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Globus.
Illustrine Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde.
Chronik der Reisen und Geographische Zeitung.
Herausgegeben von
Karl Andrer.
Vierter Band.
Hildburghausen.
Verlag vom Bibliographischen Institut.
1863.
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Vorwort
Wir haben diesem vierten Bande des Globus nur wenige Worte beizufügen.
Die Leser werden sich überzeugt haben, daß wir bestrebt sind, die Fülle und Reichhaltigkeit
unserer Zeitschrift zu vermehren, und es macht uns Freude, daß unser Bemühen von Seiten des
Publikums wie der Kritik fortwährend eine so freundliche Theilnahme findet.
Um das Zurechtfinden und den Ueberblick zu erleichtern, geben wir ein Generalregister
über die ersten vier Bande bei. Ein Blick in dasselbe zeigt, daß wir in unserer Zeitschrift
nach einem festen Plane verfahren sind.
Einige äußere Hindernisse machten es nnthunlich, mit der Zugabe großer Karten schon
beim vierten Bande zu beginnen. Aber der nächstfolgende Band wirb mehrere derselben enthalten,
z. B. über Afrika. Die Blätter über den Nordwesten und über den Süden dieses Erdtheils liegen
in der Druckerei fertig und wir werden dieselben mit einer ausführlichen geographischen Erläute-
rung begleiten.
Sodann bringen wir auch eine Reihe von Bildern aus dem Süd osten Europas. Diese
Illustrationen von Kanitz dienen als Unterlagen für einen Tert, dessen Verfasser die verschiedenen
Gegenden, welche er schildert, aus eigener Anschauung kennt. Auch die Holzschnitte nach den Ori-
ginalzeichnungen, welche der geniale kölnische Maler Grashoss auf seinen mehrjährigen Reisen in
Südamerika entwarf, sind zumeist vollendet, und ein Theil derselben wird den fünften Band des
Globus zieren.
Die ethnologische Wissenschaft findet mit Recht eine immer größere Theilnahme im
Publikum. Wir haben es darum für nothwendig gehalten, näher auf dieselben einzugehen, und
werden mit unseren „ Ethnologischen Beiträgen" fortfahren.
Dresden, 6. September 1863.
Der Herausgeber des Globus
Karl Andrer.
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Inhaltsverzeichnis;
Nr 1.
Die Stadt SennLr. Bon vr. R. Hartmann . . .
In Valencia....................................... •
Die Neger in Brasilien. Von Karl von Koseritz. I.
Halbbarbarei ans den Hebriden......................
Ein Steppenbild aus Daunen. Nach Gustav Radde.
Mac Kinlay's Entdeckungsreisen in Australien ....
Baker's Expedition zur Entdeckung der Nilquellen
Briefe über Böhmen. I..............................
Wittwenverbrennuugen in Indien.....................
Buntes aus Australien .............................
Das neue Territorium Stickin im britischen Nordwest-
Amerika ........................................
Befahrung des Nigers durch den englischen Kriegsdampfer
Jnvcstigator ...................................
Kleine Nachrichten: Eine polnische Hochzeit.— Die
Mormonen in Utah. — Die Kuli - Einwanderung nach
Westindien. — Eine massenhafte Auswanderung von
Szeklern. — Die Pirnas am Rio Gila. — Ueberreste
der Indianer in Cañada. — Die östlichen Provinzen
dev Kap-Kolonie.— Fortgang der Ansiedelung auf
Neu-Caledonien. — Australien. — Untercalifornien
(Uplaud - Baumwolle). — Die haarlosen Menschen
in Australien. — Robinson Crusoö als Reisender . .
Nr. 2.
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6
15
16 I.
18
20
22 ;
23 >
26 |
27
29 |
30 |
31—32
Scitr -
Eine neue Mündung des Mississippi............................ 86
Eine Jagd des Schahs von Persien....................... 87
Der Austernsang.............................................. 90
Aus dem Kolonialleben Neuseelands........................... 93
Kleine Nachrichten: Missionäre in Südafrika von
den Makololo vergiftet. — Die deutsche Sprache in
Paris. — Europäische Bienen in Australien. — Bul-
garische Zeitungen. — Negerbranch.....................95—96
Nr. 4.
Stiergefechte zu Valencia im Jahre.1862. 1........... 97
Die Leute im Lande Oldenburg......................... 106
Franclet's Reise auf dem Snngari, durch dieMandschurei
bis zur Mündung des Amurstromes................... 109
Ein Blick in das Leben und Treiben der westindischen Neger 114
Briefe über Böhmen. IV............................... 116
Ein Besuch in der Krokodilenhöhle von Samun ... 118
Die Zigeuner in Aegypten............................. 122
Australische Charakterthiere _. . . . . . . . . 123
Kleine Nachrichten: Afrikanische Expeditionen. —
Doktor Baikie und die Länder am untern Niger. —
Ein französisches Reich am Senegal. — Nachrichten
aus Ostindien. — Nizza im Sommer. — Der Kupfer-
reichthum Californiens. — Der König von Dahome.
— Speke und Grant glücklich in Chartnm angelangt 125—128
Die Osterwoche in Jerusalem..........................
Sagen in der bayerischen Oberpfalz...................
Die Neger in Brasilien. Von Karl von Koseritz. II.
Briefe über Böhmen. II...............................
Stuart's Entdeckungsreisen in Australien.............
Ein geographisches Bild aus derRegion am Orinocostrom
Ein Jahrmarkt der Nomaden am Altai...................
Die Bedeutung der Seefischereien.....................
Gebirge und Vulkane auf Neuseeland...................
Das neue Territorium Idaho in der amerikanischen
Nordunion................t ........................
Kleine Nachrichten: Virginia - City im Nevada oder
Washoe-Territorium. — Aus Britisch-Columbia.
— Ein californischer Fichtenstamm. — Die Mor-
monen am Großen Salzsee. — Zur Statistik von
Nen-Brannschweig.— Deutsche Auswanderung über
Bremen. — Hochzeitswnnsche bei den östlichen Kal-
mücken.— Neue Ausgrabungen in Pompeji.—Ruinen
des Pachacamac-Svnnentcmpels in Peru. — Die
Tuareks in der Sahara. — Die Kleine Bucharei. —
Geographische Ausdrücke in Jnnerasien. — Ein St.
Elmsfeuer aus dem Königstein an der Elbe. — Eine
Bemerkung Humboldt's. — Der Volkscharakter der
Neugriechen. — Die Abkömmlinge der Portugiesen in
den Minas Novas. — Die Gauchos in der La Plata-
Regwn. — Indianer und Neger. — Der Neger. —
J°te Polynesier. — Neuseeländische Begrüßung . . .
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61—64
Nr. 3.
Ein Streifzug durch die schwedischen Provinzen am Bott-
nischen Meerbusen.....................................
Ein Charakterbild der ostafrikanischen Negervölker . ■
Briefe über Böhmen. III................................
Eine Lobrede ans Australien................... • •
Ein Abenteuer in Texas.................................
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85
Nr. 5.
Die Ruinen der altamerikanischen Prachtstadt Chichen
Jtza in Jucatan .,...................................
Stiergefechte zu Valencia im Jahre 1862. II.............
Leben und Treiben in den Straßen von Konstantiuopel. I.
Landschaften und Staaten nordwestlich vom Nyanza-See
Der Moorrauch und die trockenen Lufttrübungen . . .
Das Melken der Rennthiere...............................
Victoria's Mineralschatz. I.............................
Glücksspiele und Aberglauben in Rom.....................
Die jüngsten Nachrichten über Eduard Vogel ....
Kleine Nachrichten: Der Winter von 1863 und die
Lnftströme.— Unregelmäßigkeit in den Meeresströmun-
gen.— Rußlands Theehandel mit China.— Die Fran-
zosen haben festen Fuß in China. — Livingstone's süd-
afrikanische Expedition ist zu Ende. — Südafrika vom
Westen nach Osten durchwandert. — Aus Natal und
Kafraria. — Bon der afrikanischen Westküste. — Die
englischen Kolonien. — Dampfer auf dem obern Jra-
waddy.................................................
129
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158—160
Nr. ß.
Die Parsis in Bombay. 1.............................. 161
Sagen in der bayerischen Oberpfalz. II..................... 170
Speke's und Grant's Entdeckung der Hauptquelle 4>es
Weißen Nils.................'...................... 175
Ein Schreiben aus St. Thomas in Westindicn über die
freien Neger............................................ 119
Leben und Treiben in den Straßen von Konstantinopel. II. 180
Victoria's Mincralschatz. II............................... 184
Die Verwirrung in China.................................... 185
Ein reichsfreies Dorf in Deutschland...................... 18”
Kleine Nachrichten: Verwirrung in Japan. —
Japanische Landkarten und Küstenaufnahmen. —
VI
Tsusima, eine wichtige Insel im japanischen Meere. —
Die Landenge von Kraw in Hinterindien. — Wegbanten
in Pegu. — Erforschung des Landes der Schau in
Hinterindien. — Die Landenge von Panama. — Die
große Eisenbahn nach dem Stillen Ocean.— Die Länge
der unterseeischen Telegraphenlinien. — Bergbau-,
Hütten- und Salinenbetrieb des Zollvereins. — Wirk-
licher Fortschritt in Ostindien. —- Aus dem Staats-
kalender des Königreichs Siam. — Stand des Er-
ziehnngswesens in Brasilien. — Fastnachtsfeier der
polnischen Bauern. — Ein polnisches Urtheil über den
polnischen Nationalcharakter. — Das Vorkommen des
Tigers im nordöstlichen Asien. — Der Riesenvogel
Moa ans Neu-Seeland. — Pisco in Peru und die
Guano-Inseln. — Steinwaffen der Feuerländer. —
Todesfälle durch Feuer. — Die Perlenfischerei auf
Ceylon ...........................................188—192
Nr. 7.
Die Jnka-Stadt Cuzco tu Perú........................... 193
Skizzen aus Aethiopien. I. Von Dr. R. Hartmann . 202
Die Parsis in Bombay II...................................... 207
Die wissenschaftichen und praktischen Erfolge der 9jovara-
Exped ilion............................................... 211
Ein Jahr zu Beresof in Westsibirien ................... 214
Das Erdbeben aus RhoduS ..................................... 217
Ferdinand von Hochstetter's Werk über Neuseeland . . 218
K le i n e N a ch r i ch t e n: Karl von der Decken in Ostafrika.
Seine zweite Besteigung des Kilimandscharo. — Hall's
nene Reise nach den Nordpolgegenden. — Ein neuer
Vulkan in Mexiko. — Cine nene gefahrliche Krankheit
in Jndien. — Znr Statistik von Neuseeland. — Wie
sieht die Hafenstadt Duneddin ans Neuseeland aus?
— Tahiti und die Gesellschafts-Inseln. — Projekt einer
russisch-indischen Eisenbahn. — Der Ueberlandweg
nach dem südwestlichen China. -— Die britisch-indische
Dampfergesellschaft. — Die französische Madagaskar-
Kompagnie. — Ein Telegraph bis zum Weißen Nil.
— Der Verkauf kleiner Mädchen im östlichen Bengalen.
— Die Witternngsverhältnissc........................ 222—224
Nr. 8.
Die Stadt Arequipa in Peru...........................
Denkmäler assyrischer Kunst..........................
Skizzen aus Aethiopien. II. Von Dr. R. Hartmann .
Die Eingeborenen der australischen Kolonie Victoria. I.
Von Richard Oberländer............................
Klimatische Krankheiten im Innern Ostafrikas . . .
Aus Alexander von Hnmboldt's geographischem Brief-
wechsel .............................................
Das Gedeihen der Chinchona in den Nilgherris und der
Theepflanzungen in Assam..........................
Speke's Vorträge über seine Entdeckung der Nilqnellen .
Kleine Nachrichten: Ein Vortrag Kapitän Grant's
über seine afrikanische Reise. — Herr von Heuglin und
Dr. Stendener auf demB ahr el Gasal. — Der König
Radama von Madagaskar ermordet. — Die Entfernung
der Sonne von der Erde. — Europäischer Handel mit
China. — Notizen aus Brasilien. — Marktlcben zu
San Jose in Costarica.............................255
225
230
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238
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245
248
249
—256
Nr. !).
Streifzüge in den Gebirgen und Steppen der Chalchas-
Mongolen und der Kirgisen.......................
Zur Kennzeichnung der Menschen und der Dinge in Nord-
amerika ..........................................
Das blutige Drama auf Madagaskar ..................
Ein Ausflug von Stockholm nach Drontheim . . . .
Die Eingeborenen der australischen Kolonie Victoria. II.
Von Richard Oberländer..........................
Ansichten und Urtheile über den Charakter der keltischen
Völker.......................'..................
Fortschritt in den La Plata-Staaten ...............
Die Erforschung des obern Uruguay-Flusses. Entdeckung
eines großartigen Wasserfalles..................
Kleine Nachrichten: Die mißlungene Expedition des
257
266
270
274
278
282
284
286
Lieutenants Krnsenstern im Nördlichen Eismeere. —
Ein Berliner Kind unter den Afghanen. — Von Mel-
bourne nach England. — Der Hopfenbau in Mittel-
franken. — Die Einwohnerzahl von Rotterdam . 287—288
Nr. 10.
Eine Fahrt ans dem Nil bis zu den uubischen Katarakten. I.
Eibofolke, die Jnselschweden an der Küste von Ehstland. I.
Der Streit zwischen England und Japan................
Eine Fahrt ans dem San Juanflnsse von Greytown nach
Granada am Nicaragua-See ........................
Die Solfatara bei Pozzuoli...........................
Einige Bemerkungen über die Insel Helgoland . . .
Dr. Stendener's Tod .................................
Nilqnellen und Kilimandscharo........................
Kleine Nachrichten: Manila durch ein Erdbeben
zerstört. — Geographie deutscher Ortsnamen. — Neue
russische Städte im Amurlande. — Die Deutschen in
Valparaiso. — Schiffsverkehr von St. Thomas in
Westindien. — Neues Graphitlager in Sibirien. —
Otago auf Neuseeland. — Vulkane im indo-austra-
lischen Archipelagus. — Die Einwohner von Fiume.
— Entwickelung der Volkswirthschaft in Oesterreich. —
Sprachmischung in Böhmen. — Der Weinbau in
Nensüdwales.....................................318
289
298
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306
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310
312
313
—320
Nr. 11.
Eine Fahrt auf dem Nil bis zu den nubischen Katarakten. II.
Eibofolke, die Jnselschweden an der Küste von Ehstland. II.
Ethnologische Beiträge. V.............................
Ein deutsches Turn- und Gesangfest in Australien . .
Der Verkehr des Hafens von London.....................
Mosaik aus dem Uankeelande. I.........................
Ein polnisches sanddvrf in der Tuchler-Haide . . .
Die tropischen Faserpflanzen und der neuseeländische
- Flachs..............................................
Einwohnerzahl der bedeutendsten Städte in den Ver-
einigten Staaten von Nordamerika. (Nach einer
amtlichen Zählung von 1860) . '....................
| Kleine Nachrichten: Ein Urtheil über die Republik
Chile. — Einrichtung einer chilenischen Hacienda. —
Fairy-Island. — Ein Königsbegräbniß bei den Mon-
golen. — Die Bären und Bärenfeste im Amnrgebiete.
— Die Stadt Osero. — Madras in Ostindien. —
Humboldt über seine Besteigung des Chimborazo. —
Nene Häfen in Formosa eröffnet. — Giftige «schlangen
in Sind. — Tigernoth in Indien. — Der Omnlfang
im Baikalsee. — Das Vaterland des Truthahns. —
Die Benutzung der Seetange. — Der Ranpenpilz.
321
331
334
337
339
340
343
346
348
349—352
Nr. 12.
Von Tabriz nach Teheran. Isfahan die Hauptstadt der
Sefiden............................................ 353
Die Mormonen am Großen Salzsee....................... 365
Die ungarischen Ruthenen............................. 369
! Der Paustlipp bei Neapel und der Agnano-See. Von
Fr. von Hellwald................................... 372
! Brautwerbung bei den Lappen.......................... 375
I Die Wälder im Banate................................. 377
| Ethnologische Beiträge VI............................ 378
; Jagderinnerungen aus Brasilien....................... 380
: Mosaik aus dem Uankeelande II. . .................... 382
Kleine Nachrichten: Südamerikanisches. Mitgetheilt
von Herrn Karl von Koseritz in Rio Grande do Sul:
Statistik der Salzfleischfabrikation in den La Plata-
Staaten. — Auswanderung nach Brasilien.— Schiff-
fahrt. — Der Talgbanm in der brasilianischen Provinz
! Cearä. — Europäische Einflüsse in China. — Zunft-
; Verfassung in Tiflis. — Aus Guadeloupe und Marti-
nique. — Die französische Insel Reunion. — Die
Landenge von Tehuantepec in Mexiko. — Aus Alge-
rien. — Die Gesammtlänge der deutschen Eisen-
bahnen. — Ostindische Eisenbahnen. — Einwohner-
zahl von Turin. — Gnanovorrath an der peruanischen
Küste.— Austern a la Maori. — Die Deutschen im
Banate. — Die Abkunft der Baiern........................ 382—384
Zu Nr. (}.
VerMlchniß der Illustrationen
Zu Nr. 1.
Platz in SeunLr........................................
Gerichtsverhandlung im Divan des Kommandanten in SennLr
Moschee in SennLr......................................
Rnderknecht im Hafen El Grao bei Valencia..............
Streit beim Kngelspiel.................................
Wassertribunal in Valencia.............................
Blinde Musikamen vor der Domkirche in Valencia . . .
Mozos de la escuadra...................................
Portrait einer jungen Frau in Valencia.................
Tartanero.....................................
Zu Nr. 2.
Lager einer griechischen Pilgerkarawane in Palästina . . .
Ansicht vom Todten Meer................................
Vor der Heiligengrabürche zu Jerusalem.................
Griechische Pilger baden im Jordan.....................
Das Innere der Grabkirche in Jerusalem. Anstheilung des
heiligen Feuers.....................................
Ein Congo-Neger........................................
Karte von Neu-Seeland..................................
Zu Nr. 3.
Der Luleà-Strom........................
Weiblicher Postillon in Lappland . . .
Gefährliche Fahrt......................
Wasserfälle der Angerinana-Elf . . .
Ein Postrelais im nördlichen Schweden .
Eine Bootfahrt stromab durch Kaskaden .
Eine Wiege der Lappen..................
Ein Tragplatz..........................
Auf dem Tkalka - See...................
Eine junge Jiyatfran in Persien . . .
Eine persische Fantasia während der Jagd
Zu Nr. 4.
Eine Scene ans dem Stiergefecht zu Valencia ....
Einreiten der Picadores in den Circus zu Valencia . . .
Eine Heerde von Kampfstieren..........................
Der Picador Calderon..................................
Eine schöne Aficionada im Amphitheater zu Valencia . .
Ritt über das Steinfeld Dakleh nach den Katakomben von
Samun..............................................
2n der Krokodilenhöhle von Samun in Aegypten ....
Zu Nr. 5.
Aus den Ruinen von Uxmal, Bucatan..................
Tiger-Basrelief im Circus von Chichen Jtza, Pncatan .
Vorderseite des Palastes der Vestalinnen in Chichen Jtza
Der Espada erwartet den Stier......................
Ein Banderillero in Lebensgefahr...................
Das Anheften der Banderillas.......................
Der Triumph des Espada
Der^Cachetero versetzt dem Stier den Gnadenstoß '.
2
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14
14
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40
41
48
(¡0
Palankin...................................
Kulis in Bombav............................
Arbeiterinnen in Bombay.......................
Parst- Frau und Kind..........................
Ein Parst in Bombay...........................
Indische Handinngsdiener in Bombay ....
Zu Nr. 7.
Plaza und Kathedrale in Cuzco.................
Kloster de la Recoleta........................
Jesuitenkirche in Cuzco.......................
San Sebastian . . ........
Ein Kanonikus und Professor der Experimentalphysik
Indianischer Priester und Seminarist in Cuzco
Manco Ccapac, erster Inka. 1021...............
Llogue Aupanqui, dritter Inka. 1091 ....
Huascar, dreizehnter Inka. 1526 ............
Coya Mama Ocllo Huacco........................
Coya Mama Ccahnana............................
Coya Mama Cchoxne.............................
Die Beguinage de la Recoleta in Cuzco . . .
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,32
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135
137
138
140
141
143
Zn Nr. 8.
Peruanische Feldarbeiter (Peones) ........ 225
Chacarero . .»...............................................226
Alte Bäuerin.................................................226
Chacarera....................................................226
Brotverkäufer in Arequipa....................................227
Plaza mayor und Kathedrale in Arequipa ..... 228
Kirchentracht in Arequipa ._.................................229
Damen zu Arequipa: In Reitcostnm. In Putz . . . 230
Assyrisches Töpfergeschirr................................. 231
Cylinder mit Keilinschriften.................................231
Flasche von Terra cotta......................................231
Ein assyrisches Königsbild...................................232
Santon, der assyrische Herkules........................' 232
Ein Königspalast in Ninive ............................' 233
Assyrische Schmucksachen................................... 234
Karte des oberen Nilgebiets nach Speke's Origina!karte ' ! 252
Zu Nr. 9.
Wasserfall des Tschimlnlak im Alatan . . *>57
Ein länger im Zelte des Kirgisensultans Sabeck . ' ! ' 260
Sonnenuntergang in der Steppe.............................. 261
Todtenklage bei den Kirgisen . . . . ’.................263
Eine Fahrt mit der Post in der Kirgisensteppe ! 9154
Krönungsdom in Drontheim................. 277
Zu Nr. 10.
Pylonen des Jsistempels auf der Insel Philae................289
Dame in Kairo...............................................290
Fellah frau.................................................291
Fellahfrau..................................................292
VIII
Eine Aegypterin............................................293
Aegyptischer Pferdeknecht..................................294
Eseltreiber in Kairo.......................................296
Palast Rhamses III. in Medinet abu............., • ■ 297
Ein japanischer Offizier m alterthümlicher Kriegstracht . . 304
Zu Nr. 11.
Säulenhalle auf der Insel Philae...........................321
Aegyptische Tänzerin.......................................322
Tarabukspielerin...........................................323
Insel Philae...............................................324
Ruinen von Kartas..........................................325
Nubier.....................................................326
Tempel von Denderah........................................327
Nil-Katarakten von Wadi Halfa .............................328
Aus den Ruinen von Karnak..................................329
Zu Nr. 12.
Eine Brücke zu Täbriz...................................353
Schloß des Prinzen Abbas Mirza zu Täbriz............ 354
Alte Karawanserei bei Täbriz............................355
Verfallene Moschee der mongolischen Sultane in Sultanijeh 356
Das Reichsthor zu Teheran...............................357
Das Thor Dulab zu Teheran...............................358
Der königliche Gartenpalast zu Teheran..................359
Das Landschloß der Kadscharen...........................360
Ein Theil des Platzes Meidan-e-Schah in Jsfahan . . 361
Brücke des Allah -Werdi- Khan in Jsfahan............362
Brücke des Hassan-Ab ad in Jsfahan..................363
Kurdischer Reiter aus des Schah's Gefolge...............364
Der Mormonenprophet Joseph Smith und sein Bruder
Hyram................................................366
Landschaft am Großen Salzsee............................367
An den Ufern des Utah - Sees ...........................368
ZnhaltsverMchmß zu Band I bis IV -es Globus
L u r o p a.
Deutschland und Oesterreich.
Die Marschen der Weser und Elbe. I. 145.
214.
Die Marschbewobner an Weser und Elbe.
I. 245.
Die friesischen Uthlande. II. 142.
Die Leute im Lande Oldenburg. IV. 100.
Die Insel Wangerooge. I». 256.
Der Rennsteig des Thüringer Waldes.
II. 286.
Ruhla in Thüringen und die Rühler. ll.
311.
Ein reichsfreies Dorf in Deutschland.
IV. 187.
Bauern im badischen Schwarzwalde. I.
243.
Die Sagen der bayerischen Oberpfalz.
IV. 43. 170.
Die Abkunft der Bayern. IV. 384.
Die Wenden und die Wendei in der Lausitz.
II. 245.
Polnisch redende Bevölkerung Preußens.
I. 224.
Ein polnisches Sanddorf in der Tuchler
Haide. IV. 343.
Die ehemaligen Sitze der Slawen in
Deutschland. III. 304.
Geographie deutscher Ortsnamen. IV. 318.
Wasserstraßen in Preußen. II. 96.
Kanal von Brunsbüttel nach Neustadt.
II. 352.
Ursachen der letzten Ueberschwemmung in
Deutschland. II. 126.
St. Elmsfeuer auf dem Königstein. IV. 64.
Volksmenge im preußischen Staate. III.
159.
Volkszahl in preußischen Städten. III. 224.
Volkszahl von Berlin. III. 96.
Volkszahl von Mainz und Köln. III. 96.
Volkszahl in deutschen Städten. II. 351.
Volkszahl in Würtemberg. III. 223.
Frankfurt (Statistisches). III. 351.
Die Hansestädte Hamburg und Bremen.
U. 383.
Hamburger Handel. III. 128.
Lübecks Handel 1861. III. 96.
Ä von Lübeck. I. 192.
U' (>C> Auswanderung über Bremen.
Schiffsoerkehr in den Häfen des Zoll-
verems. m. 159 * 1 -0
58»1*222 5 Unb Hüttenbetrieb in Preußen.
Bergbau in Preußen i 224
Der Bernsteinertrag in Ostpreußen. II!
B^gbau und Huttenbetrieb im Zollv.
Berg,verksertrag im sächsischen Erzgel
Globus 7V. Nr. 12.
Der Hopfenbau in Mittelfranken. II. 288.
Die preußischen Weltmärkte. III. 159.
Gasbeleuchtung in Deutschland. II. 351.
Nübenzuckerfabrikatiou im Zollverein. III.
127.
Briefe über Böhmen. IV. 23. 49. 78. 116.
Das Braunauer Ländchen. II. 58.
Auswanderung aus Böhmen. II. 32.
Sprachmischung in Böhmen. IV. 320.
Gotschee und die Gotschewer. II. 86.
Civilisation im illyrischen Dreieck. III. 125.
Der Reichthum Slawoniens. II. 352.
Die Einwohner von Fiume. IV. 320.
Die Stadt Osero. IV. 350.
Deutsche Ansiedler in der Marmarosch.
II. 252.
Die Deutschen im Banate. IV. 384.
Die Deutschen in Ungarn und Sieben-
bürgen. III. 224.
Slowakisirte Rntheneu in Ungarn. III. 384.
Die ungarischen Ruthenen. IV. 369.
Auswanderung von Szekleru. IV. 31.
Triest als Handelshafen. III. 32.
Die Handelsflotte Oesterreichs. _ III. 32.
Auswärtiger Handel v. Oesterreich. II. 96.
Volkswirthschaft in Oesterreich. IV. 320.
Schwammfischerei im Adriatischen Meere.
III. 158.
Bergöl in Galizien. II. 256.
Der österreichische Bergbau auf Steinkohlen.
III. 127.
Bevölkerung von Wien. III. 128.
Schweiz.
Pfahlbauten in der Schweiz. I. 286.
Berlepsck Reisehandbuch für die Schweiz.
II. 189.
Feste und Spiele im Kanton Luzern. II.
253. 288. 384.
Der Flächeninhalt der Schweiz genau be-
stimmt. III. 316.
Holland und Belgien.
Die holländische Kauffahrteiflottc. III- 351.
Rotterdam (Aufschwung des Handels).
III. 351.
Die Einwohnerzahl v. Rotterdam. IV. 288.
Die Volksmenge von Belgien. I. 286.
Der Handel Belgiens. III. 159.
Gent in Ostflandern. III. 224.
Skandinavische Länder.
Streifzug in den schwedischen Provinzen am
Bottnischen Meerbusen. IV. 65.
Ausflug von Stockholm nach Drontheim.
IV. 274.
Fahrt von Drontheim bis zum Nordkap.
II. 262.
Ein Ausflug nach Norwegen. I. 65.
Streifzüge in Norwegen. I. 97.
Schwedische Gebräuche bei feierlichen Ge-
legenheiten. III. 374.
Gebräuche bei Hochzeiten. Kindtanfen und
Begräbnissen in Schweden. III. 310.
Bayard Tavlor's Reise in Lappland. III.
177. 212.
Brautwerbung bei den Lappen. IV. 375.
Statistik Schwedens. II. 351.
Die Staatseinnahmen Schwedens. III. 96.
Bornholm und die Bornholmer. II. 347.
Von den Färöern. II. 350.
Großbritannien und Irland.
EineZigeunerkönigin in Schottland. I. 287-
Halbbarbarei auf den Hebriden. IV. 16-
Fairy Island. IV. 351.
Civilisation in Irland. III. 125.
Stand der Gesittung in Irland. I. 188.
Einige Bemerkungen über Helgoland. IV.
310.
Die normannischen Inseln im Kanäle. III.
192.
Urtheil über die Engländer. III. 352.
Die geographische Gesellschaft in London.
III. 348.
DeutscheBestandtheiled.englischenSprache.
II. 94.
Gesundheitszustand in Manchester. I. 160.
Armuth in England. I. 95. 253.
Volksmenge in London. III. 128.
Volksmenge in England. I. 63.
Volksmenge im britischen Reiche. I. 95.
Englands Bevölkerung 1861. III. 128.
Der Verkehr des Hafens von London.
IV. 339.
Postverkehr in England. I. 254.
Theeeinfnhr Großbritanniens. II. 64.
Getreideeinfuhr Großbritanniens. II. 96.
Ausfuhr Großbritanniens. 1!. 96.
Steinkohlenhandel Englands 1861. I. 384.
Kvhlenzufuhr in London. III. 287.
Transport von Mineralien auf britischen
Bahnen. III. 222.
Die Bleigruben Großbritanniens. III. 256.
Gewinnung von Eisenerz inGroßbritannien.
III. 222.
Kohlen in Großbritannien. III. 222.
Roheisen in Schottland. II. 63.
Einfuhr von Gold und Silber in England.
III. 287.
Bankerotte in England u. Wales. III. 287.
Zur Statistik des britischen Kolonialreichs.
III. 222.
Zur Statistik der britischen Finanzver-
waltung. III. 222.
b
X
Inhaltsverzeichnis zu Band I bis IV des.Globus.
Frankreich.
Eigeuthümlichkeiten in der Normandie.
III. 286.
Frauentrachten im Elsaß, l. 279.
Das Münster in Straßburg. I. 347.
Die deutsche Sprache in Paris. IV. 96.
Nizza im Sommer. IV. 127.
Pitschner's Besteigung des Mont Blanc.
II. 29.
Die Mündung der Rhone. III. 159.
St. Etienne in Frankreich. I. 64.
Französische Civilisation. I. 160.
Zur Gesittung in Corsika. III. 93.
Die Staatsschuld Frankreichs. III. 128.
Handelsbewegung Frankreichs 1862. III.
351.
Ausfuhr von Lyoner Seidenwaaren. III.
160.
Rübenzucker in Frankreich. II. 96. III. 128.
Bienenzucht in Frankreich. I. 95.
Die Volksmenge Frankreichs. II. 94.
Die Volksmenge von Paris. III. 224.
Rußland und Polen.
Flächeninhalt des russischen Reichs. II. 351.
Volksmenge von St. Petersburg. III. 224.
Ein Winter in St. Petersburg. I. 208.
Deutsche Kaufleute in St. Petersburg.
III. 320.
Die geographische Gesellschaft in St. Peters-
bürg. III. 285.
Astrachan au der Wolga. II. 190.
Versandung der Mündungen des Don und
der Wolga. I. 127.
Verkehr von Odessa. I. 192.
Handelsverkehr Rußlands. III. 351.
Thee und Theehandel in Rußland. I. 185.
Die Susdaler Handelsleute in Rußland.
III. 384.
Ein Steppenbild aus Rußland. I. 153.
Eine Wanderung vom Jrtysch in Sibirien
nach Königsberg amPregel. III. 85. 113.
Eibofolke, die Jnselschweden an der Küste
von Ehstland. IV. 298. 331.
Die kaukasischen Provinzen Rußlands.
III. 126.
Eine Eilfahrt durch den Kaukasus. I. 354.
Zunftverfassung in Tiflis. IV. 383.
Vorderasien und Arabien.
Vier Wochen im westlichen Kleinasien.
II. 161.
Die Bäder zu Brussa. II. 346.
Ausflug nach Cilicien und in das Taurus-
gebirge. II. 257.
Tarsus in Cilicien, die Stadt des Apostels
Paulus. III. 225.
Unabhängige Armenier im cilicischen
Taurus. II. 286.
Die Schifffahrtsbewegung von Trapezunt.
III. 224.
Erdbeben in Erzernm in Armenien. III. 63.
Die Osterwoche in Jerusalem. IV. 33.
Krähwinkel in Syrien. III. 32.
Bagdad, die Stadt der Cbalifen. Die
Ruinen von Babylon u. Ninive. II. 225.
Denkmäler assyrischer Kunst. IV. 230.
Alterthümer in Kleinasien. I. 256.
Der Wüstenwind in Mesopotamien. II. 254.
Unwetter in Mekka. II. 158.
Ein Charakterzug der Araber. I. 320.
Persien.
Schilderungen aus Persien. I. 33.
Ein Opferfest bei den Adighe im Kaukasus l
II. 378.
Neue Mittheilungen über die Völker im
Kaukasus, in. 10. 41. 74.
Die angebliche Wasserverbindung zwischen
dem Schwarzen Meere und dem Kaspi-
schen See. I. 59. 223. II. 117.
Briefe über Polen. III. 23. 52. 116. 210.
Eine Ansicht über Polen. III. 318.
Polnisches Urtheil über den polnischen
Natioualcharakter. IV. 191.
Der polnische Bauer. III. 340.
Fastnachtsfeier polnischer Bauern. IV. 190.
Eine polnische Hochzeit. IV. 31.
Eine polnische Landkarte. I. 151.
Iberische Halbinsel.
Das Kapitelhaus der Christusritter zu !
Thomar. I. 23. 56.
Die Stadt Oporto am Douro. I. 171.. !
Zwei Bauwerke in Portugal. I. 282.
Schloß Penha de Cintra und das Schloß
von Guimaraens in Portugal. I. 320.
Belem in Portugal. I. 381.
Batalha, Kloster in Portugal. II. 185.
Das Kloster Mafra und die Stadt Bar-
cellos in Portugal. II. 369.
Besteigung-der Maladetta. II. 57.
Nach Barcelona, der Hauptstadt Cata- ;
loniens. III. 257.
Von Barcelona nach Valencia. III. 363.
In Valencia. IV. 6.
Stiergefechte zu Valencia 1862. IV. 97.
135.
Italien.
Schilderungen aus Venedig. III. 171. 193.
Glücksspiele und Aberglauben in Rom.
IV. 155.
AusgrabuugeuinPompeji. III. 126. IV. 63.
Der italienische Volkscharakter. III. 352.
j Die neapolitanischen Volksstämme. II.
> 55. 92.
Die Camorra in Neapel. II. 182.
Volksleben in Neapel. I. 302. 321.
Neapolitanische Charakterköpfe. III. 89.
146.
Der Acquaiolo in Neapel. II. 64.
! Die Deutschen und Schweizer in Neapel.
III. 50.
Von Täbriz nach Teheran. Isfahan, die
Stadt der Sesiden. IV. 353.
Besteigung des Demawend in Persien. I.
250.
Chanikoff's Reise nach Chorassan. 11. 97.
Rosse und Reiter in Persien. II. 184.
Eine Jagd des Schahs von Persien. I V. 87.
Die italienische Expedition in Persien. III.
96.
Jnnerasien.
Nachrichten aus Tibet. I. 64.
Das Vordringen der Europäer nach Tibet.
II. 24.
Neue Nachrichten aus Tibet. Das Vor-
dringen katholischer Missionäre. III. 241.
WeitereNachrichten aus Tibet. Desgodins'
Reisen und sein Besuch in den Lama-
klöstern. III. 341.
Eigenthümlichkeit der Frauen in Tibet.
1. 384.
Chinesisch-tibetanische Expedition. I. 94.
Das Vordringen Rußlands nach Jnner-
asien. I. 94.
Geographische Ausdrücke in Jnnerasien.
IV. 64.
Ein Ausbruch des Vesuv. I. 276.
Der Vesuv seit dem Ausbruche 1861. III.
106.
Die Solfatara bei Pozzuoli. IV. 309.
DerPausilipp u.derAgnano-See. IV. 372.
Die Insel Sardinien und ihre Bedeutung.
II. 240.
Civilisation auf Sicilieu. 111. 156.
Siciliauischer Schwefel. III. 96.
Ersteigung des Monte Viso. I. 95.
Tunnel durch den Mont Cenis. I. 95.
Italienische Häfen. III. 192.
Die Schifffahrt Genuas. III. 192.
Europäische Türkei und Griechenland.
Leben und Treiben in Konstantinopel. IV.
143. 180.
Besuch im Demir Chan zu Konstantinopel.
III. 58.
Der heilige Berg Atbos, seine Klöster und
Mönche. II. 33.
Beichte in einem Kloster auf dem Berge
Athos. I. 27.
Thessalonich in Macedonien. 1. 205.
Kanitz über die Länder der europäischen
Türkei. III. 285.
H. Barth's Wanderung in den Süddonan-
läiwern. III. 285. '
Die Sulinamündung tmd der Handel der
Donau. I. 127.'
Die Sulinamündung. III. 256.
Die Donaumündung. III. 96.
Die Insel Candia. II. 192.
Nachrichten von der Insel Rhodus. 1. 384.
Ein Blick auf die Insel Rhodus. III. 33.
Das Erdbeben ans Rhodus. IV. 217.
Besuch in der Grotte von Antiparos. I. 272.
Bevölkerung in Bosnien. I. 95.
Die Montenegriner und ihr Gesetzbuch.
II. 201.
Bulgarische Zeitungen. IV. 96.
Volkszahl von Griechenland. III. 351.
Volkscharakter der Neugriechen. IV. 64.
Die Abkunst der Neugriechen. II. 160.
Kanal durch die Landenge von Korinth.
III. 159.
! Korinthenhandel Griechenlands. 1. 192.
! Die Jonischen Inseln. III. 224.
Hochzeitswünsche bei d. östlichen Kalmücken
IV. 62.
Ein Königsbegräbniß bei den Mongolen.
IV. 350.
Die kleine Bucharei. IV. 64.
Streifzüge in den Gebirgen und Steppen
der Chalchas-Mongolen und Kirgisen.
IV. 257.
Ein Ausflug nach Ladakh und Kaschmir.
III. 25.
Ostindien.
Die Parsis in Bombay. IV. 161. 207.
Bedeutung der Handelsstadt Bombay.
III. 350.
Bemerkungen über Britisch-Ostindien. III.
237.
Die Goldregion in Ostindien. II. 62.
Madras in Ostindien. IV. 351.
Ostindiens Einnahmen und Ausgaben.
III. 157.
Aberglaube in Ostindien. III. 32.
Ein neuer Gott in Indien. I. 222.
Wallfahrten in Indien. II. 95.
Unruhen u. Fortschritt in Ostindien. II. 95.
Wirklicher Fortschritt in Ostindien. I V. 190.
Jnhaltsverzeichniß zu Band I bis IV des Globus.
XI
Wittwenverbrenuuugen in Indien. IV. 26.
Leichenbegängniß eines Radschah in Ost-
indien. III. 349.
Eine indische Königin. II. 189.
Die Bergvölker in Bengalen. II. 191.
Verkauf kleiner Mädchen in Bengalen. IV.
224.
Nachrichten aus Ostindien. IV. 127.
Neue gefährliche Krankheit in Indien. IV.
223.
Bedeutung d. Centralprovinzen Ostindiens.
III. 349.
Dampfflotille auf dein Indus. I. 127.
Nachrichten ans dem Pendschab. I. 288.
Europäische Ansiedler im Pendschab. I. 127.
Perlenfischerei auf Ceylon. IV. 192.
Die Andamanen-Jnseln. I. 352. III. 30.
Ein Wald auf den Andamanen. I. 316.
Ein Eingeborener auf den andamanischen
Inseln. I. 177.
Strafkolonie auf den Andamanen. I. 158.
Die Bewohner der nikobarischen Inseln.
II. 220.
Hinterindien und der oftasiatische
Archipel.
Mongknt, König von Siam. I. 140.
König Mongkut und das Leichenbegängnis;
eines christlichen Bischofs. III. 315.
Aus dem Staatskalender des Königreichs
Siam. IV. 190.
Aus Hinterindien. Siam und die Fran-
zosen. III. 157.
Die Franzosen in Ostasien. I. 63.
Nachrichten aus Cochinchina. II. 158.
Die Franzosen in Cochinchina. II. 350.
Die französischen Eroberungen in Cochin-
china. III.'308.
Die Franzosen in Cochinchina und aufPulo
Condor. II. 157.
Mouhol's Reise in Kambodscha. II. 191.
Wegbauteu in Pegn. IV. 189.
Die Hauptstadt von Barma. III. 287.
Fahrt auf dem Jrawaddy nach Amerapnra.
II. 272. 303.
Dampfer aufdem obernJrawaddy. IV. 160.
Das barmanische Reich und die Engländer.
II. 320.
Erforschung des Landes der Schau in
Hinterindien. IV. 189.
Die Landenge von Kraw in Hinterindien.
IV. 188. '
Die Reishäfen im englischen Hinterindien.
III. 31.
! Streifziige unter den Dayaks auf Borneo.
> III. 97. 136.
Die Frauen des Sultans von Bruni auf
Borneo. II. 256.
Vulkanischer Ausbruch auf der Molukken-
insel Makian. II. 191.
Manila durch Erdbeben zerstört. IV. 318.
Lebensweise der Europäer in Niederländisch-
Jndien. II. 180.
Schilderungen ans Niederländisch-Indien.
II. 150.
Die Holländer im indischen Archipelagus.
Streit über Sumatra. III. 157.
Sir James Brocke, Radscha von Sarawak,
und die Seeräuber im Indischen Archi-
pelagns. I. 335. 364.
Seeräuber in den ostasiatischen Gewässern.
I. 114.
China.
Aus China. I. 16.
Expedition auf dem oberen Hang-tse-
kiang in das Innere von China. I. 179.
Die chinesische Stadt Tsche-fn in der Pro-
vinz Schan-Tung. I. 221.
Bilder ans dem chinesischen Leben. III. 143.
Rußland und China. I. 127.
Gränzpfähle zwischen Rußland und China.
I. 29.
Die Franzosen haben festen Fuß in China.
IV. 160.
Macao in China den Portugiesen abge-
treten. III. 95.
Franclet's Reise auf dem Suugari, durch
die Mandschurei bis zur Amurmündung.
IV. 109.
Die Kaiserlichen und die Taipingrebellen.
II. 76.
Die chinesischen Rebellen, ihre Religion u.
der amerikanische Missionär Roberts.
II. 105.
Anarchie im westlichen China. I. 256.
Die Verwirrung in China. IV. 185.
Der Handel Europas mit China. I. 123.
Europäischer Handel mit China. IV. 255.
Rußlands Theehandel mit China. IV. 159.
Zufuhr von chinesischem Thee nach Europa.
III. 287.
Die Handelsverhältnisse von Schanghai.
III. 119.
Nene Häfen in Formosa eröffnet. IV. 352.
Marktleben n. Theegärten in China. II. 190.
Ileberlandweg nach dem sudwestl. China.
IV. 224.
Protestantische Missionäre in China. 1.160.
Afrika.
Der Nordrand und die Sahara
Ein Ausflug von Tanger nach Maro!
_ III. 77.
Schlangenbeschwörer in Marokko. I. 3
Blondhaarige Bewohner des Atlasgel
ges. 1.284.
Constitutionelle Verfassung von Tun
I. 278.
Fortschritte in Tunesien. II. 350.
Ein Aufenthalt in Tripolis. I. 129.
Ausgrabung von cyrenaischen .Altert!
mern. I. 192.
Kolonisationsverhältnisse Algeriens. >
223.
Nachrichten aus Algerien. II. 320. IV. 3!
Volksmenge Algeriens. II. 192. III. 28
Artesische Brunnen in Algerien. II. 95.
Der Weinbau in Algerien. I. 287.
Karawanen aus der Sahara in Algier.
I. 63.
Streifzüge in der Sahara von Algerien
II. 79.
Tänzerinnen in der afrikanischen Wüste.
II. 62.
Postreise in der Sahara. I. 275.
Duveyrier in der Sahara. I. 94.
Reise durch die westliche Sahara. I. 116.
Die Tuarecks in der Sahara. IV. 63.
- Der Stamm der Beni Mezab in Nord-
afrika. I. 117.
Munzinger's Expedition nach Wadat. II.
223.
Der Nordosten und die Nilländer.
Aegyptische Alterthümer. II. 160.
Besuch in der Krokodilhöhle von Samun.
IV. 118.
Die Zigeuner in Aegypten. IV. 122.
i Englische Beamte in China. I. 159.
Das Betragen der Russen und Engländer
in China. I. 62.
Die Chinesen in ihrer bürgerlichen Stellung
zu den Europäern. I. 220.
Nachrichten aus China. II. 27. III. 351.
Kleine Nachrichten aus Asien. II. 191.
Die amtliche Pekinger Zeitung. II. 254.
Europäische Einflüsse in China. IV. 383.
Bibelübersetzung in chinesischer Sprache.
! III. 287.
^ Strafe für Verbrecher in China. I. 288.
Chinesische Fremdenlegion. I. 96.
Japan.
j Bemerkungen über Japan. 11. 145. 176.
EiuNeujahrstagzuUeddoinJapan. I. 122.
Alcock's Bemerkungen über Japan. III. 62.
| Nachrichten aus Japan. I. 224.
Reisen in Japan. I. 91.
Seefahrten der Japaner. I. 284.
Die Verwirrung in Japan. IV. 188.
Japan und die Seemächte. I. 189.
Die Russen auf Tsu-sima. I. 190
Tsu-sima, wichtige Insel im japanischen
Meere. IV. 188.
Der Streit zwischen England und Japan.
IV. 302.
Japanische Landkarten und Küstenauf-
nahmen. IV. 188.
Japanische Industrie. II. 158.
Der Handel in Japan. II. 96.
Japanische Kolonisation. III. 191.
Englische Zeitung in Japan. III. 352.
i Japanisches Papier. II. 383.
Sibirien und die Amurländer.
Gustav Radde's Reisen in Ostsibirien. III.
353.
Ein Steppenbild aus Daurien. IV. 18.
Aus dem asiatischen Rußland. II. 352.
Ein Jabr zu Beresof in Westsibirien. I V. 214.
Die Graphitwerke in Sibirien. II. 374.
IV. 319.
In Sibirien bei den Jakuten und Tunguseu.
I. 161.
Ein Jahrmarkt der Nomaden am Altai.
IV. 55.
Tungustsche Nomaden in Ackerbauer ver-
wandelt. III. 63.
Nachrichten aus dem Amurlanöe. I. 64.
Nene russische Städte im Amurlaude. IV.
318.
Fahrt auf dem Nit bis zu den nubischeu
Katarakten. IV. 289. 321.
Chartum, die Hauptstadt des ägyptischen
Sudan. Die Anwohner des Weißen Nils
und Gazellenflusses. II. 353.
Chartum. III. 247. 273.
Lejean's Bemerkungen über den Bahr el
Gasal. II. 153.'
Die Probleme am obern Nil. I. 372.
Reisen des Dr. Peney am obern Nil.
I. 247.
Dr. Peney am obern Nil gestorben. I. 252.
Die Sklavenjagden der Europäer am
Weißen Nil. III. 214.
Nachrichten vom obern Weißen Nil. II. 319.
Gondokoro am Weißen Nil. II. 316.
Miani über die Entdeckungen am obern
Nil. III. 30.
Lejean am obern Nil. I. 93.
b*
XII
Lafargne über die Länder am obern Nil.
I 92.
Baker's Expedition zur Entdeckung der
Nilqnellen. IV. 22.
Speke über die Entdeckung der Nilquellen.
IV. 249.
Speke und Grant's Entdeckung der Hanpt-
quelle des Weißen Nil. IV. 175.
Nilqnellen und Kilimandscharo. IV. 313.
Die Expedition des Herrn von Heuglin.
I. 350.
Alexander Ziegler über die deutschen Expe-
ditionen in Afrika. III. 190.
Ein Brief Schnbert's aus Chartum. III.
254.
v. Heuglin und Dr. Steudener auf dem
Bahr el Gasal. IV. 255.
Dr. Steudener's Tod. IV. 312.
Entdeckungsreisen im Osten Afrikas. I. 107.
Afrikanische Expeditionen. IV. 125.
Darfnr. II. 287.
Der mohammedanische Sudan, besonders
Darfnr. II. 364.
Konsul Petherick's Reisen iu Aegypten, im
Sudan und Centralafrika. I. 344.
Skizzen aus Aethiopien. IV. 202. 235.
Die Stadt Sennar. IV. 1.
Die Bogos nnd ihr Land. II. 22.
Bon Mensa nach Keren im Lande der Bogos.
II. 236.
Bierzehn Tage in Mensa. III. 161. 289.
321.
Aus den südabessinischen Landschaften. III.
27.
Ein paar Worte über die Oberabvssinier.
II. 342.
Stern's Reisen zu den Falaschas oder
abyssinischen Juden. III. 312.
Der Bullan von Aid. I. 190.
Wie steht es mit dem Suezkanal? I. 52.
Die Arbeiten am Kanale von Suez. III.
188.
Port Said, der Mittelmeerhafen am Suez-
kanal. III. 350.
Im Rothen Meer und im ostlichen Sudan.
I. 376.
Im Rothen Meer und im Bufen von Aden.
III. 193.
Die Dahlak-Jnseln im Rothen Meere. I.
224.
Perlenfischerei bei den Dahlak Jnseln. I.
241.
Südostafrika.
Ein Besuch am Hofe des Muata Cazembe.
III. 13.
Negerbräuche in Ostafrika. II. 384. III. 64.
Charakterbild der ostafrikanischen Neger.
IV. 73.
Britisch Nord-Amerika.
Nachrichten aus Cañada. III. 352.
Ueberreste der Jndianer in Cañada. IV. 31.
Die grotzen canadischen Seen. III. 128.
Cañadas Bevolkerung. II. 64.
Flüchtige Sklaven in Cañada. I. 160.
Erforschung von Labrador. I. 95.
Aus den Aufzeichnungen eines Kabeljau-
fischers in Labrador. II. 281. 314.
Die Goldgruben in Neuschottland. 1.128.
158. 286. II. 63.
ZurStatistik vonNeubraunschweig. IV. 62.
Jnhaltsverzeichniß zu Band I bis IV des Globus.
Sklavenhandel an der Ostküste von Afrika.
III. 191.
Brief Livingstone's von der Ostküste Afrikas.
I. 247.
Livingstone auf dem Nyassa-See. Missionen
und Baumwolle. II. 380.
Aus Richard Burton's Reise zum Tan-
ganyika-See in Ostafrika. II. 129.
171. 205.
Landschafteiiund Staaten nordwestlich vom !
Nyanza-See. IV. 147.
Baron v. d. Decken und der Kilimandscharo.
I. 351.
Karl v. d. Decken in Ostafrika. IV. 222.
Dürre im südöstlichen Afrika. III. 384.
Klimatische Krankheiten iu Ostafrika. IV.
242.
Die Kapländer.
Nachrichten vom Vorgebirge der Guten
Hoffnung. III. 192.
Die östlichen Provinzen der Kap-Kolonie.
IV. 32.
Die Malaien der Kapstadt. IIl. 126.
! Nachrichten aus der Kap-Kolonie, l. 159.
III. 160. 255.
Die Kap-Kolonie. II. 159.
Britisch-Kafraria. I. 190.
Aus Natal und Kafraria. IV. 160.
Pietermaritzburg in Port Natal. II. 159.
Missionäre bei den Zulnkaffern. I. 288.
Nachrichten aus Südafrika. II. 223.
Livingstone und die Makololo. I. 94.
Südafrika von Westen noch Osten durch-
wandert. IV. 160.
Missionäre in Südafrika vergiftet. IV. 95.
Ein Patriarch in Südafrika. II. 192.
Westafrika und die Nigerländer.
Pascal's Wanderung durch das Goldland
Bambnk. I. 19.
Lambert's Reise nach Futa Djalon. II. 1.
Lambert's Reise von Timbo in Futa Djalon
nach St. Louis am Senegal. II. 46.
Eine Signare zu St. Louis am Senegal,
t. 179'.
Vom Senegal nach Timbuktu. III. 251.
Die Länder am Senegal und ihre Er-
oberung durch die Franzosen. I. 193.
Ein französisches Reich am Senegal. IV.
126.
Richard Bnrton über Westafrika. III. 318. j
Richard Burton über das Camerones- !
gebirge. II. 286.
Mader über die Oetschineger an der Sklaven-
küste. III. 317.
Der König von Dahome. II. 242. III.
93. IV. 128.
Die Negerstadt Abbeoknta in Poruba. II.
279. III. 62.
Negergebräuche in Guinea. II. 288.
Amerika.
Die Houdurasbai-Jnseln. I. 96.
Zur Geographie von Britisch-Columbia.
II. 125.
Britisch-Columbia und die Insel Van-
couver. III. 319.
Aus Britisch-Columbia. II. 350. IV. 62.
Aussterben der Jndianer in Britisch-Co-
lumbia. III. 352.
Goldreichthum inBritisch-Colnmbia. II. 28.
Das neue Territorium Stickin. IV. 29.
Die französische Kabeljaninsel St. Pierre.
I »I. 27 6.
Der Hafen Lagos an der Sklavenküste.
I. 159.
Ursitz der Sklavenverschiffnng. I. 384.
Die Nigerexpedition. I. 252.
Magnan's Forschungsreise auf dem Niger.
III. 189.
Befahrung des Niger durch den englischen
Kriegsdampfer Jnvestigator. IV. 30. .
Anthropophagie im Nigerdelta. II. 159.
Hutchinson's Fahrten im Nigerdelta. II. 51.
König Peppel, Herrscher von Bonny im
Nigerdelta. I. 178.
Nachrichten vom untern Niger. II. 94.
Nachrichten aus dem Nigerdelta. III. 384.
Reisen in Afrika. I. 284.
Deutsche Reisende in Afrika. I. 383.
Englische Annexionen in Westafrika. II. 159.
Nachrichten von der Westküste Afrikas. I.
224. 254. III. 31. IV. 160.
Klima im tropischen Afrika. III. 352.
Postverbindung mit der Westküste Afrikas.
I. 190.
Entdeckungsreisen in Centralafrika und im
Westen. I. 87.
Der Streit über den Gorilla und Du
Chaillu. I. 121.
Du Chailln's Forschungsreisen und Aben-
teuer. I. 43.
Königswahl am Gabnnstrom. I. 115.
Die Völker am Gabun. I. 119.
Jagd bei den Kimbund aneg ern in Süd-
westafrika. II. 191.
Die Gnanoinsel Jchaboe. I. 112.
Das Ovampoland. II. 159.
Madagaskar.
Ein Blick anfMadagaskar. 1.380. 11.193.
Radama der Idealist, König von Mada-
gaskar. III. 46.
Neue Nachrichten aus Madagaskar. III.
124.
Die Civilisationskomödie anfMadagaskar
nnd die Napoleonischen Annexionen. III.
252.
Die Dieqo Suarez-Bai in Nordmadagas-
kar. III. 351.
König Radama von Madagaskar ermordet.
IV. ' 255.
Das blutige Drama auf Madagaskar. IV.
270.
Die französische Madagaskar-Kompagnie.
IV. 224.
Die Zuckerinsel Mauritius. II. 286.
Die französische Insel Reunion. IV. 383.
Nachrichten von den Komoro - Jnseln.
III. 31.
Die Seychellen-Inseln und derSalomons-
baum. III. 150.
Ein Orkan ans den Seychellen. III. 256.
Vereinigte Staaten.
Die nordamerikanischen Verhältnisse. I.
298. 332. 360. II. 13.
ZurKennzeichnung derMenschenund Dinge
in Nordamerika. IV. 261.
Mosaik ans dem Aankeelande. IV. 340.382.
Die Bevölkerung der Union. II. 96.
Die Einwohnerzahl der bedeutendsten
Städte in den Bereinigten Staaten. IV.
348.
Zur Statistik der Einwanderung in den
Vereinigten Staaten. III. 128.
Inhaltsverzeichnis; zu Band I bis IV des Globus.
XIII
Bunte Musterkarte der Einwanderung in
Nordamerika. III. 223.
Liegende upd fahrende Habe iu den Ver-
einigten Staaten. II. 254.
Erzeugnisse der sklaveuhaitenden Staaten.
I. 318.
Zur Statistik des wirthschastlichen Aus- !
schwungs in den konföderirten Staaten. !
III. 123.
Ähr Negerfrage in Nordamerika. III. 317.
Die Neger und Weißen in Nordamerika.
I. 287.
Sklaven und Sklavenhalter in Nord-
amerika. I. 167.
Die Turner in Cincinnati und die Farbigen.
I. 255.
Die Stellung der Farbigen in der Aankee-
union und die angebliche Philantropie.
III. 17.
Neue Staaten in Nordamerika. 111. 318.
Einwanderung in Neu-Jork 1862. III. 287.
Wasserarmuth der Stadt Neu-Aork. 1.253.
Zeitbestimmung von Neu-Jork aus be-
rechnet. I. 224.
Chicago iu Illinois. III. 256.
Bevölkerung von Jova und Wisconsin.
I. 96.
Ein Zahltag bei den Indianern in Wis-
consin. I. 55.
Ein Abenteuer in Texas. IV. 85.
Der Winter iu Texas. I. 286.
Das neue Territorium Idaho. IV. 61.
Neue Mündung des Mississippi. IV. 86.
Der unbekannte Westen iu Nordamerika.
I. 155.
Deutsche Ansiedler am Obern See. II. 256.
Die deutsche Sprache iu Nordamerika.
I. 61.
Die Oelquellen in den Vereinigten Staaten.
I. 191. 253. 286. III. 158. 287.
Die nordamerikanische Bleiregiou. I. 64.
Die Münzstätten der Vereinigten Staaten.
I. 191.
Goldentdecknngen in Amerika. I. 253.
Philadelphia und die deutsch-amerikanische
Journalistik vor 109 Jahren. II. 96.
Bilderschrift der nordamerikanischen In-
dianer. III. 298. 332.
Geisterklopferei in den Ver. Staaten. 1.187.
Bankerotte in Nordamerika. I. 166.
Die Prairiefeuer in Nordamerika. I. 246.
Civilisation in Nordamerika. III. 352.
Nordamerikanische Ausdrücke. III. 384.
Nordamerikanische Komplimente. I. 287.
Masou's und Dixon's Linie. III. 318.
Indianer am Rio Colorado. I. 246.
Virginia City in Nevada. IV. 61.
Vor zehn Jahren in Californien und
Oregon. I. 1.
Streifzüge durch Californien. III. I.
Charakterbilder auö den californifchen Gold-
gegenden. III. 54.
Das Emporblühen Californiens. I. 183.
II. 349.
Einwohner von San Francisco. 1. 191.
Das Aufblühen von San Francisco. III.
383.
Nachrichten ans San Francisco. II. 126.
Der Reichthum an Edelmetallen in Cali-
fornien. III. 376.
iv à^rreichthum Californiens. I. 96.
Australischer Kontinent.
Eine Wanderung durch Australien. I. 11.
Stuarts Reisen in Australien. I. 63. II.
341. I V. 56.
Califoruisches T>ilber. 111. 157.
Quecksilber in Californien. III. 127.
Nachrichten aus Californien. II. 256. III.
224. 287.
Ueberschwemmungen in Californien. II. 356.
Niesenbäume in Californien. III. 96.
Ein californischer Fichteustamm. IV. 62.
Deutsche Weihnachtsfeier in Californien.
III. 349.
Die Mormonen am Großen Salzsee. 1. 96.
IV. 62. 365.
Die Mormonen in Utah. 111. 191. IV. 31.
Burton bei den Mormonen. I. 316.
Mexiko und Central-Amerika.
Ein Blick auf Mexiko. II. 43.
Wanderungen in Mexiko. II. 289. 321.
Bon Mexiko nach Veracruz. Das gelbe
Fieber und dessen Verbreitung. III. 65.
Der silberreiche Staat Chihuahua. II. 168.
Zerrüttete Zustände in Mexiko. I. 128.
Das Heidenthum iu Mexiko. II. 89.
Kaufleute, Märkte und Handelsverkehr im
alten Mexiko. II. 269.
Jorulla und Jsalco, zwei neue Feuerberge.
111. 336. 371.
Ein neuer Vulkan in Mexiko. IV. 223.
Silber in Mexiko. III. 31.
Die Playa von Granada. I. 271.
Eine Fahrt auf dem San Jnanflusse von
Greytown nach Granada. IV. 366.
Chontales, das Land der edlen Metalle.
II. 49.
Die Ruinen der altamerikanischen Pracht-
stadt Chichen Jtza in Pukatan. IV. 129.
Der letzte Jndianerkönig von Tehuantepec.
II. 119.
Marktleben zu Sau Jose iu Costarica. IV.
256.
Die Neger in Central-Amerika. >11. 94.
Guano auf der Insel Sombrero. 1. 128.
Deutsche Ansiedler au der Moskitoküste.
III. 348.
i Durchstechung der Landenge von Darien.
! I. 94.
Schiffskanaldurch die Landenge von Darien.
I. 283.
Die Landenge von Panama. IV. 189.
Die Landenge von Tehuantepec. IV. 383.
Westindien.
Nachrichten aus Westindien. 1. 158. 11.59.
III. 255. IV. 31.
Die englischen Antillen. I. 255.
Die Volksmenge von Jamaica. I. 158.
Kingston ans Jamaica. 1. 96.
Aus Guadeloupe und Martinique. IV. 383.
Schiffsverkehr von St. Thomas. IV. 319.
, Die freien Neger in Westindien. III. 84.
! Der Aufstand der Neger in St. Vincent.
III. 156.
Leben und Treiben der westindischen Neger.
IV. 114.
Ein Schreiben aus St. Thomas über die
freien Neger. IV. 179.
Brasilien.
Ein Besuch in Rio de Janeiro. I. 225.
W u st r a t i e n.
Mißlungene australische Expedition. 1. 95.
Forschungsreisen von Burke und Mills.
1. 318. 346.
Gregory's Reisen in Westanstralien. 1.383.
Der Maler Biard bei den Puris-Jndianern.
II. 17.
In der Campagna der Provinz Rio Grande
do Sul. III 245. 278.
Leben und Treiben ans dem Marktplatze
von Rio Grande do Sul. III. 148.
Die Neger in Brasilien. IV. 15. 47.
Der brasilianische Hafen Bahia. III. 159.
Hasen und Korallenriff von Pernambuco.
I. 116.
Abkömmlinge der Portugiesen in Minas
Novas. IV. 64.
Expedition nach Ceara. I. 253.
; Im brasilianischen Urwalde. I. 367.
Der Rio San Francisco. III. 286.
Deutsche Colouien in Brasilien. III. 156.
Kaffeeausfuhr Brasiliens. III. 326.
Stand des Erziehnngswesens in Brasilien.
IV. 196.
Notizen aus Brasilien. IV. 255. 382.
Spanische Republiken Südamerikas;
Patagonien und Feuerland.
Ein Bild aus den Llanos von Venezuela.
1. 218.
Goldgruben iu Venezuela. 11. 224.
Geographisches Bild ans der Region am
Orinocostrome. IV. 52.
Humboldt über seine Besteigung des Chim-
borazo. IV 352.
Eine Wanderung von Jslay durch die
peruanische Wüste. Die Gräber und
Mumien der Aymaras. III. 129.
Die Stadt Arequipa in Peru. IV. 225.
Die Jnkastadt Cuzco in Peru. IV. 193.
Ruinen des Pachacamac-Tempels. I V. 63.
Heiligenfest in Peru. I. 255.
Pisco in Peru u. die Gnanoinseln. IV. 192.
Guanovorrath an der peruanischen Küste.
IV. 384.
Der Handel von Peru. >. 191.
Die Tyroler am Pozozn in Tyrol. I. 189.
Nachrichten aus Bolivia. I. 96.
Ein Urtheil über die Republik Chile. IV.
349.
Nachrichten aus Chile und Peru. 111. 255.
Die Deutschen in Valparaiso. IV. 319.
Einrichtung einer chilenischen Hacienda.
IV. 356.
Schilderungen aus den La Plata-Staaten.
I. 233.
Fortschritt in den La Plata-Staaten. IV.
284.
Die Gauchos der La Plata-Region. IV. 64.
Oeffeutliche Zustände in den La Plata-
Läudern. III. 282.
Seidenbau iu den La Plata-Ländern. III.
319.
Erdbeben in Mendoza. I. 253.
Einwanderung in die La Plata-Staaten.
III. 191.
Land und Volk von Paraguay. II. 65.
Die Erforschung des Urüguayflusses. IV.
j 286.
: Gefangenschaft und Abenteuer bei den Pa-
tagoniern. I. 257. 289.
Die öden Küsten Patagoniens. II. 192.
Ein Besuch in der Magellanstraße bei den
Pescheräs. II. 213.
. Steinwaffen der Feuerländer. IV. 192.
Landsborough's australische Reisen. II.
223. 382.
O'Hara Burke's Reise durch Australien.
II. 326.
XIV
Jnhaltsverzeichniß zu Band I bis IV des Globus.
Die australischen Entdeckungsreisen. II.
349.
Neue Entdeckungen in Australien. III. 61.
Die neuesten Entdeckungen in Australien.
III. 94.
Australische Entdeckuugsreiseude. III. 348.
Mac Kinlay's Entdeckungsreisen. IV. 20.
Die Kolonie Queensland. I. 160. III. 94.
233. 270.
Port Denisou in Queensland. III. 95.
Obstbau in Queensland, Australien. II.
127,
Ein Sturmgewitter in Queensland. III.
309.
Nachrichten aus Neusüdwales. III. 64.
Die Lachlan-Goldfelder in Neusüdwales. I.
320.
Der Weinbau in Neusüdwales. IV. 320.
Die Kolonie Victoria. II. 382.
Volksmenge in der Kolonie Victoria. III.
287.
Die Kolonie Victoria auf der Londoner
Ausstellung von 1862. I. 318.
Die Eingeborenen der Kolonie Victoria.
IV 238 278
Victorias Mineralschatz. IV. 153. 184.
Die Eingeborenen Tüdaustralieus. II. 352.
Ein Urwald in Victoria, Südaustralien,
l. 288.
Kolonisation Nordaustraliens. II. 160.
III. 191.
Westaustralien als Deportations-Kolonie.
I. 190. III. 156. 351.
Kleine Nachrichten aus Australien. I. 223.
254. 351. >1. 127. III. 63. 156. 286.
IV. 27. 32.
A
Expedition nach Spitzbergen, l. 189.
Torell's Expedition nach Spitzbergen. I.
249.
Schwedische Expedition nach Spitzbergen.
I. 284.
Geologisches aus Spitzbergen. II. 32.
Ethnologisches.
Ethnologische Beiträge. III. 280. 313.
335. 378. IV. 334. 378.
Die Menschenrassen. III. 92.
Die geographische Gruppirung der Kelten.
III. 344.
Ansichten und Urtheile über den Charakter
der keltischen Völker. IV. 282.
Indianer und Neger. IV. 64.
Unsere schwarzen Brüder. I. 314.
Ein Nachtbild aus Afrika. I. 254.
Negergebranch. IV. 64. 96.
Was sind die höchsten Güter des Negers?
III. 350.
Personennachrichten.
Nene Nachrichten über Livingstone und die
Missionäre in Jnnerafrika. I. 26.
Eine Niederlassung in Australien. II. 254.
Erinnerungen eines australischen Waid-
manns. I. 82.
Anwachs der Volksmenge in Australien.
III. 256.
Die haarlosen Menschen in Australien.
III. 63. IV. 32.
Die Urbewohner Australiens. 1. 267.
Von Melbourne nach England. IV. 288. ;
Eine Lobrede auf Australien. IV. 83.
Die Deutschen in Australien. II. 87.
Deutsches Turn- und Gesaugfest in Austra-
lien. IV. 337.
Die Chinesen in Australien. I. 159.
Zur Gesellschaftsstatistik von Australien.
I, 191.
Zur Sittengeschichte Australiens. I. 288.
Kohlenreichthum Australiens. II. 63.
Weinbau in Australien. II. 128.
Die Goldfelder in Australien. III. 64.
Ein Schifsbruch au der Westküste Austra-
liens. I. 187.
Oceanie».
Volksmenge auf Neuseeland. III. 256.
Die Hafenstadt Duneddin ans Neuseeland.
IV. 224.
Otago aus Neuseeland. IV. 319.
Gebirge u. Vulkane auf Neuseeland. IV. 59.
Eine Zeitung in der Maori-Sprache. III.
352.
Austern à 1a Maori. IV. 384.
ic Uotargegeiid
Eine Kreuzfahrt nach der Behringsstraße.
I. 63.
Die Expedition des Lieutenants v. Krusen-
stern in das Nördliche Eismeer. III. 160.
IV. 287.
Dr. Hayes und das offene Polarmeer. I.
184. '
Allgemeines.
Nachrichten über Livingstone. I. 189.
; Enthüllungen über Livingstone. III. 185.
Englisches Urtheil üb. Livingstone. III. 288.
Liviugstone's Expedition zu Ende. IV. 160.
Frau Livingstone gestorben. III. 32.
Ludwig Krapf. III. 31. 348.
Nachrichten über Speke und Grant. III.
64. IV. 128. 255.
Jose Maria El Nastrerò. I. 255.
S. Mas. Orelie Antoine I., König der
Araukanier. 11. 123.
Ein Schwarzer vom Senegal in Paris.
I. 32.
Tod des Kaisers von China 1861. I. 190.
Der neue Kaiser von China. I. 286.
Der König von Barma. I. 286.
Der Nachkomme des Großmogul. I. 255.
Der letzte Großmogul. III. 287.
Ein Berliner Kind unter den Afghanen.
III. 288. IV. 287.
Neuseeländische Begrüßung. I V. 64.
Zur Statistik von Neuseeland. IV. 223.
Aus dem Kolonialleben Neuseelands. I V. 93.
Ferdinand v. Hochstetter's „Neuseeland".
IV. 218.
Goldentdeckuugen auf Neuseeland. I. 243.
11. 157.
Räuber in den Goldfeldern Neuseelands.
1. 384.
Nachrichten aus Neuseeland. 1. 64.
Neu-Guinea und die östlichen Eilande des
Indischen Archipelagus. III. 31.
Vulkane im indoaustrcilischen Archipelagus.
IV. 320.
Die Salomons-Inseln. I. 95.
Neu-Caledonien. I. 76.
Ansiedelungen auf Neu-Caledonien. ui.
191. IV. 32.
Schiffbruch des Dreimasters St. Paul im
Louisiade-Archipel. II. 265.
Die Insel Puvnipet im Stillen Ocean. II.
250.
Die Pitcairn-Insulaner auf der Norfolk -
Insel. II. 350.
Das Koralleneilaud Vanikoro. II. 376.
Tahiti und die Gesellschaftsinseln. IV. 224.
Die Sandwichinseln und die Walfisch-
fänger, der Südsee. III. 218.
Nachrichten von den Sandwichinseln. III.
352.
Die Polynesier. IV. 64.
Ein blutiges Drama in der Südsee. 1. 219.
Tyrannei der Missionäre in der Südsee.
I. 287.
n.
Ein Schiff im Eise des südlichen Polar-
meeres. I. 60.
Hall's Rückkehr aus den Polargegenden.
II. 371.
! Hall's neue Reise nach den Nordpolqeqenden.
IV. 223.
Schlagintweit's Tagebücher gerettet. I. 189.
Burton und Du Chaillu. III. 221.
Ein Urtheil über Du Chaillu. II. 320.
Der Streit über den Gorilla und Du
Chaillu. III. 183.
Rena Sahib, der indische Würger. II. 372.
Der australische Reisende Stuart. I. 253.
II. 160.
Der Naturforscher Mouhot in Siam. II.
320.
Gerüchte über Eduard Vogel. III. 61.
Munzinger's Bericht über den Tod Eduard
Vogel's. II. 338.
Die jüngsten Nachrichten über Eduard
Vogel. IV. 157.
Der Löweutödter Gérard. II. 62. III. 61.
Friedrich Gerstäcker iu Südamerika. I. 188.
Mirza Dschaffer Chan in London. I. 32.
Jnhaltsverzeichniß zu Band I bis IV des Globus.
XV
Ein Besuch beim alten Bonpland. II. 60.
Richard Burton. I. 94.
Missionär Bert. I. 94.
Karl Audersson. 1. 284.
Graf d'Escayrac de Lanture. 1. 94.
Naturforscher Forbes. I. 95.
Lady Franklin. 1. 95.
Nachrichten über Robert Fortune. I. 984.
Aus der Thierwett.
Die Affen an den Felswänden Gibraltars.
II. 345.
Mensch und Affe. III. 91.
Der ncstbanende Affe. I. 125.
Der Gorilla und Hanno's Seereise. I 256.
Menschenraub durch Affen. III. 30.
Gazellenjagd in Persien. III. 152.
Der Zobel am Amurstrome. III. 154.
Das Melken der Rcnnthiere. IV. 152.
Rennthiere in der Schweiz. III. 222.
Die geographische Verbreitung des Schnee-
hasen. I. 288.
Raubthiere in Indien. 1. 96.
Vorkommen des Tigers im nordöstlichen
Asien. IV. 191.
Große Tigerjagd in Ostindien. II. 351.
Tigernoth in Indien. IV. 350.
Die Verbreitung des Alpaka. II. 155.
Das edle Roß der Araber. II. 121.
Der Dschiggetei, das wilde Pferd in
Daurien. III. 28.
Bären und Bärcnfestc im Amurgebiete.
IV. 351.
Australische Charaktcrthiere. IV. 123.
Seltene Thiere aus Siam. 1. 63.
Große Jagd in Südafrika. II. 351.
Akklimatisirte Thiere in Australieü. III. 319.
Schafe aus China nach Australien ver-
pflanzt. II. 254.
Afrikanische Thiere nach Australien über-
siedelt. II. 192.
Außereuropäische Thiere nach Europa über-
siedelt. III. 222.
Baläniceps Rex. I. 31.
Das Vaterland des Truthalms. IV. 352.
Der südainerikanische Strauß. II. 60.
Strauße in Europa ansgebrütet. I. 160.
Die Wanderungen der Zugvögel. II. 352.
Eine Trappenjagd in Persien. III. 215.
Zwei neue Arten Apteryx in Neuseeland.
III. 352.
Der Riesenvogel Moa auf Neuseeland.
IV. 191.
Neue Vögel in London. II. 320.
Gogobera, der australische Eisvogel. 11.224.
Die Brutplätze des Seidenschwanzes. II.
160.
Die Bedeutung der Seefischereien. IV. 57.
Der Austernfang. IV. 90.
Der Walfischfang. 1.191.
Neuer Punkt für denStockfischfaug. >. 192.
Ein Vetter der Seeschlange. III. 255.
Haifische als Wetterpropheten. III. 256.
Thierleben in der Meerestiefe. III- 92.
Eine Walfischjagd bei den Orkaden. III. 93.
Die Wanderungen der Häringe. I. >25.
Zahme Fische im Jrawaddy. II. 287.
Fischwanderungen in Südamerika. 1.157.
Omnlfang im Baikalsee. IV. 351.
Die Lachosischerei. III. 352.
Europäische Bienen in Australien. IV. 96
Amersen auf St. Helena. III. 96.
Die Baschikuay-Ameise in Südwestafrika.
Giftige Schlangen in Sind. IV. 350.
Riesenschlangen auf Borneo. II. 287.
Die Schlangen in Südostanstralien. I. 58.
Die Wanderheuschrecke und ihre Verwüstun-
gen in Südostrußland. Ul. 81.
Aus der Pflanzenwelt.
Die tropischen Faserpflanzen und der neu-
seeländische Flachs. IV. 346.
Nene Gespinnstpflanzen. III. 221.
Ein neuer Webstoff. III. 320.
England und die indische Baumwolle. 1.90.
Baumwolle in Nicaragua. I. 96.
Indische Baumwolle. I. 190.
Statistik der Baumwollenindnstrie. I. 124.
Baumwolle ans Nen-Caledonien. II. 160.
Baumwolle in Nordamerika. III. 31.
Die Baumwollennoth in Europa. III. 95.
Baumwolle in Afrika. III. 160.
Baumwolle in Queensland. III. 320.
Ostindische Baumwolle. III. 320.
Einige Bemerkungen über die Baumwolle.
III. 381.
Upland-Baumwolle in Untercalifornien.
IV. 32.
Benutzung der Seetange. IV. 352.
Dattelpalme und Datteln. III. 346.
Ersatzmittel für die Chinarinde. III. 221.
Die Chinchona soll in Indien angebaut
werden. II. 224.
Verpflanzung der Fieberrinde nach Ost-
indien. III. 219.
Das Gedeihen der Chinchona in den Nil-
gherris und des Thees in Assam. IV. 248.
Der Raupenpilz. IV. 352.
Chinesisches Zuckersorgho in Nordamerika.
III. 287.
Das Sorghozuckerrohr. III. 192.
Die Jpecacnanha in Matto Grosso. III. 284.
Verkehrsmittel.
Stand des englischen Eisenbahnwesens.
II. 32.
Geldertrag der britischen Eisenbahnen.
III. 287.
Eisenbahnen von Großbritannien. III. 320.
Eisenbahn über die Pyrenäen. II. 383.
Eisenbahnen in Italien. III. 128. 159.
Eisenbalm von Kalkutta nach Benares. III.
320.
Indische Eisenbahnen. I. 96. 127. 223.
IV. 384.
Projekt einer russisch-indischen Eisenbahn.
IV. 224.
Eisenbahn von Sniyrna nach Ephesus.
I. ,27. III. 256.
Die große Eisenbahn nach dem Stillen
Ocean. IV. 189.
Eisenbahn in Peru. II. 288.
Eisenbahn in Brasilien. II. 383.
Eisenbahn in Paraguay. I. 254.
Das Telegraphennetz des deutsch-öster-
reichischen Telegraphenvereins >862.
III. 127.
Telegraph nach Algerien. I. 127.
Telegraph zwischen Sardinien u. Sicilien.
III. 320.
Telegraph von Tripolis nacb Aegypten.
I. 127.
Legung des unterseeischen Telegrapbentanes
zwischen Malta und Tripolis. I. 32.
Die Länge der unterseeischen Telegraphen-
linien. IV. 189.
Telegraphenverbindung zwischen beiden
Weltmeeren. I. 224.
Telegraphenverbindung nacki Indien. III.
64. 159.
Unterseeische Telegraphen. I. 63.
Telegraph von Malta nach Alexandrien.
I. 224.
Telegraph zwischen Smyrna und Syra.
III. 158.
Telegraph durch die Mongolei nach Schang-
hai. III. 158.
Direktes Telegramm zwischen Neu-Dort
und San Francisco. III. 158.
Das Telegraphenamt in Neu-Dork. I. 128.
Noch ein Telegraph durch Nordamerika.
III. 192.
Ein Telegraph bis zum Weißen Nil. IV.
224.
Russischer Telegraph nach Sibirien. I. 384.
Telegraphen im Amurlande. I. 95.
Telegraphen in der Kapkolonie. III. 96.
Telegraphen und Eisenbahnlänge auf der
Erde. I. 286.
Betriebsergebnisse des deutsch-österreichi-
schen Postvereins. III. 127.
Poststraße voin Ural nach Jnnerasien. III.
192.
Kanal der Eisenbahn durch die hinterindische
Halbinsel. III. 192.
Oceanische Dampfschifffahrt. I. 95.
Neue Dampfverbindung mit Asien. III. 96.
Neue Seedampferlinie. II. 159.
Dampfer zwischen China und Californien.
III. 287.
Dampferlinien zwischen Europa und Ame-
rika. I. 32.
Russische Handels- und Schisifahrtsgesell-
schast. I. 192.
Die britisch-indische Dampfergesellschaft.
IV. 224.
Verschiedenes.
Unglaube und Zweifelsncht in der Geo-
graphie. II. 54.
Scherz und Spott in der geographischen
Sprache der Völker. II. 217. 248.
Leichtgläubigkeit und Fabel in der Geo-
graphie. II. 343.
Waren die Holländer in Japan gezwungen,
Christusbilder mit Füßen zu treten? II.
221.
Aus Alexander von Humboldt's geogra-
phischem Briefwechsel. IV. 245.
Ist das Einborn ein Fabelthier? II. 375.
Das Reisen im Alterthum. II. 306. 335.
360.
Wie ein Aankee Geographie schreibt. III. 64.
Geographische Schnitzer. III. 160.
Der' Moorrauch und die trockenen Lnft-
trübungen. IV. 149.
Der Winter von 1863 und die Luftströme.
IV. 158.
Strenge des Winters 1861—1862. II. 64.
Die Witterungsverhältnisse. IV. 224.
Unregelmäßigkeit in den Meeresströmungen.
IV. 159.
Meeresströmungen. I. 224.
Erdbeben. I. 30.
Erd - und «Seebeben. I. 156.
Mitteleuropäische Gradmessnng. III. 96.
Eine Sternwarte ans dem Ararat. >. 286.
Die Entfernung ver Sonne von der Erde.
IV. 255.
Die Londoner Ausstellung von 1862 und
die Kolonien. I. 124.
Die italienische Gewerbeausstellnng. 1.124.
Sklavenhandel. I. 96.
Bestand und Kosten der stehenden Heere
Europas. II. 384.
Eine tamnlische Druckerei. I. 255.
Der höchste von Menschen bewobnte Ort.
I. 64.
Bemerkung Humboldt's. IV. 64.
Uebersiedelnng von Tschechen aus Amerika
nach Sibirien. II. 350.
Auswanderung und Handel mit weißen
Menschen vor 100 Jahren. II. 284.
Kuliauswauderung. II. 159.
Die Erfolge der Novaraexpedition. IV. 211.
Grabdenkmal des Mausolns in London.
II. 32.
XVI
Jnhaltsverzeichniß zu Band I bis IV des Globus.
Die englischen Kolonien. IV. 160.
Robinson Crnsoö als Reisender. IV. 32.
Arabisches Sprichwort. III. 352.
Eine türkische Aeußernng. I. 188.
Rindfleisch ans Spitzbergen. III. 320.
Wohin soll man gefährliche Verbrecher
transportiren? III. 239.
Woher stammen die Cigarren? II. 61.
Altkeltischer Nachen. II. 160.
Frauen und Nadelarbeit. III. 319.
Statistik der Schiffbrüche. I. 156.
Todesfälle durch Feuer. IV. 192.
Eisberge im Atlantischen Ocean. II. 95.
Anzahl der Erdbewohner. I. 254.
Gold und Kohlen. I. 191.
! Zopf und Knopf. I. 224.
Vorsintfluthliche Menschen. III. 91.
j Landweg von China nach Europa. II. 350.
! Schnelle Fahrt eines Klipperschifses. I. 160.
j Sklavenschiffe. I. 64.
Die Stadt Semckr.
Von Dr. R. Hart m a n n. *)
Am linken Ufer des Bahhr - el- azraq, etwa unter !
IÜV2" 23r., liegt ©ennar, die ehemalige Hauptstadt des !
Königreichs der Fundj.**) Als diese, ein Negervolk, im
sechszehnten Jahrhundert ans den südlichen Thcilen des
zwischen dem Blauen und Weißen Nile gelegenen Landes !
hervorgebrochen, gründeten sie, nach Besiegung der ein- j
geborenen, hellfarbenen Dja alin, bei Arbadji, in kahler, !
waldloser Gegend die Stadt Sennar. Diese ward Hauptort
eines mächtigen Funqi-Reiches, dessen Gaue sich südlich
bis nach Fezoghlu, östlich bis an die abyssinischen Berge,
nördlich bis Wadi-Halfah ausdehnten. Biele kleine souveräne
Fürsten — Moluk — zahlten den in Sennar residirenden
Königen — Sultanen — aus dem Stamme der Funds, Tribut.
Mancherlei Ursachen schwächten jedoch im Laufe der Zeit
das noch im Anfänge des achtzehnten Jahrhunderts so
blühende Reich. Thronstreitigkeiten und große Schlaffheit
des regierenden Sultans erleichterten im Jahre 1822
Jsmall-Bascha, dem kriegerischen Sohne Mohammed'Ali's,
die Eroberung aller Lande zwischen Wadi-Halfah und den
Bergen von Bern-Schonqolo. Der letzte Sultan der Fundj
wurde mediatisirt, seine Verwandten mit der Lehnsherrlichkeit
über das zwischen dem Blauen und Weißen Nil gelegene Land
Berün abgefunden, und die Kapitale Sennar sank schnell zu
einer Provinzialstadt des ägyptischen Gouvernements Khar-
thüm herab. Das ist sie denn auch noch heut.
Sennar bewahrt ganz den eigenthümlichen Charakter,
welcher die Städte am obern Nil auszeichuet. Seine Um-
gebungen sind flach und kahl, bilden zur trockenen Jahres-
zeit eine staubige Wüstenei, die nur durch eine im Nordosten
des Ortes befindliche Gruppe echtafrikanischer Tropenbäume,
einer Hamrah (Adansonia digitata), weniger Deleb-Pal-
men (Borassus Aethiopum) und Dom-Palmen (Hyphaene
thebaica), sowie durch einige meist mit Cactusfeigen und
Limonen bepflanzte Gärten und Gemüsefelder geschmückt
wird. Die Ufer des Bahhr-el-azraq sind bei Sennar breit
*) Herr Doktor R. Hart mann begleitete als Naturforschc
den wißbegierigen Grafen von Barnim auf dessen Reise dur«
Aegypten, Nubien und in den Regionen am Obern Nil. Der jung
Gras erlag bekanntlich dem afrikanischen Klima; Dr. H. kam glüc
lich beim und brachte eine reiche wissenschaftliche Ausbeute mi
• 7 ^ird eine Reihe von Mittheilungen aus der Fedt
dieses Reisenden bringen, der sehr aufmerksam beobachtet ha
Die von Dr. H. entworfenen Bilderskizzen sind im Original auße
ordentlich naturgetreu: unsere Zeichner und Holzschneider habe
sich so viel als irgend möglich war. an dasselbe gehalten. Wa
die Schreibung der arabischen k. Wörter betrifft, so geben w
sie genau so wieder, wie der Herr Verfasser sie schreibt. ' Belau»
lich ist in diesen Dingen keine Uebereinstimmnng zu erzielen. A.
**) Im Singular Fungi. Das q wird'in Sennar wie ei
gutturales g gesprochen.
Globus IV. Nr. I.
und abschüssig, das Strombett ist voll bebuschter und zum
Theil bebäumter Inseln. Während der Monate November
bis Mai, zur Zeit des Niederwassers, erheben sich viele
Sandbänke über den Spiegel des Flusses, auf denen zur
Mittagsstunde gewaltige Krokodile ihre Schuppenleiber
ausstrecken, und unzählige Kronkraniche, Klafsschnäbel,
Reiher, Kibitze, Regenpfeifer, Gänse und Enten ein be-
täubendes Geschrei vernehmen lassen. Aus den dichten
Urwäldern des gegenüberliegenden Ufers ertönt Nachts
nicht selten das Gebrüll der Löwen.
Die Stadt selbst ist dicht am Ufer hingebaut und
ziemlich weitläufig. Ihr lockerer, lehmiger, geschiebereicher
Untergrund, ein Alluvium des Blauen Nils, ist sehr uneben,
reich an Hügeln und Gruben, und wird durch die sommer-
lichen Gewitterregen von Rinnsalen durchfurcht. So muß
man z. B. in den Umgebungen der Moschee bergauf,
bergab klettern, um sortzukommen. In der Regenzeit,
zwischen Mai und Oktober, füllen sich diese Vertiefungen
des Bodens mit stehenden Lachen, deren Verdunstung in
großer Sonnenglut den Ausbruch todbringender Fieber
begünstigt.
Die Straßen Sennars sind krumm, winkelig und, wie
zu Mesalamteh, Woled-Medlneh und an anderen Orten
längs des Blauen Flusses, sowohl mit viereckigen Lehm-
häusern, wie auch mit einigen rundlichen Strohhütten be-
setzt. Erstere sind ganz so wie in den nubischen Städten
gebaut. Das Material zu denselben besteht durchweg in
lufttrockenen Lehmziegeln, welche außen mit einem Gemisch
von Lehm und Kuhdünger überschmiert werden. Oft sind
mehrere Häuser von einer gemeinschaftlichen, mannshohen,
von ein einhalb bis zwei Fuß dicken, hin und wieder krene-
lirtenMauern umgeben, in welche man eineFrvnte der-Häuser
selbst hineingebaut hat. In den besseren Gebäuden gelangt
man mittelst einer 6 bis 10 Fuß hohen Freitreppe von
Lehm in die vorn offene Vorhalle — in die Reknbah
den kühlsten Ort des Hauses, welchen man Nachts gern zum
Schlafranme wählt. Von der Rekübah aus gewinnt man
eine bald größere, bald kleinere Flucht von Zimmern.
Diese sind im Allgemeinen weniger hoch als in Kharthüm,
Urdu (Neu-Donqolah) u. s. w. und haben unmittelbar das
flache Dach zur Decke. Längs einer Wand fast eines jeden
Zimmers läuft der Diwan, d. i. eine etwa zwei Fuß hohe, drei
Fuß breite Erhöhung von Lehm, welche, mit Kissen belegt,
in manchen Häusern zum Ausruhen dient, während in
anderen darauf die Bettstellen angebracht werden.
Die niedrigen Fensterlöcher haben nirgends Glas-
scheiben, sondern werden nur mit Jalousien oder öfter noch
mit rohgeschnitzten Holzläden verschlossen. Einige Wand-
nischen dienen zur Ausnahme kleinerer Geräthe.
l
Die Stadt SennLr.
3
Das Dach, dessen Platte man mittelst einer engen
Lehmtreppe ersteigt, ruht ans grobzugehauenen Balken von
Sunth- oderSanth-, d. h. Nilakazienholz; über diese werden
zersplissene Blattstiele der D6m-Palme kreuzweise gelegt,
darüber derbe Matten aus Dom-Blättern gebreitet, dann
wird Erde aufgefüllt und letztere endlich mit Lehm fest-
gestampft. Diese Art Dächer, welchen nian Behufs leich-
tern Abflusses des Wassers eine nur wenige Zoll betragende
Neigung verleiht, und an deren Firsten hölzerne Traufen
eingefügt werden, besitzen so wenig Festigkeit, daß sie bei
anhaltenden Regengüssen leicht aufweichen und Zusammen-
stürzen.*)
Die Geräthe in einem sennarischen Hause bestehen
gewöhnlich nur in mehreren 'Anqerlb, Sing 'Anqarvb,
d. h. auf vier gedrechselten Füßen ruhenden, mit Kameelhant-
Riemen übersponnenen Holzrahmen **), ferner in buntver-
zierten Matten, einer t^ufrah oder niedrigem Holztische zum
Essen, wenigen halbfußhohen Stühlen von ' Anqaröbart,
plumpen Wasserkrügen oder Burüm, einer Backpfanne, dein
Reibstein, Merhakeh, zum Zermahlen der Getreidekörner
und in gläsernen Flaschen. Qulal, diese in Aegypten so
beliebten, ans porösem Thone gefertigten Gefäße znm Kühl-
halten des Wassers, sieht man nur bei Reichen.
Jedes größere Haus in Sennür hat, nach mohamme-
danischem Brauche, seinen Diwan, d. h. Geschäfts- und
Besuchsraum für den Hausherrn, und den Har im oder die
Abtheilung für die Frauen. Zuweilen befinden sich Diwan
und Harini in getrennten, von der gemeinschaftlichen
Mauer umschlossenen Gebäuden. Uebrigens halten hier
höchstens Türken, ägyptische Araber und Kopten ihre Frauen
unter strengerem Verschluß; die Eingeborenen verfahren in
dieser Hinsicht weit liberaler. Die zu ebener Erde gelegenen
Gemächer dienen als Küchen, Vorrathskammern, Diener-
wohnungen, Ställe u. s. w. In den kleinen, niedrigen
Lehmhäusern geringer Leute befinden sich sämmtliche Wohn-
räume wenig oder gar nicht über dem Boden erhaben.
Zu den stattlichsten Häusern Sennars gehören der
Diwan des Gouverneurs und einige Kasernen, welche mit
jenem zusammen „ El-Urdu", das Militärquartier (eigentlich
Hauptlager) bilden, ferner die Moschee und mehrere Privat-
gebäude. Die Moschee — El-Djami — mit ihrem schmuck-
losen, zuckerhutförmigenZNinaret und pylonenartig geneigten
Außenmauern ist theilweise aus den gebrannten Ziegeln
der alten Funqi-Moschee aufgebaut worden. Vom großen
Ziegelpalaste der alten Landeskönige, dessen Ruinen Cailliaud
noch abgebildet, sieht man jetzt kaum eine Spur mehr.
Zwischen den Lehmhänsern lieget» einige Strohhütten
oder Toqüle mit kreisförmigem Unterbau und Kegeldach,
ganz wie sie beim sennarischen Landvolk allgemein int Ge-
brauche sind. Um eine Gruppe solcher zu einer Familie ge-
höriger Toqüle ist gewöhnlich eine Hecke oder Zeribah von
trockenen Dornzweigen aufgebaut, zum Schutz gegen den
Marrafll, die gefleckte Hyäne, welche allnächtlich die Straßen
Sennars durchläuft, nach Abfällen sucht, auch gelegentlich
eine Ziege, Schaf oder selbst Esel zerreißt. Auf dem freien
Plätzchen vor der Moschee hat man etliche der in ägypti-
schen Städten so gern gesehenen Hülsenfrüchte (Parkinsonia
aculeata) angepflanzt. Diese haben den Habitus unserer
Hängeweiden. Zwischen den anderen Häusern bemerkt man
*) Im August 18(5o stürzten während meiner Anwesenheit in
Kharthüm, bei einem furchtbaren nächtlichen Gewitter, die Dächer
von nenn Hausern ein.
**) Diese Bettstelle AlgL — der Abysstnier — ist von Wadi-
Halfah bis nach Fezoghlu, vom Rothen Meere bis zun» Weißen
Nil hin, volksthümlich. •
Hedjelidj-lUalanitos) und Akazienbäume, in deren laub-
armen, dornigen Zweigen der Kuhreiher Abu-Baqr (Bu-
plms bubulcus) und 'Abd im-Storch (Sphenorrhynchus
Abdimii) nisten.
Sennar ist eine sehr unsaubere Stadt. Die Straßen
und Gräben starren von Unflat, Abfällen und selbst Thier-
kadavern. Herrenlose, windspielartige Hunde, Nachts der
Marraftl, Aasgeier, Milane, Marabu-Störche und Raben
besorgen die Reinigungspolizei. In den Häusern trifft
man Gecko-Eidechsen (Platydactylus), zuweilen Schlangen
und Skorpione, immer aber Pimelien und andere Käfer,
Grillen, Motten, Schabcli, Taranteln und Ameisen in nn-
geheuren Mengen. Selbst die winzige und dennoch so
furchtbare Ardhah— Termite — (Termes destructor)
richtet in manchen Wohnungen Schaden an.
Mitten durch die Stadt läuft eine Straße, an welcher
zu beiden Seiten einige niedrige Verkanfslokale, Kaffee-
und Bierschenken befindlich. Das ist der Bazar. Man be-
merkt dort etliche europäische Manufakturwaaren, z.B. eng-
lische weiße Baumwollenzeuge, geblümte Kattune, ferner
amerikanische Leinwand, fertige türkische Kleider, tuneser
Filzmützen, Lederarbeiten, z.B. rothe Schnabelschuhe, San-
dalen, gestickte Patrontäschchen und Wasserschläuche, Speze-
reieu, Gewürze, abyssinischen Kaffee, Reis, Rohzucker re.
Vor der Stadt wird auf einem besondern Platze zweimal
wöchentlich Markt (Süq) abgehalten. Die Verkäufer,
welche unter Schirmdächern aus Hedjelidjzweigen und Matten
sitzen, bieten hier mehrere Sorten von Durrah (Negerhirse —
Sorghum), frisches Fleisch, flüssige Butter zum Essen und
Stückenbutter zum Einsalben der Haare und Haut, Honig,
Rettig, Salat, Gurken, Liebesäpfel, Melonen, Limonen,
Kameele, Pferde, Esel, Schlachtvieh u. dgl. seil. Außer-
halb der Stadt befindet sich auch die Schlachtstätte, an
welcher täglich das Fleisch von Kameelen, Rindern, Schafen
und Ziegen zu haben ist. Einige Fischer angeln für den
Markt die meistens zur Familie der Welse gehörenden Fische.
Wilde Thiere, als da sind junge Löwen, Leoparden, Gepar-
den, Hyänen und Affen, werden von den Nomaden der Um-
gend zum Verkauf gebracht.
Ein alter Türke hielt im Jahre 1860 eine von Ka-
meelen getriebene Mehlmühle und eine Destillation von
'Araqi oder Durrah-Branntwein. Buzah- oder Durrah-
Bier, dessen beste Sorten Merisah und Bitbil heißen, braut
man sowohl in besonderen Lokalen als auch in Privat-
hänsern. Wenige plumpe Fahrzeuge (Kajassen oder
Qandjen) vermitteln den Wasserverkehr mit Kharthüm,
Mesalanüeh, Woled-Medineh, Karküsch und Rosöres.
Die Einwohnerzahl Sennars mag 10 bis 12,000 See-
len betragen. Die Mehrzahl sind Funds und deren Misch-
linge; außerdem trifft man hier Berabra oder Nubier, sen-
narische Beduinen, Neger vom obern Blauen und vom
Weißen Flusse, Abyssinier, Türken, ägyptische Araber
(Fellahhln), Kopten, endlich wenige Griechen, Armenier
und Syrer. Die Türken und Fellahhln sind hier Regiernngs-
beamte, Offiziere, Soldaten und Spekulanten; Griechen,
Armenier re. sind Kauslente. Die Kopten dienen meist als
Regierungsschreiber, die Nubier als Schisser, die Funds
als Weber, Lederzurichter, Grobschmiede, Holzdrechsler re.,
die Abyssinier und Neger als Sklaven, letztere aber auch als
Soldaten. Hauptverkehrssprache ist ein mit vielen aus
dem Bedjawi, Berberi, Funqi, Amhara re. stammenden
Wörtern vermischtes Arabisch.
Die in der Stadt lebenden sennarischen Eingeborenen
sind sehr dunkel schwarzbraun von Farbe, und haben ziem-
lich gerade, an den Flügeln etwas breite Nasen, vorragende,
fleischige, aber nicht aufgeworfene Lippen und große lebhafte
1*
'D-.uuZK ;qv,S ai®
im Divan des Kommandanten in SennLr.
•XBiuiDg) AE
6
In Valencia.
Augen. Ihr Hirnschädel ist schön gewölbt, das Haar
schlicht oder leicht gekräuselt. Die Männer tragen das
Haar meist kurz, geschoren und mit einer weißen baumwol-
lenen, gesteppten Kappe (Taqleh) bedeckt; daneben bedienen
sie sich eines weißen Hemdes mit weiten Aermeln, ziemlich
enger Kniehosen und einer Tob (Ferdah der Nubier), d. h.
eines 10 bis 12 Ellen langen Stückes weißen Baumwvllen-
zenges mit rothen oder blauen Endstreifen, welches in male-
rischem Faltenwurf um Hüften und Schultern drapirt wird.
An den Füßen trägt man Sandalen oder rothe, türkische
Schuhe. Viele gehen aber ganz barfuß. Die Weiber da-
gegen flechten ihr Haar nach Art der alten Aegypterinnen
in sehr zahlreiche kleine Zöpfe. So lange sie unverheirathet
sind, besteht ihr Hauptkostüm im Na'ad- oder Franzen-
gurt von Leder, einer lieblichen Tracht, welche den wunder-
vollen Wuchs dieser Mädchen zu betrachten gestattet. Später
legen sie jedoch den Ra'ad ab und hüllen sich in eine oder
zwei Töbs. Zierlich gearbeitete Ringe und Armbänder von
Gold, Silber und Elfenbein, hellblaue, kirschrothe, schwefel-
gelbe und weiße Glasperlen, längliche Achatstückchen
(Summith) und in Leder genähte Amulette bilden das
Schmuckwerk der Töchter des Landes. Die Männer be-
festigen einen Dolch mit an der Spitze verbreiterter Klinge
am linken Ellenbogengelenke.
Diese Leute sind von Natur sehr gntmüthig, lebhaft,
heiter, dabei aber arbeitsscheu, ausschweifend und jähzornig.
Unter einer weniger drückenden Herrschaft könnten sie zu
Elementen einer tüchtigen Bevölkerung herangebildet werden.
Das schwere Türkenjoch aber erstickt bei ihnen jeden Auf-
schwung zum Bessern im Keime. Beim Bier aus Durrah- j
Hirse vergnügen sich Sennürs Eingeborene, so oft sie irgend
können, singen dazu schwermüthige Weisen, schlagen auf die
Handpauke (Darabakkeh) und klimpern auf der nubi-
schen Laute (Rebäb). Die Knaben werden, nach moham-
medanischem Brauch, beschnitten; die jungen Mädchen des-
gleichen und — verschlossen. Kurz vor der Hochzeit öffnet
man sie wieder, eine barbarische, in ganz Ost-Sudan übliche
Sitte. Junge, heirathslustige Männer erkaufen ihre Bräute
gegen einen geringen Ehezins (Makhr) von den Eltern.
Mädchen heiratben selten vor dein 15. bis 16. Jahre,
während dies in Aegypten leider im 11. bis 13. Jahre
stattfindet. Bei Todesfällen ist die orientalische (schon alt-
testamentarische) Sitte, Klageweiber zu bestellen und die
Familienglieder mitheulen zu lassen, allgemein.
Die hiesigen Türken, Fellahhin und Griechen be-
dienen sich der reichgestickten Mamelnkentracht, die Kopten
des morgenländischen Kafthan. Unter Ersteren trifft man
kühne, energische Männer, welche die schwierige Aufgabe,
so weite Länderstrecken mit verhältnißniäßig geringer Waffen-
umcht im Zaume zu halten, mit Muth und Konsequenz zu
lösen wissen.
An der Spitze der Verwaltung in Sennür steht ein
Wakll*), welcher dem zu Woled-Medtneh stationirten
Mamür oder Untergvnverneur des Gharb, d. h. des West-
nfers des Blauen Flusses, untergeordnet ist und in der
Armee den Rang eines Jüzbaschi (Hauptmanns) bekleidet.
Er verfügt über einige Regiernngsschreiber, einige Qaw-
wachn oder Polizeisoldaten und 400 Mann schwarzer, re-
gulärer Infanterie des zweiten sudanesischen Regiments.
Von diesen Soldaten liegen jedoch für gewöhnlich nur 100
bis 150 Mann in der Stadt; die übrigen sind nach den
umliegenden Dörfern detachirt. Zeitweise befindet sich hier
auch eine Abtheilung der Schoqieh, d. h. eingeborenen don-
qolanischen Reiterei oder, wie augenblicklich, ein Zug tür-
kis ch er Dromedar - Kav alerie.
Der Wakil, Chef des Militär- und Civilwesens, ist
verpflichtet, täglich Diwan, d.h. öffentliche Gerichtsverhand-
lung, abzuhalten, der er selbst präsidiren muß. Ein Qadhi
(Kadi) oder Oberrichter unterstützt ihn durch Mittheilung
der auf jedes Verbrechen bezüglichen Vorschriften des Koran
oder der ergänzenden Sunneh-Gesetze, welche letztere den
Koran-Auslegern ihren Ursprung verdanken. Jedermann
darf dem Wakil seine Klage Vorbringen. Bagatellvergehen
werden, dem bündigen morgenländischen Rechtsverfahren
zufolge, sofort abgeurtheilt und bestraft; Kapitalverbrechen
müssen dagegen in Kharthüm zur Entscheidung gebracht
werden.
Sennür ist ein höchst ungesunder Ort. Wie in
Kharthüm, hat auch hier das furchtbare perniciöse Fieber,
der Schrecken des tropischen Afrika, seinen Hauptsitz auf-
geschlagen und wüthet namentlich stark kurz nach Aufhören
der Sommerrcgen. Europäer, Türken und Fellahhin unter-
liegen dieser Krankheit äußerst leicht. Gewöhnliche Wechsel-
fieber untergraben durch lange Dauer die Kräfte. Skorbut,
chronisches Nasenbluten, Blntschwären, Eingeweidewürmer
und Syphilis finden sich ebenfalls hier ein. — Sennür
gilt daher den ägyptischen Beamten und Ofsicieren als eine
Art Verbannuugsort, in welchem lange Lebensdauer nur
Wenigen von ihnen beschieden ist.
*) Heißt eigentlich Stellvertreter, Sekretär, Beirath, hier aber
soviel als Unterstatthalter, Distriktschef.
In Valencia.
Charakter der Balencianer. — Mundart. — Seidenbörse. — Orchaterias und Orchata de chufas. — Die Kathedrale und der Micalet. —
Der Fluß Gnadalaviar. — Die Bewässerung des Landes und dessen Fruchtbarkeit. — Wasserdiebe und Wassertribunal. — Blinde
Zitherspieler. —- Die Bibliothek und das Museum. — Mozos de la escuadra. — Valencianische Fayence. —
Die Tartana und ein Tartanero. —
Valencia ist eine der schönsten Landschaften in Spanien '
und die üppige Fruchtbarkeit derselben ist sprichwörtlich ge-
worden; die Fluren liefern reichen Ertrag, fie sind als
„Huerta" weltberühmt geworden, und mit Recht hat man
die valencianische Region als das „nlanrische Paradies"
bezeichnet; die Hauptstadt selber führt den Beinamen „die
schönste".
Die Menschen in diesem Paradiese sind fleißig und
rühren sich, ihre große Betriebsamkeit muß man loben.
Von hispanischer Trägheit ist keine Spur vorhanden, wahr-
scheinlich weil so viel niaurisches Blut in den Adern der
Leute fließt. Die Araber in Spanien waren ein Kultur-
volk und an Civilisation nicht blos allen übrigen Mo-
hammedanern weit voraus, sondern auch den meisten christ-
In Valencia.
7
lichen Völkern. Als der scheußliche Fanatismus der
christlichen Barbaren die fleißiger! Juden und Mauren
aus der Halbinsel vertrieb, wich Glück und Segen von
dein Lande, auf welchem dann die bleierne Gewalt des
staatlichen Despotismus und der kirchlichen Inquisition
lastete. Erst seitdem diese beiden Ketten gebrochen worden
sind, hat Spanien angefangen wieder anfznleben.
Der Charakter der Valencianer ist gemischt wie ihr
Blut. Sie haben viele gute Seiten und sind heitere lustige
Menschen. Aber uian schildert sie auch als grausam und
heimtückisch; man sagt, Valencia sei: Paraiso habitado
por Demonios, ein Paradies von Teufeln bewohnt,
Ruderknecht im Hafen
Auf einer Fußtour durch die Huerta wurde Davittier von
einem fürchterlichen Ungewitter überrascht, vor welchem er
in der ans Schilf gebauten Barranca, Hütte, eines
Labrador, Landmanns, Schutz fand. Der Mann lud
ihn zum Sitzen ein, reichte ihm Obst und stellte auch Wein
auf den Tisch. Als man ihm beim Abschied ein Silberstück
geben wollte, weigerte er sich standhaft und es kostete Mühe,
ihn zur Annahme des Geldes zu vermögen. Erst als man
ihn dringend bat, seinenNiNos, kleinen Kindern, Spielwerk
dafür zu kaufen, willigte er ein.
Die valencianische Mundart ist nicht so rauh
wie die catalonische und wie der mallorcanische Dialekt,
El Grao bei Valencia.
Man sagt auch: en Valencia la carne es Herba, la
Herba es agua, el hombre mujer, y la mujer nada;
also das Fleisch ist wie Gemüse, das Gemüse ist Wasser,
der Mann ein Weib und das Weib nichts.
Unser Gewährsmann Davillier, welchen wir jetzt
auf seinen Wanderungen begleiten, bei denen Doró seine
geistvollen und uiarkigcn Skizzen entwarf, ist init den Valen-
cianern zufrieden; er fand sie friedlich und sah nur einmal,
beim Kugelspiel, einen Streit, der heftig zu werden drohte
und bei welchem man einander mit blanken Messern zu Leibe
gehen wollte. Die Reisenden trafen auf vielen Ausflügen
in der Umgegend in Valencia nur mit friedlichen und
höflichen Leuten zusammen; äußerlich sahen dieselben freilich
»ich! gerade sehr civilisirt, sondern grimmig genug ans.
mit welchem sie viele Aehnlichkeit hat, während sie vom
Castilianischen, also dein eigentlichen Spanisch, weit abweicht.
Dagegen nähert sie sich in Manchem dem Patois iu vielen
Theilen des südlichen Frankreich, dein Limousinischen des
Mittelalters, z. B. in den Zahlwörtern.
Valencia inacht den Eindruck lebhafter Geschäfts-
thätigkeit, und häufig vernimmt man das Rauschen und
Klappern der Seidenstühle nebst dein Gesänge der Weber;
denn auch heute noch ist die Seidenfabrik alio n von Be-
deutung. Auf dem Marktplatze steht die Lonja de seda,
Seidenbörse,' die Llotja, wie die Valencianer in ihrem
Dialekte sagen. An den Wänden derselben hängen viele
Stränge von allerlei Seide als Muster aus. Die Bauart
dieser Börse ist anmuthig. Der Architekt, welcher im fünf-
8
In Valencia.
zehnten Jahrhundert das Werk errichtete, gab den Zinnen
die Gestalt von Kronen und das Ganze erhält dadurch
gleichsam einen "heraldischen Anstrich. Im Innern macht
Alles den Eindruck großer Zierlichkeit. Der große gewölbte
Hauptsaal gemahnt durch seine Höhe an eine Kathedrale
und wird durch Reihen von Säulen getragen, die wie
Stricke gewunden sind. Der Garten im innern Gebäude
ist mit Orangen und Citronenbäumen bepflanzt, die wohl
so alt sind wie das Monument selbst.
In der Nähe der Llotja befinden sich die weit und
breit gepriesenen Orchaterias, wo man wohlschmeckende
Orchata de chusas (Chufa bedeutet eigentlich Erdmandel,
ist Linno's Chperus esculentus) bekommt. Diese soge-
nannte Schneeorgade wird ans der Milch jener Erdmandel
bereitet. In den meisten Städten Spaniens findet man
gesperrt haben soll. Der Glo ckenthnrm führt den Namen
Micalet oder Miguelete, nach einer Ungeheuern Glocke,
die ein Gewicht von zweihundert und fünfzehn Centnern
hat. Sie ist am Michaelistag eingeweiht worden und ver-
kündet den Bewohnern des Gartenfeldes die Tageszeit der
Bewässerung.
Von diesem Micalet aus hat man eine wunderbar
schöne Aussicht. Man übersieht die ganze Stadt mit ihren
engen gewundenen Straßen, den weißen Dachterrassen,
den Kuppeln der Kirchen, deren Ziegel im Sonnenschein
wie polirtes Kupfer glänzen. Und rings um Valencia dehnt
sich, so weit der Blick reicht, die Huerta, das Gartenfeld,
wie ein grünes Gewand aus, und der Horizont wird be-
grenzt von Gebirgen, die von blauem und rosenrothem Duft
umwoben sind. Man sieht den großen See Albnfera,
Streit beim Angelspiel.
dergleichen Orchaterias de chusa und sie sind alle in
den Händen von geborenen Valencianern, die auch in der
Ferne ihre Landestracht beibehalten.
Die Domkirche, welche, wie in Catalonien, so auch
in Valencia als Söu oder Söo bezeichnet wird, bietet
ein Gemisch von allen möglichen Baustylen seit dem drei-
zehnten Jahrhundert dar. Das Innere ist, wie bei allen
spanischen Kirchen, sehr düster, und nur zu gewissen Tages-
stunden, wenn das Sonnenlicht in s Schiff eindringen kann,
bemerkt man die zum Theil recht hübschen Gemälde aus der
Valencianischen Schule. Eine Kapelle ist noch genau so
erhalten, wie sie im fünfzehnten Jahrhundert gebaut wurde;
sie bildet einen hohen, gewölbten Saal, an dessenWänden man
alle möglichen Waffen ans dem Mittelalter sieht. Daneben
hängen in der Form von Gewinden gewaltige Ketten, mit
denen einst ein aragonischer König den Hafen von Marseille
der mit dem Meere verschwimmt; auf der Fluth gaukeln
Fahrzeuge mit ihren weithin schimmernden lateinischen
Segeln. Auch den Hafenplatz von Valencia, das Städtchen
Grao, sieht man deutlich, und dort ragen die Blästen der
Schisse zwischen Palmen empor. Es ist geradezu bewäl-
tigend und entzückend, wenn man sich eine Stunde vor
Sonnenuntergang in diesen wunderschönen Anblick versenkt:
man kann sich gar nicht satt daran sehen.
Valencia hat zwei sehr hübsche Spaziergänge, die
Alameda und die Glorieta; sie liegen an verschiedenen
Ufern des Guadalaviar. Wer dort auf- und abwandelt,
wird so recht inne, wie durchaus südlich das Klima ist;
mau ergeht sich unter und neben Gewächsen der tropischen
Zone; denn hier gedeihen der Bambus, die köstliche Frucht
Chirimoya und sogar die Banane.
Ueber den Guadalaviar, der auch Turia heißt, sind
10
In Valencia.
vier sehr hübsche steinerne Brücken geschlagen, aber fast
neun Monate im Jahre liegt das Bett dieses Flusses trocken.
Dagegen tritt es-zuweilen im Winter weit über seine Ufer
und richtet große Verwüstungen an. Der Fluß hat seine
Quelle in den Gebirgen von Aragonien und führt Wasser
genug, aber während seines Laufes wird ihm dasselbe von
den Landleuten entzogen, weil sie ihre Felder bewässern
müssen.
Die Bewässerungen spielen auch in Valencia eine
Gerinne abzweigen. Diese letzteren, welche man als
Acoquias (Wassergräben) bezeichnet, tragen das be-
fruchtende Element auch bis auf weit entfernte Felder der
Huerta. In höchst sinnreicher und zweckmäßiger Weise
haben die mohammedanischen Männer ein System von
Dämmen, Azudes, aufgeworfen; vermittelst derselben
kann man den Stand des Wassers erhöhen und erniedrigen
und vermeidet dadurch den Uebelstand, daß der eine Land-
mann zu viel Wasser bekommt, während der andere zu
Blinde Musikanten vor der Domkirche in Valencia.
große Rolle; sie sind die Hauptbedingung für die Frucht-
barkeit der Felder; ihnen verdankt das Land Ergiebigkeit,
der Mensch seinen Wohlstand. Lange vor 121)8, als König
Jayiue oder Jakob der Erste, der Eroberer, diese Gegend
unterwarf, hatten die Mauren, diese Civilisationsträger,
den großartigen Plan ausgeführt, das Wasser des Gua-
dalaviar, der in's Mittelländische Meer sich ergießt, abzn-
leiten lind das Land mit ihm zu befruchten. Zu diesem
Zwecke bauten sie acht Kanäle, die noch heute vorhanden
sind. Der bedeutendste ist jener von Mon cada; er bildet
eine Hauptader, aus welcher sich eine große Menge kleiner
wenig erhält. Jedes Feld wird a manta bewässert, das
heißt, vom Wasser wie mit einem Mantel überdeckt, und
dieses läuft erst dann auf ein zweites Feld ab. wenn das
erste Feuchtigkeit genug eingesogen hat. Zu diesem Behufe
sind zweckmäßige Vorkehrungen getroffen worden.
Man gönnt dem wohlbewässerten Erdboden bei Va-
lencia keine Ruhe und er bedarf derselben auch nicht; eine
Ernte folgt unmittelbar auf die andere. „Valencia ist
Gottes Land, Reis wächst, wo gestern Weizen stand." Der
Mais wird bis achtzehn, ja bis vier und zwanzig Fuß hoch.
Der Reisbau ist in der Huerta von nicht geringem Belang;
In Valencia.
11
aber Reisfelder sind bekanntlich ungesund, und in diesen
Sumpfgegenden herrscht das Fieber.
In anderen Ländern wird man nicht viel von Wasser-
dieben hören, aber in Valencia bezeichnet man als solche
die Leute, welche widerrechtlich Wasser auf ihre Felder ab-
lciten oder dasselbe länger, als erlaubt ist, aus denselben
Itehen lassen. Das giebt dann einen Proceß, und solche
Cuestiones de riego, Streitigkeiten über Bewässerung,
werden vom Wassertribunal entschieden, das nun schon
seit acht Jahrhunderten besteht. Es wurde von dem mauri-
schen Könige El Hakem al Biostansin billah im Jahre
920 gegründet, aber Jakob der Eroberer tastete die in hohem
Grade zweckmäßige Einrichtung nicht an, und so finden wir
sie.heute noch durchaus in ihrer morgenländischen Einfach-
heit. Es ist eine ganz patriarchalische Justiz, ohne Ge-
richtsschreiber, Advokaten und Juristen, denn die Richter,
Sindicos, sind Bauern, welche von anderen Landleuten
gewählt werden.
An jedem Donnerstag, in der Mittagsstunde, versam-
melt sich das Wassertribunal, la Eort dos acequieros,
unter freiem Himmel vor dem Seitenportal der Söu, und
deshalb nennt man es auch wohl la Eort de la Söu,
Kathedralgericht. Gewöhnlich hat sich eine Anzahl von
Landlenten eingestellt, um mit anzuhören, wie das Recht
gefunden und erlheilt wird. Also die Labradores stehen
umher, die Richter, als Vertreter der Acequias in der
Huerta, sind aus ihrem Posten und sitzen auf einer mit
Sammtmanchester überzogenen Bank. Es ist eine Verpflich-
tnng der Domkirche, diese Bank zu liefern, und sie rührt
ohne Zweifel schon aus den Zeiten her, da auf der Stelle
der jetzigen Kathedrale eine Moschee stand. Diese ist von
den Christen zerstört worden, aber das Servitut blieb. Ein
anderes Mobiliar als jenes hölzerne Kanapee ist nicht vor-
handen und wäre auch überflüssig; einen Tisch brauchen die
Richter nicht, denn von Schreiben und Prvtokolliren ist
gar keine Rede; Oefsentlichkeit und Mündlichkeit ist hier
die Losung.
Die Glocke auf dem Micalet schlägt zwölf und die
Sitzung beginnt. Zwei vierschrötige Bauern in der Landes-
tracht treten vor, der Kläger setzt, unter lebhaften Geberden
und Bewegungen, seine Beschwerden auseinander und der
Beklagte bringt seine Gründe mit nicht minderer Erregung
vor. Der Sindico, ein sehr wohlgenährter Labrador, sitzt
inzwischen auf dem Kanapee, er hört die Beiden ruhig an
und steht erst auf, wenn er mit ihnen ein Verhör vornehmen
will. Nachdem ein solches stattgefnndcn, treten die übrigen
Mitglieder des Gerichts, eine Gruppe bildend, bei Seite
und halten eine Besprechung, an welcher der starkbeleibte
Sindico nicht theilnimmt. Jene finden das Urtheil, Dieser
hat es den Parteien zu verkünden. In dem Falle, welchen
hier Davillier schildert, wurde der Beklagte ¿11 einer Geld-
buße von sechszig Sueldos (drei Thaler weniger zwei
Silbergroschen) verurtheilt. Nachher wurden noch einige
andere Streitsachen kurz und bündig abgemacht und nach
Verlauf von etwa einer Stunde, als weiter kein Proceß
mehr vorlag, wandelten Richter und Parteien nach dem
Hostal, dem Gasthause, wo ihre Pferde eingestallt waren.
^ie Aussprüche und Entscheidungen dieses Wasser-
tribnnals haben ganz dieselbe Geltung wie jene, welche von
ordentlichen Gerichten gefällt werden, und es kommt selten
vor, daß Einsprache gegen sie erhoben wird. —
'Jam war der Platz leer und wir betrachteten uns das
Portal der Domkirche, dessen Giebelfeld ein von Seraphim
umgebenes Basrelief der Jungfrau Maria zeigt. Auch sieht
man Standbilder der zwölf Apostel und deswegen heißt
dieses Eingangsthor auch la puerta de los Apostoles.
Während wir uns diese Figuren ansahen, erhob sich ein
eigenthümliches Geräusch, ein Gesumm, in welches näselnde
Töne und ein scharfer Metallklang hineinspielten. Kein
Zweifel, cs kam von den Leuten, welche Oraciones
singen. Wir schritten nun um die Kirche herum und ge-
langten bald an eine Rundbogenthür. Dort standen zwei
mit malerischen Mantellumpen bekleidete Ciegos, blinde
Leute; sie sangen Oraciones, eine Art von Litaneien zu
Ehren verschiedener Heiligen, in einem befremdlichenRhthmns
und mit Modulationen, deren Beschreibung eine Sache der
Unmöglichkeit bleibt. Der jüngere sang Tenor und be-
gleitete sich auf einer Bandurria; der Barhton war ein
ältlicher Mann, welchem der breitkrämpige Sammthut recht
gut stand; er hatte eine Citara, welche er dann und wann
an den Fuß setzte, um von den Vorübergehenden eine Gabe
zu erbitten. Beide Instrumente sind dem Königreiche Va-
lencia eigenthümlich; die Citara ist zierlicher als die eigent-
liche Guitarre, kleiner und flacher und hat neun Metallsaiten;
die Bandurria hat einige Aehnlichkeit mit der italienischen
Mandoline, hat zwölf Saiten und wird, gleich der Citara,
mit einem biegsamen Stäbchen von Elfenbein oder Schild-
pat, der Pna, geschlagen. Zuweilen kommt noch ein
drittes Saiteninstrument hinzu, die Dulzahna.
Ein Besuch ans der Bibliothek verlohnt sich schon
der Blühe. Valeneia hatte unter allen Städten der pyre-
näischcnHalbinsel die erste Buchdruckerei, und aus dieser
gingen, als das erste Werk, hervor die Obres o Tro bes,
Werke und Dichtungen zu Ehren der heiligen Jungfrau, in
valencianischer Mundart. Der Druck fällt in das Jahr
1174. Ans der Bibliothek wird auch als Schatz gezeigt
der berühmte Ritterroman Tira nt lo bl auch, en vulgär
lengua valenciana, gedruckt zu Valencia Anno I 190.
Es ist ein unterhaltendes Buch; die fahrenden Ritter essen,
schlafen und sterben in ihren Betten, was in anderen Werken
der Art nicht vorkommt. Weil es so unterhaltend war, fand
es Gnade vor den Angen des Pfarrers, welcher einen großen
Theil der Büchersammlung des sinnreichen Junkers Don
Quixote den Flammen überantwortete. Er ist nun äußerst
selten geworden und jetzt nur noch in drei Exemplaren vor-
handen.
Das Museum befindet sich in dem alten Kloster
de la Merced. Im Allgemeinen sind die dort anfbewahrten
Gemälde von keinem höhern Werthe, doch müssen einige
Bilder von Juan de Inanes und Ribalta, den besten
Bia lern der Valencianischen Schule, ausgenommen werden.
Man hat im Jahre >862 viele Bilder restaurirt. Von be-
sonderm Interesse sind für Reisende, welche aus den Ländern
! diesseits der Pyrenäen kommen, die riesigen Palmen im
! Klosterhofe, welche wild über die Dächer emporragen. Diese
! Bäume sind, wie wir aus einer Inschrift erfahren, vor
länger als hundert Jahren gepflanzt worden.
Valencia hat, gleich Barcelona, seine Calle de la
platería, wo fast durchgängig der Inhaber eines Gewölbes
oder Ladens Goldschmied ist. Die dort verfertigten Waaren
sind zumeist für die wohlhabenden Bäuerinnen, dieLlaura-
doras der Huerta, bestimmt und im Allgemeinen mit vor-
trefflichem Geschmack gearbeitet, gewöhnlich matt, wie die
antike» Schmucksachen, und mit vielen kleinen Perlen besetzt.
Ein Spaziergang in der Calle de la platería und ein Be-
schauen der von den verschiedenen Plateros in den Schau-
fenstern ausgestellten Siebensachen ist recht unterhaltend.
Als wir, sagt Davillier, eines Morgens dort auf- und ab-
schlenderten, sielen uns vier prächtige Männer auf. Wer
die wohl sein mochten? Sie sahen wild und romantisch ge-
nug aus, erinnerten an Fra Diavolo und dessen Leute,
traten aber sehr sicher auf, und die Leute kümmerten sich
2*
Mozos de in escuadra.
5
14
In Valencia.
weiter nicht um sie. Der eine dieser romantischen Männer,
die man ohne weiteres aus das Theater hätte stellen können,
hatte einen wahren Wald von allerlei Federn auf dem Hut;
alle trugen rothe Gürtel, Pistolen, Dolche und Musketen;
nichts fehlte zum Ränberschmuck.
Aber jene stattlichen Männer waren keine Räuber,
sondern geschworene Feinde dieser schädlichen Menschen-
klasse. Wir hatten Mo-
zos de la escuadra
vor uns, Gensdarmen,
deren Obliegenheit da-
rin besteht, die Mala
gente, alle gemeinge-
fährlichen Subjekte, anf-
zugreifen und unschäd-
lich zu machen, nament-
lich aber Mörder und
Diebe, welche in den
schwer zngängigen Ge-
birgsschluchten sich ver-
bergen. Diese Pracht-
exemplare mußten ge-
zeichnet werden und dazu
fand sich denn auch gün-
stige Gelegenheit. Als
wir späterhin eine Wan-
derung in der Mnela de
Cortes, einem der höch-
sten Gebirge iui König-
reiche Valencia, machten,
trafen wir mit einem
Wachtposten dieser Mo-
zos zusammen. Hätten
wir die Tracht und das
Wesen dieser Leute nicht
schon von früher her
gekannt, so würden wir
sie für Räuber gehalten
habell. Diese wackeren
Mozos erzählten uns
Allerlei und reichten
uns die Vota, einen
mit beinahe schwarzem
Wein gefüllten Ziegen-
schlauch. Wir tranken
mit ihnen und erwider- -V
ten ihre Freundlichkeit Tartanero.
durch ein Geschenk von
Cigarren, und nachdem wir uns ein Stündchen mit ihnen
unterhalten hatten, wünschten wir „glücklichen Fang" und
zogen weiter.
Bedeutend für Valencia ist die F a y e n c e f a b r i k at i o n.
Die Loza valenciana war schon im Mittelalter berühmt
und wurde bis Italien und bis nach der Levante verführt.
Noch heute werden die alten Schüsseln, Töpfe und Vasen
mit Gold- und Kupferglanz von den Liebhabern eifrig gesucht
und thener bezahlt. Jetzt verfertigt man hauptsächlich tu Ma-
nches und den umliegenden Dörfern alle Arten von Fayence,
namentlich Azulejos, kleine viereckige Platten utit glanzen-
den Farben, mit welchen man Fußböden belegt und Wände
bekleidet. (— Sind die sogenannten holländischen Fließen,
weiß ittib mit blauen Verzierungen, welche man in den
Niederlanden und im nördlichen Deutschland so häufig
findet, eine Nachahmung der spanischen Fayencen, und
durch die Spanier nach den batavischen Gegenden ge-
kommen? —)
Manches, ein hübsches Dorf, liegt etwa zwei spanische
Meilen von Valencia entfernt. Davillier und Dora fuhren
in einer Tartana dorthin, einem höchst ursprünglichen
Gefährt, einem vorsünd-
flutlichen Karren. Die
Tartana hat nichts zu
thun mit dem gleichna-
migen Seeschiffe, son-
dern ist ein Karren, der
m itW a ch s l e inw and üb er
zogen ist; der Kasten hat
keine Federn; im Innern
laufen der Länge nach
zwei Bänke, und bei
jedem Anstoße wird der
Fahrgast hin und her
geworfen. Man steigt
von hinten ein, hat aber
dazu nicht einmal eine
Leiter, sondern muß ein
halbmondförmig gebo-
genes Stück Holz als
Fußtritt benutzen. Der
Tartanero sitzt vorn,
außerhalb des Kastens,
ltub hat zuweilen einen
' Fußtritt, auf welchen
- er seine Füße stellen
kann; gewöhnlich läßt
er sie aber hinabhängen.
Ans Rütteln und Schüt-
teln macht der Tarta-
nero sich gar nichts, denn
daran ist er von Jugend
ans gewöhnt; wer aber
nicht das Glück hat, Tar-
tanero zu sein, fühlt sich
nach einer zweistündigen
Fahrt wie gelähmt.
Als die beiden Rei-
senden wieder nach
Valencia zurückkamen,
zeigte der Tartanero mit
der Peitsche vergnügt
nach einem mächtigen grünen Anschlagzettel hin. Derselbe
besagte, daß an einem der nächsten Tage zwei große Stier-
gefechte abgehalten werden sollten. „Dergleichen kennt
man bei Ihnen zu Lande doch nicht!" sprach der Tartanero,
und warf sich stolz in die Brust; „ich bitte Sie, Caballeros,
versäumen Sie das doch ja nicht!" Alsdann erzählte er,
welch ein entzückendes Schauspiel solch ein Gefecht gewähre,
denn er war, wie seine meisten Landsleute, ein großer
„Liebhaber" solcher Metzeleien.
Wir werden in einer spätern Nummer eingehende Mit-
theilungen über diese valeneianischen Stiergefechte geben und
die geistvollen, in jeder Beziehung charakeristischen Bilder
Dore's beifügen.
Die Neger in Brasilien.
/
15
Die Reger in Brasilien.
Von Karl von Koseritz.
I.
Rio Grande, 30. Januar 1863.
Die Neger in Brasilien sind entweder Freie oder Sklaven-,
beide stehen ungefähr in gleichem numerischen Verhältnisse. Ihrer
Abstamninng nach sind sie entweder Eingeborene (creoulos) oder
6on Afrika importirte (negros de naeao). Der Farbe nach unter-
scheiden wir Neger, Mulatten und Mestizen; die Erstern sind
ungemischt, die Zweiten stammen ans einer-Mischung von Weißen
und Negern, die Letztern endlich ans der von Negern und Indianern.
Brasilien zählt heute noch über zwei Millionen Sklaven,
trotzdem seit der Annahme der Bill Aberdeen die Einfuhr, Dank
der Wachsamkeit englischer und brasilianischer Kriegsschiffe, fast
ganz aufgehört hat und man nur selten noch einen negro novo
oder bo^.al, d. h. einen noch ganz unwissenden und erst frisch ange-
kommenen Neger, findet. Ich bin seit langen Jahren in Brasilien
ansässig und stets von Negern, sowohl freien wie Sklaven, bedient
worden, habe ihre Lage und gegenseitigen Verhältnisse auf's Ge-
naueste kennen gelernt und gestehe aufrichtig, daß es in Brasilien
ein Glück für den Neger ist, Sklav zu sein.'
Der brasilianische Sklav wird gut behandelt und die schaurigen
Scene» des Negerlebens ans Onkel Tom's Hütte finden nur
selten, und dann nur ans die größten Fazendas im Innern, An-
wendung. Im Allgemeinen geht es dem brasilianischen Sklaven
gut; er wird human behandelt und lebt hier, bei gleicher Arbeit,
ungleich besser als in seinem miserablen afrikanischen Heimatlande.
Diese meine Behauptung wird durch die That bewiesen, denn sehr
viele Sklaven, denen die Freiheit von ihren Herren angeboten
wird, wollen diese nicht annehmen. Wie viele flehen um die
Gnade, fortfahren zu können, Sklaven zu sein? Das Beispiel
endlich von Negern, die, hier unabhängig und reich geworden,
nach ihrem Vaterlande znrückzukehren suchten, ist ungemein selten,
und deshalb ist meine Meinung, daß Englands Kreuzzug
gegen die Skaverei in Brasilien durchaus lein Werk der Phi-
lanthropie, sondern nur des Interesses war, weil ihm
der schnelle Aufschwung unserer Kaffee-, Zucker-, Tabak- und
Baumwollen-Ausfuhr damals nicht convenirte. Sollten Wilber-
fvree's Theorien wirklich der Grund zum Handeln Britanniens
gewesen sein, nun so hat es seinen Zweck nicht erreicht, denn
durch die Verhinderung der Ausfuhr nach Brasilien ist der Sklaven-
handel an der Küste von Afrika nicht vermindert worden; noch
immer werden dort fast eben so viele dl eg er wie früher verkauft,
nur mit dem Unterschiede, daß sie nach Ländern gebracht werden,
wo sie auf keinen Fall so gut behandelt werden wie in Brasilien.
Der Negersklav ist hier durchgängig besser als der
freie Neger. Die natürliche geistige Indolenz der Schwarzen,
ihre Begriffs-Unfähigkeit, ihre angeborene Faulheit und die Vor-
liebe für geistige Getränke lassen den freien Neger mit
Leichtigkeit in einen Zustand der Verwilderung fallen,
von dem der Sklav ferner bleibt, weil ans ihn stets das wachsame
Auge des Herrn blickt und er sich vor der Strafe fürchtet.
Der Charakter der Neger Brasiliens ist, wie gesagt, im höchsten
Grade indolent; Faulheit ist die Göttin ihres Lebens. Der
Neger ist nicht so falsch wie der Mulatte, ist sogar höchst anhäng-
lich, seine Begriffsfähigkeit ist jedoch so mäßig, daß er bei der
höchst niedrigen Bildungsstufe, welche selbst die eingeborenen Neger
einnehmen, keine Idee von Pflicht und Gewissen hat. Die geistigen
Fähigkeiten der Schwarzen sind gering; nur selten lernen sie lesen,
ckunu mau sie auch die Schule besuchen läßt; befähigtere Individuen
sind sehr selten, trotzdem es einige giebt, die mit Leichtigkeit lernen
und eine gewisse Gabe der Initiative besitzen; diese Schwarzen
richten aber gewöhnlich ihre Fähigkeiten auf's Schlechte, werden
somit zu Betrügern, Dieben und Räubern. Sobald die schlechten
Eigenschaften einmal entwickelt sind, dann ist kein Halt mehr.
Sobald der beste, gntmüthigste und friedliebendste, nnterthänigste
Neger ein Mal Blut gesehen hat, wird er zum Tiger und seiner
Grausamkeit setzt dann nur der Tod Schranken. Ich selbst habe
unzählige solcher Fälle erlebt; nur einen will ich hier erzählen.
Eine angesehene Familie der Stadt Pelolas hatte vor Jahren
einen Schwarzen, der als Bäcker arbeitete und sich stets exemplarisch
betragen hatte. Eines Tages fügte ihm der gelbe Capataz (Sklaven-
wächter) eine Ungerechtigkeit zu, ließ ihn so hart strafen und pro-
vocirte ihn so lange, bis der arme Teufel endlich sich auf ihn warf,
ihm das Messer entriß, ihn niederstieß, noch fünf oder sechs Per-
sonen und zwei Hunde, die ihn den Weg vertraten, verwundete und
in's Gebirge entfloh. Dort wurde der Padeiro (Bäcker), wie inan
ihn allgemein nannte, ein Schrecken der Provinz. Mord, Raub
und Brandstiftung waren seine Losung; mit mehreren anderen Ne-
gern bildete er eine Räuberbande, die lange Zeit um Pelotas herum-
hauste, Häuser ausplünderte und niederbrannte, Männer ermordete
und die Mädchen und jungen Frauen mit wegführte in die Schlupf-
winkel. Das Schicksal derselben brauche ich nicht näher zu schildern.
Der Padeiro, ehemals der beste Sklav der Welt, beging in Person
mehr denn dreihundert Mordthaten, wie er selbst gestand. Jahre
lang trieb er sein Umvesen, bis es endlich, durch Verrath eines Mit-
gliedes seiner Bande und nach einem mörderischen Gefecht, den
kaiserlichen Truppen gelang, Herr dieses Ungethüms und seiner
Spießgesellen zu werden. Der Padeiro und seine Genossen wurden
sodann hingerichtet. Und zu einem solchen Grade der Verworfen-
heit kann es ein jeder Neger bringen, wenn er nur erst einen Schritt
im Pfade des Verbrechens gethan hat, denn selbst die besten und
begabtesten unter ihnen haben kaum den Begriff eines Unterschiedes
von Gut und Schlecht: aus Gewohnheit sind sie gut, und mit der-
selben Leichtigkeit nehmen sic auch die Gewohnheit des Verbrechers
an. Sie sind eine niedrigstehende, traurige Rasse. Wie bekannt,
stehen ja die Neger in physischer Beziehung weit unter den anderen
Rassen und auch in Brasilien ist dies der Fall.
Unsere hiesigen eingeborenen Neger sind im Allgemeinen nicht
i sehr schwarz, sondern spielen mehr in's Braungelbe hinein; Lippen
! und Zahnfleisch sind bläulich und es ist charakteristisch, daß der
Neger mit rothem Zahnfleische gewöhnlich gut ist. Das
! Ideal der sammetschwarzen Haut und der Korallenlippen existirt
hier nicht, und selbst an der afrikanischen Küste findet man nur
selten dergleichen. Schöne Zähne haben fast alle; von Gestalt sind
sie kräftig, von mehr als mittler Größe und gut gebaut; oft haben
sie Riesenkräfte und alle besitzen große Ausdauer für die Arbeit,
! Hitze und Entbehrungen aller Art. Ihr Temperament ist nicht
hitzig und trotz ihres starken Körperbaues sind sie, hier bei uns,
weniger den sinnlichen Neigungen ergeben als die anderen Menschen-
| schlüge des Südens. Den Grundzug ihres Charakters bildet, wie
schon bemerkt, eine phlegmatische Indolenz des Geistes und eine
außerordentliche Trägheit. Sobald der Neger unbeschäftigt ist legt
er sich hin und schläft, sowohl unter den glühenden Strahlen der
Mittagssonne als unter dem Gusse kalten Winterregens. Die
Neger liegen zu jeder Zeit ans den Trottoirs der Straßen, ans den
öffentlichen Plätzen, auf den Äirchentreppen, kurz überall. Wenn
16
Halbbarbarei auf den Hebriden.
man aber den Schwarzen zur Thätigkeit anhält und streng beauf-
sichtigt, dann ist er ein guter Arbeiter, und darum ist der Sklav
stets besser als "der freie Schwarze; denn sobald dieser nicht mehr
arbeiten muß, thnt er nur gerade genug, um seinen Hunger zu
stillen, und überläßt sich im Uebrigen seiner Schlafsucht, dem Trunk
und deni Spiel; auf das letztere ist er besonders erpicht. Von
Trunk und Spiel zum Verbrechen ist nur ein Schritt und daher
stehen in ganz Brasilien die negros forros oder libertos in schlechtem
Nus, und für gemiethete Arbeit zieht Jeder, der das Land kennt,
den Sklaven (captivo) vor. Daher kommt es, daß die Rekrntirung
hauptsächlich auf freie Schwarze und Gelbe Rücksicht nimmt und
unser Heer von 25,000 Mann fast nur aus Farbigen besteht, da
der Weiße, so arm er sei, nur selten rekrntirt wird, und wenn es
geschieht, gewöhnlich einen Sklaven, der dann frei wird, als seinen
Stellvertreter abgiebt. Daß hierbei die Armee schlecht fährt, ist
natürlich; man sieht in ihr keinen einzigen adretten Soldaten; der
dem Schwarzen angeborene schlendrige Gang und seine Fahrlässig-
keit macht ihn zu einem schlechten Soldaten im Aeußern, und über-
haupt giebt cö wohl auf der ganzen Welt keine verdorbenere Klasse
als die der gemeinen Soldaten Brasiliens: Trunk, Spiel und
Diebstahl, die gewöhnlichen Fehler der schwarzen Rasse, herrschen
auch im Heere vor, und kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgend
ein schweres Verbrechen von diesen „Soldaten" verübt wird, haupt-
sächlich seit die cliibata (Peitsche) abgeschafft ist, und der Soldat
nicht mehr vor der körperlichen Züchtigung (der einzigen, die bei
dem Neger hilft) Furcht hat.
In anderen Lebenslagen hat der Schwarze fast immer dieselben
Fehler, und ich möchte nur diejenigen ausnehmen, welche in
einer guten Familie groß geworden und so zu sagen erzogen sind.
Deren giebt es nun viele, hauptsächlich weiblichen Geschlechts; sie
zeigen einen gewissen Verstand und auch Gefühl, nehmen einige Civi-
lisation au, jedoch nur wenig und, um es zu wiederholen, ich habe
nur höchst selten Schwarze getroffen, die es weiter als zum stüm-
perhaften Lesen und schlechten Schreiben gebracht haben. Diese
Kreolen bilden einen untergeordnetenTheil der Familie, wachsen
mit den Söhnen und Töchtern ans und ihrem Kontakte kann man
theilweis die Precocität unserer brasilianischen Jugend danken.
Nun glaube man jedoch nicht, daß unter den kleinen Sklaven
und den Kindern des Hauses Familiarität herrsche, nichts weniger
als dieses; der „junge Herr" (Senhor moi;o) ist von Jugend ans
ein wahrer Herr, streng und eigenmächtig, der den Sklaven als sein
absolutes Eigenthnm betrachtet. Der Sklav wird fast allgemein gut
gekleidet und gut genährt; körperliche Züchtigungen sind gesetzlich
untersagt unh werden auf Bitten der Herren vom Gefängnißwärter
der Stadt, ans Befehl der Behörde, vollzogen. Noch erlaubt
das Gesetz Sklaven in Auktion zu verkaufen, doch liegt bereits eine
Gesetzvorlage in den Kammern, die darauf dringt, diesen Miß-
brauch abznschaffen, die Mutter nicht mehr von den Kindern zu
trennen re. Die eingeborenen Sklaven lieben den Luxus und dünken
sich glücklich, wenn sie ihre Herren in der Kleidung nachäffen
können; sie alle sind kirchlichen Feierlichkeiten sehr zugethan, wie
das natürlich ist, da der Pomp der katholischen Kirche doppelt
stark ans dergleichen ungebildete Menschen wirkt, die überhaupt
nur ans materielle Weise Eindrücke empfangen. Sie gehen gern zur
Kirche und folgen in unzähliger Menge den Processionen, worin es
ihnen jedoch die Neger von der Küste noch zuvorthun, die mit
ihren hundert Dialekten ein schauderhaftes Geschrei um die Kirche
herum machen.
Wie ich schon oben sagte, haben die eingeborenen Sklaven
viel Anhänglichkeit an ihre Herrschaften, die sie selbst dann noch
oft bewahren, wenn sie längst frei und oft sogar reich sind. Der
Werth eines Sklaven beträgt etwa 1000 bis höchstens 2000 spanische
Thaler, und da viele Sklaven sehr brauchbare Handwerker sind, die
außer dem Betrage von etwa einem preußischen Thaler, den sie fast
durchgängig täglich ihrem Herren bringen müssen (wenn sie Hand-
werker sind), noch ein oder zwei Thaler per Tag für sich verdienen,
so wird es ihnen leicht, sich und ihre Geliebten loszukanfen. Zum
Handel und zur Sparsamkeit haben sie alle einen natürlichen Hang,
und so ist es häufig, daß manche schnell wohlhabend werden. Ich
kenne ehemalige Sklaven, die Hnnderttausende im Vermögen haben
— aber denen dennoch „der Zopf immer mach hinten hängt." Trotz
ihrer schweren goldenen Ketten, ihrer Brillanten und sammtenen
Kleidern können sie doch keine Strümpfe vertragen und ziehen
vor, barfuß zu gehen; im Hanse sitzen sie am liebsten ans der Erde,
und die Gabeln sind immer die Feinde ihres Geschlechts, da sie am
liebsten mit den Fingern essen. An äußerer Gravität fehlt es den
würdigen Leuten nicht; diese jedoch, sowie ihre ganze Erscheinung
und Lebensweise, erscheint uns Weißen immer karrikirt. Aber es
giebt auch manche vortheilhafte Ausnahmen, doch das allge-
meine Profil der eingeborenen Negerrasse ist das, welches ich ge-
zeichnet habe.
Die Mulatten sind anstelliger; das weiße Blut, welches in
ihren Adern rinnt, macht sie knlturfähiger; viele von ihnen sind
äußerst talentvoll und sehr häufig finden wir in bedeutenden
Aemtern und in angesehenen und einflußreichen Stellungen Ab-
kömmlinge von ehemaligen Sklaven. Es giebt sehr bedeutende und
angesehene Mulatten-Familien, deren Glieder wir in den höchsten
Klassen des brasilianischen Beamtenthums finden und die aller
Achtung würdig sind. Es ist dieses durchaus keine Anomalie, denn
unser Land ist jung, wir besitzen keine alte Aristokratie und Jeder,
der etwas Tüchtiges ist und weiß, kann es bis zu den höchsten
Ehrenämtern bringen, ohne daß seine Abstammung oder Farbe
dabei ihm hinderlich wäre. Mit Stolz kann der Brasilianer sagen,
daß Verdienst und Intelligenz die einzigen gültigen Titel sind; wer
diese besitzt, kommt vorwärts, möge er Sohn sein eines ehemaligen
Sklaven oder eines Ministers. Darum eben hat Brasilien tüchtige
Staatsmänner, weil es alle Talente schätzt und benutzt und keinen
Ostracismns für die uiedern Klassen zuläßt. Als Beispiel für diese
Behauptung brauche ich nur den bedeutenden Staatsmann, den
allgemein geachteten Vicomte de Monteznma, zu nennen, der die
höchsten Ehrenämter bekleidet hat, trotzdem er Mulatte ist. Doch
nun genug von den eingeborenen Negern; ich will nunmehr zu den
bei weitem interessanteren Schwarzen gehen, die von Afrika im-
portirt sind und von denen wir immer noch ein Paar Millionen
haben.
Halbbarbarei auf den Hebriden.
Wir thnn uns sehr viel zu gute auf unsere europäische „Civi-
lisation", und sind sehr eifrig beflissen, das, was wir so nennen,
über die ganze Welt zu verbreiten. Im Namen der Civilisation
führen wir Kriege in den fremden Erdtheilcn, vergießen Ströme
Bluts, vernichten ganze Völkerstämme, werfen andere völlig ans
dem Gleichgewichte. Wir machen Propaganda mit dem Schwerte,
mit dem Waarenballen und mit Predigten und Andachtsbüchern
über die weite Welt. Dabei wird aber vergessen, daß wir in
Europa selbst ans mehr als einem Punkte noch halb-
wilde Zustände haben, ganze Gruppen von Menschen, die noch
Halbbarbarei auf den Hebriden.
17
heute in der Entwickelung fremd geblieben, und die noch so rück-
ständig sind, wie ihre Vorfahren vor anderthalb tausend Jahren.
Wir werden gelegentlich diese Gruppen im Zusammenhänge
darstellen, und damit einen Beitrag zur Ethnologie liefern; heute
schildern wir Halbwilde, die in einem allerdings abgelegenen
^heile des europäischen Großbritanniens wohnen, die sogenannten
Erofters auf Lewis, einer der Hebriden. Croft bedeutet ein
kleines, umzäuntes, nahe am Wohnhause liegendes Grundstück, das
als Weide oder als Ackerland benutzt wird. Danach heißen die
Besitzer eines solchen Erofters. Nun hat jüngst ein Di-. Arthur
Mitchell, tut Aufträge der Regierung von Schottland, die sogenann-
ten äußeren Hebriden besucht, um Erhebungen über das Irren-
Wesen zu machen. Er besuchte auf seiner Wanderung auch die Insel
Lewis und bemerkt in seinem Berichte, daß man nicht in irgend
ein Alterthümerinuseum zu gehen brauche, um zu sehen, wie es auf
jenen Inseln vor tausend Jahren ausgesehen habe; ans Lewis habe
man das sichtbar, und handgreiflich und lebendig vor sich. Dort
leben auf etwa 37 deutschen Geviertmeilen etwas mehr als zwanzig-
tausend Menschen, von denen nur wenige in Lebensweise und An-
schauuugen Fortschritte gemacht haben.
Das Wohnhaus besteht aus einer großen viereckigen Masse,
einem sogenannten Blocke, von vierzig Fuß, und hat auf der einen
Seite einen Vorbau, der eine Art von Halle bildet; ans derHinter-
scite befindet sich ein größerer Anbau, und dieser wird als Scheune
benutzt. Zu dem Ganzen führt nur eine einzige Thür; durch diese
tritt man in die sogenannte Halle und sieht dann eine alte Hand-
mühle (Quere), dergleichen als Kuriositäten in unseren Museen
aufbewahrt werden. Dort oben ist sie noch ein Geräts,, das mau
im Gebrauch hat. Gegenüber befindet sich der Stall für Kühe uitd
Kälber. Wer aus der Vorhalle zum Hauptgebäude geht, muß über
die Düngerstätte (B yr e), und im Sommer, wenn das Feld bestellt
ist, hat er einen Tritt hiuabzusteigeu, während er im Frühjahr auf-
wärts zu steigen sich gcuöthigt sieht. Denn das Vieh wird zur
Winterzeit nur bei gutem Wetter, also selten, hiuausgetrieben und
so sammelt sich der Dünger hoch au. Er wird aber nur ein ein-
ziges Mal im ganzen Jahre fortgeschafft.
Das Haus ist immer mit Torfqualm erfüllt; dieser und der
Ruß wirken als Mittel gegen die Fäuluiß, und ohne beide wäre es
unmöglich, daß Menschen fast unablässig in unmittelbarer Nähe
eines Düngerhaufens und sich zersetzender thierischer und Pslanzen-
stvffe gesund bleiben könnten. Auch wäre der üble Gerüch ohne den
Torfqualm unerträglich; kein Mensch würde sich an denselben ge-
wöhnen können. Im Winter hat cs seine Schwierigkeiten, aus dem
Vorhause itach dem Block zu gelangen, denn die Kühe sind dann
unbändig, weil sie oft lange Zeit nicht hinauskommen, und in allen
Räumen herrscht ein Halbdunkel.
Am andern Ende des Hauptgebäudes leben die, wie I)r. Mit-
chell sich ausdrückt, „menschlichen Tiere", das „menschliche Vieh",
aber ohtte durch irgend welche Schranke von dem thierischen Viel-
geschieden zu sein, denn eine Reihe lose nebeneinander gelegter
Steine kann doch nicht als Abgrenzung betrachtet werden. Der
Manu von Lewis hält darauf, daß die Kühe das Feuer brennen
sehen; das mache den Thiereu Vergnügen und trage zur Wärme
bei. Ueber der Feuerstellc sind die Balken mit Ruß überzogen; von
denselben hängt eine Kette herab und an dieser befindet sich ein
eiserner Topf.
Neben der einen Seite des Herdes liegt ein Brett auf zwei
i ageu von Rasen oder großen Steinen und dort sitzen die Männer
des Haushaltes, aber manchmal fehlt das Brett und die Bank ist
weiter nichts als trockener Rasen. Hinter ihr liegt der zum nächsten
Bedarf erforderliche Torf. Auf der andern Seite steht ein drei-
beiniger Schemel für die Frau; Kinder und Hunde kauern neben
der Feuerstellc in der warmen Asche. Neben dem Schemel der
Frau, welche ihren Rücken den Kühen zuweudet, befindet sich in
manchen, aber nicht in allen Häusern' eine Art von Bört oder Ge-
sims, auf welchem Teller und Schüsseln stehen, falls dergleichen
Globus iv. Nir. 1.
vorhanden sind. Unter demselben sieht man ein Spinnrad und
einige Töpfe.
Dr. Mitchell hat bei den Erofters nicht einen ein-
zigen Tisch gesehen, und Stühle nur in äußerst seltenen
Fällen. Theelöffel, Theekessel und verzinnte Eisen-
gefäße sind nicht minder selten. Von Steingut und Töpfer-
geschirr hat mau weiter nichts als einige Schüsseln und Becken der
gröbsten Art, und in dem Kirchspiele Barvas und in einem Theile
von Uig fehlen sogar diese. Die Leute dort verfertigen sich ihr
Topfgeschirr selber; es ist aber so unvollkommen, daß man es mit
den Aschenurnen vergleichen kann,«die vor ein paar tausend Jahren
vergraben wurden. Das Verglasen geschieht, indem man beim
Brennen saure Milch in den weißglühenden Topf schüttet; aber das
ist eine sehr rohe Art des Verfahrens; das Geschirr kann nie ordent-
lich gereinigt werden, alle Milch, welche man darin aufbewahrt,
wird sauer.
An einem andern Ende des Gemachs, falls dieser Ausdruck
erlaubt ist, befindet sich die Schlafstätte. Von Bettstellen ist keine
Rede; sie würden zu viel Holz und zu viel Geschicklichkeit bei der
Arbeit in Anspruch nehmen. So sieht man denn vier Pfosten mit
Sperrhölzern an der Seite, einen: hölzernen Boden, und mit Stroh
gefüllt. Dieses ist aber so werthvoll, daß es nur selten gewechselt
wird. Die zwei oberen Pfosten reichen oft bis an die Dachsparren
und sind an ihnen befestigt. Auf diesen ruht ein inneres Dach, weil
das äußere nicht wasserdicht ist. In diesem Bette schlafen Alle ohne
Unterschied des Geschlechts beisammen; denn es ist überhaupt nur
eins vorhanden, wenn die Familie nicht gerade viele Mitglieder
zählt. ___
Sonntagskleider und allerlei Sachen, die man für werthvoll ^taäTS^
hält, liegen in einem Kasten. ■ IBiBUöTHEfc
Das Haus besteht aus rauhen, unbehauenen Steinen; dies
Mauern sind fünf bis sechs Fuß dick; der Raum zwischen der äußern
und inner:: Steinlage ist mit Torf ausgefüllt. Die Dachbalken
ragen nicht über die Mauer hinaus, sondert: endigen am inner::
Rande, so daß das Regenwasser nicht nach Außen, sondert: nach
Innen fällt. So sind denn die Manerwände allezeit feucht und oben-
drein höchstens drei Ellen hoch; wer durch die Thür geht, ninß sich
bücken. Oben auf der Mauer läuft nicht selten rund um
das Dach herum ein Fußpfad, der von Schafen, Hühnern,
Kindern und Hunden fleißig benutzt wird. Mitchell mußte einmal,
um zu einem benachbarten Orte zu gelangen, über ein Hans hin-
weggehen; Treppenstufen führten hinauf und hinab. Die Dach-
balken oder Sparren sind übrigens weiter nichts als Banmzweige,
welche man mit Stricken oder Strohseilen zusammengebnnden hat.
Das Dach selbst besteht aus lose aufgelegtem Stroh; zur Be-
festigung desselben dienen Seile, die man ans Haidekrant windet
und am Ende mit Steinen beschwert. Alljährlich wird solch ein
Dach abgenommen, weil es ganz mit Ruß durchzogen ist; es gilt
aber für ein sehr kräftiges Düngungsmittel, deshalb hat es auch
kein Loch für den Abzug des Rauches, und man legt das Stroh
recht dick auf, und zwar derart, daß das Dach halbrund wird. So ist
denn, wie schon bemerkt, das Innere des Hauses imnier mit beißen-
dem Torsqualu: erfüllt, und wer nicht an denselben gewöhnt ist,
kann ihn nicht ertragen, denn er greift die Augen at:. Was von
Ranch etwa nach Außen dringt, lagert sich über das Dach, und das
ganze Hans sieht genau so ans wie ein Düngerhaufen bei heißem,
nassem Wetter. Bei den Erofters scheint das Dach überhaupt nicht
da zu sein, um den Hausbewohnern Schutz gegen Kälte und Nässe
zu gewähren, sondern lediglich zur Düngerverfertigung. Nach
starken: Regen läuft das Wasser durch; es ist ganz schwarz, und
deshalb ist denn auch in: Innern Alles schwarz und schmutzig.
Wenn in: Frühjahre das Dach entfernt wird, ist die Hälfte der
Bevölkerung buchstäblich ohne Obdach und befindet sich dann, weil
gewöhnlich nasses Wetter ist, in einer sehr unbehaglichen Lage.
Nur äußerst wenige Häuser haben Fenster; etwas Licht kommt durch
die Thür und zwei kleine Seitenlöcher oben an der Mauer, sodann
3
18
Ein Steppenbild aus Daurien.
auch durch die Spalten in der Wand. Diese Menschen leben bei-
nahe in Dunkelheit, und es ist eigentlich für ihre ganze Weise und
ihr Treiben gut, daß sie im Finstern bleiben. Hätten sie Fenster,
so würde doch einige Scheidung der Geschlechter von einander nothig
werden, das müßte aber geradezu revolutionär auf ihr Denken und
Handeln einwirken. Aus Schmutz machen sie sich gar nichts. Blöd-
sinnige Leute läßt man fast ohne jede Bekleidung beim Vieh liegen
und prügelt sie, denn das thue ihnen gut. Neun Zehntel stehen
außerhalb der britischen Civilisation, sprechen nur Gälisch
und verstehen kein Wort Englisch. Sie sind unglaublich weit zurück.
Ich kannte einen Mann, der nicht wußte, wie viel Pence ans den
Schilling gehen; er wußte nichts vom Christenthume, konnte nicht
lesen und kommunicirte nicht. Er war aber nicht etwa ein Idiot,
sondern verheirathet, ein Crofter, zahlte Steuern und hatte leid-
liches Einkommen. —
Und bei solchen barbarischen Zuständen zu Hanse zahlen die
„Frommen" in England jährlich Hunderttansende für Missionäre
— in Afrika und der Südsee!
Ein -Zteppenbil- aus Daunen.
Nach Gustav Radde.
Die bäurische Hochsteppe und ihre geographische Lage. — Der Tarei Nor. — Thierleben. — Bodeubilduug und Pflanzenwuchs. — Mongolen. —
Die Steppenorkane. —
Der ausgezeichnete junge Reisende, welchen unsere Leser kennen >
gelernt haben, erforschte ans seinen nordasiatischen Wanderzügen
im Jahre 1850 eine weite Strecke an der sibirisch-chinesischen
Grenze, östlich vom Apfelgebirge und westlich vom Chingan-
gebirge, also die Region am Nordostende der hohen Gobi,
welche als das russische Daurien bezeichnet wird.
Diese danrischen Hochsteppen sind nicht etwa bäum- und
buschlose, wasserarme Flächen, sondern weit mehr ein von vielen
nackten Gebirgen durchsetztes Hochland, dessen Thäler und flachere
Senkungen da, wo sie stark salzdurchdrungen sind, ausschließlich die
Pflanzenfamilie der Chenopodiaceen ernähren, bald die spärlichen
Zuflüsse kleiner Quellen und Schnee- und Regenwasser anfnchmen,
und unzählige flache und trübe Schlamm-Seen bilden, die in
günstigen Fällen nur schlechtes Brakwasser enthalten, zumeist aber
mit stark gesättigter Salz- und Soda-Soole gefüllt sind. Uebrigens
kann man die daurische Landschaft an der mongolischen Grenze
schon deshalb nicht mit den südostenropäischen Tiefsteppen ver-
gleichen, weil sie hoch liegt mld ganz andere topographische Ver-
hältnisse darbietet. Ein großer Theil dieser öden Region scheint,
gleich der südlicher gelegenen Gobi, so weit diese bewohnbar ist,
von der Natur den Nomadenvölkern Vorbehalten zu sein. Denn sie
gestattet den Anbau von Getreide nicht, und der wilde Mongole
durchjagt sie heute, wie in früheren Jahrhunderten, auf flüchtigem
Rosse. '
Die Grenzsteppen Danriens nehmen einen schmalen Streifen
zwischen 130^2 und 137" Ö. L. von Ferro ein, haben die Haupt-
ausdehnung von Westen nach Osten und werden theilweise vom
dt)." N. Br. durchschnitten und vom Onon durchflossen, in dessen
Nähe sich dichte, kräftige Kiefernwälder ausdehnen. Das ganze
Gebiet nimmt einen Flächenranm von etwa 830 geographischen
Geviertmeilen ein und hat an seinen niedrigsten Punkten (Kulnssutai
am Barun-Tarei) 2200 Fuß absolute Höhe, an seinen höchsten
etwa 3000 englische Fuß. Es wird in verschiedenen Richtungen
von zahlreichen Höhenzügen durchsetzt, zwischen welchen breite
Thäler mit salzigem Boden sich hindehnen. Im Allgemeinen hat
es großen Mangel an gutem Wasser und äußerst trockene Luft.
Auf einigen Süßwassersümpfen fand Radde noch Ende Juni fnß-
dicke Eismassen. In Daurien verbieten die rauhen, schneearmen
Winter den Anbau von Wintergetreide, die frühen Herbstfröste
schaden den Gemüsen; man hat nur Sommergetreide und Buch-
weizen, die aber, bei Mangel an Regen im Mai und Juni, häufig
verdorren. Kommt einmal, was nicht häufig eintrifft, ein schnee-
reicher Winter, dann werden die Heerden durch Mangel an Futter
fast gänzlich aufgerieben.
Radde wählte zum Mittelpunkte seiner Ausflüge den großen !
> Tarei Nor. Mit diesem Namen werden zwei Seen bezeichnet,
am Nordostufer des größern liegt die Grenzwacht Kulnssutai,
in der Nähe von rohrbewachsenen Süßwassermorästen. Die flacheren
Umgebungen der Tarei-Seen sind, da wo ihr Boden nicht mehr
von Salz durchdrungen ist, mit unzähligen Hügeln bedeckt. Diese
bilden eine Eigenthümlichkeit der Grenzsteppen und sie verdanken
ihr Dasein den gesellschaftlich lebenden Murmelthieren.
Aber wo sandiger Boden ist, fehlen diese Thiere, weil in ihm ihre
Höhlen einstürzen. Von allen Erhöhungen der Steppe, welche ihre
Bildung entweder einigen Arten von Raub- oder industriellen Nagc-
thieren, oder auch gesellschaftlich lebenden Pflanzen verdanken, sind
die Bane der Mnrmelthiere am größten und am regelmäßigsten.
Die Dachsbaue sind in den Steppen nie in solchem Umfang
und von solcher Größe zu finden wie in den Laubwäldern Europas;
dagegen sind die untergrabenen Strecken der Pfeifhasen, Laga-
mys Ogotana, im Verhältnis; zu ihren kleinen Bewohnern oft sehr
umfangreich, nur sanft erhöht, aber von vielen unregelmäßigen
Gängen durchzogen, deren Mündungen im Winter unter dem Schnee
15 bis 20 Klaftern weit in allerlei Krümmungen fortgesetzt werden
und zuletzt in einzelnen Lauflöchern endigen. Einzelne Arvicola-
Arten, namentlich die Olbi-Mans der Mongolen, sind durch ihre
gesellschaftlichen Wanderungen und ihre große Menge von Wichtig-
keit; sie nuterwühlen insbesondere die sandigen Gegenden dergestalt,
daß daraus Gefahr für die schnellen Pferde entsteht, welche beim
Lauf an solchen Stellen durchbrechen und sich beschädigen.
Sichtbarer sind überall da, wo leichter Flugsand auftritt, die
durch Pflanzen hervorgebrachten Veränderungen auf der Ober-
fläche des Bodens. Dort sieht man dornige Caraganen-
Gebüsche, welche mit ihren gewundenen, holzigen Wurzeln ein
festverschlnngenes Netz bilden, in welchen der lose Saud haftet.
Aber im Frühjahr und Herbst treiben die Stürme immer neue
Saudwolken hervor, verschütten nicht selten Gesträuche, tödten aber
dieselben nicht; im Gegentheil, gerade solche wachsen im nächsten
Frühjahr um so rascher. So bilden sich vereinzelte Hügel von 3 bis
5 Fuß Höhe; sie sind stets gesellschaftlich zu finden und lassen
zwischen sich tiefe, unregelmäßige Gräben, iu welchen der Sand durch
den Wind eine feingewellte Oberfläche erhält. Auch die hervor-
kriechenden Wnrzelstöcke einer Jrisart, welche den Salzgründen der
Steppen eigenthümlich ist und gesellschaftlich vorkommt, bildet
nach und nach im Boden kleine, sehr feste Hügel.
Der Einförmigkeit der Bodenbildung entspricht
das massenhafte Vorkommen weniger Thier- und
Pflanzenformen; auch in Daurien bewährt sich das allgemein
gültige Steppengesetz: Armuth an Arten, aber Reichthum
! an Individuen.
Ein Steppenbild aus Dannen.
19
3" der kalten und gemäßigten Zone ist überall der Winter die
Zeit anscheinender Ruhe in der Natur, und wir fühlen dann in ihr
mehr das Oede, Verlassene und Todte. Aber in den Steppen wird
jenes Gefühl noch um ein Bedeutendes gesteigert, namentlich wenn
wir zum ersten Male hinaustreten in die erst vom weiten Horizonte
begrenzten Gebiete, an deren nordöstlicher Seite graue Schnee-
wolken lasten. Nur in der Nähe der frei daliegenden Grenzwacht
(Kulussutai) gewahren wir einiges Leben. Auch hier fliegen
Schaaren von Sperlingen von Hof zu Hof, oder auf die be-
nachbarten Felder, die sich noch im Herbste mit struppigen Salz-
kräutern fußhoch bedeckten und deren Samen die Spatzen eifrig
suchen. Ab und an zieht auch ein Rabenpaar über die An-
siedelung, seinen krächzenden Ruf häufig wiederholend und auf-
merksam die Gehöfte musternd, um Kehricht zu entdecken. Außer
diesen beiden Vögeln finden wir zur Tageszeit in der Nähe des
Dorfes keine anderen, es sei denn, es hätten sich einige kleine
Banden der Schneeammer hierher verirrt und zu den Sper-
lingen gesellt, oder daß die Berglerche (Alauda alpestris) auf
kurze Zeit von den Salzgründen des Tarei zu den Wohnungen
gekommen wäre.
Die Straße des Dorfes ist menschenleer, die Fenster der Ge-
bäude sind klein und verschlossen, die Hunde auf dem Hofe liegen
im innersten Winkel einer windgeschützten Ecke und die Hühner
leben schon seit dem Herbst in: Zimmer unter dem Ofen. Alles
sucht in dieser Einöde Schutz gegen Kälte und Wind. Am Himmel
hänfen sich die schweren Schneewolken mehr und mehr und ziehen
langsam heran. Nur der Mongole, welcher von seiner Geburt
an den rauhen Elementen ansgesetzt war, fürchtet sie nicht. Er
legt seinen weitärmeligen Pelz an und besteigt seinen besten Freund,
das Pferd, mit welchem er dermaßen verbrüdert ist,
daß er sich Menschen ohne Roß nicht gut vorstellen kann.
Ihm ist die Steppe und ihr Himmel nicht fremd, er kennt in seinem
Gebiete jeden Stein, jede Erhöhung, jeden Quell und hat sie alle
benannt; er weiß die Witterung mit großer Genauigkeit voraus-
zusagen und trifft demgemäß die nvthigen Vorkehrungen für seine
Heerden. Es wird schlechtes Wetter geben; also muß man die
Heerden heimtreiben; der Wind wird toben und den Schnee vor
sich hertreiben. Dann ist die Steppe furchtbar und für Menschen
wie Thiere ein Land des Todes und Verderbens.
