecken schon
Rosen ihre Knospen hervor; hier fürchten sie nicht Schnee und
Eis, wie iu Europa um diese Jahreszeit."
Leichenbegängniß eines Radscha in Ostindien. Daun und
wann kommt jetzt eiu indischer Fürst nach Europa, um die Wunder-
werke nnsers Erdtheils kennen zu lernen. Zu diesen wißbegierigen
Hindus gehörte Nnrindher Sing Bahadnr, Radscha vonPattiala;
er war 1856 in London und bewahrte den Engländern seine Treue
350 Kleine N
auch während des großen Sipahi - Aufstandes. Am 13. November
1862 spürte er, daß seine letzte Stunde herannahe. Da ließ er
„Puranas" schreiben und diese iu alle seine Städte schicken; sie be-
fahlen die Freilassung von siebenhundert Gefangenen! Den Armen
schenkte er hundert Stück Vieh, mehrere tausend Rupien, viel Ge-
treide und Zuckerwerk. Nachdem er seine Seele ausgehaucht,
wurde die Leiche aus dem Palaste getragen ; unter lautem Schluchzen
des versammelten Volkes brachte man sie auf den Scheiterhaufen und
warf zweihundert kostbare Shawls über sie. Dieser Flammen-
sarg bestand aus zwei Ladungen von duftendem Sandelholz, lind
über dasselbe wurde iu reichlicher Fülle flüssige Butter und Kokosöl
gegossen, nachher zündete mau das Ganze an. Drei Tage lang ruhte
alle Arbeit; alle Bazare waren geschlossen, dann wurde die Asche
des Maharadscha au derGauga heilige Stromflut getragen und dort
von den Brahmineu in Empfang genommen. Das Geleit war
außerordentlich pomphaft: in demselben befanden sich ein Elephant,
vier Pferde, ein Tragsessel :c. Die Brahminen gingen nicht leer
aus, denn sie bekamen ein Geschenk von einhundert Shawls.
Wir wollen hier beifügen, daß, trotz aller Verbote und lieber-
wachungen von Seiten der Engländer, in Ostindien immer noch
dann und wann Sattis vorkommen. Eilte solche Wittwen-
verbr eunnng hat im Oktober zu Dschndpore stattgefunden. Die
Angehörigen der Wittwe, welche darauf gedrungen hatte, sich zn
verbrenne», wurden zur Verantwortung gezogen, weil sie dieses
freiwillige Menschenopfer nicht verhindert hatten.
Was sind die höchsten Guter des Negers? T. I. Hutchinson,
welcher als Konsul auf der Insel Fernando Po häufig Ausflüge
in das Nigerdelta machte, nnd aus dessen neuestem Reisewerke wir
vor längerer Zeit im Globus Mittheilungen gaben, hat in der
ethnologischen Gesellschaft zu London einen Vortrag über die
geistigen Züge der afrikanischen Stämme gehalten. Wir finden
denselben im ersten Bande der Verhandlungen jenes Vereins und
wollen einige bezeichnende Stellen hervorheben.
Unter den Negern an der westafrikanischen Küste herrscht eine
eigentümliche Vorstellung über die Erschaffung der Welt.
Einige Stämme an der Goldküste glauben Folgendes: Als Gott
die Welt in's Leben rief, schuf er ein Paar Schwarze und ein Paar
Weiße. Die Schwarzen waren seine Lieblinge, und er stellte zur
Auswahl für sie zweierlei Dinge hin, eine versiegelte Kiste und einen
versiegelten Brief. Die Schwarzen, habgierig wie sie waren,
nahmen die Kiste für sich und fanden darin nur werthloses Metall;
den Weißen blieb also der Brief, und in diesem fanden sie An-
Weisungen zu nützlichen Dingen, z. B. darüber, wie man Schiffe
bauen, Kleider verfertigen, Schießgewehr und Pulver machen nnd
wie man Rum bereiten müsse.
Weiter erzählt Hutchinson Folgendes: Unter meinen Dienern
auf Fernando Po war auch ein Mann von der Kru-Küste,
welcher von seiner frühern Herrschaft den Namen Wilson be-
kommen hatte. Er war ein brauchbarer Schaluppenführer und
wartete auch ganz leidlich Lei Tisch auf. Einst erzählte er meiner
Frau, daß er länger als zehn Jahre in der Missionsschule
am Kap Palmas Unterricht im Christenthum erhalten habe. ^?ie
fragte ihn, was er dort gelernt habe, und ob er auch wohl recht
ordentlich etwas von Gott wisse?
Diese Frage brachte ihn in einige Verlegenheit und er ant-
wertete nur mit einem nichtssagenden Grinsen. Als aber meine
Frau die Frage sehr ernsthaft und eindringlich wiederholte, nahm
er eine feierliche Miene au und sprach:
„Ich kenne Gott sehr wohl, er ist recht gut und hat zwei
sehr schöne Dinge gemacht, die kein Mensch machen kann." _
„Nur zwei?" sagte Fran Hutchinson, und fragte, was für
Dinge denn das seien.
Wilson strich mit den Fingern durch sein Haar, blinzelte mit
den Augen und entgegnete, diese beiden schönen Dinge, welche Gott
geschaffen habe, seien der Schlaf und der Sonntag, an welchem
man nicht zu arbeiten brauche. Im Negergedibber (es wird als
Jübber von den Engländern bezeichnet) lautet seine Antwort:
„Marnrny, dem two ting Gort make be foine past what any man
can make. One ting be Schleep, —- foine, foine ting, mammy,
no man fit to make rtat; and other ting be Snnrtay, when no
pusson liave for work."
Nachdem dieser Neger zehn Jahre Unterricht in der Missions-
schule erhalten hatte, wußte er also von Golt weiter nichts, als
daß er die höchsten Güter der Faullenzer geschaffen habe: den
Schlaf und einen arbeitslosen Wochentag!
Port Said, der Mittelmeerhafen am Suez-Kanal. Wir
haben mehrfach darauf hingewiesen, daß es einen Ungeheuern Auf-
wand an Geld und Kräften erfordern würde, um einen geräumigen
und sichern Hafen für große Seeschiffe am Nordeingange zn dem
projektirten Kanäle herzustellen. Bon gewichtigen Autoritäten wird
das, im Hinblick auf die natürlichen Verhältnisse und namentlich
auf die Meeresströmungen jener Gegend, entschieden bezweifelt.
Inzwischen baut aber die Kompagnie Lesseps fort, nnd sie hat die
zukünftige Stadt zu Ehren des nun verstorbenen Vieekönigs Port
Said genannt. Um dort den in den Kanal einlaufenden Fahr-
zeugen Schutz zu gewähren, beabsichtigt sie die Errichtung eines
Molo, Hafendammes, von 3000 Meter, sage eine halbe deutsche
Meile, Länge. Er soll in nordöstlicher Richtung in das Meer
hinaus gebaut werden. Natürlich muß er doppelt fein; damit nun
das Wasser zwischen den beiden Mauerdämmen die nöthige Tiefe
erhalte, muß man drei Millionen Kubikmeter Schlamm
aus dem Meere heraus baggern. An den Beginn dieser Ar-
beit kann man aber erst denken, wenn die beiden riesigen Mauer-
dämme (vorausgesetzt, daß die Herstellung derselben auf dem
Schlammboden des Meeres sich überhaupt thuu lasse) volleudet siud.
Gegenwärtig hat man den einen Mauerdamm in Angriff ge-
uommen uud ist damit 250 Meter weit in's Meer gekommen. Fünf-
zehnhundert Meter vom Ufer hat mau eine künstliche Insel von
60 Meter Länge und 20 Meter Breite aufgeschüttet und will diese
später mit der angefangenen Seemauer iu Verbindung bringen.
Jetzt werden bei ihr die Steine zum Bau abgeladen. Sie kommen
aus den Steinbrüchen von Mex; im Ganzen sind 995,454 Kubik-
meter erforderlich, davon aber kaum 50,000 angebracht worden.
Es läßt sich unter diesen Umständen noch gar nicht absehen, wann
die Hafenbauten, mit denen ohnehin erst ein, im Verhältniß zum
Ganzen höchst unbedeutender Anfang gemacht worden ist, vollendet
sein werden.
Port Said selbst besteht ans einer Anzahl von Hänsern,
welche von Beamten nnd Arbeitern bewohnt werden. Dazu kommen
einige Handelsleute und Gastwirthe. Diesen auf solche Weise gleich-
sam künstlich entstandenen Ort giebt man in französischen Blättern
für eine „aufblühende Handelsstadt" ans. In der Nähe ist ein
Dorf, iu welchem die beim Hafenbau beschäftigten arabischen Ar-
Better wohnen.
Im Verhältnisse zu dem vorgesteckten Ziel nnd zn den ge-
waltigen Verheißungen ist noch sehr wenig geschehen. Und oben-
drein macht Vieles von dem, was man hergestellt hat, den Ein-
druck, als sei es nur in der Absicht gemacht worden, dem nicht
näher eingeweihten Publikum schnell irgend etwas vorzuführen,
das wie ein Resultat aussieht.
Said Pascha war durch die Franzosen finanziell tief iu das
Kaualprojekt verwickelt worden; von dem Nachfolger des Ver-
storbenen haben sie, wie es scheint, keine speciellen Begünstigungen
zu erwarten; er will z. B. sich nicht dazn verstehen, die arabischen
Bauern zur Zwangsarbeit am Kanal herzugeben.
Bedeutung der Handelsstadt Bombay. Dieser große Stapel-
platz des nordwestlichen Indiens wird in Folge der Ausdehnung
von Dampfschifffahrt und Eisenbahnen immer wichtiger und be-
findet sich in einer höhern Blüte wie je zuvor. Dazn trägt der
amerikanische Bürgerkrieg in nicht geringem Maße bei, und wir
ersehen auch daraus, wie die Solidarität des Handelsverkehrs in
unseren Tagen den gauzeu Erdball umspannt, aber auch welche
Umwandlungen er hervorruft. Seitdem die amerikanische Baum-
wolleuuoth sich fühlbar machte, hat mau in Bo mb a y nicht weniger
als neun große Baumwollenfabriken errichtet, und große Ka-
pitalien werden dort in Manufakturen angelegt. So wird dieser
indische Platz auch eine Fabrikstadt und dort ragen die qualmenden
Rauchfänge so hoch empor, wie in Manchester. Danebenher geht
eiue großartige Entwickeluug deö Handels, und Bombay arbeitet
mit Erfolg darauf hin, das große Emporium, der Haupt-
stapelplatz im Osten zu werden. Dem Eisenbahnnetz In-
diens wird eine Masche nach der andern hinzugefügt nnd bald
wird dasselbe die ganze Halbinsel überspannen. Bombay bildet
den westlichen Anfangspunkt und seine geographische Lage
ist ungemein günstig. Es hat einen vortrefflichen Hafen und sobald
der Schienenweg nach Kalkutta vollendet sein wird. kann es gar
nicht fehlen, daß alle Reisende ans Europa, sammt den Posten, in
Bombay landen. Man vermeidet dann eine lange Seefahrt und
gewinnt Zeit uud spart Geld.
Unter deu Bewohnern der Stadt spielen die Parsis eine
hervorragende Roll« durch ihre Betriebsamkeit und ihren Reichthum.
Mehr als zweitausend Nichteuropäer, die Parsis voran, halten
Equipagen und zahlen die Steuern dafür. Der Werth von Grund
uud Bodeu, namentlich aber jener der Häuser, ist binnen zwei
Jahren um das Doppelte, in manchen Fällen um das Dreifache
gestiegen. Wir werden demnächst im Globus ausführlich über
Bombay und die Parsis reden.
Kleine
Handelsbewegnug Frankreichs im Jahre 1862. Den Be-
kanntmachnngen der Zollbehörde zufolge betrug dieselbe, trotz der
Baumwollenkrisis, in runder Summe 4 Milliarden und 316 Mit-
lionen Francs; im Jahre 1861 etwas mehr, nämlich 4368 Mil-
lionen, so daß sich ein Ausfall von etwa 50 Millionen herausstellt.—
Die Eiufuhr betrug >862: 2t27 Millionen, die Ausfuhr
2189 Millionen. Vou den letzteren gingen für 601 Millionen
nach England, von wo für 465 Millionen unportirt wurden.
Handelsverkehr Rußlands. Die Berichte über das Jahr
1861 sind erst im Januar 1863 veröffentlicht worden. Die Ge-
sammtansfnhren betrugen einen Werth von 177,179,985 Rn-
beln. Die wichtigsten Gegenstände desselben waren, in runden
Summen: Getreide mit 13^/.,, Lein mit 12, Talg 11, Hanf 7^,
Leinsamen ö'/a und Holz mit etwa 3 Millionen Rubeln. Von
der Ausfuhr kommt auf die Ostseehäfen ein Werth von beinahe
68 Millionen, und anf die Häfen am Weißen Meere beinahe
7 Millionen. — Die Gefammteinfuhren stellen sich auf
167,111,>31 R., wovon anf die baltischen Häfen 99,634,000 N.
kommen. Die wichtigsten Gegenstände waren: rohe Baumwolle
19 Millionen, Färbestoffe 9'/:», Maschinen:c. 6, Kaffee 3, Zucker 3,
Wolle 4Millionen. Was den Landhandel mit China betrifft,
so wurden 162,518 Colli Blätterthee und 60,074 Colli Ziegelthee
eingeführt. Nach China gingen für 1,800,000 Rubel Waaren;
davon Wollengewebe für 2,100,000 Rubel, Baumwollenzeuge
für 1,448,337 Rubel und für 607,728 Rubel Pelzwerk. Das
Zollamt zu Kiachta ist nun aufgehoben und nach Jrkntsk
verlegt worden.
Die Schifffahrtsbewegnng ergab 10,634 eingelaufene
und 10,739 ausgelaufene Kauffahrer; von den ersteren fuhren
1956 unter britischer , 1834 unter russischer Flagge.
Frankfurt hatte am3.Decbr. 1862 (auf ungefähr 1^/-,Quadrat-
meilen) 83,390 Einwohner, davon 71,462 in der Stadt, NN-
gerechnet die Bundesgarnison von 3666 Mann. 1817 betrug
die Einwohnerzahl 47,850, 1823 50,824, 1846 68,240, 1855
74,784. ' __
Volks;ahl von Griechenland. Dieselbe betrug nach der
Zählung von 1861 im Ganzen 1,096,810 Seelen. Davon kamen
552,414 auf den Peloponnes, 318,535 auf das übrige Festland,
„Hellas", nnd 225,861 auf die Inseln. Athen hatte 41,298 Ein-
wohner und mit Hinzurechnung seines Hafenortes Piräens
47,723 Köpfe.
Die holländische Kanffahrteiflottc bestand am Ende des
Jahres 1862 ans 476 Schiffen, welche für die Fahrt nach Ost-
indien geeignet sind. Sie hatten eine Trächtigkeit von 272 nieder-
ländischen Tonnen Register, gleich 143,983 Lasten. Dagegen bestand
die Flotte zu Ende des Jahres 1857 ans 609 Schiffen mit 350,105
Tonnen Gehalt; es liegt also ein beträchtlicher Rückgang vor, und
der Bau neuer Fahrzeuge ist nicht beträchtlich gewesen; iin Jahre
1862 liefen nur sechs neue Schiffe vom Stapel, allerdings zumeist
große Dreimaster.
Rotterdam nimmt in jedem Jahr einen größern Aufschwung.
Die sehr günstige Lage trägt wesentlich dazn bei, aber der Handels-
stand, unter dem sich sehr viele deutsche Firmen befinden, ist sehr
unisichtig und rastlos. Allwöchentlich verlassen im Durchschnitt
27 Seedampfer den Hafen und eben so viele laufen ein; dazu kommen
dann noch die inländischen Dampfschiffe und jene auf dem Rheine.
Rotterdam ist bekanntlich ein Hauptmarkt für den Kaffee; von
dieser Waare wurden 1862 in die holländischen Häfen angebracht
1,140,490 Ballen ans Ostindien und 69,200 aus Westindien.
Ans China. Gegen Ende des vorigen Jahres erschien eine
russische Flotte an der chinesischen Küste, um die Gruppe der
Tschu san Inseln (30» N. Br.) in Besitz zn nehmen. Der
russische Hof hat die Umstände benutzt, sich dieselben vom chine-
fischen Hos abtreten zn lassen. Diese Eilande liegen den wichtigen
Handelshäfen Ningpo nnd Schanghai gegenüber, und nun ist die.
Aufregung unter den Engländern in China groß. Tschn san
war früher einmal an Großbritannien abgetreten, aber wieder
aufgegeben worden; es nahm statt dessen Hongkong. Jetzt wird
die Gruppe von russischen Seeoffizieren vermessen. Unangenehm
ist den Engländern auch der Umstand, daß die Franzosen allen
Ernstes mit dem Plan umgehen, wie in Cochinchina, so auch in
China Territorialbesitz zu erwerben, und daß sieNingpo
zur Grundlage weiterer Operationen gewählt haben. Es ist ganz
wahr, daß England sich durch die Allianz mit Frankreich'und
351
durch dessen Betheiligung am Kampfe gegen China einen Neben-
buhler herangezogen hat, der im fernen Ostasien ihm lästig wer-
den kann.
Die Diego-Snarez-Bay in Nord-Madagaskar. Als wir
neulich diesen wichtigen Hafen ausführlich im Globus schilderten,
wiesen wir darauf hin, daß der Beherrscher der Franzosen sich
denselben als Lohn für die Freundschaft ausbedingen werde, welche
er dem König Radama zeigt. Der Pariser Monitenr stellte ent-
schieden in Abrede, daß man es in Madagaskar auf Eigennutz
und Gebietserwerbungen abgesehen habe. Nun aber lesen wir im
Februarheft der „Revue du Monde Colonial", daß der bekannte
Lambert, der Verschwörer gegen die Königin Rauovalona, im
Namen Frankreichs von der Diego-Suarez-Bay Besitz ge-
nommen habe. Die genannte Revue sagt, jener „Diplomat",
nämlich Lambert, habe sich dadurch einen Anspruch auf die Er-
kenntlichkeit Frankreichs erworben, und knüpft au die Besitznahme
große Hoffnungen. Durch diese Bay, sagt sie, ist Madagaskar
gleichsam das England Ostafrikas; durch dieselbe sichert sich die
Macht, welche im Besitz derselben ist, fast den ganzen Küsten-
Handel zwischen dem Kap Guardasui und dem Vor-
gebirge der Guten Hoffnung, nämlich der Küste Ajan,
der Besitzungen des Jmams vou Sansibar, also von Malindi,
Mombas, Sansibar, Kilwa, der portugiesischen Besitzungen von
Sofala und Mosambik, ja bis nach der englischen Natalküste
hinunter. Madagaskar gegenüber mündet der Sambesi, welchen
wir dnrch Livingstone liäher kennen gelernt haben; er bildet auch
eium Handelsweg in's Innere von Ostafrika, und wer eine starke
Position anf Madagaskar zu behaupten weiß, wird auch dort
die Hanptvortheile ernten. Nach Osten hin wird diese Macht das
Monopol des Handelsverkehrs zwischen der Großen Insel nnd
den beiden Amiranteniuseln Mauritius und Neunion haben, denn
beide beziehen ihre Lebensmittel aus Madagaskar. Dazu kommt
dann noch der Handel mit Europa, und daß die Insel sich zum
Anbau der Baumwolle vorzüglich eignet; nicht minder jener
von Indigo, Tabak, Zucker und Reis. Und, wohlgemerkt, in der
Nähe der Diego-Snarez-Bay liegen in der Bncht von Bavatnbe,
der französischen Besitzung Nossi be gegenüber, reiche, mit leichter
Mühe zu bearbeitende Steinkohleufelder. Für Frankreichs
Machtstellung im Indischen Ocean ist jene Besitznahme ein großer
Glücksfall. Die Bay wird ein Mittelpunkt ersten Ranges für den
Handelsverkehr im Indischen Ocean werden. —
Das sind die Erwartungen, welche man in Frankreich hegt.
Westaustralien als Deportations-Kolonie. Wir erwähnen
der Deportation von Verbrechern wiederholt, weil sie auch in
geographischer Beziehung nicht ohne Wichtigkeit ist. Bekanntlich
werden Verbrecher auö England nur noch nach Westaustralien, der
Kolonie am Schwanflusse, geschickt, während alle anderen einen
so zweideutigen Zuwachs an Bevölkerung mit Entschiedenheit ab-
wehren. Dagegen verlangen die Westaustralier immer
mehr deportirte Verbrecher, allerdings keine Garroters vou
Handwerk. Eine Anzahl angesehener Kolonisten, die sich in London
befinden, haben dem Kolonialminister eine Denkschrift eingereicht,
in welcher sie im Wesentlichen Folgendes betonen:
Westaustralien wird gern eine sehr beträchtliche Anzahl von
Verbrechern aufnehmen. Die Erfahrungen, welche man bisher
gemacht hat, find durchaus zufriedenstellend. Die Verbrecher,
völlig losgelöst von ihrer alten Verbindung und lasterhaftem Um-
gange, beginnen einen neuen Lebenswandel. Sie werden zur
Arbeit angehalten, bauen Wege und Brücken; an Beschäftigung
fehlt es nicht, und für Unterkommen, selbst für Gefängnisse, hat
die Kolonie gesorgt. Der Unterhalt kostet ungleich weniger, als
wenu man sie in englischen Gefängnissen eingesperrt hält. Sie
können nicht entfliehen und also auch den Nachbarkolonien nicht
gefährlich werden, denn Westaustralieu ist von Wüsten, Busch-
Wäldern nnd Meer umgeben. In dem 150 MileS langen, 60 Miles
breiten Distrikt Toodgay hat mau im Verlauf eines Jahres nur
zwei Deportirte zu bestrafen gehabt; der eine hatte eine Fälschung
begangen, der andere eine Kuh gestohlen. Manche Verbrecher
sind schon Grnudeigenthümer uud ordentliche Leute geworden. In
Summa: das bisherige System hat sich durchaus bewährt; Lebens-
mittel sind billig, das Klima ist gesund; Flucht ist unmöglich,
und eine zwölfjährige Erfahrung hat durchaus günstige Ergebnisse
geliefert. Also wünscht Westaustralien, wohin der Zug der freien
Einwanderung bis jetzt uicht bedeutend war, mehr Deportirte,
allerdings aber keine verhärteten Bösewichte.
Ans Neuseeland. Zwei neue Arten Apteryx. Neuseeland
wird einst eine bedeutende Rolle im Großen Ocean spielen, denn
alle natürlichen Bedingungen dafür sind gegeben. Die Einwände-
352
Kleine Nachrichten.
rung, nun auch durch die ergiebigen Goldfelder angelockt, wird
in jedem Jahre beträchtlicher, und die Inseln, welche Georg Forster
als eine Wildniß fand, werden Kulturland, zunächst au den Küsten.
Daß die Umwandlung rasch von Statten geht, läßt sich durch eine
Menge von Beispielen darthnn.
Vor nun gerade zwölf Jahren landete das erste Schiff mit
Einwanderern im Lyttelton-Hafen, Provinz Canterbnry. Jetzt
ist diese junge Kolonie mit Ortschaften gleichsam übersäet, hat ihren
elektrischen Telegraphen, baut Schienenwege, sie hat ihren eigenen
Bischof und einen naturwissenschaftlichen Verein, dessen Vorsitzender
der Regierungsgeolog, Dr. Julius Haast, ist. Dieser Gelehrte
sorgt dafür, daß das Museum der Gesellschaft eiue möglichst voll-
ständige Sammlung neuseeländischer Erzeugnisse aller Art erhalte;
sie besitzt auch eiue Eingewöhnungsanstalt für ausländische Pflanzen
und nützliche Thiere.
I)r,Haast widmet derOrnithologieNenseelands ganz besondere
Aufmerksamkeit. In einem Vortrage hat er zwei neue Arten der
Dinornis-Familie erwähnt; er sagt: „In den westlichen Ge-
birgen lebt eine Art von Kiwi, welche größer ist als der seither
bekannte Dinornis; ich habe dieselbe vorläufig als Apteryx
maxima bezeichnet; von den Eingeborenen wird sie Roa ge-
nannt. Lebende Exemplare dieses Vogels, der etwa so groß ist
wie ein wälscher Hahn, konnte ich mir noch nicht verschaffen, wohl
aber habe ich die Fußspuren desselben in frischgefallenem Schnee
bemerkt und habe ihn auch bei Nacht rufen hören. Ein noch
größerer Kiwi, Po l apteryx in gen s, soll, dem Hörensagen zu-
folge, iu der großen Buchenwälder:: au den Abhängen der neu-
seeläudischen Alpen leben."
Die obenerwähnte Eisenbahn soll von Port Lyttelton nach
Christchurch vermittelst eiues Tunnels durch die Bankshalbinsel
geführt werden, und die Kolonisten sind stolz darauf, daß sie ein
so kostspieliges Werk aus eigenen Kosten bestreiten.
Poll den Sandwichs-Inseln wird etwas Unerhörtes ge-
meldet. Am 8. November 1862 ist nämlich auf der Insel
Maui Schnee gefallen! — In Honolulu war eiu auglikaui-
scher Bischof, Namens Stanley, angekommen, von dem sich auf
ihre alteu Tage König Kamehameha fammt seiner Gemahlin auf's
Neue feierlich haben confirmiren lassen. Damit sind aber die me-
thodistischen Missionäre nicht zufrieden, und eiu Bericht aus
Honolulu äußert in Bezug darauf Folgendes! „Den Missionären,
deren Verdienst so schon alle Jahre schlechter wird, ist dieser Ab-
brnch des Geschäfts natürlich ein Greuel uud sie arbeiten mit Hand
und Fuß den: neuen Bischof entgegen. Sie haben zn einem
etwaigen Kirchenkampfe Zähigkeit und Fanatismus genug und
werden mit der eisernen Nothweudigkeit der eigenen Existenz böse
Gegner des Bischofs sein, der am Ende noch Hals über Kopf
wieder zurück nach „Hold Hengland" geht. Jedenfalls scheint der
Streit interessant zu werden."
Aus Canada. Mau giebt sich iu dieser Kolonie große Mühe,
den Flachsbau in Aufnahme zu bringen und hat eine Anzahl
Familien ans Belgien kommen lassen, welche sich auf die Verar-
beitung des Flachses gut verstehen. — Der französische Theil der
Bevölkerung, welcher bisher an Rührigkeit weit hinter den eng-
tischen und deutschen Canadiern zurückstand, rührt sich jetzt. In
der neuen Stadt Av enir am Südufer des St. Lorenz erscheint
jetzt ein laudwirthschaftliches Blatt iu französischer Sprache. —
Aus deu zerrütteten Vereinigten Staaten ist der Andrang nach
Canada fortwährend sehr beträchtlich; diese Einwanderer entfliehen
der Konskription und der Schuldenlast, mit welcher die Republik
sich belastet.
Aussterben der Indianer in Britisch - Colnmbia. Die
braunen Söhne des Waldes schmelzen hinweg, wie Eis vor der
Sonne. Einem Berichte des Jndianeraussehers zn Victoria auf
der Insel Vaneonver znfolge beträgt die Zahl der Indianer in dieser
Provinz nur noch 2165 Köpfe. Sie ziehen wie Landstreicher umher,
uud der Branntwein richtet unter ihnen das größte Unheil an. Es
ist eiu schlechter Trost für sie, daß mau ihre Waffen, Geräthe,
Kleider :c. in einem Museum zu Victoria sammelt und ein Wörter-
bnch ihrer Sprache verfaßt. Sie verschwinden zugleich mit deu
Pelzthieren, und ehe zwanzig Jahre verflossen sind, werden sie alle
beim Großen Geiste sein!
Die Lachsfischerei ist für viele Küstengegeudeu am nördlichen
Atlantischen Ocean von großein Belang; aber der Ertrag derselben
hat beträchtlich abgenommen, weil man in ganz widersinniger Weise
die Lachse auch in den Monaten fängt, in welchen sie stromauf
ziehen, um ihren Rogen abzulegen. Diese Zeit umfaßt die Monate
von Anfang Oktobers bis Anfang Februars. Es ist um so mehr
geboten, während derselben keine Lachse zu fangen, weil sie dann
nicht blos weniger schmackhaft, sondern anch ungesund sind. In
Großbritannien hat man deshalb ein zweckmäßiges Verbot erlassen;
in der angegebenen Frist sollen keine Lachse gefangen werden, und
jüngst ist eiu Manu, welcher sich daran nicht gekehrt hat, mit einer
Geldbuße von 54 Pfund Sterling belegt worden. In England hat
sich ein Verein zum Schutz der Lachse gebildet; aus seinem
neuesten Berichte geht hervor, daß in den oben genannten vier Mo-
naten etwa 50 Tons, jede zu 2000 Pfund, Lachse nach Frankreich,
namentlich für den Pariser Markt, verschifft werden, aber heimlich.
Ein zehnpfündiger Lachs hat etwa 10,000 Eier; es ergiebt sich schon
daraus, wie nachtheilig der Fang trächtiger Fische ist. Durch jeueu
Schmuggel gehen alljährlich wenigstens 60 Millionen Eier ver-
loren. Jener Verein will nun auch seinerseits dafür sorgen, daß
die Hegezeit streng innegehalten werde.
Eine Zeitnng in der Maori- Sprache. Eine solche ist auf
Neuseeland gegrüudet worden von Katalri, einem Hänpt-
linge der Maori. In der ersten Nninmer schreibt er an die, welchen
sie unter die Augen kommt: „Wenn ihr dieses Blatt in die Hand
nehmt, dann seht zu, ob es euch zusagt; ist das der Fall, so zahlt
drei Pence. Ich verfolge bei der Heransgabe den Zweck, meine
Absichten allen Völkern der Welt kund zu geben. Deswegen
habe ich auch auf das Blatt mit großen Buchstaben die drei Worte
gesetzt: Glanbe, Liebe und Gesetz." Für den Sohn eines
Menschenfressers klingt das recht stolz uud gar uicht so übel. Durch
die Presse erfahren allerdings sämmtliche Kulturvölker Katalri's
löbliche Absichten.