Mit gewaltiger Kraft sans't der erste Windstoß ans Nord-
west heran nnd jagt den wenigen Schnee in feinem Gestiebe vor
sich her. Der Himmel bedeckt sich mehr und mehr; die Sonne
blickt als matte Scheibe durch die schneeerfüllte Luft, immer stärker
nnd heftiger wird der Sturm, bis zuletzt für das Auge alle Ent-
fernung verschwindet und man nur noch die nächste Umgebung er-
kennt. Die Kälte ist empfindlich, aber weit empfindlicher sind die
feinen, immer einzeln schwebenden Schneekrystalle, welche die Haut
schneidend berühren. Flocken fallen in der Steppe nicht, sondern
auch bei geringerer Kälte einzelne Krystallblättchen, denn der Dunst-
kreis ist arm an Wassergehalt.
Nun hat der Hirte sorgenvolle Zeit, denn seine Habe schwebt
in der größten Gefahr. Eilig treibt er die Heerden gegen den Wind
"ach Hause und es ist ein Glück, wenn sie noch rechtzeitig die ein-
gezäunten Gehöfte erreichen. Denn nicht selten halten die Schnee-
stürme zwölf Stunden au, manchmal aber auch zwei oder drei
llllal so lange. Das zahme Vieh widersteht ihnen nicht, es geht
gleich mit Anbeginn des Unwetters mit dem Wind, und je stärker
dieser wird, um so rascher laufen die Heerden und nichts vermag
sie dann in ihrer Flucht aufzuhalten. Besonders die Schafe leiden
nnd gehen, bei mangelhafter Führung, heerdenweise verloren. In
enggedrängten Haufen, den Kopf gesenkt, laufen sie vor dem Winde,
ohne darauf zu achten, wohin derselbe sie treibe, sei es zu schnee-
gefüllten Klüften oder, im ersten Winter, in die jetzt noch nicht ge-
frorenen Schlammlachen der Salzufer, sei es endlich an den Rand
jäher Abstürze, wo sie dann hinabfallen und nmkommen. Ebenso
rennen die Pferde in gestrecktem Galopp mit gehobenem Schweif
nnd fliegender Mähne vor dem Wetter, trennen sich von einander
nnd manche finden, wenn der Sturm anhält, den Tod. Bon den
wilden Thier en sind an solchen Tagen manche sehr lebhaft, andere
aber legen sich schlafen und der größte Theil führt um diese Zeit
ein unterirdisches Leben. Sie haben sich tiefer, als die Kälte
den Boden gefrieren läßt, in sorgsam bereitete Heubetten gelagert,
wo in lethargischer Betäubung der lange Winter verlebt wird. Aber
alljährlich erfolgt im Frühjahre, wenn die Sonne höher steigt, zu-
gleich mit der erwachenden Vegetation auch eine allgemeine Auf-
erstehung der Winterschläfer.
Während die Antilopen, welche im Herbst auf ihren Wan-
derungen nach Norden oft in ungeheuren Schaaren ans derMongolei
nach Daurien herüberkommen, während der Steppennnwetter sehr
lebhaft sind nnd unablässig umherschweifen, legt sich der Wolf
in enger Felsschlucht zur Ruhe nnd soll gerade beim stärksten
Sturm am festesten schlafen.
Aber das Wetter hält au. Es neigt sich die Sonne und immer
noch wüthet der wilde Nord. Die Raben fliegen zur Nachtruhe
an die Sammelplätze, und die Sperlinge haben Schutz unter den
Dächern der Wohnungen gefunden. Die Schneewolken ziehen in
gleicher Richtung mit dem Winde; nur da, wo sie ans ihrem Weg
an größere Steine nnd die dichtgestellten Blätter der Iris stoßen,
prallen sie zurück, nnd der Schnee häuft sich am Fuße des Hinder-
nisses an; die flachen, ebenen Stellen werden rein gefegt, nnd so
kommt es, daß nach tagelangem, freilich nur geringem Schneefalle
dennoch die ganze Gegend nur einzelne Schneespuren zeigt, aber im
Ganzen die herbstliche Physiognomie behält. Wo aber blieb der
gefallene Schnee? Er begrub in engen Felsschluchten die ver-
unglückten Hausthiere, deren Gebeine man dort bleichen sieht,
wenn im Frühlinge die Schneewasser abgeflossen sind.
Ueber dieses Bild frei wüthender Naturkräfte und Zerstörungen
lagert sich dunkle Nacht. Sturm sans't durch die Fugen der Holz-
wohnuugen, er reißt die Dachdeckung herunter, er droht jeden
Augenblick die Filzjnrte der Nomaden nmzuwerfen. In ihr er-
löschte die letzte Glut der dürftigen Steppenheizung. In seine
Pelze gehüllt schnarcht der Mongole, nnd die tobenden Melodien
solcher krampfhaften Wetterkämpfe sind das Wiegenlied des Säug-
lings; sie prägen ihm schon frühzeitig den Begriff erzürnter Geister
in die Seele.
Aber jetzt, im Dunkel der Nacht, wenn kein Stern am
schwarzbedeckten Himmel scheint, ist die Steppe nicht so tobt als
am Tage. Die Wölfe rotten sich, sie heulen, sie wandern zu
den bekannten Stellen, um zu rauben, sie nahen sich dem Dorf,
um selbst die Einzäunungen zu durchbrechen. Augenblicklich
schlagen die wachsamen mongolischen Hunde an, verfolgen ihre
natürlichen Feinde und treiben sie in die Flucht.
Alles wird wieder ruhig, man hört nur das hohle Pfeifen
des Sturmes. Die dreisten Räuber jedoch versuchen auf's Neue
einen zweiten und dritten Anfall in derselben Nacht; endlich aber
werden sie der vergeblichen Anstrengung müde, ziehen davon nnd
müssen bis zum Tage warten, um sich, von Hunger getrieben, mit
den kleinen Pfeifhasen zu begnügen.
Außer den Wölfen treiben Füchse und besonders die Korsak-
Wölfe ihre Verfolgungen nur bei Nacht; sie fangen die Wühlmäuse
nnd besonders die Ogotonien, und gerathen dabei nicht selten in
die ihnen gestellten „Schwanenhälse", deren Köder sie lockt. Auch
der Wolf, viel witziger als sein kleinerer Bruder, der Korsak, läßt
sich häufig bethören und kommt diesen Fangeisen zu nahe. Er
sieht das Fleisch, er ist hungrig, er ahnt nichts Gutes. Oftmals
umgeht er die Gefahr in immer kleineren Kreisen, tastet in der
Nähe des versteckten Eisens, und sobald er nur wirklich eine Spur
davon gewahr wird, trabt er hiüweg, der Mühe und List des
Menschen spottend. Anders der gefräßige Korsak; er geht gerade
darauf los und beim ersten Male sitzt er fest.
Die Morgenstunde naht. Wolf und Fuchs suchen die Schlnch-
! ten, um sich in ihnen zu betten, der Korsak flieht in verlassene
3*
20
Mac Kinlay's Entdeckungsreisen in Australien.
Höhlen der Murmelthiere; seine Spur, stellenweise auf dem von
Schnee entblößten Boden unkenntlich, läßt er ans anderen frisch
bedeckten Stellen zurück.
Nach und nach ermattet der Sturm. Tröstend, aus dem
Osten heraufziehend, bestrahlt die Sonne jene einsamen Gebiete,
ein lichtes Blau bildet den Himmel und die dünne, reine Bergluft
läßt den Strahlen größere Macht. Auf das Unwetter folgt ein
ruhiger, erquickender Wintertag. DieHeerden werden freigelassen.
Sie suchen das kümmerliche Futter und scharren es an den ver-
schneiten Hügeln hervor. Der Mensch aber begiebt sich auf die
Jagd, weil die frischen Spuren der nächtlichen Wanderer ihn dazu
einladen.
Sie füllt günstig aus und nimmt den ganzen Tag in An-
spruch. Nun, da dieser sich neigt, flammt der westliche Horizont
des Tarei im Abendroth; die dem Zenith näheren Schichtwolken
sind schon grau und nur purpurn umrandet. Mit sanfteni Fluge
hebt sich von ihrem Aufenthaltsort am verschneiten Jrishügel
die Schnee-Eule und zieht zur hohen Steppe, um die Pfeif-
hasen zu belauschen. Am dunkeln Himmel strahlen später die
Gestirne, und ihr Glanz erscheint, der dünnern Luft wegen, weit
lebhafter als in tiefer gelegenen Ländern.
Wiederum wachen jetzt die Räuber der Steppe und beginnen
ihre nächtlichen Wanderungen. Die Luft ist ruhig und nichts stört
den Frieden. Nur ab und zu vernimmt man das Geschrei des
Korsaks, welches mit jenem kleiner Kinder Aehnlichkeit hat. Aus
ihrem Verstecke schleicht die Manulkatze; sie nimmt den Weg
gern den Schluchten entlang, um eine Bande schlafender Feld-
hühner zu überraschen. Der Iltis stellt den Mäusen auf freiem
Felde nach.
Erst im Frühjahre, wenn die belebende Sonne größere Macht
gewinnt ändert sich der Anblick der erdarmen Hochsteppe nach und
nach, und in die Gebiete des Tarei ziehen unzählige Bewohner
aus südlicheren Breiten, während zu gleicher Zeit aus dem
heimatlichen Boden die Winterschläfer nach halbjähriger Ruhe
auferstehen.
Mac Kinlay's Entdeckungsreisen in Australien.
Wir haben im Globus die Ergebnisse dieser Reisen, gleich
nachdem dieselben in Europa bekannt wurden, mitgetheilt, und
den wichtigen Gegenstand mehrfach berührt. Jetzt verdanken wir
freundlicher Mittheilung aus Bremen eine Nummer der zu Mel- >
bourne erscheinenden deutschen Zeitung „Germania" (vom
22. Januar 1863). Sie enthält eingehende Berichte sowohl über
Mac Kinlay's als über Stuart's Wanderungen, ans der deutschen
Südaustralischen Zeitung (vom 9. Januar), welche zu
Adelaide erscheint. Dort war vor Kurzem das 48 Seiten
enthaltende Tagebuch Mac Kinlay's erschienen; das Nachstehende
ist ein Auszug aus demselben.
Mac Kinlay's Zug von Adelaide bis an den Golf von
Carpcntaria.
Mac Kinlay, welcher im Jahre 1861 von der südanstralischen
Regierung zur Aufsuchung der Victorianischen Entdeckungsreisenden
(Burke rc.) ansgesandt wurde, verließ Adelaide mit einem
Transport von Kameelen (die zu diesem Zweck ans dem Royal-
Park bei Melbourne nach Adelaide gebracht worden waren) und
Pferden, einem Ochsenkarren, einer Herde Schafe und den nöthigen
Mannschaften, und erreichte Manuwalkaninna, die äußerste
Viehstation im Norden, am 26. September 1861. Das trockene
Becken des Torrens-Sees wurde an einer günstigen Stelle, wo
weder rechts noch links eine Spur von Wasser sichtbar, passirt und
die Reise über wasserlose Ebenen und Sanddünen, deren Ueber-
schreitung äußerst mühsam war, bis zum Buchanan-See fort-
gesetzt, wo Mac Kinlay am 1. Oktober sein erstes Depot bildete.
Mehrere von seinen Leuten waren bereits bedenklich erkrankt, so
daß hier eine längere Rast nöthig wurde, wozu sich dieser Platz in
Folge der üppigen Weide und des Ueberflusses an Wassergeflügel
vorzüglich eignete. Von dem Depot aus machte Mac Kinlay
mehrere Ausflüge nach verschiedenen Richtungen und entdeckte
viele Wasserlachen, Seen und ausgedehnte Strecken üppiger
Weide.
Ueberall hatte er Ursache über die kräftige Entwickelung der
sehr zahlreichen eingeborenen Bevölkerung zu staunen. Die
Schwarzen belästigten ihn übrigens wenig und zeigten sich mit
geringen Ausnahmen freundlich und zuvorkommend. Dafür wurden
sie von Mac Kinlay mit Angelhaken, Glasperlen und anderen
Kleinigkeiten beschenkt, deren Werth sie wohl zu schätzen schienen.
An einer Stelle war dem Reisenden eine Axt entwendet worden.
Der Dieb hatte sich aus dem Staube gemacht und wurde von
seinen Kameraden nicht verrathen. Gegen Abend bemerkte Mac
Kinlay unter den Schwarzen, die das Lager umringten, einen
alten Mann, der seinen kranken Sohn, ein Kind von 8 bis 10
Jahren, auf dem Arme trug. Der Anblick rührte ihn und er gab
dem Kranken etwas Brod, Fleisch und Thee. Gegen Mitternacht,
als Alle in einem tiefen Schlafe lagen, wurde Mac Kinlay durch
die Stimme eines Eingeborenen, der sich, ganz gegen ihre Ge-
wohnheit, allein an das Lager hingewagt hatte, geweckt und er-
staunte nicht wenig, als er sah, daß es der Alte war, welcher
unter dem Schutze der Dunkelheit gekommen war, um die von
seinen Landsleuten entwendete Axt wieder zu bringen. Am nächsten
Morgen wurde er zum Lohne seiner Ehrlichkeit mit einem Beile be-
schenkt, was ihn sehr erfreute. Anders benahm sich ein Stamm
in der Nähe des Sees Kadhi Bäeri, wohin der Reisende in
Folge eines Gerüchts, daß sich dort Weiße aufhielten, einen Ausflug
unternahm. Diese Leute machten ans Mac Kinlay und seine Be-
gleiter, unter Anführung eines Häuptlings, der an seinem Körper
die Spuren früher empfangener Schußwunden trug, einen förm-
lichen Angriff und konnten nur durch Flintenschüsse vertrieben
werden. Hier fand man zwei Gräber mit menschlichen
Ueberresten nebst anderen Spuren der Anwesenheit von Eu-
ropäern. Mac Kinlay verfiel deshalb in den sehr natürlichen
Jrrthum, daß Burke und seine Gefährten von den Schwarzen
hier ermordet worden seien, bis er durch den Empfang von
Zeitungsnachrichten und den Anblick der Leichen von Burke und
Wills am Cooper's Creek vom Gegentheil überzeugt wurde.
Nach seiner Rückkehr znm Depot schickte er einen Theil der
Mannschaft nach Blanchewater zurück, um weitere Vorräthe,
deren er bereits sehr bedürftig, nachznholen. Während der Zeit
von ungefähr drei Wochen, die bis zur Rückkunft verstrichen,
machte Mac Kinlay, obschon er sehr an Durchfall und Glieder-
schmerzenlitt, mehrere erfolglose Versuch e, einen praktikabeln
Weg nach Cooper's Creek zu finden. Die Witterung war
jetzt unerträglich heiß, die Fliegen und Mücken waren eine schreck-
liche Plage, und obschon fortwährend Regen drohte, wollte es
doch immer nicht zum Niederschlag kommen. Das Last- und
Zugvieh, um sich vor den Fliegen zu schützen, brachte den größten
Theil des Tages bis an die Ohren im Wasser zu. Die Unzuver-
Mac Kinlay's Entdeckungsreisen in Australien.
21
lässigkeit der Eingeborenen, welche man als Führer geworben hatte
und die nach ein Paar Tagen Aufenthalt gewöhnlich wieder sort-
liefen, verursachte der Expedition manche Unannehmlichkeit.
Am 29. November kehrte die nach Blanchewater gesandte
Abtheilnng zurück und Mac Kinlay erfuhr nun durch Zeitungen
das Schicksal Derjenigen, denen er Hülfe zu bringen bestimmt ge-
wesen war. Trotzdem führte er seine erste Absicht aus und machte
mit einemTheile der Mannschaft forcirteMärsche nach Cooper's
Creek, wo er die Gräber der Victorianischen Reisenden
in Augenschein nahm. Auf diesem Ansflug entdeckte er einen
neuen wilden Obstbaum, von dem er Kerne sammelte. Am
17. December verließen die vereinigten Abtheilungen das Depot
am Buchanan-See und gelangten nach mehreren Behinderungen
nach dem Mulinudhurrana-See, wo zwar Wassergeflügel
und grünes Gras in Menge, aber kein Schatten gegen die un-
erträgliche Sonnenhitze zu finden war. Nach eintägigem Auf-
enthalt, um die Schafheerde, die zurückgeblieben war, Nachkommen zu
lassen, zog manweiternach dem herrlichenSeeKanbugananni,
der kreisförmig ist und 3 Meilen im Durchmesser hat. Die Um-
gegend ist von der üppigsten Fruchtbarkeit und wimmelt von
Wassergeflügel und anderm Wild, aber auch von Eingeborenen,
welche Mac Kinlay für die kräftigste einheimische Rasse hält, die
er irgendwo in Australien angetroffen.
Hier wurde daö Weihnachtsfest durch einen Rasttag gefeiert.
Am 28. wurde in der Nähe eines großen Sees, WattiWidjulo
genannt, ein zweites Depot gebildet, während.Mac Kinlay
mit einer leicht berittenen Abtheilnng die Gegend in östlicher Rich-
tung durchstreifte und ans diesem Zuge eine von unzähligen
Seen durchschnittene Gegend, von Wasservögeln aller Art
und vielen Schwarzen großer Statur bevölkert, entdeckte.
Zwei von diesen Seen, welche durch einen engen Kanal mit einander
verbunden sind, benannte Mac Kinlay nach dem frühern Gou-
verneur von Südanstralien und dessen Gemahlin. In diesen
Gewässern wimmelte es von großen und schmackhaften Fischen,
Muscheln und Krebsen, und wo ein Wasserbecken in Folge der
langen Dürre ganz ausgetrocknet war, fanden sich zahlreiche Ueber-
reste derselben vor. Mehr gegen Osten wurde jedoch die Aussicht
weniger günstig; die Gegend änderte vollständig ihren Charakter
und ging in rothe, von Sandhügeln durchzogene Ebenen über, so
daß Mac Kinlay wegen Wassermangels nicht weiter als bis zum
141.0 östl. Länge in dieser Richtung vorzudriugen vermochte.
Die Hitze wurde jetzt außerordentlich lästig und Mac Kinlay, der
sein Depot nach den Zwillings-Seen Blanche und Sir
Richard verlegt hatte, sehnte sich nach kühler Witterung, um
weiter nach Norden Vordringen zu können, da ein großer Theil
der Gesellschaft in Folge irgend einer unbekannten Eigenschaft des
Wassers ernstlich erkrankt war.
Endlich rüstete man sich am 18. Januar 1802 zum Aufbruch
und ging nach einem Creek, der sich in den Hodgkinson-See
ergießt, zurück, von wo aus Mac Kinlay einen erfolglosen
Ausflug in nördlicher Richtung machte, während die
Kranken sich erholten und zur Weiterreise, sobald es regnen würde,
rüsteten. Endlich am 7. und 8. Februar kam der erwünschte
Regen und machte den Aufbruch möglich. Der Weg führte in
nordöstlicher Richtung über Steinwüsten, lehmige Ebenen und
wellige Sandhügel nach einem großen Creek, Thumathuganie
genannt, in welchem am vierten Tage Spuren des verunglückten
Burke, nämlich das Skelett eines Pferdes nebst Sattel, gefunden
wurden. Hier verlor Mac Kinlay zwei seiner besten Ochsen in
Folge der Sonnenhitze, welche durch die gewitterschwüle, feuchte
Luft noch gesteigert worden war, und er erkrankte selber an einem
heftigen Ruhranfall, der ihn jedoch nicht verhinderte, seine Reise
am 18. fortznsetzen. Znm großen Bedauern mußte, da der
Boden vom Regen sehr durchweicht war, der Ochsenkarren zurück-
gelassen und die Zugochsen mußten mit der Ladung desselben
bepackt werden, was einige Schwierigkeit verursachte. Der Zug
ging mit vielen Unterbrechungen in kurzen Tagereisen das
Flußthal hinauf, bis am 1. März der Creek, welcher in Folge
anhaltenden Regens schon während der ganzen Woche merklich
gestiegen war, plötzlich über seine Ufer trat und das ganze Fluß-
gebiet überschwemmte, so daß die Gesellschaft in größter Gefahr
war zu ertrinken. Das auf einem kleinen Hügel aufgeschlagene
Lager, in welchem Menschen und Vieh ans einem ganz engen Raume
zusammengedrängt waren, drohte mit jedem Augenblicke von den
reißenden Fluten verschlungen zu werden, und nur mit äußerster
Noth gelang es, Thiere und Menschen durch etwa 5 Fuß tiefes
Wasser auf festen Grund und Boden der Sandhügel zu bringen,
wo die Flut sie nicht erreichen konnte und reichliches Futter für die
Lastthiere und Schafe sich vorfand. Die Kämeele waren hier von
großem Nutzen, da sie das Mittel boten, die Lebensmittel und
andere der Beschädigung ausgesetzte Gegenstände ohne Schaden
durch die Ueberschwemmung zu transportiren. Von den Anhöhen
bot der ganze westliche Horizont den unbeschreiblichen Anblick eines
endlosen Binnenmeeres; nur einzelne Sandhügel und Baumkronen
ragten ans der Ueberschwemmung empor, die im Westen, Norden
und Südosten nach allen Richtungen sich ansbreitete. Die reichliche
Nässe lockte jetzt Myriaden von Wassergeflügel, zum Theil ganz
neuer Art, heran; auch überzogen sich die freistehenden Hügel und
Tafelländer bald mit frischem Grün und unzähligen duftenden
Blumen aus dem Liliengeschlechte.
Nach einem Aufenthalte von ein paar Tagen brach die Partie
wieder auf und zog in nordöstlicher Richtung weiter, fand
aber zu ihrem Erstaunen, daß die Ueberschwemmung, statt
abzunehmen, immer mehr an Ausdehnung gewann und sich über
das ganze Terrain verbreitete, so daß man genöthigt war, sich auf
die Kuppe eines steinigen Hügels zu flüchten, der gleichwohl am
nächsten Morgen nur einen Fuß über das Wasser emporragte. Da
jetzt an kein Vordringen nach Westen zu denken war, faßte Mac
Kinlay den Entschluß, seine Schritte nach dem Golf von Car-
pentaria zu richten, in der Hoffnung, von dem daselbst ver-
mutheteten Dampfer der Negierung Proviant für die Rückreise
empfangen zu können. Die Ueberschwemmung nöthigte ihn, viele
Tage lang eine östliche Richtung einzuhalten, worauf er nach
Norden einbog und bald in eine herrliche, von vielen Creeks, die
sämmtlich nach dem Centralpunkte der Ueberschwemmung zu fließen
schienen, bewässerte Gegend gelangte, und sich an einer wahrhaft
tropischen Vegetation mit vielerlei unbekannten Sträuchern und
Blumen erfreuen konnte.
Die Reise bot bis zum 13. April, außer vielen bedeutenden
Wasserlänfen, deren Uebergang oft sehr beschwerlich war, wenig
Bemerkenswerthes dar. An dem genannten Tage wurde aber der
Schäfer mit seiner Heerde vermißt und erst am Abend des siebenten
Tages wiedergefunden. Der arme Mensch war durch Kälte,
Kummer und Schlaflosigkeit beinahe blödsinnig geworden, hatte
aber Verstand genug behalten, ein Schaf zu schlachten, um sich ans
diese Weise dem Hnngertode zu entziehen. In dieser Gegend waren
die Kängeruhs und Emus häufig, obwohl sehr scheu und un-
zugänglich. Jndeß gelang es, einige derselben zu erlegen und so
mit dem Schaffleische besser Haushalten zu können. In einem großen
Creek unweit von hier fand Mac Kinlay einen ganz neuen Bau m
mit breiten, dunkelgrünen Blättern; auch eine der Orange ähnliche
Frucht und eine Schlingpflanze mit bohnenartigem Samen.
Die Reise von dieser Stelle bis zum Leichhardt-Flusse,
der am li. Mai erreicht wurde, ging gut von Statten und zeichnete
sich durch kein besonderes Abenteuer aus. Das Terrain war im
Ganzen günstig, doch kamen auch zahlreiche Quarzhügel vor,
welche die Anwesenheit von Gold vermuthen ließen, aber den
Kameelen sehr lästig waren. Eingeborene würden nicht in der
Nähe gesehen, beschäftigten sich aber in gewisser Entfernung emsig
mit dein Abbrennen des trockenen Grases und schienen von der
Anwesenheit der Fremden im Uebrigen durchaus keine Notiz zu
nehmen. Am Leichhardt traf man Kohlpalmen, Pandauus
22
Baker's Expedition zur Entdeckung der Nilqnellen.
und andere tropische Gewächse; in den Gewässern des Flusses, der
an einer Stelle einen Fall von 60 Fuß bildet, befanden sich
Schwertfische und Hape, welche die unmittelbare Nähe des Meeres
ahnen ließen.
Nachdem Mac Kinlay einen guten Lagerplatz ausgesucht, durch-
streifte er nun die ganze Gegend um die Mündungen des
Albert- und Leichhardt-Flusses, konnte aber niemals
die eigentliche Seeküste erreichen, da das Seewasser
zur Zeit der Flut alle Niederungen überschwemmte.
Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut betrug an den Mündungen
der zahlreichen Küstenflüsse und Bäche ungefähr 7 Fuß täglich.
Nachdem er sich überzeugt, daß der Dampfer „Victoria" nicht
mehr an dieser Küste weile, trat MacKinlay den dritten und
schwersten Theil seiner Reise, den Weg nach Port De-
nison in Queensland, an. Mehrere von den Leuten waren
jetzt fieberkrank und die Kaineele litten sehr an wunden Füßen und
Müdigkeit. Anfangs zog man in östlicher Richtung über leicht-
bewaldete, von Creeks und Lagunen durchzogene Ebenen, und
passirte an einer günstigen Stelle den Flinders-Flnß, wo der
letzte Ochse geschlachtet wurde. Die einzige vorhandene Nahrung
war jetzt etwa 230 Pfund getrocknetes Fleisch, und damit sollte der
mühsame Marsch über unwegsame Gebirge nach den fernen
Stationen ain obern Burdekin ausgeführt werden. Die
Ebenen machten auch bald einem unwirthlichen Chaos von
Felsenklippen und umgefallenen Baumstämmen, von
hohen Gebirgsgrüten überragt, Raum, und die unglücklichen Last-
thiere vermochten kaum, sich durch das steinige Labyrinth hindurch
zu winden. An Wasser war zwar kein Ueberflnß, doch bekam
man durch Nachgraben im Sande stets genüg; in Folge des
holperigen Terrains wurden aber mehrere Pferde so erschöpft, daß
sie zurückgelassen werden mußten.
Zur Reise über den verwickelten Gebirgsstock, der,
aus unzähligen Felsengräten oder Kämmen bestehend, dieWasser-
scheide zwischen dem südlichen Ocean und dem Busen
von Carpentaria bildet, gebrauchten die ermüdeten
und entkräfteten Wanderer einen vollen Monat, während
dessen sie noch mehrere Pferde und ein Kameel einbüßten. Sie
fristeten mit dein gedörrten Fleische dieser Thiere das Leben, da
jede Spur von anderen Nahrungsmitteln längst verschwunden war.
Kängeruhs und Wallabies waren zwar auf den Abhängen genug
vorhanden, indeß konnte man ihnen durchaus nicht beikommen, da
das Wild von dem.beständigen Hetzen der Eingeborenen, die fort-
während das Gras ringsum in Brand setzen, äußerst scheu ge-
worden war. In den Gebirgen sah Mac Kinlay eine Menge ihm
unbekannter Bäume und Sträucher, unter anderen einen
Strauch mit eßbarer Frucht, von der Größe einer Pflaume, die
gekocht oder gebraten sehr wohlschmeckend war.
Am 5. Juni, gegen Mittag, gelangte er in das Thal des
Bnrdekin-Flnsses, der sich in den Stillen Ocean ergießt. Hier
fand man auch gleich Spuren der Anwesenheit von Europäern,
Hnfstapfen von Pferden und in der Rinde eines Baumes ein-
gegrabene Buchstaben. Dadurch wurde die Hoffnung der vielen
Kranken wieder neu belebt, aber nur um bald noch tiefer zu sinken,
als sich herausstellte, daß die Spuren wahrscheinlich sehr alt seien
und das äußerste Reiseziel einer Gesellschaft nach Weide suchender
Squatter bezeichueten, indem in dem ganzen Burdekin-
Thale, bis zu seiner Vereinigung mit dem Bowen-
Flusse, keine einzige Station augetroffen wurde. Mac
Kinlay beschreibt die Scenerie dieses Thales als von gewaltiger,
fast erdrückender Erhabenheit und Pracht. Ans allen Seiten über-
ragen steile Gebirgswände, stufenweise hinaufreichend zu unerreich-
baren Gipfeln, den schmalen Saum ebenen Bodens, der sich am
Flußbett entlang hinzieht. Das Wasser windet sich meist zwischen
Sandbänken hindurch und verursacht durch seinen unregelmäßigen
Lauf selbst Fußgängern große Hindernisse im Fortschreiten. Last-
thiere können fast gar nicht entlang kommen, und für Räderfnhr-
werk wird das Thal auf lange Jahre hin ganz unwegsam sein.
Hieraus erklärte es sich, daß Mac Kinlay am obern Laufe des
Flusses keine Stationen traf. Weiter unten wimmelte es in dem
Wasser von Alligatoren, die das Leben der Menschen und Pferde
mehr als einmal in Gefahr brachten, da der Fluß, der steilen
Thalabhänge wegen, mehrmals überschritten werden mußte. Am
30. Juli überschritt die Partie den Flußgrund und erstieg daö Ge-
birge, um die starken.Windungen, die der Burdekin in seinem
Mittlern Laufe macht, zu vermeiden, und gelangte dadurch in ein
mehr ebenes Terrain, worauf sie sich dem Flusse wieder näherte.
Am 2. August erblickte man zur Freude Aller Spuren von Vieh,
und bald kamen Ochsen zu Gesicht, die von zwei Stockkeepern ge-
hütet wurden.
Kurz darauf gelangten die Reisenden zur Station des
Herrn Somers am Bow en-Flnsse, wo sie sich nach ihren langen
Strapazen an frischem Brode, Rindfleisch und Kartoffeln gütlich
thaten, die indeß, wie Mac Kinlay erzählt, nach den erlittenen Ent-
behrungen eine so außerordentliche Wirkung auf die erschöpften
Verdauungsorgane übten, daß Einige ernstlich krank wurden und
sich erst nach mehreren Tagen wieder erholten. Von dieser Station
gelangte Mac Kinlay mit einigen seiner Leute in kurzen Tagereisen
nach Port Denison, wo er sich nach Sydney einschiffte. Der
Rest der Gesellschaft nahm in Queensland Dienststellen an.
Slcker's Expedition zur Entdeckung der Mlquelten.
Von Speke und Grant, welche von Sansibar ans in das
Innere von Ostafrika eindrangen, um den Nyanzu-See zu er-
reichen, die Nilquellen zu suchen und daun in Gondokoro am
Weißen Nil mit Petherick zusammen zu treffen, haben wir seit
geraumer Zeit keine Nachricht. Wir wissen noch nicht einmal, ob
sie bis zum Nyanza-See gelangt sind. Die Nachricht, daß
Petherick im Weißen Strom ertrunken sei, hat sich glücklicherweise
nicht bestätigt.
Nun ist aber eine neue Expedition unterwegs, welche der mehr-
fach im Globus erwähnte Baker unternimmt. Seinen Reiseplan
hat er, unterm 8. November 1862, von CHartum aus in einem
an den Kartographeil I. Arrowsmith gerichteten Brief entwickelt.
In demselben schreibt er Folgendes.
Ich fahre von hier am 1. December mit drei Schiffen ab und
nehme eine hinreichende Anzahl von Rindvieh, vier Pferde, eben so
viele Kaineele, zehn Manlthiere, zehn Esel und eine Bedeckung von
45 ausgesuchten Leuten mit. Alle sind mit gezogenen Doppel-
gewehren bewaffnet; die Zahl meiner Schiffsbemannung beläuft
sich gleichfalls ans 45 Köpfe. Sattelzeug, Ledersäcke und der-
gleichen mehr ist mit so großer Sorgfalt hergerichtet worden, daß
ich wohl möglichst rasch werde reisen können. Die eben erwähnten
Thiere sind alle ansgesncht und zwar so, daß sie sich zu den ver-
schiedenen Arbeiten eignen; ich kann also, wo Land und Verhält-
nisse dem einen nicht zusagen, andere, geeignete verwenden. Ich
habe überhaupt die äußerste Mühe und Sorgfalt ans alle Gegen-
stände der Ausrüstung verwandt und befürchte ein Mißlingen nicht.
Briefe über Böhmen.
23
Die Erforschung der Länder oberhalb Gondokoro ist bisher
vorzugsweise durch den Mangel an gehörigen Transportmitteln ver-
hindert worden, denn es kostet viel Geld, das Vieh von Chartum
ans so weit stromauf zu schaffen. Ich werde bei der Fahrt auf
dem Strome keinen Tag verlieren und nur bei den Mündungen
des Sobat und des Gasal anhalten, um Beobachtungen an-
zustellen Ich fahre ohne Aufenthalt bis Gondokoro und daun so-
gleich weiter bis zu den Katarakten (— von Makedo —). Bei
tiefen gehe ich an's Land, sende meine Fahrzeuge nach Chartum
tnrück und trete meine Landreise an.
Meine erste Station soll bei dem Elfenbeindepot
Andrea Dcb ono's sein, welche dem äußersten bis jetzt erreichten
Punkte nahe liegt, etwa unter 3° 30' N. Br. Bei den Leuten
dieses Handelsmannes hoffe ich allerlei Erkundigungen über die
umliegende Region einzuziehen; dann will ich nach Süden hin
Vordringen und mich so nahe als möglich am Strome halten, bis
ich zu dessen Quellen gelange. Das wird hoffentlich gegen Ende
des März der Fall sein. Dann ist in Gondokoro Regenzeit; ich
habe also keine Zeit zu verlieren und will wo möglich vor Anbeginn
der Regenzeit unter dem Aeqnator ankommen.
Dort will ich ein mit Pfahlwerk befestigtes Lager, eine S arib a,
auffchlagen; es soll während der Regenzeit mein Hauptquartier
sein, von dem ans ich die Umgegend erforsche, bis ich dann, nach
Eintritt der trockenen Jahreszeit, weiter vorwärts gehen kann.
Mein Hauptzweck ist vor Allem darauf gerichtet, den
Nyanza-See zu erreichen und Spuren vom Kapitän
Speke aufzufinden. Habe ich das Glück, bis an diesen See
‘ zu gelangen, dann will ich mich nach Osten hin schlagen und weiter >
nach Norden hin bis zu den Quellen des Sobat zu gelangen |
suchen. Diese liegen im Lande der Gallas. Komme ich dorthin, >
dann baue ich Kähne, fahre den Fluß hinab in den Weißen Strom *
und komme so nach Chartum zurück. Die nöthigen Werkzeuge
und Geräthschaften führe ich bei mir; auch begleitet mich ein
deutscher Zimmermann, der schon seit einigen Jahren in Afrika
lebt und vor einiger Zeit die österreichische Mission nach Gondokoro
begleitete.
Die für Petherick bestimmten Fahrzeuge und Verstärkungen
sind beinahe ganz in Bereitschaft; sobald sie die Vorräthe einge-
nommen haben, sollen sie mit meinen Schiffen nach Gondokoro
fahren; das wären dann sechs Fahrzeuge mit etwa zweihundert
Mann. Ich werde die Abfahrt beschleunigen und ich hoffe Petherick
sowohl wie seine Leute wohlbehalten in Gondokoro zu treffen; sie
haben während der Regenzeit eine sehr schlimme Reise gehabt.
Durch den Regen und das Scheitern seiner Fahrzeuge hat er viele
Vorräthe verloren, und da er wegen der anhaltenden Südwinde
nicht weiter stromauf gelangen konnte, so schickte er seine Schiffe
nach Chartum zurück, behielt nur eins und machte sich zu Land
auf den Weg nach Gondokoro, wo er nun Verstärkungen abwarten
wollte.
Ich habe dem englischen Konsul in Alexandria von den
schauderhaften Zuständen Kunde gegeben, welche durch die in Char-
tum ausgerüsteten Expeditionen zum Zwecke der Slaven-
jagden hervorgerufen werden. (—Wir haben darüber schon
Einiges in einer frühem Nummer des Globus gesagt. —) Leider
sind dabei eben sowohl Europäer als Eingeborene betheiligt. Diese
Sklavenjagden sind die Ursache aller Hindernisse und Schwierig-
keiten, auf welche ich stoße. Europäer und Türken, mit nur ein
paar Ausnahmen, sind darüber mit den Syrern und Arabern ein-
verstanden; von dieser ganzen Sippschaft wird ein Engländer hier
etwa so angesehen, wie ein Mitglied der Londoner Polizeibehörde
von der gesammten Gaunerschaft.
Petherick's Reise auf dem Weißen Nil fiel, zusammen mit der
Rückkehr beladener Sklavenschiffe, die aus dem Süden kamen.
Das eine derselben gehörte dem Andreas Debono und wurde
sogar von dem Neffen unsers achtbaren Landsmanns befehligt.*)
Dieser aber faßte die Schuldigen und schickte sie nach Kairo; da-
durch sind alle Klassen in Chartum, vom Gouverneur bis zum
Gauner, aufsässig gegen ihn geworden.
Aus dem Umstande, daß ich neben Petherick der einzige Eng-
länder hier im Sudan bin, schloß das scharfsinnige Publikum,
daß ich in irgend einer nähern Beziehung zu ihm stehen müsse.
Er hatte das Sklavenschiff, „den Maltesen", mit Beschlag belegt,
dadurch den Haß der Halunken alle ans sich gezogen, und nun
ging dieser auch auf mich über. So geschah es denn, daß ich lange
Zeit auch nicht einen einzigen Menschen in meinen Dienst bekommen
konnte, und dem Agenten Petherick's ging es ebenso.
Der österreichische Konsul Natterer machte, ebenso wie ich,
dem ägyptischen Gouverneur Vorstellungen; es kostete uns aber
beinahe Zwang, ihn zu einer Proklamation gegen den Sklaven-
handel zu vermögen. Erst nachdem diese erschienen war, kamen
Leute, um sich für unsere Expedition annehmen zu lassen.
Die ägyptischen Behörden sind von einem ganz abscheulichen
Geiste beseelt. Musa Pascha, der Gouverneur, leistete mir nicht
den allergeringsten Beistand, sondern verhielt sich ganz unthätig.
Ich muß mir also mit großen Kosten Fahrzeuge von Privatleuten
verschaffen. Rund abgeschlagen wurde mir mein Ansuchen, daß
der Gouverneur mir einen Offizier mitgeben möge, der die Fahr-
zeuge, welche ich zurückschicken werde, unter Obhut nehmen und
dafür sorgen solle, daß sie nicht zum Sklaventransport mißbraucht
würden.
Aber ich hoffe auch so auf das Gelingen. Die Sache ist
hauptsächlich eine Geldfrage, und daneben eine Frage der Geduld
und Ausdauer, und das Alles will ich daran wenden. Ich habe
mehrere Uhren, meine Instrumente sind im besten Zustand, auch
besitze ich einen Nautical Almanac bis 1864.
*) lieber Gondokoro verweise ich auf die Schilderung Lejean's im
Globus (Nr. 22, Theil II, S. 316 bis 319). Er fand den Maltesen Debono
und schildert diesen nichtsnutzigen Sklavenjäger, der den Heuchler spielte,
und erklärte, er wolle mit seinen vierhundert Dienstleuten wirksame Po
lizei üben, und „den Leuten, welche das böse Handwerk trieben, dasselbe
legen" Obiger Bericht Baker's zeigt, wie dieser englische llnterthan das
verstand. A.
Briefe über Söhme n.*)
Erster Artikel.
Deutsche und Tschechen. Gegensätze. Deutsche Knltur-
ciuflüffc.
Ed ist der alte Widerstreit zwischen Slawen und Germanen,
der sich mit erneuter Heftigkeit in Böhmen zeigt. Macht der
*) Diese Briefe haben einen Deutschen zum Verfasser, welcher der
tschechischen Sprache durchaus mächtig ist. Er hat sich, wie er uns 'schreibt,
Wissenschaft, Kraft der Intelligenz und eine von sechszig Millionen
Menschen gesprochene Kultnrsprache auf deutscher Seite; große
politische Regsamkeit, verletztes Recht, ein ehrenwerthes Streben
nach besten Kräften bemüht, so unbefangen als möglich zu schildern. Bc-
kannitut, verfahren die Tschechen sehr exclusiv, bilden sich ein, ihrerseits ge-
wissermaßen ein Alleinrecht auf den böhmischen Boden zu haben, und laufen
24
Briefe über Böhmen.
nach dem Fortschritt, dabei aber Verleugnung deutscher Kultur
und Undankbarkeit gegen dieselbe, eine von wenigen Millionen ge-
sprochene, zwar schöne und reiche, doch noch der Entwickelung
bedürftige Sprache auf der tschechischen Seite — das sind die
Gegensätze, die aufeinander prallen und so bald sich noch nicht
ausgleichen werden, bis die richtige Form für das Neben-
einander, nicht Uebereinander in Böhmen gefunden sein wird.
Auf das schöne, so recht im Herzen Europas gelegene Land mit
seinen ungeheuren Hilfsquellen haben beide Völker gleiches
Anrecht.
Auf die deutschen*) Völkerschaften der Markomannen
und Qnaden folgten in Böhmen die slawischen Tschechen. Wahr-
scheinlich fanden sie das Land nicht leer, sondern nahmen es im
fünften Jahrhundert im Sturme der Völkerwanderung mit ge-
waffneter Hand. Dalimil erzählt uns ihren Einzug in seiner
Reimchronik folgendermaßen: „In serbischer Sprache ist ein Land,
des Name Chorwatien ist (Weißchorwatien in den hinterkarpa-
thischen Ländern). In diesem Lande war ein Lech (Fürst), deß
Name war Tschech; der hatte eines Mordes sich schuldig gemacht,
wofür er sein Land verwirkte. Dieser Tschech hatte sechs Brüder,
weshalb er Gewalt und Ehre hatte und vor ihnen viel Gefolge,
die Tschech in einer Nacht zusammenrief und machte sich mit Allen
aus dem Lande auf und zog von Wald zu Wald, die Kinder auf
den Armen tragend" u. s. w.
Ganz Böhmen, und noch Strecken von Franken und Schlesien,
wurden von den Tschechen in Besitz genommen. Berührungen und
Kämpfe mit den Deutschen blieben nicht ans, und schon unter dem
ersten bedeutenden Herrscher der Tschechen, Samo (wahrscheinlich
einem Deutschen, denn Fredegar sagt von ihn: nntiono francus),
im siebenten Jahrhundert, traten Kriege zwischen Deutschen und
Tschechen ein. Tributpflichtig ward dieses Volk zuerst unter Karl
dem Großen den Deutschen; ja der Name dieses Fürsten war so
achtunggebietend, daß er zur Bezeichnung der Königswürde
(Kral) wurde. Von nun ab war der deutsche Einfluß auf die
Tschechen ein fortwährender und das Abhängigkeitsverhältniß der-
selben, zwar oft unterbrochen, wurde stets wieder erneuert.
Deutsche Kaiser trugen zugleich die böhmische Krone, Deutsche
zogen von den Grenzen her in das Land oder wurden von den
böhmischen Herrschern, trotzdem ihre eigene Nation einen verhält-
nißmäßig hohen Grad von Kultur einnahm, wegen ihres Fleißes
und ihrer Gewerbthätigkeit herbeigezogen. Mit der Schlacht am
Weißen Berge (1620) war das Schicksal Böhmens entschieden;
eine massenhafte deutsche Einwanderung und theilweise Germa-
nisirung der Tschechen begann, so daß heute von dem ehemals
slawischen Böhmen über 37 Procent des Gesammtflächenraumes
von Deutschen eingenommen wird.
Sturm gegen das Deutschthum. Die sieben und zwanzigste Sitzung des
böhmischen Landtags (am 10. März) hat wieder einmal einen Beweis dafür
geliefert. Palatzky hatte einen Antrag gestellt, der auf eine Wahländerung
gerichtet war. Die Kommission hatte Verwerfung beantragt, welche dann
auch mit 130 Stimmen gegen 78 Stimmen beschlossen wurde. Die Trag-
weite des Antrags ging darauf hin, den Tschechen eine größere Anzahl von
Mitgliedern im Landtage zu verschaffen; auch war er implieite gegen die
österreichische Februarverfassung gerichtet. Die deutschen Mitglieder durch-
schauten den Plan leicht; die Debatte war ungemein heftig und warf ein
Helles Schlaglicht auf die gegenseitige Stellung der beiden Nationalitäten in
Böhmen. Im übrigen Deutschland sollte man diesen Verhältnissen billig
weit mehr Beachtung zuwenden, als im Allgemeinen bisher geschehen ist.
Der Abgeordnete Brinz äußerte: „Die Deutschen haben Grund zu der Be-
fürchtung, daß sie kaum mehr eine ruhige Stunde haben dürften, wenn die
Herrschaft über die Nationalität in die Hände ihrer Gegner gegeben würde",
llnd Herbst sprach mit Nachdruck: „Die Deutschen wollen den Frieden, aber
eben deshalb wollen sie auch nicht die ewigen Hetzereien der Nationalitäten;
sie wollen, daß der Verfassungsbau, dessen segensreiches Wirken sie bereits
empfunden, erstarke und sich kräftige." A.
*) -Es ist nö'thig, hier den Nachdruck auf „deutsch" zu legen, da bei
kanntlich in neuerer Zeit von Seiten der Tschechen, gegen alles geschicht-
liche Zeugniß die Behauptung aufgestellt ward, die Markomannen seien
Slawen und zwar die Morawanen - Mährer gewesen!!
Deutsche des Meißner Stammes leben im Norden und
Osten Böhmens, Franken im Westen und Menschen des
bayerisch-österreichischen Stammes im Süden und Süd-
westen. Auf 1,800,000 Seelen beläuft sich die deutsche Bevölkerung
(beinahe 39 Procent der Gesammteinwohnerzahl), während gegen
drei Millionen Tschechen kompakt im Innern des Landes wohnen,
und nur durch eine schmale Zunge mit den übrigen Slawen in
Mähren verbunden sind.
Der Norden und Nordwesten Böhmens ist ganz
deutsch; von geringerer Ausdehnung erscheint das deutsche
Sprachgebiet im übrigen Laude, wo dasselbe in mehreren, ver-
schieden großen, von einander getrennten Partien vorkommt.
Es sind dies der größte Theil des Böhmer Waldes und die
südliche Hälfte des Budweiser Kreises; die Gegenden
von Neubistritz und Neuhaus, um Stöcken und Frauenthal, bei
Landskron, Grulich und Nokitnitz au der Grenze von Mähren und
Schlesien, so wie der größte Theil des Niesengebirges. Kleine
deutsche Ansiedelungen befinden sich allenthalben, besonders in den
Städten und Judustrieorten.
In den zwei Jahrhunderten, welche seit der Weißenberger
Schlacht verflossen sind, haben die Tschechen viel zu leiden gehabt.
Eine förmliche Knechtschaft, eine Bedrückung ihres guten Rechts
begann; ihre Sprache, ihre nationalen Eigenthümlichkeiten, Alles
was ihnen theuer war, wurde von Seiten der Machthaber, nicht
von Seiten des deutschen Volkes, mißachtet und gedrückt. Dazu
gesellten sich die fortwährenden Einflüsse deutscher Kultur, welche
das tschechische Volk dem Slawenthume zu entreißen drohten und
denen sie Ebenbürtiges an die Seite zu stellen nicht hatten!
Nichtanerkennung unleugbarer Verdienste um das Land und
der ewige, bis heute gehende Vorwurf „fremder Eindringlinge"
erbitterte wieder die Deutschen und gestaltete so eine Art National-
haß zwischen beiden Völkern, die doch berufen sind, in Eintracht
für das Gedeihen des schönen Landes zu sorgen. Schon der alte
Sebastian Frank (st 1545) sagt in seinem Weltbuche: „Behem
seyndt ein reich, hoffartig volck, doch mit untrew und feyndtfchafft
gegen den Teutschen berüchtiget." Barbarische Landtagsbeschlüsse
von Seiten der Tschechen, nach denen Deutschredende zu
keinen Aemtern gelangen sollten, ja des Landes verwiesen
wurden, verschlimmerten das Uebel, hinderten aber das Ein-
dringen des Deutschthums nicht. Bis auf den heutigen Tag und
zwar in immer heftigerer Weise dauern diese Reibungen, namentlich
in den gebildeten Ständen, während bei der beiderseitigen Land-
bevölkerung sehr wenig davon zu spüren ist?) Die Deutschen aber
sind gar nicht Willens, das, was sie durch Jahrhunderte lange
Arbeit erworben haben, ohne Weiteres aufzugeben; denn ihre
Entfernung oder Tschechisirung ist trotz Allem, was man dagegen
einwendet, der Grund-und Lieblingsgedanke der Tschechen, der
freilich niemals verwirklicht werden kann.
Gegen die Bestrebungen der Tschechen in nationaler Be-
ziehung, Hebung ihrer Literatur und Sprache, vollkommene
Gleichberechtigung mit den Deutschen, läßt sich nichts einwenden.
Ihr politisches Streben aber, die Wiedervereinigung von Böhmen,
Mähren, Schlesien und womöglich auch der Lausitz! und damit
herbeigeführte Majorisirung der Deutschen und Trennung vom
deutschen Reiche, ruft die Deutschen dieser Länder energisch auf den
Kampfplatz.
Wir gönnen den Tschechen aufrichtig und ehrlich ihre nationale
Entwicklung, wir sind weit davon entfernt, abstreiten zu wollen,
daß sie ein volles Anrecht auf eine nationale Bildung in den Schulen
haben und daß in den Aemtern rein tschechischer Gegenden die
tschechische Sprache die maßgebende sein soll. Aber sie mögen mit
ihrer Erbitterung gegen das Deutschthum anfhören, dem sie unend-
*) Daß z B. die deutsche Sprache den gebildeten Tschechen verhaßt ist,
obgleich sie dieselbe sehr gut verstehen, ersteht mau daraus, daß sie sich
frauzösche Telegramme schicken, da die Telegraphen tschechische Depeschen
nicht befördern.
Briese über Böhmen. .
25
lichen Dank schuldig sind, und diesem nicht in die Schuhe schieben,
was, in falsch verstandenem Eifer, die Regierung für die Germa- !
sirnng thnt. Die Tschechen sind gleichsam eine Brücke vom Slawen- >
thnm zum Germanenthum; sie können sich die schöne und edle Auf- >
gäbe stellen, das viele Gute, was ihnen deutsche Kultur und Bil-
dung bietet, ihren slawischen Stammbrüdern zu vermitteln. Dazu
ist aber vor Allem nothwendig, sich nicht in eine grenzenlose nationale
Selbstüberhebung, in einen einfältigen Dünkel hineinzureden, der
da glaubt, schon mit den bedeutend weiter vorgeschrittenen Ger-
manen und Romanen aus gleicher Stufe zu stehen. Gewiß hat
nationales Selbstbewußtsein seinen hohen Werth, und wir sind weit
davon entfernt, Erniedrigung des einen Volkes vor dem andern
»u verlangen: so lange aber die Tschechen und slawischen Völker !
überhaupt noch keine Leistungen in Wissenschaft und Kunst anszu-
weisen haben, die denen der west- und mitteleuropäischen Völker
gleichstehen, mögen sie sich bescheiden und das Gute derselben an-
nehmen und bei sich verarbeiten, oder, wenn sie stark genug dazu
sind, Eigenartiges bieten. Mit Verleugnung und Mißachtung
deutscher Kultur, überhaupt mit der bloßen Verneinung, so wie ,
mit durch nichts begründeten Formeln, wie das beliebte „die >
Zukunft gehört den Slawen" kommt man nicht weiter. Und trotz
aller Verleugnung, Mißachtung und Verneinung dringt doch
deutsche Kultur unaufhaltsam bei ihnen ein; jede neue Eisenbahn- :
schiene, die von Deutschen bewohnte Gegenden mit den tschechischen !
Theilen Böhmens verbindet, ist ein Laufgraben, eine Mine, die
mitten in das tschechische Lager führt: sie ist es durch Handel und
Verkehr, die doch einmal in Böhmen deutsch sind: sie ist ein Halt- ;
punkt, an dem das germanische Element in das Herz des Tschechen-
landes eindringt und sich weiter verbreitet.
Es ist in neuerer Zeit unter den Tschechen Mode geworden, j
alle deutschen Einflüsse zu leugnen und das, was sie sind, als einen ,
Ausfluß des Slawenthums hinzustellen, trotzdem hundert und aber
hundertmal das Gegentheil bewiesen worden ist. Sie helfen sich ,
mit wohlfeilem Spott über die „deutschen Kulturträger" hinweg.
Ohne deutschen Einfluß, ohne Befruchtung von Seiten derselben,
wo stünden sie heute? Polen und Tschechen, die westlichen Vor-
posten der Slawen, stehen unter diesen am höchsten in der Kultur,
lediglich in Folge der von ihnen ausgenommenen westlichen
Bildung. Die anderen Slawen sind weit zurück. Dort blieb
der slawische Genius reiner, unvermischter — allein eben deshalb
auch auf einer niedrigern Stufe. 2» Böhmen aber kann man
keinen Schritt thun, ohne ans Werke der Deutschen zu stoßen.
Wenn man die alte Königsstadt Prag (tschechisch: Praha)
betritt, so fällt jedem Reisenden zunächst der imposante Hr ad sch in
in die Augen, lieber dem Hänsermeere desselben mit seinen tausend
Fenstern ragt ein unvollendetes herrliches Werk deutscher Baukunst
zum Himmel; es ist der Veits dom, der ebenbürtige Bruder des
Kölner Domes, erbaut von dem deutschen Peter Arler (d. i. der
Parlir) von Gmünd'). Vor dem Dome steht eine alte Bronzestatue,
von Kunstkennern weit und breit bewundert wegen der Zierlichkeit
ihres Gusses. . Sie stellt den heiligen Georg zu Pferde dar. wie er-
den Lindwurm ersticht, und ist ein Werk der deutschen Gebrüder
K l uss enb e r g.
Wir steigen vom Hradschin herab. Die berühmte steinerne
Moldaubrücke, sie ist gleichfalls ein Werk des deutschen Peter
Arler: die Statue Karls IV. am Altstädter Brückenthurm hat
den deutschen Bildhauer Hähnel in Dresden zu ihrem Meister;
die schöne Teinkirche auf dem Ring ward von deutschen Kauf-
leuten gebaut. Das Radetzky - und Franzensmonument, diese zwei
Zierden Prags, wurden von deutschen Bildhauern gearbeitet;
die großartigen Eisenbahnbauten, die Prag anfzrkweisen hat, sie
sind das Werk von Deutschen. Nehmt dazu die Schilder an den
Häusern, die vorwiegend in deutscher Sprache abgefaßt sind; nehmt
*) Daraus, das? aus der Büste Peter's im Triforium des Prager Domes,
dessen Batcr „de Polonia“ zubenannt wird, hat man ihn zu einem Frau
zosen aus Boulogne stempeln wollen!
Globus IV. Nr. l.
die deutsche Sprache, mit der man euch in den Gasthäusern und
Kaufläden anredet, und ihr werdet finden — doch nein! Prag ist
eine „rein tschechische" Stadt, denn der böhmische Historiograph
Palatzky hat es gesagt!
Ein deutscher *) Kaiser, Karl IV., der seine deutsche Stellung
mißbrauchte, um die Krone Böhmens auf Deutschlands Kosten zu
heben, war es, unter dem Böhmen einen hohen Aufschwung nahm;
unter einen- deutschen Kaiser, Rudolf II., verweilten die ersten
Koryphäen der Kunst und Wissenschaft in Prag, zumeist Männer
germanischer Abkunft, wie Tycho de Brahe und die lustige
Schaar niederländischer Künstler. Fast von Anbeginn der
Geschichte Prags treffen wir dort Deutsche und Tschechen neben-
einander; wir sollten deshalb meinen, daß die mehr als vierzig-
tausend Deutschen in Prag, der gebildetere und wohlhabendere
Theil der Bevölkerung, doch auch ein Anrecht auf das Dasein in
dieser „rein tschechischen" Stadt haben.
Böhmen steht heute in industrieller Beziehung unter den
Ländern der österreichischen Monarchie in erster Reihe. Und wem
hat es dies anders zu verdanken als den Deutschen? Die Groß-
2 n d n st r i e ist dort deutsch, das Kleingewerbe blieb in den Händen
der Tschechen. Was Reichenberg durch Johann Libig ist, dürfte
bekannt sein; die berühmte böhmische Glasfabrikation hat
ihren Sitz in den deutschen Orten Gablenz, Haida, Stein-
schönau: dieProzellanfabrikation ward durch einen Deut-
schen, Habernitzky, in Böhmen eingeführt, die schwunghaft be-
triebene Nadelfabrikation in Karlsbad ist deutsch, die
Fabrikation chemischer Produkte in Aussig gleichfalls, ebenso
die großartige Erzeugung von Bleistiften in Bndweis. Ober-
leitensdorf ist der Sitz der bedeutenden Spielwaaren-
sabrikation; die Zündholzfabrikation, Eisenindustrie, Rüben-
zuckerfabrikation sind fast ausschließlich in den Händen deutscher
Industriellen. Ein Deutscher, Salomon, war es, welcher die
Leinenindustrie in Böhmen begründete und ein Deutscher,
Franz Richter, ward der Reformator der Weberei und Spinnerei
in Böhmen.
Sicher, die Deutschen in Böhmen sind keine bloßen slawisch-
germanischen Bankerte, sie sind in Allein vollwichtige Kinder des
großen gemeinsamen Vaterlandes, auf die es stolz sein kann. Um
nur aus der neuesten Zeit einige tüchtige Männer auzuführen,
welche Böhmen Deutschland schenkte, nennen wir: die Mediciner
Oppolzer, Hyrtl, Arlt, den Astronomen Littrow, die Mi-
neralogen Haidinger und Reuß, den Ethnographen und Sta-
tistiker Czörnig, die Dichter Moritz Hartmann und Alfred
M e i ß n er, die Musiker Schulhof, M o sch e l e s u. A. **).
Wir sind nicht grausam, wir stellen den Tschechen nicht die
Leistungen des gesammten Deutschthnins gegenüber, wir halten
ihnen nur einen Spiegel der so geschmähten Deutschböhmen
vor. Auch die Tschechen haben ihre bedeutenden Männer gehabt,
ihre Geschichte ist reich an markigen Erscheinungen; sie haben Leute
gestellt, die in den Wissenschaften Ersprießliches hervorbrachten,
ohne Größen zu sein. Sehen wir von dem Einen Huß ab i), so
finden wir außer ihm und seinen Erfolgen nichts Weitergreifendes,
Umgestaltendes, für die ganze Kultur der Menschheit Werthvolles,
wie es Germanen und Romanen in so großer Fülle bieten.
Großes geleistet aber haben die Tschechen in der Ab-
; sprechung von Verdiensten anderer Völker und in Aneig-
nung derselben, wie einige Beispiele zu Genüge beweisen mögen.
*) Daß Kart IV. deutscher Kaiser gewesen, können die Tschechen leider
nichi abstreiten, daß aber die Lützelburger, aus deren Geschlecht Kart IV.
stammte, der Nationalität nach Franzosen seien, das .zu beweisen hat
Professor To in et in Prag unternommen, um so den Aufschwung, den
Böhmen unter den Kaisern mis jenem Hause nahm, ja nicht von Deutschen
ableitcn zu müssen!
**) Bergt, die Deutschen in Böhmen in Kolatschct's Stimmen der Zeit.
1861. —
st) Johann Huß erhielt seine reformatorischcn Anregungen durch den
Germanen Wickliffe.
4
26
Wittwenverbrennungen in Indien.
Solche krankhafte Gelüste müssen mit Entschiedenheit zurückgewiesen
werden.
Wer einmal die wenig Stunden von Prag entfernte alte Burg
Karlstein, die jetzt mit der Westbahn leicht zu erreichen ist, be-
suchte, wird sich gewiß eines wehmüthigen Eindrucks nicht erwehren
können, den die Ueberreste der einstigen Pracht und Herrlichkeit ans
ihn hervorbringen. Mit Ehrfurcht betrachtet der Wanderer die
Kunstwerke, welche vor fünf Jahrhunderten dort ausgestellt wurden
und sich theilweise noch bis auf den heutigen Tag erhalten haben.
Karlstein— diesen deutschen Namen nennt der lateinische Stiftungs-
brief von 1357 — ward nach der Schilderung der Burg des heiligen
Gral auf Montsalwatsch in Wolfram von Eschenbach's Titurel auf
einem blauen Marmorkalkfelsen gebaut, auf den buchstäblich die
Beschreibung des deutschen Rittergedichtes paßt:
Ueberall so michel
Ein felse wag, von Grunde
Nicht anders denn Onichel.
Karl IV., jener Kaiser, von dessen Thätigkeit für Böhmen jede
Scholle des Landes predigt, bestimmte Karlstein znm Aufbe-
wahrungsorte für die deutschen und böhmischen Reichsinsignien,
und dieser würdig, wurde er auf's Herrlichste mit Bildwerken
ausgeschmückt.
Ein Theil der Wandgemälde stammt von dem Straßburger
Niklas Wurms er; sehr interessante Bruststücke auf Holz und
Gipsgrund gemalt, meist Heilige darstellend, von dem tschechischen
Meister Theodorich von Prag, bewahrt die Kreuzkapelle auf,
in der sich auch die zwei berühmten Temperabilder des Italieners
Tommasind de Mut in a befinden. Diese zwei schönen Bilder,
ein Ecce homo und eine Mnttergottes mit dem Christusknaben,
welche das Gepräge italienischer Malerei an der Stirne tragen,
sollten dazu beitragen, den Glanz einer „alttschechischen Maler-
schule" verherrlichen zu helfen. Thomas von Modena schrieb sich
nach alter Weise de Mutina (denn das ist der alte lateinische Name
der italienischen Stadt), und da nun in: Klatlauer Kreise ein
tschechisches Dorf Mutina (deutsch Mnttersdors) liegt, so
mußte der Künstler dort geboren sein. Nur allein Abbe Dobrowsky
belächelte diesen Wahn, und Seroux d'Aginconrt bewies später
schlagend die italienische Abkunft des Thomas.
Die Annektirungen der Tschechen lassen sich schon in früheren
Zeiten Nachweisen, und nicht nur die Deutscheu, sondern auch die
alten griechischen Dichter mußten den Stofs liefern. So bewies
ein eingefleischter Tscheche, Johann Jakob Curtius, weiland
Rudolfs II. Kanzler, daß Anakreon nicht zu Teos in Jonien,
sondern in der Umgebung von Leitomischl in Böhmen geboren
sei; Lessing, dieser urdeutsche Mann, war eigentlich ein Slawe,
denn, so lautet die famose Schlußfolgerung, sein Geburtsort
Kamen; (d. h. Steinstadt) führt eine slawische Benennung und
gehörte ehemals zur böhmischen Krone, und sein eigener Name läßt
sich nur aus dem slawischen lesui, Förster, ableiten. Demnach
müßten auch der Lausitzer Fichte und alle in Nordostdeutschlaud
geborene große Männer Slawen sein.
Es geht diese Annektirnngssucht ganz natürlich daraus hervor,
daß die Tschechen, wie die Slawen überhaupt, im Gebiete der
Wissenschaften und Künste sehr wenig bedeutende Leute aufzuweisen
haben. Darum nur frisch den Nachbarn das Ihrige abgesprochen!
Man weiß ja, wie lange sie die Behauptung anfstellten, Johannes
Gensfleisch zum Gutenberg sei ein vertriebener Hussit „Jan"
aus der Stadt Kuttenberg in Böhmen gewesen, der nach der
Schlacht bei Lipan flüchten mußte. Also gehört den Tschechen
die Ehre der Erfindung der Buchdruckerkunst. Herr Professor
Woeel in Prag hat dies sogar in einem tschechischen Gedichte,
„Das Labyrinth des Ruhmes" betitelt, sehr anschaulich ge-
schildert. Das geht denn doch noch himmelweit über den Har-
lemer Koster!
Aus allerneuester Zeit können wir noch zwei AnMtirungen
melden, wenn wir von dem zum Tschechen gemachten, von
deutschen (sächsischen) Eltern in Chrudim geborenen Erfinder der
Schiffsschraube, Ressel, gauz absehen wollen. Da es den Tschechen
au großen Komponisten fehlt, so wurde vor zwei Jahren Karl
Maria von Weber, bekanntlich zu Eutin geboren, „als dem
Wesen seiner Musik nach ein Tscheche", znm Slawen
gestempelt, und warum? Weiler im Freischütz einige tschechische
Volksliedermelodien benutzt hatte!
Etwa eine Stunde aufwärts von dem alten Städtchen Beraun
liegt in dem romantischen Thale der Mies das Dorf Stradonitz,
in dem sich eine neue Kapelle erhebt, die dem heiligen Liborius
geweiht ist. Bei der Einsegnung derselben fand es der weihende
Priester für angemessen, den Schauplatz von „Schiller's Gang
nachdem Eisenhammer" in diese Gegend zu verlegen. Schloß
Nischburg, in der Nähe auf hohem Felsen, war des Grasen
Sitz; in der jetzt eingerissenen alten Kapelle zu Stradonitz sprach
Fridolin der Paternoster vier und kam darauf zu dem benach-
barten Eisenwerk Alt Hütten, wo aber bereits der Jäger
Robert seinen Tod in den Schmelzöfen gefunden hatte. Seitdem
man dies dem gläubigen Volk erzählte, geht allerdings die Sage
in jenen Orten, und man taufte sogar ein Wirthshaus: Zum
Fridolin. Unser Schiller aber bearbeitete nach dieser „tschechischem
Volkssage" seinen berühmten Gang nach dem Eisenhammer, trotz-
dem der Schauplatz Burg Zabern (Savern) im Elsaß ift*)!
*) Die größte aus slawischer Annektirungswuth hervorgegangene Ver-
irrung ist jedenfalls die StoroNalin slavjanska des Slowaken Kolar, ein
Buch, in welchem die alte Kultur der Römer vom Slawenthum abge-
leitet wird.
Wittwenverbrennungen in Indien.
Neulich meldeten wir, daß in Indien in der jüngsten Zeit der-
gleichen wieder vorgekommen seien.. Jetzt finden wir ein Schreiben,
welches Said Abdulat, Professor des Hiudnstani an der Lon-
doner Universität, veröffentlicht hat. Der Verfasser ist Mirza Abbas,
der im englischen Collegium zu Delhi stndirte. Der Brief ist datirt
aus Ambah im Distrikt Gwalior, vom 26. November 1862, und
lautet wie folgt: —
Rand Kischore Thakur starb zu Udeipur am 27. Oktober;
seine Wittwe verbrannte sich freiwillig mit der Leiche ihres Mannes
auf dem Scheiterhaufen. -Ein Augenzeuge berichtet, daß man den
Todten zwischen hohe Holzstöße gelegt hatte. Als die Flammen
emporzulodern anfingen, bereitete die Frau sich zum Tode. Die
Verwandten ihres Mannes gaben ihr das feierliche Geleit bis zur
Verbreunnngsstätte; Musiker zogen voran; die nächste Umgebung
der Opferwilligen bestand aus Jünglingen und jungen Mädchen.
Sie stürzte sich dann in den feurigen Ofen und war nach wenigen
Augenblicken durch Hitze und Qualm erstickt.
Die Polizei erfuhr erst von dem barbarischen Opfer, nachdem
Alles vorüber war. Sie eilte dann herbei und wollte die Verwandten
der Wittwe als Mitschuldige verhaften. Aber diese Männer, Dal-
thaman, Zemin Paul und Murli Dhar, hatten etwa dritthalbhun-
dert bewaffnete Leute bei sich, leisteten Widerstand und die schwächere
Polizei mußte weichen. Als aber der Maharadscha von Gwalior
(— er ist ein Maharatte und den Engländern nur mittelbar unter-
Buntes aus Australien.
27
worfm —) von der Sache hörte, ließ er zwei Kompagnien Infan-
terie und eine Batterie ansrücken, um die Schuldigen zu verhaften.
Aber erst vor vier Tagen, am 22. November, konnte der Haupt-
anstifter Dalthaman nebst seinen Verwandten und Anhängern ver-
haftet werden, und es gab dabei doch einige Unruhen. Er hatte sich
in eine Burg zurückgezogen, die aber umzingelt und mit Kanonen
.beschossen wurde. Die Belagerten ihrerseits hatten kein schweres
Geschütz und mußten sich ergeben; jetzt sind sie alle gefangen und
erwarten ihr Unheil. Wahrscheinlich werden sie zum Tode ver-
urtheilt und man zieht ihre Güter ein.
Das Alles entspringt ans dem barbarischen Glauben vieler
Eingeborenen, und nur eine gute Erziehung wird allmälig dazu
beitragen, daß solche Abscheulichkeiten aufhören. Denn die Satti,
das heißt der Brauch, daß eine Wittwe sich mit der Leiche ihres
Mannes verbrennt, ist in Indien sehr alt, obwohl in Manns Ge-
setzen desselben keine Erwähnung geschieht. Aber der griechische
Geschichtschreiber Diodorus Siculns hat schon vor achtzehnhun-
dert Jahren eine Beschreibung derselben geliefert, welche auch heute
noch vollkommen paßt.
In der Präsidentschaft Bengalen kommen Wittwenverbren-
nungen nicht vor, und die Bewohner derselben haben vor den
Sattis einen ebenso tiefen Abscheu wie die Christen. In der Pro-
vinz Audh hatten sie sich aber erhalten; seitdem jedoch dieses vor-
malige Königreich eine britische Besitzung geworden ist, wollen die
Leute auch dort von der Satti nichts mehr wissen. In Familien
von hohem Rang ist es Sitte, daß die Fürsten selber den Wittwen
Trost einsprechen, denn diese Bethörten halten es für einen Schimpf,
daß sie sich nicht mit verbrennen dürfen; um Unheil zu verhüten,
schafft man deshalb die Leiche so rasch als möglich fort.
Wie tief die Satti eingewurzelt war und wie es dabei znging,
davon kann ich Ihnen als Augenzeuge ein Beispiel erzählen. Ich
stand am 28. Juni 1839 in Lahore (— der Hauptstadt des nun den
Engländern unterworfenen Reiches der Sikhs —) vor dem Thore
des Hazori-Bang Palastes. Damals fand die Leichenfeierlichkeit
für den berühmten Beherrscher des Pendschab, den Maharadscha
Randschit Singh, statt, und das ganze Schauspiel hat ans mich
einen so tiefen Eindruck gemacht, daß ich mich auch heute noch aller
Einzelnheiten genau erinnere.
Die Kanonen donnerten, die ganze Bevölkerung von Lahore
war ans den Beinen, eine zahlreiche Spielbande kam aus dem
Palast und hinter ihr gingen die Frauen in feierlichem Zuge. Die
Leiche des großen Königs wurde auf einen aus duftendem Sandel-
holz errichteten Scheiterhaufen gelegt, und als die Flammen empor-
schlugen, trafen die Unglücklichen ihre Vorkehrungen zum Tode.
Zwei jener Wittwen waren höchstens sechszehn Jahre alt. Diese
schönen Weiber blickten stolz und trinmphirend umher, gleichsam
um zu zeigen, wie glücklich sie darüber waren, daß sie zum ersten
Mal im Leben ihre Reize vor den Leuten zur Schau stellen konnten.
(— Frauen von Rang dürfen sich nicht öffentlich zeigen, sondern
werden im Zenana eingeschlossen gehalten, wie die Mohammeda-
nerinnen im Harem. —)
Sie nahmen sich selber die Edelsteine und Juwelen ab, ver-
theilten dieselben an ihre Verwandten und ließen sich Spiegel
geben. Dann gingen sie langsam, feierlichen Schrittes um den
Scheiterhaufen, sahen einander fragend an, ob wohl ihre Mienen
irgend welche Aengstlichkeit verriethen; bald warfen sie sich in die
Flammen. Noch sieben andere Frauen von geringerm Range
weihten sich in derselben Weise dem Tode, aber sie zeigten sich nicht
so entschlossen und starr, denn als sie dem Holzstoße nahe traten,
malte sich Schrecken in ihren Mienen. Aber an Entrinnen war
ja nicht zu denken und so stürzten denn auch sie sich in die rothe
Glut hinein! —
{Juntes uns Australien.
Wir finden in Nr. 107 der zu Melbourne erscheinenden deut- ,
schen Zeitung Germania allerlei Notizen, welche dazu beitragen
können, einen Einblick in die Kolonialverhältnisse Australiens zu
verschaffen; wir geben deshalb Auszüge:
Heißer Sommer. In Deutschland hatte man einen sehr
milden Wint'er, zu derselben Zeit litt Victoria an einem unge-
mein heißen Sommer. Die Germania schreibt: Am letzten Tage
des verflossenen Jahres wehte ein sehr lästig heißer Nordwind und
das Thermometer stieg an geschützten schattigen Orten bis 32°Reau-
mur. Gegen Abend stellte sich ein schwüles Gewitter mit Regen-
schauern ein, und so erfreute man sich am ersten Tage des neuen !
Jahres des angenehmsten Wetters. Dieses hatte einen großen
Theil der Bewohner Melbournes auf die Beine gebracht, und 1
Tausende strömten schon vom Morgen an, theils in Wagen, theils
zu Fuß in langen Ziigen nach den verschiedenen öffentlichen Busch-
Partien. um dort in Gottes freier Natur bei Tanz, Spiel und
sonstigen geselligen Unterhaltungen die immer mehr in Aufnahme
kommenden Pic-Nics zu begehen. Alle öffentlichen Parks waren
Mcl't mit solchen Gesellschaften, besonders der Studley-Park, der
^nrvey-Paddock, der Royal-Park, Princes-Park und die Gegen- j
tcn bei St. Kilda und Brighton. Auch die beiden hiesigen nicht- I
kranken deutschen Vereine — denn es giebt bekanntlich auch noch
einen dritten deutschen Verein, den Kraukenverein — nämlich der :
deutsche Verein und der deutsche Turnverein, hielten ihr Neujahrs- j
Picnic, diesmal jedoch separirt, ersterer in der Iaera-Bend-Re-
serve, letzterer im Survey-Paddock. Jeder dieser Vereine hatte
ein gutes Musikchor engagirt und die Picnic-Plätze sollen sehr-
zahlreich besucht gewesen und es natürlich sehr heiter zugegan-
gen sein.
Der 8. Januar war wiederum ein sehr heißer Tag. Um
1 Vs2 Uhr Nachmittags zeigte das Thermometer beim Juwelier-
Gewölbe der Herren Wenzel & Enes in Bourke-Street 101" im
Schatten, 98" um 6 Uhr und 88° um 7 Uhr Abends.— Ein
furchtbares Buschfeuer wüthet seit einer Woche in der Umgebung
von Gisborne. Die Waldung, welche Mount Macedon bedeckt,
steht an mehreren Stellen seit 14 Tagen in Brand, wodurch nicht
nur die vielen dortigen Sägemühlen bedroht sind, sondern auch die
dortigen Holzvorräthe zerstört wurden.
Rasche Seefahrt. Das Klipperschiff Essex, welches am
30. Oktober Plymouth in England verlassen hatte, warf schon am
10. Januar 1863 in der Hobsons-Bay seine Anker aus. Es hatte
demnach die Fahrt nach Australien in ein und siebenzig Tagen
zurückgelegt.
Höhe der australischen Berge. Nach Messungen, welche ein
deutscher Naturforscher, Professor Neumayer, angestellt hat, er-
gab sich Folgendes:
Der Beechworth liegt 1785 engl. Fuß über dem Meeres-
spiegel; Mount Gibbo 4500; Mount Kosciusko 7285;
Omeo >900 (auf früheren Karten zu 3100 Fuß angenommen);
Cobungara 2900; Flour Bag 4200; Dead Timberhkll
5200; Stony Point 6300; Mount Feathertop 6500; Little
River Camp 5700; Zusammenfluß des Feathertop
Creek mit dem Ovens River 1200; Mörsers Creek 950.
28
Buntes aus Australien.
Letzterer Crt soll eine der schönsten Fernsichten in Bictoria bieten,
besonders nach -dein Great Dividing Ranges, dem Bogong- und
anderen Gebirgen.
Wo lilciltt der Frosch zur Zeit der Trockenheit? Man
hat bisher, besonders in den nördlichen Distrikten Australiens,
immer nicht gewußt, wohin der Frosch während der großen
Trockenheit seinen Zufluchtsort nimmt. Der Erforschungsreisende
Howitt giebt darüber folgenden Aufschluß: Der australische Frosch
zieht sein natürliches Element anderen vor, und ehe die Trockenheit
beginnt, trifft er Vorkehrungen, um solche zu überstehen. Sich
nämlich durch den Sand einige Fuß tief ein Loch bohrend. bildet
er sodann einen ungefähr 3 Zoll im Umkreise messenden Behälter,
welchen er mit frischem Wasser füllt; außerdem versieht er sich selbst
reichlich damit und bleibt bis zur nassen Jahreszeit vergraben.
Diesen Umstand entdeckte Herr Howitt durch die Eingeborenen,
welche sehr geschickt die Spuren des Frosches auszusuchen verstehen,
und nachdem sie dessen Aufenthaltsort aufgefunden, den Wasser-
behälter anstrinken und den Frosch selbst der Lubra und sonstigen
Mitgliedschaft kredenzen.
Botanisches. Dr. Murray, welcher Howitt § Expedition be-
gleitete, soll eine interessante Sammlung der Flora des Cooper-
Creek-Distrikts mitgebracht haben; außerdem 17 verschiedene
Arten einheimische Hölzer, die Herrn Dr. Müller zur Klassifikation
übersandt wurden. Ein starkes narkotisches Gewächs, Pitcheree
(Pitschiri), welches die Eingeborenen anstatt des Tabaks kauen
und den Saft verschlucken, ist Dr. Macadam zur Analysirung über-
geben worden.
Feigen und Wein. In Campbells Creek hat man Feigen
gezogen, die 7 Zoll an Umfang haben sollen. Kapitän Simpson
.sagt, daß er selbst in Smyrna und Konstantinopel derartige große
Früchte nicht gesehen habe. — In Melbourne wird jetzt viel sud-
australischer Wein eingeführt. So z. B. ließ die Firma Davis
und Co. ohnlängst 550 Oxhofte zum Werthe von 7000 Pfd. St.
kommen. Unter diesen Weinen befindet sich auch das Erzeugniß
unseres Landsmanns Sobels in Tannnda.
Die Akklimatisirungs-Gesellschaft in Melbourne hat ans
Port Natal, Südostafrika, eine Gnu-Antilope erhalten. Es
waren mehrere eingeschifft worden, aber nur diese eine überstand
die Reise. Mehrere Axis-Antilopen sind am Sugarloafhill in
Freiheit gesetzt worden, und man hofft, daß sie sich in der Wildniß
sortpflanzen.
Dieselbe Gesellschaft hat Preise für Vernichtung der Falken
ansgesetzt, weil dieselben unter den neueingeführten Vögeln, z. B.
den Lerchen, große Verwüstung anrichten. Wer einen Falkenkopf
einbringt, erhält 20 Silbergroschen.
Seidcnwürmerzucht in Tasmanien. Die ehemalige Ber-
brecherkolonie Vandiemens-Land macht in diesem Gewerbszweige
Fortschritte. Die Anregung dazu gaben Deutsches namentlich ein
Herr Stutzer, welcher auch Samen von dem weißen indischen
Maulbeerbaume vertheilt hat.
Aus Siidanstralien. Dort erschienen seither zwei deutsche
Zeitungen; die eine derselben, zu Tannnda, hieß Südaustra-
lische Zeitung; sie ist dem Herausgeber des Globus mehrmals von
unbekannter Hand zugesandt worden und wir haben Auszüge dar-
aus gegeben. Nun hat sie aufgehört und ist mit der deutschen
Zeitung in Adelaide verschmolzen; diese führt jetzt den Titel:
Süd australische Zeitung. Zwei Blätter waren zu viel für
die höchstens 15,000 Köpfe zählende deutsche Bevölkerung jener
Kolonie.
Süd australien hat gegenwärtig etwa 135,000 Einwohner,
welche ungefähr 2 '/2 Millionen Acres Land inne haben; davon
sind etwa 500,000 unter Anbau. Die Kolonisten haben außerdem
45,000 Qnadratmiles Kronländereien für Rindvieh- und Schaf-
zucht gemiethet; sie besitzen 50 bis 60,000 Pferde, 27,000 Häupter
großes Rindvieh und weit über 3 Millionen Stück Schafe. Mit
Wein sind nahezu 4000 Acres bebaut (mehr als 3 Millionen
Weinstöcke). Die Ernte wird für 1863 etwa 40,000 Tons Getreide
zur Ausfuhr übrig lassen; außerdem werden 14 Mill. Pfund Wolle
und 80,000 Centner Kupfer zur Ausfuhr kommen. Die Handels-
bewegnng von Südanstralien (Ein- und Ausfuhr, die so ziemlich
einander die Wage halten) wird für 1863 auf etwa 4 Millionen
Pfund Sterling veranschlagt.
Das von Stuart erforschte Land wird nicht lange un-
benutzt bleiben. Schon im Januar waren südaustralische Heerden-
besitzer mit Vorbereitungen beschäftigt, um Schafe dorthin zu
treiben. Andere Männer waren bereits abgegangen, um in der
von Mac Kinlay entdeckten Goldregion zu „Prospekten".
Neuseelands Goldertrag ist wirklich kein Mondschein. Die
amtlichen Nachweisnngen ergeben, daß vom 1. April bis zum
30.September 1862 zur Ausfuhr gelangten: 538,560 Unzen Goldes,
im Werthe von 2,086,021 Pfd. Sterling, also etwa 14 Millionen
Thaler! Das läßt sich hören. Davon kamen auf Anckland 2383,
Nelson 196,719, Otago 1,887,819 Pfd. Sterling. Dazu kommt,
was im Lande selbst bleibt. Die australischen Blätter sind gefüllt
mit Nachrichten über die große Ergiebigkeit der neuseeländischen
Goldfelder und über die Entdeckung vieler neuen Goldgegenden.
Anerkennung für Cntdeckungsrciscndc. In einer zu Bris-
bane, der Hauptstadt von Queensland, am 8. December 1862
abgehaltenen großen Volksversammlung, bei welcher der Gouver-
neur Bowen den Vorsitz führte, wurde dem Reisenden Lands-
borough, in Anerkennung seiner Verdienste um die Erforschung
Nordaustraliens, eine Dankadresse überreicht. Auch ist ihm im
gesetzgebenden Rath ein Sitz zuertheilt worden. L. wollte mit dem
nächsten Dampfer zu einem Besuche nach England abgehen. In
Sydney hielt man ihm zu Ehren ein großes Zweckessen.
In Südanstralien war die Heimkehr Stuarts ein wahrer
Trinmphzug. Als er in die weniger dünn bevölkerten Theile der
Kolonie kam, wurde er überall festlich begrüßt. Gleich in Koringa
überreichte man ihm eine Glückwnnschadresse; in Kapunda, Gawler
Town und Nord-Adelaide empfing man ihn mit Enthusiasmus.
Aber er war krank und matt und litt schwer an den Nachwirkungen
des Scharbocks. In der Stadt Adelaide selbst war der Bahnhof
mit einer großen Menschenmasse angefüllt, und beim Aussteigen
lief der kranke Stuart Gefahr, von den Leuten erdrückt zu werden.
Die Polizei konnte ihm nur mit Mühe eine Gasse schaffen. Dann
hatte er noch einige Anreden von Magistratspersonen zu über-
stehen.
Die Ueberreste von Burke und Mills sind nun in Niel- •
bourne begraben worden. Wir meldeten neulich im Globus, daß
Howitt die Gebeine der Reisenden in einem Sacke heimgebracht
habe. Am 28. December kam er damit per Schiff von Adelaide
an; dann wurden sie auf einem Leichenwagen nach dem Gebäude
der Royal Society gebracht.
Die Begräbnißfeier fand am 21. Januar mit großem
Pomp statt. Die Särge hatten auf einem prachtvollen Katafalk
zur Schau gestanden; jeder Leichenwagen wurde von sechs Pferden
gezogen, alle Minuten Trauerschüsse abgefenert, so lange der Zug
in Bewegung war. In ihm waren alle Behörden, Vereine :c.
vertreten, sämmtliche Läden und Regierungsbnreaux geschloffen.
Am Abend wurde eine große Versammlung gehalten, um den
Herren Hyte, Howitt und einigen Anderen eine Dankadresse wegen
ihrer Bemühungen um Bnrke's Expedition zu überreichen. Die
Verhandlungen waren ungemein stürmisch. Es begab sich, wie
aus den langen Reden, welche wir in der „Germania" finden,
hervorgeht, daß Burke für die Expedition gewählt wurde, weil
eben kein Besserer verfügbar war. Der Bürgermeister meinte:
Das neue Territorium Stickin tut britischen Nordwest-Amerika.
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fm ®1 ll h (welcher während der Expedition starb) sei es eben so
ehrenvoll, daß seine Ueberreste an dem Orte lägen, wo er seinen
^oist aufgegeben habe, als in Melbourne. Es wäre besser gc-
nnsen, man hätte auch Burke und Mills liegen lassen, wo sie
gestorben seien, aber Land und Parlament hätten anders verfügt.
Engen das Konnte, auf dessen Veranstaltung Bnrke's Ent-
>. clangsi eise statt fand, herrscht ein weit verbreiteter Unwille;
m«n giebt ihm viele Mißgriffe schuld. In Freyer's Creek wurde
eine Volksversammlung abgehalten, welche beschloß, dem unglück-
lichen Gray ein Denkmal zu errichten; das Konnte habe pflicht-
vergessen gehandelt, weil cs nur Bnrke's und Mills' Gebeine nach
Melbourne bringen ließ.
Der Drang, Denkmäler zu errichten, ist in Victoria lebhaft;
in Ballarat ist man übereingekommen, ein Monument für
sämmtliche „victorianische Entdeckungsreisende", die todten wie die
lebenden, anfznstellen.
Dns neue Territorium Stickin im britischen AordweÑ-Amerika.
Rußland besitzt in Nordamerika am Großen Weltmeer ein
Gebiet, das sich von 540 40' bis 71 0 23' nördlicher Breite erstreckt,
und einen Flächenraum von mehr als 27,000 deutschen Geviert-
meilen einuimmt. Aber zwischen der Behrings-Bay im Norden
und der Dixons-Straße im Süden bildet dieses Territorium unr-
einen schmalen Küstensaum, und die Niederlassungen der
russisch - amerikanischen Handelsgesellschaft liegen zumeist auf Inseln
oder dicht am Gestade des Kontinents.
Die ganze nordwestliche Halbinsel im Norden der Behriugs-
Bay, also der äußerste Vorsprung des Festlandes, zwischen dem
Großen Ocean, der Behrings-Straße und dem nördlichen Eismeer
ist den Russen unterworfen; weiter südlich gehörte das Innere
zum britischen Gebiete, zu den Besitzungen der Hudsons-
Bav-Kompagnie, und bildet den nördlichen Tbeil von Neu-
Caledonien. Wir haben mehrfach hervorgehoben, daß dieser
Name seit >858 in Britisch Columbia umgewandelt worden
ist. Zu den Flüssen, welche aus dem britischen Gebiete her in den
russischen Besitzungen münden, gehört auch der Stickin oder, wie
die Engländer schreiben, Stckeene. An dessen Mündung hatte die
russische Kompagnie einen Handelsposten angelegt, Fort Stickin
an Frederickssund, unter 56° 50' N. Br. Sie überließ denselben
pachtweis au die Hudsonsbai-Gesellschaft, welche ihr als Pacht-
schilling alljährlich eine bestimmte Menge von Seeotterfellen und
von Lebensmitteln gab.
Bon Zeit zu Zeit lasen wir, daß Goldgräber bis in die nörd-
lichen Einöden am Stickin geschweift seien und in jener Region eine
Menge edlen Metallcs gefunden hätten. Jetzt ebeit ersehen wir nun
ans einer der neuesten Nummern des deutschen „San Francisco-
Demokrat", daß durch einen Regieruugserlaß der Königin Victoria
der bisherige Distrikt „Stekeene" zu einer selbständigen Kolonie
unter dem Namen Territorium Stekeene erhoben worden sei.
Derselbe wird begrenzt im Süden und Westen von den russischen
Besitzungen, im Norden vom 65. Breitengrade, im Osten vom
105. Längengrade. Vorläufig steht das neue Territorium unter dem
Gouverneur von Britisch Columbia; dieser ernennt die Beamten,
regelt die Bergwerksverhältnisse und das Obergericht ist beiden
Kolonien gemeinschaftlich.
So lange nur Pelzjäger und Pelzhändler jene Region durch-
zogen, hlieb sie, was sie stets gewesen, eine Einöde; seitdem aber
Goldgräber dorthin strömen, ist reges Leben erwacht, und es haben
sich, was in der Beschaffenheit der Sache liegt, Niederlassungen
gebildet, in denen die Menschen vorerst zu Hunderten, bald aber
auch zu Tausenden beisammen wohnen. Die Civilisation rückt ein.
,'ln und für sich könnte es unbelangreich erscheinen, ob Eng-
land die Zahl seiner zwei und fünfzig Kolonien und Gebiete noch
u», ein Territorium in den nordamerikanischen Wüsteneien ver-
mehrt. Die brache hat aber, wie uns scheint, eine tiefere Be-
deutnng. Auch in jenem fernen Erdwinkel prallen die
Interessen und Bestrebungen mit jenen Rußlands zu-
sammen, und britischer Seits macht man gar kein Hehl
daraus, daß man das Mündungsgebiet des Stickin den
Moskowitern abnehmen wolle. Die russische Handels-
gesellschaft ist nach und nach in Trägheit verfallen, in ihren Be-
sitzungen tritt kaum ein Fortschritt zu Tage, und der Mangel an
Umsicht und Unternehmungsgeist im russischen Amerika steht in
einem schneidenden Gegensätze zu der ungemeinen Rührigkeit der
germanischen Leute in Britisch Columbia. In neuen Ländern,
welche erst besiedelt werden, liegen den Kolonisten manche Be-
denken fern, die in alten Staaten den Ausschlag geben können:
der Ansiedler greift zu und nimmt was er gebraucht, ohne sich viel
um den Rechtspunkt zu kümmern; er hat eben seine eigene Logik.
Die Bestätigung dafür finden wir in einem zu Victoria auf
Vancouver erscheinenden Blatte, dem „British Colonist"; wir lasen
sic in dem neuesten Hefte von Adolf Erman's reichhaltigem und
gediegenem „Archiv für wissenschaftliche Kunde von Rußland"
(Berlin 1862. Band 22, Heft 1, S. 67 ff.), fast gleichzeitig mit
der oben erwähnten Notiz im San Francisco - Demokraten, und
wollen das Wichtigste hervorheben. Der „Colonist" drang darauf,
dein Stickin - Distrikte eine feste Regierungsform zu geben (was
nun zu Neujahr 1863 geschehen ist) und er verlangt ferner Unter-
handlungen mit Rußland üb er Abtretung der Meeres-
küste an die britische Krone. Man könne ja nicht wohl
annehmen, daß ein Strom wie der Stickin (Stichin), welcher
170 bis 190 Miles weit für Dampfer schiffbar ist, der ein so
goldreiches Land bespült, daß dieses Myriaden von Menschen
anzieheu wird, und daß der Handel auf einer solchen Straße
stets durch einen russischen Schlagbaum von dreißig Miles
Breite, von der Seeküste nach dem Innern hin gehen solle. „Die
englische Bevölkerung, welche das Innere einnimmt, wird sich von
den Russen nicht so behandeln lassen, wie der Indianer behandelt
wird. Unser Handel muß in britischen Händen sein;
Hülfsquellen, Energie und Unternehmungsgeist werden wir nicht
aufwenden, um einen russischen Stapelplatz an der Küste auf-
zubauen. Wir müssen für unsere Maaren eine Niederlage haben,
auf welcher die britische Flagge weht. Durch den Vertrag von
1825 ist uns die Schifffahrt auf dem Stickinflusse gestattet. Der
Landstrich, welcher sich vom Portland-Kanal bis zum Eliasberg
und 30 Miles rückwärts nach dem Innern erstreckt, muß schließ-
lich britisches Eigenthum werden, entweder als direktes
Ergebniß der Goldentdeckungen, oder durch Ursachen, welche zwar
jetzt erst in der Entwickelung begriffen sind, deren Wirkungen aber
unausbleiblich erscheinen."
„Kann man wohl vernünftiger Weise annehmen, daß der
300 Miles lange und 30 Miles breite Streif, der von den Russen
nur zur Einsammlung von Pelzwerk und Walroßzähnen benutzt
wird, für alle Zeiten die Zugänge zu unserm unermeßlichen Nord-
territorium beherrschen könne? Wenn wir der Seeküste bedürfen,
um unfern Handel mit einem an edlen Metallen reichen Binnen-
lande zu schützen und zu vertheidigen, so müssen wir sie haben.
30
Befahrung. des Nigers durch den englischen Kriegsdampfer Jnvestigator.
Die Vereinigten Staaten brauchten Florida und Louisiana und
nahmen sie; wir bedürfen des Gestadesanms von Neu-
Norfolk und Neu - Co rnw a llis. Es ist eben so sehr die
Bestimmung unserer anglonormanuischen Rasse, das ganze
russische Amerika, so öde und ungastlich dasselbe auch sein
mag, zu beschützen, als es die der russischen Normannen ge-
wesen ist, sich des nördlichen Europas und Asiens zu bemäch-
tigen. Die Entdeckung von Gold in unserm hyperboräischen
Dorado wird höchst wahrscheinlich die Annexion des in Frage
stehenden Gebietes beschleunigen. Es ist kaum zu bezweifeln, daß
die Goldregion des Stickin sich bis zu den westlichen Zu-
flüssen des Mackenziestromes erstreckt. In diesem Falle
wird der Aufschwung des Handels und die Zunahme der Bevölke-
rung auch sanguinische Erwartungen übertreffen. Die Mündun-
gen der Flüsse haben, vor dem Zeitalter der Eisenbahnen und
während desselben, den Handel des Binnenlandes beherrscht. Für
unfern Nationalstolz wäre der Gedanke unerträglich, daß der rus-
sische Greif einen Punkt besitzen sollte, der seine Wichtigkeit dem
' britischen Löwen verdankt. Die Mündung des Stickin sollte unser
sein, oder wenigstens ein Ausfuhrhafen auf britischem Gebiete ge-
gründet werden, von welchem aus unsere Dampfer den britischen
j Gürtel passiven könnten; etwa Fort Simpson, Dnndas-Jsland oder
Portland-Kanal."
Das ist die reine Räuberlogik, die Annexions-Beweisführung:
ich nehme mir mit Gewalt, was mir zusagt und passen kann. Weil
im Stickingebiete Gold liegt und ein lebhafter Handel sich ent-
wickeln wird, deshalb müssen wir Anderen nehmen, was ihnen ge-
hört, mit Güte oder Gewalt!
Uebrigens sind die Goldseifen im Stickinterritorium außer-
ordentlich ergiebig, und mehrere tausend Abenteurer sind bereits
an der Arbeit. Andere Tausende wollen im Frühjahr 1863 folgen,
und eben deshalb hat man sich englischer Seits beeilt, durch Errich-
tung einer Territorialregierung gleich von vornherein Ordnung und
feste Regel in die Sachen zu bringen. Wir bezweifeln übrigens
gar nicht, daß jene Annexion über kurz oder lang zu einer That-
sache wird.
Befahrung des Nigers durch den englischen Kriegsdampfer Jnvestigator.
Der Befehlshaber desselben, Kapitän Le froh, erhielt im
vorigen Spätsommer Auftrag, sich mit Dr. Baikie, der bekannt-
lich auch jetzt noch in der Nigerregion verweilt, in Verbindung zu
setzen, und gelangte höher stroman als je zuvor ein Kriegsschiff
gekommen war. Von Lagos ans steuerte er in die Mündung hinein
(am 2. September 1862); er hatte gegen eine sehr heftige Strömung
anzukämpfen, und einige Negerstämme im Deltalaude benahmen sich
feindselig. Der Dampfer that seine Schuldigkeit und lag bereits
am 7. September vor der großen Stadt Jddah vor Anker.
Jddah kann als der eigentliche Schlüssel zum Niger be-
trachtet werden, welcher sich dort verengt und von der ans einer
Anhöhe liegenden Stadt völlig beherrscht wird. Auf der Südseite
dehnen sich fruchtbare Ebenen aus; die Häuser sind, wie überall
in jener Gegend, rund, sollen aber reinlich sein; die Einwohner,
etwa zehntausend Köpfe, kleiden sich in blaues Baumwollenzeng,
das sie selber verfertigen. Jddah ist die Hauptstadt des „König-
reiches" Jgara, dessen Gebiet nach Nordosten hin bis an die
Mündung des Tschadda an den Niger reicht. Die ganze Region
zwischen Jddah und dieseni Punkte wird von Kapitän Lefroy als
ungemein malerisch geschildert: sie bildet eine Reihenfolge von Ge-
birgslandschaften und die Höhen sind mit dichten Wäldern bestanden.
Gewerbe und Ackerbau, meint Lefroy, könnten aus dieser Gegend
viel machen, aber die Landesbewohner verzichten auf den Anbau,
weil der König Massada ihnen großen Schrecken eiuflößt.
Dieser Fulbehäuptling macht alljährlich nach der Regenzeit
Raubeinfälle, plündert die Dörfer und schleppt einen Theil der
Bewohner in die Sklaverei. (— Die helleren Fnlbe, Fellatah, sind
Mohammedaner, die Neger im Deltagebiete Heiden, Fetisch-
verehrer —).
Am elften Tage seiner Fahrt kam der Jnvestigator bis zu der
Stelle, welche auf der Karte des Lieutenants Glover den äußersten
Punkt bildet; am vierzehnten ankerte er vor Eddo (Jddu, un-
weit von Egga, etwa unter dem 9? N. Br.), wo damals „König"
Massada seinen Lagerplatz hatte. Der König, sagt Lefroy, hatte
uns eine Ehrenwache entgegengeschickt, und diese geleitete mich und
meinen zweiten Offizier zur Audienz bei dem afrikanischen Fürsten.
Er saß vor seiner Wohnung ans einer Matte und für uns waren
mit Polstern belegte Matten bereit. Massada sieht gut aus und
hat eine stolze Miene, wie sich das bei einem Kriegshäuptliug seines
Volkes erwarten läßt.
Nachdem wir uns beiderseitig Höflichkeiten gesagt, überreichte
ich ihm einige Geschenke, die er mit Vergnügen entgegennahm;
vor Allem gefiel ihm ein Kettenpanzer; als er denselben bekam,
äußerte er: nun habe er den Beweis, daß man in England an
ihn denke. Nachher stattete ich, auf seinen Wunsch, seinen Söhnen
einen Besuch ab, und einige von diesen Prinzen würden in jedem
Lande für hübsche Männer gelten (— die Fnlbe sind bekanntlich
keine Neger —). Nachher unterhielt mich Seine Majestät Massada
längere Zeit über Doktor Baikie, und sagte mir, derselbe sei
nach Kano gereist, um nach Papieren und Sachen Vogel's zu
forschen, der bekanntlich im Innern Afrikas ermordet worden ist.
Der König hatte Baikie's Reise mißbilligt, ihm aber doch Pferde
und eine Bedeckung gegeben.
Der Lagerplatz Eddo nimmt eine beträchtliche Bodenfläche ein,
und man sagte mir, daß dort mehr als 5060 Reiter versammelt
seien. Massada verweilt dort auf Befehl seines Oberherrn, des
Emirs von Sackatu (Sokoto), und hat den Auftrag, für die Sicher-
heit der Straßen in jenem Theile des Fellatahreiches zu sorgen.
Früher sind dort seine Boten oftmals ausgeplündert oder gar er-
mordet worden. Nun hat Massada das ganze Land besetzt, die
Negerhäuptlinge entthront und die einzelnen Gebiete an Leute ge-
geben, die seine Vasallen sind (— wahrscheinlich Fulbekrieger, die
nun eine Art von Lehnsherren wurden —). Wiederholt äußerte
Massada sein Mißvergnügen darüber, daß Baikie abwesend sei;
ich würde sicherlich im Laufe dieses Jahres, 1862, keine Nachricht
vomihm erhalten; wenn aber Briefe von Baikie bei ihm, Massada,
einträfen, so wolle er mir dieselben nach Lagos besorgen und
es so einrichten, daß meine Rückantworten an Baikie diesem zn-
kämen. —
Einige Tage später fuhr der Jnvestigator wieder stromab.
Gleich nachher sandte Massada ihm einen Eilboten nach und ließ
ihm sagen, daß'Baikie demnächst zurückkommen werde;
Lefroy möge wieder umkehren, er könne dann sich mit dem Doktor
besprechen. Lieutenant Lefroy muß aber wohl Gründe gehabt haben,
seine Fahrt stromab weiter fortzusetzen, wir werden also noch einige
Zeit auf Berichte von Baikie warten müssen. Ohne Zweifel fallen
sie sehr interessant aus, schon deshalb, weil wir wieder einmal
Näheres über die inneren Verhältnisse der Fellatahstaaten erfahren
werden.
Kleine Nachrichten.
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Kleine Nachrichten.
^litc jjolniidjc Hochzeit. Bietet eine solche Hochzeit anch
nicht viel des ungewöhnlichen dar, so ist sie doch originell genug
und m mancher Hinsicht sogar interessant.
-cachdein die Einwilligung zur Heirath von Seiten der Eltern
gegeben wurde, findet an einem Sonnabend die Verlobung statt,
zu welcher die Nachbarn und nächsten Verwandten eingeladen sind,
^ratttrt wird wenig, aber desto mehr getrunken.— Sonntags dar-
auf erfolgt die Aufbietung.
Einladung zur Hochzeit besorgen „Brantdiener". Bei
Jedermann, der gebeten wird, werden sie mit Branntwein traktirt,
dem sie auch ohne Widerstreben so fleißig zusprechen, bis am Ende
ihnen die Füße den Dienst versagen. In der Dunkelheit ver-
schwand einst ein Trinker beim Herausgehen gänzlich. Alles
Suchen und Rufen seiner Kollegen blieb ohne Erfolg. Ein heftiges
Pochen, das am andern Morgen im Keller gehört wurde, zeigte
erst den Hausbewohnern seinen Aufenthaltsort.
Die zur Hochzeit Geladenen backen Brot und Kuchen, welchen
sie der Braut übersenden; ebenso schicken sie Milch, Eier, Butter,
Gänse, Hirse, Bohnen rc.
Am Hochzeitstage holen jene Brautdiener die Gäste in die
Wohnung der Braut. Hier werden sie mit Branntwein, Brot
und Kuchen bewirthet. Den Weizen dazu mahlen sie sich in den
meisten Fällen selbst auf einer Handmühle. Der Musikus spielt
mit seiner Violine auf, die Mädchen erwählen sich durch Anstecken
eines Bandes ihren „Kavalier" und der Tanz wird eröffnet. Nach-
dem alle Gäste versammelt sind, wird die Fahrt nach der Kirche
augetreten; vorher hält aber erst einer der Gäste eine Rede an
das Brautpaar: die „Auswerbung".
Nun fährt ein großer Wagen, gewöhnlich ein Erntewagen,
vor, und Alles eilt, darauf seinen Platz eiuzunehmen. Der Musi-
kus voran, alle Anderen bunt durcheinander, oft wie die Häringe
aufeinander geschichtet. Die Brantdiener mit angesteckten Tüchern
<der erste Brantdiener außerdem noch mit einer großen Reitpeische
bewaffnet) und die Pistolen in der Hand, schwingen sich' auf die
Pferde und der Zug setzt sich in Bewegung. Der Musikus fängt an
zu spielen, Frauen und Männer singen ans Leibeskräften, während
die Brantdiener durch Abschießen der Pistolen den Tumult vervoll-
ständigen. So geht es bis zur Kirche, Nach stattgehabter Trauung
kehren sie in ein Wirthshaus ein und trinken und tanzen dort noch
eiu paar Stunden.
Zu Hause wird sogleich allerlei Speise aufgetragen. Dieses
Aufträgen verrichtet der erste Brautdiener. Der Tisch ist freilich
weder allzuviel noch mit köstlichen Gerichten gedeckt, doch thut dies
Nichts zur Sache und thut der Fröhlichkeit keinen Eintrag.
Ist der Tisch leer, was sehr schnell geschieht, daun beginnt
der Tanz und dauert ohne Unterbrechung bis zum andern Morgen
fort, mit nach kurzer Rast wieder zu beginnen und den Tag über
anzuhalten.
Am Abend des zweiten Tages wird die Braut in eine be-
sondere Kammer oder Stube geführt und daun „gehäubt", wobei
nur Frauen gegenwärtig sein dürfen, doch suchen auch Männer sich
hineinzudrücken, weil dort Braten verabreicht wird, Nachdem die
Braut gehäubt ist, erfolgt die „Auskaufung". Etliche der Männer
verkleiden sich, wobei ein als Jude Verkleideter mit einem großen
Sacke, der voll Scherben gefüllt ist, nicht fehlen darf. Der Handel
beginnt und Einer sucht den Andern zu überbieten. Der Braut
werden alle möglichen Fehler angehangen und diese beim Handel
in einer Weise gerügt, die zu beschreiben eine Sache der Unmög-
lichkeit ist. Schließlich bleibt der Bräutigam Käufer.
Nun beginnt der „Brauttanz", ein Tanz, den die Frauen
unter Gesang mit der Braut ausführen, und nach dessen Been-
digung wieder Alles am Tanze Theil nimmt. Oft erreicht erst am
vierten Tage die Hochzeit ihr Ende.
(Aus einem Schreiben aus Pleschen).
Die Mormonen in Utal, haben seit Jahren beim Kongress
der amerikanischen Nordunion darum nachgesucht, als Staat n
dieselbe ausgenommen zu werden; man ist in Washington abe
nicht darauf eingegangen, weil man einen Staat mit Viel
weib erei nicht mag. Die Mormonen sind aber, was den Buch
staben anbelangt, in ihrem guten Rechte, denn die Bundesvei
fassung gewährleistet die ganz unbedingte religiöse Freiheit, kenn
keinerlei Ausschließlichkeit' wegen religiöser Satzungen und di
Polygamie ist bei den Mormonen eine religiöse Einrichtung. Si
berufen sich auf die Mehrheit der Erdenbewohner, bei denen di,
selbe, wie zu allen Zeiten, so noch heute, herrschend war und ist, un
auf die Bibel; habe ja doch der Herr Jehova an den polygame
Königen David und Salomo das größte Wohlgefallen geh ab
Der Präsident der Mormonen, Brigham Joung, äußert sich •
nun in seiner Botschaft an die Gesetzgebung von Utah (sprich
Jutah) sehr ungehalten; er hebt außerdem hervor, daß die Volks-
menge im Gebiete sich rasch vermehre; im Jahre 1862 seien wieder
Tausende von Einwanderern gekommen, um die Gemeinde der
Heiligen vom jüngsten Tage zu vermehren; mau baue in Utah
Baumwolle, habe viele Maschinen eingeführt, liefere vortreffliche
Wollenwaaren und sei überhaupt eben sowohl berechtigt als Staat
in die Union zu treten, wie jedes andere beliebige Territorium.
Die Kuli-Einwanderung nach Westindien hat ihren Fort-
gang, weil mit den freien Negern bei der Arbeit nichts Rechtes an-
zufangen ist. In den englisch-westindischen Besitzungen kamen in
der Elnwanderungssaison 1861 auf 62 nicht weniger als 10,880
Kulis aus Indien an; davon 9855 aus Calcutta, 1025 aus
Madras. Die Sterblichkeit während der Ueberfahrt war sehr
gering, lieber die chinesische Kulieinwanderung der letzten
Jahre haben wir noch keine übersichtlichen Angaben gefunden.
Eine massenhafte Auswanderung von Szeklern findet gegen-
wärtig von Siebenbürgen aus nach der Moldau hin statt.
Wir entnehmen darüber einem Berichte des Grafen Dionys
Kalnoki in einem magyarischen Blatte Folgendes. — Der Anfang
einer Auswanderung dieser siebenbllrgischen Magyaren nach der
Moldau ist eigenthümlich. In jenem Lande wohnen sogenannte
Csango-Ungarn/bei denen Szekler-Ueberläufer, Landstreicher
und Nothleidende, weil sie magyarische Stammgeuossen waren,
freundliche Aufnahme fanden. Nach der Walachei gehen Szekler seit
der Upsilanti-Revolution von 1821, denn damals nahmen mehrere
nach Kronstadt ansgewanderte Bojaren zahlreiches Szeklerdieust-
volk mit sich nach der Walachei. Aber in größerm Maßstabc
begann die Auswanderung erst im Jahre 1848. Die Urbarial-
unterthänigkeit und der Militärgrenzdienst waren aufgehoben und
die hauptsächlichen Hemmnisse der Auswanderung somit weg-
gefallen. Theure Jahre, Erwerbsmangel und hohe Steuerlasten
auf der einen Seite, Wohlfeilheit der Lebensmittel, Höhe des
Arbeitslohnes und die Auszahlung desselben in Silber in den
Donaufürstenthümern, verlockten die Szekler immer mehr, ihre alte
Heimat zu verlassen. Die walachischen G«ndbesitzer nahmen
solche wohlgewachsene Menschen gern als Dienstleute und Aus-
wanderer auf. Mehrere Szeklermädchen wurden von reichen
Grundbesitzern geheirathet; einige Handwerker kamen in günstige
Lage. Dies war der Grund, daß die Auswanderung zu einer
förmlichen Krankheit ausartete. Gewissenlose Spekulanten be-
nutzten dies und kauften von den mit Nachkommenschaft reich ge-
segneten, aber an Gütern armen Szeklerfamilien die schönsten
Kinder im Alter von dreizehn bis vierzehn Jahren, unter dem
Vorgebeu, daß die Knaben ein Handwerk lernen, die Mädchen
aber an reiche Bojaren verheirathet würden. Die armen Eltern,
welche meist nur aus Noth ihre Kinder Hingaben, ahnten aber
nicht, daß ihre Söhne als förmliche Sklaven dienen müssen und die
Mädchen zu einem schändlichen Gewerbe benutzt werden. Trotz
aller Erfahrungen und aller Warnungen von Seiten der Behörden
dauert aber die Auswanderung fort.
Die Pimas am Rio Gila, im gegenwärtigen Arizona - Terri-
! torium, sind ein halbcivilisirtes Jndianervolk, das mit den Weißen
stets gern in Frieden gelebt hat. Wir lesen nun, daß ein Herr
S h e a in Neu - Port eine G r a mm a t i k der P i m a s p r a ch e ver-
, öffentlicht hat. ' Er erhielt die Handschrift, nebst einer andern,
welche in spanischer Sprache eine Skizze von Sonora enthält, von
einem Herrn Buckingham Smith, welcher beide ins Englische
übersetzt hat. Arizona ist bekanntlich ein Theil von Sonora, und
in jenen westlichen Gegenden ist die Sprache der Pimas in ver-
schiedenen Dialekten weit verbreitet. Jene Grammatik ist vor
etwa hundert Jahren von einem spanischen Missionär verfaßt und
die eben erwähnte Skizze rührt von einem Jesuiten her, der zwölf
Jahre im Lande war; sic ist gleichfalls schon im vorigen Jahrhun-
dert verfaßt worden.
Ucberrcfte der Indianer in Canada. Vor hundert Jahren
hörte man viel von den Huronen, Algonkinern, Irokesen
und anderen Rothhäuten, die ein Schrecken der Weißen waren und
in den Kriegen, welche England, Frankreich und die Vereinigten
Staaten führten, eine große Rolle spielten. Wie viel ist heute
von ihnen allen übrig geblieben? Die neueste Zählung
giebt Antwort.
Kleine Nachrichten.
Die Irokesen wurden schon vor nun etwa 90 Jahren aus >
der Gegend im Süden des Ontario-Sees vertrieben; was übrig i
war, siedelte man am St. Lorenz an, zwischen jenem See und dein
Erie und an der Thames, welche in den St. Clair-See mündet.
Gegenwärtig zählen sie keine 3090 Köpfe mehr. Andere Irokesen,
welche von der französischen Regierung Canadas^am Nordufer des
St. Lorenz bei Caugnawaga, am Wasserfäll St. Louis und bei
St. Regis angesiedelt wurden, zählen jetzt 2300 Leute; sie sind
theils Ackerbauer, theils Schiffer.
Auf dem Nordufer des St. Lorenz, zwischen dem Sagnenay
und dem Meere, streifen etwa 2500 wilde Nomaden vorn Stamme
der sogenannten Montaguards oder Montag na cs umher:
zwischen dem Saguenay und dem Huron-See werden die Wälder
durchstreift von den Horden der Totes de boule, Algonkineru
des trois Rivieres, Mistassies, Naskopis, Utauacs und
Nepissings; zusammen etwa 2500 Köpfe. Die „civilisirten",
d. h. ansässigen Huronen von Jeune Lorette in der Nähe von
Quebec sind nur 282Köpfe stark; die Nepissings, Algonkiner
und Irokesen am See des deup Montagnes zählen 840 Seelen,
die Abenakis von St. Francois 387, jene bei Becancour 172,
die Indianer am Riviore Berte 171, die Mikmaks bei Ristigonche
473 Köpfe.
In Ober-Canada leben am St. Clairflnße auf der Insel
Walpole zwischen 800 und 900 Odschibwäs und Potawato-
mis, am Chenal Ecartö ungefähr 500 ihrer Brüder; auf der
großen Insel Manitulin im Huron-See 1226; am Nordufer des
genannten See's und am Obern See einige Jägerhorden.
So sehr sind die Rothhäute zusammengeschmolzen. Und nun
macht in ganz Canada die Ansiedelung reißende Fortschritte, die
früheren Einöden erhalten mehr und mehr eine weiße Bevölkerung
und bevor ein Menschenalter vergeht, werden diese schwachen Ueber-
bleibsel der Indianer weiter nach Westen hin, jenseits der Großen
See gedrängt sein. Dort jagen sie dann noch höchstens ein paar
Menschenalter hindurch das Elenn und den Hirsch, aber auch bis
in jene Gegend rückt ihnen die Civilisatiou nach, welche sie nicht
vertragen und der sie nicht widerstehen können. Dann verschwinden
sie allmälig ganz von der Erde, ohne daß man sich um sie kümmert
und ohne daß diesen einst mächtigen Völkern eine Thräne nach-
geweint wird! ___________
Die östlichen Provinzen der Kap-Kolonie haben Mangel j
an Arbeitskräften. Um sich dergleichen zu verschaffen, beantragten
sie beim Gouverneur die Einführung von Negern und Damaros.
Die letzteren sind bekanntlich ein schwarzes Volk im Nordwesten
der Kap-Kolonie, welches wir durchGalton's Reisewerk genauer
kennen gelernt haben. Jene Erlaubniß wurde jedoch verweigert,
und zwar in ganz richtiger Erwägung, daß sie doch keine guten
und verlässigen Arbeiter abgeben würden, und daß man sich hüten
müsse, die Kolonie mit einem schwarzen Proletariat zu belasten.
Die holländischen Bauern haben zwischen Cradoch und j
Queenstown das Dorf Tarka stad gegründet, dessen Bevölkerung
rasch anwächst.
In Britisch-Kafraria kommen jetzt schon zwei englische
Zeitungen heraus und ein deutsches Blatt, die „Post." Be-
kanntlich ging die deutsche Legion, welche während des Krimkrieges
in England gebildet wurde, nachher zum großen Theil in die Kap-
Kolonie und erhielt ihre Standorte an der Grenze von Britisch-
Kafraria, um dieses gegen etwaige Einfälle der Kaffern zu schützen.
So entstanden deutsche Ansiedelungen, welche zwei bis dreitausend
Köpfe zählen.
Aus dem Gebiete der Zu l u - Äasfern, das nördlich von
der Kolonie Natal liegt, sind im vorigen Jahre tausende von >
Menschen nach dieser letztern ansgewandert, viele zogen auch in
das Gebiet der Amasuasi und Amantongis. Die viehzüchtenden
Stämme sind sehr oft im Wandern und in Bewegung.
Fortgang der Ansiedelung ans Neu-Galcdouicn. Diese
werthvolle französische Kolonie im Großen Ocean, welcher wir ,
mehrfach erwähnten, hat in dem durch seine Aufnahme der ostafri- '
kanischen Küste bekannten Schiffskapitän Guillain einen neuen
Gouverneur erhalten. Derselbe trat im Juni 1862 sein Amt an.
Es fanden große Festlichkeiten statt, und in Port de France, dem
Hauptorte, war die Garnison auf dem „Solferino-Platz" anf-
marschirt. Guillain erklärte, Neu-Caledonien müsse wesentlich
eine Ackerbau-Kolonie werden, Jeder solle Muth haben und
sich selber helfen. Die schwarzen Eingeborenen überreichten ihm, j
zum Zeichen der Unterwürfigkeit,' eine Keule zum Schädel- '
zerschmettern; diese ist das Amts- und Würdezeichen der j
Häuptlinge. Nachher besuchte der Gouverneur die Mission und
die Zuckermühle, erklärte, daß er eine „verständige" Erörterung
der Kolonialinteressen im „Moniteur de la Nouvelle Ealedoine"
gestatten werde; auch wolle er die Vieheinfuhr erleichtern, die
Ausfuhr demnächst erlauben. Welche verschrobenen Begriffe die
französische Regierung vom Kolonialwesen hat, geht daraus
hervor, daß sie ans Neu-Caledonien das Paßwesen und das
ebenso alberne System der Ertheilung von Aufenthaltskarten
eingeführt hatte!! Dieses hob Guillain auf, weil freie Bewegung
eine Grundbedingung für die Einwanderung sei. Er richtete dann
nach dem dem Innern hin einen Postdienst ein und will Wege
bahnen lassen, was allerdings die Hauptsache ist, zunächst nach
der Niederlassung Kan ata. Kapitän Hardv besuchte die Küsten-
punkte Unia, Küaküeh, Ngoeh, Tiuka und Baladeh und brachte
für die Ansiedler auf der Station Wagap Arbeiter und Geräth-
schaften. Der Schiffslieutenaut Chambeyron unternahm einen
Ausflug von der Ngoe-Bucht in's Innere, zum Zweck topogra-
phischer Aufnahmen, und ging zunächst nach dem Humboldt-
Pik, der 1631 Meter Höhe hat und 12 Kilometer von der Küste
entfernt liegt. Gleichzeitig unternahm ein Ingenieur hydrogra-
phische Arbeiten an der Ostküste.
Australien. Die Regierung von Neusüdwales hat eine
beträchtliche Strecke Landes am Hunlerflusse der zu Sidney ge-
gründeten Gesellschaft zur Beförderung des Baumwollenbanes
überlassen, dainit dieselbe Versuche in großem Maßstab anstellen
könne.
Während Südafrika an Dürre litt, wurden die Kolonien
Viktoria und W est a n str ali en von unendlichen Regeng ü ss en
heimgesucht. Namentlich in dem letztern traten die Flüsse weit über
ihre Ufer ans und zerstörten Brücken, Straßen und Landgüter;
man hatte dergleichen seit dreißig Jahren nicht erlebt.
Süd anstralien bemüht sich eifrig, den Zug der Ein-
wanderung nach sich hinzulenken, und hat beschlossen, zur Be-
förderung derselben ein Drittel des Ertrags vom Verkauf öffent-
licher Ländereien zu verwenden. Die beiden anderen Drittel sind
für die Tilgung der öffentlichen Schuld und für öffentliche Arbeiten
bestimmt.
In Utttercalifornicn wächst eine Art von Up lau d -Baum-
wolle wild. Eine Kompagnie in San Francisco hat dort eine
ausgedehnte Landstrecke erworben, um Baumwolle zu bauen, weit
sie Arbeiter für geringen Lohnsatz haben kann, und das letztere ist
eine Hauptsache.'
Die haarlosen Menschen in Anstralien. Wir haben vor
einiger Zeit erwähnt, daß man einen Menschen gefunden habe,
der einem ganz und gar unbehaarten Stamm australischer Ein-
geborener angehöre. Die Sache scheint ihre Richtigkeit zu haben;
denn der Sydney Morning Herald erhält folgende Mittheilung;
In der letzten Sitzung der naturforschenden Gesellschaft zu
Sydney fragte Herr Alfred Roberts, ob etlva einer der Anwesenden
neue Thatsachen melden könne über die unbehaarten Eingeborenen,
welche man im Distrikt Balonne gesehen hat. Einer dieser Wilden
ist im Februar 1862 von Herrn Donald Mac Lay nach Sydney
gebracht und von Herrn Roberts genau untersucht worden. Dieser
fand den Wilden in ganz regelrechtem Zustande; er befand sich wohl,
war gut gebaut und gut genährt. Die Haut wurde mikroskopisch
untersucht und in ganz gehöriger Ordnung befunden; sie war
vom Kopfe bis zum Fuße ganz und gar ohne alles Haar,
nur allein an den Augenlidern sind einige Haare zu bemerken. Der
Schädel war durchaus glatt. Man ist nun eifrig darüber aus, im
Bezirk Balonne noch mehr solcher kahlen Menschen aufznfinden.
Robinson Crusoe als Reisender.- Ter Engländer Paton
besuchte auf seinen levantinischen Wanderungen manche griechische
Klöster und wurde überall freundlich ausgenommen. In einem
derselben, Manasia, veranstalteten die Mönche zu Ehren des frei-
gebigen Europäers eine Art von Festmahl. Am Schluffe desselben
erhob sich ein Geistlicher, nahm einen großen mit Wein gefüllten
Becher zur Hand und sprach: „Der größte Reisende Deines
Vaterlandes, welchen wir kennen, ist Robinson Crusoö, ge-
bürtig aus der Stadt Uork. Er war erst ein armer Mann und
hatte große Schwierigkeiten zu überwinden, aber am Ende ge-
langte er doch mit Gottes Hülfe in seine Heimat und sab Ver-
wandte und Freunde wieder." Der gute Mönch hat also Defoö's
oder Eampe's Erzählungen für baare Münze genommen!
Herausgegcben von Karl Andrer in Dresden, — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghansen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildbnrghausen. — Druck von L. Krumb ach in Leipzig.
Die Osterwoche in Jerusalem.
2??r Zwiespalt unter den christlichen Kirchen. — Gefahren der Pilgerreise in früheren Zeiten. — Wallfahrer auf den Dampfschiffen.—
-f'i?®6 ®oc^e- — Kirche des heiligen Grabes. — Steuerungen eines Russen. — Die Lateiner in Jerusalem. — Schilderung der
Inechischen Pilgerkarawauen. — Wie mau einen Sitz im Himmel erkauft. — Die Schädelstätte und Christi Grab in ihrer heutigen
gestalt. — Stein der Salbung und Adamskapelle. — Besitznahme der heiligen Stätten. — Der griechische Patriarch. ■— Palmsonntag;
°ertl)eiiung der Palmen.— Mord, Tvdtschlag und türkische Soldaten in der Grabkirche.— Anblick derselben am Charfreitage. —
Ein Passionsspiel. — Das Herabkommen des heiligen Feuers vom Himmel. — Ostersonntag. — Der Jordan
und das Todte Meer. —
Wie weit liegen die Zeiten hinter uns, da man vieler theilungen und Selten haben bekanntlich von jeher einander
Wochen und Monate bedurfte, um nach Jerusalem zu ge- weit ingrimmiger verfolgt und bekriegt, als je die Heiden,
langen! Wir kennen aus der großen Anzahl von „Reiß- Wegen „himmlischer Wahrheiten , welche die Einen sur
büchern zunl heiligen Lande “ die Menge von Beschwerden wahr, die Anderen für falsch ausgeben, und wegen vieler
und Gefahren, welchen einst die frommen Gemüther ausge- Lehrsätze und Glaubensmeinnngen, über welche die Nrenschen
Lager einer griechischen Pilgerkarawane in Palästina.
. . .. n r. t ^011 einander abweichen, haben sie viele Jahrhunderte hin-
setzt waren, die dem innern Drange nlcht widerstehen tonn- ^ ^ Oceane von Blut vergossen und grenzenloses
ten, einmal an der Stätte ihre Andacht zu verrichten, wo ™ul £ ^ ^Welt gebracht, ohne daß man bis heute der
ihr Heiland gelehrt und gelitten. \ . :líe:t au¿. imr um eine§ Zolles Breite naher ge-
So lange christliche Mächte den Orient beherrschten, i Cm t 3 : ^ e§ Eier sein, weil das durch
war für die Pilger leidliche Sicherheit vorhanden. Aber ruck ' . r b oe iivcin(age des Menschen nun
scholl ilu frühen Mittelalter fielen die Gegenden, in welchen bas mnerste Wesen un U ^ß so viele
das Christenthum entstand, unter die Gewalt der Moham- emnu s vorhanden sind, haben
medaner. Die Cingottglänbigen und deren verschiedene Ab- Punkte der Ueberernstlmmung ? ,
Globus IV. Nr. 2.
34
Die Osterwoche in Jerusalem.
die Bekenner der verschiedenen Religionen und Kirchen, die
Geistlichen allemal im Vortrab, einzelne Abweichungen
in den Vordergrund gestellt, ihre Ansichten Anderen auf-
zwingen wollen, und so ist es dann gekommen, daß die Länder
der Eingottgläubigen mit Gräueln erfüllt wurden.
Wenn die verschiedenen Christen, dogmatischer Subtili-
täten halber, einander mit Schwert und Scheiterhaufen ver-
folgten, dann darf es nicht Wunder nehmen, daß die Moham-
medaner ihrerseits diesen Christen keine Schonung angedeihen
ließen; und sie thaten es um so weniger, weil sie Eroberer
waren. Ihnen gegenüber hatten die Pilger einen harten
Stand, besonders in den langen Kämpfen während der Kreuz-
züge und nachdem die Abendländer den Versuch gemacht
hatten, das „Heilige Land" dauernd in Besitz zu nehmen.
Aber ausgeschlossen vom Besuche Jerusalems waren die
Christen nicht, denn im Allgemeinen haben die Mohamme-
daner eine ziemlich milde Praxis geübt. Freilich, wenn die
mohammedanischen Seeräuber, namentlich die nordafrikani-
schen Barbaresken, Pilgerschiffe entern konnten, dann fehlte
es nicht, daß die Wallfahrer in die Sklaverei abgesührt
wurden.
Aber heutzutage ist das anders. Der offene Kampf
zwischen Christen und Mohammedanern hat längst aufge-
hört; das Abendland ist Herr über den Orient geworden,
und der Türke begnügt sich damit, Faust im Sacke gegen
den Christen zu machen, ihm, wo es angeht, den Hals abzu-
schneiden und ihn am heiligen Grabe zu Jerusalem mit Knüt-
teln und Karbatschen dnrchzuprügeln. Im klebrigen wird die
hohe Pforte durch christliche Mächte gestützt, sie dienen ihr
als Säulen und Strebepfeiler. Wir sind eben im neun-
zehnten Jahrhundert, nicht mehr im Zeitalter der Kreuz-
fahrer oder Barbaresken.
Aber die Wallfahrten dauern fort, nur sind darin
die Mohammedaner viel eifriger als die Christen. Alljähr-
lich pilgern sechszig- bis hunderttausend Bekenner des Islam
aus allen Himmelsgegenden, um zu beten am Grabe ihres
Propheten Mohammed, und wenn die mohammedanischen
Staaten allesammt mehr oder weniger im Verfalle sind,
so hat doch die alte Inbrunst unter den Bekennern des Pro-
pheten von Mekka an Feuer und Stärke nicht das mindeste
eingebüßt. Die Pilger kommen vom ostindischen Archipela-
gus, aus Nordchina, von der Donau, sie ziehen als Takruri
vom Senegal quer durch Afrika und sind oft jahrelang aus
der Wallfahrt, um in der Kaaba zu beten. Die Christen
haben den großen Pilgerkarawanen der Bekenner des Islam,
und namentlich dem Glanz und der Pracht des syrischen
Hadsch, der alljährlich von Damaskus nach Mekka zieht,
nichts an die Seite zu stellen.
Und doch ist den christlichen Europäern ein Zug in's
gelobte Land in hohem Grad erleichtert. Er nimmt keine
großen Geldkosten in Anspruch und ist binnen wenigen
Wochen anszusühren. Aber das germanische und romanische
Abendland betheiligt sich nur in geringem Maße bei den
Wallfahrten nach Jerusalem; eifriger sind schon Bekenner
der griechisch-orthodoxen Kirche. Wir wollen jedoch er-
wähnen, daß in der neuesten Zeit aus den katholischen
Gegenden des südlichen Deutschlands einige Pilgerzüge nach
dem gelobten Lande stattgefunden haben; ob die Wallfahrer
ihre Hoffnungen befriedigt oder getäuscht fanden, ist uns
unbekannt. Aber die Fahrt niit dem Dampfer des Triester
Lloyd war ohne Gefahr und Beschwerde, nahm bis zur
phönikischen Küste bei Beyrut nur acht Tage in Anspruch
und erforderte keine große Summe.
Die germanischen Völker sind in überwiegender Menge
Protestanten, die romanischen sind Katholiken geblieben.
Bei diesen letzteren war der Zug nach einem Besuche des
„Heiligen Landes" seit Jahrhunderten zwar nicht bedeutend,
aber doch weniger schwach als bei den ersteren. Die Po-
litik spielt hinein. Frankreich hat von je in den außereuro-
päischen Ländern sich zum Hort, znr Schutzmacht des Ka-
tholicismus aufgeworfen. Aber im Orient ist die Zahl der
Bekenner des griechischen Orthodoxismus den Anhängern
der römischen Kirche bei weitem überlegen. Als Protektor
jener tritt Rußland auf; zwischen beiden Abtheilungen der
Christen herrscht Widerwillen und Eifersucht, und über die
Frage, ob Rußland oder Frankreich, ob die griechischen Or-
thodoxen die baufällige Kuppel des Heiligen Grabes wieder
Herstellen sollten, ist es während der letzten Jahre zu manchen
ärgerlichen Austritten in Jerusalem gekommen.
Die Geistlichkeit in Frankreich hat sich Mühe gegeben,
alljährlich Hunderte gläubiger Seelen zu einer Wallfahrt
nach Jerusalem aufzumuntern. Sie sammelt eine Anzahl
derselben und schisst sie zu Marseille ans einem Dampfer
ein. Es sind zumeist arme Leute, welche sich wacker geplagt
haben, um das Reisegeld zu erschwingen. Die Führung
übernimmt ein Geistlicher, unter dessen Obhut eine fromme
Karawane steht, die alljährlich, seit Ostern 1854, nach
Jerusalem pilgert. Sie zählt aber nur selten mehr als
etwa ein halbes Hundert Köpfe. In Marseille hören die
Gläubigen, bevor sie auf den Dampfer gehen, eine Messe,
und bekommen dann ein kleines silbernes Kreuz, das sie auf
der Brust tragen. Auf dem Schisse haben sie einen kleinen
tragbaren Altar, an welchem täglich mehrere Messen ge-
lesen werden. Die Pilgerfahrt nimmt gewöhnlich zwei Mo-
nate in Anspruch; davon werden etwa vierzig Tage für den
Aufenthalt in Jerusalem und den Besuch des „Heiligen
Landes " überhaupt gerechnet. Die Fahrt von Marseille nach
Jaffa, wo man die Pilger landet, dauert, über Alexandria
und Malta, zehn Tage. Von Jaffa ziehen sie landein über
die Ebene Saron, nach Ramleh und durch das Terebinthen-
thal nach der „Heiligen Stadt", die in einer wasserleeren
und unfruchtbaren Gegend 2450 Fuß über der Meeres-
släche liegt.
An jenes Jerusalem knüpfen sich große geschichtliche
und religiöse Erinnerungen für Juden, Christen und Mo-
hammedaner; sie ist für alle Drei eine heilige Stätte, aber
diese „Friedensstadt" des Königs David ist im Verlaufe
der Jahrtausende entsetzlicher heimgesucht worden als irgend
ein anderer Punkt, gleichviel ob im Orient oder im Abend-
lande. Israel trauert um den Verlust Zions, der Höhe,
auf welcher die Burg des psalmensingenden Königs stand;
die Christen sind dort nur geduldet und die Muselmänner
ingrimmig darüber, daß die Nazarener sich trotzdem so dreist
geberden.
Wir wollen den Verlauf der „Heiligen Woche" in
Jerusalem schildern, und nehmen einen katholischen Pilgers-
mann zum Führer, der von andächtigem Schauer durchbebt
wurde, als er die Heilige Stadt erblickte. Dann suchte er
ein Unterkommen. Früher fand man ein solches vorzugs-
weise nur in den Klöstern, aber heutzutage hat Jerusalem
Gasthöfe, in denen man für täglich drei bis vier Thaler
wohnen kann, und von den Wirthen, Kellnern, Dolmetschern,
Kaufleuten und anderen Biedermännern geprellt wird. Da
ist „Hotel Simeon" auf der Höhe Zion; dann das Mediter-
ranean Hotel", auch „Hotel Cristiano" genannt, von dessen
Dachterrasse man einen recht hübschen Ueberblick hat und
sowohl die Kuppeln der Heiligengrabkirche als jene der
Moschee Omar's sieht. Das „English Hotel" liegt in der
Via Dolorosa, und ein „Logirhaus" fehlt auch nicht. In
der Osterwoche sind alle Preise höher als gewöhnlich.
Doch wir begleiten nun den französischen Katholiken,
der seine Wahrnehmungen und Eindrücke schildert. Zunächst
Die Osterwoche in Jerusalem.
35
berührte es ihn empfindlich, daß sich die Türken so breit
machen. Was, so fragt er, wollen diese am Grabe Christi?
Deshalb sind die hier und nicht bei den Tataren oder
Tibetanern? Es drängen sich Einem allerlei seltsame Ge-
danken ans. Da sind die Christen so stolz ans ihre Civili-
sation und ihr blebergewicht in der Wett, und bis aus den
heutigen Tag haben sie es weder durch Massen noch durch
Verträge dahin bringen können, daß ihre Heilige Stadt
unter die Herrschaft oder Obhut der Christen kam. Selt-
Seute, welche eine solche Stätte den „Ungläubigen"
lassen. Man sagt, der kranke Mann, die Türkei, sei un-
fähig, noch lange zu leben. Weshalb kauft man ihm Pa-
lästina nicht ab? —
Man sieht, der Franzos ist naiv oder stellt sich doch
so, denn seine Frage ist leicht zu beantworten. Die Christen
könnten jeden Augenblick Palästina bekommen, wenn sie sich
unter einander vertragen wollten. Aber dazu waren sie
allezeit durchaus unfähig, und Einer gönnte dem Andern
nichts. Um das Gebot ihres Religionsstifters: „Liebet euch
untereinander", haben sie sich, wie die Geschichte aller Jahr-
hunderte beweist, niemals bekümmert; aber gehaßt und be-
kämpft haben sie einander von jeher recht gründlich. Selbst
am Heiligen Grabe treten die Gegensätze in aller Schärfe
höchst unerbaulich auf. Unter den Mohammedanern findet
in Mekka, am Grabe des arabischen Propheten, Aehnliches
statt; der Sunnit verfolgt und verhöhnt den Schiiten bis
in die Kaaba hinein. —
Unser Pilger traf an der Wirthstafel einen Herrn mit |
einem großen Schnauzbarte, der ihm Folgendes sagte: Die i
Lateiner (d. h. die römisch-katholischen Leute) interessiren 1
sich nicht besonders für die hiesigen Vorgänge; sie pilgern ;
lieber zu ihren Wallfahrtsstätten in Europa als nach Jeru-
salem. Im Jahre 1808 wurde das Heilige Grab einge- i
äschert. Wer hat dasselbe wiederhergestellt? Die Lateiner
nicht, diese Ehre gebührt den Griechen. Und wie zahlreich
sind eben jetzt die Lateiner hier? Man bringt kaum ein- i
hundert heraus, Priester und Laien, Männer und Frauen,
Deutsche, Franzosen, Italiener, Spanier rc.; Alles in Allem
genommen. Dagegen sind schon mehr als zwölftausend
Griechen eingetrofsen.
Der Mann, welcher so sprach, war ein Russe.
Zwischen römischen und griechischen Christen trat, bei-
läufig bemerkt, die Spaltung schon früh ein. Anfangs be-
zog sie sich nur aus die Sprache und war lediglich geogra-
phisch ; das südliche und westliche Abendland redete lateinisch,
der Osten griechisch. Der römische Papst galt indeß für das
Oberhaupt der Christenheit und hatte als Vertreter im
Morgenlande die Patriarchen von Alexandria und Antiochia.
Aber der Patriarch von Konstantinopel nahm den
höchsten Rang unmittelbar nach dem römischen Bischof in
Anspruch, bis im Jahre 857 der Patriarch Photius die
oberste Gewalt des Papstes in Abrede stellte und sich die-
selbe beilegte. Die Bischöfe in Rom, sagte er, hätten ihre
Privilegien und ihre hohe Stellung nur dem Umstande zu
verdanken, daß Rom Hauptstadt der Kaiser gewesen, aber
nun sei schon längst Konstantinopel zur Residenz geworden,
und daraus folge, daß dem byzantinischen Bischöfe der höchste
Rang und die letzte Entscheidung in allen Angelegenheiten
..Tätigkeiten der Kirche gebühre. Ans Primat und
pontisikat habe die lateinische Kirche kein Anrecht mehr. Von
netten Roms wurden diese Sätze für eine ketzerische An-
mastung erklärt, allein der Streit nahm kein Ende und im
Jahrc^ HU3 erfolgte ein vollständiger Bruch, welcher seit-
rm nie mehr hat geheilt werden können. Aber die grie-
)rsche Kirche erkennt nicht etwa ein einziges Oberhaupt an;
der Patriarch von Konstantinopel gilt allerdings in den
türkischen Landen als höchste kirchliche Autorität; allein in
Rußland dekretirte Peter der Große das Amt eines Pa-
triarchen in Abgang und vereinigte die höchste geistliche
Würde mit der weltlichen des Czaren, und das Königreich
Griechenland hat seine besondere Nationalkirche.
Es handelt sich bei dem Gegensätze zwischen der römi-
schen und griechischen Kirche vorzugsweise um drei Gegen-
sätze. Die letztere erkennt die Suprematie des Papstes nicht
an; ihre Bekenner nehmen das Abendmahl unter beiderlei
Gestalten und glauben, daß der heilige Geist lediglich und
allein von Gott-Vater ausgehe, während die Römischen seit
den Tagen Kaiser Karl's des Großen ihn zugleich von Gott-
Vater und Gott-Sohn ausgehen lassen, lieber solche Dinge
sind sie nun in Zwiespalt!
In Jerusalem verschwinden die Lateiner so gut wie
völlig; der Franzose traf in der Woche vor Ostern höchjtens
achtzig nicht ansässige Katholiken; mehr waren nicht gekom-
men. Während der Ceremonien in der Charwoche über-
nimmt der italienische Patriarch die Obhut der Pilger;
er wohnt im Aufträge des römischen Stuhls in Jerusalem
und führt den Titel: Hüter des Heiligen Grabes.
Nächst ihm kommen der Superior des Franciskanerklosters
zum Erlöser und der französische Konsul.
Jerusalem ist an sich eine kleine, unbedeutende Stadt,
deren Einwohnerzahl wir verschieden, zwischen 14 bis
23,000 Seelen, angegeben finden. Zur Osterzeit finden
sich gewöhnlich dreißigtansend Fremde ein, manchmal noch
mehr. Dann bietet die Stadt David's ein buntes Gemisch
von allerlei Volk und Trachten dar; aber es sind zumeist
armselig gekleidete Menschen, die sich in den engen, ge-
wundenen, schlecht gepflasterten, unebenen Straßen drängen,
oder die düsteren Bazare anfüllen. Jerusalem ist häßlich
und schmutzig. —
Ich sästenderte durch die Stadt und kam an das nach
Bethlehem hinaussührende Thor, vor welchem ich eine Menge
von Zelten aufgeschlagen fand. Unter diesen lagerten Pilger.
Vor der Osterzeit kommen täglich lange Wallsahrerkarawanen
aus Rußland und den Donauländern an, aus Rumelien,
Armenien und Syrien, von den Jonischen Inseln, aus
Griechenland, Aegypten und sogar aus Abessinien.
Alle diese griechischen Christen sehen gar nicht ans,
als ob das neunzehnte Jahrhundert etwas mit ihnen zu
schassen habe; sie sind gleich Menschen ans dem Mittelalter
und Hallen den Besuch des Heiligen Grabes für eine religiöse
Pflicht. Fast alle sind sehr arm, unternehmen die weite
Reise mit Weib und Kindern und bringen einige Maaren
mit, um dieselben unterwegs oder in Jerusalem zu verkaufen.
Auf der Reise haben sie große Beschwerden und allerlei lin-
gemach zu bestehen, besonders während der Seefahrt; zu-
meist werden sie, gleich Häringen, in kleine griechische Fahr-
zeuge gepackt und die Fahrt dauert lange. Der Abgang
durch Todesfälle ist unterwegs gar nicht unbeträchtlich.
Diese Christenkarawanen ziehen unter Leitung eines
Führers wie die Kraniche oder Störche auf ihren Jahres-
wanderungen; sie nehmen allerlei Lebensmittel, Kochgeschirr
und mancherlei Geräthschaften mit sich und bepacken damit
Kameele oder Maulthiere. Tag für Tag sind sie vom frühen
Morgen bis zum Abend in Bewegung, preisgegeben dem
Sonnenbrand oder dem Regen, schlafen unter freiem Himmel
und leiden nicht selten Mangel an Nahrung. Aber sie sind
glücklich, wenn sie hunderte von Meilen zurückgelegt haben
und in Jerusalem anlangen. Viele haben zehn oder zwanzig
Jahre gedarbt und gespart, um die Pilgerfahrt machen zu
können, und kehren bettelarm aber glücklich heim. —
Jerusalem ist ein theures Pflaster. Jeder griechische
Wallfahrer muß am Bethlehemthor vier Para Einlaßgebühr
5*
36
Die Osterwoche in Jerusalem.
zahlen. Nachher finden die Pilger in den Klöstern ihrer
Nation Unterkommen, müssen aber dafür Geld geben und
dürfen auch nur zwei Tage und zwei Nächte in denselben
bleiben. Nachdem der Superior ihnen dann den größten
Theil der baaren Habe, welche sie mitgebracht, abge-
nommen hat, können sie aus dem Kloster abziehen und sich, j
so gut es eben gehen will, irgendwo eine Wohnstätte suchen. I
Der Einlaß zur Kirche des Heiligen Grabes muß auch mit
Geld erkauft werden; überhaupt ist „Geld, Geld und noch
einmal Geld" die Losung bei allen heiligen Stätten in und
außer Jerusalem, und wer zu den Thoren hinausgeht, muß
auch dafür bezahlen. Die Pilger bieten am Tage nach der
Ankunft ihre Waaren zum Verkauf aus. Die meisten Leute
diesem Amphitheater des Paradieses aussuchen und sichern,
wenn er dafür die Gebühr an die geistlichen Bilderverkäufer
entrichtet. Gewöhnlich wählt er sich einen Platz dicht bei
dem Heiligen, welcher sein Schutzpatron ist. Die Preise
sind verschieden, gerade so wie in unseren Schauspielhäusern.
Wer in dem ersten Range, dem himmlischen Throne Gottes
möglichst nahe, sich einen Sitz im Himmel sichern will, hat
den höchsten Gebührensatz zu zahlen. Diese Art von Handel
ist auf die Griechen beschränkt, die Lateiner befassen sich
damit nicht und haben andere Einnahmequellen. Sie ver-
kaufen allerlei Reliquien und geweihte Rosenkränze, für
welche in Jerusalem und Bethlehem Fabriken angelegt
worden sind. Dieser Handelsartikel findet guten Absatz
Ansicht vom Tobten Meer.
sind, wie schon bemerkt, arm, und die Menge muß es bringen.
Der muselmännische Fiskus erhebt vorweg seine Gebühren;
aber alle Klöster und die Stadtbewohner überhaupt leben
von den Pilgern, etwa so wie ein Badeort von den Bade-
gästen.
Die Armenier lassen viel Geld in Jerusalem; einst
zahlte ein Mann dieses Volkes dem griechischen Patriarchen
nicht weniger als einmalhunderttausend Piaster, um sich
dadurch eiuen der besten Plätze im jenseitigen Reiche der
Auserwählten zu sichern. Die Geistlichen bieten nämlich
für die Gläubigen allerlei Bilder feil. Auf denselben ist
das himmlische Paradies wie ein Amphitheater dargestellt,
mit einer großen Menge von Sitzen, wie in einem Komödien-
hause. Reservirte Plätze sind da vorhanden, leere Stellen
neben den Heiligen auf den halbkreisförmigen Stufen der
Estrade; jeder Pilger kann sich einen beliebigen Platz in
und wird, in Kisten verpackt, über St. Jean d'Aere nach
allen Richtungen hin versandt.
Im Jrrthum ist, wer da anuimmt, daß in Jerusalem
die alte Einfachheit, das Ungeschmückte, der tragische Cha-
rakter der Passionsaustritte gewahrt worden sei. Man
fragt: Wo ist die Schädelstätte, der Kalvarienbergs Und die
Antwort lautet: Wenden Sie sich rechts, steigen Sie jene
Treppe hinaus; vom ersten Stock aus können Sie ihn schon
sehen. —
Die Schädelstätte und Christi Grab sind überdeckt und
überladen mit Zierrath von Marmor und Silber, und liegen
zwischen den Mauern eines Gebäudes, dem alle wahre
Großartigkeit fehlt und das von einem Gewirr schmutziger,
häßlicher Häuser gleichsam erdrückt wird. Der geringste
Palast eines christlichen Fürsten ist leichter zugängig und
bietet einen respektablern Anblick dar, als die Kirche des
Vor der HeiligeugraLkirche zu Jerusalem.
38
Die Osterwoche in Jerusalem.
Heiligen Grabes in Jerusalem. Man wird einwenden, daß
Jesu Altar keines Schmuckes bedürfe. Gewiß paßt wahre
Einfachheit für etwas, das an sich selbst groß und er-
haben dasteht; aber wo wäre denn in Jerusalem diese wahre
Einfachheit?
Nach meinem ersten Besuche der Heiligengrabeskirche
schrieb ich Folgendes nieder: Die Straßen sind schmutziger
wie eine macadamisirte Landstraße bei Regenwetter, übersäet
mit spitzigen Steinen und schwer zu ersteigen. Vor einem
der Kircheneingänge liegt ein elender Marktplatz. Etwas
weiter hin bieten unter einem Gewölbe die Trödler Rosen- '
kränze, Medaillen und Kreuze feil. Dann folgt noch ein
Gewirr von überdeckten Wegen, man steigt mehrere Treppen
hinab; die Kirche selbst liegt tiefer als die Häuser, vondenvn
sie ganz umgeben ist. Nachher kommt ein viereckiger Platz, j
auf welchem eben jetzt griechische Pilger'allerlei Zeuge, Seife j
und Rosenkränze ausgestellt haben. Dieser Platz bildet den
Vorhof der Kirche; er gleicht einem Jahrmärkte. Wehe j
dem Christen, welcher die Kirche betreten wollte, ohne einen
Erlaubnisschein vorzuzeigen oder den Einlaß zu erkaufen! ;
Ich war ganz ermüdet und auch in übler Stimmung durch
all das Hin- und Herlaufen, Auf- und Absteigen, durch den
wüsten Lärm und Tumult, und fragte meinen Führer, wes-
halb er mich nicht durch den Haupteingang in die Kirche
führe. Er antwortete trocken: dies hier fei ja der Haupt- ;
eingang.
Nun werde ich gedrückt und hin und her gestoßen,
suche mich aber durch das wilde Gewühl hindurchzupressen
und trete über die Thürschwelle. War ich nun in der
Kirche des Heiligen Grabes? Ja, aber ich wähnte
mich doch mitten in der Türkei. Der Leser möge selber
urth eilen.
Auf einem mit Teppichen und Polstern belegten Gerüste
saßen und lagen ein halbes Dutzend türkischer Kerle, rauchten
Tabak, tranken Kaffee und spielten Schach. Diese Türken
bilden die Kirchenwache und benehmen sich etwa so, als
ob eine Jahrmarktsbude oder ein Waarenlager unter ihrer
Obhut stünde. Wer den Einlaß in die Grabkirche nicht
erkauft, wird als Christenhund mit Stockprügeln bedacht, j
An der Wand stehen blanke Flinten.
Einige Schritte von diesem türkischen Diwan entfernt,
bemerke ich einen großen viereckigen Würfel von rothem
Marmor, der ein klein wenig über das Pflaster hervorsteht.
Man sagte mir, das sei der Stein der Salbung, auf
welchem Jesu Leichnam vor der Grablegung von Joseph
aus Arimathia gesalbt worden--
Jch frage: ob einst bei der Schädelstätte ein so prächtiger
Marmor dazu bereit gelegen habe, und mau entgegnet mir:
Das freilich nicht, der wirkliche Stein der Salbung liegt !
unter diesem Marmor. — Aber ich möchte gerade den
wirklichen, ächten Stein sehen! Ich brauchte wahrhaftig
nicht so weit zu wandern, um mir ein Stück rothen Marmors
zeigen zu lassen.
Nun eilte ich nach Jesu Grabe, tief ergriffen trotz aller
Unwürdigkeiten, welche ich gesehen. Man führt mich nach
der rechten Seite hin unter eine große Kuppel, die oben
offen ist aber bei Regenwetter mit Leinwand überspannt
wird. Unter ihr steht ein kleines Marmordenkmal, eine
Art von länglichem Viereck, dessen Vorderseite etwa achtzehn
Fuß lang ist, und dessen Tiefe etwa fünf und zwanzig Fuß
betragen mag. Es ist mit Pfeilern verziert. Auf der, dem
Eingänge gegenüber liegenden Seite ist es fünfeckig, und
über diesem Theile befindet sich eine erweiterte Kuppel. Das
Ganze bezeichnet man als „Heiliges Grab". Vor etwa
fünfzig Jahren war es in Trümmer gefallen und die Griechen
ließen es auf ihre Kosten wieder Herstellen. Sie glauben
also dort mehr Rechte zu haben als die Lateiner. Diese sind
auch nur im Besitz einer Kapelle und einer Galerie; das
eigentliche Schiff der Kirche wird von den Griechen aus-
schließlich in Anspruch genommen.
Ich trete ein. Das Heilige Grab ist in zwei Theile
gesondert. Der eine, mit Pfeilern versehene, dient als Vor-
halle und wird als Engelskapelle bezeichnet, und hat im
Hintergrund eine schmale, niedrige, im Halbkreis gewölbte
Thür, durch welche man in ein etwa sieben Fuß langes und
sechs Fuß breites Gemach kommt.
Mein Führer sagt: Dies hier ist das Heilige Grab. —
Wo ist das Heilige Grab?
Dort auf der rechten Seite. —
Aber ich sehe nur einen Kasten von schönem weißen
Marmor, dessen Deckel einen Riß hat. Das kann doch
unmöglich Christi Grab sein?
Nein, das ist es auch nicht; das wahre Grab liegt
unter dem Marmor.
Ich sah also wieder nichts als bedeutungslosen Marmor,
erfuhr aber nachher, daß die unter demselben liegenden, durch
die Ueberlieferung gleichsam geweihten Steine sicherlich schon
längst von den Pilgern zerbrochen, fortgeschleppt, gestohlen
worden wären, wenn man sie nicht geschützt und der frommen
Habgier entzogen hätte. Anfangs hatte man doch drei Löcher
in den Marmor des unechten Grabes gebohrt, damit ein
Blick auf das echte möglich sei; aber diese Löcher waren von
Pilgern benutzt worden, um mit Zangen Stücke vom Grab-
mal abzubrechen und mitzunehmen.
Nachher ließ ich mich zur Schädelstätte führen,
wurde dahei nach dem Salbungsstein und dem türkischen
Diwan zurückgeleitet, und mußte dann das Gesicht nach der
Eingangsthür wenden; jetzt lag mir der Kalvarienberg
zur Linken. Erbesteht, seltsam genug, ans einem Erdgeschoß
und einem Stockwerke darüber. Der Ueberlieferung zufolge
war er allerdings nicht hoch, muß aber doch eine angemessene
Breite gehabt haben. Nun hat man ihn in Trümmer zer-
schlagen und nur den höchsten Theil verschont gelassen.
Im Erdgeschoß zeigte man mir zwei kleine Säle. Der
eine wird als Adamskapelle bezeichnet; der andere bildet
eine kleine Sakristei mit einem Magazin. Auf ganz modernen
Treppen gelangt man in's Obergeschoß, das in zwei Ab-
theilungen gesondert ist. Die eine gehört den Griechen, die
andere den Lateinern. Im Hintergrund ist eine Erhöhung,
der höchste Punkt von Golgatha, aber man sieht auch
dort fast weiter nichts als Marmor! Da, wo sich einst das
Kreuz erhob, steht ein Altar; nur einen geringen Theil des
Felsens hat man unbekleidet gelassen und in diesem sieht
man einen mehr als sechs Fuß langen Riß, der von dem
Erdbeben herrühren soll, dessen im Evangelium erwähnt
wird. Da zerriß, sagt die Schrift, der Vorhang des
Tempels von oben bis unten, die Erde erbebte, die Felsen
barsten und die Gräber öffneten sich.
Doch wir wenden uns zu den Feierlichkeiten der
Osterwoche. Am Sonnabend vor Palmsonntag halten
die verschiedenen christlichen Gemeinschaften, jede abgeson-
dert, die Patriarchen voran, den feierlichen Einzug in die
Kirche des Heiligen Grabes, und das bezeichnet man als
die Besitznahme der heiligen Stätten. Einem alten
Brauche zufolge eröffnen die Lateiner den Zug, welcher von
der Wohnung des italienischen Patriarchen ausgeht, und
drei türkische Polizeidiener, Kawassen, schreiten voran.
In der Kirche küssen die Pilger zuerst den Stein der
Salbung; nachher geht der Patriarch allein in das Heilige-
grab-Monument und betet dort. Dann folgt man ihm zur
Kapelle der Auferstehung, wo er seinen Ring auf Lippen
und Stirn aller Pilger drückt. Das Alles bildet aber nur
Die Osterwoche in Jerusalem.
39
ein Vorspiel zu der eigentlichen Ceremonie. Die türkischen
Soldaten marschiren in die Kirche ein und setzen Gewehr
beim Fuß,^ daß das Pflaster dröhnt. Ich gehe auf eine
Galerie, die uns Lateinern gehört, denn unten strömen die
Griechen ein.
Ihr Patriarch ist ein kleiner Greis von achtungge-
bietendem Aussehen und angethan mit sehr reichem Gewand.
In der einen Hand hat er ein von Diamanten flimmerndes
Kreuz und theilt mit demselben den Segen aus. Die vor
ihm einherschreitenden Popen tragen hohe schwarze Mützen
und rothe, weiße oder aus golddurchwirktem Stofs verfer-
tigte Röcke. Sie bieten den Andächtigen in Sammt präch-
tig eingebundene, mit Gold verzierte Evangelienbücher dar.
Alle Glocken ertönen, man schlägt mit Hämmern auf hölzerne
Stangen, und die gesammte Geistlichkeit singt Lieder im
Klageton. Daneben schwirren und tosen allerlei Stimmen
durcheinander und auch an Kindergeschrei ist kein Mangel.
Die ganze Kirche ist mit Weihrauchwolken erfüllt.
Zahlreich sind die Fahnen mit Heiligenbildern. Und
nun kommt ein Greis in schwarzen: Talar und goldener
Mütze, inmitten von vier Fackelträgern und Diakonen, welche
Rauchfässer in der einen Hand schwenken und in der andern
Hand Reliefbilder einer gothischen Kirche halten. Jener Greis
ist der armenische Patriarch.
Gleich darauf erscheinen die Kopten, ägyptische Chri-
sten, in weißen Kleidern. Sie haben sich aus einigen Bret-
tern einen armseligen kleinen Altar zusammengezimmert und
denselben, der Eingangsthür gegenüber, an die äußere Wand
des Heiligen Grabes gestellt. Unter ihnen befinden sich
auch die Christen aus Nubien in weißen Mänteln und
schwarze abessinische Christen mit Turbanen. Ihre Gesänge
sind von ganz seltsamer Art und zur Begleitung der Stiin-
nwn schlagen sie auf kupferne Becken.
Das ganze Schauspiel hat etwas „Unglaubliches" und
unglaublich ist auch der Eindruck. Am Ende flimmert Einem
Alles durcheinander, die Ohren sind betäubt, man glaubt
sich in den babylonischen Thurm versetzt. Ich eilte hinaus,
drängte mich durch die Menge und war glücklich, als ich
wieder frische Luft athmen konnte.
Der Palmsonntag war da. Einst zogen am frühen
Morgen die lateinischen Mönche nach dem kleinen Flecken
Bethphage, wo Christus oft in Gemeinschaft seiner Jünger
die Nacht über verweilte. Der Superior der Franciskaner
bestieg einen mit prächtigen: Teppich überdeckten Esel, zwei
angesehene scrusalemitische Katholiken hielten den Zaum;
Mönche und Volk zogen singend hinterher aus dem mit
Blumen und allerlei Grün bestreuten Wege. Am Thore
schloß sich eine große Menge an und Alle riefen ununter-
brochen ein lautes Hosiannah! Diese Feierlichkeit ist gegen-
wärtig ab geschasst worden.
Die Lateiner hören in den ersten Früh stunden die Messe,
um sobald als möglich den zahlreicheren Griechen Platz zu
machen. Unter der Kuppel vor dem Heiligen Grabe stand
ein reich geschmückter und glänzend erleuchteter Altar, und
zur Seile desselben ein für den lateinischen Patriarchen be-
stimmtes, mit einem Thronhimmel überdecktes Gerüst. Das
Marmorgrab war mit Palmzweigen hoch überdeckt; diese
l>nv vorher vom Patriarchen in der Leichenkammer geweiht
worden. Zumeist kommen diese Palmen aus der Gegend
von Gaza; die höheren Geistlichen und auch manche Laien
Nagen dergleichen, aber mit Blumen und einer dreifachen
.st: one geschmückt. Der Patriarch sitzt unter seinem Thron-
ymmel und theilt sie an die Lateiner aus, welche sich vor
:)Nl vernelgen. Er erinnert sie daran, daß die Taube aus
es Arche Noah eilten Oelzweig gebracht habe. Dann
t:agt man die Palmen in Procession um das Heilige Grab
und bis zum Steine der Salbung und geht nachher in die
Maria-Magdalenenkirche, um eine Messe zu hören.
Aber die Lateiner müssen sich sputen, denn schon drängt
in wildem Gewoge die Flut der „Schismatiker" heran.
Unter der Kuppel brennen unzählige Wachskerzen; dasselbe
ist der Fall im Schisse der Kirche, auf welches die Griechen
ausschließlich Anspruch haben. Neben dem Altar steht eine
von einem Marmorkreis umgebene Säule; die Griechen be-
haupten, daß sie sich aufdemNabel, aufdemMittel-
punkte der Erde erhebe. Bald ist die ganze Kirche von
singenden Menschen gefüllt.
Diesmal kam bei der Austheilung der Palmen Mord
und Todtschlag ausnahmsweise nicht vor; durchgängig sind
Ruhe und Ordnung dabei sehr selten. Im Jahre 1831 be-
fürchteten viele „orthodoxe" Christen (orthodox glauben aber
Alle zu sein), namentlich die Bethlehemiten, daß sie bei der
Palmenaustheilung zu kurz kommen würden, und stürmten
wild gegen das Heilige Grab an. Dazwischen drängten
sich Muselmänner, die auch ihren Antheil haben wollten;
darüber kam es zu einer fürchterlichen Prügelei. Der
Priester flüchtete sich in's Gemach des Heiligen Grabes
und schloß die Thür hinter sich zu; die türkischen Soldaten
sahen sich veranlaßt, in ihrer Weise zu Gunsten der Ord-
nung einzuschreiten, und so fiel ein wahrer Hagelsturm von
Stock- und Karbatschenhieben in die Menge der Christen
hinein. Als ich dort war, ging es in der Kirche selbst leid-
lich anständig zu, aber draußen vor der Thür sielen desto
mehr türkische Prügel ans Kopf und Schultern der Ortho-
doxen, und ich habe in meinem ganzen Leben nie eine so
ungeheure Menge von Hieben austheilen sehen, als in der
heiligen Woche zu Jerusalem. Wohlverstanden: die Türken
allein theilen die Prügel aus, und die Christen allein nehmen
dieses Geschenk in Empfang.
Im Jahre 1834 wurden etwa zweihundert Christen
in der Grabeskirche zu Tode gequetscht und mehr als ein-
hundert starben in den nächsten Tagen an ihren Wunden.
Ohne abscheulichen Skandal geht es in der Osterwoche nie ab.
Von: Sonntag bis zum Dienstag Abend begiebt sich
nichts Absonderliches in der Grabeskirche. Am Mittwoch
ziehen die Pilger in aller Frühe nach dem Berge Zion.
Dort ist ein Santo::, ein mohammedanischer Heiliger,
Hüter des Saales, wo, der Tradition zufolge, der heilige
Geist sich auf die Apostel herabließ und wo David die
Bnndeslade aufstellte. Nachher zieht inan in's Thal Jo-
saphat und besucht die Stätten, an welche biblische Erinne-
rungen sich knüpfen.
Um drei Uhr Nachmittags treffen die Züge wieder in
der Grabkirche ein. Die Mönche sitzen auf Pulten, welche
in Reihen vor der Pforte zum Grab aufgestellt sind, und
singen Stellen aus Jeremias und David. Nachdem mit
leiser Stimme eine Art von Predigt gesprochen worden ist,
pauken die Mönche auf ihre Bücher, auf die Pulte und auf
die Bänke. Gleichzeitig machten katholische Kinder einen
Heidenlärm mit Castagnetten, und der Skandal wurde so
arg, daß die türkischen Soldaten sich einmischten und die
ganze tobende Gesellschaft von: Grabe hinwegprügelten.
Die liebe Jugend zog dann in: christlichen Stadtviertel um-
her und brachte den reicheren Katholiken ein Ständchen mit
Geschrei und Castagnettengeklapper.
Der Gr ünd o n n er ft a g kann als ein privilegirter Tag
; für die den: römischen Stuhl anhängigen Christen betrachtet
werden, denn sie haben an ihm die Grabkirche bis zum Char-
freitag Mittag ganz allein für sich. Doch drängen sich nicht
! selten auch Schismatiker ein.
In: Vorhose steht ein von den Griechen errichteter
Altar; denn da sie setzt nicht in die Kirche, hinein dürfen.
40
Die Osterwoche in Jerusalem.
so beten sie draußen. Schon vor acht Uhr früh sieht man
ein gewaltiges-Gedränge von Griechen. Armeniern, Maro-
niten, Kopten und anderen Nichtkatholiken; es wimmelt von
Menschen in den benachbarten Gassen und auf den Dächern;
Alles murmelt Gebete. Diese Scene macht einen tiefen
Eindruck, der durch Nichts gestört wird.
Meinem türkischen Kawaß, welcher mir nun einen Weg
durch das Gewühl bahnte, verdanke ich, daß ich bis in die
Kirche gelangte. Wie ganz anders sieht es heute dort ans!
Alles ist ruhig und in dem großen Gebäude fühlen wir
Handvoll Lateiner uns fast vereinsamt. Das Abendmahl
wird ausgetheilt; die Procession geht um das Heilige Grab,
zum Steine der Salbung und nachher theilt der Patriarch
Diese unzählige Menge von armen Wallfahrern war nun in
der Grabkirche erschienen, aber wie? Jede Familie bringt
allerlei Hansrath und Küchengeschirr mit, denn sie will
vier und zwanzig Stunden dort bleiben, um am Sonnabend
das Hervordringen des heiligen Feuers zu sehen. Die
Weiber schleppen auf dem einen Arm ein Kind, auf dem
andern Töpfe oder Oliven und Brot, und in einem Korb
auch Buttermilch.
Jeder möchte den besten Platz erringen. Glücklich
preisen sich jene, welche ihr Bett am Heiligen Grab ans-
breiten können; andere bereiten es am Fuß der Säulen,
andere anderwärts, und kaum bleibt ein wenig Raum zum
Gehen. Der Raum unter der Kuppel füllt sich sehr rasch.
Griechische Pilger baden im Jordan.
den Segen aus. Um zwei Uhr wäscht ein Geistlicher zwölf
Pilgern verschiedener Nationen die Füße, welche er küßt und
bekreuzigt. Manche Wallfahrer bleiben während der Nacht
in der Grabkirche. Dasselbe geschieht bekanntlich auch bei
den Mohammedanern in der Moschee zu Mekka.
Nun ist Charfreitag da. Die Frühmesse wird auf
dem Kalvarienberge gelesen, und die Lateiner haben, wie
schon bemerkt, ein Recht, bis Mittag allein die Grabkirche
zu behaupten. Ich stand aus einer Galerie und sah, was
sich unten begab. Die Schwärme der Griechen zogen heran
und binnen einer halben Stunde war der ganze Tempel in
eine Gastwirthschaft umgewandelt. Ich gewahrte ein
Schauspiel, das ich nie für möglich gehalten hätte.
Für die Griechen besteht das große Interesse an der
Charwoche weniger darin, sich an Christi Tod zu erinnern,
als das heilige Feuer vom Himmel zu erhalteu.
nach und nach werden die übrigen Räume in Besitz genom-
men. An der äußern Wand des griechischen Chors sieht man
in der Mauer selber, etwa zehn Fuß über dem Boden, große
Schränke angebracht. Die Flügelthüren sind geöffnet, und
in den Schränken sitzen, auf den Brettern der einzelnen Ge-
fächer, Frauen in großer Anzahl; sie haben sich zusammen-
gekauert und erinnern lebhaft an die Götzenbilder in indischen
Tempeln. Viele Männer suchen Plätze an den Säulen-
vorsprüngen, am Karnieß, aus kleinen Gerüsten. Unken ist
ein unablässiges Gehen und Kommen; es wird gegessen, ge-
raucht, getrunken. Die türkische Polizei mengt sich nicht ein;
sie thut weiter nichts, als daß sie Jeden, der in die Kirche
hineingeht, nach Waffen durchsucht und was sie davon findet,
in Verwahr nimmt.
Während die Griechen sich in der Grabkirche dergestalt
häuslich eingerichtet haben, beten die Lateiner an den ver-
Die Osterwoche in Jerusalem.
41
Globus IV. Nr. 2
Tas Innere der Grabkirche in Jerusalem. Austheilung des heiligen Feuers.
6
42
Die Osterwoche in Jerusalem.
schiedenen Stationen des Marterweges und kommen erst
Abends in die Kirche, um eine Procession mitznmachen und
einer dramatischen Vorstellung beizuwohnen.
Um sechs Uhr nämlich ziehen die „Väter des heiligen
Landes" aus der Kapelle der heiligen Jungsrau. Sie tragen
ein großes Kreuz, und an demselben befindet sich eine Re-
liefpuppe in Menschengröße. Sie soll Jesus Christus dar-
stellen; Kopf, Arme und Beine sind biegsam.
Hinter beit Vätern gehen Gläubige mit Fackeln, singen
abwechselnd ein Stabat und ein Miserere und halten bei
den verschiedenen Stationen an, zuerst bei jener derKleider-
vertheilung, dann bei mehreru anderen, endlich bei der
Schädelstätte. Dort zeigt ein Priester jenes Kreuz vor und
erzählt, was Jesus auf Golgatha gelitten habe. Einige
andere Priester heben nun die Puppe in die Höhe und
nageln sie an ein anderes Kreuz. Inzwischen fährt der
erste Priester in seiner Erzählung fort, und die versammelten
Andächtigen schreien, weinen, schluchzen; in der Kirche selber
dauert inzwischen der Tumult fort. Das währt so eine Weile.
Daun tritt ein Mönch an's Kreuz hinan; in der einen Hand
hält er einen Hammer, in der andern eine Zange. Mit
dieser letztern reißt er die Dornenkrone vom Kopfe der Puppe,
welcher, weil biegsam, sich neigt; nachher zieht er die Nägel
aus den Händen und die Arme sinken herab; ein Gleiches
geschieht mit den Nägeln an den Füßen und dann wird die
Puppe von anderen Mönchen in leinenen Binden aufge-
fangen. Die Menge kniet nieder und betet, der Zug setzt
sich wieder in Bewegung und geleitet die Puppe nach dem
Steine der Salbung, wo das Drama feinen Fortgang
nimmt. Auf dem rothen Marmor ist ein weißes Laken aus-
gebreitet, an den vier Enden stehen Becken mit wohlriechenden
Essenzen. Ein Priester besprengt damit die in ein Schweiß-
tuch gewickelte Puppe, verhrennt Weihrauch und spricht die
darauf bezüglichen Worte aus dem Evangelium. Das
Ganze schließt mit vielem Wehklagen am Heiligen Grabe,
ans dessen Marmor die Puppe niedergelegt wird.
Inzwischen sind die Griechen in Erwartung des heiligen
Feuers; der Sonnabend ist gekommen und für einen La-
teiner ist es nun keine leichte Aufgabe, in die Grabkirche
einzudringen. Die Thüren sind geschlossen; jeder Gläubige
hält ein Bündel Wachskerzen in der Hand. Eine Doppel-
reihe türkischer Soldaten will einen Weg offen halten, wird
aber oft durchbrochen und theilt mit Stöcken, Karbatschen
und Haubayonnetten Schläge aus. Nachdem wir eine Stunde
gewartet haben, geht die Thür auf und das Gedränge wird
entsetzlich, weil Aus- und Eingehende sich begegnen. Doch
die Kawassen des französischen Konsuls schaffen mit ihren
Knütteln Rath; sie schlagen nach rechts und nach links und
können solchergestalt den Durchzug erzwingen. Die Lateiner
gelangen endlich ans die Hälfte der Galerie, welche ihnen
gehört und können fortan Alles, was sich begiebt, in voller
Gemächlichkeit mit ansehen.
Unter der Kuppel ist ein Gewimmel von Griechen,
Armeniern, Kopten, Abessiniern, Negern und Indern, von
Menschen aller Farben. Manche sind lediglich mit Hemd
und Halbhosen bekleidet und barfuß, Jeder will einen guten
Platz erhalten und einige kecke Araber haben Gürtel und
Turban benutzt, um daraus ein Schwungseil zu verfertigen,
das an den Säulenkapitälen befestigt worden ist. So hängen
sie gleichsam in der Luft, aber sie haben doch ihren Platz.
Um zwei Uhr erscheint der Pascha, denn er wohnt
allemal der Ceremonie bei. Sie beginnt, nachdem dieser
Mohammedaner Platz genommen hat. Die Griechen und
Armenier stimmen ihre näselnden Gesänge an; ihre Geist-
lichen ziehen mit entfalteten Bannern heran und gehen zwei-
mal um das Heilige Grab. Der griechische Bischof, der
als Feuerbischof bezeichnet wird, geht allein in die Grabes-
kammer, nachdem er allen Schmuck kirchlicher Würde abge-
than hat. Die Gläubigen sagen, er behalte nur ein dünnes,
weißes Gewand auf dem Leibe, weil er sonst die Glut des
himmlischen Feuers nicht anshalten könne. Uebrigens nimmt
er zwei, natürlich nicht brennende, Fackeln mit.
Nach einem Weilchen erscheint das heilige Feuer; es
quillt hervor aus zwei länglich-runden Oesfnnngen in der
Mauer an den Seitenwänden der Engelskapelle. Das
Feuerloch zur Linken ist für die Armenier, das zur rechten
für die Griechen. Ein Mann rennt heran, hält sich aber
dabei gebückt, zündet am heiligen Feuer eine Fackel an, legt
sie auf dem Altäre der Armenier nieder, und so erhalten
seine Glaubensgenossen die heilige Glut; auch die Syrer
und Kopten bekommen etwas ab, und bald ist es auch aus
den oberen Galerien. Dabei schreit die versammelte Menge
und die Glocken werden geläutet. Diesmal hatten die Ar-
menier den ersten Funken, die Griechen bekamen ihn ein
paar Sekunden später, weil sie zu hastig waren. Ihre
Fackel hatte zwar am ovalen Loche Feuer gefaßt, erlosch
aber zweimal.
Nun kam der Bischof wieder zum Vorschein. Sein
Blick war starr, das Gesicht bleich; bekleidet war er nur mit
einem Hemd und in jeder Hand hielt er eine brennende Fackel.
Jeder Gläubige, welcher im Besitze des himmlischen Feuers
ist, fährt damit über alle Theile des Körpers, um sich zu
reinigen. Dazu eben dienen die obenerwähnten Wachskerzen.
Die Männer fahren damit zunächst über Bart, Hals und
Brust und behaupten, es thue nicht weh; die Weiber sind
noch viel eifriger; sie erschienen unserm katholischen Ge-
währsmanne wie Bacchantinnen; überhaupt machte das
Ganze auf ihn den Eindruck, als ob er bei einem heid-
nischen Saturnalienfeste zugegen gewesen sei. Die Lateiner
glauben nicht an dieses himmlische Feuer, die Türken natür-
lich ebenso wenig.
Im Jahre 1825 siel es dem Pascha von Damaskus
ein, sich zu überzeugen, welche Bewandtniß es denn eigent-
lich mit diesem himmlischen Feuer habe. Er drang daraus,
mit dem griechischen Patriarchen eingeschlossen zu werden,
der an allen Gliedern zitterte und Alles aufbot, sein Ge-
heimniß vor dem Muselmanne zu bewahren. Aber der Pascha
war unbarmherzig. Der Patriarch machte kein Feuer. Nach
einer Weile begann die Menge zu toben, sie verlangte das
himmlische Feuer. Da warf sich der Patriarch dem Pascha
zu Füßen und gestand ein, daß er das Feuer mache und
sich dazu des Stahles, Feuersteins und Schwefels bediene.
Zündhölzchen gab es in jener Zeit noch nicht. Der Mo-
hammedaner wurde grimmig, sprach von nichtswürdiger
Betrügerei, fing aber an zu lachen und beruhigte sich, als
ihm der Patriarch sagte: „Wenn wir dieses heilige Feuer
nicht mehr verfertigen, dann werden die griechischen Pilger
ausbleiben; dann bekommen wir beide kein Geld mehr und
wovon soll Jerusalem leben?" Das leuchtete dem Türken
ein, der Patriarch schlug Feuer an und die Gläubigen waren
beruhigt. Der Pascha hat aber keinen reinen Mund ge-
halten.
Am Ostersonntage kommen nur wenige Griechen
in die Grabkirche, aber alle Lateiner stellen sich ein. Schon
um Mitternacht beginnt die Andacht und dauert bis zum
Mittage. Man wirft Palmzweige aus das Heilige Grab
und nimmt sie wieder, nachdem der Segen darüber gesprochen
worden ist.
Die Griechen zerstreuen sich in der Stadt umher, manche
gehen auch ms Thal Josaphat oder pilgern nach dem Jordan;
aber für sie ist die Hauptsache vorüber, sobald sie ihr heiliges
Feuer haben. Bevor sie abziehen, kaufen sie von den Geist-
Sagen in der bayerischen Oberpfalz.
43
lichen ein Zengniß, zmn Beweis, daß sie während der Oster-
zeit in Jerusalem waren; manche lassen sich auch auf Arm
oder Brust Figuren des Kreuzes, der Lanze und die Namens-
züge von Jesus und Maria einätzen.
Die griechischen Pilger, welche den Jordan besuchen,
baden im Strom an der Stelle, wo, der Tradition zufolge,
Christus von Johannes getauft wurde. Derselbe liegt etwa
drei Wegstunden vom Todten Meer entfernt, und der Jordan
ist dort breiter als der Main bei seiner Mündung in den
Rhein. Wer senen Punkt sieht, erhebt ein Freudengeschrei,
die Pilger werfen die Kleider ab und rennen mit solcher Hast
in die Flut, daß nicht selten Manche dem Ertrinken nahe
sind. Zuerst tauchen sie dreimal unter und machen daber
das Zeichen des Kreuzes. Dann trinken sie, nicht um den
Durst zu löschen, sondern um sich innerlich zu reinigen.
Später stellen sie sich um einen Priester herum, der ihnen
Wasser über den Kopf gießt. Biele tauchen ein Stück weißer
Leinwand in den Jordan; es dient ihnen zum Bahrtuchs,
in welchem sie sich begraben lassen. Schon in Jerusalem
legen sie es auf das Grabmal und auf die Schädelstätte;
auch berühren sie es mit dem heiligen Feuer.
Nach dem Todten Meere finden keine Wallfahrten
statt; aber ein Besuch dieses „von Gott verlassenen" Sees
ist immerhin der Mühe werth. Alles ist öde, wild, zerrissen
'und macht einen unendlich niederschlagenden Eindruck auf
den Beschauer.
Sagen in der bayerischen Gberpslch.
Das Gebiet der Oberpfalz. — Wodanssagen. — Wald und Bäume. — Der Hoymann. — Woud und Freíd. — Der Wirbelwind. —
Das wilde Gejage. — Die Kaltenegger, Holzhetzer und Holzfräulein. — Donar. — Donnerkeil und Blitzstrahl. — Wetterhexen. —
Männliche Hexen. — Wetter fegen. —
Alle Hochachtung vor König Maximilian von Bayern!
Dieser Fürst bethätigt seine Liebe zu den Wissenschaften in
unermüdlicher Weise und besonders dadurch, daß er groß-
müthig, auf eigene Kosten, gediegene wissenschaftliche Unter-
nehmungen ins Leben ruft, welche dem König, ihren Ver-
fassern und dem ganzen Deutschland zur Zierde gereichen.
Sie alle sind eingegeben von einem vaterländischen Geiste,
und vortrefflich wäre es, wenn in anderen deutschen Landen
ein so preiswürdiges Beispiel eifrige Nachahmung fände.
Und daß König Max die rechten Leute kennt, welche auf
feine Bestrebungen richtig einzngehen wissen, dafür liefert
auch die „Bavaria" einen glänzenden Beweis.
Wir haben die drei Bände dieser „Bavaria. Landes-
und Volkskunde des Königreichs Bayern, bear-
beitet von einem Kreise bayerischer Gelehrten."
München 1860 ff., mit wahrer Freude dnrchgesehen, und
können uns das Vergnügen nicht versagen, die Leser des
Globus niit dieser vortrefflichen Arbeit, die in der That als
das Muster einer Landes- und Völkerkunde dastehl, näher
bekannt zu machen. Wir werden mehrfach Gelegenheit
finden, Plan und Ausführung zu erwähnen; heute geben
wir, gleichsam als Vorläufer, einige Mittheilungen über
eine deutsche Gegend, welche früher nicht nach Gebühr be-
achtet worden ist, die wir aber nun in allen ihren Be-
ziehungen aus der Bavaria gründlich kennen lernen und
lieb gewinnen.
Wir meinen die Oberpfalz mit Regens bürg,
tiitet eUt »°m Whmawalde. d-n WM™,f bayml-
SSi.lt«, tc« ftänlisch-n Im- m» ** F'ch«-ig-b>rg^
Wloiiene« Slick Land, welches von tev mtic
mündenden Nab dnrchströmt wird. Der Wafserlaus
der Oberpfalz deutet auf den Uebcrgaug des südlichen «
mittler« Deutschland. Die bedeutendsten Gewässer. Re!
Nab und Altmühl, strömen zur Donau, aber die Ostgn
der Oberpfalz greift in das Quellengebiet einiger Zufl
des Rheingebiets, und im Norden entspringt die Wond
ein Nebenfluß der Egcr, also der Elbe.
Der Flächeninhalt beträgt 17 5,22 Quadratmei
unter den 30 Städten sind Regensburg, Amberg, Neum
und S>l'0bu4x hie tAehonto«v.CL— ‘ ~
.... ^yrnvourg, AMoerg, tnem
und Sulzbach die bedeutendsten; die Zahl der Einw>
belief sich, 7058 Militärbevölkerung eingerechnet, im (
1858 auf 479,341 Seelen, in 119,144 Familien. Es ist
ein kerniger, derber Volksschlag, welcher in der Oberpfalz
wohnt, von der Uebercivilisation noch wenig berührt. Von
seinem Leben und Treiben hat Eduard Fentsch vortreffliche
Schilderungen entworfen, welche der Bavaria zur Zierde
gereichen. Er stellt Haus und Wohnung dar, die Volks-
trachten, die Mundarten, Sagen und Volkssitte gründlich
und mit Liebe zur Sache. Er trägt redlich dazu bei, das
Flußgebiet von Regen und Wondreb, Nab und Vils zu
„erhöhten Ehren" zu bringen, und lohnenden Gewinn brach-
ten namentlich seine „Schürfversuche auf dem bisher un-
aufgeschlossenen Felde volksthümlicher Sitte und Sage".
! Allerdings überrascht die zu Tage geförderte Reichhaltigkeit
der Ausbeute, ihre Ursprünglichkeit und Eigenthümlichkeit.
Die oberpfälzische Sage weist unverkennbar auf altger-
ma nischen Mythos hin (nur hin und wieder gemahnt
ein eigenthümlicher Brauch, ein Gewandstück, ein Orts-
oder Familienname an uralte slawische Siedelung) und
Fentsch liefert dafür die bündigsten Beweise.
Wir beginnen mit Wuotan, Wotan, dem allmäch-
tigen, alldurchdringenden Wesen. Seine geweihte Stätte
ist der Wald, sein heiliges Thier der Schimmel; er ist
kenntlich an seinem breiten Hute. Wodan offenbart sich
im Wind, und fährt — begleitet von den Wallyren —
! im Sturme daher.
Allenthalben in der oberpfälzischen Sage begegnen
wir den Spuren des heidnischen Gottes. Der Wald gilt
noch heutzutage als geweihte Stätte. An seinen Bäumen
werden die Martertäfelchen und Heiligenbilder aufgehangen
und die Todtenbretter, sonst gewöhnlich an die Feldraine
hingepflanzt, finden in der Oberpfalz häufig ihren Platz
am Waldsaum oder im Schatten eines wilden Birn-
baums am Felde.
Die Bäume des Waldes stehen in hoher Verehrung;
„sie reden mit einander", sagt der Oberpfälzer, wenn
der Wind durch's Geäste weht, — sie haben ein geheimniß-
volles Leben.
In der Gegend von Neuenhammer bitten die Holz-
arbeiter einen schönen, gesunden Baum förmlich um Ver-
j zeihung, wenn sie die Axt an seinen Stamm legen. Der
eigentliche Frevel am Baume, der absichtslos und mit
6*
44
Sagen in der bayerischen Oberpfalz.
„ruchbarer" Hand verübte, ist deshalb auch in der Oberpfalz
ein sehr geringer. Herr und Hüter des Waldes ist der
Hoyman (Hohmann, schwäb. Hojema, von Hay----Hag,
eingehegter Wald). Vom Haymann erzählten die Märchen
in der ganzen Oberpfalz. Er ist gewaltig groß, trägt einen
Scheibenhut und hat statt des Haares und Bartes Moos
und Baumslechte. In den Wäldern wandelt er umher,
schwebt über den Gipfeln der Bäume oder reitet auf einem
weißen Rosse. Selten verläßt er den Hag, und es ist
etwas Ungewöhnliches, daß er — wie z. B. in Rotz am Aller-
seelentage— sein Revier überschreitet und bis an das Weich-
bild des Städtchens geht. — Sein Ruf ist: „Hop, hop!"'
und der tont wie eine Klage, weil sein Reich zu Ende
gegangen.
Diese Züge lassen eine auffallende Aehnlichkeit mit
Wodan nicht mißkennen. Die Oberpfalz hat selbst das Ge-
dächtniß an seinen Namen nicht verloren. Schönwerth
(—Verfasser der Sitten und Sagen ans der Oberpfalz—)
berichtet von einer höchst merkwürdigen Sage, die um Neuen-
hammer an der Pfreimt erzählt wird.
Sie spricht von einem mächtigen, der Zauberei kundigen
König, Namens Woud und seiner Gemahlin Freid, welch
letztere sich, um ihren Gatten zu fesseln, einen kunstreichen
Halsgürtel von den Zwergen schmieden ließ, der für jenen,
welcher ihn trug, die Gewalt hatte, alle Herzen zu bezaubern.
Doch mußte sie sich den Zwergen zum Lohn ergeben. Als
dies Woud erfuhr, nahm er ihr heimlich bei der Nacht das
Geschmeide und verließ sie. Jahrelang eilte nun die Un-
glückliche ihrem flüchtigen geliebten Gatten nach, und die
Thränen, welche sie Abends, nach fruchtlosem Suchen,
weinte, wurden zu Perlen. Endlich, als die Zeit um war,
fand sie ihn und zeigte ihm die Perlen, die sie um ihn ge-
weint. Es waren ihrer gerade so viel als Sternchen am
Halsgeschmeide. Da wurde er erweicht, gab ihr den Schmuck
zurück und nahm sie wieder auf. — Das Märchen giebt in
überraschender Weise die Erzählung der Edda von Odhin
und Frehja und dem Halsbande Brisingamen wieder.
Die Bezeichnung: Woud, Woudl kommt auch noch ander-
weit vor.
Bei den meisten jener wunderlich geformten Felsblöcke,
die in den Sagen über den Tenfelsspnk eine Rolle spielen,
geht auch der „Woudl" oder „Wouzl" um. Wnotan
identificirt sich hier mit dem bösen Feinde. Häufig reitet
er ans einem grauen Schimmel. Der Woudl und sein
Pferd haben keinen Kops. Im oberpfälzischen Juragebiete
schreckt man die weinenden Kinder mit den Worten: „Sei
still, der Wouzl kommt!" Um Königstein lautet ein altes
Wiegenlied:
Schweig stilla g'schwmd
Ma loibes Kind!
Da Wouzl kummt
lind nimmt da mit.
Schweig stilla geschwind
Und halt da Mänl,
Er is schon drauß'n
Mit send Gaul!
Dan, dan, dau, dau!
Wnotan hat die Herrschaft über den Wind. In der
Oberpfalz bringt man dem Winde noch eine Art Opfer. Um
Neukirchen und Etzelwang heißt es: „Dem Winde soll man
drei Händlein voll Mehl hinausstreuen und dabei sprechen:
Wind oder Windin,
Hier geh' ich dir das Deine,
Laß du mir das Meine!
wieder heißt dort: „Sändreck". Man sagt: „Der Säudreck
jagt!" Dieselbe Bezeichnung gebraucht man aber zugleich
fast in der ganzen Oberpsalz für den bösen Feind, und so
berühren sich auch hier wieder der heidnische Gott, der im
Sturmwinde daherbraust und der Teufel. —
Der segensreichste Wind ist jener, welcher in der
heiligen Dreikönigsnacht weht. Dem „Dreikönigswinde"
werden Thüren und Fenster geöffnet, daß er Glück und
Heil ins Haus bringe. — Ehe wir ans die Sage vom
wilden Gejage, die sich füglich hier anreiht, übergehen,
sei noch eine beiläufige Bemerkung eingeschaltet. I. Grimm
erwähnt des eddischen Namens Os ci für Wnotan, d. h. der
die Menschen des Wunsches, der höchsten Gabe theilhaftig
Machende. Die Dichter des 13. Jahrhunderts haben den
Wunsch als ein gewaltiges, schöpferisches Wesen personi-
ficirt.
Auffallend häufig spricht der Oberpfälzer von einer
Zeit, wo alle Wünsche wahr wurden. Das war die
Zeit, wo die Welt noch jung war. Jetzt wird die Welt
alt und der Sonimer kalt. „Es giebt keine Sommer mehr,
nur Sommerle."
Besonders reich sprudelt der Sagenborn vom wilden
Gejage, dem Nachtgjoid, Nachtgload oder Nacht-
geschrei. Nicht nur Ueberliefertes erbt sich fort: es ist
das eines jener Kapitel, welche durch die erfinderische und
gestaltende Phantasie des Volkes fortwährend vermehrt
werden. Dazu regen die Stimmen an, welche des Nachts
im Walde vernommen werden, wenn der Sturm hindurch-
braus't. Namentlich ist es der Wirbelwind, der „Säudreck",
der den Spuk verkündet. Wenn ein Wirbelwind im
Schwarzenberge bei Stadt Eschenbach entsteht, dann sagen
die Leute: „Der Hohmann jagt!" Ihm folgen Hexen,
geisterhafte Thiere, arme Seelen, — das ist das Nacht-
geschrei. Nach einer Sage um Blehstein sind es die Seelen
nngetaufter Kinder, welche das Geleite des Nachtgjoids
bilden.
Die wilde Jagd — heißt es um Trefselstein — ist
der böse Feind, welcher die Verdammten und armen Seelen
jagt und Alles, mitnimmt, was ihm auf der Erde wider-
steht. I Bisweilen jagt der wilde Jäger, der Hopmann,
allein mit seinem Hund im Walde. —
Das gemahnt Alles an Wodan, der einherjagt auf
den Flügeln des Sturmwindes, begleitet von den Einherjar,
den schlecht gefallenen Helden (armen Seelen), und den
Walkyren (Hexen). —
Vor kaum Menschengedenken ging ein Bursche von
Sandsee nach Reisach. Wie er mit Anbruch der Nacht
gegen Kemnaten auf das freie Feld in den sogenannten
Arbergraben kam, hörte er hinter sich ein Getöse wie Katzen-
geschrei. Das wuchs allgemach an, und zuletzt tönten
Hundegebell und die Stimmen aller möglichen Thiere drein,
so daß den Burschen die Angst schüttelte, obwohl er sonst
nicht furchtsam war und anfänglich ruhig aufgehorcht hatte.
Da wehte plötzlich ein scharfer Windstoß vom Boweiher
her, der ihn nach vorn zu Boden warf. Und nun ging's
hart über ihn weg mit Gejohl und Geschrei, mit Hunde-
heulen und Peitschenknallen. Es war das Gejag. Als
es vorüber war, lief er heim, was er konnte, und kam ver-
stört und schweißtriefend an. Des andern Tags mußte
er den Bader holen lassen. Der Windstoß aber, der ihn
auf's Gesicht hingeworfen, hatte ihn gerettet, sonst wäre
er zerrissen worden oder hätte mitjagen müssen. Nur
wenn man am Boden liegt, das Antlitz gegen die *)
Dann reißt er nichts zusammen. Das doppelte Geschlecht
des Windes gemahnt an Frigga. — Der Wirbelwind hin-
*) In der Gegend von Bnchersrent nennen sie die wilde Jagd
das Armesnnderjagen.
Sagen in der bayerischen Oberpfalz.
45
Erde gekehrt, geht das Nachtgjoid schadlos über
Einen weg.
Ein Knecht auf der Oed am Bärenstein, unweit des
Marktes Waldthurn, hörte einmal, da er schon im Dach-
stübel war und just zu Bette gehen wollte, die wilde Jagd
vorbeisausen. Beherzt und furchtlos, wie er war, schaute
er zur Dachluke hinaus und rief dem Gejage spottend nach:
"Hui, hui, mein Thal (Theil) a mit!" Am dritten Tage
lag er am Schrägen. — Zu Zeiten, namentlich in der
Dreikönigsnacht, geht das Gjoid auch im Geierberg bei
Mischlbach und im Eschenbühl bei Sandsee. —
Ein Seiten stück zu der niedersächsischen Sage von
Hans von Hackelberg, dem Oberjägermeister des Herzogs
von Brannschweig, der im Thüringer Walde jagtJ, er-
zählt man sich um Nennburg vor dem Wald. Es war
einmal zur Zeit, da man um der Religion willen Krieg
führte, ein Ritter von Blocksburg, der sich heimlich eine
schöne Försterstochter zur Ehe nahm und darüber verfolgt
wurde. Da verband er sich mit dem bösen Feind und
ward zum Höllenritter. Von ihm leitet sich die wilde Jagd
ab. — Im Allgemeinen heißt es, daß alle Jäger, edle wie
gemeine, welche des Landmanns Saat in wilder Lust ver-
heeren, von diesen verflucht und in Folge dieses Fluches
in das wilde Heer ausgenommen werden. —
Wir wollen hier eine besondere Gattung geisterhafter
Reiter erwähnen, welche um Neustadt unter dem Namen
Kaltenegger bekannt sind. Diese Kaltenegger sind große
Männer mit dreigespitzten Hüten — ein Zeichen des
später» Ursprungs der Sage —, welche in ganzen Schaaren
auf mächtigen Rossen über die Hohlgasse während der
Dämmerung hinsprengen. Sie reiten auf den Wanderer
an, ohne ihn zu beschädigen, und erscheinen insbesondere
als Vorboten des Kriegs. —
Einen wesentlichen Bestandtheil der wilden Jagd
bilden in der Oberpfalz die Holz hetz er. Theilweise über-
nehmen sie für sich allein die Rolle des Hopmanns und
seines Gefolges. Im Marcheneper Holze bei Bärnau ist
ein Stein, an welchem sie Zusammenkommen, ehe sie auf das
Hetzen ausgehen. Sie haben ihren Namen von der Hetz-
jagd, welche sie auf die armen Holzfräulein anstellen. Wir
flechten hier — um des Zusammenhangs mit dem Nacht-
gjoid willen — eine Schilderung der Holzfräulein und
ihrer Sippe ein, obwohl sie zu jener Gattung von Mittel-
wesen gehören, wie die Riesen, Zwerge, Schrazeln u. s. w.
Die Holzfräulein (Waldfräulein, Waldweiblein) sind
kleine, kaum drei Fuß hohe Geschöpfe; die Farbe ihres Ge-
sichts und Gewandes ist grau wie Moosrinde; sie spinnen
auch ihr Garn aus dem „Baummies". Sie waschen sich
das Gesicht mit dem Thau, der sich am Morgen in den
Frauenmäntelchen vorfindet; den Leib ziehen sie durch den
Thau der Wiese und trocknen sich mit Wallmoos ab. Sie
leben in der Ehe und bekommen Kinder.
Die Verheiratheten wohnen in hohlen Bäumen. Den
Menschen sind sie nicht ungeneigt; dagegen haben sie an
ben Holzhetzern ihre unerbittlichen Feinde. Von diesen
werden sie rastlos verfolgt und — sobald diese ihrer habhaft
geworden — in der Luft zerrissen. Doch wachsen die
Stücke immer wieder zusammen.
. Einer beim wilden Gjoid frevelte, sind ihm schon
Fletzchstücke von einem zerrissenen Holzfräulein von den
voibeisausenden Holzhetzern in's Haus geworfen worden.
i ic beständige Gefahr, in welcher die Holzfräulein
2, ■ \y®C’lCr' C!m. rwav»e' Jas sein specifisches Gebiet war.
ival Kn ? toon Hamburg soll, der Sage nachdem
leben, macht sie zaghaft und trübselig. Sie führen darum
auch in der Oberpfalz den Namen: „Klagweiblein", „Klag-
mutter". In ihrer Noch wenden sie sich an den Menschen.
Im Holzbühl, einem Schlage bei Breitenstein, kam einst zu
einem Holzhauer ein Waldfräulein und sagte zu ihm: „Lieber
Manu, ich bitte Dich, schlag doch jedesmal drei Kreuze auf
den Stock, so oft Du einen Baum umhaust. Drauf kann
ich sicher ausruhen und die Holzhetzer können mir nicht
an." — Das weiß man in der ganzen Oberpfalz und die
Holzhauer thun auch zumeist danach. Auf solch einem mit
drei eingehauenen Kreuzen versehenen Strunk ist man auch
sicher vor der wilden Jagd.
Die Holzfräulein verkehren mit den Menschen, ver-
richten, wenn sie ihnen geneigt sind, ihre Arbeit und er-
weisen sich überaus dankbar. Derselbe Holzhauer von
Breitenstein brachte dem Holzfräulein, mit dem er oft zu-
sammen kam, einmal ein „Ofenküchel" mit. Es aß einige
Brosamen aus der Mitte, füllte die Lücke mit Sägespänen
aus und gab also das Küchel dem Manne wieder zurück.
Als er es daheim auseinander brach, sielen drei glänzende
Thaler von altem Gepräge heraus. — Wiederum aus der
Breitensteiner Leiten kamen öfter zwei Waldfräulein zu den
Graserinnen und warnten sie mit den Worten: „Sagt eure
Träume nicht nüchtern und backt an keinem Freitage, daun
werdet ihr Glück haben."
Ein eigenthümlicher Zug geht durch alle Märchen,
welche von den Waldweiblein erzählt werden. Sie lassen
sich für die Arbeit, die sie den Menschen zu Liebe verrichten,
nur durch etwas Speise belohnen.
Man bietet ihnen dafür Brot, Kartoffeln, Gemüse,
niemals Fleisch. Um Luhn wirft man die Brosamen und
Speisereste als Opfer für sie in den Ofen. Anderen tat-
sächlichen Dank verschmähen sie nicht nur,, sondern man kann
sie damit geradewegs vertreiben. In Windisch-Eschenbach
war einmal ein Schuster, bei dem allabendlich ein Holz-
fräulein zukehrte. Es putzte und scheuerte das Haus, gleich
einer Magd, und war des andern Morgens verschwunden.
Da wollte ihm der Hausherr seine Dankbarkeit zu erkennen
geben, ließ zu Weihnachten ein neues Nöcklein machen und
legte es für dasselbe bereit. Als dies aber das Holzsräulein
sah, schlug es die Händlein über dem Kopfe zusammen und
jammerte: „Ach Gott, jetzt Hab' ich meinen Lohn!" Drauf
verschwand es und kam nicht wieder.
Zunächst Prühauseu bei Königstein ist ein Berg, heißt
„der silberne Wagen". Den obern Theil nennt man „am
alten Haus", den untern „die routhe Hüll" oder „Rüden-'
hüll". Hier ist eine kleine Steinhöhle, drinnen der Sage
nach ein Waldmännlein und Waldweibleiu haus'ten. Zur
Nachtzeit gingen sie zu ordentlichen, ehrbaren und namentlich
reinlichen Leuten in's Haus und verrichteten ihnen, während
sie schliefen, die Arbeit. Den fleißigen Spinnmädchen
machten sie den Rocken süß; jenen der faulen besudelten sie.
Sie waren nackt und man durste ihnen jedesmal nur ein
paar Bröcklein zu essen hinsetzen, ja aber keine Kleider an-
bieten, sonst verscheuchte man sie. Bei dem letzten Herrn
von Breitenstein diente einst eine brave, fleißige Dirne,
für die sie während der Nacht alle Arbeit verrichteten.
Die übrigen Ehehalten kamen dann auf die Spur und
verriethen es dem Herrn. Da legte dieser Schlingen und
sing auch wirklich das Waldmännlein, das er in ein Keller-
gewölbe einsperrte. Fortan erscholl alle Nächte der klagende
9iuf des Waldfräuleins. Der Herr achtete aber das nicht
und ließ das Männlein verhungern. Als es tobt war, ließ
sich die jammernde Stimme des Waldweibleins wieder ver-
nehmen: „O du schlimmer und grausamer Herr! Ließest
du mein Männlein verhungern, so will ich dir auch den
46
Sagen in der bayerischen Oberpfalz.
Schlehenstein nicht geben. Darum — so soll auch dein
Same aussterben und von deiner Burg kein Stein auf dem
andern bleiben!" Und wie das Zwergweib gesprochen, so
geschah es auch alsbald.
Eine Deutung der Sage von den Holzfränlein mag
schwer gelingen. Vielleicht liegt in ihr eine leise Erinnerung
an verdrängte, unterjochte Völkerschaften, an Slawen und
Wenden, die einem andern Götterdienste huldigten; daher
ihre feindselige Stellung zu Wodan, zu dem Nachtgjoid und
den Holzhetzern. Vielleicht klingt in ihnen die Mythe von
der Freya nach. Sie warnen die Graserinnen vor der Ent-
heiligung des Freitags*), des der Göttin geweihten Tages.
Wie diese bringen sie den Sterblichen Segen. Wer
einen Strang von dem Garne besitzt, welches die Holz-
fräulein aus dem Baummoose spinnen, dem widerfährt
kein Unglück. Das Klagweibel in der Nudenhüll gemahnt
an Freyja, die um ihren Gatten Odhin weint, und an die
spinnende und webende Freyja erinnert ein Gebrauch um
Neuenhammer. Hier läßt man, wenn der Flachs vom Felde
gerauft wird, fünf bis sechs Halme stehen und bindet sie
oben in einen Knoten zusammen für die „Hnlzsral", welche
sich darunter.setzt und Schutz findet. Dort heißt es auch,
daß das Holzsräulein sich in Flachs kleide. —
Donar, altnordisch Thorr, der über Wolken und
Regen gebietende Gott, der sich durch Donner und Wetter-
strahl ankündigt, istrothbärtig, sein Zeichen der Hammer
oder die Axt, sein Baum die Eiche.
In der christlichen Mythe ist das Geschäft, zu donnern,
dem heiligen Petrus übertragen. Wenn es donnert, sagt der
Oberpfälzer, fährt St. Peter Unsere Liebe Frau im Himmel
in einem Wagen spazieren, oder er ergötzt sich am Kegel-
spiel. Petrus aber ist rothbärtig wie der alte Donner-
gott. —
klm Falken stein werden beim Anzug eines Gewitters
unter Anrufung der heiligen Dreifaltigkeit vor dem Stadel
und der Hansthüre drei Kreuze mit einer Axt in den Erd-
boden geschlagen, damit der Blitz nicht zünde. Die Sage
vom Donnerkeil, den der Blitz thurmtief in den Erdboden
hineinschlägt, ist auch hier zu Lande daheim. —
Der Blitzstrahl, heißt es in der Oberpfalz, schlägt
nicht gern in die Eiche; wenn er einschlägt, zündet er nicht.
Die Eichenwälder gehören vorzugsweise zu den „heiligen
Hölzern"; dagegen zieht die Birke das Wetter an. Haben
die Hexen ein Wetter zum Aufstehen gebracht, so kommt es
zuerst in die Birke, um sie zu zerreißen.
So werden wir mannigfach an die Embleme der alten
germanischen Gottheit gemahnt. Vielleicht trägt auch der
Torstein, ein Hügelberg bei Königstein, von ihr den Namen.
Diese Vermuthung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn
man eine in der Umgegend bekannte Sage damit in Ver-
bindung bringt.
Unter dem Felsen des Torsteins soll nämlich vor Zeiten
ein Männlein gehaus't haben, welches hat Gewitter machen
und donnern lassen können.**) Wir können hier füglich eine
*) Der Freitag gehört den „Lausigen", sagt der Oberpfälzer.
Am Freitag ist keine Hochzeit, rühren die Hexen nichts aus, u. a.m.
**) Gegenüber dem Tarstein liegt der Osinger, im Dialekt:
Aosinger. Sein Name erinnert an die Asm. Im Sulzbachschen
gilt die Bezeichnung „du Strahl-Aos", „du dnnnaschlächtigs" für
einen listigen, gewandten, überlegenen Burschen.
Episode vom „Hexenglanben" einschalten; denn nach der
Anschauung des Volkes kommen die Gewitter von den Hexen.
Die Hexen erscheinen also im Dienste Donars. Ein heftiges,
plötzlich ausgehendes Gewitter heißt Hexen wett er. Das
„Wettermachen" ist — neben den sonstigen schlimmen
Einflüssen, welche sie aus die Menschen und namentlich aus
die Hausthiere auszuüben vermögen — das vorzügliche
Kennzeichen der Hexen. Traf Einer einmal eine Dirne,
welche mit einem Pfahl im Brunnen um einander rührte.
Da fragte er sie, was sie denn thue. Die Angeredete
erwiderte: „ Th nt es meine Mutter auch; sie nimmt einen
Stecken und rührt damit im Brunnen hinum und herum,
dann kommt das Wetter!" Da wurden Mutter und
Kind verbrannt. —- Ein andermal fuhr ein Kaufmann von
Neustadt mit seinem Kind in die Stadt. Da kam plötzlich
ein Gewitter, und als sich deshalb der Vater sputete, be-
ruhigte ihn die Tochter. Denn sie könne machen, daß das
Wetter nicht schade; sie habe das von der Frala (Groß-
mutter) gelernt, welche auch die Wetter machen könne. Der
Vater zeigte es an, um die Tochter zu retten. Sie war
aber schon Hexe und ward mit der Großmutter verbrannt.*)
Ausfallender Weise kennt man in der Oberpfalz auch
m ännli ch e Hexen, welche das Wetter machen. Um Henran
heißen sie Druderer. Ein Bauer von Gefrees hatte einen
Buben, der an einem verworfenen Tage, wo der Teufel
vom Himmel siel, geboren war. Beide gingen einmal über
Land; da kamen sie an einen Bach, der über's Kreuz floß.
Der Knabe zog den Strumpf vom rechten Fuß und hing
ihn über den Kreuzfluß. Sogleich erhob sich ein fürchter-
ticher Sturm, der Alles verwüstete.
Hinwieder weiß auch der Volksglaube die Mittel anzu-
geben, womit man der Wetterhexe ankömmt. Beim Läuten
der Wetterglocke oder wenn man ein Gewehr losschießt,
welches mit einer geweihten Kugel und einem Lukaszettel
geladen ist, fallen sie von der Luft herab. Auch der Wetter-
segen, Kolomanisegen, hilft gegen die Wetterhexe. Man
darf aber kein Wort anslassen, sonst hat das Wetter die
Macht, den Betenden zu erschlagen. Es gebricht nicht an
Mitteln, um'überhaupt die Hexen zu erkennen. Wenn man
während der Christmetten mit einem Ei unter der Achsel die
ersten drei Schritte rücklings in die Kirche geht, so kann man
die Hexen erkennen. Man stellt sich also, daß man die ganze
Kirchengemeine übersieht, und nimmt die Eier vor die Augen.
Dann zeichnen sich die Hexen durch einen Schein um den
Kops gleich einem Bnttersiebe vor den klebrigen aus. Der
Schein gemahnt an das leuchtende Rothhaa'r des Donner-
gottes. — Drückt Einen Nachts die Hexe, so muß man
dreimal rufen: „Jn's drei Teufels Namen! Komm morgen
früh nach a Leiha (etwas zu leihen)!" Welche Weibsperson
des andern Morgens zuerst in's Haus tritt, um etwas zu
entlehnen, das ist die Hexe. Oder: Nimm das Grastnch
und schlage über der Thürschwelle die Graszipfel in's drei
Teufels Namen recht wacker durch, so schlägst du die Hexe.
Welches Weib daraus im Dorf oder in der Nachbarschaft
krank wird, das macht sich als Hexe kenntlich, u. a. m.
*) Zum Vertreib en des Wetters sind nach oberpfälzi-
schem Glauben die Zigeuner und namentlich die Juden geeignet.
Diese schneiden einen Laib Brot auseinander, kleben ihn wieder zu-
sammen und schieben ihn mit etlichen geheimen Worten rücklings
in den Ofen. Dann zertheilt sich das Gewitter.
Die Neger in Brasilien.
47
Die lteger in Brasilien.
Von Karl von Koseritz.
II.
Während der langen Jahre, in denen der Sklavenhandel
ziemlich unbehindert getrieben wurde, hat Brasilien Neger aller
Küstenvölker Afrikas bekommen. Die meisten sind von der Nation
Mina. sodann viele ans Congo, Angola, Benguela, Cabinda,
Mosambik re. Die besten Leute stammen aus Congo, Benguela
und Mosambik, sie sind zumeist gutgeartet, fügsam und auch arbeit-
sam, natürlich wenn sie dazu angehalten werden. Die schlimmsten
von allen dagegen sind die Minas, höchst widerspenstige und
unverschämte Leute. Sie befassen sich mit Vergiftungen, treiben
allerlei Zauberkünste und halten wie Kletten zusammen. Dieser
Schlag ist aber physisch und moralisch der interessanteste, und ich
werde denselben gelegentlich eingehend beschreiben und auf Ver-
bältnisse, Religion, Sprache, Lebensweise re. Rücksicht nehmen.
Heute werde ich mich nur mit der allgemeinen Beschreibung des
Lebens der importirten Neger beschäftigen.
Alle diese verschiedenen Völker halten mit einer Zähigkeit zu-
sammen, um welche bessere Nationen sie beneiden können. Sie
leben abgesondert von einander; ein jedes von ihnen hat seine Vor-
stände, zu denen gewöhnlich Leute gewählt werden, welche in der
afrikanischen Heimat zur königlichen Familie gehörten. Die Mit-
glieder der verschiedenen Volkssippen halten, wie bemerkt, ungemein
untereinander zusammen, steuern allwöchentlich zu einer gemein-
samen Kasse bei, mit der sie ihre armen und kranken Brüder unter-
stützen. Alljährlich kaufen sic einen ihrer Angehörigen, der durch
das Looö erwählt wird, frei. Selten oder nie kommt Streit in
derselben Nation vor, desto häufiger jedoch zwischen den ver-
schiedenen Völkerschaften.
Diese unterscheiden sich erstens durch die Sprache, da jede
von ihnen einen andern Dialekt spricht, und durch die verschiedenen
Zeichnungen im Gesicht; denn jede Nation hat ihre besondere
Zeichnung, die in frühester Jugend mit dem Messer in's Fleisch
des Gesichts geschnitten und mit ätzendem Saft ausgebeizt wird.
Solche Narben bilden die seltsamsten Figuren und Verschlingungen.
Andere, z. B. die Congos, legen Samenkörner unter die Haut,
sodaß sie das Gesicht voll kleiner Anhöhen haben; ich habe einen
Congo-Ncger gekannt, der daheim Prinz gewesen war und dessen
Nase einer Treppe glich, der vielen Berge und Thäler wegen, die
auf dem Rücken derselben eingeschnitten waren. Dieser Neger,
Sklav eines Kapitän Caldeira, bei dem ich oft zu Besuch war,
redete mit keinem seiner Nebensklaven und hat nie ein Wort
portugiesisch ausgesprochen, trotzdem er dasselbe recht gut verstand;
er lebte in stolzer Zurückgezogenheit und die andern Neger respek-
tirten ihn wirklich. Seine Hütte war nach Art seines Vaterlandes
gebaut, hatte ein trichterförmiges Strohdach von bedeutender Höhe
und in derselben stand ein unförmiges Götzenbild, welches er ver-
ehrte, ungeachtet daß man ihn mit Gewalt getauft hatte. Bei
alledem war er ein ruhiger, tüchtiger, nüchterner und ordentlicher
Arbeiter, jedenfalls der beste Sklav der ganzen Fazenda.
Eine jede Nation ist stolz auf ihre Eigenschaften und zwischen
allen herrscht die größte Eifersucht. Der Standesunterschied ihres
Vaterlandes wird selbst hier noch beobachtet; in der Stadt Pe-
lotas starb vor zwei Jahren die letzte Königin von Congo,
welche hier stets als solche betrachtet ward und eine absolute Herrschaft
über ihren ganzen Stamm führte; nach ihrem feierlichen Begräb-
nisse wurde von den Sklaven eine neue Königin gewählt, welcher
alle ihre Huldigung darbrachten. Zu den Begräbnissen kommen
gewöhnlich die Leute aller Nationen zusammen und die christlich-
religiösen Feierlichkeiten in der Kirche bilden einen schreienden
Gegensatz zu den lächerlichen Ceremonien der Neger, die unter
fortwährendem Geschrei, Lachen und Springen die Leichenbahre
nach dem Friedhofe tragen. Alle singen, tanzen und lachen, weil
ihre Religion verlangt, daß Alle fröhlich seien, wenn einer von
ihnen gestorben ist. Ueberhaupt verschmilzt in ihren schwachen
Köpfen die christliche Religion, die man ihnen aufgezwungen hat,
ohne daß sie dieselbe verständen und von der sie nur das äußere
Ceremonial fassen, mit ihrem vaterländischen Aberglauben, und
bildet so einen abenteuerlichen Mischmasch, in dem das strahlende
Licht von Golgatha einen Theil der Jrrthümer des Fetischismus
erhellt, ans der andern Seite jedoch wieder von diesem verdeckt wird.
Kein einziger „Neger von Nation" ist wirklich
Christ, denn keiner hat die Lehrsätze der Religion verstanden; sie
alle treiben eine Art christlichen Götzendienst, indem sie unsere
Kreuze und Heiligenbilder wohl nur als eine vervollkommnete
Form ihrer heidnischen Götzenbilder betrachten. Ich hatte noch vor
Kurzem eine alte Negerin gemiethet, die ans Angola gebürtig war,
und jedes Mal, wenn die Glocken läuteten, aufs Knie siel und
betete; wenn ich sie fragte, weshalb sie das thue, antwortete sie,
„daß der Herr vom Himmel spräche und daß man da beten müsse."
Wenn es donnerte, begann sie zu heulen und sagte: „Der Herr vom
Himmel sei ärgerlich." So mischte sie ihren heidnischen Aberglauben
mit den äußeren Ceremonien der christlichen Kirche und war, wie
alle Neger von Nation, auf ihre eigene Art fromm. In einem
folgenden Berichte werde ich über Sprache und Religion dieser
heidnischen Völker Näheres mittheilen.
In Bezug ans Kleidung lieben alle Neger helle, grelle und
schreiende Farben, hauptsächlich rothe Tücher zum Turban, den
sie besonders gern haben. Um den Hals tragen sie eine große Zahl
Kettchen von bunten Glasperlen und um die Arme eine Menge
größere und kleinere Messingringe. Die Kinder werden in einen
Shawl gehüllt und auf dem Rücken festgebunden; die langen,
zungenartig herabhängenden Brüste der Mutter werden über die
Schulter hinabgeschlagen und das Kind aus dem Rücken sangt
daran ganz gemächlich.
Das Geschrei der Negerinnen ist in der That fürchterlich; fünf
oder sechs schwarze Quitandeiras, d. h. Fruchtverkänferinnen,
Marktweiber, machen einen Skandal, daß man sein eigenes Wort
nicht hören kann; alle schreien mit ihren Gutturallauten zu gleicher
Zeit. So sitzen sie lärmend und ihre Pfeifen rauchend, bieten ihre
Waare feil oder tragen dieselbe mit monotonem Ausrufe durch
die Straßen der Stadt. Sie haben viel natürliche Anlagen zum
Handel, und fast alle Quitandeiras verdienen so viel Geld, daß
sie sich gewöhnlich in kurzer Zeit loskaufen können; dann thun sich
gewöhnlich fünf oder sechs zusammen und treiben gemeinschaftlich
Handel.
Eine Negerwohnnng, in welcher eine solche Kompagnie
von Marktweibern wohnt, ist gar wunderlich. Niedrig,, schmutzig
und voller heulender und schreiender Negerinnen, macht sie einen
unangenehmen Eindruck; sie steht aber unter der strengsten polizei-
lichen Aufsicht, denn hier ist es, wo sich alle entlaufene Neger
verstecken, wo alle Diebstähle ihre Hehler finden und wo die be-
rüchtigten Feitiyeira s ihre sogenannten Man ding as und
Quebrantas (Zaubereien) machen, von denen im brasilianischen
Publikum merkwürdige Geschichten cirkuliren und die selbst unter
den gebildeten Brasilianern noch hier und da Glauben finden.
Unter diesen freien Negern und Negerinnen sind viele sehr
wohlhabende, aber keiner von allen weiß einen vernünftigen Ge-
48
Die Neger in Brasilien.
brauch vom Gelbe zu machen; gleich den Kreolen, so behalten auch
die Neger von Nation, selbst wenn sie noch so reich wären, stets die
alten Gewohnheiten, sitzen immer auf der Erde und essen mit den
Fingern; sie gehen auch barfuß oder allerhöchstens in Schlapp-
Pantoffeln; bei Kirchenfesten und Processionen, mit Feuerwerk und
allerlei Firlefanz vergeuden sie viel Geld.
Das höchste Vergnügen, welches der importirte Schwarze
kennt, ist der Candombi, d. h. ein Tanzvergnügen. Am Sonn-
tag Nachmittag versammeln sie sich in großer Anzahl ans einem
beliebigen Platz im Freien; alle tragen ihre besten Kleider, die
grellsten Farben blenden das Auge, das Ohr wird von dem
rasenden Gebrüll der Neger und dem kreischenden Geschrei der
Negerinnen gräßlich gemartert und die Geruchsnerven der
weißen Menschen leiden un-
ter der wirklich abscheulichen,
den Negern eignen Ausdün-
stung dieser flotten Gesell-
schaft. Die Schwarzen bil-
den Kreise, von denen die
B atu cea und andere Neger-
tänze ansgeführt werden;
ringsherum stehen und sitzen
die, welche nicht tanzen, und
unter ihnen sind viele ans
abenteuerliche und geschmack-
lose Weise mit Flittergold,
falschem Hermelin und der-
gleichen Maskentand mehr
anfgeputzt. Die Musik be-
steht aus groben Trommeln,
hohlen Kürbissen, Po rungos
genannt, mit Samensteinen
darin, Stückchen Eisen, welche
gegen einander geschlagen wer-
den, roh gearbeiteten Tam-
burins und anderen schauder-
haften Instrumenten ähnlicher
Art, welche Ohr und Kopf be-
täuben. Ihr Tanz an und
für sich ist durchaus national
und bildet ein Gemisch von
unsinnigen Sprüngen, un-
züchtigen Stellungen und Be-
wegungen. Während die
Einen tanzen, fegen Andere
mit einer Art von Pferde-
schweif den Staub unter deren
Füßen weg. Und so machen sie Musik, tanzen und schreien Stunden
lang und ergötzen sich dabei königlich.
Es ist ein wildes, phantastisches Bild, solch ein Negertanz
oder Candombi, das gewiß den Blick des Fremden fesselt, an dem
wir aber, die wir seit lange an dieses bunte und unvernünftige
Treiben gewöhnt sind, keinen Geschmack finden; denn es wird
einem dabei wüst im Kopf und die Geruchsorgane leiden zu sehr
unter der Catinga (Ausdünstung) dieser schwarzen Teufel, die bei
ihrem Höllenlärm im Schweiße schwimmen.
Im Allgemeinen hat die schwarze Rasse, selbst in ihrer Ver-
vollkommnung bei den Kreolen, nur geringe Knlturfähigkeit
und ans eine höhere geistige Entwickelung derselben ist
wohl unter keinen Umständen zu rechnen. Praktisch in
gewissem Sinne sind alle diese Leute, zur Arbeit wie geboren; sitt-
lich und moralisch werden sie sich jedoch nie hoch heben können.
Dazu paßt nämlich gar nicht ihre ganze Organisation. Diese ist
theilweis viel unvollkommner als jene der kaukasischen Rasse; schon
das geringere Volumen ihres Gehirns und die fabelhafte Dicke
des Negcrschädels giebt in dieser Hinsicht Fingerzeige. Kräftig
und gesund sind fast Alle; manche haben wahre Herkulcsgestalten
und bilden sich nicht wenig auf diesen körperlichen Vorzug ein.
Die Kinder wachsen in der größten Vernachlässigung auf; so lange
sie noch nicht sitzen und kriechen können, werden sie, wie schon ge-
sagt, von ihrer Mutter mit einem Shawl auf dem Rücken fest-
gebunden und nachher wälzen sie sich Tag und Nacht auf der Erde
herum, zwischen Schweinen, Hunden, Hühnern und Katzen. Es
kommt vor, daß Sklavinnen, die nicht gut behandelt werden, aus
Wuth darüber, daß sie nicht frei sind, und um ihrem Herren nicht
die Habe zu vermehren, ihre Kinder umbringen, wie denn über-
haupt der Mord und hauptsächlich der Selbstmord unter den
Sklaven häufig ist. Gewöhnlich trägt der Herr die Schuld; der
Schwarze wird bei seiner na-
türlichen Indolenz und Cha-
rakterlosigkeit nur dann des
Lebens müde, wenn er durch
schlechte Behandlung, haupt-
sächlich Prügel, auf's Aeußerste
getrieben wird; im Allgemei-
nen ist er genügsam und leicht
zufrieden zu stellen. Jede Klei-
nigkeit macht ihn glücklich und
hei guter Behandlung ist er
einigermaßen dankbar.
In Bezug auf geistige Be-
fähigung giebt es, wie schon
angedeutet wurde, Ausnah-
men von der allgemeinen Re-
gel; ich selbst habe in diesem
Augenblick einen kleinen drei-
zehnjährigen Neger in Dienst,
der in einem deutschen Hause
großgewachsen ist und so fer-
tig deutsch wie portugiesisch
spricht; auch kenne ich andere,
die ebenfalls mit Leichtigkeit
verschiedene Sprachen erlernt
haben, doch das sind eben
nur seltene Ausnahmen von
der allgemeinen Regel, die in
keiner Weise dazu dienen kön-
nen, der sogenannten Philan-
thropie das Wort zu reden,
welche in dem Wahne befangen
ist, dieNegerauf einen gleichen
intellektuellen Höhepunkt mit
anderen Nassen bringen zu können, die ihnen doch in Allem über-
legen sind. Das wird immer eine verfehlte Spekulation sein; der
Neger ist dafür gar nicht angelegt.
Noch muß ich eine physiologische Abnormität erwähnen, näm-
lich die sogenannten weißen Neger, oder Negros ayos, die
wirklichen Albinos der Negerrassen. Diese zeigen genau die Eigen-
thümlichkeiten unserer Kakerlaken, neben allen physischen Ge-
staltungen des Negers haben sie jedoch schneeweiße Haut und das
wollige Kraushaar, sowie die Angenbraunen, Augen rc. nehmen
bei dem Mangel an Pigment, welcher ihren Zustand bedingt, eine
ganz eigenthümliche Farbe an. Die Neger-Albinos sind eine
drollige Erscheinung; es giebt deren sehr viele in Brasilien, so-
wohl solche, die den Albinismus universalis haben, als andere,
die nur partiell daran leiden. Es sieht dann merkwürdig genug
ans, wenn man so eineil Gesellen mit schwarzem Körper und
ganz weißem Gesicht sieht, oder die Hälfte weiß und die Hälfte
schwarz.
Ein Congo « Neger.
\
49
Briefe über Böhmen.
Griefe über Böhmen.
Zweiter Artikel.
In kleinen Städten. — Neumodische Nationaltracht. —
Beseda.
Böhmen ist ein an Städtchen reiches Land, aber es hat nnr
eine große Stadt, nämlich Prag. Prag zählt mit seinen Neben-
orten Smichow und Karolinenthal jetzt bald 200,000 Ein-
wohner und unter diesen etwa ein Drittel Deutsche, welche haupt-
sächlich den gebildetern und wohlhabendem Theil der Bevölkerung
ausmachen. Hätte Prag statt eines tschechischen ein deutsches
Hinterland, es wäre längst ganz deutsch.
Die zweite Stadt des Königreichs ist das rein deutsche
Reichenberg, der Hauptsitz böhmischer Gewerbsthätigkeit. Er-
wähnenswerth sind nur noch Budweis und Pilsen, ersteres mit
vorherrschend deutscher, letzteres mit gemischter Bevölkerung. Eine
rein tschechische Stadt von Bedeutung finden wir
nirgends. Nehmen wir vergleichsweise das benachbarte Bayern
an, das kleiner als Böhmen ist, so zählen wir außer der Haupt-
stadt München noch die stolzen Städte Augsburg, Nürnberg,
Würzburg, Bamberg u.s.w., die durch ihre bürgerlicheThätig-
keit hervorragen. Dort ist das richtige Verhältniß zwischen Laud-
und Städtebevölkerung vorhanden, wie es zum Gedeihen eines
Staates die germanischen Völker gestalteten. In den tschechischen
Theilen Böhmens dagegen bewahrheitet sich wieder der Satz, daß
die Slawen ein Bürgerthum zu schaffen nicht verstanden und
daß, wo bei ihnen die Ansätze zu einem solchen sich finden, diese
von den Deutschen ansgehen. In den kleinen deutschen Städten
des Landes finden wir einen ansgebreiteten Handel, eine blühende
Gewerbsthätigkeit, und in den kleinen tschechischen, mit wenig Aus-
nahmen, Oede und Versumpfung, neben einem karrikirten philister-
haften neumodischen Aufschwünge der Gemüther in nationaler Be-
ziehung.
Das „Bürgerthum" in den kleinen Orten ist eine Mischung
von deutschen und tschechischen Elementen. Die oft von böhmischen
Herrschern (so vom „böhmischen Städtegründer" Przemysl Ottokar)
hervorgerufenen deutschen Kleinbürger, welche, gerade wie in
Polen und Ungarn, auch für Böhmen deutsche Städteord-
nnn g mitbrachten, erhielten keinen Nachschub an frischen Elemen-
ten, versauerten und gingen besonders dadurch, daß das sie um- -
gebende flache Land tschechisch blieb, in einem halbschlächtigen
Tschechenthum auf. Noch heute, es ist nicht zu viel gesagt, führt
der dritte Theil der Einwohner in diesen Orten deutsche Namen.
Bis zmn Jahre 1848 sprach man auch meist deutsch und es galt
geradezu für unanständig, „die Sprache der Dienstboten und
Kinder", das Tschechische, zu reden. Seitdem ist das anders ge-
worden. Das Stadtsiegel führt nun eine tschechische Um-
schrift, die Stadtakten werden in dieser Sprache verfaßt und
man redet mit Ostentation nur tschechisch, obgleich man das
Deutsche ebensogut oder.noch besser kann. Der Bürgermeister,
früher eine konservative, der Regierung ergebene Persönlichkeit, ist
nun ein Vollbluttscheche und schreibt sich nicht mehr „Purkmistr",
sondern „Mostanosta". Die Schulen, in welchen b.is zu der
Erwähnten Zeit, und theilweise bis 1860, in deutscher Sprache
unterrichtet wurde, leisteten wenig; aber hauptsächlich ans dem
Grunde, weil die tschechischen Kinder hinein kamen, ohne ein Wort
Deutsch zu verstehen und deshalb begreiflicherweise keine Fort-
schritte machen konnten. Diesem Unrecht ist jetzt abgeholfen und
jedenfalls wird bei den folgenden Generationen in Folge dessen
Vieles anders sein. Man sieht jetzt vor allen Dingen auf natio-
uale Erziehung, und die Schulmeister, die an allen Orten gute
"Wlastenci" (Baterlandsfreunde) sind, bemühen sich, den Kindern i
Globus IV. Nr. 2.
täglich einzutränken, daß die Tschechen das erste und herrlichste
Volk auf Erden seien. Es ließe sich natürlich hiergegen Manches'
einwenden, doch ist ein solches Verfahren gewiß nicht zu ver-
urtheilen; wir Deutschen können nur wünschen, daß unsere Lehrer
unserer Jugend ganz dasselbe von unserer Nation einschärften.
In dem Maße, wie die kleinen Städtchen zum „reinen Tschechen-
thuine" zurückkehren, in dem Maße verändert sich auch Manches an
ihrer Physiognomie. Die Schilder an den Häusern der ehrsamen
Handwerker waren bis vor Kurzem in deutscher Sprache abgefaßt,
oder sie lauteten in beiden; ja wir erinnern uns, mit Heiterkeit
ein Schild bewundert zu haben, auf dessen einer Seite: Waclaw
Swoboda, mistr krejcowsky, auf dessen anderer in wört-
licher Uebersetzung des Eigennamens mit tschechischer Recht-
schreibung stand: Wencl Fraghagt, Ssnagdrmagstr, soll
heißen: Wenzel Freiheit, Schneidermeister! Jetzt gilt es für eine
arge Versündigung, ein deutsches Schild auszuhängen, und der
Handwerker, welcher dies wagte, würde sich der Gefahr aus-
setzen, viele Kunden zu verlieren.
Die Gesellschaft in diesen Städtchen zerfällt in zwei scharf ge-
trennte Gruppen. Zu der ersten, an Zahl geringern Abtheilung,
so zu s«gen der limito voleo, zählen peusionirte und uichtpensionirte
Beamte, Ableger des ungeheuren böhmischen Beamtenheeres, mit
höchst formellem Tone, Stammsitzen im Wirthshause und konser-
vativer Gesinnung. Ihrer Nationalität nach betrachten sie sich
als „Böhmen", d. h. weder als Deutsche noch als Tschechen,
sondern als zweisprachige, meist neutrale Leute, die aber nach Um-
ständen, wie gerade der Wind weht, auch dieser oder jener Partei
angehören können. Mit Recht ernten sie selten den Dank irgend
eines Theiles. Von der gut tschechischen erbgesessenen Bürger-
schaft werden sie spottweise als „Frankfurter" bezeichnet, obgleich
! ihnen sicher nichts ferner liegt, als der Gedanke an ein deutsches
1 Parlament in Frankfurt.
Die zweite Gruppe der Städtebewohner, Gevatter Schneider
und Handschuhmacher, hat das deutsche Vereinsleben angenommen
und versammelt sich jetzt in Spolki, Besodi oder Gesang-
vereinen, wo nationale Politik getrieben, d. h. auf die Deutschen
geschimpft wird. Ein wesentliches Stück in dem nationalen Leben
dieser Leute ist die neu eingeführte „tschechische Kleidung".
Im ganzen civilisirten Europa ist man jetzt übereingekommen,
die französische Tracht anznerkennen. Was in Spanien, Italien
oder selbst Griechenland von alten Nationaltrachten noch in ge-
bildeten Kreisen getragen wird, verschwindet allmälig vor Cylinder-
hut und Frack, der auch jenseits des Oceans die Herrschaft er-
rungen hat; daß diese Kleidung gerade schön und praktisch sei, wollen
wir damit keineswegs behauptet haben. Nur noch fest halten an
der alten Tracht in Europa, der Bauer theilweise, und die weniger
I civilisirten, namentlich östlichen Völker. Es soll nicht in Abrede
gestellt werden, daß volksthümliche Trachten, wenn sie durchführbar
wären, auch ihre gute Seite haben; bei uns Deutschen hat seiner
Zeit der alte Jahn manche Lanze dafür gebrochen. „Der Ungar
trägt seinen Attila, der Pole Conföderatka und Tschamarka, und
unsere Brüder Serben und Montenegriner gehen in ihren bunten
Kleidern, warum sollen wir Tschechen zurückstehen?" So fragte
man sich, und darum— ein Königreich für eine Nationaltracht!
Als natürliches Muster hätte sich den Tschechoslawen am ersten
die Hanakentracht dargeboten, aber grellroth und ein weiter,
blauer Mantel darüber, das wäre doch ein wenig zu auffallend ge-
wesen. So thaten sich also „die Herren von der Feder und von
der Scheere" zusammen und erfanden über Nacht im Jahre des
50
Stuart's Entdeckungsreisen in Australien.
Heils 1860 die neue tschechische Nationaltracht, die von den Zeitun-
gen gehörig ansposaunt und eingeweiht wurde.
Der kleinstädtische Philister ist nun glücklich, Prag hat ihn mit
einer Nationaltracht beschenkt. Der Hauptbestandtheil derselben,
die Tschamara, ist ein Schnurenrock, ähnlich wie ihn bei uns
die Studenten hier und da noch tragen; auf dem Haupte sitzt der
„slawische Hut", ein ganz gewöhnlicher runder Hut, an dem
hinten ein paar Quasten herabbaumeln. Soll die Tracht voll-
ständig sein, so dürfen Stiefeln, die bis zur halben Wade reichen,
nicht fehlen. Mit grimmigen Blicken schaut ein solcher „Tschamarist"
jeden Deutschen an, wenn er auch selbst Huberte oder Müller heißt,
und aus seiner Brusttasche schaut unfehlbar die neueste Nummer
der „Narodni lisch", jeues deutschfresserischen Ultrablatts. Den Auf-
zug vollendet ein dicker Knüppel, als dessen Handhabe ein eiserner
Zizkakopf dient. So angeputzt, wähnt sich Huberte um minde-
stens vier Jahrhunderte unter die alten Hussiten zurückversetzt, und
denkt daran, wie er in einer neuen Schlacht bei Aussig tausend
Deutsche erschlagen will. Ergötzlich bleibt, daß es oft bei diesen
Leuten mit der tschechischen Sprache nicht recht vorwärts will, zu-
mal wenn es sich um wissenschaftliche Dinge handelt, wo sie dann
plötzlich Deutsch zu reden beginnen! Eine Zukunft hat aber diese
Tracht nicht.
In neuerer Zeit ist das Wort „Böseda" unter den Tschechen
eine Art Schlagwort geworden; wir müssen deshalb darauf eingehen
und dem deutschen Leser erzählen, was eine Beseda ist. Was wir
etwa als „musikalisch-deklamatorische Abendunterhaltung mit
darauf folgendem Tanz" ausdrücken, das ist eine Beseda, nur
daß bei dieser vor allen Dingen die nationale Seite herausgekehrt
werden muß und das Ganze einen streng tschechischen Anstrich be-
kommt. In Prag werden diese Besedi sehr glänzend auf der So-
phieninsel abgehalten und dienen so als Vorbild für die kleineren
Städte. —
Der Saal wird roth und weiß, in den Landesfarben, aus-
geschmückt, die Büsten und Bilder nationaler Vorkämpfer der
„böhmischen Krone" heben sich von Blumen und „slawischen Tri-
koloren" umgeben von der Wand ab. Die Wappen von Böhmen,
Mähren und Schlesien, sind von einer einigenden Binde um-
schlungen, au einem hervorragenden Platze angebracht, während
das Bild des „Königs von Böhmen", soll heißen des Kaisers von
Oesterreich, mit einem bescheidenen Winkel vorlieb nehmen muß.
Die Gesellschaft versammelt sich. Die männliche Welt in der
Tschamara, die Damen in „slawischen Miedern" mit blau-weiß-
rothen Schleifen aufgeputzt. Der Gesangverein des Städtchens
eröffnet mit irgend einem Chor die Festlichkeit; wenn auch die
Stimmen nicht harmoniren, was schadet das, des nationalen
Zweckes halber belohnt doch ein „Wyb ornö" (Ausgezeichnet) die
Anstrengungen. Wehe Dem, der es sich einfallen lassen wollte,
Bravo zu rufen! Jetzt tritt ein Redner auf. Er preist die
Tugenden der alten Slawen, beweist, daß von ihnen alles Gute
kam und daß, was am Volke noch fehlerhaft und schlecht sei, nur
dem Einflüsse der „Cizozemci" (Fremdlinge, worunter natürlich
die Deutschen zu verstehen sind) zugeschrieben werden müsse. Allge-
meines Wybornö. Zum Schlüsse entfaltet er die ganze Herrlich-
keit des Tschechenthums vor den Augen der begeisterten Zuhörer
und schließt mit einem Hoch auf die heilige Weuzelskrone. Mit
Slawa! (Heil oder Ruhm) stimmt die Menge ein. Dann tritt
eine Dame auf und singt unter anderen Nationalliedern das unver-
meidliche, trotzdem aber schöne Lied von Franz Skroup: „Kde
d omo w muj?" (Wo steht mein Heimathaus?) in das die Gesell-
schaft mit eiustimmt. Es folgen wiederum Männerchöre und
humoristische Vorträge, in denen die Deutschen den Lachstoff abgeben
müssen. Zum Schluß findet allgemein Tanzunterhaltung nach
nationalen Melodien statt, und nun sieht mau den Jüngling in
der tschechischen Tschamara aus deutschem Reichenbergeroder
Brünner Tuche mit einer Dame in slawischem Mieder und
französischer Krinoliue tanzen, so daß das Ganze den Eindruck
eines wälscheu Salats macht.
Eine Beseda gleicht genau der andern; ihr Einfluß auf die
Leute ist jedoch nicht zu unterschätzen. Wenn auch Vieles bei ihnen
berechnet und gemacht ist, so erfüllen sie doch ihren Zweck, indem
sie belebend und anregend aus das Nationalgefühl wirken und oft
nicht unwesentlich zur Bekehrung der „Halben und Unschlüssigen"
dienen.
Stuarts Entdeckungsreisen in Australien.
Stuart's Wanderung durch das australische Festland.
Die neueren Entdeckungen Stuart's, so groß ihre Wichtig-
keit in Verbindung mit den Resultaten seiner früheren Reisen auch
ist, beschränken sich dennoch auf einen sehr kleinen Raum, da der
größte Theil der von ihm bis jetzt zugänglich gemachten Gegenden
bereits durch Gregory und Le ich Hardt bekannt geworden ist.
Von dem See Newcastle-Waters aus, wo Stuart am
5. April 1862 ankam und ein Depot bildete, machte er Ausflüge,
um wo möglich einen praktikablen Weg durch das ihn von allen
Seiten umgebende Gestrüpp aufzufinden. Zuerst schlug er eine
nördliche Richtung ein, konnte aber hier keinen Durchgang finden.
Er stieß überall im Norden und Nordosten auf undurchdring-
lichen Wald, wodurch er veranlaßt wurde, nach dem Depot
zurückzukehren und eine westliche Richtung, dem Victoria-Flusse
zu, einzuschlagen. Auf diesem Wege drang er etwa 60 Meilen
weit vor, fand aber keine bessere Aussicht, als aus seiner vorigen
Reise. Erst ging es über grasreiche Fluren, in deren Mitte sich
eine von Eingeborenen ausgegrabene und erweiterte Quelle befand;
bald aberfolgte dichter Urwald, mit undurchdringlichem
Gestrüpp, Speergras und ganz ausgetrocknetem Boden. Auf
diesem Ausfluge bemerkte Stuart, daß die Eingeb orenen die Ge-
wohnheit hatten, in die Rinde der Bäume, welche an ihren Fuß-
pfaden entlang standen, Zeichen einzugraben, wahrscheinlich
um den Weg in der wasserlosen Wildniß nicht zu verfehlen.
Die Hitze war während dieser Zeit unausstehlich und wurde
durch die Buschfeuer der Eingeborenen, welche Menschen und
Vieh manchmal in Gefahr brachten, noch vermehrt. Uebrigens
schienen die wenigen Eingeborenen, mit denen die Partie zusammeu-
traf, ganz freundschaftlich gesinnt. Als Stuart von seinem erfolg-
losen Abstecher nach Howell's Ponds, einem nördlich von
Newcastle-Waters gelegenen Wasserplatze, wohin das Lager in-
zwischen verlegt worden war, zurückkehrte, gab er das Unter-
nehmen, nach dem Victoria-Flusse vorzudringen, ganz
auf und entschloß sich zu einem letzten Versuch in nord-
östlicher Richtung. Dieses Mal glückte es. Durch Ein-
haltung einer etwas mehr östlichen Richtung gelang es den Rei-
senden, eine grasreiche Gegend mit zahlreichen Wasserlachen zu
erreichen und später einen bedeutenden Creek mit immer fließendem
Wasser, Daly-Water, aufzufinden, welcher sie wohlbehalten
durch den etwa 30 Meilen breiten Saum von Gestrüpp, das in
dieser Richtung überdies nicht so sehr verwachsen war, geleitete.
In diesem Creek vermuthet Stuart einQuellgewässer des Wickham-
Flusses, der sich in den Busen von Carpentaria ergießt.
Stuart's Entdeckungsreisen in Australien.
51
Von hier aus wurde die Gegend immer besser; wir lesen von
„herrlich begras'tem Lande mit rothem, fruchtbarem Boden, bedeckt
mit schönen Encalypten und anderen Bäumen; von „breiten Flächen
schwarzen Alluvial-Bodens mit üppiger Weide bedeckt", bis in
Igo <A. Br. der Strangways-Fluß erreicht wurde. Dieser
Fluß war in seinem obern Laufe ganz trocken und furchtbar
steinig, zeigte jedoch bald große und tiefe Wasserlöcher und
führte die Reisenden bequem zum Roper-Flusse, mit welchem
er sich vereinigt. Im S traugw ay's-Thale fand sich eine große
Anzahl ganz neuer Bäume und Sträucher vor, und die Ge-
wässer waren von großen und schmackhaften Fischen belebt. An
der Mündung des Strangway's befand sich eine zahlreiche Be-
völkerung von Eingeborenen, die sich mit den Reisenden ganz
freundschaftlich unterhielten. Dabei folgten sie dem Zug immer
von fern und zündeten das Gras an, so daß ihnen Stuart
nicht recht trauen mochte. Der Roper wird von Stuart in den
glühendsten Farben geschildert und muß in der That, für
Australien, ein herrlicher Fluß sein. Jndeß waren die Ueber-
gänge desselben, des dichten Palmengebüsches und der steilen Ufer
wegen, stets schwierig, und ein Pferd ging in einem der tiefen Ufer-
kanäle, welche dem Hauptfluß entlang lausen, verloren.
Vom Roper, den Stuart in 15° 10' traf, unweit der
Stelle, wo Gregory von West-Australien aus dahin
vorgedrungen war, verfolgte die Expedition eine NNW. Rich-
tung nach der Küste. Dieser Theil der Reise war sehr holperig.
Die erste Strecke bestand aus Eisenstein- und Sandsteinfelsen,
welche die Quellgewässer des Roper umgeben und durchziehen,
bald aber einer geräumigen Hochebene mit vereinzelten Gipfeln
und sparsamen Wasserläufen Raum gab. Am westlichen Saume
dieser Hochebene erstreckte sich ein wellenförmiges Basaltland,
welches von vielen Hügeln und Creeks durchzogen war und die
Partie bis an die Ufer des Adelaide-Flusses führte. Das
Flnßthal des Adelaide ist mit Kohlpalmen, Pinien, Pandanus
und Bambusrohr bewachsen; die Wasserfläche am obern Lauf
80 bis 100 Schritt breit, nimmt aber in der Nähe der Mündung
ungeheuer zu, so daß sie bald eine halbe englische Meile und darüber
erreicht. Weiter unten, in der Nähe der Küste, breiteten sich un-
geheuere Sümpfe mit quelligem Boden ans, welche die Reisenden
nöthigten, das Flußufer zu verlassen und eine Richtung nach
Osten einzuschlagen. Man war jetzt in unmittelbarer
Nähe des Meeres. Die Beschreibung des Augenblicks, wo
die offene See zuerst erblickt wurde, ist sehr interessant und
wir geben sie daher mit Stuart's eigenen Worten:
„Ich sagte Keinem von der Gesellschaft, mit Ausnahme von
Thring und Auld, daß wir dem Meere so nahe seien, da ich ihnen
durch den Anblick desselben eine Uebcrraschung bereiten wollte.
Wir marschirten über leichten Grund, der etwas erhöht ist und
mit einigem Eisenstein an der Oberfläche, während der vulkanische
Fels hin und wieder zu Tage trat; dazu einige Ebenen schwarzen
Alluvialbodens. Der Banmwuchs wird kleiner und struppiger,
die Nähe des Meeres anzeigend. Auf acht und eine halbe Meile
erreichten wir ein breites Thal mit angeschwemlntem Boden und
langem Grase bedeckt; von hier aus kann ich das Getöse des
Meeres vernehmen. Auf der entgegengesetzten Seite des Thales,
das mehr als eine Viertelmeile breit ist, wächst ein Saum dichter
und schwerer Gebüsche, sehr eng gedrängt, welche die Grenzlinie
des Strandes bezeichnen. Wir passirten das Thal und machten
uns an das Gestrüpp, welches ein förmliches Netzwerk von Schling-
pflanzen war. Ich ließ die Pferde halten, um einen Weg hindurch
zu bahnen, und ging einige Schritte voraus auf den Strand, wo
ich durch den Anblick der Gewässer des Indischen Oeeans
im Vandiemen's-Golf erfreut und entzückt wurde, ehe
die mit den Pferden Zurückgebliebenen etwas von
dessen Nähe ahnten. Thring, der mir voraus ritt, rief:
„Die See!" wodurch jene so überrascht wurden, daß er den Ruf
mebrmals wiederholen mußte, ehe sie den Sinn des Gesagten
ordentlich begriffen, worauf sie sofort in ein lautes Frendengeschrei
ausbrachen. Der Strand ist mit weichem, blauen Schlick bedeckt.
Da es eben Ebbe war, so konnte ich ziemlich weit sehen und über-
zeugte mich, daß es unmöglich sein würde, die Pferde hier entlang
zu führen; ich ließ sie daher dort stehen, wo wir Halt gemacht
hatten, und erlaubte der Hälfte der Gesellschaft, an den Strand zu
kommen und den Anblick des Meeres zu genießen, während die
Uebrigen bis zu ihrer Rückkehr die Pferde hüteten. Ich tauchte
meine Füße und wusch mir Gesicht und Hände in der Flut, wie
ich es dem frühem Gouverneur Sir Richard Mac Donnell ver-
sprochen, falls ich das Meer erreichen sollte. Der Schlick hat fast
alle Seemuscheln bedeckt, indeß sammelten wir einige. Nachdem
die ganze Gesellschaft sich einige Zeit am Strand ergangen,
worüber sie höchlich erfreut war, kehrte ich zum Thale zurück und
ließ meine Namenschiffre in einen großen Baum
schneiden, da ich erst an der Mündung des Adelaide meine
Flagge aufhissen wollte. Ich verfolgte nun das Thal in süd-
östlicher Richtung und erreichte auf anderthalb Meilen einen
kleinen Bach mit fließendem Wasser; und da das Thal mit präch-
tigem grünen Grase bewachsen war, schlug ich der Pferde wegen
hier mein Lager auf. Also bin ich jetzt, durch die göttliche Vor-
sehung geleitet, im Stande gewesen, den Hauptzweck der Expedition
auszuführen und die ganze Gesellschaft als Zeugen meiner That
mitzubringen, und zwar bin ich mitten durch die schönsten Gegenden
gekommen, die ein Mensch sich wünschen kann, gut bis zur Küste
und mit einem Strome fließenden Wassers, welches weniger als
eine halbe Meile vom Meere entfernt ist. Vom Newcastle-
Gewässer bis zur Südküste ist die große Anzahl Pferde nur eine
Nacht ohne Wasser gewesen, und erhielt auch dann schon am
nächsten Tage welches. Wird diese Gegend kolonisirt, so
wird sie zu den schönsten Besitzungen der Krone ge-
rechnet werden, passend für jegliche Art von Kultur.
Welch ein prächtiges Land für den Anbau von Baum-
wolle!"
Am Donnerstage, den 24. Juli, erreichte Stuart die Küste.
Er bemerkt, daß nach den zahlreichen Fußwegen, die durch das
Thal nach der Küste laufen, sich hier viele Eingeborene aufhalten
müssen, obgleich die Gesellschaft nur deren Spuren und verlassene
Lagerplätze antraf. Unter den Bäumen fanden sich sehr häufig
die Kohl- und andere Palmenarten. Den das Thal durchlaufenden
Creek nannte Stuart „Ch arles-Creek", nach dem ältesten Sohne
des Herrn John Chambers. Derselbe führt das Wasser zahlreicher
Quellen in die See (Breite 12° 13' 3").
Freitag, 25. Juli. Um zu sehen, ob sich ein Weg um den
sumpfigen Boden finde, wird Thring in südwestlicher Richtung
abgesandt; derselbe kommt aber unverrichteter Sache zurück und
meldet, daß die Mündung des Flusses auf diesem Wege nicht zu
erreichen sei. Da diese aber bereits bekannt ist, so hielt Stuart
es für besser, die Kräfte der Menschen und Thiere bei dem Ver-
suche nicht anzustrengen, da ihnen noch der lange und müh-
same Rückweg nach Adelaide bevorsteht. Die Gesellschaft
überschritt daher den Creek und kam mit WNW.-Cours auf einen
offenen Theil der Küste. Da dieser Theil, nach vielen nmher-
liegenden Muscheln zu schließen, öfters unter Wasser steht, so ging
Stuart etwas weiter zurück, nahm den höchsten der dort stehenden
Bäume die unteren Aeste und befestigte am obern Zweige den eng-
lischen Union-Jack, mit Stuart's Namen in der Mitte der Fahne
gestickt. Die ganze Gesellschaft gab drei enthustiastische Hurrahs,
und Keckwick und die Uebrigen wünschten Stuart und sich gegen-
seitig Glück zu dem erfolgreichen Schluß ihrer Ent-
deckungsreise. Hierauf wurden drei Hochs für die Königin
so wie für den Prinzen von Wales ausgebracht, und Stuart ver-
grub dann nahe am Fuße des Baumes eine luftdicht verschlossene
Blechflasche mit einer kurzen Angabe seiner Reise und den Namen
seiner Genossen. Zugleich sagte er in dem Dokumente, daß er der
Bay den Namen „Elisabeth-Bav" gegeben habe, zur Ehre der
52
Ein geographisches Bild aus der Region am Orinocostrom.
Miß Chambers, die ihm die hier aufgepflanzte Fahne zu dem Zwecke
geschenkt hatte. Heute vor nenn Monaten verließ die Ge-
sellschaft Nord-Adelaide und zu derselben Stunde wurde die
britische Flagge auf der andern Seelüfte aufgepflanzt. Die Gesell-
schaft ging dann wieder über den Creek, bemerkte abermals zahl-
reiche Spuren von Eingeborenen, sah auch ringsherum den Rauch
des von ihnen angezündeten Grases, bekam aber keine Schwarzen
zu Gesicht. —
Die Rückkehr ist hauptsächlich durch die öfteren Zusammenstöße
mit den Eingeborenen bemerkenswerth, so wie durch die zu-
nehmende Krankheit Stuart's. Die Schwarzen kamen häufig
nahe genug au die Gesellschaft heran, schwangen ihre Waffen und
stießen ihr Kriegsgeschrei aus; doch genügte meistens die sichere
Haltung der Europäer und ein Schuß, um die Besucher fortzu-
treiben, wobei diese dann in den meisten Fällen das Gras in
Brand steckten und so nur zuweilen Schaden, meistens doch
Unannehmlichkeiten bereiteten. Stuart beschreibt die Ein-
geborenen des Innern Australiens als eine kleine,
magere, jämmerlich aussehende Rasse. Einmal über-
raschte man eine Partie Frauen und Kinder, die gerade beim
Bereiten ihres Mahles beschäftigt waren. Der Anblick der Europäer
erschreckte die Leute so sehr, daß sie alle schreiend davonliefen und
ihre ganzen Habseligkeiten zurückließen. Unter diesen fand sich auch
eine Art Beil, welches die Eingeborenen aus einer eisernen Thür-
augel gemacht hatten. Stuart ließ die Sachen ungestört und setzte
seine Reise am Roper-River fort, der hier ein stark fließender,
tiefer und 90' breiter Fluß ist.
Bei Attack-Creek (der Gegend, in welcher Stuart auf seiner-
letzten Reise von den Eingeborenen angegriffen wurde), traf man
alle Vorkehrungen, um einen feindlichen Angriff zurückzuweisen;
allein die Schwarzen schienen die ihnen gegebene Lektion von der
Macht der Weißen nicht vergessen zu haben, denn es ließen sich
keine Feinde sehen.
Mit Anfang Septembers nahm die Krankheit Stuart's der-
maßen zu, daß er kaum weiter kommen konnte. Am 10. September
schreibt er: „Heute Morgen fühle ich mich wieder sehr krank und
ich zweifle, daß ich im Stande bin, die bewohnten Distrikte zu
erreichen. Falls mir Etwas passiren sollte, so habe ich Alles für
das Schlimmste bereit, — mein Plan ist beendet, mein Journal
jeden Tag ausgezeichnet, so daß kein Zweifel an dem Erfolge meiner
Reise aufkommen kann. Der schwierige Theil des Weges ist über-
standen und der Rest ist meinen früheren Begleitern wohl bekannt,
so daß keine Gefahr vorliegt, sie möchten ihren Weg verlieren."
Von Tag zu Tag nimmt nun die Schwäche des braven Rei-
senden zu, bis er am 25. Oktober nicht mehr im Sattel auszuhalten
vermag und eine Art Tragscssel hergerichtet und zwischen zwei
Pferden befestigt wird, in dem er die Reise fortsetzt. Am 27. Oktober
bekommt Stuart einen Anfall von Bluthusten, der ihn fast tobtet.
Er giebt Befehl, eines der Pferde zu schlachten, um der Gesellschaft
etwas frisches Fleisch und sich selbst etwas Suppe davon zu ver-
schaffen. Ersteres kann er nicht essen, da sein Mund durch den
Skorbut völlig wund ist. Am 29. scheint die Krisis der Krankheit
eingetreten zu sein, die Stuart überstaud und von wo ab es etwas
besser mit ihm geht. Am 28. enthält das Tagebuch u. A. Fol-
gendes: — „Auld war mit mir die Nacht und sagt mir, daß mein
Athem ganz leichenartig rieche. Welch trüber Wechsel zwischen dem
Tage, wo ich Adelaide verließ, und jetzt — meine rechte Hand fast
unbrauchbar durch den Unfall, der mich bei der Abreise betroffen,
völlige Blindheit nach Sonnenuntergang, obgleich der Mond hell
genug für Andere scheint, und auch am Tage fast ohne die Kraft zu
sehen; meine Glieder so schwach, daß ich von Anderen getragen
werden muß, mein Körper ein Skelett, meine Kraft die eines
Kindes — ein trauriges. elendes Wrack früherer Zeiten."
Stuart's Hoffnung, daß die Krisis für ihn überstanden sei,
bewahrheitete sich glücklicherweise, und sein Tagebuch enthält von
jetzt an weniger trübe Aufzeichnungen. Die Gesellschaft näherte
sich nun den bewohnten Distrikten und am 10. December erreichte
sie die Mount - Stuart - Station, von wo aus man nach
Moolooloo vorging.
In einer Art Nachschrift, adressirt an den Kronland-
Kommissär, giebt Stuart noch seine Meinung über das
neueutdeckte Land ab und erklärt seinen Dank für die Hülfe,
welche seine Gefährten ihm geleistet: — „Zum Schluß erlaube ich
mir die Bemerkung, daß ich das Land (d. i. vom Roper nach
dem Adelaide und von dort bis an die Seeküste) ganz
passend für die Ansiedelung von Europäern halte, da das Klima
in jeder Hinsicht zuträglich und das Land von ausgezeichneter Güte
und großer Ausdehnung ist. Holz — Stringybark, Jronbark,
Gum rc., mit 50 bis 60 Fuß hohen Bambus an den Ufern der
Flüsse, ist reichlich und in guter Lage vorhanden. Das Land
wird in jeder Richtung von Quellen und Wasserläufen
durchschnitten, und obgleich ich auf meiner ganzen Tour keine
Gewitter oder andere schwere Regen erlebte, so war ich doch im
Ganzen nur zwei Nächte ohne hinreichendes Wasser.
Dies zeigt die Beständigkeit der Wasserläuse, und ich sehe durchaus
keine Schwierigkeit, zu irgend einer Jahreszeit eine Heerde Pferde
über den Kontinent zu führen, und ich kann erwähnen, daß Herr
Thriug, einer meiner Begleiter, bereit ist, solches zu übernehmen.
Meine Gefährten haben sich auf der langen Reise und unter
schwierigen Umständen völlig zu meiner Zufriedenheit benommen
und will ich besonders der Herren Keckwick und Thring rühmend
hier gedenken, die ja schon auf meinen früheren Reisen mich be-
gleiteten. Während meiner Krankheit habe ich von Allen Beweise
der Sympathie erhalten und ich nehme die Gelegenheit wahr, ihnen
hier meinen besten Dank zu sagen. Die Namen meiner Gefährten
find: — Wm. Keckwick, zweiter Offizier; W. Thring, dritter Offi-
zier; Stephen King, John Billiatt, James Frew, Heath Nash,
W. P. Auld, Gehülfe; I. Mac Gorery, Schmidt; I. W. Water-
house, Naturforscher der Gesellschaft.
Schließlich dankt Stuart noch der Regierung für die Hülfe,
welche dieselbe der Gesellschaft gewährt hat, erwähnt der Dienste
des Polizei-Inspektors Hamilton in lobender Weise und beklagt,
daß John Chambers nicht mehr die Verwirklichung seines Lieblings-
wunsches — daß einer seiner Leute oder Freunde den Kontinent
kreuzen möge — erlebt habe.
Ein geographisches Mid ans
Jüngst theilten wir, nach Gustav Radde's vortrefflichen Auf-
zeichnungen, ein Steppenbild aus Daurien mit; heute wollen wir,
im Gegensätze zu dem kalten Ostsibirien und dem Amurland, eine
Schilderung äquatorialer Regionen im östlichen Südamerika geben,
und wenden uns an den Oriuoco, dessen Quellen in der Sierra
Parime zwischen dem 2. und 3? S. Br. liegen. Er bildet
der Region am Orinocostrom.
einen stolzen, in jeder Beziehung interessanten Stromlauf, der in
einer Windung von dreihundert deutschen Meilen Länge das Hoch-
land von Guyana umzieht, vermittelst der Gabeltheilung des
Casiquiare und Rio Negro mit dem gewaltigsten aller Flüsse, dem
Amazonas, in natürlicher Verbindung steht und ein großes, von
unzähligen Wasserrinnen durchzogenes Delta bildet, das mehr
Ein geographisches Bild aus der Region am Orinocostrom.
53
Mündungen zählt als selbst der Ganges. Alexander von Humboldt
hat den Charakter der Orinocoregion prachtvoll geschildert; seine
Darstellungen gehören zu dem Schönsten, was jemals aus eines
Sterblichen Feder kam; jede andere Schilderung muß darauf ver-
zichten, auch nur annähernd jene unseres großen Landsmannes zu
erreichen. Aber die Natur jener Gegenden ist so anregend, packend
und bewältigend, daß jede Beschreibung derselben etwas Anziehen-
des hat; auch sind von späteren Reisenden, z. B. von Doctor
Plassard, manche neue Beobachtungen gemacht worden.
Mit Erstaunen sieht der Schiffer, welcher in eine der Mün-
dungen des Orinoco einfährt, die mächtigen Wälder, von denen
ein großer Theil des Deltalandes beschattet wird. Bei hoher Flut
sind die meisten Inseln von Wasser bedeckt, ans welchem die ge-
waltigen Baumstämme hoch emporragen. In den Nebenarmen
des Stromes fährt das Boot unter einem dichten Laubdache da-
hin und muß viele Umwege machen, um nicht in den unzähligen
armsdicken Lianen verwickelt zu werden, welche schmarozerhaft sich
von einem Baume zum andern schlingen und Alles umranken. Das
Fahrzeug wird umspielt von plumpen Lamantins und von scheuß-
lichen Kaimans, den Brüdern des nilotischen Krokodils, und über
dem Haupte des Reisenden flattern durch das Gezweig glänzend
befiederte Aras, blaue Cotingas, veilchensarbige Taugaras und
Kardinülvögel mit seuerrothem Gefieder. Nicht minder bemerkbar
macht sich das lärmende Geschlecht der Affen; sie hängen vermittelst
ihrer langen Wickelschwänze an biegsamen Aesten oder springen
mit der Behendigkeit eines Eichhörnchens von Zweig zu Zweig,
von einem Baume zum andern.
Das Alles erscheint dem Europäer, welcher zum ersten Male
diese tropische Region betritt, äußerst überraschend, denn Alles ist
ihm neu. Aber mit dem höchsten Befremden blickt er nach Hänge-
matten, die hoch oben an den Zweigen befestigt sind und sich über
dem Wasser schaukeln. Das sind die Ruhebetten der G uaraunen.
Diese Indianer bewohnen die am wenigsten niedrigen Eilande des
Orinocodeltas und nähren sich von Fischen, Bananen und Manioc.
Aber der Fischfang veranlaßt sie zu Wanderungen und namentlich
zum Besuch auch jener Inseln, die kaum über das Wasser sich er-
heben. Dort muß der Indianer, sobald die Flut eintritt, sich
luftige Wohnungen suchen, und der guaraunische Mann pflegt in
denselben des Schlafes lange liebe Stunden, während sein Weib
in der am Fuße der Bäume befestigten Barke ihm sein Mahl be-
reitet.
Diese „Kinder der Natur" verehren den Mond und im Donner
wohnt eine furchtbare Gottheit. Der Todte wird in eine Matte
oder eine aus Bananenblättern geflochtene Hülle geschlagen und im
Wald aufgehängt. Weich und angenehm klingt die Sprache. Der
Indianer fragt: Casabana igi naguaeh? Woher kommst
du? Und erhält zur Antwort: Dschi cuare me naguaeh, ich
komme dir entgegen. Dann spricht er wohl: Orinami manu,
hüte dich, sei vorsichtig. Manche Ausdrücke haben etwas Male-
risches; eine Angel wird als Fisch falle bezeichnet und heißt
oribu kai; den Schuh, welchen übrigens der Guaraune nicht
trägt, bezeichnet man als ein Fnßg efängniß, omonamu; der
wohlklingende Name obona bedeutet Donner.
Die Guaraunen scheinen dem großen Stamme der Caraiben
nicht anzugehören. Bon diesen Letzteren trifft man übrigens einige
schwache Ueberreste am untern Orinoco, aber nicht einmal als
Stämme oder Horden, sondern nur in einzelnen, zerstreut umher-
wandernden Familien.
Auf dem Orinoco können auch große Schiffe weithin strom-
auf fahren. Sie kommen oberhalb des Deltas, an der jetzt bei-
nahe verlassenen Stadt Guayana vieja vorüber; nach Süden
hin liegen die ehemaligen spanischen Missionen von Up ata, in
welchen einst dreißigtausend von den Geistlichen „bekehrte", ge-
nauer ansgedrückt, mehr oder weniger gezähmte, der umher-
schweifenden Lebensweise einigermaßen entfremdete Indianer bei-
sammen waren. Aber heute gewähren diese Missionen von Upata
nur ein Bild der Verwüstung und des Verfalls; die Häuser sind
eingestürzt und die Indianer wieder in die Wälder zurückgegangen.
Wir erreichen die Mündung des Caroni (etwa 8° @. Br.,
030 W. L.), der aus den südlichen Einöden kommt, fahren noch
einen Längengrad weiter nach Westen und ankern vor Ciudad
Bollvar, das zu Ehren des „Befreiers" diesen Namen führt;
ehemals hieß es Angostura, und wird auch heute noch im
Handelsverkehrsobezeichnet, oder auch San Thomas deNneva
Guayana. Diese für Venezuela große und reiche Stadt bildet
den Haupthafen des Orinoco und hat einen beträchtlichen See-
handel; aber von Ackerbau und Gewerben kaum eine Spur,
nichts von Gartenanlagen oder wohlbestellten Feldern; Savannen
und Wälder reichen bis in die Nähe der Häuser von Ciudad Bo-
livar. Doch sieht mau da und dort einen Jndigoacker, Zucker-
rohr, Kaffeebäume, etwas urbar gemachtes Land, wo Mais,
Bohnen und Auca, Manioc, gebaut werden; diese letztere bildet
für die Mehrzahl der Bewohner das Hauptnahrungsmittel und
ersetzt unser Brot. Der Bänanenbaum breitet stolz seinen Blätter-
schmuck aus und ist reich mit Früchten belastet; auch die Baum-
wolle gedeiht vortrefflich, aber ihr Anbau wird vernachlässigt.
Quinquina kommt nur in höher gelegenen Gegenden vor; anderen
werthvollen Arzneipflanzen und Droguen begegnet man ans Tritt
und Schritt, z. B. der Simarnba, Angostura, Copahn, Ricinus
und der Tonkinbohne. Die Vanille schwingt ihre Ranke von einem
Baume zum andern und die Convolvulaceen und Orchideen sieht
inan in unzähligen Arten.
Dazu kommt der Reichthum an Farbhölzern, namentlich an
Brasilbolz und an Bäumen, welche für die Kunstschreinerei von
Wichtigkeit sind, z. B. Ebenholz, Mahagony, Ceder und Pa-
lissander; ferner der Hevea, ein Gummibaum, von welchem man
Kautschuck gewinnt; gelbe, Veilchen- und rosenfarbene Bäume,
deren Raine wissenschaftlich noch nicht bestimmt ist. Alles ist
üppige Fülle, aber der Trägheit der Benezuelaner liegt es fern,
solche Schätze zu heben. Die hohen Palmen ragen mit ihrem
lustigen Laubdach über alle anderen Bäume empor, und manche
geben ein vortreffliches Oel, vor Allem die Sejepalme. Da-
neben freilich mangeln auch giftige Pflanzen nicht, und unter
diesen wird der Baum Guachamacän am meisten gefürchtet.
Auf den Llanos (Savannen, Wiesenflächen) weiden Riuder-
heerdeu, Pferde, Esel und Maulthiere, zumeist ohue Hüter und
ohne Obdach. Die Leichen der gefallenen Thiere würden die Luft
verpesten, wenn nicht der Samnro-Rabe, welchen man als die
„Vorsehung der Llanos" bezeichnet, sich nicht vom Fleische der-
selben nährte und lediglich Haut und Knochen übrig ließe.
Der Reisende würde mit ungestörter Freude durch die dichten
Wälder und über die grünen Fluren wandern, wenn nicht überall
Gefahr im Verborgenen lauerte. Der grimmige Jaguar, welchen
man im Lande selbst als Tiger bezeichnet, richtet unter den Heerden
große Verwüstungen an und ist selbst den Menschen gefährlich;
der mähnenlose Puma, dieser „Löwe", welcher seine Benennung
nicht verdient, ist weit weniger zu fürchten. Aber in den Flüssen
wimmelt es von Krokodilen; sie liegen überall im warmen Ufer-
schlamm, um sich zu sonnen, und verbreiten einen durchdringenden
Moschusgernch. Unter den giftigen Schlangen Guayanas gilt mit
vollem Rechte die Cnaima als die schlimmste; die Farbe ihrer
Haut erinnert an jene unserer Kröte, ihr fünf Fuß langer Kopf ist
beinahe viereckig und der Schweif läuft in einem Horn aus. Auf
dieses stützt sich das Ungethüm, wenn es ein Opfer erkoren hat,
hebt sich kerzengerade empor, schießt wie ein Pfeil zu, und was
von dem giftigen Zahne getroffen worden ist, hat nach wenigen
Minuten zu leben anfgehört. Die Cnaima greift auch den Men-
schen an; die Indianer sehen in ihr eine Verkörperung des Teufels.
Auch eine Klapperschlangenart kommt in Menge vor, und die
Schlange mit dem dreieckigen Kopfe (Trigonocephalus) klettert auf
Bäume, um von dort herab sich auf ihre Beute zu stürzen. Aber
die größte unter den Schlangen, die Boa, hat keine Giftzähne,
54
Ein geographisches Bild aus der Region am Orinocostrom.
wohl aber eine gewaltige Stärke, denn sie umschlingt und erdrückt
auch die größten Thiere. Nachdem sie sich mit Nahrung angefüllt,
bleibt sie trag im Grase liegen, am liebsten bei umgestürzten Baum-
stämmen, von denen man sie oft nur unterscheiden kann, wenn
man näher znsieht.
Aber von allen diesen Kriechthieren wird weniger Unheil an-
gerichtet, als von dem sogenannten Caralbenfische, welcher in
stehenden Gewässern lebt. Der unkundige oder unvorsichtige
Mensch kommt an einen klaren Teich oder ruhigen See; der Tag
ist heiß, das Helle Wasser flockt ihn an und er steigt hinein, um
sich durch ein Bad zu erfrischen. Bald gewahrt er, daß ein kleiner
Fisch mit länglicher Schnauze an ihn heranschwimmt. Die Zähne
desselben bilden an beiden Kiefern eine Schneide, die so scharf ist
wie die eines Scheermessers. Beißt der Fisch damit den Mann,
und ist dieser so weit vom Ufer entfernt, daß er nicht im Nu festen
Boden und das Trockene gewinnen kann, so hat er auf keine Ret-
tung zu hoffen, denn augenblicklich kommen, durch das Blut an-
gelockt, tausende von sogenannten Caralben herangeschwommen,
sangen sich an den Körper, der bald, aus eben so vielen Wunden
blutend und durch Schmerz gepeinigt, zur Leiche wird. Aber der
Fisch mit dem scharfen Gebiß gewährt eine wohlschmeckende Speise.
Unter den einheimischen Vierfüßern ist der Tapir bemerkens-
werth. Mit Recht hat man gesagt, daß die Natur, als sie ihn
schuf, gewissermaßen einen Anlauf genommen habe, um einen
Elephanten zu bilden, unterwegs aber stehen geblieben und mit
dem Rüssel nicht fertig geworden sei. Die wilden Eber, Ba-
q uiro s, ziehen in Menge umher; sie sind kleiner als unsere Wild-
schweine, haben ein wohlschmeckendes Fleisch und eine Sackgeschwulst,
welche mit einem mvschnsduftenden Stoffe gefüllt ist. Unzählbar
ist die Menge der Affen, die alle langgeschwänzt sind. Der wilde
Aluate erfüllt den Wald mit seinem schreienden Geheul; der
zierliche Titi, kleiner als selbst der Mstiti, welcher hier fehlt, klet-
tert und springt lustig umher; man sieht den Araguato, den
Wittwen- und den Kapuzineraffen, den Sapajn und noch
manche andere. Sie alle sind für den Indianer ein sehr gesuchter
Leckerbissen. Myriaden buntgefiederter Vögel flattern umher; die
Kolibris und die gleichsam von Topas und Rubin erglänzenden
Fliegenvögel picken an den Blüten der Aristolochien und Orchideen;
das geschwätzige Volk der Papageien ist in einer Menge von Arten
vertreten, und der Spottvogel ist unermüdlich, seinen wohlklingen-
den und mannichfaltigen Gesang vernehmen zu lassen.
Für den Jäger sind Kaninchen, Hirsche, Tauben, Truthähne
und Schildkröten eine Beute, welche er sich ohne große Mühe ver-
schafft. Aber er hat wohl Acht zu geben, daß er, von seinem Tage-
werk ermüdet, sich nicht unter freiem Himmel dem Schlaf überlasse,
denn er liefe Gefahr, daß die Vampyr-Fledermaus sich an ihm fest-
sange und ihm Blut in großer Menge entziehe. Er spürt den
Feind nicht, sondern schläft weiter; wenn er aber erwacht, fühlt
er sich durch den großen Verlust von Lebenssaft abgemattet, und
nicht selten sind die Fälle, daß Menschen solchen Vampyren zum
Opfer werden. Wohlthätig dagegen ist der Ameisenfresser; er
steckt seine äußerst lange, sehr klebrige Zunge in die Haufen der
Termiten, welche ihm zur Nahrung dienen, und vermindert
einigermaßen die ungeheure Menge dieser Ameisen, welche eine
wahre Landplage bilden. Am meisten werden die rothen Ter-
miten gefürchtet; sie graben lange unterirdische Gänge und unter-
wühlen die Häuser oder werfen hohe Hügel auf. In den Wäldern
erkennt man die Richtung ihres Zuges an breiten Pfaden, auf
welchen kein Blatt und kein Halni mehr steht, denn diese gefräßi-
gen Thiere vertilgen Alles, was sie auf ihrem Wege finden; glück-
licherweise verschonen sie den nützlichen Bananenbaum. Nicht so
gefährlich, aber in hohem Grade lästig ist die Chiqne oder
Nigua (in Westindien von den Engländern Jigger genannt),
welche ihre Eier unter die Fußnägel der Menschen legt und ge-
fährliche Wunden verursacht, wenn die Larve nicht heransgezogen
wird, so lange sie sich noch im Ei befindet. ■
Wir haben weiter oben des Flusses Caro in erwähnt. Er
bildet einen Wasserweg bis in das Herz des venezuelanischen
Guyana, welches er in dessen ganzer Breite von Süden nach
Norden durchströmt. Von Westen her mündet in ihn (beinahe
unter 7° S. Br.) die Paragua; in seinem obern Laufe wird er
durch hohe Gebirgszüge vom Cuyuni, einem Zuflüsse des Esse-
qnibo, geschieden. Von Westen und Norden her nimmt er be-
trächtliche Zuflüsse auf, den Avechica mit dem Iuruaran, in
welchen letztern vom Norden her der Anruari mündet. Diese
Region ist reich an edlen Metallen, namentlich an Gold und Pla-
tina; auch findet man ergiebige Lager von Kaolin und Zirkon.
Diesem geologischen Gebiete gehört auch Upata an, dessen verfallene
Mission wir schon erwähnten. Dort liegt in reicher Fülle nicht nur
Silber und Blei, sondern auch Kupfer und Eisen; aber die Vene-
zuelaner wissen daraus keinen Vortheil zu ziehen. Auch das Nfer-
gelände des Paragua ist metallreich, und weiter nach Westen hin
am Ventuari, einem der obersten Zuflüsse des Orinoco, ist Braun -
stein gefunden worden. Jene Gegenden, in welche einst die Sage
das Dorado und den Parime-See verlegte, auf dessen Inseln sie
goldene, von Diamanten schillernde Paläste wähnte, sind heute
noch nicht genauer erforscht worden. In jenen Erzrevieren ziehen
vereinzelte Jndianerhorden umher, welche der Jagd und dem Fisch-
fang obliegen und die sogenannte Guáyanos-Sprache reden. Aber
zwischen ihnen wohnt ein zahlreicherer Stamm, der andern
Ursprungs ist und in anderer Zunge spricht; das sind die erz-
farbigen Comanacotas, Leute von kräftiger Leibesgestalt, die
zu den schönsten Typen der uramerikanischen Bevölkerung gehören.
Ihnen gegenüber bilden die weiter nach Westen hin an der Paragua
umherziehenden Taparitos, kleine schwächliche Menschen mit
plumpem Kopf, einen grellen Abstand.
In den oberen Theilen des Orinocobeckens leben manche von
der Civilisation etwas angestreifte Völker, zum Beispiel die M a -
wizis, Mariquitares, die Amaypnres, Atures und einige
von Brasilien her eingewanderte Omaguas. Diese Stämme
nehmen die Region ein, in welcher der Orinoco seinen weiten
Bogen beschreibt. Dort mündet von der linken Seite her der
Rio Meta, dort zweigt auch der Cassiquiare ab und bildet die
schon erwähnte Gabeltheilnng, das Stromsystem des Orinoco
durch den Rio Negro mit jenem des Amazonenstroms vereinigend.
So hat die Natur selbst einen weiten, vielgegliederten Wasserweg
hergestellt, welchen die Indianer vielfach benutzen. Sie rudern
mit ihren großen flachen Booten, den Lanchas, bei deren Verfer-
tigung sie viel Geschick zeigen, weit und breit in dem ausge-
dehnten Stromgeäder umher. Der weiße Ansiedler kauft ihnen
gern solche Fahrzeuge ab, und dazu die von den Waldbewohnern
verfertigten künstlichen Blumen aus geschmackvoll znsammen-
gestellten Vogelfedern. Diese Erzeugnisse indianischer Industrie
sind bei den Damen in Carücas, CumanL und Ciudad Bolívar
als Schmuck in hohem Grade beliebt. Jene Indianer sind nicht
ganz unempfänglich für mancherlei Fertigkeiten und nicht ganz
ohne Betriebsamkeit, aber weder Spanier noch Venezuelaner haben
sich Mühe gegeben, diese Anlagen zu pflegen und zu entwickeln.
Jene Völker am obern Orinoco, am Cassiquiare, Meta und
Rio Negro sind GeoPhagen, das heißt, sie haben die Gewohn-
heit, Erde zu essen. Diese eßbare Erde ist ein gelblich roth-
branner, Eisenoxyd enthaltender Thon, der zu kleinen Kuchen
oder Kugeln geformt und, bevor man ihn genießt, getrocknet
wird. Sie enthält keine nahrhaften Bestandtheile, sondern ist
nur Ballast für den Magen; aber man ißt diesen Thon beson-
ders in Zeiten des Mangels, und er wirkt in einer Weise auf
die Verdauungsorgane, daß der Mensch längere Zeit gesättigt ist.
Der Indianer kann sich wochenlang allein mit dieser Erde fristen,
wenn er sie in Palmöl gebacken hat, und wer an den Genuß dieses
Ballastes gewöhnt ist, verspürt von demselben keinen Nachtheil für
seine Gesundheit. Aber Beschwerden in den Eingeweideu ver-
ursacht er allerdings, wenigstens dem Neulinge. Mancke Indianer
Ein Jahrmarkt der Nomaden am Altai.
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sind leidenschaftliche Erdesser und übertreiben den Genuß; dann
magern sie ab und ihre braunröthliche Haut verwandelt sich in eine
bleiche Farbe. Bei Einzelnen steigert sich die Begierde zu einem
so hohen Grade, daß sie an Häusern, deren Wände mit eisen-
haltigem Thon beworfen sind, ganze Stücken abbrechen und gierig
verschlingen; viele sind Kenner und Feinschmecker, welche die ein-
zelnen Erdarten auf der Zunge genau unterscheiden, etwa so wie
unsere Weintrinker die Eigenschaften der verschiedenen Lagen und
Jahrgänge bis in alle Einzelnheiten kennzeichnen.
EineHanptursache, derGeophagie, des Erdefressens, mag wohl
der Mangel sein. Die Natur, so üppig und verschwenderisch sie
am obern Orinoco sonst auch ist, bietet freiwillig nicht viel eßbare
Pflanzen. Aber der Indianer ist träg; er baut freilich Jguamen,
süße Kartoffeln und pflanzt Bananen, aber nicht genug: er hat
keinen Begriff davon, daß er für die Zeiten der Noth Vorrüthe
einlegen müsse, und so kommt es, daß er zuweilen Mangel leidet.
Uebrigens hat er zur Aushülfe den Ertrag seiner Jagden; er ge-
nießt Affen, Eidechsen und sehr gern auch Ameisen, an denen es
wahrlich niemals fehlt. Europäische Reisende versichern, daß eine
in Palmöl gedämpfte Ameisenpastete trefflich gemundet habe;
dagegen konnten sie einem andern Lieblingsgerichte der Indianer,
dem Wurme der Kohlpalme, keinen Geschmack abgewinnen.
Die erdfressenden Indianer haben das Geheimniß, das furcht-
bare Gift Curare zu bereiten, und bewahren dasselbe. Ihre
Pa sch es, Aerzte, sind allein berechtigt, das Gift zu verfertigen.
Ein in dasselbe getauchter Pfeil ist verhängnißvoll für Alles was
lebt; ein davon getroffener Affe oder Vogel fällt sogleich zu Boden;
aber Thieren, welche der Indianer nickt getödtet wissen will, giebt
er Salz ein; dann kommen sie wieder zu sich.
Weit und breit in der Orinocoregion trifft man in Felsen ein-
gegrabene Bilderzeichen. Sie kommen auch in der Quellgegend
des Cuyuni vor, und Richard Schomburgk fand dergleichen
auf seinen Reisen in Guyana unter den verschiedensten Breiten-
graden, nicht allein in den Flußthälern, sondern auch auf ansehn-
lichen Höhen. Auf seine Frage: wer sie gemacht habe, erhielt er
Ein Jahrmarkt der
Das Bedürfniß, Waaren anszutauschen, macht sich bei allen
Völkern geltend, welche über die niedrigste Stufe der Barbarei
hinausgekommen sind. Der Verkehr durchbricht politische Schranken,
und er thut dies um so eher und um so leichter, wenn zu beiden Seiten
einer Staatsgrenze sprach - und stammverwandte Menschen wohnen.
So auch im Innern von Asien, auf der weiten Strecke, wo das
Reich des moskowitischen Czars und des chinesischen Kaisers sich
berühren. Durch Verträge waren im Verlauf der letzten zwei Jahr-
hunderte einzelne Punkte festgesetzt worden, an welchen unter Aufsicht
der Behörden der gegenseitige Waarenaustausch stattsinden durfte,
z. B. Kiachta; aber diese reichten nicht aus und das Bedürfniß schuf
sich neue Mittelpunkte an der russisch-chinesischen Grenze.
Wilhelm Radloff, der in der neuesten Nummer von Erman's
Archiv zur Kunde von Rußland Briefe aus dem Altai mittheilt,
schildert uns, in welcher Weise am südöstlichen Theile dieses Gebirges,
auf der Grenze, in der Dsungarei, im Lande der Sojoten, Jahr-
märkte entstanden. Er war bei einem mit den Kalmücken verwandten
Volke, dem altaischen Dwojedanern, welche, in mehrere Stämme
getheilt, am Teletzkischen See, am Baschkaüs und an der Tschuja
nomadisiren, im Ganzen aber nicht viel über zweitausend Seelen
zählen. Sie stehen unter erblichen Häuptlingen, Saisan, welche von
der chinesischen Regierung eine Amtsmütze mit einem Knopf erhalten.
Vor etwa dreißig Jahren wurden russische Kauflente, welche
von den Indianern die Antwort: Unsere Vorväter, als noch die
großen Wasser die Erde bedeckten und jene auf Corials (Booten)
die Berge befuhren. *) —
Man bezeichnet diese sehr rohen Bilderzeichen als Hiero-
glyphen; man will in ihnen „geheimnißvolle Zeugen einer höhern
einheimischen Civilisation" sehen, man will sie in Zusammenhang
mit den Bilderschriften von Mexiko, Centralamerika und Neu-
Granada und den Denkmälern in Peru bringen, und ergeht sich
in ausschweifenden Spekulationen über eine vormalige hohe Kultur,
welche dann verschwunden sei.
Gewiß birgt Uramerika noch manches Geheimniß. Aber diese
„Hieroglyphen" in Guyana sind Arbeiten nicht hochcivilisirter
Völker, sondern indianischer Horden gewesen. Noch heute ver-
fertigt der uordamerikauische Indianer ähnliche rohe Abbildungen
von Thieren, Sternen, Sonne, Mond, Menschen; mehr oder-
weniger regelmäßig gezeichnete Schnörkelzeichen, rund, eckig, ver-
schlungen, finden wir auf ähnlichen niedrigen Kulturstufen überall;
der Trieb, äußere Gegenstände nachzubilden, liegt in den Menschen
aller Rassen und aller Zeiten; auch unsere Kinder in Europa
thun es.
Die Sache erklärt sich einfach, leicht und von selbst aus der
Menschennatur, die sich, allerdings mit Modifikationen, welche von
mancherlei Umständen bedingt werden, gleichmäßig äußert. Einen
Zusammenhang zwischen allen „Hieroglyphen"-Verfertigern über
einen weiten Kontinent zu finden, ist mehr als kühn. Ein Knabe
in Koustantinopel zeichnet mit dem Griffel seine „Hieroglyphen"
genau so wie der Knabe an der Elbe oder am Rhein, und beide
stehen nicht im Mindesten in irgend welchem Zusammenhang. Mer-
man hat sich gewöhnt, Dinge, welche sich einfach aus der mensch-
lichen Natur erklären und die so nahe liegen, weit herzuholeu,
und man sieht dann den Wald vor den Bäumen nicht.
*) Reisen in Britisch - Guyana in den Jahren 1840 bis 1844, von Richard
Schomburgk. Leipzig, Weber, 1847. Thl. I, S. 318. Die Abbildungen
auf S. 320 und 321. A.
Nomaden am Mai.
mit den Stämmen am und im Altai Handel treiben, von den Offi-
zieren der chinesischen Grenzwachten zu einer direkten Handelsver-
bindung mit ihnen aufgefordert. Darauf gingen jene gern ein,
bauten in der Tschuja-Steppe Magazine und hielten sich monate-
lang dort auf. Ein au sich scheinbar unbedeutender Umstand trug
wesentlich bei, diesem Verkehr einen größern Aufschwung zu geben
In der Dsungarei ist die Zahl der Mnrmelthiere ganz ungemein
groß, aber die Chinesen halten das Fell derselben für durchaus
werthlos, die Russen dagegen wissen es zu schätzen und zahlten einen
guten Preis. Sie bekamen eine große Menge von dieser Waare und
konnten dafür von den Kaufleuten werthvolle Gegenstände Um-
tauschen. Der Handel nahm dermaßen zu, daß die Wachtstationeu
für ihn nicht mehr ausreichten. Der chinesische Gouverneur der an-
grenzenden Provinzen hielt es nun für zweckmäßig, dreimal im
Jahre zweihundert Soldaten in die Tschujasteppe zu schicken, ein
Saisan (Häuptling, Sultan) der Törböt und einer der Sojoten
durften mit einem Theil ihrer Namensangehörigen die Soldaten
begleiten und seitdem kam eine gewisse Regelmäßigkeit in den Verkehr.
Die chinesische Behörde erlaubte den Russen ihren Handel bis
in die chinesischen Wachtposten auszudehnen, und die Offiziere in
diesen letzteren sind für die persönliche Sicherheit der Kausieute ver-
antwortlich. Während der Jahrmarktszeit muß jeder Offizier für
die ihm untergebene Mannschaft einstehen, damit weder Diebstahl
56
Ein Jahrmarkt der Nomaden am Altai.
noch Raub vorkomme; geschieht letzteres, so haben der Offizier und
seine Leute für das Gestohlene Ersatz zll leisten. Kein chinesischer
Unterthan darf auf dem Wachtposten oder ans dem Jahrmärkte
Schulden machen. Das Alles wird streng gehalten.
So haben sich in zwei Einöden drei Jahrmärkte gebildet.
Der erste fällt in den Anfang des Juni und beginnt am 5. des
Mondsmonates. Die Kaufieute nennen ihnTscheru, d. h. Sol-
datenabtheilung; die Kalmücken: TschoruKäldi, d.h. dasHeer
ist angekommen. Der zweite, etwa sechs Wochen später, heißt
Kalan, Abgabe, weil während jener Zeit die Dwojedaner ihren
Tribut an China bezahlen müssen; der dritte fällt in den December.
Radloff besuchte den Julimarkt, welcher am Byrati-Bach
abgehalten wird. Als er einen Hügel an demselben erstieg, ward
er durch einen reizenden Anblick überrascht; das bunte Gewühl des
Jahrniarktes, der sich unten im breiten Thalbecken des Byrati ent-
faltete, lag Plötzlich vor seinem Auge. Diese Niederung war mit
einem grünen Rasenteppich bedeckt, durch welchen sich das Flüßchen
wie ein Silbersaden hindurchschlängelte. Im Vordergründe wei-
deten Kameele, Pferde- und Rindviehheerden im bunten Gewirr
durcheinander; im Hintergründe lagen die Jahrmarktszelte zerstreut |
umher. Etwa zwanzig derselben, blau von Farbe, gehörten den
Mongolen; hinter ihnen waren ganze Berge von Pelzwerk auf-
geschichtet und wurden von einer Soldatenabtheilnng bewacht. Etwas
weiter nach Süden standen in mehreren Reihen die weißen Zelte
der russischen Kanfleute. Bor den Zelten sah man ganze Linien
beladener Kameele; hier wurde abgeladen, dort trug man Maaren
in die Zelte, und Alles war geschäftig, noch vor Einbruch der
Dunkelheit in Ordnung zu kommen.
Weiter nach hinten, am Fuße der Grenzhügel, standen die Feld-
lager der Sojoten und Törböten. Diese letzteren und die Mon-
golen schienen bereits ihr Tagewerk vollendet zu haben, denn sie
lustwandelten schaarenweise zwischen den russischen Zelten umher.
Durch die Helle, bunte Kleidnng dieser Lustwandelnden erhielt das
ganze Bild einen eigenthümlichen, imposanten Anstrich. Schon vom
Hügel ans konnte man die verschiedenen Völkerschaften deutlich unter-
scheiden. Die Mongolen trugen rothe und gelbe Kaftane und chine-
sische Mützen, die Törböt hohe Pelzmützen mit viereckigen Deckeln
und blaue oder grüne Röcke. Die Sojoten endlich erkannte man an
ihrer ärmlichen Kleidung; sie sahen in Pelzen ohne Neberzug, oder
auch halb nackt, zwischen den übrigen, ganz stattlich gekleideten, wie
ein Haufen von Bettlern aus.
Der Säisau hatte für Herrn Radloff und dessen Begleiter
mitten auf dem Jahrmärkte zwei Jurten aufstellen lassen, bei denen
sich bald viele Menschen versammelten. Einige Salsane der Törböt
und Sojoten traten zu unserm Landsmann heran und boten ihm
aus kleinen Glas- oder Steinflaschen eine Prise Schnupftabak. Die
Sitte des Tabakschnupfens ist von China aus bis in den Altai
gedrungen. Man hat, wie in China und Tibet, den Tabak in |
Fläschchen mit enger Oeffnung, in welcher ein Stöpsel mit daran
befestigtem kleinen Löffel steckt. Mit diesem letztern legt man den
Tabak ans die Rückseite des Daumens und zieht ihn dann in die
Nase ein. Bei den Törböten und Sojoten entspricht das Darreicheu
der Schnupftabakflasche der bei den Dwojedanern üblichen Ueber-
reichung der Tabakspfeife.
Am andern Morgen öffneten die russischen Kanfleute ihre
Waarenlager; die Nomaden versammelten sich, besahen Alles, fragten
nach den Preisen, aber fast nirgends wurde ein Handel abgeschlossen.
Es ist nämlich Gewohnheit bei diesen Völkern, am ersten Tage des
Jahrmarktes die Maaren nur erst in Augenschein zu nehmen;
am Abend berathen sie in den Zelten iiber den Preis ihrer Maaren
(Felle) und erst am andern Tage beginnt der eigentliche Handel.
Dieser Verkehr ist für die chinesischen Unterthanen der Grenz-
lande von Wichtigkeit, denn durch ihn werden sie mit den ihnen nöthi-
Waaren versorgt. Die russischen Kaufleute nehmen außer den ge-
wöhnlichen Tauschartikeln, als da sind Seide, Tabak, Ziegelthee,
Zobel- und Eichhörnchenfelle, auch, wie schon bemerkt, die für China
werthlosenFelledes Mnrmelthieres. Dieses, das Tarbagan,
blieb früher, weil es nichts galt, unbelästigt und konnte sich in's Un-
geheure vermehren. Anfangs erhielten die russischen Kaufleute das
Fell für ein paar Kopeken und verkauften es auf dem Jahrmarkt
in Jrbit für 50 bis 60 Kopeken. Nachher stieg freilich der Preis
des Mnrmelthierfelles im Altai und siel in Jrbit; das war eine na-
türliche Folge des Wettbewerbs. Aber es wird noch immer viel an
dem Artikel verdient, denn der Russe kaust ihn jetzt mit 20 bis 30
Kopeken ein und bekommt in Jrbit 35 bis 50 Kopeken. Der russische
Marktbeamte schlug den Kaufleuteu vor, während des Marktes
eine Art Börse zu halten, um das Steigen der Preise zu verhindern,
aber die kleineren Kanfleute wollten darauf nicht eingehen.
Am zweiten Tage begann der eigentliche Handel. Schon in
aller Frühe erschienen in Schaaren die Verkäufer mit Murmel-
thierfellen und das Ans- und Abbieten dauerte bis in die Nacht
hinein. Aber die Russen lassen nur wenig von dem bestimmten Preis
ihrer Waare nach und immer nur dann, wenn der Käufer mehrere
Gegenstände zugleich nimmt. Sie gehen so schlau zu Werke, daß
dieser eine Nebervortheilung nicht merkt. Er fragt: Was kostet das
Beil? Antwort: Sechs Murmelthierfelle. Jener bietet vier
Felle, und der Kaufmann sagt: „Wenn du zwei Beile nimmst,
so gebe ich sie für elf Felle." Der Käufer bietet zehn, und der
Kaufmann entgegnet: „Nimm noch diesen Kasten, er kostet zehn
Felle; dann gebe ich dir die beiden Beile für zehn Felle." Zu dem
einen Kasten kommt dann noch ein anderer, in welchem Leder, Tuch rc.
enthalten ist, und bei jedem Stücke wird wieder ein Fell abgelassen,
so daß zuletzt der Käufer für etwa 100 bis 150 Felle bei dem Kauf-
mann eingehandelt hat, der ihm die ganze Waare um etwa 15 Felle
billiger ließ, als er anfangs gefordert. Das aber steht im Vergleich
zur Waare des Verkäufers in keinem Verhältniß und dieser ist
ubervortheilt wordeu, ohne es gemerkt zu haben.
Uebrigens sind die russischen Kaufleute sehr freundlich mit ihren
Kunden, bewirthen die angeseheneren mitThee, Zucker und Zwieback
und halten sie dadurch länger im Zelte fest. Die Mongolen bieten
erst die schlechteren Felle feil und halten die besten bis zuletzt zurück;
aber reiche Kaufleute nehmen gar keine Felle von geringer Güte.
Bei den mongolischen Soldaten befanden sich mehrere Feld-
geistliche, sogar einige tibetanische. Diese Lamas waren alle gelb
gekleidet, gehörten also nicht zur rothen Tugendsekte des Lamaismus,
sondern zur gelben.
Die Törböt und Sojoten sind von diebischem Charakter und
werden von den Soldaten streng beaufsichtigt. Ans Furcht, ihrer-
seits bestohlen zu werden, kleiden sie sich so armselig als möglich
und ketten mit eisernen Fußfesseln ihre Pferde aneinander. Einem
russischen Kaufmanne wurde während des Marktes ein Pferd ge-
stohlen; er gab davon dem russischen Marktbeamten Kunde und
dieser machte dem mongolischen Offizier Anzeige. Bon Seite des
letztern wurde sofort den Saisanen der Sojoten und Törböt bei
harter Strafe angedroht, jenes Pferd herbeizuschaffen, und schon
am Nachmittage ward es dem Kaufmanne zurückgestellt.
Die Mongolen bringen Murmelthierfelle (als Radloff dort
war, 80,000 Stück), etwas Zobelfelle, Jungvieh, Seidenzeuge,
Ziegelthee, Messer, Feuerstahl und Tabakspfeifen. Die Russen ver-
handeln allerlei Eisenwaaren, namentlich auch Vorlegeschlösser,
Messingwaaren, Tuche (nur roth, grün, gelb und hellblau), Baum-
wollenzeuge (bunter Kattun wird nicht gekauft), Leder, Schuh - und
Holzwaaren, Spieluhren und Spieldosen, Pferde, Rindvieh und
Maralhörner, welche von den Chinesen theuer bezahlt werden.
Dieser Handel an der Tschuja hängt mH jenem im Altai selber
eng zusammen.
Die Bedeutung der Seefischereien.
57
Die Gedeutung der Seefischereien.
Nicht Hunderttauseude, sondern Millionen Menschen in ver-
schiedenen Gegenden der Erde leben vorzugsweise oder ausschließ-
lich von den Nahrungsmitteln, welche das Meer ihnen darbietet.
Ganze Völkerstämme, z. B. die Eskimos, die Pescheräs, viele An-
wohner des Persischen Meerbusens rc., sind Ichthyophagen. Der
Ertrag des Fischfanges überhaupt, nach Geld berechnet, beläuft sich
in jedem Jahr äußerst hoch in die Millionen; die Fischereien sind
auch von hervorragender Wichtigkeit für die Schifffahrt und den
Handel und gewähren vielen tausend Seeleuten Beschäftigung.
Der sogenannte große Fischfang begreift den Walsischfang,
den Robbenschlag, den Stocksischfang und die Korallcnfischerei. —
der kleine Fischfang erstreckt sich auf den Härings-, Makrelen-,
Sardinen- und Austernfang. Beide Arten werden mit Recht als
eine treffliche Schule für die Ausbildung der Seeleute betrachtet,
und deshalb von manchen Regierungen, auch von der nordanieri-
kanischen, durch Prämien aufgemuntert. In unseren deutschen
Seehäfen wird leider dem Fischfang im weiten Ocean nicht so
große Beachtung geschenkt, wie das von Seiten der Holländer,
Engländer, Nordamerikaner und selbst Franzosen der Fall ist.
In unseren Tagen, da man der Fischzucht in den Strömen
mit Recht große Sorgfalt zuwendet, ist mehrfach die Befürchtung
ausgesprochen worden, daß in vielleicht nicht gar langer Zeit ein
Mangel an Fischen eintreten könne. Gewiß ist, daß dieselben
in manchen Meeresgegenden seltener geworden sind. Man wird
fragen, wie das möglich sei, da ein ausgewachsener Stockfisch
mehr als neun Millionen Eier enthält und Häringe und
Flundern sich äußerst fruchtbar zeigen? Aber die Eier allem be-
dingen noch keinen Reichthum an Fischen. Vom Rogen des Lachses
zum Beispiel bleibt ein großer Theil unbefruchtet vom Milcher,
der Hecht verschlingt viele Tausende und ein Gleiches geschieht von
Seiten der Lachsforelle und der wilden Wasservögel. Auch von
der jungen lebendigen Brut geht schon früh ein großer Theil ver-
loren. Und doch wird der Lachs in Europa überall gesetzlich ge-
schützt. Bei Fischen, die, wenn der Ausdruck erlaubt ist, vogelfrei
und allen möglichen Feinden preisgegeben sind, muß der Verlust
noch unendlich bedeutender sein. Ist doch sogar der Lachs in
manchen Flüssen Englands, wo er einst in sehr großer Menge vor-
handen war, jetzt geradezu selten geworden. Der Austernlaich
kommt zu keinem Leben, wenn er nicht eine sichere Ruhestätte findet;
er will gepflegt sein, sonst rvird nur etlva der zehnte Theil zur Auster.
Ein ausgewachsener Stockfisch kann von seiner Unge-
heuern Rogenmenge etwa vier Millionen Junge zur
Welt bringen; wenn diese alle lebensfähig blieben und sich ihrer-
seits fortpflanzen könnten, dann müßte freilich binnen Kurzem der
ganze Ocean mit ihnen angefüllt sein. Ein Naturforscher hat be-
rechnet, daß ein einziges Paar Häringe, welche fünf Jahre lang
ungestört sich fortpflanzen könnten, so daß alle Brut der verschie-
denen Generationen am Leben bliebe, eine Masse vom Umfang
unserer Erdkugel bilden würden. Daß in dieser Annahme keine
Uebertreibung liegt, ist klar genug, denn jeder Häriugs-
rogener enthält zwischen dreißig- und vierzigtansend
Eier.
Aber die Natur selber stellt, wie ans dem Lande, so auch im
Wasser ein Gleichgewicht her. Da, wo wir die Sperlinge, diese
eifrigen Polizeidieuer, vernichten, ist eine Vermehrung der schäd-
lichen Insekten die unausbleibliche Folge. Auch die jungen Fische
werden zu unzähligen Millionen vertilgt und wahrscheinlich kommt
von je tausend kaum einer zur Reife.
In England hat man die volle Bedeutung der Seefischerei
längst erkannt, und die Westminster Review brachte darüber in
ihrer vorletzten Nummer eingehende Betrachtungen, denen wir
Einzelnes entlehnen wollen.
Globus IV. Sir. 2.
Den Lachs kann man in allen seinen Lebensstadien genau
verfolgen, nicht aber die Seefische. Es ist zum Beispiel auch heute
noch nicht bewiesen, ob die Sprotte ein besonderer Fisch oder
ein junger Häring sei. Niemand weiß mit Bestimmtheit, wie alt
ein Häring sein muß, um das Geschäft der Fortpflanzung ausüben
zu können; denn die Fischer, welche allerdings in der Lage wären,
darüber Beobachtungen anzustellen, kümmern sich um den Fang,
nicht aber um Dinge, welche den Naturforscher interessiren. Sie
sagen z. B.: wenn die Möwen hoch auf den Felsen sitzen, dann
sind die Häringe weit weg in See; sie kommen aber der Küste nahe,
wenn jene Vögel sich nahe am Wasser aufhalten. Die Fischer sind
überhaupt dem Fortschritt und der Entwickelung sehr schwer zn-
gängig; der Sohn bleibt in Allem wie der Vater gewesen. In
einzelnen nordschottischen Fischerdörfern gehört ein Zeitungsblatt
zu den unbekannten Dingen!
In früheren Zeiten wurden weit weniger Fische gefangen als
in unseren Tagen, weil die Nachfrage bei weitem nicht so groß
war; jetzt aber ist der Handel mit Fischen zu einer ausgedehnten
Spekulation geworden. Steinbutten von ungewöhnlicher Größe,
die früher gar nicht selten gefangen wurden, kommen längst nicht
mehr vor, und wo ist die Zeit, da man, wie 1808 in Dover,
. 60 Stück Makrelen für zehn Silbergroschen bekam? Damals
waren einzelne Zugnetze dermaßen mit Makrelen gefüllt, daß mau
sie nicht bewegen konnte. Im Jahre 1821 fiel der Fang so reichlich
aus, daß 10 Fischerboote aus Lowestoft am 30. Juni eine Summe
von 5252 Pfd. Sterling, also mehr als 35,000 Thalern, verdient
hatten, und im März 1833 brachten vier Boote aus Hastings
10,800 Stück Makrelen an einem einzigen Tag ins Land. Heute
aber sehen wir erschöpfte Fischzüge und zumeist weit kleinere, nicht
so gute Fische als ehemals.
Die Seefischerei begann zu leiden, seitdem das Eisen-
bahnsystem eine immer größere Ausdehnung gewann, und die
Lachsfischerei wurde schlechter, seitdem man Lachs in Eis ver-
packt und über alle Welt verschickt. Das Binnenland steht gegen-
wärtig nicht mehr hinter den Küstenplätzen zurück. Das Fischerdorf
Prestoupaus liegt 5 Miles von Edinburg; es versendet aber nach
dem weit entfernten Manchester viel mehr Fische als nach der ganz
nahen Hauptstadt Schottlands. Das Binnenland hat sich an den
Genuß von Seefischen gewöhnt, die Nachfrage steigert sich fort-
während und die Fischer fangen mehr*).
Von großer Bedeutung ist besonders in Schottland die
Häringsfischerei; sie steht unter Aufsicht einer Regierungs-
behörde. Vorschriftsmäßig soll sie nur vermittelst der Treibnetze
betrieben werden, deren jedes 50 Aards lang und 36 Iards breit
(tief) ist. Die Fischer befestigen oft eine große Anzahl solcher Netze
aneinander, so daß das Ganze im Wasser eine Art von Netzmaner
auf der Strecke von einer Milc bildet. Der Fang beginnt gegen
Sonnenuntergang; dann sind die Boote auf dem „Fischerei-
Grunde", lassen das Netz über Botd, und eine an jedem Ende des-
selben befestigte Blase zeigt, wie viele Netze überhaupt treiben.
Die ganze treibende Netzmasse ist am Boote vermittelst eines langen
Schwingseiles befestigt. Nun gehen die Schiffsleute zur Ruhe und
lassen das Boot von Ebbe und Flut treiben. Der Fang gelingt,
wenn ein Häringszng (S ho al im Englischen, also Zug, Gewimmel,
Schwarm, Menge) dem Netze begegnet und in den Maschen hängen
bleibt. Gegen Sonnenaufgang werden die Netze langsam auf-
*) In Deutschland haben wir dasselbe. Im Winter 1862 auf 1863
hatten wir in Leipzig und Dresden frischen Dorsch und Schellfisch fast
alle Tage ohne Unterbrechung, während er in Bremen sehr oft fehlte. Vor
15 Jahren war es gar nicht selten, daß dort der Arbeitsmann einen Schellfisch
mit nur anderthalb oder zwei Groten bezahlte;'jetzt kosten die Seefische
an der untern Weser ziemlich so viel wie an der Pleiße oder an der ober»
Elbe. A.
8
58
Die Bedeutung der Seefischereien.
gezogen und die Fische nach und nach in's Boot geworfen. Manch-
mal ist die Ausbeute völlig unbedeutend, aber zuweilen erhält man
mit einem einzigen Zug ein ganzes Boot voll. In Bezug auf den
Fang selbst haben die Fischer weder Regel noch System, denn sie
werfen lediglich auf gutes Glück hin die Netze aus.
Nach dem Fange segeln sie möglichst rasch der Küste zu, weil
viel darauf ankommt, daß die Fische sofort eingesalzen werden.
Dabei führt ein Beamter der Fischereibehörde die Aufsicht, und
sein eingebranntes Mark bezeugt, daß Alles in regelrechter Weise
zugegangen sei. Die Häringe werden von den Bootsleuten in ge-
flochtene Körbe geworfen und sogleich in einen Trog zum Kaken
(Ausweiden) gethan. Diese Arbeit wird von Weibern verrichtet;
nachher giebt man ihnen die nöthige Menge Salz und packt sie, zu
je 850 Stück, in Fässer. Die Leitung aller dieser Arbeiten steht
unter einem Küper, der darauf zu achten hat, daß die Fische ge-
hörig sortirt werden, genug Salz bekommen und daß man alle
beschädigten Häringe bei Seite werfe. Auch paßt er wohl auf, daß
die Leute, welche den Fischen die Kehle öffnen (die Gutters), recht
scharfe Messer haben, die Packer ihre Arbeit sorgfältig verrichten
und die gefüllten Fässer gut bedecken.
Der Hanpthäringshafen ist Wick, in Caithneßshire, Schott-
land, dessen gesammte Einwohnerschaft mehr oder weniger am
Häringsfange betheiligt ist. Während der Zeit desselben, also etwa
neun Wochen, herrscht dort ein sehr reges Leben; denn unablässig
laufen Boote ein und aus und täglich werden 20 bis 30,000 Fässer
Häringe gepackt. Dieser Fang beschäftigt dort etwa 1000 Boote.
Von da, wo Bahnlinien sind, werden die frischen Häringe in
ungeheurer Menge weit und breit versandt, und viele über Rauch
von Fichtenholz in Bückinge verwandelt; aber der bei weitem
größte Theil geht eingesalzen nach Hamburg und den Ostseehäfen.
Wir wollen noch beifügen, daß die Besitzer der Häringsboote mit
dem Einsätzen und dem Verkaufe gar nichts zu schaffen haben; sie
liefern nur den „grünen", d. h. frischen Fisch; alles klebrige ist
Sache des „Cnrers", Salzers.
Auch an der englischen Küste wird die Häringsfischerei
schwunghaft betrieben und nicht mit offenen Booten, wie in Schott-
land, sondern mit verdeckten Schiffen. Den Haupthafen bildet
Jarmouth, von wo die Buysen auf mehrere Tage in See gehen.
Von dem Fange wird ein großer Theil frisch nach London befördert,
das Uebrige zumeist geräuchert. Das zu Jarmouth im Härings-
fang angelegte Kapital beträgt mehr als eine Viertelmillion Pfund
Sterling; das nur neun Miles entfernte Lowestoft hat auch
etwa 70 Boote von je 40 Tons Trächtigkeit in der Häringsfischerei.
Der Verbrauch allein in London ist kolossal; denn er beträgt
etwa 300,000 Fässer an frischen Häringen, und jedes Faß ent-
hält 700 Stück. Dazu kommen 265,000 Körbe (zu 150 Stück)
Speckbückinge und 60,000,000 gesalzene Häringe.
Der Pilscher (englisch Pilchard, Clupea pilchardus), ein
dem Häring sehr nahe verwandter Fisch, wird in Schleppnetzen,
besonders an der Küste von Cornwallis, in großer Menge ge-
fangen; aber dieser hat schon beträchtlich abgenommen. Den
Mittelpunkt für diese Fischerei bildet St. Jves. Um die Zeit, da
man das Eintreffen der Züge erwartet, welche der Küste nahe
kommen, um ihren Rogen abznlegen, wird ein Mann auf den
Küstenklippen ausgestellt, um zu lugen und die Ankunft der Pilscher
zu melden. Dann fahren die Boote auf's Meer hinaus, um den
Zug mit Netzen zu umgeben; wenn das gelungen ist, ziehen sie ihn
gemächlich dem Strande zu und salzen die Fische ein. Er liegt
acht und zwanzig Tage in übereinander geschichteten Lagen, und
während dieser Zeit tropft eine Menge von Thran ab, der gute
Preise bringt. Nachher werden die Fische abgewaschen, gepreßt, in
Fässer verpackt und in großer Menge, besonders nach Italien, ver-
schifft, wo man sie besonders während der Fastenzeit verspeist.
Sprotten fischt man in den Wintermonaten, gleichfalls in
Schlagnetzen, und der Fang fällt manchmal sehr reichlich aus.
Viele bereitet man als Sardinen zu, und der Sprottenfang hat
durchschnittlich, in England, einen Geldwerth von 150,000 Pfund
Sterling im Jahre.
Der Fang der sogenannten Weißfische (d. h. Schell- und
Stockfische) wird nicht so systematisch betrieben, wie jener des
Härings. Man bedient sich bei demselben langer Leinen, an denen
sehr viele Angelhaken befestigt sind, und das Boot zieht ein Scharr-
netz hinter sich her. Zum Köder nimmt man vorzugsweise Muscheln.
Einst waren an der deutschen Nordseeküste, wie an den Gestaden
Englands, die Schellfische und andere Gadidae so häufig,
daß man vermittelst einer gar nicht langen Leine, die höchstens ein-
hundert Angelhaken hatte, binnen kurzer Zeit wohl tausend Stück
sing; jetzt hat man Leinen mit Tausenden von Angelhaken und
fängt weniger. Der Procentsatz hat sich beim Fange wesentlich
geändert; vor vierzig Jahren gewann man an 800 Angelhaken
durchschnittlich 750 Fische, jetzt an 4000 Angelhaken kaum
100 Stück!
Der Schellfisch- und Stockfischfang wird besonders schwung-
reich in dem freundlichen Fischerorte Buckie, am Moray-Frith in
Schottland, getrieben; dieser kleine Hafenplatz beschäftigt darin
etwa vierzig größere Boote und viele kleinere Fahrzeuge. Jedes
ist Eigenthum mehrerer Antheilhaber, der Fang selber ein Part-
geschäft, und die Bemannung besteht aus acht oder neun Leuten,
welche den Fang gleichmäßig unter sich vertheilen. Die Leute von
Buckie segeln manchmal 50 Miles weit in See und bleiben dann
Tag und Nacht aus. Sie sangen auch den Leng (Gadus molva),
haben aber nur offene Boote. Nicht selten bringen sie lebende
Schellfische bis in die Themse.
Die Stockfischbank bei den Färöern ist jetzt beinahe
erschöpft, nur jene bei Neufundland hat sich glücklicherweise
bis jetzt noch immer in alter Weise bewährt, obwohl seit länger
als zweihundert Jahren eine ungeheure Menge von Fischen dort
gefangen worden ist. Der Fischereigrnnd auf derselben ist 600Miles
lang und 200 breit. Aber es ist nicht unmöglich, daß auch dort
der Ertrag allmälig schwächer werde. Auch die Fischerei auf der
Großen Dogger-Bank vor der englischen Küste hat ungemein
nachgelassen, und es ist nicht unmöglich, daß selbst die nenentdeckte,
ungemein ergiebige „Fischmine" bei Rockall, welche wir früher im
Globus ausführlich besprochen haben, schwächern Ertrag geben
werde.
Auf den Fang der sogenannten Flachfis che (Zungen, Flun-
dern, Butten rc.) gehen wir nicht näher ein. Der Verfasser eines
Aufsatzes in der Westminster Review, welcher wir manche der
obigen Angaben entlehnten, macht die Bemerkung, daß es sehr-
leicht sein würde, die Fischerei zu regeln, wenn wir erst mit der
Natnrgeschichte der Fische besser bekannt wären. Bis jetzt ist der
Fang auf See in geradezu anarchischer Weise betrieben worden.
Bis in die jüngste Zeit war man in dem Wahne befangen,
daß alle Seefische ein Wanderleben führen; wenn nun der Fang
ungünstig ausfiel, dann sagte man, der Fisch sei ausgeblieben
und nach anderen Gegenden gezogen. Aber dieser vermeintliche
Wandertrieb ist gar nicht vorhanden und die Wiederentdeckung
der Rockall - Stockfischbank liefert auch einen Beweis dafür. Alle
Fische sind mehr oder weniger lokal, von der Sprotte bis
zum Lachs, und jede Art hat ihren heimatlichen Platz. Der Lachs
hält sich allemal an seinen gewissen Strom, die Auster auf ihrer
Bank, der Hummer an seinem Felsen, der Häring an seine Bucht.
Das begreifen jetzt auch die Fischer und sie wissen, welcher Oert-
lichkeit ein Fisch angehört; sie erkennen ihn leicht und unterscheiden
auf den ersten Blick den Lachs aus dem Tay von jenem des Tweed,
und einen norwegischen Hummer von einem orkadischen. Der
feine Schellfisch ans der Dnbliner Bay ist leicht von dem schotti-
schen zu unterscheiden, ebenso ein Häring aus dem Loch Fine von
dem bei Caithneß.
Auch der Häring hat lange Zeit für einen Wanderfisch
gegolten, und man wußte sehr poetisch darzustellen, wie er in unge-
heuren Zügen aus dein nördlichen Eismeere komme, um au den
Gebirge und Vulkane auf Neuseeland.
59
Küsten Europas zu laichen. Aber diese Theorie hielt nicht Stich
und wir wissen nun mit Bestimmtheit, daß der Häring ein
ständiger Bewohner unsers Meeres ist, gerade wie die
Schellfische oder Steinbutten. Schon 1854 hat ein sachkundiger
Naturforscher, I. Cleghorn aus Wick, den klaren Beweis dafür
geliefert. Also, und das sind die Ergebnisse seiner langjährigen
Beobachtungen und Forschungen, der Häring wandert nicht, er
ist ein Eingeborener der Meeresregion, in welcher man ihn antrifft.
Innerhalb von wenig ausgedehnten Grenzen kommen mehrere
Rassen vor, die an Größe, Qualität und Laichzeit verschieden
sind und ihre unterscheidenden Merkmale fortwährend bewahren.
Wenn der Häring seinen Rogen ablegen will, kommt er mit den
Menschen in Berührung. Zu seinem Fange sind 41,045 Seeleute
und 10,974 Boote ausgerüstet; die Fangnetze halten 81,9.34,330
Quadratyards und würden eine Oberfläche von 26y2 Quadrat-
meilen bedecken.
Vor 25 Jahren wurden ungleich weniger Netze gebraucht als
jetzt, aber man fing damit eben so viel wie heute. Viele früher
sehr ergiebige Häringsstativnen geben in unseren Tagen gar keinen
oder doch nur geringen Ertrag. Die Fische sind in den am leich-
testen zugängigen Meeresgegenden zuerst verschwunden, namentlich
in der Nähe starkbevölkerter Küsten. In solchen, wo Ebbe und
Flut sehr heftig auftreten und die Strömung sehr stark ist, z. B.
zwischen manchen Inseln, halten sie sich nicht gern auf, wohl aber
an Gestaden, wo die Gezeiten schwach sind. Die Verminderung
der Häringe rührt daher, daß man zu viel gefischt hat. Wären
noch so viele Fische vorhanden wie früher, so müßte man jetzt, wo
man doppelt so viele Netze auswirft, auch doppelt so viele Fische
fangen; das ist aber durchaus nicht der Fall. Die Wicker Härings-
jäger fingen im Jahre 1820 mit 604 Booten genau so viel Häringe
als 1861 mit 1104 Booten und einer dreimal größern Netzfläche.
Uebrigens darf man wohl annehmen, daß auch in früheren
Zeiten der Reichthum und die Fülle an Fischen nie so groß gewesen
ist, wie mau gewöhnlich glaubt. Die Angaben waren offenbar
übertrieben. Die Fische müßten sich ja dann in einer geradezu
Ungeheuern Weise vermehrt haben. Man nehme einmal, daß einige
Billionen Häringe sich während etlicher Jahre vermehrten; der
Häringsrogen besteht aus etwa 30,000 Eiern. Man nehme weiter,
daß der Stockfisch von seinen mehr als neun Millionen Eiern auch
nur eine Million Junge bekäme, und nehme dazu die Vermehrung
noch anderer Arten von Seefischen! Wir ständen dann dem wirk-
lich Ungeheuern gegenüber, und das Meer könnte eine solche Menge,
ein solches Gewimmel nicht fassen, wenn keine Ausgleichung vor-
handen wäre. Wie käme es nun, falls früher die Fische wirklich
in so gewaltiger Menge vorhanden gewesen wären, daß sie sich
so rasch vermindert haben? Die Wahrheit ist: es hat früher un-
gleich mehr Seefische in der Nordsee gegeben als heute, aber bei
weitem nicht in solcher Menge, wie man anzunehmen Pflegt.
Gebirge und Vulkane auf Neuseeland.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die neuseeländische Insel-
gruppe einst eine große Rolle spielen werde. Sie hat eine ganz vor-
treffliche Weltlage, ausgezeichnete Häfen, fruchtbaren Boden, ge-
sundes Klima und liegtim gemäßigten Himmelsstriche. Dazu kommt
ein großer Reichthum an trefflichen Steinkohlen und eine Fülle
Goldes. Die Einwanderung strömt nun massenweis hinzu. Die
weiße Bevölkerung betrug zu Ende 1860 erst 85,000 Köpfe, sie ist
aber seitdem um mehr als 20,000 Seelen angewachsen.
Der holländische Seefahrer Abel Tasman hatte 1642 von
Mauritius aus eine Entdeckungsreise nach Osten hin unternommen,
und auf dieser fand er am 13. Deeember Land, welches er für
einen Theil der großen Terra australis incógnita hielt. Mehr als
hundert Jahre vergingen, bevor dasselbe wieder von einem euro-
päischen Fahrzeuge besucht wurde; erst 1769 sah Kapitän Surville
die Nordostküste; Cook kam im Herbste desselben Jahres und war
zuerst gleichfalls der Ansicht, daß er ein Stück des großen unbe-
kannten Südlandes entdeckt habe. Aber er umsegelte daun die
Inseln und damit fiel die Theorie für immer.
Die Ansiedler von Neuseeland sind mit den dermaligen Namen
unzufrieden, und möchten ihn gern in Süd-Britannien ver-
wandeln. Mit einer leicht erklärlichen Vorliebe stellen sie Ver-
gleichungen zwischen der alten uud neuen Heimat an und malen
die Zukunft ihrer Antipodeninseln mit glänzenden Farben. Haben
wir, sagen sie, nicht alle Bedingungen, um groß uud mächtig zu
werden? Unsere insulare Lage ist herrlich, wir sind die Königin,
die wahre Perle im Großen Ocean. Zwar Australien liegt eintausend
Seemiles von uns entfernt, aber das ist uns lieber, als wenn wir
diesem Jnselkontinente näher gerückt wären, und mit Dampfern
legen wir die Strecke in vier bis höchstens fünf Tagen zurück. Die
Hafenmärkte Australiens sind also für uns gute, ungefährliche
Nachbarn, bei wir mit leichter Mühe erreichen. Sie liegen uns
westlich; im Norden haben wir die tausend Inseln Polynesiens, die
nothwendig unsere Handelsdomäuen werden müssen, und liegen
wir nicht auch im Bereiche der großen Dampferlinie zwischen Europa
und Australien? Denn über Panama wird diese künftig gehen
müssen. Die spanischen und niederländischen Kolonien im indischen
Archipelagus werden von unseren Küsten aus ohne Mühe oder
Gefahr erreicht, ebenso Indien und China; und nach Osten hin ge-
langen wir auf der uns heimatlichen Südsee nach Californien,
Mexico, Peru und Chile. Wir befinden uns im Centrum des großen
Australoceans, mittewegs zwischen den beiden großen Kaps, jenem
der Guten Hoffnung uud dem vor der Spitze Südamerikas.
Die Gruppe erstreckt sich in einem Bogen von Südwest nach
Nordost, zwischen dem 48. und 34.° S. Br. und 166. bis 179.° O.
Länge; die Strecke vom Kap Maria Vandiemen im Norden bis
zum South Cape ist etwas länger als 1000 Miles. Die größte
Breite, unter 38° S. Br., beträgt 200 Miles. Die beiden großen
Inseln sind durch die Cooksstraße von einander getrennt; sie ist etwa
150 Miles lang und 50 breit. Eine dritte Insel, Stewarts Island,
ist klein und von der großen südlichen Insel, New Munster, durch
die Foveaux-Straße getrennt.
Im Jahre 1853 wurde Neuseeland in sechs große Provinzen
getheilt: Auckland, Tarranakiund Wellington aufderNord-
insel New Ulster; Nelson, Canterburh und Otago auf der
Südinsel. Diese letzteren sind durch die Goldfunde wichtig geworden.
In der jüngsten Zeit sind noch zwei Provinzen hinzngekommen:
Hawkes Bay und Marlborongh.
Gelegentlich werden wir näher auf eine Schilderung von Neu-
seeland eingehen, denn diese Inseln sind auch für die Geschichte des
Kolouisationsweseus und wegen ihrer Eingeborenen sehr interessant.
Heute geben wir, nach einer neuseeländischen Zeitung, einige Mit-
theilungen über die Gebirge. Ganz Neuseeland ist, wie Italien von
den Apennien, mit Verzweigungen einer Gebirgskette bedeckt, welche
man als Austral-Alpen bezeichnet. Die höchsten Gipfel derselben
liegen auf der Südinsel und ihr höchster Punkt, der Mount Cook
auf der Westseite, erhebt sich höher als 12,000 Fuß. Die Berge
Tyndall, Arrowsmith, Haidinger uud mehrere andere,
gipfeln zwischen 9000 und 10,000 Fuß. Wenn die Kolonisten jenen
8*
-
60
Gebirge und Vulkane auf Neuseeland.
Lheil der Australalpen für das allerschönste Land in der Welt er-
klären, so liegt darin ohne Zweifel einige Uebertreibung. Aber es
erleidet keinen Zweifel, daß es prachtvolle Landschaften darbietet.
Es hat Gipfel, die mit ewigen Schnee bedeckt sind nnd gewaltige
nicht so hoch, aber eben so merkwürdig. Denn dort steigen mächtige'
vulkanische Kegel empor, dort liegen Basalte, heiße Quellen ohne
Zahl, nnd manche davon sind intermittirend nnd gemahnen an die is-
ländischen Geyser; auch fehlen nicht Schlammvulkane nndSolfataren.
r. I. «Raven s t ei iv.
Gletscher tragen, herrliche Wasserfälle, ruhige Alpenseen, geschützte
Meerbusen, dichte Wälder und mächtige Felsenpartien.
Die australischen Alpen erheben sich, gleich den amerikanischen
Andes, an der Westseite steil aus dem sehr tiefen Ocean empor.
Nach Osten hin entwickeln sie sick, in einem ausgedehnten System
abgerundeter Berge, wellenförmiger Hochebenen nnd Hügelketten.
Dann folgen Allnvialebenen. Die Gebirge auf der Nordinsel sind
Fast in der Mitte der Nordinsel, unweit vom südlichen Ufer
des Taupo-Sees (siehe unsere Karte), dessen stille Gewässer
einen alten Krater ausfüllen, erheben sich die mächtigen Vulkane
Tongariro und Rnapahu. Der erstere hat noch jetzt zwei le-
bendige Krater; der letztere scheint erloschen und trägt Schnee. Diese
beiden Riesen beherrschen eine Gruppe kleiner Vulkane, die gleichsam
Trabanten bilden und von den Maoris, den Eingebornen, als
Das neue Territorium Idaho in der amerikanischen Nordunion. — Kleine Nachrichten.
61
Frauen und Kinder des Tongariro und Ruapahu bezeichnet werden.
Die Sage erzählt, ein dritter Riese, der Taranaki, sei mit den
beiden anderen in Streit gerathen und unterlegen. Da habe er
nach der westlichen Küste fliehen müssen, wo er nun einsam steht
und stolz auf seinen Schneemantel ist; das ist der Pik Egmont,
8270 Fuß hoch.
Nordöstlich vom Tongariro, in der Plenty-Bay, bildet der
zweite thätige Vulkan Neuseelands die Insel Wh alari (weißes
Eiland). Er ist nur 868 Fuß hoch, stößt aber ununterbrochen Rauch-
wolken and. Die Entfernung zwischen dem Whakari und dem
Tongariro beträgt 120 Miles, aber dieser ganze Zwischenraum ist
mit heißen Quellen, Seen und Solfataren gefüllt. Zum Schlüsse
mag bemerkt werden, daß sowohl der vulkanische Distrikt von Auck-
land, wie jener der Jnselbay mit einer unzähligen Menge kleiner
erloschener Krater bedeckt sind.
Das neue Territorium Idaho in der amerikanischen Aordunion.
Die ganze Breite des nordamerikanischen Festlandes ist nun
mit Staaten oder organisirten Territorien überspannt; es giebt
keine Lücke mehr aus dein Raume zwischen dem Atlantischen Ocean
und dem großen Weltmeer. Nun ist auch die, ich möchte sagen
Kernregion der Felsengebirge durch einen Beschluß des Kongresses
unter dem Namen Idaho als Gebiet, Territorium, organisirt
worden. .
Idaho (sprich Eid ah 6, mit dem Accent auf der letzten Silbe)
bildet den Embryo eines neuen Goldstaates, indem man auch dort
das edle Metall in Menge entdeckte, und dieses hat rasch unter-
nehmende Leute angezogen, welche das Bedürfniß staatlicher Ord-
nung fühlen. Diesem hat nun die Bundesregierung abgeholfen,
indem sie ans gewöhnlichem Wege Territorialbeamte ernannte und
die Grenzen des neuen Gebiets feststellte.
Dasselbe liegt im Norden der Gebiete Utah und Colorado, im
Westen von Nebraska, und umfaßt einen beträchtlichen Theil des
Landes der Schoschoni- (Schlangen-) Indianer. In seiner
östlichen Hälfte bedeckt es vier Breitegrade, von 41 bis 45 0N. Br.,
in der westlichen Hälfte reicht es von 42 bis 46° N. Br. Es um-
faßt 13 Längengrade (von 104 bis 117« W. Länge).
Die östliche Hälfte wird von der Poststraße durchzogen, welche
aus Missouri nach Californien führt. Die Rocky-Mountains bilden
gleichsam das Rückgrat dieses Territoriums; sie ziehen vom be-
rühmten Südpaß an, in nordöstlicher Richtung, und von ihnen
strömen unzählige Gefließe herab, so daß an Bewässerung kein
Mangel ist. Vor wenigen Jahren dnrchstrichen nur einzelne Trappers
und Mountaineers, also Pelzjäger, Gebirgswanderer, jene Ein-
öden; dann aber kamen die Abenteurer, welche nach Gold suchten.
Sie fanden Gold und blieben.
Die Territorien Oregon, Dacotah und Washington haben
die Landstrecken hergegeben, aus welchen nun Idaho gebildet worden
ist. Dergleichen ist in Nordamerika herkömmlich. So wurde vor
Kurzem auch das Colorado-Territorium ans Theilen von Kansas,
Utah und Nebraska geschaffen.
Die ersten Goldsnnde in Idaho wurden im Sommer 1861
gemacht, und die ersten Minen in der Quellgegend des Salmon-
River angelegt, also am westlichen Abhange der Rocky Moun-
tains; der Salmon River ist ein Zufluß des Lewis, d. h. des süd-
lichen Hauptarms des Columbia. Der Ertrag war gut, und deshalb
strömten im Jahre 1862 Züge von Diggers ans Californien, vom
großen Salzsee und vom Pikes Pik ein. Die Gegend wurde weit und
breit „prospektet". Als der Missouri frei vom Eisgang war, fuhren
etwa 400 Männer von St. Louis ans Dampfern der amerikanischen
Pelzhandels-Gesellschaft stroman bis Fort Benton, das schon
hoch oben am Missouri in den Felsengebirgen liegt. Die Mehr-
zahl dieser Leute war von der American Exploring und Mineral
Company ausgeschickt worden. Bon Fort Benton fanden sie einen
guten Weg nach den etwa 180 Miles entfernt liegenden Goldfeldern,
hatten aber anfangs nur geringe Erfolge. Am 1. September jedoch
fanden sie äußerst ergiebige „Placeres" (Placers, wie die Uankees
sagen), in welchen der einzelne Mann täglich 20 bis 40 Dollars
erwarb. Diese ergiebige Goldstätte liegt am Graöshoppers-
Creek, unweit von den dreiForks des Missoirri, in der Nähe
der Big-Hole Prairie. Auch am Gold Creek und imPrickly
Pear Valley wurde reichlich Gold gefunden, und zwar sogenanntes
Schuppengold, so fein und gediegen, daß die Unze 19'/s Dollars
werth ist.
Gleich nachher wurden am Dear Lodge sehr ausgiebige
Placeres in Angriff genommen, und noch im Herbst begannen die
Miners den Bau einer Stadt am Dear Lodge, da wo die M ul l an s -
und die Lander-Straße zusammenstoßen. Das Thal wird als
eine reizende Landschaft geschildert; Wild ist im Gebirge noch in
Menge vorhanden. Dear Lodge City hatte im Frühjahre
1862 schon nahe an einhundert Häuser und unterhält seit-
dem eine regelmäßige Verbindung nach Westen hin mit Great Salt
Lake City, nach Osten hin mit Fort Laramie.
Alle Thäler in der Qnellgegend des Missouri sind sehr frucht-
bar. In der Gegend von Dear Lodge City wohnen schon seit mehre-
ren Jahren ein halbes Dutzend Familien französischer Canadier,
die als Pelzjäger in jene Gegend gekommen waren. Bei ihnen lebt
ein alter, oft genannter Monntaineer, John Grant; er besitzt eine
Heerde von mehr als 600 Häuptern Rindvieh und baut Mais. Dem
Ackerbau steht in jener Gegend nichts hindernd im Wege.
Die neuen Goldfelder in Idaho liegen 180 Miles von
Fort Benton, 450 Miles vom Fort Wallawalla, d. h. dem Zu-
sammenflüsse beider Hauptarnie des Columbiastroms, und ungefähr
300 Miles von der Mormonenhanptstadt am großen Salzsee. Allem
Anschein nach ist die ganze Region der Rocky Mountains goldhaltig.
Nach Idaho gelangt man leicht, weil der Missouri bis in das Ge-
birge hinein mit Dampfern befahren werden kann.
Lleine Nachrichten.
Virginia-City im Nevada oder Washoe-Territorium. Wir
gaben vor ein paar Monaten über diese Stadt einige Notizen nach
dem Bericht eines preußischen Reisenden, und haben nun einige
Notizen eines andern Deutschen vor uns, welche während der
Weihnachtstage 1862 geschrieben wurden. Im Jahre vorher war
um jene Zeit das Wetter sehr kalt gewesen; diesmal war es mild.
Lebensmittel, namentlich Mehl, hatte man in Fülle, weil bei der
guten Beschaffenheit der Wege der Transport aus Californien her
nicht unterbrochen wurde; das besteFleisch kostete nur8 bis 10 Cents.
Die Minen haben sich im vorigen Jahr um 1000 Procent gehoben
und die Aussichten für die Zukunft waren glänzend, lieberall ent-
standen neue Werke und Anlagen für bessern Betrieb. Je tiefer man
62
Kleine Nachrichten.
gräbt, um so reichhaltiger sind die Erzgänge. Die reichen Kom-
pagnien geben Hunderttausende für Maschinen aus, namentlich für
Quarzmühlen von ungeheurer Größe. Die besten Gruben sind im
Besitze reicher Kapitalisten, denn die unbemittelten Miners werden
von diesen „ausgefroren". So lautet derKunstausdrnck. Diemeisten
Miners stecken tief in Schulden und manche leiden bei ihrer sauren
Arbeit beinahe Hunger. — In Virginia-City hat sich die Zahl der
Häuser im letzten Jahre verdoppelt; aber ein großer Uebelstand liegt
darin, daß alles böse Gesindel aus Calisornien sich dorthin gezogen
hat; ein Mord folgt dem andern.
Der Deutsche bemerkt ferner: In: verflossenen Monate machte
ich hier eine große Rundreise um das Centpum der Minen, welches
Virginia und Gold Hill ist; unter anderen Sehenswürdigkeiten be-
suchte ich die Ophir Quarzmühle, vierzehn Meilen von hier; sie
liegt am See Washoe und dicht am Fuße der mit ewigem Schnee
bedeckten Sierra Nevada. Das Werk an sich selbst ist großartig und
umfangreich, im Staude, jeden Monat eine halbe Million Gold
und Silber zu gewinnen und zu Markte zu schaffen. Alle dazu er-
forderlichen Gebäude stehen ans etwa hundert Ackern Grund, und
das ganze Etablissement ist mit einem zwölf Fuß hoher: Zaun um-
zogen. Als Superintendent ist ein Deutscher angestellt, dem die
Gewinnung des Metalles allein anvertraut ist, und um den sich
das ganze Werk dreht wie die Planeten um die Sonne. Ich fand in
ihm den echten deutschen Biedermann vom alten Schlag, offen und
gefällig ohne Umschweife; er ist jedenfalls ein gelehrter, sachkundiger
Ässayer und Chemist, der für seine Dienste 600 Dollars per Monat
erhält oder so viel er verlangen mag; in einem der großen langen
Gebäude zeigte er mir das feinste Golderz, das über drei Millionen
Thaler werth sein soll, und in dem Laboratorium lagen die Gold-
und Silberbarren aufgehäuft, als wäre es Eisen oder Blei. Dieser
achtbare Landsmann ist Herr Wollweber, ans Wetzlar gebürtig,
Bruder von Herrn Theodor Wollweber, früher Brauer iu Sau Fran-
cisco und später Apotheker in Colninbia und Sacramento, und nun
in Los Angeles wohnhaft.
Aus Britisch-Columbia. Von Victoria nach Esquimalt,
auf der Insel Vancvnver, wird ein Telegraph gebaut; auch
soll im Laufe des Jahres 1863 eine Linie von Britisch-Columbia
nach dem Washington-Territorium gezogen werden, das bereits
mit Calisornien, also auch mit den atlantischen Staaten, in Ver-
bindung steht.
Ein kalifornischer Fichtenstamm von kolossaler Größe trieb
im vorigen Herbst an die Küste von Maui, einer der Saudwichs-
Jnseln.' Mehrere andere kamen in den nächsten Tagen und wurden
ans Land gezogen; andere aber schwammen weiter, und werden,
von den Meeresströmungen durch den Stillen Ocean weiter nach
Westen hin geflößt, wohl irgendwo im indischen Archipelagus,
China oder Japan landen.
Die Mormonen am Großen Salzsee. Wir erwähnten der-
selben in unserer vorigen Nummer und äußerten, daß der Kongreß
der amerikanischen Nordunion verfassungsmäßig gar kein Recht
habe, sich in die religiösen Angelegenheiten der Mormonen zu
mischen. Er hat es jedoch widerrechtlich gethan und eine„Polygamy-
Act" erlassen, welche den Mormonen verbietet, mehr als eine Frau
zu heiratheu. Der Oberrichter der Vereinigten Staaten im Ter-
ritorium Utah ließ in der ersten Woche des März den Präsidenten
Brigham Ioung gefangen nehmen und erfuhr dabei keinen Wider-
stand. Aber die Verhaftung war nur eine augenblickliche; das
kirchliche Oberhaupt der Heiligen vom jüngsten Tage wurde sofort
gegen 2000 Dollars Bürgschaft freigelassen und wird sich nun an
die Gerichte wenden.
Wir unsererseits sind nicht eben für die Polygamie einge-
nommen; sie paßt nicht für Kulturvölker. Aber darauf kommt es
bei der obschwebenden Frage gar nicht an, wohl aber darauf, ob
die Regierung der Nordunion ein Recht habe, diese Einrichtung,
welche bei den Mormonen mit der Religion zusammenhäugt, zu
verbieten. Der Kongreß hat dazu auch nicht einen Schatten von
Befugniß; und sobald die Klage Brigham Aoung's an das Ober-
gericht kommt, muß dasselbe nothwendig die Entscheidung abgeben,
daß der Kongreß sich einer widerrechtlichen Anmaßung schuldig ge-
macht habe und daß seine Polygamy-Act null und nichtig sei.