Eine englische Zeitung in Japan. Zu Aokuhama erscheint
eiu Japan Herald regelmäßig alle Wochen.' Irren wir nicht,
so erscheint auch zu Nagasaki von Zeit zu Zeit eiu englisches Blatt.
In China bestehen engl. Blätter schon seit einiger Zeit, nämlich in
Schanghai uud in Hongkong, wo deren vier bis fünf gedruckt
werden.
Zur Geschichte der Civilisation. Bor mehreren Jahren be-
schloß die Legislatur des uordamerikanischen Staates Kentucky
Folgeudes:
„Der Aufseher des Zuchthauses soll für eiue angemessene
chemische Farbe sorgen, durch welche die Haut iu der Weise
schwarz gefärbt wird, daß die Farbe hält und nicht abgewaschen
werden kann. Mit sothaner Farbe soll die Nase eines
jeden männlichen Züchtlings schwarz angestrichen
werden, so oft es nöthig erscheint, bis vier Wochen vor seiner
Entlassung aus dem Gefängnisse."
lieber die Engländer äußert ein Italiener Guerrazzi: „So
oft ich einen Engländer in Betrachtung unserer italienischen
Sonne versunken sehe, wandelt mich allemal die Furcht an, daß
er nüt dem Gedanken umgehe, sie uach London fortzuschleppen nnd
hinterher in kleinen Theileu als Talglichter zu verkaufen."
Arabisches Spriichwort. Ein Baniane (indischer Kauf-
mann), eiu Beludsche (Söldner aus Beludschistau) und ein Ziegen-
bock fressen deu Busch auf, au welchen man sie bindet.
Klima im tropischen Afrika. Richard Burton äußert dar-
über: „Man wird sich eben so wenig an das Sitzen auf glühenden
Kohlen gewöhnen, als an das afrikanische Klima."
Ueber den italienischen Bolkscharakter äußert Wilhelm
von Lüdemann:
„Das Volk hat eine schöne Ursprünglichkeit, geistige Erweckt-
heit, Gefühl für Anmnth und Schönheit, natürliche Grazie, An-
läge zum Besten.
Aber es hat nicht: Thatkraft, Selbstbeherrschung, Tiefe,
Geist der Ordnung, nicht die Fähigkeit, seiner Erschlaffung im
thätigen Leben Herr zu werden." Die Folge muß zeigen, in wie
weit dieses Urtheil richtig ist.
Herausgegeben von KarlAndree in Leipzig. — Für die Redaktion verantwortlich. ....
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumba
Herrmann I. Meyer in Hildburghausen.
..... ^ ......... in Leipzig.
Gujwv Nadde's Reisen in Ostjibirie».
Fortschritte der Entdeckungen in Sibirien. — Ausdehnung des Handelsverkehrs. — Gustav Radde. — Seine Wauderuug um den
Baikal-See. — Schilderung der Buriäteu und Tungusen. — Ethnologische Gegensätze. — Der See Dawatschauda. —'Radde im
sajanschen Gebirge. — Besteigung des Gletscherberges Muuku Sardik. — Wanderungen am Mittlern und obern Amur. —
Das Bureja-Gebirge uud dessen Vegetationsformen. —
Der ganze Norden Asiens, vom Ural bis zum Japa-
Nischen Meere, vom Arktischen Ocean bis zur Grenze des
chinesische» Reiches, gehört dem Czar, welcher au der Newa
thront. Noch vor dreihundert Jahren war dieses ungeheure
Gebiet ein unbekanntes Land, über welches man in Europa
Beide eiuigten sich durch deu zu Nertschinsk 1689 abgeschlosse-
neu Vertrag über die gegenseitige Grenze ihres Gebiets.
Ostsibirien wurde seitdem vielfach vou den Russen
durchzogen, aber nur von solchen, denen eiue höhere Bilduug
fehlte. Die wissenschaftlichen Entdeckungen beginnen erst im
Der Munku Sardik im östlichen Sajan-Gebirge, Sibirien.
nur dann uud wann eine Wundermähr vernahm. Allmälig
wurden aber die Nachrichten bestimmter. Räuberische und
Abenteuer suchende Kosaken hatten das Uralgebirge über-
stiegen, Wälder uud Steppen durchzogen und drangen immer
weiter nach Osten vor. Vor zweihundert und zwanzig
Iahren (1643) wurde von Pojarkow das Amurland ent-
deckt und bald darauf von Russeu, vorerst dem Namen
nach, in Besitz genommen. Dadurch kam der Herr des Mosko-
witerlandes in Berührung mit dem chinesischen Kaiser und
Globus für 1863. Nr. 36.
achtzehnten Jahrhundert und sind bis auf den heutigen Tag
vorzugsweise das Werk deutscher Gelehrte». Unter diesen
nimmt Gustav Radde eine würdige Stellung ein.
Sehr richtig hat G. von Helmersen, ein Mann von
hervorragendem Verdienste, neuerdings hervorgehoben, daß
man das asiatische Rußlaud, insbesondere dessen öst-
lichen Theil, als ein Koloniallaud bezeichnen müsse.
Vom Mutterland ist dasselbe allerdings nicht durch den
Ocean, wohl aber durch einen sporadisch bewohnten
45
354 Gustav Radde's N
Kontinent von großartiger Ausdehnung geschieden. Dieses
Kolonialland sieht sich mit seinem Verkehr nach Osten hin
auf China, Japan, Amerika und auf das große Weltmeer
hingewiesen.
Für jene Regionen erschien die Erweiterung der
Verkehrsverhältnisse und die Sicherstellung der
Handelsstraßen als eine Lebensfrage. In unseren
Tagen gelang es der russischen Politik, das früher von
Seiten Chinas streng festgehaltene System der Ausschließ-
lichkeit zu brechen. Sie hat die Verlegenheiten, von welchen
der Kaiser des Blumenreiches der Mitte seit längerer Zeit
in so reichem Maße heimgesucht wird, klug benutzt, um viele
alte Schranken niederzuwerfen, und damit wird auch für
die Wissenschaft der Länder- und Völkerkunde eiue freie
Bahn mehr gewonnen.
Durch Verträge ist das große chinesische Reich für
russische Nuterthauen geöffnet; auf der Insel Sachalin
im Japanischen Meere sind bereits russische Niederlassungen
gegründet worden; die „Annexionen" erstrecken sich über das
ganze Amnrland und einen großen Theil des Gebietes
am Ussnriflnsse; China hat sogar die au trefflichen Häfen
reiche Küste bis zur Grenze von Korea abgetreten.
Diese Eroberungen sind von hohem Werthe.
Aber auch im Mittlern Sibirien ist nach Süden hin
Vieles erreicht worden, und wir haben das Vordringen der
Russen in dieser Region vor einiger Zeit ausführlich im
Globus geschildert (Band III, S. 181). Hier möge nur
hervorgehoben werden, daß nun in Kuldscha am Jli und
in Tschngutschack russische Faktoreien augelegt worden
sind; ein Gleiches geschah im Gebiete von Kaschgar und
zn Urga, wo auch ein russischer Resident wohnt. Ueber-
Haupt sind die Fortschritte seit 1849, als Graf Mnrawieff
Generalgouverneur von Ostsibirien wurde, geradezu groß-
artig. Die Schisfsahrt aus dem Amur ist frei; man sah,
daß das neuerworbene Land ein^ hervorragende Bedeutung
gewinnen müsse, und nichts war erklärlicher, als der Wunsch
und das Bedürsniß, dasselbe näher kennen zu lernen. Die
geographische Gesellschaft zu St. Petersburg begriff voll-
kommen, worauf es ankam, und betrieb mit Eifer das große
Werk der Erforschung, so viel an ihr lag. Zunächst sollte
die Region von Jrkntsk bis zum Jablonoi-Gebirge und
südlich bis zur chinesische» Grenze erforscht werden. Die
astronomisch-topographische Abtheilung leitete Schwarz,
und er hat seine Aufgabe würdig gelös't; für Zoologie und
Botanik hat Radde Ausgezeichnetes geleistet. Dieser
unser deutscher Landsmann ist der Erste, welcher ein physi-
kalisches Gesammt- und Uebersichtsbild des Amurlandes
nebst Danrien gegeben hat. Er umwanderte 1855 den
Baikal-See, besuchte 1856 das russische Danrien (Nord-
ostende der hohen Gobi) und das südlichste Apfelgebirge
lJablouoi Chrebet) mit dem Sochondo. In den Jahren
1857 und 1858 finden wir ihn am obern und Mittlern
Amurlauf und im Buruja- oder Kamni-Gebirge;
endlich erforschte er 1859 das östlichste Sajau-Gebirge
mit dem hohen Mnnkn Sardik und dem Kosso Gol-
Plateau, das Oka- und Jrkntsystem, den Südwestwinkel
des Baikal-Sees, das Kamaragebirge. Alle diese Regionen
schildert er mit lebendig gezeichneten Zügen; seine Dar-
stellnng ist frisch und einfach, sein Sinn vornrtheilssrei und
sein Blick scharf.')
*) „Berichte über Reisen im Süden von Ostsibirien;
im Auftrage der kaiserlich russischen geographischen Gesellschaft aus-
geführt in den Jahren 1855 bis inclusive 1859 von Gustav Radde."
St. Petersburg, 1861. Das Werk ist ans Kosten der kaiserlichen
Akademie herausgegeben, und enthält einen Atlas mit zwei Karten
sen in Ostsibirien.
Wir begleiten den Reisenden zunächst an den Baikal-
See, dessen Wasserspiegel 1363 englische Fuß über dem
Meere liegt.
Der Ba'ikal-See ist eine höchst interessante Erschei-
nuug, ein Binnenwasser von mehr als 666 deutschen Ge-
viertmeilen und einem Umsang von mehr als zweitausend
Werste. Der erste Europäer, welcher der gauzen User-
entwickeluug eutlaug gezogen, war unser deutscher Lands-
mann Georgi im Jahre 1772, uud seitdem hatten andere
Forscher immer nur einzelne Strecken der Küste besucht.
Aber Radde vollbrachte 1855 dasselbe, was Georgi vor
ihm gethau, und wir verdanken ihm werthvolle Mittheilungen
über den „Heiligen See", dessen südwestliches Ende unter
56<> 43' 21" N. Br. und 121 0 29' 48" Ö. Länge liegt;
das Nordostende unter 550 56' 26" N. Br., 1270
27' 4" Ö. Länge. Der See ist von Gebirgen umschlossen,
welche nirgends höher als 4666 Fuß über den Wasserspiegel
emporreichen; von denselben strömt eine außerordentliche
Menge von größeren und kleineren Gesließen in das Becken
hinab. Die größte Insel heißt Olchon; die Wassertiefe
ist beträchtlich; an manchen Stellen fand Radde^ mit einem
766 Fuß langen Senkblei keinen Gruud.
Einen großartigen Eindruck machen die Nadelholz-
wälder, die in geradezu uugeheurer Ausdehnung die Regio-
nen am Ba'ikal-See bedeckeu. Fichten und Lärchen walten
vor, die sibirische Ceder ist uicht so häufig und steht nur
auf den höchsten Bergen, Tannen findet man nur tn ge-
schützten Thälern. In diese dichten und düsteren Couiseren-
Wälder dringt derWiud nur, wenn er scharsweht; sie bilden
einen starken Gegensatz zu den Birkeu mit den weißen
Stämmen uud fernem Laube. Buchen uud Eichen wachsen
nicht in der Baikalregion, deren Vegetationscharakter
anfangs wegen ihres kolossal-einförmigen Charakters packt
uud überrascht, aber auch sehr bald ermüdet und eine melan-
cholische Stimmung hervorruft. Hin und wieder wächst in
eineni wohlbewässerten Thalgrunde die Balsampappel, und
an Strauchbäumen und Sträuchern ist die Flora sehr reich,
besonders au Spiräen, die in nenn Arten vorkommen.
Diese Wälder gewähren den Pelzjägern immer noch
eiue reiche Ausbeute. Diese stellen den Moschusthieren nach,
dein sibirischen Eichhörnchen, dem Hirsch und dem Elenn,
dem Bären, Luchse, Wolfe, dem Fjellfraß und denl Fuchs,
am westlichen Eude des Sees auch dem Fischotter, uud in
manchen Waldstrecken fehlt der Zobel ebensowenig wie der
Marder.
In ethnologischer Beziehung stellt sich bei den An-
wohnern des Baikal-Sees ein Gegensatz heraus. Die
Buriäten gehören zum mongolischen Stamme, die Tun-
guseu dagegen zum Maudschustamme, und beide Völker
sind in ihren Neigungen, Anlagen und in ihrer geistigen
und elf Tafeln in Tondruck; deu letzteren sind unsere Holzschnitte
nachgebildet.
Radde trat seiue Reisen sehr juug an; er ist 1831 in Danzig
geboren, widmete sich mit Eifer den Naturwissenschaften und dem
Studium der Erdkunde, unternahm schon 1852 eine Wanderung
nach der Krim und verweilte zwei Jahre am Nordgestade des Pon-
tns. Das war eine gute Vorbereitung für spätere Reisen.
Ich will hier bemerkeu, daß zu Eude de£ Jahres 1862 in
St. Petersburg der erste Theil von Radde's Specialforschungen
erschienen ist; derselbe bebandelt die S äugethier-Fanna. Das
Werk selbst habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen und keime deu
Inhalt nur aus einer Besprechung der deutsche» St. Petersburger
Zeitung vom 9. November^ Nadde beschreibt 94 Säugethiere,
schildert den Bären, dessen Sitten, Wanderungen und Abhängig-
keit von Oertlichkeit und Nahrung; entwirft Charakterzeichnnn-
gen auch anderer pelztragenden Thiere, insbesondere des Zobels.
Wir werden gelegentlich einige Mitteilungen aus diesem Werke
bringen. A.
Gustav Radde's l
Entwickelung wesentlich von einander verschieden. Der
Tnngnse ist von Natur heiter, lebhast, kühn und ein scharfer
Beobachter, der Bnriäte dagegen ohne geistige Regsamkeit,
stumpfsinnig, gleichgültig, verschlossen, grob und furchtsam.
Jener, ein unverzagter Jäger, im Düster der Coniferen-
Waldung geboren, stellt von früher Jugend au deu wilden
Thieren nach, dieser weidet seine Heerben und fängt Fische,
und lebt in seinen unsauberen, verräucherten Jurten ein
träges Dasein.
Radde fand Buriäten überall am westlichen Ufer des
Sees, auch haben sie die Insel Olchon inne. Die Tunguseu
schweifen am nördlichen und östlichen Gestade umher und
betrachten eine gewisse Landstrecke innerhalb von Grenzen,
welche sie genau zu bezeichnen verstehen, als ihr ausschließ-
liches Eigenthum, als ein Jagdgebiet, auf welches sie allein
ein Anrecht haben. Der baikalische Buriät wechselt nur zwei,
höchstens drei Mal im Jahre seine Lagerstelle; er hat
üppiges Wiesenland und treibt seine Herden von der Sommer-
weide nach einer andern Stelle, wo sie überwintern.
Der Buriät ist kräftig, obwohl sein Muskelsystem
nicht stark entwickelt erscheint, selten hager und hat Anlage
zum Fettwerden. Er hat schwarzes, struppiges Haar und
größere Augen als der Tnngnse; das Gesicht ist seist, die
starken Jochbeine sind mit sehr entwickeltem Musculus
zygomaticus überkleidet; Mund breit, Nase selten stark und
gebogen, gewöhnlich stumpf, eingedrückt und in der Jugend
oft aufgeworfen. Borwaltend ist das phlegmatische Tem-
perament. Der Buriät arbeitet nur, so viel der Hunger
ihn dazu zwingt, und Weib und Kinder müssen sich der
Wirthschast mehr annehmen, als der Vater thnt. Alle sind
höchst maulfaul und störrig, wenig dienstfertig, selbst bei
Aussicht auf guten Verdienst, und betrügen gern beim Tausch-
Handel; aber grober Diebstahl kommt nicht vor. Das
geistige Leben ist bei ihnen so wenig rege, daß sie Waffen
und Geräthe, welche ein Fremder ihnen zeigt, kaum beachten;
dagegen lieben sie Tabak und berauscheude Getränke mit
Leidenschaft. Für die Wirkung geistiger Getränke haben sie
eine höchst empfindliche Natur; denn obwohl ihr D ar o s j u n,
ein aus gesäuerter Milch bereiteter, nur zehn Procent
Spiritus enthaltender Branntwein, sehr schwach ist, so genügt
doch der Genuß von wenigen Schälchen desselben, um den
Buriäten trunken zu machen, und er äußert dann einen
übertriebenen Frohsinn. Ihre Nahrung besteht zumeist
in Fleisch jeder Art, sie genießen sogar gefallenes Haus-
vieh, und Radde fah öfters, daß sie die Kadaver der von
ihm abgebalgten Vögel, welche er vor ein paar Tagen weg-
geworfen hatte, am Feuer, ohne Zuthat von Salz, schwach
rösteten und verzehrten. Auch die Eingeweide werden nicht
verschmäht; die Därme vom Wild, kaum gereinigt, auf
Stäbe gewickelt, am Feuer erhitzt und dann gegessen; das
rohe Fett der Seehunde gilt für einen Leckerbissen, was,
beiläufig bemerkt, auch bei den TnngUsen der Fall ist. Der
Buriät schneidet einen Streifen von der Fettmasse ab, packt
das eine Ende niit den Zähnen, hebt das andere Ende mit
der linken Hand in die Höhe und schneidet mit dem Messer
einen Bissen ab, den er ohne Salz oder Brot verzehrt. Das
letztere bereiten sie nicht selber, sondern tauschen es von den
Russen ein; Getreidekörner zum Brei zerstampfen sie, denn
Mühlen sind ihnen unbekannt; Ziegelthee wird mit Salz
und Fett genossen, nicht mit Milch.
Mehrere Dorfschaften werden als ein zusammen-
hängendes Ganze betrachtet, auch etliche derselben mit
einem gemeinschaftlichen Namen bezeichnet. Der Buriät
lebt gern in größeren Gesellschaften bei einander. Die
Wohnung, Jurte, ist im Grundrisse gewöhnlich sechseckig,
niedrig und aus übereinander gelegten Balken gebaut, und
sen in Ostsibirien. 355
hat vier bis fünf Faden im Durchmesser. Die Feuerstelle
liegt in der Mitte, zwischen vier Pfosten, die ein Dach
stützen, in welchem sich für den Abzug des Rauches eine
Oeffnung befindet. Durch diese fällt auch das Licht ein.
Der ganze Hausrath besteht aus einigen ausgehöhlten
Stämmen zum Aufbewahren der Milchvorräthe, ein Paar
Lederfchlänchen, Beuteln und Quirlen, allerlei eisernen
Werkzeugen und ein paar Anzügen aus Leder.
Die Buriäten auf der Insel Olchon haben große
Schafherden und verkaufen Wolle; das Hornvieh ist nn-
ansehnlich; die Pferde sind genügsam, ein wenig magere
Weide befriedigt sie; im Winter scharren sie sich ihr Futter
unter dem Schnee hervor und dennoch traben sie den ganzen
Tag unermüdlich. Die weiße Farbe ist vorherrschend,
unter zehn Pferden findet man durchschnittlich
sechs Schimmel. Die Buriäten reiten aber auch auf
Rindvieh. Viele sind Fischer und betreiben den Fang des
Omul-Lachses; Jagd ist für sie Nebensache.
In Betreff der religiösen Vorstellungen stecken sie
völlig im Schamanenthum, verehren viele Plätze am
See, namentlich Vorgebirge, einzelne Felsen, heiße Quellen
und Höhen; diese gelten ihnen für Stätten, die von guten
und bösen Geistern bewohnt sind, und sie opfern ihnen
Häute, Bänder und Pferdehaare. Häusliche Opfer be-
stehen in Darbringung von gegohrener Milch und von
Thierhäuten; die Götzenbilder stellen menschliche Figuren
vor und sind aus dünnen Messingplatten geschnitten; sie
verehren aber auch Steinarten.
Ganz anders sind die baikalischen Tungnsen. Bei
ihnen ist die Stirn in der Regel hoch und frei, die Augen
sind geschlitzt, die Augenbogen und Brauen zur Nasen-
Wurzel sehr schräg geneigt, die Jochbeine wie bei den
Buriäten; das Kinn ist stets spitz, der Bart fehlt ge-
wöhnlich, die Hautfarbe ist gelbbräunlich. Sie lassen das
Haar lang wachsen; die Männer flechten dasselbe zu einem
dicken Zopfe zusammen, dessen Spitze einen Büschel loser
Haare bildet. Der Knochenbau ist schwach, die Waden sind
gering entwickelt. Temperament rein sanguinisch. Während
der Buriät träge bleibt, hat der Tunguse von Natur Hang zur
Geschäftigkeit und Liebe zur Unabhängigkeit. Nur wenn
er arm ist, versteht er sich, und auch nur im Herbst, dazu,
einem Russen zu dienen. Gewöhnlich verdingen sich blos
Weiber und Mädchen zum Ausweiden der Fische; der Mann
ist Jäger. Tungusische Mädchen singen bei der Arbeit,
sind fröhlich und treiben ausgelassenen Scherz; die Männer
zeigen sich dienstfertig, aufrichtig und sehr gesprächig. Der
Urwald ist recht eigentlich die wahre Heimath aller Tun-
gusen, in ihm sind sie wie zu Hause. Jeder Fels, jeder
Baum ist ihnen bekannt, und dabei haben sie ein ganz be-
wnndernswürdiges Ortsgedächtniß. Unermüdlich steigen
sie bergan, bergab, durchdringen die Dickichte und springen
in den unzugänglichen Morästen von einem Mooshügel
zum andern. Auch sind sie genügsame und gute Menschen.
Zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse sind sie Vorzugs-
weise auf ein Thier und einen Baum angewiesen: auf
das Rennthier und die weiße Birke; diese beiden
bedingen den Wohlstand und die Eigentümlich-
keit der Lebensweise unter den Tunguseu. Die Ver-
Wendung beider ist sehr umfangreich und geschieht bei manchen
Stämmen mit großer Eleganz und Geschmack. Während
der Buriät in Kleidung, an Sitte und Art recht plump ist,
finden wir den Tungufen reinlich gekleidet, seine Jurte
luftig, seine Bewegungen frei. Er versteht sich ausge-
zeichnet auf die Bearbeitung des Leders; das Fell wird von
den Frauen geräuchert und mit dem Fette der Quappe ein-
geölt. Sie bereiten dauerhafte Kleider aus dem Felle der
45-
356
Gustav Radde's Reisen in Ostsibirien.
Rennthiere und setzen die dünnen Fußhäute zu Decken zu-
sammen. Korbförmige Kisten, welche den Rennthieren aus-
geladen werden, verfertigt man ans Birkenrinde und über-
zieht sie mit feinen Häuten.
Der Tuuguse wohnt in einem Haran, einem Gerüst
von 15 bis 20 Stangen, welche man so gegen einander
stellt, daß sie einen Kegel bilden; diesen bedeckt man mit ge-
kochter Birkenrinde, Tischa. Die Gerüste bleiben stehen.
und den Tschaus. Dieser ist ein kleiner, ans Birkenrinde
genähter Kahn, etwa von drei Ellen Länge; zu demselben
gehört eine Balancirstange und an jedem Ende derselben ist
eine schmale Nuderfläche angebracht. Ein solches Fahr-
zeug kostet neu nur etwa zwei Rubel und leistet in Gegen-
den, wo Sümpfe und kleine Seen abwechseln, sehr wesent-
liche Dienste.
Radde erzählt folgenden Zug, welcher den Charakter
Typen der Coniferenwälder am Amur.
wenn der Inhaber weiter wandert, denn in dem holzreichen
Lande kann er überall mit geringer Mühe ein neues Gestell
aufbauen.
Der wandernde Tunguse führt stets sieben Sachen
bei sich: die Bärenlanze; eine Büchse mit Feuerschloß; einen
Roßschweif zum Abwehren der Fliegen und Mücken; eine
chinesische, aus Messing bereitete Tabakspfeife; ein dünnes
Brett auf der Schulter, auf welches er Kleider legt, so daß
er am Gehen nicht gehindert ist; eine Gabel zum Fischen
der Tungusen bezeichnet. Ich traf, sagt er, im August zwei
Familien am Ostufer des Baikal, die einzigen Menschen,
welche ich vou der nördlichen Angara bis zur barguuisifchen
Bncht überhaupt gefunden habe. Sie ernährten sich nur
von Seehunden und Hunger ertrugen sie sehr geduldig.
Als der eine Jäger, ein alter Mann, der sich auch auf
Schmiedearbeit verstand, spät Abends zurückkehrte und keine
Beute mitbrachte, wollte er sich nach mühevoller Tages-
arbeit hungrig schlafen legen und war so bescheiden, bei
Gustav Radde's l
uns nicht zu betteln. Ich theilte ihm von unseren geringen
Vorräthen etwas mit und Tags darauf brachte er ein
schönes Seehundsfell als Gegengeschenk. Den Tnngusen
am nördlichen Baikal fehlen im Allgemeinen die Renn-
thiere; deshalb sind sie nicht im Stand, aus gesäuerter
Milch Branntwein zu destillireu, obwohl ihnen derselbe
bekannt und anch sehr beliebt ist. Trotz der Noth, welcher
sie in den einsamen Waldungen namentlich zur Winterszeit
ausgesetzt sind, lassen sie sich nicht bewegen, Dienste bei
den Russen zu nehmen. Sie lieben, wie schon bemerkt, die
Unabhängigkeit über Alles. Dn wirst täglich Brot und
Thee haben, so sagte ich meinem Führer, Du sollst uicht
schwer arbeiten, komm mit mir in die Stadt; ich gebe Dir
statt Deiner Jurte eine warme Stube und Dn sollst einen
guten Tag haben. Komm nur, was willst Du immer im
sen in Ostsibirien. Z57
scheu Priester die Hand und waren mit dem gottesdienst-
lichen Ceremoniell vertraut. Als wir aber iu den Wäldern
beisammen gingen, befragte ich den einen, was denn die
thierähnlichen Zinnfiguren auf seinem Gürtel zu be-
deuten hätten? Er erwiederte mir, es sei Glanbensge-
brauch, dergleichen zu tragen, wenn man eine reiche Jagd-
beute gemacht habe und für die Zukunft Glück haben wolle.
— Aber Du bist doch getauft. — Ja, antwortete er ganz
naiv, wir sind zwar getauft, haben aber außer
Deinem Gotte noch unsere eigenen, denen wir
eben so glauben, wie dem Evangelium.— Radde
machte noch oft ähnliche Erfahrungen.
Bei den Tnngusen, wie bei den Bnriäten, hat das
Weib eine sehr untergeordnete Stellung. Die Fran baut
die Hütte auf, gerbt das Leder, näht die Kleider, besorgt
Der Frölichs- oder Dawcitschaiida-See,
Walde, die [Zobel werden selten und es ist Zeit, daß Du
Dir Dein Brot auf eine andere Art erwirbst. Aber mein
Zuredeu wurde belacht, mein Vorschlag abgelehnt und als
ich nach dem Grunde fragte, hieß es: „Unser Glaube
gebietet uns, im Walde zu lebe-n und zu sterben."
So sprach ein getaufter Tuuguse! Manche haben
sich taufen lassen und andere Namen angenommen; Radde
überzeugte sich aber häufig, daß sie die russische Taufe nur
als eine Formsache betrachten. „In Gegenwart von Russen
lassen sie es sich augelegeu fem, den Gebräuchen der Kirche .
zu genügen; sobald sie aber wandern und frei im Walde
leben, fchamaueu sie." Das hat wohl seineu Grund
theils in den von frühester Jugeud her ihnen angewöhnten
religiösen Bornrtheilen, theils aber anch in der nnstäten
Lebensweise und dem Mangel an russischen Kirchen in jener
Gegend. „Ehrfurchtsvoll küßten die beiden Tuugufen,
mit denen ich später in die Wildniß zum Forellensee
(Frölich« oder Dawatschanda) wanderte, dem russi-
das Hauswesen, leitet die Rennthiere oder nimmt sich der
Viehheerden an, auch hilft sie obeudreiu manchmal bei der
Jagd. Die Frau ist dem Mann unentbehrlich, ohne sie
wäre er verloren. Radde traf am Ufer des Sees einen
schwachen, drei und siebenzigjährigen Tnngusen, der vor
wenigen Monaten ein zwanzigjähriges Mädchen geheirathet
hatte. Der Reisende fragte: Weshalb hast Du eine so
junge Frau genommen? Die Antwort lautete: Es war
keilte andere zu haben und ohne Weib käme ich um, denn
ich habe keine Verwandten, die mich ernähren könnten. —
Wir erwähnten oben des Forellensees. Erliegt
unweit vom Ostende des Baikal und Radde fand in den
ersten Tageu des Augustmonats 1855 zwei Tuuguseu,
welche ihn begleiten wollten. Sie sagten, der See gehöre
ihnen. Der Reisende versah sich mit einem Vorrathe ge-
trockneter Fische, denn er hatte zu Wasser und zu Land eine
Strecke von etwa vierhundert Werst zurückzulegen und durfte
jetzt nicht darauf rechnen, Menschen anzutreffen. Er fand
358 Gustav Radde's '
aber an der nordöstlichen Ecke des Nordrandes zahlreiche,
in dieser Jahreszeit verlassene, Fischerlager vertheilt. Vom
Ufer des Baikal bis zum Frölich» hat man eine Land-
Wanderung von etwa achtzehn Werst zu machen. Der Weg
führte dem Flüßchen Ajaja entlaug über mächtige, wild
durcheinander geworfene Felsmasseu; die Lärche wurde
selten und durch Pappeln, Espen, Birken und bnschige Erlen
ersetzt, auch trat die Zirbelkiefer ungemein kräftig aus, und
an manchen Stellen waren die Gräser mannshoch. Aber
selbst im Waldesdickicht waren Stechfliegen und Mücken eine
große Plage, und der Arpuki, ein Wedel aus Roßschweifen,
mußte oft gebraucht werden. Sehr häufig fand man Spn-
ren von Bären.
Radde erreichte den Frölichs- oder Dawatschanda-
See am Nordwestufer, und vor ihm breitete sich eine schöne
und großartige Landschaft aus. Das östliche und südöst-
liche Gestade ist wild und ragt steil empor bis zu einem
etwa 3000 Fuß hohen Bergrücken, dessen oberer Theil nackt
daliegt. Ueberall sieht man viele Schneewassergerinne.
Alle den See umgebenden Höhen zeigten im August gar
keine Spur von Schnee oder gar Eis; deshalb ist die An-
nähme, daß der Dawatschanda in Schnee- und Eisgebirgen
läge und ein Alpensee sei, ganz unrichtig. Sein Spiegel
liegt nur etwa 400 Fnß höher als jener des Baikal. Nach
Aussage der Tungnsen ist der See sehr tief, besonders in
der Nähe des südöstlichen Ufers. Dort schnitten einst Fischer
drei ihrer alten Birkenboote in schmale Streifen, banden
diese aneinander und doch erreichten sie mit der langen
Leine uoch keinen Grund. Der tnngnsische Name Dawat-
schanda Amut bedeutet Forellensee. Nadde fand die
Temperatur des Wassers am flachen Strande +• 14,6 °R.,
jene der Luft + 16° Reaumur.
Folgen wir nun dem Reisenden in das östliche saja-
nische Gebirge, desseu höchsten Punkt, den Muuku
Sardik, er im Sommer 1858 erstieg. Nachdem er eine
Strecke weit durch eine trockene Steppe gezogen war, über-
schritt er beim changinskischen Kosakenposten den Fluß Jrku t.
Wer den Berg besteigen will, muß sich ihm von der Süd-
seite her nahen. Der Weg führt über zwei Gebirgszüge,
dasObosaran oder Steingebirge und das höhereNosor,
oder, wie die Russen unrichtig sagen, Dosor, das zwar
mit Lärchenbäumen bestanden ist, die aber am 22. Juni
it. St. noch kein ausgewachsenes Laub hatten; der Schnee
lag noch einen Fuß hoch! Auf der Höhe steht eine Jurte,
wo Kosaken und solche Kanflente übernachten, welche mit
den mongolischen Urjänchen und Darchaten Handel treiben.
An der Südseite des Nosor befindet sich ein Thal, auf
dessen anderer Seite ein hoher Bergzug läuft, welcher die
Grenze zwischen dem russischen und chinesischem Gebiete
bildet. Ans ihm sind, zur Bezeichnung dieser Grenze,
Majack's ausgethürmt, das heißt Steinhaufen, die man
gewöhnlich auf kleine» Bodenerhöhungen findet, damit sie
sogleich in's Auge fallen. Die Mongolen behaupten, daß
wenigstens der südliche Theil des Muuku Sardik ihnen
gehöre.
Die Südseite des letztern, welche unser Bild zeigt,
fällt zum Kosso Gol (Gol bedeutet See) ab, und von ihr
ist er zugängig. Eine Menge von Bächen fließen dort hinab;
sie werden vom Gletscher gespeis't. Wenn man sich über
der Baumgrenze befindet, welche dort 7240 Fuß hoch liegt
und die Heidestrecken hinter sich hat, gelangt man an eine
nackte Querrippe, und diese führt zum Gletscher hinan.
Die Mongolen verfolgen mit ihren abgehärteten Gäulen
den Rücken dieses Zuges wohl noch eine Wegstunde weit;
die Pferde der Buriäteu dagegen ermüden bald und jene
der Russen noch viel früher. Radde wanderte zu Fuß und
isen in Ostsibirien.
hielt sich immer ans der Mitte; der Blick zum Kosso Gol
erweiterte sich mehr und mehr. Dann gelangte der Reisende
zu einer Betstelle der Mongolen, welche durch eine
Tafel bezeichnet war. Dort ist die Grenze der Phanero-
gamenpslanzen in 10,514 Fuß eugl. Höhe; am 15. Juni
1858 lag dort uoch in Eis umgewandelter Schnee.
Der fromme Mongole geht nicht gern höher als bis
zur Eislage des Gebirges; er netzt Schläfe und Stirn mit
dem heiligen Eiswasser, verneigt sich vor dem Geist und
wirft, Gebete murmelnd, einige Tropfen Branntwein nach
jeder der vier Himmelsgegenden hin. Der Anfang des
Gletschers liegt 10,600 Fuß über dem Meer, und von
dort herab schweift der Blick über ein weites, ödes, acht
mongolisches Landschaftsbild. Undeutlich tauchen unten die
weißen Filzjurten der Lamas auf, welche am Ufer des
Dalai (— so heißt bei den Mongolen jeder größere See
und auch das Meer —) die klafterlange Tuba blasen und
mit ernsten Mienen in den ungehefteten Blättern ihrer Bücher
tibetanische Weisheit suchen. Nach oben hin, gen Süden,
liegt die kahle, steinbeworsene Neigung des Mimfit Sardik
mit einigen grünen Streifen von Alpenmatten; tiefer im
Thal ist der Bodeu mit Wald bedeckt, und noch weiter
abwärts gewahrt man das bunte Kleid einer subalpinen
Flora bis gegsu die nackten User des Kosso Gol hin. Aus
der Fläche des Sees und mit schmalen Dunststreisen um-
hüllt, taucht in zitternd weißer Linie die Insel Dalai
Kai auf, d. h. „der Nabel des Sees". Nach Osten hin
sieht man die letzten westlichen Ausläufer des südwestlichen
Baikalgebirges.
Aber der Reisende muß weiter, wenn er die Eishöhe
des Munkn Sardik erreichen will, um dessen scharf ge-
zacktes Profil dünne Gewölle fliegen. Er schnallt die Fuß-
eisen an, läßt einen seiner Begleiter, einen abergläubigen
Burjaten, am heiligen Wasser und wandert dem Gletscher zu;
er will die höchste, westliche, Schueekoppe erklimmen.
Radde fand anfangs nur dünne Eislagen und auf
denselben viele verkommene oder schon todte Schmetter-
l in ge; ein zarter Netzflügler scheint am Rande des Gletschers
heimisch zu seht; er kletterte emsig am Eis umher und blieb
gern am Wasser. Bald wird das Eis sester und zeigt ver-
schiedene Färbungen. In 11,161FußHöHe ruhteR. an einem
Granitblock aus; dort wurde der Gletscher noch steiler, aber
nach einiger Anstrengung wurde der Kamm des Munku
Sardik erreicht. Er läuft genau in westöstlicher Richtung
und ist sehr schmal, denn da wo Radde mit seinem Kosaken
ihn erreichte, war er nur 1 bis 1 a/2 Fuß breit, und Beide
konnten,sich nicht umdrehen, ohne einander zu berühren;
sie blieben also ruhig liegen und betrachteten sich die Nord-
seite des Muuku Sardik. „Aber ein Schauder machte den
Kopf schwindeln, wenn das Auge hinabsah in den Schlund.
Ein weit größerer und steilerer Gletscher beginnt von der
Höhe des Kammes und dehnt sich wohl vier Werst in die
Tiefe; seine Oberfläche beträgt wohl 16 bis 18 Werst."
Am Fuße dieses Gletschers liegt ein kleiner, kreisförmiger
See, der mit Eis bedeckt war.
Nun kam es darauf an, die letzte Höhe zu erklimmen.
Der Kosak „beschäftigte sich mit Angst nnd Monumenten-
bauten und meinte, weiter könne er nicht mit; Schwindel
und Herzklopsen trieben ihn zum Steinsetzerhandwerk. Er
errichtete einen Steinhaufen, theils um die Minuten unseres
Hierseins, theils auch um dem Munkn-Geist zu opfern.
So kletterte ich denn allein mit dem Barometer über die
steile Ostseite des höchsten Zahnes hinweg, mir die festen
Borsprünge durcheinander und übereinander gethürmter
Granite suchend und eine Steilwand von wohl 70 Fuß er-
klimmend. Als ich am Rande derselben war, dehnte sich
Lama aus dem Seleugathale. Daure vom Mittlern Sunc
Bnriäte. Sojotenhäuptling.
erzählen von einem verwegenen fojotifchen Jäger, Munku,
der im Gebirge umgekommen sei. Die Mongolen nennen
den Mnnkn Sardik auch Mnnkn Zassu, d. h. der Schnee-
Munku. Sardik bedeutet so viel als ein Gebirge, das man
nicht übersteigen kann, im Gegensatze zum Daban, eurem
Gebirge, welches sich überschreiten läßt. Uebrigens soll
das Wort Munku auch ewig bedeuten, und Munku Zassu
hieße demnach.' ewiger Schnee.
Radde's Wanderungen ani mittler» und obern
Amur fallen, wie wir schou bemerkten, in die Jahre 1857
und 1858. Der Reisende hat von dieser Region eine sehr
anschauliche Darstellung entworfen, und schildert namentlich
das bisher noch wenig bekannte Bnreja-Gebirge. -
Der Amur durchsetzt in seiner letzten Hauptkrümmung,
ri. Buriätin. Birar Tunguse.
Tunguse.
Bnreja-Gebirge gewählt, weil die Bnreja der bedeutendste
Fluß ist, welcher auf russischem Gebiet in diesem Gebirge
entspringt.
Sehr eingehend schildert Radde die klimatischen Ver-
Hältnisse dieser Region; er hebt hervor, daß die Erschei-
nungen, welche Pflanzen - und Thierwelt am Mittlern Amur
biete», anscheinend im allerfrappantesten Widerspruche mit
den klimatischen Zuständen dieser Landstriche stehen. Wie
will man, sagt er, das Vorkommen der Weinrebe nach den
bis jetzt existirenden Annahmen in einem Landstrich erklären,
in welchem während des Januars arktische Kälte herrscht,
die bis 350 R. stieg? Und die Nebe steht keineswegs allein
als ein solches Wunder da; denn eine gute Anzahl südlicher
Baumformen und namentlich Beispiele aus der Insekten-
ZgO ^ Gustav Radde's 9
der sanfte Bogen der höchsten Schneekoppe vor mir aus."
Aber die Höhe dieses Bogens konnte Radde nicht erreichen,
weil der Schnee zu lose war. So blieb eine Bogenentser-
nnng von etwa 150 Schritt und eine Vertikalhöhe von
allerhöchstens 69 Fuß unerreicht.— Die absolute Höhe
des Munku Sardik beträgt 11,452 englische Fuß.
Die Mongolen haben eine Sage über dieses Gebirge.
Ihr znsolge soll ein Ritter, Namens Munku, einst dorthin
gezogen sein, um eiu Kaiserfräulein aufzusuchen, das im
Innern des Gebirges an goldenem Tische vor einem gol-
denen Kelche sitzt. Aber der Ritter kam nie wieder. Andere
eisen in Ostsibirien.
da wo er aus Nordwesten kommt, etwa im Meridian
1.481/2 östlich von Ferro einen bedeutenden Gebirgszug.
Der Strom macht dort eine plötzliche Wendung gegen Süden
und legt in dieser Richtung, zwischen 49 und 48° N. Br.,
eine Strecke von I8V2 deutschen Meilen mit raschem Ge-
I fälle zurück. Die Russen haben jenes Gebirge als Chingan
oder Giukau bezeichnet, aber dieser Name ist den Um-
wohnern gar nicht bekannt. In der ossiciellen Sprache der
Mandschn heißt es Kamui, in der gelehrten Sprache der
Chinesen gom me dschan, d.h. dreigezweigt. Aber Midden-
dorfs, Schrenck und Radde haben mit Recht den Namen
Gustav Radde's Reisen in Ostsibirien.
361
"Jimmlllllfllll
Globus für 1863. Nr. 36.
362
Gustav Radde's Reisen in Ostsibirien.
welt reihen sich aneinander und überraschen durch unerhörte ,
Lebensfähigkeit. Für das Bureja-Gebirge sind charakteri-
stisch: warme, sehr feuchte Sommer, aber nur ausnahms-
weise schueereiche Winter, die starke Kälte bringen, eine ganz
kurze Frühlingszeit und ein langanhaltender Herbst.
Dem Mittlern Amur gehört ein eigenes, im übrigen
Sibirien fehlendes Vegetativnsreich an. Radde schildert die
drei typischen Vegetationsformen am Amur, welche
bald in stärkerer, bald in geringerer Klarheit sich überall
ausgeprägt finden. Er geht vom Schiff an's Ufer, um iu
das Bureja-Gebirge hineinzuwandern, und dringt zunächst
durch ein Weidengebüsch, das den angeschwemmten Boden
in unglaublicher Dichtigkeit und Stärke bedeckt. Man kann
oft nur hindurchdringen auf den Pfaden, welche von
Hirschen, Ebern und Bären gebahnt worden sind; es sind
die Wege, die zur Tränke führen. Man steigt oder klettert
das steile Ufer hinan und gelangt bald auf eine Uferebene,
welche sich durch hohen Graswuchs auszeichnet, dieser ist
aber fast überall mit Schlingpflanzen durchwebt. Unsere
Tafel: Prairientypns am Mittlern Amur, giebt ein
anschauliches Bild dieser Vegetation. Unter dem Alles ver-
steckenden Pflanzenwnchfe liegen alte tobte Baumstämme,
welche einst das Wasser dort abgesetzt hat. Möglicherweise
trifft der Wanderer auf einen Tiger oder Bären; aber er
hat einen treuen ostsibirischen Jagdhund, der keine andere
Dressur erhielt, als jene, welche der Hunger giebt, der aber
dort viel mehr nütz ist als sein gelehrter europäischer Kollege.
Da steht eine Gruppe der 8 bis 9 Fuß hohen Kougula-
Umbelle, um deren 2 bis 4 Zoll dicke, hohle Stengel sich
Menispermum oder Convolvulus, üppige Bicien oder hoch-
rankende Gloffocomien winden. Ein Fernblick ist nicht
möglich; denn 7 bis 8 Fuß hohe Artemisien (Beifuß) oder
dit noch höheren Rohrarten, deren starke Wurzeln tief ein-
dringen, um die Feuchtigkeit zu fucheu, engen das Auge ein.
Man schreitet mit einer gewissen Aengstlichkeit und Unruhe
weiter und achtet auf das leiseste Geräusch in diesem La-
byrinthe von Pflanzen, die mehr als mannshoch sind. Nur
laugsam und mit sorgfältiger Auswahl der zugängigsten
Lichtungen arbeitet man sich durch die erdrückende, dichte
Vegetation.
Die Flora dieser Ebenen an der Bureja, sodann vom
Ostende des Bureja-Gebirges an bis zum Ussuri verrieth
gewissermaßen die Einförmigkeit einer Steppenvegetation,
noch mehr aber da, wo die Uferebene sich allmälig hebt und
ohne waldbildende Bestände ist. Jene hat, wie bemerkt,
überall, wo zeitweise Überschwemmungen stattfanden, einen
Prairientypns durch das Vorwalten von hohen Gräsern,
Rohrarten,Umbellen und Artemisien. Nachher folgt das dichte
Unterholz von Gesträuchen, namentlich pyramidenförmig
aufschießendes Ginnalagebüfch. Dort brennt im Sommer
die Sonne unerträglich, und nicht selten ist eine klafterlange
Schlange, eiue bunte Coluberart, die sich, wenn man sie an-
greift, zur Wehre setzt, indem sie das vordere Drittel ihres
Körpers dem Feind entgegen schnellt. Sechs Fuß hohes
Unterholz von Corylus heterophylla steht als scheidende
Wand da zwischen dem Halbdunkel stiller Thalgründe und
der scharfen Beleuchtung freigelegener Uferabhänge.
Nun muß der Wanderer einen tnngufischen Lederkittel
anlegen, denn dieser allein schützt einigermaßen vor Ver-
letzungen. Bald aber erschließt sich eine neue Pflanzen-
welt, deren dunkles Grün und saftstrotzende Blätter den Be-
weis liefern, daß Wasser im Ueberflnß vorhanden ist. Nur
selten blickt der Himmel durch das Laubdach, welches aber
in seiner Dichtigkeit sehr verschieden ist, je nachdem die groß-
blätterige mandschurische Liude oder das Fiederblatt von
Eschen und Phellodendron es bauten: am Boden stehen
2 bis 4 Fuß hohe Farrenwedeln, eine der typischen Pflanzen-
formen jener Thäler. Hier ist der Fuß etwas freier als in
den Prairien der Ebene, aber das Auge ist doch auch auf
die allernächste Umgebung angewiesen, weil die umfang-
reichen Unterhölzer mit zumeist großen und breiten Blättern
jeden Fernblick verbieten. Am kühlen Wasser der Bäche
wuchern fast krankhaft Chrysosplenien; neben der nordischen
Eller steht der mandschurische Wallnußbaum; Ribesgebüsche
mit kriechenden Aesten sind Nachbarn einer schönen Berbe-
ritzenart. Auch treten Araliaceen auf, die mit tausend
spitzigen Stacheldornen bewaffnet find und vor denen man
sich wohl zu hüten hat. In Thälern, welche sich durch das
Vorwalten südlicher Laubhölzer auszeichnen und in denen
die einjährigen Kräuter gegen die artenreichen Holzpslanzen
zurücktreten, findet man nicht ausschließlich gesellschaftlich
lebende Gewächse. Man sieht schlanke, hellgrau-grüne
Stämme von Ahorn neben alternden Lindenkolossen, den
Korkbaum und einen Prunus mit leichtschülsernder, brauner,
glatter Rinde und Birken.
Die moosbedeckten, morschen Windfälle, sagt Radde,
wollen sorgfältig umgangen sein, und die hohen vieljährigen
Wurzelstöcke der trichterförmigen Farreukräuter fiud hinder-
licher als die Carexhügel in den Sümpfen. Da winkt uns,
'versteckt iu einer Gruppe dünnstämmiger Corylus man-
dschurica, eine Lilie, die einzige Art ihrer Gattung. Eilig
durchbrechen wir die nächsten Gebüsche, und schon strecken
wir die Hand aus, um sie zu pflücken, — da malt sich plötzlich
Entsetzen auf den Gesichtern der ganzen Gesellschaft, ein
sicheres Zeichen warnt uns vor naher Gefahr. Weshalb
kehrt unser Hund so ängstlich zu uns zurück? er, der stets vor
uns das Revier erkundete? Warum schmiegt er sich jetzt so
eng an seinen Herrn und winselt mit kläglicher Stimme.
Wie hat sich sein Haar auf dem Rücken und am Halse
vorwärts gesträubt?
Weil wir hier die Tigermutter mit ihren
Jungen gestört haben. Wir hören in der Entfernung
vou wenigen Klaftern das leise Brüllen und Knurren des
Herrenthiers., Das angestrengt spähende Auge durchdringt
die dichtlaubigen Gebüsche, welche uns den Räuber ver-
bergen, nicht; aber gottlob, dort vom Bache, wohin der
Hirsch um Mitternacht zum Trinken kam und die Erde mit
scharfem Hufe scharrte, sehen wir unsern mächtigen Feind
uns einen Blick zuwerfen, den Jeder ruhig ertragen muß,
wenn er gerettet fein will, und der nicht felteu unerträglich
lange dauert. Eine schlängelnde Bewegung mit dem
Schweife macht der zögernden Unentschlossenheit des Tigers
ein Ende, und langsamen Schrittes sucht er auf jenseitigem
Bachufer sich ein anderes Lager. —
Der dritte Vegetationstypus, dem man im Bureja-
Gebirge begnet, erinnert an den Norden. Er gehört allen
Höhen der größeren Thäler und dem Innern des Gebirges
an und wird durch das Vorwalten der Couifereu ge-
keuuzeichnet. Zwischen ihnen und den reinen Laubholz-
beständen liegt eine Mischform beider; diese gewinnt an
Eigentümlichkeit, wo auf sanfteren Gebirgshöhen die Eiche
vorwaltend wird und sich zu ihr auf der Nordseite einzelne
Zapfenbäume gesellen.
Man tritt ein in das Düster mäßig hoher Zirbel-
liefern. Anfangs erscheint diese Pinns cembra einzeln
oder in kleinen Gruppen, aber wo ihr eigentliches Revier be-
ginnt, verschwinden die Laubholzsträncher an den Abhängen.
Die trockenen Nadeln bedecken den Boden und geben ihm
eine ganz besondere Glätte. Oft wird der Boden von
Wildschweinen durchwühlt, denn diese wählen vorzugsweise
gern die Zirbelkiefernwälder zu ihrem Aufenthalte. Je weiter
Von Bareelou
man vordringt, um so dichter wird der Wald, um so stiller
und dunkler. Die einzelnen Bäume werden kolossal. Nicht
selten quillt aus einen: vom Blitze getroffenen Stamm eine
Fülle klaren Terpentins hervor und verbreitet einen an-
genehmen Harzgeruch. Windfälle sind häusig; oft ist der
Orkan so mächtig, daß die weithinkriechende Wurzel den
89 Fuß hohen Banm nicht halten kann. Er reißt sie mit
der daran haftenden Erde aus und es dauert lange, bis
diese, nach und nach abbröckelnd, die ellentiefen Löcher wieder
füllt. Radde fand manchmal sechs bis acht Bäume über-
einander; die unteren, älteren und schon verfaulten bildeten
eine nur schwache Stütze für das lastende Gewicht der
anderen, welche rostartig über jenen lagen. Ein Fehltritt,
und man stürzt in dieses Chaos todter Bäume.
Zur Zirbelkiefer gesellt sich tiefer landeinwärts die
Abies obovala und verdrängt späterhin jene völlig. Im
Innern des Bureja werden die Wälder immer dichter und
oft bilden Junghölzer jener Abies eine Wand, durch welche
* nach Valencia. 363
man sich nur mit dem Beile Bahn machen kann. Niemals
hat dort das verzehrende Element des Feuers eine Arbeit
übernommen, welche für Menschenhände zn groß ist; die
Urwälder des Bureja haben nie gebrannt. In diesen Wald-
einöden streifen die rothen Alpenwölfe in Rudeln
umher. An der Spitze befindet sich das kräftigste Männchen.
Sie umzingeln ihre Beute, der sie von allen Seiten näher-
kommen; aber ehe sie über dieselbe Herstürzen, lassen sie ein
eigentümlich zischendes Geräusch vernehmen.
Ans einem starken Aste der Tanne sitzt der Luchs und
lauert auf seine Beute; hoch in den Bäumen, von Zweig
zn Zweig wandernd, sucht der große Eharsa-Marder
ein Eichhornnest, dessen Bewohner er raubgierig mordet.
In dein unzugänglichsten Dickicht aber und an klüstenreichen
Abhängen hält sich der Zobel auf, und erst wenn eine
tiefe Schneelage die Erde und theilweife die Bäume bedeckt,
zieht dorthin der Wilde, um sich mit Ausdauer einer er-
müdenden aber anch lohnenden Jagd zu widmen.
Von Äarrrlonli
Die Anmuthigkeiten einer Fahrt im spanischen Postwagen. — (Sri:
und allerlei andere Gefährte. — Der Mayoral, Zagal und Del'
guntnm. — Valencia; maurischer Charakter der Sl
Bedeutung d
Eine Reise im Postwagen ist in Spanien zwar immer
noch beschwerlich, aber die Gefahren sind verschwunden,
soweit die Räuberromantik in Betracht kommt. Die Kavaliere
vom Mondschein gehören zn den Seltenheiten, die Land-
straßen find sicher geworden. Noch vor einem Viertel-
jahrhnndert war das freilich ganz anders; damals schwärmte
es aus der ganzen Pyrenäenhalbinsel von kecken Leuten, welche
anderer Menschen Eigenthum als das ihrige betrachteten,
und wer einen Postwagen bestieg, machte sich von vorn-
herein auf ein „kleines Abenteuer" gefaßt. Man erzählte
ja so manche interessante Geschichte von bärtigen Männern,
welche, tief in ihren Mantel gewickelt, hinter einem Felsen
hervortraten und rasch wieder verschwanden; man sah im
Mondschein ihre Dolche blitzen; zuweilen hörte man anch
Kugeln pfeifen, wurde überfallen, setzte sich nicht zur Wehr
und kam mit dem Leben davon.
Das war die gute alte Zeit! Die Postwägen wurden
angehalten, und jeder Reisende hatte etwas Geld in eine
besondere Tasche gesteckt, nm schneller mit den Herren
Räubern fertig zu werden! Wozu sollte man auch viele
Umstände machen? Der Tribut mußte ja doch entrichtet
werden! Für die Ritter von der Landstraße war das Hand-
werk ganz einträglich; sie hatten es in ein zweckmäßiges
System gebracht und jede Bande nahm irgend eine Straße
als ihr Eigenthum in Anspruch; die Räuber wollten sich
gegenseitig keine Konkurrenz machen, und deshalb ging
Alles in der besten Ordnung. Die Corsarios, so heißen
die Postbeamten, welchen die Beförderung anvertraut ist,
ab o n nirten bei deu Herren Banditen, zahlten eine Summe,
über welche beide Theile sich verständigten, uud dann er-
folgten keine Weiterungen; der Wagen pafsirte unbehelligt.
Der Corsario seinerseits erhob dann von den Reisenden
eine Versicherungsprämie und stand für Alles. Das
nach Valencia.
aernng an die Tage der Ränberromantik.— Diligentia, Galera
tero.— Tortosa am Ebro; Vinaros und die Trümmer von Sa-
t. — Die Leute aus dem Volk und ihre Trachten. —
Mautels. —
nannte man eine komponirte Reife; wer sich aber nicht
affekuriren wollte, sondern auf eigene Gefahr reiste, unter-
nahm eine simple Reise.
Man hat es schon oft erlebt, daß Räuber iu ihren
alten Tagen den Drang in sich verspüren, höchst tngend-
haste Leute zu werde». Gewöhnlich keimt diese moralische
Anwandlung in ihnen auf, wenn sie das Handwerk über-
drüssig bekommen. Dann geben sie das Geschäft ab
und suchen bei der Behörde um ein Indulte nach, (lassen
sich amnestireu), uud leben fortan in Ruhe und Gemächlichkeit
von dem „Ersparten". Vorher machen sie aber noch
ein gutes Geschäft, indem sie ihr Anrecht und zugleich die
Kundschaft an einen andern Bandolero verkaufen,
welchem sie alle uöthige Auskunft über das Geschäft geben:
auch kann der Nachfolger sich beim tugendhaften Vorgänger
allezeit Raths erholen.
Aber, wie gesagt, diese schöne Zeit ist dahin. Man
hört nichts mehr von deu Sieben braven Burschen
aus Eeija, bei denen die Zahl Sieben immer voll blieb,
trotzdem diese Gesellschaft manchen Verlust durch Kugeln
erlitt. Wo ist nun der gefürchtete Hauptmann Veneno,
dessen Name: Gift, schon darauf hindeutet, daß er ein
ganz furchtbarer Kerl gewesen? Auch der weiland berühmte
Jose Maria, der Schrecken Andalusiens, ist verschollen,
nicht minder Stephan der Brave, Estevan el Guapo.
Die Laudstraßeu sind sicher geworden, und die Eiviles
sorgen dafür, daß das Räuberhandwerk nicht wieder empor-
komme. . Diese Männer bilden eine Art von Gendarmerie,
sind tüchtig und zuverlässig, werden unter den verabschie-
deten Soldaten ausgewählt und sorgen für die Sicherheit
der Landstraßen. Sie gehen allezeit in parejas, das heißt
zwei zn zwei, und sind beim Volke sehr beliebt, weil sie
nützliche Dienste leisten. Zu den Sicherheitsbeamten ge-
46*
Von Barcelona
hören auch diePeones camin eres, die wir als Straßen-
Wärter bezeichnen können. Sie tragen vor dem Hut eine
große Mesingplatte mit einer Inschrift, welche ihr Amt be-
zeichnet. Ihre Waffen sind theils friedlicher Art, nämlich
Schaufel und Hacke, theils kriegerisch, denn der Straßen-
Wärter hat auch eine Escopeta, ein kurzes Schießgewehr,
um die Rateros in Respekt zu halten. Ein Ratero ist
aber ein Strauchdieb gewöhnlichen Schlages, ein Dilettant
im Diebs-und Raubhandwerke, das er aus eigene Faust
nach Valencia. Zg5
nach Valencia begleiten. Er wußte Wohl, daß kein Ban-
dolero ihn überfallen und ihm zurufen würde' Boco
abajo! das heißt zu deutsch: Nieder mit dem Gesicht, platt
ans die Erde gelegt! Er traf friedliche Bauern, welche ihm
und seinem Begleiter, dem genialen Zeichner Dor«, ein
Vayan nstedes con Divs, Geleit ench Gott, zuwünschten.
Also: Alts nach Valencia!
Der Weg führt von der Hauptstadt Eatalouieus aus
durch eine fruchtbare Ebene, welche der Llobregat be-
Delanteros, d.
ganz allein treibt, je nachdem sich eine günstige Gelegenheit
darbietet. Der Peon caminero raucht den langen lieben
Tag Cigarretten und liebt die Anstrengung nicht. Er trägt
kleine Steiue in einem Binsenkorbe nach solchen Stellen des
Weges, welche Fahrlöcher haben, füllt aber diese nur zur
Hälfte aus, damit er doch am andern Tag auch noch eine
Beschäftigung habe.
Wir wollen unfern alten Bekannten Davillier,
welcher uns interessante Schilderungen aus Barcelona
gegeben hat (Globus III, S. 257 ff.), auf seiner Fahrt
Ii. Postillione.
wässert. Die Alten bezeichneten ihn ganz richtig als Rn-
bricatus, denn sein schlammiges Wasser hat eine röth-
liche Farbe. Vor unsern Postwagen hatte man zwölf
Maulthiere gespannt, der Staub wirbelte hoch empor, be-
lästigte jedoch uns, die wir aus der Imperiale saßen, weit
weniger als die Insassen des Wagens. Wie sieht eine
spanische Diligence aus? Sie ist ein schwerer, plumper,
reichlich mit Eisen beschlagener Kasten, denn sie hat harte
Püffe auszuhalten. Im Innern ist sie ähnlich eingerichtet
wie die Diligence in anderen Ländern und hat zwei Coupvs,
366
Von Barcelona nach Valencia.
welche durch hölzerne Verschlage getrennt sind nnd deren
oberer Theil schiebbar ist; die Reisenden können sich also
nach Belieben mit einander unterhalten. Die Zahl der
vorgespannten Pferde oder Maulthiere beträgt nie weniger
als acht und nicht mchr als vierzehn; sie werden zu zweien
neben einander gespannt, doch bleibt zwischen jedem Ge-
spann ein sehr weiter Zwischenraum, und das Ganze bildet
eine lange Reihe.