Beiläufig wollen wir bemerken, daß wohl niemals eine so
durch und durch demoralisirte, nichtsnutzige und gewissenlose Ver-
sammlung über die Geschicke eines Volks entschieden hat, wie der
Kongreß zu Washington unter des „Possenreißers" Lincoln Prä-
sidentschaft. Ein Neuyorker Blatt bemerkt: „Dieser Kongreß
charakterisirte sich durch dreierlei: Wahnwitz, Gaunerei und Nieder-
trächtigkeit."
Zur Statistik von Nen-Brannschweig. Diese englische Ko-
lonie liegt zwischen Unter-Canada, der Fundy-Bay und dem
Uuionsstaate Maine; die wichtigsten Städte sind St. John und
Frederickton. Die Volksmenge beläuft sich nach der Zählung von
1862 auf 252,047 Seelen, also fast auf dieselbe Ziffer, welche das
Herzogthum Braunschweig in Deutschland aufweis't. Die Zu-
nahme hat in 10 Jahren 58,247 Köpfe betragen. Von der gegen-
wärtigen Zahl sind 52,602 nicht in der Provinz geboren und von
diesen sind 30,075 Irländer, 5200 Schotten, 4909 Engländer,
8721 meist aus den benachbarten englischen Kolonien, 3594 aus
anderen Ländern. Die Zahl der Neger ist glücklicherweise nur ge-
ring, sie beträgt 1581; jene der Indianer 1212. Bei Sussex sind
Steinkohlen, bei Alma in Albert County ist Kupfer, bei
Lower Prince William in Jork County Spießglanz gefunden
worden.
Deutsche Auswanderung über Bremen. Dieser rührigen
Hansestadt gebührt der Ruhm, die Beförderung der Auswanderer
und die Verpflegung der Leute in ein zweckmäßiges System ge-
bracht zu haben. Diese Fürsorge hat sich auch pekuniär glänzend
belohnt. Der Kundige weiß, daß es ein niedrig gegriffener Satz ist,
wenn man im Durchschnitt das Neberfahrtsgeld nach Nordamerika
für den Kopf auf 30 Thaler rechnet und daß die Auswanderung
eine gute Ausfracht gewährt. Der indirekte Vortheil ist nicht minder
hoch anzuschlagen als der direkte. Gegenwärtig hat die Auswan-
derung stark abgenommen, es können aber wieder Zeiten der Flut
auf die gegenwärtige Ebbe folgen; «her sie wird dann wahrschein-
lich weniger nach der Aankee-Union gehen, die jetzt Steuerdruck,
unvernünftig hohe Zölle, Konskription, Diktatur rc. fast ärger zu
tragen hat als je ein europäisches Land.
Wir haben so eben den „Neunten Bericht über die Wirksamkeit
des Nachweisungs-Bureaus für Auswanderer in Bremen während
der Jahre 1861 und 1862" erhalten und danken für die Zusendung.
Gelegentlich werden wir einige Bemerkungen an diesen Bericht
knüpfen; heute wollen wir nur die Thatsache hervorheben, daß von
1832 bis 1862, also binnen zwanzig Jahren, über Bremen nicht
weniger als 793,267 Auswanderer über See befördert worden sind.
Bekanntlich rechnet man die durchschnittliche Habe eines solchen auf
100 Thaler; der Geldverlust für Deutschland stellt sich also auf
ungefähr 80,000,000 Thaler, ohne den volkswirthschastlichen Ver-
lust zu rechnen.
Die Auswanderung stellte sich in jenen zwei Jahrzehnten in
folgender Weise heraus:
1832 . 10,344 Transp. 253,133
1833 . 8,891 1848 . .... 29,947
1834 . 13,086 1849 .... 28,629
1835 . 6,185 1850 . .... 25,776
1836 14,137 1851 . .... 37,493
1837 . 15,087 1852 . .... 58,55k
1838 . 9,312 1853 . .... 58,111
1839 12,412 1854 . .... 76,875
1840 12,806 1855 .... 31,550
1841 9,594 1856 .... 36,511
1842 13,619 1857 .... 49,399
1843 9,927 1858 .... 23,095
1844 19,857 1859 .... 22,098
1845 31,822 1860 .... 30,128
1846 32,372 1861 .... 17,261
1847 33,682 1862 .... 14,710
Transp. 253,133 Total 793,267
Hochzeitswünschc bei den östlichen Kalmücken. Bei ihnen
wird Hochzeit gemacht, wenn der Bräutigam den bedungenen Preis
für das Mädchen cm den Brautvater erlegt hat. Die Braut wird
in stattlichem Zug in die Jurte ihres Schwiegervaters geführt,
der ihr eine Schäle mit Branntwein reicht und, nachdem sie ge-
trunken, eine lange Reihe von Wünschen, in kurzen Sätzen, aus-
spricht. Es sind manche recht hübsche und charakteristische darunter.
Z. B. folgende:
Der alten Leute Segen möge dich erreichen.
Des hohen Gottes Auge möge dich treffen.
Deine Wohnstätte möge aschenreich sein.
Zahlreicher als Schafe und Lämmer möge deine Nachkommen-
schaft sein.
Zahlreicher als der Auerhahn und seine Jungen möge deine
Nachkommenschaft sein.
Wie Weidengebüsch und Baumschößlinge mögen sie sein.
Wie Buchweizengrütze und aufkeimende Saat mögen sie sein.
Vor dir möge der Mond scheinen.
Hinter dir möge die Sonne scheinen.
Auf Hügelland stelle dein Haus.
Kleine Nachrichten.
63
Auf Bergland weide dein Vieh.
Deine Kleidung möge nie schmutzig werden.
Deine Pferde mögen nie mager werden.
Deine Lebenszeit sei lang.
Dein Verstand möge flink, dein Geist leicht sein.
Gegen den, der dich tritt, sei wie Eisen.
Dein Feuer strahle Wärme aus.
Deine Speise möge reichlich sein.
Dein Arm möge nicht erkranken.
Hundert Jahre lebe.
Einen Renner besteige.
Neue Ausgrabungen in Pompeji. Das „Journal de Genove"
enthält darüber einen interessanten Bericht: An verschiedenen
Stellen hat das Gemisch von Asche und Wasser eine feste Decke
über die unter ihnen begrabenen Gegenstände gebildet und so deren
Abdrücke bewahrt. In einem Hause, welches man jüngst nach
neuen Systeme vertikal ansgrub, erschien, als man ein Stück
einer solchen Decke wegnahm, eine Höhle, welche Knochen enthielt.
Man goß sofort Gyps in die Höhle. Als der Gyps fest geworden
war, nahm man die Decke weg, und den Augen bot sich ein herz-
zerreißender Anblick dar. Man erblickte mehrere Leichen in der
Stellung, in der bei ihnen der Tod eingetreten war: eine ältere
Frau und ein junges Mädchen, die eine zu Füßen der andern
liegend, diese gegen die Erde gewendet, das Haupt ans dem Arme,
die Hände zusammcngeballt.- Nach 18 Jahrhunderten noch von
den Todeszucknngen erzählend, welche ihrem Ende vorhergegangen,
sind die Leichen gleichzeitig ein Bild des Todes und der Agonie.
In den Abgüssen sind die Lckelete enthalten. Hier und dort starren
die Knochen durch den Gyps. Wohl keine Statue der Welt macht
einen Eindruck gleich diesen. Dazu das wissenschaftliche Interesse,
das sie gewähren. Der Abdruck der Kleider ist sehr bestimmt; um
die Beine sind Bänder gewunden von einer Art Trieotstoff, an
welchen die Maschen noch deutlich zu erkennen sind. Außer diesen
zwei Leichen fand inan die Formen von noch einer Frau und einem
Manne. Letzterer mißt 6 Fuß und trägt einen Schnurrbart. Er-
liegt auf dem Rücken. Seinem Antlitze sieht man die Schmerzen
an, die er gelitten, doch muß er mit Resignation den Tod erwartet
haben. Die Formen der Frau sind von bewundernswürdiger
Schönheit.
Die Ausgrabungen in Pompeji fördern überhaupt, wie dem
Londoner Athenäum geschrieben wird, unter ihrem jetzigen um-
sichtigen und energischen Leiter Cav. Fiorelli fast täglich neue
Wunder zu Tage. Vor Kurzem wurde nahe an der Porta Orientale
eine Antike gefunden, die in allen Museen Europas nicht ihres
Gleichen hat, nämlich eine große zweiarmige Lucerna von ge-
diegenem Golde, welche, nach Fiorelli's Vermnthung, zum Schatz
eines Tempels gehört haben dürfte. Das Gold ist vom feinsten
Korn, und da der Leuchter über 3 Pfund wiegt, so beträgt der
Metallwerth mehr als 10,000 Lire. Dieser werthvolle Fund ist
jetzt im Museum zu Neapel in der Naccolta degli oggetti preziosi
niedergelegt.
Ruinen des Pachacamac-Sonnentempels in Peru. Die
berühmtesten und interessantesten unter allen Ruinen in der Um-
gegend von Lima sind die der Stadt und des Tempels Pachacamac.
Der Weg führt vom Rimacthal aus über das steile Vorgebirge
von Morro Solar oberhalb Cborillos, wendet sich dann scharf
herum in einen Akazienwald und lenkt von diesem in eine breite,
schöne Allee von Weidenbäumen ein, durch welche man zu der
Zuckerpslanzung Villa gelangt. Obstgärten, Mais-, Zuckerrohr-
und Kleefelder breiten sich zu beiden Seiten aus, und die Pflanzung
selbst bildet mit ihren herrschaftlichen und Wirthschaftsgebäuden,
ihren Hütten für fünfhundert Sklaven und der Kirche eine an-
sehnliche Häusergruppe. Villa war lange durch den widerspenstigen
Geist seiner Sklaven berüchtigt. Wenige Jahre zuvor hatten sie den
Aufseher erschlagen und in den Ofen geworfen, und noch immer
gilt diese Straße für die gefährlichste in der Nähe von Lima. Jen-
seits Villa dehnt sich eine weite Küstenebene mit mehreren Seen,
auf denen sich viele Wasservögel aufhalten, bis an die über eine
Meile breite Sandwüste von San Juan aus, die man durchreiten
muß, ehe man, auf einer nnmerklich ansteigenden Höhe angelangt,
zum ersten Mal einen Blick ans das Meer und ans die Ruinen des
einst prächtigen Pachacamac gewinnt. Ich ritt schnell den ziemlich
steilen Sandweg hinab, berührte die kleine Hacienda Mama-Conas
und befand mich bald in der Stadt der Tobten.
Mit einem Gefühle schmerzlicher Niedergeschlagenheit durch-
wandert man die nun öden und verlassenen Straßen der einst so
wohlhabenden und volkreichen Stadt, deren Alter über die Zeiten
der Inkas hinausgeht. Die Häuser sind von kleinen Ziegeln erbaut,
die Dächer verschwunden und die inneren Räume mit Sand gefüllt.
Nach dem Meere zu erhebt sich ein einzelner Berg über der Stadt.
Auf seinem Gipfel befand sich der berühmte Tempel. Die Ruinen
bestehen aus drei breiten Terrassen mit zwanzig Fuß hohen Mauern,
an denen man stellenweise noch die Scharlachfarbe erblickt, die einst
das Ganze überkleidete. Trotz der Einwirkung von mehr als drei
Jahrhunderten hat die trockene Luft dieses regenlosen Landes sie er-
halten. Der Tempel, welcher die abgeplatteteOberfläche des Berges
einnahm, war ein Heiligthum des Pachacamac, des Schöpfers der
Erde (von Patsch a, Erde, und Camac, Particip von Caman!.
ich schaffe), des höchsten Gottes der Indianer von Peru, dessen
Kultus sich über das ganze Jnkareich ausdehnte und an dessen
Altären die frommen Pilgrime von den fernen Ebenen Chile bis
zu den sonnigen Wäldern des Aequators zusammenströmten. Der
Tempel wurde durch Fernando Pizarro zerstört und geplündert;
nach den Chronisten jener Zeit waren die Thore mit Gold plattirt
und mit Edelsteinen besetzt, wonach sich die ungeheuren Schätze,
die das Innere bergen mochte, bemessen lassen.
Am Fuße des Tempels befinden sich die Trümmer eines Tambo
oder Pilgerhospizes; auch haben Alterthumsforscher die Spuren
eines Palastes, eines Sonnentempels und eines Jung-
frauenklosters entdeckt. In ihrem gegenwärtigen Zustand unter-
scheiden sie sich wenig von den anderen Ruinen, so prächtig sie auch
in den glücklichen Zeiten der Inkas gewesen sein mögen.
Die Aussicht von der Höhe ist entzückend. Die große, lautlose
Stadt Pachacamac, von keiner lebenden Seele mehr bewohnt, dehnt
sich unmittelbar unter dem Berg aus, von dem fruchtbaren Thale
Lurin durch den Fluß gleichen Namens geschieden; im Norden dieses
kleinen Stromes ist das Uferland zwischen dem Ocean und den
Anden eine Sandwüste; im Süden bildet der lachende Anblick
des schön bewaldeten und wohl kultivirten Thals von Lurin einen
schlagenden Gegensatz.
Der Abend, so erzählt Markham, war stark hereingebrochen,
als ich die berühmten Ruinen verließ. Ich ritt ans der fruchtbaren
Seite des Stromes nach einem Hüttchen zu und bat um Nacht-
quartier; aber statt des freundlichen Indianers, den ich erwartet
hatte, kam eine Mordbande von Negern heraus, deren
drohende Haltung das Schlimmste befürchten ließ. Herausfordernde
Worte folgten und endeten damit, daß Einer von der Bande mit
einem langen Messer auf mich losstürzte. Somit blieb keine Wahl
mehr übrig; ich feuerte, nur ein paar Zoll von ihm entfernt, meinen
Revolver ab, gab dem Pferde die Sporen, sandte einem Zweiten
von der Bande einen Abschiedsschuß zu und jagte durch dieTodten-
stadt nach der Sandwüste zurück, wo ich mein Nachtquartier aufschlug.
Die Ruinen bei Lima, sammt denen von Caxamarquilla und
Pachacamac, sind jedenfalls die Ueberbleibsel einer sehr alten Ci-
vilisation und stehen, ebenso wie die gigantischen Trümmer von
Tiahuanuco am SecTiticaca, zu denBauwerken der späteren Inkas
in demselben Verhältnisse, wie die großen Ruinen von Palenque
und Uxmal zu den Denkmälern der verhältnißmäßig neueren Azteken.
Die Tuareks in der Sahara sind theilweise in das franzö-
sische Interesse gezogen worden. Wir haben im Globus häufig
darauf hingewiesen, wie große Mühe die Behörden in Algerien
sich in dieser Beziehung gegeben haben; auch Duveyrier's Reise,
über welche wir nächstens noch einige Bemerkungen bringen, stand
damit im Zusammenhang. Im vorigen Jahre war abermals eine
aus mehreren Offizieren bestehende Expedition ausgerüstet worden;
sie sollten die wichtige Oase Rhadames (Ghadames), in welcher
der eben erwähnte Reisende sich längere Zeit aufgehalten, noch näher
erforschen. Sie kamen am Tage vor Weihnachten nach Konstantine
zurück und Alles war nach Wunsche gegangen. Die Bevölkerung
hatte keinerlei Feindseligkeit gegen die Christen gezeigt. Die meisten
Leute dort können lesen und schreiben und sind weiter vorgeschritten,
als die algerischen Muselmänner. Sie stehen unter einem Mudir,
den der türkische Sultan ernennt, welcher Rhadames als seinen
Besitz betrachtet.
Die Region weiter nach Westen hin ist Land der Tuareks.
Mit ihnen hat die französische Negierung einen Vertrag abgeschlossen,
dessen Bedeutung auf den ersten Blick einleuchtet.
Aus Algerien führen drei istraßenzüge nach dem innern
Sudan. Der westliche geht durch die Oase Tuat über Mabuk
und ArauLn nach Timbuktu und dem Niger; der mittlere über
den Dschebel Ahagar (Haggar) über Agadhes nach Sokotu
und Kano, also recht in den centralen Sudan hinein; der dritte
auch über Agadhes nach Bornu. Die Tuareks können alle drei
Straßen verlegen und sperren.
Nun besagt der Vertrag, daß sie auf allen Märkten Algeriens
ungehindert Handel treiben können und in dieser Beziehung den
französischen Unterthanen gleich gestellt sind. Ihrerseits haben sie
sich verpflichtet, die französischen Kaufleute zu beschützen, nicht
minder alle Algerier, die weiter keinen Abgaben unterworfen sind, als
den landesüblichen Zollen. Die Häuptlinge verpflichten sich auch,
64
Kleine Nachrichten.
den Franzosen die Straßen nach d.em Sudan, welche für
den Handel am vorteilhaftesten sind, zn zeigen. Die fran-
zösische Regierung will gern die Kosten tragen, diese Straßen durch
Kunstbauten und durch das Graben von Brunnen in
bessern Zustand zu setzen.
Der Scheich El Hadsch Jchenuchen und die übrigen politischen
Häuptlinge des Landes Asgher werden all ihren Einfluß bei dem
Kelluistamm anfbieten. damit den algierischen Kanfleuten und den
Karawanen im Lande Air (As-ben, wo Aghades liegt) keinerlei
Hindernisse in den Weg gelegt werden.
Die Kleine Bncharei. So bezeichnet man insgemein das
Tafelland zwischen dem Thian schan und dem Kuön luöu; man
sagt auch wohl: Hohe Tatar ei oder Ost-Türke st an. Aber
der Ausdruck „Kleine Bncharei" ist, wie Adolf Erman betont,
„sinnlos und absurd", und es wäre endlich an der Zeit, ihn gänz-
lich fallen zu lassen. Denn das östliche (chinesische) Turkestan ist
weder klein, noch steht es zu dem zum westlichen (unabhängigen)
Turkestan gehörenden Staate Buchara in anderer Beziehung,
als daß es von Karawanen ans jener Stadt besucht wird.
Geographische Ausdrücke in Jnnerasicn. Nan ln heißt
Südstraße; Pelu bedeutet Nordstraße. Der erstere Name
erstreckt sich auf die im Süden des Thian schan, d. b. Himmels-
gebirges (mongolisch Tengri oola), liegenden Gegenden, der
zweite auf jene im Norden dieses Gebirges.
Das türkische Wort Syrt (z. B. in Obtschei Syrt) bedeutet
einfach: Hochland, ursprünglich aber Rückgrat.
Nor heißt bei den Mongolen See, z. B. Lop nor, Kuku
nor rc.
Ein St. Elmsfeuer auf dem Königstein an der Elve. Pro-
fessor Ernst Erhard Schmid in Jena sagt in seinem jüngst er-
schienenen „Grundriß der Meteorologie" (Leipzig, Leopold
Voß), der, beiläufig bemerkt, eine ausgezeichnete, gediegene Arbeit
ist, S. 271 Folgendes:
„Nähert man den geladenen Konduktor der Elektrisirmaschiue
einem zugespitzten Leiter, so erhält man die bekannten Glimmlichter
und Lichtbüschel. Aehnliche Erscheinungen hat man bei Gewittern
oder gewitterhafter Beschaffenheit der Luft an Thurmspitzen, Masten
oder anderen zugespitzten Gegenständen, die mit der Erdoberfläche
in leitender Verbindung stehen, wahrgenommen. Sie sind seit
langen Zeiten und aus fast allen Zonen bekannt als St. Elms-
feuer. So wenig sich gegen das elektrische Wesen desselben ein
Widerspruch erheben läßt, eben so wenig ist dasselbe durch exakte
Versuche bewährt. —
In Dresden und der Umgegend hatten wir am 29. März
zwischen 8 und 9 Uhr Abends ein Gewitter, bei welchem sich das
St. Elmsfeuer zeigte. Ein Physiker, Herr K. Tr. Sachse, bringt
über dasselbe im Dresdner Journal folgende Mittheilung:
Auf der Festung König st ein wurde während des Gewitters,
das dort die Zeit zwischen 3/s, 9 und '/210 Uhr ziemlich ausfüllte,
eine interessante, mit Winter gewittern gewöhnlich in Ver-
bindung stehende Naturerscheinung beobachtet. Ein weißlich gelbes
Strahleubüschel in der Form eines umgekehrten, abgestntzteu Kegels
von etwa l Zoll Höhe wurde ans der Spitze des ans deni „Horn"
stehenden Glockenthurmes wahrgenommen; der Knopf des Glockeu-
thurmes war ringsum von einem weißlichen Lichte umflossen; ein
gleiches Lichtbüschel zeigte sich an dem, aus der Brustwehr bei dem
Glockenthurm angebrachten Gestelle zur Aufnahme eines Fernrohrs.
Auch von der Schildwache, welche um 9 Uhr am Glockenthurm
anznschlagen hatte, war beobachtet worden, daß im Augenblicke
des Ergreifens der eisernen Zugstange aus den Fingerspitzen der
wollenen Handschuhe kleine Lichtbüschel herausgetreten seien und
daß auch das um den Hals geschlungene wollene Tuch ein weiß-
liches Licht gezeigt habe; diese Lichterscheinung am Tuch und au
den Spitzen der Handschuhe sei so lauge geblieben, als die Schild-
wache auf dem Wallgange bis nach dem Schilderhause gelangt,
und in letzterm erst verschwunden. Ob an den Wetterableitern
oder au noch höher gelegenen Punkten ebenfalls gleiche Licht-
erscheiuungeu eingetreten sind, hat man bei dem herrschenden
Sturm und dem heftigen Schnee- und Eisnadelfalle (der binnen
einer halben Stunde den Boden 2 Zoll hoch bedeckte) nicht wahr-
nehmen können. Die Temperatur, die um 7 Uhr 30 Minuten noch
5" R. war, ging bis um 10 Uhr auf 0° herab und zeigte am
andern Morgen (den 30. März) früh 7 Uhr — 1,6° R. Die
Ozon entwickeln ug war am 27., 28. und 29. März am Tage
wie zur Nachtzeit in den höchsten Stärkegraden zu
beobachten. — Die Erscheinung des St. Elmsfeuers ist in diesem
Winter schon am 20. Januar nach einer Mittheilung des Dr. Meyn
durch ganz Norddeutschland, besonders in Schleswig-Holsteinau
sehr zahlreichen Punkten, beobachtet worden; es stimmen die ans
Königstein gemeldeten Beobachtungen fast ganz genau mit dortigen
Wahrnehmungen überein.
Eine Bemerkung Humboldts. Da, wo er seine Fahrt auf
dem Cassiquiare in Süd-Amerika (dem Verbindungsarme zwischen
dem Rio Negro und dem Orinoco) schildert, äußert er Folgendes:
In diesen inneren Ländern des Neuen Kontinents ge-
wöhnt man sich fast, denMenschen als unwesentlich zur
Ordnung der Natur zu betrachten. Der Boden ist mit
Pflanzen überladen, deren Entwickelung durch Nichts gehemmt
wird. Eine unermeßliche Schicht von Dammerde beweist die un-
unterbrochene Thätigkeit der organischen Kräfte. Die Krokodile
und Boas sind Herren der Flüsse; der Jaguar, das Peccari, der
Tapir und zahllose Affen durchziehen den Wald ohne Furcht und
Gefahr und wohnen dort wie auf einem alten Erbe. Auf dem
Ocean und in den Wüsten Afrikas versöhnt man sich schwer mit
dem Verschwinden des Menschen; hier aber, in einem mit ewigem
Grün bekleideten Laude, bringt seine Abwesenheit ein seltsames
und demüthigendes Gefühl hervor.
Der Bolkscharaktcr der Ncugriechcn hat von manchen Seiten
her eine scharfe Beurtheilung erfahren. So schrieb I. P. Fall-
merayer in seinen Fragmenten aus dem Orient: „Ein häßlicheres
Amphibium als der europäisirte Handelsgrieche auf byzantini-
schem Boden besteht in der Natur der Dinge nicht."
Ein englisches Blatt, Daily News, sprach gegen das Projekt
eines neugriechischen Reiches mit Konstantinopel als Hauptstadt.
„Die Griechen seien eigentlich gar kein wahres Volk, sondern mehr
nur eine große Handelsgenossenschaft, und vermöge ihres Charakters
zum Herrschen über andere Stämme gar nicht geeignet. Der
Grieche ist ein schlauer Diplomat; an. Ränkesucht thut er es dem
Russen gleich, aber es fehlen ihm Festigkeit, Ausdauer und Zu-
rückhaltung. Die Griechen sind nicht einmal zur Selbstverwaltung
geeignet. Seit den Zeiten des ächäischen Bundes waren sie ohne
nationale Regierung."
Die Abkömmlinge der Portugiesen in den Minas Novas
waren zn Anfang unseres Jahrhunderts so weit in der Civilisation
zurückgegangen, daß sie, wie St. Hilaire meldet, sogar den Ge-
b r a n ch des Salzes vergessen hatten!
Die Gauchos in der La Plata-Region, Abkömmlinge der
spanischen Eroberer und Einwanderer, sind Viehhirten und haben
eine große Abneigung gegen Alles, was Wasser oder Schifffahrt
heißt. Ihr eigner Landsmann Sarmiento, ein geistreicher
Mann, der sie kennt, äußert: „Der Gaucho betrachtet ein
Schiff wie ein Gefängniß."
Indianer und Neger. Wenn der Jndianerstaunu der Tupis
in Südbrasilien, südlich vom Rio Pardo, westlich von der Euten-
lagune, auf seinen Kriegszügen gegen die weißen Ansiedler Neger
erbeutete, dann wurde diesen die schwarze Haut abge-
schunden, weil die rothgelben Leute sich solchergestalt überzeugen
wollten, ob die schwarze Farbe künstlich oder natürlich sei. Nächsten-
liebe! —
Der Neger unterscheidet sich von anderen Rassen auch darin,
daß er z. B. nach der Arbeit und wenn er spersen will, auch bei
der stärksten Hitze, nicht den Schatten anfsucht, sondern
die Sonne.
Die Polynesier keuueu den Kuß als eine Liebkosung nicht;
diese besteht bei ihnen darin, daß Einer den Andern mit der Nase
reibt. Die Mutter z. B. küßt ihr Kind nicht, sondern reibt dasselbe
mit ihrer Nase. Bemerkenswerth erscheint, daß auch die Somal,
am Busen von Aden und im sogenannten Oestlichen Horn, das
Küssen nicht kennen.
Nenseeländische Begrüßung. Die Maoris grüßen und be-
jahen nicht durch Kopfnicken, sondern indem sie den Kopf nach hin-
ten über zurückwerfen.
Heransgegeben von KarlAndree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen. —
Berlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Ein Streiflug durch die schwedischen Provinzen am Gottnischen Meerbusen.
Charakter der schwedischen Landschaft. — Besteigung des Areskuta. — Die Region der Wälder. — Ein Lappenmädchen -als Postillon.—
Der Stör-See. — Gefährliche Wasserfahrt. — Öestersund. — Nach Snndsvall am Meere. — Die Angermana Elf. — Umea. —
Nach Liden an der Jndal. — Die Brücke von Safvar. — Ein Ball in der Badesaison. — Skelleftea. — Norsjö und Piteä. — Eme
Jagd auf ansgestopfte Robben. — Lulea. — Ein Ausflug in's schwedische Lappland. — Wasserfälle. — Lappenlager. — Der Pastor
von Jockmock mit siebenzehn Kindern. — Eine geistliche Amtsreise. — Björkholmer. — Hochnordische Perlen. —
Ein Mittel gegen die Stechmücken. —
Die skandinavische Halbinsel zieht alljährlich mehr
Reisende an und Deutschland liefert schon längst einen
stärkern Beitrag als selbst England. Zumeist wird Nor-
wegen besucht, und dasselbe bietet in der That eine unendliche
Mannichfaltigkeit großartiger Landschaften dar. Schweden
kann sich in dieser Beziehung mit dem Land ans der West-
seite des Kjvlengebirges nicht messen und wird deshalb von
Touristen weit seltener betreten. Aber jene, welche sich über
das Gebirge nach Osten hin wagen, stimmen Alle darin
Osten hin über das Kjölengebirge gefahren und im Allge-
meinen der Poststraße gefolgt, welche von der norwegischen
Königsstadt, im Norden des 62. Breitengrades, nach Osten
hin durch das schwedische Jämtland bis zum Hafenorte
Snndsvall am Bottnischen Meerbusen führt. Von dort
ans wollten wir Streifzüge nach Norden hin unternehmen.
Sobald man nach Schweden, also gen Osten, hinab-
steigt, sieht man sich von einer andern Natur umgeben.
Der Abfall der skandinavischen Alpen ist viel weniger steil
Der Luleä- Strom.
überein, daß sie für die Anstrengungen der Reise sich voll-
auf belohnt fanden. Auch der Landschaft in Schweden fehlt
das Großartige keineswegs, nur trägt es einen andern
Charakter als in Norwegen. Ein Wald zum Beispiel, der
sich ohne Unterbrechung vierzig Wegstunden weit erstreckt, wie
jener, der die Provinzen Jämtland und Herjedalen scheidet,
hat etwas Packendes, und die schönen Seen geben der schwe-
dischen Scenerie ein eigenthümliches Gepräge. Auck mangeln
herrliche Wasserfälle nicht, und die Entwickelung der zumeist
in der Richtung von Nordost nach Südwest zum Meere
fließenden Ströme ist eine sehr eigenthümliche.
Vielleicht gereut es den Leser nicht, uns auf unserm
Aussluge zu begleiten. Wir waren von Drontheim nach
Globus IV. Nr. 3.
als auf der andern Seite, und die Straße läuft an einer
Reihenfolge von Seen hin, deren Ufer zwar bei weitem nicht
so malerisch sind wie jene der norwegischen Fjorde, aber
Spielraum für den Ackerbau gewähren. Auch die Leute
sind schon anders, Sitten und Lebensweise mehr gemildert,
selbst der Postkarren ist so zu sagen weit socialer, denn auf
dem Hintersitz eines schwedischen Karriols haben zwei
Menschen Platz, während in Norwegen nur einer sitzen
kann. Der schwedische Postillon lenkt selber sein Roß.
Wir kamen durch ausgedehnte Waldungen, die aber
zum Theil stark durchforstet sind, weil sie von flößbaren Ge-
wässern durchzogen werden. An diesen liegen auch manche
Dörfer und schöne Wiesen. Unter dem 63. Breitengrade
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66
Ein Streifzug durch die schwedischen Provinzen am Bottnischen Meerbusen.
trägt der Boden noch recht gut, und Getreide reift bis 2000
Fuß über der Meeresfläche; der Ackerbau wäre dort einer
beträchtlichen Ausdehnung fähig, aber es fehlt an Arbeits-
kräften. Freilich ziehen die Leute in jenen Gegenden die
Waldarbeiten vor, welche ihnen das ganze Jahr hindurch
Beschäftigung gewähren.
In jener Gegend ragt der Areskuta über alle ande-
ren Berge empor. Je höher wir ihn Hinausstiegen, um so
seltener wurde das Nadelholz; bei Stalkjerntjwgen konn-
ten wir schon die weiße, aus Tannenwäldern sich erhebende
Kuppel ganz deutlich unterscheiden. In dem kleinen Thale,
welches der Areelelfven durchrauscht, wohnen einige
Bauern, bei denen wir Unterkommen fanden.
Am andern Morgen bestiegen wir den Berg, dessen
Abfall weit steiler ist, als man aus der Ferne her glaubt, und
der Weg geht tut Zickzack. Wir hatten zum Führer einen
fünfzehnjährigen Knaben, von welchem wir erfuhren, daß
im Jahre vorher zwei Engländer bis aus den Gipfel des
Areskuta geritten seien! Den Hals haben sie dabei nicht
gebrochen, aber für die Mißhandlung der Pferde hätten sie
eine Züchtigung mit der Peitsche verdient. Als wir die
Region verkrüppelter Birken hinter uns gelassen, hörte aller
Weiblicher Postillon in Lappland.
sonnenstrahl, aber bald legte sich ein dünner, ich möchte
sagen, melancholischer Schleier über die Gegend. Es giebt
dort herrliche Sommertage, aber wie muß es in der langen
Winterszeit den Menschen zu Muthe sein, die in einem so
strengen, kalten Klima dort einsam und völlig abgeschieden
von der übrigen Welt leben!
In den paar Sommermonaten entfaltet der Pslanzen-
wuchs im hohen Norden eine ungemeine Triebkraft. Die
Zeit der Aussaat, des Wachsens, Reifens und der Ernte
drängt sich für Gerste, Roggen, Hafer und Kartoffeln in die
Zeitspanne von neun bis zehn Wochen zusammen. Aber
in dieser Zeit arbeitet Jeder Tag und Nacht, so viel irgend
die Kräfte erlauben. Die Sonne geht nur ans ein paar
Stunden unter und in diesen herrscht helle Dämmerung.
Keiner gönnt sich Ruhe, bis Alles von den Feldern herein
und unter Dach und Fach gebracht worden ist; dann mögen
die Nachtfröste kommen; sie finden aus dem Felde nichts mehr
zu verderben.
Wir fuhren auf den Hof eines reichen Bauern, der
eben sein Heu machte. Die Gebäude liegen in einem Birken-
wäldchen und auf dem Hofe spielten mindestens zwanzig
kleine Kinder, Sprößlinge der Tagarbeiter, welche meilen-
Gefährliche Fahrt.
Pflanzenwuchs auf; der Berg war kahl und bot mit seiner
Schneedecke einen öden, einförmigen Anblick. Aber unten
lag ein wildromantisches Thal, welches der Areelelfven
schlängelnd durchzieht. Uns gegenüber erhob sich der dü-
stere Berg Rhansiell.
Nach etwa einer halben Stunde erreichten wir die
Schneeregion, und wurden dort von so dichtem Nebel ein-
gehüllt, daß wir gar nichts sehen konnten. Aber unser
kleiner Führer ging trotzdem rasch vorwärts und meinte,
wir würden weiter oben schon entschädigt werden. Bald
lagen auch die Wolken unter uns, aber wir sahen während
der nächsten drei Stunden nichts als Schnee. Endlich waren
wir auf dem Gipfel, sanken erschöpft aus einer Eisfläche
nieder, zitterten vor Kälte und sahen — gar nichts.
Das war ärgerlich. Wollten wir nicht Zeit und An-
strengungen umsonst aufgewandt haben, so mußten wir bis
gegen Sonnenuntergang warten; dann sei es hier oben
wunderschön, sagte unser Führer. Diesmal hatte er recht.
Nach etwa einer Stunde fingen die Wolken an sich zu
theilen, und nun sahen wir erst einen kleinen Streifen
Boden und bald nachher eine Landschaft in einer Ausdehnung
von vielen Meilen, und in dem ausgedehnten Panorama
etwa sechszehn Kirchen, welche uns der Führer mit Namen
bezeichnete. Die bescheidenen Thürme erglänzten im Abend-
weit hergekommen waren, um dem Nachbar zu Helsen. Sie
brachten Frauen, Kind und Kegel mit, und der Bauer er-
nährte die ganze Gesellschaft.
Zwischen den Stationen Hamre und Nomo hatte ich
zum Postillon — eine Lappin. Sie war recht gesprächig,
neugierig dazu, und als ich ihr'erzählte, daß wir ans dem
Gipfel des Berges Areskuta gewesen seien, schüttelte sie den
Kops und meinte, wie man nur dort oben hingehen möge,
wo die Zauberer und Hexenmeister ihr Wesen trieben. Die
arme Frau hatte einst das Nomadenleben verlassen, um einen
reichen Lappen zu heirathen, der ein „Renegat", das heißt,
aus einem Hirten ein ansässiger Ackerbauer geworden war.
Anfangs war er gut und ordentlich gewesen, hatte sich aber
dann dem Branntweintrinken ergeben und seine Wirthschaft
zu Grunde gerichtet. Deshalb mußte er bei anderen Leuten
dienen und sie versah Postillonsdienste. Während sie mir
diese Ehestandsgeschichte erzählte, nahm sie mir eine Cigarre
nach der andern weg, brach sie in Stücke, stopfte damit
ihre Pfeife und schmauchte wie ein Dragoner.
Am Storsjön, das heißt dem Großen See, mußten
wir über einen breiten Wasserarm setzen, aber bei unruhigem
Wetter gilt die Fahrt für gefährlich. Wir hatten scharfen
Wind und die Fährleute riethen uns dringend, bis zum an-
dern Morgen zu warten. Aber ihre Hütte war so armselig
Ein Streifzug durch die schwedischen Provinzen am Bottnischen Meerbusen.
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und die nächste Ortschaft, die Stadt Oestersund, lag so
nahe, daß wir das Wagniß unternehmen wollten. Allein es
bekam uns schlecht. Kaum hatten wir unser Karriol auf die
Fähre geschasst und waren eben erst abgefahren, als die
Strömung und ein Wind uns nach der Seite hin trieben,
wo der Jndals-Elf einen hohen Wasserfall bildet. Dieser
Strom durchzieht den See, für welchen er den Abfluß bildet.
Unsere Noth war groß. Allerdings arbeitete der Fährmann
und seine Frau mit aller Anstrengung, um, wie gewöhnlich,
stroman zu fahren und wahrscheinlich würde ihnen das gelun-
gen sein, wenn nicht die Unterlage eines Ruders gebrochen
wäre. Sofort gaben wir Alle uns Mühe, den Schaden
auszubessern, allein nun war der Schiffer nicht mehr Herr
der Strömung, verlor den Kops, ließ sein Ruder aus den
Händen und schrie: „Wir sind verloren!" Bitten und
Drohungen fruchteten nichts; der Mann hatte alle Fassung
verloren, zitterte, weinte und kroch unter das Karriol; die
Frau betete. Inzwischen trieb unser Prahm mit großer
Raschheit abwärts und schon konnten wir das Tosen des
Katarakts hören. Da faßte
ich, als wir schon in großer
Noth waren, einen verzwei-
felten Entschluß. Die Strö-
mung trieb an einer Stelle,
wo sie eine starke Windung
machte dein Ufer zu und dort
standen Bäume, von welchen
Zweige, über das Wasser hin-
ausreichten. Darauf grün-
dete ich im Nu den Plan zur
Rettung und rief: „Rasch,
packt mich bei den Beinen,
ich fasse den Zweig und dann
haltet mich fest!" Es gelang
mir, den Ast zu umklammern
und nach und nach mit den
Händen weiter abwärts zu
gleiten; meine Gefährten tha-
ten auch das Ihrige, stämm-
ten ihre Beine recht fest, wir
brachten die Fähre zum Still-
stand und konnten sie am Ufer
festlegen. So waren wir aus
Noth und Lebensgefahr ge-
rettet, aber unsere Verlegenheit nahm noch kein Ende. Das
Karriol wurde an's Land gebracht, in einen Tannenwald,
dessen Boden sehr sumpfig war. Pferde hatten wir nicht,
und es blieb uns nichts übrig, als uns selber vorzuspannen.
Nachdem wir uns durch einen Trunk guten Weins gestärkt
hatten, gingen wir an eine so ungewohnte Arbeit und kamen
nach vier Stunden, die uns sehr sauer wurden, wieder bei
derselben Hütte an, welche wir verschmäht hatten. Alle meine
Glieder waren wie zerschlagen, ich möchte sagen gerädert,
aber ein langer Schlaf brachte uns Erquickung.
Am andern Tage war das Wetter nicht so unruhig
und wir konnten ohne Schwierigkeit fortkommen. Die Ufer
des Stör-Sees sind im Allgemeinen ftuchtbar, und auf
einigen Punkten hat man entzückende Aussichten. Frösöen,
eine Insel, ist durch eine Brücke mit O e st er s u n d verbunden.
Diese kleine Stadt scheint recht wohlhabend zu sein, denn sie
ist Mittelpunkt für den Handelsverkehr eines ausgedehnten
Umlandes. Die Leute kommen zehn Meilen weit her, um
dort ihren Bedarf an Zucker, Kaffee, Branntwein und
allerlei Waaren einzukaufen, und je mehr die Zahl der auf
ausgerodetem Waldboden gegründeten Ackerhöfe anwächst,
um so stärker wird auch der Verkehr von Oestersund. Die
Umwohner müssen sich diesem Mittelpunkte zuwenden, weil
die nächste Stadt, Sundsvall, dreißig Meilen weit ent-
fernt, an der Meeresküste liegt. Wir erreichten diesen kleinen
Hafenplatz ohne alle Beschwerde; ebenso einen andern,
Hernösand, der eine halbe Tagereise weit nördlicher liegt.
Von dort ans machten wir einen Ausflug landein bis
nach Lid en, das am linken Ufer der An gern: an a liegt.
An diesem Strome folgt ohne Unterbrechung eine äußerst
romantische Landschaft auf die andere, und manche derselben
erinnerte mich lebhaft an jene der Donau; nur ist vielleicht
die Mannichsaltigkeit in Schweden noch größer. Die Wälder
sind ganz prächtig, die Wiesen von saftiger Ueppigkeit. Bei
Liden stürzt die Angermana inmitten eines wahren Archipe-
lagus von Felseneilanden schäumend in Kaskaden hinab,
nicht, wie in Norwegen, zwischen düsteren Felsenmassen,
sondern in einer heitern, man könnte fast sagen lieblichen
Umgebung; Alles ist hier frisch, grün, anmuthig.
Nicht ohne Bedauern verließen wir das reizende Thal
der Angermana und folgten der großen Straße, welche, mit
dem Meeresgestade in gleicher
Richtung lausend, bis Umeä
zieht. Diese Stadt liegt schon
in der Provinz Westerbotten,
beinahe unter dem 64. 0 N.
Br., und niachte ans uns kei-
nen freundlichen Eindruck.
Das Wiesenland ist dort
snmpsig und in demselben
liegen viele vom Wetter ge-
schwärzte Gebäude umher,
welche als Heuschober benutzt
werden. Wenn im Spätjahre
Schnee fällt und der Boden
gefroren ist, fährt man das
Heu auf Schlitten ab und zu;
im Sommer können auf dem
morastigen Boden keine Wä-
gen gehen. Umeä hat eini-
gen Schiffsbau, und in der
Nähe, zu Bagböll, hat ein
Engländer, Dixon, eine große
Holzsägerei. Man kann die-
sen Mann als einen Wald-
könig bezeichnen, denn wo eine
hübsche Sägemühle steht, da ist sie gewiß von ihm angelegt
worden. Nach Bagböll hin hat er ans Pfahlgerüsten einen
hölzernen Kanal gebaut, der wohl eine halbe Stunde lang
ist. Auf diesem werden die Bohlen, welche weiter oberhalb
am Umeäflusse geschnitten worden sind, hinabgeflößt und
dann, zu Flößen vereinigt, bis an's Meer geschafft. Diese
Flöße werden gewöhnlich von sechs Mann gelenkt und bauen
sich ein Segel aus Brettern.
Von Umeä aus zogen wir wieder landein. Nachdem
wir die Stadt verlassen, hatten wir, auf der Seite nach
Alidebakken hin, einen reizenden Blick über dieselbe und
aus Strorn und Meer. Dann kamen wir an den öden
Tefvel-See, der einen trüben Eindruck macht; dieScenerie
wird erst an dem hübschen Flusse Vind el wieder anmuthig.
Aber die Freude wurde uns durch Schwärme zudringlicher
Stechmücken verdorben; wir machten hier zuerst nähere Be-
kanntschaft mit diesen entsetzlichen Plagegeistern. Bald nach-
her überschritten wir den Sä fr auf einer Brücke; in der
Nähe, im Engpässe von Djeckneboda, schlug im Jahre 1809
eine schwedische Heeresabtheilung die Russen, welche einen
Einfall in's Land gemacht hatten. Abends waren wir auf
dem Eisenwerke Robertsforgen, welches jährlich im
9 *
Wasserfälle der Angermana < Elf.
68
Ein Streifzug durch die schwedischen Provinzen am Bottnischen Meerbusen.
Durchschnitt mehr als 20,000 Holzkohlen verbraucht; zwölf
Hämmer sind Tag und Nacht iu ununterbrochener Thätig-
keit. Am andern Tage siel uns auf, daß alle Scheunen in
dieser Gegend eine achteckige Gestalt haben.
Wer sucht wohl im hohen Norden, jenseit des 64. Breite-
grades, Badeleben wie am Rhein? Es ist, allerdings in
Miniatur, vorhanden. Zu unserer nicht geringen Ueber-
raschung sahen wir bei Nhsätra Herren im Frack und Damen
in weißen Kleidern, welche neben einem gelbangestrichenen
Pavillon einen Ball im Freien veranstaltet hatten. Einer
von den Herren trug einen Atlashut und einen mit goldenen
Tressen besetzten Rock, und der war ein Arzt. Die aus-
zeichnende Kleidung verkündete seine Doktorwürde. Der
Mann bot uns ein Glas Punsch an, erzählte uns, daß wir
Sonntagsstadt." Diese räthselhafte Aeußerung findet
ihre Erklärung in Folgendem: In jener Gegend haben die
Kirchsprengel einen Umfang von vielen Meilen und die
Leute wohnen weit zerstreut umher. Manche haben sechs
bis zehn Meilen zu machen, wenn sie dem Gottesdienste
beiwohnen wollen. Sie müssen dann ein Unterkommen
finden. Am Sonnabend Abend kommen sie an, am Sonn-
tag oder auch Montage früh reisen sie wieder nach ihrer
ständigen Wohnung zurück, und deshalb haben sie, von
ihrem praktischen Verstände geleitet, sich bei der Kirche
„Sonntagshäuser" gebaut. So kommt es, daß Busträk
allwöchentlich einmal einen eigenthümlichen Anblick gewinnt.
Die Fensterläden werden geöffnet; hübsche Bäuerinnen ziehen
durch die Straßen und plaudern mit ihren nächsten Nach-
Ein Postrelais im nördlichen Schweden.
uns in einem Tivoli befänden, daß hier ein Mineralbad sei
und jetzt eben, zum Schluffe der Badesaison, ein Fest mit
Tanz abgehalten werde.
Hinter Nhsätra liegt ein mächtiger Tannenwald; er ist
so wild und öde, daß er auf das Gemüth einen fast nieder-
schlagenden Eindruck macht. Um so angenehmer fühlt man
sich erregt, wenn man plötzlich an einen See gelangt, wo
auf grünem Hügel eine Kirche steht und wo in der klaren
Flut ländliche Wohnungen sich abspiegeln. Diese kleine
Stadt, sie heißt Bnstr äk, sah so nett aus, und wirmeinten,
daß die Einwohner sicherlich heitere Menschen sein müßten.
Doch welche Täuschung! Alle Straßen waren öde, Thüren
und Fensterläden geschlossen. Es war als ob der Tod durch
alle diese Häuser gegangen sei. Unser Erstaunen über eine
so seltsame Erscheinung wurde nicht vermindert, als der
Postillon die Worte hinwarf: „Das hier ist eine
darinnen, von welchen sie gewöhnlich durch eine Entfernung
von so und so vielen Meilen getrennt sind; in den Ställen
wiehern die Pferde, und Handelsleute fehlen natürlich auch
nicht. Alles hat einen heitern Anstrich. Es giebt solcher
„Sonntagsstädte" mehrere. Än Busträk nahmen wir unser
Mittagsessen auf freier Straße ein; die Treppenstufen eines
verschlossenen Hauses bildeten den Tisch.
Abends waren wir in Skelleftea. Die kleine Stadt
nimmt sich mit ihrer weißen Kirche recht hübsch aus; die
korinthischen Säulen derselben sind von Holz. Es ist doch
eine starke Uebertreibung, eine Art von Vergleich zwischen
Skelleftea und — Palmyra anzustellen; aber das ist von
Seilen eines bekannten Touristen geschehen. Wir fanden
beim Pastor eine freundliche Aufnahme, und der landes-
kundige Mann rieth uns, am Skellesteaflusse bis Norsjö
hinanfzugehen, weil die ganze Gegend ungemein malerisch
Eine Boot fahrt stromab durch Kaskaden.
70
Ein Streifzug durch die schwedischen Provinzen am Bottnischen Meerbusen.
sei. Wir machten auch diesen Ansslug, theils zu Wasser,
theils int Karriol. Anfangs hielten wir uns an der Süd-
seite des Flusses, gingen bei Johannisfors auf das nörd-
liche User über, und fanden bei Krangfors einen durch seine j
gewaltigen Wassermassen imponirenden Katarakt. Aber aus
der jähen Straße, welche von Norsjö hinabsührt, hätte ich J
beinahe mein Leben eingebüßt, und zwar durch eigene Schuld.
Als ich mein Karriol bestieg, bemerkte ich, daß man
dem Pferde kein Gebiß, sondern nur eine Art Halfter ange-
legt hatte. Das schien mir in Hinblick auf den ungemein
steilen Weg denn doch sehr bedenklich und ich bestand darauf,
dem Gaul ein Gebiß anznlegen. Das Mädchen, welches
Postillonsstelle vertrat, bot Alles aus, mich davon zurück-
zuhalten, ich ging aber selbst in den Stall und setzte meinen
Willen durch. Das Pferd war offenbar verdrießlich darüber,
zog an, warf aber den Kops hin und her und fing dann
plötzlich zu rennen an wie ein Sturmwind, ohne sich um
Zügel oder Gebiß zu kümmern. Das leichte Karriol machte
unglaubliche Sprünge; meine kleine Postillonin weinte, schrie
und klammerte sich an mich an; so rasch war die Fahrt, daß
sie mir den Athen: abschnitt, und jede Sekunde schwebte ich
in Gefahr, in den Abgrund hinunter geschleudert zu werden.
Es war gar kein Gedanke daran, den Gaul zu halten oder
zu lenken, und blieb mir gar nichts Anderes übrig, als den
rechten Zügel allein zu behalten
und das Pferd nach der Seite hin
zu zerren, wo Wald stand; aus
der andern Seite war jäher Ab-
sturz. Zum größten Glücke, denn
die Gefahr war groß, fügte sich
der Gaul und stürmte in den Wald
hinein. Mein Karriol rannte mit
den Rädern gegen zwei Tannen,
brach in Stücke und nun stand
auch das Pferd still; es zitterte wie
Espenlaub. Ich kam noch leid-
lich davon, mit einer starken Quet-
schung an der linken Schulter; na-
türlich mußte ich das Karriol be-
zahlen.
Dem Gaul wurde der Halfter angelegt, und jetzt war
er fromm ii*ie ein Lamm, als er vor ein anderes Karriol
gespannt wurde. Die Pferde in jener Gegend Schwedens
leiden kein Eisen im Maule. Für gewöhnlich benutzt man
sie nur in: Winter, weil im Sommer die Verbindung vor-
zugsweise auf den Wasserwegen stattfindet. Bei der großen
Kälte können die Pferde ein eisernes Gebiß nicht ertragen,
und deshalb werden sie von frühester Jugend daran gewöhnt,
sich vermittelst einer Art von Halfter lenken zu lassen, der in
ähnlicher Weise angelegt wird wie jener bei den Rennthieren.
Sobald das Frühjahr kommt, läßt man die Pferde in die
Wälder laufen und holt sie erst wieder herein, wenn Schnee
fallt. Aber jeder Bauer, an welchen die Reihe kommt, ist
gesetzlich verpflichtet, ein Postpferd für Reisende zu stellen,
die freilich nur selten erscheinen. Die Sache ist jedoch für ihn
sehr lästig, weil er keine Vorbereitungen treffen kann und
sein Thier erst ans dem Walde holen muß.
Unsere Weiterfahrt nach P iteä ging gut von Statten.
Die Schifferslente haben dort einen eigenthümlichen Neben-
erwerb; er besteht darin, daß sie vor den Fremden eine
Jagd auf Seehunde ausführen, und das geschieht in folgen-
der Weise. Vier Jäger kleiden sich in Nobbenselle, nehmen
Gewehre und schleichen dann den Seehunden entgegen,
welche in einiger Entfernung am Stromufer oder an der
Seeküste liegen. Freilich sind diese Seehunde lediglich mit
Stroh aus gestopfte Bestien, und die Jagd, welche in Natura
auf dem Eise des Polarmeeres stattfindet, nahm sich auf den
grünen Wiesen doch etwas lächerlich aus.
Immer weiter nach Norden! Die schöne Jahreszeit
konnte nicht mehr lange dauern und wir wollten von Lulea
aus doch den Lappen einen Besuch abstatten. Die Fahrt
sollte über verschiedene Seen gehen, die bei unruhigem
Wetter nicht ohne Gefahr sind. Wir hatten also keine Zeit
zu verlieren und verließen so rasch als möglich Lulea, das
mit allerlei Waaren und Delikatessen wohl versorgt ist. Wir
kauften dort guten Wein und eine Anzahl lebendiger Hühner,
die uns unterwegs trefflich munden sollten.
Am Luleäflnsse fanden wir den Boden noch recht gut
bestellt; weiter auswärts, nach der Station Bredäker hin,
war die Straße erst neu angelegt worden, und wir mußten
zu Fuß in tiefem Sande waten. In jenem Ackerdorfe fanden
wir alte Lappenweiber, denen die Obhut der Heerden an-
vertraut war. Diese Lappinnen sind über alle Beschreibung
häßlich, sobald sie einmal die Jugend hinter sich haben; sie
werden aber auch gewissermaßen als Auswürflinge der Ge-
sellschaft behandelt. Ihnen gegenüber kann man sich keinen
schärsern Gegensatz denken, als die blonden Schwedinnen
hier im hohen Norden. Auch haben die Bauern einen Luxus,
den man in anderen Gegenden vergeblich sucht; jeder hat
nämlich drei verschiedene Wohnhäuser. Das Winter-
haus wird während der schönen
Jahreszeit ans allen Seiten ge-
öffnet, damit die Luft recht or-
dentlich hindurchziehe; inzwischen
wird das Sommerhaus bewohnt.
Das dritte Haus steht neben der
Kirche im „Sommerdorfe". Alles
wird ungemein sauber gehalten.
Eine Familie, welche neben ihrem
Acker dreißig bis fünfzig Nenn-
thiere besitzt, kann ganz gemäch-
lich leben. Die Heerde wird einem
Lappen anvertraut, welcher seine
Sache immer gut macht; der Lohn
für seine Bemühungen stellt sich
jährlich ans etwa fünf Silber-
groschen für jedes Rennthier. Im Herbste bezeichnet er die,
welche zum Schlachten geeignet sind; geräuchertes Rennthier-
fleisch bildet eine Handelswaare, und namentlich die Zungen
werden von Feinschmeckern sehr geschätzt.
Von Bredäker an fuhren wir ans der Lulea. Sie ist ein
breiter, schöner Fluß und strömt durch stattliche Wälder, in
denen wir dann und wann Ackerbau-Lichtungen bemerkten.
Die schwedische Regierung begünstigt derartige Ansiedelungen,
' und gewährt denen, welche sie anlegen, Steuerfreiheit auf
dreißig Jahre.
In Svartlä aßen wir zu Mittag. Es gehört zu dem
ausgedehnten Besitzthum Gellivara, das ungemein reich
> an Erzen ist, auf welchem aber schon mehrere Kompagnien
! zu Grunde gegangen sind. Jetzt ist es von Engländern ge-
kauft worden, welche des bessern Betriebes wegen eine Eisen-
bahn anlegen. Die Waldverwüstnng nimmt auch in der
Umgegend von Svartlä ihren leidigen Fortgang; die dor-
tigen Sägemühlen verbrauchen eine ungeheure Menge von
Stämmen.
Ein paar Meilen entfernt liegt der Wasserfall von
Edfors, dessen Tosen wir schon in einer Entfernung von
dreiviertel Stunden vernahmen. Dort ist ein sehr ergiebiger
Lachsfang. Abends gelangten wir nach Wuollrim, wo
wir bei dem Bauer Sandgrist übernachteten. Der brave
Mann verschaffte uns einen wahren Luxus; er gab uns
nämlich frisches Stroh zum Lager und ließ ein großes Bett-
Eine Wiege der Lappen.
Ein Streifzug durch die schwedischen Provinzen am Bottnischen Meerbusen.
71
laken darüber breiten. Er hatte sich vor fünfzehn Jahren
in jener Gegend angesiedelt und nun schon so viel Land
urbar gemacht, daß er zehn Kühe und zwölf Pferde halten
konnte. Er lebte in großer Einsamkeit, abgeschieden von
allem Umgänge, war aber fleißig und deshalb auch zufrieden.
Am heitern Morgen zeigte er uns seinen See, auf dem es
von schwarzen Enten wimmelte. Steile Berge, düstere Fichten
und lichte Birken spiegelten sich in deni klaren Wasser; Alles
war still, und die Ruhe wurde nur durch den Schlag unserer
Ruder unterbrochen.
Unsere Entenjagd war sehr ergiebig. Wir stiegen zu
Pferd und ritten drei Meilen weit bis Payerum, theil-
weise durch Sumpfland, in welchem nebeneinander gelegte
Baumstämme den Pfad bildeten; nachher mußten wir zu
Schisse gehen und über Seen und Katarakten fahren.
Nicht ohne Aengstlichkeit sitzt man in einem gebrechlichen
Fahrzeuge, das in den schäumenden Wogen so leicht Um-
schlagen, an den uns entgegenstarrenden Felsen so leicht zer-
schellen kann. (S. 69). Unsere vier Ruderer arbeiteten mit aller
Kraft gegen den Strom, benutzten jeden Stein oder Felsen,
um das Boot fortzubewegen, und manchmal schlug eine wilde
Welle über Bord. Beim Hinausfahren der Kaskaden muß
man ganz still im Boote liegen, weil jede unvorsichtige Be-
wegung Lebensgefahr bringen kann. An Stellen, wo der
Fluß sehr bedeutende Krümmungen macht, kürzt man den
Weg ab und geht über Land. Dann werden die Boote ge-
zogen oder getragen, und dasselbe ist der Fall bei Kaskaden,
die so steil sind, daß man nicht über sie hinwegsahren kann.
Es fällt allerdings sehr lästig, daß man so häufig das
Transportsystem wechseln muß. Unsere Karawane bestand
aus fünfzehn Leuten, aber keiner hatte die Hände frei; ein
Lappe trug den Hühnerkäfig, ein anderer Mann einen
großen Lachs, der dritte einen Kessel, der vierte einen
Nachtsack und so weiter.
Es wurde dunkel und wir mußten noch über zwei
Kaskaden stromanfahren. Wir hörten, wie sie über ihr
Felsenbett hinrauschten, und bald sahen wir sie im Mond-
scheine schwimmen. „Nun seid still und fürchtet euch nicht,"
sprach der Bootführer. Nun wurde tapfer in die Kaskade
hinein gerudert und wohl zehn Minuten lang sprach Keiner
ein Wort; dann-waren wir in ruhigem Wasser. Die Schisser
zeigten nach einem Feuer hin, das etwas entfernt im Walde
brannte. „Das haben die Lappen angemacht, um die Stech-
mücken abzuhalten; sie müssen Feuer und Rauch haben, sonst
würden ihre Rennthiere toll und verrückt."
Mitternacht war herangekommen; wir hatten heitern
Himmel und beschlossen, die Lappen in ihrem Sommer-
lager zu überraschen, und wurden reichlich belohnt. In dem
Tannenwalde sahen wir einen andern Wald: die mächtigen
Geweihe von unzähligen Rennthieren, die sich um die Feuer-
stellen gedrängt hatten. Sie standen oder lagen und alle !
verhielten sich ruhig. Das Lappenzelt stand in der Nähe;
die Hunde schlugen an und sofort erschien ein alter Lappe
mit seiner Frau; deun diese Leute schlafen in ihren Kleidern
und Leibwäsche kennen sie nicht. Beide kamen uns wie
Zwerge vor; Madame ging sofort daran, ein Rennthier zu
melken, und während sie damit beschäftigt war, erschien
die Tochter, die, wohlverstanden als Lappin, für ein recht
hübsches Mädchen gelten konnte. Sie kredenzte uns die
schäumende Milch in einem silbernen Gesäße, das eine
ganz orientalische Form hatte, und überreichte uns auch
Rennthierkäse mit getrockneten Fischen. Die letzteren sollten
das mangelnde Brot ersetzen. Die Milch ist sehr fett und
erinnert an Ziegenmilch; der Käse schmeckte sehr fade, der !
Fisch dagegen recht gut.
Eine Lappenfamilie kann kaum gut bestehen, wenn sie
nicht zweihundert Rennthiere besitzt; wohlhabende Leute haben
deren bis zu tausend Stück. Diese Leute lieben ihr unab-
hängiges Nomadenleben, das allerdings manche Beschwer-
lichkeiten mit sich führt. Aber aus denen machen sie sich
nichts, denn sie sind von Jugend auf daran gewöhnt. Eine
Lappin legt ihr neugeborenes Kind in einen Kasten von Holz,
aus welchem nur das Köpfchen herausguckt, wirft ihn über
den Rücken und geht rüstig weiter. Auf den Haltplätzen
hängt sie diese eigenthümliche Art von Wiege an einen hohen
Ein Tragplatz.
Banmast; dann ist das Kind sicher vor Stechmücken und
vor hungrigen Wölfen.
Sehr alte Lappen haben ein unglückliches Loos, wenn
es wahr ist, was uns erzählt wurde. Sobald der Alte sich
nicht mehr nützlich machen kann, wird er von seinen Kindern
verlassen; sie geben ihm Lebensmittel, welche für ein paar
Tage ausreichen, und lassen ihn im Walde liegen. Dort
mag er dann verenden.
Wir sahen, wie man das Lager ausbrach. Das Zelt
wurde abgeschlagen *und sammt allerlei Hausrath auf Renn-
72
Ein Ausflug durch die schwedischen Provinzen am Bottnischen Meerbusen.
totere gepackt. Der Alte eröffnete den Zug, die Heerden folgten
ihm, und drei Frauen, zwei Männer und die Hunde folgten
oder gingen nebenher. Zur Winterszeit ereignen sich allerlei
Auftritte, die uns Mitteleuropäern neu sind. Ein schwedischer
Beamter erzählte uns Folgendes. Er mußte durch einen Wald
in der Nähe von Iockmock, das gerade unter dem Polar-
kreise liegt, und der Schnee war so hoch, daß Pferd und
Schlitten versanken. Aber die Reise durfte nicht ausgeschoben
werden, und was war nun zu thun? Der Beamte miethete
einen Lappen, welcher Bahn schaffen mußte, und der Sohn der
Einöde wußte sich zu Helsen. Er legte seine großen Schnee-
schuhe an, ein abgerichtetes Rennthier, gleichsam, wenn der
Ausdruck erlaubt wäre, ein Leithammel, ging dicht hinter
ihm, und dann folgten, je zu vieren nebeneinander, füns-
einer ist Bauer; die hübschen blonden Mädchen Helsen der
Mutter den Haushalt führen: sie brauen Bier, salzen und
räuchern Rennthierfleisch und Lachs, spinnen und weben Lei-
nen und Wolle und verfertigen Kleider für die ganze Familie.
Die eine dieser Töchter bringt in jedem Herbst vier oder fünf
kleinere Brüder nach Piteä, wo sie die Schule besuchen,
und hält ihnen Haus, besorgt Alles für sie, von einer Fe-
rienzeit bis zur. andern. Sobald die Schule geschlossen ist,
tritt sie mit ihnen den Rückweg an, der acht volle Tage in
Anspruch nimmt. Diese Reisen werden zu Fuße gemacht,
und es ist schon vorgekommen, daß Schwester und Brüder
unter freiem Himmel geschlafen haben.
Von I o ckm o ck reis'ten wir nach Q u o ckj o ck, das mehr
als dreißig Meilen weiter nach Norden liegt. Pastor Wester-
Auf dem Skalka-See.
bis sechshundert Stück und machten Bahn. Der Beamte
hatte nun einen guten Weg und zahlte Alles in Allein, nach
unserm Geld, einen Thalcr und zwanzig Silbergroschen.
Nachdem wir gesehen hatten, wie die Lappen mit ihrer
Heerde abzogen, fuhren wir weiter stroman bis zu den
Wasserfällen in der Nähe von Iockmock, wo wir nach etwa
einer Stunde aulangten. In diesem Weiler hausen ein
Geistlicher und einige Krämer. Alljährlich wird zweimal
Markt gehalten; die Lappen kommen, um ihre Produkte
gegen allerlei Waare zu vertauschen. Pastor Westerlund
wohnt seit dreißig Jahren in Iockmock, hat ein Einkommen
von etwa vierhundert Thalern und dabei nicht weniger als
siebenzehn kräftige Kinder. Was für eine Freude das
in einer so abgeschiedenen Gegend ist! Der eine Sohn hat
es schon bis zum Geistlichen gebracht, zwei sind Schulmeister,
lund schloß sich an, weil er eine seiner Rundreisen antreten
wollte; er muß dergleichen alle halbe Jahre machen, und
sein Sprengel hat ungefähr dreißig Meilen in der Runde!
Wir begaben uns zunächst nach Saskam, und fuhren dann
über die einsamen Seen Pnrkia und Randisane, und sahen
aus der Ferne den Gletscher des Harevarto. Die Landschaft
ist hier überall melancholisch und einförmig; hin und wieder
sahen wir in den Wäldern große Brandstellen, denn Wald-
brände sind keineswegs selten. Man kann nichts dagegen
machen und muß das Element wüthen lassen, bis es sich
selber verzehrt. Wo wären hier auch Menschen, welche
löschen könnten?
In jener Gegend, nicht weit vom Parkijaver-See,
strömt der Fluß Silbo, der Perlenmuscheln enthält. Mit
dem Fange derselben beschäftigen sich arme Lappen; sie tauchen
Ein Charakterbild der ostafrikanischm Negervölker.
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in das kalte Wasser und bringen die Muscheln vermittelst
einer Zange zu Tage, welche an einem langen Stabe be-
festigtist. Doch von hundert Muscheln hat kaum eine einzige
eine kleine Perle; aber manchmal wird die Anstrengung be-
lohnt, und es giebt Silbo-Perlen, welche dem Lappen mit
drei oder vier Thalern bezahlt werden und die in Hamburg
für eben so viele hundert Mark Abnehmer finden. Die
Krämer in Jockmock kaufen die Perlen auf, verhandeln sie
nach Lulea und von dort werden sie weiter vertheilt.
In dem wilden Skalka-See bildet Björkholmen, j
die Birkeninsel, eine reizende Oase, und dort, fast unter j
dem 67. Breitegrade, bauen die zwei Familien, welche die
Bewohnerschaft bilden, so viel Getreide, daß sie davon an
die Nachbarn verkaufen können. Brot gilt übrigens in jenen
Gegenden für einen Luxusartikel, und geräuchertes Rennthier-
fleisch oder an der Sonne getrocknete Fische dienen als Ersatz.
Der eine Bauer zeigte uns mit Stolz die achtzig Morgen
Landes, welche er urbar gemacht hatte, und allem Anschein
nach stand ihm eine ergiebige Ernte bevor. Er fragte nach
Neuigkeiten und wußte nicht, was sich seit Monaten in der
Welt zugetragen hatte; nur dann und wann erhält er Zei-
tungen ans Jockmock.
Der Pastor hat auf seinen Inspektionsreisen überall
ein Zeitungskollegium zu halten, und namentlich den Lappen
muß er allerlei erzählen, sonst sind sie nicht zufrieden. Er
führt sein Kirchenbuch bei sich, um Gebnrts- und Sterbefälle
eintragen zu können; er muß taufen und den Leuten aus dem
Register mittheilen, wie alt Dieser oder Jener ist, denn das
vergißt der Lappe leicht. Gewöhnlich bringt dieser dem Pa-
stor einen Rennthierschinken mit.
Von Björkholmen bis Quockjock hat man eine höchst !
interessante Reise; sie führt über Grauudden und über j
den Weiler Njawiw i. Hier wurde der Pastor angehalten !
und mußte unter freiem Himmel eine Taufe halten. Am !
andern Morgen fuhren wir den Sagat hinauf, über manche
Kaskaden in den Lagatjaner-See hinein, an dessen Ende
Quockjock liegt. Die Landschaften sind über alle Beschreibung
schön; das Gelände ist unten mit üppigem Grün bedeckt und
steigt bis zu Höheu hinauf, welche Gletscher tragen. Es
war gerade Sonntag. Als der Pastor sich nahte, läutete
man die Glocken, und der Eindruck war in der That er-
hebend. Der Geistliche legte sein Amtskleid an, steckte ein
weißes Beffchen vor, sprach ein Gebet in lappischer Sprache
und hielt dann schwedisch eine Predigt über den Text: „Wo
Zwei oder Drei in meinem Nanien versammelt sind, da bin
ich mitten unter ihnen."
In Quockjock sah ich ein Mädchen, das einen Schweden
zum Vater, eine Lappiu zur Mutter hatte. Es war schlank
gewachsen, die Hautfarbe licht, aber Auge und Haar schwarz.
Eine Schwedin wird niemals einen Lappen heirathen.
Wir hatten genug gesehen und traten unsere Heimreise
an. Bisher waren wir zu Berg gefahren, jetzt hieß es:
stromab! Die Boote gleiten pfeilgeschwind auf diesen Ge-
wässern, welche alle ein steiles Gefäll haben, und die Thal-
fahrt über die Kaskaden ist nicht ohne Gefahr. Wir kamen
glücklich zurück nach Lulea, und ich kann meine Feder nieder-
legen. Nur ein paar Bemerkungen mögen hier eine Stelle
finden.
Auf Björkholmen zeigte man uns als Merkwürdigkeit
ein Rennthier, das daraus abgerichtet war, einen Räder-
wagen zu ziehen, das aber im Winter auch, wie alle
anderen, einen Schlitten zog.
In Jockmock litt ich Nachts entsetzlich durch die Stiche
der Moskitos, welche selbst durch das Mückennetz drangen.
Am Morgen kam mein Wirth und sprach: „Nichts ist leichter
als diesem Uebelstand abzuhelfen." Dann holte er einen
irdenen Topf hervor, tauchte einen Pinsel ein, und ehe wir
uns dessen versahen, hatte er uns das Gesicht mit Theeröl
geschwärzt. Der Geruch war entsetzlich, aber das Mittel
ganz probat, denn die Mücken ließen mich fortan in Ruhe.
Ein Charakterbild der ostasrikanischen Negervölker.
Wir haben neulich in unseren ethnologischen Beiträgen
hervorgehoben, daß die verschiedenen großen Gruppen, in
welche die „Menschheit", die Gesammtheit der Erdbewohner,
von der Natur selbst durch unverkennbare Urmerkmale ge-
th eilt w orden ist, g auz v e r s ch i e d e u e K u l t u r w e r t h e Hab en.
Wer ein richtiges Urtheil über das Wesen derselben sich
bilden will, muß von allgemeinen Formeln absehen und die
Beschaffenheit der Dinge iu's Auge fassen. Er muß unbe-
fangen und ohne Prüfung an diese Dinge herantreten.
Nicht ohne Absicht kommen wir im Globus so oft ans
die Neger zurück. Die Negerfrage ist in Bezug aus Ethno-
logie, Volkswirthschast, Handel und Politik gerade in un-
seren Tagen von einer ganz Ungeheuern Bedeutung geworden,
und für Amerika erscheint sie geradezu verhängnißvoll. In
den mittleren und südlichen Ländern der großen Westhalbe
unseres Erdballs ist der Rückschlag zur Barbarei unverkenn-
bar und diese selbst im Anwachsen, seitdem man den Neger
jeder Kontrole enthoben hat. In Nordamerika ist eine große
und stolze Republik in den Abgrund gedrängt worden und
einem heillosen Bürgerkriege anheimgefallen, seitdem es dem
Fanatismus beschränkter Köpfe, welche sich für Philanthropen
ausgeben, gelang, die unkundigen Massen für ihre unheil-
vollen Lehren zu gewinnen und in blutigen Kampf zu führen.
Globus IV. Nr. 3.
Der arme Neger, mit welchem in einer so gewissenlosen
Weise experimentirt wird, hat nie ärgere Feinde gehabt, als
diese pseudophilanthropischen Fanatiker, für welche er ja
ohnehin nur Mittel zum bösen Zweck ist.
Den Neger betrachten wir unsererseits als einen Minder-
jährigen, als einen intellektuell noch unentwickelten Menschen,
den man nicht auf eine höhere Stufe hebt (falls er fähig
wäre, eine solche zu erreichen), wenn man ihn vogelfrei
giebt. Wirsehen die Folgen in allen tropischen oder warmen
Kolonialgegenden, und in der kalten Gegend bleibt der Neger
eine fremde, verkümmernde Pflanze. Gewiß wäre es wohl-
gethan, ihn der Sklaverei zu entheben, aber gute Erfolge
für den Neger selbst sind nur dann zu erwarten, wenn man
ihn unter einer wohlwollenden Vormundschaft behält.
Einer solchen wird er unter allen Umständen bedürfen, und
wer es in der That ehrlich mit ihm meint, wer ein wirk-
licher und redlicher Philanthrop ist, wird ihm eine solche
gönnen müssen.
Es erscheint von hohem Interesse, zu beobachten, wie
sich der Neger in seiner urafrikanischen Heimat entwickelt
hat, oder richtiger gesagt, wie er in der wilden Barbarei
stationär geblieben ist. In dieser Beziehung sind die
Schilderungen Richard Burton's von hervorragendem
10
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Ein Charakterbild der ostafrikanischen Negervölker.
Werthe. Wir schilderten vor etwa einem Jahre seine be-
rühmte Reise, aus welcher er den Tanganyika-See entdeckte,
und bemerkten damals, daß wir gelegentlich ans seine Schilde-
rung der ostasrikanischen Schwarzen zurückkommen würden.
Sie steht in seinem bekannten Werke: The lake regious os
Centralafrika. Burton sagt:
Dem Psychologen bietet Ostafrika ein ausgedehntes
Feld für die Beobachtung. Dort findet er den Geist des
Menschen noch in den Anfängen der tnateriellen Natur
und deren Wirkungen dermaßen unterworfen und von den-
selben so abhängig, daß er sich weder fortentwickelt noch zu-
rückschreitet. Man könnte fast in Versuchung gerathen, diesen
Menschen eher wie eine Ausartung civilisirter Geschöpfe zu
betrachten, denn als einen Wilden, welcher den ersten Schritt
vorwärts thut, wenn er nicht offenbar für jede
Weiterentwickelung unfähig wäre. Ihm fehlt der
Ring vom ächten Metall; in ihm ist kein so reiches und
volles Wesen wie etwa im Neuseeländer, den man (— bis
aus einen gewissen Grad —) erziehen und ausbilden kann.
Er scheint einer jener kindischen Rassen anzuge-
hören, die sich nie bis zum Manu emporhebeu, und
wie abgenützte Glieder aus der großen Kette der
beseelten Natur herausfallen. In ihm vereinigt
sich die Unfähigkeit des Kindes mit der Unbieg-
samkeit des Alters, die Unzulänglichkeit des
Kindes und die Leichtgläubigkeit der Jugend mit
dem Skepticismns der Erwachsenen und derSteif-
nackigkeit des Alters, das am Ueberkommenen klebt.
Er hat Meer, Seen und wohnt in einem vielbesuchten Lande;
seit Jahrhunderten steht er in unmittelbarem Verkehr mit
den weiter entwickelten Anwohnern der Ostküste, und jeder
hat wenigstens Araber, wenn auch nicht gerade Europäer
gesehen. Und doch ist er vor der Schwelle des Fortschrittes
stehen geblieben; bei ihm ist keine höhere und mannich-
faltigere Stufe der Einsicht zum Vorschein ge-
kommen. Selbst die einfachen Wahrheiten'des Islam
haben keinen Eindruck gemacht auf diese Menschen, welche
zwar denken können, aber alles Denken hassen, weil sie sich
vollauf damit beschäftigen, ihre leiblichen Bedürfnisse zu be-
friedigen. Ihr Geist ist auf Gegenstände beschränkt, die
sich hören, sehen und fühlen lassen; er ist in den Kreis
des sinnlich Wahrnehmbaren gebannt und kann
darüber nicht hinaus; auch will und mag er sich ledig-
lich nur mit deni Augenblicke, mit der Gegenwart beschäfti-
gen. Gedächtniß und Phantasie fehlen ihm.
Dieser Ostafrikaner erscheint, wie andere Barbaren
auch, als ein seltsames Gemenge von Gutem und Bösem;
aber das schlimme Element'ist sorgfältig gepflegt worden,
das gute gar nicht. Im Allgemeinen kann man als Regel
annehmen, daß der civ ilisirte Mensch, der höchste Typus,
dem Antriebe der Verstandeskraft, der Vernunft, ge-
horcht; der Halbcivilisirte (z. B. die großen Völker im
Osten) läßt sich von Gefühlen, Wallungen und Nei-
gungen in einer für uns oft unbegreiflichen Weise be-
stimmen. Der schwarze Barbar erscheint als Sklav
des äußern Antriebes, der Leidenschaft und des
Instinkts, die alle nur äußerst schwach vom Ge-
fühl beeinflußt werden; er hat ganz und gar keinen
Begriff von geistiger Zucht.
Dem höher gebildeten Menschen erscheint er als ein
der Vernunft abgekehrtes Geschöpf, ein Geschöpf,
in welcheni keine Logik ist, eine Masse von lauter
Widersprüchen. Seine Wege sind nicht unsere Wege,
seine Vernunft ist nicht wie unsere Vernunft. Er
leitet Wirkungen ans Ursachen ab, die wir nicht kennen, er
erreicht seine Zwecke und Ziele durch Mittel und Wege, für
welche wir kein Verständniß haben; seine Kunstgriffe und
sein ganzes Verfahren sind so einfältig und ohne Folge-
richtigkeit, daß sie uns gerade dadurch überraschen und ver-
ächtlich erscheinen.
Diese Schwarzen sind gutmüthig und hartherzig,
suchen leicht Streit und sind doch wieder vorsichtig und be-
dachtsam; in diesem Augenblicke zeigen sie ein gewisses Wohl-
wollen, und gleich nachher benehmen sie sich grausam, heftig
und erbarmungslos. Sie sind abergläubig und doch ohne
Ehrerbietung, gesellig und doch ohne Zuneigung, tapfer
und feig, sklavisch und unterdrückend, hartnäckig und doch
wieder unbeständig, Wechsel und Veränderung liebend; in
gewisser Beziehung haben sie eine Art Begriff von Ehre,
aber Rechtschaffenheit in Wort und That kennen sie nicht;
sie legen großen Werth auf das Lebeu und doch kommt sehr
häufig Selbstmord vor; sie sind habgierig und knickerig,
unbedachtsam und ohne alle Voraussicht, haben eine Art
Ahnung, daß sie niedrig stehen, aber der Verbesserung, der
Weiterentwickelung und des Fortschreitens sind sie unfähig.
Dieser Schwarze ist ein Embryo von zwei höheren Rassen
geblieben: dem Europäer, dessen Geist thätig und gegen-
ständlich, analytisch und perceptiv ist, und dem idealen, sub-
jektiven, synthetischen und reflektiven Araber. Er hat viel
von den schlechten Merkmalen der niedriger organisirten
Typen des Ostens, nämlich geistige Versumpfung, körper-
liche Trägheit, unentwickelte Moralität, Aberglauben und
kindische Leidenschaft.
Der civilisirte Mensch trachtet dahin, seine Selbstsucht
zu verdecken, bei diesem Barbaren tritt sie dagegen ganz
offen hervor. Dankbarkeit kennt er nicht, wer ihm eine
Wohlthat erzeigt, wird für schwach gehalten; ihm ist die
Hand, von welcher er Futter erhält, ganz^leichgültig. Ueber
den Tod eines Verwandten oder Kindes klagt er vielleicht
am Abend, aber am andern Morgen denkt er nicht mehr
daran. Gastfreundschaft übt er nur, wenn dabei etwas
zu gewinnen ist, und seine erste Frage bleibt allemal: Was
willst du mir geben? Einem Fremden, der in's Dorf
kommt, wird die allerschlechteste Hütte angewiesen, und
wenn er sich beklagt, entgegnet man ihm, draußen sei ja
Platz genug. Sein Wirth verlangt für Alles, was er giebt
und gewährt, sogleich Vorausbezahlung; ohne diese kann
man Hungers sterben, wenn auch ringsum Lebensmittel
vollauf wären. Es gäbe für den Fremden keine Sicherheit,
wenn er nicht das Schießgewehr hätte, und wenigstens die
Häuptlinge die Nothwendigkeit von Handel und Verkehr
einigermaßen begriffen; deshalb nehmen sie den Kaufmann
unter ihren Schutz. Der Handel bringt Vortheile, von an-
deren Fremden erwartet man dergleichen nicht und behandelt
sie deshalb mit weniger Rücksicht.
Der Schwarze verweigert einem verschmachtenden Mann
einen Trunk Wasser, wenn er selber auch Uebersluß daran
hat; er wird keine Hand ansstrecken, um die Maaren eines
Andern zu bergen, wenn auch. Tausende dabei verloren
gingen. Was geht ihn das an? Aber er geberdet sich lächer-
lich heftig, sobald ihm selber ein zerlumptes Stück Zeug
oder ein lahmer Sklav abhanden kommt. Er ist geizig
und karg auch dann, wenn etwas ihm Vergnügen macht;
seine Köter liebt er mindestens eben sosehr wie seine Kinder,
aber er giebt diesen Hunden nur selten ein wenig zu fressen,
und kann nicht begreifen, daß die Araber ihre Esel
mit Korn füttern; er giebt sein Erstaunen darüber mit
einem langgezogenen Hi! hi! zu erkennen. Er ist höchst
unbedachtsam, kennt keine Vorsorge, denkt nicht an morgen,
und wird uns gewiß nicht den Weg zeigen, bevor man ihm
Glasperlen gegeben hat. Es wurde schon bemerkt, daß in
allen Dingen Vorausbezahlung geleistet werden muß;
Ein Charakterbild der ostafrikanischen Negervölker.
75
freilich hält Niemand ein gegebenes Versprechen und Keiner
glaubt sich durch irgend eine Verpflichtung gebunden. Ver-
langt man auch nur für eine Stunde Kredit von ihm, dann
entgegnet er: „In meiner Hand ist nichts." Seine Hab-
sucht ist groß, aber noch stärker sind an ihn^Leichtsertigkeit
und geistige Schlaffheit; er ist von einem launenhaften
Hange nach neuen Dingen und nach Veränderung besessen,
und wird entlausen, wenn es ihm gerade einfällt; dann ver-
schlägt es ihm auch sehr wenig, ob er sich dadurch Schaden
zusügt. Auch kann seine Gewinngier nicht Schritt halten
mit seiner eingewurzeltenTrägheit, und gegendiese
Faulheit läßt sich gar nichts thun, da sie durch das
Klima begünstigt wird. Die Natur hat in diesem Lande
alle Ueppigkeit entfaltet und diese ist den Bewohnern zum
Fluche geworden; sie befriedigt seine Bedürfnisse, ohne daß
er sich anzustrengen braucht.
Wahrheitsliebe ist unter derartigen gesellschaftlichen
Verhältnissen feine Tugend, und die Lüge ist auch dann an
der Tagesordnung, wenn der Lügner von ihr weder Nutzen
noch Vergnügen zu erwarten hat. Wenn ein Muniamuesi-
führer dem Reisenden sagt, daß nur eine kurze Strecke bis
zum nächsten Haltplatze sei, dann darf er mit Zuversicht
darauf rechnen, daß ihm ein langer und beschwerlicher Weg
bevorstehe, und umgekehrt.
Auch halsstarrig und ungestüm ist dieser schwarze Ost-
asrikaner, und keine Zucht würde über ihn etwas vermögen,
und in seiner verstockten Widerspenstigkeit und seinem Eigen-
sinne gleicht er manchen Thieren. Wenn er beim Tausch-
handel irgend einen Gegenstand, auf welchen er sich einmal
gesteift hat, nicht erhalten kann, so schleppt er gewiß Alles,
was er mitgebracht hat, wieder nach Hause, und wäre es
auch noch so weit hin. Alles Handeln hat ein Ende, sobald
der Verkäufer dem, welcher bietet, den Rücken zuwendet;
gefordert wird ohne alle Rücksichtnahme ans den Werth
einer Waare. Nie geht ein Geschäft glatt vor sich, es ist
allemal Aerger dabei.
Rachsucht ist eine stark vorwaltende Leidenschaft; da-
für liefern die vielen blutigen Fehden zwischen nahe ver-
wandten Stämmen den Beweis. Rache und Wieder-
vergeltung ersetzen einen Rechtszustand, von
welchem man gar keine Ahnung hat, und Vater-
liebe, Sohnes- und Bruderliebe scheint man nicht
zu kennen. Selten wird ein Mann um einen gestorbenen
Vater, um seine Mutter, um einen Verwandten eine Thräne
vergießen, und von Trauer wird man wohl nur ausnahms-
weise eine Spur zu finden vermögen. Es ist wahrhaft pein-
lich, wenn man mit ansehen muß, daß ein von den Blattern
ergriffener Träger mitten im Walde liegen bleibt, ohne daß
seine Gefährten sich weiter um ihn bekümmern. Der Mann
wird vielleicht noch einige Tage leben, aber kein Lohn,
nicht einmal die Glasperle, wird einen andern Men-
schen vermögen, dem Kranken einige Pflege an-
gedeihen zu lassen. Man wird ihn von jeder Hütte
wegtreiben; er mag sich, wenn er kann, ein Obdach im
Freien ans Zweigen zurechtmachen. Er stellt dann seine
Schale mit Getreide und seine mit Wasser gefüllte Kale-
basse neben sich hin und wartet ab, bis er stirbt. Dann ist
er ein Fraß für die Hyänen und die Raben. Der Schwarze
bricht oft plötzlich in Wuth aus, und bei diesen Anfällen
läßt er sie an lebendigen und unbelebten Gegenständen ohne
Unterschied aus; er ist ungeduldig bis zum Lächerlichen und
wird manchmal wahnsinnig, wenn sein Wille ihm nicht ge-
schieht. In seinem eigenen Lande stellt sich seinem ganzen
Treiben kein Hinderniß entgegen, dort kann er anmaßend
und heftig sein, aber in anderen Gegenden darf er sich nicht
so geberden. Die Araber sagen: „In ihrer Heimat sind
die Schwarzen wie Löwen, bei uns wie Hunde." Höchst
widerwärtig ist ihr ewiges Zanken, Keifen und Schreien;
es scheint fast, als ob sie ohne Streiten sich gar nicht glück-
lich fühlen könnten. Tie Zänker versetzen sich rasch in Auf-
regung, gehen auf einander ein und weichen wieder zurück,
strecken, als Zeichen der Drohung, einen Finger voraus,
! heulen, kreischen, fluchen, schimpfen, und zuletzt schlagen
Beide eine helle Lache auf oder stöhnen und schluchzen.
Ihre Thränen „liegen hoch"; ein Mann, der einen Faust-
schlag erhält, bedeckt das Gesicht mit deu Händen und
schreit, als ob das Herz ihm brechen wollte.
Die Weiber sind wie Furien und im höchsten Grade
widerspenstig; es ist unmöglich, sie zum Schweigen zu
bringen, und beim Zanke der Männer schelten sie tapfer
mit und hetzen weidlich; sie weinen nur selten. So red-
selig und geschwätzig sind die Schwarzen, daß sie selbst den
redseligen Araber ermüden. „Lange Worte!" Maneno
mar esu, hört man alle Augenblicke als Vorwurf aus-
sprechen. Im Rausch ist der Ostasrikaner sehr reizbar;
er stellt dann die Beine weit auseinander, schreit laut,
fährt mit den Armen umher, oder schwingt Speer, Bogen
und Pfeil wüthend in der Luft, doch kommt es nicht gar oft
zum Blutvergießen. Handgreiflichkeiten bestehen darin, daß
die schwarzen Kämpen einander stoßen, gegenseitig das
Haar ausrausen und sich Ohrfeigen versetzen; nach einiger
! Zeit legen sich dann die Umstehenden in's Mittel. Die fest-
ansässigen Stämme müssen wir als schwache und unkriege-
rische Barbaren betrachten; auch die tapfersten setzen sich
nicht ohne Noth der Lebensgefahr aus. Sie lieben Ueber-
fälle aus sicherm Hinterhalt und ergreifen nach geringem
! Verlust an Todten die Flucht. Diese Leute sind, wie
die Kinder, immer in Extremen. Ein Mann erhängt
sich mit derselben Kalblütigkeit, wie ein Engländer im Nebel-
monat November, und doch hat der Tod für eben jenen
Barbaren etwas unaussprechlich Schreckhaftes. Alle Ge-
danken der Schwarzen sind ja ohnehin aus das diesseitige
Leben gerichtet; sie sagen: „Ach, sterben ist sehr schlecht;
nachher giebt's kein Essen und Trinken, keine
schönen Kleider trägt man!" Beim ganzen Neger-
stamm, und auch bei diesen Schwarzen ist der Zer-
störungssinn sehr scharf ausgeprägt; ein Sklave,
der etwas zerbricht, wird dabei unwillkürlich ein Gelächter
der Schadenfreude erheben. Das eigene Leben gilt dem
1 Schwarzen sehr viel, aber das eines Andern, und wäre
dieser auch ein Verwandter, achtet er nicht höher als das
einer Ziege. Man hat bei Feuersbrünsten in San-
sibar gesehen, daß die Schwarzen noch Holz in die
Glut warfen und vor wilder Wonne tanzten und
sangen. Bei dergleichen Gelegenheiten werden sie dann
von den Arabern wie Hunde todtgeschossen.
Die Ehe ist ein Handelsgeschäft. Der Mann muß
eine Frau nehmen, weil er eine solche braucht, um sich be-
haglich zu fühlen, und deshalb kauft er die Waare. Der
Vater verlangt von dem Bewerber so viele Kühe, Stücke
Zeug oder Arm- und Fußreifen von Messingdraht, als
dieser ablassen kann; nachher gehört die Tochter dem Käufer,
bei welchem sie mit anderm Vieh in gleicher Linie steht.
Der Mann kann seine Frau verkaufen; ein anderer
Mann, welcher sie ihm etwa wegnimmt, muß für sie soviel
zahlen, als sie aus dem Sklavenmarkte werth wäre. Mitgift
kennt man nicht, Feierlichkeiten beim Abschluß einer Ehe
eben so wenig; der Vielweiberei ist keine Schranke gezogen,
und die Häuptlinge rühmen sich der Anzahl ihrer Frauen,
die allerdings beträchtlich genug ist, denn sie steigt von
zwölf bis zu dreihundert! Es ist für ein Mädchen
kein Schimpf, Kinder zu haben; nach der Heirath wird die
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Ein Charakterbild der ostafrikanischen Negervölker.
Frau etwas vorsichtiger. Ter Ehebrecher, Mgoni, muß
dem beeiuträchtigten Manne Vieh geben oder wird als
Sklave verkauft; doch kommt es selten so weit, da das Ver-
gehen für nicht so bedeutend erachtet wird, als ein kleiner
Diebstahl. Ein eifersüchtiger Mann verstümmelt oder er-
mordet wohl einen andern, doch kommt auch das sehr selten
vor. Mit der Ehescheidung ist man leicht fertig;
man wirft ganz einfach die Frau vor die Thür und
behält die Kinder.
Die Anhänglichkeit des Schwarzen an seine Hütte ist
sehr stark, entspringt aber nicht etwa aus der Liebe zur Fa-
milie, sondern dem Vergnügen, welches dem Manne sein
Hans und der tägliche Verkehr mit genauen Bekannten ge-
währt. Mann, Weib und Kinder haben ihr ganzes
Leben lang sehr verschiedene Interessen und gegenseitig
nur geringe Zuneigung. Auch kann man nur eine
schwache Liebe des Vaters zu Kindern voraussetzen, von
denen er nicht weiß, ob sie seine eigenen seien oder mit
einem andern Manne erzeugt wurden; es ist eben ein ganz
eigenes Ding mit Treue in der Ehe bei den Schwarzen.
Sie haben auch in dieser Beziehung ganz andere
Begriffe als die Europäer; der Vater kann seine
Kinder nach Belieben verkaufen und diese beweisen
ihm keine Liebe oder Zuneigung. Zärtlichkeit für die
Mutter zeigt sich dann und wann, aber nur durch den Aus-
druck der Ueberraschnng: „Mama, Mama!" So ruft man,
wenn man sich vor etwas fürchtet oder sich wundert. Ein
Sohn, der erwachsen ist, wird des Vaters Feind, und
umgekehrt, gerade so wie bei den wilden Thieren. Bei alle-
dem haben diese Menschen einen gewissen Hang zur Ge-
selligkeit, und man hat einzelne Beispiele, daß Leute tief-
sinnig, ja verrückt geworden sind, weil ihnen ein Verwandter
plötzlich weggestorben war; sie können eben nichts er-
tragen, was über den gewöhnlichen Strich ihres
geistigen Horizonts hinansgeht. Etwas lernen, ein
wenig geistige Anstrengung, würde sie wahrscheinlich um
ihren Verstand bringen, wie wir das bei den Widad oder
Winkelpriestern der Somal sehen, denen aller gesunde
Menschenverstand und jede Fähigkeit zu nützlichen Beschäfti-
gungen abhanden kommt, wenn sie es dahin gebracht haben,
daß sie den Koran lesen können und einzelne Theile desselben
auswendig wissen. Aus diesem eigenartigen Hange zur Ge-
selligkeit erklärt sich auch, weshalb sie gern jedem Tadel aus-
weichen. Nie läßt manUkosa, Ueberschreitung, gelten,
und es wäre vergebliche Mühe, mit vielen Worten darthun
zu wollen, daß etwas Schlechtes gut sei. Sehr oft hört
man die Redensart: „Mbaya wi! Du bist schlecht",
welche einen Tadel in sich schließt. In einigen Landes-
theilen bekleiden Frauen die Häuptlingswürde, und bei den
Wanyamuesi fragt der Mann wohl auch eine Frau um
Rath.
Vom Bauwesen hat der Ostafrikaner nur die aller-
rohesten Begriffe, und vor steinernen Mauern oder Wänden
zeigt er einen förmlichen Abscheu. Ihm genügt eine aus
Zweigen geflochtene Hütte, die wie ein Bienenkorb gestaltet
ist, oder etwa auch ein Lederzelt. Nach Sansibar kommen
oft Wanyamuesi, aber viele derselben sind platter-
dings nicht zu bewegen, ein Haus zu betreten.
Diese Schwarzen sind gierig und gefräßig und lieben
häufige und kleine Mahlzeiten, um sich den Genuß des
Essens recht oft zu verschaffen. Selbst die civilisirteren
Kisawaheli haben keine Ausdrücke für Frühstück,
Mittagsmahl und Abendessen. Auch die ostafrika-
nischen Barbaren können im Nothfalle mit wenig Speise
sich behelfen, dagegen ertragen sie den Durst nicht. An
ein Aufbewahren und Uebersparen denkt Keiner. Viel
essen, das ist des Lebens höchster Zweck, wohl-
verstanden nächst der Berauschung. Der Schwarze
trinkt, bis er nicht mehr stehen kann, dann legt er sich zum
Schlafen hin, und nachdem er kaum die Augen wieder auf-
geschlagen hat, trinkt er von neuem. Zechgelage sind hoch-
wichtig und gehen allem Andern vor; bei jeder Gelegenheit
wird Bier getrunken; bei der Rückkehr von einer Reise,
nach der Geburt eines Kindes oder bei einer Elephanten-
jagd veranstaltet man einen Schmaus; der Arbeiter regt
keine Hand, bevor man ihm nicht Bier gereicht. Manche
Stämme geben dem Häuptling eine Bierschale mit in's
Grab; ein König muß viel Bier trinken und wenig Fleisch
essen. Wenn ich einen Mnyamnesi, der eben gespeist hat,
frage, ob er hungrig sei, dann antwortet er mit Ja, und
will damit sagen, er sei nicht betrunken. Der Rausch dient
für alle Verbrechen zum Deckmantel oder zur Entschuldigung;
am liebsten trinkt man früh am Morgen, bald nach Tages-
anbruch; der Barbar hat nichts zu versäumen und macht
sich ans Kopfschmerz nichts; auch kann er ja den Rausch
immer sofort wieder ausschlafen.
Der Neger hat kein Wohlwollen und kennt
keinerlei Ehrerbietung oder Festigkeit; er hat auch
kein Gewissen, also auch keine Gewissensbisse.
Nach einem von ihm verübten Morde kennt er keine andere
Besorgniß, als die, daß der Geist des Getödteten ihn
belästigen könne. Er raubt, als verstehe sich dergleichen
von selbst, und bettelt unverschämt; ewist entsetzlich nieder-
trächtig und wenn er nicht gerade betrunken ist, macht er
gewiß Schlechtigkeiten.
Dieses ganze wilde und rohe Treiben wurzelt in dem
völligen Mangel an Ehrerbietung, welche den Ostafrikaner
kennzeichnet; er weiß gar nicht, was Ehrfurcht, Verehrung,
Veneration ist. Sein Gemeinwesen besteht aus zwei großen
Abtheilnngen, denn es giebt nur Herren und Sklaven;
gesellschaftliche Unterschiede und Stufen kennt
dieser Schwarze nicht, und er behandelt, vom Häupt-
ling allein abgesehen. Jedermann als seines Gleichen. In
das Haus des ersten besten Fremden tritt er ohne Weiteres
unangemeldet ein, mit seiner ohnehin harten, bellenden
Stimme spricht er stets so laut als möglich, und ist glücklich,
wenn er sich selber reden hören kann. Seine Anrede hat
einen befehlshaberischen Ton, sein ganzes Benehmen etwas
Rohes und Freches, und dem Allen entspricht der Ausdruck
seines Auges. Er streckt seinen ungewaschenen, mit schmie-
rigem und zerlumptem Baumwollenzeug oder Ziegenfell
umhüllten Leib sofort aus einer Haut aus und sucht sich den
besten Platz in der Wohnung des Fremden aus. Auf der
Reise eilt er rasch vorwärts, um wo möglich die beste Hütte
für sich in Beschlag zu nehmen. Der Inhaber einer Kara-
wane mag in Regen und Than schlafen, das kümmert seine
schwarzen Träger nicht, wenn nur sie Obdach haben; er
macht dann wohl einen Versuch, für sich gleichfalls eine
trockene Stelle zu erobern, aber die Träger machen ihm
keinen Platz, sondern bleiben liegen. Deshalb sagen die
Araber: „Diese Menschen haben keine Scham."
Sehr lästig wird ihre im höchsten Grade zudringliche
Neugier, welcher der Fremde sich gar nicht erwehren kann;
er muß sie eben gewähren lassen. Sie kommen meilenweit
her, um ihn anznglotzen, heben den Zeltvorhang auf, um
hineinzugucken, und benehmen sich unverschämt. Lungernde
Frauen, Knaben und Mädchen treiben sich unterwegs
stundenweit neben der Karawane umher; alle halbnackt und
so zu sagen nur mit schmierigem Fette bekleidet, die ersteren
mit lang herabhängenden Brüsten, die in ekelhafter Weise
hin und her schlenkern, und sie schreien und heulen
wie wilde Thiere.
Ein Charakterbild der ostafrikanischcn Negervölker.
77
In geistiger Beziehung ist dieser Schwarze ganz
unfruchtbar, roh, für Alles, was Fortschritt, Ent-
wickelung und Veränderung heißt, vollkommen
unfähig. Gleich anderen Barbaren hat er wohl
Gabe zum Beobachten, aber er kann aus seinen
Wahrnehmungen etwas Ordentliches nicht ab-
leiten. Seine Intelligenz ist in einen engen Kreis ein-
geschlossen, und über denselben kann dieser Schwarze gar
nicht hinaus. Er bleibt stehen, wie manche Asiaten,
aber er steht ungemein tiefer als diese allesammt. Er liebt
die Musik und hat es, aus sich selber heraus, doch nicht
weiter als bis zum Pfeifen gebracht; er hat alle musika-
lischen Werkzeuge von den Völkern an der Küste erhalten.
Metrische Gesäuge kennt er nicht, so gern er auch singt; er
improvisirt einige Worte ohne Sinn oder Rhythmus
und wiederholt sie in einem langgezogenen Recitativ immer
und immer wieder bis zum Ekel, und schließt zuletzt mit
einem durch die Nase hervorgestoßenen Ah, ha! Für gewisse
Gelegenheiten hat er, gleich den Somal, besondere Ton-
weisen, zum Beispiel für die Elephanteujagd und die Ernte-
arbeiten; die Trauermelodie besteht in einem von Weinen
und Seufzen begleiteten Klagegesange, dessen einzelne Ab-
theilungen mit einem besondern Gegröl schließen.
Dieser Afrikaner ist unglaublich schwatzhaft und
zungenfertig, aber er kennt weder Erzählungen noch
Poesien oder Beredtsamkeit; nach Barbarenweise ist
er dann und wann sententiös, aber den lieben langen
Tag über wird er nichts Gescheidtes reden. Seine
Sprache ist kunstreich und wohlklingend; die Namen bestehen
oft aus flüssigen Mitlautern und Selbstlautern, Konso-
nanten kommen am Ende eines Wortes gar nicht, und
doppelt nur im Anfang eines solchen vor; aber der Begriff
eines Syllabarinms bleibt trotzdem diesem Schwarzen fremd.
Er liebt den Tanz, hält den Takt vortrefflich, aber dieser
Tanz ist unglaublich roh.
Der Ostafrikaner ist nie über den Fetischdienst
hinausgekommen. Dieser erklärt sich leicht, wenn man be-
denkt, daß Gedanken und Glauben der Menschen durch die
Natur, von welcher sie sich umgeben sehen, beeinflußt und
gefärbt worden sind; er spiegelt im Grunde nur den mon- -
strösen Charakter der Thier- und Pflanzenwelt wieder. In i
diesen Gegenden tritt die Natur nicht oft schön und erhaben
ans; manchmal erscheint sie schreckhaft und öde; hier find
düstere Wälder, dort undurchdringliche Gestrüppe; hier ist
ein Gewirr von Hügeln, dort eine unabsehbare Ebene, und
die Menschen stehen einander als Todfeinde gegenüber.
Unter solchen Umgebungen und Verhältnissen fühlen sie
ihre Schwäche und Hülflosigkeit, werden von einer unge-
wissen Furcht, von einem namenlosen Grauen gepackt. Sic j
ahnen nicht, daß man sich dem Schutz eines höhern Wesens !
anempfehlen könne, und wenden sich also unmittelbar an
die Gegenstände, welche ihnen Scheu und Furcht einflößen,
und hoffen dieselben zu begütigen, etwa derart, wie sie einen
Nebenmeuschen befriedigen können. In die großen Geheim-
nisse von Leben und Tod können sie nicht eindringen, über
diese haben sie weder Offenbarungen noch eine Erklärung; j
niit den großartigen Phänomenen der Schöpfung wissen sie
nichts anzufangen und sind deshalb eine Beute dessen, was
sie eben sich einbilden oder vorstellen. Da sie von Furcht
und Schrecken gepeinigt werden, so bevölkern sie die unsicht-
bare Welt mit bösen Geistern und Kobolden, diesen Ver-
leiblichungen ihrer kindischen Furcht und Angst. Die Be-
sorgnis vor Zerstörung und Vernichtung ist in der Brust
jedes Barbaren rege, und der Schrecken, welcher ihn immer
gepackt hält, bewegt ihn, auf Alles, was er um sich her sieht,
mit Verdacht zu blicken. Der sterbende Afrikaner wirst sich
die Frage auf: „Wie kann ich allein krank sein, wenn alle
Uebrigen um mich her sich wohl befinden? Ich bin verhext,
bin verzaubert worden." Daher rührt der Glaube an Magie
und übernatürliche Kräfte, welchen die weniger Befangenen
zu ihrem Vortheil ausbeuten.
Der Neger glaubt an Geist und Geister, an einen
Schatten des Verstorbenen. Auf die Frage, was ans den
„alten Leuten", nämlich den Vorfahren, geworden sei, über
deren Staub und Asche er gewisse Feierlichkeiten verrichtet
oder Bräuche beobachtet, erhält man zur Antwort: „Wame
knischa", das heißt: sie sind zu Ende gegangen. Selbst die
Indianer Nordamerikas (eine Rasse, deren Aus- und Ab-
sterben sich voraussehen läßt, welche demnach die Natur
nicht forterhalten will) wissen und glauben/daß es für den
Menschen ein zukünftiges Leben gebe, aber der Ostafrikaner
hat aus seiner Furcht sich einen Geist geschaffen, der nie-
mals zur Form einer Seele gelangt, und darüber ist er nie
hin ansgekommen. Selbst sein Glauben ist schwankend,
unsicher, verschwommen und ohne irgend ein System, doch
treten zweierlei Kennzeichen bei demselben deutlich hervor.
Wir erkennen darin eine Art von Dämonologie, weil die
Koma, Gespenster der Abgeschiedenen, eine Rolle spielen,
und Uchawi, Hexerei, schwarze Kunst, Zauberei, welche
mit den Gespenstern in Verbindung steht, ans dieselben Be-
zug hat.
Nur einige Stämme an der Küste haben dem Islam
eine sehr schwache Vorstellung von Einem höchsten Wesen
entlehnt. Von Thierverehrung, wie im alten Aegypten
oder in Indien, findet man keine Spur; bei den Kafsern
wollen indessen einige Reisende dergleichen wahrgenommen
haben. Von Sabäismus, Gestirnverehrung, treffen wir
beim Schwarzen eben nur so viel, als sich aus dem mensch-
lichen Instinkt ergiebt; er verehrt bis auf einen gewissen
Grad Sonne und Mond, und der letztere wird höher
geachtet als jene, aber um die Sterne kümmert er sich nicht.
Man fragt ihn, woher seine tägliche Nahrung komme, und
er zeigt nach der Sonne; man fragt ihn, ans welchen Ur-
sachen sein Bruder gestorben sei, und er antwortet: durch
Dschua oder Nimue, nämlich durch die Sonne. Der
Kaffer hat am Neumond einen Feiertag, der Ostafrikaner
nicht, doch begrüßt er das Erscheinen desselben mit Hände-
klatschen. Die Fetisch Hütte, Msimo, ist ein erster
schwacher Ansatz zu einem Tenipel, und wahrscheinlich voni
Kurban der Araber abgeleitet (?); man findet dergleichen
Hütten überall, namentlich aber in Usaramo, Unyaniuesi
und Karagueh. Sie sind zwerghast klein, nur ein paar Fuß
hoch, haben ein Dach, aber keine Wände. Getreide und
kleine mit Bier gefüllte Töpfe stehen am Boden oder hängen
vom Dache herab; sie sollen die Geister versöhnen und die
Felder gegen Unfälle schützen.
Der Fetischanbeter wird von niedrigen Leidenschaften,
Trübsinn und Furcht beherrscht; er bevölkert die unsicht-
bare Welt mit böswilligen Wesen und belebt die stoffliche
Natur mit bösen Einflüssen. Alle Gebräuche seines
düstern Aberglaubens zielen darauf hin, von ihm
selbst Uebel und Nachtheil abzuwenden und die-
selben auf Andere zu übertragen. Daher kommen
Zauber und Magie als natürliche Ausflüsse der Dämo-
nologie. Selten stirbt ein Mann, ohne daß Frau oder
Kind, ein Verwandter oder ein Sklav angeschnldigt würde,
den Zauber über den Verstorbenen geworfen zu haben.
Dann wird mit der Untersuchung wie mit dem Zuerkennen
der Strafe ganz willkürlich verfahren. Aber Zauberei und
Hexerei wird von Tausenden ausgeübt, welche steif und
fest an die Wirkungen derselben glauben. Der
Zauberer und die Hexe wissen, daß sie schwere Martern
Briefe über Böhmen.
und den Tod zu erleiden haben, aber das Nachegefühl ist
im Neger so stark, daß er sich trotzddm nicht abschrecken läßt.
Manchmal gesteht er, wie das auch bei europäischen Hexen-
processen vorkam, seine Zauberei ein und rühmt sich einer
That, an welche er selber glaubt. „Ich habe den geschlagen",
oder „ich brachte über ihn die Krankheit." So spricht solch
ein Mensch, und sein Wahnglaube wie die Handlung, zu
welchen derselbe ihn antreibt, sind Ausflüsse seines schwachen
Geistes, welchen er durch überkommene Hallucination auf-
gestachelt hat.
Ueber diesen schwarzen Menschen lagert gei-
stige Oede, geistiger Tod, und sie sind deshalb auch
nicht fanatisch; was sie als Ersatz für Gott haben, ist kein
eifersüchtiges Wesen. Aber der Neger glaubt, so gut
wie die Bekenner wirklicher Religionen, die im Alleinbesitze
der Wahrheit zu sein vermeinen, daß er allein recht und
das Wahre habe. Er fastet wie ein Muselmann, damit
er doch etwas mehr als ein gewöhnliches Geschöpf zu sein
glaube; allein im klebrigen kann er vom Islam nichts in
sich aufnehmen. Sein Fetischdienst bannt ihn in die
Fesseln seines Aberglaubens, an überkommene Ge-
wohnheiten, deren er sich nicht entledigen mag; sie halten
ihn umstrickt, er kann nichts vergeistigen und deshalb
vermochte er es nie zu dem philosophischen Pantheismus
oder Polytheismus der Europäer und Asiaten zu bringen.
Dagegen nahmen die mit semitischem Blute verquickten
Küstenstämme: die Somal, Wasawaheli und Wanirima, den
Islam leicht an. Auch haben die Araber ans Politik keine
Proselyten unter diesen Schwarzen im Innern machen
wollen, damit eine Ungleichheit bestehen bleibe. Mit dem
Schwerte könnte man wohl ganzen Stämmen gewaltsam den
Mohammedanismns auferlegen, nicht aber in friedlicher
Weise durch Erörterung oder Ueberredung einen Einzelnen
für die Lehre gewinnen. Die Missionäre bei Mombas
verließen sich auf Belehrung und Ueberredung,
sind aber daniit vollkommen gescheitert und haben
ganz und gar nichts ausgerichtet. Sie mußten ein-
gestehen, daß ihre schwarze Heerde „den ärgsten Ungläubigen
und Spöttern in Europa nichts nachgebe und blasphemire."
Die Schwarzen sagten zu den Sendboten: „Euer Gott ist
ein schlechter Gebieter, denn er heilt seine Diener nicht."
Ein Mann, welchen man bekehrt hatte, starb an einer
Krankheit; daraus zogen die Wanika den Schluß, daß cs
einen Erlöser gar nicht gebe; ein solcher müsse ja doch dafür
sorgen, daß seine Freunde nicht vom Tode hinweggerafft
werden können. Bei Gesprächen über Gott äußern sie den
Wunsch, ihn einmal zu sehen, aber nur um an ihm Rache
dafür zu nehmen, daß Verwandte, Freunde und Ochsen ge-
storben sind; denn daran trägt ja er die Schuld.
Griefe über Lohmen.
Dritter Artikel.
Adel. — Großgrundbesitz. — Beamte. — Die Dörfer westlich von Prag. — Der Geistliche und der Dorfjude. — Trachten und Gesichtszüge. —
Nationalgefühl. — Drahtbinder. — Marionetten. — Musik und Tanz. —
Die Tschechen hatten einst einen mächtigen, nationalgesinnten
eingeborenen Adel, von dem aber nur wenig übrig geblieben ist.
Schon vor den Zeiten des Pfälzers Friedrich war derselbe theilweise
gerinanisirt oder hatte seine Güter an Deutsche verkauft. So ward
es unter dem ersten Wenzel, der deutscher Minnesänger war, und
dessen Lieder sich in der sogenannten Mauesse'schen Sammlung
finden, Mode, daß tschechische Adelige deutsche Namen zu führen
begannen oder ihre Burgen mit deutschen Benennungen belegten.
Die Sternberge z. B. hießen eigentlich Diwisch, das Schloß
Klingenberg Zwikow, Schreckenstein bei Anßig Strekow
und die altberühmten ausgestorbenen Rosenberge, zu deren Ge-
schlecht die bekannte „weiße Frau" gehörte, führten den ursprüng-
lichen Namen Witkowitz. Aus welch eigenthümlichen Gründen
oft tschechische Adelige ihre Güter au Deutsche verkauften, ersehen
wir an Herrn Nikolaus von Trtschka und Lipa, der im Jahre 1511
die Herrschaft Tetschen au die sächsischen Herren von Saalhausen
für 8000 Schock Prager Groschen abtrat, weil sie ihm nicht mehr
gefiel „wegen der schlechten Wege und vielen Deutschen".
Als nach der Weißenberger Schlacht der Winterkönig fliehen
mußte, flohen auch viele tschechische Adelige mit ihm, deren Güter
dann in andere, der kaiserlichen Partei freundliche Hände geriethen.
So erhielt Wallenstein, der, wenngleich ein Böhme, doch in der
Schlacht am Weißen Berge auf Seiten der Kaiserlichen focht, allein
sechzig Herrschaften um einen Spottpreis. Dann bluteten noch auf
dem Prager Ring vor dem altberühmten Nachhause die besten aus
dem böhmischen Adel auf dem Schaffote. Was noch übrig blieb,
ging meist im Oesterreicherthum ans und wir finden dann später
die ans alten tschechischen Familien entsprossenen Kannitze,
Lobko.witze u. s. w. am Wiener Hofe als Stützen der Habsburger
Politik.
Es ist also der alte eingeborene Adel größtentheils und zum
Schaden für die Tschechen verschwunden. Von den alten Ge-
schlechtern sind jetzt noch in Böhmen begütert: die Sternberge,
Kolowrat, Lobkowitz, Schlick, Wrbna, Kinsky, Tschernin u. A.
Im Besitze ihrer Stammschlösser sind aber nur noch zwei Familien:
die Stern berge (Sternberg an der Sazawa) und die Tschernin
auf Chudenitz. Die Dobrensky, bisher die Dritten in der Reihe,
verkauften im verflossenen Jahr ihren Stammsitz Dobranitz.
Der größte Theil des heutigen böhmischen Adels ist aber
ein fremder, zumeist deutscher. Dahin gehören die Liechtenstein,
Auersperg, Clam, Schwarzenberg, Thurn und Taxis, Fürstenberg,
Thun, Khevenhüller u. s. w., während die Rohan und Desfours
französischer Abstammung sind. Und dieser Adel richtet seine Augen
nach Wien, er ist mit wenigen Ausnahmen österreichisch gesinnt
und das Tschechische kann ihn nur wenig berühren.
Bezeichnet man auf einer Karte Böhmens alle die Ländereien,
welche der Adel sein eigen nennt, dann die Staatsdomänen und die
Güter der Geistlichkeit mit einer Farbe, so wird man staunen, den
bei weitem größern Theil des Grundes und Bodens in ihrer Hand,
den kleinern aber bei den Städten und Dörfern zu finden. Läge
nicht gegen diesen Großgrundbesitz in der, meist deutschen, Industrie
und im deutschen Handel ein Gegengewicht, so wäre Böhmen, bei
der verhältnißmäßig geringen Entwickelung des bürgerlichen Ele-
ments, ganz in dessen Hände gegeben und von ihm abhängig. Bis
zum Jahre 1848 herrschten auf den Domänen noch Patrimonial-
gerichte und verschiedene andere Privilegien des Adels, die seitdem
Briefe über Böhmen.
79
aufgehoben sind, aber noch immer ist die Macht und der Einfluß
des Großgrundbesitzes in Böhmen größer, als irgendwo sonst in
Deutschland.
Trotzdem spielt im Verhältniß zu seinem großen Besitze der
böhmische Adelige, oder, wie er meist genannt wird, „Kavalier", lange
nicht die Rolle, welche er einnehmen könnte. Es ist ihm freilich ein
hoher Posten unter den Staatsstellen sicher, aber von dem Einflüsse,
den die begüterte ungarische oder englische Aristokratie ans die Nation
oder das politische Leben nimmt, ist bei ihm wenig die Rede. Im
Herrenhause des Reichsraths zu Wien oder im Landtage zu Prag
nimmt er, Ausnahmen abgerechnet, seinen Sitz nur ein, um sich
zu langweilen und um in der Jagdfrage oder beim Gemeindegesetz
eine konservative Stimme abzngeben. Er ist vor allen Dingen
Kavalier und trägt den ererbten Reichthum zur Schau. Auf der
Prager Kleinseite besitzt er ein Palais und dabei einen hübschen
Garten. Doch hält er sich dort weniger, meist nur zur Zeit der
Bälle und des Landtags, auf; sein rechtes Leben beginnt draußen
auf der Herrschaft.
Die Herrschaften sind von verschiedener Größe; es giebt
deren, die ein wohl abgerundetes Ganze von sechs bis acht Geviert-
meilen ausmacheu. Hier ist der Kavalier fast unbeschränkter Allein-
herrscher. Au den Grenzen der Besitzung erheben sich neben den
schwarzgelben kaiserlichen Schlagbänmen Schranken in seinen Haus-
farben-; jedes Stückchen Feld, jeder Forst liefert die Erträgnisse in
seine Kasse. Kurz, Alles weist ans einen kleinen Staat im Staate
hin, an dessen Spitze ein unbeschränkter Herrscher steht.
In den Waldungen liegt der Hauptreichthum des Kavaliers.
In neuerer Zeit werden sie meist gut bewirthschaftet, wenn es sich
auch später ereignen dürfte, daß der Laubwald in Böhmen fast
gänzlich verschwindet, da man nur Nadelholzschonungen (hier mit
einem tschechischen Ausdrucke „Meiten" genannt) anlegt. Zum
Theil sind die Forste noch wahre Urwaldungen, wie die des
Fürsten Schwarzenberg im Böhmerwalde, die nur noch ans bessere
Berkehrsmittel warten, um ihren Ungeheuern Reichthum abgeben
zu können. In den Wäldern zerstreut, aus hübschen bergigen
Punkten, nieist an rauschenden Strömen, die in seltener Mannich-
faltigkeit das schöne Böhmerland bewässern, liegen alte Burgen,
die oft erneuert und ausgebessert worden sind, um als Jagdsitz des
Kavaliers zu dienen. Büchsenspanner, allerlei Jägerleute, feiste
Bedienten mit impertinenten Manieren und glattrasirten Gesichtern,
an Courtagen ein zahlloses Heer von Beamten, umschwärmen das
Schloß, dessen Aeußeres und Inneres mit Hirsch- und Rehgeweiheu,
Büchsen, Hirschfängern, Jagdbildern und ähnlichen Sachen voll-
gestopft ist. Dem Kavalier geht die Jagd über Alles; er ist darin
so eifrig, wie nur jemals ein englischer Lord. Dem edlen Waid-
werke scheint die Herrschaft vor allem Andern gewidmet zu sein, und
außer in den großen Thiergärten, wird auch Hochwild selbst im
Freien gepürscht. Der Ersatz für Wildschaden, den einzelne Ka-
valiere an benachbarte Ortsgemeiuden leisten, geht oft hoch in
die Tausende.
Neben seinen Forsten besitzt der Kavalier noch eine bedeutende
Landwirthschaft, oder er ist Theilnehmer an einer Kohlengrube,
einer Zuckerfabrik, oder hat einige Hüttenwerke. Das sind für ihn
sehr ergiebige Anlagen, und es giebt auch einzelne Kavaliere, welche
denselben Interesse zuwenden und nicht Alles lediglich den Beamten
überlassen. Mit den Förstern und Hegern ist Jeder gut bekannt;
denn es interessirt ihn als Jäger sehr, wie die Auerhahnbrut in
einem Revier ausgefallen ist.
Zu Hause spricht der Kavalier französisch oder deutsch im
Wiener Dialekte; mit dem Tschechischen befaßt er sich dagegen wenig,
doch wird den Kindern jetzt diese Sprache auch beigebracht. Die
armen Kinder, wie mag es in deren Kopfe aussehen: französisch,
englisch, deutsch und tschechisch haben sie von Jugend auf zu lernen!
In Prag bat der Kavalier seine eigene Bibliothek, die manchmal
benutzt wird. Man kauft jährlich einige Oelgemälde au, am
liebsten Jagdstücke, und der eine oder andere übernimmt das Pro-
tektorat irgend eines wissenschaftlichen Vereins. Daß bei solchen
Kavalieren deutscher Abstammung, oder bei den halbschlächtigen
adeligen Tschechen, mit^ühmlichen Ausnahmen (unter denen beson-
ders Fürst Karl Auersperg hervorzuheben ist), eine nationale
deutsche Gesinnung nicht zu finden ist, wird Niemanden Wunder
nehmen. Einige Adelige, und unter diesen gerade Leute deutscher
Abstammung, haben sich in der letzten Zeit mit Ostentation dem
Tschechenthnm zugewandt, das sie für ihre feudalen Pläne auszu-
nutzen trachten.
Die Herrschaften der Kavaliere sind die Gebnrtsstätteu eines
sehr wichtigen Faktors im Kronlande Böhmen, nämlich des
Beamtenthums. Zur Verwaltung der Wälder, der Landwirth-
schaft und der industriellen Unternehmungen bedarf der Großgrund-
besitzer eine Menge von Beamten, von ihm in jeder Beziehung ab-
hängige Menschen, die nebst den Arbeitern die Bevölkerung der
Herrschaft ausmachen. An die Stelle des freien Bauern treten
Wirthschaftsverwalter, Maierhofsknechte und Taglöhner, willige
Werkzeuge in der Hand ihres Herrn. In früherer Zeit nahmen
es diese Beamten nicht so genau mit dem Eigenthum ihres Herrn;
das sogenannte System des „Schmierend" (d. h. Bestechens) war
in voller Blüte und mag auch jetzt noch Vorkommen; wie höher
stehende Beamte es machten, so trieben es auch die niederen Diener.
Es ist ein leider nicht wegzuleugnender Fehler der Tschechen, daß
ihre Achtung vor fremden Eigenthum eine sehr bedingte ist. In
den unteren Schichten ist ein bestrafter Dieb noch lange nicht ehrlos
und Jedermann geht mit ihni um, wie mit einem ehrlichen Menschen.
Bezeichnend ist der Ausdruck „böhmischer Zirkel", den mau für
eine gewisse aueignende Handbewegung erfunden hat.
Diese Beamten sind (immer die Ausnahmen abgerechnet) eine
ganz eigene Menschenklasse. Ihre Besoldungen an baarem Gelde
betragen oft nicht viel, dagegen beziehen sie Deputate an Holz, Ge-
treide, Bier und was sonst noch die Herrschaft hervorbringt. In
ihrem gesellschaftlichen Wesen kommen sie dem Kleinstädter am
nächsten, und alle über eine Domäne zerstreuten Beamten würden,
auf einen Punkt zusammengedrängt, ein ganz herrliches Krähwinkel
vorstellen. Aber eben so gut wie die Arbeiter ans den Herrschaften
sind sie Proletarier und zwar recht konservative Proletarier, denn
die Natur der Sache bringt es mit sich, daß die auf einer Herrschaft
Angestellten untereinander vielfach verwandt und verschwägert sind
und in geschlossener Phalanx Alle für Einen und Einer für Alle
stehen, damit ja keine neue Ordnung der Dinge die alten Bräuche
oder Mißbräuche ändere. Sie halten fest am Hergebrachten; manche
sind im höchsten Grade servil gegen ihre Vorgesetzten und erkennen
in jedem Fremden einen gefährlichen Eindringling und Neuerungs-
süchtigen. Die Söhne dieser Beamten kennen meist kein anderes
Ziel als wieder Beamte zu werden, und da sie geläufig deutsch und
tschechisch reden, außerdem in der Unterwürfigkeit und Willenlosig-
keit ein gutes Stück leisten, so finden sie auch im ganzen Kaiserstaat
überall leicht wieder eine Verwendung als Beamte. Die meisten
Werkzeuge Bach'scher Willkür, namentlich in Ungarn, waren solche
zweisprachige Böhmen, Fledermäuse, deren Handlungen dann auf
Rechnung der deutschen Nation geschoben wurden und derselben un-
verdiente Vorwürfe brachten. Dieses ganze ausgedehnte Beamten-
thum, eine Mischung von Servilismus, Armuth und Halbbildung,
ist aber eine ganz natürliche Folge des kolossalen Großgrundbesitzes.
Latifundium, der überhaupt eine-Menge volkswirthschaftlicher
Nachtheile in seinem Gefolge hat, die leider nicht zu ändern sind,
als bis die Ursache desselben selbst beseitigt ist.
* *
Ein gestreut zwischen die weit sich hinziehenden Flächen des
Großgrundbesitzes liegen die Dörfer der Bauern. Aber in so
ausgedehntem Zusammenhänge, wie wir die Felder der Land-
bewohner z. B. am Rhein, in Niedersachsen -c. treffen, wo Dorf-
schaft an Dorfschaft stößt, finden wir die Ackergründe der Bauern
80
Briefe über Böhmen.
in Böhmen nirgends. Hier und da zeigen sich wohl größere Kom-
plexe, aber im Allgemeinen sind es nur kleine Gemarkungen, welche
der vierte Stand sein eigen nennt. Die Wä^r, die bei den Dörfern
als Gemeindegnt sich befanden, oder im Besitz einzelner Bauern
waren, sind meist abgetrieben und zu kahlen Hntweiden oder frucht-
barem Ackerboden gemacht worden. Häufig kaufte sie die benach-
barte GntSherrschaft an, oder tauschte sie gegen ein Stück Wiese
aus. So liegt denn das Dorf inmitten baumloser Felder; ein
holperiger Weg, dem man es ansieht, daß seit Menschengedenken
wenig oder nichts für seine Erhaltung gethan worden ist, schlängelt
sich zum Dorfe hin; die Gräben, die einst an seiner Seite sich hin-
zogen, sind kaum noch zu erkennen, sie sind längst verrasit oder im
Laufe der Zeit dem Boden gleich geworden. In regniger Zeit stehen
dann Wasserlachen auf dem Wege, und die langsam dahin ziehenden
Wagen der Bauern versinken bis an die Nabe im Kothe.
Wir haben hier vorzugsweise die tschechischen Dörfer westlich
von Prag im Auge. Die Gegend ist stach und nur vereinzelte
Holzbirnbänme erheben sich aus dem meist gut bebauten Boden.
Der Holzbirnbaum war den alten Slawen heilig, deshalb legen
auch die Enkel nicht die Axt an ihn, wie an alle anderen Bäume,
sondern besingen ihn noch in ihren Bolksliedern, deren eines beginnt:
„Steht im Feld ein breiter Birnbaum". Auch nahe beim Dorfe
selbst finden wir wenig Bänme, nichts von einem Garten,
kein Blumenbeet ist zu sehen. Ein paar vereinzelte Pflaumen-
bänme und einige am Mühlbache stehende Erlen, das ist Alles.
Am Eingänge des Dorfes steht ein mit den kaiserlichen Farben an-
gestrichener Pfahl, der eine Tafel trägt, welche oben in deutscher,
unten in tschechischer Sprache den Namen des Dorfes uns ver-
kündigt. Wirtretenein; der Weg wird wo möglich noch schlechter,
da er als willkommener Abladeplatz für allerlei Schutt benutzt wird;
die Düngstätten liegen dicht an ihm und ergießen bei Regenwetter
ihren werthvollen Inhalt als braunen Strom über die Straße;
große Steine in der Mitte hat man liegen lassen und die Wagen
fahren um dieselben herum; an die Entfernung derselben denkt
Niemand.
Die Mittagsglocke läutet und die Kinder kommen mit Fibel
und Schiefertafel bewaffnet aus der Schule gesprungen. Die
blonden Haare, die blauen Augen der meisten lassen uns kaum
einen äußerlichen Unterschied mit deutschen Kindern gewahren. Die
ganze Schaar drängt sich an. den fremden Pan (Herrn) heran;
wie ans Befehl ertönt gleichzeitig aus aller Munde: „Poch walen
bud pan Jesus Kristus!" Gelobt sei Jesu Christ! „Nawjeki,
Amen!" In Ewigkeit. Amen! antworten wir und nun entsteht
unter der Jugend ein förmliches Ringen, wer zuerst die Hand des
Pan küssen soll. Die Urväter dieser Kinder färbten wohl einst den
Boden hnssitischer Schlachtfelder mit ihrem Blute, mit unge-
brochenem Mnthe für den Kelch streitend; die Enkel begrüßen uns
mit dem katholischen Gruße; ihr Glaube ist ein anderer als der
der Väter, aber der slawische Handkuß ist ihnen geblieben.
Die Bauernhäuser, Chalnpen genannt, liegen zu beiden
Seiten der Straße; sie sind niedrig, meist nur aus eingebrannten
Lehmziegeln und tannenen Balken in Wechsellageu aufgeführt; die
Ziegel sind mit weißem Kalk übertüncht, die Balken im Lause der
Zeit schwarz geworden, so daß nun das Ganze einem königlich
preußischen Schlagbaume gleicht. Das mit Stroh gedeckte Dach
geht tief herab, um an der einen Seite des Hauses sich zu erweitern
und, von ein paar hölzernen Säulen gestützt, wagrecht fortzusetzen.
Unter diesem verandaartigeu Vorbaue läuft eine Galerie hin,
Pawlatsche genannt, die im Sommer zum Aufenthalte der Fa-
milie dient. Die Ställe und Scheunen liegen abgesondert; oft
gehört eine Scheune zu mehreren Chalnpen zugleich. Statt der
Strohdächer findet man hier und da Schindeln, und in der neuern
Zeit mehren sich natürlich die Ziegelhäuser, aber im Allgemeinen
zeigen die Dörfer in der erwähnten Gegend zwischen Prag und
Pilsen einen sehr ärmlichen Anstrich. Oestlich und südlich von der
Hauptstadt ist das anders.
Wenn nicht, was häufig der Fall ist, ein kleiner Gutsherr
einen größern Hof mit hübschem Gebäude im Dorfe besitzt, so
unterscheiden sich nur zwei Häuser von den übrigen Chalupen durch
städtische Bauart: das des Geistlichen und des Juden. Der Geist-
liche führt im Allgemeinen dasselbe einsame Leben wie die meisten
katholischen Dorfpfarrer, aber eins zeichnet den tschechischen
Landgeistlichen vor seinem deutschen Kollegen besonders ans:
er ist zugleich nationaler Agent. Der deutsche Geistliche ist Obst-
oder Bienenzüchter, oder hat sonst eine Liebhaberei, aber die Fort-
bildung des nationalen Elements liegt, ihm wenig, am Herzen.
Ganz anders der tschechische Geistliche. Wenn ihn auch sonst die
Wissenschaften oder Künste kalt lassen, in der Geschichte seines
Vaterlandes ist er zu Hause und versäumt nie, bei passender Ge-
legenheit die Thaten der alten Tschechen den Bauern zu erzählen,
wobei natürlicherweise mancher Seitenhieb auf die Deutschen mit
abfällt. Kommt er aber zu den großen Tagen der Hussiten, dann
stockt seine Stimme — hier liegt ein Bruch, die katholische
Kirche und das Nationalgefühl gerathen in Widerspruch. Aber er
erwärmt sich doch an dem Glaubenshelden Huß und wir haben
es gesehen, daß junge Kapläne, angethan mit der „nationalen
Tschamara", in einem unbewachten Augenblick auf das Wohl des
Reformators ein Glas leerten. —
In allen Stücken das Gegeutheil des Geistlichen ist der Dorf-
jude. Als er einzog in das Dorf und seinen mit tausenderlei
Sachen wohlbesetzten Kramladen eröffnete, nannte er noch nicht
viel sein eigen. Fleiß, Ausdauer, Nüchternheit, Schmiegsamkeit
und Biegsamkeit, Freude am Gelde, diese Erbtheile der Söhne
Israels, brachte er mit. Im Dorf entstand Aufregung und der
Geistliche ließ sogar von der Kanzel einige Worte gegen ihn fallen.
Aber er harrt aus. Schon mit Tagesanbruch füllt sich sein Laden;
der Branntwein des Juden ist stärker und besser als der im Wirths-
haus und der tschechische Bauer oder Arbeiter muß schon in der
Frühe sein Gläschen von dem berauschenden Getränke zu sich
nehmen. Immer weiter dehnt sich der Geschäftskreis des Juden
aus. Der bisherige Tabaksverkäuser besorgt sein Geschäft nicht
zur Zufriedenheit der Steuerbehörde (der Tabak ist Monopol)
oder er stirbt. Bald daraus sieht man den Doppeladler mit der
Umschrift: „K. K. Tabaktraffik" am Hause des Inden angebracht.
Diesem gesellt sich bald noch ein Adler bei, denn auch die Lotto-
kollektur erlangt der Unermüdliche, und nun prangen allmonatlich
zweimal die in der Prager kleinen Lotterie gezogenen Zahlen ans
einer Tafel am Hause. Die Mautheinnahme der benachbarten
Bezirksstraße ist meistbietend zu verpachten; kein christlicher Bieter
findet sich, der Jude ersteht sie billig, findet seine Rechnung dabei
und ist nun k. k. Mautheinnehmer. In dem Maße, wie sein Wohl-
stand durch Unternehmungen steigt, welche die christlichen Bewohner
des Dorfes eben so gut wie er machen könnten, in dem Maße wird
er verhaßter.
Gegenüber den wenigen unter ihnen lebenden Protestanten
sind die Tschechen im höchsten Grade duldsam und bilden hierdurch
einen erfreulichen Gegensatz gegen die Bewohner anderer Länder
der Monarchie, z. B. die Tyroler. Sagt ihnen Jemand: Ich bin
Protestant, so erhält man die Antwort: To jest stejni, das
ist einerlei. Doch schreibt sich diese religiöse Duldsamkeit nicht
etwa von einer geschichtlichen Erinnerung an das Hussitenthum her,
da die Geistlichkeit soviel wie möglich Alles, was noch daran erinnert,
auszutilgen strebt. Die wenigen noch heute übrig gebliebenen
Hussiten nennt der Landmann scherzweise Berani, Böcke,
wegen der Hartnäckigkeit, mit der sie an ihrem alten Glauben fest-
halten. Spricht der tschechische Bauer aber vom Juden, so ist
diesem das Eigenschaftswort „stinkend" oder „verflucht" sicher.
Hieran ist aber außer dem kirchlichen noch der nationale, oder sagen
wir besser der politische Standpunkt des Juden Schuld. Der Jude
ist nämlich ein Propagandist für das Deutschthum. Die Pesther
Juden singen in ihrer Synagoge den Szozat, im Tempel zu
Warschau erklingt das Boze cos Polske; aber der böhmische, unter
Briefe über Böhmen.
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den Tschechen lebende Israelit stimmt begeistert in Arndt's Vater-
landslied ein.
Woher kommt diese Erscheinung? Wie alle seine Glaubens-
genossen, ist auch der böhmische Jude ein praktischer Mensch. Er
weiß, daß er mit der Kenntniß der deutschen Sprache in ein großes
Kulturgebiet eintritt, während er mit dem tschechischen Idiom sich
nur wenige Meilen von der Landeshauptstadt entfernen darf, um
an einer unübersteiglichen Sprachgrenze anzulangen; er bedient sich
daher der Sprache Lessing's lieber, als der einer ihm feindlichen
Minderheit. Zn Hause spricht der Jude nur deutsch. Und dann
ist der Handel, in dem sich vorzugsweise die Thätigkeit des Inden
bewegt, in Böhmen fast rein deutsch zu nennen. Auch übersieht der
Jude nicht, daß, wenn eine Klärung der nationalen Streitigkeiten
wird, das Uebergewicht und die Herrschaft doch den Deutschen bleibt.
Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die Juden unter den
Tschechen sich sehr ausschließlich verhalten und sich in ihrem Umgang
auf sich beschränken, viel mehr als dies in anderen Gegenden
Deutschlands der Fall ist, wo inan z. B. besondere „israelitische
Bälle", welche die Inden eines Bezirks im Fasching vereinigen,
weniger kennt. —
Es ist ein wahrer Satz, der sich auch in Böhmen wieder be-
währt: „Wie die Klette an den Kleidern, so hängt der Jude an den
Völkern slawischer Nation." Im ganzen Kronlande leben ihrer jetzt
86,000, so daß also etwa jeder fünfzigste Mensch ein Jude ist.
Es ist Sonntag im Dorfe. Wir schreiten mit der festtäglich
gekleideten Menge der Kirche zu, deren Glocken zur Messe rufen.
Der Pfad führt über den Steg des Mühlbachs, der das Dorf
durchrinnt. Das Geländer des Steges ist im Verfall begriffen,
wer kümmert sich auch darum? Man läßt es so gehen bis ein Un-
glück geschieht; Gemeinsinn muß man hier nicht suchen. Auf dem
Geländer steht ein Bild des heiligen Johannes von Nepomuk, aus
Blech geschnitten und mit Oelfarbe angemalt. Es ist ganz dem
berühmten ehernen Heiligenbilde auf der Prager Brücke nachgeahmt,
das selbst im deutschen Volksliede bekannt ist: „O du heiliger Ne-
pomuk, der du stehst auf der Prager Bruck." Um das Haupt des
Schutzpatrons der Brücken schwebt ein Sternenkranz, in der Rechten
hält er einen Palmeuzweig, in der Linken das Kruzifix. Das Volk
schlägt ein Kreuz und geht beim heiligen Johannes vorüber, denn
„heiliger Nepomuk", nach seinem Geburtsorte, wird er in Böhmen
nie genannt. Trotzdem der Heilige schon beinahe fünfhundert Jahre
todt, ist doch heute noch im Prager Veitödom seine unverwes'te
Zunge zu sehen!
Die Kirche ist gedrängt voll; sie ist ja auf dem Lande der
einzige Ort, wo man sich allwöchentlich in hübschen Kleidern ver-
sammeln und gegenseitig betrachten kann. Wie ist die Kleidung
beschaffen? Von einer Volkstracht zwischen Prag und
Pilsen keine Spur. Der Bauer oder Arbeiter schreitet in einem
schlecht gemachten städtischen Rocke einher, der ihm wie ein über-
geworsener Sack sitzt. Die Frauenzimmer tragen leichte Kattun-
röcke in grellen Farben — mit Reifen darunter: „Ona ma ras",
sie trägt einen Reif, heißt es. Ueber den Kopf ist kleidsam ein
buntseidenes Tuch gebunden, dessen Zipfel in den Nacken hängen.
In anderen Gegenden Böhmens, in den deutschen Bezirken bei
Pilsen, im deutschen Egerlande, an der mährischen Grenze und
besonders in den slawischen Theilen Mährens selbst, gestaltet sich
die Tracht reicher, eigenartiger und farbiger. Betrachten wir die
Gesichtszüge und Gestalten der Kirchgänger. Die Männer sind
meist hoch und schlank gewachsen, wenige tragen Bärte, meist ist
das Gesicht räsirt. Die Haare finden wir vom hellsten Flachsblond
bis zum Rabenschwarz in allen Abstufungen. Hier und da stärker
hervortretende Backenknochen, tiefer liegende Augen als man int
Allgemeinen bei den Deutschen findet — doch im Ganzen keine
wesentliche Abweichung. Daß bereits auch bei dem tschechischen
Landvolk eine starke Beimischung von deutschem Blute sich
findet, ist unleugbar; noch mehr ist dies jedoch bei den Städtern
der Fall, während das Umgekehrte ganz in demselben Maße bei
Globus iv. Nr. 3.
der deutschen Bevölkerung Böhmens auftritt. Eins unterscheidet
den Tschechen aber doch physisch vom Deutschen: ein ungemein
lebhaftes Geberdenspiel beim Sprechen. Die geringste Kleinigkeit
weiß er oft so lebhaft vorzutragen und seinen Worten im Tonfall
solche Abstufungen zu geben, daß man einen Schauspieler vor sich
zu sehen wähnt. Wie hölzern erscheinen dem gegenüber oft unsere
Bauern!
Die Messe ist gelesen und Alles strömt ans der Kirche; aber
so wie drinnen die letzten Töne der Orgel verrauscht sind, erschallt
draußen auf der Gasse der dumpfe Klang einer „Komödiauten-
trommel". Das Wort Komödiant hat in Böhmen einen weiten
Begriff: Equilibristen, Seiltänzer, Bärenführer, Marionetten-
spieler und die Söhne Thaliens, die mit dem Thespiskarren umher-
ziehen — Alle sind Komödianten. Und für sie Alle ist hier noch
ein wahres Paradies.
Der Mann mit der Trommel steht mitten im Dorfe still; die
Kirchgänger umgeben ihn und horchen eifrig auf seine Ankündigung,
welche in wohlgesetzter tschechischer Sprache etwa so lautet: „Heute
Abend um sieben Uhr wird im hiesigen Gasthause der ausgezeichnete
Marionettenspieler Herr Joseph Winitzky die Ehre haben anfzu-
führen: Doktor Faust, Lustspiel in fünf Akten, wozu die ge-
ziemende Einladung geschieht."
Wir beschließen iu's Wirthshaus zu gehen. Es ist noch zu früh,
um dem Puppeuspiele, das oben im Saal aufgeführt wird, bei-
zuwohnen; wir treten deshalb unten in die Gaststube ein. Mit einem
„Schön willkommen, küß die Hand" empfängt uns höflich derWirth.
Er bringt eine Halbe (holba) leidlich guten Bieres herein, setzt einen
Teller mit Salz und einen Laib Brod vor uns hin, zu dem er das
nationale Schnappmesser, die Kndla, legt. Letztere hat eine fast
dreieckige Klinge, die in einem kurzem, rund gedrechselten Stückchen
Holz von gelber Farbe sitzt. Weiter ist in dem gerade nicht säubern
Wirthshause nichts zu haben und man verlangt dort auch nichts
weiter. Die Kost der Leute ist sehr einfach. Während der Woche
kommen verschiedene nationale Mehlspeisen: Dalken, Lima uzen
und Buchteln, auf den Tisch und nur Sonntags wird mit Knödeln
und Fleisch (Knedliki a Maso) eine Ausnahme gemacht.
DerWirth, der sich zu uns setzt, erkennt sogleich an unserer
Aussprache den Deutschen und fühlt sich nun sogleich verpflichtet,
sein uatiuoales Glaubensbekeuntniß abzulegen, daß er nämlich ein
guter Tscheche sei. Er ist freilich nur ein kleiner Bauer, der einige
Strich Feld bewirthschaftet, aber er ist Gemeiudevorstaud und somit
eine wichtige Person. An der Wand hängt das Zeichen seinerWürde,
die Palitschka, ein etwa anderthalb Schuh langes gedrechseltes
Holz, an dem sich oben eine zusammengeballte eiserne Hand befindet.
An diese bindet der Gemeindevorsteher (prednosta) seine Rund-
schreiben an, und so wird die Palitschka, auch kurzweg Prawo,
das Recht, genannt, von Haus zu Haus geschickt. Außer der Pa-
litschka zeigen die Wände noch einigen andern Schmuck: zunächst
das Bild des Landespatrons, des heiligen Wenzel. Er sitzt auf
einem Schimmel in voller Rüstung, den Wimpelspeer in der Hand,
mit derHerzogskrone auf dem Haupte. Neben ihm hängen die Bilder
einiger nationalen Großen von heute, wiePalacky, Rieger, Brauner.
Und wie es au den Wänden dieses Wirthshauses aussicht, so an
denen der meisten übrigen Bauernhäuser: überall manifestirt sich
das Tschechenthum. In der That, ein nicht zu unterschätzendes leben-
diges Nationalgefühl steckt in diesem Volke, das darin den Deutsch-
böhmen bei weitem voraus ist, obgleich auch bei diesen ein bedeuten-
der Fortschritt zum Bessern sich nicht verkennen läßt. Fast jeder
Bauer kennt einige Thatsachen aus der reichen Geschichte seines
Landes, er weiß, daß Böhmen einst mächtiger und größer war und
daß die Schlacht am Weißen Berge all' die Herrlichkeit vernichtete.
Heißt es doch im Volksliede:
Nach der Schlacht am Weißen Berge
Kam über uns ein tiefer Schlaf,,
Und in Böhmen eingenistet
Hat sich das deutsche Lumpenpack!
1l
82
Briefe über Böhmen.
Die tschechischen Bauern lesen jetzt ziemlich viel Zeitungen,
und diese dienen gerade nicht dazu, die nationalen Leidenschaften zu
dämpfen. Aber häufig versteht der Bauer dieselben ans zweierlei
Gründen nicht; einmal sind sie mit lateinischen Lettern gedruckt, die
ihm nicht geläufig sind, und dann ist ihm die tschechische Sprache
in ihrer gereinigten Gestalt, wie sie die Zeitungen bringen, oft ganz
unverständlich; er liebt es, seine Rede mit verdorbenen deutschen
Wörtern zu spicken. Neben den Zeitungen nimmt er noch Gebet-
bücher, Kalender und einige Volksbücher in die Hand; diese sind
durchgehends noch nach der alten Rechtschreibung und mit deutschen
Lettern gedruckt. Die Volksbücher sind oft nach bekannten Deutschen
bearbeitet, und unter ihnen erfreut sich zumal der Enlenspiegel
einer großen Verbreitung. Das hat sich gewiß der launige Schalks-
narr von Kneitlingen am Elme, der alte plattdeutsche Ulenspeigel,
nicht träumen lassen, daß er bei den Franzosen in dem Worte
Espiegle und bei den Tschechen als „Enschpigl" fortleben sollte!
Je näher die Stunde zur Aufführung des Puppenspiels rückt,
desto lebhafter wird es in der Schenke. Plötzlich erschallen vor der
Thür die wohlgesetzten Töne eines Männerviergesanges. „Draht-
binder!" (Dratenici) sagt der Wirth, und kommt der durch den
Gesang knndgegebenen Bitte um ein Almosen nach. Es sind die
den Tschechen stammverwandten Slowaken, die ehrlichen Söhne
des Trentschiner Komitats, welche in großer Anzahl Böhmen
durchziehen, und wenn sie bei ihrer genügsamen Lebensweise eine
kleine Summe Geldes erübrigt haben, wieder in ihr armes Kar-
pathenland zurückkehren. Ihre alte praktische Tracht bewahren sie
ungemein treu. Ans dem Kopfe sitzt der breitkrämpige Hut; die in
der Mitte gescheitelten, meist schwarzen Haare fallen bis ans die
Schultern herab; nur der Schnurrbart bleibt stehen, der übrige
Bartwuchs wird abgeschoren. Das eine Hemd ans grober Lein-
wand, welches die ganze weite Reise anshalten muß, ist mit Fett
getränkt; die eng anliegende, einst weiße Hose wird unten von
Bundschuhen zusammengehalten. Als Mantel, als Decke, als ein-
ziges Kleidungsstück, das den Oberkörper schützt, dient ihm im
Winter wie im Sommer die grobe, wollene Bnnda, die über die
Schultern geworfen wird und deren einer Aermel unten zugenäht
ist und so einen Sack bildet, in dem allerlei Kleinigkeiten anfbewahrt
werden. Das wenige Handwerkszeug, die Drahtzange rc., befindet
sich einer in ledernen, umgehängten Tasche, die mit einem Christus-
bildchen (P a nb i t s ch ek) aus Messing geziert ist. Diese Slowaken sind
in Böhmen überall beliebte und gern gesehene Leute; ihre kleinen
Drahtarbeiten, ihre Topfflickereien lassen sie sich billig bezahlen und
für die oft hübschen, von ihnen gesungenen geistlichen Quartette,
zumal in der Weihnachtszeit (Koledagesänge) giebt man stets
ein kleines Almosen. Ihre Sprache ist mit der tschechischen so nahe
verwandt, daß eine Verständigung zwischen beiden Völkern durchaus
keine Schwierigkeit bietet.
Auch der christliche Konkurrent des Dorfjuden, der „Kastel-
mann" (Kastlitschkarsch), eine Art Tabuletkrämer, läßt sich
in der Schenke sehen. Er beginnt seine Waaren anzupreisen, die ans
allerlei kleinen Kultnrbedürfnissen bestehen; er redet tschechisch, und
doch wird jeder Deutsche verstehen, was er uns bietet. Mit ein-
förmigem Leierton, wie Autolycns in Shakespeares „Winter-
märchen", empfiehlt er uns: Federmessle, Pomadi, Pleiweisi (Blei-
stifte), Schnupftüchle, Kravatle, Zahnbürschtle, Bortwichs rc.
Es mag dies als Beispiel dienen, wie die Sprache hier oft ver-
derbt ist.
Doch die Zeit rückt heran, daß wir dem „Pimperltheater"
beiwohnen müssen. Pimperl oder Kasperl ist die kleine lustige
Figur im Stücke, und Pimperlati im Allgemeinen sind die Ma-
rionetten.
Es ist in der That Schade, daß die Puppenspiele bei uns in
Deutschland so in Abnahme gekommen sind. Wir erblicken in ihnen,
vernünftig angewandt, ein Bildnngsmittel für das Volk. Wenn
auch die Marionettentheater in Böhmen häufig grausige Ritterstücke
oder dumme Lustspiele bringen, so ist doch die Zahl der historischen
Stücke, die belebend ans das Nationalgefühl der niederen Schichten
wirken, keine kleine, und alle die verschiedenen Puppenspieler, die
wir hörten, befleißigten sich einer sehr reinen tschechischen Sprache
und wirkten auch hierdurch bildend auf das Volk. Winitzky, von
dessen Faustaufführung wir hier sprechen wollen, ist jedenfalls der
Beste unter ihnen.
Die Bühne, welche recht hübsch eingerichtet war, nahm die
Hälfte des überfüllten Saales ein. Eine Drehorgel, in der Volks-
sprache „Flaschinettl" genannt, versah das Orchester— nnd
nur nationale tschechische Weisen, wie Hej Slowane, Kide domow
muj nnd Slowan jsem ja! ertönten ans ihr. lieber dem Vorhänge
thront ein großer böhmischer Wappenlöwe, zweischwänzig, mit der
Wenzelskrone auf dem Haupt nnd der Umschrift: „Für König nnd
Vaterland." Wir sind gespannt nnd voller Erwartung den tschechi-
schen Faust zu sehen. Die Polen haben ihren Twardowsky und
so glaubten wir auch bei dem ihnen stammverwandten Volke eine
originelle Fausterscheinung zu finden. Die Handlung entwickelt sich
und je mehr sie mehr fortschreitet, desto mehr erkennen wir den
deutschen Bauernsohn aus Rhoda, den berühmten Dr. Johann Faust.
Wagner, der trockene Schleicher, ist in einen Lakai (lo kaj) umgewan-
delt: „Mesistafel" schließt mit Faust den bekannten Kontrakt;
Kasperl citirt die Teufel mit „Berücke, Barlucke" und Faust ver-
richtet vor dem König in der „Hauptstadt Portugals" seine Wunder-
dinge (Kunsti). Alexander der Große, in der alten Tracht eines
böhmischen Herzogs, die krasna Helenoria (schöne Helena), Goliath
nnd David werden aus ihren Gräbern gerufen nnd erscheinen vor
dem Könige. Faust schiebt mit Mesistafel auf der Donau
Kegel nnd wirft stets „olle nein", verfällt dann in Reue,
wird aber durch ein schönes Weib wieder in das alte Lasterleben
zurückberufen, um von Mesistafel geholt zu werden, nachdem ihn
dieser um die Hälfte der ansbedungenen Kontraktzeit betrogen hat.
Mit einem Worte, wir sehen ganz das alte deutsche Puppenspiel
vom Doktor Faust vor uns, wie es Simrock herausgab, dem
Göthe die Anregung zu seinem Drama verdankt und das auch schon
dem englischen Stücke Marlvwe's zu Grunde lag. Aecht tschechisch
ist in dem ganzen Stücke nur eine ergötzliche Rüpelkomödie im
fünften Akte.
Faust und Enlenspiegel, diese zwei ächt deutschen Gestalten,
sind hier so wohl bekannt wie in einem Dorfe Schwabens oder
Niedersachsens. Man sieht daran, wie sich auch ans dem Gebiete
der-Volkssage nnd Erzählung Deutsches bei den Tschechen ein-
gebürgert hat.
Wenn wir uns in den Bauernhäusern näher umsehen, so fällt
es ans, in den meisten derselben ein Musikinstrument zn finden;
bald hängt eine Geige, eine Klarinette oder ein Flügelhorn an der
Wand und ein oder mehrere Mitglieder der Familie haben es zn
einer gewissen Fertigkeit ans den verschiedenen Instrumenten gebracht.
Fast jedes Dorf hat seine eigene, ans Einwohnern bestehende Musik-
bande, die bei Tanz oder Hochzeiten anfspielt. Und nennt der Land-
bewohner weiter nichts mehr sein eigen als die Geige, so nimmt
er sie nnd zieht begleitet, von einigen Kameraden, hinaus in's Land
oder weit in die Ferne, um mit dem geliebten Instrumente sich
seinen Unterhalt zn gewinnen. Diese Mnsikliebhaberei ist beiden,
den Böhmen deutschen und slawischen Stammes, eigen. Es ist
auffallend, mit welcher Leichtigkeit sie oft mehrere Instrumente
handhaben, wie dies ihnen gleichsam von Jugend auf angeboren
ist, und doch finden wir unter den Tschechen, wie überhaupt unter
den Slaven, keinen großen Tonsetzer, der sich auch nur den deutschen
Meistern zweiten Ranges an die Seite stellen könnte.
Trotzdem aber liegt ein tiefer Quell von herrlichen Weisen in
der Brust des tschechischen Volkes; die meist schwermüthigen Me-
lodien der wirklich schönen Volkslieder können sich denen aller
anderen Völker dreist an die Seite stellen. Ein Blick in Erben's
Sammlung genügt, um diese Behauptung zu bekräftigen, nnd die
allgemeine Beliebtheit, welche die tschechischen Lieder selbst in künst-
Eine Lobrede auf Australien.
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lerisch gebildeten Kreisen genießen, die Bearbeitungen, die sie oft
von tüchtigen Musikern erfuhren, bewahrheiten unfern Ausspruch.
Trinklieder und heitere Lieder haben die Tschechen weit weniger als
wir Deutschen.
Hand in Hand mit der Musikliebe des Tschechen geht seine
Liebe zum Tanze. Es ist dies auch ein Merkmal, das er mit den
meisten anderen slavischen Völkern gemein hat. Die Redowa und
vor allem die Polka (Pnlka, Halbschritt) sind acht nationale Tänze,
die aber heute sowohl in den Tuilerien, wie in einer tschechischen
Dorfschenke getanzt werden. Die Polka ist noch vor gar nicht langer
Zeit von einem tschechischen Dienstmädchen erfunden worden. Eine
mehr lokale Verbreitung hat der Straschak, ein eigenthümlicher
Tanz, bei dem die tanzenden Paare sich gegenseitig in die Hände
klatschen.
Eine Lobrede auf Australien.
Wir finden es sehr erklärlich, daß die Ansiedler mit Stolz
und Genugthuung ans ihre neue Heimat blicken. Etwa um die
Zeit, da in Europa die große französische Staatsmnwälznng ans-
brach, ein paar Jahre nach dem Tode Friedrich's des Großen,
landete in der nachher so verrufenen Botauy-Bay ein Schiss, mit
dem „Auswnrf der Menschheit" befrachtet, und warf diese Leute an
die Gestade Australiens. Fernab von aller Welt, bei den Gegen-
füßlern, gründete man Verbrecherkolonien.
Die schweren Zeiten hat man überstanden. Heute zählt Austra-
lien im Weltverkehr als ein Faktor ersten Ranges. Welch ein
Gegensatz zwischen 1788 und 1863! Heute ist der große Jnsel-
kontineut in seiner ganzen Breite von Süden nach Norden durch-
wandert: neue Kolonien sind erstanden, selbst am Busen von
Carpentaria wird gegenwärtig ein eigenes Gebiet organisirt. Am
Ostrande liegen Queensland und Neusüdwales; am Südrande
Victoria und Südaustralien, am Westrande Westaustralien; die
verrufene Insel Vaudiemensland ist in die Kolonie Tasmanien
umgewandelt worden. Die Erfolge Australiens sind ohne Bei-
spiel in der Weltgeschichte, selbst im Vergleich zu jenen Nord-
amerikas. Die ganze Entwickelung hat in der That einen groß-
artigen Strich, und die Kraft, der Unternehmungsgeist und die
Ausdauer der Ansiedler sind geradezu bewundernswürdig.
Wir begreifen, daß die Australier stolz auf sich sind und auf
Das, was sie geschaffen haben. Sie befinden sich in den Jugend-
jahren und sind begreiflicherweise zu einigen Uebertreibungen ge-
neigt. Aber wenn wir auch ein gutes Theil abziehen, so bleibt
doch immer noch genug des Ruhmes für sie. In Bezug auf die
Beschaffenheit ihres großen Kontinents sind ihre Hoffnungen allzu
sanguinisch. Wir haben im Globus oft darauf hingewiesen, daß
höhere Kulturverhältnisse und eine allseitige Entwicklung nur an
den Gestaderändern und, je nach Beschaffenheit des Geländes,
mehr oder weniger landein, möglich seien. Das Innere ist ein-
seitig, die Gliederung dürftig, und große, das ganze Jahr hindurch
schiffbare Ströme, dergleicheu wir in den übrigen Erdtheilen
finden, mangeln in Australien. Dort liegen viele Extreme nahe
bei einander, und wie die ganze Beschaffenheit jenes Kontinents
eine ganz eigenartige ist, auch in Bezug auf das Pflanzenreich und
die Thierwelt, so werden auch die Civilisationsverhältnisse in diesem
halb unfertig gebliebenen Erdtheile einen ganz eigenthümlichen
Verlauf nehmen.
Die Australier aber sind mit ihrem Lande zufrieden, auch die
deutschen Ansiedler. Diese machen dem alten Vaterland alle
Ehre, weit mehr als ein nicht unbeträchtlicher Theil der Auswan-
derer, welche sich Nordamerika zur neuen Heimat erkoren haben. In
Australien ist kein faules und verrottetes Uankeethum, von welchem
in Amerika so manche unserer Landsleute in verderblicher Weise
angestreift werden; die Verhältnisse sind gesunder, die Ziele, welche
man ins Auge faßt, praktischer.
Mit großer Freude lasen wir ein Heft der Australischen
Vierteljahrsschrist, welche zu Melbourne in Victoria er-
scheint. Herausgeber ist Heinri ch Püttm ann vom Niederrhein,
früher Mitredakteur der Kölnischen Zeitung und als Dichter der
„Tscherkessenlieder" vortheilhaft bekannt. Er ist nun wohl an die
sechszehn Jahre in Australien, wanderte vor 1848 dorthin aus und
bat sich die Liebe zum alten Baterlande ungeschwächt bewahrt. Es
klingt rührend, wenn wir in seinen Gedichten, die er den „deutschen
Sängern in Australien" widmet; folgende Verse lesen:
Schall' es aus jedwedem Mund:
Heil den fernen deutschen Brüdern!
Und in Jedes Herzens Grund
Flamme, was erklingt in Liedern.
Denn, ob auch das weite Meer
Uns getrennt vom Baterlande:
Deutsches Herz laßt nimmermehr
Von dem alten Liebesbande.
Dein, o Vaterland, fürwahr!
— Sei es hüben, sei es drüben, —
Dein gedenken immerdar
Muß es, und dich innig lieben!!
Und so laßt der Heimat Lied
Ihr zur Ehre frei erklingen.
Daß in Lust und Stolz erglüht
Jedes Herz — ob deutschem Singen!
In einem Aufsatze, der überschrieben ist: „Vorwärts,
Australien!" steigert H. Püttmann seine Schilderung bis zum
Dithyrambus. Wir wollen sie mittheilen, weil sie charakteristisch
ist und sehr gut zeigen kann, wie unsere Landsleute ihre neue Hei-
mat ansehen. Er sagt:
Hier in Australien ist Raum für Millionen Menschen, hier
ist Land vollauf, um die Phantasie des gierigsten Landbebauers
zu sättigen, und Weide so unermeßlich, um viele Millionen Heerden
zu nähren.
Und welches Land, und welche Triften!
In diesem Klima scheint die Natur dem Menschen zeigen zu
wollen, daß sie gleich der ephesischen Göttin tausend Brüste besitzt,
und Alles, auch das Fremdartigste, liebevoll ernährt, was ihrer
mütterlichen Sorge anvertrant wird. —-
Wir haben Korn, wir haben Früchte, wir haben
Wein!
Mehl weiß wie Schnee, das beste der ganzen Welt, wie die
Kornhändler in London, die es wissen müssen, behaupten.
Obst saftig und fein, labend für den Gaumen, entzückend für
das Auge: gigantische Aepfel und Birnen, Pfirsiche mit dusligen
Rosenwangen, und süße Mandeln in Hülle und Fülle, dann Loqnat,
Orangen, Citronen, Bananen rc., kurz Alles, wodurch kalte und
heiße Zonen sich auszeichnen, und Alles in bester Sorte!
Auch in nicht geringerer Fülle und Vortrefflichkeit begegnen
wir Erzeugnissen von Garten, Feld und Wald, wie Melonen,
Spargel, Liebesäpfel, Ingwer. Melakengebüsche und Akazien-
wälder füllen die Luft mit Strömen von Wohlgeruch, die Euca-
lypten guillen von Harz; Bluegum (Eue. globosus) liefert riesige
Stämme zu Hafenbauten, Ceder und Schwarzholz (Acucia mela-
noxylon) sind für feinere Möbelarbeiten, und das Myallholz ver-
sorgt den Rancher mit wohlriechenden — Tabakspfeifen.
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84
Eine Lobrede auf Australien.
Daß die Blumen hier geruchlos seien, ist nicht wahr. Hoch !
über den Giebeln der „Cottage" nickt" und duftet die Königin der
Blumen, Veilchen und Nelken hüllen sich in ihre Düfte wie in un-
sichtbare Schleier, das Geranium, eine kleine Pflanze in Europa,
wächst hier zu Mannshöhe, blühende Aloen erheben sich dreißig
Fuß hoch in Gärten vor oft nur zehn Fuß hohen Häusern, und wer
die allerprachtvollsten Exemplare der Fuchsien, Rhododendron re.
sehen will, der muß hierher kommen.
Was aber den Wein betrifft, so zweifelt Niemand, daß
Australien sich dereinst durch ihn zu hohem Ruhm emporschwingen
und manches traurige Herz der Zukunft erheitern wird. Noch ist
er jung, aber ein Riese in Windeln; ein Kosmopolit dazu: glühend
wie der Spanier von Xeres, brausend wie der Champagner, oder
stark und innig wie der Gott vom Rhein. —
Wir haben Gold und Edelsteine!
Denn nicht zufrieden mit dem Schmuck und Reichthum, den
die Oberfläche der anstraulischen Erde bietet, hat die Natur auch
das Innere mit Schätzen durchwoben.
Gold — zum Wohl oder Wehe des Menschen — ist in solcher
Menge vorhanden, daß seine Produktion wohl nicht mit den
nächsten Menschenaltern schließen wird. Noch sind die Zeiten
nicht ganz vorüber, wo eine Hand voll Sand, vom Boden des
Flusses aufgehoben, eine Börse mit Gold füllte. Sollte dies aber
auch nur Tradition werden, so bleiben dem golddnrstigen Geschlecht
noch Jahrhunderte, um dem Funken den Stein, dem Quarz das
Gold zu entlocken.
So im Besitze des edelsten Metalls, hat der Australier es bis-
her kaum der Mühe werth gefunden, nach edlem Silber sich um-
zusehen. Doch ist es in Massen vorhanden, und mit ihm die
meisten anderen mehr oder minder edlen Metalle: Kupfer, Zinn,
Antimon re. Znm Ersatz für das fehlende Gold ist Südanstralien
Kupfer in so reichem Maße verliehen, daß der Gewinn seiner
Ausbeutung dem des Goldes gleichkommt, und Neusüdwales hat,
aujzer allen übrigen Mineralschätzen, sehr reiche Kohlenlager.
Daß der Demant, der krystallisirte Kohlenstoff, auch in Australien
gefunden wird, und außer ihm eine Menge anderer Edelsteine und
kostbarer Gesteinsarten, wie Topase, Malachit, Turmalin re. ist
am Ende viel weniger wichtig, als daß sich hier unerschöpfliche
Lager von Thon und Porzellan-Erde (Kaolin) und Eisen vor-
finden. Hat man doch leider letzteres bisher, aus Mangel an ge-
eigneter Arbeitskraft, noch gar nicht ausbeuten können!
Noch wäre es leicht, auf viele andere schätzbare Eigenthüm-
lichkeiten und Vorzüge der australischen Natur aufmerksam zu
machen; es genüge aber die Andeutung, daß, wie im Pflanzen-,
so auch im Thierleben die wundersamste Mannichfaltigkeit und ein
fast unbegreifliches Gedeihen aller Geschlechter der Erde herrscht.
Neben dem schläfrigen eingebornen Faulthiere zeigt das naturali-
sirte australische Roß ungemeines Feuer und große Kraft der
Ausdauer. Der Rindviehzucht ist ein weites Terrain geboten;
und die Vermehrung der Schafe (deren es jetzt über 25 Millionen
in Australien giebt) ist so fabelhaft, daß viele Heerdenbesitzer
(Squatter) zu königlichen Reichthümeru gelangt sind, und ans
diesem Grunde Plutokratie in Australien Squattokratie heißt.
Als einen Rivalen des Schafes sucht man in neuerer Zeit das süd-
amerikanische Llama zu akklimatisiren, was mit gleich gutem Er-
folge geschieht, wie die Naturalisirung fast jedes andern Geschöpfs
der Thierwelt, von denen wir u. A. Angora-Ziegen, Ceylon-Rehe,
Fasanen, Nepphühner, alle Sorten Federvieh und nebenbei auch
unsere heimischen Drosseln und Lerchen nennen.
So hat denn in jeder Beziehung die Natur ihr reichstes Füll-
horn über diesen Welttheil ausgeschüttet; und es bleibt nur zu
sehen, wie der Mensch die Gaben zu benutzen verstanden. Wenn
Zahlen beweisen, so können wir prunkend auftreten und z. B. her-
vorheben, daß die weiße Bevölkerung des Landes, die vor wenig
Jahrzehnten einen so winzigen und unwürdigen Ursprung hatte,
nun aus etwa anderthalb Millionen angewachsen ist; daß die Gold-
felder in zehn Jahren weit über hundert Millionen Pfund
Sterling an Werth prodncirten; daß die Wollenausfnhr gleich-
falls wohl die Hälfte dieser Summe betrug re.; aber wir bemerken
hier nur im Allgemeinen, daß die australischen Kolonisten unleug-
bar eine entschiedene Energie zeigten, und mit Hülfe der uner-
meßlichen Naturgaben Großes vollendeten und noch Größeres voll-
enden können und werden.
Gegenwärtig sind am östlichen und südlichen Küstensanme des
Landes im wirklichen Sinne des Wortes blühende Kolonien ge-
schaffen, die in Bezug auf materielle und geistige Kultur keines-
wegs den europäischen Staaten nachstehen, und manche derselben
durch Wohlstand und leider auch durch Luxus weit übertreffen.
Das eiserne Dampfroß macht von den Metropolen Sydney, Ade-
laide und Melbourne nach allen Richtungen Ausflüge, der Licht-
bote Telegraph vermittelt den Verkehr zwischen den Kolonien und
der mächtige Geist der Industrie überhaupt rastet nimmer, um die
Bevölkerung von den Fesseln, die sie noch theilweise, mancher Er-
zeugnisse des Knnstfleißes wegen an ältere Länder knüpfen, stets
mehr zu befreien.
Aber das vor uns liegende Feld der Entwickelung ist trotz
Allem groß und unendlich. Wenn wir gestern die Eisenbahn
bis tief in's Innere von Victoria bis Sand hurst eröfsneten und
morgen weiter schreiten bis zu den Ufern des Murray, so müssen
und werden wir später einen Eisenweg durch die verrufene Stein-
wüste bis nach dem Golf von Carpentaria hin bauen, und ver-
binden so Baß's Straits im Süden mit Torres Straits im Norden.