Die Diligencen in Spanien sind thener; auf manchen
Strecken kostet die spanische Meile zwei Pesetas, das heißt
etwa sechszehn Silbergroschen, also drei- oder viermal mehr
als ein Platz in der ersten Eisenbahnklasse. Die verschiedenen
Kompagnien sind übereingekommen, die Preise nicht zu er-
niedrigen, und so ist das reisende Publikum ihrer Willkür
preisgegeben. Wer sich von ihnen nicht schröpfen lassen will,
hat kaum eine andere Wahl, als in einer Galera zufahren;
dann kommt er aber aus dem Regen in die Tranfe. Der
Preis für das Gepäck ist gleichfalls fchanderhaft hoch. Der
amerikanische Gesandte hatte aus
Neu-Aork einen Wagen nach Ca-
diz geschickt und dafür 50 Piaster-
Fracht gezahlt; die Fracht von
Cadiz nach Madrid kostete aber
nicht weniger als 390 Piaster,
sage 450 deutsche Thaler.
Das Personal, welches zu
einer Diligentia gehört, besteht
aus drei wichtigen Leuten. Ueber-
Haupt ist der Mayoral, also der
Schaffner, Schirrmeister, Con-
ducteur, gewöhnlich ein starkge-
wachsener Mann mit ausgewirk-
tem, roth .gefärbtem Gesicht und
einem Backenbart in Gestalt von
Eoteletteu. Er trägt ein Tnch
über dem Kopf und setzt darauf
noch einen Sombrero c al a n e s,
einen andalusischen Hut mit auf-
geschlagener Krampe und zweien
Pompons von schwarzer Seide.
Seine Marsilla ist eine kurze
Jacke mir Hefteln und allerlei Stickereien, bis an den Elbogen
roth uud grün verziert; auf der Rückseite befindet sich in
Gestalt eines Blumentopfes eine Stickerei, welche bis in die
Nähe der Schultern hinaufreicht. Das Beinkleid hängt bis
etwas über die Knie herab, ist von Wolltuch, mit Sammt
befetzt, manchmal ist es aber auch von Schaffell und heißt
dann Calzou de pellejo. Die Fußbekleidung besteht aus
weißen Schuhen und Botines, einer auf der Wade ofseuen
Lederbekleidung. Der Mayoral fühlt sich in seiner Würde
und Wichtigkeit uud herrscht als Tyrann nicht nur über
seine Untergebenen, den Zagal und den Delantero, sondern
auch über die Fahrgäste, welche er protzig behaudelt; er ist
in der Regel sehr kurz angebunden. Natürlich verlangt er
ein Trinkgeld, als ob er ein Recht darauf hätte. Die
Reisenden sind für ihn nur da, um diese Propiua zu
zahlen, und sie kommen nicht darum weg, selbst wenn ein
Vuelco sich begeben hat, das heißt, der Postwagen nmge-
stürzt ist. Das ereignet sich sehr häufig und dann dringt
der Herr Mayoral erst recht auf die Propiua, denn er hat
für jedeu Vuelco seiner Kompagnie zwölf Piaster Strafe zu
zahlen, und diese sucht er dann von deu Reisenden beizu-
treiben; sie sollen ihm dafür Geld geben, daß er sie in Ge-
sahr gebracht hat, Hals und Beine zu brechen!
Nach dem Mayoral kommt der Zagal. Das Wort
stammt aus dem Arabischen und bedeutet flink. In der
Labrador in Valencia.
That verbringt der Zagal seine halbe Lebenszeit damit,
neben den Manlthieren herzulausen und sie durch alle mög-
liche Mittel zum Laufen anzutreiben. Darin hat er es
denn auch zu einer großen Fertigkeit gebracht; er rennt vom
ersten Gespann bis zum letzten immer hin und her und
prügelt mit seinem Stocke jedes Thier. Zuweilen läuft er
voraus oder abfeit, um kleine Kieselsteine aufzusammeln,
welche er dann einem trägen Thier an's Ohr schleudert.
Manchmal verfehlt er freilich fem Ziel und trifft ein anderes
Thier, und nicht selten werden die Maulthiere, welche gerade
am Ohre sehr kitzlich sind, ganz wild, so daß eine allgemeine
Verwirrung im Gespanne nicht ausbleibt. Dagegen weiß
dann der Zagal kein besseres Hilfsmittel, als eben wieder
die Kieselsteine und Hiebe mit den Knütteln. Wer sich diese
Dinge mit ansieht, fragt sicherlich, wie es überhaupt möglich
sei, daß die spanischen Maulthiere eine so ungeheure Menge
von Schlägen aushalten können. Ja, wenn sie nur vom
Zagal allem Prügel bekämen, dann möchte es noch drum
sein; aber es ist altherkömmlich,
daß jeder beliebige Mensch, der
an einem Maulthiere vorüber
geht, demselben, gewissermaßen
zum Zeitvertreib, einen Hieb mit
Stock oder Peitsche versetzt. Eine
solche Viehschinderei wird ganz in
der Ordnung gesunden!
An seiner Kleidung hat der
Zagal uicht schwer zu tragen. Er
wirft ein Tuch über deu Kopf,
zieht einen farbigen Kittel an, be-
festigt die Beinkleider von Sammt-
Manchester mit einer Raya, das
heißt einem gestreiften Gürtel,
nnd trägt am Fuße A lp ar g a t a s,
Schuhe, die aus Hanf geflochten
sind. Stets hat der Zagal auf dem
Rücken einen kleinen biegsamen
Stab, den er in den Gürtel steckt,
wie der Hanswnrst eine Pritsche.
Der Delantero heißt so,
weil er immer voran sein muß;
er sitzt auf dem vordersten Maulthiere, das zur Linken geht.
Man nennt ihn auch wohl den zum Tode verurtheilteu
Mann, und er hat wirklich ungeheure Strapazen zu ertragen.
In früheren Zeiten kam es nicht selten vor, daß er volle
achtundvierzig Stunden und länger int Sattel blieb; man
fuhr von Barcelona nach Madrid, ohne auch nur ein einziges
Mal den Delantero zu wechselu; aber diese Hölle ist heut-
zutage in ein Fegefeuer umgewandelt worden. Gewöhnlich
ist der Delantero ein Bursche vou achtzehn bis zwanzig
Jahren; er trägt, wie unser Bild zeigt, eine Montera,
mützenartige Kopfbedeckung aus Lammfell, hat ein von
der Sonne tiefgebräuutes Gesicht und sieht immer etwas
wild aus.
So lange es Räuber gab, wurde die Diligence von
Escopeteros geleitet, Gensdarmen, welche oben auf dem
Wagen saßen und von dort herab spähten, ob verdächtige
Leute in der Nähe seien.
Während der Fahrt machen sich Mayoral und Zagal
unaufhörlich mit den Manlthieren zu schasfeu und führen
mit denselben eine sehr eigenthümliche Unterhaltung. Jedes
hat seinen besondern Namen, wird mit Worten der Lieb-
kosung oder mit Ausdrücken des Schimpfens und Flüchen
überschüttet; manchmal läuft auch ein Witz mit unter, zum
Beispiel: „Coronela, en llegando a casa, me harv nna
papalina con tu pellejo!" das heißt: „Frau Oberstin, wenn
368 Brn Barcelona nach Valencia.
wir nach Hause kommen, werde ich mir eine Kappe aus deiner
Haut verfertigen!" Das Zurufen nimmt auch während der
Nacht kein Ende! der Mayoral murmelt halblaut, auch wenn
er einschlnmmern will: C ap it al>a n a,... c o mifar i o o o...
raa... pnliaa,... bandolero... arre carboneraaa...
und so sort, bis er völlig eingeschlafen ist. Dann fangt der
Zagal seinerseits an.
Die kostspielige Diligentia ist so zu sagen ein aristo-
kratifches Fuhrwerk, das nur auf den großen Hauptstraßen
länft, aus den Caminqs reales oder Carreteros; man
hat auch für eine
solche Chaussee den
arabischen Ausdruck
Arrecise. Sie ha-
beu jetzt Meilensteine
erhalten, auf welchen
die Entfernung in Ki-
lometres angegeben
ist. Außer der Dili-
gence hat man den
Corres, Kurierwa-
gen, der etwas schnel-
ler fährt, aber nur
zwei oder drei Fahr-
gäste mitnimmt; ge-
wohnlich hängt er
schlecht in Federn
und manchmal hat
er gar keine. Die
Cochede colleras
ist eine kleinere Dili-
gence und nur mit
einem halbenDutzend
Maulthieren be-
spannt; sie legt im
Tage selten mehr als
zehn spanische Mei-
len zurück.
Da ist aber auch
noch die Galera,
und dieses Marter-
Werkzeug führt sei-
nen Namen mit vol-
lem Rechte. Sie ist
ein langer Kasten,
der auf vier Rädern
laust, besteht aus
Korbgeflecht, das bei-
nahe auf deu Bodeu
reicht, wird mit Rei-
fen überspannt und
mit Leinwand über-
deckt, wie die Fuhr- Balencianisch
mannswägen. In
diese Hölle packt man bunt durcheinander Menschen und
Maaren. Solch eine Galera ist wie ein ambulantes
Bagno, ein wahres Chaos; der Fahrgast muß immer die
um und um gerüttelten Waarenballen, Fässer, Kisten und
Kasten abwehren; der Mayoral kümmert sich nur um diese,
denn er ist dafür verantwortlich; den Passa'gier beachtet er
nicht, denn was kümmert es ihn, ob derselbe sich ein paar
Rippen einrennt? Das ist ja nicht seine Sache. Der
Zagal einer Galera hat es nicht so beschwerlich als. jener
der Diligentia; er hält beliebig an, läßt die Thiere aus
einem großen eisernen Eimer trinken und balancirt' an ab-
schüssigen Stellen seine Galera mit einer langen Stange,
damit sie nicht umstürze. Und weiter kein Wort von den
Carros, die selten in Federn hängen, nur zwei Räder
haben und selten Reisende mitnehmen. Die Tartana
kommt nur in Valencia und Murcia vor.
Doch nun zur Reise selbst! Die Gegend zwischen
Barcelona und Tarragona ist eine der am stärksten be-
völkerten in Spanien. Man kommt auf dieser Strecke
durch die beiden kleinen Städte Villasranca de Pa-
nades und Torredembarra; sie bieten aber keine Merk-
Würdigkeit dar. Von Tarragona selbst führt eine Zweig-
bahn nach Rens,
einer Stadt mit be-
deutenden Fabriken.
In der Nähe steht in
dem ungemein srncht-
baren Concathale
das berühmte Ci-
stercienserkloster
Pöblet, von wel-
chem in derGeschichte
der Könige von Ära-
gonien so oft die
Rede ist; auch weiß
die Sage viel davon
zu erzählen. Als
noch die Araber Her-
reu im Lande waren,
lebte an jener Stelle
ein frommer Einsied-
ler. Der Mohren-
könig wollte aber den
Christen dort nicht
dulden, sondern warf
ihn ins Gefängniß;
da kamen aber Engel
vom Himmel, nah-
men dem Eremiten
die Ketten ab und
befreiten ihn. Solch
ein Wunder versetzte
den Mohrenkönig in
großes Erstaunen;
er überhäufte den
Einsiedler mit Schä-
tzen, und auf dem
Grabe des letztern
ist späterhin das Klo-
ster erbaut worden.
Seit 1835 sind in
Spanien die Klöster
ausgehoben worden
und auch Pöblet ist
er Labrador. NUN längstvonMön-
cheu verlassen.
Von Tarragona ab wird die Straße ost sehr uneben;
dann und wann erlaubt eine Biegung einen Blick auf das
tiefblaue Meer, auf welchem Fischerboote mit weißen Segeln
sich schaukeln. Man kommt nach Tortosa am Ebro. Nach
diesem Strom ist das alte Jberien benannt worden; er ist
nebst dem Tajo der wichtigste Fluß der Halbinsel und hat
gleich diesem und dem Gnadalquivir gelbes, schlammiges
Wasser. Tortosa liegt sehr malerisch; die Domkirche steht
auf den Grundmauern einer Moschee und man sindet auch
arabische Inschriften. Das Hauptwuuder der Stadt wird
Gläubigen wie Freigeistern gegen ein Doncenr gezeigt; es ist
der echte, wirkliche und wahrhaftige Gürtel der Jnngfran
370 Von Barcelona
Maria, die „Cinta". Dieser Gürtel hat eine unzählige
Menge von Wundern gethan, und 1822 brachte man diese
Mirakel thuende Reliquie in großem Pomp nach Aranjnez;
es war dort seine Bestimmung, die Niederkunft einer Prin-
zessin zu erleichtern.
Man kommt vonTortosa nachAmposta, läßt Puerto
de los Alsaques zur Linken und gelangt nach Vinaroz,
einem kleinen Hafenplatz, in dessen Umgegend ein Wein
wächst, der dick und schwarz wie Tinte ist.
Nun beginnt das Königreich Valencia, und zwar
schon etwas vor Vinaroz; die Ceuia, ein kleiner Fluß,
bildet die Grenze gegen Catalonien. Von nun au erinnert
Vieles an die Zeiten der maurischen Herrschaft. Auf An-
höhen, welche einen weiten Ausblick über das Meer ge-
währen, erheben sich Atalayas, viereckige Thürme, einst
Hochwarten; auch die Städtenamen Alcalü. und Beni-
carlo gemahnen an die Araber. Spanien ist überhaupt
ein „gemildertes Afrika"; im September war die Hitze un-
gemein drückend. Gleich auf der Valencianischen Grenze
erreicht die Aloe eine kolossale Höhe und Palmen treten
häufig anf, nicht minder die Algarroben. Dieser Johannis-
brotbanm wird sehr kräftig, hat dunkles Laub und bedeckt
die Berge; Frauen und Kinder schlugen mit langen Stangen
die Schoten herab, packten sie in Körbe und beluden Esel
damit. Das Johannisbrot giebt ein treffliches Futter für
das Vieh uud dieses ist sehr darauf erpicht; überhaupt er-
scheint der Algarrobo namentlich für Südspanien sehr wich-
tig; einzelne Bäume geben bis zu 2-100 Pfund Frucht im
Jahre.
In Benicarlo hält die Diligencia an. Die Stadt
ist berühmt durch ihren Wein, der zum Verschneiden anderer
Weinsorten seit undenklichen Zeiten benutzt wird. Ein eng-
lischer Reisender des vorigen Jahrhunderts, Swinburne,
hebt bereits hervor, daß ganze Ladungen von Benicarlo
nach Cett-e und von dort anf dem Languedoc-Kaual nach
Bordeaux gingen. Dort „verbesserte" man daniit die Bor-
deauxweiue; das „Schmieren" ist also schon alt.
Ueber Castellon de la Plana, wo Ribalta, ein aus-
gezeichneter Maler der Valencianischen Schule, geborcu wurde,
gelangt man nach Murviedro, einem armseligen Orte
mit einigen tausend Seelen. So wenig ist übrig geblieben
von dem alteu Saguutum, der treuen Buudesgeuossiu der
Römer, welche die Stadt wieder aufbauten, nachdem sie von
den Karthagern zerstört worden war. Später gehörte sie
den Gothen, Arabern und dann den Spaniern, welche die
Ruinen und alten Mauern zum Aufbau benutzten. Auch
vom Theater fiud nur noch, allerdings großartige, Trümmer-
übrig, in denen Eulen und Eidechsen wohnen. Sagunt
war einst ein Seehafen, aber die neue Stadt liegt eine
Meile vom Ufer entfernt, denn so weit ist das Meer zurück-
gewichen. Kaum erwähnenswert!) sind die Spuren von
einem Circus und einem Bacchusteinpel.
Der Reisende ist begierig, etwas von der „Stadt der
dreihundert Kirchen" zu sehen. Bei Leuten, die von Bar-
celona ans vierzig wohlgezählte Stunden in einem spanischen
Postwagen gesessen und Staub uud Hitze ertragen haben,
ist das erklärlich. Zuerst erblickt man einen von Palmen
beschatteten majestätischen Bau, das Kloster San Miguel
de los Rehes; auch dieses ist im sechszehnten Jahrhundert
aus Sagunter Steinen gebaut worden. Nach einer Viertel-
stunde fährt man dann ein in „la muy noble, inclita,
antigna, leal, insigne, magnifica, ilustre, sabia,
coronada y janurs acabada de celebrar Ciudad
Valencia del Cid", also in die sehr edle, berühmte, ur-
alte, loyale, ausgezeichnete, prachtvolle, erlauchte, gelehrte,
gekrönte und niemals genugsam gepriesene Stadt Valencia
nach Valencia.
des Cid. Diesen bescheidenen Titel führt sie in den Chro-
niken; er ist zwar etwas lang, das darf aber in Spanien
nicht befremden, denn fast alle Städte haben ihre pomp-
haften Epitheta. Valencia, das läßt sich nicht bestreiten,
verdient den seinigen mehr als jede andere; sein blauer
Himmel ist schon durch arabische Dichter besungen worden,
und wo fände man in Europa ein herrlicheres Klima?
Tropische Bäume gedeihen in freier Luft, im December
pflückt man Veilchen und Primeln. Der Winter ist nur
dem Namen nach bekannt, und ein Schriftsteller versichert,
daß man in einem halben Jahrtausend nur zwei Beispiele
von Reis uud Nebel kenne.
Wer in Valencia einfährt, glaubt sich in eine maurische
Stadt versetzt. Da stehen noch die Mauern und Thürme
aus der arabischen Zeit, die Straßen sind eng und gewun-
den, die Häuser in morgenländischer Art mit Kalk geweißt,
und einem Sölleransban versehen. Anf diesen wird dann
und wann eine bräunliche Valenciauerin sichtbar, aber nur
halb und halb, denn ein Theil der Schönen bleibt hinter
den gestreiften Vorhängen oder den herabhängenden Matten,
den Esteras, verborgen. Von einem Haufe zum andern
hat man Tendidos gespannt, große viereckige Stücken
Leinwand.
Auch die Volkstracht erinnert noch lebhaft an die
Tage der Maurenherrschaft. Jene der Bauern ist dem
Klima durchaus angemessen und hebt in sehr vorteilhafter
Weise die erzfarbene Haut; denn der Landmann von Va-
lencia erscheint nicht minder gebräunt wie der asiatische
Beduine. Um den Kopf schlingt er ein buntfarbiges Tuch,
das oben spitz zuläuft und gewissermaßen an den Turban
erinnert; manchmal stülpt er darüber einen Hut von Filz
oder schwarzem Sammt mit aufgeschlagener Krämpe; dieser
ist aber spitzer als der schon erwähnte andalnsische Sombrero
calanes. Eiuige Hüte haben einen unglaublichen Umfang.
Das Hemd wird am Halse mit einem Doppelknopfe be-
festigt; eine Jacke trägt der Valencianer für gewöhnlich
nicht, aber an Festtagen prunkt er in einer Jacke von
blauem oder grünem Sammt; sie ist mit silbernen oder
versilberten Knöpfen reichlich besetzt. Statt unserer Bein-
kleider hat er Zaraguelles d e lienzo, sehr weite Hosen
von weißer Leinwand; sie erinnern an die Fustanella der
Albanesen und werden durch einen buntgestreiften Gürtel
von Seide oder Wolle festgehalten. In den Strümpfen sind
da, wo ein solcher Luxus überhaupt vorkommt, keine Fuß-
theile; sie werde» gleichsam nur als Schienen betrachtet.
Der Schuh besteht unabänderlich aus Alpargatas von
geflochtenem und plattgeschlagenem Hanf. Diese Espar-
diu es werden über dem Knöchel vermittelst eines blauen
Bandes befestigt und erinnern an den Kothurn der alten
Tragödie.
Aber am wichtigsten ist der Mantel, ein langes Stück
gestreiften Zeuges, ohne welchen der Valencianer überhaupt
nicht zu denken ist. Ohne ihn geht er keinen Schritt außer
dem Hause, er trägt ihn nachlässig um den Arm gewunden,
oder über der Schulter, oder um die Brust drapirt und
hält ihn hinten auf einem Stocke; die Arme sind unbekleidet,
und bie beiden Seiten des Mantels fallen in unzähligen
Frangen herab. In Valencia werden Mäntel in großer
Menge nach allen Theilen Spaniens versandt. Der Mantel
ist nicht blos ein Kleidungsstück, sondern dient auch zum
Tragen von allerlei Gegenständen; man schlägt die Ecken
zusammen und bringt in diesem improvisirteu Sacke allerlei
Lebensmittel zu Markte. Wer zu Pferde steigt, klappt den
Mantel vier- oder sechsmal zusammen und hat dann einen
Sattel; wer bei Nacht unter freiem Himmel schläft, benutzt
ihn als Decke oder Kopfkissen.
lieber zwei mächtige, unter den Augen der Menschen, dem Innern der Erde entstiegene Feuerberge.
371
Auf dem Marktplatze kann man die valeuciauischeu
Labradores aus der Huerta, der üppigen Garteuebene, in
allen ihren Eigenthümlichkeiteu beobachte». Sie bringen
Orangen, an denen sich noch Blätter befinden; Dattel-
traubeu, die erst vor wenigen Stunden gepflückt wurden,
und ungeheure goldfarbige Weintrauben, die ein wahrer
Staat siud. Den Verkauf dieser köstlichen Früchte besorgen
Frauen und Mädchen, oft sehr anmuthige Geschöpfe und
zuweilen auch sehr hübsch. Ihr Haar ist wirklich rabeu-
schwarz und bildet, wie unsere Tafel zeigt, einen hübschen
Kopfputz; durch deu Chiguon ist hinten eine lange silberne,
aber vergoldete Nadel gesteckt, der dicke Knopf au beiden
Enden wird mit falschen Smaragden und vielen kleinen
Perlen geschmückt. (Siehe die Abbildung auf S. 369).
Es ist in der That eiu Vergnügen, ans den Valencianischen
Märkten umherznschlendern. ,
Aetier zwei mächtige, unter den Äugen
entstiegene
Zweiter
Schon früher haben wir bemerkt, daß der Jorullo das Thal,
in welchem er sich erhebt, fast unter einem rechten Winkel durchzieht.
Gegen Osten ist er von einigen kleinen Bergen — Hügeln möchte man
fast sagen — begrenzt, nach Westen hin aber liegt er beinahe ganz
frei, indem sich hier nur eine kleine Bergzunge, fast % Leguas
thalabwärts von ihm und nach der Playa herunterzieht. Von
seiner Basis nach dem Krater hin steigt man im Anfange nicht
sehr steil, zuletzt aber fast unter einem Winkel von 40 bis 50» über
lose liegende Lavastücken empor. Bnrkart fand den Kraterrand
an manchen Stellen kaum 3 bis 4 Fuß breit; seine höchsten Punkte
befinden sich in Nordwesten 4029 und in Nordosten 4004 Fuß
über dein Meer, oder 1223 und 1198 Fuß über der Basis des
Vulkans. Hat man deu Rand des Kraters erstiegen, so erblickt
man ans einmal den ganzen Kessel des Berges, der jetzt nur
noch schwache Spuren vou innerer Thätigkeit erkennen läßt.
Außer dem größern Hauptkrater unterscheidet mau noch mehrere
kleinere, welche ihm zur Seite liegen. Bei einiger Aufmerksamkeit
überzeugt man sich bald, daß die vulkanischen Ausbrüche aus einer
Gangspalte erfolgten, welche fast einen rechten Winkel mit der-
jenigen Linie bildet, auf welcher fast fämmtliche mexikanische Nul-
kaue gelegen siud. Die Spalte des am höchsten gelegenen Haupt-
kraters ist nicht nur die tiefste, sondern auch bei der größten Längen-
ausdehnung die schmälste und engste. Sie scheint indeß, obgleich
sich in ihr am längsten Zeichen innerer Thätigkett zu erkennen
gaben, sehr an Tiefe abgenommen zuhaken, und zwar in Folge
des Herabstürzens des zerklüfteten, zerborstenen, an ihren steilen
Wänden anstehenden Gesteins. Als Burkart iu diesen Krater-
schlnnd hinabstieg, vernahm er überall die größte Ruhe und die
tiefste Stille, kaum daß sie durch das Herabfallen einzelner Lava-
trümmer unterbrochen wurde. Da wo die Spalte am tiefsten
war, stemmten sich zusammengehörte, lockere, vulkanische Gesteine
jeder weitern Untersuchung entgegen; die Lusttemperatur war durch
das Zurückwerfen der Sonnenstrahlen von den nackten Felswänden
nur wenig erhöht. Weiter aufwärts zu beiden Seiten der Spalte
bemerkt man jedoch noch mehrere klaffende Spalten, deren Weite,
bei einer Länge von 20 dis 100 Fuß, zwischen 1 und 3 Fuß
schwankte; ihre Richtung wich nur selten von der der Hauptspalte
ab. Bei 24» C. Lufttemperatur zeigten die hervorbrechenden
Dämpfe 45 bis 54» C., während das Gestein in ihrer unmittel-
baren Nähe noch so heiß war, daß man sich die Fußbedeckung
daran verbrennen konnte. Die Wände dieser Spalten waren mit
Schwefel von verschiedener Farbe bedeckt, welcher sich aus deu
emporsteigenden Dämpfen an den kälteren Stellen absetzte und-
daher aus eine weit höhere Temperatur im Innern, als die ange-
gebene, schließen läßt.
der Menschen, dem Innnern der Erde
Feuerberge.
Artikel.
Im Januar 1853 glückte es C. Pieschel, welcher als Sekre-
tär der königl. preuß. Gesandtschaft in Mexiko beigegeben war,
den Jorullo besuche» zu können. Indem er ans der nördlichen
Seite des Vulkans stets in der Richtung nach Osten vordrang,
gelaugte er auf ciue Ebene, welche südlich und östlich von einem
ungefähr 60 Fnß hohen Lavastrome, nördlich von bewaldeten
Basaltgebirgen und im Süden von einem ans vulkanischem Sande
bestehenden Bergrücken eingeschlossen war. Von hier aus sich
südwärts wendend, stieß er im Nordosten des Vulkans auf Lava-
massen, welche theilweise vou Gestrüpp und Gras bedeckt waren,
theils eine nackte, kalte, schwarze Oberfläche zeigten. Nach Verlauf
einiger Zeit gelangte er au den Fuß des eigentliche» Vulkans,
dessen Kegel sich unter einem Winkel von 40 bis 45» erhob. Um
den Rand des Kraters zu erreichen, bedurfte es uoch eines ^stün-
digen Steigens. Auf der nördlichen Seite des Kraters, vom
obersten Rande einige 20 Schritte abwärts, wurde Pieschel durch
die weiche Beschaffenheit des Bodens und die aus ihm hervor-
strahlende Wärme auf höchst unerwartete Weise überrascht. Diese
mit feinem Steingerölle bedeckten Stellen zeigten sich bei näherer
Untersuchung heiß und zugleich feucht; die Führer meinten, es sei
Wasser darunter, und fürchteten einzusinken. Auf der Oberfläche
konnte man weiter nichts bemerken, als daß das lockere Gerölle
durch die innere Hitze eine helle Farbe angenommen hatte. Der
Rand des Kraters war auf der östlichen wie auf der südlichen
Seite äußerst schmal und siel nach Innen oft so steil ab, daß man
aus Vorsicht einige Schritte auf dem äußern Rande abwärts
gehen mußte, um uicht von der scharfen Felskante nach Innen
hinabzurutschen. Der Krater hatte in der Richtung von SSO.
nach NNW. eine oblonge Form und zeigte in Nordwest eine etwa
200 Schritte weite Oeffnung, aus der ein schwarzer Lavastrom
nach Norden hin sich ergossen hatte und schichtweise um den Krater-
kegel erkaltet war. Der ganze innere Kessel scheint in früherer
Zeit mit Lava erfüllt gewesen zu sein, welche nach dem Entweichen
der hebenden und spannenden Kräfte in sich zusammensank, in
Folge dessen die Kraterwände, welche einst wahrscheinlich höher
waren, nachznrntscheu veranlaßt wurden, wie aus folgender Wahr-
nehmung hervorzugehen scheint. Es haben sich nämlich ganze
Lavaschichten, welche eiust iu zähflüssigem Zustande sich befunden
haben müssen, von dem Rande terrassenförmig au den inneren Seiten
des Kraters abwärts bis zur Mitte angelegt, so daß das Ganze
das Aussehen eines weiten Amphitheaters hat. Der Kraterrand
hat auf diese Weise zwar an Höhe verloren, an Ninsang dagegen
gewonnen. Hierfür spricht auch noch der Umstand, daß man hier
und da an den oberen Seiten des Kraters Bäume und Sträucher
vegetiren sieht, welche offenbar mit dem Rande von der äußern
47-
372
lieber zwei mächtige, unter
den Augen der Menschen,
Seite hinabgeglitten sind, zumal da man außerdem iu dem Krater
selbst noch nicht die geringste Spur von Vegetation bemerkt. Wahr-
scheinlich wird es jedoch nicht mehr lange danern, daß auch das
ganze Innere desselben sich mit Vegetation bedeckt, wie man solches
schon bei vielen der den Krater umlagernden Lavaströme bemerkt.
Auch Pieschens Begleiter erzählten, daß der Krater ehedem tiefer
gewesen sei, als aber vor etwa sieben Jahren sich ein Erdbeben
habe verspüren lassen, wäre vieles Gestein von den Wänden des
Kessels herabgefallen und habe den Boden desselben erhöht.
Pieschel schätzte seiue Tiefe auf ungefähr 200 bis 250 Fuß.