Dadurch wird die Verbindung mit dem indischen Archipelagns eine
unmittelbare und der Telegraph von Europa fliegt leicht zu uns
herüber, wenn dies nicht früher von anderer Richtung her geschieht.
Und in Beziehung auf beschleunigte Beförderung von Menschen
und Maaren aus und nach der alten Welt haben wir unsere eigene
Flotte zu bauen, um uns unabhängig zu machen in geschäftlicher
und mancher andern Rücksicht; und wir werden die Flotte
bauen, und dann vermöge unserer vortheilhafteu geo-
graphischen Lage den ganzen Weltverkehr der südlichen
Halbkugel uns aneignen.
Und inzwischen werden auch, nachdem uns nunmehr durch
Burke, Landöborough und M'Kinlay das Innere Neuhollands er-
schlossen ist, die Squatter ihr Reich ungemein erweitert haben. Das
Schaf wird in den bewohnteren Distrikten allmälig dem Pfluge
gewichen, neue Kolonieen werden gegründet werden und der Ein-
wanderung im größten Maßstabe das weiteste Feld geboten sein.
Auf solche Weise mag im Laufe nicht zu vieler Jahre die Be-
völkerung Australiens sich verzehnfacht haben, und das Produkt
des Bodens nicht allein ausreichen für den heimischen Bedarf,
sondern außer Gold und Wolle auch australischer Weizen und
Wein, nebst Baumwolle, Tabak, Seide) Oel re. auf den
Märkten der Welt prangen.
Dann möchte auch der Zeitpunkt gekommen sein, daß die
Kolonien Australiens in einen Gesammtverband treten, und
ein „Vereinigtes freies und selbständiges Australien"
bilden. Wie nahe oder fern dieser Zeitpunkt ist, wird von der
schnelleren oder langsameren Entwickelung und Kräftigung der
Kolonien abhängen. Der Natur der Sache nach muß einstweilen
das Separirnngsgelüst sein Recht behalten, um durch Konkurrenz
der einzelnen Kräfte den Fortschritt des Ganzen mehr zu beschleuni-
gen; dabei tritt die Oberhoheit Englands der innern Entwicklung
keineswegs hemmend entgegen, während im Gegentheil der Schutz
des noch mächtigen Staates den Kolonien nothwendig ist. Wenn
dagegen die Entwickelung eine gewisse Höhe erreicht hat, wenn das
Volk an Zahl und selbständigem Bewußtsein erstarkt ist, so wird es
naturgemäß der Concentration zustreben, und der Bevormundung
entsagen.
Vorwärts, Australien!
Ein Abenteuer in Texas.
85
Ein Fbeuteuer in Texas.
In den weiten Steppen und in den Wäldern von Texas
schwärmt in großer Menge verwildertes Rindvieh umher. Die
Ansiedler bekümmern sich nur wenig um dasselbe, weil sie ohnehin
reichlichen Vorrath haben. Alljährlich machen sie Streifzüge, um
so viele Häupter als möglich einzufangen, die Kälber mit einem
Brandmärk zu zeichnen, den Zuwachs zu zählen und zu schlachten,
so viel ihnen gerade beliebt.
Aber nicht alles halbverwilderte Vieh läßt sich einsangen,
unzählige Stiere und Kühe entziehen sich jeder Aufsicht und leben
in wilden Heerden beisammen. Diese unterscheiden sich wesentlich
von den halbverwilderten, welche doch dann und wann mit dem
Menschen in Berühung kommen und dessen Obergewalt kennen
lernen. Sie sind außerordentlich scheu und vorsichtig, wagen sich
nur bei Nacht ans die offene Prairie hinaus, entfernen sich auch
dann nicht weit von den Wäldern, welche ihnen Schutz gewähren,
und ziehen gleich beim ersten Granen der Morgendämmerung in
dieselben zurück. Den Tag über liegen sie in den unzugängigen
Theilen, wo das Holz am dichtesten steht, und in ausgedehnten,
feuchten Niederungen, die mit hohem Röhricht bestanden sind, also
in den sogenannten Cane-brakes, Rohrbrüchen. Sie sind scheuer
als die Hirsche.
Alles Rindvieh, das über ein Jahr alt und nicht mit einem
Brandmale gezeichnet worden ist, gilt für vogelfrei; Jeder kann es
einfangen oder schießen. Die Besitzer der Viehgehöfte, die Ran-
ch ero s (diese spanische Benennung ist in Texas auch auf die ameri-
kanischen Viehzüchter übergegangen), glauben mit Recht, daß es
gut sei, die wilden Thiere auszurotten, weil sie den halbverwil-
derten ein schlechtes Beispiel geben.
Die Jagdliebhaber finden an der Jagd auf einen ganz ver-
wilderten Ochsen mehr Vergnügen, als an jener ans den Büffel,
der viel leichter zu erlegen ist. Sie gewährt auch mehr Aufregung.
Dqfür zeugt die nachfolgende Schilderung eines texanischen Waid-
mannes.
Ich war, so erzählt er, auf einer Pflanzung als Jäger in
Dienst getreten und hatte die Verpflichtung übernommen, alle An-
gehörige derselben, Weiße wie Neger, mit Wildpret, Ochsen- und
Schweinefleisch zu versorgen. Unsere „Lichtung" (urbar gemachtes
Stück Land, Clearing) liegt am Rio Brazos de Dios, welcher
uns dem westlichen Tafellande herabströmt. Die Wälder der Um-
gegend sind dichter und haben weit mehr Unterholz als in den meisten
anderen Theilen von Texas. Hin und wieder werden sie von hohen,
trockenen Sandhügelketten durchzogen; ans diesen wächst der immer-
grüne wilde Pfirsichbaum und die Lebenseiche. Diese Höhen sind
also weniger dick bestanden; aber ganz anders verhält es sich mit
den sumpfigen Niederungen. In diesen wächst der zwergartige Pal-
metto, ans dessen breiten fächerförmigen Blättern der Jäger sich
in ein paar Minuten ein für den Regen undurchdringliches Schutz-
dach bereiten kann. Aber im Allgemeinen besteht diese.Wildniß
aus einer dichten Masse Dickichten, zumeist aus Hartriegel, allerlei
Rohr und wilden Reben, welche sich um die, je nach der Oertlichkeit,
in größerer oder geringerer Menge, einzeln oder in Gruppen auf-
tretenden stärkeren Bäume geschlungen haben. Hin und wieder ge-
langt man an einen See, an dessen Ufern Alligatoren sich sonnen.
Jeder Waidmann wird begreifen, daß Jagen in einem solchen
Gelände keine leichte Arbeit ist, weder zu Fuß noch zu Pferde. Aber
gerade diese Rohrbrüche und Waldgestrüppe sind für unsereinen
geradezu klassischer Boden, denn wir finden dort wildes Hornvieh,
den Kuguar, Leoparden und Luchs, den schwarzen Bär, das Wild-
schwein, das mexikanische Schwein und den Wolf. Aber um den
letztern bekümmern wir uns nicht, denn er ist werthlos.
Die Sommermorgen sind in Texas beinahe durchgängig höchst
angenehm. Die Sonne scheint hell, vom mexikanischen Golf weht
ein frischer, kühlender Südost herauf, und man fühlt Leib und Seele
erquickt. Dem Jäger vor Allen gewährt cs ein unaussprechliches
Entzücken, durch diese alten Wälder zu reiten. Es herrscht in ihnen
bei Tage ein, ich möchte sagen erhabenes, bewältigendes Schweigen ;
oft ist die Stille geradezu lautlos. Bald aber vernimmt man das
Summen einer Biene, oder das Picken und Hämmern eines
Spechtes, der an halbabgestorbenen Bäumen seine Jnsekten-
nahrung sucht. Dazu kommt ein angenehmes Gefühl, weil man
weiß, daß der Ritt nicht ohne Gefahren ist. Dergleichen kennt freilich
ein europäischer Jäger nicht, der auf Stoppelfeldern nach Hühnern
und Hasen schießt. Was weiß ein solcher von unseren Zweikämpfen,
die wir ohne Sekundanten in der Waldeinöde oder in der Steppe
auskämpfen, und wo wir wahrhaftig einen sichern Tritt, ein scharfes
Auge und eine kräftige Faust nöthig haben! Wenn ihr da drüben
in Europa ein Stück Wild nicht trefft, dann macht das weiter nichts
ans. Ihr habt den Schuß vergeblich gethan und das Wild läuft
weg. Das ist Alles. Wenn aber ich nach einem wilden Bullen
schieße und treffe ihn nicht, und er rennt gegen mich ein, dann rettet
mich kein Salz, wie die Amerikaner sagen, dann weiß auch keine
Menschenseele, wo ich verendet bin; aber die Geier, denen ich zur
Beute werde, die wissen es wohl. Und wenn einmal, wer weiß
nach wie vielen Jahren, ein anderer Jäger in jene Waldöde und
in den Rohrbruch kommt, dann findet er meine gebleichten Knochen
und daneben ein verrostetes Messer und eine verrostete Büchse. Es
ist kein Kinderspiel, einer wilden Bestie mit ungeladenem Feuerrohre
gegenüber zu stehen. Mit dem Bär geht es allenfalls noch, denn
wenn er mich angreift, so habe ich doch mein Jagdmesser und damit
kann ich ihm beikommen. Aber wenn ein grimmiger Bulle gegen
mich einstürmt, dann kann ich meine Seele dem lieben Gott be-
fehlen, falls ich nicht so flink und gewandt bin wie ein Luchs.
Au einem schönen Sommermorgen bestieg ich mein Pferd, um
ein wildes Stück Rindvieh zu schießen. Ich hatte eine ausgezeichnete
Doppelbüchse und drei vortreffliche Hunde, die nur ans Hornvieh
und Schweine abgerichtet waren und immer dicht hinter dem Pferde
gingen, so daß ich ungehindert ans das Vieh loseilen und feuern
konnte, natürlich nur gegen den Wind. Denn das letztere beobachtet
der Hinterwäldler allemal, weil bei den meisten Thieren der Geruch
weit schärfer als das Gehör und bei allen Hirscharten sogar schärfer
als das Gesicht ist. Wenn ich Spuren von Schweinen oder Rindvieh
traf, erlaubte ich gewöhnlich den Hunden, dieselben zu verfolgen.
Ich war schon länger als eine Stunde nach Westen hin geritten,
ohne daß mir irgend etwas Bemerkenswerthes aufgestoßen wäre.
Nach einer Weile kam ich an den Rand eines Dickichts. Dort waren
die Hunde nicht mehr zu halten, sie stürmten hinein und bald ver-
nahm ich ein gewaltiges Geräusch; die Büsche und das Rohr wurden
gebogen- und geknickt wie Getreidehalme, und nun kam, den Kopf
nach unten, den Schweif in gerader Richtung lang ansgestreckt, ein
gewaltiger Bulle, ich kann wohl sagen, heran gedonnert. Er-
brach aus dem Dickicht heraus, etwa achtzehn Schritte von mir
entfernt. Mein Pferd war sonst gut und zuverlässig, es hatte sich
stets erprobt, wenn ich vom Sattel ans Feuer gab; heute aber
wurde es im entscheidenden Augenblick unruhig, weil die Hunde zu
arg lärmten. Ich gab Feuer, aber beide Kugeln kamen dem Bullen
zu weit nach hinten in den Rücken. Nun brachte ich rasch mein Pferd
in daö Dickicht, lud sofort wieder beide Läufe und kam zu Fuß
in's Freie. Die Hunde hielten inzwischen den Bullen gestellt, in
einem Palmettosumpf, ein paar hundert Schritte von dem Punkte,
wo ich zum ersten Mal auf ihn geschossen hatte. Dort suchte ich ihm
beizukommen und beschlich ihn, indem ich unbemerkt von einer
Palme zur andern ging. Aber der Boden war so sumpfig, daß ich
bis beinahe an's Knie einsank; auch waren die Palmettos sehr dick
und die starken, harten Blätter raschelten so sehr, daß ich keinen
86
Eine neue Mündung des Mississippi.
ordentlichen Stand zum Schüsse finden konnte. Hätte ich den Bullen
wieder nicht tödtlich getroffen, dann hatte ich hier nicht einmal einen
schlanken Baum, den ich benutzen konnte, um der anrennenden
Bestie derart auszuweichen, daß 'ich rings herum ging. Demnach
hielt ich es für gerathen, einen andern Grund und Boden und
dickeres Gehölz auszusuchen.
Inzwischen setzten die Hunde dem Bullen immer stärker zu und
zu meiner Freude bewegte er sich in einer Richtung, die ganz meinen
Wünschen entsprach. Ich fand eine Lebenseiche, stellte mich an die-
selbe und feuerte ans etwa dreißig Schritt. Aber als ich eben ab-
drückte, wandte der Bulle seinen Kopf nach der einen Seite, stieß
mit dem Horne gegen einen Hund ein und meine Kugel ging fehl.
Nun rannte er wie ein Blitz ans mich zu; ich erwartete ihn,
bis er nur noch etwa sechs Schritte von der Mündung meines Ge-
wehrs entfernt war, und gab dann noch einmal Feuer. Aber der
Bulle fiel nicht auf dem Flecke nieder. Man denke sich meine Lage!
Sein heißer Athem drang mir in's Gesicht, seine rothunterlanfenen
Augen starrten die meinigen an, und als ich dann, um ihm aus-
znweichen, rund um die Eiche gehen wollte, glitt ich an einer-
schlüpfrigen Wurzel aus. Der Bulle rannte ans mich ein und riß
mit dem einen Horne mir den Jagdkittel vom Leibe. Zum Glück
war sein Anlauf so gewaltig, daß er ihn wohl zwanzig bis dreißig
Schritte weiter führte. Dann wandte er sich und wollte von neuem
gegen mich einstürmen. Aber nun waren meine wackeren Hunde
am Platz und schassten mir ein paar Sekunden Frist. Zum Laden
hatte ich keine Zeit; in aller Eile kletterte ich auf den Baum, mußte
jedoch mein Gewehr unten liegen lassen. Kaum hatte ich einen Ast
erklommen, da war auch schon der Bulle da; er stampfte den Boden
mit den Füßen, brüllte heiser, blutete aus Maul und Leib, seine
Brust war mit Geifer bedeckt, er selber ein wahres Urbild in-
grimmiger Wuth. Auf dem Baume konnte ich Athem schöpfen und
empfand nun einen heftigen Schmerz; denn das Horn hatte mich
arg gestreift. Aber daran zu denken, war keine Zeit; mir drängte
sich die Frage auf, was nun werden solle, denn ich war ein Ge-
fangener und der Bulle tobte und ras'te um den Baum herum.
Ein Jägersmann muß sich in allen Fällen zu helfen wissen und
auch ich fand ein Ausknnftsmittel. Ich stieg höher auf den Baum
und schnitt einen Zweig ab, riß mir Streifen von meinem Hemd
und den Fetzen des Jagdkittels ab und befestigte den Handgriff
meines Jagdmessers an jenem Zweig. Auf solche Art verfertigte
ich mir eine Art von Speer, kletterte wieder auf den untersten Ast
hinab und paßte nun die Gelegenheit ab, um mit meiner scharfen
Waffe dem Bullen Stiche in den Nacken zu versetzen.
Der Bulle ras'te immer um den Baum herum; ich wartete zu.
Aber nun sing er an zu taumeln wie ein Betrunkener, ließ den
Kopf sinken und schwankte von der einen Seite zur andern. Wahr-
scheinlich machten sich die Folgen der inner» Verblutung geltend,
aber er war tapfer und gab sich offenbar alle Mühe, auf den Beinen
zu bleiben. Am Ende aber schwand ihm die Kraft und er siel. Eine
Weile zuckte er mit den Gliedern, dann streckte er die Beine von
sich, und die Hunde singen an, das Blut von den Wunden zu lecken.
Ich stieg vom Baume hinab und dankte dem Himmel für meine
Rettung, denn ich war dem Rande des Grabes nahe gewesen. Nach-
dem ich mein Gewehr wieder geladen, suchte ich mein Pferd und
ritt heim. Gleich nachher gingen Neger an Ort und Stelle, viertelten
den Bullen und luden das Fleisch auf Maulthiere.
Noch jetzt habe ich diesen Auftritt lebhaft vor meiner Seele,
obwohl seitdem Jahre verflossen sind. Inzwischen bin ich über die
blaue Flut des Mexikanischen Golfs gesegelt, habe viele hundert
Meilen ans dem grasbewachsenen Prairieoeeau zurückgelegt,
monatelang in den stillen Wäldern des Hochgebirges verweilt; ich
habe auch das Getümmel der europäischen Hauptstädte kennen ge-
lernt, aber ich sehne mich immer wieder nach jenen Dickichten und
Rohrsümpfen in Texas zurück.
Eine neue Mündung des Mississippi.
In dem Eroberungskriege, welchen die Iankee- Union des Nor-
dens gegen die südliche Conföderation führt, handelt es sich haupt-
sächlich auch um den Besitz des Mississippi und die freie Schifffahrt
auf diesem Strome, der Lebensader des Westens. Die Pankees sind
zum größten Theil im Besitze des „Vaters der Gewässer", nament-
lich auch in jenem der Mündungsgegend. Aber unfern von New-
Orleans liegt Port Hudson in Louisiana und weiter oberhalb,
im Staate Mississippi, die Stadt Vicksburg, beides ein paar-
feste Burgen der Conföderirten, welche den Strom beherrschen. Die
Uaukees haben nun ein Projekt ausgesonnen, um Vicksburg gewisser-
maßen trocken zu legen und die ganze hydrographische Gestaltung
des untern Mississippi zu verändern. Die Zeit wird lehren, ob sie
damit zu Stande kommen. Die Sache selbst ist folgende:
Wenige Meilen südlich von der die Staaten Arkansas und
Louisiana scheidenden Linie, im Carroll Parish des letzter» Staates,
dehnt sich eine Meile westlich vom Mississippi ein Wasserbecken,
Lake Provideuce genannt, aus. Die. Länge dieses Sees, der
allen Anzeichen nach einst das Bett des Mississippi bildete, beträgt
zwar nur sechs Meilen, aber aus ihm ergießen sich zwei gegenwärtig
schon nicht unbeträchtliche Gewässer, der Tensas flu ß und das
Bayou Maeon geheißen. Nach einem fast 200 englische Meilen
langen, ziemlich gekrümmten Lauf ergießt sich Bayou Maeon in den
Tensas und nach einem noch fünfzig Meilen weitern Laufe vereinigt
sich dieser mit dem von Westen herkommenden Washita-Fluß
und beide führen von da ab den Namen Black River. Nach einem
kaum 100 Meilen betragenden Laufe fällt der Black River in den
Red River und zwar circa 30 Meilen oberhalb der Mündung
dieses in den Mississippi. Die ganze Länge des Tensas bis zu
seiner Vereinigung mit dem Washita beträgt 250 Meilen, von denen
150 Meilen von da an gegen den Lake Provideuce während
sechs Monaten des Jahres schiffbar sind; der Black River und der
Red River sind Jahr aus Jahr ein fahrbar. Am südlichen Ende
des Lake Provideuce, da, wo er sich dem Mississippi am meisten
nähert, soll nun ein Kanal gestochen werden, um einen Theil
der Fluten des Mississippi in dessen altes Bett, — den
wie ein Hufeisen am Strome mit seinen Enden sich anlegenden Lake
Provideuce — wieder einzulenken und dergestalt den ober»,
nicht schiffbaren Theil des Tensas mit einer solchen Wassermenge zu
, füllen, daß er mit Hilfe einiger Regulirungen und Nachhilfe das
ganze Jahr hindurch schiffbar wäre. Damit würde denn vom Lake
Provideuce bis zur Mündung des Mississippi eine kontinuirliche,
mit diesem ziemlich parallel laufende, rivalisirende Wasserstraße
gebildet von über dreihundert Meilen Erstreckung, welche Vicks-
burg undNatchez hinter sich oder neben sich lassen würde.
Der strategische Zweck wäre damit erst halb erreicht. Die Mün-
dung des Red River, welche wir auf dem beschriebenen Wege, ohne
den Mississippi und folglich ohne Vicksburg, Natchez, Fort Adams w.
passirt zu haben, erreichten, liegt noch fünfzig Meilen oberhalb
! Port Hudson, weshalb es nöthig ist, unfern Weg nach dem
Golfe, diesem Plane zufolge, weiter zu verfolgen mit Hilfe einer
-----
Eine Jagd des Schahs von Persien.
87
dem Mississippi parallel laufenden Wasserstraße. Doch
auch dafür ist in jener wasserreichen, wunderbaren Delta-Region
gesorgt. An der Stelle, wo der Mississippi und Red River ihre
Wasser vereinigen, zweigt sich in südlicher Richtung und ohne viele
Krümmungen zu haben, ein Strom ab, der halb Bayou, halb
Fluß ist und der Atchafalaya River genannt wird. Dieses
Wasser vereinigt sich nicht wieder mit dem Mississippi, sondern fällt
nach einem Laufe von circa 250 Meilen in den Schestimacha
See, der seinerseits durch eine Fortsetzung des Atchafalaya River
mit der Bay gleichen Namens, respektive dem Golf von Mexiko,
in Verbindung steht. Das Wort Atchafalaya bedeutet in der
Jndianersprache ungefähr so viel wie „verlorenes Wasser",
welche Bezeichnung die Geologen dahin interpretiren, daß der
Atchafalaya einst der Red River war, bis dieser eines Tages die
ihn vom Mississippi trennende Bank durchbrach und in diesen ein-
mündete. Der alte Arm des Red River gegen den Golf zu, gespeis't
vom Mississippi und ihm selbst, sowie vom Lake Schestimacha, ver-
blieb jedoch, und wurde damit in der bilderreichen Jndianersprache
zu einem „lost water". Bei hohem Wasserstande kann mau heute
noch vom Red River direkt nach der Atchafalaya Bay fahren,
während bei niederm Wasserstande die große Menge Treibholz der
Schifffahrt große Hindernisse in den Weg stellt, eine Schwierigkeit,
die jedoch ohne sehr großen Aufwand an Mühe und Kosten zn über-
winden sein würde.
Die Aufgabe >der Ingenieure ist nun mit einem Male klar;
sie besteht darin, mittelst des zwischen dem Mississippi und
LakeProvidence herzu st ellendenKan als einedurchans
fahrbare Strecke bis zur Mündung des Red River her-
zu stellen; sie besteht ferner darin, mittelst des Baues eines
Dammes den Red River vom Mississippi ab zu schneiden
und ihn zu zwingen, seinen ehemaligen Lauf wieder zu
nehmen und schließlich diese ganze, gegen 600 Meilen lange Strom-
strecke so zu reguliren, daß dem ungehemmtesten und freiesten Verkehr
zu allen Jahreszeiten nichts mehr im Wege steht. New-Orleans
würde dadurch selbstverstanden seine Bedeutung verlieren und eine
neue Golfstadt au der Atchafalaya Bay oder dem Lake Schestimacha
sich erheben müssen. Doch selbst neben dem Mississippi und mit der
„Crescent City" in ihrer vollen Glorie, als ausführbar und aus-
geführt gedacht, erscheint dieses Unternehmen imponirend und zu-
kunftsgroß.
Eine Ingd des Schahs von Persien.
Wir haben vor einiger Zeit (Globus III, S. 152 und 215 ff.)
eine Gazellen- und eine Trappenjagd, nach den Aufzeichnungen
des Kommandanten Duhousset, geschildert. Sehr begreiflich finden
wir seinen Wunsch, auch einer jener großen Jagden beizuwohuen,
welche der Schah von Zeit zu Zeit veranstaltet, und es traf sich,
daß jener Wunsch erfüllt wurde.
Unsere Leser werden sich erinnern, daß der Reisende mit dem
Wali (Uuterstatthalter) von Kurdistan Jagdausflüge von Teheran
nach der Ebene von Weramin gemacht hatte. Auf der Heimkehr
traf er mit Nomaden zusammen, die ihre schwarzen Zelte in der
Ebene anfgeschlagen hatten. In Persien begreift inan diese Wauder-
stämme unter dem Namen der Jlyats; sie sind türkisch-tatarischer
Abkunft und bilden zu dem eigentlichen Grundstamme der Be-
völkerung, welcher ein seßhaftes Leben führt, einen scharfen Gegen-
satz. Im Frühjahre treiben sie ihre Heerden aus den Berggegeudeu
hinab und suchen überhaupt in verschiedenen Jahreszeiten ver-
schiedene Weidestrecken ans, und schlagen ihre Zelte am liebsten an
einem Bach auf. Der Reisende bewog, gegen Geld und gute
Worte, mehrere Frauen und Mädchen, sich vor ihm zu entschleiern;
die Nomadinnen sind überhaupt nicht so zurückhaltend wie die
Frauen in den Städten. Eins der hübschesten Exemplare, eine
junge Frau von etwa dreizehn Jahren, die schon seit mehreren
Monaten verheirathet war, zeichnete er ab. Im Allgemeinen
fand er bei den Jlyatfraueu eine niedrige Stirn, etwas hervor-
stehende Backenknochen, langgesckstitzte, ganz leicht nach den Schläfen
hin erhöhte Augen, die Nase ein wenig platt, aber Hände und
Füße sehr klein. Mädchen werden zuweilen schon nach vollende-
tem zehnten Jahre verheirathet und müssen sofort für den Haus-
halt sorgen, Brot backen, Butter und Käse bereiten und allerlei
Zeug weben. Eine Nomadenfrau hat kein bequemes Leben.
Wir lassen nun unfern Gewährsmann erzählen, der nach
Teheran zurückgekehrt war.
Ans der Ebene lag Schnee, und der Gipfel des Elbrus mit
seiner weißen Kappe erglänzte im Sonnenschein. Der Himmel war
blau, man konnte sich kein besseres Wetter wünschen. Der Schah
benutzte dasselbe, um eme große Jagd zu veranstalten, und ich hatte
rechte Lust, an derselben Theil zu nehmen. Nachdem ich gefrüb-
stückt hatte, ließ ich mir meinen Mantel zusammenrollen, bestieg ein
gutes Pferd und ritt nach Kend, einem Dorfe, das am Eingänge
zn einer wilden malerischen Schlucht liegt, um dort bei einem mir
befreundeten europäischen Arzt abzusteigen.
Die Hofetikette wird auch außerhalb der Stadt genau be-
obachtet, und ihr gemäß darf sich im Jagdgefolge des Schahs
Niemand blicken lassen, der nicht eine besondere Einladung er-
halten hat. Eine solche fehlte mir, allein ich rechnete auf die Gunst
des Zufalls, die mich auch nicht täuschte.
Alle Würdenträger und hohen Beamten waren mit dem König
hinausgezogen und das Mine Dorf bot nun einen eigenthiimlichen
Anblick dar. Jede Hütte mußte Gäste beherbergen, und reiche
Leute behalfen sich in Ställen, deren Boden sie mit Filzdecken be-
legten. Der Perser ist zufrieden, wenn er nur seinen Teppich und
eine Wasserpfeife (Kalian) hat, und diese beiden ihm nothwendigen
Dinge nimmt er denn auch überall mit hin. Der Schah entfaltet
übrigens auf seinen Jagden großen Pomp, denn er hatte wohl an
die zweitausend Kameele, welche mit allerlei Gepäck und Sieben-
sachen beladen waren!
Es fügte sich, daß am Abend ein Verwandter des Königs
zum Doktor kam und mit uns Thee trank. Ich zeigte ihm mein
Album, das eine Menge Skizzen enthielt, und diese gefielen ihm
sehr. Am andern Morgen ließ der Schah sich dasselbe ausbitten,
und als er es zurücksandte, mich zur Jagd eiuladen, welche am
andern Tage stattfinden sollte.
Ich hatte Muße genug, mir das Leben und Treiben im Dorfe
Kend näher zn betrachten. Hinter dem Gefolge des Königs war
ein ganzer Schwarm von allerlei Volk hergezogen. Da waren
Bettler, Gaukler, welche Affen tanzen ließen, Bakals, d. h. Leute,
welche Reis, Gemüse, Zucker und Spezereien feilbieten, und es
hatte sich ein förmlicher Markt gebildet, der überhaupt in Persien
nie fehlt, wenn der Schah irgendwo sein Lager aufschlägt, wäre
es auch nur für eine einzige Nacht. Es versteht sich von selbst, daß
auch Märchenerzähler und Derwische sich einfinden. Unter den
letzteren bemerkte ich auch einen Neger, der, trotz des kalten Wetters,
nur mit einem baumwollenen Schurze bekleidet war. Er trug
einen mächtigen Rosenkranz, hatte seine wolligen Haare zu horn-
artigen Zöpfen geflochten, die steif emporstanden, und trug in der
linken Hand eine gewaltige eiserne Keule, welche er manchmal über
88
Eine Jagd des Schahs von Persien.
die Schulter warf. Abends legte er sich unbekleidet, wie er war,
vor unsere Thür und schlief dort!
Am andern Morgen um neun Uhr hörten wir einen Kanonen-
schuß. Er zeigt an, daß nach einer Stunde der Zug sich in Be-
wegung setzen solle; man traf also nun rasch alle nöthigen Vor-
bereitungen. Ich konnte von unserer Hütte aus mir Alles gemächlich
mit ansehen, denn sie lag so, daß der Zug an ihr vorüberkommen
mußte.
Eröffnet wurde derselbe durch einen Jägermeister, welchem
einige Reiter mit langen Lanzen folgten. Hinter diesen gingen
busiere mit Jagdgewehren; die zur Jagd eingeladenen Männer;
ein Maulthier, welches einen Pfahl und Ruthen trägt, mit welchen
Geißelhiebe ausgetheilt werden; andere Maulthiere, beladen mit zu-
sammengerollten Teppichen und mit Kisten, in denen Kleider für den
König liegen; Kaleanders zu Pferde, und dann dreihundert Reiter,
angeführt von des Kriegsministers Sohne. Dieser war ein junger
Bursch von etwa vierzehn Jahren und ritt langsam und würdig
vor den Männern her, die bunt und mannichfaltig gekleidet waren,
mit ihren langen schwarzen Bärten etwas wild aussahen, aber alle
eine Hobe schwarze Mütze aus Lammfell trugen.
Eine junge Jlyatfran in Persien.
Läufer, roth gekleidet, mit einer seltsam gestalteten Mütze von
Goldpapier, auf welcher allerlei bunter Schmuck befestigt war.
Von den hohen Würdenträgern gingen jene, welche an der Jagd
nicht Theil nahmen, langsam vor dem Rosse des Schahs her, aber
nur bis zum letzten Hanse des Dorfes.
Der König hatte keine Reiter neben sich und war einfach ge-
kleidet. Er trug einen Kulidsche, eine Art von Ueberwurf, dessen
Aermel nicht über den Elbogen hinausreichen, ans Kaschmirstosf,
weite blaue Beinkleider, welche dicht unter dem Knie in hohe Stiefel !
gesteckt waren, und einen himmelblauen Plüschmantel. Seine
Kopfbedeckung bestand in einer kleinen Kappe von schwarzem
Lammfell.
Das Gefolge kam in nachstehender Ordnung. Zuerst der Be-
anite, welcher das Sacktuch des Schahs trägt; ein anderer, der
in einer goldenen Theekanne kaltes Wasser bereit hielt; die Arke-
Der Schah befindet sich während der Jagd einige hundert
Schritte weit von seinem Gefolge entfernt, damit er ganz ungehin-
dert in allen seinen Bewegungen sei. Wir zerstreuten uns in kleinen
Gruppen; einige hatten Windhunde, andere Falken und ganz be-
sonders stattlich nahmen sich einige kurdische Reiter aus. Andere
sprengten weit hinaus in die Ebene und lieferten einander jene
„Fantasias", Scheingefechte, bei denen die Perser eine bewunderns-
würdige Gewandtheit zeigen. Man muß dergleichen mit angesehen
haben, um den vollen Eindruck von dieser in der That ritterlichen
Nebung in sich aufzunehmen.
An jenem Tage war die Ausbeute der Jagd gering; sie be-
schränkte sich auf Hühner, Hasen, Füchse und anderes Kleinwild.
Der Zug ritt durch einen breiten Bach und gewährte dabei einen
äußerst malerischen Anblick. Die rothen Kleider hoben sich scharf
von dem weißen Schnee ab. Der Schah ritt einen ausgezeichneten
Eine Jagd des Schahs von Persien.
89
Globuö IV. Nr. 3.
12
Eine persische Fantasia während der Jagd.
90
Der Austernfang.
Nenner und war stets voran; für ihn giebt es kein Hinderniß in
der Bodengestaltung, denn es werden immer vier frische Pferde
bereit gehalten und er wechselt sie oft. Der Perser liebt im All-
gemeinen große Pferde, aber zur Reise und zur Jagd nimmt er
gern recht kleine, weil diese auf abschüssigem Gelände viel sicherer
laufen.
In meiner Nähe ritt ein alter dicker Eunuch, ein häßlicher,
schwarzer Mann, der mir wie ein Teufel vorkam. Er ließ seinen
Falken gegen einige Hühner los, sprengte hinterher und schnitt ihnen
dann auf freiem Felde den Hals ab. Das schien ihm großes Ver-
gnügen zu machen.
Nach Verlauf mehrerer Stunden wurde Halt gemacht. Für
den Schah breitete man auf dem Schnee einen großen Teppich
aus; er nahm mit mehreren hohen Beamten auf demselben Platz,
trank Thee und rauchte eine Pfeife. Als man ihm aber meldete,
daß ein Volk Hühner in der Nähe sei, sprang er auf, schoß nnd
traf. Gleich nachher zog ein Rabe durch die Luft: auch diesen
brachte er herunter; er war offenbar ein sehr guter Schütze. Als
er dann wieder ruhig seine Pfeife rauchte, wurde ein mächtiger Wolf
gebracht und vor den Füßen Seiner Majestät niedergelegt. Dafür
bekamen die Leute fünf Tomans zum Geschenk, also etwa fünfzehn
Thaler.
Bevor wir nach Kend zurückritten, gab uns der Schah noch
ein eigenthümliches Schauspiel zum Besten. Das Pferd, welches
seine Kalian (Wasserpfeife) trug, war sehr bösartig, und es sollte
bestraft werden. Der König befahl, ein ebenso bösartiges herbei
zu schaffen, das auch bald da war. Beide Thiere wurden einander
derart gegenübergestellt, daß ihre Nasen sich berührten, und das
machte sie ganz grimmig. Sie spitzten die Ohren, schnaubten aus
den weitgeöffneten Nüstern, wurden nun losgelassen und stürmten
wild gegeneinander ein. Sie bissen sich in Hals und Brust und
schlugen mit den Hufen aus. Nach einiger Zeit riß man sie aus-
einander. Das Ganze war eine etwas barbarische Belustigung,
nahm aber doch ein gewisses Interesse in Anspruch.
Die Hauptjagd sollte am folgenden Tage stattfinden und die
Kanone ließ sich schon um sieben Uhr Morgens vernehmen. Um
acht Uhr waren wir alle im Sattel und trabten wohl vier Stunden
weit in's Gebirge hinein. Dorthin waren schon am Abend vorher
zwei Regimenter Soldaten geschickt worden, welche als Treiber-
gute Dienste leisteten. Natürlich mußten wir absteigen, denn in
dem Labyrinth von Felsen nnd Schluchten war von Reiten keine
Rede. Die Sonne brannte heiß auf uns herab und der Schnee
glitzerte in einer für meine Augen fast unerträglichen Weise. Zum
Glück hatte ich eine Brille mit blauen Gläsern. Die Perser schützen
das Auge auf eine sehr einfache Weise, indem sie einen Haarbüschel
von der Stirn herabhängen lassen; manche beschmieren sich auch
das ganze Gesicht mit Schlamm, weil sie dann nicht so viel von
dem zurückgeworsenen Lichte leiden.
Längere Zeit ließ sich kein Wild blicken. Manche Jäger aßen
Apfelsinen oder Granatäpfel, andere rauchten Tabak; ich aber war
so hoch als möglich hinaufgeklettert, um die ganze Scene übersehen
zu können. Plötzlich vernahmen wir Trompetengeschmetter und
sahen mehrere wilde Böcke. Nun erhob sich ein mächtiges Geschrei
und die erschreckten Thiere stürzten einem Abhange zu. Die Jäger
schossen und mir pfiffen einige Kugeln an den Ohren vorbei. Die
eine Gemse wurde getroffen, zwei entkamen; sie bildeten nur die
Vorhut von etwa einem Dutzend Anderer, von welchen der König
fünf erlegte. Ein großer Bock, der sich in einem Felsenkessel ver-
fangen hatte, wurde lebendig vor den Schah gebracht, der sehr
erfreut war und den Jägern reiche Belohnung gab. Jni Ganzen
hatten wir elf Gemsen und eine Menge andern Wildes, namentlich
Hühner, Hasen und wilde Ziegen. - Der Aegagrus, den wir hier
wohl uneigentlich als Gemse bezeichnet haben, wird so groß wie
ein recht starker Ziegenbock; seine regelmäßig gewundenen Hörner
erreichen eine Länge von drei Fuß; das Haar ist rothgrau, der
Bart dunkler; vom Kopf ab läuft über den Rücken ein schwarzer
Streif bis zum Schwänze. Das Thier lebt im steilen Hochgebirge
rudelweis.
So reichlich war die Jagd ausgefallen, daß ich meinem gast-
i freundlichen Arzt einen wahren Gefallen that, als ich am andern
Tage sechszehn Hasen als Geschenk von ihm annahm. Ich hing
sie, je acht an einer Seite, über den Sattel und ritt in solchem
Aufzug in Teheran ein. Dort hatten sich schon viele Leute ver-
sammelt, um die Rückkehr des Schahs abzuwarten und denselben
um allerlei Bescheid anzugehen.
Ein paar Tage nachher zog eine Abtheilung kurdischer Reiter
ab, welche in Chorassan eine Kriegs-, das heißt Raub- und
Plünderungs-Expedition gegen die Turkomanen unternehmen
wollte. Sie wurde vom Schah gemustert.
Der An st
In unserer vorigen Nummer wurde nachgewiesen, daß werth-
volle Arten von Seefischen sich in einer bedenklichen Weise ver-
mindert haben und daß von vielen Seiten her daraus gedrungen
wird, eine Schonnngszeit eintreten zu lassen und überhaupt den
Fang mit mehr Verstand und Umsicht zu betreiben.
Auch die Austern hatten sich außerordentlich vermindert, aber
man hat noch gerade zu rechter Zeit Mittel ergriffen, um einer
weitern Entvölkerung und Verödung Schranken zu setzen. Der
Gegenstand hat auch ein geographisches Interesse, und da uns eben
neue Nachweisungen über denselben vorliegen, so wollen wir unseren
Lesern einige Mittheilungen nicht vorenthalten.
Die Auster ist in verschiedenen Arten fast über alle Meere ver-
breitet. Die „Bänke", welche sie bildet, entstehen zumeist in der
Nähe von Flußmündungen, in brakigem Seewasser oder in vollem
Salzwasser, aber in süßem Wasser kommt die eigentliche Auster
nicht vor. Die sogenannten Anstern im Nil und Senegal sind
keine ächten Austern.
Den klassischen Boden für diese Thiere bilden die Gestade des
nordatlantischen Oceans in Europa wie in Amerika, vorzüglich
ernfang.
auch in derNordsee, sodann auch das Mittelländische und Adriatische
Meer. Die Auster ist ein Hermaphrodit und vermehrt sich un-
gemein stark; jede einzelne legt im Verlauf eines Jahres 50,000
bis 60,000 Eier. Davon gehen freilich die meisten verloren, weil
sie allerlei Seethieren zur Nahrung dienen. Die junge Auster heftet
sich an den festen Punkt, auf welchem sie sich befindet, und führt dann
jenes unbewegliche Austernleben, das zum Sprichwort geworden
ist. Aber die Art desselben ist doch verschieden. Die Austern in
den neapolitanischen Gewässern setzen sich gern an Pfähle und die
Fischer sorgen dafür, daß es an solchen nicht mangele. Sobald
ein Pfahl mit Austern bedeckt ist, nimmt man ihn aus dem Wasser
und hat eine mühelose Ernte.
An der schleswig-holsteinischen Westküste liegen 40 bis 50
Austernbänke, einige auch an der Nordspitze von Jütland. Die
Austern des Mittelmeeres sind von jenen im Atlantischen Ocean
verschieden. Jene im Golf von Genua sind klein aberwohlschmeckend,
noch besser jene aus dem Fusaro-See, die sorgfältig gepflegt
werden. Schon die Griechen und Römer wußten die Auster zu
schätzen. Die Letzteren hatten Ansternparke in: Golf von Bajä und
Der Austernfang.
91
im Lncriner-See, zogen aber doch jene aus der Nordsee vor und
ließen sie mit großem Kostenaufwande von den Küsten Galliens
und Britanniens kommen. Die Maare wurde in Schnee verpackt
und fest zusammengepreßt.
Die Ansternfischerei giebt im Atlantischen Océan und der
Nordsee, namentlich in Frankreich, Großbritannien, den Nieder-
landen und Deutschland einen Ertrag von Millionen Thalern. Man
pflegt heute die Auster, wie man den Wald schont; man sorgt für
den jungen Nachwuchs, läßt den Bänken eine Ruhezeit, hat be-
sondere Becken, „Parke", angelegt, in denen man sie hegt und
gleichsam veredelt. Sie haben nun viele Stätten, in denen sie sich
ungestört vermehren und entwickeln können. Kenner wissen, daß
eine Auster am besten schmeckt, wenn sie vier bis fünf Jahr alt ist.
Nachher wird sie zu stark, die Muschel wird dicker, aber der Ge-
schmack ist immer noch gut, wiewohl nicht mehr so fein. Die großen
Austern der Nordsee bilden nicht etwa eine besondere Art; selbst die
Varietäten weichen nicht sehr von einander ab, und auch die „Grünen"
verdanken ihre Farbe und ihren eigenthümlichen Geschmack nur dem
Umstande, daß mikroskopische Thierchen in die Muschel eindringen
und die ganze Auster gleichsam in Besitz nehmen. Der Fein-
schmecker unterscheidet die verschiedenen Austern auf deu ersten Blick, ;
er weiß, ob sie von den englischen, niederländischen oder deutschen
Küsten stammen, ans der Bucht von Cancale, in der Nähe von
St. Malo oder aus Marennes, von den Mündungen der Charente
oder Sendre.
Vom Transporte der Auster gilt dasselbe, was wir früher
über jenen der Seefische bemerkt haben: sie werden in Körbe oder
Fässer verpackt, und inan hat nun frische Austern auch tief im
Binnenland und so weit überhaupt die Eisenhahnen reichen. Dazu
kommen noch die vielen Millionen, welche marinirt und in her-
metisch verschlossenen Blech- oder Steinbüchsen verschickt werden;
sie halten sich jahrelang gut.
Der jährliche Verbrauch von Austern steigt in die tausende von
Millionen. In Paris kommen jährlich im Durchschnitt 80 Millionen,
aber in London siebenmal so viele zum Verkauf, nämlich mehr
als 500,000,000 Stück! In England sind sie vorzugsweise
häufig an den Küsten von Essex und Kent, auf der Rhede von Poole,
am Gestade von Hants und Dorset, auch an jenen von Glamorgan.
Jene von Carlingford an der irischen Küste sind durch ihr Aroma
berühmt; sehr geschätzt werden bekanntlich auch die von Colchester,
Brightlingsea oder Bunham, Maldon und Whitstable.
Sorgfältige Beobachtungen haben ergeben, daß die Annahme,
Austern seien zum Verspeisen nur in solchen Monaten gut, die ein
R haben, also von September bis April, auf ein ganz unbe-
gründetes Vorurtheil hinausläuft. Es ist übrigens ganz richtig,
daß um die Aprilzeit die Auster ihre Vermehrung bewerkstelligt;
der Eierstock, der im Winter kaum bemerkbar ist, füllt sich nun
und giebt dem obern Theile des Thieres eine weißliche Färbung;
diese deutet auf baldiges Ablegen. Aber auf den Geschmack der
Auster hat das keinen nachtheiligen Einfluß; sie ist das ganze Jahr
hindurch gut und Feinschmecker halten sie gerade in den Frühlings-
monaten für am besten. Wenn man in den vier warmen Monaten
für kühle Verpackung sorgt, dann ist an der Auster gar nichts aus-
zusetzen. Dafür liefern die, welche vom Mai bis August aus den
Parks genommen werden, den besten Beweis.
Aber die viermonatliche Ruhe, welche man den Austern gönnt,
ist sehr werthvoll. Man hat überall den Austernfang durch obrig-
keitliche Verordnungen geregelt. In Frankreich z. B. ist er auf den
Bänken nur vom l. September bis zu 30. April erlaubt, und auch
dann nur vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Die Ver-
waltung bezeichnet die Bänke, auf welchen „gekratzt" werden darf,
und bestimmt auch die Tage dafür; sie hat auch die Weite der
Maschen an den Netzen derart vorgeschrieben, daß die ganz kleinen
Austern durch dieselben wieder hinausfallen. Jene, die etwa doch
mitgefangen werden, wirft man wieder in's Meer. Solche Ver-
ordnungen können lästig erscheinen, für Frankreich waren sie aber
unbedingt nothwendig, wenn jenes Land sich überhaupt den Anstern-
fang bewahren wollte; er war vor etwa sechs Jahren beinahe völlig
zu Grunde gerichtet.
Ein um die Fischzucht sehr verdienter Manu, der Akademiker
Coste, hob die „geradezu trostlose Lage der Dinge" hervor und
erhielt 1858 den Auftrag, die Küsten zu untersuchen und geeignete
Maßregeln vorzuschlagen, damit dem Uebel gesteuert werde. Er
fand die Sachen noch viel schlimmer als er befürchtet hatte. Bei
La Rochelle, Marennes, Rochefort, bei den Inseln Re und Oleron,
also an der französischen Westküste, waren früher 23 sehr ergiebige
Austcrnbänke vorhanden; davon fand Coste nur noch 5, und auch
diese in einem kläglichen Zustande. In der Bucht von St. Brieuc,
Bretagne, fand er von den 15 ehemals ganz ausgezeichneten Austern-
bünken nur noch 3 übrig; er sagt, daß zwanzig Boote binnen wenigen
Tagen auch diesen schwachen Rest bis zur letzten Muschel hätten
kahl machen können. Einst waren dort zweihundert Barken be-
schäftigt. Auch auf der Rhede von Brest war der Verfall ganz
augenscheinlich; nur bei Granville und Cancale war es mit den
Bänken einigermaßen erträglich beschaffen, weil dort eine strenge
Aufsicht geführt worden war.
Coste griff nun mit fester Hand ein und beschloß, nicht nur für
die Vermehrung und, was dasselbe sagen will, für den Schutz der
einheimischen Austern zu sorgen, sondern auch eßbare Muschel-
■ thiere aus fremden Gegenden an den französischen Küsten zu
akklimatisiren. Das Erstere ist ihm schon nach kürzer Zeit ge-
lungen; das Zweite befindet sich noch im Stadium der Versuche,
aber die Anfänge scheinen ein gutes Ergebniß in Aussicht zu stellen.
Coste sandte einen Schiffslieutenant aus Havre, Herrn de Broca,
nach Nordamerika, um dort genaue Erkundigungen über den Austern-
fang einzuziehen und geeignete Muschelthiere zur Eingewöhnung an
den atlantischen Küsten Mitteleuropas herüber zu schicken. Broca's
' sehr ausführlicher Bericht liegt uns im Februar- und Märzhefte
der vom Pariser Marineministerium herausgegebeneu Revue mari-
time et coloniale vor, und wir wollen einige Auszüge aus dem-
; selben mittheilen.
Im März 1862 fuhr de Broca von Havre nach den Ver-
einigten Staaten, machte eingehende Beobachtungen, sammelte und
¡ kam am 29. September nach einer Fahrt von zwölf Tagen in
Liverpool an. Er hatte eine ganze Kolonie von Mollusken am Bord,
namentlich von Klaffmuscheln, von welchen aber nur wenige
Exemplare glücklich nach Europa kamen; dagegen blieben ein paar
tausend Stück von der amerikanischen Veuusmuschel und
der virginischeu Auster lebendig und wurden bei la Hogue
.de St. Waast wohlbehalten in's Meer gethan.
Schon im September 1861 schickte der bekannte Naturforscher
Agassiz ans Boston eine Menge lebendiger Exemplare nach Europa,
welche er einem Zeichner des naturwissenschaftlichen Museums in
Cambridge, Herrn Burckart, übergeben hatte. Es waren Mya
arenaria, Klaffmuschel, Soft Clam der Amerikaner; Venns mer-
cenaria, amerikanische Vennsmuschel; Pecten concentricus, Kamm-
muschel, die für wohlschmeckender gilt als selbst die Auster; Ho-
marus americanus, Hummer; Mactra solidissima, Trogmuschel;
Mytilus edulis, die gemeine Mießmuschel. Aber alle starben unter-
wegs bis auf etwa zweihundert Venusmuscheln, die man in den
Parks von St. Waast ansiedelte.
Als Ergebniß hat sich schon jetzt herausgestellt, daß Austern
und Venusmuscheln an den europäischen Küsten eben so gut fort-
kommen wie an den amerikanischen; der Versuch der Eingewöhnung
war im Kleinen gelungen und soll nun im Großen fortgesetzt werden.
Broca besuchte die Austernbänke auf der ganzen Strecke von der
Massachusettöbay bis zur Chesapeakebay, kaufte Muscheln und
Austern, that sie in Kufen, die mit sandigem Kies gefüllt waren,
und gab ihnen täglich zweimal frisches Seewasser. Die Klaff-
muscheln waren nach zwölf Tagen alle gestorben, aber dieVeuus-
muscheln und Austern befanden sich vortrefflich, und am 28. Mai, also
in einer nicht wohl geeigneten, weil schon warmen Jahreszeit, schickte
12 »
92
Der Austernfang.
de Broca eine Sendung ab. Dieser folgten mehrere andere von
etwa 40 Stück Süßwasser-Schildkröten, Austern aus der De-
lawarebay und Klaffmnscheln, von denen etwa 400 lebendig nach
^ Europa gelangten.
Von etwa 30,000 Exemplaren sind ungefähr 10,000 wohl-
behalten angelangt. Die Zahl der letzteren wäre aber ohne Zweifel
weit beträchtlicher gewesen, wenn die Leute, welche unterwegs die
Sendungen zu überwachen hatten, sorgfältiger aufgepaßt hätten.
In Nordamerika sind die Austern keine Luxusspeise; alljährlich
werden jetzt im Durchschnitt 20,000,000 Bushels davon verzehrt,
und der Geldwerth dieser Masse beträgt etwa 20 Millionen Dollars.
Man unterscheidet drei Arten: Ostrea virginiana, 0. borealis und
0. canadensis; aber alle drei Arten weichen doch im Ganzen so
wenig von einander ab, daß sie nur als Varietäten derselben Species
betrachtet werden können. Jedoch im Vergleich zu den europäischen
Austern ist der Unterschied beträchtlich, und diesen gegenüber bilden
sie entschieden eine eigene Species; sie schmecken auch weniger fein,
ihre Farbe spielt in's Violette, die Gestalt ist länglicher, die untere
Klappe ist mehr ansgehöhlt, die Auster selbst ist dicker, zarter und
reicher an Nahrungsstofs, schmeckt weniger salzig und ähnelt in
dieser letztern Beziehung der Mießmuschel. Die Fischer behaupten,
daß sie zwanzig Jahre brauche, um ihre völlige Ausbildung zu er-
halten; dann ist sie aber auch weit größer als unsere Austern und
wird sehr dick und schwer. Alle amerikanischen Austern haben
schwächere Muskeln als die europäischen.
Die virginische Auster wird bis zu 15 Zoll lang und
3y2 Zoll breit. Im Handel bezeichnet man sie gewöhnlich als
Auster von der Chesapeake-Bay, sie kommt aber der ganzen Küste
entlang vor, namentlich im Süden, und nach Norden hin bis zur
Prinz Edwards-Insel und überhaupt im St. Lorenzbnsen.
Die Ostrea borealis, gewöhnlich Neuyorker Auster
genannt, wird nicht so länglich und breit. Man findet sie in der
Bay von Nenyork in ungeheurer Menge, aber auch an den Küsten
überhaupt und auch in der Chesapeakebay neben der virginischen
Auster; sodann in der Buzzards-Bay in Massachusetts.
Die canadische Auster wird gleichfalls nicht so lang als
die virginische, und wird von Nenyork bis hinauf in die canadischen
Gewässer in Menge gefunden. Das gilt überhaupt von allen drei
Arten; sie bilden von Canada bis zum Mexikanischen Meerbusen
eine wahre Manna, welche in unerschöpflicher Fülle zu haben ist.
So mächtig sind die Bänke, daß die Austern, wenn man nicht all-
jährlich viele Millionen finge, sich in bedenklicher Weise vermehren
müßten. Sie würden dann Klippen bilden, den Ströumngen an
der Küste eine andere Richtung geben, manche Durchfahrten ver-.
dämmen, überhaupt der Schifffahrt hinderlich werden. Häufig
sind sie überall an den Küsten, aber einige Oertlichkeiten scheinen
ihnen doch ganz besonders zuznsagen, z. B. die Gestade von Neu-
Jersey, von Long Island bei Neu-Aork, von Connecticut und
Rhode Island, die Mündung des Delaware und vor Allem die
Chesapeakebay; in dieser letztem sind hunderte von Schiffen mit
dem Austernfange beschäftigt. Aber auch der Albemarle-Sund, der
Palmico-Snnd und andere Küstenstrecken von Nord-Carolina haben
vortreffliche Austern.
Die Amerikaner wissen den Segen dieser Meeresgabe voll-
kommen zu würdigen und widmen der Auster eine gewisse Pflege.
Sie haben „Pflanzungen" angelegt und dieselben unter den Schutz
der Staatsgesetze gestellt, welche sehr streng sind. Die amerika-
nischen Austern lieben, gleich unseren europäischen, einen etwas
schlammigen Sandgrund, der viel thierische Nahrnngsstoffe für sie
darbietet und gegen den heftigen Wogendrang des Oceans geschützt
ist. Das gilt insbesondere von der Chesapeake-Bay, jenem
prächtigen Becken, in welchem alle Bedingungen für das Gedeihen
der Auster in hohem Grade gegeben sind. Vom Meer aus dringt
sie zwischen den Vorgebirgen Charles und Henry von Osten nach
Westen in's Land und nimmt dann ihre Richtung nach Norden;
sie hat eine Länge von 150 Miles, eine Breite von 15 bis zu
30Miles, und nimmt eine Anzahl von wichtigen Strömen auf, z.B.
den Susquehannah, Potomac, Rappahannock, Uorkund St. James,
und erhält dadurch einen beträchtlichen Zufluß süßen Wassers. Sie
ist also nicht so salzhaltig als der offene Ocean, und gerade dieser
Umstand ist für das Gedeihen und die Vermehrung der Austern
günstig. Auch hat die große Bay eine unzählige Menge von kleinen
Buchten, Einschnitten und Inseln. Sie ist ungemein fischreich, und
der Fang der Makrelen, Häringe, Aale, Barsche, Elsen, Störe
und anderer Fische bringt große Summen ein. Mit dem Austern-
fang und den Pflanzungen waren dort in dem Jahre vor Aus-
bruch des Bürgerkrieges etwa zehntausend Leute beschäftigt. Die
Auster der Chesapeakebay ist von Natur so fett, daß sie in der
Regel gar nicht erst in den Pflanzungen kultivirt zu werden braucht.
Sie erträgt auch die Kälte gut, denn im Raume der Schiffe, welche
in der strengen Winterzeit diese Auster nach Boston bringen, hält
sie sich bis zu vier Wochen am Leben, wenn nur die Körbe ge-
schlossen bleiben. Die meisten Austern, welche in den nördlichen Staa-
ten aus den „Pflanzungen" kultivirt werden, kommen ans der Che-
sapeakebay und von der Mündung des Delaware, und dort sind sie
so billig, daß die Fischer, sowohl ans der virginischen Seite wie auf
jener von Maryland, den Büschel von 200 bis 250 Stück zu 15
bis 20 Cents verkaufen. Aber selbst durch die Kultur werden sie
nie so fein wie die „Natives" an den Küsten von Connecticut,
Rhode Island und stellenweise von Massachusetts, die übrigens nur
an der nächsten Küste verspeist werden, thenrer sind und auch nicht
in's Innere verschickt werden. Ausgezeichnet kommen sie vor in der
Bay von Neu-Iork, bei Neu-Haven, in der Providencebay, auch
an der Küste von Nen-Jersey. Jene von Blue Point, in der großen
Bucht ans der Südseite von Long Island, gelten für die delikatesten.
Während wir in Europa die Austern nur frisch verzehren und
als Delikatesse betrachten, verwendet man sie in Amerika, eben
weil sie so billig und in so großer Menge vorhanden sind, in
mannigfacher Weise. Sie werden marinirt, zu Suppen verwandt,
gedämpft, gebraten, zu Pasteten und noch in anderer Weise benutzt.
Man kann in den „Austerhäusern" der großen Städte (in Neu-Iork
allein giebt es mehr als dreihundert solcher Restaurationen) Austern
in allen möglichen Zubereitungen haben. Eine gebratene oder ge-
kochte amerikanische Auster ist unserer europäischen vorznziehen. In
der warmen Jahreszeit dürfen Austern nur aus den Pflanzungen,
nicht von den Bänken genommen werden, und in den Oyster Honses
haben die Wirthe besondere Vorkehrungen getroffen, um durch Eis
eine solche Temperatur herzustellen, welche der Auster behagt. Die
Großhändler verkaufen den Büschel, der etwa 200 bis 250 Stück
enthält, durchschnittlich zu einem Dollar, also 1 Thlr. 12 Sgr.;
in den Austerhäusern zahlt man, je nach Beschaffenheit, von einem
halben Dollar bis zu dritthalb Dollars für das Hundert. Die Ver-
schickung findet in verschiedener Weise statt: entweder in der Schale
oder ohne dieselbe, marinirt und luftdicht konservirt. Die Schalen
benutzt man zur Düngung des Landes, zum Macadamisiren der
Straßen, zum Kalkbrennen. In Baltimore allein gewinnt man
aus dem Verkaufe der Austernschalen jährlich etwa 100,000 Dollars.
Der Austernkalk eignet sich vortrefflich für Wasserbauten.
Die Austernkultur ist in Nordamerika einfach und weit weniger
kostspielig als bei uns. Eigentliche „Parks" hat man nicht, wohl
aber Wasserbecken, welche abgedämmt sind, z. B. in Nen-Jersey
und Connecticut. Aber zumeist begnügt man sich, die Austern an
geeigneten Punkten an der Küste auszusäen, und man erzielt bei
diesem gar nicht mühsamenVerfahren vortreffliche Ergebnisse. Allein
die Thiere gedeihen nicht überall gleich gut; auf reinem Sande
z. B. wachsen sie langsam und werden nicht fett; im Schlamme
bekommen sie einen Übeln Geschmack und werden nicht selten erstickt;
am besten entwickeln sie sich in einem etwas schlammhaltigen Sande.
Im Brakwasser der Teiche oder im Ebbe- und Flntbereiche der
Strommündungen werden sie groß und fett, schmecken aber fader
als jene ans dem reinen Salzwasser.
Die künstlichen Austernbetten, denn so bezeichnet man sie,
Aus dem Kolonialleben Neuseelands.
93
werden bald so angelegt, daß sie immer vom Meere bedeckt sind,
oder auch, z. B. bei Boston, New-Haven, Wellfleet rc., derart, daß
sie manchmal bloß liegen. Am besten gedeihen sie, wie schon an-
gedeutet wurde, in Buchten, an Flußmündungen, deren Bett keinen
Veränderungen unterworfen ist; in salzigen Teichen, überhaupt an
geschützten Oertlichkeiten, wo die Strömung nicht zu reißend ist.
Man pflanzt nicht tiefer als so, daß bei niedriger Ebbe 15 Fuß
Wasser über dem Austernbett ist, gewöhnlich liegt dasselbe aber
nur ein paar Ellen unter Wasser, und man bezeichnet sie mit langen,
biegsamen Ruthenstäben, welche auch über die Fluthöhe hinaus-
ragen. Gewöhnlich ist ein „Bett" viereckig und hält 40 bis 60 Fuß
im Quadrat. Die Hafenpolizei ist angewiesen, strenge Wacht
zu halten.
Die Aussaat, das Anpflanzen, findet nach der Winterszeit
statt, vom März bis Mai. Dann holen viele Schiffe die Austern
ans der Chesapeakebay und vom Delaware rc., in Ladungen von
mehreren tausend Büschels, und bringen sie den Pflanzern, welche
das Ausstreuen sehr sorgfältig vornehmen. Dasselbe geschieht ver-
mittelst einer zwölfzähnigen Harke in ähnlicher Weise, wie bei uns
der Säemann sein Korn rundum answirft, und zwar ans ein
Bett ungefähr 50 Büschels. Manche sind schon drei Monate
nach der Aussaat gut und fett, denn auf den Pflanzungen können
sie sich freierund besser entwickeln als ans den heimatlichen Bänken,
wo sie enger und gedrängter beisammen liegen.
Die Austernkultur wirft einen sichern und bedeutenden Nutzen
ab, denn derselbe beträgt nicht selten 50 Procent.
Wir wollen zum Schlüsse hervorheben, daß man daran denkt,
auch noch andere Wasserthiere ans Nordamerika zu verpflanzen,
z. B. die Salzwasserschildkröte (Terrapinschildkröte, Emys
concentrica), die an den Strommündungen und in Brakwasser-
teichen lebt und vortrefflich schmeckt; sodann den amerikanischen
Hummer; er ist größer als unser europäischer, aber weniger
schmackhaft; mehrere Süßwasser-Schildkröten, z. B. die sehr
geschätzte rothbauchige (red belly); die große See-Forelle (Salmo
amethvstus) und den Weißfisch (Coregonus albus, Attihawmeg
der Odschibwä-Indianer). Agassiz meint, daß man die letzteren
vermittelst künstlicher Befruchtung bald in großer Menge haben
könne. So viel ist sicher, daß in unseren europäischen Gewässern
dieselben Bedingungen für das Gedeihen gegeben sind, wie in
den amerikanischen.
3Uts dem Kolomalleben Neuseelands.
Die deutschen Ansiedler in Nelson und ihre Schicksale.
Nelson bildet die nördliche Provinz der Südinsel im neu-
seeländischen Archipelagus, ist etwa 160 Miles lang und hat
eine Bevölkerung von etwa 16,000 weißen Bewohnern; die Zahl
der Maoris beträgt noch etwa 1000 Seelen. Die gleichnamige
Hauptstadt der Provinz liegt unter 411/2° S. Br., hat ungefähr
7000 Einwohner und wurde 1842 an der Blind-Vay gegründet;
das Klima ist vortrefflich.
Wir finden in Hursthonse's Werke über Neuseeland (London
1861, S. 148) eine Schilderung der Bestandtheile, ans welchen
die Bevölkerung der Stadt Nelson besteht. Da sind, sagt er, Kauf-
leute ans Liverpool, Handlungsgehülfen ans London, Aerzte ans
Dublin, Advokaten aus Leeds, Magister aus Cambridge, Lehrer
ans Oxford, Marineoffiziere aus Jersey, Invaliden ans Indien,
Gutsbesitzer ausLincolnshire, Schiffsbaner ausPortsmuth, Brauer
aus Brighton, ein Bischof aus Eton, Maurer aus Bath und so in's
Unendliche fort. In dem neuen jungen Kolonialleben stellt sich bald
ein eigenthümlichesGepräge heraus; wir sehen eine großeMaunich-
faltigkeit der Gesellschaft, keckes Auftreten, Wagniß und Origi-
nalität des Charakters; Alles drängt vorwärts, aber Alles ist noch
in den Altsängen. —
So der Engländer. Auch die Schilderung eines Deutschen
haben wir vor uns liegen. Herr Karl v on Döhren hat die Schick-
sale der deutschen Ansiedler in Nelson, wo er selber seßhaft zu sein
scheint, in der Australischen Vierteljahrsschrift dargestellt. Ton und
Behandlung sind nicht gerade hübsch, es ist leichtfertige, nach Witz
haschende Spielerei darin; wir haben aber nur wenig gestrichen,
weil wir dann und wann der Kolonialpresse, wie sie ist, das Wort
gönnen. Der aufmerksame Leser wird übrigens finden, daß auch in
Australien, wie in Amerika, sich ein deutsch-englisches Mischgequatsch
(denn so können wir wohl statt Jargon sagen) gebildet hat, das
an Californien und Pennsylvanien erinnert.
Doch Herr von Döhren möge selber erzählen:
Die ersten Schritte zur Kolonisation Neuseelands wurden im
Jahre 1839 von der New Zealand Company gethan, die durch
Agenten große Strecken Landes von den Maoris (Eingeborenen)
anfkanfte, um solche in London wieder zu verwerthen. Die Maoris
waren leicht zu bewegen, gegen einige Ballen wollener Decken, einige
Pfunde Schießpulver und ein Dutzend rostiger Gewehre ihre
schönen Küstenstrecken abzugeben, da sie mehr den augenblicklichen
Nutzen des Tauschhandels im Auge hatten als die späterbleibende
brüderliche Nachbarschaft John Bull's. Nachdem die Gegend um
Queen Charlotte Sound, Port Nicholson, später Wellington, so
wie Blind Bay, Nelson, von der Gesellschaft angekauft war, wurde
das Land zierlich auf Papier gemalt und als „Splendid agricul-
tural land" für 20 bis 30 Schillinge per Acre verschachert.
Natürlich kamen kleine Mißverständnisse vor, wie z. B. in
Nelson, wo eine Masse „Stadt-Land" mitten in der See
liegt, oder ganze Sektionen wegen des unergründlichen Sumpfes
nicht zu finden sind; aber diese unbedeutenden Abweichungen hin-
derten nicht den Verkauf des Landes in L 0 n d 0 n. Die Auswanderer
griffen in den Glückstopf der Landspekulation, und was Einer zu
viel an unfruchtbaren, steilen Kalkfelsen erhielt, wurde bei dem
Andern wieder durch schöne Gegend im kühlen Grunde gut gemacht.
Im Februar 1842 kamen die ersten Schiffe mit Auswanderern
in Blind Bay an, und groß war die Täuschung der armen Pioniere.
Hunger und Elend starrten ihnen in's Gesicht, wo sie ein blühendes
Land und lachende Pomeranzenbäume erwartet hatten.
Um das „Geschäft" in Gang zu bringen, hatte ein deutscher
Gelehrter, Dieffenbach, das Land im Aufträge der Kompagnie
durchforschen müssen. Sein Urtheil über die jetzige Provinz Nelson
war, der mächtigen Waldungen und der wilden Gebirge halber, nicht
sehr günstig in Bezug auf Ackerbau. Doch die Company wußte sich
zu Helsen. Dem Deutschen wurde das Manuskript abgekauft, die
Berge und Waldungen wurden ansgestrichen, Blumenduft und
Früchtegeschimmer nebst den nach „Bearbeitung" lechzenden Fluren
dafür eingeschoben und so das Buch dem hungrigen Publikum auf-
getischt! *)
Es geht nichts über eine richtige Behandlung. Wahrscheinlich
waren Blumenduft und frischer Waldgeruch von Blind Bay auch
bis nach Deutschland gedrungen, denn ein Gutsbesitzer, Graf
Rantzau, bekam Lust, sich unter dem Schatten der Orangenbäume
Neuseelands zu erholen. Er kaufte demnach einige tausend Acres
von der Company und schickte eine Anzahl Mecklenburger Tagelöhner
*) Dieffenbach war ehrlich und gab sehr bald seine Beschreibung von
Neuseeland unverstiimmelt in deutscher Sprache heraus. A.
94
Aus dem Kolonialleben Neuseelands.
unter der Leitung der Gebrüder Kelling nach Blind Bay, um
das „Gut" des Grafen nach mecklenburgischen Principien „be-
wirthschaften" zu lassen.
Zu gleicher Zeit bildete sich auch eine Gesellschaft in Ham-
burg, um „Güter" in dem gelobten Lande Neuseeland für Kauf-
mannsseelen herausznbüffeln. Diese Expedition unglücklicher
deutscher Bauern wurde unter den Befehl eines Schwindlers, den
wir Moses nennen wollen, gestellt, und dieser Gauner trieb sein
Geschäft so weit, daß er auf der Reise die „Opfer" in Ketten legen
ließ und drohte, sie als Sklaven zu verkaufen, wenn sie seinen
Befehlen nicht nachkämen. Glücklicherweise machte eine tüchtige
Tracht Prügel des Herrn Rentmeisters Standpunkt klar, und die
armen Leute hatten Ruhe.
Natürlich lief die Gesellschaft nach Ankunft sofort auseinander.
Der Herr Rentmeister begann Schäfchen zu scheeren, die ihm nicht
gehörten, und die Bauern liefen aus Hunger in die Berge, um wilden
Kohl zu suchen.
Der allgemeinen großen Noth abzuhelfen, ließ die N. Z. Com-
pany Wege und Brücken von den Ansiedlern bauen, doch dauerte
diese Hülse nicht lange, da die Company es bald darauf für an-
gemessen fand, sich bankerott zn erklären. Das Elend erreichte nun
den höchsten Grad, und wäre es nicht der wild gewordenen Schweine
halber gewesen, die Cook früher an's Land gesetzt, so hätte die junge
Kolonie elendiglich aus Nahrungsmangel zu Grunde gehen müssen.
Außerdem brach ein Streit mit den Maoris aus, und als im
Jahre 1843 unter Kapitän Wakefield eine Expedition nach der
Wairau ausgerüstet wurde, überfielen die Häuptlinge Ranparaha
und Rangihaiata die einige fünfzig Mann starke Kolonie der Eng-
länder, tödteten 17 Mann und schlugen den Rest in wilder Flucht
nach Nelson zurück. Das Ende der Kolonie schien nun gekoinmen,
und Angst und Verzweiflung trieb die Ansiedler in Schaaren nach
Adelaide.
Nur mit der Zeit und als man fand, daß die Maoris fried-
liebender sich zeigten als man anfangs glaubte, kehrten Ruhe und
Vertrauen allmälig zurück. Die Kolonisten, die bis jetzt meistens
nur als Tagelöhner für die Company gearbeitet hatten, fingen mm
an, für sich selbst das Land zu bebauen, und die ersten Spaten-
stiche in dem jetzt so blühendenWaimea-Distrikte wurdengethan.
Die Wirthschaft ans den „Gütern" hatte noch immer nicht
begonnen, weil Moses die mitgebrachten Provisionen noch nicht alle
bekommen hatte und weil das Kvhlsnchen in den Bergen lange
Zeit erforderte. Dazu kam, daß die Waldungen von 'Schweinen
und wilden Tauben wimmelten, und es behagte unseren lieben Lands-
leuten besser, auf die Schweins- und Taubenjagd zu gehen, als
für nichts auf den „Gütern" zn arbeiten.
So standen die Sachen, als die zweite Expedition deutscher
Arbeiter unter Leitung der Gebrüder Kelling eintraf. Bis jetzt
hatten die Engländer nur Gelegenheit gehabt, Rentmeister Moses
als Hallnnken und die deutschen Tagelöhner als Schweinejäger
kennen zu lernen, und es war demnach natürlich, daß die Herren
Kelling mit Mißtrauen und Kälte empfangen wurden. Doch diese
Herren, obgleich noch mit der englischen Sprache unbekannt, hatten
Mutterwitz und auch noch etwas Anderes von Hause mitgebracht.
Meister Schmalhans war Küchenmeister der Zeit in Nelson und
Erscheinungen wie eine volle Flasche Brandy rc., gehörten in den
Bereich der frommen Wünsche. Nun aber wollte es die Vorsehung
oder vielmehr der Herr Graf, daß sich am Bord des deutschen
Schiffes eine löbliche Gesellschaft geistvoller Flaschen, nebst einer
Sammlung Hamburger Nanchfieisch und westphälischer Schinken
befand. Die Herren Kelling öffneten ihre Brodbeutel und John
Bull Maul und Herz. Das Vornrtheil gegen den „Dutchmann"
verschwand, und der bessere Theil der englischen Kolonisten nahm
sich der deutschen Ankömmlinge an, und mit Lust und Hoffnung
ging es an die Urbarmachung des wilden Landes.
Freilich hatte es mit der Wirthschaft des „Gutes" seine
Schwierigkeiten. Die in Deutschland gegebenen Befehle konnten
in Neuseeland nicht ansgeführt werden, und aller Fleiß und alle
Sorgen der Herren Kelling, als Bevollmächtigte der gräflichen
Herrlichkeit, trugen wenig Früchte für sie und gar keine für die
arinen Arbeiter. Der Gras brummte und die Tagelöhner raisonnirten,
und das Ende vom Liede war, daß letztere davongingen. Der Graf
und die Hamburger Kaufleute mußten ihr Land mit Verlust ver-
kaufen. Doch mit der Vernichtung der gräflichen Hoffnungen gingen
keineswegs die Aussichten der deutschen Ansiedler zu Grunde.
Wir wollen sie vorläufig in den dichten Flachsbüschen zurück-
lassen und späterzusehen, was Zeit, Ausdauer und tüchtige Arbeit
aus ihnen gemacht hat. Noch kämpfen rüstig mit ihnen um den
Besitz des Landes Mangel, Sandsliegen und Mosquitos. Ihre
leichten Hütten von Manuka-Büschen beugen sich unter der Wuth
des Gewitterstnrms und ängstlich drückt die liebende Mutter den
kalten Säugling an die erwärmende Brust.
„Ach, wären wir daheim geblieben!" jammert sie.
Geduld, lieb Weibchen, Geduld! In zwanzig Jahren fährst
Du in der Kutsche! —
Wenn man von Wellington — dem langweiligsten und
windigsten Neste von ganz Neuseeland — durch Queen Charlotte's
Sound segelt und den gefährlichen French P aß glücklich durch-
schifft hat, so breitet sich Blind-Bay wie ein herrliches Panorama
vor den entzückten Blicken aus. Im weiten Bogen an der Nord-
seite durch CapeFarewell mit seinen weit auslanfenden Sandhügeln
eingeschlossen, bildet das kühn hervorragende S eparation Point
die engereGrenzezwischenBlind- und Massacre-Bay. Scharfe,
seltsam geformte Bergketten ziehen sich nach Süden bis zn den
Pelores-Gebirgen zurück, deren schneebedeckte Kuppen gar
herrlich aus der blauen Wolken hervorragen.
Im Mittelpunkte der Bay, von grünen, kegelförmigen Bergen
umgeben, die sich terrassenförmig über einander bis zn dem chrom-
und kupferreichen Due Mountain erheben, liegt das freundliche
Nelson. Zwischen lachenden Gärten und freundlichen Cottages
erhebt sich die englische Kirche auf einem mit Blumen und Gesträuch
bepflanzten Hügel, und wenn auch die hölzerne Nachbildung eines
gothischen Domes etwas traurig ausgefallen, so ist das Ganze doch
ein hübsches Bild. Das neue Gymnasium so wie die Gouverne-
ments-Gebäude sind imponirend und geschmackvoll.
Seiner geschützten Lage, seines gesunden Klimas und seiner
Blumen- und Obstgärten halber wird Nelson mit Recht das Eden
Neuseelands genannt.
Der Kontrast zwischen australischen Städten und Nelson ist
überraschend. Dort wogt und wühlt und treibt Alles durcheinander,
und jedem hastig Daherkommenden steht deutlich auf seiner wich-
tigen Geschäftsmiene geschrieben: „Um Gotteswillen, Kinder, macht
Platz, ich habe vor Mittag noch ein Achtel Prozent Kommission zu
verdienen." In Nelson übereilt man sich nicht so.
Auf einem eben vor seiner Thür abgeladenen Ballen sitzt
rauchend der Kaufmann, den Morgens nicht vor halb zehn Uhr
erscheinenden „Examiner" durchlesend. Der Leitartikel scheint ihm
zn gefallen; wie gewöhnlich enthält dieser eine fröhliche Aussicht
auf die baldige „Ausrottung" des ganzen Maori-Geschlechts, öder-
er denkt mit prophetischem Geist an die künftige Größe Nelsons.
Ruhe, Publichäuser, Gemüthlichkeit, Schaaren lärmender
Kinder, blühende Rosenbüsche, fette Milchkühe und schelmische
Frauengesichter trifft man auf jedem Schritt an. Trotz Gold,
Kohlen, Plumbago, Platina, Kupfer, Chrom, Eisen, Marmor
und Blei, die sich in der Provinz befinden, bleibt die Bevölkerung
ruhig und gemüthlich, läßt Metalle Metalle sein und ist zufrieden
mit dem, was ihr die liebliche Natur auf leichtere Weise bescheert.
In Nelson findet man nicht eine verschließbare Thüre, und
das liebe Franenvolk schwärmt so unschuldig in den milden Mond-
nächten umher, wie bei uns die Maikäfer! Das fehlte noch, daß
Kleine Nachrichten.
95
die wilden Söhne der australischen Goldfelder Abends die Spazier-
gänge unsicher machten! Nein, nein, Nelson hat ganz Recht, wenn
es „the development of the goldfields" als moralisches Nebel be-
trachtet, und die Hebung seiner mineralischen Schätze künftigen
Generationen überläßt!
Es ist gar hübsch, im freundlichen Nelson nmherzuschlendern,
wo jede Straße ein neues und überraschendes Panorama bildet.
Kleine schattige Thäler, eben breit genug, um einen Pfad, eine
sprudelnde Quelle, und kleine Häuser inmitten lachender Gärtchen
zu dulden, scheinen Verstecken zwischen den kegelförmigen Bergen
zu spielen. Nelson scheint eigens dazu geschaffen, um müden
Wanderern auf der Bahn des Lebens — vorausgesetzt, sie haben
sich vorher im staubigen Australien wenigstens 300 Pfd. St. Rente
erfochten — ein kühles, heimisches Plätzchen, selbstgebrantes
gutes Bier und, wenn sie allein kommen, niedliche Lebens-
gefährtinnen anzubieten.
Und dies ist der Platz, der vor zwanzig Jahren noch eine
Wüste war; — wo früher Furcht, Hunger und Mühseligkeit die
Leute plagte, da herrscht jetzt Ruhe und Wohlstand und — was
über Alles geht, — Zufriedenheit mit dem bescheidenen Loose.
Doch wir wollen sehen, was aus unseren deutschen Landsleuten
geworden ist. — Nachdem wir uns überzeugt, daß der beste
Dichter, der beste Arzt, der beste Sprachlehrer, der beste
Baumeister, der beste Tischler, der beste Weinbauer
und der beste Schneider in Nelson Deutsche sind, wollen
wir nach Ranzau hinansfahren, um nachznsehen, wie unsere
Freunde, die Herren Kelling und die verunglückte Hamburger Expe-
dition, sich befinden.
Ein Landsmann, dessen Bekanntschaft wir kürzlich gemacht,
hat uns einen Platz auf seiner „Bullocksdray" angeboten und auf
Ehrenwort versichert, daß er nur abont half a mile von dem
Hause des Herrn Kelling „dwellte." Wir seien „good friends"'
sagte er, und wenn Sie die deutsche „langnage speaken", so
wird er Ihnen als Gernian well aufnehmen."
Gerührt drückten wir dem braven Germanen die Hand, die
Peitsche flog knallend über die fetten Ochsen und mit der freund-
lichen Einladung: heave up, Major! setzte sich die Rumpelmaschine
in Bewegung.
„Ich habe Ihnen schon seit einigen Tagen in Nelson gesehen,
hob der gute Landsmann an, als wir in's Freie kamen, und mir
gleich erkundigt, ob Sie „Land purchasen" wollen? Mrs.
Brown sagte mir, daß Sie ein Frenchman aus Australien wären
und noch nicht „gemarried" hätten."
Wir waren natürlich der Mrs. Brown sehr dankbar für diese
Theilnahme, um so mehr, da der Landsmann erzählte, daß sie
eine junge Wittwe und recht hübsch sei. — „Nun will ich Ihnen
aber einen guten Advice geben, fuhr er zutraulich fort, — aber
haben Sie auch „Moneh" mitgebracht? setzte er forschend hinzu.
Unser Lächeln ob der naiven Frage sofort in ein Na ob! über-
setzend, fuhr er leiser fort: „Sie sein green hier in der Kolonie,
Sie müssen very cautions sein! Tranen Sie nobody, selbst
nicht Ihrem Bruder. Die Germans namentlich sein schlecht, be-
sonders gegen Deutsche, die noch keine colonial Experience
haben! Ich meine es gut mit Sie, und wenn Sie bei mir lodgen
wollen, so kostet Sie das blos ein Pfund per Week! Für sechs-
hundert Pfund verkaufe ich Ihnen eine Sektion von fünfzig Acres
und dann sein Sie gleich all right! Sie stoppen bei mir diese
Nacht und ich will Ihnen das Land morgen zeigen."
Der Landsmann war ein früherer Tagelöhner der Ranzau'schen
Expedition. Seine Verhältnisse haben mehr oder weniger An-
wendung auf sämmtliche Deutsche, die in Neuseeland uns Nichts
sich eine unabhängige Stellung erworben haben. Ihre Zahl ist
nicht unbedeutend. Außer in Ranzau und Waimea hat sich bei
Ho ly Busch eine deutsche Kolonie gebildet, und in der Mo uteri
ist die deutsche Bevölkerung bei weitem die überwiegende. Hier ist
auch eine deutsche Kirche und Schule unter der Leitung des
Pastor Heyne. Herr Karl Kelling vertritt den Distrikt in der
Provincial Council, während sein Bruder Fedor, der zugleich
Magistrat ist, einen Theil von Waimea repräsentirt.
In Bezug auf die Hülssquellen wollen wir erwähnen, daß
bis jetzt von den vielen Mineralien nur Gold, Chrom und
Graphit bearbeitet wird. Gold durch einige wenige Partien in
Massacre Bay, Wangapeka und an der Wüstküste, Chrom durch
die Due Montain Company und Herrn Hackett, und Graphit
durch die Herren Wiesenhavern und Weyergang. Die Mine der
Letzteren befindet sich in Pakawau, Massacre-Bay, und liefert eine
ausgezeichnete Qualität. — Für die Bearbeitung der außerordent-
lich reichen Kohlenlager, die oft 12 bis 17 Fuß dick erscheinen
und von besonderer Güte sind, fängt man kürzlich auch an Applika-
tionen bei der Regierung einzureichen. Doch wenn man nicht
bald Geld, Energie und Talent — wir entbehren besonders tüchtige
Geologen und Scheidekünstler — in die Provinz eiuführt, so hat
es mit dem Kohlen-Exportireu noch gute Wege.
Kleine U
Missionäre in Südafrika von den Makololo vergiftet. Wir
machten wiederholt darauf aufmerksam, daß David Livingstone die
Welt und sich selber in Bezug auf seine Baumwollen - und Missions-
hoffnungen schwer getäuscht hat. Die Nachrichten ans Südafrika
bringen dafür fast allmonatlich neue Belege.
Der verdienstvolle Reisende und sanguinische Missionär er-
wartete viel von seinen „guten Freunden", den Makololo, mit
welchen er zuerst in den Jahren 1851 und 1853 in nähere Be-
rührung kam. Sie sind der am weitesten nach Norden vorgerückte
Stamm der großen Betschuana-Völkergruppe; diese reicht
vom Oranjeflusse bis zum 18.° S. Br.; aber die Makololo haben
weiter nach Norden hin bis zum 14.° S. Br. Eroberungen gemacht,
und auf dieser Strecke von 4 Breitengraden schwarze Völker be-
zwungen; sie bezeichnen diese Neger'mit dem Gesammtnamen
Makalaka und verlangen von denselben Zwangsarbeit. Der
Schwarze wird von dem lohbraunen Feudalherrn, dem Makololo,
wie eine Art von Leibeigener behandelt, aber, wie überall in
Afrika, in milder Weise.
Die Hauptstadt dieser Makololo ist L i n y a n ti, etwa 18° S. Br.,
23° Ö. L., und dort traf Livingstone am 23. Mai 1853 ein. Der
Häuptling Seb ituane war damals ein Bursch von etwa achtzehn
a ch r i ch t e n.
bis zwanzig Jahren, und der Missionär schildert ihn als „einen
warmen Freund der Engländer". Aber schon der Empfang hätte
den Europäer Stoff zum Nachdenken geben können. Als der Häupt-
ling den Fremden „in königlichem Styl" empfing, ließ er ihm eine
Menge von Töpfen vorsetzen, die mit Boyaloa, dem im Laude
gebrauten Biere, gefüllt waren. Jede Frau, welche einen
Tops vor den weißen Mann hinsetzte, trank einen tüch-
tigen Schluck, um den Beweis zu liefern, daß das Bier
nicht vergiftet sei. Livingstone verweilte damals einen ganzen
Monat in Linyantl, weil er das Fieber bekam. Im Herbst 1855
war er abermals dort. Seine Schilderung der^Makololo zeigt,
daß diese Leute Barbaren in ähnlicher Weise sind, wie die ostafrika-
nischen Negroiden, von denen wir, nach Burton, in dieser Num-
mer eine eingehende Charakteristik gaben. (S. 73 ff.) Livingstone
gesteht ein, daß er zwar manches Jahr unter den Makololo gelebt
habe, sich aber doch keine klare Vorstellung von ihrem Wesen machen
könne. Wir glauben das gern, weil diesen lohbraunen Barbaren,
eben so wie den Schwarzen, der innere Zusammenhang fehlt; sie
sind ohne alle Logik. Der Missionär sagt: Manchmal verüben sie
sehr gute und manchmal sehr schlechte Handlungen; er sei aber nicht
im Stande gewesen, die Beweggründe für das Eine wie für das
96
Kleine Nachrichten.
Andere herauszubringen. Dann gelangte er aber doch zu der ricb-
tigen Ansicht, daß sie ein seltsames Gemisch von Gut und Böse
seien. Was wir Wohlthätigleit nennen, ist ihnen ein durchaus
unbekannter Begriff. Allerdings ereignen sich Fälle, welche schein-
bar ans Güte und Freigebigkeit deuten; aber der Reiche ist wohl-
wollend gegen den Armen, weil er von diesem Gegendienste er-
wartet. Einem armen kranken Manne, der keine nahen Verwandten
hat, reicht man nicht einmal einen Trunk Wasser; seine Leiche wird
nicht begraben, sondern zum Fräße für die Hyänen auf das freie
Feld geworfen. Kaltblütige Grausamkeit, gänzliche Fühllosigkeit
ist gar nicht selten, man läßt z. B. Sklavinnen verhungern.
Wir schicken dies voraus, weil es zur Erläuterung eines Be-
richts dienen kann, der von einer englischen Zeitung zu Port Natal,
den Cape and Natal News, mitgetheilt wird. JKuf Livingstone's
Rath und Antrieb hatten sich nämlich Missionäre zu den Ma-
ko lolo begeben; es ist ihnen aber nicht minder schlimm ergangen,
wie jenen,' deren Schicksal wir im vorigen Bande des Globus
(III, S. 185 ff.) erzählten.
Der Bericht ist datirt ans B othlethie und lautet folgender-
maßen: Seit meinem vorigen Schreiben haben wir vom Ngami-
See (20° S. Br.) einen Ausflug nach Westen und nach Norden hin
emacht, einmal um dem Fieber zu entgehen, sodann um unser
and mit der von Andersson am Okavango entdeckten Gegend in
Verbindung zu bringen. Wir fanden aber keine gute Gegend, denn
es mangelte an Wasser, und wir kehrten um, nachdem wir ein
paar hundert Miles gemacht hatten, zum großen Theil in einer
bis jetzt noch nicht erforschten Gegend.
Wir machten auf Elephanten Jagd, aber Einige von uns
wurden vom Fieber ergriffen und konnten nicht weiter vorwärts.
Baines und Barry sind jetzt so ziemlich wieder hergestellt, aber
noch sehr schwach; sie wollen demnächst nach den großen Victoria-
Katarakten aufbrechen. Wenn sich herausstellt, daß unterhalb
derselben ein Boot den Strom (Sambesi) hinabfahren kann, dann
wollen wir dort ein solches bauen, wenn nicht, suchen wir weiter
abwärts eine dafür geeignete Stelle ans und hoffen dann im No-
vember oder December nach Tete (—der bekannten portugiesischen
Niederlassung am Sambesi, dessen unterer Lauf dort beginnt —)
zu erreichen.
Am Kap (der guten Hoffnung) weiß man wohl nicht genau,
welchen kläglichen Ans gang die Mission bei den Makololo ge-
nommen hat; aber die schlimmsten Mittheilungen, welche Price
darüber gemacht hat, werden uns von Flüchtlingen bestätigt. Sie
erzählen, daß die Missionäre vergiftet worden seien und
man spricht darüber in Linyanti ganz offekk. Gegen die Ueber-
lebenden hat S ekele tu sich so schnöde benommen, daß er dadurch
ebenso sehr sich zum Verbrecher stempelt, als wäre er selbst Urheber
des Mordes.
Ganz dasselbe besagen Briefe, datirt vom Ngami-See, welche
Baines von Herrn Logier erhalten hat; sie sprechen über die Ver-
giftung des Geistlichen Helmore und seiner Familie. Der
Häuptling Leschulasahe hat Herrn Chapman eine herzbrechende
Schilderung über das unglückselige Loos der Missionäre gegeben.
Man schenkte ihnen einen Ochsen, aber es steckte ein schwarzer An-
schlag dahinter; das Bier, welches man ihnen reichte, war ver-
giftet; nachher wurde geplündert. Selbst wenn man an eine
Vergiftung nicht glauben will, so bleibt doch ausgemacht, daß
Sekeletu sich gegen die Unglücklichen, welche dem Tod entgegen
siechten, mit äußerster Grausamkeit benommen hat. Er selber be-
kam aber um jene Zeit einen Aussatz.
Baines hebt einen Zug hervor, welcher zeigt, wie die Ein-
geborenen über den Tod der Missionäre denken. Ein Bote des
Häuptlings sagte Herrn Chapman, die Engländer seien Feiglinge,
weil sie für den Tod ihrer Landsleute an Sekeletu keine Rache
nähmen. Chapman äußerte, Livingstonehabe gesagt, die
Missionäre würden gut behandelt, seien aber dem Fieber
erlegen. Darauf entgegnete der Bote die obigen Worte, und fügte
hinzu: „Ganz wohl; aber wenn Sekeletu Freund der Engländer
war, weshalb hat er ihnen denn ihren Wagen geraubt?" —
So weit der Bericht; wir wollen aber noch ein paar Bemer-
kungen hinzufügen:
Livingstone hatte die Makololo ermahnt, ihre Raubzüge ein-
zustellen. Sie sind aber trotzdem arge Räuber geblieben. Er wußte,
daß Jnnerafrika ein Fieberland und im höchsten Grad ungesund ist;
trotzdem behauptet er in seinem bekannten Reisewerke, das Innere,
namentlich das Land der Makololo, biete für den Philanthropen (!)
ein weit einladenderes Feld dar als die Westküste. Freilich gesteht
er auch zu, daß die Leute gar nicht nach dem Evangelium verlangen.
Was er ihnen von seinen Lehren zu vernehmen gab, hörten sie an,
erklärten es aber für „seltsame Dinge", und verstanden nicht, was
er wollte. „Wissen wir, wovon er spricht?" sagten sie, und Andere
äußerten: „Wenn wir Worte über andere Sachen hören, so können
wir sie behalten. Wenn du uns aber so wunderbare Dinge erzählst,
dergleichen wir nie gehört haben, dann wissen wir nicht, wie es sich
damit verhält, und sie laufen aus unseren Herzen weg." Livingstone
gesteht selber ein, daß „die Lehren gar keine merkbare Wirkung
hervorbringen; sie wenden nichts gegen dieselben ein, bleiben aber
ganz erstaunlich gleichgiltig und sagen: Wir verstehen
das nicht!" —
Die deutsche Sprache in Paris. Es ist sehr schlimm, daß
die vielen Tausende von Deutschen, welche in der Hauptstadt Frank-
reichs ansässig sind, nicht mehr Werth auf die Bewahrung ihrer
Muttersprache legen, als von Seiten so Mancher geschieht. Es ist
schimpflich und geradezu bedientenhaft, daß sie dieselbe aufgeben,
und daß die in Paris erzeugten Kinder oft nicht einmal geläufig
mit ihren Eltern reden können. Die deutsche Pariser Zeitung
schreibt darüber Folgendes:
„Die Sprache trennt gar bald die Kinder von ihren Deutschen
Eltern in Paris, und gewöhnlich, sobald erstere selbständig ge-
worden sind, ist die deutsche Sprache ganz vergessen, ja noch öfter
verstehen Kinder ganz deutscher Eltern kaum ein Wort deutsch,
und wissen dann beinahe ihren deutschen Familiennamen nicht mehr
richtig ausznsprcchen. Besonders sind es die wirklichen Deutschen,
welche auf diese Weise alles Deutsche an den Nagel hängen, während
die elsässischen und die schweizerischen Familien ihre Kinder oft
jahrelang in die Heimat schicken, um ihnen die deutsche Sprache
zu bewahren. Noch mehr aber sind es die Israeliten, welche die
deutsche Sprache gleichsam als Nationalsprache Pflegen. Ueberall
wo man in Paris einen Israeliten antrifft, kann man ihn herzhaft
deutsch anreden, und man wird immer verstanden werden. Die
Pariser und überhaupt alle französischen Israeliten stammen freilich
zunächst aus Deutschland, mit Ausnahme von wenigen Portugiesen;
aber manche Familien sind doch schon seit Jahrhunderten in Paris
ansässig — und sprechen noch immer deutsch." Nebenbei bemerkt,
sprechen auch die in Galizien und in Russisch-Polen lebenden Juden
fast ausnahmslos deutsch neben dem Polnischen.
Europäische Bienen in Australien. Die europäische Biene
wurde mit solchem Erfolg in Australien eingeführt, daß sie jetzt
bereits in großer Menge ttt allen Wäldern dieses Kontinents ver-
breitet ist. Die zahlreichen honigführenden Blüten von Xanthor-
rhoea, Eucalyptus und Banksia liefern den süßen Stoff, welcher
in hohlen Bäumen untergebracht wird. Die einheimische stachel-
lose Biene, welche nicht viel größer als eine Fliege ist, wird von
den fremden Eindringlingen gleichsam verdrängt, denn sie ist schon
sehr selten geworden, gerade wie die schwarzen Menschen ver-
schwinden. Eigenthümlich ist die Weise, wie die Eingeborenen ein
Bienennest aufzuspüren wissen. Sie brechen von einer gewissen
Kieferart ein Stückchen Rinde ab, das durch seinen Geruch oder
aus irgend einer andern Ursache die Bienen anzieht. Auf diese
Weise fangen sie eine und befestigen mittelst des klebrigen Blüten-
staubes, der sich an den Hinterschenkeln des Insektes befindet, ein
Häufchen sehr leichter Federdunen. Das so anfgeputzte Thierchen
ist weithin kenntlich; die Eingeborenen lassen es fliegen, folgen
seiner Spur und finden dann das Bienennest, dessen reicher In-
halt ihnen zur Beute wird.
Bulgarische Zeitungen. In bulgarischer Sprache erscheinen
jetzt nenn Zeitungen, und zwar vier politische, zwei belletristische,
zwei wissenschaftliche und ein Unterhaltungsblatt. Diese sind:
Dunavsky lcbed, der Donanschwan, redigirt von dem literari-
schen und nationalen Führer der Bulgaren Rakovsky in Bel-
grad. In Konstantinopel erscheinen: Blgarie; Carihradsky
vestnik (Konstantinopoler Bote); Povetnik (der Rath)
und Blgarsky knizici (bulgarische Bücher). In Brajlow an
der Donau erscheint: Blgarska xoola (die bulgarische Biene)
und die bulgarischen Studenten in Moskau geben eine Zeitschrift
Bratrsky tudec (brüderliches Bestreben) heraus. Eine phi-
lologische Zeitschrift, Uuboslovno spisanie, welche Totinov in
Smyrna herausgab, scheint keinen fruchtbaren Boden gefunden
zu haben und ging ein. Ein „Journal für Handel und Gewerbe",
Zumal za trgovia i zauajat, erscheint zu Philippopel inThracien.
Außerdem kommen noch in Odessa und Paris bulgarische Zei-
tungen heraus. Immerhin ein achtenswerther Anfang.
Ncgerbrauch. Im Lande Karagneh, westlich vom Nyanza-
See, werden junge Mädchen mit Milchbrei förmlich gemästet.
Männer dürfen nur süße, Frauen nur sauere Milch ge-
nießen.
Heransgegeben von KarlAndree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghansen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghauscn. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Ztiergeftchtr m Valencia im Jahre 1862.
Erster Artikel.
Cosas de Espana. — Zur Geschichte feer Stiergefechte. — Bullengefechte zu Ehren fees heiligen Kreuzes. — Päpstliche Dekrete gegen
feie Fiestas fee toros.— Veränderung im Charakter dieses Nationalvergnügens.Auftreten feer Picadores, Banfeerilleros, Chnlos
und Espadas. — Berühmte Kämpfer und Schriftsteller. — Vertheifeignng feer Stiergefechte. — Die Universität für Tauromachie zu
Sevilla. — Die Ganaderias und ihre Rasseneigenthümlichkeiten. — Abrichtung von Kampfbullen, und wie sie getrieben werden. —
Die Stiere im Corral. — Die Cnaferilla. — Obrigkeitliche Verordnungen. — Das Amphitheater und seine Einrichtungen. —
Einreiten feer Toreros. — Eine schöne Asicionafea. —
Man meint bei uns im germanischen Europa, es sei
in Spanien so ziemlich vorüber mit den Stiergefechten, und
jene blutigen Schaustellungen, welche den Spaniern ergötzlich,
uns aber als Barbarei erscheinen, gehörten nur noch zu den
Seltenheiten. Man giebt sich dem Glauben hin, daß der
Gang der neuen „Civilisation" auch auf der südlichen Seite
der Pyrenäen die Sitten mildere und abschleife. In gewisser
büchern kann man Beschreibungen darüber lesen. Nichts desto
weniger wollen wir, und zwar ausführlich, auf den Gegen-
stand eingehen und halten uns des Beifalls der Leser sicher;
denn wir folgen einem Gewährsnianne, den wir schon nach
Barcelona und Valencia geleitet haben, und fügen Bilder
hinzu, an denen Dorvs Genialität sich in markiger Weise
zeigt. Wir kürzen Davillier's Text allerdings etwas ab,
Beziehung ist das auch wahr. Alan hat keine Autos da fe
mehr, man verbrennt keine Juden und Ketzer, sondern sperrt
die letzteren nur auf zehn Jahre in's Gefängniß, wenn sie
ein Neues Testament gelesen haben; man hat Eisenbahnen
und Staatsschulden und hebräische Leute zu Gläubigern.
Das ist allerdings viel „ Civilisation “; aber man hat auch
Stiergefechte, und diese floriren gerade in unseren Tagen.
Sie sind schon oftmals beschrieben worden, selbst in Schul-
geben aber alles Wesentliche und verwischen keinen einzigen
Charakterzug.
Man bezeichnet jenseits der Pyrenäen allerlei Dinge,
welche dem Land eigentümlich sind, mit dem sprichwört-
lichen Ausdrucke Cosas de Espana, spanische Dinge,
Sachen, die, wie wir Deutschen sagen, uns spanisch Vor-
kommen. Zu diesen gehören ganz besonders die Stier-
gesechte, und die Liebhaberei an denselben bringt jeder Spanier
.W'f? 0
* A, rf
Eine Scene aus dein Stiergefecht in Valencia.
Globus IV. Nr. 4.
13
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Stiergesechte zu Valencia im Jahre 1862.
gleichsam mit auf die Welt. Die. Knaben spielen Bulle, wie
sie bei uns Soldaten spielen. Einer kriecht auf allen Vieren
und stellt den Bullen vor, ein anderer hat einen Stecken,
der die Pike vorstellt, reitet auf dem Rücken eines Kameraden
und ist Picador.
Wir untersuchen nicht näher, ob schon die alten Iberer
Stiergesechte hatten, oder ob sie durch die arabischen Eroberer
nach Spanien gekommen seien. Gewiß bleibt, daß schon der
Cid Campeador ein vollendeter Torero war. Im
Mittelalter durften bei großen Festen und Feierlichkeiten,
zum Beispiel bei fürstlichen Vermählungen, beim Einzug
eines Königs und dergleichen mehr, die Fiestas de toros
nicht fehlen, und dieselben sind von den Dichtern häufig
besungen worden. Der muselmännische Edelmann war für
dieselben eben so leidenschaftlich eingenommen wie der
christliche Hidalgo. Noch heute sieht man in Granada den
Bibarramblaplatz, auf welchem die Mauren kräftige Stiere
bekämpften, die sie aus den Gebirgsweiden bei Ronda ge-
holt hatten.
Der Kupferstecher Goya, der ein großer Liebhaber der
Stiergesechte, ein Asicionado, war, hat diese maurischen
Bullenkämpfe durch eine Reihenfolge schöner Bilder erläutert.
Man sieht, wie der tapfere „Mohre" Gasul einen Stier,
welcher gegen sein Pferd einrennt, mit der Lanze derart
durchbohrt, daß sie auf der andern Seite des Leibes heraus-
kommt; andere Mohren, in der Tracht unserer Maskeraden-
türken, aber mit grimmigen Gesichtern, verüben nicht minder-
kecke Thaten. Wir sehen auch Kaiser Karl den Fünften hoch
zu Roß, wie er auf dem Marktplatze zu Valladolid einen
Stier bekämpft. Das Fest war zur Feier der Geburt seines
Sohnes, Philipp des Zweiten, des düstern, fanatischen
Tyrannen, veranstaltet worden. Aber diesem schauderhaften
Könige behagte es mehr, Hekatomben von Ketzern abschlachten
zu lassen, als Rindvieh zu tödten.
Doch gerade zur Zeit dieses Menschenwürgers, um
die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts, erreichte die Leiden-
schaft der Spanier für die Stiergesechte einen hohen Grad.
Der Papst nahm Aergerniß daran, und Pius der Fünfte,
der eine Bulle zu Gunsten der Inquisition, also des Ketzer-
mordes, erlassen hatte, schleuderte eine andere gegen das
Abschlachten der gehörnten Bullen im Circus. In der That,
eine Humanität von eigenthümlicher Liebenswürdigkeit!
Dieser Pontifex wetterte gleichmäßig gegen weltliche wie
geistliche Stiertödter, aber gegen den Volksgeschmack richtete
er nicht das Mindeste aus. Denn trotz der Bulle erschienen
Abhandlungen in großer Zahl über Stierkämpfe und Ritter-
spiele (Gineta), in welchen alle Regeln der Reitkunst in
ihrer Anwendung auf Stiergesechte beschrieben wurden.
Damals bekämpfte man die Bullen zu Pferde, und die
Geistlichen nahmen eifrigen Antheil. Im Jahre 1626 wurde
in Madrid ein Stiergesecht abgehalten, bei welchem ein
Kardinal zugegen war. Damals regierte Philipp der Vierte,
„der Große, katholischer König von Hispanien, Herr von
Ost- und Westiudien, allezeit Mehrer des Reichs, der Fromme,
Glückliche und sehr Große." So nennt ihn eine Schrift, welche
1.631 gedruckt worden ist. Dieser König ritt als Torero
ans den Madrider Marktplatz, aus welchen die Ketzer zu
Tausenden verbrannt wurden und wo auch Stiere bekämpft
wurden. Beide „Lustbarkeiten" waren Lieblingsvergnügen
des Königs und des Hofes.
Der Jesuit Pedro de Guzman, welcher zu Anfang des
siebenzehnten Jahrhunderts schrieb, berichtet ausdrücklich,
daß zu seiner Zeit keine Stiergesechte abgehalten wurden,
bei welchen nicht zwei oder drei Menschen das Leben verloren;
oft aber mußte eine größere Anzahl in den Staub beißen.
Zu Valladolid wurde 1612 zu Ehren des heiligen
Kreuzes ein großes Bullengefecht veranstaltet,
bei welchem zehn Kämpfer todt auf dem Platze blieben. Guz-
man erklärt diese aragonischen Fiestas, d. h. Feste, öffent-
liche Lustbarkeiten, für eine „unnachahmliche Barbarei", und
fügt hinzu, es sei eine unbestreitbare Thatsache, daß in
Spanien alljährlich im Durchschnitt zwei- bis dreihundert
Menschen bei den Stiergefechten ihr Leben verlören.
Unter König Karl dem Zweiten stieg die Leidenschaft für
dieselben auf den höchsten Grad, aber seitdem die Bourbons
auf dem spanischen Throne saßen, geriethen sie in Verfall.
Philipp der Fünfte wollte von solchen Schaustellungen nichts
wissen, aber sie kamen nie ganz ab. Nach und nach gewannen
die Spanier wieder Geschmack an ihnen und in mehreren
Städternvnrden Plazo s de toros gebaut. Nun aber gewann
die Tanrvmachie einen ganz neuen Charakter. Früher hatte sich
ausschließlich der Adel an denselben betheiligt und zu Roß
den Bullen lediglich mit einer Lanze bekämpft. Von nun an
traten andere Leute in die Arena, nämlich die Picadores,
die Banderilleros, die Chulos und der Espada. Der
Letztere stellte sich zu Fuße dem Bullen entgegen, lediglich mit
einem Schwerte bewaffnet und mit der Muleta, d. h. einem
Stücke rotheu Zeuges, das auch wohl als Engano be-
zeichnet wird, das heißt Täuschung und Betrug, weil der
rothe Lappen dazu dient, die Aufmerksamkeit des Stieres
abzulenken.
Urheber dieser Art, den Bullen zu bekämpfen, war ein
Andalusier, Franz Romero ans Ronda; auch hat er zuerst
die Tanrvmachie als ein einträgliches Gewerbe betrieben.
Er unterrichtete seinen Sohn Johann in der neuen Kunst
und dieser erfand die regelmäßigen Quadrillen der Picadores,
Banderilleros und Chulos; er brachte System in die Sache.
Nach ihm kam Joachim Rodriguez, der in Spanien unter
dem Namen C o st illar es berühmt ist (Costilla heißt Rippe).
Er ist Erfinder der meisten jetzt üblichen Suertes, d. h.
Ausfälle mit dem Schwerte, Gänge, und erhob die Kunst
auf ihre gegenwärtige Höhe. Er regelte die Anwendung
der Muleta derart, daß der Bulle völlig in die Gewalt der
Espada und en sazon Para la muerte geräth, auf den
Punkt, daß er den tödtlichen Stoß empfangen muß. Früher
wartete der Espada ab, bis der Stier gegen ihn einstürmte
und sich selber aufrannte. Wenn ein Bulle aplomado,
schwerfällig und schwach, wurde, oder gar nicht angreifen
wollte, dann wurde er von irgend Einem durchbohrt ver-
mittelst einer langen Lanze, Punzon, oder man schnitt ihm
die Fußsehnen durch, wozu man sich der media luna, einer
halbmondförmigen Sichel, bediente, die an einer langen
Stange befestigt war. Das Alles erschien dem Costillares
zu roh, und um eine solche „Barbarei" ein- für allemal ab-
zuthun, ersann er den berühmten Suerte de volapiös
(a volapiö heißt ohne festen Tritt, ohne festen Boden zum
Auftreten), und von nun an war jeder Stier völlig in der
Gewalt des Mannes. Sevilla darf sich rühmen, Vater-
stadt des Costillares zu sein. Lange Zeit glänzte dieser
Torero als erster Stern am Himmel der Tauromachie,
dann aber bekam er eine Geschwulst an der Hand, wurde
unfähig zum Bullentödten und mußte fortan auf den Bei-
fall der Menge verzichten. Das aber ging ihm so sehr zu
Herzen, daß er in tiefe Schwermuth verfiel, an welcher er
dann bald nachher gestorben ist.
Auch Pedro Romero, Johann's Sohn, steht als ge-
waltiger Kämpe in hohem Andenken. Er war von herkuli-
schem Wüchse, voll von großem Selbstvertrauen und hielt
es für einen Ehrenpunkt, keinem Stier ausznweichen. Einst
hatte er am Schluß eines Gefechtes den letzten Stier abge-
than uud die Menge verlief sich schon. Da rief mau plötz-
lich: „Romero, rette Dich!" Er wandte den Kopf und sah
Stiergefechte zu Valencia im Jahre 1862.
99
dicht hinter sich einen Bullen, der eben, in Folge der Nach-
lässigkeit eines Wärters, aus dem Stall entsprungen war.
Die Lage Romero's war gefährlich und das geringste
Zaudern mußte verhängnißvoll werden. Bon Flucht konnte
nicht die Rede sein, denn er hatte keinen Vorsprung; nichts
blieb ihm übrig, als den Stier festen Fußes zu erwarten.
Das that auch Rvmero; er rannte dem Bullen das Schwert
so tief in den Leib, daß dieser sofort tobt zu Boden fiel.
Das Ganze hatte keine Minute gedauert, und der Beifall
für den unerschrockenen Torero war ungeheuer. Bei allen
Genossen war er ungemein beliebt, denn nie ließ er einen,
der in Gefahr schwebte, im Stiche. Als er im Jahre 1839
in seiner Vaterstadt Ronda mit Tod abging, hatte er auf
dem Sterbebette nachgewiesen, daß etwa 5000 Bullen durch
seine Hand gefallen seien!
Unter den Espadas unserer Tage wird Joseph Del g ad o „
gerühmt; unter dem Namen Pep e Jllo wurde er allgemein
bekannt. Er ist auch der erste Torero, welcher ein Werk über
die Regeln der neuern Tauromachie verfaßte. Aber als
Torero steht ihm gleich und als Schriftsteller ragt über ihn
hinaus der berühmte Mo nt es. Jllo vertheidigt in seiner
Abhandlung in charakteristischer Weise die Stiergefechte.
„Sie sind eine Freude für die Kinder und ein Jubel
für die Greise. Weichet von hinnen, ihr Schwachköpfe,
die ihr eine so edle Uebung als Barbarei verschreit! Die
Gründe gegen diesen Kampf entstammen lediglich der Furcht
und dem Neide. Man gehe doch nur einmal hin und be-
trachte sich ein Stiergefecht; dann wird die eigene Erfah-
rung sofort das System dieser schwächlichen Moralisten über
den Haufen werfen. Man wird mir wohl mit dem Ein-
wande kommen, daß dann und wann ein Torero das Leben
einbüße. Was will aber eine solche Entgegnung bedeutend
Giebt es überhaupt irgend eine Uebung, welche ganz frei
von Gefahren wäre? Ereignen sich nicht selbst bei Spielen
Unfälle? Sind bei Reiten und Schwimmen nicht unendlich
mehr Menschen nm's Leben gekommen als durch die Stier-
gefechte? In unserer Kunst haben wir es übrigens bis zu
einem so hohen Grade von Sicherheit gebracht, daß wir-
den Bullen so verächtlich behandeln, als wäre er
nur ein Schöps. Das Zeugnis; hat uns ein marokkani-
scher Edelherr gegeben, der jüngst in Cadiz ein Stiergefecht
mit ansah.
Pepe Jllo hat beim Ausüben seiner edlen Kunst un-
zählige Wunden davon getragen. Insbesondere hatte er
fünf und zwanzig Cornadas aufzuweisen, Stöße mit den
Hörnern, aber trotzdem war er stets der Mann auf dem
Platze. Aber der Vergleich zwischen dem Bullen und dem
Schöpse hielt nicht Stich, und seine Behauptung, daß die
Tauromachie ein ganz ungefährliches Ding sei, bewährte
sich gerade an ihm keineswegs. Aus der Plaza zu Madrid
ist er von einem grimmigen Stiere mit den Hörnern gepackt
und in grauenhafter Weise todtgestoßen worden.
Ein anderer berühmter Espada (— das Wort bedeutet
Schwert), FranzHerreraGuillen, steht hoch im Angedenken
der Asicionadvs und besonders auch der Aficivnadas.
Einst hatte er im Kanipfe schon mehrere Wunden davon ge-
tragen; nichts desto weniger erlegte er noch acht Bullen.
Aber auch sein Ende war beklagenswerth. Im Circus zu
Ronda in Andalusien sprach er eben mit einem Zuschauer,
da rannte von hinten ein Bulle auf ihn ein, bevor er die
Gefahr ahnte, und versetzte ihm einen so gewaltigen Stoß
an den Kopf, daß er mausetodt zusammenstürzte.
Vor dreißig Jahren herrschte eine fast wilde Leiden-
schaft für die Stiergefechte, und sogar Mönche „warfen ihre
Kutten in die Nesseln", um Toreros zu werden. Der Staat
erkannte die Tauromachie als eine sehr edle Kunst an; am
28. Mai 1830 erließ der König ein Dekret, demgemäß zu
Sevilla eine tauromachische Hochschule gegründet
wurde. Am Portale des Universitätsgebäudes prangt die
Inschrift: „Fernando VII, pió, feliz, restaurador,
para la enseñanza preservadora de la Escuela de
tauromaquia." Der König stiftete zwei Professuren; die
erste erhielt Peter Romero, die zweite Joseph Candido. Die
Schüler übten sich zuerst an hölzernen Bullen; beim zweiten
Kursus gingen sie in die Schlächtereien, um Studien nach
der Natur zu machen. Beim dritten Kursus stellte man
ihnen zweijährige Bullen entgegen, deren Hörner bewickelt
wurden. Ihre Prüfung bestanden sie durch ein ernsthaftes
Gefecht im Circus. Diese Universität ist übrigens wieder
eingegangen.
Der „Cäsar der Tauromachie", Franz Montes, trat
im Jahre 1832 auf. In ihm waren alle Eigenschaften
des Diestro, d. h. eines geschickten und gewandten Kämpen,
vereinigt. Seine Stöße trafen allemal sicher, die Zuschauer
hegten für ihn nie irgendwelche Besorgniß; der Volksglaube
meinte, daß Montos durch Blick und Bewegung die Stiere
lenken könne und über sie eine ähnliche Gewalt übe, wie
der Reiter über ein Schulpferd. Manuel Diaz, mit dem
Beinamen Labi, ging noch weiter in der Tollkühnheit, denn
er fiel auf die Knie und erwartete den anstürmenden Bullen
mit übereinandergeschlagenen Armen; zu rechter Zeit sprang
er dann auf und führte den tödtlichen Stoß. Dieser Mann
starb ruhig in seinem Bett.
Doch wir wenden uns nach diesen geschichtlichen Vor-
bemerkungen zur Sache selbst. Die Corrida de toros,
das Stiergefecht, ist für den Spanier, was für den Engländer
sein Sport. Schon Herkules fand in Spanien die berühm-
ten Stiere des Geryon, und noch heute weiden große
Heerden an den Ufern des Guadalquivir und Tamara.
Der Liebhaber, Aficionado, kennt jede einzelne Heerde,
Ganaderia, ohne daß er nöthig hätte, die Devisa der-
selben zu betrachten. Diese ist ein Bändchen, welches man
dem Stier um den Hals knüpft; es zeigt an, zu welcher
Casta, Rasse, er gehört. So erkennt man die Stirn aus
der Ganaderia gijona, welche dem Marquis von Casa Ga-
viria gehört, an dem rothen Bändchen; jene von Vista Her-
mosa in Andalusien tragen weiß und blau und andere haben
andere Farben.
Die Stiere jeder Casta haben verschiedene Vorzüge oder
Mängel. Jene von Salvatierra sind tapfer und flink, ver-
theidigen sich wacker, allein ihr Feuer hat keine Ausdauer
und man darf sie nicht zu lange bekämpfen. Die von Gijon
sind anfangs ungemein flink, werden aber bald aplomados.
Ausgezeichnete Bullen kommen aus der Ganaderia von Col-
menar viejo, das einige Meilen von Escurial entfernt liegt,
aber für die besten gelten jene von Vista Hermosa.
Gewöhnlich liegen die Stierweiden weitab von allen
Wohnungen. Der Bulle sieht selten einen andern Menschen
als den Vaquero, den Hirten, und kann als nahezu wild
betrachtet werden. Man hält sehr viel auf die Reinheit der
Casta, aber nicht jeder Stier eignet sich zu Zwecken der
Tauromachie. Unter den Hirten ist allemal einer, welcher
als Kenner bezeichnet wird, el Conocedor; dieser stellt mit
jedem einjährigen Bullen eine Prüfung an und verfährt da-
bei in folgender Weise. Er besteigt ein kräftiges Roß,
sprengt gegen den Stier an und versetzt ihm Lanzenstiche,
um zu sehen, wie das Thier sich mache. Läuft es fort oder
ist es nicht lebhaft genug, dann wird es für unwürdig er-
klärt, dermaleinst den ruhmreichen Tod im Circus zn sterben;
es muß ein Ochse werden und geräth in die Hände des
Fleischers. Findet aber der Conocedor die gewünschten
Eigenschaften, dann erhält der junge Bulle die Herradura,
Stiergefechte zu Valencia im Jahre 1862
102
Stiergefechte zu Valencia im Jahre 1862.
das heißt, man brennt ihm ein Zeichen ein und er wird ,
nun zu einem Novillo. Als solcher hat er allerlei Prü-
fungen zu bestehen; da er aber schon gefährlich zu werden
anfängt, so befestigt man ihm umwickelte Kugeln an beit
Hörnern, und er ist dann embolado. Nachdem er sich
wacker gezeigt hat und die Hoffnungen, welche man von
feiner Begabung hegte, nicht täuschte, erklärt man ihn für
einen Toro de mnerte, einen Bullen, der würdig sei,
einen edeln Tod zu sterben. Man veranstaltet Gefechte mit
den Novillos, um sie an den Kampf zu gewöhnen, und der-
gleichen Novilladas sind in kleinen Städten sehr beliebt.
Ein Toro de mnerte muß fünf Jahre alt geworden
sein, bevor er für tüchtig genug gilt, um in einer Corrida
zu siguriren. Dann kommt es zunächst darauf an, eine
Heerde solcher wilden Bullen nach der oft sehr weit ent-
fernten Stadt zu treiben, und das bleibt immer eine ge-
fährliche Sache, welche ohne Beihülfe der Cabestros gar
nicht auszuführen wäre.
Die Cabestros sind sehr große, gewöhnlich hell-
farbige Ochsen mit gewaltigen Hörnern, aber sehr zahm.
Sie weiden in Gemeinschaft der Bullen, die von früher
Jugend an sie gewöhnt sind und ihnen gelehrig folgen.
Man treibt die Stiere am liebsten bei Nacht, weil man als-
dann weniger Gefahr läuft, daß sie durch irgend einen be-
liebigen Gegenstand beunruhigt oder in Wuth versetzt
werden. Die Cabestros gehen voran und die Baqneros
reiten nebenher. Wer Nachts einem solchen Zuge begegnet,
wird lebhaft an eine Schilderung im Don Quixote erinnert,
der in seiner romantischen Narrheit mit einer solchen Ganada
anband und, wie billig, über den Haufen gerannt wurde.
Die Treiber halten in der Nähe der Stadt eine kurze
Rast und führen am Abend vor dem Gefechte die Stiere
nach der Plaza zum Encierro, zur Einsperrung. Dort
kommen sie zunächst in den Corral, Stall; nachher schafft
man sie zum Apart ad o, dem abgesonderten Verschlage;
dieser wird als Toril bezeichnet, ist eine enge Zelle und in
dieser bleibt der Stier, bis er zum Kampf in die Arena ge-
lassen wird. Der Apartado, das Absperren, geschieht
mehrere Stunden vorher, und die Aficionados benutzen die
Zeit, um die verschiedenen Kampfbullen zu besehen und ihr
Gutachten zu äußern, ganz in ähnlicher Weise wie die Reiter
vor dem Wettrennen der Pferde es zu machen pflegen.
Die Bullen liefern sich im Corral einige kleine Schar-
mützel, bis die friedlichen Cabestros eingetrieben werden.
Vermittelst derselben werden jene in den Toril gelockt, und
diese Arbeit des Apartado währt oft stundenlang.
In Madrid findet von Ostern bis Allerheiligen an
jedem Montag ein Stiergefecht statt, in den Provinzial-
städten meist an den Hauptfesten, aber nicht zur Winters-
zeit, weil die Kälte dem Bullen viel von seinem Feuer nimmt.
Ohnehin müssen die Zuschauer im Freien sitzen, und ans
der kaftilischen Hochebene ist es im Winter so kalt wie im
Mittlern Europa. In Valencia dagegen und in Andalu-
sien, z. B. in Sevilla, hält man auch im December Stier-
gefechte ab.
Fast jede irgend bedeutende Stadt hat ihre Plaza de
toros. Gewöhnlich ist solch ein Amphitheater Eigenthum
der Stadt oder irgend eines Hospitiums und wirft einen
guten Nutzen ab. Man verpachtet es an einen Asentista,
Unternehmer, der sein Geschäft in ähnlicher Weise betreibt,
wie der italienische Impresario das seinige. Eine Corrida
erfordert manchmal einen bedeutenden Kostenaufwand; das
Pachtgeld für die Plaza in Madrid kostet für jedes einzelne
Stiergefecht siebentausend Francs und dazu kommen noch
die Kosten für die Bullen, von denen manche mit 150 bis
200 Thalern bezahlt werden.
Gewöhnlich sind sechs bis acht oder neun Stiere dem
Tode geweiht, manchmal auch mehr. Die Pferde, welche
man opfern muß, sind Mähren, die mit höchstens zehn
Thalern bezahlt werden; aber man bedarf bei jedem Gefecht
zwei bis drei Dutzend solcher abgelebten Gäule.
Neben den Bullen sind die Stiertödter Hauptpersonen.
Die Truppe solcher Toreros heißt eine Cuadrilla und
wird gut bezahlt, je nachdem sie mehr oder weniger berühmte
Leute unter sich zählt. Manchmal übernimmt der erste
Espada die ganze Cuadrilla, Picadores, Banderilleros
und Chulos, und schließt einen Vertrag mit dem Asentista.
Ein anständiges Bullengesecht erfordert eine Kostenauslage
von vier- bis sechstausend Thalern, bringt aber doch eine
hübsche Summe ein, weil die Preise hoch sind und die
Amphitheater zehn- bis sünfzehntausend und noch mehr Zu-
schauer fassen. Die größten Plazas in Spanien sind jene
zu Acres de la Frontera, Madrid und Valencia.
Einige Tage vor dem Gefechte sind die Mauern und
Straßenecken mit riesigen Anschlagzetteln beklebt, auf welchen
ein ausführliches Programm der Corrida zu lesen ist. Es
führt die Namen der Toreros und der Bullen auf, und aus
welchen Ganaderias dieselben stammen. Daneben enthält
dasselbe allerlei Bemerkungen, die als Beiträge zur Sitten-
geschichte gar nicht unwichtig sind. Wir wollen unseren
Lesern solch ein Programm mittheilen. (S. 103).
Außerdem werden auch kleine Zettel an die Zuschauer
vertheilt, auf denen sich weiße Columnen befinden. Diese
füllt der Liebhaber aus, indem er mit Nadelstichen verzeichnet,
wie viel Pikenstöße jeder Stier erhalten habe, wie oft ein
Picador vom Pferde gefallen ist, wie viel Rosse todt auf dem
Platze blieben, wie viele Banderillas dem Bullen angeheftet
wurden, wie viele Schwertstiche er erhalten hat und der-
gleichen mehr. Der ächte und rechte Aficionado führt eine
genaue Statistik über Alles was vorgeht, und solch ein Pro-
gramm, Estado, das mit Nadelstichen übersäet ist, bewahrt
er sorgfältig auf. Bei dem Stiergefechte, das am 7. Oktober
1862 zu Valencia abgehalten wurde und etwa zwei Stunden
dauerte, ereignete sich während der Funcion, „Verrichtung",
Folgendes: 8 Stiere kamen nach und nach in den Circus; j
31 Pferde wurden getödtet oder schwer verwundet; die Stiere
bekamen zusammen I I2 Pikenstiche; die Picadores wurden
25 Mal vom Pferde geworfen; es wurden 241/2 Paar Ban-
derillas angeheftet; 61 Mal wurde ihnen die Muleta vor-
gehalten. Bei den Festen in Madrid 1833 wurden in
einer einzigen Woche nenn und neunzig Stiere ge-
tödtet und dreihundert und achtzig Pferde blieben
auf dem Platze!
Betrachten wir uns nun die Einrichtung des Amphi-
theaters, welche überall so ziemlich dieselbe ist. Die Arena,
der Circus, das Rundtheil, el Redondöl, bildet einen kreis-
runden Raum, der mit feinem Sande bedeckt wird, damit
die Kämpfer nicht ausgleiten. Ringsum läuft eine etwa
mannshohe, blutroth angestrichene Bretterwand. Auf beiden
Seiten dieser Bretter, der Tablas oder Tableros, läuft
ein vorspringender Fußtritt, damit die Toreros mit einem
Satz über die Wand hinüberspringen können, falls der Bulle
ihnen zu dicht auf den Fersen ist. In den Tablas befinden
sich in angemessenen Zwischenräumen Thüren mit Doppel-
flügeln. Die Hauptpforte steht mit dem Toril in Verbindung
- und jeder Stier muß dieselbe passiren; die anderen werden
zu allerlei verschiedenem Behufe benutzt. Um den ganzen
Circus herum, zwischen den Tablas und den Barrieren des
Zuschauerraumes, geht ein Lanfgang, die Balla, auch
Callejon genannt; dann beginnen die stufenförmig über-
einander sich erhebenden Sitze der Zuschauer, theils von
Holz, theils von Stein. Vom ersten Rang aus kann der
»
Stiergefechte zu Valencia im Jahre 1862.
103
Aficionado Alles genau sehen und sogar den Stier berühren,
falls dieser die Tablas übersprungen hat. Aber bis ans die
Zuschauersitze kann er nicht gelangen, weil ein starkes Tau
ihm im Wege ist. Wegen dieser Seilschranke bezeichnet man
die Plätze des ersten Ranges als Delanteras de cuerda
oder barrera, auch wohl als Barandillas, d. h. kleine
Geländer. Die Plätze unmittelbar über oder hinter den
Delanteros heißen Gradas, Stufen, Bänke; die noch
f-
einläßt, also den Circus nicht verpachtet, sondern die Sache
selbst in Betrieb genommen hat. Auf solche Weise hat die
Wohlthätigkeitsanstalt größern Profit.
Wir bestellten, sagt Davillier, zwei Tage vorher Plätze
in den Delanteras de barrera, und betrachteten uns in aller
Muße die Einrichtung der Plaza, das herrliche Amphitheater,
das ohne Frage das herrlichste in ganz Spanien ist. Endlich
kam die Cuadrilla, und es war uns sehr erwünscht, daß
Maza de Toros.
Bei günftiger Witterung
wird stattfinden am Sonntag Nachmittag
Ein außerordentliches Sliergefecht.
Der Herr Bürgermeister führt den Vorsitz.
Acht
werden bekämpft, aus folgenden (Z
Stiere.
gwec .
Drei .
Einer
Zwei .
Stiere
»anaderias, mit folgenden Devisen:
Ganadcrias. Woher. Devisos.
Don Vincente Martinez.Colmenar viejo . . . Granat.
Don Manuel Garcia Lopez . . . Colmenar viejo . . . Roth und gelb.
Des Herrn Marquis de la Conqnista. Trujillo..........Roth und grün.
Don Ventura Diaz.............Cerceda.................Granat und gelb.
ü ä m p s e r.
Picadores: Calderon cl Pinto, der Brave, mit drei anderen in Reserve. Im Fall dieselben unbrauchbar werden,
bat das Publikum keinen Anspruch, andere zu verlangen.
Espadas: Cagetano San;, Jose Rodriguez (Pepete) und Antonio Sanche; (El Tato).
Das Apartado findet um Mittag aut der Pta;a statt.
Von Seiten der Obrigkeit wird dein Publikum Folgendes kund und zu wissen gethan:
1. Es ist den Zuschauern der verschiedenen Plätze verboten, einander zu beleidigen oder irgend Jeman-
den wegen seiner Kleidertracht zu verspotten. Auch darf kein Zuschauer dem andern zumuthen, daß er sich
irgend eines seiner Kleidungsstücke entledigen solle.
2. Es ist verboten, in den Circus Orangen hinunterzuwersen, oder Rinde, Steine, Knüttel oder irgend
etwas Anderes, das den Kämpfern hinderlich werden könnte.
3. Nur die Arbeiter, welche durch ein besonderes Abzeichen kenntlich sind, dürfen sich zwischen den
beiden Schranken aufhalten. Bevor der letzte Bulle aus dem Circus entfernt worden ist, darf Niemand die
Stufen hinabsteigen.
4. In jeder Loge dürfen nur zehn Menschen sitzen, weil sonst leicht ein Unglück passiren könnte.
5. Hunde kommen nicht zum Gefecht; man wird sich brennender Banderillas bedienen.
6. Das Publikum hat kein Recht, die Bekämpfung von mehr Bullen zu verlangen, als im Programm
angegeben sind.
Einlaß um 1 Ahr. Das Gefecht beginnt um 3 Ahr.
Vor dem Beginn und während der Pause spielt Militärmnsik.
höheren Tendidos, Gerüste. Diese letzteren sind schon
billig. Die Tab loncillos sind Sperrsitze, und die Pal cos
verdeckte Logen.
Je nachdem die Plätze Sonne oder Schatten haben,
heißen sie Asientos de sol oder de sombra; auch giebt es
eine Zwischenklasse, welche während des Stiergefechts eine
Zeitlang Schatten und eine Weile auch Sonne hat. Die
Sonnenplätze kosten nur halb so viel wie die Schattenplätze.
In Valencia gehört die Plaza de Toros dem geistlichen
Hospitium, dessen Verwaltung sich nicht mit den Asentistas
sie in unserm Gasthofe zur Hoffnung, der Fonda de la
Esperanza, Herberge nahm. Als Toreros bezeichnet man
alle Leute, welche irgendwie am Stiergesechte theilnehmen,
die Ausdrücke Toreador und Matador sind dafür in
Spanien selbst nicht üblich.
Der Torero ist fast durchgängig ein Andalusier, und
ist er etwa kein solcher durch Geburt, so wird er es bald
durch Umgang mit seinen Genossen. Denn Andalusien gilt
mit vollem Rechte für den klassischen Boden der Tauromachie,
und der Torero trägt immer, auch wenn er nicht im Circus
t
Stiergefechte zu Valencia im Jahre 1862.
Der Picador Calderon.
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106
Die Leute im Laude Oldenburg.
beschäftigt ist, die in jener Provinz übliche Kleidertracht: j
den Sombrero calanes (calana heißt Muster, Modell),
das heißt den Filzhut mit aufgeschlagener Krampe; den
Marselles, kurze, reich gestickte Jacke, und die Faja, den
breiten seidenen Gürtel. Dazu kommt im Winter der Ca-
pote, ein Tuchmantel, der mit granatrothem Sammet ge-
füttert ist. Ganz besonders charakteristisch ist aber die
Coleta, ein fingersdicker und eine halbe Spanne.langer
Haarzopf, der auf den Nacken hinabhängt. Der Torero
läßt ihn wachsen, um daran die Mona zu knüpfen, einen
Chignon von schwarzer Seide, der eben so wenig fehlen
darf, wie ein zierlich gefalteter Bufenstreif, ein Jabot.
Die Toreros führen ein Wanderleben, denn sie ziehen
von einer Stadt zur andern. Sie sind lustige Gesellen,
lieben Prunk und lockeres Treiben, sind, wie sie selber sich
ansdrücken, Freunde de rumbo y de trueno (— rumbo
heißt Pracht, Prunk, großmüthige Freigebigkeit; trueno
Knall oder Donner —), trinken den besten Jerezwein und
rauchen ächte Havanacigarren. Das Geld, nicht selten
durch Wunden und Blut erworben, rinnt wie Wasser durch
ihre Hände.
Endlich war der große Tag der Corrida gekommen,
ein Sonntag, an welchem Jeder freie Zeit hatte. Die Sache
versprach sehr glänzend zu werden, denn zur Cuadrilla ge-
hörten die „ersten Männer Spaniens". Da war Antonio
Sanchez, zubenamset el Tato und jetzt der erste Espada
der Welt; da war auch Calderon, ein gewaltiger Picador,
desgleichen man seit den Tagen des Cid nicht gesehen, und
endlich el Gordito, ein so kecker Banderillero, wie nur je
einer den Circus betreten hat.
Wer eine spanische Stadt nicht am Tage eines Stier-
gefechts gesehen hat, kann sich keine Vorstellung von dem
Leben und Treiben bei einer so festlichen Gelegenheit machen.
Alle Welt ist in einer Art von fieberhafter Aufregung. Leute
kommen, gehen, drängen sich durch einander, holen Einlaß-
zettel, stehen in Gruppen beisammen; man hört das Ge-
klimper von Guitarren und Zithern; die Landleute strömen
zu Roß und zu Fuß herbei, und es war, als ob alle Be-
wohner des Gartenfeldes nach Valencia hereingeströmt
seien. Die Labradoras der Huerta halten ihren besten Gold-
schmuck angelegt und schritten stolz und selbstgenügsam ein-
her. Wir betrachteten die Schönen mit Vergnügen.
Da erhebt sich plötzlich der Ruf: „Calderon kommt!"
Und der Picador, ausgeputzt, wie es sich für einen großen
Tag und für eine große Gelegenheit gebührt, reitet um
die Ecke und kommt in Sicht. Die Menge rennt ihm ent-
gegen und schreit: Ole, holla, Senor Calderon! Man
schwenkt die Hüte und Jeder will ihm die Hand geben. Daun
kommen noch vier andere Picadores, und die Menge wird
so dicht, daß jene hintereinander reiten müssen. Wir folgen
der Masse und gelangen mit ihr zum Amphitheater, das im
Glanz einer blendenden Sonne gleichsam schwimmt, sitzen
nach etwa fünf Minuten im ersten Rang und harren der
Dinge, die da kommen sollen.
Zunächst nahm freilich eine schöne Valencianerin un-
sere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie war eine eifrige
und feurige Aficionada, eine gründliche Kemierin alles
Dessen, was beim Stiergefechte von Belang erscheint, und
machte uns auf viele Einzelnheiten aufmerksam, die uns
sonst wohl entgangen wären.
Die Leute im Lande Oldenburg.
Man hört im übrigen Deutschland nicht viel von dem
Winkel zwischen Unterweser, Nordsee und Ostfriesland. Seine
Bewohner haben ein ruhiges, zufriedenes Dasein, dazu eine
verständige, gute Regierung, mit welcher sie in Frieden leben,
finden Spielrauni für jede gesunde Entwickelung und sind ver-
schont von den Plagen, über welche man in anderen Theilen
des großen Vaterlandes so viel zu klagen hat. Oldenburg
kennt keine bevorrechtete Kaste und keinen Standesdünkel,
keinen kirchlichen Fanatismus, keine Reactionäre und keine
Demagogen. Es ist ein ganz gesundes Land und bescheidet
sich gern dabei.
Glänzende Seiten fehlen dem Land allerdings; es ist
eineni recht achtbaren bürgerlichen Haushalte zu vergleichen
und befriedigt sich auch dabei. Es hat keine Romantik, außer
jener, die vom Meer unzertrennlich ist; mit diesem kämpft
es. Die Nachkommen der alten Sachsen und Friesen haben
von jeher tapfer mit Wetter und Wogen gerungen, und
sind in dem Streite mit den wilden Elementen Meister ge-
blieben. Diesen haben sie die Sicherheit ihres Landes ab-
gewonnen. Die Fluß- und Seemarschen in nnserm deutschen
Nordwesten sind schon im sechsten Jahrhundert theilweise be-
deicht, gegen die Meeresfluten gesichert und diesen mühsam
entrissen, und seit anderthalb Jahrtausenden ist diese Arbeit
niemals unterbrochen worden. Auch heute noch gewinnt man
dem Meere Groden und Polder ab und schützt Land, das
einmal für den Anbau erobert worden ist, mannhaft, aus-
dauernd und oft mit Gefahr von Leib und Leben. Hermann
Al lm er s, ein Mann altfriesischen Stammes, hat davon präch-
tige Schilderungen entworfen, und unsere Leser kennen dieselben
(Globus I. S. 145). Die Deiche sind Schutz und Schirm
für das Land, deswegen ist in den Chroniken stets sorgsam
ausgezeichnet worden, wann und wie man Groden eingedeicht,
Siele angelegt, Tiefe schiffbar gemacht hat; Deichordnungen
und Sturmfluten spielen eine hervorragende Nolle.
Die „Feste Oldenburg" wurde im Jahre 1150 von
Heinrich dem Löwen gebaut; er übergab sie seinem Vasallen
Christian dem Ersten. Der gräflich oldenburgische Stamm
erlosch im Jahre 1667; von da an bis 1773 stand Olden-
burg unter dänischer Regierung. Diese schloß in dem letzt-
genannten Jahre einen Vertrag mit dem Hause Holstein-
Gottorp, das in Rußland herrschte und seine Ansprüche an
Holstein gegen die Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst
vertauschte und die Regierung mit voller Landeshoheit auf
Friedrich August, Herzog von Holstein -Gottorp und Fürst-
bischof von Lübeck, übertrug.
Das Großherzogthum besteht aus dem Stammland
an der Nordseeküste, zwischen Weser und Ems, dem Fürsten-
thum Lübeck (mit Eutin) im östlichen Holstein, zum Theil
an der Ostsee und im Gebiete der Trave, und dem rheinischen
Fürstenthume Birkenfeld, im Nahegebiet, am Südabhauge
des Hunsrück. Wir fassen nur die Bewohner des erstern
in's Auge.
Vor wenigen Wochen ist eine „Topographisch-statistische
Beschreibung des Großherzogsthums Oldenburg von K. G.
Böse" in Oldenburg bei G. Stalling erschienen, eine fleißige
Arbeit, die einen sehr guten Ueberblick giebt und genaue
Die Leute im Lande Oldenburg.
107
Einzelnheiten über alle Landesverhältnisse bringt; den olden-
burgischen Menschen hat ein landes- und volkskundiger Arzt,
Or.J. Goldschmidt, schon 1847 geschildert („DerOlden-
burger in Sprache und Sprichwort"). Auf den Wanderungen,
welche wir vor fünfzehn Jahren im Lande gemacht, haben
wir Goldschmidt's Darstellungen sehr zutreffend gefunden,
und jüngst lasen wir sie mit neuem Vergnügen wieder durch.
Der Oldenburger, das Volk, redet sassich-niederdeutsch,
„plattdeutsch", wie man im gemeinen Leben zu sagen pflegt.
Die Mundart im eigentlichen alten Herzogthume, dessen
Bewohner protestantisch sind (jene in den ehemals münster-
schen streifen Kloppenburg und Vechta bekennen sich vor-
wiegend zur katholischen Kirche), entspricht durchaus dem
ruhigen, phlegmatischen, geistig etwas trägen Wesen der
Oldenburger. Hochdeutsch ist die Umgangssprache nur bei
der höher gebildeten Klasse, aber Jedermann kann plattdeutsch.
Der oldenburgische Plattdeutsche vermeidet gern Alles,
was nur irgend Anstrengung der Sprachwerkzeuge erfordert,
alle schwer auszusprechenden, scharfen Mitlauter und auch alle
Härten. Das ist überhaupt kennzeichnend für das Sassische.
In meiner frühen Jugend lobte mir mein Großvater
in Braunschweig unsere heimische Mundart, und machtemir
den Gegensatz durch einen Vers klar, den ich ihm wiederholen
mußte. Es war der Schluß eines Gedichts, dessen übrigen
Inhalt ich längst vergessen habe. Er lautete:
„Drum Piper prp up, sägt de plattdüdsche Manu.
Nun Pfeifer pfeif auf, schpricht der hochteutsche Manu/'
Das Plattdeutsche wirft namentlich das p f weg; es
sagt Perd, Pund, Pepper, Pipe, statt Pferd, Pfund
Pfeffer, Pfeife; es ersetzt den Gurgellaut ch durch das
bequemere k, und sagt Sake statt Sache, Blekk statt Blech,
Pok statt Pech. Es wirft, gleich den Skandinaviern, Angel-
sachsen, Holländern und Vlamingen, den Zischlaut sch weg
und hat statt dessen zumeist ein einfaches s oder einst, also;
Snider statt Schneider; swart statt schwarz: auch hält es
am sp fest, gleich allen germanischen und nichtgermanischen
Völkern und verwirft die nichtgermanische Aussprache
desselben. Es sagt nicht Schstall, Schstein, Schstock,
oder gar, wie im allemannischen Oberlande, Poscht, sondern
übereinstimmend mit dem Geschriebenen: Stall, Stein, Stock,
Post. Statt des harten z hat es t oder s, und sagt; Holt,
Snute, Katte. Telt, Twivel, Hart re., für: Holz,
Schnauze, Katze, Zelt, Zweifel, Herz. Es wirst das r weg,
wo es unbequem ist, und sagt Gasten statt Gerste, Wo st
statt Wurst. Aus f oder ff macht es w oder p: es sagt statt
Teufel: Düwel, statt offen: open oder in manchen Gegen-
den apen. Und so noch Manches. Aber in vielen platt-
deutschen Gegenden, namentlich in den Nordseegegenden,
werden die Vokale nicht rein ausgesprochen, während die
Westphalen doch ein sehr scharfes a haben. Die unreine, un-
gewisse Aussprache der Vokale, welche uns am Englischen
so unangenehm auffällt, ist ein angelsächsisches Erbtheil.
Sehr richtig sagt Goldschmidt, „daß die Aussprache platt-
deutscher Vokale sich durch Zeichen nicht einsangen lasse."
Das gilt namentlich vom a, und die Unbestimmtheit
wird von Vielen auch auf das Hochdeutsche übertragen. In
einer und derselben Stadt wird oft das a ganz verschieden
ausgesprochen, z. B. in Braunschweig von manchen Leuten.
Einer begegnet dem Andern und fragt: „Wohin willst du
gehen?" Antwort: „Ins Theater". — Der Andere sagt:
„So, in's Theäter?" — Einmal lautet das a wie das
schwedische ä, ganz tief, das anderemal wie ä. Mit einem
Zeichen kann man zum Beispiel gar nicht ausdrücken das
mal, wie es die bekannten, meist sehr hübschen Honigkuchen-
verkäuferinnen aus Braunschweig den Vorübergehenden in
hochdeutscher Sprache zurnfen: „Hören sie mal, wollen
Sie nicht etwas Hübsches mitnehmen?" Das a ist nicht ganz
: ein ä, es klingt aber an und ist für Nichtbrannschweiger
sehr schwer oder gar nicht genau nachzusprechen, wie es dem
Fremden auch rein unmöglich ist, dreimal hintereinander
ohne Anstoß zu wiederholen: „Hier jücket et 'nk, hier stikket et
'nk, hier deit et 'nk weih." Hier juckt es mich, hier fticht es
mich, hier thut mir's weh." Das 'nk ist zugleich Nasen- und
Gaumenlaut.
Doch wir wenden uns wieder nach Oldenburg. Das
dortige Plattdeutsch hat keine Diminutive, welche man da-
gegen im Münsterschen und im südlichen Niedersachsen sehr
häufig findet. Dem Oldenburger fehlt die gefällige Freund-
lichkeit int Behaben, das seinen Ausdruck im häufigen Ge-
brauche der Verkleinerungswörter erhält; er ist zu ruhig,
ehrlich, biderb und zu prosaisch, um sich zu bemühen, das
Leben für seine Umgebung und für sich selbst durch dergleichen
zu verschönern.
Der Oldenburger hat kein Wort für Muth, denn das
plattdeutsche Mood bezeichnet Neigung für etwas; er sagt
z. B. er habe keinenMuth zuheirathen; „ickhäwwekln
mood to Jan"; ich glaube nicht, daß Johann wieder hergestellt
wird. Aber Goldschmidt hätte sagen sollen, daß man an der
Nordsee den Ausdruck desftig auch für tapfer und muthig
gebraucht; es ist tüchtig im Sinne des römischen Virtus
und Valor zugleich. Ich habe zum Beispiel von einem Bauer
bei Delmenhorst sagen hören, daß die Soldaten sich bei
Waterloo desftig geschlagen haben.
Das friedliche oldenburgische Volk hat nur wenige
originale Schimpfwörter. Von außen her sind gekommen:
Kujohn und Kanaille; im Uebrigen begnügt man sich mit:
Donnerslag, Dummsnuut (der ein dummes Maul hat, dum-
mes Zeug spricht), Schubbejack und dergleichen harmlosen
Ausdrücken mehr. Geflucht wird nicht viel, und ein Olden-
burger stößt in seinem ganzen Leben wohl nicht so viel
Flüche aus wie z.B. ein hochdeutscher Bergmann im Harze,
der ein „Kreuzhimmelschockschwerenothdunnerwetter tausend
Lachter tief in Gottes Erdboden hinunterfahren" läßt.
Der plattdeutsche Oldenburger hat das Wort Freude
nicht; er drückt den Begriff mit dem hochdeutschen Wort aus
oder mit Pläseer. Mit Ausdrücken der Zufriedenheit geht
er sparsam um; aber er hat viele Ausdrücke, welche in
Oberdeutschland nicht Vorkommen. Dahin gehören folgende:
Nach Küsters Kamp (Felde) gehen, d. h. auf den Kirch-
hof; begraben werden. Er sagt noch Penn für Feder, ge-
rade wie der Engländer, und bezeichnet einen Federfuchser
und Bureauschreiber als Penn lick er. Federlecker; den
untern Theil der Handwurzel nennt er Wrist, das Hirn
Brägen oder Bräen, brain der Engländer; Mist ist Nebel.
Black ist schwarz, Tinte; minn, meen, gering, elend.
Volk heißt auch Hausgesinde; auch die Schiffsbemannung
wird so bezeichnet; Knip heißt Messer; trecken, ziehen;
Tide: Ebbe und Flut. Das Wort gemein hat keine
niedrige Nebenbedeutung, sondern bedeutet nur: gewöhnlich,
auch oft: freundlich und herablassend. Auch Kerl hat eine
solche nicht, und eine Frau sagt wohl von ihrem Manne:
„MinKeerl slavt (arbeitet) den ganzen Dag."
Ausdrücke, welche das Oberdeutsche nicht kennt, von
denen aber die meisten nicht specifisch oldenburgisch, sondern
überhaupt sassisch sind: Ettgrün, Grummet; Hefter (im
südlichen Sasstschen, das überhaupt die Doppellauter liebt,
Heister) junge Eiche; Enter, einjähriges, Twenter, zwei-
jähriges Füllen; Ham, Trift; Rick, Stange; Güst, eine
Kuh, welche keine Kälber bekommt, unfruchtbar ist. S ln m p,
Zufall, wenn er glücklich ist; aisch, häßlich; unmunnig,
was nicht gesagt werden kann; sick bem in scheu, eine Frau
14'
108
Die Leute im Lande Oldenburg.
nehmen; er will sich bemenschen, verheiralhen; Bange-
böxe, einer der das Herz in den Hosen hat. — In Weel-
dreiher, Raddreher, d. h. Drechsler, ist noch das englische
wheel erhalten, das sich sonst verloren hat. Knast für
ein Knorren am Holze. Für Taille hat man Kneep;
auch die Hochdeutschen haben das gute Wort als Kniff.
Der Oldenburger sagt: „Deern, deer'n, wat bist du
minn um'n Kneep! Mädchen, wie schlank ist deine Taille.
Dirne, deern, wird allgemein für Mädchen gebraucht, ohne
jede üble Nebenbedeutung.
Der Landmann bedient sich im Verkehr mit seines-
gleichen der Familiennamen gar nicht, selbst die Knechte
reden ihren Herrn beim Vornamen an; doch reißt bei den
reichen Bauern in der Marsch bereits das Vornehmthun
ein, und sie lassen sich sogar schon Herr nennen,—• eine
ganz unfriesische Neuerung. In Ostfriesland hat man die
Eigenthümlichkeit, daß jüngere Leute, welche einen alten
Mann anreden, dem Vornamen desselben ein Ohm an-
hängen und sagen: Janohm, Dierkohm; dem Vornamen
der älteren Frauen fügt man bei der Anrede ein Mö,
Muhme, hinzu und sagt: Alke-mö, Tante Adelheid,
Grete-mö rc.
Wenn die Oldenburgischen Landleute von einem ihrer
Bekannten aus dem Dorfe sprechen, dann nennen sie ihn
ebenfalls beim Vornamen und geben ihm, damit er von
andern unterschieden sei, ein bezeichnendes Beiwort, z. B.
der lange Jan. Sie fügen auch wohl den Vornamen
seines Vaters oder seiner Mutter hinzu, z. B. Fike's Geerd
(Gerhard, der Sophie Sohn). Drittens legen sie dem Vor-
namen noch den Namen des Hauses bei, der aber in der
Regel mit dem Familiennamen nicht übereinstimmt. Fast
immer wird der letztere übergangen. Unser Gewährsmann
erzählt, er habe mehrfach-gefunden, daß der Nachbar
den Familiennamen des Nachbars, mit welchem er
seit vielen Jahren im bestem Verkehr lebte, nicht
gekannt hat. Dagegen sind Hausnamen unsterblich.
Leute aus den verschiedensten Familien kommen durch Heirath
oder Kauf in den Besitz eines Hofes; nun mögen sie, bevor
sie in den Besitz des Hauses kamen, geheißen haben wie sie
wollen, im Dorfe werden sie doch nur nur nach dem
Hause benannt. „He heet (heißt) Müller's Dierk
(Dietrich), aber he schrift sik egentlich Dierk Hotes."
Der Familienname wird nicht gesprochen, nur ge-
schrieben.
Die plattdeutschen Sprichwörter befassen sich nicht
viel mit Religion, aber desto mehr mit Allem, was die alte
Volkssitte heiligt. Diese hat sich bei der abgeschiedenen
Lage des Landes und durch das Plattdeutsche viel mächtiger
und einflußreicher erhalten, als in den meisten anderenTheilen
Deutschlands. „Unsere oldenburgischen Landsleute sind ehr-
lich, gntmüthig, bieder und keusch, nicht so sehr weil die
Religion das will, sondern weil ihr ruhiges Temperament
es ihnen leicht macht, den Gesetzen der alten Volkssitte zu
gehorchen." Das Wort: „Wer will ruhig sterben, läßt sein
Gut den rechten Erben", hat eine höchst gebieterische Geltung.
Wo nach der Sitte eines Landestheiles der jüngste oder
älteste Sohn Stammerbe einer geschlossenen Landstelle ist,
da wird es sich kaum je ereignen, daß der Vater, obwohl er
die Befugniß hat, frei über sein Gut zu verfügen und dem-
jenigen von seinen Söhnen dasselbe zu vererben, welchen er
für den passendsten hält, einen andern zum Erben einsetzt
als den, welchen die Landessitte bestimmt. Wenn es ge-
schähe, so würde man weit und breit darüber mißbilligend
reden. Solche Abweichung, meint man, könne kein Glück
und keinen Segen bringen.
Mehr Rechtlichkeit als beim eigentlichen Olden-
burger findet man gewiß bei keinem deutschen Stamm. Er
hat alle hochdeutschen Sprüchwörter, welche sich auf Ehrlich-
keit beziehen und vor der Lüge warnen. Er sagt auch:
„Stiehlt mein Bruder, so hängt den Dieb." Darin liegt
ein Abscheu vor Eigenthumsverletzung, der gar kein Er-
barmen kennt.
Der Oldenburger ist ehrlich, gerade, aber recht derb,
und äußere Höslichkeitsformen verschmäht er so sehr, daß er
dem Fremden als ungeschlacht vorkommt. „Hut in der
Hand, geht durch's ganze Land", ist ein Wort, das er weder
kennt, noch begreift; von allzuhöflichen Leuten sagt er: „Wer
zu freundlich ist, hat entweder Jemand betrogen oder will
Jemand betrügen." Wer immer freundlich lächelt, wird sein
Vertrauen nie gewinnen. Aber er kennt die Macht weib-
licher Schmeichelei und sagt: „Mit Eien und Kleien kann
man wol en Bullen dal kriegen." Eien heißt liebkosend
die Wangen streicheln, und Kleien ist streicheln.
Auf Recht und Gesetz hält er nicht minder wie auf
Sitte. Für eine Grundwahrheit gilt ihm: „Recht mot
Recht bliwen", und „Unrecht ward min dage kin Recht."
Schon die Kinder lernen Rechtssprichwörter, z. B.: „Wo
Einer sein Gut findet, da spricht er's an; — Hand muß
Hand wahren; — wer Schaden thut, muß Schaden bessern;
— ein Nothschlag, kein Todtschlag." Aus dem steifen Fest-
halten an wirklichem oder vermeintlichem Recht entstehen
langwierige Processe; der Bauer sagt: „Recht moot sinen
Gang hebben."
Selbst bei den Spielen der Knaben zeigt sich das Rechts-
gefühl sehr scharf. Wenn zwei sich beim Murmelspiel strei-
ten, kommt wohl ein Dritter und sagt: „Smit wedder um,
wat Recht is kummt recht wedder" (wirf noch einmal, was
Recht ist, kommt wieder). Begnügt er sich mit dem zweiten
Wurfe noch nicht, dann verlangt er einen dritten, der ihm
auch gewährt wird, denn: „Dreimal is sin Recht." Der
andere Spieler muß sich ohne Murren unterwerfen, „denn
daß ein Oldenburger Straßenjunge sich je dem Gottesurtheil
des dritten Wurfes widersetzt habe, davon ist bis jetzt noch
kein Fall in den Annalen Oldenburgs notirt worden. Das
wäre auch ein unerhörter Gewaltstreich, ein Auflehnen gegen
alle Sitte." Diese erfordert auch, daß Der, welcher im
Spiele gewonnen hat, so lange spielen muß, wie es dem in
Verlust Befindlichen beliebt. Zwei Knaben dürfen nie gegen
Einen balgen, denn: „Twee up een' sind Mörner"
(Mörder), und die Knaben sagen auch: „Et is mi nich
um de Murmels, man um de Gerechtigkeit van't
Spill", und dieses Wort ist auch in die Sprache der Er-
wachsenen übergegangen.
Das lebhafte Rechtsgefühl steckt in Fleisch und Blut.
Jeder weiß, daß er im Lande Recht bekommt; daher sagt er:
„Hier is noch Recht zu bekommen; — it is kein Land
von Gewalt, it is'n Land von't Recht." Und: Was
dem Einen Recht, ist dem Andern kein Unrecht. Die hoch-
deutschen Sprichwörter; Gunst geht vor Recht, und Geld
wird nicht gehangen, sind in Oldenburg ganz unbekannt.
Es giebt auch keins, welches den Rath ertheilt, die Gunst
der Richter oder Beamten durch Geschenke zu erwerben. Auf
die Intelligenz des Beamtenthums legt der Bauer keinen
sehr hohen Werth, und sagt in seinem Plattdeutsch: Die
Herren in der Stadt haben keinen Bauernverstand; die
Schriftgelehrten, die Federlecker und Tintenklekker wissen nicht
was dem Bauer frommt.
Leute solchen Schlages sind bedächtig und mißtrauisch
gegen Neuerungen. Auch kleine Zugeständnisse sind schwer
von ihnen zu erlangen; sie wollen nicht gern Ja sagen, weil
man möglicherweise ein Recht gegen sie daraus herleiten
Franclet's Reise auf dem Sungari, durch die Mandschurei bis zur Mündung des Amurstromes.
109
könnte. „Das Geschriebene hastet", oder Plattdeutsch: Wat
schrift, kliwwt!
Auf der Geest fehlt ihnen übrigens energische Thatkraft
und politische Bildung, — beides ganz im Gegensatz zu den
Marschen, — ist noch sehr gering. Der Bauer fügt sich
und meint: mit Gewalt könne man auch einen Bullen melken,
gegen einen heißen Ofen könne man nicht anjähnen; mit
Gewalt kann man eine Geige an einem Eichbaurn zertümmern.
„Maulfaul", schweigsam ist der oldenburgische Land-
mann in hohem Grade; er ist ein langweiliger Mensch. Auch
ist ihm bei seinem höchst ruhigen Blute jede lärmende Aeuße-
rung der Gefühle zuwider; er äußert Schmerz wie Freude
nur still. Er gebraucht, wenn er redet, weder Hand noch
Arm, bewegt weder Kopf noch Auge, kaum bewegt er den
Mund. Er ist wie eine graue, glatte Meeresfläche, die von
keinem Sturm erregt wird, ein für jeden andern als seines-
gleichen, höchst langweiliges Subjekt. Und gesellige Talente
hat er auch nicht, aber in seiner Art ist er doch ein tüchtiger
Mensch.
Die Bauernhöfe auf der Geest liegen vereinzelt und
abgeschlossen. Vor dem Haus ist ein großer, umwallter,
mit Eichen oder Buchen besetzter Platz, auf welchem sich
außer der großen Scheune auch immer einige Hänser für
Heuerleute befinden. Rings um das Gehöft liegen Felder
und Wiesen, denn Dörfer, deren Hänser stadtähulich an-
einander gereiht sind, giebt es im Herzogthum nur wenige.
Jeder einzelne Hof bildet mit seinen Bewohnern eine Welt
für sich, und diese regiert mit Milde, aber auch mit fester
Hand use Ölst. Denn so wird von Jedermann, der zum
Hofe gehört, das Familienhaupt genannt. Neben ihm leitet
die Hausfrau ganz selbständig das Hauswesen, in welches
der Hausherr sich nicht einmischen darf. Sobald er es
versucht, muß er daraus gefaßt sein, daß sie ihm sagt:
„Snack anners; hest nix to seggen, släppst achter!" Das
heißt: „Rede anders; du hast nichts zu sagen, du schläfst
hinten." Denn die Frau schläft vorn in dem großen Bette,
weil sie die Kinder abzuwarten hat. Aber in allen An-
gelegenheiten, welche nicht das Innere der Haushaltung
betreffen, gehorcht sie dem Manne unbedingt. Sie sagt
selbst: „Wo der Hahn kräht, da kräht keine Henne; und wo
Hosen sind, gilt kein Weiberrock;" und „Maunshand baven",
d. h. oben auf.
Die Dienstboten sind den Kindern des Hauses so gut
wie gleichgestellt, denn: „wer dient, ist so gut als der da
lohnt;" „wer Brot ißt, ist eben so gut, als der es giebt."
DieDienenden gehorchen dem Olsten willig, aber er darf nichts
verlangen, was gegen Brauch und Herkommen wäre, denn:
„wer sich als Hund vermiethet, muß Knochen fressen."
Solch ein Bauernhaushalt auf der Geest spinnt sich
wunderbar lautlos ab. Oft hört man stundenlang weder
sprechen noch lachen oder gar singen; Zanken und Toben
kommt nie vor, man „blafft" (keift) nicht, das paßt nur
für Hunde.
Der Oldenburger arbeitet stätig und hat Ausdauer,
aber ihm fehlt Behendigkeit und er läßt sich nicht aus seinem
alten Geleise bringen. Allzuhastig wird schlecht; allmälig
kommt Hans in's Wamms; was lange währt, wird gut; wer
langsam geht, kommt auch mit; komm' ich heute nicht, komm'
ich doch morgen; schon mancher Mensch hat sich zum Bettler
gearbeitet, — das sind Sprichwörter nach seinem Sinne;
ebenso das: lieber zum Schelm schlafen als zum Schelln
arbeiten. Er ist ein langsamer Mensch.
Unglückliche Ehen sind sehr selten, Zank zwischen Mann
und Frau ebenso, und dasselbe gilt von alten Jungfern.
Armuth ist wenig vorhanden; Knechte und Mägde heirathen
erst, wenn sie so viel verdient haben, daß sie ihren Haus-
stand leidlich einrichten können.
Wir schließen mit einigen Worten über die Kinder.
Man hat kein Wort für erziehen; man trekt de kinner
np, wie Kälber oder Füllen, und giebt ihnen sehr reichlich
zu essen; denn: Kindern und Kälbern ihr Theil, dann bleiben
Bauch und Rücken heil. Das Kind muß recht reichlich ge-
füttert werden, sonst wird es, wie man meint, mager, und
davor hat die Bäuerin große Furcht. Bei der Blattern-
impfung zeigt die Mutter, welche das fetteste Kind hat,
diesen Sprößling mit wahrem Stolz den Nachbarinnen, und
äußert: es hat sich „mächtig gebessert". Dem Landmann
ist dies ebenso beim Aufziehen des Viehs eine wichtige Sache;
mit dem Ausdrucke „fick bätern" bezeichnet er sowohl das
Fettwerden, wie das Tugendhaftwerden. „He bätert
sick upt older, as de Winterswin'", er bessert sich, je älter er
wird, wie die Winterschweine, und das kann man auslegen
als: er wird fetter, oder auch, er wird besser und tugend-
hafter.
Ein Fischverkäuser sagt: „Das sind tugendhafte
Aale, die können Sie aus Glauben kaufen." Aber tugend-
haft ist kein plattdeutscher Ausdruck; man hat dafür dögend,
was etwas taugt.
Franclet's Reise auf dem Sungari, durch die Mandschurei bis zur Mündung des
Ämurltromes.
Vom Liao tung-Golfe nach der Mandschurei. — Koreanische Gesandtschaft. - Die große Pfahlmauer und die Stadt Kai Uyen. — Chinesische Ein
Wanderer. — Kuan tsching dzr. — In Ghirin, der Hauptstadt der Mandschurei. — Sargmagazine und Bohlenpflaster. — Höfliche Mandarinen und ein
nicht höflicher Europäer. — Die Barke Sain Ghisun. — Fahrt auf dem Sungari nach Sin tsching. — -r. ie Uferlandschaften; Fischer - und Jägerhorden. —
In einer Pagode. — Die Teufelinnen und eine Ueberschwimmung. — Die Mpis. — Auf dem Amur bis zur Mündung des Ussuri. —
Chabarosfka. — Fahrt nach Nikolajeffsk. —
Häufig ist von uns auf die Thätigkeit hiugewiesen worden,
welche von den katholischen Missionären auch im Gebiete des chine-
sischen Reichs entfaltet wird. Manche ihrer Mittheilungen sind für
die Länder- und Völkerkunde von nicht geringem Interesse; wir
wollen in dieser Beziehung nur an die Berichte über Tibet erinnern,
welche wir, nach Desgodin's und Anderer Aufzeichnung, vor einiger
Zeit im Globus gaben.
Nun hat im Jahre 18G1 der Missionar Franclet eine Wan-
derung vom Liao tung-Golf (dem nördlichen Theile des Busens von
Pe tschi li) nach Norden hin durch die Mandschurei gemacht; er
kam durch Gegenden, welche von den wissenschaftlichen Expeditionen
der Russen nicht berührt worden sind, und giebt Schilderungen, die
einen Einblick in die Verhältnisse eines Gebiets gewähren, von
welchem die Mandschu- Dynastie Chinas ausgegangen ist. Seit
110
Franclet's Reise auf dem Sungari, durch die Mandschurei
längerer Zeit lebte Frauclet im Distrikte Niou Tschuaug; gegen
Neujahr bekam er dann von seinem geistlichen Vorgesetzten Befehl,
die Steppen der Mongolei und die mandschurischen Wälder zu be-
suchen. Bevor er dorthin aufbrach, ritt er zum Bischof, dessen
Palast im „gegabelten Thale", am Ufer des Tscha ho, sich stattlich
erhebt. Ueber demselben steht zwischen den Bergen des Blumen-
drachen und des Hahnenkammes eine gothische Kapelle Unserer lieben
Frau voin Schnee.
Von dort unternahm er um die Osterzeit seinen Ausritt und ge-
langte am folgenden Tag an einen großen Flecken. Als er eben im
Gasthofe frühstücken wollte, wurde er von einem Mandarin ans
Mukden erkannt, der ihm schon früher einmal an der großen
Pfahlmauer begegnet war. Einige Zeit nachher traf er mit einer
Gesandtschaft aus Korea zusammen. Sie bestand ans drei
hohen Würdenträgern und einer Menge von Trabanten und Kauf-
leuten, im Ganzen etwa zweihundert Leuten. Die zur niedrigen
Klasse gehörenden konnte man ans den ersten Blick an der Aschen-
farbe ihrer Kleidung von den höheren Ständen unterscheiden, welche
weiße Gewänder trugen. Jene gingen zu Fuß und trugen San-
dalen , diese hatten nette spitze Schuhe, ritten, fuhren oder ließen
sich in Sänften tragen. Die kleinen Pferde der Edelleute wurden
von Reitknechten am Zaume geführt; in den Sänften saßen nur
Mandarinen, vor welchen ein Herold einherschritt.
Die Koreaner hielten den französischen Missionär für einen
Oroß, das heißt einen Russen; er benahm ihnen aber diesen Jrr-
thum und sprach ihnen viel davon, daß die Koreaner demnächst
gezwungen werden würden, den Katholiken in ihrem Lande Reli-
gionsfreiheit zu gewähren. Bekanntlich verlangen die Missio-
näre überall eine solche für sich, würden sich aber wohl hüten, dieselbe
z.B. den Buddhisten in Italien oder Spanien re. zu gewähren. Der
Mnth jener Leute ist oft bewundernswürdig, aber ihre dreiste An-
maßung überschreitet auch alle Grenzen, und wenn die „Barbaren"
derselben eutgegentreten, dann schreien jene über Verfolgung! Sie
verlangen von Anderen, was sie diesen selber nicht gewähren würden.
Franclet z. B. bezeichnete den Koreanern gegenüber den König von
Korea als einen „winzigen Tyrannen", dem man es schon eintränken
werde, daß er „grausam" gegen die Missionäre verfahre. Die Ko-
reaner ließen sich solche Impertinenzen ruhig gefallen.
Der Missionar zog auf der Kaiserstraße weiter bis zur Stadt
Kai Upen, d. h. Oeffnung des Anfangs, verließ dort die Mand-
schurei und schlug den Weg nach der Mongolei ein. Nachtlager
hielt er an der großen Pfahlmauer, da wo dieselbe mit der
andern Pfahlmauer zusammenstößt, welche Liao tung von Korea
und der Mandschurei scheidet. Am andern Tage war er vor
der P f o r t e M a t s i e n t a i, d. h. Thurm des großen Pferdes. Sie
ist ein Hauptein- und Ausgangsthor der Pfahlmauer und wurde
eben damals strenger bewacht als sonst, weil in der Umgegend Un-
ruhe herrschte. Franclet wollte sich für einen Mandarin ausgeben
und glaubte, unbehelligt von den Wachtposten, passiren zu können;
aber sein Wagen und sein berittener Katechist wurden sofort von
Finanzsoldaten umringt, welche ihnen den Weg vertraten. Da be-
rief sich der Franzose ans die neuesten Verträge, welche den Europäern
das Reisen im chinesischen Reiche gestatten, und so ließ man ihn
durch, ohne auch nur nach einem Passe zu fragen.
Nun ritt er mehrere Tage lang an der Pfahlmauer hin, durch
Dörfer und Flecken. Diese sind alle das Werk chinesischer Ein-
wanderer, welche in großer Menge in die mongolische Ebene ein-
strömen. In Pakiadze, d. h. die acht Familien, hielt er an, denn
dieser Ort bildet den Kernpunkt für eine Anzahl christlicher
Chinesengemeinden, und dort fand er auch zwei Missionäre,
Renault und Boyer. Der letztere hat Obhut über die mongo-
lischen Christen; der erstere wollte mit Franclet die unbekehrten
Mandschuren besuchen. Beide waren ohne Pässe (was gegen die
Vorschrift der Verträge ist, welche sie doch zu ihren Gunsten an-
riefen) und beschlossen, recht zuversichtlich aufzntreten. Sie wollten
ihre Lehre in Hütten und Palästen verkünden. Vorsichtsmaßregeln
hielten sie für „überflüssig". So zogen sie nach Ghirin, um dort
ein Boot zu kaufen und mit demselben ans den Flüssen der Mand-
schurei zu fahren als schiffende Apostel.