Durch das Innere des Kraters zog sich ein schwarzer, zerklüfteter
Lavastrom; unterhalb desselben zeigte sich das Gestein noch sehr
heißend feucht, iu Folge der aufsteigeudeu Dämpfe.
Ausfallend war das eifrige Suchen und Sammeln des weißen,
salzigen Niederschlags au dem iuueru Gestein, welchem sich Pieschens
Führer unterzogen; es ist dies vermutlich ein Natronsalz, das
ihnen als Surrogat des Kochsalzes dient. Sie thaten sehr geheim-
nißvoll mit der Verwendung und konnten, ans Furcht vielleicht,
daß ihnen eiust dieser Erwerb auf irgend eine Weise entzogen oder
mit Steuern von Seiten des Gouvernements belegt werden möchte,
sich kaum zu der Mittheilung entschließen, daß sie dasselbe, zu
Kügelcheu geformt, gegen Magenübel anwenden.
Die Lava iin Innern des Kraters war von einer düstern,
schwarzbraunen Farbe; auf ihrer Oberfläche fanden sich zwei
weißliche Stellen mit einer kleinen runden Oefsuung, aus deren
einer noch Dämpfe aufzusteigen schienen. Die Oessunng hatte un-
gefähr einen Fuß im Durchmesser; das Gestein um sie herum zeigte
eine weißgelbe Färbung.
Auf diese und die vorhin erwähnten Fnmaroleu scheint sich
demnach die ganze jetzige vulkanische Tbätigkeit des Jornllo zn be-
schränken. Vou deu so oft erwähnten Hornitos fand sich kaum
noch eine Spur. Die Aussicht von diesem Berg ist wegen seiner
unbedeutenden Höhe und wegen der ihn umgebenden Gebirgszüge
keineswegs großartig; doch gewährt der Blick aus deu Thalkessel,
die sogenannte Playa de Jornllo, mit ihren Zuckerrohr-, Indigo-
und Wassermelonen-Feldern, die sich im Nordwesten amphithea-
tralisch au dem mit Fächerpalmen, Eichen und Tannen bedeckten
Gebirgsrücken, hinaufziehen und mit den beiden Ortschaften, den
Haciendas Playa de Jornllo und Tejamanil, immerhin ein lieb-
liches, ansprechendes Bild, an welches man sich jederzeit mit Freude
erinnert.
Nach der Zeit, in welcher der Jorullo auf der mehrfach er-
wähnten Gangspalte dem Schooße der Erde entstiegen war, scheint
er keine weiteren Ausbrüche gehabt zuhaben. Ch. Lyell erzählt
jedoch im ersten Bande seiner Gruudzüge der Geologie, daß eine
spätere Eruption im Jahre 1S19 stattgefunden habe, wie ihm vom
Kapitän Betch mitgetheilt sei. Die Eruption wäre von heftigen
Erdbeben begleitet gewesen und die dabei ausgeschlenderte Asche
sei 140 englische Meilen weit, bis nach Gnauaxuato, geflogen,
woselbst sie sechs Zoll hoch auf den Straßen gelegen habe. Bei
dieser Katastrophe sei anch der Thurm vou Gnadalaxara einge-
stürzt je. Hiergegen bemerkt jedoch Burkart, daß er zwei Mouate
au letztgenanntem Orte gelebt und mit unterrichteten Leuten über
jene angebliche Eruption und den damit verbundeneu Ascheilfall
gesprochen, nie aber etwas Zuverlässiges über jene Erscheinungen
erfahren habe. Burkart hielt sich ferner drei Jahre in Tlal-
puxahna ans, welches noch näher am Jornllo liegt als Gnanaxnato,
hat von dort ans Patzenaro nnd Valladolid besucht, beide auf dem
Wege vou Gnanaxnato nach dem Jorullo, doch au keinem dieser
Orte von jenem Aschenfall gehört, weshalb er annimmt, daß die
ganze Mittheilung aus einem Jrrthnme beruhe nnd Kapitän Vetch
den Berg wahrscheinlich gar nicht besucht habe.
Der Jsalco.
Er nnd der Jornllo scheinen die einzigen Fenerberge zn sein,
welche seit der Entdeckung von Amerika sich ans diesem Kontinente
erzeugt haben. Dnnlop ist wohl der erste Reisende, welcher die
Aufmerksamkeit der Geologen und Geographen anf dieses merk-
würdige Ereigniß geleitet hat.
Was die Entstehung des Jsalco betrifft, so besitzen wir dar-
über keine geschriebenen Dokumente; man ist einzig und allein anf
die mündlichen Aussagen der ältesten Bewohner dieser Gegend
beschränkt, welche die Erzählungen ihrer Väter noch in dem Ge-
dächtniß bewahren. Diesen znfolge war der Jsalco in ihrer Jugend
ein mäßiger Hügel, dessen Höhe etwa 500 Fnß betrug und anf
seiner Spitze mit einem weiten, feuerspeienden Schlünde versehen
war. S qni er, dessen Name noch jetzt in unseren Zeitschriften so
oft erwähnt wird nnd der in Beziehung auf die Anlage von
Eisenbahnen so häufig die ceutralamerikanischen Staaten bereist
hat, giebt den 23. Februar des Jahres 1770 als denjenigen Tag
an, au welchem der neue Krater sich geöffnet, nachdem seit dem
Ende des Jahres 1709 die Erde unaufhörlich gebebt habe. Dieser
Angabe soll jedoch nnserm Landsmanne Moriz Wagner zufolge,
kein große? Vertrauen zu schenken sein. Als dieser ausgezeichnete
Naturforscher sich vor mehreren Jahren im Staate San Salvador
aufhielt nnd mit so vielem Erfolge sich der Untersuchung desselben
in naturgeschichtlicher Beziehung unterzog, lernte er daselbst einen
alten Indianer kennen, welcher im Jahre 1769 geboren war.
Dieser hatte noch in seinen Kinderjahren den Jsalco als einen
niedrigen Berg gekannt, welcher damals einen größern Feuer-
schluud besaß als jetzt, und zu jener Zeit auch iu stärkerm Aufruhr
begriffen war. Sein Vater habe ihm oft erzählt, so sagte er,
wie unweit eines andern Kegelberges, welchen man zuvor Jsalco
genannt nnd für einen erloschenen „Volcano" gehalten, die Erde
sich mit furchtbarem Krachen geöffnet und ans dem Schlünde
ungeheure Massen von glühenden Steinen ausgeworfen habe,
während zu gleicher Zeit auch sehr viel Lava ausgeflossen sei. Von
der plötzlichen Erhebung eines Berges wußte er uichtS zu erzählen,
vielmehr behauptete er entschieden, der Berg sei nach nnd nach ans
der schiefen Ebene durch feine eigenen Laven- und Schlackenaus-
würfe groß und hoch geworden, obgleich solches nur langsam
geschah. Als Knabe ging er oft mit seinen Kaineraden aus Neu-
gierde in die Nähe des Vulkans, um das schöne, jenem Krater
entsteigende Feuerwerk zu betrachten. Wenn nun nach einem
solchen Besuch eine längere Zeit verstrichen war, so schien ihm
der Berg an Höhe zngeuommeu zu habe». Dies sei besonders
nach drei größeren, zu verschiedener Zeit erfolgten Eruptionen der
Fall gewesen. Die erste derselben fand noch in seinen Kinder-
jähren statt und hielt drei Mouate au. Bei nächtlicher Zeit ver-
breitete sich über die ganze Gegend ein heller Schein, während die
Lavaströme 2 Leguas nordöstlich in der Richtung von Santa Anna
ihre Fenerglnt verbreiteten. Etwa 30 Jahre später verheerte eine
andere, noch stärkere Eruption die Gegend, bei welcher sich die
Lavaströme 3 Leguas weit vom Fnße des Berges erstreckten.
Damals flog die Asche bis nach dem Dorfe Jsalco, dessen Ein-
wohner zu dem in dieser Gegend seßhaften Stamme der Azcatlan-
Indianer gehören, die sich frei von jeder Vermischung mit der kau-
kasischen Race erhalten haben, und Schwefel und andere vulkanische
Produkte sammeln, nm sie zn verkaufen. Der letzte große Aus-
bruch ereignete sich im Jahre 1802. Der Aschenregen bedeckte die
.Felder rund um den Vulkan bis anf eine Strecke von 2 Leguas,
und die Detonationen waren so heftig, daß die Häuser der näher
und ferner gelegenen Oerter Jsalco nnd Sonsonate in ihren Grund-
vesten erschüttert wurden. Die Lava ergoß sich langsam in östlicher
Richtung, legte durchschnittlich <>0 Varas am Tage zurück und
floß über drei Monate lang fort. Die von jenem Ausbruche her-
stammenden Lavafelder sind entweder noch jetzt ganz kahl oder nur
mit winzigen kryptogamischen Pflanzen überzogen. Die Felder,
welche von der vulkanischen Asche bedeckt wurden, konnte man erst
nach fünf Jahren wieder besäen; sie brachten aber seitdem reich-
liche Ernten.
Im Allgemeinen ist so viel gewiß, daß der Jsalco in den
dem Innern der Erde
entstiegene Fenerberge.
373
ersten Jahren seiner Thätigkeit nur ein mäßiger Hügel war; seine
dermalige Höhe wird aber sehr verschieden angegeben. Nach
Squier beträgt sie 1500bis2000, nach M. Wagner 3200, nach
Stephens sogar 6000 Fuß, was aber wohl zn hoch gegriffen
sein dürfte. Die Hohe wird sich aber wahrscheinlich mir für
einige Zeit ermitteln lassen, denn alle Angaben stimmen darin
überein, daß der Berg bisher mit jedem Jahre an Höhe znge-
nommen habe.
Wie wir bereits sahen, so fällt die Entstehung des Jsalco,
nach Squier, in das Jahr 1770. Er erhob sich, seinerEzählnng
zufolge, mitten in einer Ebene nnd bedeckt jetzt einen Raum,
welchen ehedem ein schönes Landgut einnahm. Schon gegen das
Ende des Jahres 1769 wurden die Bewohner dieses Gutes durch
unterirdisches Getöse nnd Erderschütterungen in Schrecken gesetzt,
deren Intensität sich stets steigerte. Endlich brach am 23. Februar
1770 etwa V2 Meile von den Gutsgebändeu die Erde auf und Lava
nebst vielen Ranch drang aus der Oeffnnng hervor. In Folge
dieses Umstandes ergriffen die in der Nähe wohnenden Leute die
Flucht, mit Ausnahme der Vaqueros oder Hirten, welche täglich
nach der Hacieuda kamen nnd eine beständige Zunahme von
Rauch meldeten. Der Lavaergnß wurde zeitweise unterbrochen,
dafür aber wurden ungeheure Massen von Asche und Steinen aus-
geworfen, welche rings um die entstandene Oeffnnng einen immer
größer werdeudeu Kegel bildeten. DieserProceß wiederholte sich eiue
geraume Zeit hindurch; seit vielen Jahren wirft aber der Vulkan
keine Lava mehr ans, doch befindet er sich noch gegenwärtig in
einem Znstande dauernder Eruption. Es erfolgen nämlich nach
einer Zeit von 15 bis l(> Minuten Explosionen, verbunden mit
einem Getöse, welches dem Abfeuern eines Artillerieparks gleicht,
begleitet von dichtem Ranch nnd einer Wolke von Asche nnd Steinen,
die nach allen Richtungen hin herabfallen nnd die Höhe des Kegels
stets vermehren, so daß hierdurch dieselbe in den letzten 28 Jahren
um ein Drittel zugenominen haben soll. Zu manchen Zeiten sind
die Explosionen heftiger und die ausgeworfenen Massen nnisang-
reicher; trotzdem solleu die Detonationen stets dieselbe Regel-
Mäßigkeit wahrnehmen lassen. Bisweilen wird die vulkanische
Asche bis zu der 12 Meilen entfernten Stadt Sonsonate fort-
geschleudert. Nach Squier ist der Jfalco, abweichend von der
Entstehungsart des Jornllo, das Resultat lange Zeit fortgesetzter
Aufschichtungen, und auf diese Weise sollen auch ihm zufolge die
meisten Vulkane von Central-Amerika entstanden seiu.
In Beziehung ans die neuere Entstehung des Berges erzählt
mich Stephens in seinen Reise-Erlebnissen in Mittel-Amerika:
der Pfarrer von Sonsouate, welcher uoch in der Kraft der Jahre
stand, habe ihm mitgetheilt, daß er sich noch sehr gnt der Zeit be-
sinnen könne, wo der Boden, ans welchem der Jsalco jetzt stehe,
sich von seiner ganzen Umgebung in Nichts unterschieden habe. Im
Jahre 1798 habe er eine kleine Oeffnnng entdeckt, welche kleine
Steine n. dergl. auswarf. Späterhin habe der Berg von Jahr
zn Jahr zugeuommen, bis er znletzt geworden, was er jetzt
sei. Hiermit stimmen auch die Nachrichten überein, welche M.
Wagner erhielt, als er in der Nähe des Jsalco sich aufhielt.
Die ältesten Mäuuer der jetzigen Generation kannten ihn schon
als kleinen Hügel und sahen den Berg nnter ihren Angen wach-
sen. Oft haben alte Leute die wunderbare Geschichte erzählt,
wie mitten in einer grünenden Hochebene, wo einst eine kleine
Hacieuda gestanden, der Erdboden unter gewaltigem Beben sich
geöffnet, Schlacken, Asche und Dampf mit furchtbarem Gebrülle
aus dem offenen Schlünde weithin geschleudert wurden, während
die Landschaft anf viele Legnas in die Rnnde, in Folge des heftigen
Aschenregens, sich in dichte Finsterniß hüllte. Als die letztere
indeß nach wenigen Tagen verschwand, erblickte man einen Hügel
von mäßiger Höhe, welcher durch ausfließende Lavaströme und
emporgeschleuderte Schlacken allmälig zu einem wahren Berg
anwuchs. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte wichen die heftigen
Paroxismal der großen Ausbrüche jenem gewöhnlichen Spiel einer
mäßigen, eruptiven Thätigkeit, wie ihn auch der Vulkan anf
Stromboli — diese stets wahrnehmbare Leuchte deö Mittellän-
dischen Meeres, wie ihn die Schiffer nernten —, sodann anch viele
Vulkane der Südsee-Jnseln nnd selbst der Vesnv und Aetna
mitunter uoch jetzt zeigen.
Der Jsalco ist von der Küste des Stillen Meeres nur eiue
einzige kleine Tagereise entfernt. Man erblickt das majestätische
Spiel seines beständigen Feuerwerks bereits überaus schön ans
der Umgegend des schon mehrfach genannten Städtchens Sonsonate,
welches in mäßiger Entfernung von dem Bülkau im reichen
Schimmer tropischer Pflanzenwelt unter Gruppen mächtiger Kokos-
Palmen und Bhangobänmen eine der reizendsten Lagen nnter allen
Städten Central-Amerikas besitzt. Nordöstlich nnd ganz in der
Nähe des Jsalco liegt der Cerro Chino, der ihn an Höhe um
etwa 1000 Fuß übertrifft. Auch er ist vulkanischer Natur und war
vielleicht in früherer Zeit noch thätig, doch besitzen wir hierüber
weder schriftliche noch mündliche Ueberliefernngen.
Als M. Wagner sich dem Jsalco näherte, konnte er deutlich
die von furchtbaren Detonationen begleiteten Schlackenausbrüche
beobachten. Die stärksten dieser eruptiven Salven — gewöhnlich
die fünften, nachdem vier schwächere ihnen vorausgegangen —
schleuderten ihre Projektile bis zu einer Höhe von 800 bis 1000 Fuß.
Als es dunkel wurde, erschienen diese Auswürflinge in förmlicher
Glut; gegen 9 Uhr Abends erlaugte das feurige Spiel den höchsten
Punkt seiner Pracht.
Was die Gesteins-Beschaffenheit des Jsalco betrifft, so
gleichen die an ihm vorkommenden Laven denjenigen, welche der
Vesuv und der Aetna in neuerer Zeit ergossen; sie sind Vorzugs-
weise basaltisch und doleritisch, sehr schlackig und voller Blasen-
räume; mit wenigen krystallinischeu Einschlüssen. In den Aus-
würflingen bemerkte M. Wag ue r viele Krystalle von glasigem
Feldspath, Leuzit nnd Angit. Auf der halben Höhe des Kegels lag
ein ungeheurer Felsblock, dessen Gewicht wenigstens 500 Centner
betrug. Es war ein porphyrartiges Trachytgestein, dem Audesit
der Cordillereu überaus ähnlich, erfüllt mit kleinen Krystallen von
glasigein Feldspath. Allem Anscheine nach gehörte dieser Block
einst zu dein kompakten Gesteine des Plateangrnndes, welches der
Jsalco durchbohrt und gesprengt hatte, als er seinen Krater öffnete.
Bei einem der stärkeren Ausbrüche war er wahrscheinlich emporge-
schleudert worden. Etwa 300 Fuß unterhalb des Gipfels traf
Wagner wiederum einen ausgeworfenen Trachytblock an, ganz
ähnlich dein vorigen. Als man sich 400 Fnß unterhalb des Krater-
randes befand, verspürte man schon eine bedeutende Erwärmung
deö Bodens, obgleich hier die Asche mehrere Fuß hoch lag. Zum
Krater selbst konnte man nicht gelangen, doch erblickte Wagner
von einem günstigen Standpunkt aus deutlich seinen nordöstlichen
Rand. Dieser war überaus zerrisse» und zackig, im Ganzen
dunkel, stellenweise röthlich oder schwefelgelb gefärbt, wie die obern
Wände des Volcano del Fuego in Guatemala. Seine Umrisse
glichen ans der Ferne den Zinnen einer Burgruine. Südwestlich
von diesem Krater ragte ein Aschenkegel empor, der sich im Innern
des Jsalco selbst gebildet hatte, die Wände desselben an Höhe
übertraf und seiu ephemeres Dasein wahrscheinlich so lange
behalten hat, bis eine stärkere Eruption ihn zerstörte. Von Vege-
tation fand sich auf dieser Höhe keine Spur mehr. Zu seiner
großen Verwunderung erblickte M. Wagner hier noch mehrere
Insekten, wie denn anch solche A. v. Humboldt bekanntlich noch
14,000 Fnß höher in der ewigen Schneeregion des Chimborasso
entdeckt hat. An beiden Orten mögen sie durch Luftströmungen in
diese unwirthlichen Regionen geführt worden sein.
Als M. Wagner in die Nähe des Gipfels des Vulkans
gelaugt war, hatte dieser letztere beinahe drei volle Stunden in
seinem Schweigen verharrt; nur eiue dünne, weißliche Dampf-
wölke wirbelte aus ihm empor. Da plötzlich erfolgte ein dumpfes,
uuterirdifches Dröhnen, verbunden mit einem starken Erzittern des
374
Schwedische Gebräuche bei
feierlichen Gelegenheiten.
Kegels. Unter dem stärksten donnerartigen Gebrüll flog ein ge-
waltiger Regen von vielen tausend glühenden Schlacken in die
Luft, von denen die meisten auf den südwestlichen Abhang des
Gipfels, viele auch in den Krater zurückfielen. Einige von den
größeren wurden auf die südwestliche Seite geschleudert und rollten
krachend, gleich Lawinen, den steilen Abhang hinunter. In Folge
der fast unaufhörlichen Eruptionen ist die Besteigung des Jsalco
mit Lebensgefahr verbunden, und da M. Wagner ohne alle Be-
gleitung war, so entschloß er sich zur Rückkehr.
Zur Zeit, als Stephens den Jsalco besuchte, fanden sich in
seinem Krater drei Oeffnnngen, von denen die eine uuthätig war,
während ans der zweiten ununterbrochen ein prächtig blaugefärbter
Rauch aufstieg und aus dem ungeheuer tiefen Schlünde der dritten
nach einem vorausgegangenen Knall ein hellblauer Dunst sich
erhob und hierauf eilte Masse dicken, schwarzen Qualms, der in
ungeheuren Wogen wirbelnd sich aufwärts drängte, und iu einer
dunkeln majestätischen Sänlr aufstieg, die für einen Augenblick vou
einem weithin leuchtenden Blitze durchzuckt wurde. Wenn alsdann
die Rauchsäule auseinander fuhr nud zerstiebte, so wurde die Luft
durch einen dichten Stein- und Aschenregen verdunkelt. Hierauf
folgte eine augenblickliche Stille, dann ein neuer, mit einem lauten
Donner verbundener Ausbruch. Alles dies wiederholte sich reget-
mäßig in einem Zwischenräume von fünf Minuten. Da der
Jsalco fast nie ruht, sondern in steter, wenn auch iu der Regel
nur mäßiger Thätigkeit begriffen ist, so findet man auch nur die
heftigeren unter seineu vielen Eruptionen erwähnt. Zu diefeu
gehörten die im Jahre 1798 erfolgte, so wie einige andere iu den
Jahren 1895 bis 1807. Die Ausbrüche waren in dieser Zeit
äußerst heftig und hielten mehrere Tage hindurch an. Nach
Thompson hatte er im Jahre 1825 eine Eruption, wodurch der
Lauf des Rio Tequisquillo verändert und letzterer genöthigt wurde,
zwei Leguas vou Sousouate sich iu's Meer zu ergießen. Im
Jahre 1836 befand sich der Berg , wie Galiudo berichtet, wiederum
in sehr großer Aufregung. Auch in dieser Gegend, so wie in vielen
anderen, überhaupt in solchen, wo es Vulkane giebt, hat man die
Bemerkung gemacht, daß diese Berge nicht so sehr zn fürchten sind,
wenn sie feurige Ausbrüche haben, als vielmehr in dein Falle,
wenn sie entweder gar uicht oder nur schwach rauchen. — Schließlich
wollen wir noch bemerken, daß der Jsalco anch unter dem Namen
VulkauvouSonsonate oder von Trinidad vorkommt. L.
Schwedische Gebräuche bei feierlichen Gelegenheiten.
Weihnachtssest. — Steffcmsskedct. — Wallborgsmesse. — Mittsommerwoche. — Hexeilglaube. — Feste in Stockholm. —
Stockholm, Ende Februars.
Das fröhlichste Fest für den schwedischen Bauer ist das Weih-
nachts fest (Jul), welches schon in der heidnischen Zeit das vor-
nehmste unter den jährlichen Festen war; deshalb erinnern auch
viele noch jetzt übliche Sitteu und Gebräuche an das Heidenthun?.
Damals feierte man das Fest des wiederkehrenden Sonnen-
lichtes, nud die feierlichen Gebräuche, welche damit verbunden
waren, konnten leicht übergehen auf das christliche Fest, welches
zur Erinnerung an das Auftreten des „göttlichen Lichtes iu mensch-
licher Gestalt" auf Erden eingesetzt ist.
Schon am Nachmittage vor dem Feste, au dem sogenannten
Weihnachtsabend, hören alle Arbeiten auf, und iu dem Hause des
Bauern soll Alles rein und blank sein. Mau zieht Festkleider an,
das Bich erhält besseres Futter als gewöhnlich, ja selbst für die
Vögel wird auf einer Stange am Giebel des Hauses eine volle
Garbe ausgesetzt, denn Alle sollen froh sein am Weihnachtsfeste.
Der Fußboden im Zimmer wird mit Stroh bedeckt und auf dem
Herd ein lustiges Feuer angezündet, um welches mau sich sammelt,
um zu plaudern nud zu spieleu. Iu den Städten und ans den
größeren Gütern werden „Julklappar", d. i. Weihuachts-
geschenke, ansgetheilt, und zwar vorzugsweise an Kinder, denn
Weihnachten ist ja vorzugsweise eiu Kinderfest; bei dem eigent-
lichen Bauer aber weiß mau nichts von solchen Geschenken. Am
späten Abend wird im Bauerhause der Tisch gedeckt, das Beste,
was das Haus hergiebt, aufgetragen und vor jede Person ein
brennendes Licht gesetzt. An manchen Orten ist oder war es Sitte,
während der Nacht ein Licht brennen zu lasseu und genau Acht zu
geben, weil man glaubte, die Flamme würde sich in dem Augen-
blicke, da Christus geboren wurde, in zwei Theile zertheilen.
Große aufgethürmte Hausen (Jolhögar) von feinerm Brote
bilden die vornehmsten Zierden des Tisches, auch ist in manchen
Provinzen die alte Sitte noch beibehalten, oben auf den Hänfen
ein mit Bildern von verschiedenen Ackergeräthen verziertes Brot
zn legen. Dies ist der sogenannte Pflugkuchen, welcher bis
zum Frühling verwahrt und draußen auf dem Acker von den
Arbeitern gegefseu wird.
Ein Hauptgericht ist derWeihuachtseber, eine Erinnerung
an Frejr's Eber bei den heidnischen Vorfahren, oder wenigstens
der Weihnachtsschinken. Ebenso unentbehrlich sind Stockfisch
und Reisbrei, auf welchen letztern jeder „reimen", d. h. ein paar
gereimte Verse hersagen muß, ehe er davou esseu darf. Nach
beendigter Mahlzeit wird ein Weihnachtslied gesungen, und man
verschließt sorgfältig die Thören; denn in der Weihuachtsnacht
feiern auch die Geister ihr Fest und schleichen sich gern bei den
Menschen ein, um ihnen Schaden zuzufügen.
Noch jetzt werden unter dem Volke zahlreiche Sagen vou dem
Treiben der Geister in dieser Nacht erzählt: wie sie ihr Fest unter
großen Steinen feiern, die auf goldenen Pfeilern ruhen, uud wie
sie einem etwa vorbeikommenden Wanderer sogleich eiu bis an den
Rand gefülltes Trinkhorn reichen. Doch mag er sich hüten,
dasselbe zu leeren; ja, wenn nur eiu Tropfen von dem darin ent-
halteuen Trank anf das Pferd fällt, wird augenblicklich das Haar
versengt und bald erfolgt unausbleiblich der Tod. Auch die Ver-
storbeuen pflegen in dieser Nacht wieder „um zu gehen", ja wohl
ihren Frühgottesdienst in der Kirche zu feiern, ehe die lebenden
Christen ihren Gottesdienst beginnen. So wird erzählt, daß auf
Äugsö, einer Insel im Mälar unweit Westerts, die Schloßfrau
in der Weihnachtsnacht davon erwachte, daß sie die Töne der
Orgel in der naheliegenden Kirche hörte, deren hell erleuchtete
Fenster durch die dunkle Nacht schimmerten. In dem Glanben,
sie hätte sich verschlafen und die Frühpredigt schon begonnen, weckte
sie sogleich ihre Kammerjungfer, zog sich schnell an und eilte, be-
gleitet von ihrer Dienerin, in die Kirche. Die Kirchthüren standen
offen, die Weihnachtslichter brannten, die Orgel brauste uud alle
Bäuke waren mit Kirchleuteu angefüllt; aber alle in Leichenkleidern,
uud aus manchem Kopftnche sah ein Todtenkopf hervor. Erschrocken
blickte die Frau um sich ; da näherte sich ihr eine Gestalt, in welcher
sie eiu Dieiistluädcheu erkannte, das vor Kurzem gestorben war.
„Was wollen die Lebendigen in der Frühpredigt der Todteu?"
fragte dieses die bestürzte Frau und rieth ihr, sich eiligst zu ent-
fernen. Doch zu beiden Seiten der Thür standen ihre beiden ver-
storbeuen Gatten, und sie mußte, so schnell sie konnte, zwischen
Schwedische Gebräuche bei feierlichen Gelegenheiten.
375
ihnen hindurcheilen, ohne sich umzusehen, wenn sie noch länger zn
leben wünschte und nicht für immer bei den Todten bleiben wollte.
Die Frau befolgte den Rath und kam glücklich hinaus, obgleich
die eine von den an der Thür stehenden Gestalten ihr den Schleier
abriß, den man am folgenden Morgen auf dem Fußboden liegend
fand und der uoch heutiges Tages zum Andenken an diese Be-
gebenheit an einem Pfeiler in der Kirche hängt. Als die Frau
glücklich herausgekommen war, sah sie sich um nach ihrer lebendigen
Dienerin, die mit ihr in die Kirche gegangen war; aber sie hörte
nur einen herzzerreißenden Schrei — die Dienerin kam nicht
zurück.
Doch die Frühpredigt für die Lebendigen auf dem Land ist
wohl geeignet, dergleichen unheimliche Vorstellungen zu verwischen.
Sobald der Hahn zum ersten Male gekräht hat, ist Alles lebendig
und in Bewegung. Au einem frischen, kalten Wintermorgen be-
lebt die Scene sich uoch mehr. Die Pferde werden ans dem Stalle
geführt und vor die Schlitten gespannt, die Fahrenden iu Decken
und Felle eingepackt, und der hinten auf den Schlittenkufen stehende
Knecht muntert-seine schellenbehängten Renner mit lautem Zuruf
zur Eile au, denn es gilt für eine Ehre, zuerst zur Kirche zu
kommen, deren hell erleuchtete Fenster in der Ferne einladend
blinken. Auch die Gräber auf dem Kirchhofe pflegen an diesem
Morgen beleuchtet zu seiu. Von allen Seiteil eilen Fahrende und
Gehende herbei, die Meisten mit Fackeln versehen, Alle fröhlich und
vergnügt. Man wirft, sobald Alle vor der Kirche versammelt find,
die Fackeln aus einen Haufen, der während des ganzen Gottes-
dieustes munter knistert und flammt. Nack; Beendigung des letztern
gilt es, die Schnelligkeit der Pferde zn prüfen; denn Derjenige,
welcher vor den Uebrigen aus der Frühpredigt am ersten Weih-
nachtstag aus der Kirche uach Hanse kommt, wird auch unter-
allen Nachbarn zuerst mit dem Ackerbau und der Ernte im nächsten
Jahre fertig werden. Jede Haushaltung verlebt dann diesen Festtag
für sich, ohne Besuche zu machen oder anzunehmen.
Am zweiten Weihnachtstage pflegte man ehemals das s. g.