Am ersten Tage kamen sie nach Kuan tsching dze, d. h.
Stadt des langen Frühlings; sie liegt am linken Ufer des
Jton, etwa dritthalb Wegstunden von der mandschurischen Pfahl-
mauer, ist erst in der neuern Zeit entstanden und hat lebhaften
Handelsverkehr, weil sie einen Stapelplatz für Maaren ans dem
Süden wie ans dem Norden bildet. In den langen und breiten
Hauptstraßen, die freilich stets entweder sehr schmutzig oder sehr
staubig sind, sieht man Laden an Laden, alle reichlich versehen.
Die Missionäre kehrten in einer christlichen Herberge ein und wurden
dort von manchen Glaubensgenossen besucht.
Franclet benahm sich auch in dieser Stadt sehr dreist. Er
erfuhr, daß das Edict, welches Religionsfreiheit verkündet, dort
noch nicht bekannt gemacht worden lei Er forderte nun die Christen
auf, ihn auf einem Rundzange zu begleiten; er wolle alle amtlichen
Anschläge lesen, und dann den Obermandarin dadurch zur Bekannt-
machung drängen, daß er dem Straßenpnbliknm den Inhalt des
kaiserlichen Edikts zum Besten gäbe. Die Christen riethen ihm
jedoch davon ab; der Missionär blieb aber bei seinem Vorhaben
und hielt die Leute ans der Straße an, erzählte ihnen von dem Edikt
und dem mächtigen Frankreich und prüfte alle Anschläge. Dann
erklärte er laut, daß der richtige und wichtigste fehle, ging in ein
sehr besuchtes Theehans und äußerte sich dort in ähnlicher Weise.
Der Zufall fügte, daß er sich auch an Unterbeamte des Oberman-
darin wandte; diese benahmen sich aber, trotz solcher Zudringlichkeit,
so höflich, daß sie fiir diesen dreisten Fremdling sogar die Zeche be-
zahlen wollten.
Dann zog er weiter und passirte abermals die Pfahlmauer,
um eine kleine Christengemeinde zu besuchen, die er ain Flusse
Jlmen oder Jmma fand. Am 29. April war er in Ghirin,
chinesisch Tschnan tschang, Stadt der Barken. Sie ist,
nächst Mukden, die größte im Norden der großen Mauer und die
eigentliche Hauptstadt der Mandschurei. Ghirin ist von
Bergen umgeben, dehnt sich in einem Halbkreis am linken Ufer des
Sungari hin und hat, wie alle tatarischen Städte, keine Befesti-
gungen. Die Hauptstraße und Uferstaden sind mit Holz gepflastert,
die Umfriedigungen der Häuser, Höfe und Gärten bestehen ans
Brettern; am Strome liegt viel Ban-und Brennholz anfgespeichert;
von den Bergen, namentlich vom Amba, weißen Berge, bringt
man mächtige Fichtenstämme herab, welche im Winter weit in die
Mongolei und nach Liao tung hinein transportirt werden.
Unter den vielen Waarenläden zeichnen sich ganz besonders die
sehr zahlreichen Sargmagazine aus. Die Särge werden mit
einer, man kann wohl sagen, fein ausgesonnenen Koketterie zur
Schau ansgestellt, um besonders durch schöne rothe Farbe und
glänzenden Firnis Käufer anzulocken. Auf manchen sieht man
goldene Inschriften, welche Glück und Wohlergehen verheißen. Die
Leute kaufen nämlich schon bei Lebzeiten den Kasten, in welchem sie
zur letzten Ruhe bestattet werden, und tapeziren ihn so hübsch als
möglich aus; auch werden die Leichen mit den kostbarsten Gewän-
dern angekleidet. Man knüpft an einen Sarg nicht etwa die trau-
rigen Gedanken wie in Europa, besieht ihn vielmehr gern, stellt ihn
im Haus oder im Garten auf, oder nehen eine Pagode. Franclet
sah dergleichen zu Hunderten neben einander anfgestellt, alle mit
dem Fußende nach Mittag.
Das Bohlenpflaster in Ghirin erdröhnt unter dem Tritte der
Fußgänger und Reiter. Als der Fremdling ans dein Abendland
über dasselbe hintrabte, hielt man ihn und seinen Gefährten für
„extraordinäre Personen"; eine Menge von neugierigen, lärmenden
Leuten drängte sich herbei und folgte bis in den Hofranm der Her-
berge, die von der Dienerschaft eines Mandarinen auf dessen Kosten
gehalten wurde. Die Fremden mußten ihre Namen eiuschreiben,
und nun wurde der Ungestüm der Menge erst recht groß. Seit
dem Jesuiten, welcher einst mit dem Kaiser Kien long nach Ghirin
bis zur Mündung des Amnrstromes.
111
gekommen war, hatte man dort keinen europäischen Geistlichen ge-
sehen. Die Leute schlugen die papiernen Fenster ein und wollten
die Thür erstürmen, um sich die Fremdlinge näher betrachten zu
können. Franclet sandte, um sich Ruhe zu verschaffen, einen Boten
an den Polizeimeister, der eine Abtheilung mit Ruthen bewaff-
neter Soldaten schickte; sie mußten vor der Herberge Wacht
halten, ließen aber doch ihre Mandschuverwandten hineinschlüpfen,
welche dann in's Zimmer eindrangen, sich aber im Uebrigen un-
gemein höflich benahmen. Auch stellten sich, unter Beobachtung
aller gesellschaftlichen Förmlichkeiten, Besuche aus allen Klassen ein,
denen Franclet seine Religion anpries; den Gelehrten gab er Bücher
über dieselbe. Sie hörten wohl zu, aber das war auch Alles, denn:
„ohne die Gnade von oben und guten Herzenswillen sind Bekeh-
rungen unmöglich, besonders bei den Großen dieser Erde,
welche sich mehr um die Rangkngeln ans ihren Mützen, um Sapeken
(Geld) oder um Opium kümmern, als um das Heil ihrer Seelen."
Auch ein hoher Würdenträger erschien, mit rothein Knopfe,
Pfauenfedern und stattlichem Gefolge. Der Mann, welchen der
Missionär für einen Späher der Regierung hielt, erzählte, er sei
einmal in der Nähe des Abendlandes gewesen, habe als General
in Thian schau nan ln, dem chinesischen Turkestan, Siege über die
rebellischen Mohaminedaner erfochten, und äußerte, der Fremde werde
ja wohl von der berühmten Stadt Kaschgar gehört haben. Das
bejahte derselbe und fügte hinzu, der Mandarin werde wohl anch
von der Expedition der Westmächte gegen China und von Verkün-
digung der Religionsfreiheit etwas wissen; das Edict darüber müsse
vorschriftgcmäß im ganzen Reiche bekannt gemacht werden, was
aber hier noch nicht geschehen sei. Der Mandarin, seinerseits ein
Alaun von Sitte und Anstand, bemerkte sehr verständig und höflich,
von dem Vertrage habe er allerdings gehört, kenne aber die Gründe
nicht, weshalb derselbe hier noch nicht bekannt gemacht worden sei;
übrigens mische er sich in solche Angelegenheiten nicht. Der Missionar
wurde aber nun immer aufdringlicher und gröber und sagte dem
höflichen Manne geradezu Impertinenzen, die er wohlgefällig erzählt.
Er sagte ihm: „Wenn ihr Beamte euch nicht um so ernste Dinge
kümmert, und wenn das durch euch in Unknnde und Unwissenheit
gehaltene Volk uns bestiehlt oder mißhandelt, uns, die euer Kaiser
respektirt wissen will, an wem liegt dann die Schuld und ans wen
fällt die Verantwortlichkeit? Ich beunruhige mich deshalb nicht;
wenn ihr auch auf meinen abgelaufenen Paß euer Siegel nicht
setzen wollt, so werde ich trotzdem durch die ganze Mandschurei
reisen und wenn mir ein Unglück begegnet, so wird man schon wissen,
an wen man sich zu halten hat."
Was würde einem Chinesen geschehen, der in Europa gegen
Landesbeamte eine solche Sprache führte? Aber Franclet thut sich
ans die [einige etwas zu gute und bemerkt: „Mein edler Besucher
schien von unserer langen Unterhaltung ebenso befriedigt zu sein wie
ich selber, und fuhr in seinem Wagen heim." Der Missionär ließ
dann durch seinen Katecheten eine Barke kaufen, für welche er
50,000 Sapeken, etiva 1000 Francs, zahlte. Sie war 38 Fuß
lang, 8 breit, 4 tief und mußte erst ansgebessert werden. Die
Zwischenzeit benutzte er, um während der Psingsttage die etwa
30 Stunden entfernte, schon oben erwähnte Gemeinde mongolischer
Christen in Pakiadze zu besuchen.
Wie rücksichtsvoll sich die chinesischen Behörden und wie rück-
sichtslos sich die französischen Missionäre benahmen, davon erzählt
Franclet wieder einen Beweis. Der Geistliche in Pakiadze beklagte
sich, daß „die Heiden der Umgegend" sich gehässig gegen „unsere
heilige Religion" benähmen; ein Nachkomme des Confucius und
ein Mandarin behaupteten, daß er ein Stück Landes, welches zu
einem Oratorium gehöre, sich widerrechtlich angeeignet habe. Nun
wollte Franclet es den „Götzendienern" eintränken, ein „Exempel
geben" und beim Gouverneur persönlich Klage führen. Wie er sich
dabei benahm, möge er selbst erzählen:
„Ich war von mehreren festlich gekleideten Katecheten und
Herrn Roycr begleitet. Dieser fuhr in einem Wagen, ich ritt, und
so zogen wir durch die große Stadt Knau tsching dze nach dem
Regierungspalaste. Die Wächter und Offiziere riefen uns bei jeder
Thür an und erklärten, wir dürften nicht weiter gehen, aber wir
gaben ihnen nicht einmal eine Antwort und kamen bis
unter den Sänlengang, wo die Mandarinen ihre Sitzungen ab-
halten. Die Sekretäre und Räthe beeilten sich, uns zu empfangen,
und ersuchten uns, ans dem Kang, der warmen Stelle im Zimmer,
Platz zu nehmen; sie würden dem Präsidenten, welchen wir einen
Brief geschrieben hatten, unsere Ankunft melden. Der Präsident
zog seine schwarzseidenen Stiefel und sein seidenes Amtsgewand
an, setzte seine rothe Sammetinütze mit dem Krystallknopf auf und
bat uns, in den Salon zu treten, wo er uns auf den
weichen S.ophas den Ehrensitz anwies. Dann wurde
Thee gebracht, man zündete uns unsere Pfeifen an und wir sprachen
lange über unsere heilige Religion. Der Beamte wiederholte mehr-
mals, er werde nach Gebühr verfahren, und als wir fortgingen,
begleitete er uns mit vielen Ceremonien bis zur großen
Thür, die er uns öffnen ließ und durch welche sonst nur
Mandarinen gehen dürfen."
Nachdem wir gezeigt haben, wie die Chinesen und wie die
Missionäre sich benahmen, lassen wir die geistlichen Ansichten der-
selben bei Seite, um Franclet auf seiner Reise zu begleiten. Er-
ging nach Ghirin zurück, wo jetzt aber die Leute ihn nicht auf-
nehmen wollten; wahrscheinlich mißfiel ihnen sein anmaßendes
Wesen. Zuletzt fand er in einer Opiumkneipe ein Unterkommen,
aber Schniuz und Dunst waren so unerträglich, daß er wieder
hinansging und unter freiem Himmel schlief, oder vielmehr unter
seinem Zelt am Stromufer. Dort verlebte er mehrere Tage, immer
umgeben von einer neugierigen Menge. Die Gelehrten und Lamas
lud er in sein Zelt und redete ihnen von seiner Religion vor; sein
College Roher stellte sich auf das Boot und hielt Schisfspredigten
an die versammelte Menge. Sehr bescheiden vergleicht Franclet
die Barke mit jener des heiligen Petrus! Und, sagt er, damit sie
dieselben Heilsfrüchte bringen möchte, tauften wir das Schiff:
Frohe Botschaft, Evangelium, d. h. im Mandschu Saiu
Ghisun, chinesisch Fu in, und hißten eine große Flagge ans, an
der jene Worte mit großen Buchstaben zu lesen waren. Als nun
günstiger Wind sich erhob, lichteten wir den Anker, um den Sungari
hinabzuschwimmen, der bei Ghirin schon breiter ist als die Seine
in Paris. —
Abends und Morgens stimmte die Mannschaft Gesänge an;
Sonntags und Festtags lasen die Missionäre Messe unter ihrem
Zelte, stellten ein Crucifix zwischen zwei Bilder und zwei Kerzen,
und ein Brett diente statt des Altars. So kam er nach Sin
tsching, Neustadt, einem neuerrichteten Verwaltungsort und so
genannt im Gegensätze zu der ältern, welche Petnne heißt und
eine Stunde weit landeinwärts liegt. Ueberall drängte sich die
Menge herbei, um die Fremden zu begaffen, die vom Schiffe herab
und in den Straßen predigten. Franclet hielt die sehr zahlreichen
Mohammedaner fest, um religiöse Streitfragen mit ihnen zu erörtern;
er eiferte gegen die „Abgeschmacktheiten" des Koran, aber die Heiden
legten wenig Werth auf das, was er ihnen zum Besten gab. Sie
verkauften ihm aber gegen baares Geld Eßwaaren, und so konnte er
weiter fahren. Zu San tscha ho schlug er wieder sein Zelt auf,
an der Mündung des Hon oder Honni; die Chinesen nennen
ihn Pn ho, weil er von Pu Kn eh herströmt; mit diesem letzter»
Namen belegen sie die Mandschustadt Tsitsikar.
Von San tscha ho au wird der Strom tiefer, der Wind war
günstig und die Fahrt nach Osten ging rascher. Bei Hu li tun,
der Stadt der Füchse, wurde ein paar Tage angehalten, und
Royer las in der kleinen Christengemeinde zu Ming ya no poug
Messe. Weiterhin traf man keine Christen mehr.
An den Ufern des Sungari sind nur wenige Ortschaften,
und diese weit auseinander; an beiden Ufern liegen unangebaute
Ebenen. Aber am rechten Ufer finden sich doch nach und nach
immer mehr chinesische Ansiedler ein und machen die Besitzungen
112
Franclet's Reise ans dem Sungari, durch die Mandschurei
der Mandschnsoldaten urbar; am linken Ufer dagegen ziehen
Nomaden mit ihren zahlreichen Heerden umher. Bei Kalamon
am Sungari hatte ein Nomadenchan sein Lager anfgeschlagen.
Auch traf man Fischer, zumeist heiniatlose Chinesen.
Sehr häufig sind Hasen und Fasanen, die man ohne große
Mühe fängt-, in allen Buchten wimmelt und schwärmt es von
Gänsen und Enten, die aber ungemein scheu sind; in den Rohr-
brüchen und an den Teichen leben unzählige Reiher, Schwäne und
andere Wasservögel, an den steilen Ufern nisten Myriaden von
Schwalben, denn in diesem öden Lande finden sie keine Häuser,
um ihre Nester daran zu kleben. Sie höhlen deshalb in die steifen
Lehmwände eine unendliche Menge von Löchern, eins neben das
andere, und man meint einen ungeheuren Bienenstock vor sich zu
sehen. Allemal liegen diese „Sommerwohnungen" der Schwalben
in den hübschesten Gegenden am Strom, und dort schlug der
Missionär am liebsten sein Zelt ans; als Lager dienten ihm Hirsch-
oder Ziegenfelle, und unangenehm waren nur die unzähligen
Moskitoschwärme und das Heulen der Wölfe, welche die nächtliche
Ruhe störten. Einmal entstand Feuer im Boot, ein andermal
wären sie, am 19.Juli, bei San sing, fast auf einem dicht unter
dem Wasser liegendenden Felsen gescheitert.
Dieses San sing ist in jener nordöstlichen Gegend die letzte
Stadt auf chinesischem Gebiete; sie liegt am rechten Ufer des
Sungari, zwischen den dort mündenden Flüssen Anken und
Hurba. Bei den Mandschu heißt sie Jslan hala, und von
dieser alten Stadt sieht man, in der Nähe der Neustadt San sing,
noch alte Wälle und mancherlei Getrümmer. Die Ausdrücke San
sing und Jslan hala bedeuten wörtlich: die drei Familien-
namen; und der Name soll wohl an drei berühmte Mandschu-
familien erinnern, welche von dort stammen. Der Sage zufolge
wählten sie den König Kioro, welcher für den Gründer der gegen-
wärtigen Mandschndynastie gilt. Wahrscheinlich verhielt sich die
Sache, so, daß die letztere jene drei mächtigen Eroberer bewog, sich
mit ihrer Erobererhorde zu vereinigen. Wenigstens war stets ihre
Politik darauf gerichtet, die unabhängigen Stämme, welche am
Fluß entlang bis znm Meeresgestade wohnen, für sich zu ge-
winnen; die kaiserliche Dynastie schloß mit ihnen Verträge, die
auch heute noch gelten. Alljährlich muß der Mandarin von San
sing den Häuptlingen ein Gastmahl geben, auch im Namen des
Kaisers ihnen seidene Gewänder verehren. Sie schenken dagegen
Zobelfelle und Fische als eine Art von Tribut. Chinesen sollen
über die Grenze bei San sing nicht hinaus, aber für Geld und
gute Worte sieht der Mandarin durch die Finger.
Alljährlich erscheinen in der Mitte des Sommers Barbaren
in San sing, um die Ausbeute ihrer Jagd und des Fischfangs
gegen Zeuge und allerlei ihnen nothwendige Geräthschaftcn zu ver-
tauschen. Da kommen die Dupis und Kilimis, die Fisch-
häute, die Langhaarigen und die Kurzhaarigen ans ihren
raschfahrenden Booten, an denen auch nicht ein einziger eiserner
Nagel sich befindet. Manche langten an, andere fuhren ab, als
die Missionäre ihre Barke am Ufer befestigten. Gleich nachher er-
schien ein Mandarin, um sich nach bent Zwecke der Reise zu erkun-
digen, und gab den Fremden fünfzehn Mann Soldaten zum
Schutz oder um jene beaufsichtigen zu lassen. Sie folgten den
Europäern auf Tritt und Schritt; die Sache hatte aber den Vor-
theil, daß gar nichts gestohlen ward. Der Mandarin hatte einen
Eilboten nach Ghirin geschickt, um Befehl einzuholen, wie er gegen
die ohne Paß reisenden Fremden sich verhalten solle; diese wollten
nun Gegenden besuchen, über welche damals China und Rußland
sich noch nicht geeinigt hatten. Er bat die Fremden, bis zur Rück-
kehr jenes Eilboten in San sing zu verweilen, und räumte ihnen
eine große Pagode ein; diese stand dicht am Fluß und die Barke
lag ganz in der Nähe, sicher vor jedem Sturme. Der chinesische
Bonze gab den Abendländischen freundlich Pfeffer, Senf, Kohl und
dergleichen mehr; er baute selber Gemüse in seinem Garten, aber
auch viel Mohn, wahrscheinlich zur Opiumbereitung. Wie der
abendländische Missionär eine solche Gastfreundlichkeit aufsaßte,
ergiebt sich aus seiner Darstellung. Er sagt nämlich:
„Der rechte Flügel der Pagode war Wohnhaus des Bonzen
und zugleich Schulgebäude. Er konnte uns zum Aufenthalt ganz
genehm sein, wenn man den Bonzen zur Thür hinaus-
beförderte, dem Schulmagister Urlaub und den Schülern
Ferien gab. Ringsum herrschte eine wohlthuende Einsamkeit;
im Hofe stand eine prächtige Ulme, welche erquickenden Schatten
gab. Wir nahmen diese Wohnung an. Man möge sich darüber
nicht skandalisiren, denn ich wußte damals noch nicht, daß die
Pagode ein Niang niang miao war, das heißt ein Tempel
der Göttinnen; erst am andern Morgen erfuhr ich es, als ich
dem gelehrten Schulmeister die Lehre vom wahren Gotte beibringen
wollte. Als ich mit dem Bonzen bei diesen Teuselinnen war, wollte
er mich sie alle kennen lehren. Er wies zuerst nach dem Hanptaltar.
Da siehst du, sprach er, jene alte vergoldete Frau auf einem Steine
sitzen; zu ihren Füßen sitzt ein Hund, in ihrem Schooß eine Puppe
und zu beiden Seiten stehen zwei Ehrendamen. Nun, das ist die
Knau in pussa, die Mutter der Güte und der Barm-
herzigkeit. So gab er mir die Namen aller seiner Götzenbilder
und ihrer Eigenschaften; er hatte Idole für das Gesicht, für die
Blattern, für Verrenkungen, für Dachse und Füchse. Wie sehr
erbarmte mich dieser widerwärtige Anblick! Als wir nun Alles be-
sichtigt und das uns Passende für unser Presbyterium und unsere
Kirche ausgewählt hatten, entfernten wir die abergläubige
Inschrift des Confucins, stellten statt der Tafel, auf welcher
sich dieselbe befand, unfern Altar hin und lasen jeden Morgen
die heilige Messe."
Franclet findet das Alles ganz in der Ordnung. Wir unserer-
seits erinnern uns, einst in dem Reisebericht eines englischen
Methodisten, welcher katholische Länder besucht hatte, ganz ähn-
liche Auslassungen über die katholischen Madonnen- und Heiligen-
bilder, über die wächsernen Glieder, welche in den Kirchen hängen,
über „diabolischen Flitter und Satanswerk" gelesen zu haben. Die
Geistlichen der verschiedenen Sekten sind sehr streng gegeneinander
und oft sehr intolerant, ohne zu bedenken, daß in manchen Fällen
das mutato nomine de te fabula narratur von Andersgläubigen
auf sie in Anwendung gebracht wird.
Franclet hatte sich nun in der Pagode häuslich und geistlich
eingerichtet. Da strömte aber unendlicher Regen vom Himmel
herab, alle Bäche und Flüsse traten über ihre Ufer und die Ueber-
schwemmung wurde gewaltig. „Auch unsere satanische Woh-
nung blieb nicht verschont; als das Wasser herandrang, nahmen
unsere Ehrengardisten Reißaus, um den Stadtbewohnern Hilfe zu
leisten, welche auf die Hügel flüchteten. Das Wasser richtete große
Verheerungen an. Wir unsererseits hatten auf alle Fülle an unserer
Barke einen sichern Zufluchtsort und blieben vorerst lieber unter
dem gastlichen Dache des chinesischen Lyceums, wo wir gegen
Sturm und Regen geschützt waren. Aber zuletzt drangen doch auch
hier die Fluten zu Thüren und Fenstern hinein und wir mußten in
den obern Theil der Pagode zu den Göttinnen flüchten; wir zün-
deten dort ein Feuer an, um die Mücken zu verscheuchen, und
biwachteten so die ganze Nacht hindurch. Ich sah auch nicht einen
Stein, ans welchen ich mein Haupt hätte legen können; deshalb
stieg ich ans einen Altar, breitete dort meine Hirschhaut aus und
schlief unter den Augen dieser Schlammgötzen ganz ruhig. Aber
ein paar Mal wurde ich doch aus dem Schlummer ausgeschreckt;
denn eine Mauer siel ein und der Thurm stürzte zusammen, Nach
und nach wichen die Unterlagen, auf welchen diese Thongötzen
standen, und diese selber verschwanden in den Fluten. Nun ward
es auch Zeit für mich, an Bord unserer Barke zu gehen und einen
nahen Hügel zu gewinnen, wohin schon viele Leute sich geflüchtet
hatten."
Franclet benutzte die allgemeine Verwirrung, um weiter zu
fahren; er kümmerte sich nicht um den Mandarin, welcher alle
Hände voll zu thun hatte. Seine Barke Sain Ghisun schwamm
bis zur Mündung des Amurstromes.
113
rasch den Sungari hinunter, der weit über seine Ufer ausgetreten
war. Die Gegend war weniger dünn bewohnt als weiter oben;
hin und wieder sah man Dörfer und Weiler als Etappen auf der
großen Straße, und Wachtposten, welche jeden Verkehr der chine-
sischen Unterthanen mit den wilden Stämmen verhindern sollen.
Beide Theile dürfen die Grenze, welche quer über den Fluß läuft,
nicht überschreiten, aber Franclet passirte dieselbe unangefochten
etwa fünfundzwanzig Wegstunden unterhalb San sing.
Nun befand er sich im Gebiete der Aupis oder Fischhäute
und hatte anfangs die Absicht, dort zu bleiben und sie sowohl wie
„andere Horden dieser Ungläubigen unter den Schutz des Apostel-
königs zu bringen". Er octroyirte ihnen als Schutzheilige Unsere
Liebe Frau von dem Fische.
Die Jupis, welche er überall am rechten Ufer des Sungari
und des Amur traf, sind ruhige, gastliche Menschen. Ihre Dörfer
liegen an geschützten Buchten unter Bäumen.
Alle Aupis benahmen sich sehr wacker. Wenn sie von ihrem
Birkennachen aus die Barke sahen, riefen sie den Europäern ein
Aia, aia! Guten Tag! zu; knieten, wenn diese an's Ufer gingen,
brachten Fische und rohes oder gedörrtes Wildpret, wilde Gänse,
überhaupt die Ausbeute ihrer Jagd. Dafür verlangten sie keine
Zahlung, sondern gaben Alles umsonst; höchstens hofften sie auf
ein paar Blätter Tabak, an dem sie noch mehr hängen als selbst
die Chinesen. Eine junge Uupi gab ein ans Karpfenhant ver-
fertigtes Kleid her und bekaij?' dafür etwas Zeug. Auch brachten
sie vortreffliche Champignons und Brombeeren. Alles wäre recht
gut gewesen, ohne die Pein der Bremsen, Stechfliegen, Mücken
und Blattläuse. Die Reisenden mußten über den Kopf eine Kapuze
ziehen, in der nur für Augen, Nase und Mund eine Oesinung war,
und Nachts unter einem ansgeräucherten Moskitonetze schlafen.
Trotzdem litten sie viel von den unerbittlichen Blutsaugern. Die
Aupisknaben zeigten sich dienstfertig, zündeten rings um die Fremden
Feuer an und suchten die Peiniger zu verscheuchen.
Endlich erreichte die Barke den Zusammenfluß des Sungari
und Amur. Den letzten: Strom bezeichnen die Mandschu als
Saghalien ula, die Chinesen als He long kiang, wegen der
dunkeln Farbe seines Wassers, das tief und rein ist und an jene
des Meeres erinnert. Die Einfahrt zum Sungari wird durch ein
Lagerund eine Flotte der Mandschu beherrscht, und derFn tu ton g
oder Generalgonverneur von San sing erwartete, an der Spitze
seiner Soldaten, die Fremden, denen er schon einen Adjutanten
entgegengeschickt hatte.
Aber Franclet fuhr weiter, ohne sich um ihn zu bekümmern,
und schwamm nun auf einem neutralen Flusse, dem Amur. Dieser
bildet jetzt die Grenze zwischen dem chinesischen und dem russischen
Reiche von Sibirien bis zum Ussnri, und von diesem letzter:: Flusse
bis zum Hinka-See und bis Korea. Rußland hat ohne einen
Schwertstreich ein großes Gebiet an sich gerissen, und war in: Besitz,
ehe der Himmelssohn in Peking auch nur etwas davon ahnte. Die
Petersburger Regierung verpflanzte sechszehntansend Kosaken an
den Amur und Ussnri, und diese sind nun an verschiedenen Punkten
derart angesiedelt, daß sie eine Kette von Niederlassungen bilden.
Die erste russische Station, welche Franclet am Sungari traf,
heißt Makaelosi meonusa; dort warf er Anker und schlug sein
Zelt inmitten der Kosaken und der russischen Garnison auf. Als
die Moskowiter das Zeichen des Kreuzes sahen, liefen sie herbei
und waren nicht wenig überrascht, dort in der Mandschurei fran-
zösische Missionäre anzutresfen. Diese waren hocherfreut, einmal
wieder Brot zu essen, wurden von dem General sehr freundlich
ausgenommen und erhielten von ihm Empfehlungsbriefe für die
anderen russischen Posten am Ussnri und Amur.
General Kusse war nur zur Inspektion an jenem Punkte, sein
Standquartier ist in der neuangelegten russischen Stadt Blagowes-
tschensk. Franclet fuhr dann weiter, hielt drei Tage bei der Station
St. Simeon und sah, daß drei Kaufmannsschiffe von eben so vielen
Globus IV. Nr. 4.
Dampfern stroman geschleppt wurden. Unter der Garnison befanden
sich auch polnische Soldaten.
Die Strecke von der Mündung des Sungari bis zu jener des
Ussnri wurde in sechs Tagen zurückgelegt, trotz widriger Winde
auf dem Amur. Da, wo der Ussuri sich mit dem letztern vereinigt,
liegt nun, an den bewaldeten Burrihügeln, die neue russische Stadt
Chabarofska, so genannt nach dem AbenteurerChabaroff, welcher
zuerst von Sibirien ans bis in die Einöden am untern Amur vor-
drang. Die Russen besitzen nun den ganzen Lauf des Ussuri bis zu
dessen Quelle, ohne den Sungari aus den Augen zu verlieren.
Es war Franclet's Absicht, in einem Dorfe der Dupis zu über-
wintern und sich mit den Fischer- und Jagdhordcn der Umgegend
in Verbindung zu setzen. Er hatte zwei junge Männer vom Stamme
der Fischhäute zu sich genommen und ging mit denselben nach ihrem
Dorfe, das Sumi hieß. Die Hütten waren während der Abwesen-
heit der Bewohner von den Russen als Pferdeställe benutzt worden,
und nur einige auf Pfählen errichtete Speicher befanden sich nicht
im Verfall. In diesen wohnte er; unten wurde ein Feuer ange-
zündet, um die abscheuliche Landplage, die Stechmücken, abzu-
halten; diese sind viel schlimmer als Bären, Tiger und Wölfe.
Der Befehlshaber der russischen Truppen in dem benachbarten
Chabarofska räuinte dort den Missionären eine stattlich hergerichtete
Wohnung ein. welche ursprünglich für eine chinesische Gesandtschaft
bestimmt war. Diese aber kam nicht, und so sagt der Missionär, daß
er „in seiner Eigenschaft als Abgesandter Gottes" sich dieselbe habe
gefallen lassen!
Von seinen Fenstern aus hatte er eine sehr schöne Aussicht aus
die mit Urwäldern bestandenen Berge und auf Ebenen, welche vom
Ussuri und vom Saghalien (Amur) dnrchströmt werden. Beide
vereinigen sich an dem Hügel, auf welchem die Wohnung stand.
Bei diesem legte auch der Dampfer „Amur" an. Als Franclet
denselben pfeifen hörte, wurde er von einem Drange zur Weiter-
reise übermannt, und einige Offiziere forderten ihn auf, die Reise
stromab bis Nikolajeffsk mit ihnen zu machen. Gern benutzte er die
günstige Gelegenheit, bekam einen Freiplatz und ging noch vor
Einbruch der Nacht an Bord des kleinen Dampfers. Dieser war
der erste, welchen man auf dem Werft von Nikolajeffsk vom Stapel
gelassen hatte, die Maschinen und sonstiges Material stammten
jedock ans Nordamerika. Er gehörte der Regierung und beförderte
die Post und hatte bei dieser Fahrt eine so beträchtliche Menge von
Fahrgästen, daß manche unter freiem Himmel auf dem Verdecke
schlafen mußten. Der Missionär fand Unterkommen in einer Koje,
welche ihm von Matrosen aus Kronstadt eingeräumt wurde; der
russische Pope dagegen, welcher als Schiffsgeistlicher diente, mußte
Tag und Nacht auf Deck bleiben und schlief dort neben dem Diener
der katholischen Sendboten.
Der Dampfer Amur war ein Babel im Kleinen, denn man
hörte vielerlei Sprachen. Seitdem die Russen den Amur genau
erforscht und gute Karten des Stromlaufes entworfen haben, hat
die Fahrt eigentlich keine Gefahr mehr, doch gehen die Schiffe nur
bei Tage und legen Abends bei irgend einer der Kosakenstationen
an, welche in oder bei den Dörfern der Aupis, Kilimis oder Giliaka
an beiden Ufern bis zur Mündung hinab von Strecke zu Strecke
sich befinden. Dort nimmt allemal das Boot seinen Tagesbedarf
an Brennholz ein.
Die Fahrt von der Mündung des Ussnri bis nach Nikolajeffsk
wurde in vier Tagen zurückgelegt. Am 30. August, nach Sonnen-
untergang, lag das Boot unter dem Leuchtthurme, welcher sich über
dem Strom auf einer Insel erhebt. So war denn Franclet in Nikola-
jeffsk. An demselben Tage war dort auch Admiral Kasakewitsch
angelangt, der Gouverneur der neuen Küstenprovinz, welche sich
von Korea bis zur Behringsstraße ausdehnt und auch die Kurilen
und den nördlichen Theil der Insel Saghalien (Krafto, Tarakai)
in sich begreift; die südliche Hälfte derselben gehört den Japanern.
Der Admiral hatte eben am Hinka-See über Grenzregelungen mit
einem chinesischen Bevollmächtigten unterhandelt und war auf dem
15
114
Ein Blick in das Leben und Treiben der westindischen Neger.
Seewege zurückgekommen. Bei Nikolajeffsk lagen am rechten Ufer
zehn oder zwölf Kriegsschiffe, gegen den Südwind durch die Berge
völlig geschützt. Unter denselben befand sich ein japanisches
Fahrzeug, das ganz europäisch aussah. „Das kluge und be-
triebsame Volk der Japaner giebt sich Mühe, die Künste und Fertig-
keiten des Auslandes sich anzueignen und nutzbar zu machen, und
bildet auch darin einen Gegensatz zu den hochmüthigen und apa-
thischen Chinesen, die an ihren Bräuchen nichts ändern wollen."
Jenes japaiüsche Kriegsschiff war im Aufträge seiner Regierung
gekommen und hatte eine Ladung herrlicher Jndnstrieerzengniffe
gebracht, für welche freilich sehr hohe Preise verlangt wurden.
Engländer und Franzosen waren noch nicht in Nikolajeffsk, wohl
aber Amerikaner und Deutsche.
Am andern Morgen ging Franclet, der noch immer chinesisch
gekleidet war, mit einem Genieobersten ans Land. Einige hielten
ihn für einen Spion, Andere für einen wissenschaftlichen Reisenden.
Zwei ans Sachsen gebürtige Kaufleute, welche er Maller und
Hetet nennt, luden ihn zum Mittagessen ein, und Wohnung fand
er bei einem Herrn Weber, der aus Polen verbannt worden war.
Auch die Offiziere benahmen sich gastlich und stellten ihm Bücher
und Zeitungen zur Verfügung.
Von Nikolajeffsk entwirft Franclet folgende Schilderung.
Die Stadt liegt am linken Ufer des Amur, etwa 15 Lieues von
der Mündung. An jener Stelle fand während des Krimkrieges die
russische Flotte eine Zuflucht, und dadurch entstand allmälig eine
Stadt. Mit Einschluß der Besatzung zählte sie (im Sommer 1861)
ungefähr 3000 Einwohner. Die Häuser sind von Holz; die Wände
bestehen aus über und neben einander gelegten Tannenstämmen,
die Dächer aus Bohlen und Baumrinde. Alles ist noch ganz neu
und ursprünglich. Die nach der Schnur gezogenen Straßen sind
zum Theil geebnet, mau könnte fast sagen, urbar gemacht, aber
noch ohne Pflaster; in den meisten stehen aber noch Bäume und ein
Wagen kann in ihnen nicht fahren. Auch die russische Kirche ist
von Holz.
Ein Slick in das Leben und Treiben der westindischen Reger.
Schlangenverehrnng mid Gcheimbund des Wodn.
In unserer vorigen Nummer haben wir, einem ausgezeichneten
Gewährsmann und Augenzeugen, Richard Burton, folgend, gezeigt,
wie der ostafrikanische Neger in seiner Urheimat lebt; heute wollen
wir zeigen, wie das Leben und Treiben der Schwarzen in heißen
Gegenden Amerikas sich gestaltet. Man ersieht daraus, welch ein
gräßliches Unheil durch eine falsch verstand ene Philanthropie
über die Neger gebracht wird; es tritt klar zu Tage, welches Un-
glück durch schlecht begriffene, allgemeine Phrasen angerichtet wird,
die dem Unkundigen schön klingen, aber hohl bis in Grund und
Boden sind. Ueberall, wo man so beschränkt oder verblendet war,
sie in's praktische Leben einzuführen, hat man weiter nichts erzielt,
als der Barbarei die Brücke zu treten. Wir fordern Jedermann
auf, uns auch nur eine einzige Thatsache anznführen, welche
bewiese, daß die Neger in den tropischen Gegenden Amerikas seit
der Emancipation auch nur einen einzigen kleinen Schritt auf der
Bahn der Gesittung vorangeschritten seien, daß die Verwilderung
der schwarzen Menschen nicht zugenommen habe. Jetzt, da von
Seiten fanatischer oder nach Stelle und einträglichen Aemtern
jagender Iankees wieder ein heilloses Experimentiren mit den
armen Schwarzen in ganz gewissenloser, alle Erfahrungen mit
Füßen tretender Weise getrieben wird, ist es ander Zeit, darauf
hinzuweisen, was die Erfahrung lehrt. Wir unsererseits haben
der „Negerfrage" seit fast zwanzig Jahren ein ernstes und ein-
gehendes Studium gewidmet; wir stehen außer aller Partei und
gehen nicht von vorgefaßten Meinungen ans; wir haben auch
kein Lieblingsdogma zu vertreten. Aber was uns als wahr und
richtig erscheint, das sagen wir ganz unumwunden, rund heraus,
ohne uns auch nur das allermindeste darum zu kümmern, ob das
Ergebniß langjähriger, ehrlicher und gewissenhafter Forschungen
„unpopulär" sei oder nicht. Wir legen auf eine „Popularität",
welche sich auf Vorurtheile oder Unkunde stützt, gar keinen Werth
und verzichten ein- für allemal auf eine solche. Wohl aber halten
wir es, im Interesse der wahren Humanität, für eine Pflicht, das
zu sagen, was wir für richtig erkennen. Deshalb wollen wir noch
oftmals auf eine so brennende Angelegenheit zurückkommen, heute
aber unfern Blick nach Westindien wenden.
Die Sache selbst bietet für den Beobachter ein großes Interesse
dar, denn sie ist von Wichtigkeit für die ökonomischen und Verkehrs-
Verhältnisse beider Erdtheile, für das Verständniß der gegen-
seitigen Stellung zweier großen Menschenrassen und
für die religiösen Beziehungen. Die THatsachen sprechen
laut und enthalten viele gewichtige Lehren. Es wird uns nicht
einfallen, die Negersklaverei zu vertheidigen; stellt man aber einen
Vergleich an zwischen der Lage, in welcher sich der Neger in
Afrika befindet, wo er fast überall Sklave ist (denn neun Zehntel
aller Afrikaner sind in ihrer Heimat Sklaven), und wie er sich in
Amerika in seinem Hörigkeitsverhältnisse gestellt sieht, dann fällt
derselbe durchaus zum Vortheil der Neuen Welt aus.
Es steht fest, daß der Neger in den Kolonien wenig oder gar
nicht arbeitet, sobald ihm ein Zwangsantrieb fehlt. Die
Länder Amerikas, in welchen der schwarze Mensch sich in über-
wiegender Mehrheit befindet, was z. B. in Westindien der Fall ist,
gehen zurück, seitdem die Neger sich selbst überlassen bleiben. Vor
beinahe dreißig Jahren wurde in den britischen Besitzungen die
unbedingte Emancipation durchgeführt und sie wurden dem Ruin
immer näher gerückt; derselbe war nur dadurch abzuwenden, daß
man asiatische Arbeiter herbeiholte. Der Menschenfreund konnte
verschmerzen, wenn sie etwa weit weniger Zucker und andere tropische
Erzeugnisse als früher lieferten, er könnte sich gefallen lassen, daß
die Weißen den Schwarzen das Feld räumen, wenn nur
diese Letzteren in eine günstigere Lage gerathen wären. Aber das
ist leider nicht der Fall und die Verwilderung nimmt unter
den freien Negern in grauenerregender Weise überhand.
Auf Haiti sind sie seit länger als einem halben Jahrhundert
frei, auf Jamaika und in den übrigen englischen Antillen beinahe
halb so lange. Europa hat ihnen großes Wohlwollen bewiesen; pro-
testantische und katholische Geistliche in Menge haben sich unsägliche
Mühe gegeben, sie zu fittigen; sie besitzen die fruchtbarsten Lände-
reien in einem Klima, das ihrer Leibesbeschasienheit völlig zusagt;
sie fänden allezeit lohnenden Absatz für die Produkte, welche sie dem
Handel liefern würden, und doch ist der Rückschlag in die Bar-
barei unaufhaltsam. Die Klagen, welche darüber der päpstliche
Generalvikar aus Haiti nach Rom schrieb, stimmen vollkommen
überein mit den Berichten der englischer Missionäre aus Jamaika.
Der Neger stößt gleich, sobald er sich frei fühlt, und nicht, wie in
Nordamerika in kälterm Klima, in verhältnißmäßig geringer Anzahl
unter Millionen Weißen, das Wesen der europäischen und christlichen
Civilisation ab, und er behält höchstens einige äußere Formen,
die er obendrein häufig noch karrikirt. Er wirft sich mit Leid en-
schaft in das urwüchsige Afrikauerthum zurück. Zunächst
verschmäht er Ehe und Trauung und folgt seinem Hange nach Pro-
miscuität; man kann nicht einmal sagen, daß er Vielweiberei habe,
Ein Blick in das Leben und Treiben der westindischen Neger.
115
sondern er beliebt den Lunten Wechsel im wilden Durcheinander.
Er wendet sich von christlichen Geistlichen ab und folgt seinen Fetisch-
priestern, den Obiah- und Miallmännern; der Gott, welchen
er am liebsten verehrt, ist eine Schlange aus Congo. Dieser
Schlangenkultus macht seit Jahren reißende Fortschritte, und
der Geheimbund des Wo du greift auf Haiti immer weiter um
sich. Scheinbar und äußerlich behalten dessen Anhänger das Christen-
thum bei; die Berührungen mit den Weißen sind immer noch zu
mannichfaltig, als daß ein offenes Heraustreteu räthlich erscheinen
könnte, auch wollen die vielen Mulatten von einem Schlaugengötzen
nichts wissen, und spötteln über denselben. Aber viele Neger hängen
ihm mit Leidenschaft an.
Man wußte lauge, daß auf Haiti der Cougoschlauge göttliche
Ehren erwiesen werden, auch war es kein Geheimniß, daß dieser
Kultus überall, wo Neger in Masse beisammen leben, zum Beispiel
in Brasilien und selbst in Texas, im Schwange geht. Genauere
Einzelheiten über denselben haben wir durch Herrn von Bonneau
erfahren, welcher in einer wissenschaftlichen Zeitschrift ausführliche
Nachweise brachte. Der Gegenstand ist von kulturpolitischer Wichtig-
keit und verdient der Erwähnung, weil er einen Einblick in das
Leben der amerikanischen Neger öffnet.
Der Wodu, oder, wie die Franzosen schreiben, Baudou, ist
ein Geheimbund, dessen Mitglieder dieSchlange verehren; diese
letztere wird mit demselben Namen belegt. Sie ist eine Gottheit,
ein geheimnißvolles Wesen, welches Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft kennt, Einfluß auf alle Dinge dieser Welt übt, und deren
Sinnbild eben die Schlange ist. Der Neger sieht aber in diesem
Sinnbild auch die Gottheit selbst, welche ihre Orakel einem auf
Lebenszeit gewählten Oberpriester und einer Prophetin mittheilt;
jener heißt Papa Wodu und König, diese Mama Wodu und
Königin. Beide werden von Mitgliedern des schwarzen Bundes
mit großer Ehrfurcht behandelt und üben großen Einfluß. Auch
auf Haiti, wo Kaiser Soulouque ein eifriger Anhänger des Wodu
war, stehen sie in großem Ansehen.
Jede Landschaft hat ihren besonder» Wodu, aber die gesammte
Verbrüderung hängt innig zusammen. Zeit und Ort der Zusammen-
kunft bestimmt der Papa; sie findet in einem Wald oder in einem
abgelegenen Hause statt. Auf einem Gerüste befindet sich ein Kasten,
der aus der einen Seite mit einem Gitter versehen ist, und in dieser
heiligen Bundeslade wird die göttliche Schlange verwahrt.
Auf ihr stehen Papa und Mama mit blutrothen Tüchern behängt,
denn blutroth ist die heilige Farbe des Wodu; deshalb
trägt der Papa auch ein blutrothes Diadem und daneben ein breites
blaues Band. Der Kultus beginnt mit einer förmlichen Anbetung der
Schlange; die Anwesenden schwören, ihrem Dienste treu zu bleiben,
ihr zu gehorchen und das Geheimniß der Anbetung und der Brüder-
schaft unverbrüchlich zu bewahren. Darauf steigt die Mama von
der Bundeslade herab und verfällt in Zuckungen; sie zittert, spricht,
schreit, flucht, giebt Prophezeiungen und antwortet auf die Fragen,
welche von den Andächtigen an die Schlange gerichtet werden. Wer
eine Prophezeiung erhalten hat, wirft für den Gott ein Geschenk
in ein vor der Bundeslade stehendes Gefäß. Der Ertrag wird zu
Bundeszwecken verwandt. Den Eid der Treue bekräftigt mau da-
durch, daß man Blut von eben geschlachteten Ziegen trinkt; aber
manchmal wird zu diesem Zweck auch ein Kind geopfert. Das darf
um so weniger auffallen, da mau weiß, daß noch vor wenigen
Jahren auf Haiti zwei Negersekten bestanden, welche Men-
schen fraßen.
Die Einweihung, bei der Kräuter, Haare, Hörner rc. eine
große Rolle spielen, findet unter barbarischen Feierlichkeiten statt.
Nachdem der Neuling einen fürchterlichen Eid geleistet, beginnen
die Tänze und dauern fort, bis sich aller Anwesenden ein fieber-
haftes Zucken und eine Aufregung bemächtigt, welche durch den
Genuß von Zuckerbranntwein noch gesteigert wird. Das Rasen und
Toben nimmt einen immer ärgern Charakter an, Männer und
Weiber zerkratzen sich Leib und Gesicht, das Blut rieselt zum Boden
hinab. Einige stürzen hinaus, springen und schreien, andere machen
Kraftübungen, noch andere stecken ihre Arme in siedendes Wasser.
Inzwischen erfährt auch der wilde Tanz keine Unterbrechung und
hinterher folgen scheußliche Ausschweifungen und Orgien, die wir
hier nicht beschreiben können.
Die Anhänger des Wodu sind von allen Negern die gefähr-
lichsten. Ein Beobachter sagt: Der Woduschwarze will gar
nicht arbeiten; er stiehlt und spielt den Scheinheiligen; er ver-
theilt Gifte und richtet viel Unheil an. Er hat bei der Aufnahme
in den Bund seine Standhaftigkeit bewiesen. Als man ihm im
Kreise der Eingeweihten die Binde von den Augen nahm, sah er
eine Blutlache und in derselben Bogelkrallen und Federn liegen;
dann entstand ein Geräusch, und darauf trat der Papa-König
hervor, in der einen Hand einen Feuerbrand, in der andern einen
Dolch. Er fragt den Neuling: „Was willst du hier?" und erhält
zur Antwort: „Ich will die heilige Schlange küssen und von der
Wodukönigin ihre Befehle und ihre Gifte erhalten." Der König
rennt ihm dann den Stahl in das Dickfleisch der Arme und Beine
und hält den Feuerbrand auf die Wunden. Wehe ihm, wenn er vor
Schmerz aufschreit; er würde auf der Stelle ermordet. Aber wenn
er standhaft bleibt und würdig befunden wird, dann führt man
ihn hinter einen Vorhang und windet die heilige Schlange um seinen
Leib; er küßt sie und erhält von der Königin die Gifte. Sieben
Neger schlagen mit Macht auf die heilige Trommel, das neue
Mitglied nimmt den Becher, dessen Inhalt aus Blut und Schieß-
pulver gemischt ist, und leert ihn. Während er trinkt, wird ge-
sungen, und ein solches Einweihuugslied beginnt: „Wir schwören,
daß wir die Weißen vernichten wollen!"
Die Mitglieder des Wodubuudes gewähren einander Schutz
und Unterstützung, ihre Zauberer üben großen Einfluß
und verbreiten den Fetischdienst immer weiter. Solch
ein heiliger Mann hat in seiner Hütte einen Altar, auf welchem
neben dem Kruzifix und Marienbild allemal auch einige afri-
kanische Fetische angebracht sind! Der Papa Wodu besitzt eine
Gewalt, wie bei uns im Mittelalter das Vehmgericht; überall
stehen ihm Anhänger zu Gebote, welche auf sein Geheiß einen
Menschen, welchen er als Feind des Bundes bezeichnet, niederstoßen
oder vergiften.
Der Wodu spielt in der Geschichte von Haiti eine große Rolle;
Toussaint Louverture erließ schon im Jahre 1800 eine Verordnung
gegen die Gesellschaft, weil sie gemeingefährlich sei; es ist aber be-
zeichnend für diesen Neger, daß er den Wodu hauptsächlich deshalb
haßte, weil er des festen Glaubens war, er sei von demselben derart
behext, daß er, Toussaint, durch die Nase spreche. Dessalines
ließ sich vom Papa Wo du Zauber geben, die ihn unver-
wundbar machen sollten; als er aber trotzdem ver-
wundet wurde, g er ieth er in Wuth, ließ sich sein Geld zu-
rückerstatten und späterhin ein halbes Hundert Wodu-
anhänger auf Bajonnette spießen. Auch nachdem er Kaiser
geworden, verfolgte er die Sekte und ließ viele ihrer Eingeweihten
in's Meer werfen. Denn es gilt der Glaube, daß Salzwasser dem
Wodn alle Kraft nehme. Kaiser Faustin Soulouque dagegen war,
wie schon bemerkt, ein höchst eifriger Wodumann, und seit seiner
Thronbesteigung der Bund in größerm Flor als je zuvor auf Haiti.
Der Christengott tritt immer mehr in den Hintergrund, die
Schlange ist Spenderin alles Guten und Bösen, gerade
wie auf den Küsten von Guinea und Congo, das Bluttriuken
geht im Schwange. Der Neger saugt der noch lebenden Ziege
oder dem Ochsen das warme Blut aus und läßt nicht eher ab, als
bis er, nian möchte sagen trunken von Blut, auf dem Schlachtopfer
liegt, Alles zur Verherrlichung des Schlaugengottes.
So weit sind die Dinge bereits gediehen, seitdem die
Weißen sich der Ko ntrole über die Reg er begeben haben,
und so lange diese fehlt, giebt es kein Mittel, dem Um-
sichgreifen der Barbarei zu steuern. Man kann Haiti kaum
noch als ein christliches Land bezeichnen, seitdem viele Priester,
15*
116
Briefe über Böhmen.
schwarze natürlich, zugleich Messe lesen und dem Wodu an-
gehören. Der letztere sagt ihrem Naturell zu, der Zwang,
welchen die christliche Kirche ihnen auserlegt, erscheint lästig, und
sie mögen deshalb keine weißen Geistlichen unter sich dul-
den. Auf Jamaika sind die Sachen noch nicht so weit gediehen,
es scheint aber wenig Aussicht vorhanden zu sein, daß dort die
Dinge eine Wendung zum Bessern nehmen; denn die afrikanischen
Traditionen haben sich fortgepflanzt, und das Negerthum findet
freien Spielraum. Es kümmert sich nicht um die Wünsche und
Wehklagen der „Philanthropen", durch deren Maßregeln eine
solche Wiederverwilderung möglich wurde. Deswegen müssen auch
sie, wiewohl sie es nur mit Leidwesen thun, jetzt eingestehen, daß
die Emancipation, so wie sie stattfand, eine unprak-
tische und übereilte Maßregel war, welche gerade über
die Schwarzen unsäglich es Unheil gebracht hat. Nur weiß
Niemand ein Mittel, dasselbe abzuwenden und die Uebereilung
wieder gut zu machen. A-
Griefe über Göhmen.
Vierter Artikel.
Tschechische Literatur und Sprache. - Einwirkungen der deutschen Sprache. —
Von der tschechischen Sprache weiß man im Allgemeinen in
Deutschland sehr wenig oder macht sich von ihr falsche Begriffe.
Man hört dort von „Stockböhmen", die im Innern des Landes
wohnen und die neben der geradebrechten deutschen Sprache noch
ein eigenes slawisches Idiom reden, das mau sich so etwa wie die
Zigeunersprache denkt. Und doch ist nichts falscher als gerade diese
Ansicht. Wir müssen gestehen, daß auch wir mit derselben nach
Böhmen kamen, nach langem Aufenthalt und Erlernung der Sprache
aber fanden, daß sie eine reiche und auch wohllautende sei.
Sie hat eine Zeit gehabt, in der sie sogar diplomatische Sprache
war, ihre Literatur war einst in verhältnißmäßig hoher Blüte und
brachte auch Eigenartiges hervor. Doch sank sie zum Aschenbrödel
herab und nur noch Kalender, Gesangbücher und derlei Schriften
wurden in ihr gedruckt. Die Schlacht am Weißen Berge warf,
wie so Vieles, auch die tschechische Sprache gänzlich darnieder;
herrschend ward in Böhmen die deutsche Sprache und ist es auch,
wiewohl beschränkt, geblieben bis auf den heutigen Tag. Aber
die fast schon todt geglaubte tschechische Sprache feierte ihre Auf-
erstehung.
Aehnlich wie bei den Flamingen in Belgien, mit deren Na-
tionalbewegung die tschechische überhaupt viel Aehnlichkeit hat,
knüpften die Tschechen an ihre alte Literatur an, und die ganze Be-
wegung, die erst später auf das sprachliche nnd Politische Gebiet
überging, hatte Anfangs einen rein literarischen Charakter. Abbs
Dobrovsky, der große Slawist, von dem hauptsächlich die An-
regungen ausgingen, hielt die tschechische Sprache selbst für zu-
kunftslos und wenn man sich in seiner Gegenwart derselben be-
diente, pflegte er zu sagen: „Lassen wir die Todten ruhen." H anka,
Jungmann, Schafarik und Palaeky, alle vier Männer von
Bedeutung, schlossen sich ihm an. Joseph Jungmann, in seiner
Jugend ein armer Hirtenknabe in dem Dorfe Hudlitz, legte durch
seine Geschichte der böhmischen Literatur und sein tschechisch-deutsches
Wörterbuch, ein Riesenwerk, den Grundstein zur neuern tschechi-
schen Literatur; der Slowake Schafarik verbreitete zuerst in seinen
klassischen „slawischen Alterthümern" unerwartet ein Helles Licht
über die bis dahin dunkle Vergangenheit des europäischen Ostens;
der Mähre Palaeky hellte, freilich nicht ohne Parteilichkeit gegen
die Deutschen, die tschechische Geschichte auf, und Wenzel Hanka
machte sich besonders um die Erforschung der ältesten tschechischen
Schriftdenkmale verdient.
Unter diesen nimmt in jeder Beziehung die Königinhoser
Handschrift, die als eine Art Nationalheiligthum von den
Tschechen betrachtet wird, den ersten Platz ein. Ist sie und sind andere
verwandte Schriftstücke echt, so wäre mit ihr der Beweis geliefert,
daß bereits vor dem Jahre 1000 bei den Tschechen eine hohe geistige
Kultur Platz gegriffen hatte; für den Fall ihrer Unechtheit zerfällt
derselbe aber in Nichts. Hanka fand diese Pergamenthandschrift
„unter alten verrosteten Hussitenpseilspitzen" in einem Thurme zu
Königinhof und besorgte deren Herausgabe. Sie soll im dreizehn-
ten Jahrhundert niedergeschrieben sein, ihr Ursprung aber bis in's
neunte Jahrhundert, zurückreichen. Uebersetzt ward sie in's Ma-
gyarische, Italienische, Französische, Englische und zweimal in's
Deutsche von Swoboda und dem Grafen Thun. Ihr Inhalt ist
theils lyrischer, theils episch-geschichtlicher Natur.
Bekanntlich ward sie von der deutschen Kritik, besonders von
Max Büdinger und Feifalik, stark als unecht angefochten. Die
Tschechen aber, unter ihnen der alte Palaeky, traten mit großem
Eifer für die Echtheit auf und selbst in dem verflossenen Jahre
brachen die Brüder Jiretschek noch in deutscher Sprache eine
Lanze dafür. Wir maßen uns kein Urtheil über diese Streitfrage
an, wenn wir auch geneigt sind, uns auf die Seite unserer Lands-
leute zu stellen, und fügen nur hinzu, daß jeder Tscheche einen
Zweifel an der Echtheit für eine Nationalbeleidigung ansieht. Dem
sei wie ihm wolle, die Schönheit der in der Königinhoser Hand-
schrift mitgetheilten Gedichte ist über allem Zweifel erhaben, und
selbst für den Fall, daß sie unecht ist, würden Gedichte dieser Art,
in unserer Zeit geschrieben, den Dichter derselben gewiß zu einem
Poeten hohen Ranges erheben. Wir theilen, was die Leser gewiß
nicht ungern sehen werden, hier einige lyrische Proben nach Weuzig's
Uebersetzung mit.
Das Mädchen und die Lerche.
Jätet dort ein Mädchen Hanf
Bei dem Herrengarten,
Eine Lerche fragt die Maid:
„Was bist du so traurig?"
„„Ach wie könnt' ich fröhlich sein,
Liebe kleine Lerche!
Führten ja den Holden mir
Fort zum Felsenschlosse.
Hätt' ich eine Feder nur,
Schrieb ich ihm ein Briefchen,
Nnd dn, Lerchlein, flögst damit
Hin zu meinem Holden.
Doch nicht Hab' ich Feder, Blatt nicht,
Kann kein Briefchen schreiben;
Grüß' ihn du mit Sang, und sag' ihm:
Daß vor Leid ich sterbe!""
Des Mädchens Klage.
»Ach ihr Wälder, dunkle Wälder,
Miletiner Wälder,
Warum grünt ihr immer wieder
Winters, wie in: Sommer?
Briefe über Böhmen.
117
Gerne möcht' ich wohl nicht weinen,
Nicht das Herz mir quälen;
Aber sagt, ihr guten Leute,
Wer soll hier nicht weinen?
Wo mein Vater, lieber Vater?
Ach in's Grab vergraben!
Wo die Mutter, gute Mutter?
Ach graönberwachsen!
Hab' nicht Bruder, Hab' nicht Schwester,
Und mein Trauter — ferne!"
Die philologischen, archäologischen und historischen Werke der
vier oben genannten Gelehrten sind von bleibendem Werth und
gereichen, obgleich theilweise in deutscher Sprache geschrieben, der
tschechischen Literatur zu hohen Ehren. Juugmanu, der arme
Hirtenknabe, starb 1847 als Ritter des Leopoldordcns, Schafarik
und Hanka starben vor wenigen Jahren. Noch lebt der bejahrte
Pal acky und mit ihm wird man den letzten Mann von Bedeu-
tung begraben, der, auf deutscher Bildung fußend, der tschechischen
Literatur einen verdienten Ruhm verschaffte. Denn der Nachwuchs
entspricht in keiner Beziehung den Vorfahren, und was jetzt in
tschechischer Sprache geschrieben wird, ist meist unbedeutend und
werthlos. Aber es herrscht eine ungemeine Rührigkeit unter den
jetzigen tschechischen Schriftstellern: die Produktion ist eine er-
stannenswerth massenhafte, jedoch mit dem Gepräge der Nach-
ahmung versehene, ohne all und jede Eigenthümlichkeit. Mit der
größten Emsigkeit werden die Schätze der deutschen Literatur über-
tragen und ausgebeutet und die Zahl der tschechischen Zeitschriften
nimmt fortwährend zu. In den letzten Jahren sind auch fach-
wissenschaftliche Zeitungen entstanden: eine pädagogische, rechts-
wissenschaftliche, medicinische, naturwissenschaftliche und mehrere
landwirthschaftliche. Diese Sachen sind aber nur als für die
Tschechen vorhanden, für alle anderen Völker aber als begraben
anzusehen, da man deutschen, englischen und französischen Gelehr-
ten nicht zumuthen kann, tschechisch zu lernen, um vielleicht in den-
selben etwas Gutes zu finden. Das haben denn die Tschechen
theilweise auch selbst eingesehen, und wo es ihnen um die Wissen-
schaft oder um größeres Bekanntwerden ihrer Arbeiten zu thun
war, schrieben sie deutsch. So erschienen die Werke der berühmten
tschechischen Mediciner Skoda, Hamernik, Purkynö und Rokitansky
in unserer Sprache und das Beste, was ihre neuere Geschichts-
forschung nächst Palacky's (auch deutsch geschriebener) böhmischer
Geschichte hervorbrachte, Gindely's Geschichte der böhmischenBrüder
und Geschichte Kaiser Rudolfs II., sind gleichfalls deutsch ge-
schrieben. — Die neueren tschechischen Lyriker, Dramatiker und
Romanschriftsteller sind nicht erwähnenswerth und würden auch ihre
Sachen unbekannt für andere Völker geblieben sein, wenn sich nicht
unter ihnen selbst Uebersetzer, wie Wcnzig und Alfred Waldau
(Jarosch), gefunden hätten, welche die deutsche Literatur mit un-
verlangten Uebertragnngen beglücken. Uns ist nur ein Werk be-
kannt, die erwähnten slawischen Alterthümer Schafarik's, welche
als Stütze für deutsche Geschichtsforschung von einem Deutschen
übersetzt wurden.
Wir haben oben gesagt, daß die tschechische Sprache eine
reiche und auch wohllautende sei. Wenn sie auch, wie das bei
zweihundertjährigem Drucke von Seiten der österreichischen Regie-
rnug nicht anders sein konnte, in Allem, was Ausdrücke, welche die
großen Fortschritte der Wissenschaften gerade in dieser Zeit betreffen,
zurückgeblieben ist, so ist doch binnen kurzer Zeit hierin ein be-
deutender Aufschwung zu bemerken. Mit emsigem Fleiße holte
man das Versäumte so gut es ging nach, eignete Wörter anderer
slawischer Idiome der tschechischen Sprache an oder bildete selbst
neue, die mit Blitzesschnelle in den gebildeten tschechischen Kreise
Aufnahme fanden. Zu gleicher Zeit wurden eifrig die eingedrnn-
genen deutschen Wörter ansgemerzt, und so bieten denn heute alle
in tschechischer Sprache gedruckten Schriften dieselbe in ihrer reinen
Gestalt; viel reiner als das mit diplomatischen französischen Bettler-
lappen verbrämte Deutsch, welches unsere Zeitungen uns vorführen.
Es ist nicht zu längnen, daß die tschechische Sprache wieder
viele innerhalb ihres eigenen Gebietes entrissene Kreise der Gesell-
schaft zurückerobert hat. Die Aemter verkehren, wie recht und billig,
wieder mit den Parteien tschechisch — der Gottesdienst war es stets,
und selbst im Landtage hört man diese Sprache, wenn auch nur
zum Zeichen, daß ihr Recht gewahrt werde. Doch behauptet die
deutsche Sprache sich einen festen Stand unter den Tschechen; jeder
Gebildete ist ihrer kundig und muß sie auch können, wenn er über-
haupt fortkvmmen will, da Pie Welt nicht blos aus dem kleinen
tschechischen Sprachgebiet besteht. Der tschechische Kaufmann, der
tschechische Industrielle und Großgrundbesitzer führt fast durch-
gehends auch heute noch seinen Briefwechsel und Geschäftsbücher
deutsch und wird, da er im Handel und Wandel meist mit Deutschen
zu thun hat, wohl schwerlich je davon abgehen.
Es giebt in ganz Böhmen sicher keinen auch noch so entlegenen
Weiler, in dem nicht wenigstens ein Mensch deutsch kann. Ent-
weder lernten die Mädchen während der Dienstzeit in Prag, der
Handwerker während der Wanderjahre oder der junge Bauer als
Soldat mehr oder weniger geläufig Deutsch. In den deutschen
Bezirken Böhmens findet das Umgekehrte aber keineswegs statt;
mit Ausnahme der Sprachgrenzbezirke findet man selten in den
deutschen Dörfern Jemanden, der tschechisch redet, ans dem ein-
fachen Grunde, weil dieNothwendigkeit zur Erlernung durch-
aus nicht vorliegt. Die Tschechen, die zu ihrem Fortkommen
unumgänglich der deutschen Sprache bedürfen und deshalb schon
in nationaler Beziehung als unversehrt nicht betrachtet werden
dürfen, möchten auch gern das Umgekehrte Hervorrufen und den
Deutschen dnrchgehends die Erlernung des Tschechischen aufzwin-
gen. In den Sprachgrenzdistrikten, wo die Nothwendigkeit dazu
vorliegt, sind die Deutschen von selbst darauf eingegangen, und
hier hilft ein sehr praktisches Mittel allen etwa durch Einsprachig-
keit hervorgernfenen Uebelständen ab. Man tauscht nämlich die
Kinder auf einige Zeit ans; das tschechische Kind, nachdem es seine
Muttersprache erlernt hat, wird zu Deutschen des benachbarten
Dorfes gebracht, deren Kind dann wieder bei den tschechischen
Eltern Unterkommen findet und deren Sprache erlernt. So kommt
es denn, daß an der Sprachgrenzlinie beinahe All' und Jeder zwei-
sprachig ist, wenn auch in höherem Maße auf der tschechischen Seite.
Ob dies nun eine Folge der größern Nothwendigkeit oder mit der
den Slawen überhaupt nachgerühmten Fähigkeit, fremde Sprachen
leicht zu erlernen, zusammenhängt, lassen wir dahingestellt.
Daß bei diesem Jneinandergreifen der Sprachen eine Ein-
wirkung der einen auf die andere nicht ausbleiben konnte, liegt auf
der Hand; hört man doch von einzelnen Leuten oft ein gar selt-
sames Gemisch reden; sie beginnen einen Satz tschechisch und voll-
enden ihn deutsch, oder wiederholen das eben Gesagte in der
andern Sprache. Häufig stellt man die Frage deutsch und erhält
die Antwort tschechisch. So haben beide Sprachen von einander
angenommen, wenngleich die deutsche in ungleich geringerm Maße.
Der Deutschböhme braucht die Worte Kren für Meerrettig,
Schmetten (von smetana) für Rahm, Kolatschen für Kuchen,
Kasch für Brei, Batschkoren für Filzpantoffeln, er sagt mit
einem Tschechismus „das Kind spielt sich", statt es spielt, „es
st e h t n i ch t d a f ü r ", statt es ist nicht der Mühe werth. In Prag
sind die Dienstboten wesentliche Propagandisten für die tschechische
Sprache; das Hinterland ist dort rein tschechisch und so kommt es,
daß deutsche Familien meist tschechische Dienstboten haben, die frei-
lich alle Deutsch können, jedoch die Kindermädchen und Ammen
besonders den Kindern zuerst ihre Sprache beibringen. So kommt
es, daß die deutschen Kinder leider dort nicht zuerst ihre Mutter-
sprache lernen und in der frühesten Jugend sich häufig mit den
Eltern nicht verständigen können. Es klebt dies unläugbar für
spätere Zeiten an und hat zur Folge, daß sich mancher Deutsche
entnationalisirte.
Bei der Erlernung seiner Sprache kommt der Tscheche dem Deut-
schen ungemein gefällig entgegen; er hat herzliche Freude daran,
118
Ein Besuch in der Krokodilenhöhle von Samnn.
den Deutschen sein Idiom radebrechen zu hören und versäumt es
nie, ans das Liebenswürdigste die Fehler zu verbessern, ohne
dabei in eine Unart unseres Volkes zu verfallen: über den Fehlen-
den zu lachen. Er erklärt dem Deutschen, daß seine geliebte Mutter-
sprache durchaus nicht so hart und mit Zischlauten überladen sei,
wie es der — übrigens ausgezeichnet bündigen — Rechtschreibung
nach der Fall zu sein scheine und daß, wenn wir Deutschen ihm
das berühmte „Strtsch prst skrz krk" (Steck den Finger durch
den Hals) vorwerfen wollten, es ihm nicht schwer fallen würde, in
der deutschen Sprache ähnlich lautende Wörter aufzufinden. Dem
ist in der That so.
Wie weit der Gebrauch deutscher Wörter in der tschechischen
Sprache oft geht, ist am besten an dem Einfluß unserer Sprache
auf Bezeichnung gewerblicher und industrieller Dinge zu erkennen.
Wenn sich nicht mit bestimmten historischen Daten beweisen ließe,
daß Gewerbe und Industrie zum großen Theil von Deutschen
unter den Tschechen eingeführt wurden, so würden die deutschen
technischen Benennungen, die überall gebraucht werden, laut und
beredt dafür sprechen. Man gehe einmal in eine tschechische Tischler-
oder Schlosserwerkstatt und frage, wie heißt dieses oder jenes
Werkzeug? Der Tischler hat seine „Hobli und Mesliki" (Meißel);
er macht „Falzt und Kistni" oder behobelt (hoblemat) „Lati".
Der Schlosser hat seinen „ S chronbschtock", seine „Klupna"
(Kluppe) u. s. w. Man giebt sich von Seiten der Tschechen Mühe,
auch hier auf die Sprache reinigend einzuwirken und verfaßt kleine
technische Wörterbücher, in denen die Wörter aber oft sehr weit
hergeholt sind und an einen Campefichen „Gesichtserker" für Nase
erinnern. Auch sind Erfolge bis jetzt noch nicht zu verspüren ge-
wesen.
Treten wir einmal in einen alten böhmischen Wald, in dem
eben Holz gefällt worden ist; wir sehen schwarze, rußige Gestalten
damit beschäftigt, die Holzklaftern zusammenzurücken (rnkowat),
dann schlichten (s ch li ch t o w a t), die Köhler den Meiler (Milir s ch),
sie stellen den Quandelpsahl (kwendle) auf und brennen Kohlen.
Ein Fuhrmann (forman) kommt und holt die Kohlen ab, um sie
zum Hüttenwerk (h nt) zu führen. Dort ist nun wieder fast jeder
technische Ausdruck deutsch: Die Gicht, die Formen, das Gestell,
der Tümpel, die Hämmer, das Poch- und Quetschwerk, die Werk-
zeuge, Alles wird, nur ein wenig verunstaltet, wie bei uns benannt.
Einzig und allein deutsch sind auch sämmtliche beim Berg-
w esen gebrauchte technische Benennungen. Es ist dies nicht zu
verwundern, denn im Berg- und Hüttenfache waren von je die
Germanen die Ersten und die Lehrer der anderen Völker. Das erste
Werk über Hüttenkunde wurde von einem Deutschen (Georg
Agri cola) geschrieben, und wie der europäische rationelle Berg-
bau so recht eigentlich seinen Ursitz im Harz und Erzgebirge auf-
zuweisen hat, ist bekannt. Von dort wurden zahlreiche Arbeiter-
kolonien nach allen Weltgegenden gerufen, um die deutsche Art des
Bergbaues einzuführen, auch nach Böhmen, namentlich Kutten-
berg, kamen viele.
Wohin aber auch der deutsche Bergmann kam, er brachte sein
„Glück auf" mit, und so tönt dasselbe denn heute von Kongsberg
in Norwegen bis zum Balkan, wo deutsche Bergknappen anfahren.
Auch der tschechische Heuer (hawirsch, abgeleitet von der älteren
deutschen Form H aw er) grüßt mit Glück auf! Freilich hat man
versucht, ihm einen nationalen, aber nicht entsprechenden Gruß:
Zdar buh! (Gedeih's Gott!) beizubringen, doch ohne Erfolg.
Er trägt den deutschen Bergkittel und das Leder, spricht vom
Steiger, von Schachten, Stollen, Fahrten, vom Liegenden und
Hangenden (linti a hanti), von Hunten, mit denselben deutschen
Worten. Nur seine Ausdrücke für die Erze und Mineralien, selbst
die seltensten, sind gut tschechisch. Ihm fehlt aber gänzlich die No-
mantik des deutschen Bergmannes, er kennt keine Erdgeister, Ko-
bolde und Metallkönige, keine mit fröhlichem Glück auf! endenden
Berglieder, die das Leben unserer Knappen so farbig und anziehend
gestalten. Aber fromm ist er, wie der deutsche Bergmann auch.
Ein Gesuch in der Krokodilenhöhle von Samnn.
Man bezeichnet in Aegypten das Land zwischen dem Nil und
dem Rothen Meer als die Arabische Wüste; sie reicht nach Süden
hin bis zum Gebirgszuge der Katarakten von Assuan in einer
Mittlern Breite von etwa 26 deutschen Meilen und in einer Aus-
dehnung von etwa sechs Breitengraden. Dieses wilde Gebirgs-
land bildet ein chaotisches Gewirr von Felsmassen, welche durch
tiefe, mit Sand gefüllte Thäler von einander geschieden sind.
Ebenen und Oasen fehlen, auch sind Wasserquellen nur spärlich
vorhanden, und die wenigen Bäche verlieren sich im Sande. Nur
ein schmaler Ufersaum am Nil ist anbaufähig.
Am Nil liegen, wie schon vor zweitausend Jahren der Geschichts-
schreiber Diodorus Siculus sich ansdrückte, große bewunderns-
würdige Werke, unvergängliche Monumente ägyptischen Ruhmes.
Dort liegen namentlich auch die Nekropolen, die Todtenstädte,
wunderbare Friedhöfe, in denen Menschen und Thiere beigesetzt
wurden. „Denn die alten Aegypter achten das zeitliche Leben ge-
ring, aber auf das Fortleben nach dem Tode, in rühmlichem An-
denken, legen sie den höchsten Werth. Sie nennen die Gräber der
Verstorbenen ewige Häuser, weil sie an eine grenzenlose Fortdauer
derselben in der Unterwelt glauben." So drückt sich ein alter
Grieche ans.
Auch die Werke der Aegypter, welche unter der Erde liegen,
erregen unser Staunen. Ein großer Theil des westlichen Nilufers,
die libyische Gebirgskette, ist hohl und beherbergt Mumien in ge-
radezu ungeheurer Menge. Die Eingänge zu diesen Katakomben
oder Hypogäen, Bauten unter der Erde, find nur schmal, aber
im Innern ziehen sich Gänge und Grotten, Nischen, Säle, Säulen-
hallen hin; man sieht viereckige Vertiefungen, sogenannte Mumien-
brunnen, und schöne Pforten. -Von besouderm Interesse ist die
Nekropolis von Theben. Belzoni, welcher einen Theil derselben
geöffnet hat, sagt: „In diesen Grabräumen lag eine solche Menge
von Leichen, daß ich an manchen Stellen keinen Schritt weiter
konnte, ohne auf eine Mumie zu treten; alle Minuten kam mein
Gesicht in Berührung mit einem alten Aegyter."
Unser Landsmann, Herr vonProkesch-Osten, hat vor etwa
einem Menschenalter seinen Besuch in der Todtenstadt von Theben
geschildert. Derselbe war nicht ohne Gefahr, die Luft drückend
heiß, Schwärme von Fledermäusen waren lästig, man trat immer
und immer wieder auf Mumien und der Staub war entsetzlich.
An manchen Stellen muß man kriechen wie ein Krokodil. Aber in
den Tagen der alten Aegypter herrschte Ordnung in der Todten-
stadt, denn noch heute sieht man Spuren von Pracht und Schmuck.
Die Mumien waren nach den verschiedenen Ständen anfgestellt
oder vielmehr gelegt, theils in Särgen, theils nicht. Neben
manchen hat man Papyrusrollen gefunden; die Wände sind mit
Hieroglyphen bedeckt. Prokesch fragte sich: „Bin ich im Traume
oder haben sich mir Bilder der Feenwelt verwirklicht?"
Unter den Nekropolen ist die sogenannte Krokodilenhöhle
von Samnn bemerkenswerth. Wir wollen zum Führer dorthin
den Reisenden A. Georges wählen, welcher sie im Jahre 1860
besucht hat.
Bei Sonnenuntergang, schreibt er, verließ ich Siut, die
Ein Besuch in der Krokodilenhöhle von ©amurt.
119
Hauptstadt von Oberägypten, fuhr nilabwärts und war um Tages-
anbruch beim Landungsplätze Meguel Qual, von wo ans man die
Wanderung zur Krokodilengrotte antritt. Am Ufer saß ein Mann,
welcher sich als Fremdenführer zu erkennen gab und für eine
Summe von fünf und einem Drittel Thaler mich führen und alles
Nöthige schaffen wollte, Wachskerzen ausgenommen. Das „Alles"
bestand freilich nur in zwei Eseln; die Zügel dieser Thiere waren
aus Palmenfasern geflochten; der Sattel war sehr unbequem und
rutschte obendrein hin und her; es macht aber nicht viel ans, wenn
man einmal in den weichen Sand fällt.
Wir stiegen zu Esel. Mein Dragoman (Dolmetscher) hatte
ein paar Pistolen in den Gürtel gesteckt, und ich fragte ihn, ob er
die Mumien bekämpfen wolle; zwei Schiffslente und der RalS,
Barkenführer, gingen auch mit; sie trugen Wachskerzen und eine
Minarete von Monfalnt und Siut genau erkennen, und der Nil
verlor sich am fernen Horizont im Grün der Gefilde.
Bald gelangten wir auf den Gipfel der Kette, auf welcher ab-
gerundete Hügel sich erhoben. Nun bestieg ich meinen Esel wieder;
meine Füße wären dort oben verloren gewesen; nur Esel und Araber
können das Gehen auf den spitzen oder unter den Sohlen hinweg-
rollenden Steinen ertragen. So kamen wir auf eine Hochebene,
welche Dakleh genannt wird und mit einer Ungeheuern Menge
von Steinen übersäet ist, welche so ziemlich annähernd einerlei Größe
und Gestalt haben. Mein Führer gab mir dafür die Erklärung in
seiner Weise. — Hier wohnte, sagte er, vor Zeiten ein Mann, der
hieß Dakleh und baute Melonen. Eines Tages wurde ihm der
Arbeit zu viel und er fluchte darüber. Allah nahm das übel auf,
verwandelte die Melonen in Steine, das Feld in eine Wüstenei und
Ritt über das Steinfeld Dakleh nach den Katakomben von Samun.
Laterne. Dazu kamen noch ein junger Bursch aus dem Dorfe uud !
die beiden Eseltreiber. Aufaugs ritten wir über fruchtbare Felder,
in denen viele Palmen stehen, aber bald näherten wir uns der Berg- !
kette auf der arabischen Seite. Dort liegt die Höhle.
Der Führer, ein Mann von etwa fünf und dreißig Jahren,
erzählte uns, daß die Leute in jener Gegend Scheu tragen, die
Höhle zu besuchen. Inzwischen hörte aller Pflanzenwuchs auf,
und da, wo die öde, dürre Wüste beginnt, liegt ein kleiner mo-
hammedanischer Begräbnißplatz. Von dort ab ritten wir einen
engen, sehr steilen Pfad hinan; unaufhörlich rollten Steine unter
uns hin und wir stiegen ab. Die Gebirgsformation ist höchst eigen-
thümlich. Von einem gewaltigen, gleichsam ausgezahnten Blocke
hatten wir einen Blick auf das Nilthal und sahen weidende Schafe,
Palmen, grüne Felder und Dörfer. Der lichte Dunstschleier, welcher
anfangs die Niederung überzogen hatte, verschwand bald, und so
konnte ich auf eine weite Strecke hin den Lauf des Stromes ver-
folgen. Bei der wunderbar durchsichtigen Luft konnte ich die weißen
den Mann in einen Felsen. Die Steine haben in ihrer Gestalt
allerdings Aehnlichkeit mit syrischen Melonen.
Oben auf der Hochebene hatten wir die Wüste in ihrer ab-
schreckenden Nacktheit; nur einigemale sah ich da und dort etwas
Stechginster; auch einen Schakal habe ich bemerkt, aber keinen
Vogel, außer einem Adler auf dem hohen Felsen über Dakleh.
Kein Lüftchen ging, kein Insekt summte, und Alles war so feierlich
und still wie im Thale von Bibran cl Moluk, das von Theben
nach den Gräbern der Pharaonen führt. Diese liegen in einer ent-
setzlichen Einöde, wo Alles Schweigen ist. Sie paßt vortrefflich für
Einsiedler, die von aller Außenwelt sich abscheiden und lediglich
der innern Betrachtung sich ergeben wollten, und deswegen ist diese
thebaische Wüste auch der klassische Boden der alten christlichen
Anachoreten.
Wir befanden uns nun in der Nähe der Krokodilengrotte, aber
vergeblich suchte ich einen Eingang. Endlich wies der Führer auf
einen unregelmäßigen Spalt, der mit dem flachen Boden gleich
«
120
Ein Besuch in der Krokodilenhöhle von Samnn.
lag. Diese Oeffnung hat höchstens zwei Ellen Durchmesser, und
sie bildeten den Eingang. Bevor ick Hinabstieg in die Nekropole,
erklomm ich einen Hügel, um diese seltsame Gegend zu überblicken.
Ich sah nichts als Gestein und ein breites Bett gelben Sandes,
das einem Strome glich, denn der Wind hatte ihm eine wellen-
förmige Oberfläche gegeben.
Nun wagte ich mich in die Höhle, nachdem ich Beinkleider von
Zwillich angezogen und ein Tuch über den Kopf gebunden hatte.
Wir zündeten die Wachsfackeln und die Laterne an und stiegen
ohne weitere Schwierigkeit hinab. Bald kamen wir jedoch auf
feinen Sand, den ich besser als Staub bezeichne; er wirbelte empor
und benahm mir fast den Athem. Nach dreißig Schritten gewahrten
wir keinen Schimmer mehr vom Tageslichte; mein Dragoman
wurde ängstlich, wollte nicht weiter gehen und beschwor mich, mit
ihm umzukehren. Er war im Uebrigen ein kecker, resoluter Bursch,
aus Syrien, von europäischer Abstammung, rühmte sich, in Abes-
sinien Löwen und Elephanten erlegt zu haben, aber mit Mumien in
der Unterwelt mochte er sich nichts zu schaffen machen. Er meinte,
dort wimmle es von Geistern. Er kehrte wirklich um; wir aber
gingen vorwärts oder wir krochen vielmehr.
Es war eine entsetzliche Arbeit. Der Staub überdeckte mich,
mir stieg das Blut zu Kopf und meine Nerven waren ungemein ge-
reizt. Wir mußten uns durch lange, schmale Gänge hindurch-
winden, und das bleiche Fackellicht machte, wenn ich so sagen darf,
die Dunkelheit greifbar. Mir wurde körperlich und moralisch un-
wohl und ich empfand eine unbeschreibliche Sehnsucht nach Licht,
Luft und Sonne. Aber umkehren mochte ich doch nicht.
Aus dem Sande gelangten wir ans unebenen Boden und
mächtige Steine lagen quer im Wege. Die Wände drängten sich
hier nahe zusammen, dort wurden sie breiter. Der Pfad war bald
erhöht, bald vertieft oder wellenförmig, und spitze Steine ragten
wie Stalaktiten aus den Wänden oder von der Decke herab.
Manchmal kam ein hoher, breiter Raum, in welchem man aufrecht
gehen konnte, und ich verglich solche Stellen mit den Oasen der
Wüste. Endlich traten wir in einen großen, ringförmigen Raum,
dessen Boden von einer wirr durcheinander liegenden Masse von
Steinen gebildet wird, über welche wir hinwegkletterten.
Dort sah man noch vor wenigen Jahren einen todten Mann,
der ein entsetzliches Schauspiel darbot. Er saß ans einem Stein,
an die Wand gelehnt, und hatte noch die ganze Haut; die Arme
waren ausgestreckt wie bei einem Menschen, der aus dem Schlaf
erwacht und gähnt; der Kopf war etwas nach hinten übergebeugt,
der Leib steif, das Auge unheimlich groß, der Mund verzerrt und
geöffnet, als habe er eben schreien wollen; das Haar hing nach
vorne über den Schädel hinab, und das Ganze machte einen fürchter-
lichen Eindruck, da auch die Nägel in's Fleisch sich eingeklammert
hatten; wenn man auf den Leib schlug, ertönte dieser wie ein hohler
Kessel. Ohne Zweifel hatte dieser Mann in der Höhle sich verirrt,
sein Licht war verlöscht, er mochte viel und lange geschrieen haben,
aber am Ende ist er vor Hunger, Durst und Verzweiflung gestorben.
Die heißfeuchte Luft mit den bituminösen Ausdünstungen hatte ihn
so durchdrungen, daß seine Haut schwarz und wie gegerbt anssah
und zur Mumie wurde. Acht Jahre lang wagte Niemand dieses
Memento mori zu entfernen, dann aber wurde diese moderne Mumie
vernichtet.
Aus dem ringförmigen Raume geht man nach links; Gewölbe
und Wände sind geschwärzt und durch die bituminösen Dünste mit
einem dicken, klebrigen Ueberzuge belegt, den man mit dem Finger-
leicht hinwegwischt, dann erscheint der glänzende Quarz des Ge-
steins. Der Weg ist aber nun minder beschwerlich und man kommt
Ein Besuch in der Krokodilenhöhle von Samun.
121
rascher vorwärts. Aber nun beginnt eine neue Plage; denn Schwärme
von Fledermäusen, die am Gewölbe hängen, werden durch das
Fackellicht ausgescheucht, flattern umher und fliegen uns an den
Kopf oder in's Gesicht und dabei verbreiten sie einen scharfen, ganz
unerträglichen Geruch. Aber wir sind einmal in der Grotte und
müssen weiter. Wir finden ganze Lagen und Schichten zerrissener
Zeugbinden, hören auch den Widerhall unserer Tritte nicht mehr,
sondern es ist als ob wir auf Torf gingen. Aber bei jedem Schritte
treten wir auf Trümmer, die im Wege liegen, und wühlen einen
schwarzen, beißenden, ekelerregenden Staub ans, der einen bittern
Geschmack hat wie Ruß und Aloe.
Zunächst fiel mir unter den Mumien die ungeheure Masse von
Krokodilen auf, die ich in allen Größen fand; selbst ganz kleine
fehlen nicht, denn manche sind kaum einen Fuß lang, aber, gleich
den großen, einbalsamirt und mit Palmenfasern und Binden um-
wickelt. Ich hob mit Mühe ein größeres Krokodil auf, in dessen
Leib ich dann etwas klappern hörte, wahrscheinlich einige mit Hiero-
glyphen bedeckte Skarabäen, dergleichen man mit den Mumien
begrub. Ich hätte sie gern herausgenommen, aber mein Dolch glitt
an der hornharten Haut ab.
Meine Meinung, daß hier nur Krokodile Leigesetzt worden
seien, verschwand, als ich gleich nachher unzählige Mumien aller
Art sah: ganze unversehrte Menschenleiber, Leichen ohne Kopf und
verstümmelte Glieder; Mumien von Vögeln, Vierfüßern, Kriech-
thieren, ja sogar von Eiern, und das Alles neben und übereinander
zwischen Lagen von Palmblättern und zum Theil sehr gut erhalten.
Die Menschenmumien sind sorgfältig mit Binden umwickelt und
gewöhnlich zwischen zwei Sykomorenbrettern eingepreßt, weil dieses
Holz so unvergänglich ist wie jenes der Ceder. Diese Art von Mu-
mien kann mau leicht öffnen, man findet aber nichts in ihnen. Jch
überzeugte mich, daß die Einbalsamirnngsart bei den Aegyptern
nicht in allen Fällen die Würmer abgehalten hat. Ich sah Krokodils-
kehlen, die wie ein Stück alten Holzes durchbohrt sind, auch fand
ich mumificirte Raupen und selbst Würmer.
Es macht einen seltsam unheimlichen Eindruck, wenn man
lebendige Menschen bei Fackelschein auf und unter so vielen Todten
sieht. Ich selber glaubte mich verloren, als ich bemerkte, in wie un-
vorsichtiger Weise der Führer den vielen brennbaren Stoffen nahe
kam, insbesondere den Zeugbindeu und den Palmenblättern, die mit
Bitumen getränkt sind. Hat doch die Grotte schon einmal gebrannt,
nachdem ein Engländer durch Unbedachtsamkeit sie in Brand gesteckt!
So sagte man mir; aber das Nachstehende hat mehr Wahrschein-
lichkeit. Vier Araber waren in die Höhle gegangen, umFledermauö-
dünger zu holen, der für sehr kräftig und fruchtbar gilt. Sie hatten
Lampen mit offenen Dochten; die fenerfangenden Stoffe begannen
zu brennen und die Araber sah man nie wieder. So ist ein großer
Theil der Höhle ansgebrannt worden und lange Zeit hat sich Nie-
mand hineingewagt. Man sieht aber nicht genau, wo das Feuer
gebrannt und wo es aufgehört hat, denn die schwarze Farbe der
Wände und Decken erklärt sich leicht durch die bituminösen Aus-
dünstungen der mumificirten Körper. Und wie und wodurch erlosch
das Feuer, welchem es doch wahrlich an Stoff nicht fehlte? Daß
der Brand in der That stattgefunden, unterliegt keinem Zweifel,
denn noch jetzt leben manche Leute, die den ans dem Höhleneingang
und vielen Erdspalten hervordringenden Qualm gesehen haben.
Einst waren vier Moghrebiner, also Männer ans den westlich
von Aegypten liegenden Regionen, in die Katakomben hinein-
gedrungen, um dort Schätze zu heben. Das war allerdings keine
leichte Arbeit, weil nach den Vorstellungen der Araber die ver-
borgenen Schätze von Geistern gehütet werden. Jene Moghrebiner
glaubten indessen vermittelst ihrer vermeintlichen Zauberkünste
mit denselben schon fertig werden zu können, und ohnehin waren
ja die Mumien, an denen sie Kostbarkeiten zu finden hofften, nur
Leichen von „Ungläubigen". Die verwegenen Schatzgräber wagten
sich in den Katakomben weiter vor, als irgend Jemand vor ihnen,
und kamen durch einen schmalen Gang in einen großen runden
Raum. Dort erhob sich urplötzlich ein nacktes Weib vor ihnen,
eine Dschinn, ein Genius, welchem die Bewachung der unterirdischen
Schätze anvertraut war.
„Gebt mir eine Bekleidung'/' sprach sie zu den in hohem
Grad überraschten Moghrebinern. Der eine sprach: „Wir wollen ihr
ein Hemd geben." Inzwischen hatte sich aber die Dschinn gebückt
und eine Handvoll von dem feinen ätzenden Staub ausgenommen,
welchen sie den Schatzgräbern in die Augen warf. Drei derselben
verloren sofort alle Sehkraft, fingen an zu taumeln und umher zu
tasten, stießen gegen die Wände, fielen zu Boden, rafften sich Wieder-
aus, konnten aber keinen Ausgang finden. Wie lange sie gelitten
haben, weiß Niemand. Der Vierte kam aber aus der Höhle heraus,
denn er hatte Amulette und ein Buch mit Zauberformeln bei sich.
So erzählen die Araber.
Man geht in diesen Katakomben auf einem mit Leichen gleich-
sam gepflasterten Wege, der gar kein Ende nehmen will. Er ist
düster, tief, wie ein gähnender Abgrund. Der Himmel mag wissen,
wohin man käme, wenn inan weiter und immer weiter gehen wollte.
Aber man fühlt sich ermüdet, beklommen, empfindet peinlich den
Mangel an Tageslicht, sehnt sich nach frischer Luft und nach Sonne.
Auch ist die Hitze fast erdrückend; der Staub dringt einem in Ohren
und Augen, Nase, Mund und in alle Poren, und der Schweiß rinnt
in dicken Tropfen vom Leibe hinunter.
Ich trat den Rückweg an. Trotz aller Stöße an Kopf, Knie
und Elbogen und ungeachtet der Fledermäuse kam er mir nicht so
beschwerlich vor wie der Hinweg, und es war, wie wenn mir eine
Centnerlast von der Brust abgewälzt würde, als ich die erste Spur
von dem Tageslichte sah, welches durch die Oesinnng der Höhle
schimmerte. Gleich nachher schlürfte ich mit vollen Zügen die freie,
frische Luft ein.
Wir alle sahen aus wie Essenkehrer oder Neger und ritten nach
dem Nil zurück. Manchmal vernahmen wir unter dem Tritte der
Esel einen dumpfen Ton; dann befanden wir uns über Gewölben,
denn jene Berge sind weit und breit unterhöhlt. Wo der eigentliche
Eingang zu den Katakomben liegt, wissen wir heute nicht mehr.
Jenes kleine Loch, durch welches wir hineingelangten, kann er
nicht gewesen sein.
Aber woher kam die ganz ungeheure Menge von Leichen?
Wahrscheinlich aus der alten Stadt, auf deren Ruinen jetzt Mon-
falut steht, und ans dem alten Hermopolis. Hat inan die Angehörigen
verschiedener Kasten hier ohne Unterschied neben einander begraben?
Das war schwerlich der Fall. Die Könige, Priester und Edelleute
wollten Großartigkeit und Pomp auch nach dem Tode und hatten
Prachtgräber; in der Grotte von Samun wurden wohl nur Leute
aus dein Volke begraben. Aber darüber kann man doch in Zweifel
sein, denn an Händen und Füßen mehrer Mumien fand ich Spuren
von Vergoldung.
Diese Krokodilhöhle von Samun wird nur selten von Reisen-
den besucht; die meisten wissen nichts davon, andere finden die
Wanderung unter der Erde zu beschwerlich ilnd fürchten sich vor-
dem allerdings niederschlagenden, beklemmenden Eindrücke. Die
Araber sind nie weiter hineingegangen als bis zu der Stelle, wo
wir nmkehrten. Im Jahre 1860 waren vor mir nur drei Reisende
in der Grotte gewesen.
Wie wohl thaten mir nun der heitere Himmel, die Sonne, so
heiß sie auch auf uns herniederbrannte, und der Anblick der libyischen
Bergzüge! Eben noch hatte ich starre Mumien berührt, und jetzt
sah ich Züge von weiß und rosenroth gefärbten Flamingos über
die Erde dahin ziehen. Ein unbeschreibliches Behagen aber empfand
ich, als ich im Nilstrom ein Bad nahm und den Nuß und Staub
der Mumienhöhle von meinen Gliedern abspülen konnte. Da mar-
es mir, als sei ich wie neugeboren.
Globus IV. Nr. 4.
16
122
Die Zigeuner in Aegypten.
Die Zigeuner in Aegypten. *)
Außer den Juden giebt es nur noch eine Völkerschaft, welche,
ohne daß die Sage, wie bei diesen, ans ein göttliches Strafgericht
hinwiese, zerstreut durch die Länder wandert, nirgends zu Hause
und dennoch überall heimisch, aber stets ihre eigenthümlichen Merk-
male in Gesichtsbildung, Sprache und Sitten bewahrend. Es
ist dies das verrufene Völklein der Zigeuner, das in aller Herren
Ländern durch Wahrsagen, Kesselflicken, Mnsiciren, gelegentlich auch
durch gewandte Auffassung des Begriffs von Eigenthum, und Ver-
wechselung von Mein und Dein leichten sorglosen Unterhalt sich zu
erwerben weiß.
Während gegenwärtig von europäischen Ländern nur noch
Ungarn und Spanien die Zigeuner in ihrer vollen Eigenthümlich-
keit ausweisen, da in: übrigen Europa die alles mit gleichem Firniß
überziehende Civilisation denselben bald ein Ende zu machen droht
und sie in Kürze nur noch als ethnographische Curiosa gelten werden,
hat der klassische Boden des Orients, auf dem ebenso wie manche
Trümmerreste alter Prachtbauten auch nicht wenig alte Völkerruineu
unter dem dichten, wild fortwnchernden Gestrüpp türkischer Barbarei
den Sturm und das Ungemach von Jahrtausenden überdauerten,
die Zigeuner in ächter Ursprünglichkeit erhalten.
Der Türke und Perser bezeichnet dies Völkerrestchen mit dem
uralten Namen TschingLneh, den er auch als Schmähung und
Ausdruck der größten Verachtung gebraucht. Auffallend erscheint,
daß in den arabischen Ländern diese Bezeichnung vollkommen
unbekannt ist. In Syrien giebt es Zigeuner in beträchtlicher Anzahl,
aber sie führen hier den ächt arabisch klingenden Namen NuwLr
und werden auch als ein besonderer Araberstamm der Beni-
NnwLr aufgeführt. In Aegypten wird ihnen derName Ghagar
gegeben. Der Name NuwLr wird zwar auch in Aegypten ver-
standen, aber man bezeichnet damit, besonders in Oberägypten,
wo man Naner ausspricht, die als Goldschmiede herumziehenden
Zigeuner.
Die Ghagar bilden in Aegypten einen zahlreichen Volks-
stamm, der nach bekannter Zigeunerart seinen Unterhalt gewinnt,
indem die Männer als Kesselflicker, Affenführer, Seiltänzer oder
auch als Schlangenfänger (wie die Psyllen Herodot's) sich im
Lande herumtreiben, während die Weiber als Tänzerinnen, Buhle-
rinnen und Wahrsagerinnen sich Geld verdienen. Uebrigens erhellt
aus vielen übereinstünmenden Nachrichten, die ich einzog, daß
außer dem Handel mit Eseln, Pferden und Kameelen, den sie mit
Vorliebe betreiben, fast der ganze Kleinhandel Aegyptens,
welches sie nach allen Richtungen als Kleinverkäufer, Hausirer
(Bad'd'La'h) durchziehen, vollkommen in den Händen der Ghagar
ist. Sie machen ihre Einkäufe in Kairo, wo sie den einheimischen
Kaufleuten wohlbekannt sind, besuchen die großen Messen von
Tanta, deren zwei jährlich abgehalten werden, dann die erst seit
etwa zehn Jahren in Aufschwung gekommene Messe, welche drei
Stunden von Beni-Snef zum Geburtsfeste des heiligen Schilk'Lni
(Manled-esch- Schilk'Lni) alljährlich im Monat Mai abgehalten
wird. Auf diesen Messen vermitteln sie einen sehr bedeutenden
Waarenumsatz und machen so schöne Gewinnste, daß reiche Ghagar
gar nicht zu den Seltenheiten gehören.
Während so ein Theil Handel treibt, lebt ein anderer in Kairo
als Schlangenfänger (H'Lwi) nnd als schlangensressende
*) Nach Alfred von Kremer: Aegypten. Forschungen über Land und
Volk während eines zehnjährigen Aufenthalts. Leipzig 1863, Brockhaus.
Zwei Theile. I, S. 138 ff. Das Buch ist eine recht tüchtige Arbeit und ent-
hält eine Menge werthvoller Angaben über Aegypten, theils ans eigener An-
schauung des Verfassers, der, wenn wir nicht irren, österreichischer General-
konsul in Kairo ist. Auch hat er mit Fleiß die über Aegypten reichlich fließen-
den Quellen benutzt. Wer sich über die gegenwärtigen Zustände Aegyptens
näher unterrichten oder daö Land der Pharaonen besuchen will, darf Krcmer'S
Buch nicht unberücksichtigt lassen. A.
Derwische (RifLijjeh), und mancher Reisende hat in Kairo die
ekelhaften Leistungen der Letzteren gesehen, ohne zu ahnen, daß
hinter der mohammedanischen Derwischmaske der Zigeuner versteckt
ist. Diese letztere Klasse kommt oft mit den europäischen Reisenden
in Berührung, und leistet den Naturforschern willkommene Dienste,
indem sie alle Arten von Wüstenthieren, Schlangen mit und ohne
Giftzähne, Eidechsen, Uromastix, Wüstenratten, Schakale, Wölfe,
Stinkthiere u. s. w. stets bereit haben und lebendig oder todt in
kürzester Frist liefern. Die Behendigkeit, mit der diese Leute Schlangen
aufznfinden und zu fangen wissen, ist wirklich überraschend. Mit
einem Palmenstab bewaffnet, womit er an die Mauern und Decken
klopft, und mit einer Rohrflöte, durch deren Ton er die Schlangen
aus ihren Schlupfwinkeln herauszulocken vorgiebt, bleibt selten
eine von einem H'Lwi vorgenomme Hausdurchsuchung fruchtlos,
was allerdings aus dem Grund erklärlich ist, daß in vielen der
alten Häuser Kairos sich Schlangen aufhalten, die aber fast immer
dem harmlosen Geschlechte der Nattern angehören. Dennoch flößen
sie den Bewohnern großen Schrecken ein, und Niemand würde es
wagen, ein Gemach zu betreten, wenn der H'Lwi erklärt hat, daß
eine Schlange darin sei.
Der Name Ghagar ist ein ganz allgemeiner, womit alle Zi-
geuner bezeichnet werden; nach ihrer eigenen Angabe zerfallenste
in verschiedene Stämme. Alle geben sich aber für ächte Araber
aus nnd thun sich auf ihre rein arabische Abstammung viel zu gute.
Sie geben an, ans dem Westen, also aus Westafrika, eingewandert
zu sein; über den Zeitpunkt, wann dieses Ereigniß stattfand, wissen
sie nichts Bestimmtes !zu melden. Für die Richtigkeit dieser Angabe
spricht übrigens auch der Umstand, daß sie sich ohne Ausnahme zur
Religionssekte der Malikiten bekennen, welche bekanntlich in ganz
Nordwestafrika die herrschende unter den vier orthodoxen Sekten
des Islam ist. Alle führen ein unstätes Wanderleben und versehen
sich hierzu mit eigenen Wanderbewilligungen, die von dem Scheich
der Gilde, dem RifLi-Derwisch oder der Polizei ansgestellt werden.
Am zahlreichsten ist allenthalben in Aegypten der Stamm,
welcher mit dem Namen GhawLzi bezeichnet wird. Er hat fast
in allen größeren Städten nnd Dörfern seine in allen Künsten der
Verführung wohlbewanderten Vertreterinnen, welchen die Schön-
heit eine sehr gefährliche Waffe verleiht. Sie bezeichnen sich selbst
mit dem Namen BerLmikeh, d. i. Bermekiden, und scheinen
somit ihren Ursprung auf das in der Geschichte des Orients hoch-
berühmte Geschlecht der Bermekiden zurückznführen, das, nachdem
es die höchsten Würden des Chalifats bekleidet hatte, von dem
Chalifen Harun-el Raschid gestürzt und vernichtet ward. Zugleich
aber sind sie ans ihre Beduinenabstammung sehr stolz. Sie führen
in der That auch ein wahres Beduinenleben, halten sich fast immer
unter Zelten ans und ziehen von einem Jahrmärkte zum andern.
Alle Ghaziemädchen wählen ohne Ausnahme das leichte Handwerk
der Tänzerinnen und die älteren treiben Wahrsagerei. Sie ver-
heirathen sich selten, bevor sie sich ein kleines Vermögen erworben
haben, und wählen oft zu Gatten ihre Sklaven. Der Mann einer
Ghazieh ist überhaupt selten mehr als ihr Diener, der die Flöte
bläs't oder die Handtrommel schlägt, wenn sie tanzt, oder auch ihr
neue Bekanntschaften zubringt. Beispiele, daß eine Ghazieh einen
Dorfscheich heirathet, sollen nicht selten Vorkommen, nnd, was merk-
würdiger erscheint, ihre eheliche Treue soll dann ebenso gewissenhaft
sein, als ihr früherer Lebenswandel leichtfertig war.
Die GhawLzi sprechen den allgemeinen Zigeunerdialekt, dessen
sich auch die anderen Stämme bedienen. Die Zigeuner Oberägyp-
tens nennen sich selbst SaLideh, d. i. Leute aus Satd, d. i. Ober-
ägypten. Sie ziehen im Lande herum und betreiben Wahrsagerei,
Kleinhandel oder den Verkauf von Eseln nnd Pferden. Ihre Züge
sind ächt asiatisch, die Hautfarbe ist dunkelbraun, das Auge stechend
Australische Charakterthiere.
123
schwarz, das Haar schlicht und ebenfalls schwarz. Die Weiber
tättowireu sich oft blau an den Lippen, Händen und auf der Brust;
in den Ohren tragen sie große messingene Ohrgehänge, um den
Hals Schnüre von blauen und rochen Glasperlen. Sie wahrsagen
mittelst Muscheln, die sie in einem ledernen Schnappsacke tragen,
der über die Schulter geworfen wird; je nach den Gruppirungen
der Muscheln, die mit der Hand geworfen werden, wollen sie die
Zukunft erkennen. Im Sommer, um die Zeit, wenn der Nil zu
steigen beginnt, sieht man sie häufig in den Straßen von Kairo,
wo sie leicht an ihrem ledernen, über die Schulter gehängten Schnapp-
sack so wie an dem eigenthümlichen Rufe zu erkennen sind, den sie
erschallen lassen: „Nibeji-jin-ez-zein", d. i. wir finden Ver-
lorenes auf. In Kairo lebt eine zahlreiche Gesellschaft solcher
Wahrsagerinnen, welche ans die Leichtgläubigkeit der Kairiner spe-
kulirt; sie wohnen alle zusammen in einem Gebäude, das Hosch
B ard ak heißt und knapp unter der Citadelle gegenüber der Moschee
des Sultans Hassan liegt. Mit ihnen konkurriren die maghrebini-
schen Zauberer und die Wahrsager, deren besonders das innere
Afrika, namentlich Darfur, die größte Anzahl liefert. Man kann
sie an den Straßen sitzen und aus Knoten oder Sand wahrsagen
sehen. Die Wahrsagerei aus dem Sande, Jlm-er-raml
genannt, ist alt im Orient und dürfte dem Leser schon aus „Tausend
und eine Nacht" bekannt sein, wo sie eine große Rolle spielt.
Weitere Stammnamen sind H'aleb oder auch Schah'-Lini
und Tat'ar. *) Die Weiber sind fast alle Wahrsagerinnen, die
*) In Niedersachsen bezeichnet der Bolksmund die Zigeuner, welche sich
dann und wann ans Wanderziigen dort blicken lassen, als Tatern. Auch
Männer, welche dem letztgenannten Stamme angehören, größten-
theils Hufschmiede oder Kesselflicker und werden auch mit dem
Namen A'wwLdat oder Mua'mer-ratijjeh bezeichnet. Auch
unter den Ghagar giebt es viele Schmiede, welche die Messing-
ringe machen, die sowohl an den Fingern und Armgelenken, als
auch an den Ohren, der Nase und dem Halse getragen werden.
Die zahlreiche Klasse von Leuten, welche mit abgerichteten
Affen herumziehen und sie für Geld sich produciren lassen, deren
inan viele in Kairo sehen kann, wo sie besonders ans der Esbekijjeh
nie fehlen, gehören fast alle dem Zigennerstamm an, und man be-
zeichnet sie hier mit dem Namen KurndLti (von Kird, der Affe).
Von demselben Volke sind auch die Athleten und Gymnastiker, die
unter dem Namen Bah law Ln bekannt sind und in größeren
Städten bei Jahrmärkten und festlichen Gelegenheiten sich einfinden.
Besonders zum Fest'Jd-ed-d'ah'ijjeh kommen sie in großer Anzahl
nach Kairo.
Alle diese verschiedenen Unterabtheilnngen, in welche die ägyp-
tischen Zigeuner zerfallen, sprechen dieselbe Diebssprache,
die sie Sun nennen. Ueber die Bedeutung und den Ursprung dieses
Wortes ist nichts Gewisses zu erfahren; nach den Angaben der
Eingeborenen soll das Wort Sim etwas Verborgenes oder Ge-
heimnißvolles bedeuten. Mit dem Ausdrucke Sim bezeichnet man
eine Art von unächtem, blos äußerlich vergoldetem Golddraht, der
ans Oesterreich importirt wird. Die einzigen Bahlawan sollen eine
andere Sprache haben.
hat man für einen Menschen mit bräunlicher Hautfarbe den Ausdruck: „Er
sieht gelb aus wie eine Tatere." A.
Australische Charakterthiere.
Das Schnabelthier. — Der Ameisenfresser. — Fliegendes Opossum. — Fliegender Fuchs. — Dugong. —
Es ist noch nicht lange her, daß man das australische Festland
als einen Erdtheil ansah, der nur aus dem Schutt und Gerölle der
übrigen Kontinente zusammengesetzt sei, dessey kahle, unschöne
Bäume man nicht einmal zu Nutzholz verwenden könne und dessen
Eingeborene eine Art Zwischenstufe zwischen Asien und Menschen
einnähmen. Die meisten dieser Vorurtheile sind jetzt gewichen; die
Fruchtbarkeit des Bodens ist in vielen Gegenden eine hohe; Kupfer,
Gold und Steinkohlen sind in Menge vorhanden und die Thier-
und Pflanzenwelt dieses fünften Erdtheils entwickeln eine Fülle
eigenthümlicher und höchst interessanter Bildungen, welche denen
anderer Tropenländer schwerlich nachstehen. Sie sind uns durch
den englischen Naturforscher B enn et in einem hübsch ausgestatteten
Werke *) sehr anschaulich, aberzuweilen mit ermüdender Breite und
Weitschweifigkeit, geschildert worden. Bei den nachstehenden Skizzen
ist Bennet unser Führer.
Die australischen Sängethiere weichen bekanntlich in vieler
Beziehung von denen der übrigen Erdtheile ab. Große, mächtige
Formen, wie jene unserer Dickhäuter, fehlen gänzlich; von beson-
derer Wichtigkeit sind dagegen die Beutelthiere, welche neben
den zahnlosen Thieren so recht eigentlich den Charakter der
Säugethierfanna bestimmen. Die eigenthümlichen zahnlosen
Thiere, z. B. das Schnabelthier und der Ameisenfresser, fesseln
unsere Aufmerksamkeit auch dadurch, daß sie ein dem Unter-
gänge geweihtes Geschlecht sind. Nach Bennet scheint die
Zeit nicht mehr fern zu sein, in der diese Thiere, wie unter den
Vögeln der Dudu, Moa und Notornis oder das Borkenthier,
von der Erde gänzlich verschwunden sind.
*) Gatherings of a Naturalist in Australasia, by George Bennett.
London 1860.
Die europäischen Naturforscher hatten anfangs große Mühe,
um für das Schnabelthier eineStellung im zoologischen System
auszusinden. Man betrachtete diesen Ornithorhynchus paradoxus
als eine Art von Zwischenstufe zwischen Reptilien, Vögeln und
Säugethieren. Die ersten Bälge dieses sonderbaren Wesens, welche
man nach England schickte, wurden als eine Art von Fälschung
angesehen, etwa so wie des nordamerikanischen Humbuggers Barnnm
berühmte Seejungfrau. Man glaubte ein altes Maulwurfsfell vor
sich zu haben, an das vorn ein Entenschnabel angesetzt war. Als
aber das Thier für ächt anerkannt war, beschrieb 1799 Shaw
dasselbe zuerst unter dem Namen Platypus anatinus; dieser Name
ward jedoch durch den volltönenderen Ornithorhynchus paradoxus
verdrängt. Die Kolonisten von Neu-Süd-Wales nennen das
Schnabelthier Wassermaulwurf; bei den eingeborenen Schwar-
zen führt es verschiedene Namen.
Bennett möge erzählen, wie er zum ersten Male das Schnabel-
thier antraf. „An einem schönen Sommerabende begab ich mich
mit einigen Gefährten nach einem Fluß, in welchem der Ornitho-
rhynchus noch häufig vorkam. Auf der andern Seite des Wassers
erhob sich eine romantische Hügelkette, die mit herrlichen Bäumen
bestanden war. Die Zweige der üppig mit goldenen Blütenstränßen
geschmückten Akazien hingen über das Flußbett hinab ; in den luftigen
und majestätischen Eukalypten oder Gumbäumen ertönte das gur-
gelnde Lachen des australischen Eisvogels; düstere Sumpfeichen
und sichteuähnliche Casnarinen bildeten den Hintergrund der
Landschaft.
Ein üppiger Rohrwuchs von gemeinem europäischen Schilfrohr
(Annido phragmites) bedeckte das jenseitige Ufer, an welchem hier
und da die anmuthig im Abendwinde sich schaukelnden, zwölf bis
vierzehn Fuß hohen Wedel eines Farrens (Oihotium Biliardieri)
16*
124
Australische Charakterthiere.
das Auge erfreuten. Zwischen diesen blickten wieder die weißen
Blütenbüschel und rothen Fruchttrauben des einheimischen Brombeer-
strauches (Kubus rosaefolius) burcfy, während auf dem Flußarme selbst
die einförmigen Blätter des Damasonitun ovalifolinm schwammen,
neben denen sich die weißen, wasserlilienartigen Blumen erhoben.
Am meisten wurde aber meine Aufmerksamkeit durch die gleichsam
mit Willenskraft belebte Vallisneria gefesselt, die in ungeheurer
Menge am Boden des Flusses wuchs, von wo sie ihre breiten, halb-
durchsichtigen Blätter an die Oberfläche sandte, während die auf
spiralförmigen Stengeln schwankenden weiblichen Blüten im Wasser
flößten und die losgelösten männlichen Blüten frei zu ihnen hin-
schwammen.
An solchen Stellen ist der Lieblingsaufenthalt des Schnabel-
thieres. Zwischen den zahlreichen Wasserpflanzen findet es seine
Jnsektennahrung und in den von mächtigen Bäumen beschatteten,
aufsteigenden Flußufern kann es ain besten seine Höhlungen graben.
Die Sonne ging gerade unter, als mich meine Gefährten auf
die schwachen, kreisförmigen Wellen in unserer Nähe aufmerksam
machten, die ein heranschwimmendes Schnabelthier verursachte. Der
dunkle Körper des scheuen Thieres hob sich von dem Wasserspiegel
deutlich ab, der Kopf war etwas über das Wasser erhoben. Beim
Anblicke des Thieres, das ich bisher nur ausgestopft und aus Be-
schreibungen kannte und nun zuerst lebend sah, ward ich freudig
erregt, doch mußte ich mich still verhalten, da beim leisestem Ge-
räusche die Thiere untertanchen und nicht wieder erscheinen. Länger
als eine oder zwei Minuten bleiben die Schnabelthiere nicht an der
Oberfläche des Wassers, tauchen dann unter und erscheinen bald
in einer kleinen Entfernung von dem früher« Platze wieder oben.
In diesem Augenblicke muß sich der Jäger schußfertig machen, um
das Thier, so wie es wieder erscheint, zu erlegen. Denn schon durch das
Aufheben der Flinte würde es unfehlbar unter das Wasser ver-
scheucht werden. Nur Schüsse ans der Nähe und auf den Kopf
abgefeuert sind von Wirksamkeit; die losen und weichen Theile des
Körpers erscheinen wegen ihrer Widerstandslosigkeit für Schrot
kaum durchdringbar."
Der Körper des Schnabelthiers sieht zusaminengedrückt ans;
er hat etwas vom Bieber, vom Maulwurf und dem Fischotter zu-
gleich. Das Fell ist oben grob, dicht und dunkelschwarzbraun mit
einem leichten silbergranen Anflug. Ans der Hellern, rostfarbigen
Unterseite, an der Brust und Kehle, ist der Pelz dagegen seiden-
artig weich. Bei jungen Thieren ist der Schwanz unten mit silber-
weißen Haaren besetzt, welche später ausfallen, so daß der Schwanz
der älteren Thiere unten kahl erscheint. Am inner« Augenwinkel
befindet sich ein blaßgelber Fleck. Ein Unterschied in der Färbung,
bezüglich der Geschlechter, kann nicht wahrgenommen werden. Da-
gegen hat das Männchen an den Hinterfüßen einen beweglichen
Sporn, ähnlich wie der Haushahn; dem Weibchen fehlt derselbe.
Dieser Stachel ist keineswegs giftig; wenn man das Schnabel-
thier in der Hand hält, sucht es sich zu entwinden, doch verletzt es
nicht mit dem Sporn, vor welchem übrigens die eingeborenen
Schwarzen einen großen Respekt haben. Die Schenkel sind kurz,
die Füße fünfzehig und mit einer Schwimmhaut versehen; an den
Vorderfüßen geht dieselbe noch über die Klauen hinaus, während
sie bei den Hinterfiißen kürzer ist. Vorder - wie Hinterfüße sind wegen
der kräftigen Klauen gut zum Graben geeignet. Der Kopf ist flach,
vom Maul aus erstrecken sich zwei flache Lippen oder Kiefern, die
dem Schnabel einer Ente gleichen. Beide Kiefern sind mit vier
hornartigen Zähnen versehen, deren vorderer laug und schmal,
deren hinterer mühlsteinartig ist. Die obere „Schnabelhälfte" ist
von schmutzig grauschwarzer Farbe, die untere Hälfte fleischfarben.
Eine schmutzig granschwarze, faltige Masse, von derselben Substanz
wie der Schnabel, erstreckt sich von der Basis desselben nach den
Augen, denen sie vielleicht beim Graben in der Erde als eine Art
Schutz dient. Die hoch oben im Kopfe stehenden Augen sind klein,
doch sehr glänzend und von brauner Farbe. Der Geruch des Thieres
ist fischartig. Von den Eingeborenen wird es gegessen, was aber
gerade nicht als Empfehlung dienen kann, da diese auch Schlangen,
Ratten, Kröten und Frösche verzehren. Die Länge schwankt zwischen
r6“ und 1' 8"; gewöhnlich sind die Männchen etwas größer.
Die Thiere besitzen das Vermögen, sich zusammenznkugeln.
Man sieht die Schnabelthiere das ganze Jahr hindurch in den
australischen Flüssen, doch zumeist im Frühjahr und Sommer,
besonders in der Morgen- und Abenddämmerung. Jin Schwimmen
besitzen sie große Gewandtheit und rudern kräftig gegen den Strom
an, während sie stromabwärts sich treiben lassen. In ihrem Magen
fand Bennet Jnsektenreste von Naueerdien und kleine Schalthiere,
stets mit etwas Kies und Schlamm gemischt. Die Eingeborenen
behaupten, das Thier lebe von Wasserpflanzen, was aber nie be-
obachtet wurde. Die Jungen werden zuerst mit Milch, dann mit
Insekten und Schlamm gefüttert.
lieber die Fortpflanzung dieses sonderbaren Thieres war inan
längere Zeit im Unklaren; ja man glaubte sogar, daß dasselbe Eier
wie ein Vogel lege. In diesem Wahne wurde man noch dadurch
bestärkt, daß lange Zeit hindurch die Sangwarzen des Weibchens
nicht zu finden waren. Die Schnabelthiere graben sich in den Ufer-
rand zwanzig bis fünfzig Fuß lange gewundene Gänge, die in
eine eiförmige Höhle endigen, auf deren Boden sich trockene Wasser-
pflanzen befinden und in denen die Jungen geworfen werden. Diese
Höhlen haben zwei Eingänge, einen oberirdischen, der die Luft in
den Gang leitet, und einen unter dem Wasser, von wo aus das Thier
in den Fluß gelangt.
Um die Höhlen zu erforschen, wandte sich Bennett an einen
eingeborenen Schwarzen, Namens Daraga, der eine besondere Ge-
schicklichkeit in der Auffindung derselben besaß. „Wir hatten bald
eineHöhle ansgespürt, die sich durch frische dahin führende Fnßtapfen
des Thieres als bewohnt erwies. Ich ließ zur Ausgrabung Spaten
herbeibringen, als aber Daraga von Graben hörte, erklärte er
die Höhle für unbewohnt, da er einen großen Abscheu vor dem
Arbeiten hatte. Ich mußte also andere Arbeiter graben lassen,
und Daraga nahm erst späterhin auch Theil; mit einem spitzen
Stocke fand er die Richtung des Ganges auf und leistete nun fast
noch mehr als die weißen Arbeiter mit ihren Schaufeln. Noch
ehe wir zum Kessel der Höhle gelangten, schaute das gestörte
Schnabelthier neugierig heraus; es wurde trotz seines heftigen
Sträubens ergriffen und lebendig gefangen. Dieses ausgewach-
sene Weibchen setzten wir in einen Kasten mit Gras, in dem es
sich ganz wohl befand; nur wenn es im Schlafe gestört ward,
stieß es einige leise Töne aus. Im November erklärte Daraga,
daß in dieser Zeit „von dem alten Weib viel Junge herabfielen."
Wir untersuchten deshalb neue Höhlen, in deren einer wir drei
etwa zwei Zoll lange junge, vor Kurzem geworfene Thiere, doch
nicht die leiseste Spur von Eierschalen fanden. Größere Junge
erhielten sich einige Wochen lebend in der Gefangenschaft, zeigten
sich recht niedlich und spielten zusammen, starben aber trotz aller
Vorsicht und Mühe, so daß es nicht gelang, sie lebend nach Europa
zu bringen."
In den sandigen und felsigen Theilen des südlichen Australien,
besonders in Löchern und kleinen Höhlen, findet man den stachel-
schweinartigenAmeisenfresser, Eehidna hystrix; rat Norden
kommt er nur selten vor. Die Kolonisten nennen ihn nach ihrer
europäischen Erinnerung gewöhnlich nur Igel oder Stachel-
schwein, bei den Eingeborenen heißt er Nickobejan oderJanno-
cumbinu. Die ganze Oberfläche des Thieres ist mit Stacheln
von schmutzig - weißer Farbe bedeckt. Die Augen sind klein und '
von brauner Farbe, die Schnauze ist lang und röhrenförmig, die
am Ende derselben stehenden Nasenlöcher sind sehr klein. Die lange
und dünne Zunge des Thieres vermittelt ihm die Nahrung, welche
zumeist aus Ameisen besteht. Die ansgestreckte Zunge ist mit einem
klebrigen Saft überzogen, der in zwei großen Snbmaxillardrüsen
abgesondert wird. Durch diesen Saft kleben die Ameisen an und
werden dann eingeschlürft. Alle Ameisenfresser, welche Bennett
öffnete, enthielten in ihrem Magen, neben zerquetschten Ameisen-
Kleine Nachrichten.
125
theilen, noch beträchtliche Mengen Schlamm und Sand, der, gerade
wie beim Schnabelthier, bei der Ernährung und Verdauung dieser
zahnlosen Thiere eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Auch der
männliche Ameisenfresser hat, gerade so wie das männliche Schnabel-
thier, einen scharfen, hohlen und beweglichen Sporn an den
Hinterfüßen, welcher mit einer Absonderungsdrüse in Verbindung
steht, deren Zweck Bennett nicht ermitteln konnte. Die nach hinten
gekrümmten, zum Wühlen dienenden Klanen sind lang und scharf.
Die Ameisenfresser, gleich den Ornithorhynchus, nächtliche
und Dämmerungsthiere, schlafen gewöhnlich am Tage und graben
Nachts ihre Löcher, wobei ihre Bewegungen lebhaft und gewandt
sind; beim Angreifen rollen sie sich wie ein Igel zusammen und
richten die scharfen Stacheln nach außen, damit man ihnen nichts
anhaben könne. Eine Stimme scheinen sie nicht zu haben.
Die Eingeborenen essen diese Thiere, nachdem sie dieselben in
der ganzen Haut geröstet haben; auch Europäer verschmähen dieses
Gericht nicht. In der Gefangenschaft dauern sie gut aus; jung
werden sie mit Milch anfgefüttert; später erhalten sie hartgekochte,
geriebene Eier mit möglichst viel Saud.
Das langgeschwänzte fliegende Opossum (Belideus fla-
viventris) oder „fliegende Eichhörnchen" der Kolonisten ist überall
in den Wäldern von Neusüdwales zu finden. Selbst im Jngend-
znstande sind diese Thiere ungemein scheu und wild; sie schreien,
wenn man sie anfaßt, und versuchen zu kratzen und beißen, denn
ihre Klauen sind scharf wie die einer Katze, und die Zähne gefähr-
lich. Den Eingeborenen dienen sie, wie fast Alles, was von Fleisch
ist, zur Nahrung; sie wissen das Thier in seinen Baumhöhlen ge-
schickt aufzuspüren, ziehen es an seinem langen Schwänze heraus
und schlagen es mit dem Kopfe gegen den Baum tobt, noch ehe es
beißen kann.
Das Opossum lebt auf Bäumen; die ganze Bauart seiner
Füße weist schon ans diesen luftigen Aufenthalt hin; am Boden
sind seine Bewegungen ungeschickt und wackelnd, während es auf
den Bäumen leicht und zierlich wie ein Eichhörnchen herumspriugt.
Bei Tage schläft es in einem Baumloch; in der Nacht „fliegt"
es mit Hülfe der fallschirmartigen Flughäute von einem Baume
zum andern. Bennett sah manche von sechzig Fuß hohen Bäumen
ohne Schaden aus die Erde herabspringen.
In der Gefangenschaft dauern sie gut aus, gewöhnen sich
jedoch nur allmälig an dieselbe, am ehesten noch, wenn mau ihnen
viel Zucker, eingemachte Früchte und derlei Süßigkeiten giebt. Am
Tage schlafen sie in zusammengekauerter Stellung, Nachts dagegen
sind sie ungemein lebhaft und gewandt. Als man das erste djeser
Thiere in den zoologischen Garten des Regents-Park in London
brachte, war es auch am Tage munter, da es den nebligen Lon-
doner Tag, gegenüber dem klaren, freundlichen Himmel Australiens,
wie eine Art Dämmerung betrachten mochte. Im wilden Zustande
leben sie von dem Honig der Eucalyptusblüten, so wie von den
zarten Schößlingen und Samen dieser Bäume. Auch Insekten ver-
schmähen sie nicht. In klaren Mondnächten ziehen sie mit ihren
Jungen schaarenweise in die neuen Pfirsichgärten der australischen
Kolonisten, deren Ernte sie verwüsten.
Die Färbung des Opossums ist sehr hübsch. Der grauschwarze
Oberkörper hat schöne tiefschwarze Linien am Hinterkopfe, Rücken
und den Säumen der Flughäute, die zwischen den Beinen ans-
gespannt sind. Der walzenförmige Schwanz ist schwarz, buschig
und über einen Fuß lang, während der übrige Körper nur die
Länge von acht Zoll erreicht. Der Unterkörper ist weiß, an de-
Kehle gelblich, die Füße tiefschwarz, mit weißen Nägeln. Die
nackte Schnauze und die Fußsohlen sind rosenfarben, die Ohren
sind gleichfalls nackt und durchscheinend. Das seidenartige Fell
liefert ein Pelzwerk, welches dem der Chinchilla kaum nachsteht.
Die Schwarzen sengen diesen schönen Pelz ab und kochen das ganze
Thier in der Haut, wodurch das Fleisch sehr saftig bleiben soll.
Auch verschiedene Arten großer Fledermäuse fehlen Austra-
lien nicht; unsere europäische Hufeisennase ist durch eine verwandte
Art, Rhinolophus megaphyllus, welche in Höhlen wohnt, ver-
treten. Eine wichtigere Stellung nehmen die vampyrartigen,
fruchtfressenden Flederthiere, von den Kolonisten fliegend e
Füchse genannt, ein. Am gewöhnlichsten ist unter ihnen der
Ptcropus Edwardsii an der Moreton-Bay und in den nördlichen
Theilen von Neusüdwales, wo er in dicken Haufen an den Spitzen
der Gnmbäume hängt, deren Zweige zuweilen unter der Last zu-
sammenbrechen. Gleich allen Fledermäusen sind sie Dämme-
rungsthiere, doch haben sie wieder eine Eig ent h ümli ch keit,
welche alle nächtlichen Thiere Australiens auszeichnet, die nämlich,
daß sie auch während einer kurzen Zeit am Tage der
Nahrung nachgehen. Trotz ihres starken Moschusgeruchs
werden sie von den Eingebornen mit vielem Appetite verzehrt, ja,
unser verstorbener Landsmann Leichhardt versicherte Herrn Ben-
nett, daß er sie während seiner Wanderungen im Innern Austra-
liens häufig gern gegessen habe.
Mit den Hinterfüßen hängen die fliegenden Füchse so fest an
den Baumzweigeu, daß sie, selbst wenn sie todtgeschossen oder ver-
wundet werden, nicht herabfallen und man hinaufsteigen muß, um
sie zu holen. Sie leben von Früchten und Insekten, thun auch in
den Obstgärten viel Schaden. Ihr Geschrei gleicht dem kleiner Kinder.
Die großen Cetaceen, jene werthvollen Wassersäugethiere.
kommen an den Küsten Australiens häufig vor und manche von
ihnen sind der südlichen Halbkugel eigenthümlich. Unter ihnen ist
eine D u g o n g - A r t oder Seekuh zu erwähnen, welche Owen Hali-
core australis nannte.
Von den Küsten der Moreton-Bay an bis nach Kap Jork findet
man diese Cetaceen hauptsächlich an seichten Stellen im Wasser,
sich sonnend, mit dem Haupt über dem Wasserspiegel erhoben,
ähnlich wie einen Seehund. Als Weide dienen dem Dugvng die
großen untermeerischen Seegras- und Sargassnmwiesen und fort-
während ist der große Magen dieses Thieres mit diesen Pflanzen
gefüllt. Ein ausgewachsener Dugong erreicht eine Länge von fünf-
zehn Fuß. Das Männchen zeichnet sich durch zwei Hauzähne aus,
die dem Weibchen fehlen. Die langen fleischigen Lippen sind besonders
gut zum Abweiden des Seegrases eingerichtet; das Innere des
Mundes ist mit kleinen Büscheln scharfer Haare besetzt.
DerDngong ist ein sehr thranreiches Thier und die australischen
Aerzte verschreiben diesen Thran anstatt des Leberthrans, da er
bei gleichen medicinischen Wirkungen einen bessern Geschmack hat.
Anfangs jagte man den Dugong, nach Art der Walfische, mit
Harpunen, doch ist man jetzt davon abgekommen und fängt ihn in
Netzen, die in der Nacht ausgeworfen werden. Ein ausgewachsenes
Thier liefert bis zu zwölf Gallonen Thran, der im gewöhnlichen
Zustande von fester Konsistenz ist und znm Gebrauch erst aufgethaut
werden muß. Das Fleisch ist ausgezeichnet, frisch schmeckt es wie
Rindfleisch, gesalzen wie Speck. Die Knochen sind sehr fest, ohne
Markhöhle und ohne Oelgehalt und werden wie Elfenbein ver-
arbeitet. R.
Kleine Nachrichten.
Afrikanische Expeditionen. Wir verweisen unsere Leser ans
die Mittheilung, welche wir neulich (Globus IV, S. 22) über
Baker's Expedition zur Aufsuchung der Nilquellen und zur Unter-
stützung der Reisenden Speke und Grant gegeben haben. In der
letzten Sitzung der Londoner geographischen Gesellschaft war wieder
viel die Rede von nilotischen Angelegenheiten. Ueber Petherick's
Schicksal sind wir noch im Ungewissen; Baker ivollte, wie wir ge-
meldet, am l. December von Chartnm aus ström an fahren. Von
126
Kleine Nachrichten.
den muthigen Frauen, welche eine Nilfahrt unternommen hatten
und bis über Gondokoro hinaus gelangt waren, erhalten wir jetzt
nähere Kunde. Sie sind nicht Engländerinnen, sondern Hollän- '
b er innen. Am 24. November waren sie wieder in Chartum zurück.
Durch Baker wissen wir, daß Petherick seine beschädigten Barken
nach Chartum zurückgeschickt hatte; die Provisionen waren zumeist
verdorben, weil Wasser in die Schiffe eingedrungen war, möglicher-
weise durch Niederträchtigkeit des von den Sklavernjägern be-
stochenen Schiffsvolkes. Wir haben schon früher erzählt, welche
Noth Petherick mit diesem Gelichter auszustehen hatte. Zn dieser
Ansicht kommen wir durch eine Notiz, welche wir weiter unten mit-
theilen. Petherick hatte, nachdem er seine Barken stromab geschickt,
erklärt, er wolle zu Fuße weiter gehen. Es scheint aber, daß er
nicht gerade gen Süden, nach Gondokoro, gegangen ist, sondern
nach Westen hin, wahrscheinlich nach irgend einer der Elfenbein-
stationen, die er von früheren Zeiten her kannte. Möglicherweise
ist er viel zu weit nach Westen gegangen und obendrein in einer
Jahreszeit, wo das Land weit und breit überschwemmt ist. So
läßt sich erklären, daß die holländischen Frauen, welche eine ganze
Dampftagereise über Gondokoro hinauskamen, nichts von ihm
sahen. Die eine Reisende, Frau Tinne, schrieb von Chartum unterm
1. December L8G2 an ihren Mann, Petherick sei viel zu spät in der
Jahreszeit abgefahren (— er konnte nicht früher, wegen der vielen
Hindernisse, welche die Sklavenjäger und der ägyptische Gouveneur
ihm in den Weg gelegt hatten —), habe den starken Südwind gegen
sich gehübt, sei aber doch bis zur katholischen Missionsstation im
Lande der Keks gekommen. Dort mußte er die Barken und Alles
was darin war: Eisen, Lebensmittel und Borräthe aller Art, ver-
lassen, und ging dann unter den äußersten Schwierigkeiten nach
Niambara. „Wir konnten", schreibt Frau Tinne, „nichts Gewisses
darüber erfahren, was aus ihm und seinen Begleitern geworden
sei. Die Neger sagten uns, sie seien ertrunken, als sie über einen
Fluß setzen wollten."
Am 25. April theilte Mnrchison abermals ein Schreiben von
Herrn Tinne, welches weitere Nachrichten über die hol ländischen
Frauen enthält, mit. Sie waren dritthalb Monate in Chartum
geblieben und hatten im Februar eine zweite Nilexpedition
unternommen. Aber schon nach einer Fahrt von drei Stunden ver-
suchten Kapitän und Mannschaft die Barke zum Sinken
zu bringen; sie hatten ein Loch in's Schiff gebohrt, weil
sie abgeneigt waren, stromauf zu gehen. Die Frauen ließen aber
den Schaden ausbessern, nahmen anderes Schiffsvolk an Bord
und wollten die Reise trotz alledem machen. Die eine Frau blieb
in Chartum zurück; Frau Tinne und ihre Tochter waren von einem
Deutschen (Henglink) und zweiHolländern begleitet (dieNamen sind
nicht genannt). Die Expedition hat einen großartigen Maßstab; sie
besteht ans einem Dampfer, fünf Barken, 168 Leuten, wovon 50
Soldaten, 4 Kameelen, 30 Eseln und Mauleseln und 3 Pferden;
es fehlte weder an Waffen und Schießbedarf, noch an neuen Zelten
und reichlichen Borräthen aller Art. Die beiden Holländer wollten
den Weißen Fluß hinauffahren, Frau Tinne dagegen den Bahr el
Gasal erforschen und eine Landreife in's Innere machen, lieber
Petherick und dessen Frau hatte man nichts vernommen.
Gérard, der Löwentödter, ist nun nach Afrika abgegangen,
und die englische Regierung gewährt ihm Unterstützung. Der zuletzt
festgestellte Plan ist folgender. Gérard geht erst nach Dahvme
zum bluttriefenden Negerpotentaten Bahadung, dann zu dem nicht
minder blutigen Herrscher von Aschanti, der 3333 Frauen unter-
hält; nachher will er die sogenannten Konggebirge durchforschen
und Sierra Leone zu erreichen suchen. _ Ist er dann vom Fieber noch
nicht gar zu arg mitgenommen, will er von Sierra Leone aus
wieder in's Innere gehen, bis zu den Quellen des Niger, und
dessen obern Lauf genauer untersuchen.
Kapitän Bedingfield hat einen Bericht über seinen Besuch
in Ode, der Hauptstadt des Jjebulandes in Westafrika, eingesandt;
Richard Burton, der Unermüdliche, über seine Besteigung des
Elephantengebirges, und Wiuwood Reede über Corisco und
die Gegend am Gabunflnsse.
_ Du Chailln wurde in der Sitzung der Londoner geogra-
phischen Gesellschaft am 25. April mit lautem Beifall und Zuruf
begrüßt. Er theilte mit, daß er eine neue Reise nach Afrika
unternehmen werde. Er sei nun mit Instrumenten versehen, werde
die Länge und Breite einer Anzahl von Punkten bestimmen und von
einigen englischen Freunden begleitet werden. Es sei seine Absicht, an
der Mündung irgend eines der Flüsse in der Gabunregion eine
Station anzulegen, dieselbe unter Obhut einiger weißen Männer zu
stellen und dann eine Forschungsreise in's Innere zu machen.
Er hoffe 1000 Miles weit landein zu dringen. Wenn er gesund
und am Leben bleibe, dann werde er abermals einen Reisebericht
veröffentlichen. Jetzt habe er mehr Erfahrungen und mehr Kennt-
nisse als früher, da er sein erstes Buch schrieb. Er dankte der geo-
graphischen Gesellschaft für die große Freundlichkeit welche sie ihm
stets bewahrt habe.
Das Urtheil, welches wir vor länger als anderthalb Jahren
über Du Chailln und dessen Buch gefällt haben, ist von anderen
Seiten her bestätigt worden. Der Reisende hatte keine gelehrten
Prätensionen, war Jäger und Naturaliensammler; er hat einzelne
Uebertreibungen und Ungenauigkeiten, besaß keine Instrumente, mit
denen er ohnehin damals nicht hätte umgehen können; aber er-
brachte eine Fülle von neuen und werthvollen Nachrichten, und der
Eindruck, welchen wir durch ihn über Land und Leute am Gabun,
am Fernando Vaz, Ogobai rc. empfangen, ist im Allgemeinen der
richtige. Burton, der selber im Lande war, hat sich über Herrn
Du Chailln mit Respekt ausgedrückt; uns war es gleichgültig, ob
er einen Gorilla von hinten oder von vorn getroffen hat.
Jetzt will nun der kühne Mann eine äquatoriale Region
Afrikas erforschen, die ans unserer Karte immer noch ganz weiß
ist. Durch Du Chailln hoffen wir nun zu erfahren, wie es hinter
dem Krystallgebirge aussieht.
Doktor Baikic und die Lander am unter» Niger. Wir er-
wähnten neulich (IV, S. 30) der Fahrt des Kapitän Lefroy mit dem
Dampfer Jnvestigator ans den Niger. Er kam bis Jddu, fuhr
wieder stromab und kehrte nicht um, obwohl der Häuptling Malada
ihm einen Eilboten nachschickte und sagen ließ, vr. Baikie sei ans
der Rückreise von Kano und werde bald in Jddu eintreffen. Wir
äußerten damals: „Lefroy muß wohl Gründe gehabt haben, seine
Fahrt stromab weiter fortzusetzen." Jetzt erfahren wir aus der
zweiten Nummer der Verhandlungen der Londoner geographischen
Gesellschaft, daß das rasche Fallen des Nigers der Grund war.
Baikie hat einen Bericht über die Regionendes untern Niger
eingeschickt. Bekanntlich dringt er darauf, daß oberhalb des Deltas
ein Handels- und Konsularposten gegründet werde, um den Kern-
punkt zu bilden, von welchem aus englischer Einfluß in Central-
afrika wirken könne. Er hofft viel für „Christianisirung und Ci-
vilisirnng", denn die Erregung so fabelhafter Hoffnungen darf in
England nicht fehlen. Richtig ist aber, daß für die Erforschung
der Nigergegenden eine solche Station sehr nützlich werden könne.
Baikie meint, gerade jetzt sei die rechte Zeit; Grund und Boden
habe er schon erworben und auch schon einen Markt gegründet; die
Eingeborenen seien günstig gestimmt.
Baikie hat auch der englischen Regierung Mittheilungen ge-
macht. In Betreff des Baumwolleubaues hält er die Landschaften
Bonn! nnd Nupe (Nyffe) für geeigneter als Ioruba, weil in jenen
mehr kleine Grundbesitzer seien, dagegen in lètzterm die Produktion
von großen Handelsleuten abhängig wäre.
lieber das anomale S teigen und Fallen des Nigers hat
Baikie einige Angaben gemacht. Schon Heinrich Barth hat im An-
fänge des fünften Bandes seines Reisewerks darüber Notizen mit-
getheilt. Die folgenden beruhen ans Baikie's vierjährigen Beob-
achtungen bei Bussa. Der Niger erreicht dort seinen höchsten Stand
im September; schon Anfang Oktobers beginnt er zu fallen, aber
langsam, im November dagegen sehr rasch, gegen Ende Decem-
bers hat er den tiefsten Stand, der im Januar unverändert bleibt.
Zwischen Ende Januars und jenem des Februars findet ein zweites
Steigen statt, das aber nur 4 bis 18 Zoll beträgt. Der Regen
fällt zumeist Ende Septembers. Benne und Niger werden bei ihrer
Vereinigung als dunkler und als weißer Fluß bezeichnet.
Baikie ist nun seit etwa acht Jahren in der Nigerregion. Er
ging mit dem Dampfer Pleiad stroman, welcher aber durch Nach-
lässigkeit der Bemannung scheiterte. Der Doktor siedelte sich unter
den Negern an, und hat weit und breit Expeditionen nach Nordwest
und Südost theils selber unternommen, theils abgeschickt. Der
alte, immer noch rüstige Crawfurd lobte Baikie's Beharrlichkeit,
hat aber doch Bedenken gegen die Gründung einer Station zwischen
dem 8. und 9. Grade N. B. und bei einer Mitteltemperatur von
80 bis 90 F. Das wäre kein für Europäer geeigneter Punkt, und
Baikie könne von Glück sagen, daß er noch lebe; er sei aber krank
und schwach und sehne sich nach Europa zurück. Was die Landes-
produkte betreffe, so komme allerdings aus Westafrika jährlich für
2 Millionen Pfd. St. Palmöl. Aber wer könne im Ernste glauben,
daß die Neger jemals den erforderlichen Bedarf an Baumwolle
liefern würden? Dazu haben sie weder Kapital, noch Anstelligkeit,
Intelligenz oder Schutz für Leben und Eigenthnm.
Ein französisches Reich am Senegal. Man arbeitet eifrig
darauf hin, ein solches zu gründen. Offenbar strebt die Napoleo-
nische Politik danach, das ganze nördliche Afrika bis zum Niger
theils unmittelbar sich anzueignen, theils ihrem Einflüsse zu unter-
werfen. Bei den Tuarek, welche alle Karawanenwege der west-
lichen Sahara beherrschen, ist es ihnen gelungen; vom Senegal
her dringen die Franzosen immer weiter nach Osten. Wir finden
im Märzhefte der Revue de l'Orient folgende Stelle: „Unser Reich
Kleine Nachrichten.
127
am Senegal wird erst dann wie es sein muß, wenn wir es ver-
größert' haben durch die Hochebenen von Guadiaga,
Kasson, Bon du, das Bollwerk der Gebirge von Bambnk
und Futa Djallon bis zum Niger, zum rnnern Sudan.
Dort ist die Hitze geringer, die Luft gesunder, der Mensch kann
leichter athmen."
Nun sind seit mehreren Jahren die Franzosen unablässig im
Kampfe mit einem oder dem andern Negerlaud in Senegambieu.
Ualo, am untern Laufe des Stromes, haben sie annektirt. Um
Neujahr unternahmen sie einen Kriegszug gegen Futa, also gegen
einen Staat der Fnlbe (Fellata), der schon Ausgang Februars zu
Ende war.
Senegambieu zählt nicht weniger als dreißig verschiedene
Staaten. Wir haben im Globus die senegambischen Verhältnisse
erörtert: Bd. I, S. 193 bis 205, wo auch eine Nebersichtskarte
mitgetheilt worden ist, sodann II, S. 1 bis 13 und 46 bis 49, und
außerdem manche Notizen gegeben. Die Franzosen drangen an
Nebenarmen des Senegal bis Matam, das auf unserer Karte
(I, S. 199). verzeichnet ist ; unterwegs zerstörten sie alle Ortschaften,
wo sie Widerstand fanden. Dann kehrten sie um und wurden am
7. Februar von der Armee der Leute von Futa angegriffen, welche
von den Ulad Aids, einem Stamme der Brakna-Mauren (welche
ant rechten Ufer des Senegal nomadisch umherziehen) verstärkt
worden waren. Die Schlacht fand unweit vom Dorfe Gaül in
einem dichten Walde statt; nach zweistündigem Kampfe wurden die
Afrikaner zurückgeworfen und litten viel. Die „Züchtigung" war
gelungen. Die' französischen Soldaten legten, wie die amtliche
Zeitung von St. Louis am Senegal sagt, 545 Kilometer Wegs,
also reichlich 100 deutsche Meilen, zurück, bestanden sechszehn Ge-
fechte und zerstörten nicht weniger als sechs und sieben-
zig Ortschaften!
Vermittelst der Dampfschifffahrt wird den Franzosen das Ein-
dringen bis tief in’S innere Land wesentlich erleichtert. Im Jahre
1820 bauten sie das Fort Bakel in Guadiaga am linken Ufer
des Senegal, um den Handel von Galon zu kontroliren. Dort
treffen nämlich die Karawanen, welche aus den Nigcrgegenden nach
der Küste ziehen, mit europäischen Händlern szusammen; doch das
Klima war mörderisch,', weiße Menschen erlagen demselben allemal.
Aber 1854 wurde eine Dampferlinie dorthin eröffnet, und man
ließ die Sümpfe entwässern. Nun ist das Klima nicht mehr ganz
so arg. Dampfer legen die 280 Lienes lange Strecke auf dem
Senegal von St. Louis bis Bakel in fünf Tagen zurück.
„Senegambische Hitze" ist seit langer Zeit sprichwörtlich. Wir
finden in der Revue de lQricnt einige Temperatnrangaben nach
dem hunderttheiligen Thermometer. Demgemäß steigt die Hitze
im Schatten und sind die Mitteltemperatnren in
St. Louis............ 34,68 M. T. 24,75
Richard Toll . . . 40 — 26,63
Dagana............... 36,56 — 27,81
Bakel................ 37,31 — 27,50
Nachrichten ans Ostindien. Es sind bekanntlich mehrfach
Versuche gemacht worden, von Indien aus nach Lhassa, der
Hauptstadt von Tibet, vorzudringen, und wir haben im Globus
namentlich die Bemühungen französischer Missionäre (Krick, Des-
godins re.) erwähnt. Sie sind bisher alle gescheitert; aber kühne
Reisende lassen sich dadurch nicht abschrecken. Jüngst haben Kapitän
Smith und Doctor Stewart bei der indischen Regierung um
Erlaubniß nachgesucht, nach Lhassa reisen zu dürfen, und zwar von
China aus, auf demselben Wege, welchen die französischen Missio-
näre eingeschlagen haben. Man hat ihnen jedoch dieselbe verweigert,
weil auch das chinesisch-tibetanische Grenzland in äußerster Zer-
rüttung sich befinde und die Reisenden dort ihres Lebens nicht
sicher wären. ...
Wir haben auch mehrfach darauf hingewiesen, daß die indische
Nordgrenze von den halbwilden Gebirgsstämmen im Himalaya
sehr unsicher gemacht werde und daß es den Engländern bisher
nicht gelungen sei, diesen Völkern Ruhe aufzuzwingen. Jetzt scheint
Aussicht dazu. An der Nordwestgrenze spielen die Wesiris eine
Hauptrolle; an der Nordostgrenze, in den Gegenden, wo China,
Assam und Tibet znsammenstoßen, die Abors, und von diesen
letzteren sind auch einige katholische Missionäre erschlagen worden.
Am wildesten benahmen' sich seither die Abor-Stämme der M e y o n g
und der Dihang-Dibang; sie waren 1857 ans ihren Bergen in
die Ebenen hin ab gestürmt und hatten einen englischen Posten über-
fallen. Jetzt ist es nun einein Major Bivar gelungen, mit den
Meyong einen Friedensvertrag zu schließen. Demgemäß soll Alles,
was geschehen ist, vergessen sein; englische Handelsleute dürfen un-
gehindert das Gebiet der Abors besuchen; diese können sich auf eng-
lischem Gebiete niederlassen, dürfen aber dort kein Opium bauen,
und alle Zwistigkeiten sollen nicht durch Gewalt ausgetragen, son-
dern zur Entscheidung vor den Kommissarius gebracht werden.
Die Abors selber sollen strenge Polizei gegen Räuber üben, und
bekommen dafür jährlich hundert eiserne Hacken, eine bestimmte
Quantität Salz, Opium und Tabak und achtzig Flaschen Rum.
Ein gleicher Vertrag ist gleich nachher mit den Dihang-Dibang
abgeschlossen worden. Die Sache ist von Belang für die Erdkunde.
Wenn Reisende mit Sicherheit im Gebiete dieser Völker wandern
können, dann hat es keine Schwierigkeit, bis an die Grenze von
Tibet zu gelangen.
Der Bau von Schienenwegen nimmt in Ostindien seinen
Fortgang. Wir erwähnten vor einiger Zeit, daß die Bahn von
Calcutta nach Benares eröffnet worden fei. Nun ist die erstere
Stadt auch mit dem Mutlah verbunden, einem in die Bah von
Bengalen ausmündenden Salzwasserflusse, dessen Mündung um
etliche 30 englische Meilen weiter hinauf liegt als die des Hughly.
Bahnzüge von der Hauptstadt laufen 26 englische Meilen weit ohne
Aufenthalt bis nach der Stelle am Ufer des Mutlah, wo die neue
(dem verstorbenen Vicekönig zu Ehren so genannte) Hafenstadt
Canning entstehen soll. So werden die wüsten und klimatisch
gefährlichen, jedoch zum Baumwollenbau wohlgeeigneten S und er-
bands durchschnitten, wie das alluviale Küstenland mit den vielen
Gangesmündungen ans der Karte heißt. Der Mutlah ist, im Ver-
gleich mit dem Hughly, ein edler Strom, fast ganz frei von den
Gefahren des letztern. Zwei große Ostindienfahrer können neben
einander den Mutlah hinauffahren und sich vor der Stadt wenden,
was im Hughly nicht thnnlich ist. So hat der projektirte Hasen-
platz Canning eine große kommercielle Zukunft, zumal da sich von
dort ans auch eine viel kürzere Verbindung mit Dacca und ganz
Ost-Bengalen eröffnen wird. — Zugleich hört man überall in
Indien von materiellen Fortschritten. Am 18. Januar k. I. soll in
Calcutta eine Agrikultur- und Industrie-Ausstellung
gehalten werden, und eine g r o ß e A n s st e l l u n g d e r P r o d u k t e
von ganz Indien ist für das Jahr 1804/65 beabsichtigt.
Nizza im Sommer. Die meisten Fremden verlassen diesen
reizenden Erdenwinkel, sobald das Frühjahr eingezogen ist. Aber
ein Deutscher, welcher anderthalb Jahre dort gelebt hat, empfiehlt
die Stadt auch für einen Aufenthalt im Sommer. Wir finden seine
an den Dithyrambus streifende Schilderung in der Allgemeinen
Zeitung und wollen Einiges ans derselben mittheilen.
Nizza ist auch im Winter mild, sonnig, warm; es trägt nicht
das graue Trauerkleid des Nordens ; es grünt und blüht im Schmucke
seiner Blumenflora, seiner Magnolien, Jmmergrüneichen, Cyprcssen,
Palmen, seiner Oliven-, Orangen-, Citronen- und Lorbeerbäume;
es ruft uns hinaus stundenlang in seine Kampagne, an den Meeres-
ftranb, wo in den schliinmsten Tagen des heiinischen Winters wir
uns niedertassen unter dem Schall einer weithin rauschenden Musik.
Aber so schön auch die Winterzier Nizzas, Stadt und Land sind
unendlich strahlender, glänzender im Sommer, und es wäre thöricht,
zu glauben, daß auf irgend einem Punkte des europäischen Kon-
tinents, und also auch in Nizza, der Winter sich gar nicht verspüren
ließe. Der rauhe Gast des Nordens wendet auch hierher, obschon
nur wenig, sein grämliches Gesicht, unter dessen erkaltendem Ein-
drücke sich die Vegetation abschwächt, ohne sich ganz zurückzuziehen;
und es gibt auch in Nizza Tage, wo es bös stürmt und regnet, und
wo ntan in den schlecht erwärmten Zimmern im Geheimen nach dein
traulichen Ofen der Heimat seufzt.
Allein im Sommer muß man es sehen, wenn die große
Leuchte des Himmels ein wahres und unendliches Lichtmeer über
das Land ansgebreitet; wenn die in heißester Glut befruchtete Erde
sich in diesem lichtblauen Aether spiegelt, der des Südens eigen-
thümliche und unvergleichliche Zierde ist; tvenn das Licht in hundert
Farben spielt, schillert und von den hohen Felsen, ans die es sich
gesenkt, zurückstrahlt; wenn die Oliven- und alle übrigen ein-
heimischen Bäume des Südens, die treuen Freunde des Winters,
zum Theil ihr Blatt wechseln, sich dunkler, glänzender färben und
ans den uns umgebenden Hügeln sich voller und reicher gruppiren;
wenn auch die Obst- und die anderen Bäume des Nordens, Ulmen,
Platanen, Akazien, Linden sich belauben, der öffentliche Garten mit
seinen zahllosen exotischen Gewächsen sich üppiger entfaltet und die
ganze Kampagne sich mit einer dichten glänzenden Blnmenflora
bedeckt. Dann, sage ich, muß man kommen und muß man Nizza
sehen, wenn man es wahrhaft bewundern und sich eine richtige
Vorstellung machen will von dein ganzen Neichtbume seiner natür-
lichen Schönheit und seiner großartigen Vegetation. — Freilich ver-
mißt der Bewohner des Nordens Eines, die volle Blätterpracht
seiner hohen stämmigen Bäume; freilich rauscht es hier nicht ge-
heimmßvoll in belaubten und schattigen Eichen - und Buchenhainen,
und nicht hier verkündeten einst in uralter Zeit aus dem mystischen
Wehen der Blätter fromine Priesterinnen der Gottheit geheimen
Willen und Verheißung. Wollt ihr es rauschen hören, so wendet
euch zwei L-chritte seitwärts, beugt euch hinab zum nahen Meere,
das seine blauen Wogen an das'sandige Gestade spült, und laßt
128
Kleine Nachrichten.
euch von ihnen alte Geschichten erzählen von den phocäischen Vätern, !
die einst um 500 vor Christus dort landeten, wo jetzt Marseille steht,
und zwei Jahrhunderte später Nike gründeten, zur Erinnerung au
einen über die einheimischen Ligurier erfochtenen Sieg, fliehend vor des
Cyrus Feldhauptmann Harpagos, der sich begnügen wollte, wenn
sie zum Zeichen ihrer Unterwerfung einen Thurm ihrer Mauern
niederreißen und ein einzig Haus räumen würden.. Aber die Phocäer,
denen die Knechtschaft ein Greuel war, baten sich einen Tag Bedenk-
zeit aus und benutzten denselben zur Flucht nach Kyrnos (Corsica),
um von hier ans später Elea und Masstlia zu gründen.
So nur rauscht es hier, nicht im schattigen Haine. — Kehrt
man dann aber das Antlitz rückwärts auf das wunderbare Ge-
mälde, das sich hinter uns aufrollt, heftet sich dann der Blick an
diesen lichtblauen Dom, der über die prachtvolle Landschaft sich ans-
breitet, und schaut man ans die hohen Bergkuppen, um die das
Licht in seinen buntesten Farben tanzt und einen feinen, dünnen,
dunstartigen Schleier webt, der zum sanften Schlummer einladet,
so daß man schwören wollte, die alten Bergrecken senkten die müden
Häupter, um von der wacker geleisteten Arbeit des Winters ans-
zuruhen — dann möchte man die Arme ansbreiten, weit hinaus,
um diese wunderbare Schöpfung zu umfassen und an die heißbewegte
Brust zu ziehen, und von ihrer Schönheit berauscht, vergißt man
auch unter dem Drucke der glühenden Sonne die weit entlegene
Heimat mit ihren schattigen Hainen, mit ihren rauschenden Wäldern.
Nizza verdankt seine milde Temperatur der weitgestreckten
Kette von Hügeln und Bergen, die, mit Ausnahme von Seite des j
Südens, es nach allen Himmelsgegenden umschließen. Es sind
dies freundliche Hüter und Beschützer, die sich in angemessener,
respektvoller Entfernung halten und nicht, wie in so manchen
anderen Gebirgsthälern, durch unangenehmes Aufdrängen und
zudringliche Nähe uns den Zoll unserer Dankbarkeit abnöthigen.
Alan erhält den schönsten Ueberblick über das Bassin von
Nizza von der höchsten Terrasse des Schloßberges, der am östlichen
Ende der Stadt sich an 96 Meter steil über das Meer erhebend,
einst das berühmte feste Schloß trug, das um die Mitte des sech-
zehnten Jahrhunderts für das stärkste Bollwerk Italiens galt, und
1706 von Berwick zerstört wurde. Die ganze Fläche des Felsens
ist jetzt in herrliche Anlagen und Promenaden verwandelt, die mit
den reichsten Zeugen der südlichen Vegetation geschmückt sind. Von
dort ans erschaut man nun das ganze wunderbare Panorama von
Nizza und dessen Kampagne, da der Blick nach keiner Seite gehemmt
ist. Westlich die große Kette des Estrel und die kleinen Hügel, die
Nizza vom Var trennen, im Norden ans dem rechten Ufer des durch
die Stadt fließenden Paillon einen dreifachen Gürtel von Hügeln
und Gebirgen, die sich etagenartig über einander reihen und herrlich
contrastiren, da die Felsen der letzten Reihe mit Schnee bedeckt sind,
jene der Mitte sich kahl und nackt aufthürmen, und die wellenartig
sich bewegenden und fortziehenden Hügel der ersten Linie im üppigsten
Schmucke der Oliven-, Citronen-, Orangen- und anderer einheimi-
schen Bäume das Auge bestechen. Hin und wieder erblickt man
zwischen den Olivenhainen kleine weiße Cottagen oder stolze Villas,
die allgemach die Hügel herabsteigen, dort sich zahlreicher ausbreiten,
zu kleinen Weilern und Ortschaften gruppiren und endlich zu den
eleganten und stolz in der Ebene sich ansdehnenden Gebäulichkeiten
der neuen L-tadt führen, vor denen die düsteren Häuser der alten
Stadt sich scheu zurückziehen und sich an den Fuß des Schloßberges,
den Standpunkt des Beschauers, anschmiegen. Dort an der Straße
von St. Barthelemy erhebt sich der Hügel von Cimiez mit seiner
pittoresken Klosterkirche, das alte Cimeneum, Cemenelum, einst
die Hauptstadt einer römischen Provinz, mit 40,000 Einwohnern,
der Sitz eines Präfekten, eines Senats, einer ständigen Legion, und
berühmt wegen seines milden Klimas schon in ältester Zeit. Ans
der andern Seite des Paillon, gegen Osten, erhebt sich der Mont
Gros, über den die weltberühmte Straße nach Genna, die C o rn ich e,
führt, mit den Resten einer zu Ehren des Augustns errichteten
Trophäe, an Monaco und Mentone vorbei, beide wegen ihres
milden K'lima's und ihrer fast afrikanischen Vegetation berühmt;
ferner der Mont Vinaigrier, der Mont Alban, der Mont Boron,
hinter welchem die Rhede von Villafranca liegt und, ihr gegenüber,
die Halbinsel St. Jean mit dem Flecken dieses Namens und dem
Weiler Beaulieu, voll der üppigsten Vegetation, und dem Vor-
gebirge St. Hospice, einst der Zufluchtsort der gefürchteten Sara-
ccuetumb später, doch nur auf kurze Zeit, die Residenz der Ritter
von St. Jean in Jerusalem. Diese Felsenbcrge schließen die großen
Gürtel von Gebirgen, die sich wie eine natürliche Schutzmauer in
weitem Halbkreis um Nizza ausdehnen; endlich im Süden erblickt
der Beschauer über den Golf hinaus den weiten unermeßlichen
Spiegel des Mittelmeeres, des schönsten Meeres der Welt.
Welch ein majestätisches, prachtvolles Rundgemälde, welche
Farbenpracht, welche Lichteffekte, voller Wechsel und Nüancirnng,
und zugleich eine in große Lettern geschriebene Gedenktafel der Ge-
schichte vergangener Zeiten und der Principien, die sie erfüllten!
Der Kllpferreichthum Californicns ist früher wenig beachtet wor-
den, weil Gold, Silber und Quecksilber die Aufmerksamkeit in An-
spruch nahmen; jetzt wird er in seiner vollen Bedeutung erkannt.
Von einem Ende des Staates bis zum andern werden in jeder
Woche neue Kupfergrnben entdeckt. Sie liegen in drei großen Zonen,
welche mit der großen Qnarzader parallel laufen; diese selber liegt
in einer jener Knpferzonen. Von Mariposa bis Crescent City
wird überall Kupfererz zu Tage gefördert. Die Union Copper-
Mine bei Copperopolis, im County Calaveras, ist die be-
deutendste Grube, dann folgt jene bei Keystone Copp er. Man
hofft schon im laufenden Jahre so viel Kupfererz in San Francisco
ans Lager zu haben, daß alle auslanfenden Schiffe dasselbe als
Ballast einnehmen können. Chile, bisher die Hauptkupferregion am
Stillen Ocean, erhält also in Californien einen Mitbewerber.
Der König von Dahomc hat auch im vorigen Jahre einige
europäische Besuche erhalten. Auf die Vorstellungen, daß er künftig
nicht so viele Menschen opfern möge, hat er stets ablehnend geant-
wortet. Den Angriff gegen die Stadt Abbeokuta will er nicht
aufgeben, hat aber versprochen, den Christen das Leben zu schenken.
Speke und Grant glücklich in Chartnm angelangt: Diese
frohe Nachricht finden wir so eben, da wir den letzten Bogen dieser
Nummer für die Presse vorbereitet hatten (2. Mai), in der Times
vom 29. April. Der Präsident der Londoner geographischen Gesell-
schaft, Roderich Murchison, berichtet, er habe so eben von Seiten
des Ministeriums eiu aus Alexandria eingegangenes Telegramm
erhalten, demgemäß die beiden Reisenden glücklich und wohlbehal-
ten in Chartnm eingetroffen seien. — Das ist dieNotiz in derTimes.
So sind denn die bangen Besorgnisse, welche jeder Freund der
Erdkunde über das Schicksal der kühnen Reisenden hegte, endlich
beseitigt worden. Speke und Grant sind dritthalb Jahre unterwegs
gewesen, um von Sansibar, das sie im Sommer 1860 verließen,
bis an den Zusammenfluß des Blauen und des Weißen Stromes
zu gelangen. In dieser langen Zeit kam nur zweimal Nachricht
von ihnen nach Europa; einmal ans Khoko im westlichen Ugogo,
das sie im December 1860 erreicht hatten; von dort wollten sie
über Kaseh zunächst nach dein Nyanza-See Vordringen, welchen
Speke im Juli 1858 entdeckt hatte. Ihm zufolge liegt die Südspitze
in 2" 24' S. Br., und der Spiegel des Sees 3750 engl. Fuß über
dem Meere. Speke war der Ansicht, daß aus diesem See einer der
Hauptquellflüsse des Bahr el Abiad, des Weißen Nils, ab ströme.
Er unternahm die Reise mit Grant, um über dieses Problem, jenes
der Nilquellen, ins Klare zu kommen und Nachrichten über die
seither noch von keinem Europäer betretenen Königreiche im Westen
und Nordwesten des Nyanza-Sees, nämlich Karagueh, Uganda
und Usoga, einzuziehen. Er wollte Gondokoro zu erreichen suchen,
wohin Petherick ihm entgegengeschickt wurde. Seltsames Schick-
sal! Während wir über des Letztern Verhängnis) im Ungewissen
sind, tauchen Speke und Grant plötzlich wieder auf. Wahrschein-
lich sind sie auf dem Bahr el Abiad dem kühnen Baker begegnet,
der, wie wir im Globus erzählt haben (IV, S. 22), ihnen von
Chartnm ans im December 1862 entgegen fuhr und des ver-
schollenen Petherick Ersatzmann war!
Die zweite Nachricht von Speke und Grant war datirt: B a g u eh,
30. September 1861. Dieser Ort liegt 3" 28' S>. Br., etwa mitte-
wegs zwischen dem Tanganyika-See und dem Nyanza-See. Sie
kam, gleich der ersten, welche einPolles Jahr gebraucht hatte, um
nach Europa zu gelangen, über Sansibar. Seit jenem Schreiben
haften wir nichts mehr voll Speke und Grant vernommen. Sie
klagten über Mangel an Trägern zun: Fortschaffen ihrer Maaren
und Instrumente, über Mangel an Nahrungsmitteln und über Un-
geheuern Regenfall auf der Hochebene von Unyamuesi. Aber sie
haben alle Schwierigkeiten überwunden.
Nun müssen wir endlich etwas Genaueres über die Quell-
region des Nils hören. Das alte Wort der Römer: Caput Nili
quaerere, hat nun wohl seine Berechtigung verloren. Aber wie
dem auch sein möge, und einerlei, ob die wackeren Reisenden nach
Norden hin ans der Ostseite oder am Westgestade des Nyanza-See's
gegangen sind, der alte Satz, daß man aus Afrika immer etwas
Neues erfährt, semper aliquid novi ex Africa, wird sich auch
jetzt bewahrheiten, und wir erhalten ohne allen Zweifel wichtige
Aufschlüsse über eine bisher unbekannte Gegend. Das Werk der
Entschleierung Afrikas nimmt rüstigen Fortgang.
Herausgegeben von KarlAndree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Die Ruinen der altamrrikanischen Prachtstndt Chichen Ihn in huratan.
Es ist ein interessantes Zusammentreffen, daß beinahe
gleichzeitig die wissenschaftliche Forschung in der Euphrat-
region und in den ehemaligen Kulturstaaten der westlichen
Erdhalbe wichtige Ergebnisse lieferte. In den Ruinen von
Babylon und Ninive hat man tausendjährigen Schutt ent-
fernt und Königspaläste wieder an die Sonne gebracht; in
Centralamerika sind Trümmer von Städten entdeckt worden,
die in höherm Maß unser Staunen erregen als selbst die
Denkmäler Aegyptens. Die alte Welt hat nichts aufzuweifen,
nische Ruinenstädte; auf seiner zweiten, welche sich auf die
letztgenannte Halbinsel beschränkte, fand er deren nicht
weniger als vier und vierzig! In Merida und Valla-
dolid hatte man kaum eine Ahnung von dem Dasein dieser
herrlichen Monumente; die meisten waren den Kreolen
völlig unbekannt. „Nur einige wenige waren von weißen
Menschen besucht worden; ich fand sie völlig verödet und
mit Bäumen überwachsen. Die tiefe Stille, welche über
ihnen lag, wurde von mir auf eine kurze Zeit unterbrochen.
, 'MM ' 8a||t||«K fif i
wkmákl
Ans den Ruinen von Uxmal, Incalan.
das an Pracht, Mannigfaltigkeit und Reichthum die Ruinen
von San Domingo de Palenque, Eopan, Chichen Itza,
Uxmal und so vieler anderen altamerikanischen Städte über-
träfe. Zum Beweise dafür genügt ein Blick aus die be-
kannten Abbildungen, welche Waldeck geliefert hat, oder
eine Ansicht der vielen Daguereotypen, die Stephens in
seinen beiden Reisewerken mittheilt.
Dieser amerikanische Reisende besuchte auf seiner ersten j
Wanderung in Guatemala und Aucatan (1840) acht india-
Globus IV. Nr. 5.
Aber das Werk der Zerstörung durch die Einwirkung der
Elemente und der Jahre schreitet rasch fort, und ehe viele
Generationen verfließen, werden die Prachtgebände mit
ihren herrlichen Fanden und Skulpturen zusammenstürzen,
und dann bleiben nur noch formlose Schutthaufen übrig."
Wir werden im Globus den amerikanischen Alter-
thümern eine besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Die
Denkmäler im Stromgebiet des Mississippi und des Rio
Gila, in Mexiko, in Centralamerika und Peru bilden eine
17
130
Die Ruinen der altamerikanischen Prachtstadt Chichen Jtza, in Ducatan.
Fülle von Stoff; es knüpfen sich an dieselben eine Menge
wichtiger Fragen der Ethnologie und der Geschichte, von
denen viele noch der Lösung harren.
Wer von der durch nichts begründeten und durch nichts
bewiesenen Ansicht ausgeht, daß die große westliche Erd-
halbe ihre Bewohner (die „Indianer") aus Asien oder
irgend sonst woher aus weiter Ferne bekommen habe, geräth
von vornherein in ein Labyrinth, aus welchem gar kein
Ausgang möglich ist. Die Annahme von einer Ein-
wanderung, z. B. über die — Behringsstraße, diese
klägliche Nothbrücke, welche so viele wundersame Phantasien
tragen muß, ist geradezu widersinnig. Trotzdem taucht sie
immer noch da und dort auf.
Die Theorie der „Ausstrahlung" aller Menschen von
irgend einem Mittelpunkt in Asien beruht auf eben so
willkürlichen Voraussetzungen. Kein verständiger Mensch
würde jemals auf sie verfallen sein, wenn nicht gewisse alt-
testamentliche Vorstellungen, die meinetwegen als solche ihre
Berechtigung haben mögen, Jahrhunderte hindurch sich bis
in unsere Tage fortgepflanzt hätten. Hebraisirende Vor-
stellungen erklären in Betreff Altamerikas gar nichts; auch
sie führen in ein Labyrinth. Ist man doch so weit in der
Verirrung gegangen, die westliche Erdhalbe durch die ver-
lorenen Stämme Israels bevölkern zu lassen!
' Die einfachste Annahme wird wohl die richtige sein.
Der Schöpfer ist nicht so arm gewesen, nur ein einziges
Menschenpaar erschaffen zu können. Eine Theorie, welche
die „Welt" vor sechs- oder siebentausend Jahren und dann
Menschen entstehen läßt, schließt alle wissenschaftliche Be-
rechtigung aus. Daß in Amerika der amerikanische Mensch
vor mehr als 40,000 Jahren vorhanden war, das wird heute
weder von Geologen, noch Anthropologen bezweifelt. Wes-
halb soll der Uramerikaner nicht ein Antochthon, ein eigen-
artiges, bodenständiges, der westlichen Erdhälfte ur-
eigenthümliches Geschlecht sein? Wozu braucht man
ihn ans den Wüsten der Mongolen, von den Malayen oder
irgend einem andern östlichen Volke herzuleiten? Alles, aber
auch Alles spricht dagegen. Herr Jakob Krüger behauptete
rundweg: „Altamerika war eine westasiatische Kolonie";
der Tübinger Kanzler Autenrieth verlegte den Ursprung
des Menschengeschlechts und — das biblische Paradies
„aus naturwissenschaftlichen Gründen" in die Südsee!
Hang griff eine javanische Sage von Zertrümmerung eines
Kontinents ans und vermuthete, „daß dort in der über-
schwenglichen Naturfülle, im Vaterlande der Banane und
der Brotsrucht, das älteste Verbreitungssystem der Mensch-
heit zu erkennen sei." Daum er kündigte einmal einen
„australisch-amerikanischen Bibelkommentar".an; er läßt
„rothe Juden" ans Amerika kommen, aus „einem Ur-
und Originalägypten in Amerika"!
Warum auch nicht? Man kann ja den Spieß beliebig
umkehren; darauf kommt weiter nichts an. Oberst Galindo
erklärt „Mittelamerika für die wirkliche Wiege der Civili-
satiou; diese ist aus Centralamerika aus China und von
dort weiter nach Westen hin, zuletzt auf Europa über-
gegangen." So läßt er sein phantastisches Urvolk, von
welchem alle anderen Völker abstammen sollen, aus Amerika
nach Westen wandern, während andere Theoretiker ein solches
von Asien aus auch gen Osten gehen lassen. Die unglück-
liche absolute Wanderuugstheorie! Sie ist wie ein Klumpen
Wachs, aus welchem sich alles Mögliche kneten läßt.
Wir werden manchmal auf dieselbe zurückkommen und
ergötzliche Belege dafür bringen, wie man mit ihr umgeht,
und wie dann immer eine Theorie die andere aufhebt. Sie
beruhen alle auf der willkürlichen, vorgefaßten und unbe-
wiesenen Annahnie, daß vom Schöpfer der westlichen Erd-
hälfte keine menschlichen Autochthonen gegeben worden seien,
während man doch zugiebt, daß Thier- und Pflanzenwelt
eigenartig-uramerikanisch, selbständig dastehen. Man will
eben Wanderungen haben, und die Phantasie liefert der-
gleichen so viele, wie man sich nur wünschen mag, ans
allen Strichen der Windrose her.
Es ist begreiflich, daß der gesunde Menschenverstand
sich gegen eine Willkür, welche dem Schöpfer selbst Zwang
anthut, mit Erfolg auflehnte, und daß die Wissenschaft sich
den ganz unlogischen Künsteleien gegenüber nach einfachen
Erklärnngsgründen umsah. Sie hat nun vorerst folgende
Resultate gewonnen:
Amerika war den Völkern des Alterthums unbekannt.
Weder Aegypter, noch Chinesen, noch Assyrer, Griechen
oder Römer wußten etwas von dem westlichen Kontinente,
hatten auch niemals irgend eine Verbindung mit demselben.
Die Normannen haben einen Theil der Ostküste besucht.
Irgendwelche Einwanderung aus Asien läßt sich nicht
Nachweisen. Es ist möglich, daß einzelne Asiaten von Osten
gen Westen hin nach Amerika gekommen seien, aber das bleibt
lediglich Vermuthung.
Die Ureingeborenen Amerikas sind ein eigenartiger
Menschenschlag und stammen nicht von Mongolen, Ma-
layen rc. ab; die Aehnlichkeiten, welche sie mit anderen
Schlägen (Nassen) haben, sind von allgemein menschlicher
Art, sind sehr begreifliche, natürliche Analogien, und
man braucht zur Erklärung derselben gar keine Wanderung
anzunehmen.
Die Menschen Amerikas, welche von den Entdeckern auf
der westlichen Erdhälfte gefunden wurden, sind von denen
der übrigen Erdtheile eben so verschieden wie die dortigen
Pflanzen und Thiere. Sie redeten mehrere Hunderte von
Sprachen, die in ihrem grammatikalischen Bau Aehnlichkeit
haben, in den Vokabularien aber von einander ganz ab-
weichen, und von den Sprachen anderer Erdtheile radikal
verschieden sind.
Die Architektur der Uramerikaner ist eine durchaus
selbständige und hat von keinem nichtamerikanischen Volk
irgend etwas entlehnt.
Die Uramerikaner besaßen kein Alphabet, keine Buch-
stabenschrift, keine Hausthiere, kein Eisen; sie kannten eine
große Menge von Künsten und Fertigkeiten nicht, welche
die übrigen Erdtheile seit Jahrtausenden gehabt haben, und
waren keine eigentlichen Seefahrer. Ihre Agrikulturpflanzen
waren ihnen durchaus eigenthümlich.
Diese Sätze sind einfach, klar und natürlich. Urame-
rika mit Allem, was es hatte, erklärt sich zur Ge-
nüge ans sich selber heraus, ohne Annahme von Ein-
wanderungen, die nicht nachweisbar sind, und vermeintlichen
Einwirkungen derselben. Die Aehnlichkeiten zwischen den alt-
amerikanischen Kulturvölkern und denen der alten Welt
ergeben sich, wie bemerkt, ganz von selbst aus Analogien
menschlicher Anlagen, Bedürfnisse und Bestrebungen über-
haupt. Diese geben Erklärungsgründe genug an die Hand,
und man braucht dergleichen keineswegs weit herzuholen.
Ueber den eigenartigen Charakter und die durchaus
selbständige, in keiner Weise von anderen Welttheilen her
beeinflußte Architektur der amerikanischen Kulturstaaten
werden wir demnächst reden. Heute wollen wir den Leser
in die Ruinen von Chichen (sprich Tschitschen) Jtz a führen.
Zwischen dem Golf von Honduras im Osten und der
Campechebay im Westen erstreckt sich weit nach Norden hin
die Halbinsel Au ca tun, ein Land mit tropischem Klima,
kalkigem Boden und im bei weitem größten Theil ohne Fluß-
läufe. Die Urbewohner gehören dem Volk der Maya an,
das seit beinahe zwanzig Jahren einen erbitterten Rassenkrieg
Die Ruinen der altamerikanischen Prachtstadt Chichen Jtza in Uucatan.
131
gegen die Abkömmlinge der Spanier führt. Dieses Pueatan
hat einst blühende Staaten gehabt; es ist Sitz einer hohen
Kultur gewesen, von welcher jetzt nur noch Trümmer übrig
sind. Diese haben wir durch mehrere Reisende näher kennen
gelernt; jene von Chichen Jtza wollen wir nach den Angaben
des Nordamerikaners B. M. Norman und des Franzosen
Charuay schildern. Dieser Letztere besuchte sie 1860,
Jener war im Februar 1841 dort, der erste wissenschaftlich
gebildete Mann, welcher das Glück hatte, sie zu sehen. Er
ritt dorthin von der Stadt Valladolid aus, während Charnay
seinen Ausgang von Mörida aus genommen hat.
Norman mußte sich den Weg zu den Ruinen mit dem
Haumesser in der Hand bahnen. Das Gestrüpp war un-
gemein dicht und von Schlingpflanzen aller Art wie mit
einem Netze durchwoben. Nach ein paar Stunden schwerer
Arbeit war er an Ort und Stelle. Fünf ganze Tage lang,
sagt er, bin ich dann unter den verfallenden Denkmälern
einer Stadt umhergewandert, die einst eine der größten in
der Welt gewesen sein muß. In einem Umkreise von vielen
englischen Meilen stehen Mauern von Palästen, Tempel und
Pyramiden, alle mehr oder weniger beschädigt oder verfallen.
So weit das Auge reicht, sah ich die Erde mit Säulen über-
säet; manche waren zerstückelt, andere noch wohl erhalten.
Der Anblick dieser Trümmerwelt in der Einöde war ge-
waltig ergreifend; es war als ob der Geist der Verwüstung
hier sein Scepter geschwungen habe. Von den Menschen,
welcke einst eine so großartige Pracht geschaffen, war kein
lebendes Wesen mehr vorhanden. Ich fand nur Fleder-
mäuse, Eidechsen und Schlangen in den verödeten Palästen,
in den Spalten des Gemäuers oder in dem grünen Gestrüppe,
das üppig wuchernd Alles überzieht. Aber ich sah nicht
eine Spur vom Fußtritt eines Menschen, kein Anzeichen,
daß ein Forscher vor mir dort gewesen, und ich glaube
auch nicht, daß ein solcher vor mir dieses Chichen Jtza be-
sucht hat. So mächtig fühlte ich mich gepackt, daß ich an-
fangs kein Wort sprechen mochte. Hier war Staunen und
Schweigen am Orte; Reden wäre mir wie Entweihung er-
schienen. In der That, eine Offenbarung vom Himmel
herab hätte keinen tiefem Eindruck auf mich machen können,
als diese gewaltigen Monumente, diese geheiligten Gräber
einer dahingeschwundenen Civilisation, über welchen nun
Grabesstille liegt.
Stunden verflossen, ehe ich mich so weit gesammelt
hatte, um den allgemeinen Eindruck ein wenig abschwächen
und die Einzelnheiten betrachten zu können. Bald wurde
es lebhaft zwischen den Trümmern. Die Indianer der
Umgegend hatten gehört, daß ein Fremder nach Chichen ge-
gangen sei; jetzt kamen sie täglich und sahen zu, was ich
that und trieb; aber sie begriffen nicht, was ich wollte und
weshalb ich mich abmühte. Allen meinen Bewegungen folg-
ten sie mit großer Aufmerksamkeit und warfen einander Blicke
der Verwunderung zu. Sie hatten auch nicht eine entfernte
Ahnung davon, wer einst diese Stadt gebaut und in der-
selben gewohnt habe; jede Ueberliefernng fehlte ihnen, nicht
eine einzige Sage, nicht einmal einen Aberglauben knüpft
das heutige Mayavolk au die gewaltige Ruinenstadt. Im
Fortgange der Zeit und durch den Druck der spanischen Ge-
walthaber ist das Alles verloren gegangen; kein Band der
Erinnerung leitet in die Vorzeit zurück; dasselbe ist völlig
durchschnitten worden. —
Norman untersuchte zunächst die Ruinen des soge-
nannten Tempels, der vier Mauerseiten darbietet. Er
trat durch den westlichen Eingang ein, der wohl die Haupt-
pforte gebildet hat; die Beschaffenheit der Trümmer an der
Ostseite hat ihm die Vermuthung aufgedrängt, daß an
dieser der Altar gestanden habe. Die Entfernung von dem
westlichen Eingänge bis zur Ostseite betrug 450 Fuß; die
Mauern erheben sich auf einem 16 Fuß hohen Fundamente.
Vom Westeingange steht etwa noch die Hälfte; das Innere
zeigt eingefallene Gemächer, aber manche Decken sind noch
erhalten. Die Steine sind ganz prächtig behauen, auch
jene, welche das Simswerk bilden, und theilweise gereift.
Die Altarseite besteht aus einer ähnlichen Mauer, hat aber
zwei Pfeiler von je etwa einer Elle im Durchmesser. Sechs
Fuß hoch ragen sie über den Schutt hervor. Diese Pfeiler
sind mit Skulpturen bedeckt; dasselbe gilt von vielen um-
herliegenden Steinen und zerbrochenen Säulen. Manches
Mauerornament ist herabgefallen und nun von Pflanzen,
theilweise selbst von Bäumen überwuchert. Die Ausführung
aller Zierarbeiten ist ganz ausgezeichnet.
Am besten ist noch die südliche Mauer erhalten; sie
steht theilweise noch 50 Fuß hoch da, theilweise nur bis zu
20 Fuß. Sie ist 16 Fuß dick, 250 Fuß lang. Die innere
Oberfläche ist völlig abgeglättet worden; die einzelnen Steine
halten durchschnittlich eine Elle im Quadrat. Im Centrum
dieser Mauern, auf beiden Seiten und etwas nach oben hin,
sind steinerne Ringe angebracht, die man aus einem großen
Block gehauen und vermittelst eines langen Schaftes in die
Mauer selbst eingelassen hat. Sie Hallen etwa 4 Fuß im
Durchmesser und die Seiten haben sehr schöne Skulpturen.
An manchen Steinen haben die Künstler die Gestalten von
Indianern eingehauen; diese tragen Federschmuck auf dem
Kopfe, und die Nase ist mit einem Ringe geschmückt; in der
einen Hand halten sie Bogen und Pfeile, in der andern ein
musikalisches Instrument, dessen sich auch noch die heutigen
Mayas bedienen. Manche Figuren sind lebensgroß und
stehen in kriegerischer Haltung da; an anderen Steinen und
Pfeilern sieht man auch Blumen, Lanzenspitzen und mancher-
lei andere Verzierungen, die wahrscheinlich einst kolorirt
gewesen sind. Manche Simsbalken sind von Zuporteholz,
das wohlerhalten ist und ausgezeichnete Schnitzereien hat.
Nachdem Norman den Tempel durchforscht hat, begab
er sich zu der, etwas südlich von demselben emporragenden
Pyramide. Sie ist ein majestätisches Bauwerk, hat an
der Basis 550Fuß und ihre Seiten sind genau orientirt.
Seiten und Winkel sind ganz herrlich belegt mit Steinen
von ungeheurer Größe, die nach oben hin, gegen die Plat-
form zu, kleiner werden. Auf der Nord- und Ostseite sind
Treppenreihen mit kleinen Stufen, unten 30 Fuß breit, nach
oben hin werden sie schmäler. An der Süd- und Westseite
sieht man Abstufungen, welche Treppen gleichen, jede etwa
4 Fuß hoch; aber diese sind sehr im Verfall. An der Basis
der Pyramide lagen mächtige Haufen von Getrümmer, das
mit Gras und Schlingpflanzen überwachsen ist, und Norman
konnte nur mit großer Mühe an die Ostseite gelangen. Dort
fand er zwei viereckige Steine von ganz mächtiger Größe.
Nachdem er den Schutt, unter welchem sie theilweise lagen,
hinweggeräumt hatte, konnte er lie näher untersuchen. Die
Skulpturen zeigten irgend ein Ungeheuer mit weit aufge-
sperrtem Rachen, Reihen von Zähnen und ausgesteckter
Zunge. Cr meint, daß diese Quader Schlußsteine der
Treppenfluchten gebildet haben. Er stieg durch Bäume und
Gebüsch etwa 100 Fuß hoch hinan, und gelangte zu einer
Terrasse oder Platform, und im Mittelpunkte der-
selben an ein viereckiges Gebäude, das 20 Fuß hoch ist und
170 Fuß an der Basis hat. Die Ostseite desselben enthält
ein 18 Fuß langes, 12 Fuß breites Gemach; in demselben
stehen zwei 8 Fuß hohe, viereckige Pfeiler, welche vermittelst
starker Balken von Zuporteholz ein Dach tragen, das einen
Winkel bildet. Auch hier überall Skulpturen in Stein und
Holz. Diesem Gemache gegenüber läuft ein Korridor, ge-
stützt von zwei runden Pfeilern, die nur 4 Fuß hoch sind
17 *
132
Die Ruinen der ültamerikanischen Prachtstadt Chichen Jtza in Iueatan.
und 3 Fuß im Durchmesser haben; sie erheben sich auf einer
steinernen Unterlage von etwa 2 Fuß Höhe. Aus der andern
Seite findet man Gemächer und Hallen, die einen vortreff-
lichen Bewurf haben. Auf diesem sind noch gemalte Figuren
sichtbar, natürlich in sehr abgeblaßtem Zustande.
Mit großer Mühe gelangte Norman auf den Gipfel
der Pyramide; er ist flach und eben, die Ecken waren schon
abgefallen; in der tiefen Dammerve wucherten Bäume und
Sträucher. Von dort oben herab hatte er ein großartiges
vor Augen gekommen war; die feinste Arbeit, zierlich,
stauneuswerth; es gehört zu einer Bauordnung, einem Style,
von welchem wir nichts ahnen. Es ist ein wundervolles Ge-
bäude." Auch im Kazikenhause sind Spuren von Malereien,
die Gegenstände selbst sind aber nicht mehr zu erkennen.
Ueber den Charakter der Ruinen von Chichen Jtza
bemerken wir Folgendes: Sie liegen auf einer Ebene, die
Meilen im Umfange hat, etwas mehr als 20 deutsche Meilen
von der Küste entfernt, und sind ohne alle und jede Wasser-
Tiger-Basrelief im Circus von Chichen Jtza, Yucatan.
Schauspiel vor sich; er gewann einen Ueberblick über dieses
altamerikanische Trümmermeer. Der Reisende lobt den
soliden Bau dieser Pyramide, deren Harmonie und die
Großartigkeit ihrer Architektur.
Wir können den Forscher nicht auf allen seinen Gängen
begleiten. Er besuchte den sogenannten Doni und das
Haus der Kaziken. Nachdem er vor dem letzter» die
Bäume hatte weghauen lassen, lag die Vorderseite des merk-
würdigen Gebäudes vor ihm. „Ich sah ein so wundersames
und unbegreifliches Stück Architektur, desgleichen mir nie
Verbindung. Sie haben nichts von dem, was wir als Ord-
nung bezeichnen würden, und keine ausgelegten Straßen,
aber das Volk, von dem sie herrühren, muß nothwendig in
manchen Beziehungen eine hohe, eigenartige Stufe der Ent-
wickelung erreicht haben. Jene Bauwerke, welche gegen-
wärtig noch mehr oder weniger gut erhalten sind, liegen
auf einer Reihenfolge von Terrassen, die aus Geröll be-
stehen; das letztere ist durch Mörtel verbunden: die Be-
kleidung wird von einem festen Kalkstein gebildet, aus welchem
die Mauern bestehen. Diese letzteren sind allemal orientirt,
AvMntz ui vh§ uchitzZ ;qvtz;ixvaà nZPjmvznsurvW rsq umin^ Zi(§
134
Die Ruinen der altamerikanischen Prachtstadt Chichen Jtza in Uncatan.
die Hauptsront liegt stets nach Osten. Die Mauern der
Gebäude steigen im Allgemeinen bis zur Hälfte ihrer Höhe
senkrecht empor, dann folgen Gesimse und oberhalb der-
selben, bis zum Karnies, sind die Fahnden in Felder getheilt.
Diese sind mit steinernen Skulpturen geschmückt, haben
rautenförmig gegitterten Grund und hieroglyphische Figuren
verschiedener Art. Das Ganze ist mit, man möchte sagen
keuschen, Bordirungen durchzogen, die einzig in ihrer Art
und von wundervoller Arbeit sind. Die Steine sind in
Parallelopida, in längliche Würfel, von etwa 12 Zoll
Länge und 6 Zoll Dicke zerschnitten, und die Zwischenräume
mit demselben Material ausgefüllt, aus welchem die Ter-
rassen bestehen.
Die Höhe dieser Gebäude beträgt im Allgemeinen 20,
selten mehr als 25 Fuß. Sie haben nur ein langes, schmales
Geschoß und keine Fensteröffnungen; die Gemächer laufen
in einer Doppelreihe und erhalten Licht nur durch die Thüren.
Die Decke ist gebaut in der Form eines spitzwinkeligen Ge-
wölbes, derart, daß eine Lage flacher Steine aus die andere
folgt, die Ränder über einander hervorragen, und so bis
oben hin, wo dann ein querübergelegter Stein, so zu sagen,
das Gewölbe schließt.
Manche Gemächer haben einen herrlichen weißen Be-
wurf und diese Compositiou ist mit der größten Sorgfalt
aufgelegt worden. Man findet auch Frescomalereien und
die Farben sind dann und wann noch gut erhalten; himmel-
blau und hellgrün kommen am öftersten vor; Gestalten von
Indianern kann mannocherkennen, aber nur sehr undeutlich.
Der Fußboden besteht ans einer harten Mischung und man
sieht Spuren der Abnutzung an derselben. Die Eingaugs-
thüren bilden nahezu ein Quadrat von etwa 7 Fuß; die
Seiten bestehen aus großen Blöcken behauener Steine. Manch-
mal sind die Querbalken der Thüren von demselben Material
und haben auf der Außenseite hieroglyphische Figuren und
Linien. Steinerne Ringe und Löcher au den Seiten dieser
Eingänge beweisen, daß einst Thüren eingehenkt waren.*)
Charnay hat den sogenannten Palast der Vesta-
linnen oder Nonnen beschrieben. Auch er mußte sich mit
dem Haumesser einen Weg durch das Gestrüpp bahnen, richtete
sich in einem der noch völlig erhaltenen Gemächer wohnlich
ein, stellte Schildwachen aus, um nicht von umherschwcifen-
dem Raubgesindel überfallen zu werden, und daun begannen
die von ihm gemietheten Indianer den Schutt hiuwegzu-
räumen. Ihm selbst kam es zunächst darauf an, photogra-
phische Bilder der bedeutendsten Ruinen aufzunehmen; unsere
Tafel zeigt die Vorderseite des Palastes der Vestalinnen. In
demselben befindet sich ein großer Circus, welchen die Indianer
als „Kirche" bezeichnen, weil sie meinen, er sei ein Stück
von einem unvollendet gebliebenen Tempel. Charnay aber
spricht als seine feste Ueberzeugung war, daß derselbe ein
Gymnasium, ein Platz für körperliche Hebungen, gewesen
sei. Alle Embleme, die man bei jedem Schritte findet, deuten
darauf hin, daß die jungen Männer dort ihre Wettkämpfe
in Kraft, Behendigkeit und Geschicklichkeit gehalten haben.
Man sieht die Schlange, den Adler, den Tiger, den Fuchs
und die Eule, also die Klugheit, die Stärke, Schlauheit re.,
*) Ramb 1 es in Yucatan. Or notes of travel trough the
Peninsula. Including a visit to the remarkable ruins of Chichen
Itza, Kabah, Zayi and Uxmal. With numcrous illustrations.
By B. M. Norman, Philadelphia 1849. Siebente Auflage,
S. 108 bis 128.
aber gut erhalten ist nur das Basreliefmit den Tigern,
von welchem wir eine Abbildung geben. Das Monument
hat einst aus zwei perpendikulären, parallelen Pyramiden
bestanden und die Entwickelung etwa IIOMetres betragen;
für die Zuschauer war eine Platsorm vorhanden. Zwei kleinere
Gebäude an beiden Enden, die auf einem etwa 20 Fuß
hohen Vorplatze standen, sind Plätze für die Richter oder
Wohnungen für die Aufseher und Wärter des Gymnasiums
gewesen. Auf der Pyramide zur Rechten (Nordseite) waren
zwei Gemächer, von denen eins verfallen ist. Sie hat wohl
einen Portikus gehabt, der von zwei gewaltigen Säulen
getragen wurde; die Piedestale desselben sind noch vorhanden.
Das zweite Gemach ist noch in gutem Zustand und mit
Malereien bedeckt. Man sieht Krieger und Priester, einige
mit schwarzem Bart, angethan mit einer weiten Tunika; der
Kopf ist aus verschiedene Weise geschmückt. Von Farben sind
schwarz, gelb, roth und weiß zur Anwendung gekommen.
Diese beiden Säle bilden das Innere des Tigerbasreliefs.
In der Pyramide zur Rechten befindet sich, eingelassen
in die Mauer, der berühmt gewordene Ring, der beim Ball-
spiele benutzt worden ist. Charnay hält den Palast der Vesta-
linnen für das allerwichtigste Monument zu Chichen. Im
Ganzen genommen ist er sehr beträchtlich; die Vorderseite
hat jedoch keine besonders große Ausdehnung, dafür ist sie
aber gearbeitet wie ein chinesisches Kästchen, lieber der Thür
war die Inschrift des Palastes. Sie hat als Ornamente
steinerne Glöckchen, welche, gleich anderen, die man in mehreren
Gebäuden findet, fast an chinesische oder japanische Ver-
zierungen gemahnen. Ein prächtiges Medaillon über der
Thür stellt einen Fürsten oder Häuptling dar; das Haupt
ist mit einem Diadem von Federn geschmückt. Der große
Fries, welcher den Palast umgiebt, besteht aus einer Menge
von kolossalen Köpfen von Götzenbildern, auf deren Nasen
sich wieder ein Gesicht befindet. Diese Köpfe sind von ein-
ander durch Felder von kreuzförmiger Masaik getrennt, der-
gleichen man in Pucatan oft findet.
Das Innere des Gebäudes besteht aus fünf Gemächern
von gleicher Größe und Gestalt, die immer dieselbe ist, ähnlich
wie in Paleuque. Die Spanier haben dafür den Ausdruck
Boveda, was Gewölbe bedeutet und eben deshalb nicht zur
Bezeichnung dieser ganz eigenthümlichen Architektur paßt.
Bon Gewölben ist hier gar keine Rede; man sieht zwei etwa
zehn Fuß hohe, parallel laufende Mauern, die nach oben
hin einander eutgegentreten und oben (wie schon Norman
angiebt) mit einer Steinplatte geschlossen sind.
Die Oberschwelleu der Thüren sind von Stein; diese
letzteren sind in Chichen nicht häufig, dagegen findet man
sie in Uxmal überall. Der Haupttheil des Palastes der Vesta-
linnen, der von zwei in ungleichen Entfernungen stehenden
Flügeln flankirt wird,«lehnt sich an eine Pyramide. Auf der
Platsorm derselben steht ein sehr sorgfältig gearbeitetes Ge-
bäude und auf diesem noch ein zweites. Zu der ersten Platsorm
führt eine mächtige, sehr steile Treppe von 45 Stufen. Diese
Pyramide ist von Stephens besucht worden.
Auch Charnay hat in Centralamerika kein Monument
gesehen, das Fensteröffuungen hat. Wir bemerken zum
Schlüsse, daß Chichen bedeutet: Oeffnung, Mündung eines
Brunnens. Von Uxmal, der prächtigsten Ruinenstadt nächst
Chichen, geben wir die Abbildung der Vorderseite eines
Palastes. Uxmal bedeutet in der Mayasprache: Vergangene
Zeiten.
Stiergefechte zu Valencia im Jahre 1862.
135
Mergesrchte M Valencia im Jahre 1862.
Zweiter Artikel.
Die Plaza de Toros in Valencia und die Einrichtung des Amphitheaters. — Die Arena. — Einzug der Cuadrilla. — Der Picador
Calderon und der Bulle Morito. — Die Banderilleros und das Anheften der Banderillos. — Brennende Banderillos. — Der Gordito
und der Tato, als Helden des Circus. — Anwendung der Muleta. — Die verschiedenen Estocadas und Suertes. — Die Chulos und der
Cachetero. — Wie der Stier abgethan wird. — Der Kampf mit dem Kuckuck. — Der Jude, ein Springer. — Allerlei Zwischenfälle. —
Die Plaza de Toros in Valencia bietet einen in der
That großartigen Anblick dar. Das Amphitheater ist gefüllt
mit einer Menge von zwölf- bis fünfzehntausend Menschen,
die alle festlich gekleidet sind, und vom blauen Himmel herab
strahlt die warme Sonne auf dieses Gewimmel. Als ich
eintrat, waren die Asientos de sol, die „Sonnenplätze",
beinahe völlig besetzt, und die wenigen Lücken bald durch die
unablässig hereinströmenden Leute rasch besetzt. Das war
ein Summen und Durcheinanderschwirren von Stimmen!
Die Wasserverkäufer riefen mit lauter Stimme ihr kühlendes
Naß aus. Andere preisen Chufas und Orangen an; die
Menge wird aufmerksam; das muß wohl etwas Absonder-
liches zu bedeuten haben. Mein Freund Don Joso, ein
valencianischer Aficionado, der mich mit zur Corrida
genommen hatte, sagte: „Das ist derDespejo." Sonenut
man die Räumung der Arena und des Balle (des kreis-
förmigen Laufganges zwischen den Sitzen der Zuschauer und
der Bretterwand der Arena). Sie wird durch Soldaten be-
werkstelligt. Diese marschiren hinein und drängen alle Leute
hinaus. Der Redoüdel war nun ganz leer, die Musik
spielte auf und das Vorspiel begann. Zwei Alguaciles
auf schwarzen, mit karmesinrothen Schabracken belegten
Der Espada erwartet den Stier.
letzteren werden mit großer Behendigkeit bis auf die obersten
Sitzreihen geworfen und kommen allemal zu dem, welcher
sie verlangte. Sehr gute Geschäfte machen die Händler,
welche Fächer verkaufen; das Stück koffet nur einen Silber-
groschen. Die Leute auf den Asientos de sol schmoren förm-
lich in der Hitze und lechzen nach Abkühlung, welche der
Fächer ihnen vermittelt. Auch erquicken sie den innern
Menschen; denn gewaltige, mit dunkelm, beinahe schwarzem
Wein gefüllte Botas, Schläuche, wandern von Einem zum
Andern. Hin und wieder kommt ein Wortwechsel vor, aber
das Gezänk artet nicht zu Thätlichkeiten aus; deswegen hat
man die Redensart Bromasdetoro- Bullengezänke, die
eben nicht viel bedeuten wollen und weiter keine Folgen haben.
Doch eben erhebt sich ein ungewöhnliches Geräusch, die
Gäulen, ritten an der Spitze eines Zuges. Sie haben noch
genau dieselbe Tracht wie im sechszehnten Jahrhundert,
einen großen Hut mit aufgeschlagener Krämpe und einen
Federbusch, weißen gesteiften Halskragen, breiten Ledergürtel,
Mantel und seidene Strümpfe mit Schnallenschuhen. Der
Alguacil ist zugleich Polizei- und Gerichtsdiener und darf
bei öffentlichen Festlichkeiten nicht fehlen; auch geleitet er
arme Sünder zum Tode; aber die Alguaciles sind beim Volk
unbeliebt, und heute wurden sie mit Geschrei empfangen und
herzhaft ausgepfisfen.
Hinter ihnen zogen die Gcnte ü pie, die Leute zu
Fuß, welche man auch als-Peones bezeichnet. Zu ihnen
gehören die Espadas, die Banderilleros und die
Chulos, welche auch als Capeadores, d. h. welche mit
136
Stiergefechte zu Valencia im Jahre 1862.
dem Mantel täuschen, bezeichnet werden. Als diese Leute
erschienen, hörte das Pfeifen auf und ein ungeheurer Sturm
des Beifalls brach los. Da waren sie also, die Haupthähne
der Arena, in ihrem vollen Anputz. Aus dem Kopse tragen
sie eine Monterilla von schwarzem Sammet, mit seidenen
Pompons an jeder Seite; auf den Nacken herab hängt die
Mona, eine Art Chignon, gleichfalls von schwarzer Seide;
sie ist an der Coleta befestigt, einem kleinen Haarzopfe,
welchen jeder Torero sich wachsen läßt. Jener Chignon
bildet einen auffallenden Gegensatz zu dem dicken, schwarzen
Backenbarte. Die kurze Jacke mit breiten Aufschlägen und
die Weste, Chaleco, sind mit Fransen fast überdeckt; aus
der Jackentasche sieht ein Sacktuch von feinstem Batist kokett
hervor; gewöhnlich hat es gestickte Ränder und ist ein Ge-
schenk der Querida, Geliebten. Ein Jabot fehlt niemals.
Die kurze, knapp anliegende Hose ist allemal von Atlas, ent-
weder blau oder rosenroth, grün, auch wohl lila, doch stets
von zarter, duftiger Farbe; dagegen muß die Faja, der
unvermeidliche seidene Gürtel, scharf in's Auge stechen, und
die seidenen Strümpfe sind fleischfarben. Man glaubt einen
Figaro vor sich zu sehen, wie denn uns Nordeuropäern diese
spanischen Gladiatoren wie Tänzer erscheinen. Man möchte
kaum glauben, daß diese kokett anfgeputzten Leute niit dem
Blute Spiel treiben und mit kaltem Blut ihr Leben in die
Schanze schlagen. ,Die Kleidung ist bei allen Toreros,
gleichviel welcher Gattung sie angehören, so ziemlich dieselbe,
doch jene des Espada, die manchmal bis zu dreihundert
Thalern kostet, reicher als die aller anderen.
Die Toreros traten mit einem, man kann wohl sagen,
charmanten Anstand in die Arena. Sie nahmen sich statt-
lich aus in ihrer Capa, dem langen Mantel, der eine große
Rolle spielt, weil vermittelst desselben der Bulle von seinem
Ziel abgelenkt wird.
Hinter ihnen ritten die fünf Picadores; sie trugen
einen niedrigen Filzhut mit breiter Krämpe und einem
mächtigen Büschel farbiger Bänder, kurze Jacke, breiten
Gürtel und gelblederne Beinkleider, über Eisenschienen, die
sehr nothwendig sind, weil die Schenkel manchen Stoß mit
den Hörnern auszuhalten haben. Der Sattel ist, wie der
arabische, vorn und hinten sehr hoch und der Reiter gleich-
sam eingeklemmt, die Steigbügel sind wie ein Kasten, in
welchem der Fuß beinahe verschwindet; die langen, schweren
Sporen sind eine wahre Qual für die armen Pferde.
Den Picadores folgen die beiden Tiros, Gespanne
von Maulthieren mit hohen Federbüschen, scharlachrothen
Schabracken und mit Glöckchen und Schellen behängt. Auf
dem Kopfe schaukeln mehrere Pompons übereinander und den
Hauptschmuck bilden Fähnchen mit den spanischen National-
farben, gelb und blau. Diese Manlthiere sind je zu dreien
vor ein Querholz gespannt, benehmen sich in der Regel sehr
widerspenstig und werden deshalb von zwei Muchachos,
Burschen, am Zaume geführt, während ein dritter den Quer-
balken hält. An diesem befindet sich ein Haken, vermittelst
dessen man die tobten Stiere oder Pferde aus der Arena
hinausschleift. Den Schluß des Zuges bilden Diener in
andalusischer Tracht, welche eigentlich nichts zu thnn haben,
aber doch die Zahl voll machen. In früheren Zeiten waren
im Zuge acht bis zehn Perros de presa, mächtige Fang-
hunde, welche man auf den Bullen hetzte, wenn er nicht
Feuer genug zeigte; jetzt kommen sie nur selten vor, weil die
brennenden Banderillas denselben Dienst versehen.
Der Zug schritt langsam in der Arena herum und be-
grüßte den Herrn Bürgermeister, welcher eben in seinem
Palco, Sperrsitze, Platz genommen hatte, und nun erst
begab sich Jeder an die für das Gefecht ihm angewiesene
Stelle. Herkömmlich empfängt ein Alguacil den Schlüssel
des Toril vom Alcalden, heute lief nun ein Muchacho auf
den Alguacil zu, welcher in der Mitte des Redondel stand,
und reichte ihm einen Sombrero, Hut, hin, in welchen
der mit rothen Bändern verzierte Schlüssel gelegt wurde.
Das Volk verhöhnte auch jetzt den Alguacil, der sich rasch
hinwegbegab, denn der Stier sollte losgelassen werden.
Die Muchachos öffneten die Flügelthür und der Bulle
stürmte hervor. Er war ein stattliches Thier, rabenschwarz,
mit weit ausgespannten Hörnern; an der granatrothen De-
visa erkannten wir, daß er aus der Ganaderia von Colmenar
viejo stammte.
Der Picador Calderon war aus seinem Posten,
acht oder neun Schritte links von der Thür und ein paar
Fuß von den Schranken entfernt. Er hatte bereits mit
einem rothen Tuche die Augen des Pferdes verbunden, denn
es darf ja nicht sehen, daß der Bulle heran rennt. Dieser
kam eben ans seinem dunkeln Stalle, blieb, vom Sonnen-
licht und der Menge geblendet, einen Augenblick stehen
und sah umher; dann rannte er mit gesenktem Kopfe gegen
Calderon los, der ihm einen Stich in die Schulter gab.
Das rothe Blut rann über das schwarze Haar hinab. Der
Bulle sprang zur Seite, erhielt einen zweiten Stoß, stürmte
aber nun gegen das Pferd ein und rannte demselben beide
Hörner in den Bauch, aus welchem sofort ein Blutstrom
hervorquoll. Das arme Thier bäumte noch ein paar Mal
ans, dann sing es an zu taumeln, der Picador jedoch rannte
ihm die Sporen in's Fleisch, um es noch ein paar Minuten
aufrecht zu erhalten. Aber es brach gleich zusammen, und
Calderon ries den Muchachos zu, ihm sofort ein anderes
zu bringen. Während er mit schwerem Schritt aus dasselbe
zuging, lag das andere in einer Blutlache, zuckte mit den
Beinen, streckte alle Bier von sich und verendete.
Inzwischen war der Bulle nach der andern Seite der
Arena gerannt und stürmte auf Pinto ein, welcher den
Beinamen el bravo, der Unerschrockene, führt. Pinto ver-
setzte ihm einen so gewaltigen Stoß gegen die Schulter, daß
er selber aus dem Sattel stürzte, während das Pferd über
ihn hinsiel. Es ist eine Thatsache, daß der Bulle noch
wilder wird, wenn er einmal Blut gesehen hat; er verkennt
aber seinen wahren Feind und läßt seine Wuth gewöhnlich
an dem Pferde, nicht an dem eutsattelten Picador aus.
Zwei Chulos packten den Letztem bei der Schulter, um ihn
hervorzuziehen und wieder auf die Beine zu bringen, während
Andere ihre Capas schwenkten, um den Stier von dem Pferd
abzul'enken, in das er wie toll und blind mit seinen Hörern
hineiustieß. Endlich ließ er dieses Opfer fahren, um einen
Chulo zu verfolgen, der nun Hakensprünge machte und dabei
seinen Mantel hinter sich herschleifte. Aber der Bulle kam
ihm dicht auf die Fersen und dem Chulo blieb nichts weiter
übrig, als mit einem raschen Satz über die Tableros zu
springen. Dann hielt der Bulle plötzlich an, offenbar er-
staunt über das Verschwinden seines Gegners, und stieß
gegen die Bretter.
Morito, so hieß der Stier, hatte seine Sache gut
gemacht und gewann großen Beifall. Binnen etwa einer
Minute waren von ihm zwei Picadores entsattelt und zwei
Pferde getödtet worden. Tausend Kehlen riefen: „Bravo,
Toro, bravo!" Denn in Spanien wird ein Bulle be-
klatscht oder ausgepstffen, gerade wie bei uns die Komödianten.
Die Picadores erhielten gleichfalls ihr Bravo, denn auch sie
hatten ihre Sache gut gemacht, ihre Suertes de pica und
ihre Cogidas waren untadelhaft. Suerte ist jede Vertei-
digung oder jeder Angriff des Torero, und Cogida bezeichnet
jeden Angriff auf den Stier. Ein Torero, der einen Stoß
mit dem Horn erhält, ist enganchado.
Ein muthiger Bulle war der Morito, das läßt sich nicht
138
Stiergefechte zu Valencia im Jahre 1862.
leugnen, er war bayante e duro, das heißt, lebhaft und
aufgelegt zum Angreifen, auch fürchtete er sich nicht vor dem
Castigo, der Züchtigung. Calderou wollte seine Scharte
auswetzen; es verdroß ihn, daß er gefallen war, und nun
wollte er seinen Bewunderern zeigen, daß er mit dem Morito
wohl fertig werden könne. Er gab seinem Rofin (Roß,
Gaul) die Sporen und galoppirte bis zu dem Bullen heran,
der gerade mitten in der Arena stand'und entsetzlich brüllte,
während er mit den Füßen Staub aufwars. Calderou war
äußerst verwegen, ja leichtsinnig. Der Picador sucht es
beim Angriffe so einzurichten, daß er bei einem Sturze
zwischen das Pferd, welches ihm gleichsam als Schirm und
Schutz dient, und die hölzerne Umfriedigung fällt; dann
ist er ans zwei Seiten gesichert. Wenn er dagegen mitten im
Circus zu Boden stürzt, kann der Bulle ihn beliebig stoßen,
denn der liegt frei und offen da. Calderon's Muth wurde
mit Händeklatschen und Zuruf belohnt, und der Beifall war
geradezu betäubend, als der Picador seine Lanze schwenkte
und den Stier zum Angriffe förmlich einlud. Aber der Bnlle
blieb auf seinem Platze. Calderou ritt nun einen Schritt
vor und warf ihn mit seinen großen Hute; aber auch jetzt
wich und wankte Morito nicht. Man nennt dergleichen
obligar a la fiera, das wilde Thier zum Angriff ob-
ligiren. Noch mehr,
Calderon kitzelte dem
Bullen mit der Lan-
zenspitze die Nase.
Das war demselben
doch gar zu viel, er-
stürmte los und warf
mit einen einzigen
Stoße Roß und Rei-
ter in den Sand.
Sofort eilten, der
Tato voran, die
Chulos mit ihren
Mänteln herbei; das
Pferd hatte sich
schnell wieder auf-
gerafft und schlug
hinter sich aus, Cal-
deron dagegen war
durch den Fall be-
täubt worden, lag noch am Boden und Roß und Bulle
stampften gleichzeitig auf ihn ein. Doch gelang es dem
Tato, der nie einen Torero im Stiche läßt, durch einige
brillante Suertes de capa den Stier abzulenken, welcher
nun ihn verfolgte. Der Espada machte aber gleich einen
gewandten Sprung zur Seite und ließ ihn vorbeirennen;
dann blieb jener stehen und schwenkte graziös den Mantel.
Das wiederholte er mehrmals und der Stier konnte ihm
nichts anhaben.
Die Zuschauer waren wie elektrisirt und in der größten
Aufregung: man trug den Picador Calderon ohnmächtig
hinaus. Von der Stirn, an welcher er eine klaffende Wunde
hatte, strömte Blut herab; aber die Chulos sagten: „Das
ist so gut wie gar nichts." Er war in der äußersten Gefahr-
gewesen, aber der Tato hatte ihn gerettet. Man nennt
dergleichen einen Quite (Parirung, Abwendung) machen,
und der Picador kann von Glück sagen, wenn der Amo
(Chef der Quadrille) ihm derart zu Hülfe kommt.
Run trat einer von den Reservas, Picadores, welche
für jeden Nothfall in Reserve gehalten werden, in den
Circus, um den „unnütz gewordenen" Calderon zu ersetzen.
Aber auch fein Pferd theilte das Schicksal der anderen; es
war allerdings nicht sofort todt, als der Stier ihm die Hörner
in den Leib rannte, aber wir hatten einen abscheulichen An-
blick. Das arme Thier war entsetzlich verwundet, aus dem
weiten Riß im Bauche quollen die Eingeweide hervor und
diese schleppte es mit sich, während der Picador es mit den
Sporen bearbeitete, ein Muchacho es am Zaume vorwärts zog
und ein anderer ihm einen Hagel von Hieben auf die Lenden
regnen ließ! Die Zuschauer riefen: „Hinaus, hinaus, ein
anderes Pferd!" aber nicht etwa aus Mitleiden mit der un-
glücklichen Mähre, denn davon ist beim Publikum keine Rede,
es verlangte ein neues Pferd nur deshalb, weil der Dienst
in der Plaza schlecht versehen wurde. Da rannte der Bulle
noch einmal zu und warf den Gaul todt zu Boden.
Somit waren binnen wenigen Minuten drei Pferde
getödtet worden, zwei anderen erging es gleich nachher
nicht besser, und drei wurden obendrein verwundet. Die
Sache ließ sich „erfreulich" an: fünf todte und drei ver-
wundete Gäule, fünf und zwanzig Pujazos, Pikenstöße,
acht mal die Picadores vom Pferde gefallen, Calderon un-
brauchbar geworden, — das war für eine Zeitfrist von
fünf Minuten aller Ehren werth. Sobald ein Roß am
Boden lag, schlugen Muchachos ihm mit Knütteln auf die
Nase, um zu probiren, ob es noch brauchbar sei, nahmen
ihm, wenn das nicht mehr der Fall war, Sattel und Zaum
ab und entfernten
das um die Augen ge-
bundene rothe Tuch,
während andere Mu-
chachos in der Arena
umhergingen und
aus Körben Sand
nahmen, mit wel-
chem sie die Blutla-
chen bestreuten. Das
ist nothwendig, da-
mit die Toreros nicht
in Gefahr kommen,
auszugleiten.
Doch wir hören
Trompetengeschmet-
ter und Paukenge-
dröhn, und unser
Nachbar sagt uns,
was das bedeutet.
Die Picadores sollen abtreten und dieBanderilleros ihr
Werk beginnen. Sie eilen gleichsam im Tanzschritte flink
herbei und schwenken ihre Fähnchen, um den Bullen auf
sich zu lenken.
Diese Banderillas, auch Palillos, Zarcillos
oder Rehiletes genannt (d.h. Schlägel oder Zahnstocher,
Ranken oder Gäbelchen, oder befiederte Pfeile) sind Stäbe
etwa von der Dicke eines Fingers, zwei Fuß lang und mit
buntem, zerschnittenem und gekräuseltem Papier bewickelt,
und am vordern Ende befindet sich ein angelartiger Haken.
Diesen befestigt der Banderillero auf der Schulter des
Bullen, um denselben noch grimmiger zu machen. Es bleibt
aber stets eine gefährliche und schwierige Sache, ein paar
Bauderilleras auf den Schultern zu befestigen; der Torero,
welcher das Wagniß unternimmt, muß sehr flink und kalt-
blütig sein. Er hebt gleichzeitig beide Arme über die Hörner
empor, welche er fast berührt, und schon das kleinste Ver-
sehen kann ihn in Lebensgefahr bringen. Es giebt To-
reros, welche sich in jeder Art des Stierkampses versucht
haben, als Picador, Espada und Banderillero.
Doch wir wenden uns wieder zum Gordito, der sich
nun in der Arena befand. Der Bulle ließ nicht auf sich
warten, sondern rannte wie der Blitz gegen ihn ein ; aber
Stiergefechte zu Valencia im Jahre 1862.
139
der Torero machte einen Seitensprung und der Stier schoß
nun, mit angehefteten Banderillas, vorüber. Bald hatte
ein anderer ihm noch ein paar dergleichen aus den Schultern
befestigt, und das Thier erhob, immer wüthender gemacht,
ein ungeheures Gebrülle, denn diese kleinen Angelhaken
reizen den Bullen ganz allgemein. Die Spanier haben das
Sprichwort: poner Banderillas, wenn sie andeuten
wollen, daß Jemand durch satirische Ausfälle gereizt werde.
Unsere schöne Nachbarin sagte uns, der Gordito werde
nun poner Banderillas a cuarto, d.h. kleineBanderillas
anheften, welche nur eine Viertel Vara (spanische Elle von
drei Fuß) lang sind. Solch ein äußerst gefährliches Kraft-
stück kommt nicht oft vor, aber der Gordito führte dasselbe
mit großem Geschick aus und wurde reichlich mit Beifall be-
lohnt. Er ist jetzt unbestritten der berühmteste Banderillero
in ganz Spanien, und trotz seiner Wohlbeleibtheit (el Gordito
heißt der Fleischige, Fette) ungemein flink. Ihm zunächst
steht Blas Meliz, el Minuto, der Winzige, weil er klein
ist; er hinkt, seitdem er in Segovia auf eine in der That
sonderbare Weise am Beine verwundet wurde. Der Espada
hatte sein Schwert in den Bullen hineingerannt und dasselbe
im Halse stecken lassen; das Thier schüttelte sich und strampelte,
dabei flog das Schwert heraus, und mit der Spitze in das
Bein des Minuto.
Gewöhnlich heftet man einem Stiere nur drei paar
Banderillas an, aber der Gordito, welchen der Beifall des
Publikums noch kühner gemacht hatte, wollte es mit einem
vierten Paare versuchen. Aber da blies die Trompete
zum Tode (a matar suena el dann), und nun begann
der dritte Akt des blutigen Schauspiels.
Der Tato trat in die Arena; er sollte den dritten Stoß
führen. Es ist herkömmlich, daß der Espada den Bürger-
meister um Erlaubnis; bittet, den Stier tödten zu dürfen,
und er äußerte dabei, daß er seine Obliegenheit muthig er-
füllen wolle. Man nennt das echar el brindis, wörtlich:
einen Gesundheitstrunk, Toast, ausbringen. Der Tato
trat also vor die Loge des Präsidenten, nahm Schwert und
Muleta in die linke Hand, zog seinen Hut ab und grüßte
zierlich. Der Alcalde nickte bejahend, der Tato schlug eine
Pirouette, warf seinen Hut nachlässig in die Luft, nahm das
Schwert in die Rechte und stellte sich dem Bullen gegenüber.
Die Muleta behielt er in der linken Hand. Sie ist
ein Stück rothen Tuches, etwas größer als eine Serviette
und gewöhnlich an einem armslangen Stabe befestigt.
Dieser Zeuglappen ist so zu sagen das Palladium, der
Rettungsanker des Espada. Mit Hülfe desselben ermittelt
er, was das grimmige Thier beabsichtigt, wenn es sich auf
den Engano, den „Köder, Betrug", stürzt, und vermöge
desselben lenkt er auch die Aufmerksamkeit des Bullen von
seiner Person ab. Das Schwert hat die gewöhnliche Länge,
eine flache, biegsame Klinge, und der Espada hält es derart,
daß der Daumen auf dem Absatz von Griff und Klinge
ruht, und wenn er den Stoß führt, ruht der Knopf des
Griffes in der innern Hand, damit er recht kräftig Nach-
drücken könne. Der Tato nun lockte den Stier mit der
Muleta an und spielte gleichsam mit der wilden Bestie.
Diese pases de muleta wiederholte er mehrmals, und sie
werden von den Asicionados sorgsam verzeichnet, weil sie
ihnen von großer Wichtigkeit erscheinen. Nicht jeder Espada
bringt es darin zum höchsten Grade der Vollkommenheit,
aber Juan Ximenez, elMorenillo, hatte allerdings denselben
erreicht, weil er Muleta und Schwert links eben so gut wie
rechts handhabte und dadurch manchen Vortheil gewann.
Der von Tato's Muleta beirrte Stier erlitt inzwischen
großen Blutverlust, büßte offenbar viel von seiner Kraft ein
und wurde nun aplomado, bleiern, schwer, und wollte nicht
mehr angreifen. Der Torero ging also dicht an ihn hinan
und hob einige aus den Schultern eingehakte Banderillas
mit dem Schwert in die Höhe. Dabei sah er allerdings
ganz prächtig aus, und meine schöne Nachbarin sagte ent-
zückt: Que es plantado! Wie fest er dasteht! Die Ent-
scheidung konnte jetzt nicht mehr lange auf sich warten lassen;
Aller Blicke waren auf das Schwert gerichtet. Der Tato
sprang auf den Stier ein, dessen Hörner am seidenen
Wammse hinstreiften, aber im diu steckte das Schwert bis
an's Heft in der Schulter des Bullen.
Der Tato hatte eine ganz herrliche Estocada a vo-
lapies vollbracht! Diese steht bei den Asicionados in
hoher Gunst. Sie besteht nicht etwa darin, den Stier so
zu treffen, daß er durch den Stoß keinen Tropfen Blut ver-
liert und vor dem Sieger in die Knie finkt. Sie ist, wie schon
früher bemerkt, von Costillares erfunden worden; der Espada
muß einen Bullen tödten, welcher aplomado geworden ist
und nicht mehr angreifen will.
Die Suertes de espada sind von zweierlei Art. Da ist
zuerst die eben geschilderte Estocada a volapies, sodann die
Suerte de recibir oder recibiendo, welche einen ge-
raden Gegensatz zu der erstern bildet, indem der Espada den
Bullen an sich kommen läßt. Der Tato erhielt auch jetzt
donnernden Beifall, Hunderte von Hüten flogen in die Luft
und fielen, dicht wie Hagel, im Redondel nieder; selbst
Svldatentschakos fehlten dabei nicht, eben so wenig Blumen-
sträuße und — Cigarren. Der Espada dankte, wie unser
Bild zeigt, mit Anstand und Würde. Er hatte das Schwert
in der Rechten, halb mit dem Mantel verhüllt, die Hand
auf die Hüfte gestemmt, in der Linken hielt er seine Moutera;
neben ihm lagen einige tobte Pferde in Blutlachen mtb
zwischen zuckenden Eingewciden. Und Blumen daneben!
Nach ein paar Minuten kamen Muchachos, sammelten
die Hüte auf und schleuderten dieselben sehr gewandt ihren
Eigenthümern zu. Inzwischen war es mit dem Stier, um
welchen sich einen Augenblick die Leute kaum gekümmert
hatten, noch nicht ganz vorbei; er fing aber an zu taumeln,
wie ein betrunkener Mensch, und drehte sich dann um sich
selbst. Daran erkennt man, daß er bald verenden werde.
Se marea, se marea! Es wird ihm unwohl! riefen viele
Stimmen. Dann schlossen die Chulos einen Kreis um ihn
und schwenkten ihre Mäntel, um ihn zu rascherer Bewegung
anzutreiben. Noch immer lebte er; seine Augen starrten
glotzend und gläsern aus den Höhlen hervor, aus dem
Maule strömte Blut in Menge, aber den Kopf trug der
starke Bulle immer noch aufrecht. Das Sterben kam offen-
bar ihm sehr schwer au.
Der Each et er o erschien: ein schwarzgekleideter Mann,
welcher seither sich nicht hatte blicken lassen. Seine Aufgabe
besteht darin, die Leiden des Bullen durch einen Gnaden-
stoß zu beendigen. Diesen führt er vermittelst eines Dolches,
welcher genau die Gestalt eines Radirmessers hat. Der
blutende Stier lag jetzt an den Tableros und glotzte beinahe
theilnahmlos seine Feinde an, welche neben ihm standen.
Der Cachetero ging zwischen den Bullen und die Schranke
und stand auf dem schon früher erwähnten Brett, das rings
um die Planken hinläuft. Während er sich mit der linken
Hand oben an denselben festhielt, neigte er sich nach vorn-
hin über den Stier und gab ihm rasch einen Stoß dicht
hinter den Hörnern. Im Nu und wie vom Blitze getroffen
sank der Kopf, der Dolch war in's Rückenmark gefahren
und der Tod augenblicklich erfolgt.
Was geschah nun weiter? Als der Stier sein Haupt
gesenkt hatte, begann sofort die Musik und spielte die Weise
andalusischer Arien, die beim Tanze gesungen werden! Das
Publikum siel mit ein und tausend Hände klatschten. Zwei
18*
Der Triumph des Espada.
Stiergefechte zu Valencia im Jahre 1862
142
Stiergesechte zu Valencia im Jahre 1862.
Gespanne festlich mit Federbüschen ausgeputzter Maulthiere
erschienen im Galopp, und die Diener hingen den Bullen
und ein Pferd an den Gancho, den Haken amQuerbaume.
Die Maulthiere waren aber auch jetzt sehr störrig, wurden
arg gepeitscht und jedes mußte von zwei Dienern am Zaume
geführt werden. Das ging so fort, bis alle todten Thiere
aus der Arena hinweggeschleppt waren.
Während dieser Pause machten die Naranjeros mit
dem Verkauf ihrer Apfelsinen und die Verkäufer von Orchata
gute Geschäfte, denn die Valencianer wollten ihren Durst
löschen. Inzwischen wurde der Sand in der Arena geebnel
und man sah keine Blutspuren mehr.
Aus dem oben Gesagten ergiebt sich, daß der Kampf
mit dem Bullen in drei Akte zerfällt. Im ersten spielen
Picadores die Hauptrolle, im zweiten die Banderilleros, im
dritten der Espada. Jedem Stiere sind durchschnittlich fünf-
zehn bis zwanzig Minuten Zeit vergönnt, nicht mehr, so daß
in dritthalb Stunden acht Bullen abgethan werden können.
Nun war der Circus wieder frei und rein. In die
Musik hinein siel Trompetengeschmetter, die Thür des Toril
flog mit Krachen auf und in das Redoudel hinein stürmte
der Cuquillo, der Kuckuck. Anfangs wollte er den Aficio-
nados nicht behagen, er war etwas schwer auf den Beinen,
schien nicht zu den franken und unerschrockenen Bullen, den
boyautes, claros, sencillos zu gehören; indessen be-
schnoberte er doch zwei Picadores, welche ihm ein paar kräftige
Stiche gaben. Er schien sich wenig daraus zu machen, schritt
indeß doch etwas verlegen nach dem andern Ende des Circus
hin, von wo die Chulos mit ihren Mänteln ihn hinweg-
scheuchten. Offenbar war der Kuckuck ein feiger, weichlicher
Gesell, un cobarde, un blandv, und obendrein ein
Querenciado. Fast jeder Bulle wählt sich im Circus eine
Stelle, wohin er gern wieder zurückgeht und wo er stehen
bleibt oder sich legt, gleichviel ob er dem Kampfe ausweichen
oder ausruhen will. Ein Bulle nun, der Mißbrauch mit
der Querencia (d. h. dem Lieblingsplatze) treibt, ist ein
Querenciado, und das war bei dem Cuquillo der Fall. Als
ihm aber die Picadores eine erkleckliche Anzahl von Puhazos
versetzt hatten, raffte er sich auf und that im Nu zwei Rosse
ab. Dann aber wollte er wieder auf seiner Querencia ruhen.
Das behagte dem Publikum nicht, und als Trompetenstöße
das Auftreten der Banderilleros verkündeten, erhob man
von allen Seiten den Ruf: Feuer, Feuer! Das Volk
verlangte brennende Banderillas, das heißt solche,
an welchen statt des gekräuselten Papiers allerlei Feuerwerks-
stücke hängen, die sich entzünden, sobald das Eisen in die
Haut des Thieres eindringt. Nun erging es dem Cuquillo
schlimmer; der Gordito war auch jetzt wieder auf dem Platze
und heftete ihm die beiden ersten Feuerbauderillas an. So-
gleich zischte ihm der Brand um Rippen und Bauch, und
während ihm die Schwärmer unter dem Leibe platzten, wurde
ihm ein zweites Paar und gleich nachher ein drittes angeheftet.
Er brüllte ganz entsetzlich, galoppirte wie rasend umher; das
Eisen schmerzte, das Pulver verbrannte ihn und dazu kam
das wilde Geschrei der Zuschauer. Da ging ihm eine vierte
Banderilla zwischen den Hinterbeinen los und nun war seine
vom Schmerz aufgestachelte Wuth geradezu gräßlich. Er
sollte abgethan werden, der Espada erschien und versetzte
ihm erst einige kleine Stöße, Pinchazos, von denen aber
einer bis auf die Knochen drang, so daß die Klinge etwas
krumm wurde. Während die Zuschauer über ein solches Un-
geschick murrten, zog der Espada dieselbe unter seinem Fuße
durch und machte sie wieder gerade, versetzte dem Cuquillo
eine vorzügliche Estocada, der Cachetero erschien und that
was seines Amtes war, und die Maulthiere schleiften den
todten Kuckuck hinaus.
Wir gehen auf die späteren Bullenkämpfe nicht ein;
der Leser wird sich gern an den obigen Schilderungen so
barbarischer Auftritte genügen lassen, aber einiger Zwischen-
fälle müssen wir doch erwähnen, weil sie kennzeichnend sind.
Wir sagten weiter oben, daß der Picador Calderon be-
wußtlos aus der Arena fortgetragen wurde. Jetzt trat er
wieder auf, allerdings mit dick verbundenem Kopfe, ritt stolz
wie ein Kaiser auf einem ganz armseligen Gaul und schwenkte
seine lange Lanze. Das Ganze gemahnte in der That an
den sinnreichen Don Quixote aus der Mancha auf der Ro-
sinante. Calderon wollte Rache und Geuugthuung für seinen
Unfall haben, und um zu zeigen, daß dieser ihn nicht im
geringsten außer Fassung gebracht, stellte er sich ganz dicht
an die Thür des Toril, um den ersten Anprall des Brujo
zu haben, des „Hexenmeisters", denn so hieß der Bulle,
welcher jetzt, als der dritte, an die Reihe kam. Er versetzte
ihm einige derbe Puhazos, das Pubikum rief Beifall, welcher
den Picador ermunterte, der sich nun selber übertreffen wollte.
Er ließ mit seiner Pua, Spitze, den Brujo keinen Augenblick
ruhen, und sein ganzes Behaben war so, als ob er nicht
einmal einen Riß mit der Nadel erhalten hätte. Die Toreros
haben, wie alle Leute, welche berufsmäßig auf den Beifall
des Publikums angewiesen sind, eine hochgesteigerte Eitelkeit
und Eigenliebe. Noque Miranda, zubenannt Rigores, bekam
einst in der Plaza zu Madrid drei Hörnerstöße nach einander;
trotzdem reis'te er gleich daraus nach Bilbao ab, um dort auf-
zutreten, aber der berühmte Montes gab es nicht zu. Trotz-
dem erschien Miranda in einem andern Circus; da brachen
aber seine Wunden auf und er starb eines qualvollen Todes.
Die Corrida nahm in einer für die Liebhaber durchaus
befriedigenden Weise ihren Fortgang. Der Tato, ein leb-
hafter junger Mann und seinem Berufe mit Leidenschaft
ergeben, war allemal da, wo es galt, einem andern Torero
aus der Gefahr zu helfen, auch sahen wir von ihm Suertes
de capa, welche durch Kühnheit überraschten. Einmal gab
er den Suerte de espaldas zum Besten, indem er sich
vor den Bullen hinstellte, ihm die Schultern vorhielt und,
wenn das Thier auf ihn einrannte, sich rasch zur Seite drehte,
so daß es an ihm vorüberschoß. Großen Beifall erhielt auch
der Suerte de Navarra, bei welchem der Tato sehr an-
muthige Bewegungen zeigte, und der Suerte de las ti-
jeras, d. h. der Scheeren. Bei diesem stellte er sich dem
Bullen gegenüber und schlug die Arme übereinander. Als
dann endlich der Stier abgethan werden mußte, geschah es
durch eine Estocada mete h saco, das heißt, der Espada
rennt ihm drei Viertel der Klinge ins Fleisch, zieht sie wieder
heraus und behält das Schwert in der Hand.
Der vierte Bulle wurde mit großer Spannung er-
wartet, weil es von Mund zu Mund lief, daß der Gordito
ihm ein paar Banderillas sentado anheften wolle, d. h.
er saß dabei auf einem Stuhle (siehe die vorige Nummer
Seite 97) und ließ den Stier ganz nahe herankommen.
Ein Diener kam und stellte einen alten, mit Stroh über-
slochtenen Stuhl mitten in die Arena; derGordito setzte sich,
hielt seine beiden Banderillas weit vorausgestreckt, lächelte
und war des Anpralles gewärtig. Der Bulle wurde durch
Schwenkungen, welche die Chulos mit ihren Mänteln machten,
gereizt und nahm sich den Gordito zum Ziele. Das war ein
Augenblick ernstlicher Spannung, und als der Stier kaum
noch zwei oder drei Schritte vom Gordito entfernt war,
dieser aber noch auf dem Stuhle saß, drang aus tausend
Kehlen ein Schrei des Entsetzens hervor. Aber der Torero
sprang wie ein Blitz zur Seite und heftete dem an ihm vor-
überjagenden Bullen ein paar Banderillas an, als derselbe
seine Wuth am Stuhl ausließ.
Es ist rein unmöglich, das bis zum Wahnsinn gesteigerte
Leben und Treiben in den Straßen von Konstantinopel.
143
Beifallstoben der Zuschauer auch nur annähernd zu schildern;
Alles im Ampitheater war aus Rand und Band. Bald
nachher bekam die Aufregung wieder neuen Stoff. Als eben
die Trompete das Zeichen gab, den Stier zu tobten, wollte
ein Banderillero in aller Eile noch ein paar Haken anheften,
niachte aber dabei einen Fehltritt und fiel mit dem Gesicht
auf den Boden, Noch ehe er wieder aufstehen konnte, waren
schon die Chulos zu seiner Rettung da: einige schwenkten
ihre Mäntel vor den Angen des Stiers, während ein anderer
an seinem Schweife zerrte. Aber trotz alledem nahm der
Bulle den Banderil-
lero auf die Hörner,
von welchen auf der
einen Seite die Füße,
auf der andern die
Arme herabhingen,
und Jeder glaubte
den Mann verloren,
als der Stier mit
dieser Hörnerlast in
der Arena umher-
tobte. Plötzlich fiel
der Banderillero re-
gungslos zu Boden
und der Bulle stürmte
weiter; er hatte ei-
nige seidene Lappen
von der Kleidung
auf seinen Hörnern,
Ueberbleibsel von
der Schärpe, unter
welche der Stier
seine natürliche
Waffe gerannt hatte;
diese war nun aus-
einandergerissen und
der Mann konnte
gerettet werden. Er
hatte keine einzige
Wunde am Leibe.
Der fünfte Bulle, der Sevillano, wurde in ganz
regelrechter Art abgethan, und es ereignete sich dabei kein
Zwischenfall. Dann erschien El Judeo, der Jude, der ein
Springer war, ein Stier de much as p iernas, mit vielen
Beinen. Er hatte es offenbar darauf angelegt, über die
Schranke zu setzen, und das gelang ihm auch nach einigen
Fehlversuchen. Wir sahen, wie er mit einem gewaltigen
Satz über die Tableros sprang, und nun war es allerdings
hohe Zeit für die Leute, welche sich in der Valla, dem Lauf-
gange, befanden, entweder in die Sitzreihen hinaufzuklettern
oder in den Circus hineinzuspringen. Der Bulle war dann
ganz allein im Lausgang, und schlenderte ganz gemächlich
in demselben umher, ungeachtet die Zuschauer aus ihren
Delanteras hinab mit Stöcken auf ihn einschlugen. Dann
öffnete man eine Thür der Schranke und der Bulle ging von
selbst wieder in die Arena. Es ist aber schon vorgekommen,
daß solch ein „Springer" bis in die Zuschauerräume ge-
drungen ist und dort mehrere Menschen getödtet hat.
Die beiden letzten Bullen wurden sehr schön abgethan.
Der Gordito unternahm dabei den Salto de la garro cha
oder Salto tras-
cuerno, indem er
mit Hilfe eines lan-
gen Springstockes
über den Bullen hin
übersetzte; Calderón
war auch wieder da
und nahm dem achten
Bullen mit der Pike
die Devisa ab; das
Publikum verlangte
endlich, daß der Tato
dem „Schuster" (so
hieß der Stier) das
kleine Gehirn durch-
stechen solle. Diese
Suete de desca-
bellar besteht darin,
daß der Espada dem
Bullen, wenn er das
Haupt senkt, einen
Stich am Ende des
Kopfes, im Nacken,
versetzt; dann stürzt
er im Nu gerade so
zusammen, als ob
er vom Dolche des
Cachetero getroffen
worden sei. Der
Tato hatte auch diese
Suerte von seinem Schwiegervater Cuchares gelernt und
zeigte sich, wie immer, des Lehrers würdig.
Nun war die Corrida vorüber, hundert und aber hundert
Leute stürmten in den Circus hinab und betasteten den Stier.
Nach und nach verlief sich die Menge, ungemein befriedigt
von der „Belustigung". Es giebt allerdings gebildete Leute
in Spanien, welche Gegner so blutiger Schaustellungen sind,
aber sie können nicht dnrchdringen, und das Bolk hält ein-
für allemal an den Stiergefechten fest.
El Tato.
Leben und Treiben in den Straßen von Konstantinopel.
Erster Artikel.
Morgenland nnd Abendland. — Die Weltbedentung von Stambul. — Das goldene Horn; Vorstädte und Altstadt. — Wanderung durch die Gassen. —
Der verdorrte Arm und der Jude Benjamin. - Die alte Baba, Nano Pnpisillo und ein Teufel aus Anatolien. — Der Kaufmann Mnstapha. — Die
Straßen nnd Buden. —
Wir unternehmen jetzt nicht mehr Reisen nach Konstantinopel,
sondern nur Ausflüge, Luftfahrten, und gebrauchen, um nach
Stambul zu gelangen, etwa eben so viel Tage, wie vor siebenhundert
Jahren die Kreuzfahrer Monate bedurften. Gemächlich schwimmen
wir auf einem Dampfer die Donau hinab, oder besteigen in Triest
ein Schiff des österreichen Lloyd. Unterwegs erfreuen wir uns dann
an den Herrlichkeiten des Archipelagus, besuchen auch die Akropolis
von Athen, kommen nicht einmal aus unserer gewöhnlichen Lebens-
j weise heraus, machen uns wenig aus einem Bischen Seekrankheit
j und sind in der Hauptstadt des Beherrschers der Gläubigen, ehe wir
144
Leben und Treiben in den Straßen von Konstantinopel.
es uns versehen. Bor den Türken fürchten wir uns längst nicht mehr,
vielmehr sind wir es, welche den einst so hochfahrenden Osmanen
den Daumen auf's Auge setzen; wir Europäer sind in Konstantinopel
keine geduldeten Leute, sondern haben in der Türkei ein Wort
mitzusprechen.
In Stambul berühren sich Orient und Abendland, aber sie
durchdringen einander nicht, sondern gehen nebeneinander her.
Beide werden innerlich ewig i>on einander geschieden bleiben; auch
der orientalische Christ ist ja ein ganz anderer als der europäische.
Am Bosporus schlägt das morgenländische Wesen entschieden vor,
aber Oecidentalisches ist der Siebenhügelstadt beigegeben. Sie ist
und wird unter allen Umständen bleiben eine Weltstadt, welche
Anziehungskraft auf einen weiten Umkreis in drei Erdtheilen übt.
Das hat Niemand markiger ausgesprochen als der selige I. PH.
Fallm era y er; aber freilich geht er doch zu weit, wenn er Stambul
„die Metropolis des Erdbodens" nennt. Aber für die Re-
gionen, wo Europa und Asien und auch das islamitische Afrika
sich berühren, bildet es allerdings den unverkennbaren Schwerpunkt.
Stambul ist nicht etwa blos der mit Mauern und Thürmen ein-
geschlossene Triangel zwischen dem Thore von Adriauopel und der
Kanonenspitze des großherrlicheu Palastes, die drei Stunden im
Umfange haltende, auf zwei Seiten vom Meere bespülte Stadt. Zu
ihr gehören noch die Vorstädte zu beiden Seiten des Goldenen Horns,
die Häuserflut um Skutari, der lange, grüne, schlangengewundene,
tief eingeschnittene Doppelstreif der Bosporusenge vom Thürme
des Leander bis hinab zu den flutenden Cyaneen der Fabelwelt.
Das ist ein unabsehbares Gewimmel von Hohlziegeldächern und
Holzgezimmer, von Gärten, Cypressenwäldern, Kegelbergen und
Lustthälern, von bleigedeckten, goldblitzenden Spitzthürmen und
Tempelkuppeln, im Ganzen mehr als sechs Stunden lang und über
zwei Stunden breit. Es ist, sagt der Fragmentist, eine Welt für
sich, eine Atlantis der Glückseligkeit, ein Vorrathshaus irdischer
Wonne, Sitz der Widersprüche, bewegungsvoll und einsam, Land
und Wasser, das große Weltamphibium voll Blumenduft, Licht
und Schatten und langer Karawanenzüge, voll musikalisch sausenden
Wogenspiels, voll Goudelndrang und vorüberschisfender Delphine.
Es ist die ungeheure Burg des alten Kontinents, nach Ost und
West durch weite Landöden, nach Süd und Nord durch tosende
Sunde von frenider Zone losgetrennt.
Eine solche Stadt sich näher zu betrachten, ist gewiß keine
verlorene Mühe. An Stoff zum Beobachten ist kein Mangel. Kon-
stantinopel ist die hohe Schule aller Schlechtigkeit, aber auch der
Schwerpunkt aller Politik. Die Loose für Europas Zukunft werden
zu Koustantinopel geschrieben und eingelegt. Fallmerayer meint,
die Rolle der Padischahe sei nun ausgespielt, die regierende Dynastie
der Osmanen sei verfault, aber es sei doch unmöglich, mit chrono-
logischer Genauigkeit ausznrechnen, in welchem Jahre die flackernde
Türkenlampe völlig erlöschen werde. Aber auch wenn sie ausgebrannt
habe, sei es unmöglich und sei die Hoffnung vergeblich, durch poli-
tische Rechenexempel den Einen strahlenden Weltkörper osmanischer
Monarchie in ein Planetensysteni getrennter Staaten ohne
Sonne auseinander zu schlagen. Alle solche Künste werden zu
Schanden gemacht durch den eingeborenen Genius von Konstanti-
nopolis. Um der centrifugal über den Erdglobus sprühenden Furie
der abendländischen Völker das Gegengewicht zu halten, um die
ätzende Wirkung ihrer Geistesbeweglichkeit zu sänftigen und die
Wüthenden in Schranken einzudämmen, hat die Natur das byzan-
tinische Reich, wie ein Bleigewicht, an die Sohlen Europas gehängt
und durch unabänderlichen Beschluß, mit der Ewigkeit anatolischer
Doktrin zugleich, die Unauflösbarkeit der Monarchie dekretirt, deren
Herz und Mittelpunkt Konstantinopel ist. Die durch Blut, Thränen
und Glauben nnausscheidbar in einander verwachsene Masse des
illyrischen Kontinents in verschiedene Theile zu zerlegen und bleibend
auseinander zu halten, gehe über menschliche Macht hinaus.
Schneide man, ruft Fallmerayer ans, entlegene Theile vom
Ganzen weg, und erwärme sie, wie der begeisterte Pygmalion sein
! Steingebilde, sie verdorren dennoch aus Sehnsucht nach heimatlicher
Lebenslust oder rennen von selbst unaufhaltsam wieder in den Schooß
des Mutterstaates zurück. So groß ist der Zauber dieser g e-
heimnißvollen, noch unbegriffenen Stadt. EinMittelnur
gäbe es, den byzantinischen Baun zu lösen und denillyrischenTrüm-
mern eigene Seelen einzuyauchen! Zerstört durch gemeinschaftlichen
Beschluß des europäischen Areopagus die Stadt Konstantin's und
füllet mit dem Schutt ihrer Hiitten, ihrer Paläste, ihrer Mauern und
Thürme das Goldene Horn aus. Verbietet zugleich unter Völkerbann
die Wiederherstellung von Stadt und Hafenbncht auf der alten, den
Mächten des Abgrundes geweihten Stätte. Nicht genug! Schaufelt
im Grimm auch ihre sieben Hügel nieder, zermalmet, wie einst die
Legionen in Korinth, sogar die Steine und mit der Wurzel reißet
die gigantischen Platanen aus, und vom Riesenberge des Amycus
brechet in der Wuth, wie ein anderer Polyphem, die waldige Spitze
herab und schleudert Alles •— Erde, Felsen, Bäume und Menschen —
in die Strömung des Bosporus. Schleudert sie hinein, damit sein
musikalisches Sausen am Felsenthore der Symplegaden verstumme,
damit der sehnsnchterregende, die Völker des Orients bethörende
Sirenengesang des flutendes Sundes ersterbe, und der stolze,
länderverbindende Pontus selbst, gleich dem traurigen Kaspimeer,
zur Oede eines verlassenen Binnensees heruntersinke. Dann erst
rinnt der Lebenssaft wieder zurück nach Ternowa, Athen und
Jkonium. —
Das ist ein prachtvoller Dithyrambus, und es ist gewiß viel
Wahres in dem, was hier Fallmerayer mit akademischem Pompe
schildert. Aber wir entschlagen uns aller trüben Gedanken und
aller Vermnthungen über das Ende des Reiches der Osmanen,
auch machen wir uns heute keine Sorgen über die orientalische
Frage. Vorerst bleibt Stambul noch ans seinem alten Flecke, wir
hören das musikalische Sausen des Bosporus noch, die gigantischen
Platanen ragen hoch in die blauen Lüfte empor, und nach einer
ruhigen Nacht, deren Schlummer uns Erquickung brachte, schlendern
wir nun sorglos in den Straßen von Konstantinopel umher.
Es verlohnt sich der Mühe; Alles ist neu, das Auge hat keine
Ruhe; wir sind umgeben von allerlei Orientalischem. Zur Er-
läuterung möge Einiges vorausgeschickt werden.
Konstantinopel zerfällt in zwei Theile, diesseit und jenseit des
Hafens. Dieser wird gebildet von einem ans der europäischen
Seite tief in's Land eindringenden, langen und schmalen Busen
des Bosporus, dem sogenannten Goldenen Horn. Es hat diesen
Namen von seiner Gestalt. Das eigentliche Stambul liegt im Süden
und Westen desselben als Dreieck da, und die ganze Südseite wird
vom Marmora-Meere bespült, von der Spitze des Serai im Osten
bis zu jener der Sieben Thürme im Westen. Auf der andern Seite
des Goldenen Horns, im Osten und Nordosten, am Bosporus,
liegen Vorstädte; zuerst Galata, dann Pera, Tophauch, d. h.
Kanonengießerei, mit hübschen Moscheen, das türkische Quartier
Fundnklu, der neue Palast von Dolma baktsche und der von
B eschik Tasch. Ueber das Goldene Horn sind drei Schiffsbrücken
geschlagen. Wir gingen von Pera her über eine derselben und
zahlten fünf Para Brückengeld. Nun stiegen wir zu den Bazaren
hinan, umdrängt von Hausirern, und schleuderten weiter. Da
hingen in und vor den Buden Pantoffeln und Feigen und allerlei
Siebensachen, welche das Morgenland liebt. Wir trinken ein Glas
Limonade, die purpurfarbig ist wie Portwein; neben uns steht ein
nubischer Eunuch; nachdem er seinen Sorbet geschlürft, besteigt er
einen schönen syrischen Hengst, ans welchem er sich stattlich aus-
nimmt, und sprengt davon, daß die Steine Funken sprühen. Dann
kamen wir auf den Pferdebazar, Aat-Bazar, wo Sättel und
Gebisse und Zäume in solcher Menge stehen, hängen und liegen,
daß man damit gleich ganze Regimenter ansrüsten könnte. Da rief
plötzlich der Muezzin von einem Minaret herab zum Gebet, und
urplötzlich hörte aller Handel ans. Gleich nachdem die Gebete her-
gemurmelt worden waren, bot mir ein Handelsmann einen Unge-
heuern kleinasiatischen Hammel mit Fettschwanz an. Ich wehrte
\
?ebeit und Treiben in den Straßen von Konstantinopel.
145
den Mann und den Hammel ab. Dann aber hatte ich ein Schau-
spiel, dessen ich gern iiberhoben gewesen wäre. Da saß ein kleiner
alter Türke mit ledergelbem Gesicht und schwarzgefärbten Augen-
lidern und gekreuzten Beinen vor einem niedrigen Tische, ans
welchem Was lag? Der Arm von einer Leiche! Ich trat schaudernd
einen Schritt zurück, aber der Bettler, welcher seinen ihm abge-
schnittenen Arm zum Aushängeschild hatte, um mitleidige Seelen
zu einer Gabe zu bewegen, er wollte mich nicht fortlassen: „Möge
Allah es mir gewähren! Ich hatte ihn darum gebeten; es giebt
nur einen Gott und Mohammed ist sein Prophet!" Als ich trotzdem
weiter ging, fluchte er hinter mir her: „Möge der Ungläubige
krepiren! Alle Qualen der Hölle sollen über ihn kommen!" Die
türkischen Bettler sprechen Gebet oder Fluch ganz laut, und mein
Mann ohne Arm ahnte wohl nicht, daß ich Türkisch verstand. Ich
trat zu ihm hinan; nun zeigte er seinen Stumpf ganz kunstmäßig,
rückte mit der Hand, welche ihm übrig geblieben war, den abge-
storbenen Arm so zurecht, daß er ordentlich in die Augen fiel,
streichelte dann seinen Bart, machte eine wohleinstndirte, äußerst
klägliche Miene, und begrüßte mich mit einem: Salamet snl-
tanin! Lebe in Frieden, Sultan!
Niemand hat das Leben und Treiben und den Charakter der
Türken besser geschildert als W. Thornburh. Er bebt hervor,
daß diese orientalischen Gauner unseren europäischen viel aufzn-
rathcn geben können. Sie sind ungemein verschlagen und nehmen
dabei eine unerschütterliche Würde an. Ein osmanischer Charlatan
hat in seinem Gebühren viele Aehnlichkeit mit einem methodistischen
Prädikanten. Er legt die Hand erst auf sein Herz, dann vor die
Stirn, schlägt die Augen gen Himmel, ganz wie ein abendländischer
Halbheiliger, der aus Frommthnn ein Handwerk macht. Mit
Salbung spricht er: Chosch gheldinir, sasa gheldinir! Du
bist heil und gesund hier angekommen, mögest du auch so wieder
fortreisen. Hai gnidsch Jnglis! Diese braven Engländer!
Amrinir schock oltun, essend im! Erfreue dich langerTage,
Herr!
In des Herzens Tiefe verwünscht er die Ungläubigen. Während
ich so da stand und mir den verdorrten Arm betrachtete, kam ein
junger Jude, Namens Benjamin, der in den Borstädten wohl be-
kannt ist, weil er den Fremden als Dolmetscher und Führer dient,
und als solcher fand er bei mir sofort Verwendung. Der Türke
und der Jude kannten sich, aber Keiner von Beiden ahnte, daß mir
das Türkische sehr geläufig sei. Sie hielten ein ergötzliches Zwie-
gespräch, und Benjamin begann:
„Nun, mein alter Eski Beski, leg los mit Deiner Geschichte;
gieb sie diesem Ungläubigen zum Besten; aber erst sage mir, wie
viel für mich abfallen soll."
Der Türke: „Allah segne dich, mein Sohn Benjamin. Ein
Piaster wird es ja wohl thun. Wir müssen ihn aber erst ans dem
Beutel dieses Ungläubigen herausholen. Schlage ihn der Donner,
hole ihn die Pest! Sag ihm, ich hätte meinen Arm im Dienste
des Pascha verloren."
„Was sagte der Mann, Benjamin?" fragte ich.
Benjamin: „ Epeellenz, er wünscht Ihnen langes Leben, schöne
Frauen und recht viele Söhne, und erzählt über seinen Arm
Folgendes. Als er einst schöne Tnrkomanenpferde für Seine Hoheit
den Sultan zuritt, — es war bei der Säule, unter welcher Kaiser
Konstantin viel Gold und Silber vergraben hat— traf ein Soldat
mit dem Dscherid (— der Wurfscheibe, deren Werfen ein Lieblings-
spiel der Türken bildet —) das Pferd. Da ging es durch, bäumte
sich dann und schlug mit des Hinterfüßen so gewaltig an die Mauer
der Moschee des Sultans Achmet, daß man noch heute die Spuren
davon sieht, und warf den Reiter ab. Dieser brach den Arm.
Doch das hätte sich noch ertragen lassen, die Wunde wäre wohl
geheilt und der arme Mann hier hätte noch heute seinen Arm.
Aber, aber — und der Jude und der Türke tauschten wieder Blicke
des Einverständnisses aus —, da war ein frommer Derwisch, der
um ein Almosen bat. Das gab ihm der Mann hier nicht, allein
Globus IV. Nr. 5.
dafür ist es ihm auch schlecht genug gegangen. Der Derwisch hat
den damals Hartherzigen im Namen Allahs und des Propheten
verflucht, und nun wurden die Wunden immer schlimmer; man
mußte den Arm abnehmen."
„Man muß Allah für Jegliches loben, was er uns sendet",
sprach der Türke.
Ich stellte mich äußerst erbaut von der trefflichen Historie,
nahm den zur Mumie verdorrten Arm, besah ihn und sagte zu
Benjamin, gleichsam nebenher: „Der Türke sprach nicht viel und
Du hast mir doch eine lange Geschichte erzählt." Benjamin ver-
zog keine Miene und entgegnete: „Ja, Epeellenz, der Allmächtige
hat diesem Volk eine wunderbare Sprache verliehen; sie können mit
wenigen Worten außerordentlich viel sagen." Darauf begann eine
Unterhaltung zwischen den beiden Gaunern, in welcher die Wörter
Elli, fünfzig, und Gur, hundert, eine große Rolle spielten.
Dann sprach Benjamin zu mir: „Epcellenz, vor wenigen Wochen
hat ein reicher Pascha, hier auf der Stelle, wo Sie stehen, fünf-
hundert Piaster für diesen Arm geboten, wohlverstanden, kein Pa-
pier, sondern klingendes Silbergeld; aber der wackere Mann hier
wollte ihn dafür nicht hergeben." Die beiden Halunken glaubten
mich damit zu ködern: ich aber legte drei Piaster in die Hand des
verdorrten Armes, warf dem klugen Benjamin, der mich gefangen
zu haben wähnte, einen Piaster zu und ging ruhig weiter. Der
Jude und der Türke aber spieen zum Zeichen des Aergcrs ans die
Erde, und ich hörte, wie der Eine sagte: „Das Schwein!" der
Andere: „Der Ungläubige!" Diese Liebesworte galten mir.
Man sieht übrigens nicht viele Bettler in den Straßen von
Konstantinopel. Die Türken haben nur wenige Bedürfnisse und die
Reichen sind mildthätig. Der gemeine Mann ist mit einigen Feigen
i und etwas Weizenbrot zufrieden. In den Vorstädten trifft man
übrigens Bettler, welche ans die „Franken" spekuliren, ans Reisende
und reiche Touristen. Von diesen Letzteren sagt ein türkisches Sprich-
wort: „Sie sind wie Esel, die man nach Mekka geführt hat; sie
kommen als Esel wieder zurück."
In Galata, der Vorstadt, welche zugleich am Goldenen Horn
und am Bosporus liegt, erfreuen mehrere Bettler sich einer ge-
wissen Berühmtheit und Jedermann kennt sie. Da ist zum Beispiel
die alte Baba, ein Weib mit verschmitzter Miene und weißem
j Gewände. Vom Morgen bis zum Abend geht sie von einer Bude
zur andern und singt, je nachdem man es wünscht, fromme Ge-
sänge oder zweideutige Lieder. Sie soll reich sein, und man erzählt,
daß mehr als ein junger Kansmannsdiener Anleihen bei ihr gemacht
habe. Auch heißt es. daß sie der Regierung als Spion diene und
das Personal der verschiedenen europäischen Gesandtschaften über-
wache, außerdem soll sie auch den Verkauf schöner Sklavinnen
vermitteln. Man sollte der sehr züchtig und anständig gekleideten
Baba das kaum ansehen; aber in der Türkei weiß der Teufel Hörner
und Pferdefuß gerade so gut zu verstecken, wie in Europa.
Jedem Fremden zeigt man N ano Pupisillo, den griechischen
Zwerg, den man füglich in eine Hutschachtel stecken könnte. Er
will von einer edeln Familie abstammen, hat abgemagerte Hände,
seine Finger sind wie Spiunenbeine, sein Kopf ist dick, aber seine
Augen zeugen von Intelligenz; Rumpf und Leib wollen nicht viel
besagen und Beine sucht man an ihm vergeblich. Da er nicht gehen
kann, so läßt er sich in einem Korbe nach einer beliebigen Stelle
hintragen und singt dort mit seiner Fistelstimme allerlei Lieder.
Dieses Bruchstück von einem Menschen grüßte mit einer Ver-
beugung und legte seine Hand aufs Herz. Das ist die Art und
Weise, wie Pupisillo um ein Almosen bittet. Nachdem er ein
solches erhalten, dankt er mit höflicher Würde und läßt eine Zähre
der Erkenntlichkeit im Auge glänzen. Darauf ist er sehr gut ein-
geübt. —
An einem recht warmen Tage dämmerte ich mit einem Freunde,
der seit einer Reihe von Jahren in Konstantinopel lebt und alle
Winkel der Stadt kennt, nach dem Bazar. Dort, unter den Ge-
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140
Leben und Treiben in den Straßen von Konstautinopel.
wölben, ist es kühl nnd frisch und an Augenweide kein Mangel.
Zuerst komme ich an die Bude eines Nudelhändlers; dicht neben
derselben ist der Stand eines Mannes, der mit Rosen- nnd
Jasminessenzen handelt. Die dritte Bude gehört einem Drechsler;
er ist eben darüber aus, hölzerne Köpfe 31t drehen, auf welchen die
Fes, die auch bei uns bekannten rothen Kappen, zum Verkauf aus-
gestellt werden. Der Armenier neben ihm hat hübsche Seidenbrokate,
die zwar in Lyon gewebt, aber nur in Stambnl seilgeboten werden.
Während wir eben derlei Siebensachen uns ansehen, vernehmen
wir die schrillenden Töne einer Art von Klarinette, und wir gehen
in eine Seitenstraße, um die Gaukeleien eines Marktschreiers mit
anzusehen. Da stand ein Grieche in seiner Nationaltracht; alle
Nähte waren mit Gold - nnd Silberflitteru besetzt, aber an Schmutz-
flecken und Löchern war auch kein Mangel. In der einen Hand
hielt dieser Nachkomme der Marathonkämpfer, welchen aber seine
Nase als einen Mann kennzeichnete, in dessen Adern arnantisches
Blut floß, die Klarinette, deren Töne uns herbeigelockt hatten, mit
der andern zeigte er ans zwei große Pappendeckel. Ein Künstler
hatte ans dieselben ein paar zweibeinige Ungeheuer gemalt; sie
hatten Schweif und Hörner, glichen der Figur des Herrn Satanas,
mit dem sich unsere Orthodoxen so viel zu schaffen machen, hatten
aber einen ungeheuren Wulst von Haaren auf dein Kopfe. Zur Be-
ruhigung der Welt waren sie mit Ketten befestigt. Der Abkömm-
ling des Leonidas stellte diese, nicht von Apelles verfertigten Werke
den Anhängern Mohammed's zur Schau, notabene, wenn sie ein-
treten wollten, denn in der Bude waren die Monstra, von welchen
wir draußen das Konterfei sahen.
„Herein, meine Herren, nur immer herein. Sie werden sehen
zwei Ungeheuer, zwei Teufel, welche erst vor Kurzem in den Wüste-
neien Anatoliens lebendig eingefangen worden sind. Diese wunder-
schönen, prächtigen Menschenfresser konnten bis jetzt noch nicht zahm
gemacht werden, wir hoffen es aber dahin zu bringen. Seine
Hoheit der Sultan hat erlaubt, diese seltenen Merkwürdigkeiten
hierher nach Stambnl zu bringen. Zahlen Sie einen Para, und
Sie können sich selber von Allem überzeugen."
Wir wollten doch sehen, was der Marktschreier znm Besten zu
geben hatte, und traten ein. Ich dachte: er hat gewiß einen ans-
stopften Bären oder Orang utan oder irgend einen nachgemachten
Wilden. Aber das war ein Jrrthmn. Leonidas zeigte uns den
leibhaftigen Teufel. Nur einen, während doch zwei vorhanden
sein sollten? Allerdings, nur einen: der andere, hieß es, sei
aus Wnth und Ingrimm gestorben; er konnte weder Gefangen-
schaft noch Ketten leiden. Das war bisher dem zweiten noch
nicht passirt; dieser raste wild ans nnd ab in einer Art von Käsig
oder Stall, der mit dicken Eisenstangen, gerade wie ein Tiger-
behälter in einer Menagerie, versehen worden war. In der Bude
war es so dunkel, daß man anfangs kaum etwas deutlich unter-
scheiden konnte; nach einer Weile sah aber das Auge Etwas. Man
hatte einen Kerl in ein graues Leinenzeug genäht; dieses bedeckte
Arme, Hände, Leib nnd einen Theil des Kopfes. Am letzter» be-
fanden sich zwei Büffelhörner, ein Geierschnabel nnd zwei gläserne
Augen; hinten hing ein Schweif, dessen Spitze von einem Stachel
gebildet wurde. Die grenzenlose Unverschämtheit des modernen
Leonidas belustigte uns; ich rief dem Satan ein paar neugriechische
Wörter zu, die kaum angenehm in seinen Ohren klingen konnten,
und mein Freund gab ihm ein paar unsanfte Stöße mit seinem
Gehstocke, denn einem Teufel gegenüber kann man sich das doch
wohl erlauben. Aber Solches gefiel ihm nicht; er rasselte mit seinen
Ketten, fing an zu heulen und zu brüllen und that, als ob er uns
lebendig verspeisen wollte; aber leider fehlt uns der bergeversetzende
Glaube an den leibhaftigen, allgegenwärtigen Teufel; wir geben
Nichts auf die Orakel, welche aus der Lüneburger Haide kommen,
nnd lachten Seiner infernalischen Majestät laut in's Gesicht. Der
steifleinwandene Teufel imponirte uns so wenig wie der, welchen
man im Lande Hannover und anderwärts umgehen läßt. Ohnehin
roch er nicht einmal nach Schwefel. Den draußen gaffenden Türken
sagten wir, daß drinnen ein wahres Mährwunder zu schauen sei;
sie bissen auf den Zopf und gingen hinein.
Wir waren nun wieder im Bazar. Ich will hervorheben, daß
die orientalischen Butiken alle offen sind; Handel und Wandel gehen
in freier Luft vor sich; jene gleichen Gärten, die kein Gitter und
kein Geländer haben. Die Verkaufsgegenstände sind auf einem
Auslegebrett ansgebreitet; die Bude selber ist gewöhnlich klein, hat
weder Fenster noch Thür. Der Türke, in Turban und Kaftan, sitzt
auf einer tischartigen Erhöhung, die ihm auch als Comptoir dient;
er heißt gewöhnlich Ali Baba oder Mustapha oder so, schlägt die
Beine übereinander, raucht Tabak und giebt sich, wie es allen
Anschein hat, sorgloser Beschaulichkeit hin. Denkt er, der doch eiu
Kaufmann ist, etwa nicht an Soll und Haben, Verlust und Ge-
winn? Das thut er allerdings, ungeachtet aller Beschaulichkeit:
er weiß recht gut, was ihm begegnen kann. Es ist zum Beispiel
möglich, daß ein mit Kisten und Kasten beladener Esel an die Bude
rennt, Alles durcheinander wirft, oder gar eine Ecke mitnimmt; es
kann sich ein von Soldaten verfolgter Dieb in die Bude flüchten
und ihm Ungelegeuheit bringen; es ist möglich, daß der Sultan
den Bazar besucht nnd daß im Gedränge gestohlen wird. Das
nnd noch vieles Andere kann sich ereignen, Mustapha weiß es: aber
er bleibt doch ruhig sitzen. Er würde kaum anfsteheu, er würde
seine Pfeife nicht ausgehen lassen, wenn auch ein Bote von Hause
käme und ihm meldete, daß seine zwanzigste Frau vor einer halben
Stunde in's Paradies abberufen worden sei. Vielleicht würde er
dann etwas raschere Züge aus der Pfeife thun, die Kügelchen seines
Rosenkranzes etwas rascher zählen, die Ungläubigen etwas derber
als gewöhnlich verwünschen, — das wäre aber auch Alles.
Ein Mann von solcher Gemüthsruhe wird sich, könnte man
meinen, wohl hüten einen Käufer zu übervortheilen. Man tritt zu ihm
hinan und besieht sich die Maaren. Der Kaufmann ladet uns ein,
auf seinem Sitztische Platz zu nehmen, etwas Limonade oder Kaffee
zu trinken, eine Pfeife mit ihm zu rauchen. Ich setze mich, kaufe
einige Pfeifenköpse nnd ein paar mit Perlen besetzte Pantoffeln, die
ich ihm theuer genug bezahlen muß. Er sieht, daß ich ein Fremder
bin; ich stelle mich aber, als ob ich unbeholfen sei, und lasse mich
übervortheilen, um ihn besser beobachten zu können.
Der Türke ist heute noch genau so, wie er im siebenzehnten
Jahrhundert war, und die Straßen von Stambnl haben sich, zum
großen Theil, auch nicht geändert. Der Türke bleibt wie er einmal
angelegt ist, trotz glanzlederner Stiefeln, strohgelber Handschuhe
und europäischer Kleidung. Er paßt nicht nach Europa herein und
die Osmanenherrschaft ist für unfern Erdtheil eine Anomalie.
Aber von dergleichen will kein Türke etwas hören, und mit Herrn
Mustapha darf ich über solcherlei Dinge gar nicht reden, obwohl
ich für ihn ein ganz guter Kunde bin und gestern bei ihm sehr-
zweckmäßige rauhe Servietten gekauft habe, mit denen man sich
nach dem Bad abreiben läßt. Sie werden in Brussa, drüben in
Asien, im bithynischen Lande, verfertigt. Mustapha hat mich auch
diesmal überthenert, daß weiß ich sehr wohl; ich hätte die Waare
bei einem andern Händler billiger haben können. Aber Mustapha
gaunert mit einer so würdigen Höflichkeit, mit so viel Ruhe und
Anstand, er hat so gar nichts Ordinäres in seinem äußern Behüben,
und deshalb gehe ich immer wieder zu ihm.
Die beiden längsten Straßen sind jene, welche znm Hippodrom
und zur Sophienkirche führen. Konstantinopel ist, wie schon be-
merkt wurde, eine Siebenhügelstadt, nnd deshalb sind die Gassen
uneben nnd steil; sie haben keine Plattenwege, keine Ecksteine, keine
Laternen, keine Namen und die Häuser keine Nummern. Das
Pflaster, wenn der Ausdruck erlaubt ist, besteht aus einer Menge
von mehr oder weniger fest oder lose neben einander liegendeil
Steinen. Nach einem Regengüsse sind diese Straßen wie Gebirgs-
wässer. Eiu interessantes Schauspiel gewähren sie immer. Da
sehe ich Karren, die von Ochsen gezogen werden, Träger mit Wasser-
eimern oder Oelkrügen, Eseltreiber, Brotverkäufer, Sänften oder
verdeckte Wägen, in denen türkische Damen sitzen; da reitet auch
Landschaften und Staaten nordwestlich vom Nyanza-See.
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ein Pascha mit einem zahlreichen Gefolge. Betende oder umher-
schlendernde Derwische fehlen eben so wenig wie herrenlose Hunde
oder wie Melonenverkäufer. Es ist für nnsereinen wirklich ein Ver-
gnügen, diese Bilder zu beobachten, aber an Behaglichkeit oder
Bequemlichkeit darf dabei nicht gedacht werden.
Ich gehe eine steilabfallende Straße hinab und komme an
einem vorn Platanen beschatteten Gitterthore vorüber. Ich blicke
hindurch und sehe Gräber; in den Stein sind Turbane eingemeißelt
und Koranverse, mit Blau oder Gold ausgefüllt. Weiterhin be-
gegnen mir armenische Lastträger, die schwere Bürden schleppen; es
sind stämmige Leute, die nötigenfalls ein ganzes Haus wegbringen
könnten, wenn es nicht niet- und nagelfest wäre.
Eben stehe ich an einem Springbrunnen, der mit vergoldeten
Arabesken verziert ist, und trinke ein Glas Wasser; da wird hinter
inir laut gerufen: Guardia, Gnar-diah! Anfgepaßt, Vor-
sicht! Ich trete rasch in eine Mastixbnde und bin dort sicher vor
acht armenischen Simsvns, die einen gewaltigen, mit Eisenreifen
umlegten Seidenballen ans hohen Stangen tragen. Er enthält
Rohseide. Diesen armenischen Hammals, d. h. Lastträgern, trieft
der Schweiß am Leibe herunter. Sie weichen keinem Menschen ans,
nicht einmal dem Sultan, sie schreien ihr Guardia und dann ist
es ihnen einerlei, ob sie einen Leichcnzug oder einen Hochzeitszng
durchkreuzen. Diese kräftigen Menschen sind ehrliche Lente, und
verrichten wahre Herkulesarbeiten für geringen Lohn.
Der Türke, in dessen Bude ich getreten war, fing gleich zu
handeln an und pries mir seine Waare an, den Mastix. Ich
kaufe einige Stücke, um sie zu kauen, denn ich hatte gehört, daß
die türkischen Damen Mastix kauen. Er hat Aehnlichkeit mit dem
Gummi arabicum, sieht aus wie blaßgelber Opal und schmeckt —
nach nichts. Wohl eine halbe Stunde lang und bis ich ans den
Bajasetplatz gelangte, kaute und saugte ich an meinem Mastix
herum, etwa so wie Kinder manchmal einen kleinen Kiesel im
Munde behalten. Der Mastix wurde dann eine weißliche Masse,
und kam mir vor wie Gummi elasticum. Ich warf ihn fort, zur
Freude eines Hundes, der danach schnappte und ihn verschluckte.
/
Der Inhaber einer Bude spricht mich mit würdevoller Freund-
lichkeit an und ersucht mich, etwas H enneh für die Damen meines
Harems zu kaufen. Die Türkinnen färben sich Lippen, Hand - und
Fußnägel mit Henneh roth. Als ich ablehne, klatscht der Kanf-
mann mit den Händen, und sofort erscheint sein Negersklav, der
eine zum Theil noch schneeweiße Katze bringt; die andere Hälfte
des Pelzes war zart rofenroth gefärbt. Die Katze war gewisser-
maßen das Aushängeschild, um die Güte der Farbe recht anschau-
lich zu machen. Da ich nicht Inhaber eines Harems bin, so rührt
mich die rosenrothe Katze nicht und ich gehe weiter, in die Bude
eines Verfertigers von Holzpantoffeln, in welcher die Arbeiter
fleißig am Werke sind. Vermittelst kleiner Beile spalten, behauen
und formen sie Sohlen und Absätze. Die Türkinnen können solcher
Holzpantoffeln nicht entbehren und tragen sie namentlich in den
Bädern, wo der Fußboden ans Steinplatten besteht. Ich sah Holz-
pantoffeln, die mit Perlmutter geziert waren.
Als Tabaksraucher interessirte ich mich ganz besonders für
die Pfeifenbuden. In einer derselben sah ich einen nubischen
Sklaven und drei junge Türken unter Leitung eines alten Mannes
arbeiten. Der Schwarze hielt zwischen den nackten Füßen ein Stück
Holz, das er in geschickter Weise mit Hülfe seiner Zehen bearbeitete.
Er sah wohlgenährt und so äußerst zufrieden aus, daß ein Aboli-
tionist sich gewiß iiber ihn geärgert hätte. An den Wänden standen
Reihen von Pfeisenröhren wie Lanzen; die dnnkelrothen sind Zweige
der kleinasiatischen Vogelkirsche oder Weichselröhre, auch solche ans
albanesischem Jasmin fehlten nicht. Gewöhnlich ist ein Pfeifenrohr
dritthalb Ellen lang. Auch Wasserpfeifen, Nargileh, sah ich dort,
sie sind in kleinen Zimmern weit bequemer als die gewöhnlichen
Tschibuks, und Bernsteinspitzen, oder vielmehr Mundstücke, sind
in reicher Auswahl vorhanden. Man kann sie in allen Farben-
abstufungen haben, vorn matten Citronengelb bis zum Safran-
braun, und manche sind mit Edelstein oder Diamanten gefaßt. Ich
kaufte mir einen echttürkischen Tschibnk, aus dem ich eben die blaue
Dampfwolke der Zufriedenheit in die Luft blase, während ich diese
Zeilen niederschreibe.
Landschaften und Staaten nordwestlich vom Nyanza-See.
Wir haben über Speke und Grant vorerst weiter keine
Nachrichten, als daß sie auf ihrem gefährlichen und beschwerlichen
Zuge vom Nyanza-See ans glücklich zu Gondokoro am Weißen
Nil und dann zu Chartum am Zusammenflüsse des Blauen und
des Weißen Stroms angelangt seien. Nähere Nachrichten werden
nicht lange auf sich warten lassen und wir erfahren dann, ob sie
jenen See befahren haben, oder ob sie ans der West-oder der Ostseite
desselben nach Norden hin gewandert sind. Gleichviel aber, welchen
Weg sie genommen haben, — sie müssen durch Regionen gekommen
sein, welche uns seither völlig unbekannt geblieben sind. Das Land
zwischen dein Ostuser des Nyanza und den hohen Bergen von
Ukambani (dem Kenia, Ambolla und Kilimandscharo) ist eben so
wenig von einem Europäer betreten worden, wie jenes im Norden.
Ucber das letztere haben wir nur mehr oder weniger ungewisse
Nachrichten, welche Richard Bnrton zu Kaseh in Nnyamnesi von
arabischen Handelsleuten einzog. Man muß sie für das nehmen,
was sie sind, Kanfmannsberichte, in denen sich ohne Zweifel manche
Uebertreibungen befinden; sie erscheinen aber gerade jetzt, da man
mit gerechter Spannung den Berichten Speke's entgegensieht, von
erhöhtem Interesse. Jedenfalls haben die Reisenden über jene Land-
schaften Manches erfahren, und man wird später einen Vergleich
zwischen den Angaben, welche wir bis jetzt kennen, und denen der
neuesten Forscher anstellen können.
Neulich theilten wir eine Charakterschilderung der ostafrikani-
schen Negroiden mit, welche Burton besucht hat. Sie sind voll-
wüchsige Barbaren; aber weiter nach Norden hin, in der Region
des Nyanza-Sees, erscheinen die Zustände schon etwas höher ent-
wickelt. Zwar ist auch dort die Barbarei groß, allein die Menschen
haben doch wenigstens einen Anlauf zur Bildung von Staatswesen
gemacht, und das ist, so roh und wild die Verhältnisse auch sein
mögen, doch schon Etwas. Es versteht sich in Afrika von selbst,
daß die Herscher ganz despotisch walten; in den drei Staaten
Uganda, Usoga nndKaragueh schalten Sultane mit unum-
schränkter Gewalt, während die Stämme am Ostufer des Tanga-
nyika- Sees, z. B. in Uvinsa und Ndschidschi, als rohe Republiken
zu bezeichnen sind, oder vielmehr als anarchische Gemeinden, und in
Nnyamnesi und Nrundi die Häuptlinge nur geringe Gewalt besitzen.
Wo in Afrika Einherrschaft sich befestigt, ist sie allemal despotisch.
Jene drei eben genannten Landschaften im Norden deöNyanza-
Sees zeigen sich den früher geschilderten Negroiden zwischen der
Ostküste und dem Tanganyika-See schon dadurch überlegen, daß
Despoten herrschen und die Lente in großen Ortschaften beisammen
wohnen. Den welcher mit großer Strenge über sie herrscht, verehren
sie, und als Fortschritt darf es schon betrachtet werden, daß sie einen
gewissen Rangnnterschied, nicht die persönliche GleichheitAller haben,
wie jene barbarischen Negroiden. Bei diesen ist Alles anarchisch, bei
jenen eine gewisse Regel und Ordnung. Sie wissen, und das ist
j schon viel, was im Handel Kredit bedeutet, sind gastlich gegen
19*
148
Landschaften nnd Staaten nordwestlich vom Nyanza See.
Fremde. Burton sah in Kaseh einige Schwarze aus Karagueh
und fand an ihnen ein viel weniger thierisches Gepräge als bei den
Negroiden.
Karagueh liegt im Westen des Nyanza-Sees; die Süd-
grenze dieses Landes erreicht mau von Kaseh aus in 20 Tagereisen;
Burton verlegt sie in etwa 2° 40' S. Br. Der Weg dorthin führt
durch die Landschaft Usui und die Reisenden haben zuweilen einen
Blick auf den Nyanza. Man kann das Königreich Karagueh in
zwölf Tagen durchwandern; die Nordgrenze wird vom Flusse
Kitangnli gebildet, der von Südwesten nach Nordosten in den
Nyanza mündet, wahrscheinlich ganz in der Nahe des Aequators.
Ausläufer der Gebirge von Karagueh erstrecken sich bis in die
Nähe des Sees; jene scheinen bis zu 8000 Fuß Meereshöhe sich
zu erheben. Die Bewohner sind zu träg, um Bäume zu fällen,
sie benutzen Kuhdünger als Brennstoff. Karagueh ist eine Hoch-
landmasse; es wird begrenzt im Norden von Unyoro, im Süden
von Usui, im Osten von Wahaya- und Waporo-Stämmen, welche
die Ebene am Westufer des Nyanza bewohnen, und im Südwesten
reicht es nach Urundi hinein. Diese letztere Landschaft liegt im
Nordosten des Tanganyika. In Karagueh dauert der feuchte
Monsun 7 bis 8, der trockene Sommer nur 4 bis 5 Monate. Reis
wird nicht gebaut, wohl aber Mais und Durrah. Das Rindvieh
bildet einen hübschen Schlag, mit kleinen Höckern und großen
Hörnern. Man berechnet die Heerden nach Bullen, deren man je
einen auf hundert Kühe annimmt; der Reichthum besteht in den
Heerden. Rindfleisch und weißer Gebirgshouig werden von allen
Wohlhabenden genossen.
Das Volk zerfällt in zwei Klassen, die Wahuma nnd die
Wanyambo, deren gegenseitige Stellung etwa so ist, wie jene
des Patrons zum Klienten, des Patriziers zum Plebejer. Die
Wahuma sind die Reichen, die Besitzer größerer Heerden. Die
Krieger des Sultans erhalten ihren Sold in Milch,
nnd zwar in der Art, daß der Herrscher den Einzelnen Kühe zu
zeitweiliger Benutzung überläßt. Die Wanyambo werden von
den Wahuma gleichsam als Sklaven behandelt. Die Mädchen
werden mit Milchbrei förmlich gemästet, denn Wohlbeleibtheit gilt
für schön; die Männer trinken frische Milch, die Frauen nur saure.
Die Hautfarbe hat nicht bas Schwarz der Negroiden, sondern
spielt in's Gelblichbräunliche. Jedermann trägt einen Schurz von
Mbugu, d. h. Baumrindenzeug; aber Viele gehen ganz unbekleidet.
Beide Geschlechter tragen als Kopfputz die ans Fäden gezogenen
rothen Samenkörner der Abruspflanze; im Uebrigen haben sie
Glasperlen und Armbänder. Die Hütten sind rund und kugel-
förmig, die Dächer so dicht, daß der Regen nicht durchdringt. Die
Dörfer liegen auf Hügelkämmen, überhaupt auf Anhöhen.
Im Jahre 1858 hieß der Sultan (Mkama, Herrscher) von
Karagueh Armanika. Seine Residenz lag in dem centralen Be-
zirke Weranhandscha; das Dorf, in welchem nur Mitgliederder
Königsfamilie wohnen dürfen, besteht aus 40 bis 50 Hütten. Der
König, damals ein Mann von etwa 35 Jahren, trägt ein Kleid
aus Baumrindenzeug, obwohl er eine Sammlung hübscher Ge-
wänder besitzt, welche die arabischen Kaufleute ihm zum Geschenk
gemacht haben; er schmückt sich mit Schnüren von Glasperlen, mit
denen er die Beine vom Fußknöchel bis zum Knie umwindet. Er
genießt keine geistigen Getränke, die bei seinen Unterthanen sehr be-
liebt sind, und hat nur zwölf Frauen.
Dem Sultan steht ein Minister zur Seite, welcher deu Titel
Muhinda führt. Er ist Obmann über die Wakundu, d. h.
Aeltesten und Häuptlinge, welche in jedem Monate dem Sultun
die Abgaben einzuliefern haben; dieselben bestehen in Sklaven,Elfen-
bein und Lebensmitteln verschiedener Art. Die Landesgesetze sind
blutig. Mörder werden mit einer Lanze niedergestoßen nnd hinter-
her geköpft; Aufrührern und Dieben dreht man mit den Finger-
gelenken der rechten Hand die Augen aus. An einen Menschen,
der Bohnen und Salz genießt, darf Niemand Milch
verkaufen, weit dann die Kühe behext werden.
Die arabischen Kanfleute in Kaseh versicherten, daß ein Euro-
päer in Karagueh eine freundliche Aufnahme finden werde; es
würde ihn aber viel kosten, weit er die Würde seiner weißen Haut
nach Gebühr aufrecht erhalten müsse. Die Araber holen aus
Karagueh Rindvieh, Sklaven und Elfenbein; das Letztere ist un-
gemein weiß und weich; die Zähne sind sehr groß. Das Land hat
Eisen, und bei den heißen Quellen im Gebirge lagert sich Schwefel
ab. Die Kaurimuschel, welche dort Simbi genannt wird, bildet
die Scheideinünze.
Vom Flusse Kitanguli gelangt inan nach Norden hin in
15Stationen nach Kibuga (0° 10' S.Br.?), dem Hauptdistrikte
von Uganda, und dort wohnt der Sultan, lieber diese Stadt hin-
aus sind die arabischen Kaufleute nicht gekommen; der Sultan litt
es nicht, weil er seinen nördlichen Nachbarn die Vortheile des
Handels mit den Fremden nicht gönnen wollte.
lieber Kibuga erzählten die Araber in Kaseh allerlei Ueber-
triebenes. Dort sagen sie, wohnt der große Mkama, der Ober-
herrscher des Landes Uganda. Die Ortschaft ist eine Tagereise
lang; die Wohnungen sind ans Schilfrohr und Rattan gebaut:
der Palast des Sultans ist wenigstens eine halbe Stunde lang,
die Hütten stehen in geraden Reihen nnd sind von einem starken
Zaun eingefaßt, der nur vier Eingänge hat. An diesen stehen alle-
zeit viele Wächter, die man jeden zweiten Tag ablös't; Nachts
liegen sie unter ausgespaunten Kuhhäuten und müssen stets zu des
Sultans Dienste bereit sein. An den Eingängen sind Schellen-
glocken aufgehäugt; diese werden geläutet, wenn Fremde ankommen.
Das Harem des Königs enthält wohl an dreitausend Köpfe:
Frauen, Kinder nnd Sklavinnen; kein männliches Wesen, und wäre
es auch ein Hund, darf über den Barsah hinaus in den Palast
eindringen. Der Barsah ist eine Halle, in welcher der König Ge-
hör giebt, Recht spricht nnd die Abgaben in Empfang nimmt. Die
Araber erzählten folgendes Histörchen: „Der Palast des großen
Mkama ist mehrmals vom Blitz in Brand gesteckt worden. Bei
solchen Fenersbrünsten müssen sich die Krieger versammeln, sich mit
ihren Leibern in's Feuer wälzen und solchergestalt das Feuer ans-
löschen."
Sultan Suna, der große Despot von Uganda, verlangte von
jedem Fremden, der zu ihm kam, eine Arznei gegen den Tod
und einen Zauber gegen den Blitz. Als er einst nach Landes-
sitte auf dein Rücken eines seiner Räthe ritt, wurde er von einem
Speerträger ermordet. Das war im Jahre 1857. Der Thron-
folger muß, nach Landesbrauch, zwei Jahre lang in gänzlicher
Zurückgezogenheit leben; so lange regieren die Räthe in seinem
Namen. Das Heer, — wir berichten immer nur, was die Araber-
in Kaseh erzählten, — ist 300,000 Mann stark. Jeder Krieger
bringt zur Musterung ein Ei mit, das er abliefert, damit eine
Zählung stattsinden könne; er führt eine Lanze, zwei Wurfspieße,
einen langen Dolch und einen Schild; Bogen und Schwerter hat
man nicht; Lebensmittel, Wasser und Waffen werden dem Heere
von Weibern nnd Kindern nachgetragen. Beim Gefecht werden
Trommeln mit Stäben geschlagen; wenn die Trommeln schweigen,
ergreift Alles die Flucht.
Der große Herrscher führt gewöhnlich Krieg mit einem seiner
Nachbarvölker, und in Ermangelung auswärtiger Feinde greift er,
um seinen Schatz zu füllen, unter beliebigem Vorwand eine seiner-
eigenen Provinzen au, läßt die Vorsteher todtschlageu und verkauft
die Bauern. Hinrichtungen sind äußerst beliebt, denn in Afrika
weiß man nicht, was es heißt, ein Menschenleben schonen; nicht
selten werden ein Dutzend Menschen gleichzeitig abgethan. Als die
Araber dem Sultan «suna Vorstellungen gegen solche Grausam-
keit machten, äußerte er: es gebe kein anderes Mittel, die Unter-
thanen in Furcht zu erhalten und Verschwörungen vorzubeugen.
Zuweilen nimmt der Sultan Krieger mit auf die Jagd; sie
müssen dann unbewaffnet Angriffe ans die wilden Thiere
machen, und insbesondere versuchen, ob sie durch große Ueberzahl
einen Elephanten bewältigen können. In einem Dorfe, durch
Der Moorrauch und die trockenen Lufttrübungen.
149
welches der Sultan zieht, erhebt er nach altem Herkommen einen
lauten Schrei; die Bauern antworten dann mit Hörnern, Rohr-
pfeifen, eisernen Pfeifen und derartigen Instrumenten mehr.
Sultan Sima setzte sich, wenn er große Musterung über seine
Soldaten hielt, vor das Thor seiner Palasthütte, hielt in der rechten
Hand einen Speer und in der linken einen laugen Riemen, an
welchem sein großer Lieblingshund befestigt war. Der Hunde-
meister bekleidet eine hohe „Charge"; er ist gleichsam Hofmarschall
der königlichen Menagerie, in welcher Löwen, Leoparden k. ge-
halten werden. Snna ließ ihnen manchmal Verbrecher vorwerfen.
Er hatte auch 12 Negerkakerlaken, Albinos. Dieser Sultan hatte
eine röthliche Haut; sein Haupt war derart geschoren, daß nur ein
schmaler Haarstreifen stehen blieb, der von der Stirn bis zum
Nacken läuft und wie ein Hahnenkamm aussieht. In diesen flocht
er eine Menge von Glasperlen und Porzellankügelchen, und diese
eigenthümliche Art von Königskrone bewegte sich von einer Seite
zur andern. Nur die Angehörigen des königlichen Palastes dürfen
das Haar auf solche Art scheeren, allen anderen Leuten ist sie ver-
boten. Der Bauer darf sich Haarflecke nach Belieben auf dem
Kopfe stehen lassen, aber es ist ihm bei Todesstrafe verboten, sich
das ganze Kopfhaar abzuscheeren.
Die Araber ärgerten sich sehr über den Hochmuth dieses heid-
nischen Königs, der sich selber als Allmächtigen und Löwen be-
zeichnete. Er rühmte sich vor ihnen, er sei Gott der Erde, wie ihr
Allah ein Gott des Himmels; er fluchte dem Blitz und verlangte
von seinen Unterthanen göttliche Verehrung. Er hatte mehr als
einhundert Söhne, die er alle von früher Jugend an hatte ein-
sperren lassen. Sie waren mit eisernen Halsbändern uitd Ketten
an einen Pfahl so befestigt, daß sie niemals sitzen und ohne Bei-
hülfe weder liegen noch anfstehen konnten. Der Kronprinz wurde
1857 aus dem Gefängnisse auf den Thron gehoben; seine Brüder
blieben im Gefängnisse.
Als obersten Minister hat der Herrscher von Uganda einen
Kimaro weiona, d. h. „der alle Dinge fertig macht". Er ordnet
die Angelegenheiten der Hauptstadt und die Vorsteher der Dorf-
schaften sind ihm untergeben. Der Sakibobo ist eine Art von
Kriegsminister, unter welchem auch die Bauarbeiter und Sklaven
des königlichen Hüttenpalastes stehen. Jedes Dorf hat einen Richter;
schwere Verbrecher werden geköpft oder verbrannt; in einzelnen
Fällen schindet man ihnen auch wohl lebendig die Haut ab und
fängt dabei mit dem Gesicht an. Für das Entrinnen eines Ver-
brechers ist das ganze Dorf verantwortlich; sobald sie ihn nicht
wieder herbeischaffen, werden die Männer hingerichtet, die Frauen
als Sklavinnen verkauft.
Sultan Snna nahm in Kibnga die arabischen Kaufleute immer
sehr freundlich ans. Der in Burton's Reisebeschreibung mehrfach
erwähnte Sney ben Emir aus Kaseh war 1852 am Hoflager ge-
wesen. Der Sultan hatte Zelte für ihn aufschlagen lassen, be-
schenkte ihn mit Kühen, Getreide, Bananen und Zuckerrohr, und
ließ ihn am vierten Tage nach der Ankunft zur Barsah, der schon
oben erwähnten Audienzhalle, geleiten, wo ein paar tausend mit
Stäben bewaffnete Leibwächter am Boden saßen. Der Araber
durfte seine Waffen behalten, wurde von einem Dolmetscher dem
Sultan vorgestellt und begrüßte diesen. Neben Snna lagen zwei
Sperre und ein Hund. Sney ben Emir kniete nieder, beugte seinen
Rücken, sah zur Erde nieder, um nicht in das Antlitz des „Gottes
ans Erden" zu blicken, und legte die Hände in den Schooß. In
einer Entfernung von etwa fünfzig Schritten, zwischen dem Sultan
und der Leibwache, saßen die Minister, und auf der innern Seite
des Palastes die Hauptsrauen des Sultans, derart, daß sie nur die
Rückseite des Arabers sehen konnten. Ringsum brannten Fackeln
von einer viel Gummi enthaltenden Holzart.
Sney ben Emir äußerte: ein Europäer, der Mittel genug be-
sitze, um seine Würde aufrecht erhalten zu können, würde mit Aus-
zeichnung inKibnga empfangen werden; aber das Weitertommen
hänge von seinem Scharfsinn oder gutem Glück ab; vielleicht sei
es, zur Erforschung der Flüsse im Norden des Nyanza-Sees, am
besten, mit Erlaubniß des Herrschers irgendwo an der Westküste
Boote zu kaufen oder bauen. Snna selbst habe eine Flotte von
Matumbi, d. h. unbedeckten Fahrzeugen.
Diese Fingerzeige sind für Speke's und Grant's Reise
nicht ohne Belang. Der arabische Kaufmann bemerkte übrigens
auch, der Sultan betrachte den Besuch, welchen die Handelsleute
in Kibuga machen, als Ehrenbezeugung für seine Person; ein
weiteres Vorgehen nach Norden dulde er auch deshalb nicht, weil
ja sonst feindliche oder kleinere Häuptlinge sich rühmen könnten,
daß ihnen eine gleiche Ehre zu Theil geworden sei!
Im Norden, Nordwesten und Westen von Uganda liegt, wie
die Araber in Kaseh sagten, das unabhängige Unyoro; nach
Nordosten hin wohne ein Volk, das lange Dolche trage, wie die
Somal; das ist vielleicht ein Gallastamm. Ob der Nyanza-See
nach Norden hin über den Aeqnator hinausreicht, werden wir durch
Speke nun erfahren. Die Araber wollten wissen, daß man in 15
bis 20 Tagereisen von Kibuga ans an den Kiwirafluß gelange;
er fließe rascher und sei größer als der Katong a, welcher die Nord-
grenze von Uganda und die Südgrenze von Unyoro bilde. Südlich
vom Kiwira liege Usoga, ein niedriges, von vielen Bächen und
Lagunen durchschnittenes Alluvialland, das mit Wald und dichtem
Gestrüppe bedeckt sei.
Burton befragte in Kaseh Leute aus jenen Gegenden, ob sie
etwas von den, auch im Globus mehrfach erwähnten, Nyam Nyam
wüßten (bis zu denen Petherick vordrang); sie hatten aber nie etwas
von einem solchen Volke gehört. Eben so wenig kannten sie den
Namen der Vary oder Berry, oder der Schilluks, welche im
Westen des ober» Weißen Stroms wohnen, oder der Dinka im
Osten desselben.
Wie viel oder wie wenig an diesen Angaben der arabischen
Kaufleute wahr ist, können wir nicht ermitteln, bis Speke's und
Grant's Berichte vorliegen. Manches erscheint glaublich und er-
innert an die Verhältnisse im Lande des Muata Cazembe, der ein
heidnischer Negersultan in der Art jener von Karagueh und Uganda
ist; nur trägt bei diesem Letzter» Alles ein etwas mehr barbari-
sches Gepräge.
Der Moorranch und die
Aus dem nordwestlichen Deutschland hören wir auch in diesem
Jahre wieder Klagen über die entsetzliche Oual, welche dort weit
und breit der Moorrauch verursacht. Er ist bis tief in's Innere
von Deutschland gedrungen und hat, z. B. am 11. Mai, auch in
ganz Sachsen die Luft verpestet.
Dieser Moorrauch bildet eine ganz abscheuliche, eine fast
unausstehliche Landplage. Sobald im Frühjahre die Bäume knospen
und die Blüten noch schüchtern hervorlugen, sobald etwa acht Tage
trockenen Lufttrübunzen.
lang der Ostwind trockenes Wetter gebracht hat, dann beginnt auch
sofort diese entsetzliche Trübung, die wie ein Mehlthau in der Luft ist.
Wer sie nicht in der Gegend zwischen Weser und Ems und im west-
lichen Westphalen selber kennen gelernt hat, macht sich schwerlich
einen Begriff, wie geradezu gräßlich dieser heillose Qualm wirkt.
Die Moore sind über den ganzen Nordwesten von Deutschland
verbreitet. Sie beginnen schon, wenn auch erst in kleinerm Um-
fange, im Osten der Weser, und ziehen sich durch Oldenburg und
150
Der Moorrauch und die trockenen Lnfttrübnngen.
Westphalen nach Holland hinein. Zusammengenommen haben sie
sicherlich einen Flächeninhalt von weit über 100 Quadratmeilen.
In dem kleinen Ostfriesland bedeckt das Hochmoor 12y2, dann, so
weit es zwischen dem Huimling, der Hunte, Leda und Ems im
Arembergischen eine zusammenhängende Fläche bildet, reichlich 28,
am linken Emsufer 25 Quadratmeilen, also zu beiden Ufern der
Ems mehr als 65.
Diesen und vielen anderen Moorstrecken zwingt man künstlich
einigen dürftigen Ackerbau auf, um Buchweizen und etwas Roggen
zu gewinnen. Die in früheren Zeiten weit dünnere Bevölkerung
in den Moorgegenden wird wohl auch Moor gebrannt haben, um
dem dürftigen Boden eine spärliche Aschendecke zu verschaffen und
etwas Haidekorn zu ziehen; der Moorrauch wird auch vor Jahr-
hunderten schon lästig geworden sein, aber doch nur in geringerm
Umfange als jetzt, wo gleichzeitig auf Strecken von vielen Meilen
die Erde brennt. Die Holländer machten den Anfang mit der Grün-
dung von Moorkolonien, im Beginn des achtzehnten Jahrhunderts
wurden dergleichen auch in Ostfriesland angelegt, und in anderen
Gegenden folgte man dem Beispiele. Die Moorbrennerei wurde
nun in ein regelrechtes System gebracht und damit zu einer all-
jährlich wiederkehrenden Landplage.
Schon im Herbste sticht der Moorbauer die verfilzte Oberfläche
des Moorbodens in der Dicke von ein paar Zollen ab, und bildet
aus solchen Moorsoden oder Plaggen größere oder kleinere pyra-
midenförmige Erdhaufen, in denen er Luftlöcher läßt, damit der
Wind sie durchziehen und trocknen könne. Solche Pyramiden be-
decken dann weit und breit das Land, sie stehen da wie Garben auf
dein Felde.
Der Frühling kommt heran, der Winter ist gewichen, der
Schnee ist hinweggeschmolzeu, die Erde bekleidet sich mit Grün;
der Westwind hat Regen gebracht. Man athmet milde Lüfte und
erfreut sich an dem hervorkeimenden Grün. Dieses wächst lustig
empor, wenn zu Ende Aprils und Anfang Mais bei Ostwind
heitrer Himmel und warme Tage kommen. Dann hat der deutsche
Nordwesten ein paar schöne Tage des Vorfrühlings; aber um
den eigentlichen, wirklichen, blumenreichen Frühling betrügen ihn
die Moorbauern. Der Ostwind trocknet die Pyramiden, und sofort
geht der Brenner in's Moor. Er hat hohe Klotzschuhe an den Füßen,
einen mächtigen Klütenstock, der an einem Ende mit einer Gabel
versehen ist, in den Händen, und springt vermittelst desselben über
die Gräben, welche das Moor durchziehen. Er weiß, daß die Erd-
haufen nun trocken sind, legt Feuer in sie hinein, und — mit der
Anmnth des Frühjahrs ist es vorbei! Denn der Moorbauer hat
das Recht, mit dem Brennen so früh zu beginnen, wie es das
Wetter irgend erlaubt, aber mit dem Johannistage, 24. Juni, muß
er aufhören. Es giebt Jahre, namentlich solche, in denen das
Wetter häufig wechselt, in denen von Ende April bis gegen Ausgang
des Juni auch nicht ein einziger Tag ohne stinkenden Moor-
qualm ist.
Unterhalb der Stadt Bremen, nach Vegesack hin, ist das Ufer
der Weser hoch; man hat von dort herab einen weiten Blick über
das Oldenburger Land. An einem heitern Morgen sah ich, wie in
der Ferne der bis dahin blaue Himmel sich trübte, einzelne Qualm-
säulen stiegen empor, der Rauch derselben vereinigte sich oben in
der Luft und bald war Alles ein dicker Dunst. Dieser rückte nack-
allen Seiten hin immer weiter, lagerte sich ans den Strom, kam
auch ans das rechte Ufer, und nach Verlauf von zehn Minuten konnte
man buchstäblich nicht drei Schritte weit sehen. Am ärgsten und
dicksten habe ich den Moorrauch an einem Maitage 1856 verspürt.
Ich war von Bremen nach dem kaum drei Viertelstunden entfernten
Dorfe Hastedt gegangen, um von dort auf dem hohen Weserdeiche
nach der Stadt zurückzukehren und mich am Wasser und dem Grün
der Wiesen zu erfreuen. Auf dem Heimwege überfiel mich der Moor-
ranch so plötzlich, so dick, dicht und so penetrant stinkend, daß mir
unwohl wurde. Ich bekam Kopfschmerz, die Thränen flössen mir
ans den Angen, das Einathmen dieses geradezu infamen, brenze-
ligen Qualms war peinlich; meine Stimmung wurde in hohem
Grade gereizt und mich wandelte ein nervöses Zittern nach dem
andern an. Ich konnte buchstäblich die Hand vor den Augen nicht
sehen und wagte mich ans dem Deiche nicht vorwärts, um nicht
nach der Weser oder nach der Wiese hin herunter zu fallen. Erst
nach Verlaus von etwa zwei Stunden wurde die Luft ein wenig
leichter und ich konnte meinen Rückweg antreten; bis dahin hatte
ich ruhig auf dem Deiche gesessen und Cigarren geraucht, die eine
Wohlthat waren, weil der Tabak die Qual des Moorrauches einiger-
maßen milderte. Daß der Moorrauch bei sehr vielen Leuten eine
gereizte Stimmung hervorbringt, ist eine ausgemachte Sache, und
der Schreiber dieser Zeilen hat es am 11. Mai wieder an sich er-
fahren; bei schwächeren Leuten, namentlich bei Frauen, bewirkter
sogar Zuckungen.
Das Alles kümmert aber den Moorbauer nicht im mindesten.
Dieser schweigsame, phlegmatische Gesell denkt nur an seinen Buch-
weizen. Er wirft mit seiner Gabel das Feuer von einem Haufen
zum andern, geht dazwischen, rußig, angeschweelt nnd gebräunt
umher, breitet die Aschenhaufen auseinander, gewinnt so eine Art
von Ackerkrume, erwartet Regen und säet seinen Buchweizen. In
einigen Gegenden brennt man Moor auch im September, trat Winter-
roggen einzusäen; aber die Moorbrände im Herbst sind gegen jene
im Frühjahre nur unbedeutend; Buchweizen, „Haidekorn", ist das
Hauptgetreide im Moor.
An jedem trocknen Morgen wird „gebrannt", nnd in den ersten
Stunden des Nachmittags sind die Plaggenpyramiden in Asche ver-
wandelt. Dann hört im Moore selbst der Qualm aus und die Luft-
trübung ist dort nur sehr schwach oder gar nicht mehr vorhanden; der
Moorbrenner selbst hat einen heitern Abend. Aber weit und breit
wird die Umgegend verpestet. Der Qualm steigt bis znr Höhe der
größten Alpengipfel, 10 bis 14,000 Fuß empor, der Wind führt
ihn, je nach den verschiedenen Luftströmungen und verschiedenen
Höhen, hunderte von Meilen weit. So kommt es, daß man Moor-
qnalm, Haarrauch, Landrauch, Sonnenrauch, denn alle
diese Namen führt diese Lufttrübung, in England und auf dem
Atlantischen Ocean bemerkt, und ihn gleichzeitig in ganz Nieder-
sachsen, Obersachsen, Thüringen, Böhmen und bis an die Kar-
pathen verspürt.
Ernst Erhard Schmid bringt in seinem vortrefflichenGrund -
risse der Meteorologie (Leipzig, Voß, 1862) einige Angaben
über den Moorranch des Jahres 1857. Im April wehte der Ost;
vom 27. jenes Monats an trockneten die Pyramiden schnell ans,
gleich zu Anfang des Mai's begann das Brennen. Der Wind war
Nord und Nordost, voin 8. an spielte er zwischen Ost nnd Südost.
Am 24. nnd 26. Mai sielen starke Gewitterregen und das Moor-
brennen mußte eingestellt werden; aber am 2. Juni konnte man
wieder anfangen nnd es dauerte einige Zeit fort. Am 10. nnd
> 1. Mai verspürte man den Moorrauch zu Ansbach in Franken, vom
16. bis 18. in ganz Westphalen, bis an den Rhein, namentlich im
Siebengebirge, auf der linken Rheinseite im Ahrthale; gleichzeitig
in Thüringen, Oberschlesien und Frankfurt, ani 19. in Bamberg,
am 17. und 18. in Wien, am 19. in Krakau.
In den Gegenden, wo mau keine Moore hat und nicht weiß,
was ein über unabsehbare Räume gleichzeitig verbreiteter Erdbrand
sagen will, hegt man im Volke den Wahn, der Moor- oder Höhen-
rauch sei ein „krepirtes Gewitter". Das ist jedoch vollkommen
unrichtig; eben so unrichtig ist die Annahme, daß er Regen nnd
Gewitter vertreibe; er kann nur bei heiterm Wetter entstehen.
Wir wollen hier einer Lnfttrübnng erwähnen, welche Schmid
nicht anführt und die wir auch in anderen Handbüchern nicht finden.
In Aucatan nämlich kommt ein eigenthümlicher Höhenrauch
vor, welcher, ähnlich jenem unseres dentschenNordwestens, durch Holz-
und Erdbraud hervorgerufen wird. Diese mittelamerikanische Halb-
insel, welche zwischen dem Busen von Campeche nnd jenem von
Honduras weit in's Meer hineinragt (17 bis 22« N. Br.j, bat
tropische Hitze und im April steigt dieselbe bis auf 42« C. In
Der Moorrauch und die trockenen Lufttrübungen.
151
diesem Monate wird die Milpa vorgenommen, das heißt, man
richtet den Boden her, um Mais zu säen. Milpear heißt: die
Ernte einthun, den Mais einheimsen. Jeder Hacendado, Grund-
besitzer, bezeichnet einen Theil seines Waldgestrüppes, mit welchem
Aueatan zum großen Theil bedeckt ist, zur Lichtung. Die indiani-
schen Arbeiter ziehen im September dorthin, Hanen Stämme und !
Gestrüpp nieder und lassen alles liegen, damit es in der Sonne !
trockne. Im Frühjahr ist Alles knochendürr und im April steckt j
man es in Brand. In jenem Monate weht ein starker, regel-
mäßiger Wind, der die Flamme in einer bestimmten Richtung vor
sich hertreibt und den Qnemason, Brand, rasch bewerkstelligt.
Es kommt viel darauf an, daß Alles Holz zu Asche werde, gerade
wie beim Moorbrennen, daß die Plaggen rein ausglühen, denn
die Asche bildet den Dünger. Im Mai fällt allemal befruchtender
Regen. Diese Art, den Acker zu bestellen, erklärt sich aus der
Bodenbeschasfenheit. Ganz Ancatan ist kalkig; die Bewohner haben
nur wenige Hausthiere oder eiserne Geräthe, und vor der spani-
schen Eroberung waren die beiden letzteren völlig unbekannt. Die
alten Indianer konnten also nicht in europäischer Weise einen
harten, von Kalk überwucherten Boden bestellen, sie hatten keinen
Dünger. Die Asche ersetzte den letztern, und in einem heißen Lande
hatte das Holz nur geringen Werth. Zur Zeit des Qnemason nun
lodert nicht nur die ganze Halbinsel Iucatan in Flammen, sondern
auch in den angrenzenden mexikanischen Saaten Tabasco und
Chiapas findet ein ähnliches Verfahren statt, so daß das Feuer
über einen weiten Flächenraum gleichzeitig verbreitet wird. Dann
ist der ganze Dunstkreis erst mit Rauchwolken erfüllt, nachher mit
einem dichten Nebel, durch welchen, wie bei unferm Moorrauche,
die Sonne wie ein glühender aber strahlenloser Feuerball hindnrch-
scheint. Die Hitze steigt manchmal, wie schon bemerkt, bis zu
42 Grad. —
Mit dem Moorrauch ist eine andere trockene Trübung, der
„ H ö h enra uch ", nicht zu verwechseln. Dieser hat mit jenem Aehn-
lichkeit oder, wie man auch annimmt, gleiche Beschaffenheit, er tritt
aber nicht periodisch auf, wie die später zu erwähnende Callina
in Spanien oder der Quobar in Abessinen, auch nicht in einem
bestimmt begränzten Zeiträume und an gewissen Tagen, wie der
Rauch vom Moorbrande, sondern stellt sich plötzlich ein, breitet
sich außerordentlich weit aus und hält sehr lange an. Das Letztere
ist beim Moorranch nicht der Fall; dieser verschwindet bald und
der Regen reißt ihn nieder.
So viel ich weiß, haben die Meteorologen diese Erscheinung
noch nicht erklären können; Schmid weiß auch nichts und sagt nur:
„Was man über die chemische Natur des Höhenrauches gesagt hat,
ist größtentheils ohne Belang."
Der Sommer von 1831 hatte besonders starkenHöhenrauch,
der mit dem Moorrauche nicht verwechselt werden darf. Man be-
merkte ihn am 3. August an der Küste (— welcher k —) von Afrika,
am 9. zu Odessa am Schwarzen Meere, am 19. in Frankreich, am
15. in Neuyork. Er wurde so dicht, daß man die Sonne mit un-
geschütztem Auge betrachten konnte (— was sehr oft auch beim
Moorrauch der Fall ist —); in Algier, in Nordamerika und im
südlichen Frankreich erschien die Sonne azurblau, dunkelgrün oder
smaragdgrün. Schmid fügt folgenden Satz bei, der uns nicht
ganz verständlich ist: „Während der Dauer dieser Trübung wurde
es jedoch nicht völlig Nacht, wenigstens, wo sie dicht war, wie in
Sibirien, Genna und Berlin."
Im Jahre 1783 war der Höhenrauch sporadisch sehr weit ver-
breitet. Er bedeckte in manchen Gegenden das ganze Himmels-
gewölbe und war so dicht, daß man die Sonne am Horizont gar
nicht, in größerer Höhe nur als eine glanzlose, rothe Scheibe sah.
Zuerst bemerkte man ihn am 29. Mai zu Kopenhagen, wo er sich
nach anhaltend heiterm Wetter entwickelte, an den meisten Orten
nach einem Gewitter, an einigen nach kaltem Wind, in England
bei anhaltendem Regenwetter. Zu Rochelle, also an der atlantischen
Küste Frankreichs, wurde er am 6 und 7 Juni beobachtet; zu Dijon,
also in Burgund, am 14., dann nach einer Unterbrechung wieder
am 18. Um diese Zeit stellte er sich zugleich in vielen Gegenden
in Deutschland, Frankreich und Italien ein, verbreitete sich rasch
über ganz Europa, Nordafrika und Ostasien, über das Adriatische
Meer und die Nordsee, über den Atlantischen Ocean bis 50 Meilen
weit von der Küste. Am 19. Juni beobachtete man ihn zu Franecker
in den Niederlanden, am 22. zu Spydberga in Norwegen, am 23.
auf dem St. Gotthardt und zu Ofen in Ungarn, am 25. zu Moskau,
gegen Ende des Juni in Spanien und zu Anfang des Juli am Altai.
Zuweilen ragten die Gipfel der Alpen über ihn hinaus; zu Nar-
bönne im südlichen Frankreich ging er nicht über 2400 Fuß Meeres-
höhe; bei Padua schien er aus der obern Atmosphäre herabzu-
kommen, erreichte aber den Boden nicht. Weder Wärme noch
Regen vertrieben ihn; selbst als zu Franecker binnen einer halben
Stunde 20'" hoher Regen siel, dauerte er fort. Um Ende Juni
und Anfangs Juli wurde er dünner, verdichtete sich aber noch ein-
mal sehr stark und dauerte, mit örtlichen und zeitweiligen Ungleich-
förmigkeiten, an den meisten Orten bis Ende Juli. Bei Kopen-
hagen blieb er aber unverändert noch den ganzen August hindurch
und verschwand erst am 12. September. Bei Franecker hatte man
an ihm einen schwefeligen Geruch wahrgenommen. Der Einfluß
auf den Pflanzenwuchs war sehr ungleich; in den Niederlanden
klagte man über frühes Absterben der Pflanzen, das aber auch
durch den ungewöhnlich heißen Sommer bewirkt sein kann. In
Italien hatte man dagegen eine ungemein reiche Ernte.
Von ganz anderer Art ist die Callina in Spanien. Diese
trockene Lufttrübung beobachtet man in den heißen Ebenen am
Guadalquivir, in der Mancha und in der Provinz Almeria, weniger
in den Gebirgen. Sie zeigt sich zu Mitte oder Ausgangs Juni
als ein bläulich-grauer Dunststreif rings um den Horizont; bei
steigender Hitze und bis Mitte August erhebt sich derselbe so hoch,
daß er zuletzt ein Viertheil des Himmelsgewölbes einnimmt. Die
Farbe des Dunstes am Horizont ist dann bräunlichroth. Höher
hinauf geht sie durch das Gelbliche in das Bleifarbige über. Die
Callina verhüllt alle Horizonte gänzlich, trübt die Aussicht auf
eine Entfernung von l'/s bis 2 Meilen, schwächt jedoch die Be-
leuchtung nahe gelegener Gegenstände nicht und ist völlig geruchlos.
! Vom Ende August nimmt sie, gleichzeitig mit der sinkenden Tem-
peratur, wieder ab und verschwindet beim Eintreten der ersten
Aequinoktialstürme Ende Septembers oder zu Anfang Oktobers.
Durch Gewitter, welche jedoch in Spanien zur Sommerzeit selten
sind, wird sie auf einige Tage bemerklich abgeschwächt. Mit dem
Brennen von Moor oder anderen Vegetabilien hat sie keinen Zu-
sammenhang. Das Volk hält sie für ein Erzeugniß der Hitze.
(Callina oder, richtiger, Calina, wird in spanischen Wörter-
büchern als „Heerranch, Höherauch, so viel als dicker Nebel zur
See" erklärt). Sie mag m.ittelbar ein Erzeugniß der Hitze sein,
unmittelbar ist sie ein Erzeugniß des über den staubigen, dürren
Ebenen Spaniens aufsteigenden Luftstroms.
Des Qkobar, einer trockenen Trübung im Aethiopien und
Centralafrika, haben wir schon früher im Globus erwähnt. Er
ist in seinem Erscheinen und in seinen Ursachen der Calina ähnlich
und bietet, wenn er schwach ist, dieselben Merkmale dar. Er nimmt
mit der Annäherung an den Aequator zu und ist am stärksten
über heißen Niederungen, in denen die Luft stagnirt.
152
Das Melken der Rennthiere.
Das Melken der Rennthiere.
Stockholm, lO. Mai L863.
In Nr. 30 des Globus ist eine Illustration geliefert, nach
welcher das Melken der Rennthiere ungefähr eben so ruhig und
friedlich herzugehen scheint, wie das der Kühe aus unseren Vieh-
höfen. Da diese Vorstellung gleichwohl ein ganz falsches Bild von
dem Hergange giebt, so wollen wir denselben im Folgenden zu
schildern versuchen, nachdem wir einige Bemerkungen über die Natur
des Rennthiers zum nähern Verständniß vorangeschickt haben.
Die Rennthiere sind ungemein lebhafte Thiere, welche, so
lange sie stehen, selbst wenn sie zusammengetrieben oder wohl gar
eingefangen und festgebunden sind, sich unablässig bewegen und
in jedem Augenblick ihre Stellung ändern, dabei auch immer
etwas von ihrer wilden Natur beibehalten und sich nie ganz zähmen
lassen. Wären sie dabei nicht so gesellige Thiere, die sich gern
aneinander schlössen, besonders wenn sie erschreckt werden, so würde
es den Lappen, selbst mit Hülfe ihrer vortrefflichen Hunde, unmög-
lich sein, die Heerde zu bewachen und zusammen zu halten. Nun
aber zerstreuen sich zwar die Thiere, während sie weiden, doch nie
sehr weit; und sobald die Wächter ihren Ruf oder die Hunde ihr
Gebell hören lassen, so eilen sie aufeinander zu, lassen sich treiben,
wohin man sie haben will, und wenn ja einmal ein Thier ans-
reißt, so entfernt es sich niemals weit. Ja es kehrt auch augen-
blicklich zurück, wenn es das Gebell des Hundes hinter sich hört,
denn es weiß, daß dieser ihm keine Ruhe gönnt, bis es wieder bei
der Heerde ist. Man sieht daher oft, daß es nicht das Weite sucht,
wenn es doch scheinbar leicht entkommen könnte, sondern gerade
auf die Heerde zueilt, selbst wenn der Hund in seinem Weg ist und
es daher Gefahr läuft, von diesem gebissen zu werden.
Ist es bei der Heerde, so verfolgt der Hund es nicht länger,
sondern hält sich ruhig in der Ferne, und wenn ja einmal ein junger,
unerfahrener, in den Laut seiner eigenen Stimme verliebter Hund
ein Rennthier auch dort noch verfolgt, so wendet sich dieses plötzlich
um, giebt ihm mit seinem Geweih einen Stoß, daß er zappelnd
auf dem Rücken liegt und gleich daraus, beschämt und heulend, mit
dem Schwänze zwischen den Beinen, Reißaus nimmt. Stolz blickt
dann das Rennthier dem Fliehenden nach, als wollte es sagen:
„Da hast du deine Lektion! Außerhalb der Heerde ist dein Platz;
hier in der Heerde hast du nichts zu thun!" und wendet sich darauf
zu den übrigen Rennthieren. Hier stößt sich das eine mit dem
andern; sie prüfen ihre gegenseitige Stärke, versteht sich, in aller
Freundschaft und Einigkeit; denn nur in der Brunstzeit fallen ernste
Kämpfe unter den Rennochsen vor. Bei solchem Spiel aber ge-
schieht es wohl, daß sich zwei Thiere dermaßen mit ihren ästigen
Geweihen verwickeln, daß sie ohne menschliche Hülfe sich nicht wieder
losmachen können, ja man hat sie ans solche Weise verwickelt todt
im Walde liegend gefunden.
Diese Eigenschaft der Geselligkeit wird aber auch oft das Un-
glück des Rennthiers; denn sobald ein solches von Wölfen (deren
es stets in der Nähe einer Rennthierheerde in großer Zahl giebt
und die einer solchen zu folgen pflegen) angefallen wird, stürzt es
sich in vollem Schrecken auf die übrigen. Diese schließen sich augen-
blicklich fest aneinander und zerstreuen sich erst, wenn schon mehrere
von ihnen die Bente der Verfolger geworden sind. Außerdem be-
wirkt diese Eigenschaft für Reisende, die mit Rennthieren fahren,
bisweilen ebenso komische als unangenehme Verwickelungen. Be-
gegnet man anderen Rennthieren oder Hunden, dann drängen sich
die vorgespannten Thiere aneinander, springen über die Schlitten
und veranlassen die größte Verwirrung. Da pflegt dann der Lappe
gleich alle Zugrennthiere hinter seinen Schlitten (Pulk, Ackjia)
zu binden und das eine vorgespannte und mit deniselben alle
übrigen hinter sich her ziehen.
Die Waldlappen, welche in den südlichen Theilen der
schwedischen Lappmarken am untern, etwa 15 Meilen breiten
Küstensaume des Bottnischen Meerbusens nmherziehen, aber sich
auch im Sommer nicht in die hohen Gebirgsgegenden an der nor-
wegischen Grenze begeben, haben dort kleine eingehegte Plätze
(Kerda), in welche sie während der Mückenzeit, im Juli und in
der ersten Hälfte des August, die Heerde täglich zwei- bis dreimal
treiben und dieselbe von ihren Plagegeistern dadurch befreien, daß
sie rundumher Feuer anzünden und feuchten Rasen, der vielen
Ranch verbreitet und die Mücken abhält, darauf legen, so daß die
Rennthiere der Ruhe pflegen und Wiederkäuen können. Hier melkt
man denn auch täglich einmal die Rennkühe; doch dieses geht nicht
so geschwind, denn jede Kuh muß eingefangen und von einer Person
gehalten werden, während die andere melkt. Dies geschieht, weil
das Thier in jedem Augenblicke seine Stellung ändert, immer stehend
und nur mit einer Hand; denn mit der andern muß das Melkgefäß
(Rappe, d. i. eine große Gelte, Napf) gehalten werden. Aus den
feinen Zitzen, deren die Rennkuh zwei hat, kommt nur ein sehr-
feiner Strahl, auch giebt jede nur wenig, so daß acht bis zehn
Rennkühe ihre Milch liefern müssen, um ungefähr ein Berliner
Quart zu füllen. Wenn die Kuh ausgemelkt oder die Gelte voll
ist, gießt man die Milch in eine Blase (Tjalmas), die man
im Busen trägt, und aus dieser hernach in einen Kessel, der an
einem Baume hängt.
In den nördlichen schwedischen und in den norwegischen Lapp-
marken (welche letzteren Finnmarken heißen, weil man in Nor-
wegen die Lappen allgemein Finnen nennt) giebt es
keine Waldlappen, sondern nur Berg- oder Gebirgslappen
(schwedisch Fjäll-Lappar, norwegisch Fjeld-Finner), welche
die hohen Gebirge besuchen und das ganze Jahr die Heerde unter
ihrer Aufsicht haben, während die Waldlappen dieselbe zweimal
des Jahres, jedesmal etwa sechs Wochen, nämlich von der Mitte
des Mai bis zum Ende Juni und von der Mitte des August bis
zum Ende des September, sich selbst überlassen. Bei diesen macht
das Melken der Rennkühe noch größere Schwierigkeit. Hier treibt
man einmal des Tages die ganze Heerde an den Ort, wo gerade
das Zelt (Kota) steht, welcher Ort Sjalj o heißt; und man wirft
der einen Rennkuh (V aja) nach der andern ein langes und dünnes
Seil aus Tannenbast und an dem einen Ende mit einer Schlinge
versehen um das Geweih; dann hält Einer sie fest, während sie
gemolken wird, und daran nimmt, wie beim Bewachen der Heerde,
der weibliche Theil der Haushaltung Antheil. Hier gilt es, jede
Vaja genau zu kennen und nicht eine und dieselbe mehrmals ein-
zufangen. Doch darin pflegen die Lappen sich niemals zu irren,
ja sie haben für jedes Thier ihrer Heerde besondere Namen,
selbst wenn die Zahl derselben auf mehrere Tausende steigt
(Sto ckfleth nennt einen Lappen, der 8000 Rennthiere besaß), und
der Besitzer erkennt schon in weiter Ferne jedes Thier und sieht
gleich, wie viele ihm fehlen.
Merkwürdig ist, daß die Menge der Milch gewöhnlich nicht
der Menge der Rennkühe entspricht, indem z. B. ein Fjäll-Lappe,
der 700 bis 800 Vajor besitzt, oft bei weitem nicht so viele Milch
von ihnen erhält als ein Waldlappe, dem nur 50 bis 60 gehören,
denn diese sind gewöhnlich zahmer und lassen sich leichter melken,
wogegen es an Zeit gebricht, jene sämmtlich zu melken. Manche
Gebirgslappen melken ihre Rennkühe gar nicht, sondern überlassen
die Milch den Kälbern, die sich dabei ausnehmend wohl befinden
und schneller heranwachsen. Diejenigen aber, welche ihre Renn-
kühe melken, suchen zum Theil die Kälber vom Saugen dadurch
abzuhalten, daß sie die Zitzen der Mütter mit Rennthierkoth be-
schmieren; viele aber gestatten das Sangen auch während der
Melkzeit und sehen nur darauf, daß diejenigen Kühe, welche ihre
Kälber verloren haben und welche Toptjah heißen, täglich ge-
melkt werden, damit ihnen die Milch nicht vertrocknet.
Die Milch ist ungemein fett, fast wie süße Sahne, so daß
Victoria's Mineralschatz.
153
man nicht viel davon verzehren kann; sie schmeckt besonders gut zu
Mülte- und Preißelbeeren. Manche Lappen bereiten Butter da-
von und erhalten verhältnißmäßig viel; doch ist diese ganz weiß
und hart wie Talg. Weit besser aber paßt die Milch zur Käse-
bereitung , indem sie wohl zehnmal mehr Käsestoff enthält als die
Kuhmilch. Die Lappen bereiten ihren Käse in runden, aus Bast
verfertigten Körben; überhaupt ist diese Zubereitung äußerst ein-
fach : sobald die Milch durch Lab geronnen ist, formt man sogleich
Käse daraus und setzt diese zum Trocknen hin. Hierzu benutzt der
Waldlappe ein eigenes Gerüst neben seinem Zelte (Lno v e); der Ge-
birgslappe dagegen hat in der Rauchösinuug seines Zeltes einen
aus feinen Schindeln angefertigten Schirm (Sidde) angebracht,
daher sein Käse auf der Oberfläche gewöhnlich ganz schwarz ist.
Der Rennthierkäse ist in der Hütte des Lappen die vorzüglichste
Speise, und er geht damit äußerst sparsam um. Zwar ist dieser
Käse äußerst hart, auch schmeckt er, allein genossen, etwas herb;
aber er ist sehr nahrhaft und Käsesuppe ist bei den Lappen ein
Festgericht, das ein Jeder, der sich erst etwas daran gewöhnt hat,
wohlschmeckend finden dürfte. Man schneidet von dem Käse dünne
Scheiben ab, theilt diese wieder in ganz kleine Stücke (zwei bis drei
Loth reichen hin für jede Person), kocht dieselben eine kurze Zeit in
Wasser und rührt hernach ein wenig Mehl hinzu. Anfänglich ist
die Suppe dünn, bald aber verdickt sie sich und wird wie Creme.
Außerdem ist dem Lappen der Käse als Reisekost unentbehrlich.
Will er eine Reise antreten, auf welcher er nicht hoffen kann, Leute
zu treffen und ihre Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen, dann
steckt er einen Käse in den Busen und begiebt sich hinweg.
Nur im Sommer, im Juli und August, wird Käse gemacht.
Früher darf man die Rennkühe nicht melken, weil bis dahin die
Kälber alle Milch nöthig haben. Im September, besonders aber
im Oktober, fängt die Milch schon an sparsamer zu werden. Was
dann noch gemelkt und nicht gleich in der Haushaltung verbraucht
wird, verwahrt man in kleinen Füßchen entweder nnvermischt oder
auch vermischt mit einem im Hochgebirge wachsenden, feinen Kraute
von säuerlichem und gutem Geschmack Jobmo (Rumex acetosa)
oder auch mit Preißelbeeren und verwahrt es als Kittan-ase,
d. i. Frühlingskost. Die wenige Milch, welche man noch zu
Ende des Oktobers und im November erhält, läßt man gefrieren
und nimmt sie als Klumpen mit in das untere Land, um mit dieser
großen Leckerei Fremde traktiren zu können. F.
Victoria's Mineralschatz.
i.
Außer Gold, von welchem edlen Metalle wir weiter unten ]
sprechen, besitzt die Kolonie einen immensen Reichthum an den meisten
anderen Mineralien. Die Mehrzahl derselben ist aber noch wenig
oder gar nicht technisch ausgebentet, und hier ist für die Industrie
der Kolonisten ein fast unübersehbares, weites Feld geboten.
Beginnen wir in nachfolgender gedrängten Uebersicht mit den
schweren Metallen, so begegnen wir, außer Gold, Silber, Kupfer, ,
Zinn, Zink, Blei, Arsen, Antimon, Mangan, Wismuth und Eisen. !
Silber wird in Reedy Creek und besonders zu St. Arnaud
im Pyrenäengebirge in reichen Adern gefunden, und in letzter Zeit
sind daselbst ausgedehnte Claims für Betrieb des Silberbergbaues
in Pacht genommen worden. Das Metall erscheint dort sowohl in
Form von Chlor-Bromid (wie in Chili), als auch in der von Sul-
phureten. Das Hauptriff enthält auch reichlich Gold, so wie etwas
Arsen und Wismuth. An der Oberfläche der Riffe zeigen sich beide
edle Metalle, bei tieferm Graben jedoch nimmt das Silber an
Masse zu. Die Quarzwände bestehen aus blauem Schiefer. Durch-
schnittlicher Ertrag von skombinirtem Gold und Silber (meist ein
Drittel Gold und zwei Drittel Silber) war bisher 7 bis 10 Unzen
Pr. Tonne, doch gewann man kürzlich über 1100 Unzen von 27 Tonnen
Stein. Preis des Silbers ist »Schill. 0Pence Pr.Unze. Noch scheint
die technische Ausbeutung sehr mangelhaft zu sein.
Kupfer hat man an Specimen Gully (Castlemaine) und in
goldhaltigem Quarz in Dunolly und Bendigo gefunden. In letzt-
genanntem Distrikt, ani Axe Creek, fand man kürzlich so reiches
Kupfer im Stein, daß der Entdecker Ascott eine Lease des Grundes
genommen hat. Ebenso ist Kupfer im Quarz am Mount Jda,
M'Jvor Distrikt, und ini Dandenong Gebirge gefunden worden.
— Malachit (kohlensaures Kupferoxyd), Azurit. Kupferglanz rc.
existiren zu Steiglitz, Pyreeth u. a. O.
Zinn findet sich bekanntlich im schwarzen Sande des Ovens,
und auch an der ober« Uarra, Taradale, Strathbogie rc. Der
Ovenssand ergiebt 80 Prozent Zinn, und das Wochenprodukt für
den Mann ist 1 bis 5 Ctnr.
Zink als Blende (aus Schwefel und Zink bestehend) findet
man an Specimen Gully bei Castlemaine und Russel's Riff bei
Malinsbury. Auch wurden Proben des Metalls in Daylesford
und im Basalt bei Brunswick in der Nähe von Melbourne auf-
gesunden.
Globus IV. Nr. 5.
Blei als Sulphuret ward an manchen Goldfeldern: Bendigo,
Steiglitz, Castlemaine und Maryborough gefunden. — Cupro-
! plumbit (Blei, Kupfer, Schwefel) ist zu M'Jvor vorhanden.
Mangan als Pyrolusit (Braunstein) findet man an den Jn-
dented Heads; Eisen-Mangan mit Kupfer und Kobalt vermischt,
an manchen Quarzriffen zu Dunolly rc.
Eisenerze aller Art werden fast in allen Theilen der Kolonie
reichlich vorgefunden. Gediegenes Eisen oder Erz, welches an
90 Prozent reinen Eisengehalt ergiebt, kommt namentlich im Western
Distrikt vor. Meteor-Eisen ist in Ungeheuern Klumpen bei Cran-
bourne, nicht weit von Melbourne, gefunden worden. — Eisen,
Snlphurete, Pyriten, Schwefelkies, Markosit, Arsenikeisen (Mis-
pikel) sind allgemein verbreitet; ebenso in tertiären Felsen Braun-
eisenstein und Rotheisenocker. Spiegelstein, Titan- und Magnet-
Eisen ist nicht minder an vielen Orten verbreitet; Chromeisen,
phosphorsanres Eisenoxyd werden in Heathcote und Tarrangower,
Thoneisenstein (Röthel) wird in den Kohlenlagern gefunden.
Die Antimonium-Minen von M'Jvor haben in letzter Zeit
allgeineine Aufmerksamkeit erregt, und dieses Metall wird wahr-
scheinlich in Zukunft einen nicht ganz unbedeutenden Ausfuhrartikel
bilden. Es findet sich auch an der Uarra beiTemplestowe, inWhroo,
Heathcote, Maldon und Maryborough.
Zu der Klasse der leichteren Metalle und Metalloiden über-
gehend und mit den Edel- und anderen, zu optischen Zwecken ge-
eigneten, Steinen beginnend, erwähnen wir: Diamanten vom
Ovensdistrikt; blaue und rnbinrothe Saphire; Korunde; Rubin-
spinelle ; Zirkone, weiße, blaue rc. To p a se im Dandenong - Gebirge,
in Ararat und den Goldgängen fast aller Goldfelder. Ferner werden
daselbst im Quarz häufig gefunden: Bergkrystall, Achat, Chalcedon,
Hornstein, Jaspis rc. Bon Opalen fand man Hyalit an mehreren
Orten; Halbopal bei Melbourne; Chloropal am Deep Creek, Mount
Bullangarook, und opalisirtes Holz am Paß River und Western
Port rc. Schwarzer Turmalin oder Schörl ist sehr gewöhnlich
im Granit des Ovensdistrikts, in den Goldgängen und an Wilson's
Vorgebirge. Hornblende sieht man bei Lancefield, M'Jvor; Augit
(Kokolith) in Basalt, Chlorit in den Quarzrisis zu Castlemaine;
dann Olivin, Rnbellan rc. im Basalt; Feldspath (Albit, Labrador)
in Kyneton, Amherst rc. Zeolite oder Kochsteine (Analcim, Chabasit,
Natrolit) sind ans Philip Island, bei Richmond und Clunes ge-
20
154
Victoria's Mineralschatz.
fundeu worden. Graphit (Reißblei, Plumbago) ist an den Ovens
Goldfeldern vorhanden, und Arragonit sehr gemein in den Blasen-
räumen des Basalts.
Gyps (Selenit) ist reichlich auf den Schaftriften an der
Wimmera. Kalkspath, Magnesit (kohlensaure Magnesia), Alaun-
stein, sind mehr oder weniger häufig in den ihnen znkommenden
Erdschichten.
Ausgedehnte Kalklager sind hisher noch nicht aufgefnnden
worden, mit Ausnahme von einem im Snowy River Distrikt,
welches an 50 Meilen im Umfang hat, aber schlecht zugänglich ist.
— Marmor ist in Geelong an der Seeküste zu finden, wofür sich
eine Gesellschaft zur Bearbeitung gebildet hat. — Der Südküste
entlang sind weite tertiäre Kalk- und Thonlager verbreitet, die
Septaria enthalten, welche einen vortrefflichen Cement liefert. Zur
Gewinnung desselben hat sich ebenfalls vor Kurzem eine Gesellschaft
gebildet, der man die besten Resultate prophezeit. Da Cement bisher
eingeführt werden mußte, so ist diese neue Industrie jedenfalls der
Kolonie vortheilhaft. — Die Thon er den der Kolonie überhaupt
sind für dieselbe von hoher Bedeutung. Man findet die verschiedensten
Arten, die sich für Töpferwaaren und Porzellanfabrikation eignen.
Für letztere besonders existirt inMasse einThon vonbester Qualität:
Kaolin, am Deep Creek, 12 Meilen von Melbourne, mit dessen
Gewinnung eine Gesellschaft eifrig beschäftigt ist. Eine der feinsten
Porzellanerden der Welt ist gleichfalls in der Gegend von Dunolly
am Mount Ngly entdeckt worden, welche dem Devonshire-Kaolin
nicht nachsteht.
Werthvolle Schieferlager sind in den Distrikten Bendigo,
Heathcote und Maldon vorhanden. An Bausteinen ist natürlich
kein Mangel irgend einer Art; doch hat man bisher wegen schwierigen
Transports sich in den Städten am Seeufer mit nicht ganz ge-
eignetem Material begnügen müssen. Der Basalt (Bluestone) ist
zwar vortrefflich, aber nicht angenehm für das Auge, wegen der
dunkeln Farbe. Die Quadersteine von Barrabvol Hills, Baechus
Marsh, Darley rc. sind nicht sehr dauerhaft und bedürfen eines
künstlichen Ueberzngs, um haltbar zu sein. Granit von guter
Qualität, aber wegen bedeutender Härte schwer zu bearbeiten, ist
vielfach verbreitet. Als besonders werthvoll werden die Granite
von Beechworth bezeichnet, welche hübsch gefärbt, weniger hart
sind, und viel Feldspath enthalten. Die porphyrartigeu eignen sich
für Kunstwerke, Denkmäler rc.
Obwohl man annimmt, daß die kohlenhaltigen Erdschichten
sich über einen Flächenraum von 3000 Quadratmeilen erstrecken, so
sind doch noch wenig ergiebige Kohlenlager entdeckt und aus-
gebeutet worden. Das bekannteste Kohlenfeld ist am Cap Patterson,
wo die Schichten von einigen Zollen bis vier Fuß Dicke sich zeigen.
Andere Lager befinden sich in den Distrikten Gippsland, Mor-
nington, Graut, Bonrke, Polworth und Portland Bay. — Braun-
kohle wird in der Nähe von Ballarat und anderen Stellen gefunden,
aber nicht ausgebentet, wie zur Zeit leider noch so viele andere
Miueralschätze der Kolonie.
Gold.