„Stassansfkedet" zu reiten, und an manchen Orten geschieht
das noch jetzt. Es ist ein Wettreiten, gewöhnlich nach einer
Quelle in einem andern Kirchspiel oder einem Dorfe, um dort die
Pferde zu tränken. Der Name erinnert au den heiligen Staffau
(Stephanus), den Apostel vou Helfmgland und Patron der Pferde
und Reiter, der auch darum iu dem Volkslieds „Staffau Stall-
knecht" heißt. Auf diesem Ritte wird das Sankt-Stasfans-
lied gesungen, und die Reitenden erwarten in jedem Hos, au
welchem sie vorbeikommen, eine Bewirthung; auch erlauben sie
sich mancherlei Possen gegen Diejenigen, welche im Rufe des Geizes
stehen oder gegen die man sonst etwas hat. Von dein zweiten
Weihnachtstag an beginnen die allgemeineren Weihnachtsbe-
lustigungeu: man versammelt sich zu Tanz und Spiel, und von
dem Tag und Nacht gedeckten Tische mag sich Jeder nach Belieben
nehmen was er will, und Niemand soll „Weihnachten hinaus-
tragen", d. i. das Vergnügen stören. So dauert es
zwanzig Tage, denn erst am Tage Knut, am 13. Januar, er-
reicht das Weihnachtsfest mit Tanz ein Ende, daher das allgemein
gebräuchliche Sprichwort: „Am zwanzigsten Tage Knut
wird Weihnachten ausgetauzt", uud darum wird auch
auf dem Rnnenstabe dieser Tag durch eiu umgekehrtes Trinkhorn
bezeichuet. Kirchlich gefeiert werden, außer deu eintreffenden
Sonntagen, die beiden Weihnachtstage, der Neujahrstag uud der
heilige Dreikönigstag (Trettondagen, d. i. der dreizehnte
Weihnachtstag), an welchem auch in allen Kirchen Frühpredigt
(O ttesang) gehalten wird, was sonst auf dem Laude nicht mehr
geschieht.
Außer Weihnachten wird auch die Wallborgsmeffe oder
die Nacht vom 30. April auf den 1. Mai mit Anzünden von Lust-
feuern und Theertouneu, mit Schießen und reichlichem Trinken ge-
feiert, denn an diesem Abende soll man sich „Mark in die Knochen
trinken". Die Hexen aber, welche in Deutschland in dieser
Nacht uach dem Blocksberge reiten, haben in Schweden schon am
grünen Donnerstag ihre Reise nach dem Blakulla angetreten,
daher man anch am Osterabende zn schießen pflegt, weil diese
Hexen dann von ihrer Fahrt zurückkehren. Dieser Aberglaube hat
in Schweden eine bedeutende Rolle gespielt; besonders unter der
Regierung Karls XI. (1660—1697) waren dieHexenprocesse häufig
uud überall iu Schweden flammten die Scheiterhaufen.
Auch der Johannistag, den man hier Mittsommer (Mld-
sommar) nennt, wird überall im Laude als ein Freudenfest ge-
feiert. Mau errichtet aiu 23. Juni, Nachmittags, eine hohe, mit
Laub, Blumen, Bändern und anderen Zierrathen errichtete Stange
die man Maistange nennt, und tanzt um dieselbe die ganze Nacht
hindurch; daher nennt mau dieses anch die „Mittsommer-
wache". Dieses geht natürlich in Schweden, wo die Abend- und
Morgendämmerung sich ablösen, ohne daß eine Finsterniß eintritt.
Außerdem werden auch alle Gitterthore verziert mit hohen Bogen
von zusammengebundenen grünen Birkenreisern, durchflochten mit
Blumen, auch schmückt mau die Zimmer mit Laub und Kränzen.
Das Letztere geschieht sogar hier in Stockholm; am 22. Juni
kommen von allen Seiten, besonders von der Mälarseite, zahllose
Boote mit Lanb, Blumen und Kränzen, uud hier wird dann der
Laubmarkt gehalten. Es ist ein wahres Volksfest geworden,
Tausende von Käufern, besonders Kinder, finden sich ein, um
diese Schätze des Sommers einzuhandeln und wenigstens eine
Erinnerung an den frischen Wald und die blühende Wiese, nach
Hause zu tragen, wodurch wenigstens für eine kurze Zeit das Ange
einen Kontrast sieht gegen die hohen Hänsermassen, zwischen denen
man kaum einen Streifen blauen Himmels zu erblicken vermag.
Die Johannisnacht hat auch ihre mystische Bedutuug, denn
in ihr muß das Mädchen, wenn sie von ihrem künftigen Gatten
träumen will, neun verschiedene Blumen pflücken und
unter ihr Kopfkissen legen ; auch muß sich der Kranke mit dem Than,
der iu der Nacht fällt, waschen; da wird er ganz gewiß seine Gc*
suudheit wieder erlangen.
Natürlich sind die Gebräuche uud Gewohnheiten in dem großen
Lande Schweden nicht überall gleich, aber in deu Hauptzügen ein-
ander wenigstens ähnlich. Stockholm ist am Johannistage wie
ausgestorben; jeder, der irgend Bekannte auf dem Lande hat,
eilt hinweg aus dem Dnnstkreife der Stadt, nnd die Geistlichen
predigen daher gewöhnlich vor leeren Wänden, obwohl der Tag
ein hoher kirchlicher Feiertag ist. Am l. Mai erwacht Stockholm
von seinem langen Winterschlaf und man eilt hinaus iu den Thier-
garten, um deu Frühling zn begrüßen. Zwar liegt manchmal
noch hier und da etwas Schnee, zwar werden die Bänme vor dem
l. Jnni nicht grün, zwar wird es am Abend oft empfindlich kalt;
doch was schadet das: der Eine will seine neue Equipage nnd seine
Pferde zeigen, der Andere will sehen nnd sich sehen lassen, Alle
aber wollen vergnügt sein uud „sich Mark iu die Knochen trinken";
deshalb wimmelt der schöne Thiergarten von Menschen, und man
wird nicht zn viel rechnen, wenn man behauptet, daß an diesem
Nachmittage wenigstens 50,000 Leute sich dort bewegen. —
Ein anderes Volksfest der Stockholmer ist seit 1829 der
26. Juli geworden, au welchem Tage im Thiergarten die kolossale
Büste des schwedischen Auakreou, Carl Michael Bellman, ent-
hüllt wnrde; seitdem wird dieser Tag des nnsterblichen Dichters
nnd Improvisators gefeiert. E. F. F.
376
Der Neichthum an Edelmetallen in Californien nnd Nevada.
Der Neichthum an Edelmetallen in Californien nnd Nevada.
Wir verdanken einem „Freunde des Globus" zu San Francisco
die Mittheilung von Blättern und Ausschnitten aus Zeitungen, iu
denen wir manche interessante Angaben finden. Wir werden sie
für unsere Zeitschrift benutzen, und geben heute einen Bericht über
den iu der That ungeheuer» Neichthum au Edelmetallen und über
die große Rührigkeit, welche iu deu Grubenrevieren Californiens
und der angrenzenden Territorien herrscht. Diese Nebersicht ist zu
Ende des Jahres 1862 entworfen worden. Der Leser wird sehen,
wie in das califvrnische Deutsch sich eiue Menge von Fremd-
Wörtern eingedrängt hat; wir wollen aber nichts daran ändern,
weil die Sache selbst bezeichnend ist. In neuen Verhältnisse» ge-
Winnen mich neue Namen und Ausdrücke Bürgerrecht. So ist das
nordamerikanische Englisch vom australischen Englisch und von
jenem in Europa iu mannigfacher Weise verschieden, und auch, in
unsere deutsche Sprache dringen viele fremde Wörter ein; sie ge-
winilt dadurch das Ansehen einer buntscheckigen Mosaik, aber daran
läßt sich nichts ändern; die neuen Ausdrücke haben sich ihr Recht
erobert und behaupten dasselbe. Hier ist der Bericht.
— Das Jahr 1862 war für die Miner-Bevölkerung wieder voll
Aufregung. Diese letztere ist es iu der That, welche eine große
Anzahl unserer Miner iu ihrem Wirkungskreis erhält. Unsere cali-
sornischen Goldfelder und Quarz cl a im s sind zwar gleichmäßig er-
giebig, wiewohl schon beinahe seit einem Decennium die Minen
aufgehört haben, ein Schlaraffenland zu fein oder an Fortuuatus'
Glückssäckel zu erinnern. Kein Thier der Naturgeschichte hat in
Californien mehr Verehrer als der Elephant, nnd so oft ihn auch
schon Viele gesehen haben, so haben sie doch immer wieder eine
große Sehnsucht nach demselben.
Die vollgepfropften Mctoria-Steamer, deren Menschenfracht
für die neueutdeckteu Goldminen am Salmou River nnd im
Carib o o Distrikt bestimmt waren, erinnerten sehr an die frühere
Auswanderung nach Frazer River. Nicht weil mau als Calisoruier
gegen Mmen iu Washington Territorium oder Britisch Columbia
aus Selbstinteresse ein Vornrtheil hatte, sondern weil man die Nach-
theile der klimatischen Verhältnisse uud auch die Übertreibungen
kannte, wodurch Spekulanten eine Aufregung hervorzubringen'und
zu erhalten verstehen, erhoben sich der mahnende» Stimmen genug,
so daß Die, welche iu jeneu Distrikten wirklich den Elephauteu ge-
sehen, Niemanden einen Vorwurf zu machen haben. Dnrch die
Auswanderung haben zunächst Portland nnd Victoria, dann einige
glückliche Kaufleute iu neu entstandeneu Minenplätzen gewonnen.
In deu uothweudigsteu Verbrauchsartikeln werden unter allen Um-
ständen gute Geschäfte au jeneu Plätzen gemacht, wo die Man-
deruug ihren Centralpunkt findet.
Man kann nicht sagen, daß die Goldminen iu jenen Distrikten
Humbug sind, allem die Chancen sind für eine Masse von Menschen
jedenfalls geringer, als in irgend einem Theile der calif?rnischen
Minen. Die Summe des am Salmon River und in benachbarten
Distrikten, sowie des in Cariboo herausgeuommeueu Goldes auch
nur annäherungsweise anzugeben, ist nicht möglich. Man kann
weder bei dem bei den hiesigen Assay-Ossicen deponirten Golde von
dem Norden auf dessen Herkunft schließen, noch hat mau Anhalts-
punkte für die Ermittelung alles gewonnenen Goldes. Bekannt-
lich wird iu Minen-Angelegenheiteil bedeutend viel gelogen, und wie
man von Müllchhauseniadeu und Jäger-Latein spricht, so ist man
auf's Vollständigste berechtigt, von Miuer-Lateiu zu reden. Ein-
zelue Wenige haben am Salmon River ihr Glück gemacht; die
Meisten, welche mit großen Erwartungen von hier abgereist sind,
sind aber ärmer an Geld, reicher au Erfahrung zurückgekehrt. In
Cariboo, wo das Gold nur in einzelnen, an Größe sehr wechselnden
Adern vorkommt, stellt sich das Verhältniß der getäuschten zu deu
glücklichen Miner« noch ungünstiger, als iu dem Salmon-River-
Distrikt heraus. Zur Winterszeit bleiben nur sehr Wenige in jenen
Minen, da Kälte und Schnee nicht blos die Minenarbeiten nn-
möglich, sondern deu Aufenthalt sogar gefährlich macheu. Nur
vier Mouate im Jahre eignen sich überhaupt zur Bearbeitung jener
nördlichen Golddistrikte.
Kurz uach der Aufregung, welche die Miner nach dem Norden
gelockt, tauchte die Nachricht von neu entdeckten Minen am Co-
loradoflnß auf, gleichsam um auszudrücken, daß derElephant
nicht blos im kalten Norden sein Fortkommen findet, sondern auch
im heiße» Süden gedeiht. Nur von Los Angeles uud anderen
Gegeudeu unseres südlichen Staates brach mau uach den Minen auf.
Hier bei uns ging die Aufregung ziemlich spurlos vorüber. Die
Berichte über den Reichthum jener Colorado-Mineu waren anfangs
sehr widersprechend.. Die Mittheilungen von Lieutenant Mowry
aus Arizona scheinen der Wahrheit am nächsten zu kommen. Er be-
suchte dieMohave- oder La Paz-Golddistrikte. DiePlacers
liegen ungefähr sechs Meilen vou der Stadt La Paz zurück uud er-
strecken sich weithin gegen deu Gila uud Rio Grande. Die Placers
liegen hier und da zerstreut, oft reichhaltig mit grobem Golde;
aber während man beinahe überall die „Color" finden kann, sind
bezahlende Claims weder zahlreich noch ausgedehnt.
Ungefähr zweihundert Miner waren uach deu „Chimney
Peak" Minen an dem Flusse, ungefähr 50 Meilen abwärts, ge-
gangen, wo anfangs November ein ziemlich bedeutender Betrag
vou feinem Golde herausgenommen worden ist. Ravinen sollen
in dem Umkreise von fünf Meilen pro spektirt worden sein und
Arbeiter von 3 Dollars bis 2 Unzen per Tag gewonnen haben. Ein
Manu soll 25 Dollars, ein anderer 90 Dollars aus einer Pfanne
gewaschen haben; jedoch mnß man bedenken, daß der Münchhausen
überall seine Rolle spielt, also auch am Colorado. Das Wasser
ist spärlich nnd wird eigentlich nur zum Trinken denutzt uud des-
halb zu zwei Bits per Gallone verkauft. Der ganze Fluß enthält
Gold, aber die Chancen, eiueu guten Claim zu bekommen, find so
gering, daß es für eiueu nördliche» Miner nicht lohnt, einen auf-
zusucheu. Für Mexikaner, welche billig leben und das Trocken-
waschen ordentlich verstehen, mag die Coloradogegeud wohl taug-
lich sein.
Weit wichtiger erscheinen in jener Gegend die Silber- nnd
Goldquarz-Aderu zu sein. Eine Anzahl derselben sind ge-
öffnet uud mau hat deren Bearbeitung in allem Ernste begonnen.
Hermann Ehrenberg, der Pionier von Arizona, welcher vor
einiger Zeit auch den Washoe-Distrikt besucht hat, hegt die sangui-
nischsten Erwartungen von dem zu erwartenden Silberertrage, bei
dessen Verschiffung freilich größere Erleichterungen geboten sein
würden, als für das Ore (Erz) des Washoe-Distrikts. Es ist jetzt
Mode geworden, sich um die Entdeckung neuer Silberaderu zu be-
kümmern, deshalb wird sich auch bald herausstellen, was vom Co-
lorado zu erwarten ist.
Der Bearbeitung von Silberminen uud der Eni-
deckuug von neuen ist in den letzten Jahren der größte Fleiß ge-
widmet worden. Die Claims oder Shares iu denselben sind
Marktartikel und einem Conrs unterworfen. Viele haben ansehn-
liche Summen gewonnen blos ans die Anzeichen hin, daß eiue
Silberader vorhanden sei. Zur Gewinnung von Silber, d. h. zur
Bearbeitung vou Claims, ist eiu Kapital erforderlich, weshalb im
Gegensätze zu deu Goldminen die Silberdistrikte uach uud uach in
die Hände der Kapitalisten fallen müssen. Die Aussicht aber, durch
Entdeckung neuer Silberadern rascher, sicherer uud auf leichtere
Weise Geld zu verdienen, hat die den Minern eigene Liebhaberei
zum Prospektiren zur höchsten Potenz gebracht, uud Jedermann
nimmt daher besonderes Interesse an Silberentdeckungen uud
Silberspekulationen. Im ganzen Staate jagt man dem Silber
Der Reichthum an Edelmetallen in Californien und Nevada.
377
nach, da man über dessen Ausbreitung noch nicht ganz im Klaren
ist und man überall die Möglichkeit annimmt, daß Silber vor-
Händen sein kann.
Die zuerst entdeckten Distrikte in der Washoe-Gegend,
Nevada Territorium, haben erstaunliche Resultate geliefert, eben so
wichtig ist der Esmeralda Distrikt in Californien. Nach dem
Ergebnis der in Was ho e bearbeiteten Claims ist anzunehmen, daß
der Werth des in Californien gewonnenen Silbers
in ein paar Jahren den des in Californien gewon-
nenen Goldes übersteigen wird. Es sind nach der Silber-
entdeckung rasch Ansiedelungen entstanden, welche sich zu ziemlich
respektablen Minenstädten ausgebildet haben, trotzdem daß das
rauhe Klima und die dort zusammengewürfelte rohe Menschheit
durchaus uicht besonders einladend waren. Aber die Bevölkerung
hat keinen Zweifel über die großartige Zukunft jener Silbergegend
und das überwindet so manche Mängel, welche in Bezug auf
Comfort fühlbar sind.
Im Nevada Territorium wechseln die Jahreszeiten uicht
so regelmäßig ab als in Californien. Die Regenmenge ist daher
im Durchschnitt uicht so groß, als auf dieser Seite der Sierra
Nevada, und fällt überhaupt unregelmäßiger. Der Wind spielt
eine Hauptrolle. Er erhebt sich alle drei bis vier Tage zu einer
solchen Heftigkeit, daß man ihn eigentlich immer Sturm nennen
könnte. Die vorkommenden Schneestürme sind häusig der Art,
daß man sich in Californien keinen Begriff davon machen kann.
Zu Aufaug des Jahres 18G2 hat das Territorium, ebenso wie
viele Gegenden in Californien, auch bedeutend durch Neb er-
schwemmung zu leideu gehabt, wodurch die Berechnungen in
Bezug auf dm Silbergewinn ziemlich gestört wurden. Mehr als
zwei Drittheile der Quarzmühlen waren unbrauchbar gemacht
worden. Aber dieselbe Flut, welche die Mühlen zun? Stillstande
gebracht hatte, hatte auch die Wege zerstört, so daß es unmöglich
war, außer zu den extravagantesten Preisen, Holz und Erz zu
transportiren, so wie Maschinentheile, welche zur Reparatur noth-
wendig waren, von San Francisco zu beziehen. Aber von allen
diesen Verlusten hat man sich rasch wieder während des Sommers
erholt und die Arbeit geht vorwärts mit derselben Energie wie früher,
und auch die Geschäfte des Washoe-Distriktes blühen. Die Preise
für die Bedürfnisse des Lebensunterhalts sind euorm wegen der
hoheu Fracht, allem es stehen Verdienst und Kosten in einem ziemlich
guten Verhältniß, wenigstens in keinem Mißverhältniß.
Die Bearbeitung der Claims in Virginia City ist von An-
fang an uicht eine durchweg richtige gewesen und die Erfahrungen
mußten thener bezahlt werden. Da aber die Compagnien über
hinlängliche Mittel verfügen, so hatten sie den Vortbeil, daß sie in
ihren Operationen uicht gehemmt waren. Bei so reichen Claims
wie Mexican, Ophir, Central, California und Gonld & Curry
kamen überhaupt die Kosten des ersten Angriffs wenig in Betracht,
da die Ergiebigkeit der Claims so bedeutend ist, daß sie sogar
die zuerst gehegten Erwartungen im Laufe der Zeit bei weitem
übertraf. Täglich werden neue Entdeckungen gemacht,
und je mehr deren vorkommen, desto mehr steigern sich noch die
Ansprüche au die Reichhaltigkeit des Miuendistrikts jenseits der
Sierra Nevada. In Spring Valley, zwei Meilen von Dry-
town, sind in der letzten Zeit über zwölf neue Minen er-
öffnet worden, welche eine große Ausdehnung haben und von
70 bis 85 Dollars per Tonne realisiren. Das meiste des ge-
wonnenen Erzes wird sofort am Ausgange des Tunnels für
30 Dollars per Tonne verkauft.
Die Dauey Compagnie z. B., welche täglich von 20 bis
25 Tonnen ohne große Kosten bringt, verkauft alles Erz für
30 Dollars per Tonne an Ort und Stelle. Ihr Tunnel ist von
10 bis 18 Fuß weit in leicht zu entnehmendem guten Erz, welches
sich so leicht bricht, daß acht Mann täglich 20 Tonnen zn Tage
fördern. Die Erzlager im Territorium siud hinreichend, Be-
völkerungen reich zu machen, und die Spekulanten kommen jetzt
Globus für 1863. Nr. 36.
schon beinahe in einige Verlegenheit, wenn sie an die Frage denken,
wie alle die Menschen beschafft werden können, welche zur Aus-
bentuug der Schätze nothwendig sind.
Der Coso Silb er-Minendistrikt, von welchem in neuerer
Zeit viel die Rede ist, liegt iu Tulare Couuty, östlich der Sierra
Nevada, ungefähr 120 Meilen von Visalia. Die gegenwärtige
Straße von Visalia nach Coso geht über Kern River und
Walker's Paß und ist ihrer ganzen Länge nach durch
Farmer angesiedelt, welche für ihre Produkte jetzt schon in
Coso einen guten Markt finden. Die Werke der Willow Springs
Compagnie liegen in der Mitte des Coso-Distrikts. Diese Gesell-
schaft ist in ihren Arbeiten weiter vorgeschritten, als irgend eine
andere. Sie hat die ersten Mühlen und andere substantielle Werke
für die Bearbeitung ihrer Claims gebaut. Sie besitzt drei Minen,
welche ungefähr zwei Meilen von der Mühle entlegen sind. Hin-
längliches Wasser und Holz sind in unmittelbarer Nähe. Auch
besitzt die Gesellschaft einen Granit-Steinbruch, in welchem die
Blocke von der Natur schou so gestaltet sind, daß sie mit nur ge-
riuger Beihülfe des Meißels als ausgezeichueteö Baumaterial dienen
können. Die neu errichteten Mühlen sind im Stande, täglich acht
oder zehn Tonnen Gold und Silber zu verarbeiten.
Vier und eine halbe Meile vou hier, östlich, liegt die Lotta
Mühle von Wadleigh & Holcombe in San Francisco, welche die
Verarbeitung des Erzes der Josephine Compagnie kontraktlich über-
uommen haben. Sechs Meilen westlich befinden sich die Werke
der Coso Silberminen-Co-mpagnie, welche sieben reiche
Adern besitzen und im Begriffe sind, an den Coso Springs, vier
Meilen von den Minen der Gesellschaft entfernt, eine Mühle zn er-
richten. Ein Ueberflnß an Holz ist iu der Nachbarschaft. An die
Minen der Coso Compagnie stoßen die der Owens Lake Gesell-
schaft, welche sich vor zwei Jahren in Sau Jose orgauisirt hat.
Diese Minen siud reich uud die Arbeiten siud bedeutend vorge-
schritten. Drei Viertelmeilen südlich von Willow Springs gelaugt
man zu der berühmten Rongh & Ready Silberader, deren
Reichhaltigkeit auf ungefähr 700 Dollars per Tonne festgestellt ist.
Gegenwärtig wird hier nicht gearbeitet. Zehn Meilen südlich von
Willow Springs befinden sich die Great Easteru, Great Western
uud Teuuefsee Adern, deren Eigenthllmer nächstes Frühjahr eine
Mühle zu bauen beabsichtigen.
In Büchseuschußweite der Werke der Willow Springs Com-
pagnie sind mehrere ausgedehnte Claims im Besitze verschiedener
Parteien, welche gerade so viel daran arbeiten, um solche halten
uud sie dauu bei erster Gelegenheit au einen Kapitalisten in San
Francisco zu eiueni bedeutenden Preise verkaufen zu können.
Zwanzig Meilen nördlich von hier ist die Mühle der Union Com-
pagnie, welche ihr eigenes Erz von der renommirten Ader „Eclipse"
bearbeitet. Diese Gesellschaft besitzt mehrere reiche Minen uud ihre
Arbeite« zeugen von einer guten Verwaltung. Die Ida Compagnie,
zwei Meilen entfernt, besitzt gegenwärtig die beste Mühle in dem
ganzen Distrikt nnd bearbeitet das Erz der Jda-Ader ans Gold nnd
Silber. Im nächsten Januar hofft die Compaguie ihre Operationen
in einem ausgedehnten Maßstabe zn beginnen. Alle die genannten
Gesellschaften sind in San Francisco orgauisirt und haben da ihre
Office. Die Shares sind meistens in deu Händen von San Fran-
cisco Leuten. Von diesen Minen geht eine gute Straße
uach Los Angeles, 180 Meilen, über welche die ganze schwere
Fracht gebracht wird. Der Weg ist eben und war den letzten Winter
über fahrbar.
Südlich au Coso angrenzend liegt der Argus Distrikt,
welcher zwar kleiu ist, aber viele Gold- und Silberadern
enthält, von denen die Apollo und Pajaro als die reichsten bekannt
siud. An den Argus grenzt der Slate Range Distrikt, welcher
dem erstem au Reichhaltigkeit nichts nachgießt. Der Charakter
der Coso-Gegend ist rauh nnd öde, vielleicht ist kein Acker
kulturbares Laud iu dem ganzen Distrikte. Vou großer
Wichtigkeit für die Miner in diesem Distrikt ist eine Salzmine,
48
378
Ethnologische Beiträge.
welche sich an den Ufern eines Salzwassersees gebildet hat und für
alle Ewigkeit aushalten kann. Die Tonne Salz kostet, bis an die
Minen geliefert, 10 Dollars. Nicht blos Silber und Gold kommt
in dem Coso Distrikt vor, souderu auch Eisen, Blei und Kupfer,
so wie ein reiner Schwefelberg, dessen Fuß sich zu nähern mit
Gefahr verbunden ist, da derselbe im Brande sich befindet.
Die Entdeckung von Silberm ineu in Sau Beruardiuo
Couuty hat sich bestätigt und man erzählt sich viel von dem Gehalte
des Erzes, welches zwei Drittheile Silber enthalten soll; jedoch muß
man auch diese Angaben vorläufig noch mit einiger Vorsicht auf-
nehmen, obgleich Spezimens von solcher Reichhaltigkeit von jeuer
Gegend in Sau Francisco angekommen sind.
Die Silbermineu iu Unter-Calisoruieu nehmen hier
fortwährend das Interesse in Anspruch, und die Gesellschaften, welche
ihre Claims dort bearbeiten lassen und schon seit mehreren Jahren
Kapital in die Arbeiten gesteckt, ohne aber uoch eiu erhebliches
Equivalent dafür erhalten zu haben, glauben Ursache zn finden,
auf baldige glänzende Resultate rechnen zu können. Jiu Oktober
L862 hat sich iu Sau Francisco die „Lower California Coloniza-
tiou & Miuiug Company" gebildet, welche, wie ihr Name schon
andeutet, die Ausbeutung des Bodens für Agricultur und Miner-
Zwecke beabsichtigt. Das Land, wofür die Gesellschaft einen Grant
besitzt, soll zum Theil vermessen und in 201 Sektionen, jede von
329 Acker, ausgelegt werden; ebenso hat die Compagnie bestimmt,
für die Anlage einer Stadt eine League an der Mission von La
Magdalena zu reservireu und in Blocks und Squares eiuzutheilen.
Ein jedes Mitglied soll auf eiu fünfzig Vara Lot-Anspruch haben.
Das ganze Unternehmen wird natürlich nicht vou wirklichen Au-
siedlern, Minern und Ackerbauern geleitet, souderu ist in den Händen
der Spekulanten, was übrigens an sich nicht gegen die Sache selbst
spricht.
Daß Arizona eiu großartiger Mineraldistrikt ist, ist hin-
länglich bekannt, und es hat daher von jeher die specielle Aufmerk-
samkeit der Califoruier iu Anspruch genommen. In neuerer Zeit
hat man durch Berichte vou neuen Entdeckungen von Silber- und
Kupferminen eine Aufregung hier hervorbringen wolleu, aber trotz-
dem, daß man Arizoua allen möglichen Reichthum zuerkennt, so
ist doch unsere Miuerbevölkeruug durch anderweitige Entdeckungen
so sehr iu Anspruch genommen gewesen, daß sie an den Köder von
Arizoua nicht anbiß.
Die Kupferminen in Calaveras Connty sind bedeutend.
Aus verschiedenen anderen Connties sind Berichte über Kupferminen
eingelaufen und noch vor Kurzem aus Del Norte, wo eine Gesell-
schaft, darunter ein Geolog und Mineralog, nene Untersuchungen
anstellte, welche das Vorhandensein ausgedehnter Kupferlager gauz
außer Frage stellen. Der Steamer „Panama" brachte 5100 Pfnnd
reichen Erzes nach Sau Francisco, als Beleg für die Berichte.
Einige Kupferminen sind übrigens schon seit längerer Zeit in An-
griff genommen, wie z. B. der Claim der „Excelsior" Compagnie.
Die Quecksilberminen Calisoruieus, welche schon lange
bearbeitet wurden, siud ihrer Reichhaltigkeit uach hinlänglich be-
kannt und das allgemeine Bedürfuiß würde die Entdeckungen neuer
kaum erfordern. Anzeichen von Quecksilberminen sind
schon in den meisten Couuties vorgekommen. Die letzte
Entdeckung wurde in der Nähe von Sau Fraucisco gemacht. In
nachbenannten vier Minen wurden im Jahre 1861 45,124 Flascheu,
jede zu 75 Pfund Gewicht, gewonnen, nämlich New Alma den:
32,206; New Jdria: 7961; Enriqnetta: 2307 nnd Gua-
delupe: 2550 Flaschen. Der Export des Jahres 1861 betrug
35,995 Flascheu und der Verbrauch in Californien 7878 oder
665 Flaschen per Monat.
Für die bessere Enthüllung der Resourcen vou Calisoruieu hat
die Legislatur das Amt eines Staats-Geologen gegründet, welcher
seit November 1860 mit seinen Untersuchungen iu verschiedenett
Theilen des Staates beschäftigt ist. Diese Arbeiten werden mit
der Zeit zur Herstellung einer Karte führen, auf welcher die Geologie
des Staates annäherungsweise richtig angegeben ist, und die ein
Führer sein kann für die große Anzahl von Profpektirern, welche
Jahr aus Jahr eiu auf ueue Entdeckungen ausgehen, nnd die zu-
gleich dem Ausland auch zeige» wird, daß unser Staat ebeusalls
geneigt ist, so weit es in seinen Kräften steht, etwas für wissen-
schaftliche Zwecke zu thuu. —
Ethnologische Seiträge.
IV.
Die Rassenverhiiltmsse in Ecuador nnd Ren-Granada.
Wir können die ethnologischeil Verhältnisse iu den meisten
Ländern Südamerikas als ein Chaos bezeichnen; daß unter den
Menschenklassen, welche iu einem und demselben Staate leben,
kein innerer Zusammenhang ist, sondern ein schroffer gegenseitiger
Haß, eiue tief im Innern wurzelnde Feiudschaft stattfindet, haben
wir schon hervorgehoben. Wir knüpfen an unsere Mittheilnngeu,
welche die vorige Nummer enthält, noch einige Bemerkungen über
Bolivia. Wir finden nämlich die Angabe, daß diese Republik
eine Bevölkerung nicht von 1,400,000 Seelen habe, sondern, nach
der neuesten Zählung, 2,326,000 Einwohner. Vou dieseu seien
uur etwa 200,000 solche Weiße, deren reiues Blut
keinem Zweifel unterliege. Diese geringe Zahl hat bisher
die Aristokratie ihrer Haut geltend machen können; aber sie reibt
sich, wie wir schon hervorhoben, in Bürgerkriegen mehr und mehr
ans, verachtet die Arbeit, liebt Revolutionen und noble Passionen.
So bricht sie selber dem Emporkommen der Cholada Bahn,
ihren Mischlingen, den Cholos, Leuten mit straffem, schwarzem
Haar, gelber Hautfarbe uud geringem Bartwuchs. Aber
auf diesen ist der Cholo stolz, weil er sich schon dadurch von dem
ganz bartlosen Indianer unterscheidet, den er verachtet, wie
der Mulatte den Neger. Der kupfergelbe Indianer haßt den
Cholo, und dasselbe Verhältniß findet zwischen diesem und dem
„Spanier" statt, dein Weißen nnd Allen, welche sich für weiß aus-
gebeu. Nun ist die Zahl der Indianer doppelt so groß wie die der
Cholos, jene wollen dieseu nicht ferner untergeben sein und als
Werkzeuge dienen; sie haben geringe Bedürfnisse, sind träg und
apathisch, aber tief im Innern schlummert ein grimmiger Haß,
denn diese Leute haben eiu cholerisch-melancholisches Temperament.
Durch die Berührung mit deu Weißen uud die Ueberhebung,
welche der Mischling ihnen gegenüber zeigte, sind sie mißtrauisch
und versteckt geworden. Bisher ist es lediglich dem Einflüsse der
Kirche beizumessen, daß der Haß zwischeu Indianern und Cholos
noch nicht iu lichterlohe Flammen ausgebrochen ist und zn einem
wilden Rassenkampse geführt hat. Aber Bolivia ist vor einem
solchen keinen Augenblick sicher. Aus allen angeführten That-
fachen wird klar, daß vou einer zusammenhängenden Gesell-
schast, von einem organischen Staatsleben in einem Lande
mit solcher Bevölkerung keine Rede sein kann.
Ethnologische Beiträge.
379
Wir wenden uns nun zu einer andern Kreolenrepublik,
nach Ecuador, einem theilweis wunderbar üppigen und srucht-
baren Laude, welches in der Gegend des Erdgleichers den Raum
zwischen der Küste der Südsee und dem obern Amazonenstrom
einnimmt und alle Klimate in sich begreift, von der Hitze tropischer
Tiefebenen bis zu der kalteu Luft der Hochebenen in den Cor-
dilleren. Es hat einen Flächeninhalt, der fast ein halbes Mal
größer ist als jener von Deutschland, etwa 13,500 Geviertmeilen,
aber auf diesem ausgedehnten Räume höchstens 670,000 Ein-
wohner, also uoch nicht ein Drittel so viel wie das Königreich
Sachsen oder Hannover. Angeblich soll der vierte Theil dieser Be-
völkeruug „weiß" sein; man geht aber sicherer, wenn man höchstens
den sechsten Theil für die Inhaber ungemischten europäischen
Blutes annimmt. Die Zahl der Indianer überwiegt; sie sind
theils Abkömmlinge der halbcivilisirten Uramerikaner, welche vor
der spanischen Eroberung zum Reiche der peruanischen Jnkas ge-
hörten, und diese haben die Hochebene iuue, reden Quechua und
sind Christen, so wie überhaupt Indianer Christen zn sein Pflegen.
Die Indianer in dem Tieflaude, zumeist Jägervölker, leben uoch
iu ihrer alten urwüchsigen Barbarei und hängen mit großer
Zähigkeit au dem überkommenen Heidenglauben.
Unser Landsmann Berthold Seemann, welcher Ecuador
besticht hat, hebt eine Thatsache hervor, welche ethnologisch von
großer Bedeutung ist und die anch anderwärts ihre Bestätigung
siudet. Die dortigen Indianer seien kräftige und abgehärtete Leute,
und sehr zahlreich in solchen Gegeudeu, wo sie die
Verbindung mit Europäern und Negern vermieden
haben.
„Das ist, nach Allem zu schließen, das große Geheimniß,
sie vor Vernichtung zu bewahren." (B. Seemann, Reise
um die Welt?c. Hannover 1853.1. S. 211 ff.) Wir sind unserer-
seits überzeugt, daß unser Landsmann damit das Richtige ge-
troffeu hat. Man habe, fügt er hinzu, oft behauptet, daß,
wenn ein Stamm Ureingeborener untergegangen sei, nachdem
man ihn „civilisirt" habe, der Grund darin liege, weil er alle
Nachtheile und wenige oder gar keine Tugenden der Civilisatiou
überkommen habe. Diese Behauptung sei aber „leeres Geschwätz",
denn nähere Prüfuug zeigt, daß auch eiu überfeinerter Europäer,
selbst wenn er die Wilden hätte in Lastern unterweisen wollen, dazu
nicht im Staude gewesen. Man weiß ja, daß die meisten Stämme
ohnehin schon demoralisirt waren, bevor sie mit Europäern iu Be-
rühruug gelaugten. Selbst berauschende Getränke waren für die
meisten wilden Völker nichts Neues, sie kauuteu weit schädlichere
berauschende Geträuke als wir; die Mexikaner hatten ihren
Pulque, die Peruaner ihre Chicha, die Sandwichsinsulauer
bereiteten ein geistiges Getränk ans den Ki- und Awapflauzeu,
die Kaintfchadaleu aus einem Aufguß von Fliegenschwamm und
aus den Wnrzelu einer Spiräe.
Iu Bezug auf Ecuador hebt Seemauu hervor, daß die In-
dianer auch dort sich wohl bewußt sind, daß sie einst Herren
des Landes waren. Sie halten es für keiue Süude, eiuem
Weißen etwas zu stehlen, weil sie der Ansicht sind, daß sie doch
nur nähmen, was eigentlich ihnen gehöre. „Wie ge-
fährlich eine solche Denkuugsart, bei allgenieiuer Verbreitung,
der Gesellschaft werden müsse, sieht man leicht; sie beweist aber,
daß die Folgen einer widerrechtliche!: Handlung, nämlich der Er-
oberuug durch die Spanier, noch nach Jahrhunderten empfunden
werden."
„Daß die Indianer die Hoffnung nähren, fichvon
ihren Unterdrückern zn befreien uud dieselben „iu's
Meer zu jagen", scheint eine ausgemachte Sache. Ob
sie einig genug untereinander sind, um gerneiuschastlich an der Aus-
führung eines so schwierigen Unternehmens zu arbeiten? Gewiß
ist, daß selbst von Seiten der Quechua redeudeu Indianer der
Hochebene eine Verbindung mit den in den Tiefen der Urwälder-
lebenden angeknüpft worden ist. Sie hat die Auflehnung gegen
die Weißen zum Zwecke. Die weiße und gemischte Be-
völkeruug ist im Abnehmen, seitdem die die Einwan-
deruug iu'sStockeu gerieth."
Wir habeu demuach iu Ecnador dieselbe Erscheinung, welche
wir an Centralamerika, Bolivia und Peru hervorhoben.
In Paraguay ist bekanntlich schon seit langer Zeit das
Guaraul die allgemeine Umgangssprache der Weißen geworden,
uud das Spanische eigentlich nur noch ein Civilisationsluxus.
Nuu finde ich, daß in Cuenca, der Hauptstadt der ecuadorischeu
Provinz Assuay, eiu ähnliches Verhältuiß obwaltet. Iu dieser
Stadt, wo Meerschweinchen als Liebliugsspeise auf deu Tisch
kommen, sprechen auch die Weißeu im Verkehr unter-
einander die altperuanische Quechua spräche. Die
Judiauer jener Gegeud, welche Quechua redeu, habeu sich iu Er-
scheinung, Haltuug, Tracht uud Gebräuche» seit dem Tage der
Eroberung dnrch Pizarro so gnt wie gar nicht verändert.
Sie reden noch immer die Sprache ihrer Vorfahren; die Männer
tragen immer uoch ein Hemde, Kniehosen und einen Poncho, alles
von Wolle und eigenhändig verfertigt; die Frauen kleiden sich in
Unterröcke, die bis etwas unter das Knie reichen, kurze Leibröcke
und eine Schärpe, die gleich einem Shawl gewunden und ans der
Brust mit einer silbernen Nadel befestigt wird. Sie haben ihre
Religion ändern müssen, und mögen vielleicht dem katholischen
Kultus aufrichtig zugethau sein. Aber sehr Viele verehren auch
noch die Sonne, Jnti, und ihre Theilnahme an kirchlichen Pro-
cessioneu, namentlich das Tanzen vor Heiligenbildern uud die
phantastischen Anzüge, wurzeln uoch im alten Heidenthum. Es
ist ja auch uicht wahrscheinlich, daß ein Volk, welches in allen
anderen Beziehungen so hartnäckig am Alten hängt, sich in der
Religion völlig umgeändert haben sollte. Auch iu Ecuador tritt
die Thatsache hervor, daß der Geist des Christeuthums nur selten
von Indianern begriffen wird. Sie verehren vielfach die katho-
tischen Heiligen, in dem Glauben, daß sie ihren alteu, ureigenen
Göttern, nur unter andern: Namen, ihre Huldigungen dar-
brächten. —
Der Uebergang von Ecuador uach Nen-Granada ist für
uns eiu ganz natürlicher. Schon die Provinz Pasto, welche vom
1. Grade nördlicher Breite durchschnitten wird, 'gehört zu der
letzteru Republik. Diese wird von beiden Weltmeeren bespült und
reicht nach Osten hin bis an den Orinoco, nach Norden hin bis
Costa Rica und hat einen Flächeninhalt von etwa 24,000 deutschen
Geviertineilen. Auch hier siud alle Klimate vertreten, und die
Indianer der heißen Küstenstrecken uud des Tieflandes in: Innern
wesentlich von jenen auf der gemäßigten Hochebene verschieden.
Auch in Neu-Granada herrscht das ethnische Chaos, und wir
können dasselbe hier wie in Venezuela, von dem wir später ein-
mal reden, genan nachweisen. Die Indianer an der atlantischen
Küste von Chiriqni oder Veragnas, also der costaricanischen
Grenze nach Osten hin bis zum Rio Hacha und weiter, gehörten
zum große:: Volksstamme der Caraibeu. Zur brasilianische:: und
Gnarani-Grnppe gehören die Indianer im Osten bis zur östlichen
Cordillere, namentlich die Mocoas in der großen, nach ihnen
benannten Region. In der Provinz Tuquerres wohnen Menschen,
welche zur ando-peruviauischeu Gruppe gehören. Dagegen hatten
zur Zeit der Eroberimg, also iu der ersten Hälfte des sechszehnten
Jahrhunderts, die Indianer der Provinzen Choc6, Autioquia,
C-luca, Popayau uud Neyva einigermaßen Uebereinstimmendes
mit deu mexikanischen Azteken. Die Muy scas aber unterscheiden
sich von allen Anderen; sic wohuteu auf der Hochebene von Cnn-
dinamarca. Die Indianer im Tieflaude waren und sind noch
heute lediglich Wilde; einige wenig zahlreiche Horden sind wenig-
stenS unterworfen worden, aber andere „Pneblos", denn so be-
zeichnet man die Völkerschaften, z. B. die Noiwamos in Choco,
die Coconucos in Popayau uud manche andere, haben ihre Sprache
bewahrt, während die Muyscas, welche doch halb civilisirt waren,
die ihrige aufgegeben haben und spauisch rede::. Die Zahl der
380
Ethnologische Beiträge.
noch völlig wild gebliebenen Barbaren beläuft sich ans weit über
120,000 Köpfe. Die Mesayas in dein von der Jnpnra oder Ca-
qneta durchströmten Territorium Moeoa sind noch Menschenfresser;
auch ist es bei einigen anderen Horden Brauch, wenigstens die im
Krieg erschlagenen Feinde zu verzehren.
Diese Wilden haben mir wenige nnd unklare Begriffe; sie
schreiben Günstiges dein Einflüsse der Sonne, Böses jenem des
Mondes zu, und glauben an eine Wanderung nach dem Tode,
welche sie sich jedoch materiell vorstellen. Dagegen hatten die
Muyseas, wie eine regelmäßige Regierung, so auch einen ausge-
bildeten Kultus. Der König residirte in Tnnja und wurde als
Saque bezeichnet; der Oberpriester wohnte in Jraca nnd theilte
die Macht mit dem König. Außerdem hatten die Muyseas weniger
mächtige Fürsten, z. B. den Zipa von Cnndinamarea, der aber
sehr reich war. Zue, die Sonne, nnd Chia, der Mond, wurden
als Vertreter oder Symbole des höchsten Wesens verehrt. Die
Pnbenanos nnd CoconneoS standen, als die Spanier zuerst iu's
Land kamen, unter dem Kaziken Payan. Kaziken waren Vor-
steher eines Distrikts; unter ihnen standen Caschns, Gouverneure,
und die Carabie können wir etwa mit unseren Bürgermeistern und
Ortsvorstehern vergleichen. Diese Völker hatten gewisse staatliche
Einrichtungen, bauten Mais, den sie Bura nannten, sodauu die
Arraeacha (Conium arracacha), welche bei ihnen Hu ahne hieß,
nnd andere eßbare Pflanzen, namentlich die Papa, d. h. Kar-
tossel, welche im Waldgebirge von Paletaru, wild
Lckndschaften. Weiße. Civilisirte Indianer... Wilde. Neger.
Jstmo ...... 14,000 8,000 0,000 3,500
Ciwea...... 49,000 25,000 -- 98,000
Antioqnia . . . . 50,000 7,000 5,000 15,600
Cnndinamarea. . 137,790 I??,290 10,000 5,100
Boyaeä...... 102,210 95,710 10,000 740
Gnanenta..... «7,000 20,000 400 3,500
Magdalena.... 30,000 16,000 3,000 13,500
Goajira (Territ.) — — 20,000 —
Moeoa 3 2,000 05,000 60
450,003 301,000 120,000 80,000
Quarterons oder Cnarterones sind bekanntlich Kinder von
weißen Vätern und Mulattinnen; Zainboö Mischlinge von Ju-
dianern und Negern.
Mosquera giebt eiue Charakteristik der verschiedenen
Rassengruppen und Mischlinge in Neu-Granada. Sie ist folgende:
Weiße 450,003 (eine offenbar viel zu hochgegriffene Zahl,
von welcher ich dreist ein volles Viertel und mehr abziehe). Er
nennt diese Rassen: inteli gente, aetiv o, lab orioso, m oral.
Doch ist diese Intelligenz, Thätigkeit, Arbeitsliebe und Sittlichkeit
nur eine sehr bedingte.
Indianer, raza cobrizo, also Kupferbraune, 421,000 Köpfe:
perezoso, susrido, supieaz, frugal; demnach arbeitsscheu,
unterwürfig, mäßig und argwöhnisch.
Mulatten und Zambos, 383,000 Köpfe: fnerte, volup«
tuoso, intelig'eute, valiente; aber diese Eigenschaften sind doch
sehr bedingt, und ich habe alle Ursache zu der Annahme, daß Ge-
neral Mosquera dieser mächtigen Klassen schmeicheln wollte. Zehn
Jahre später hat er mit Hülfe dieser Mischlinge eine Revolution
gemacht nnd sich nun zum Präsidenten ausgeworfen. Er nannte
sie kräftig und intelligent, um sie für sich zu gewinnen.
Die Neger schildert er als träg, unterwürfig nnd argwöhnisch.
Seemann (I. S. 313) sagt von ihnen: „Sie sind hinterlistig,
diebisch und im höchsten Grade faul. Die Freien, denn die Sklaverei
ist aufgehoben, arbeiten vielleicht eine oder zwei Stunden täglich,
nnd hören dann anf, bis die Notwendigkeit sie wieder zur Thätig-
keit zwiugt. „Nur Narren und Pferde arbeiten" ist ihr
Lieblingssprichwort, und danach handeln sie. Deshalb nehmen sie
überall eine untergeordnete Stellung ein, obwohl das Gesetz sie
wächst. Die Muyseas zählten nach Sieben, denn die Ausdrücke
für Acht, Neun und Zehn sind Spanisch.
Viele dieser Indianer sind Christen, aber doch nur mehr oder
weniger halb. Die Coeonneos znm Beispiel glauben noch heute
an einen guten nnd bösen Geist (Gott nnd Teufel der Christen).
Alles Schlimme kommt vom Puil, Monde, und Panzig, dessen
Dämon; Gutes bringt Pnitschr, die Sonne. Diese Indianer
unterscheiden in ihrer Sprache die Fixsterne von den Planeten; jene
werden als Sil, diese als Silg oder Siill bezeichnet. Ein
Monat heißt Canapnil, von Cana, Mond.
Die barbarischen Jndianerstämme haben Vielweiberei, einige
aber auch, z. B. die Guajiros, Bigamie. Eine Frau ist für das
Lager und den Krieg, eine zweite, welche einen niedriger» Rang
einnimmt, besorgt das Hauswesen.
General I. C. Mosquera (in seiner Memoria sobre de
geografia, fisica y politica de la Nueva Granada, Nueva York
1852. p. 96) gab die Gesammtbevölkerung von Neu-Granada auf
2,303,054 Köpfe au, aber zu hoch, denn die Zählung von 1859 hat
nur 2,243,837 Seelen ergeben. Sie war indeß ziemlich genau, und
weil bei ihr anf die Abstammung Rücksicht genommen worden ist,
so kann gerade an ihr deutlich gezeigt werden, wie sich das Wechsel-
seitige Verhältuiß der Farben herausstellt. Mosquera giebt sol-
gende Tabelle nach Nassen nnd Kasten nnd schließt die wilden
Indianer ein:
Ouarterons. Mestizen, Mnlatten. Zambos. Total.
1,300 97,658 12,250 1,40.0 144,108
14,600 33,049 114,600 2,300 276,249
4,000 155,037 54,000 1,400 292,037
3,000 252,533 28,000 1,240 564,955
200 189,452 3,600 2,300 424,210
1,100 204,174 22,500 1,300 319,974
5,800 46,421 48,200 90,000 253,521
— — — — 20,000
54 673 150 60 68,000
30,054 998,997 283,000 100,000 2,363,054
mit der übrigen Bevölkerung anf gleiche Stnfe stellt. Sie sind sehr
lärmsüchtig und wegen ihres beständigen Eiferns und Schreiens
sehr unangenehme Gesellschafter.
Ueber die Mischlinge iu Neu-Grauada äußert See-
mann sich ganz anders nnd richtiger als der politische Spekulant
Mosquera. Unser Landsmann sagt, ihr Charakter sei wo möglich
noch schlechter als jener der Neger. „Diese Menschen haben
alle Laster nnd nicht eine Tugend ihrer Erzenger. Ihr
Körper ist schwächlich und mehr zu Krankheiten geneigt als
bei den Weißen oder andern Rassen. Es hat den Anschein,
als ob die Mischlinge gedeihen, so lange reines Blut in
ihre Adern kommt; allein wenn sie sich untereinander
verheirathen, dann zeugen sie zwar viele Kinder, aber
dieselben kommen nicht aus. Während Familien von unge-
mischten Bütte weniger fruchtbar sind, ist dagegen die Lebensdauer
der Kinder desto bedeutender. Da nun die physischen Verhältnisse,
unter welcheu beide Arteu leben, ganz dieselben sind, so mnß
wohl in den Rassen selbst eine speeisische Verschieden-
heit sein nnd die Vermischung derselben ist als ein
Ueberschreiten der Naturgesetze anzusehen." Das ist
vollkommen richtig.
Wir wollen noch eine Bemerkung hinzufügen, die, wenn wir
nicht irren, von Moritz Wagner gemacht worden ist; sie erklärt die
Grnppirnng der Rassen und Farben in der obigen Tabelle, und ein
Blick anf eine Landkarte wird dazu beitragen, dieselbe klar zn machen.
Man darf als fest annehmen, gleichsam als ein Naturgesetz,
daß sich die Nassen instinktmäßig nach den ihnen zu-
sagenden Klimateu vertheilen.
Einige Bemerkungen über die Baumwolle, deren Erzeugung und Verarbeitung.
381
Freie Neger nnd Mulatten siud am zahlreichsten in den
heißfeuchten Gegenden, deren Klima anderen nicht zusagt.
Halbcivilisirte Indianer und Mestizen drängen
sich iu den mildereu und trockneren Landschaften zu-
sammen.
Der Weiße sucht, wenn irgend möglich, die Terrassen und
Hochebenen auf. Seine reine Hautfarbe gilt überall für eiu
Zeichen von Rassenadel, den Jeder möglichst rein zu bewahren
wünscht. Jede Beimischung mit farbigen Rassen gilt als eine Art
von Familienmakel, die man gern vermeidet. A.
Einige Gemerkungen über die Ganmw
Es ist merkwürdig, wie ein Jahrtausende lang nicht nach Ge-
bühr geschätzter Webestoff eine geradezu unermeßliche Bedeutung
für die ganze Welt erlangte, nachdem die Technik der Maschine sich
desselben bemächtigt hatte. Dann wurde urplötzlich der Verbrauch
kolossal, und mit der Nachfrage ging die Erzeugung des Rohstoffes
Hand iu Haud. Die südlichen Staaten Nordamerikas haben, kurz
vor Ausbruch des Uuabhäugigkeitskampfes, den sie so tapfer und
heldenmüthig gegen den durch und durch korrnmpirten Aankee-
Norden führen, ihre Produktion auf nahe an fünf Millionen Ballen
gesteigert, jeden zn etwa fiinfthalb Centner gerechnet!
Europa wußte vor achtzehuhuudert Jahreu wenig von Baum-
wolle. Aegypten kannte sie, und als Admiral Plinins mit einer
römischen Flotte vor Alexaudria lag, überzeugte er sich, daß man
im Laude der Pharaonen nnd Ptolemäer aus Baumwolle Garu
spann und Gewebe verfertigte. Die Staude gedieh au der salz-
geschwängerten Küste des Nildeltas damals wie heute ganz vor-
trefflich. Seit den Tagen Alexander's des Großen stand Aegypten
in lebhaftem Handelsverkehr mit Indien nnd von dort wird es
Baumwollensamen erhalten haben. Jedenfalls reicht die Benutzung
der Pflanze nicht in's hohe Alterthum hinauf, denn der Stoff, in
welchen die Mumien gewickelt sind, ist allemal reine Leinwand.
Auch kommt die Staude auf den hieroglyphischen Gemälden nicht
vor, wohl aber der Flachs.
Dagegen haben die Volker Indiens den Gebrauch der Baum-
wolle schon im höchsten Alterthnme gekannt. Alexanders Soldaten
kämpften am Indus mit Kriegern, welche baumwollene Gewänder
trugen. Späterhin waren die Römer erstaunt über die wunderbare
Feinheit der Baumwollenzeuge, welche als „gewebter Wind" durch
den Handel ans Bengalen bis nach Italien gelangten. Auch gröbere
Gewebe von der Malabarküste wurden weit und breit versandt; aber
in den Harems der mohammedanischen Könige und Wesire haben
die feinen Gewebe von Dakka im untern Bengalen allzeit in
hoher Gunst gestanden.
Europa verdankt die Einführung des Baumwollenbaues den
Maureu; diese pflanzten die Stande in Spanien an, und die Araber,
welche sich iu Sieilieu festgesetzt hatteu, thaten auf dieser Insel eiu
Gleiches. Das Wort Cottou, spanisch Algodou, stammt ans
dem Arabischen. Die Maureu trugen baumwollene Turbane; das
Baumwollenzeug gefiel auch den Christen, aber diese kümmerten sich
nicht um deu Bezug und die Verarbeitung des Rohstoffes. Dann
nnd wann kam allerdings eine geringe Menge nach Italien, nament-
lich nach Pisa, auch wohl nach England, und wurde mit Flachs
versponnen: aber man hatte keine Ahnung davon, daß dieser Webe-
ftoff von größerer Bedeutung werden könne, auch dann noch nicht,
als Europäer, zum Beispiel Portugiesen und nach ihnen die Eng-
länder, iu Indien Faktoreien anlegten nnd neben denselben Burgen
bauten.
Auch die Spanier, welche in Mexiko und Peru schon gewebte
Zeuge aus Baumwolle fanden, ahnten nichts von dem hohen Werthe
dieser Pflanze. Die räuberischen Flibustier, Cortez und Pizarro
voran, verlangten nur edle Metalle. Erst vor etwa einhundert
Jahren kam die Baumwolle einigermaßen in Aufnahme und half
einem großen Bedürfniß ab. Feines Leinen war thener; das beste
le, deren Erzeugung nnd Bearbeitung.
holländische kostete bis zn dritthalb Thalern die Elle. Aermere
Lente trugen in manchen Gegenden nur Sonntags Leinwand, viele
überhaupt nur Wolle auf der bloßen Haut.
Die Anfänge der Banmwollenmannfaktur in Manchester waren
gering; sie fallen in die Zeit König Karl's des Ersten, aber die
Maschinen waren damals so unvollkommen, daß die englischen
Weber uicht verstanden, ein Zeug aus reiner Baumwolle zu be-
reiten. Sie waren iu dieser Beziehung weiter zurück als die Ma-
labareu und Bengalesen, oder als die Peruaner und Mexikaner.
Sie nahmen als Kette leinene Fäden und Baumwolle nur zum
Einschlag, und lieferten so einen Stoff, welchen man Linsey-
Woolsey nannte; er war billiger als reine Leinwand, aber nicht
so haltbar und wurde auch nur iu geringer Menge verfertigt.
Uebrigeus kommt der Name Cottou schon früh in Urkunden
vor nnd war im Volksmund, als Baumwolle noch selten den
Leuten zu Gesichte kam. Man bezeichnete als Cotton die feinste
Schafwolle, nachdem sie kardätscht war, oder auch andern flockigen
Stoff, z. B. jenen von der Distel. Das Wort Cottonwolle kam viel
später auf. Unser deutsches Baumwolle ist eigentlich kein richtiger
Ausdruck, denn die Baumwolle ist ein Strauch, und der Baum-
wollen bäum, Eriodeudrou, ist nur eiu wenig nutzbarer Ver-
waudter des Gossypium, denn seine Wolle ist kaum brauchbar.
Die Weltbedeutung derBaumwolle datirt vom Sommer 1769,
als der Barbier Richard Arkwright seiuen Webstuhl und die Spinn-
jenny erfand. Die volle Bedentnug beider wurde indessen uicht von
vornherein nach Gebühr gewürdigt. Aber die Jenny spann
rascher und besser, als man je zuvor geseheu, und auf dem Stnhle
konnte man Zeug weben, dessen Kette und Einschlag aus Baum-
wolle bestand. Nachher kam die Dampfmaschine, eine Verbeffe-
rnng folgte der andern; die Namen Watt, Hargreaves und Peel
wurden berühmt, nnd 1786 trat Samuel Crompton mit seiner
Mule hervor. Fortan brauchte man kein Garn mehr ans Indien
zu beziehen, sondern konnte es selber verfertigen. Aber es hat
doch große Mühe gekostet, die Inder auS dem Felde zu schlagen
und ihre Baumwollenmanufaktur zu Grunde zu richten. Der aus-
dauernde Hindu spann mit seiner gewandten Hand und vermittelst
einer einfachen Spindel feineres Garn als der Europäer auf der
Maschine, und dieses Garn verwebte er in einer so dauerhaften
und zierlichen Art zn feinem Zeuge, daß unser Erdtheil nichts da-
gegen setzen kann. In Europa arbeitete man billiger nnd schneller,
und das hat am Ende den Ausschlag gegeben. Anfangs lieferte
mau nur gröbere Waare und ging dann sehr allmälig zn feinerer
über. Allein die Qualität der indischen und chinesischen Baum-
wollenzeuge ist auch heute uoch besser als jene der unseren. Aber
Europa hat die Dampfkraft voraus und zwingt Alles vermittelst
der Wohlfeilheit.
England hatte lange ein tatsächliches Monopol und hielt
stramm daran fest; aber dasselbe konnte sich nicht halten, denn
andere Völker warfen sich gleichfalls mit großem Eifer auf die
Baumwollenmanufaktur. Die Ausfuhr von Maschinen war in
England verboten, die Zeichnungen gingen aber doch außer Landes
nnd geschickte Arbeiter wurden für das Ausland gewonnen. Jenes
Verbot half nichts mehr; überall in Europa entstanden Spinne-
382
Einige Bemerkungen über die Baumwolle, deren Erzeugung und Verarbeitung.
reien und Webereien, in Nordamerika geschah dasselbe, und endlich
gab man die Ausfuhr der Maschinen frei.
Welch ein Unterschied zwischen jenen Zeiten, da man lediglich
aus der Levante Baumwolle bezog und die damit beladenen Schiffe
unter den Schutz von Kriegsfahrzeugen stellen mußte, damit sie
nicht von denBarbaresken genommen würden, und unseren Tagen!
Anierika trat in den Vordergrund und überflügelte alle anderen
Regionen. Die gegenwärtige Krisis zeigt deutlich, wie unendlich
viel von einer regelmäßigen und massenhaften Zufuhr nordameri-
kanischer Baumwolle abhängt. Wir haben im Globus fast iu jeder
Nummer Notizen über die Versuche mitgetheilt, in anderen Gegen-
den die Produktion der Baumwolle massenhafter zu macheu. In
England und auch bei uns ist nun vielfach die Ansicht aufgetaucht,
daß das tatsächliche Monopol oder, richtiger gesagt, das nnge-
heureUebergewicht der nordamerikanischen Baumwolle nun ein- für
allemal dahin sei, daß der Kampf, welcher zwischen den verschie-
denen Baumwollenstapelu begonnen hat, mit einer Niederlage des
amerikanischen langen Stapels enden und der kurze Stapel den
Sieg behalten werde.
Dagegen werden aber gewichtige Gründe geltend gemacht, nnd
da dieselben zu uicht geringem Theil in das Gebiet der Produkten-
geographie einschlagen, so wollen wir die Ansichten, welche von
der „London Review" neulich geltend gemacht sind, mittheilen.
Sie gehen darauf hin, daß die amerikanische Baumwolle der in-
dischen allezeit für viele Zwecke vorgezogen werden müsse.
Man ist gewohnt, von „Baumwolle" zu sprechen, als ob sie
ein und derselbe Artikel wäre, wie Thee oder Kaffee, nur von
etwas besserer oder geringerer Qualität, je nach dem Lande,
woher sie kommt, oder je nach der auf ihre Sammlung und Ver-
Packung verwendeten Sorgfalt. Man kann sich wohl keine irrigere
oder vielmehr unvollkommenere Vorstellung machen als diese. Die
Baumwolle ist ein Produkt, welches fast eben so viele Arten be-
greift wie das Getreide; und wie das Getreide, hat jede Art
ihre besondere Verwendung und Nützlichkeit. Weizen, Hafer und
Gerste siud alle zur Nahrung zu gebrauchen. Orleans, Surat,
ägyptische und brasilianische Baumwolle siud alle zu Calicos
und Garn zu benutzen. Aber das brasilianische Produkt ist von
dem ostindischen fast eben so weit verschieden, wie Hafer von
Weizen, und man kann aus Surat-Baumwolle ebeu so wenig
Musselin oder feinen Zwirn, oder aus ägyptischer Eintrag (Wesel)
machen, wie Weizen gemalzt, oder Gerste zu einem guten Haus-
brot verbacken werden kann.
Die verschiedenen Baumwollfasern unterscheiden sich von
einander nicht allein in der Länge, in der Farbe und in der Rein-
heit, je nach den verschiedenen Klimaten nud Bodenarten, welche
sie hervorbringen; sondern sie siud ursprünglich ganz verschie-
dene Pflanzen, von denen manche einjährig, manche zweijährig
sind, manche als Sträucher und manche als niedrige Bäume auf-
treten. Obwohl eine Art Baumwolle iu einem beträchtlichen Maße
die Stelle einer andern ersetzen mag, — gerade so wie Pferde mit
Gerste gefüttert werden, nnd die Menschen sich mit Hafer ernähren
mögen, wenn hohe Preise und Mangel an Vorräthen zu einer
solchen Abweichung vou der gewöhulicheu Lebensweise veranlassen;
so hat doch ein solcher Ersatz seine Grenzen und seine Unbequem-
lichkeiten sowohl im Falle der Baumwolle, als bei dem Getreide.
Wir wollen unsere Meinung durch Beispiele anschaulicher
machen. Die feinste Sorte Baumwolle ist als die Sea Island
bekannt und wächst auf den flachen Inseln vor der Küste von
Georgia uud Carolina, auch ist dieselbe in Queensland, Australien,
producirt worden. Sie hat eiue lange, feine nnd seidenartige
Faser von einer herrlichen Farbe uud wird nur für die höchsten
Nummern von Garn, von Nr. 15V bis 30V, gebraucht und sodann
zu Musselinen oder zn dem feinsten Zwirne für Spitzen vrrarbeitet.
Sie wird in gewöhnlichen Jahren zn 2 bis 3 englischen Schillings
Per Pfnnd verkauft, und nur etwa 40,000 Ballen werden jährlich
gezogen oder verlangt. Wenn diese Sorte rar, oder wenn wie
jetzt die Zufuhr abgeschnitten ist, so kann die beste ägyptische
Baumwolle großentheils einen Ersatz bieten, jedoch mit gewissen
Nachtherlen, da dieselbe minder leicht zu verarbeiten, von nn-
gleicher Länge der Faser und von weit schlechterer Farbe ist. Im
Werth und Preise folgt die ägyptische und brasilianische
Baumwolle zunächst aus die Sea Island, obwohl sehr weit hinter
derselben. Beide Sorten werden sehr bedeutend zum Spinnen
des sogenannten Werstes oder Zettels, d. h. der länglichen Fäden
des Zeuges, gebraucht, welche die Reibung und Spannung des
Webestnhles auszuhalten haben, nnd in welchen deshalb Zähheit
die wesentliche Eigenschaft ist. Das Werft für Musseline nnd für
einige Sorten Zwirn wird immer aus ägyptischer Baumwolle
verfertigt, ja muß dieses fast werden: nnd brasilianische oder
westindische Baumwolle, welche dieselbe Härte und Stärke hat,
wird großentheils für den Zettel der gröberen Fabrikate, wie
Barchent und Felbel, gebraucht. Keine dieser drei Sorten ist
jedoch für den Eintrag oder Einschlag oder das Wesel verwendbar,
d. h. für die quer über laufenden Fäden des Fabrikates, für welche
Weichheit und Zartheit, nicht Stärke erforderlich ist, und wo eine
schöne weiße Farbe und Reinheit der Faser werthvollere Eigen-
schaften sind als Länge.
Die Surat oder ostindische Baumwolle nimmt die
niedrigste Stufe von allen ein. Ihre charakteristischen Eigenschaften
sind eine kurze uud unregelmäßige Faser, eine glänzend
weiße Farbe, mit einer starken Beimischung von Blättern und
Schmutz, was deren Gebrauch uicht allein lästig macht, sondern
auch mit Verlusten verknüpft ist. Sie wird hauptsächlich zur Be-
reitung der gröberen Garne von Nr. 1v bis 30 verwendet, zur
Anfertigung des Eintrages für Kattune, Hemdenzeng und so-
genannte häusliche Zeuge, d. h. die stärkste Art vou Baumwollen-
geweben. Zu diesen Fabrikaten eignet sich die ostindische Baum-
wolle sehr gut, und dies würde noch weit mehr der Fall sein, wenn
sie in einem reinern Zustande versendet würde. Ihr gewöhnlicher
Preis pflegte zwischen 2^2 und 5 Pence per Pfund zu schwanken.
Sie hat jetzt die ungeheure Höhe von 13 bis 16 Pence per Pfund
erreicht.
Die amerikanische Baumwolle verbindet und begreift
die Eigentümlichkeiten aller anderen Sorten. Eine Abart der
amerikanischen, eben die Sea Island, ist länger, seidenartiger nnd
weißer als die beste ägyptische. Eine Art, die beste Orleans,
ist so stark wie die brasilianische uud dabei weicher, reiner, regel-
mäßiger und weit leichter zn verarbeiten. Die übrigen amerikani-
fchen Sorten, die Hauptmasse des Produktes, bekannt uuter dem
Namen „Uplands", „Mobile" je., sind länger, reiner nnd, um
einen Kuustausdrnck zn gebrauchen, gefälliger als die Surat,
und aus einem Pfuude derselben kann man bedeutend mehr Garn
oder Zeug bereiten. Amerikanische Baumwolle kann ebensowohl
zur Verfertigung des Zettels als des Einschlages benutzt werden;
sie ist zu jedem beliebigen Zwecke zu verwenden; man kann daraus
Garne von Nr. 10 bis 250 spinnen. Kein Wunder also, daß die-
selbe mehr gesucht wird als irgend eine andere Art. Der Fabri-
kant hat eine Vorliebe für dieselbe, nicht aber, wie man gemeinig-
(ich zu sagen pflegt, „ein Vorurtheil zu deren Gunsten". Ja, er hat
ein Vorurtheil zn deren Gunsten, gerade so wie der Bäcker oder der
Konsument zu Gunsten des besten Weizens ein Vorurtheil hat. Der
Fabrikant zieht die amerikanische der Surat vor, weil erstere mehr
Garu ausgiebt uud es besser macht, gerade so wie der Bäcker
Weizen dem Hafer vorzieht, weil der erstere mehr Nahrung ent-
hält uud besseres Brod ausgiebt. Der Preis ^der amerikanischen
Baumwolle pflegte zwischen 4 bis 8 Pence per Pfund zu schwanken;
gegenwärtig steht sie zwischen 18 und 28 Pence das Pfund.
Die Fabrikanten haben, wie bereits bemerkt, noch einen Ein-
wand gegen die Snrat-Baumwolle. Dieselbe kommt gewöhnlich,
ja fast immer in einem sehr schmutzigen Zustand ans den Markt.
Sie wird nachlässig gesammelt, nachlässig verpackt und während
des Transports beschädigt, so daß sie nicht allein eine ungeheure
Kleine Nachrichten.
383
Masse Samen, Blätter und Stanb enthält, welche ans derselben
herausgeschlagen werden muß, worauf verhältnismäßig nur wenig
wirkliche Baumwolle übrig bleibt; auch ist die Ausscheidung dieses
Abfalles ein sehr kostspieliges Verfahren. Die Snrat-Baumwolle
erfordert mehr Bearbeitung als die amerikanische.
• Da Surat außerdem eine kürzere Faser hat, so muß die Ma-
schiuerie au derselben langsamer arbeiten, und da das aus derselben
bereitete Garn schwächer ist als das aus Orleans-Baumwolle ge-
wonueue, so ist die Surat auch schwieriger zu webeu und wirft den
Arbeitern schlechtem Lohn und dein Fabrikanten einen geringer»
Ertrag ab. Sie ist, mit einem Wort, iu jeder Hinsicht eiu geringe-
rer Artikel und kann nur durch ihren niedrigem Preis oder durch
die Abwesenheit ihrer Nebenbuhlerin zur Konsumtion gedrängt
werden. Aber man wird fragen: „Kanu ihre Qualität uicht ver-
bessert werden?" Gewiß kann sie das. Die einheimische ostin-
dische Baumwolle könnte durch Sorgfalt, Redlichkeit und gesunden
Menschenverstand von Seiten eingeborener Kanfleutc und Pro-
duceuten in einem weit reiuern Zustande zn Markte gefördert
werden uud ihre Versendung würde alsdann weniger per Pfund
kosten, und das Produkt würde eiueu höhern Preis erzielen.
Aber iu dieser Hinsicht sind bisher noch wenig Fortschritte ge-
macht worden. Im Gegeutheil, je höhere Preise wir bezahlen, um
so schlechter ist oft die durchschnittliche Qualität des geschickten Ar-
tikels, weil die Eingeborenen, um so viel als möglich zu schicken,
die Baumwolle dichter au der Kapsel abrupfen und mehr Schmutz
mit hinein nehmen. Auch die amerikanische Art könnte in Ostindien
angebant werden; dieses ist wirklich in gewissem Maße geschehen,
und wenn sie nach England gebracht wurde, so hat sie stets fast den-
selben Preis erhalten, wie ein ähnlicher in den Bereinigten Staaten
erzeugter Artikel. Aber zwei Schwierigkeiten stehen einem aus-
gedehnten Anban der vorzüglichem Art in Ostindien entgegen,
nämlich: — die Gewohnheiten der Eingeborenen uud die
Beschasseuheit des Landes. Eiu orientalisches Volk kann
kaum jemals anders als durch deu stärksten Druck uud durch die
unablässigste Aufsicht veranlaßt werden, sein Landwirthschastssystem
oder [eine Produkte zu ändern, und es ist immer schwierig, eiu ein-
heimisches Erzeuguiß durch eiu ausländisches zu ersetzen.
Der Grund ist demnach nicht, daß Orleans-Baumwolle uicht
iu Ostindien gezogen werden könnte, sondern daß sie weder so leicht
oder billig wie in den Vereinigten Staaten gezogen, noch nach ihrem
Anban so leicht zn Markte gebracht werden kann. Zn der vortheil-
haften uud ausgedehnten Anpflanzung eines so umfangreichen Ar-
tikels wie Baumwolle sind vier Bedingungen unerläßlich: — güm
stiges Land und Klima, wohlfeile Arbeit, Einsicht und Kapital und
leichte uud reichliche Fahrstraße». Ostindien hat so wohlfeile Arbeit
wie die Vereinigten Staaten, sein Boden und Klima sind gut, jedoch
uicht so gut wie iu Amerika; aber iu Einsicht und flüssigem Kapital
ist es weit zurück, uud iu Fahrstraßen, d. h. in Eisenbahnen oder zn
Wasser, kann zwischen Ostindien und Amerika kein Vergleich statt-
finden. Dieses sind die Gründe, warum englische Fabrikanten noch
immer ihr „sündhaftes" Gelüste uach der vou Sklaven gezogenen
Baumwolle tragen, nud warum sie überzeugt sind, daß sie, sobald
sie wieder zu Markte kommt, ganz sicherlich ihre alte hohe Stellung
einnehmen wird.
ä 11 i n c It
Das Aufblühen der Stadt San Francisco. Wir siudeu
darüber eiuen ausführlichen Bericht in der Neujahrsnummer des
deutscheu San Francisco Demokrat, und entnehmen demselben
Folgendes:
San Francisco hat sich zu eiuer Stadt entwickelt, welche uicht
blos iu Bezug auf Bevölkerung uud örtliche Ausdehnung, sondern
auch in Bezug auf Handel uud Verkehr und deu daraus entstehenden
Wohlstand ein gerechtes Erstaunen erregen muß. Der Eindruck,
den diese Stadt' in ihrer äußern Erscheinung macht, ist ein im
höchsten Grade wohlthuender. Da sieht man keinen Stillstand.
Ueberall erblickt mau Verbesserungen. Die alten Häuser, welche mit
der Zeit ausgedient haben, weichen allmälig und macheu Stein-
gebänden Platz. Einzelne Straßen haben dadurch einen neuen
und vorteilhaften Charakter angenommen. An den entlegenen
Straßen, namentlich in de»? südlichen Theile der Stadt, springen
da, wo früher nur Sandwüste» gewesen, neue Hänser wie Pilze
aus der Erde, u»d wer mehre Monate jene entfemteren^Stadttheile
nicht besucht hat, darf sich nicht wundern, neue Straßen uud sich
selbst als einen Fremde» i» seiner eigene» Stadt zu siudeu. Und
überall ist die Geschäftsthätigkeit sichtbar. Neue Kaufläden
in der elegantesten Ansstattnng mehren sich, und wenn auch die-
selben manchmal weniger lukrative Unternehmungen sind, so
deuten sie doch alle darauf hin, daß man in unserer Stadt die
ausgedehntesten Bedürfnisse und zwar mit Recht voraussetzt. Das
Volk auf der Straße hat seinem Aeußeru nach den frühem califor-
nischen Anstrich verloren. Der „honest Miner" in seiner bescheide-
neu Tracht verschwindet unter den civilisirt aussehenden Gestalten
uud dem Luxus, welcher entwickelt wird. Die Zunahme der Stadt
wird aber nicht allein durch die allgemeine Lebhaftigkeit der Straßen
angedeutet, sondern auch durch die zahlreiche Vertretung des schönen
Geschlechts.
Ueber die Einwohnerzahl Sau Frauciscos ist um» »icht
ganz im Klaren. Der im Jahre 1860 aufgmommeiie Censns ist
eine so unzuverlässige Quelle, daß man auf denselben durchaus
feine Berechnung gründen kann. Er giebt folgende Zahlen an:
Weiße männliche Personen....... 32,463
weibliche „ ......20,616
Chinesen.............2,610
Farbige...............1,146 x
Gesammt-Einwohnerzahl 56^835.
achrichten.
Nach beut San Francisco Directory hatte dagegen die Stadt
zur Zeit der Aufnahme des Cenfus 83,233 Seelen.
Am ersten August 1862 stellte sich das Verhältuiß der Bevölke-
ruug wie folgt heraus:
Weiße männliche Personal über 21 Jahre . . 32,000
„ weibliche „ „ 18 „ . . 17,500
männliche „ unter 18 „ . . 25,000
„ „ „ Namen verweigert . 4,200
Chinesen.............3/250
Farbige..........................1,875
Ab- und Zureiseude in Hotels, Soldaten, Schiffs-
leute auf der Bay u. f. w.......8,000
Gesammt-Einwohnerzahl 91,825.
Diese Zunahme muß natürlich auch eiuen bedeutenden Ein-
fluß auf das Grundeigenthum haben. Die Nachfrage nach
kleinen Häusern hat die Baulust bedeutend vermehrt uud damit
auch das Eigenthum in die Höhe gebracht. Am günstigsten hat
im Großen auf den Werth des Grundbesitzes die Anlegung der
Marktstraße-Eisenbahn gewirkt, durch welche das Land zwischen
ihrem Ausgangspunkt und der Mission ungefähr um sechs Mil-
lioueu Dollars im Preise gestiegen ist.
Das Grundeigenthum schätzte der Assessor für das Steuer-
jähr von 1862 bis 1863 auf 35 Millio»e» Dollars, vo» welchen
Beträgen 2 Dollars 74^ Procent Steuern bezahlt werden
müssen.. Der wirkliche Werth des steuerbaren Eigenthums ist
natürlich bedeutend größer. Das Grundeigenthum trägt mehr als
seinen gesetzlichen Antheil an der Besteuerung, da der Werth des
persönlichen Eigenthums wegen mangelnder Anhaltspunkte nie
auch nnr annäherungsweise ermittelt werden kann. Man glanbt,
daß das besteuerte Eigenthum ungefähr den dritten Theil
des wirklichen Werthes alles Vorhandenen ausmacht.
Die Eisenbahnen in den Straßen San Franciscos sind
Unternehmungen, welche neuerdings bedeutende Kapitalien in An-
sprach nehmen. So unpopulär anch diese Bahne» hier sind, so
wird sich das Vorurtheil gegen dieselben gewiß legen. Der össeut-
liche Verkehr wird durch die Straßenbahnen jedenfalls gehoben
werden, denn die Bequemlichkeiten für das Publikum überrage»
die der Omnibusse bei weitem.
Erfreulich ist, daß neben dem materiellen Aufschwünge Sau
384
Kleine Nachrichten.
Franciscos, welcher zunächst in dem Privatcharakter unserer Bürger
ihren Stützpunkt hat, auch die öffentlichen Verhältnisse ein er-
freuliches Bild gewähren. Unser Beamtenwesen ist seit Jahren in
einer Ordnung, welche wenig Ursache zu Klagen giebt. Unsere
Polizei, welche durch eiueu Beschluß der Legislatur verstärkt wor-
deu, sorgt uach besten Kräften für die Sicherheit von Person und
Eigenthum und so erfreuen sich die Einwohner in der im Auslande
früher so verrufenen Stadt eines ziemlich ruhigen Lebens, welches
gewöhnlich nur durch Geschäftsaufregung oder östliche Nachrichten
unterbrochen wird, die mit dem Wohl und Wehe der Union in
Verbindung stehen. Die Zustände San Francisco's sind in der
That einladend für Europa - und Oestliche Staaten-Müde.
Slovakisirte Ruthenen in Ungarn wohnen vorzugsweise in
deu Gespauschasteu Zemplin, Scharosch und Aba uj. Sie bilden
eiueu Uebergang von den Rnthenen (Russinen, Rußuiakeu) und
stehen in moralischer nnd physischer Beziehung niedrig. Professor
Biedermann in Innsbruck, früher iuKaschau, hat in seinem
jüugst erschienenem Werke: „Die ungarischen Rutheneu, ihr Wohn-
gebiet, ihr Erwerb nnd ihre Geschichte" (Innsbruck 1862, bei
Ä5agner) eine Schilderung dieser Leute entworfen. Der flova-
kisirte Gebirgsbewohner, 'sagt er (S. 92), ist trag; so lange
nicht die äußerste Gefahr einer Hungersnoth oder irgend einer
moralischen Nöthignng ihn zwingt, legt er nie ernstlich Hand an
eine Arbeit. Von Gerichtspersonen wird er als verschmitzt, bos-
hast und schadenfroh geschildert; in halbtrunkenem Zustande sühlt
er sich am wohlsten und ist deshalb ein Brauntweintrinker. Aber
beschwerliche Wallfahrten oder Bußübungen, dazu das gedanken-
lose Herbeten ungereimter Formeln vor Marienbildern sind ihm
Bedürfniß, und den Heiligenbildern beweis't er beinahe göttliche
Verehrung. — Gemeindeangelegenheiten verhandelt man gern in
der Schenke beim Branntwein; früher begann in Gerichtssachen
die Procednr mit öer Pfändung und mit dem Vertrinken des
Pfandes. Einen säumigen Schuldner hielt der Dorf-
richter unter dem Dache seines Hauses so lange ge-
fangen, bis der sich dort ablagernde Ranch ihn mit
Ruß überzogen und solchergestalt mürbe gemacht hatte.
Wahrsager und Wettermacher stehen in großem Ansehen; Wind-
oder Wassermühlen sind unbekannt, man hat nur Handmühlen.
Die Susdaler Handelsleute in Rußland. In den Kern-
Provinzen des moskowitischen Reiches, in den von Menschen groß-
russischen Stammes bewohnten Gouvernements können jüdische
Handelsleute kein Glück machen, während in den kleinrussischen Pro-
vinzen und in den polnischen Gegenden drei Viertheile des Handels
iu ihren Händen sind. Der Großrusse hat nämlich selber Anlage
zum Kleinhandel und Hang zum Schachern; er braucht also den
Juden nicht, der auch gegen den Tataren nicht auskommen kann.
Russische Haustrer, die Chodebtschiki, dringen bis an die Küsten
Sibiriens vor und macheu gute Geschäfte bei den Jägernomaden.
Im europäische» Rußland sind die sogenannten Susdaler von
Bedeutung. Susdal, im Gouvernement Wladimir, war bis 1157
Sitz der Großfürsten von Wladimir, eine für jene Zeiten blühende
Stadt, ist nun aber längst ohne größere Bedeutung; man findet
übrigens noch Ruinen eines alten Kremls. Die Handelsleute aus
Susdal und der Umgegend trieben anfangs Handel mit Heiligen-
bildern, Leinwand, Seife und einigen anderen Waaren, welcher schon
im sechszehuteu Jahrhundert eine nicht geringe Wichtigkeit erlangt
hatte. Sie wurden wohlhabend, bauten hübsche Häuser, schmückten
die Kirchen. Susdal litt aber viel durch Brand und ging von
seiner Blüte zurück, als Moskau immer mehr emporkam. Die ersten
„Susdaler" waren Bauern, welche allerlei Laudeserzeugnisse,
namentlich auch Leiuwaud, aufkauften; späterhin aber Vorzugs-
weise Baumwolleuwaareu aus den Fabriken von Jwauowo,
deren Hauptabnehmer sie sind. Sie vertreiben die Artikel im Kleinen
und machen sehr großen Profit. In den Bezirken Schniä, Kowroff,
Wiasniki und Gorochowetz ist beinahe dritte Mann ein Susdaler.
Die Blütezeit siel für diese Händler in die Jahre von 1815 bis 1840;
damals zogen sie durch ganz Rußland, nur nicht in die trans-
kaukasischen Provinzen, weil sie dort die Konkurrenz der eben so
thätigen und noch viel geriebeneren armenischen Kaufleute nicht
bestehen konnten. Ohnehin verlangen jene Gegenden ganz andere
Waarengattnngen als die, welche ein Susdaler führt. Die Sus-
daler haben unter sich eine Menge von Ausdrücken, welche sich auf
ihr Geschäft beziehen nnd die der Uneingeweihte nicht versteht.
Dürre im südöstlichen Afrika. Die Missionäre, welche im
untern Lande der Bassutos dem Bekehrungswerk obliegen, klagen
über dieselbe in ergreifender Weise. So schreibt einer derselben,
Lemne, im November: „Seit sechs Monaten ist auch nicht eiu ein-
ziger Tropfen gefallen; statt des Regens haben wir nur Staub-
wölken und Saudwirbel gehabt. Das ganze Land erscheint wie
verbrannt; wir sehen auch nicht eine Spur von Pflanzenwuchs;
Ochsen, Pferde und Schafe sind zu vielen Tausenden hingestorben.
Der Sand liegt iu hohen Haufen, wie Schnee in Europa; überall
ist Hungersnoth. Lessuto, die Kornkammer für den Freistaat der
holländischen Boers und für einen Theil der Kapkolonie, ist nun
erschöpft. Von der See her bekommen wir keine Waaren mehr,
weil es uns nun an Transportvieh mangelt ; manche Wägen mußten
unterwegs stehen bleiben, weil die Zugthiere gefallen sind. Ein
unternehmender Mann wollte Lebensmittel nach der Stadt Hope-
town bringen, aber er büßte unterwegs etwa achtzig Zugochsen eiu.
Wir Missionäre wollten im Januar unsere Jahreskonferenz in
Carmel abhalten, müssen aber unter solchen Umständen darauf
verzichten." Die Bassutos im Oberlande, welche neben der Vieh-
zncht auch Ackerbau treiben, sollen auf zwei Jahre Getreide vor-
räthig haben. Aber die Aussaat vom September war bei ihnen
im Oktober noch nicht ausgegangen; der Fluß Caledon und dessen
Zuflüsse lagen ganz trocken, was seit Menschengedenken nicht vor-
gekommen war. Die Heiden hatten sich an ihre Regenmacher-
gewandt, die bekanntlich in Afrika eine große Rolle spielen, aber
der Himmel hörte nicht ans ihre Beschwörungen und Zauberkünste.
Nordamerikanische Ausdrücke. In dem Artikel über Cali-
formen kommt im zweiten Absätze folgende Stelle vor: „Kein
Thier der Naturgeschichte hat iu Californien mehr Verehrer als
der Elephant, und so oft ihn auch schon Viele gesehen, so haben
sie doch immer wieder eine große Sehnsucht uach demselben."
Manchem unserer Leser wird das unverständlich sein. Was
bedeutet: den Elephanten sehen? To see the elephant, sagt
man, namentlich in den südlichen Staaten, wenn Jemand
sich in seinen Erwartungen getäuscht sieht; es will eben
so viel sagen als das Sprüchwort: Er wollte Wolle holen und
kam selber geschoren heim; to go out for wool and come back shorn.
Also ein Soldat, der in deu Krieg zieht, um Beute und Ruhm zu
erwerben, aber weder das eine noch das andere erntet, oder ein
Goldsucher, welcher kein Glück hat, sieht den Elephanten.
Bruder Jonathan ist bekanntlich ein Spitzname für die
Bewohner der Vereinigten Staateu von Nordamerika, wie John
Bull für die Engländer, Mynheer für die Holländer, Michel
für uns Deutsche. Er erklärt sich aus Folgendem: Als Georg
Washington zum Oberfeldherrn ernannt worden war, kam er nach
Massachusetts, um Vorkehrungen für die Landesverteidigung zu
treffen; es fehlte aber dort au Kriegsbedarf. Man hielt eine Be-
sprechung, und Washington äußerte: Wir müssen Bruder-
Jonathan um Rath fragen. Er meinte den Gouverneur von
Connecticut, Jonathan Trumbull, auf dessen Urtheil er
großes Gewicht legte. Wenn man späterhin irgend auf Schwierig-
keiteu stieß, hieß es wohl: Wir müssen uns bei Bruder Jonathan
Raths erholen, und nach und nach wurde Bruder Jonathan
eine allgemeine Benennung für einen Nordamerikaner der Ver-
einigten Staateu.
Uncle Sam dagegen, kurzweg U. S. bezeichnet, bezieht sich
lediglich auf die Regierung jenes Landes. Nachdem die Kolonien
mit'dem englischen Mutterland in Krieg gerathen waren, kam
ein Lieferant aus Neu-Jork, Ellett Anderson, nach der Stadt
Troy am Hudson und kaufte dort Lebensmittel auf. Diese wurden
von zwei Regiernngsbevollmächtigten, Ebenezer nnd Samuel
Wilson, besichtigt. Der letztere wurde von seinen Freunden und
Arbeitern gewöhlich als Onkel Samuel bezeichnet. Bei der Lie-
sernng Anderson's waren die Mehlsäcke mit den Buchstaben E. A.
(Ellett Anderson) und II. 8. (Onkel Samuel) bezeichnet Ein
Arbeiter, welcheu man fragte, was diese Buchstabeu bedeuten
sollten, entgegnete. Uncle Sam nnd Ellett Anderson. Seit-
dem verbreitete sich der Ausdruck Uncle Sam allgemein nnd wurde
nach und nach ans die Regierung der Union übertragen.
Ans dem Niger-Delta. Die Engländer verlieren dasselbe
nicht ans dem Auge, und sind dort mit Handelsschiffen und
Missionen ununterbrochen thätig. Im Interesse der anglikani-
schen Hofkirche arbeiten jetzt zwei schwarze Prediger, der schon
mehrmals erwähnte Samuel Crowther und Jeremias Taylor.
Zwei Stationen, nämlich jene zn Onitfcha und Jgbeghe, welche
etwa 40 deutsche Meilen oberhalb der Mündung liegen, stehen
unter zwei schwarzen Evangelisten. Im vorigen Oktober schlössen
sich Crowther und Taylor, nebst 27 schwarzen Christen, einer eng-
tischen Expedition an, welche stromauf fuhr, und besuchten jene
Stationen, welche sie zuletzt vor fünf Jahren besucht hatten. Eine
dritte Station wird jetzt zu Aka ssa au der Mündung des Stromes
gegründet, scheint aber auf manche Schwierigkeiten zu stoßen.
Herausgegeben von KarlAndree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghansen.
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
B
QO
Ci
CO
<»
O
Z
G Ä
o ~
c» »2
£ »
U»
*9
03
»
n
1 0*| ' oe| 1 021 1 0U| 9' 0|_
(J) Ol CO hO
........III III
o)Ui -P^ CO hO
[J o^cji^OJhO
&
©
c»
Oü
»
r*>
Co
r*>
ts>
r*>
CT
es
«—**
f—t*
*s»
L M N Focus 0 Balance Q R S T U V
12 13
19 W X Y Z
VierFartoSelector Standard * - Euroskala Offset