Der Flächenraum der Kolonie wird auf 80,831 Quadratmeilen
angegeben. Bon diesen enthalten nach neuesten Bestimmungen der
Geologen ungefähr 3000 Meilen Granit und verwandte Massen-
gebirge; 10.000 M. Basalt- und andere Felsen vulkanischen Ur-
sprungs; 25,000 M. Flötzgebirge der devonischen und silurischen
Perioden: Sandstein-, Thon- und Schieferbildungen; 28,000 M.
Tertiärschichten 3000 M. Kohlenlager; und der Rest, 17,830 M.,
ist noch nicht geologisch untersucht. Dieser letzte Theil liegt meist
östlich von Beechworth, nördlich vom Omeo und am Snowy River,
so wie westlich von Melbourne in den Distrikten Duudas, Heytes-
bury, Polwarth rc.
Die paläozoischen Schichtenbildungen erstrecken sich mitten
durch die Kolonie vou Osten nach Westen, einige 50 oder 60 Meilen
weit, zwischen den Parallelen 36 G. 30 M. und 37 G. 30 M.
Nördlich, im Murray-Gebiet, sind die tertiären Bildungen vor-
handen; und im Süden die Basalte und Feuerbildungen, fast alle
westlich vom 145. Meridian.
Von den 25,000 Meilen der Schichtenbildung sind bis jetzt
nur wegen der Goldpoduktion 6000 Meilen bergmännisch erforscht
und bearbeitet; der Rest ist entweder gar nicht oder nur flüchtig
durch verschiedene prospektirende Partien 1860 bis 61 untersucht
worden, in Folge dessen das Crooked River Goldfeld, und einige
andere an denZuslüssen und Quellen der Sjarra anfgefunden wurden.
Ein sehr großer Theil dieser goldhaltigen Land - und Gebirgsstrecken
ist indessen noch ganz vernachlässigt, und Sachkundige weisen auf
eine Menge Gegenden hin, wo mit höchster Wahrscheinlichkeit be-
deutende Goldlager sich befinden müssen. Es sind dies u. A. die
Flüsse Delatite, King, Holland, Brocken, Wonangaratta, die Zu-
flüsse des Macalister, der Wimmera, des Richardsou und ein
großer Theil der Gegend westlich vom Goulbourn. Ohne Zweifel
sind auch noch in den bekannten Goldgegenden unzählige reiche
Stellen unentdeckt, was durch fortwährend neue Auffindungen be-
wiesen wird. Außerdem aber vermuthet man, daß die unter den
ausgedehnten Basaltmassen liegenden paläozoischen Sandstein-
und andere Schichtenbildnngen unerschöpfliche Goldmassen bergen.
Man hat sich nämlich nun überzeugt, daß vielfach unter dem
Basalt und der Lava unmittelbar auf den Sandstein - und Thon-
schichten Goldlager ruhen. Die Dicke des Basalts nach der Tiefe
zu ist natürlich sehr verschieden, aber an vielen Stellen so bedeutend,
daß 400 bis 600 Fuß tief durch den harten Stein gebohrt werden
muß, bevor man das Goldbett erreicht. Es ist die Meinung der
Geologen, daß sich namentlich unter den großen Flächen im Westen
reiche und weite Goldlager befinden.
Was nun die Tertiärbildungen im Norden betrifft, die sich
zwischen den Gesteinsmassen der silurischen Periode und dem Fluß-
bette des Murray weit erstrecken, so sind diese noch wenig untersucht,
doch wird wahrscheinlich zunächst auch dort die Gegend nördlich
von Huntly und westlich vom Campaspe, so wie jene nordwestlich
von Barnawartha nahe am Murray explorirt werden.
Welche Ausdehnung die Goldminen Victorias in den elf Jahren
seit der Goldentdecknng gewonnen haben, mag man daraus schließen,
daß der Werth der Maschinen und Werke in den Goldfeldern sich
auf anderthalb Millionen Pfund Sterling beläuft, und ans den
Minenkarten nicht weniger als 1302 goldhaltige Quarzriffe ver-
zeichnet sind.
Das Gold wird in neuerer Zeit meist durch größere Arbeits-
kraft als früher erworben, und die Ausbeute bleibt im Ganzen nur
dadurch ziemlich gleichmäßig, weil sie von den tiefen Leads und
den Qnarzriffen gewonnen wird. Hinsichtlich dieser aber ist viel
Kapital erforderlich, zugleich jedoch ist in den meisten Fällen der
beste Weg zum Erfolg kooperative Arbeit. Wo diese Erforder-
nisse nicht fehlen, sind gute Resultate sicher, wie dieses mehrere
Gesellschaften in Ballarat, Jnglewood rc. beweisen, trotz unsäglicher
Hindernisse, die überwunden werden mußten. Uebrigens ist noch
Manches zu thun, und namentlich viel durch geeignete Wasserbe-
hälter und Abzugskanäle zu verbessern.
(Aus der „Australischen Vierteljahrsschrift")
Glücksspiele und Aberglauben in Rom.
155
Glücksspiele und Aberglauben in Nom.
Auch die heutigen Römer glauben noch, wie ihre Voreltern,
daß Fortuna ihre Freizügigkeit aufgegeben, daß das Glück in ein Füll-
horn sich umgewandelt habe und allwöchentlich seine Gaben aus-
streue. Wir sagen allwöchentlich, weil die römische Regierung, die
geistliche Negierung, in jeder Woche diesen Glauben neu belebt.
An jedem Sonnabend zeigt sie dem Volke die Glücksgöttin in Ge-
stalt eines Nummern und Gewinne ziehenden Waisenknaben auf
dem Balkon des Finanzministeriums. Daß Lotterien verderblich
sind und nur Armuth, nicht Wohlstand erzeugen, weiß Jeder;
sie gleichen nur Blüten, die an Fäden angebunden sind; aber keine
ist verderblicher, als die alte Zahlenlvtterie, bei der, durch die ge-
ringen Einsätze, der Aermste gerade am meisten geplündert wird.
Es ist dieses eine so ausgemachte Wahrheit, daß die ganze Welt daran
glaubt, mit Ausnahme des gläubigen Rom und des gläubigen
Neapel. Man denke sich, was es heißt, wenn in jeder Woche dem
Armen, welcher am meisten leichtgläubig ist, weil er am ineisten
hofft, die Versuchung es zurannt, daß er jetzt am Wendepunkte seines
Schicksals stehe, daß ein Opfer von wenigen Groschen ihn zum
glücklichsten Menschen mache und daß sein lang gehegter Traum
jetzt eine Wahrheit werde. Ist es da ein Wunder, daß die Lotterie-
büreaux, die bis spät in die Nacht geöffnet bleiben, fortwährend ge-
füllt sind und daß das Lotto als eine Haupteinnahme im Kirchen-
staate, nach Abzug aller Kosten, fast noch eine halbe Million Thaler
beträgt? Und wo giebt es eine widerlichere Scene, als wenn man
sieht, wie das Glücksspiel den Segen der Kirche empfängt und durch
Assistenz eines Prälaten im vollen Ornat wie eine religiöse Cere-
monie erscheint?
Alle diese wunderlichen Erscheinungen, die längst in anderen
Staaten abgethan sind oder wenigstens mildere Formen ange-
nommen haben, blühen noch in Rom, und während der vorsichtige
Staat keinen Schritt wagt, ohne den Boden zu prüfen, betet die
Kirche, statt des ewigen Gottes, den glücklichen Zufall an und das
„Wagen gewinnt" wird ihr Motto. Ja, die Kirche muß sich der
Lotterie unterordnen, die ewigen Loose den zeitlichen, und während
alle anderen Händler ihre Läden am heiligen Sonntage schließen
müssen, steht der Lotteriehändler über dem Gesetz, und die Pforten,
die zum Tempel der Fortuna führen, sind noch weiter geöffnet als
die Gnadenpforten der Kirche. Wo so Viele sind, die nichts zu ver-
lieren haben, und die Versuchung so groß ist, bilden natürlich die
Glücksritter eine große Gemeinschaft, und wer am Ziehnngstage den
Platz vor dem Finanzministerium, die Piazza Madama, passirt,
der kann hier die systematische Verdummung und Ausbeutung mit
Händen greifen.
Männer, Weiber, Kinder mit Lotteriezetteln in der Hand
füllen den Platz und können kaum die zwölfte Stunde erwarten,
wo der Segen der Kirche von oben über sie herabkommen wird.
Sie unterhalten sich über ihre Träume, Wetterereignisse, Unglücks- !
fälle, denn alle diese zufälligen Erscheinungen sind in den Kalendern
und Prophezeinngsbüchern, die vom Staat als fromme Lektüre
anerkannt und auch in den privilegirten Büreaux verkauft werden,
als göttliche Fingerzeige gedeutet und nach kabbalistischer Art in
Zahlen übersetzt.
Endlich erscheint auf dem Balkon der langersehnte Waisen-
knabe im weißen Chorrock; ein Prälat im violetten Amtskleide be-
gleitet ihn, Sekretäre und Kanzleidiener stellen sich in zweiter Linie
ans. Unter Trompetenschall, der aus den Zimmern ertönt, schlägt
der Waisenknabe das Kreuz, als wäre hier eine heilige Handlung,
und nimmt nun die Nummern ans der vor ihm stehenden Urne.
Ein Diener mit weittragender Lunge ruft sie ans; noch ist kein
Treffer gekommen, da scheint die erste Ambe einen Glücklichen ge-
funden zu haben. Man hört ein Schreien und Toben von einem
Kerl, der in heftigster Weise gestikulirt und seine Leiden Nummern
triumphirend den Umstehenden zeigt; aber der arme Schelm, dessen
Gesicht eben so viel Falten und Kniffe hatte, wie sein Hut, er muß
in der Kenntniß der Zahlen nicht hinlänglich bewandert gewesen
sein; entweder sein Auge oder sein Ohr hat ihn getäuscht; genug,
die 150 Skudi, die er schon in seiner Tasche sah, sie waren durch
die Grausamkeit einer bösen Sieben, die mit einer Eins eine ver-
führerische Aehnlichkeit hatte, spurlos vernichtet. Der unglückliche
Familienvater, von der Höhe seiner Triumphe so unbarmherzig
herabgestürzt, läßt einem Fluch nach dem andern hören, verwünscht
Haus, Familie, Vaterland, Regierung, Pfaffen und entfernt sich
spornstreichs, noch immer mit den Händen nach oben drohend,
kaum seiner Sinne mächtig.
Solche Semen, welche die Bestialität im höchsten Grade offen-
baren und ihre schuldigen Anstifter im schwärzesten Licht erscheinen
lassen, wiederholen sich während einer ganzen Stunde, denn so
lange dauert die Ziehung. Die Urne mit den 90 Nummern ist
entleert; sie war die Büchse der Pandora. Wie viel Trauer, Elend,
Verzweiflung mag sie in Roms Mauern verbreitet haben, denn
selbst die wenigen Glücklichen werden gewöhnlich nach dem Sprich-
wort: so zerronnen, wie gewonnen, die Opfer einer unersätt-
lichen Habsucht. Und dieses Gift wird unter den Augen des Statt-
halters Christi und mit einer besondern Approbation alle acht Tage
ansgestreut und die Verluste und die Thränen des Volkes füllen
den Säckel des Finanzministers. Die moralische Versumpfung,
die hierdurch erzeugt wird, ist nicht zu berechnen. Die deutschen
Lotterien und Spielhöllen sind zwar auch ein Krebsschaden, der so
bösartiger Natur ist, daß selbst Herr Stahl in dem preußischen
Herrenhause das Frankfurter Volksparlament zum ersten Male nach
zehn Jahren lobte, weil es beiden den Krieg erklärte, aber was
die Demoralisation betrifft, so trägt doch die italienische Zahlen-
lotterie den Preis davon. Sie wendet sich vorzugsweise an die
Mühseligen und Beladenen und stachelt durch die kurzen Pausen
immer von neuem die Leidenschaften an. Und nun noch der Prälat,
der Geistliche neben dem Glücksrade! Kann man Himmel und
Hölle besser versinnlichen? Um diese Scene, diese Volksbeglücknngs-
methode bildlich darzustellen, sollte man, wie Adolph Stahr treffend
vorschlägt, einen Marsyas malen, der einen Apoll schindet. Im
Norden würde selbst das Glücksspiel kein solches Unheil anrichten,
wie hier. Der Italiener aber neigt weit mehr dazu, sein Glück durch
einen Wurf zu gewinnen, als der Deutsche, der besonnener und
ruhiger ist und mehr überlegt, ehe er in die Tasche greift. Der
Italiener ist kein Freund der langsamen Arbeit oder der großen Spe-
kulation, welche mit dem Verstände berechnet sein will. Das Glücks-
rad macht das bei weitem bequemer und schneller, und der Zufall
schmeichelt der Phantasie weit mehr als das trockene Rechenexempel.
Oft sieht man hier Bauern, die Truthähne oder Enten vor sich Her-
treiben. Sie gehen von Haus zu Haus, wie Hausirer, welche
von Handel und Wandel leben, und Jeder glaubt, daß sie, wie
andere Händler, ihre fette Waare anbieten. Erst wer genau zu-
sieht, der wird gewahr, daß der denkende Landmann dasselbe Ge-
schäft betreibt, wie die Regierung, und der Hirt seine Heerde aus-
spielt. Würde eine deutsche Hausfrau ans diesem hier nicht un-
gewöhnlichen Wege eine Ente zu gewinnen suchen und den Sonn-
tagsbraten dem Spiele des Zufalls anvertrauen? Eine Lotterie
mit gefährlichen Nieten ans der einen Seite und eine Ambe mit
schnatternden Enten auf der andern? Der deutschen Hausfrau sind
die Flügel der Phantasie nicht zu groß.gewachsen, um bis zum eß-
baren Geflügel zu reichen; der Italiener aber — denn er besorgt
größtentheils selbst diese Einkäufe — er glaubt immer der Aus-
erkorene zu sein, der eben so schnell Herzen wie Amben und Enten
gewinnt.
Der Aberglaube, dieser Auswuchs der Phantasie, ist beim
20*
156
Glücksspiele und Aberglauben in Nom.
Glücksspiele das mächtigste Vehikel, und eine Regierung, die das
Spiel gestattet, erzieht zugleich den Aberglauben. Der Glaube
befördert die Seligkeit im Jenseits, der Aberglaube im Diesseits.
Ein eifriger Spieler fehlt in Rom bei keiner Hinrichtung, und
das will viel sagen. Er zählt dann die Zahl der Bluts-
tropfen, mit denen der Boden benetztist, undspieltdie
Summe am nächsten Sonnabend. Ist der Thor durch das
Blut eines Verbrechers nicht hienieden selig geworden, so besucht
er das Irrenhaus, und den unglücklichen Wahnsinnigen, denen
vielleicht die Lotterie den Verstand geraubt hat, macht er so lange
Zeichen, bis sie ihm durch die vergitterten Fenster irgend etwas
Zahlähnliches zeigen oder zurufen. Hilft auch dieses nicht, so ist
das letzte Mittel die Bettelei, und der Bettler gesteht ganz offen,
wozu er dieses Mal das Almosen benutzen wird; und oft macht der
edle Geber, eben so abergläubig, noch ein Kompagniegeschäft mit
dem Glücksritter und Beide träumen sich glücklich bis zur entscheiden-
den Stunde am Sonnabende.
Jean Paul sagt einmal: „Ich knirsche die Zähne über die
gewinnsüchtigen Heuchler, die Menschen, welche bei ihren Lotterie-
devisen Gott wie einen Fürsten zu Gevatter bitten, damit er ihnen
ehrenhalber ein Pathengeld in die Windeln schiebe." Wenn nach
Pythagoras die Zahl der Urquell aller Dinge ist, so sind die
heutigen Römer auch Pythagoräer. Was ihnen in die Augen fällt
oder vor den Ohren summt, das übersetzen sie wie die Mnemo-
techniker in Zahlen. Das Summen bedeutet hier wirklich Summen
wie auf der Pariser Börse. Es wird erzählt, daß, als einst Feuer
in dem Quirinal, dem Palaste des Papstes, war, die „prenditorii
per il loto,“ die Lotterieläden, so belagert waren, daß fast eine
Revolte entstanden wäre, und kein Mittel übrig blieb, als die Läden
zu schließen. Jeder wollte die Nummer haben, die Feuer beim
Papst bedeutet, und Jeder wollte der erste Glückliche sein. — Ein
befreundeter Künstler theilte uns mit, er habe einst das Unglück
gehabt, die Treppe von seiner Wohnung herunterzufallen und sich
dabei zwei Zähne anszuschlagen. Seine sonst sehr aufmerksame
Wirthin fragt, ehe sie dem Leidenden Beistend leistet, wie viel
Zähne er verloren, zählt die Zahl der Stufen, multiplizirt Zähne,
Stufen und Datum und schickt sofort in das nächste Lotteriebüreau
um so schnell wie möglich das Facit der Rechnung, die geheimniß-
volle Glücksnummer, zu erhalten. — Alle Publikationen, die der
Regierung sowohl, wie die von Privatleuten, gehen mit großer
Langsamkeit vor sich; die Buchdrnckerkunst hat noch immer ein Blei-
gewicht und die Schreibknnst ist nicht übermäßig verbreitet. Die
Bekanntmachungen der Lotterie aber durchfliegen mit elektrischer
Schnelligkeit die Straßen, und in einer Stunde weiß man auf allen
sieben Hügeln, vom Aventin bis zum Pincio, vom tarpejischen
Felsen bis zum Viminal, vom Monte Mario bis nach dem Esquilin,
welche Nummern gewonnen haben. Zum ersten Male machten wir
die Erfahrung, daß die Italiener doch noch ein Allegro außer dem
in der Musik haben, und daß die Geschwindigkeit ihrer Beine fast
mit den Wundern der Telegraphie wetteifern kann. In Italien
sind so viel Unglücksboten in fortwährender Thätigkeit, daß die
wenig beschäftigten Glücksboten noch ihre ungeschwächteKraftbesitzen.
Wenn auch Italien seine Einheit noch nicht errungen hat, so
so hat es dennoch außer seiner innern Spaltung noch ein gemein-
sames Loos, nämlich das Lotterieloos. Jenseits der Alpen ist das
Glücksrad, das nur die kleinste Minorität trägt, während die
klebrigen davon gerädert werden, in permanenter Thätigkeit, und
selbst in dem freisinnigen, konstitutionellen Piemont verschmäht es
die Regierung nicht, mit den ärmsten Bürgern ein Spielchen zu
machen. Nirgends ist aber das Spiel so schädlich, wie in Rom
und Neapel, wo das Volk so wenig Erwerbsquellen hat und keine
Stimme laut werden kann, um der Thorheit, dem Aberglauben
Einhalt zu thun. Wo auf anderen Gebieten so wenig zu hoffen ist,
hat natürlich die Lotterie die meisten Freunde, die Lotterie, die
weiter nichts ist, als die Besteuerung der süßesten Träume des
Menschen, die ihm das Erdenleben erleichtern, die Besteuerung der
Hoffnung, dieser zweiten Seele der Unglücklichen. Du trägst den
Cäsar und sein Glück, so denkt heute noch der Römer, der, mit einer
lebhaften Phantasie begabt, eine geregelte Thätigkeit scheut
und am liebsten vonderHandindenMund lebt. Ein Feind
aller Pläne, die erst in langer Zeit zu realisiren sind, liebt er das
Spiel, diese Thätigkeit ohne Beschwerde, und würde nie weinen
wie Alexander, daß er ein reicher Erbe ist und so wenig selbst ge-
winnen könne. Eben so viel Aberglauben wie er zeigt, um das
Glück zu erobern, eben so viel zeigt er, um das Unglück abzuwenden.
Während im Norden der Aberglaube im Reiche der Geister und
Gespenster bei unsichtbaren Wesen seine Befriedigung findet,
verlangt der Südländer, für den die Nacht nichts Unheimliches hat,
selbst für Lug und Trug einer positive Grundlage. Er sieht am
hellen Tage die Gespenster und besitzt über ihre Eigenschaften einen
eben so präcisen Katechismus, wie über seine Träume. Wer das
Unglück hat, Augen zu besitzen, die stark hervortreten und viel
Weißes blicken laßen, wer bleich oder mager ist und düstere Blicke
vor sich hinwirft, der ist ein gettatore und mit dem Fluche des
malocchio, des bösen Blicks, beladen. Das ist das unheimliche
Gespenst des Südens in menschlicher Gestalt; es erregt Schrecken
und Entsetzen und man weicht ihm aus, um ja nicht mit ihm in
Berührung zu kommen. Hic niger est, himc tu Romane caveto!
hüte dich vor den Schwarzen! sagte schon der alte Römer. Nur
ein Mittel giebt es, um den bösen Zauber zu bannen: man streckt
den Zeigefinger und den fünften Finger hervor und zieht die anderen
bis auf die Handfläche zusammen; nur diese so gebildeten „Hörner"
vermögen es, die üblen Folgen eines so unangenehmen Rencontre
abzuwenden. Noch bequemer kann man sich die Sache machen,
wenn man die Waffe der Vertheidignng, die Hörner, im Miniatur-
format bei sich trägt; die eigene Hand zu bewegen ist dann nicht
mehr nöthig; eine kleine zierliche Korallenhaud, die Herren an der
Uhrkette, Damen an der Brosche befestigt tragen, leistet die-
selben Dienste und schützt den Träger gegen jedes Ungemach. Ra
mano cornuta, die gehörnte Hand, ist ein in Rom und Neapel
gebräuchlicher Gegenstand der Toilette, der aber so zierlich wie
nützlich ist, und auch in den Zimmern findet man große Hörner
am Spiegel als eine geheimnißvolle Decoration, wie man im Alter-
thume das Medusenhaupt an Gebäuden und Geräthschasten an-
brachte, um mit dem Schreckensblicke der Gorgonen, jeden andern
zu lähmen. Wer im alten Griechenland sich glücklich pries, spie
sich dabei in den Busen, und als einst der Beherrscher von Samos,
Polykrates, diese demüthige Ceremonie, vielleicht aus Anstands-
rücksichten, unterlassen, floh sein Freund und schiffte schnell sich ein
mit den bezeichnenden Worten: „Die Götter wollen dein Verderben."
Die heutigen Römer sind nicht der Meinung, daß das Glück seinem
entgegengesetzten Pole so nahe verwandt sei, und fürchten nicht die
Lehre der Schiller'schen Ballade. —
Wir haben das Vorstehende dem „Corso und Torso" von
Hermann Lessing entnommen. Dieses Buch gewährt eine eben
so angenehme, als lohnende Lektüre und verdient Beachtung. Der
Verfasser ist unbefangen, er hat einen scharfen Blick, gebietet über
eine Fülle von Kenntnissen, hat seine Klassiker mit Nutzen gelesen
und auch ein poetischer Zug fehlt ihm nicht. Dazu kommt eine an-
sprechende Weise der Darstellung, ein einfacher, geschmackvoller
Styl, der fern ist von gesuchten Spitzen und es gereicht Herrn
Lessing gewiß zum Lobe, daß man ihm den Berliner nicht anmerkt.
Man liest sein Buch mit G^nuß, auch wenn man Adolf Stahr's
meisterhafte Schilderungen kennt; es ist die gelungene Arbeit eines
sehr gebildeten, gediegenen und humanen Mannes.
Die jüngsten Nachrichten über Eduard Vogel.
157
Die jüngsten Nachrichten über Eduard Vogel.
Zu den vielen, zumeist unklaren, einander widersprechenden
Angaben über EduardBogel's Ende, ist in der jüngsten Zeit noch
eine gekommen, welche die wahrscheinlichste von allen ist. Sie rührt
von einem Neger aus Kuka in Bornu her, der im Februar 1863
zu Tripolis aukam und dort beim englischen Generalkonsul, Oberst
Herman, Aussagen machte. Er sei Vogels Diener gewesen. DieMit-
theilungen dieses Mohammed ben Suleyman sind zusammenhängend
und erscheinen glaubwürdig. Herr Herman sandte über die Be-
sprechungen, welche er mit diesem Manne hielt, einen Bericht an
das Ministerium des Auswärtigen nach London, und dieses schickte
eine Abschrift an einen Bruder Vogel's, der in Dresden lebt.
Hier kam sie am 15. Mai im Verein für Erdkunde zur Mit-
theilung und Erörterung. Der wesentliche Inhalt wurde vom Vor-
sitzenden des Vereins, Karl Andree, sofort nach Vogel's Vaterstadt
Leipzig übermittelt und erschien in Nr. 41 der wissenschaftlichen
Beilage zur Leipziger Zeitung. Der wesentliche Inhalt ist folgender:
In dem Verhöre, welches Generalkonsul Herman mit dem Bor-
nuanischen Neger vornahm, erklärte derselbe, er sei zugegen gewesen,
als Vogel ans Befehl des Herrschers von Waday getödtet wurde.
Nach Tripolis sei er gekommen, um dem britischen Konsulate mit-
zutheilen, was er über Vogel wisse. Auf die Fragen, welche Oberst
Herman an Mohammed ben Suleyman stellte, antwortete dieser:
„Ich bin ans Kuka in Bornu gebürtig und ging von dort mit
vr. Vogel, der außer mir noch drei andere Diener bei sich hatte,
nach Waday. Wir kamen während unserer Reise über Kabar,
Dahibie, Unsarus (— oder Nnsarus; die vor mir liegende Londoner
Kopie ist, obwohl amtlichen Ursprungs, mehrfach nicht-dentlich ge-
schrieben —), Marte, Gharf Schahab, Credo, Bahar el Gasal,
Bled Ouled Karseid, Bahar el Fitri, Gao, Barked Boroit und
Dar el Mabu nach W ara.
Wir waren, kurze Rasten eingeschlossen, sechs und zwanzig
Tage unterwegs. Vogel ging am Tage nach seiner Ankunft in Wara
zum Sultan, der ihn ungemein freundlich aufnahm und Quartier
für ihn und seine Begleiter im Hause des Hagig (d. h. Katd)
Kheigama anwies; dieser ist Befehlshaber der Reiterei inWara.
Der Sultan fragte den Doktor, weshalb er nach Waday gekommen
sei, worauf dieser antwortete, er sei gekommen, um das Land
zu sehen.
Am vierzehnten Tage nach unserer Ankunft ließ der Sultan
den Doktor rufen und bedeutete ihn, sofort das Land zu verlassen.
Dr. Vogel begab sich dann in seine Wohnung zurück und traf Vor-
kehrungen zur Abreise; bald kam aber ein Diener des Sultans und
befahl uns, das Haus nicht zu verlassen. Nun wollte der Doktor
den Sultan sprechen und steckte einen Revolver in seinen
Gürtel, wo von ich ihm abrieth. Vogel ging aber zum Sultan,
der Befehl gab, die drei anderen Diener des Doktors: Massut,
Dunkud und Maddee, zur Stelle zu schaffen. Als diese da waren,
sagte er zum Hagig Kheigama: „Dieser Christ muß sterben."
Kheigama machte Gegenvorstellungen; der Sultan jedoch gab seine
Befehle und uns Allen band man die Hände auf den Rücken,
vr. Vogel wurde von zwei Lanzenspitzen durchbohrt, fiel
schwer zur Erde nieder und stöhnte sehr. Dann wurde
ihm sogleich der Kopf abgeschuitten. Seine drei Diener
wurden auch getödtet, und mir war dasselbe zugedacht. Ich hatte
aber meinen Arm losgemacht, mit dem ich drei Säbelhiebe auffiug.
Als der Hagig Ruma merkte, daß ich noch nicht todt sei, bat erden
Sultan, mir das Leben zu schenken. Dieser sprach: „Schafft ihn
fort und verkauft ihn als Sklaven!"
„Ich bin nachher sieben Monate in Wara geblieben, so lange,
bis meine Wunden geheilt waren, und wurde dann au einen Hirten
verkauft. Dieser schickte mich nach einer Stelle, die vier Tagereisen
von Wara entfernt ist; ich mußte sein Rindvieh und seine Schafe
hüten. Nach etwa fünf Monaten stahl ich einen Ochsen oder eine
Kuh, und entfloh; aber nach acht Tagen ließ ich das Thier im Stiche,
damit seine Fußspuren nicht die Richtung, welche ich nahm, ver-
rathen möchten, und wanderte nun eine Zeitlang in der Wüste
umher. Ich aß Wurzeln, die ich dann und wann fand, und erreichte
endlich Bornu, wo ich bisher mich aufgehalten habe."
Dieser Erzählung zufolge wäre vr. Vogel im Februar 1856
ermordet worden. Die Angabe, daß der Neger einen Ochsen geraubt
habe, um sich desselben als eines Reitthieres und zur Flucht zu
bedienen, hat nichts Unwahrscheinliches und wird wohl ganz richtig
sein. Bekanntlich wird das Rindvieh auch in anderen Theilen Afrikas,
z. B. in der Kapkolonie, zum Reiten benutzt. Was Waday anbelangt,
so erhielt Konsul Herman auf seine Nachfrage bei dem jetzt in Tri-
polis anwesenden Bruder des Sultans, Edrisi, zur Antwort, man
habe in Waday Ochsen, die man mit Hufen beschlage und die so
schnell liefen wie Pferde.
Nachdem Mohammed ben Suleyman diese Erzählung beendet
hatte, mußte er noch eine Anzahl Fragen beantworten. „Ich bin",
sagte er, „in Vogel's Dienste schon gewesen, ehe er nach Waday ging;
ich hatte ihn nach Mandara und Adamaua begleitet,
bis ich vom Sultan (von Bornu) zurückgerufen wurde, und war
auch mit ihm in Aariba. Dort kamen wir in eine große Stadt,
die mit einer hohen Mauer und Graben umgeben ist. Der Sultan
dieser Stadt schenkte dem Doktor einen Fisch, desgleichen dieser noch
nie gesehen hatte (— dieser Stadt, Sabea, erwähnt Vogel in
einem Briefe vom December 1855, in welchem er auch den Fisch
beschreibt —). Wir gingen dann nach Süden hin und kamen wieder
iiber den Benuwe (BinuL) zurück; aber die Ueberschwemmung zwang
uns zur Rückkehr.
Als vr Vogel von Bornu nach Waday aufbrach, bestand
seine Partie aus fünf Personen, wovon zwei beritten und drei
zu Fuß.
Vogel war von kleiner Statur, hatte sehr helle Hautfarbe,
blondes Haar und blaue Augen. Er trug für gewöhnlich eine
Tobe und einen Turban; nur einmal während der Reise, in
Scharonna, hat er europäische Kleidung angelegt. Er hatte eine
Mütze mit einem Goldstreifen, einen dunkelbesetzteu Rock und einen
schwarzen Ueberzieher."
Als Konsul Herman die Frage über Vogel's europäische Tracht
an den Neger stellte, nahm der Dolmetscher Friedrich Warrington
eine schlichte blaue Mütze und fragte, ob jene Vogel's derselben
etwa ähnlich gewesen sei. Die Antwort lautete: „Nein." Als ihm
daun Herman's Mütze (eine forage cap) gezeigt wurde, die einen
breiten Goldstreif hatte und oben auf dem Deckel mit Gold gestickt
war, rief er sogleich: „Ja, so hat Vogel's Mütze ausgesehen!"
Konsul Herman bemerkt nun in seiner amtlichen Mittheilung: „Die
Mütze, welche vr. Vogel trug, hatte einst mir gehört. Ich schenkte
sie Herrn Warrington, dem sie zu klein war; er gab sie dem
Doktor. Der mit Schnüren besetzte Rock Vogel's war hier in
Tripolis nach dem Muster eines meiner Röcke verfertigt worden."
Das Verhör nahm seinen Fortgang. Auf die Frage, wie
Vogel sich in Wara die Zeit vertrieben habe, antwortete der Neger:
„Einen großen Theil des Tages über schrieb er und Nachts sah er
durch sein Glas nach den Sternen."
Frage: Ist bei oder inWara selbst ein hoher Hügel? —
Antwort: Allerdings, neben dem Gerat; denselben darf nur der
Sultan und dessen Familie besteigen oder irgend Jemand, welcher
dazu vom Sultan besondere Erlaubniß erhält. Vogel hatte ver-
geblich um solche Erlaubniß gebeten; er hat keinen Versuch gemacht,
denselben insgeheim zu ersteigen. —
„Hast Du eine Meinung darüber, aus welchen Beweggründen
der Sultan den Doktor nm's Leben gebracht hat?" Auf diese
Frage cntgegnete Mohammed ben Suleyman Folgendes: „Bornu
und Waday waren damals im Kriege mit einander. Der Sultan
158
Kleine Nachrichten.
mag wohl gemeint haben, Vogel sei ein vom bornuanischen Sultan
abgeschickter Zauberer, um das Land zu behexen."
„Wußte man in Deiner Vaterstadt Kuka Etwas von Bogel's
Tod, als Du dorthin kamst? — Es ging ein Gerücht darüber, aber
inan glaubte es nicht.
Hatte Meludee (Korporal Macguire) Kuka schon verlassen,
als Du wieder dorthin kamst? — Ja; er war auf der Reise nach
Fezzan ermordet worden. Er war ein sehr hoch und kräftig ge-
wachsener Mann. —
Du giebst an, daß Du die Reise hierher nach Tripolis unter-
nommen habest, um mir die Umstände von Vogel's Tode mitzu-
theilen. Seit seinem Tode sind nun sechs Jahre verflossen;
woher dieser lange Aufschub?
Antwort. Erstens: Der Sultan (—von Bornu —) sagte
mir, der Weg nach Fezzan sei unsicher. Zweitens: Er befahl mir,
zu bleiben (in Kuka), bis er erfahre, was für ein Resultat sein An-
suchen beim Sultan von Waday haben werde; er hatte sich nämlich
an diesen wegen Herausgabe von Vogel's Effekten gewandt.
Drittens fehlte es mir auch an Mitteln und passender Gelegenheit.
Der Sultan von Waday wollte Vogel's Sachen nicht herausgeben,
weil eine seiner Karawanen in Bengasi mit Beschlag belegt worden
war. Diese wurde nach Vogel's Tode mit Beschlag belegt.
Kennst Du Edrisi (Bruder des Sultans von Waday)? —
Wir haben Kuka mit derselben Karawane verlassen; vorher habe
ich ihn nie gesehen. Er ist ein (— hier ist ein unleserliches Wort
in der amtlichen Abschrift; es sieht etwa aus wie Jego) und soll
aus Wara gebürtig sein. —
Bist Du auf Deiner Reise nach Mursuk einem Christen be-
gegnet? (Der Konsul hatte Herrn von B eurmann im Sinne). —
Ja, in Aghadem.
Wohin ging er? — Es war ursprünglich seine Absicht, sich
nach Wara zu begeben, als ich ihm aber die näheren Um-
stände von Dr. Vog el's Tode mittheilte, beschloß er, zu
Keskaua (— Kaseawa steht im Text —) an der Grenze Halt zu
machen, von dort aus an den Sultan zu schreiben und die Her-
ausgabe von Vogel's Effekten zu fordern. — Er wünschte, daß ich
ihn begleiten möchte; das lehnte ich aber ab, weil ich dann in einen
gewissen Tod gegangen wäre. — Glaubst Du, daß sein Leben in
Gefahr wäre, wenn er nach Wara geht? — Ja wohl, und das
habe ich ihm auch gesagt.
Sagtest Du ihm, daß Du ans der Reise nach Tripolis be-
griffen seiest? — Das that ich; und er gab mir zwei Pallete und
einen Brief an Edrisi für Sie. Die Packete steckte ich in einen
Beutel mit einigen werthlosen Sachen, der mir aber während der
Nacht, als ich schlief, von einigen Tibbos, die in unserer Kara-
wane waren, gestohlen worden ist; ich habe ihn nicht wieder be-
kommen. Als ich Mursuk verließ, empfahl mich Hadschi Hussein
Titewy (ein achtbarer und zuverlässiger arabischer Kaufmann, der
im März in Tripolis erwartet wurde) seinem Freunde, Herrn
Gagliuffi zu Tripolis, und in dessen Hause habe ich mich seit meiner
Ankunft anfgehalten." —
So lauten die Aussagen des Bornuaners Mohammed ben
Suleyman. Sie sind, wir wiederholen es, bei weitem das Klarste
und am meisten Zusammenhängende, was je über Vogel's Schicksal
verlautet hat. Sie tragen durchweg das Gepräge der Glaubwür-
digkeit an der Stirn, und Konsul Herman bemerkt in seinem Schreiben
aus Tripolis vom 18. März an Graf Russell, daß die von Suley-
man erzählten Einzelnheiten durchaus übereinstiinmen mit Doku-
menten, welche sich im Konsulatsarchive befinden. Es wird Herrn
Herman nicht schwer gewesen sein, sich durch den Augenschein zu
überzeugen, ob Suleyman die drei Armwnnden, welche er in Wara
erhalten haben will, wirklich an sich trägt; auch wird wohl das
nächste Schreiben des Herrn von Beurmann über das Zusammen-
treffen mit Hem Bornuanischen Neger nicht schweigen. Denn da
derselbe ihm über Vogels Tod aus eigener Anschauung das Nähere
meldete, so ist cs wahrscheinlich, daß er seinerseits darüber Meldung
nach Europa machen wird.
Kleine K
Der Winter von 1863 und die Luftströme. In der Akademie
zu Berlin las vor kurzem Professor Dov e über die Witterungs-
erscheinungen des Winters 1862 ans 1863. Er beleuchtete sie als
ein bezeichnendes Beispiel von den Wirkungen der Stürme,
welche an der äußern Grenze des Passats besonders im Herbste da-
durch entstehen, daß der zurückkehrende obere Passat, wenn
der untere der Sonne nach Süden folgt, an den Küsten des Mittel-
ländischen Meeres herabsinkend dort zuerst heftige Niederschläge
veranlaßt, die dann andauernd werden, wenn jene Winde ihrer
Intensität ungeachtet einem ihren Weg nach Nord hin absperrenden
Polarstrome begegnen oder einen aus den russischen Steppen
wehenden, trockene Kälte verbreitenden Ost nicht zu durchbrechen
vermögen. In diesem Falle staut sich die nördlich gelegene Luft so
auf, daß der Barometerstand eine ungewöhnliche Höhe erreicht,
welche zu dem südlich gelegenen verminderten Drucke denselben Ge-
gensatz bildet, wie die relative Trockenheit der nördlichen Gegenden
mit relativer Abkühlung zu den massenhaften Niederschlägen der
südlichen bei relativer Temperaturerhöhung.
Der berühmte Physiker hatte schon im November vorigen
Jahres beim Beginne der Witternngsperiode, die allen Lesern,
welche die Berichte aus Italien und den Alpenländern mit den Er-
fahrungen des Mittlern und nördlichen Deutschland in vergleichen-
der Erinnerung haben, hierdurch charakterisirt erscheinen muß,
dre nämliche Bemerkung ausgesprochen und den normalen Verlauf
derartiger Erscheinungen wie folgt geschildert: „Gewöhnlich rückt
der Angriffspunkt des herabsinkenden obern Stromes — d er
Steppenkälte — allmälig von Ost nach West fort, so daß
den Stürmen des Schwarzen Meeres Stürme an den
italienischen Küsten folgen, darauf die an den süd-
französischen und spanischen, welche im Rhonethal am weite-
sten, Regen bringend, nach Norden hinaufgreifen. Der südliche
Strom wird dann in der Regel zuerst an seinem östlichen Flügel
besiegt und die Kälte erreicht daher am Schwarzen Meer ihr
relatives Maximum. Die hohe Mauer der Alpen ver-
ch r i ch t e n.
längert den Kampf im Centrum, indem sie die Wider-
standsfähigkeit des, ihr nördlich fließenden, Ostwinds
steigert. Indem aber der Angriffspunkt sich weiter westlich hin
verlegt, dringt an den westlichen Küsten Europas der südliche
Strom desto entschiedener vor, je mehr er im Gebiete des
Schwarzen Meeres an Terrain verliert; u n d d u r ch d i e D r e h u n g
der Erde immer mehr westlich werdend, fließt er daun
in höheren Breiten wärmend über England nach der
norwegischen Küste und überschreitet schließlich die
skandinavischen Alpen. Dann zeigt sich, wie jetzt — Ende
November — die auffallende Erscheinung, daß die Kälte in Deutsch-
land erheblicher ist als in Stockholm und Torneo, ja zuletzt be-
deutender als in Petersburg. Dies ist aber in der Regel das letzte
Extrem, und der durch die nördlich gelegene Wärme an Wider-
standsfähigkeit verlierende Oststrom wird bald durchbrochen; das
Thermometer erhebt sich dann schnell über den Frostpunkt mit ein-
tretendem Regen, welcher für den ihn sehnlich erwartenden Land-
mann fast zu spät erscheint, da der, der Schneedecke entbehrende
Boden bereits tief eingefroren ist. Diese Schneedecke erfolgt erst,
wenn in den vorrückenden feuchten Südstrome, der Polarstrom
eindringt.
In anderen Jahren gestalten sich die Erscheinungen wesentlich
verschieden. Der obere herabgesunkene Passat dringt so mächtig
ein, daß der Siroeco bald als Föhn die Alpen überströmt
und oft mit einem prächtigen Gewitter einbricht. Die Luft wird
dann balsamisch mild, man möchte sie als lauen Frühlingsboten
begrüßen; aber die Reaktion kommt nach und die in fröhlicher
Jugend sich entfaltenden Blüten ersterben unter dem eisigen Hauch
eines Nachwinters, dessen Zeit man endlich vorüber wähnte." Die
vorwaltende Richtung der Gebirgszüge der Alten Welt von Ost
nach West mag es veranlassen, daß oft dieselbe Witterungseigen-
thümlichkeit mit merkwürdiger Konsequenz einen Zeitraum von
mehr als einem Monat andauert.
Der Winter 1855 bis 1856 bietet eine merkwürdige Parallele
Kleine Nachrichten.
159
zu dem letztverflossenen dadurch, daß er mit ihm dem nämlichen
Falle des vorher geschilderten Verlaufs entspricht. Damals (No-
vember 1855) richteten Ueberschwemmnngen, die der Sirocco brachte,
in Sicilien furchtbaren Schaden an, ebenso in Morea, und Ragusa
batte 10 Zoll Regenhöhe, während Norddeutschland nach einem
Nachsommer (Oktober) von wunderbarer Schönheit unter der
Hälfte seiner Regenhöhe im November blieb, 0 Linien in Prag,
3 in Lemberg.
Der Herbst 1862 zeigte in Rom 17V3, in Montpellier 282/3
Zoll Regenhöhe, in dem Quartal September bis November, hier
16, dort 9 V2 Zoll über dem Mittel. Das zusammenbrechende Dach
der Kirche von Locarno bezeichnet die beispiellose Mächtigkeit der
Schneefälle, welche dieselben Umstände an der hohen Mauer der
Alpen hervorbrachten. Das nordöstliche Deutschland hatte in der-
selben Zeit viel zu geringe Regenniederschläge. Den nämlichen
Gegensatz zeigen das'südliche und das nördliche Frankreich.
Die Temperaturbeobachtungen entsprechen dem vollständig.
Vom 7. bis 11. December überstieg die Temperaturabnahme vom
westlichen zum östlichen Ende des preußischen Beobachtungsgebiets
die gewöhnliche um 16 Grad; aber am Ende des Jahres war der
Sieg des Südstromes entschieden, und bis hinauf zur Schlesischen
Koppe herrscht bis Ende Januar die ungewöhnlichste Milde.
Die Beobachtung der Windfahne zeigen als die Ursache jener
Hemmung das Wehen eines von Ost nach West gerichteten
trockenen Luststromes, und die großen Barometerhöhen in
den östlichen Theilen des preußischen Beobachtnugsgebiets zeigen
sich eben da, wo der Ost und Südost unter dem Einflüsse des süd-
westlich herdringenden Gegners verändert erschien. Aber wie es
die Natur des elastischen Mediums mit sich bringt, der Kampf ist
damit nicht zu Ende, er wiederholt sich im Januar.
Also nicht die Annäherung des Golfstromes ist die
Ursache der Deutschland treffenden Januarwärme, sondern das
Herabkommen oberer Luftströme; sie mögen auch jenen
etwas weiter und wärmer als gewöhnlich nach Osten getrieben
haben, aber das kann nicht den milden Winter Deutschlands, son-
dern nur etwa den von Schweden erklären. Wir theilen diese
Betrachtungen hier mit, weil sie Vielen, die über die Witternngs-
auomalien dieser Zeit nachgedacht, eine fruchtbare Anregung ge-
währen mögen, namentlich denen, die, ob auch mit einfachen
Instrumenten, Aufzeichnungen zu machen Pflegen. Sie zeigen,
wie die gleichzeitige Berücksichtigung der verschiedenen Erscheinungen
des Luftkreises ein einfaches Verständniß scheinbar verwickelter Vor-
gänge ermöglicht, und daß, wenn man sie mit den ans derBoden-
gestaltnng unseres Kontinents folgenden Einflüssen und mit einer
zweckmäßigen Beachtung der Witterungsgeschichte verbindet, die
Aussicht auf einen direkten praktischen Gebrauch der Meteorologie
nicht in das Gebiet der Hirngespiunste gehört.
Unregelmäßigkeit in den Meeresströmungen. In der Lon-
doner geographischen Gesellschaft hat I. A. Mann Beobachtungen
über den sogenannten Guyana-Strom mitgetbeilt. Es ist jene
Strömung, welche vom brasilianischen Kap Roque in nord-
w estlicher Richtung mit einer Schnelligkeit von 1 bis 4 Knoten
in der Stunde nach den westindischen Inseln läuft. Nun fuhr die
Brigantine Monte Christo im Juli und August 1862 von Cayenne,
französisch Guyana, nach Paranahyba in Brasilien, und Mann
fand, daß die Guyana-Strömung ganz unverkennbar in umge-
kehrter Richtung gelaufen sei. Es wurde ermittelt, daß das Schiff
acht Tage lang mit einer Schnelligkeit von 4% Knoten in der
Stunde in ostsüdöstlicher Richtung getrieben wurde, also in
einer, der normalen nordwestlichen geradezu entgegengesetzten, und
während der folgenden vierzehn Tage der Fahrt hatte es dieselbe
Strömung. Der Kapitän eines andern ^Schiffes, des Loyal, be-
obachtete Aehnliches, konnte sich die Sache nicht erklären und
glaubte, sein Chronometer sei nicht in Ordnung, und Mann fand
am Bord des französischen Kriegsdampfers Alecto auf der Fahrt
von Surinam nach Cayenne dasselbe. Die Strömung hatte sich
umgekehrt.
Der berühmte Hydrograph Maury war in der Sitzung zu-
gegen und erklärte Mann's Beobachtungen für richtig. Es unter-
liege keinem Zweifel, daß die Ströme im Meere sehr eigen-
sinnig seien; manchmal setzen sie ganz aus oder wen-
den sich und fließen.rückwärts. Maury sprach dann vom
Golfstrom. Als ich, sagteer, auf meiner Reise von Südcaro-
lina nach England auf den Bermudas war, traf ich mehrere eng-
lische Flottenoffiziere, welche seit Jahren auf der nordamerikanischen
Station gekreuzt hatten. Einer sagte mir, er habe auf seiner Fahrt
von Halifax nach Bermuda beobachtet, daß der Golfstrom
nach Süden und Westen gelaufen sei. Das fiel ihm auf.
Die Temperatur des Wassers war ganz in der Ordnung, aber
des Offiziers Gissung war ganz falsch. Auf der Rückreise stellte
er mit guten Instrumenten sorgfältige Beobachtungen an und fand
nun, daß der Golfstrom seine gewöhnliche Richtung nicht nur nicht
inne hielt, sondern rückwärts lief. Der Golfstrom, fuhr Maury
fort, ist ein kapriciöses Ding; wir bedürfen dafür keines andern
Beweises als den merkwürdig milden Winter, welchen wir
haben (Maury äußerte das in der Mitte Januars). Bei oceani-
schen Strömungen müssen wir darauf achten, wie es sich mit der
Gesammtlänge ibres Laufes verhält, denn im Einzelnen giebt es
viele Ausnahmen. Mann's Beobachtungen der Guyanaströmung
sind nicht minder merkwürdig als die eben am Golfstrom erwähnten.
Jene ist allen Brasilfahrern wohl bekannt; wenn sie von ParL an
der Mündung des Amazonas nach Rio segeln wollen, fahren sie
erst nach Norden und Westen bis 25 oder 30° N. und 60° W. L.,
und von dort gehen sie mit dem Passate nach Süden; auf solche
Weise weichen sie der Guyanaströmung aus, welche ihnen auf der
Fahrt nach Süden entgegen wäre.
Maury betonte dann die Wichtigkeit der Beobachtungen
Capella's, Vorstandes des meteorologischen Observatoriums in
Lissabon. Derselbe hat eine Windkarte des äquatorialen
Atlantischen Oceans entworfen und weis't eine sehr mar-
kirte Strömung gerade im Norden des Aequators nach; sie
läuft nach Osten, während eine zweite, eben so stark markirte,
hart im Süden des Aequators nach Westen strömt. Capella
stellt ferner fest, daß etwas südlich von den Caboverden eine Re-
gion, in Form der Ellipse, sich befindet, in welcher der Nord ost-
pass at mit seiner größten Stärke weht. Auch liegt zwischen
St. Helena und Kap Roque eine Region, wo der Südostpassat
seine größte Stärke hat.
Rußlands Thcchmidkl mit China. Dieser wichtige Handels-
zweig hat während der letzten Jahre eine wesentliche Umgestaltung
erlitten: wir erfahren die Einzelnheiten davon aus der Mittheilung
eines in Kiachta wohnenden Korrespondenten einer Petersburger
Zeitung; sie steht im neuesten Hefte (1863, II.) von Erman's
Archiv für wissenschaftliche Kunde von Rußland. Das Wesent-
liche ist Folgendes:
Nach dem ersten Opiumkriege, welchen England gegen China
führte, also vor nun zwanzig Jahren, begann in Rußland der
Schleichhandel mit Thee, von Hamburg ans, wo die Engländer-
Niederlagen hatten. Cantoner Thee kam zunächst in die westlichen
Grenzbezirke und bald auch in die Städte des Innern, ja sogar
auf die Messe von Nischei Nowgorod; dadurch wurde der Land-
handel mit Thee über Kiachta beeinträchtigt, aber auch die Rebellion
der Taiping wurde ihm nachtheilig. Mit Ende des Jahres 1852
wurden alle Jahrmärkte und Handelswege in China geschlossen,
die Ausfuhr russischer W aaren hörte ganz ans, die Chinesen ver-
langten für ihren Thee Silber ge ld und die russischen Kanfleute
mußten die Waaren für einen Spottpreis abgeben, um nur Ge-
schäfte zu macheu. Die in Kiachta beschlossen, in Hinblick auf die
steigende Konkurrenz der Engländer, auch andere Produkte als
Thee in China einzukaufen, z. B. Baumwolle, Seide, Zucker, und
zwar vermittelst des seither vernachlässigten Karawaneuhandels.
Die Chinesen wollten, wie bemerkt, jetzt nur Silber. Gegen
geprägte Münze ließen sie die Kiste für 40 bis 50 Rubel ab, gegen
Maare verlangten sie einen Werth von 100 bis 150 Rubel. Im Jahre
1855 wurde endlich der Handel zu Kiachta frei erklärt und die
Ausfuhr von Gold und Silber aus Rußland nach China
erlaubt. Seitdem hob sich der Handel so, daß im Jahre 1860
die Chinesen 159,31t» Kisten Blätterthee und 43,658 Kisten Ziegel-
thee an die Russen verkauften. Aber dafür blieb auch in ganz
Sibirien kaum ein silbernes Füufkopekenstück zurück.
In Folge des Zuges der Franzosen und Engländer nach Peking
schloß der russische Gesandte Jgnatieff 1860 mit China einen Ver-
trag, welcher die Widerherstellung des frühem Karawaneuhandels
gestattet und den beiderseitigen Nnterthanen freie Durchreise erlaubt.
Der Zoll auf Kiachtathee wurde herabgesetzt, Kiachta selbst zum
Freilager erklärt und _ das Zollamt nach Irkutsk verlegt. Die
russischen Kaufleute schickten nun sogleich versuchsweise eine Kara-
wane nach China (— deren Abreise und Ankunft in Tientsin
wir früher im Globus erwähnt haben; jetzt erfahren wir nun
Näheres —); sie verkaufte gleich im mongolischen Kloster Urga
ihre Waare sehr vortheilhaft und wandte sich dann von dein frühem
Karawanenweg ab, um K alg an zu umgehen und die große Mauer
vermittelst deren östlichen Durchgangs zu passiren. Das wollten
indeß die chinesischen Behörden nicht gestatten, und sie wurde nach
Kalgan, als dem vertragsmäßig für die Russen bestimmten Durch-
gangspunkte, zurückgewiesen. Als die Karawane in China an-
gelangt war, ließ sie Peking zur Linken und ging nach Tientsin.
Sie fand diese Stadt mit europäischen Waaren überfüllt, deshalb
zog sie nach Schang Hai; dort erfuhren die russischen Kaufleute,
daß man in der Stadt Schan ku am Jangtsekiang Thee aus erster
Hand von den Pflanzern kaufen könne; sie fuhren also auf einein
amerikanischen Dampfer dorthin und fanden Amerikaner, Eng-
160
Kleine Nachrichten.
länder und Franzosen am Platze. Sch an fe, eine Stadt von
etwa 200,000 Einwohnern, liegt inmitten des Theedistrikts. Die
Russen fanden in den Magazinen auch russische Tuche, verkauften
ihre mitaebrachten Waaren vortheilhaft und handelten Thee billig
ein. „Wenn sich", schreibt der Kaufmann, „die Handelsschiff-
fahrt ans dem östlichen Oeean immer mehr entwickelt, dann können
russische Waaren für billige Fracht nach Schaug hat und Schau fe
gebracht werden. An die Verbindung vermittelst des Amur
ist vorläufig noch nicht zu denken.' Sibirien wird, in Folge
jenes Seehandels, allerdings verlieren, aber die russischen Manu-
faktnren und feinen Schäfereien werden nicht leiden, und für
Kiachta bleibt immer noch der Handel mit der Mongolei, der sich
jetzt in wunderbarre Weise belebt. Es sind bereits zwanzig
Karawanen aus Kiachta nach Urga abgegaugen; die
Mongolen kaufen von uns Alles, wir von ihnen nur Vieh. Die
Goldindustrie und der. Amur konsumiren unsere Heerden, das
mongolische Vieh kommt uns daher sehr gelegen. Schade, daß
dieses Nomadenland nichts weiter producirt und nichts weiter
produciren kann; das Innere ist eine wald- und wasserlose Steppe,
mit spärlichem Graswuchs. Die Mongolei wünscht schon
lange in russische Unterthanenschaft zu treten und
wartet nur auf eine günstige Gelegenheit. Die Eng-
länder merkten etwas von unseren Karawanen in der Mongolei
und schickten ihren Vicekonsul Gibson nach Urga. Auch Katho-
liken fanden sich dort ein; Alle kehrten jedoch unverrichteter Sache
wieder zurück. —
Daß die Kalkasmongolen bereits halb und halb von Rußland
abhängig sind, haben wir schon früher im Globus hervorgehoben
und das Vordringen Rußlands in Jnnerasien Band III, S. 181 ff.
geschildert.
Die Franzosen Häven festen Fuß in China. Amtliche Pa-
riser Blätter theilen Nachrichten aus Schanghai vom März mit.
Unter den neuerdings erworbenen Vortheilen ist hervorzuheben,
daß die kaiserlich chinesische Regierung den Franzosen die Nieder-
lassung an dem Punkte der Mündung des Peho-Flusses bewilligt
hat, wo die berühmten Taku-Forts liegen. Sie haben dort
eine Kohlenniederlage und zum Schutze derselben Festungswerke
angelegt. Im Sommer soll dort eine französische Kriegsflottille
stationiren, und allemal in der Stadt Tien tsin, wo die europäi-
schen Handelsmächte Konsuln haben, einen Besuch machen. Die
1860 von den Westmächten genommenen Taku-Forts haben seitdem
eine französische Besatzung.
Livingftone's südafrikanische Expedition ist zu Ende. Sie
hat wenig von Dem erfüllt, was man in England von ihr er-
warten zu können glaubte, und die von dem Missionär rege ge-
machten Hoffnungen in Bezug auf Baumwolle und Christianisi-
rnng sind so durchaus fehlgeschlagen, daß von London aus nach
Kapstadt der Befehl ging, diese Expedition fortan ans sich beruhen
zu lassen. Livingstone ist zurückgernfen worden , wir dürfen aber
ein gewiß in mancher Beziehung interessantes Reisewerk von dem
eben so ausdauernden als unternehmenden Mann erwarten.
Südafrika vom Westen nach Osten durchwandert. Es ist
den Reisenden Chapman und Balnes gelungen, von der Wal-
fischbay, die etwas nördlich vom Wendekreise des Steinbocks an
der Westküste liegt, in östlicher Richtung bis zur Mündung des
Sambesi vorzudringen, also vom Atlantischen Oeean bis zum
Kanal von Mosambik. Specielle Nachrichten über diese weite
Wanderung sind noch nicht nach Europa gelangt.
Aus Natal und Kafraria. Diese Regionen des südöstlichen
Afrikas sind von einem Herrn Mawby durchreist worden; er hat
sich in ihnen und der angrenzenden holländischen Orangefluß-
Repnblik etwa acht Monate lang aufgehalten. Bon Natal aus
zog er durch das Romans-Land und den Theil von Kafraria,
welcher östlich von Somerset liegt; von dort ging er nach Co les-
berg und Aliwal und weiter durch das Land derGriqnas, und
über die Drakensberge. Am Fuße derselben in der Gegend, wo
die Quelle des Kanongi liegt, hatten die auf der Wanderung be-
griffenen ein neues Land suchenden Griquas sich für einige Zeit
gelagert, waren aber aus Mangel an Lebensmitteln in einem
kläglichen Zustande. Sie wollten weiter nach Norden ziehen und
dort Getreide bauen. Mawby erhielt eine Einladung von Nehe-
miah Moschesch, dem Häuptlinge der Basutos, welcher an
einem Ausläufer der Drakensberge wohnt. Die Basutostämme
leben mit einander in häufigen Fehden, nehmen aber Europäer
freundlich auf. — Im südlichen Th eile von Natal fand Mawby
nicht sehr erfreuliche Zustände. Dort fand er viele Menschen von
gemischtem Blute („Baslers", wie die Holländer die Mischlinge von
Europäern und Eingeborenen nennen), die im allerschlechtesten Rufe
stehen und denselben auch verdienen. Im Allgemeinem sei Kafraria
der Zufluchtsort für Ausreißer, Verbrecher und Gesindel aller Art;
dort giebt es noch keine Strafe für Verbrechen. Der nördliche
Theil von Nomansland und von Kafraria eigne sich vortrefflich
für den Ackerbau. Das Land Amaponda, welches vom obern
Laufe des Umtata und des Baschi durchströmt wird, hat zwar
eine nicht so hohe Lage über dem Meer, eignet sich aber sehr gut
für Schafzucht.— Die Kolonialregierung will sich mit den Griquas
über die Gebietsgrenzen verständigen. Sie sind nur etwa 3000
Köpfe stark, und ihnen gehört der ganze Norden des Nomans-
landes, ein sehr bedeutender Flächenraum, der viel zu groß für
sie ist.
Bon der afrikanischen Westküste. Der frühere Gouverneur
des französischen Senegambien, Oberst Faid herbe, ein aus-
gezeichnet tüchtiger Mann, hat seine Stellung wieder erhalten.
Die Franzosen haben die Landschaft Futa Toro, wie wir schon
im Globus meldeten, völlig bezwungen, und nun am 26. März
zu Podor mit dem Oberhäuptling Samba Umane einen Frieden
geschlossen, der von den übrigen Häuptlingen gebilligt worden ist.
Sie erkennen an, daß ganz Toro der französischen Sene-
gal-Kolonie „annektirt" worden sei, und verpflichten sich,
niemals mit den Mauren (welche am rechten Stromufer wohnen),
Verbindungen zu schließen. Diese waren in dem Kriege gegen die
Franzosen Bundesgenossen der Leute von Toro. Der Lam, d. h.
Oberhäuptling der letzteren, soll zwar durch die versammelten
Häuptlinge gewählt werden, er hat aber seine Bestätigung beim
französischen Gouverneur nachzusuchen.
Weiter südlich, in Uoruba, an der Guineaküste, dauert der
Krieg zwischen den Egbas und den Jbadans fort, zur Freude
des bluttriefenden Königs von Dahomey, der sich im März breit
machte, einen Raubzug nach Aoruba, namentlich gegen Abeokuta,
zu unternehmen.— An der Goldküste sind die Engländer mit
dem Könige von Aschanti in Zerwürfnisse gerathen.
Die englischen Kolonien. Die Zahl derselben beträgt, In-
dien ausgenommen, das mehr ein Reich und eine Besitzung ist
und nicht als eigentliche Kolonie betrachtet werden kann, 3,350,000
englische Geviertmeilen. Einem Parlamentsberichte zufolge haben
sie zusammengenommen eine Jahreseinnahme von in runder
Summe 11,000,000 Pfd. St. und Schulden im Belaufe von
27 Millionen. Ihre Gütereinfuhr beträgt 60 Millionen, wovon
die Hälfte auf englische Erzeugnisse fällt; vom Export, der sich auf
50 Millionen stellt, gehen drei Fünftel nach Großbritannien.
Die Gesammtbevölkerung der Kolonien übersteigt die Ziffer von
10 Millionen Seelen nicht, und von diesen sind nur 5 Millionen
Weiße.
Die siebenKolonialgruppen: Nordamerika, Australien, Mittel-
meer, atlantische, westindische, östliche und afrikanische, haben unter
einander keinen nähern Zusammenhang. Australien hat den größten
Flächeninhalt, Canada die meisten Schulden, Australien den be-
trächtlichsten Handelsverkehr und die Besitzungen im Mittelmeere
verursachen die meisten Kosten. Die Gesammtausgaben des Mutter-
landes für die Kolonien stellten sich 1860 auf 3,242,243 Pfd. sDt.,
wovon nur 167,000 für bürgerliche, alles klebrige für militärische
Zwecke. Von der Gesammtsumme nehmen die Besitzungen im
Mittelländischen Meer ein volles Drittel in Anspruch, die Kap-
kolonie ein Sechstel, die nordamerikanischen ein klein wenig mehr,
die australischen kaum halb so viel. Die Jonischen Inseln kosteten
280,000, Malta 480,000 Pfv. St.
Die australischen Kolonien exporttren für 22 Millionen
und kosten wenig oder gar nichts, 1860 z. B. für Militärzwecke
nur 250,000 Pfd. St.; während Neusüdwales für 5 und Victoria
für 13 Millionen Werthe exportirt; von den letzteren kamen drei
Viertel nach England, von den ersteren nur ein Viertel.
Im gesammten britischen Westindien sind nur 54,000
weiße Leute vorhanden. Es importirt für etwa 6 Millionen
und die Ausfuhren belaufen sich ziemlich eben so hoch; die Ge-
sammteinnahmen erreichen noch keine Million. Jamaica ist schwer-
verschuldet, aber Barbadoes mit nur 291 Pfd. St.
Indien exportirte 1860 für 34 Millionen, wovon 15 Millionen
nach England kamen, und importirte für 22 Millionen von Eng-
land und für 12 Millionen ans anderen Ländern.
Dampfer auf dem obern Jrawaddp sind seit der Mitte des
Jahres 1862 im Gange und treiben bereits einen lebhaften Handel.
Herausgegeben von Karl Andrer in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von Ci Grnmbach in Leipzig.
Die Parsrs in Äombay.
Erster Artikel.
Bedeutung und Charakter von Bombay. — Eine bunte Völkermosaik. — Die Parsis als Leute des Fortschritts unter den Orientalen. —
Vertreibung der Bekenner von Zoroaster's Lehre aus Persien. — Ihre Zufluchtstätte m Chorassan, auf Ormus und Dm, und bei
Sandschan in Indien. — Der erste Feuertempel in Indien. — Zerstreuung der Parsis. — Sie kommen nach Snrat und Bombay. —
Gesammtzahl. — Die beiden Sekten und ihr chronologischer Zwist. — Religiöse Feste. — Häusliches Leben. — Die Faimüe. — Hoch-
zeitfeier. — Begräbniß im Thurm des Schweigens. —
Bombay, der volkreiche Hafenplatz vor der Nordwest-
küste Indiens, erscheint als eine der merkwürdigsten Städte
Asiens auch schon deshalb, weil es am wenigstens specifisch
orientalisch ist. In allen anderen Plätzen schlägt irgend
eine bestimmte Volksthümlichkeit oder irgend ein Religions-
üllen Kasten, 124,000 Mohammedaner, mehr als 114,000
Parsis, etwa 20,000 Christen aus allerlei Nationen; dazu
kommen Mischlinge von Briten und Hindufrauen (sogenannte
Eurasier), Jndoportugiesen, Inden und tausende von Leuten
aus allen vorderasiatischen Ländern.
Palankin.
bekenntniß vor, und dadurch erhält jeder sein Hauptgepräge.
Schanghai und Canton sind durchaus chinesisch, Calcutta
ist vorwaltend bengalisch, Bangkok siamesisch. Aber Bombay
kann nur mit einer Mosaik verglichen werden; es ist durch-
aus buntscheckig.
Als König Karl der Zweite von England die Insel,
auf welcher Bombay liegt, 1664 zur Mitgift von seinem
Schwiegervater, dem Könige von Portugal, erhielt, zählte j
dasselbe kaum 15,000 Einwohner; heute ist die Zahl der-
selben auf mehr als 566,000 angewachsen. Von diesen sind
296,000 Hindu aus sehr verschiedenen Gegenden und von
Globus IV. Nr. 6.
Das ist eine ethnologische Musterkarte, und Bombay
hat jahraus jahrein das Ansehen eines Jahrmarktes; Alles
ist belebt, von früh bis spät wogt ein buntes Gewimmel
voil Menschen durcheinander; man glaubt sich in ein Theater
versetzt, dessen Zeltdach der klare, blaue Himmel bildet. Der
Bramine geht dort friedlich neben dem Buddhisten, der
Muselmann neben dem Juden und dem Bekenner des
Evangeliums. Da steht ein persischer Kaufmann aus
Ormüs oder Basra und hält Pferde oder Datteln seil;
weiterhin sieht nian den Araber mit seinem ernsten, dunkeln
Antlitz und dem langen, blauschwarz gefärbten Bart; er
2t
162
Die Parsis in Bombay.
verkauft Kaffee und Myrrhen. Der Mann ist ein Stadt-
bewohner, aber auch fein Landsmann aus der Wüste fehlt
nicht. Dieser Beduine hat aus Liebe zum Geldgewinn sein
Zelt verlassen, ist zu Schiffe gegangen und über See nach
Bombay gekommen; hier gebärdet er sich zahm und flößt,
trotz seiner Wüstenkleidung und seines wilden, unstäten Blickes,
Keinem Furcht ein. Unter seinem Turban hat er ein langes
Tuch mit gelben Franzen, das über die Schultern auf seinen
aus Ziegenhaar gewebten Mantel herabfällt. Der Beduine
ist kein Kaufmann von Handwerk, aber dem Armenier sieht
man einen solchen auf den ersten Blick an; für ihn ist ledig-
lich Soll und Haben die Losung. Man erkennt ihn ohnehin
sofort an der Lammfellmütze und dem lose flatternden, schwarzen
Rocke; er bildet einen scharfen Gegensatz zu dem chinesischen
Matrosen, dessen gelbes Gesicht von einem Strohhute be-
schattet wird; natürlich fehlt weder das blaue Beinkleid, noch
der Zopf. Der Jude ist auch hier nicht zu verkennen, eben
so wenig der schwarze Mann von der abessinischen Küste,
oder der Mischling, welcher von portugiesischen Vätern
und indischen Müttern abstammt. Der Engländer, Be-
herrscher des Landes, fühlt sich auch als solcher. Er läßt sich
von Kuli's, Arbeitern, im Palankin tragen, oder giebt feinen
Handlungsdienern Befehle. Die Engländerin, mit ihrer
hellen Haut, sticht scharf ab, gegen die dnnkelen Kulifrauen.
Aber wir dürfen den Parsi nicht vergessen, denn er
ist in der ganzen Gruppe der bei weitem interessanteste. Mit
Lebhaftigkeit drängt er sich durch das Gewühl, wir erkennen
ihn an seiner purpurfarbigen Kopfbedeckung und seinem
weißen, durchaus säubern Gewand. Und blicken wir diesem
Mann in's Gesicht, so finden wir regelmäßige Züge und
einen energischen Ausdruck im Blicke, der allen anderen
Orientalen fehlt. DerParsi, der einzige Eingeborene
des Morgenlandes, welcher für den Fortschritt in
unserm europäischen Sinn empfänglich ist, hat auch
Verständniß für denselben und steht geistig uns gleich. Er
ist ein Arier, ohne semitische oder mongolische oder dravi-
dische Zuthat. Man merkt ihm auch heute noch an, daß
seine Borfahren aus dem Norden her eingewandert sind.
Es gewährt ein spannendes Interesse, die Geschichte
der Parsis in Indien zu betrachten, und zu sehen, wie sie
sich unvermischt erhielten, ihren alten Glauben bewahrten,
durch Thätigkeit und klugen Sinn gediehen, reich wurden,
und nun längst unter den eingeborenen Asiaten unbestritten
den ersten Rang einnehmen, selbst vor den Japanern und
Chinesen wenigstens in dem Punkte, daß sie den Europäern
gegenüber keine Bornrtheile haben. Wir wollen ans eine
nähere Schilderung dieses merkwürdigen Volkes eingehend)
Um die Mitte des siebenten Jahrhunderts unserer Zeit-
rechnung stürmten die mohammedanischen Araber unter dem
Chalifen Omar über Persien herein. König Pezdedscherd,
der siebennndvierzigste Herscher seit dem großen Cyrns, fetzte
sich zur Wehre, wurde aber in der Schlacht bei Nahavand,
nicht weit von Ekbatana, völlig auf's Haupt geschlagen. Mit
jenem verhängnißvollen Tag, im Jahre 651, ging das
persische Reich zu Ende. Pezdedscherd irrte unter mannich- *)
*) Nach: The Par sees, their history, manners, customs
and religion, by Dosabhoy Framjee. London 1858, 286
Seiten. Der Verfasser ist ein gelehrter Parsi; er schrieb sein Buch
englisch, um den Europäern einen Einblick in das Leben, Wesen
und Treiben seiner Volks- und Glaubensgenossen zu geben. Er
hat, wie ich gelesen zu haben glaube, auch eine Uebersetzung des
Werkes in der Gudsch erati spräche erscheinen lassen. Unseres
deutschen Landmannes Martin Hang's Fssays on the sacred
language, writings and religion of the Parsees, Bombay 1862
kenne ich nur aus den Mittheilungen, welche darüber Oskar Peschel
im Anslande (Nr. 40, Oktober 1862) gegeben hat. A. .
fachen Verkleidungen im Land umher; dann wurde er von
einem Müller getödtet, welchem er sich offenbart hatte.
Den Persern blieb keine andere Wahl als der Tod oder
die Annahme des Islam. So kam es, daß Hunderttausende
und Millionen, wenn vorerst auch nur äußerlich und aus
Zwang, sich zu der Lehre des arabischen Propheten bekannten.
Die Feuertempel und andere heilige Stätten wurden von
den Mohammedanern zerstört oder in Moscheen verwandelt.
Gerade so sind einst die Christen mit den Tempeln der Heiden
verfahren.
Aber viele Perser blieben doch der alten Lehre Zo-
roaster's getreu. Um den Verfolgungen der Mohammedaner
zu entgehen, flüchteten sie in die Gebirge von Chorassan,
wo sie fast ein Jahrhundert lang ungestört blieben. Dann
aber vertrieb der Fanatismus sie auch aus diesem Asyle, sie
mußten fortziehen und suchten eine ruhige Stätte zunächst auf
der kleinen Insel Ormüs, welche ani Eingänge zum Persi-
schen Meerbusen liegt. Doch war ihnen hier nur eine kurze
Rast vergönnt, und nichts blieb ihnen übrig, als dem Land
ihrer Väter auf immer den Rücken zu kehren. Sie gingen zu
Schiff und fuhren nach Indien. Diesen ersten Auswan-
derern sind ohne Zweifel im Fortgange der Zeit noch manche
andere gefolgt, aber darüber fehlt es an sicheren Nachweisen.
Die vereinzelten Nachrichten sind erst 1599 zusammengestellt
worden in einem Werke: Kißah i Sanjan, welches ein in
Nausari (einer unweit von Surat liegenden Stadt) wohn-
hafter Parsi, Behram, verfaßte. Ihm zufolge landeten
die ersten Auswanderer auf der kleinen Insel Diu, im Süd-
osten der Halbinsel Kattiwar, von wo sie, aus uns unbe-
kannten Gründen, nach neunzehn Jahren wieder anfbrachen.
Behram erzählt: „Ein hochbejahrter, ehrwürdiger Destur
(d. h. Oberpriester) befragte die Sterne, und sie verkündeten,
daß die Parsis sich eine andere Heimat suchen müßten. Alle ge-
horchten mit Freude und gingen nach Gudscherat unter Segel."
Während der Fahrt wurden sie von einem heftigen
Sturm überfallen, aber das Gebet zum einigen Gotte brachte
ihnen Rettung und sie landeten bei Sandschan, das etwa
zehn Wegstunden südlich von Dam sin (20° 24' N. Br.)
liegt. Dasselbe ist jetzt, gleich Goa und Diu, portugiesische
Besitzung. Als die Parsis im Jahre 71 7 nach Sandschan
kamen, herrschte dort ein wohlwollender Mann, Dschadao
Nana. Diesem nahte sich ein alter Destnr mit Geschenken; er
erklärte, weshalb die Parsis ihr Vaterland verlassen hätten,
und bat um eine sichere Heimat. Sie überreichten dem Herr-
scher, in sechszehn Schlotes, d. h. Distichen, einen Inbegriff
ihrer Lehre, gaben aber in denselben nicht ihr ganzes und
volles Glanbensbekenntniß, sondern hoben hervor, was in
ihren Anschauungen und Bräuchen mit jenen der Inder Aehn-
lichkeit oder Uebereinstimmung hatte. Sie^ sagten unter
Anderm: Wir beten Hormusd, das höchste Wesen, an; wir
verehren die Sonne und die fünf Elemente. Beim Baden,
Beten, beim Feueropfer und beim Speisen schweigen wir.
Wir verehren die Kühe und verrichten Abwaschungen mit
Gaomutra (Knhurin). Wir tragen das geweihte Kleid, die
Sadra und den Kusti, d. i. geweihten Gürtel, haben auch
die zweigesaltete Mütze. Wir nähren die heilige Flamme
mit Weihrauch, beten täglich fünfmal, halten streng ans ehe-
liche Treue rc.
Man sicht, daß sie nur Aeußerlichkeiten gaben und die
Sätze derart stellten, daß sie dem Dschadao Rana keinen
Anstoß geben konnten. Während ihres Aufenthalts in Diu
hatten sie erfahren, wie ungern die Hindus mit Fremden in
Berührung treten, weil sie, nach ihren Kastenbegriffen, da-
durch verunreinigt werden. Sie waren nun des Umher-
irrens müde, sehnten sich nach einer Heimat, und eine
andere Waffe als Klugheit halten sie nicht. Sie sagten dem
Die Parfis in Bombay.
163
Könige keine Unwahrheit, aber sie sagten ihm nicht Alles,
und faßten das, was sie ihm mitzutheilen hatten, in einer
Weise, daß er keinen Anstoß nehmen konnte.
Sie fanden Gnade vor seinen Augen: er erlaubte
ihnen, sich anzusiedeln, freilich nur unter der Bedingung,
daß sie die Landessprache annähmen und sich der Mundart
ihrer Väter nicht ferner bedienen dürften. Sodann mußten
sie ihre Mädchen und Frauen in indischer Weise kleiden,
sollten keine Waffen tragen, und Hochzeiten nur bei Nacht
feiern. Als sie sich damit einverstanden erklärten, gab
ihnen der König eine ausgedehnte Strecke Landes, ganz in
der Nähe von Sandschan, zugleich war er ihnen behülflich,
einen Feuertempel zu bauen. Denn auch die Hindu
halten das Feuer in hohen Ehren. Im Jahre 721 war
der Tempel vollendet und nun loderte die heilige Flamme auf
dem Altäre.
Dreihundert Jahre lang lebten dann die Parsis in
ungestörter Ruhe; ihre Zahl wuchs an, und viele von ihnen
wanderten im Fortgange der Zeit mit ihren Familien nach
Surat, Nausari, Broatsch, Variao, Uklisir und Cambay
aus, verbreiteten sich also in der Landschaft Gudscherat.
Und noch zweihundert Jahre verflossen in Frieden und in
gutem Einvernehmen mit den Hindu, und die Parsis waren
harmlose Ackerbauer. Als aber 1507 die Mohammedaner
einen Angriff gegen Sandschan machten, gab der Radscha den
Parsis Waffen, und sie schlugen sich tapfer. In einer ersten
Schlacht blieben sie siegreich, eine zweite verloren sie und
der mohammedanische Fürst Aluf Chan unterwarf das Land.
Nun waren die Parsis wieder ohne Heimat, denn
unter mohammedanischem Drucke zu leben, das vermochten
sie nicht. Sie nahmen das heilige Feuer mit in das Ge-
birge von Baharut, blieben dort zwölf Jahre lang, gingen
dann nach Banka und endlich nach Nausari, wo schon viele
ihrer Genossen in günstigen Verhältnissen lebten. Als
nach einiger Zeit Uneinigkeit unter den Priestern ausbrach,
brachten sie das heilige Feuer nach Udwara, südlich von
Surat. Dort hat es seitdem ununterbrochen fortgelodert
und der Tempel jener Stadt steht noch in großem Ansehen.
Wohlhabend und einflußreich sind die Parsis erst ge-
worden, nachdem sie von Sandschan aus sich zerstreut hatten.
Merkwürdigerweise fanden sie sogar an mohammedanischen
Höfen Gunst und bekleideten zum Beispiel beim Nawäb von
Surat hohe Aemter; einer von ihnen wurde sogar als Ge-
sandter an den Hof des Großmogul geschickt und von diesen
mit einem großen Grundbesitze begnadigt. In Surat war
nun gleichsani ein Centralpunkt für die Parsis; sie befanden
sich dort schon gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts
in sehr guten Verhältnissen, und als dann die europäischen
Handelsvölker in jener Stadt Faktoreien gründeten, ver-
besserte sich ihre Lage noch um ein Beträchtliches. Schon
die Holländer und gleich nachher die Engländer erkannten
den großen Unterschied zwischen den intelligenten und
fleißigen Parsis und den übrigen Eingeborenen Indiens;
jene zeigten sich namentlich als Mäkler und überhaupt als
Vermittler in Handelsgeschäften ungemein tüchtig, und das
ist auch heute noch in Bombay der Fall.
Als Surat eine immer größere Handel^bedeutnng ge-
wann, sank Nausari. In dieser Stadt leben aber heute noch
Parst-Priester, von denen alljährlich mehrere nach Bombay
gehen, um dort gottesdienstliche Gebräuche zu verrichten.
Wir wissen nicht genau, in welchemJahre die Parsis nach
Bombay gekommen sind; es muß aber vor der Zeit gewesen
sein, in welcher Insel und Stadt von Portugal an die
Engländer abgetreten wurden, also ungefähr vor dem Jahre
1668. Gewiß ist, daß schon 1671 auf dem sogenannten Ma-
labarhügel eine Dochma stand, ein sogenannter Thurm
des Schweigens, also eine Begräbnißstätte. Die Parsis
selbst behaupten, daß schon zur Zeit der portugiesischen
Herrschaft ein gewisser Dorabschi Nenabhoy inBombay
gewohnt habe. Den Engländern, welche anfangs weder
mit den örtlichen Verhältnissen noch mit Sprache oder Sitten
der Inder bekannt waren, leistete dieser Mann erhebliche
Dienste als Vermittler, und seine Nachkommen, welche
auch heute noch geehrt und im Wohlstände leben, haben
allezeit den Briten erhebliche Dienste geleistet. Ihm folgte
aus Surat, und zwar ans ausdrückliche Einladung, ein int
Schiffsbauwesen sehr erfahrener Mann, Lautschi, nach
dessen Angaben und Plänen die großen Werste zu Bombay
angelegt wurden. Das geschah 1735, und es ist bemerkens-
werth, daß auch in unseren Tagen noch auf diesem Werft
einer seiner Nachkommen Oberschiffsbaumeister ist.
Die Zahl der Anhänger Zoroaster's übersteigt die
Ziffer von 150,000 nicht, und dabei sind die etwa 8000,
welche noch in Persien wohnen, mitgerechnet, die meisten leben
in Bombay und in mehreren Städten der Provinz Gudscherat;
vereinzelt und als Kauflente findet man sie aber in allen
Städten des fernen Morgenlandes, namentlich in Calcutta,
den hinterindischen und chinesischenHäfen und selbst inLondon.
Am 20. August 1851 wurde auf der Insel Bombay eine Zäh-
lung vorgenommen: sie ergab für die Parsis 110,544 Seelen,
wovon 68,754 männlichen und 41,790 weiblichen Ge-
schlechts. Die Parsis glaubten, diese Ziffer sei zu hoch ge-
griffen, es ist aber Thatsache, daß sie sich jetzt höher beläuft.
Die Gemeinde ist in blühendem Gedeihen, sie wächst rasch
an, bildet 20 Procent der Bevölkerung von Bombay und die
Sterblichkeit beträgt nur 4,71 Procent. Unter dem Schirm
der englischen Herrschaft nehmen sie rascher zu als irgend
eine andere Gruppe der indischen Bevölkerung. Da sie
Zwischenheirathen mit Hindu's und Mohammedanern streng
vermeiden, theils ans religiösen Beweggründen, theils
weil ihre Gesetze eine solche Vermischung unbedingt unter-
sagen, so bleiben sie rein. In Surat leben gegenwärtig noch
etwa 20,000 Parsis, in Broatsch und Nausari etwa 20,000;
in Ahmedabad, Damän, Gandavi, Balsar, Billimora und
einigen anderen Städte zusammen etwa 10,000 ; dazu kommen
noch die zu Uesd und Kerman in Persien wohnenden.
Die Parsis in Indien thcilen sich in zwei Sekten,
die Schenschoys und die Kudmis (Kadmis). Sie
haben aber keine Abweichungen über Glaubensartikel, etwa
so wie Protestanten und Katholiken, sondern Kultus und
Ceremonien sind ganz dieselben, und beide leben mit einander
im besten Einvernehmen. Die verschiedene Ansicht betrifft
weiter nichts als die Feststellung des Zeitpunktes, mit welchem
die Aera Pezdedscherd's, des letzten Königs von Persien, zu
beginnen habe. Die Zahl der Kadmis beträgt höchstens
10,000, die Schenschoys sind also unendlich zahlreicher.
Aber seit langer Zeit spielten trotzdem die Kadmis eine
hervorragende Rolle, und manche der reichsten und ange-
sehensten Kauflente gehören zu ihnen. Der in jeder Be-
ziehung aufgeklärte, wissenschaftlich vollkommen durchgebildete
Framdschi Kowasdschi war ein Kadmi; ein solcher ist
auch der vielgenannte Framdschi Nassirwandschi, und
die berühmte Familie Kama gehört auch zu ihnen. Da-
gegen war Sir Dschamsitschi Dschischibhoy, dieser in
jeder Beziehung hervorragende Mann, ein Schenschoy.
Vor der Zerstreuung waren diese beiden Sekten nicht
vorhanden; sie sind erst in Indien entstanden. Im Jahre
1090 der Zeitrechnung Yezdedscherd's, also vor etwa zwei-
hundert Jahren, kam ein gelehrter Priester aus Persien,
Dschamasp, nach Surat, um die dortigen Mobeds (Priester
der Lehre Zoroaster's) zu unterrichten; er glaubte annehmen
zu müssen, daß seine Glaubensgenossen in Indien in Betreff
164
Die Parfis in Bombay.
ihrer chronologischen Berechnung um einen ganzen Monat im
Jrrthum seien. Anfangs legte man weiter kein Gewicht auf
diesen an sich höchst unbedeutenden Gegenstand; aber 1746
kam ein Parst aus Iran nach Indien, rührte die Frage
wieder aus, gewann einige Mobeds für sich und dann ent-
halten, welche man in den Zeitungen fortsetzte, und zuletzt blieb
Alles beim Alten. Für den Kultus hat die Sache deshalb
noch einigen Belang, weil der Parst, wenn er seine Ge-
bete zum Himmel sendet, dabei Jahr, Monat und Tag
namhaft machen muß. So entsteht eine Verschiedenheit
stand die Sekte der Kadmis. Gegenwärtig legt man weiter kein
besonderes Gewicht aus die Sache, aber vor etwa dreißig
Jahren schlugen die Geistlichen großen Lärm darüber. Ein
Mobed der Kadmis, Molla Firos, kämpfte mit Feuereifer für
die neue Aera, an der Spitze der Schenschoys schritt ein nicht
minder rüstiger Kämpe, Schit Korsetschi Manakdschi; in stark
besuchten Versammlungen wurden heftige Kontroversen ge-
des Datums, und deshalb hält jede der beiden Sekten auch
ihre Festtage zu verschiedener Zeit.
Diese Feste sind folgende. Pappati oder Neujahrs-
fest wird gefeiert zu Ehren des Königs Yezdedscherd. Die
alten Perser begannen mit dem Regierungsantritt eines
jeden Königs auch einen neuen Zeitabschnitt. Da nun
Uezdedscherd ihr letzter Monarch war und keinen Nach-
Die Parfis in Bombay.
165
folgen hatte, so zählen die Parsis nun von dessen Thron- I legen, Hamma i dschur, vorzunehmen, und sich dabei ein
besteigung an. Am Neujahrstage stehen sie sehr früh aus, j frohes Neujahr zu wünschen. Den Armen werden Almosen
Arbeiterinnen in Bombay.
legen neue Kleider an, und in den Feuertempeln ist eine ! gespendet, die Dienerschaft erhält neue Kleider und der Abend
große Menschenmenge versammelt. Nach dem Gebete machen i verfließt unter allerlei Lustbarkeiten.
Freunde einander Besuche, um das Handineinander- I Chordad Sal ist die Feier von Zoroaster's Geburts-
166
Die Parsis in Bombay.
tag.-—Amardad Sal ist eine Nachfeier, die am folgenden
Tage stattfindet. — Farrohardin dschasan ist Feier für
die Todten, Allerseelentag; — Ardibehest dschasan,
Feier zu Ehren des Engels (Amschaspand) Ardibehest; er ist
Schutzengel des heiligen Feuers. — Naurus ist der Königs-
tag und fällt gewöhnlich auf den 21. März, er erinnert
an den Tag, an welchem einst den Königen der Jahrestribut
dargebracht wurde. Er wird auch von den heutigen Persern,
Arabern, Türken und Hindus gefeiert und reicht über den
Mohammedanismus hinaus. — Ava Ardui Sur dscha-
san ist das Fest zu Ehrendes Engels, welcher über das Meer
gebietet. Der Parst geht an die Küste oder an ein fließendes
Wasser und stimmt Gesänge in der Zendsprache an; man
hat übrigens in Indien den Landeseingeborenen allerlei
Ceremonien entlehnt, und opfert dem Meere Kokosnüsse,
Zucker und Blumen. In Bombay wird an diesem Festtag
ein großer Markt abgehalten. — Addar dschasan ist ein
Feuerfest; man wirft Sandelholz in das heilige Feuer und
giebt den Priestern Geld. Dazu kommen dann noch einige
andere Feste. Am Ende des Parsijahres feiert man das
Muktads, das heißt, man begeht eine Eeremonie, bei
welcher Messing- oder Silbergefäße mit Wasser gefüllt und
auf eiserne Gestelle gesetzt werden. Man legt ans diese
Muktads auch Blumen und Früchte und erinnert sich der
Todten.
Wir kommen nun ans das Haus- und Familien-
leben der Parsis. Alle Kinder müssen das Licht der Welt
zu ebener Erde erblicken, und die Mutter muß vierzig
Tage in dem Gemache bleiben, wo sie ihre Niederkunft
hatte; dann erst darf sie wieder in der Familie erscheinen.
Höchstens fünf Tage nach der Geburt muß ein Parsipriester
oder auch ein Bramin dem Kinde das Horoskop stellen.
Er zeichnet mit Kreide allerlei Figuren auf den Boden und
berechnet die Sterne, unter denen das Kind geboren wurde,
zählt alle Namen auf, welche man demselben etwa geben
dürfe und unter welchen die Aeltern zu wählen haben, und
verkündet, daß das Kind nicht nur selbst ein Glückskind sein,
sondern auch den Eltern Neichthum und Gedeihen bringen
werde. Die Männer lachen über solche astrologische Ab-
geschmacktheiten, aber die meisten Frauen legen großen Werth
ans den Firlefanz.
Die Kleidung paßt für das heiße Klima. Bis zum
vollendeten sechsten Jahre trägt das Kind die Dschabhla
(Jublah), eine Art Kittel, der vom Halse bis zum Fußknöchel
reicht, und auf dem Kopf hat es die Topi. An Festtagen
sind beide mit Silber oder Gold gestickt und von Seide. *)
Dann trägt man auch Perlen und Juwelen. Die Parsis
lieben es sehr, ihre Kinder an solchen Tagen recht stattlich
herauszuputzen.
Wenn das Kind sechs Tage und drei Monate alt ist,
erhält es Sudra und Kusti. Mau zieht ihm die Dschabhla
aus, es wird erst gewaschen und dann vor dem Destur, Ober-
priester, hingesetzt, welcher den Segen über dasselbe spricht.
Mau könnte dasselbe, da es eine Einweihung ist, gewisser-
maßen mit der christlichen Taufe vergleichen. Die Sudra
ist von Leinen oder Seide; dieses Gewand wird im Zend-
avesta als das Kleid des guten und wohlthätigen Wandels
bezeichnet. Der Kusti ist eine dünne, wollene Gürtelschnur
*) Man sehe die Abbildung. Unsere Holzschnitte sind nach
Photographien verfertigt worden, welche Herr Gustav Spieß,
königl. sächischer Commissar bei der ostasiatischen Expetidion des
Grafen Eulenburg, aus Bombay mitbrachte. Das Kind ist im
Schnitt vortrefflich wiedergegeben; das Gesicht der Frau in sofern
nicht ganz getreu als die Nasenflügel ein klein wenig zu breit er-
scheinen. Der Parst, ein Kaufmann, ist ganz vortrefflich; dasselbe
gilt von den Figuren der Kulis.
ans zweiundsiebenzig Fäden; jeder dieser letzteren bezeichnet
eins der 72Has oder Kapitel des Jsaschne, eines der heiligen
Bücher. Der Kusti wird dreimal um den Leib gewunden,
und man macht dabei vier Knoten, während ein Gesang
angestimmt wird. Beim Schlagen des ersten Knotens sagt
man: „Es ist nur ein Gott und nichts Anderes kann mit
ihm verglichen werden"; beim zweiten: „Zertuscht's (Zo-
roaster's) Religion ist die richtige"; beim dritten: „Zoroaster
ist der wahre Prophet und erhielt seine Sendung von Gott";
beim vierten: „Thue das Gute und enthalte dich des Bösen."
Zu Hause trägt der Parst einen langen Rock mit einem
Musselingürtel, baumwollene Beinkleider, pantoffelartige
Schuhe und eine seidene Mütze. Wenn er ausgeht, zieht er
eine An gra kh a an, das heißt einen weiten Rock ohne Gürtel,
dessen Aermel noch einmal so lang sind als der Arm, aber
über dem Handknöchel aufgekrämpt werden. Dann hat er
auch einen Turban, gewöhnlich von dunkler Farbe, über
seiner Mütze oder einem schwarzen Käppchen. Die Reichen
tragen lange Strümpfe, Beinkleider von Seide und euro-
päisches Schuhwerk. Bei festlichen Gelegenheiten werfen
sie noch eine weißeDschäma über und schlingen eine ellen-
breite Schärpe, Pitschori, um den Gürtel. Das Letztere
ist aber nur bei Hochzeiten und Leichenfeierlichkeiten der Fall,
sodann auch, wenn der Parst dem Gouverneur die Aufwar-
tung macht oder Ballgesellschaften bei Europäern besucht.
Die Kleidung der Priester gleicht jener der Laien, nur ist
der Turban weiß.
Die Parsifrauen sind im Allgemeinen schlank und
anmuthig gewachsen und haben eine sehr weiße Haut. Schade
ist, daß sie ihr Haar unter der Math ab an a verstecken, einem
dünnen Tuche von weißer Leinwand, das sie um den Kopf
binden. Sie schlingen dasselbe hinten auf dem Kopse zu einem
Knoten, welchen sie mit den Enden der Mathabana aufbinden.
Sie tragen, gleich den Männern, Hemd und Kusti und seidene
Beinkleider. Ihr Sari oder Obergewand ist gewöhnlich von
hellfarbiger Seide, manchmal mit allerlei Figuren gestickt oder
mit Goldspitzen besetzt. Unter dem Sari sitzt eine seidene Jacke
mit kurzen Aermeln, Kan sch ri oder Scholi. Alle Parsi-
frauen, reich oder arm, putzen sich je nach ihren Vermögens-
verhältnissen mit Gold und Juwelen; zum Schmucke gehören
auch der mit Edelsteinen besetzte Nasenring, ein goldenes
Halsband und breite Reifen über den Hand - und Fußknöcheln.
Diese Tracht ist nicht jene der alten Perser oder der noch in
Persien verweilenden Parsis; sie ist angenommen worden,
weil die Fürsten, von welchen einst die Fremdlinge in Indien
ausgenommen wurden, Einfluß aus die Kleidung übten. Daher
denn bei den Männern Angrakha und Turban, bei den Frauen
der Sari, also Kleider, welche auch die Hindu in Gudscherat
tragen.
Die Lebensweise der Parsis ist halb indisch, halb euro-
päisch ; aber die Civilisation macht unter ihnen alljährlich
mehr Fortschritte und sie schließen sich nun enger den eng-
lischen Gewohnheiten an, auch in Bezug auf ihre Häuser,
die im Allgemeinen in einem ansprechenden Geschmacke ge-
baut und ohne Ausnahme vortrefflich gelüstet werden. Die
Land- und Gartenhäuser der Parsis sind ohne alle Frage die
schönsten ausser Insel Bombay. Die Empfangzimmer sind
reich geschmückt; auch hübsche Gemälde fehlen nicht, haupt-
sächlich aber wird darauf gesehen, daß die Beleuchtung so
glänzend und hell als möglich sei.
Ehemals war es Brauch, daß man beim Essen, gleich
den Hindus, auf der platten Erde saß; das hat nun mehr
und mehr aufgehört und in vielen Häusern speis't man in
europäischer Weise, wenn Leute aus dem Abendland einge-
laden worden sind. Im Allgemeinen trägt aber im häus-
lichen Wesen doch Manches noch einen asiatischen Charakter.
Die Parsis in Bombay.
167
Der Parsi hält täglich drei Mahlzeiten und bringt bei jeder
seinen Dank der Vorsehung dar, welche ihm das tägliche
Brot giebt. Männer und Frauen speisen von einander ab-
gesondert; das ist aber eine den alten Persern unbekannte
Sitte, welche man von den Hindus angenommen hat. Doch
haben sich schon Manche über dieselbe hinweggesetzt. Die
Parsis sind im Allgemeinen musterhafte Ehemänner und
Die Parsis sind ein ungemein geselliger und gastfreund-
licher Menschenschlag, sehen gern Freunde und Verwandte
bei sich und nehmen jede Gelegenheit wahr, um Feste zu
geben. Bei diesen ist jetzt im Allgemeinen europäische Musik
an die Stelle der indischen getreten, welche gespielt wurde,
wenn die Tanzmädchen, die Rutsches, auftraten.
Die Hochzeitsfeierlichkeiten sind von ganz eigen-
Parsi-Frau und Kind.
das Familienleben verfließt glücklich und in Frieden. Die
Parsifrau hat eine unendlich höhere Stellung, als jene Lei
den Hindus und Mohammedanern; sie übt nicht selten großen
Einfluß und verkehrt frei mit allen Angehörigen der Familie.
Mancher Hausstand zählt ein Dutzend oder ein paar Dutzend
Mitglieder; die Söhne bleiben auch nach ihrer Verheirathung
im Vaterhause, in welchem zuweilen der Urgroßvater und
die Urenkel unter einem Dache beisammen wohnen. Uebrigens
sieht man die Parsifrauen nicht öffentlich in der Gesellschaft;
so weit haben sie sich noch nicht europäisirt.
thümlicher Art. Der Parst; denkt eher daran, wie er sein
Kind verheirathen soll, als ihm eine Erziehung zu geben.
Es ist das eine Schattenseite bei diesem Volke; diese frühen
Verheirathungen taugen nichts. Indische Einwirkungen sind
dabei nicht zu verkennen; der Hindu soll, den Vorschriften
der Schasters zufolge, seine Tochter verheirathen, bevor sie
das neunte Jahr zurückgelegt hat, und es fällt ein großer
Schimpf auf die Familie, wenn er das unterläßt. Diese
Ansicht ist auch auf die Parsis übergegangen und daher
rühren die frühen Heirathen. Es kommen Fälle vor.
168
Die Parsis in Bombay.
daß ein dreijäbrigerKnabemit einem zweijährigen
Mädchen verlobt wird! Noch vor zwanzig Jahren war
es in Bombay und in mehreren Städten von Gudscherat
gebräuchlich, Heirathen für Kinder abzuschließen,
die noch gar nicht auf der Welt waren. Das kommt j
übrigens jetzt nur noch in seltenen Fällen vor, und Heirathen
zwischen Erwachsenen kommen immer mehr in Brauch, weil
man so vornrtheilssrei geworden ist, sich derselben nicht mehr
zu — schämen, was früher allerdings der Fall war.
keine besondern Ceremonien Vorkommen. Die Eltern des
Knaben schicken dem Mädchen Kleider und die Eltern der
letztern thun ein Gleiches für den Bräutigam. Durch die
Auswechselung dieser Geschenke wird die Verbindung fest;
über die Vollziehung der Ehe trifft man aber noch keine Be-
stimmung, welche sich die Eltern für die geeignete Zeit Vor-
behalten. Ohnehin bestimmt der Astrolog den Hochzeitstag.
Die Verwandten des Paares wechseln Geschenke unter ein-
ander aus, zumeist Kleider und Schmuck; der Schwieger-
Ein Pnrsi in Bombay.
Gewöhnlich übernehmen einige Priester das Freiwerben,
nachdem sie zuvor Erkundigungen über alle in Betracht
kommenden Verhältnisse eingezogen haben. Ein Astrolog
muß die beiderseitigen Horoskope prüfen und entscheiden, oder
untersuchen, ob dieselben zusammenpassen und glückverheißend
seien. Sobald er sich abfällig äußert, hört Alles Weitere
auf; im günstigsten Fall erkundigt man sich vor Allem nach
dem Charakter der eventuellen Schwiegermutter. DerAstrolog
bestimmt einen guten Tag für die Verlobung, bei welcher
vater giebt der Braut Juwelen, und das ist eine für die
Aermeren verderbliche Sitte, weil sie es den Reicheren so
viel als möglich gleich thun möchten. Manche stecken sich
dabei dermaßen in Schulden, daß sie ihr Leben lang nie
wieder aus der Verlegenheit herauskommen.
Bei Hochzeiten in reichen Familien sind wohl fünf-
hundert bis eintausend Gäste versammelt. Gegen Sonnen-
untergang zieht der Bräutigam mit seinen Gefolge mit allem
Pomp nach der Wohnung seines künftigen Schwiegervaters.
Die Parsis in Bombay.
169
Voran gehen europäische oder indische Musikanten; dann
kommt der Bräutigam, von Desturs (Priestern) begleitet,
nachher folgen erst die Männer, zuletzt die Frauen. Im
Brauthause sitzen, in einer Halle odereinem Saale zu ebener
Erde, Braut und Bräutigam neben einander auf reich ge-
schmückten Stühlen, und gegenüber stehen die Priester, welche
den Ehesegen erst in Zend, dann in Sanskrit sprechen. Er
unterscheidet sich nicht von dem, was auch in anderen Ländern
bei einer solchen Gelegenheit gesprochen zu werden pflegt.
kommt kein Fleisch auf die Tafel, sondern nur Gemüse,
Fisch und Zuckerwerk. Beim Weintrinken werden Tischreden
gesprochen und Gesundheiten ausgebracht.
Uebrigens ist nicht zu verkennen, daß, in Folge des
immer häufigern Wechselverkehrs mit den Europäern, diese
Hochzeitsfeste mehr und mehr ihren orientalischen Charakter
verlieren. Das junge Paar kann natürlich keinen eigenen
Hausstand bilden, sondern jeder Theil bleibt bis zu der an-
gemessenen Zeit in seiner Eltern Wohnung. Uebrigens möge
Indische Handlungsdiener in Bombay.
Die Ceremonie schließt damit, daß man die Fußzehen
des Bräutigams mit Milch wäscht und ihm das Gesicht mit
der Schoti, seidenen Jacke, seiner Braut reibt. Auch das ist
beides von den Hindus entlehnt. Nachher werden Blumen-
sträuße au die Gäste vertheilt, welche man auch mit einigen
Tropfen Rosenwassers besprengt. Dann folgt das Gast-
mahl, bei welchem die Speisen zuerst für die Frauen auf-
getragen werden; erst wenn diese fertig sind, nehmen die
Männer am Tische Platz. Aus Rücksicht für die Hindus
Globus IV. Nr. 6.
hier bemerkt werden, daß den Parsiwittwen die Wiederver-
heirathung nicht verboten ist; hat aber die Frau Kinder und
befindet sie sich in einigermaßen leidlichen Umständen, dann
bleibt sie am liebsten ledig. Bigamie ist nicht gestattet, außer
wenn eine Frau kinderlos bleibt oder sich unsittlich aufge-
führt hat, und auch dann ist vorher eine ausdrückliche Er-
laubnis von Seiten des Pantschayit, das heißt des Ge-
meindevorstandes , auszuwirken.
Begleiten wir nun einen Parst ans seinem letzten Wege.
22
170
Sagen in der bayerischen Obcrpfalz.
Der Mann ist krank, der Arzt hat erklärt, daß an seine Ge-
nesung nicht zu denken sei. Nun wäscht man den Sterbenden
und zieht ihm reine Kleider an. Der Mobed oder ein Destur
sagt Stellen aus dem Zend Avesta her, welche dem Sterbenden
Trost einflößen, und spricht ein Gebet um Vergebung seiner
Sünden: „Möge der Allmächtige Dir Alles verzeihen, was
Du gegen seinen Willen, seine Gebote und gegen die wahre
Lehre Zoroaster's gethan hast. Möge der barmherzige Gott
Dir einen guten und glücklichen Aufenthalt gewähren in der
Welt, in welche Du nun eingehen wirst, und möge er Dir
gnädig sein!"
Der Sterbende nimmt, falls er noch bei vollem Be-
wußtsein ist, an diesem Gebete Theil; im andern Falle neigt
sich sein Sohn oder ein Verwandter oder ein Priester über
ihn hin und raunt ihm die Worte des Gebets in die Ohren.
Die Leiche wird in ein reines Gewand gehüllt und auf einen
länglich-runden Stein gelegt; die weiblichen Angehörigen
setzen sich um denselben auf Teppichen, während die männ-
lichen draußen auf Bänken in der Verandah Platz nehmen.
Ein in der Nacht gestorbener Mensch bleibt bis zum Morgen
im Hause; wer seine Seele bei Tag aushaucht, wird gegen
Abend sortgetragen. Die Nassisalars, Todtenbestatter,
bringen eine eiserne Bahre und legen die Leiche daraus.
Zwei Priester sprechen in Zend Todtengebete, welche also
von den heutigen Parsis nicht verstanden werden. Der In-
halt ist: Menschen sind sterblich; sie müssen einst diese Welt
verlassen und vor Gott hintreten, um Rechenschaft von ihren
Thaten zu geben. Den Sünder erwartet Strafe, wer aber
in Gedanken, Worten und Handlungen tugendhaft war,
hat auf Belohnung zu rechnen. Wer in's Paradies eingehen
will, muß hier auf Erden beten, tadellosen Wandel führen
und an seinem Nebeumenschen Gutes thuu.
Diese Gebete dauern etwa eine Stunde. Die Leiche
wird nun hinausgetragen zum Thurme des Schweigens,
Dochma, der allemal auf einer Anhöhe an einer ruhigen,
einsamen Stelle liegt, bei Bombay zum Beispiel auf dem
höchsten Punkte des Malabar Hill. Die Verwandten schreien
und wehklagen; die Männer geben der Leiche das Geleit.
Am Thurme des Schweigens wird die eiserne Bahre nieder-
gesetzt und das Antlitz auf ein paar Minuten enthüllt, da-
mit alle Anwesenden noch einen Blick auf dasselbe werfen
können. Dann bringen die Träger ihn in die Dochma und
stellen ihn aus für die Vögel der Luft, welche ihn verzehren.
Wenn Raben und Geier das Fleisch abgenagt haben, fallen
die Knochen durch einen eisernen Grat in eine Grube, aus
welcher man sie später herausnimmt und in ein Gewölbe trägt.
Nach der Rückkehr vom Leichenzuge waschen Alle Ge-
sicht und Hände und beten um Gnade für den Abgeschiedenen.
Am vierten Tage gehen alle Angehörigen in den Feuertempel,
um noch einmal für den Todten zu beten. Die Frauen bleiben
je nach Umständen drei bis dreißig Tage in Trauer. —
In einem folgenden Aufsatze werden wir die kauf-
männische Stellung der Parsis, ihre öffentlichen Ein-
richtungen und ihre Religion schildern.
Sagen in der bayerischen Gberpsah.
Zweiter Artikel.
Die Zwerge; Fankerln und Hankerln. — Wasserzwerge. — Die feurigen Landsknechte; Lichterträger. — Wassermann. — Hexen. Than-
streicherinnen. — Fahrende Jäger und Zigeuner. 'Wechselbälge. — Bilmesschneider. — Der Teufel.
Vor einigen Monaten brachten wir (Globus IV, S. 43)
aus der „Bavaria" Mittheilungen über Sagen in der
Oberpfalz, welche noch heute im Volke lebendig sind. Ein
sehr aufmerksamer Beobachter, Eduard Fentsch, hat sie
theilweise dem Volke selbst abgelauscht, theilweise die Mit-
theilungen Schönwerth's und anderer Forscher benutzt. Wir
schließen dem frühern Aufsatze das Nachfolgende an; er
wird dadurch vervollständigt.
Es wimmelt in der Oberpfalz von Zw er gen sagen,
in denen sich vielleicht eine schwache Erinnerung an die zu-
letzt verdrängten Volksstämme, etwa an Kelten oder Slawen,
erhalten hat. Der allgemeine oberpfälzische Ausdruck für
Zwerge ist Zwargel; sie gelten dem Volke für eine Art
Menschen mit menschlichen Einrichtungen und Sitten. Ihre
Kleidung ist ärmlich; ihre Nahrung Mehl und Milch; Fleisch
verabscheuen sie, wie die Waldsräulein; sie wohnen in unter-
irdischen Kammern und Berggemächern. Ihr Charakter ist
harmlos, friedfertig, dankbar; sie verkehren nicht ungern
mit Menschen und sind nur, wenn sie gereizt werden, neckisch
und boshaft.
Am Böhmerwald und seinem Vorland insbesondere
finden sich die Räzeln (Räzeln, Schrazelu, Strazeln).
Sie sind so klein, daß ihrer vierzehn in einem Backofen
arbeiten können, dabei schnell und feinhörig. Am Kopfe
tragen sie eine schwarze, gerad aufstehende Zipselhaube.
Eine Gasse in Roding heißt die Höl; da sind unterirdische
Gänge, wo ehemals die Räzeln aus- und eingingen und
Hausarbeiten verrichteten. — Bei Arnschwang zunächst Furth
sind S chräz elnlö ch er und beim Söllner in Penting geht ein
Räzelloch bis in den sogenannten Bärenkeller, eine Höhle
in der benachbarten langen Point. Aus dem Bärenkeller
kamen die Räzel, kleine, ärmliche Leute, in das Haus des
Bauern. Da sie gar so zerlumpt waren, schaffte er ihnen
ein neues rothes Gewand. Das nahmen sie, kamen aber
hernach nie wieder. — Bei einem Bäcker zu Neunburg v. W.,
unweit der alten Burg, stellten sich die Schrazen zum Arbeiten
ein. Sie machten über Nacht das Brot zurecht, so daß der
Bäcker am andern Morgen nichts zu thuu hatte, als es in
den Ofen zu schieben. Dafür erhielten sie als Lohn jedes-
mal drei Bröckchen Brot und drei Pfennige, womit sie zu-
frieden waren. — Am Giebenberge bei Rotz Hausen die
Strazeln seit undenklicher Zeit. Der Berg ist schier ganz
ansgehöhlt von ihnen. Sie haben von hier aus einen unter-
irdischen Gang.bis in den Wirthskeller zu Heinrichskircheu
gebaut, wo sie sich von den dort aufbewahrteu Speisevor-
räthen ihren Theil nahmen. Man hat einmal Mehl gestreut,
um zu sehen, was sie für Füße hätten. Die Fährte zeigte
Kinderfüße, denen je eine Zehe fehlte. — Im schwarzen
Wirberge Hausen Strazeln. Auf einem Bauernhöfe bei
Murach draschen sie schon vor Tag das Samengetreide und
beim Wirthe zu Moosbach reinigten sie das Geschirr. An
beiden Orten wurden sie durch Geschenke vertrieben.
An der Pfreimt sind die Fankerln daheim, kleine
Leute in grauen Röckchen und grauen Strümpfen mit rothen
Sagen in der bayerischen Oberpsalz.
171
Zwickeln. Das gemahnt an slawische Tracht. Siewohnen
in der Erde, auch in hohlen Bäumen, und ihre Augen sind
roth von dem dunkeln Aufenthalte. Die Männer lassen den
Bart stehen. Wird diesen Fankerln ein Kind geboren, so
trauern sie; stirbt ein Zwerg, so freuen sich die Uebrigen.
Jeder macht sich im Leben einen gläsernen Sarg; stirbt
er, so wird er vollständig gekleidet in den Sarg gelegt und
ihm ein Hammer in die Hand gegeben und darauf der
Sarg in's Wasser gelassen, der dann einer Insel znschwimmt.
Dort angelangt, erwacht der Todte, zerschlägt die gläserne
Hülle mit dem Hammer und steigt daun an das selige Land.
Am Fichtelgebirge wohnen die Hankerln. Jni Stein-
wald ist der Hankerlbrunnen, daneben eine Höhle, die
Hankerlgrube. Durch diese Höhle zogen sie, von den Men-
schen beleidigt, mit ihren Schätzen in das Fichtelgebirge ein,
wo sie nun schlafen. Der alte Hankerl spielt eine
ähnliche Rolle, wie Karl der Große. (— Friedrich
Rothbart? —) Sein Bart ist schon zweimal um den Tisch
gewachsen, daran er sitzt. Ist dieses zum dritten Male ge-
schehen, so erwacht er mit seinen Leuten und die glückliche
Zeit kehrt wieder. — Auf einem großen Steine bei der
Silberwäsche zwischen dem Ochsenkops und dem Schneeberge
hat seinerzeit einmal der alte Hankerl mit seinen drei Spieß-
gesellen gespielt; in die vier Höhlungen, welche sich in
Schlüsselform auf dem Steine vorfinden, haben sie ihr
Spielgeld gelegt. — Die Hankerln sind kunstfertige
Schmiede wie die Fankerln; letztere waren es, welche der
Königin Freid im Märchen ihren Halsgürtel schmiedeten.
In der westlichen Oberpfalz sind die voraufgeführten
Namen weniger geläufig, und es gilt nur der Gattungs-
begriff „Zwargel". Doch kennt man auch hier eine be-
sondere Art von Wasserzwergen. Aus einem Gehölze
bei Neuhaus sieht man oft schwarze Männlein hervor-
kommen und in die Naab springen, wo sie verschwinden.
Bei Neustadt heißen sie Wassertreter.
Weniger zahlreich und weniger auf Einzelheiten ein-
gehend sind die Sagen von Riesen. Das Schloß zu
Falkenberg an der Waldnaab soll von Riesen erbaut worden
sein. Ein Wallgraben an der Burgruine führt noch heutiges
Tages im Volksmunde den Namen „Riesengrab". — Beim
Dörslein Perschen an der Naab stießt ein kleines Bächlein
an der Kirchhofmauer vorüber. Eine große dreieckige Fels-
platte bildet hart an der Friedhofthür das Brücklein darüber.
Man erzählt sich, eine Riesin habe den Block bis hierher
geschleppt, um daniit die Kirche einzuwerfen. Als sie den
Bach überschritt, sprang ihr das Strumpfband entzwei. Da
legte sie den Stein beiseit, setzte sich hin, um das Band
wieder zusammen zu nesteln, und vergaß darüber ihr Vor-
haben. Also steht die Kirche noch und der Stein liegt noch
heute quer über dem Bache. Zunächst den Ruinen des
Salvatorkirchleins bei Sternstein an der Floß liegt ein ge-
waltiger Granitblock. Auf der Felsenhöhe des kleinen Gigel
bei Sternstein stund einst ein Riesenschloß und eine Riesen- i
jungfrau schleuderte das Felsstück aus den Fenstern desselben
nieder, um das Gotteshaus zu zertrümmern. Es gelang
ihr aber nicht; der Block fiel hart neben der Kapelle nieder,
ohne sie zu verletzen. Was Riesenkräfte nicht vermochten,
brachte die Zeit zuwege.
An diesen und ähnlichen Riesenmärchen hat sich schließ-
lich nur die naive Phantasie des Volkes, angelockt vom Ge-
waltigen und Ungeheuerlichen, versucht. Ihnen reihen sich
jene Sagen an, welche allgemeine Naturerscheinungen
durch Riesenkräfte hervorbringen lassen. So sollen zur
Zeit, da die Erde noch jung und weich war, die schweren
Fußtritte der Riesen, die darauf herumgingen, Berg und
Thal gebildet haben. Ein Riese wurde vor Alter faul,
und da er nicht mehr gehen wollte, setzte er sich rittlings
auf den Mond, als der just aufging. Da drückte er die
Mondscheibe wie einen Sattel ein, so daß sie jeweils etliche
Zeit brauchte, um wieder rund und voll zu werden.
Bedeutungsvoller wird die Riesensage, wenn in ihr
eine Mahnung an ein verdrängtes Geschlecht der Vor-
zeit liegt. Eine solche, ähnlich den durch ganz Deutschland
verbreiteten, wird noch zu Neukirchen erzählt. Am Fuße
des benachbarten Felsenkogels, worauf das Bergschloß Neid-
stein liegt, ist ein Jurafelsblock, der wie ans einem Unter-
baue von kleineren Gesteintrümmern ruht. Er heißt der
Riesenstein. Auf dem Berge selbst sollen vor uralter
Zeit Riesen gewohnt haben. Ein Niesenmädchen von Neid-
stein traf einmal einen Bauer, der auf dem Felde pflügte.
Da faßte sie ihn sammt Pflug und Joch Ochsen in ihre
Schürze, trug ihn heim und zeigte ihn den Vater mit den
Worten: „Sieh, was für schöne Saatwürmlein!" Dieser
aber erwiderte: „ Trag sie wieder hin; diese Saatwürmlein
werden uns noch vertreiben!" — Eine besondere Gattung
von Mittelwesen sind die feurigen Männer, die feurigen
Landsknechte, wie sie in dem größten Theile der Ober-
pfalz genannt werden. Sie zeigen sich in finsteren Nächten
und halten sich neben den Wäldern auf. Dem Wanderer,
der des Weges kommt, leuchten sie nach Hause; er darf aber
dabei kein unlauteres Wort ausstoßen, nicht fluchen und
schelten, sonst verschwinden sie. Für das Heimleuchten zahlt
man ihnen drei Brosamen oder etliche Heller. Auf dem
Pinzerberge bei Auerbach lassen sich die feurigen Männer
nicht selten sehen. Sie haben die Gestalt einer Mulde
(Backtrog). Wenn man betet, kommen sie herbei, und um
einen Kreuzer Lohn leuchten sie Einem heim. Den Kreuzer
muß man ihnen beim Abschiede hinwerfen, sonst könnte Einem
Uebles begegnen. — Am Hacken, einem Wiesgrunde bei
Wolfsricht am Möninger Berge, führt der feurige Mann
die Leute irre. Es ist eine arme Seele, die auf Erlösung
harrt. Am Fahrenberge bei Vohenstrauß sind die feurigen
Landsknechte gar keine seltene Erscheinung, wie mir ein
Bauer von Fichtelried erzählte, der selbst schon viele gesehen.
Sie geben es wohlfeiler als jene am Pinzerberg, und leuchten
Einem gerne um drei Pfennige heim. Wenn man flucht,
laufen sie davon. — Am Fuße des Wölsenberges bei Naab-
burg entspringt das sogenannte Bettelbrünnlein. Hier wurden
schon öfter vier brennende Geister gesehen. Ein Bauer-
bnrsch von Welsendorf ist erst in jüngster Zeit vor Schreck
darüber krank geworden. Am Hammerbüchel bei Langen-
feld gehen sie gleichfalls, namentlich während der Sommer-
nächte. Man heißt sie hier Lichtträger.
Der Grund dieser Sagen liegt wohl kaum weiter als
in den Irrlichtern und ähnlichen feurigen Lufterscheinungen.
Auch das Wasser belebt der oberpfälzische Volks-
glaube mit einer Reihe geisterhafter Wesen; er behauptet
sogar, daß ehedem alle Zwerge im Wasser waren. Von den
Wasserzwergen wurde bereits Erwähnung gethan. Eine
häufig vorkommende Erscheinung ist der Wassermann.
Zu Tirschenreut, als es noch ganz von Wasser umgeben
war, hörte man oft nach Gebetläuten sein Rufen und Klagen
vom jenseitigen Ufer her. Der Wassermann zieht die feuri-
gen Geister an; sein Erscheinen kündet, daß demnächst ein
Mensch im Wasser verunglücken werde. Insbesondere gilt
er als Schreckgestalt für die Kinder. Er sieht diese, wenn
sie in's Wasser schauen, unverwandt an und winkt ihnen
mit den feuchten Augen; der Blick zieht sie hinunter. Daher
singen die Kinder um Troffelstein, wenn sie am Brunnen
sind:
Brunnenmann, Brunnenmann,
Zieh' mich nicht in den Brunnen 'nein!
' 22*
172
Sagen in der bayerischen Oberpfalz.
Bei Velburg führt er den Namen: Da bloudi Mo
(der blutige Mann). In einem Kinderspiel umkreist der
Schwarm einen auf dem Boden Liegenden und spricht
dabei:
Blutiger Mann,
Schau' mich nicht an!
Wer sich erwischen läßt, wird don dem blutigen Manne
niedergezogen.
Hier klingen Spiel und Märchen ineinander.
Im Nordwesten der Oberpfalz kennt man auch die
Seejungfer; am Böhmerwald heißt sie Meersral. Sie
ist halb Weib, halb Fisch oder Schlange, und lockt mit ihrem
Gesang in die Flut. Um Bleistein heißt es: Wenn das
Meerfräulein singt, kommt starkes Wetter.
Unter den Fischen giebt es eine Gattung dünner,
schlanker, schwarzer, welche kaum Fingerlänge haben und
sich nicht fangen lassen. Das sind verwunschene Leute
oder arme Seelen. Sie werden nie von der Sonne
beschienen. Von Cham geht die Sage, daß es auf dem
Schweif eines ungeheuren geisterhaften Fisches stehe. Auch
soll sich dort unter der Negenbrücke ein großer uralter Fisch,
aufhalten, den weder Netz noch Hamen fängt. Er gilt als
Geisterfisch.
Wir kommen nun zu den Menschen selbst, die unter
dämonischen Einflüssen stehen, oder sich, wie das zu-
meist der Fall, freiwillig denselben anheimgegeben haben.
Selbstverständlich kann hier nur Einzelnes aus den über-
schwenglichen Hexen-, Zauber- und ähnlichen Sagen ange-
bracht werden.
Die Hexen, Weiber, welche sich dem Teufel ver-
schworen haben, führen in der Oberpfalz häufig den Namen
Thaustreicherinnen, weil sie amJohannistage vor
Sonnenaufgang den Thau von den Wiesen sam-
meln. Sie reiten Nachts mit fliegenden Haaren, meist
nackt, auf Besen, Ofengabeln, Strohhalmen, dreibeinigen
Stühlchen rc. zum Schlot hinaus. In einigen Gegenden
der Oberpfalz heißt die Ausmündung des Rauchfanges im
Dache das Hurloch, offenbar eine Anspielung auf die Aus-
fahrt der Hexe. Am Böhmerwalde heißt die Hexenfahrt
selbst bedeutungsvoll: Hullfahrt, Hullfahren. Sie fahren
aus den Hetschaberg (Hetsch, d. i. Kröte, das Hexenthier),
wo sie sich treffen und ihre Tänze ausführen. Der ober-
pfälzische Blocksberg ist Mariä Kulm in Böhmen.
Die Hexe liebt es, dem Menschen und insbesondere dem
Vieh Krankheit und Tod anzuthun. Namentlich hat sie es
auf Butter und Schmalz abgesehen.— Zu Haag bei Tiefen-
bach hatte ein Bauer eine Bauerstochter aus Stegen ge-
heirathet. Kaum war sie einige Tage dort, so konnte keine
einzige Bäuerin des Dorfes mehr Schmalz machen, während
sie selbst jeweils viel davon verkaufte. Sie ging auch nie
zur Kirche, derweil sie lebte. Oester sah man sie nackt auf
einer Wiese Kräuter sannneln. Wenn sie butterte, war sie
nackt, ihr Haar fliegend. An Walpurgis brachte sie nackt
die ganze Nacht beim Vieh im Stalle zu. Nach ihrem Tode
ging sie um. Ein Klostergeistlicher las sie in eine
zinnerne Flasche hinein und vertrug sie auf den
Schwarzenwirberg.
Den Hexen gleich stehen die Druden. Von ihnen
haben die zahlreichen Sinklöcher (Pinten) um Velburg
und Luzmansstein den Namen „Druidenlöcher". Hier
halten sie ihre Zusammenkünfte. Eine Hüterin bei Vel-
burg rührte nackt aus und ging immer um das Rührfaß
herum, indem sie dazu sprach:
Rührt, dou di zam,
Von Negensburg bis af Ram,
Von jeda Kouh a Löfferl voll,
Na' wird ma ganz Röiafaß voll.
Sie hatte immer vollauf Butter, aber Niemand nahm
Etwas von ihr; denn sie war eine Drud. Wenn's die
Drud einer Kuh anthut, giebt diese statt Milch
Blut. Bei der Räubermühle zunächst Schwandorf befindet
sich ein Weiher, der trotz aller Versuche nicht mit Fischen
besetzt werden kann. Vor langer Zeit soll einmal eine Drud
den Bauer während des Fischzuges um einen Fisch ange-
bettelt haben. Da schlug ihr der Mann den Fisch, den er
just in der Hand hatte, um's Maul. Die Drud verwünschte
darauf den Weiher, und nun hält sich kein Fisch mehr in
demselben»
Schäfer, Schinder, fahrende Jäger, Feilen-
hauer und Zigeuner sind es insbesondere, welche nach
oberpfälzischem Volksglauben gleich den Hexen auf schwarze
Künste sich verstehen. Eine halbe Stunde von Königstein
ist eine Felsenhöhle im Walde, heißt das Tolesenloch,
darin soll ehedem ein Zigeuner mit Weib, Kind und Fahr-
niß gewirthschaftet haben. Wenn er mit seinem Gaul im
Lande umherzog, warf er seine Kinder blos der Mähre an
den Hals, dann blieben sie hängen. Den Bauern hat er
das Spinngewebe in den Städeln ausgebrannt. Wenn die
Flamme an den dürren Holzverschalungen hinleckte, ries er
nur: „Sachte, sachte!" dann blieb Alles unversehrt bis auf's
Spinngewebe. Ein Bauer hat's ihm einmal nachmachen
wollen, es ist ihm aber trotz alles „sachte, sachte" Stadel
und Schuppen verbrannt.
Ein in der Oberpfalz ungemein verbreiteter Glaube,
an welchem das Volk selbst bis in die höheren Klassen der
Bürgerschaft ebenso zäh als zuversichtlich hängt, ist jener
au die Wechselbälge oderWechselbutten. In den ersten
Tagen nach der Geburt, während die Mutter schläft, ge-
schieht es nicht selten, daß der böse Feind neben ihr Kind
noch ein zweites, vollkommen ähnliches legt. Greift die
Mutter beim Erwachen nach dem rechten Kinde, so ist's gut
und die Butte verschwindet. Erwischt sie den Wechselbalg,
so hat der böse Feind gewonnenes Spiel. Das unterschobene
Kind bleibt klein, elend, krüppelhaft und fexig. Einmal kam
der Fahrenbauer von Velden Nachts heim vom Wirths-
hause; seine Frau lag in den Wochen und schlief just. Als
er die Stube betrat, lagen zwei Kinder unterm Tisch, eines
dem andern völlig ähnlich, eines gekleidet wie das andere,
beide in gleichem Tone schreiend. Angstvoll griff der Vater
nach dem einen Kinde, worauf das andere plötzlich ver-
schwand; er hatte unglücklicherweise den Wechselbalg er-
wischt. Das Kind wurde mißgestaltet, siechte und starb als-
bald. In der Nachbarschaft von Königstein war einmal
eine Wechselbutte in einem Hause. Sie war klein und ver-
kümmert, und so lange Jemand daheim war, verließ sie die
Wiege nicht. Glaubte sie sich aber allein, so stand sie auf
und durchstöberte alle Winkel des Hauses. Eines Tages
haben die Ehehalten gelauscht und sahen, wie sie in der
Küche verwundert vor einem Hausen Eierschalen stand, her-
nach diese durchwühlte und ausrief:
Bin ich a sn old
Wei da Thüringa Wold,
Und hob mei Letta (Lebtag) niet meiera
Haferla und Gückerla gseha!
Kleine, insbesondere Wickelkinder, können nicht blos
ausgewechselt, sondern auch verschrieen werden, und zwar
von jedem Menschen. Wenn Jemand von einem Kind und
in dessen Gegenwart zu wiederholten Malen sagt: „Das ist
ein schönes, ein hübsches, ein starkes Kind!" dann ist das
Kind beschrieen; es nimmt ab und muß beständig gähnen.
Um die Wirkung des Verschreiens zu verhüten, muß man
derartigen Ausrufungen immer: „B'hüt's Gott" beifügen.
Thut es der Sprechende nicht selber, so soll es ein Zweiter
Sagen in der bayerischen Oberpsalz.
173
leise für ihn thun. Äst ein Kind oder ein Stück Vieh wirk-
lich unversehens beschrieen worden, so muß eine Weibs-
person ein Fürtuch darüber decken und, während sie drei-
mal den Spruch hersagt:
„Hat dich verschrieen ein Mann,
Hat dich verschrieen ein Weib,
Hat dich verschrieen eine junge Dirn,
Jetzt will ich's von Dir runterkihr'n (kehren)!"
dreimal über dasselbe herabfahren, als wollte sie es ab-
wischen.
Wir haben endlich noch des Bilmesschneiders
lBilberschneider, Bilblschneider) Erwähnung zu thun. Der
Bilmesschnitter geht an gewissen Tagen querfeld über die
Aecker und schneidet die Halme ab. Der Oberpfälzer unter-
scheidet zwischen einem dämonischen Wesen, wie um Falken-
stein, wo es der Teufel selber ist, der mit einer Scheere an
jeder großen Zehe die Felder von einer Ecke zur andern
durchschneidet, und zwischen Menschen, welche mit Hülfe
des Teufels den Bilmesschnitt machen können. Letzterer
geht mit einer Sichel über's Kreuz durch die Felder, schneidet
die Aehren ab und nininit sie mit. Die zurückbleibenden
Aehren sind hohl und nur das Stroh davon kann man
brauchen. Der Bilmesschneider ist während seiner Arbeit
unsichtbar. Nur Ouatember-Sonntagskinder sehen
ihn. Auch wenn man vor Sonnenaufgang aus einer Ecke
des Ackers Rasen aussticht und auf den Kopf legt, kann
man seiner gewahr werden. Ein Bauer hatte viel Verlust
durch den Bilmesschuitt. Da wurde ihm gerathen, die Decke
eines Scherhaufens (Maulwurfhaufens) so aus den Kopf
zu setzen, daß die Wurzeln aufwärts stehen, und dabei kein
Wort zu reden. Er that es; da er aber im Bilbelschnitter
seinen Nachbar erkannte, rief er: „Nachbar was thoust?"
Am dritten Tage danach starb dieser. — Um die Frucht
vor dem Bilmesschnitte zu bewahren, bespritzt man die Seiten
des Feldes mit Wasser, das am Dreikönigsabend geweiht
wurde, oder steckt in drei Ecken des Feldes Kreuzchen aus
dem Holze, welches beim Verbrennen des Judas am Char-
samftag angebrannt worden; dann geht der Bilmesschneider
beim vierten Eck hinaus. Im nordöstlichen Theile der Ober-
pfalz gegen den Böhmerwald zu ist der Glaube an den
Bilmesschneider besonders lebendig. Ein Schmied in der
Weiden gestand mir, daß er regelmäßig in der Christnacht
ausdreschen lasse, weil in dieser geweihten Nacht jeder Schlag
des Dreschflegels dem Bilmesschneider auf den Kopf
falle.
Wir dürfen aber den Teufel nicht vergessen, der eine
große Rolle in der Legende spielt. Es ist das die Nachtseite
derselben. Der Teufelsglaube gilt noch als unerschütter-
liches Dogma im Volk. Er hat sich aber, wie ein sagen-
kündiger Mann bemerkt, so erweitert, daß das Reich des
Teufels das ganze Gebiet der heidnischen Götterwelt ein-
bekommen hat. Er erscheint als Donar im feuerrothen
Fankerl und Wettermacher; als Wuotan im wilden Ge-
jage und Erfinder des Würfelspiels; als Niördr in der
Windsbraut. Daniit selbst der Name der heidnischen Götter
verklinge, darf man den Teufel nicht beim Namen
nennen.
Alle schreckhaften, wunderlichen und ungewöhnlichen
Naturerscheinungen schreibt der Volksglaube einer un-
mittelbaren Thätigkeit des Teufels zu. Den Eingang
in die Felsenhöhle am Buchberge bei Neumarkt soll der
Teufel ausgebrochen haben, darum heißt er Teuselsthor.
Im gegenüberliegenden Staufersberge hat er im Felsen
einen Gang — den Teufelskeller — ausgehauen. Es findet
sich kaum ein auffallend geformter Felsblock im oberpfälzi-
schen Juragebirge, der nicht seine Bezeichnung von ihm ab-
leitet; so der „Teufelspredigtstuhl" im Veldensteiner Forste,
der „Teufelstritt" und „Teufelssessel" bei Königstein,
„Teufels Hosenfleck", „Teufels Stadltenne" und „Teufels
Backofen" bei Betzenstein. Gleiches ist der Fall bei den
Granitfelsen des Oberpfälzer Waldes und Waldvorlandes;
so der „Teufelstein" bei Stadlern, „Teufels Butterfaß"
bei Floß u. a. m. Häufig hängt sich eine ausgeschmückte
Sage an diese wunderlich geformten Steine. Am linken
Altmühlufer bei Jachenhausen ist ein steiler, schmaler Fels-
kegel; er reicht wie ein Mauerthurm in's Thal hinein und
heißt der Teufelsfelsen. Auf der äußersten Kante der
schmalen Platte saß vor Zeiten einmal ein Hütjunge und
dachte weiter an nichts, als plötzlich der böse Feind vor
ihm stand und ihm antrug, sich im Brettspiel mit ihm
zu versuchen. Dem Gewinnenden solle es zugestanden sein,
den Partner vom Felsen herabzustürzen. Da dachte der
Hütjunge: „Ich wag's, in Gottes Namen!" und weil er
das Spiel „in Gottes Namen" begonnen, so gewann er es
auch und damit die Wette; war auch nicht faul und warf
den Teufel köpflings die schwindelnde Höhe herab. Noch
sieht man auf der Felsenplatte deutlich die regelrechten Felder
des Damenbrettes und die Spuren des Fußes von dem
Hirten, der sich gewaltig anstrengen mußte, den Widersacher
über die Wand herunter zu schleudern.
Es bietet sich hier Gegenheit, auf eine unerschöpfliche
Sagenquelle hiuzuweisen. Das sind die „Teufelswetten",
welche zum größten Theile darauf hinausgehen, daß der
Teufel um den Lohn der Wette geprellt wird; dann
die „Teufelspakte", welche mit dem bösen Feinde gegen
Verschreibung der eigenen Seele eingegangen worden, um
die Erfüllung eines Wunsches zu erlangen. Hier einige
Beispiele:
Ein Bauer hatte sich dem Teufel verschrieben unter
der Bedingung, daß dieser ihm den Stiefel, den er zu Hause
an der Stubendecke hängen habe, mit Geld fülle. Nun hatte
aberderBauer heimlich die Sohle weggeschnitten, und
der Teufel konnte nicht Geld genug zutragen, — der Stiefel
ward nie voll. Erst als er die letzten paar Gulden einer
armen Wittwe beigebracht hatte, nierkte er, daß er betrogen
sei, und zog beschämt ab.
Häufig verspricht auch der bei dem Teufel Hülfe
Suchende Dasjenige, was er zu Hause ohne sein Wissen
besitzt und die tragische Entwickelung ist, daß er sein eigenes
Kind im Mutterleibe dem bösen Feinde verschrieben hat.
So war einmal in Naab, einem Dorf an der Quelle der
Schwarznaab, ein armer Söldner, dessen Hütte bereits den
Einsturz drohte und dem die Noth an den Hals ging. Da
gerieth er mit dem Teufel zusammen, der überall zur Hand
ist, wo er eine Seele gewinnen kann, und versprach
ihm, wenn er ihm helfe, das, was er zu Hause habe, ohne
'es zu wissen. Dieser ging auf den Vertrag alsbald ein
und gab ihm Geld genug, daß er sich ein schönes, stattliches
Haus ausbauen konnte. Nun war aber des Mannes Weib
gesegneten Leibes, ohne daß Jener es wußte; das Kind ge-
hörte also dem Teufel. Da ließen sich in ihrer Noth die
Eltern von den Klosterherren zu Bärnau Geweihtes geben,
welches sie dem Mädchen umhingen. Deshalb konnte ihm
der Böse nicht ankommen; und da es immer fromm blieb
und den Tanzboden mied, so fand sich auch mit der Zeit
ein Bräutigam. Der Braut am Altäre zeigte sich der Teufel
zum letzten Male. Das Band der Ehe hatte seine Gewalt
zerrissen. Desto heftiger quälte er nun den Gütler selber,
also daß sich dieser der Trunksucht ergab. Er starb am
Charfreitag, und man sagt, er soll ganz schwarz gewesen sein.
Es ist fester Volksglaube, daß der Teufel „wie ein
Spürhund" auf Menschenseelen ausgehe. Er weiß die Ge-
174
Sagen in der bayerischen Oberpsalz.
legenheit zur Versuchung wohl auszmnitteln; der Tanz-
boden ist sein Lieblings-Tummelplatz; er hat „die Karten
gefärbt" und verführt in allerlei Gestalt zum „Paschen".
Auf der Ruine Stockerfels bei Wittenau, in den Kellern des
Burgstals, Haufen die armen Seelen vornehmer Herren, die
während ihrer Lebzeit dem wüsten Spiele sich ergeben hatten.
Nach ihrem Tode schleppt sie der Teufel in Säcken hierher.
Da spielen sie nun mit glühenden eisernen Würfeln.—
Am liebsten erscheint der Böse in Gestalt eines Jägers,
und in den Gegenden am Böhmerwalde wird der Jäger,
namentlich der dienstlose, s. g. fahrende Jäger, gleich dem
Zigeuner und Feilenhauer, mit mißtrauischen Blicken be-
trachtet. Ein oberpfälzisches Sprichwort sagt: „Fluchen
zieht den Teufel an." Ihm sind die Grenzverrücker
und die Meineidigen verfallen. Auf der Pavels-
bacher Haide bei Möning geht der Kopp um. Das ist
die arme Seele eines Meineidigen, der sich des Nachbars
Grundstück aneignete. Er hatte Erdreich von seinem Acker
in die Schuhe gestreut, da er auf dem Felde des Nachbars
stand, und bethenerte nun mit einem heiligen Eid, er stehe
auf eigenem Grund und Boden. Da bemächtigte sich seiner
der böse Feinde und er starb jähen Todes. Seitdem waizt
es auf der Haide, und der Erzähler versicherte mir, er habe
selbst schon rufen hören: »
Kopp, Kopp auf der Haid!
Hätt ich geschworen kein' falschen Eid,
Müßt ich nicht immer schrei'n:
Kopp, Kopp ans der Haid!
Dem Teufel sind die Hoffärtigen und alle Jene ver-
fallen, so sich unrecht Gut aneignen und den Sonntag
schänden. In der Fuchshüttener Revier lebte einmal ein
Kohlenbrenner mit seinen zwei Töchtern. Wider alles Ab-
mahnen zündete er in der heiligen Dreikönigsnacht seinen
Meiler an. Als des andern Morgens die Leute aus der
Kirche heimkehrten, fanden sie ihn sammt den beiden Dirnen
todt vor der Hütte liegen. Der böse Feind hatte sie geholt.
Noch heißt die Stelle „bei den drei Leuten".
Daß hinwieder alles christliche Werk dem Teufel ein
Dorn im Auge, ist selbstverständlich. Er hat es vorzugs-
weise aus die Kirchen abgesehen, deren Bau er zu ver-
hindern sucht. Geht es nicht an, so steigt er dem Bau-
meister zu Leib und gewinnt dessen Seele. Ich gemahne
an die bekannte Sage von dem Dombaumeister in Negens-
burg, der sich ähnliche in ganz Deutschland anschließen.
Ein in der Oberpfalz sehr verbreitetes Märchen von der
Kirche zu Vilseck erzähle ich hier in der originellen Weise,
wie ich es vernommen. Den Teufel ärgerte der spitze Thurm
der Vilsecker Pfarrkirche schon deshalb, weil er sich etliche
Male bei seinen Luftfahrten die Hose daran zerrissen hatte.
Also faßte er den Plan, den Thurm einzuwerfen, nahmeinen
Kolmünzer (Kolmünzer, Kulmizer, eigentlich Grünstein, in
dieser Gegend der Oberpfalz aber gemeingebräuchlich für
jeden Felsblock) von gewaltiger Schwere, der just am Wege
lag, und schleppte ihn mit sich fort, um damit sein Vorhaben
auszuführen. Als er keuchend den Kreuzberg anstieg, da
begegnete ihm in Wirket, nicht weit ab von der Landstraße,
die von Vilseck nach Amberg führt, eines Schuhflickers
Weib, das eine „Kirb'n" voll alter Schuhe am Kopse trug.
Fragt der Teufel, der mittlerweile müde geworden, das
Weib: „Alte, wie weit ist's nach Vilseck?" Die Angeredete
aber hatte ihn am Bocksfuß erkannt und erwiderte schlau:
„Hab i deina die Schouch alle z'rissen vo Vilseck bis dauher,
so a gronß Stück Weg is!" Da wurde der Teufel unge-
halten, warf den Stein von der Schulter und rief: „Da
hol' der Teufel Vilseck!" Zu dem Weib aber wendete er
sich niit den Worten: „Sag'den Vilseckern, wenn Du wieder
heimkommst: Wär' der Weg nicht so weit, hätten sie ihre
Thurmspitz' zum letzten Mal gesehen!" Das Weib hat nach
der Hand die Botschaft nach Vilseck gebracht; seitdem heißt
es: „Wo der Teufel nicht selber hin mag, schickt er ein
altes Weib hin." Derselbe Kolmünzer aber von Manns-
höhe liegt noch im Wirket auf dem Kreuzberge bei Vilseck,
und die Spuren von den Krallen und Hörnern des bösen
Feindes sind ihm sichtlich eingedrückt. Er heißt dort der
Teufelsstein.
Es ist eine auffallende Erscheinung, die sich nicht allein
in der Oberpfalz bewährt, daß der Inhalt der Teuselssagen
ein namhaft reicherer ist als der der Heiligenlegende, wobei
wir selbstverständlich nur die im Munde des Volks lebende,
nicht die durch die Schrift überlieferte „buchgelehrte" Legende
im Auge haben. Einestheils findet das seine Erklärung in
der Thatsache, daß die ganze heidnische Göttersage, soviel
davon noch im Gedächtnisse des Volks zurückgeblieben ist,
zum Teufelswerke paraphrasirt wurde. Anderntheils gründet
es nicht nur in dem Umstande, daß überhaupt das Dunkle,
Schreckhafte, Ungeheuerliche die gestaltende Phantasie in
höherm Maß anregt als das Lichte, Klare und Verständ-
liche, sondern auch in dem allgemein menschlichen Gefühle
der Unvollkommenheit, der Sündhaftigkeit und Schwäche.
Die Kreatur seufzt nach einer Sühne und findet sie theil-
weise in ihrer Ohnmacht gegenüber der Gewalt einer überall
thätigen Verführung. Es liegt etwas Beruhigendes darin,
das Prinzip des Bösen als ein Persönliches, Objektives
außer uns zu setzen, das, mit übermenschlicher Macht be-
gabt und im Besitz ungewöhnlicher Lockmittel, gegen unser
besseres Bewußtsein auf uns einwirkt. Diese Wirkung wird
nun ausgeglichen durch eine höhere, göttliche Macht. Der
dramatische Effekt derTeufelssage besteht darin, daß,
zum größten Theil wenigstens, der Teufel schließlich
doch die Wette verliert. Der Mensch, welcher unter
seinem Drucke seufzt, rächt sich hinwieder mit dem Spott
und stempelt ihn zum „dummen Teufel", zum Gegen-
stände des Hohnes, der den Kürzern zieht, so oder so.
Schönwerth berichtet eine Sage, die als drastischer Beleg
dieser Behauptung gelten mag. „Einnial reisten U. L. Herr
und Teufel mitsammen. Da bedeutete ihm Jener, er möge
gegen die Menschen freundlich sein; so er ihnen Gutes er-
wiesen, würden sie auch ihm dankbar sein. Der Teufel
aber widersprach geradezu und ließ es auf eine Probe an-
kommen. Auf deni Wege nun sahen sie einen Bauern seine
Kühe aus der Wiese weiden. Da vermochte der Teufel
U. L. Herrn, die Kühe in den Graben zu werfen. Sogleich
schrie der Bauer: „Was für ein Teufel muß hier wieder
seine Hand im Spiele haben?" und lief fort, um Leute zu
holen, welche ihm die Kühe aus dem Loche brächten. Mittler-
weile half aber der Teufel ihnen heraus, und wie der
Bauer zurückkehrte und seine Kühe auf der Wiese grasen
sah, rief er: „O du lieber Herrgott, wie danke ich dir!"
So hatte der Teufel bewiesen, daß er es bei den Menschen
nie zu Ehren bringen könne."
Speke's und Grant's Entdeckung der Hauptqnelle des Weißen Nils.
175
Speke's und Grant's Entdeckung der Hauptquelle des Weißen Nils.
Der wichtigste Punkt in Bezug auf das große Problem ist
nun endlich festgestellt worden: wir wissen, wo eine Hauptqnelle des
Nils liegt. Speke und Grant sind glücklich genug gewesen, eine
Frage beantworten zu können, die schon in den Tagen Homers
aufgeworfen wurde. Aber noch immer bleibt Entdeckern, die nach
ihnen kommen, ein weites und dankbares Feld für interessante For-
schungen, nicht nur am Weißen Nil zwischen dem Nyanza-See
und Gondokoro selbst, sondern auch an den großen Nebenflüssen,
welche von seinem Ursprung an bis zum 9? N. Br. auf beiden
Seiten in ihn münden. Sowohl am Sobat wie im Flußgebiete
des Bahr el Gasal ist noch sehr Vieles zu erforschen. Wir dürfen
aber mit Zuversicht erwarten, daß die nächsten Jahre wichtige Auf-
klärungen bringen werden.
Speke's und Grant's Tagebücher sind noch im Mai nach
Europa gekommen, und Sir Roderich Murchison war dadurch in
den Stand gesetzt, in der Jahressitzung der Londoner geographischen
Gesellschaft, am 25. Mai, eine Ueberstcht des in hohem Grade
wichtigen Inhalts zu geben. Die beiden Reisenden werden im
Laufe des Juni in London erwartet; sie wollen rasch daran gehen,
ihr Werk zu schreiben. Es wird aber längere Zeit verfließen, ehe
dasselbe die Presse verläßt; darmn war es zweckmäßig, daß
Murchison unverweilt die Hauptergebnisse mittheilte.
Die Londoner geographische Gesellschaft zählt nahe an 1800
ordentliche und 52 korrespondirende oder Ehren-Mitglieder. Die
große Ehrendenkmünze wurde diesmal dem Entdeckungsreisenden
Frank T. Gregory ertheilt, welcher in Westaustralien an 58 Po-
sitionen die Breite und an 19 Punkten die Länge astronomisch be-
stimmt hat. Die Bictoriamedaille bekam der bekannte Kartograph
I. Arrowsmith; die australischen Entdecker Landsborongh
(der zugegen war), Mac Kinlay und Walker erhielten werth-
volle goldene Uhren mit Inschriften. Dann berichtete Murchison,
daß Speke's und Grant's Tagebücher glücklich angelangt seien.
Er hatte nach den Angaben und Skizzen der Reisenden eine Karte
entworfen, auf welcher die neuen Entdeckungen eingetragen sind;
sie war aufgestellt, damit die Versammlung ein anschauliches Bild
des Reiseweges erhalte. Dann gab er kurz einige Notizen über
den Inhalt der Briefe, welche bis zum September 1861 reichten,
und sprach weiter: —
Die Reisenden waren nach mannichfachen Verzögerungen bis
Kaseh (— eigentlich Bagueh, zwischen jenem Punkt und dem.
Nyanza —) gekommen; die verschiedenen Stämme waren im Kriege
miteinander, die Träger waren zum größten Theil fortgelaufen.
Weitere Nachrichten hatte man in Europa nicht erhalten. Petherick
wurde jedoch nach Gondokoro gesandt, um die Reisenden dort zu
erwarten und ihnen hülfreich an die Hand zu gehen. Aber vor
einiger Zeit meldete ein Telegramm aus Alexandria, daß die von
ihm mitgenommenen Vorräthe verloren gegangen seien, er selbst,
westlich vom Weißen Nil, den Tod gefunden haben. Deshalb war
unsere Freude groß, als nach langem und bangem Harren ein j
Telegramm aus Alexandria die Nachricht brachte, daß Speke in
Chartnm an gelangt sei; bald kam ein zweites von Speke selbst
und an mich gerichtet mit den inhaltschweren Worten: „Der Nil
ist festgestellt!" Bald nachher erfuhren wir auch, nicht nur, j
daß Petherick noch am Leben, sondern in Gondokoro mit
Speke und Grant zusammengetroffen sei. Das war
am 20. Februar. Seitdem sind auch die Tagebücher und Karten
angelangt; letztere enthalten viele Längen- und Breitenbestimmnn-
gen ans seither völlig unbekannten Gegenden.
Murchison erwähnte dann, daß die beiden Reisenden weit
größere Hindernisse zu überwinden gehabt haben, als Speke auf
seiner frühem Reise mit Burton. Petherick sei zwar todtgesagt
worden, allein er, Murchison, habe die Hoffnung nicht sinken
lassen, daß derselbe, gleich anderen afrikanischen Reisenden, doch
wohl lebendig wieder zum Vorschein kommen könne.- Aber nach
demMißgeschick, welches ihn ans demWeißenNil heimgesucht, konnte
er den beiden Reisenden, selbst wenn er in Gondokoro mit ihnen
zusammentraf, keine Hülfe bringen, und es war doch keinem Zweifel
unterworfen, daß sie solcher gerade dann und dort am meisten
bedurfte. Nun ist bekannt, daß Frau Tinne mit ihren Töchtern
mit einem Dampfer noch über Godokoro hinausgefahren war.
Wären Speke und Grant nur einige Wochen (— sollte heißen
Monate; denn Frau Tinne war schon im November wieder in
Chartum zurück —) früher in Gondokoro eingetroffen, dann hätten
sie von diesen kühnen, unternehmenden Damen nicht nur Unter-
stützung jeder Art erhalten, sondern wären nun auch schon längst
in Europa angelangt.
Doch bevor Petherick, der nach seinem Unfall am Weißen Nil
erst nach seiner Elfenbeinstation und von dort nach Gondokoro ge-
gangen war, hier ankam, war dafür gesorgt worden, daß Sa-
muel Baker Vorräthe dorthin brachte. Als dieser unternehmende,
wackere Forschnngsreisende von Petherick's Mißgeschick Knude er-
hielt, rüstete er sofort auf eigene Kosten eine Expedition aus. Zu-
nächst wollte er Speke und Grant Hülfe bringen, dann aber auch,
auf jede Gefahr hin, seinerseits den Versuch wagen, den Nil auf-
wärts bis zu dessen Quellen vorzudringen. Baker hat schon früher
Forschungen auf Ceylon gemacht; im Jahre 1862 war er in den
Gegenden, welche nördlich von Abessinien liegen, und bestimmte
manche Zuflüsse des Atbara, welche bisher falsch eingetragen sind,
genauer. Jetzt stand sein Entschluß fest, über den Aequator hin-
aus nach Süden zu gehen und Speke und Grant aufzusuchen.
Baker traf nun auf seiner Fahrt nach Gondokoro mit ihnen
zusammen; er war der erste Europäer, welchen sie sahen, und er-
gab ihnen Geld, Lebensmittel und Fahrzeuge. Dann reiste er
weiter nach Südwesten hin, um einen neuentdeckteu See näher
zu erforschen, welchen Speke auf seiner Karte als Luta Nzigi
eingetragen hat. Er will darauf ein ganzes Jahr verwenden, und
hoffentlich bringt er Kunde über dieses große, in einer höher» Breite
liegende Seitenbecken, ans welchem der Nil gleichfalls einen Zu-
fluß erhält. Baker ist ein kühner Mann, ein guter Naturforscher
und ausgezeichneter Jäger; er ist aber auch ein tüchtiger Geograph
und versteht mit Instrumenten umzugehen.
Vorerst aber erfüllt cs uns mit hoher Freude, daß Speke und
Grant, welche eine nie zuvor von civilisirten Menschen besuchte
Region durchwanderten, das große Problem gelöst haben. Nun
ist festgestellt, daß der große Süßwassersee Nyanza, dessen südliche
Wasserscheide bis nahe zum 4. Grade südlich vom Aequator liegt,
das Becken bildet, ans welchem der Bahr el Abiad, der Weiße Nil,
welcher nach Gondokoro fließt, hauptsächlich abströmt (— also:
ans dem See kommt der Hauptarm —).
Als Speke auf seiner ersten Reise") von Kaseh aus, während
Burton dort krank lag, nach Norden hin aufbrach, um den See
zu suchen, kam er in ein Land, wo die Gewässer nach Norden
hin flössen, und dann an den Nyanza, einen Süßwassersee
von großer Ausdehnung. Auf der rechten (östlichen) Seite
liegt das Land der kriegerischen Masai, durch welches jetzt kein
Reisender sich wagen darf; am linken Ufer, etwas nördlich von dem
Punkte, wo Speke sich damals befand (— er war am Südende
des Sees, von welchen er nur einen sehr kleinen Theil sah —), lag
das nicht unbedeutende Königreich Uganda. Der äußerste Punkt,
welchen Speke damals erreicht hatte, lag nach astronomischen Be-
*) 3nt Sommer 1858. Speke's Wanderung von Kasch, in Nnpamucsi, durch
Nsukuma dis au die Südküstc des Nyanza-Sees und zurück nach Kasch, fällt in
die Zeit vom 11. Juli bis 25 August. Er sah denselben zuerst, bei der 21. Station
von Kasch aus, in Muansa. einem kleinen Bezirk, der eine fast centrale Lage
am Südufcr hat, und gewann von einem etwa 250 Fuß hohen Hügel, dem „Ob-
servatvry-Hill", einen weiten Ausblick auf die Wasserfläche. Bei den Afrikanern
176
Speke's und Grant's Entdeckung der Hanptquelle des Weißen Nils.
obachtungen etwa 480 geographische Miles südlich von Gondokoro,
also einem gründlich und genau bekannten Punkt am Weißen Nil.
Allerdings sind gelegentlich einzelne Reisende und Elfenbeinhändler,
z. B. Peney, De Bono und Miani, etwas weiter auswärts ge-
kommen; immerhin betrug aber die Entfernung zwischen den beiden
Punkten, bis zu welchen weiße Leute gekommen waren, 400 Miles.
Speke zog ans Mittheilungen von Arabern, welche in jenen
Gegenden gereist waren, den Schluß, daß die Stelle, wo der
Fluß ans dem See abströmt, weit nach Norden hin liege, und daß
dieser Fluß der Hauptarm des Weißen Nils sei. Seine zweite
Reise unternahm er bekanntlich zu dem Zweck, um darüber in's
Klare zu gelangen. Es kam nun wesentlich darauf an, mit dem
mächtigen Häuptlinge von Uganda und anderen Häuptlingen,
welche ihm möglicherweise den Weg versperren konnten, in gutes
Einvernehmen zu kommen. Bis an den See, welchen er auf seiner
ersten Reise erreicht hatte, würde er, seiner Meinung zufolge, ohne
große Schwierigkeit Vordringen können.
Die Reisenden brachen von der ostafrikanischen Küste auf am
1. Oktober 1860 und hatten gleich anfangs mit großen Wider-
heißt es weit und breit Nyanza. Die Araber haben nach ihrer Gewohnheit
eine» örtlichen Namen auf das Ganze übertragen und nennen ihn Ukerewe, was
in der Kisukuma-Mundart: Stelle, Ort, von Kcrewe, einer Insel, bedeutet.
„Der Nyanza ist ein hochliegcndes Anfnahmebecken, welches während der Regen-
zeit ans einer ausgedehnten Gegend nach diesem See strömt, nämlich von Osten
her ans dem Lande der Wamasai, von Westen her ans Karagneh, von Süden her
aus Nsnkuma und dem nördlichen Unyamnesi. Dieses Becke» reicht bis an den
Aeqnator". Man nahm an, daß die Tiefe beträchtlich sei (was nicht der Fall ist).
Bnrton hielt dieses Becken „für einen Bruch, ein Loch, eine Vertiefung in der
unregelmäßigen Gebirgskette, welche sich von Nsambara und dem Kilimandscharo
bis nach Karagneh hin erstreckt und die man von altershcr als Mondgebirge be-
zeichnet hat. Dafür scheint die ganze Gestaltung des Sees zu sprechen. Er liegt
offen und hoch, ist nicht, wie der Tanganyika, ein langes, schmales, von Ge-
birgen eingesänmtes Wasserbecken, nicht eine vulkanische Schöpfung, wie
dieses Letztere, sondern eine Verriefnng, welche zeitweilig die znströmenden
Wassermassen anfnimint »nd bewahrt."
Speke vermnthete, daß der Ryanza-Sec eine der Hanpt-
quellen des Weißen Nils bilde. Er macht dafür die hohe Lage, die Ge-
staltung des Sees, die thonige Farbe und die Süßigkeit des Wassers geltend.
Dagegen erhob Burton vielerlei Einwendungen. Er meinte, man müsse mit
Nothwendigkeit annehmen, daß zwischen dem ober» Thcile des Nils eine longitu-
dinale Gebirgskette vorhanden sei, die in beträchtlicherNnsdehnnng vonOstennach
Westen ziehe und eine „Fnrca" bilde, von welcher das Wasser auf der Nordseite zum
Nil, auf der Südseite zum Nyanza-See fließe. Das periodische Anschwellcn des
Nyanza, bei welchem der Uferstand weit und breit überschwemmt wird, spreche gegen
die Möglichkeit, daß in diesem See dieHanptquellen des Nils liegen oder daß er das
Anstreten dieses Stromes verursache. Die Anschwellung des Nils sei gleichzeitig mit
dem großen Regenfall in den Regionen nördlich vom Aeqnator, der vom Juli bis
September anhalte, in einigen Gegenden sogar schon im Februar beginne und
bis zum Oktober dauere. Sie werde lediglich durch diese tropischen Siege» be-
dingt. „Wahrscheinlich wird sich einst Herausstellen, daß die
spröden, verschämten Rilqnellen in einer Verflechtung kleiner
Wasserläufe bestehcn, welche der Monsnnrcgen anschwellt; viel-
leicht kommt dazu auch Schnecwasser vom nördlichen Abhänge
der Mondgeb irge."
Siehe über Speke's Entdeckung des Nyanza-Sees und seine Reise durch Usn-
kuma: Karl Andrer: Die Expeditionen Bnrton's und Speke's von Zanzibar
bis zum Tanganyika — und Nyanza - See; Rebmann's Wanderung nach Dschagga
und Krapf's Reisen im äquatorialen Afrika und Abyssinien. Leipzig 1861, das
vierzehnte Kapitel, S. 304 bis 321. Die beiden Reisenden geriethen namentlich
über die Nilqncllen in ein böses Zerwürfniß; Burton widersprach; er setzte kein
Vertrauen in Speke's strenge Wahrhaftigkeit, seitdem dieser ein hohes „Mondge-
gebirge" in Hnfeiscnform um das Nordende des Tanganyika-Sees herum auf
seine Karte eingczeichnet hatte, obwohl ein solches nicht vorhanden sei. In
Bezug auf die Nilqncllen hat aber Speke Recht behalten. Ebenso, wie sich ans
Mnrchison's Bericht ergiebt, in Bezug auf cincu andern Punkt. Speke hatte ge-
hört , daß auf einer Insel am Nvrdwestende des Sees Leute leben, welche sich
von Fischen ernähren. Kaffe bauen und diesen verkaufen; sic gingen völlig un-
bekleidet. Nun meint Bnrton, der sich im Widerspruch gegen Speke gefiel:
„Wenn jene Leute Handel trieben, so würden sic nicht ohne Kleider sein." Er
hätte sich erinnern können, daß es in mehr als einer tropischen Gegend Leute
giebt, die irgend ein Landesprodnkt vertauschen und doch nackt gehen. Ich be-
merkte (S. 310) „Der Schluß trifft nicht zu. Die Wasuknma zum Beispiel ver-
kaufen Elfenbein nnd Vieh, und doch sagt Bnrton selbst, daß von hundert
Mauern kaum sechs ein Stück Zeug am Leibe tragen nnd die Mädchen so gut wie
völlig nackt einhergehen". A.
wärtigkeiten zu kämpfen. Weit und breit war Ostafrika von Dürre
heimgesucht und unter den Eingeborenen herrschte Krieg, theils in
Folge der Hungersnoth und theils weil Häuptlinge einander die
Erbfolge streitig machten. So gelangte Speke erst nach langen
Verzögerungen bis Kaseh, wo er krank ankam.
Der zweite Bericht vom 30. September 1861 (ans Bagueh,
nördlich von Kaseh) lautete schon besser. Die Reisenden kamen vor-
wärts, hatten Dolmetscher und Träger in genügender Menge nnd
"hofften auf guten Erfolg. Aber seitdem erfuhren wir nichts mehr
von ihnen, bis das Telegramm aus Alexandria ihre Ankunft in
Chartum meldete. In unserer Kunde über die Weiterreise befindet
sich aber eine Lücke, weil Papiere, welche Speke nach Sansibar
schickte, nicht nach Europa gekommen sind. Die jetzt nach London
gelangten enthalten jedoch einen zusammenhängenden Bericht über
die ganze Reisestrecke zwischen Kaseh und Gondokoro. Sie beginnen
mit dem 1. Januar 1862 nnd datiren von Speke's Abreise aus der
Hauptstadt des Königreichs Karagueh, das auf der West-
küste bis nahe an das Südende des Nyanza-Sees reicht. Speke
scheint dort einen guten Eindruck auf den König gemacht zu haben,
den er als einen verständigen Mann schildert; derselbe war ihm
zur Weiterreise behülflich, bestritt sogar seine Auslagen und em-
pfahl ihn nachträglich dem mächtigen Könige von Uganda.
Karagneh, ein in vieler Beziehung interessantes Land, nimmt
eine Abdachung, einen Vorsprung auf der östlichen Wasserscheide
ein, hat etwa 200 Miles Breite und etwa 6000 Fuß Meereshöhe.
Unter den kegelförmigen Bergen, welche sich vereinzelt dort erheben,
reicht wenigstens einer bis zur Höhe von 10,000 Fuß hinan. Das
sind die Mondberge Burton's und Speke's.
In diesem Gebiete von Karagneh entspringen zwei
Quellen des Nils, nämlich erstens der Hauptzufluß des
Nyanza-Sees nnd zweitens der Hauptzufluß eines
andern Sees, des Luta Nzigi.
Dort liegt auch die Quelle von Livingstone's Schire, falls den
Mittheilungeu, welche Speke macht, Glauben zu schenken ist.
Es scheint, daß der Tanganyika-See an seinem südlichen
Ende nicht einen Zufluß empfängt, sondern daß ein Abfluß aus
ihm heraus strömt, daß dieser Abfluß dann in den Nyassa fließt
nnd aus diesem als Schire herauskommt (der in den Sambesi
mündet.*) Der Fluß, welcher vom Norden her in den Tanga-
nyika einströmt, entspringt in Karagneh.**)
Jn Karagueh fand Speke ein Negervolk, das zu den Stämmen,
welche er bis dahin gesehen hatte, einen vortheilhaften Gegensatz
bildet. Uganda, wohin er dann ging, liegt an den Gestaden des
Nyanza nnd nimmt sowohl die westliche wie die nördliche Küste zur
Hälfte ein. Die Ostgrenze Ugandas wird vom Hauptarme des
Nils gebildet, welcher etwa in der Mitte des Nordufers
ans dem See tritt als ein Strom von 1 30 Iards Breite
und dann einen 12 Fuß hohen Wasserfall bildet. Der
Nyanza hat ab er an demselben Nordufer noch zahlreiche
andere Abflüsse, welche sich übrigens alle, theilweise
erst in einer Entfernung von 150 Miles, in den Nil
ergießen.
Speke bezeichnet (— wunderlich genug —) die Bewohner von
Uganda als die Franzosen jener Gegend, weil sie ihm aufgeweckt
*) Murchisvn timt wohl daran, zu sagen: „Falls den Mittheilungeu, welche
Speke machte, Glauben zu schenken ist." Ein Strom, der von den Bergen
Karagnehs bis znr Schireinündnng eine ausgedehnte Region von etwa 18 Breiten-
graden durchflösse, als Abzug zweier großen Binnenseen diente, ans einem weit
ausgedehnten Lande die tropischen Regen abführen müßte, der so lang wäre wie
der Mississippi und am Ende nicht mehr Wasser hätte, als der Schire zeigt — ein
solcher Strom wäre eine merkwürdige Erscheinung. Man wird wohlthnn, die
Meinung Speke's bis auf Weiteres für das zu halten was sie ist — eine nnbe-
glaubigte Hypothese.
- Dte Araber haben behauptet. daß der Nyanza durch eine Bucht oder dergleichen
mih dem Tanganyika in Verbindung stehe, obwohl der erstere 3750 Fuß über
dein Meere, d. h. 1900 Fuß höher als der erstere, liegt und zwischen beiden eine
Bergregion sich erhebt. N.
Speke's und Grant's Entdeckung der Hauptquellen des Weißen Nils.
177
vorkamen und in Kleidung und Benehmen guten Geschmack zeigten,
auch hübsche Wohnungen hatten. * **)) Ihr Herrscher übt absolute
Gewalt; zum Glück für Speke benahm er sich gegen diesen freund-
lich und gütig. Er wußte sehr wohl, daß weiße Leute den
Weißen Nil befahren, und hatte dann und wann aus dem
Wege des Tauschhandels Maaren bekommen, welche
von den Weißen herrührten. Sein eifriger Wunsch ging
dahin, eine Handelsstraße nach Gondokoro zu eröffnen, aber die
Stämme nördlich von Uganda versperrten den Weg. Speke fand,
daß das Nordufer des Nyanza fast mit dem Aequator
znsammenfällt; er meint, daß der See ehemals eine größere
Ausdehnung gehabt habe als gegenwärtig. An den Ufern fand er
häufig Einschnitte, die er als rush-drains (also wohl mit Binsen
bewachsene Abläufe) bezeichnet; kleine, halbstagnirende Wasserläufe,
vermittelst welcher das Wasser vom umliegenden Land abströmt;
dieses, meint er, sei wohl früher vom See bedeckt gewesen.
Der Nyanza hat gegenwärtig noch einen beträchtlichen Um-
fang, ist etwa 150Miles breit und eben so lang (— also bei weitem
nicht so groß, als seither vermuthet worden war—) und scheint
keine b eträchtliche Tiefe zu haben.
Der Reisende brachte in Erfahrung, daß der Nil auch aus
anderen S een Zuflüsse erhält. Einer derselben liegt unmittel-
bar nach Osten hin und steht wahrscheinlich mit dem Nyanza in
Verbindung. Aus ihm strömt der Asaaflnß ab, der gleich über
Gondokoro mündet.
Der andere See ist der Lu t a N z i g c (Nstdschi); es ist eben jetzt
Baker's Bestreben, denselben näher zu erforschen. Speke sah diesen
See nicht, bringt ihn aber auf seiner Karte mit dem Nil in Ver-
bindung; er läßt diesen indem See strömen, nachdem er am öst-
lichsten Theile seiner Biegung nach Norden eine große Krümmung
gemacht hat, und dann läßt er ihn am westlichen Ende wieder aus-
strömen. Dieser Lnta Nsidschi liegt 120 Miles nordwestlich vom
Nyanza.
Speke wurde in Uganda fünf Monate lang aufgehalten; er
war gleichsam eine Art von Staatsgefangener, und alle seine
Schritte wurden sorgfältig überwacht.
Aus Uganda kam er nach dem angrenzenden Königreich Unyoro
(oder Ungoro), in welchem auch noch Wahuma wohnen, die aber
schon roher sind, als jene in Uganda undKaragueh.") Nördlich
von Unyoro hört die südafrikanische Sprachenfamilie,
w elcher bis dahin alle Mundarten angehörten, auf und
es beginnen die nördlichen Dialekte. Bis dorthin hatte
Speke keine Mühe gehabt, sich Dolmetscher zu verschaffen, weil eine
und dieselbe Sprache in allen Gegenden, durchweiche er kam, mehr
oder weniger gut verstandeu wurde. Von nun an mußte er sich mit
Unyoro-Dolmetschern behelfen. Das Volk war roher und barbarisch.
Schon in Unyoro hatte Speke zuerst Leute gesehen, die ganz und
gar nackt gingen, aber in jenem Lande, wo sie Fremde waren, mußten
sie sich der Landessitte anbequemen und wenigstens ihren Körper mit
etwas bedecken, das einer Kleidung ähnlich sieht. Speke hatte viel
vom König Kanausi zu leiden, der ihn immer hinhielt, während
der Reisende jetzt mit doppelter Ungeduld dem Ende seiner Wande-
rung zudrängte; der Barbar versuchte sogar, ihm den letzten nock-
übrig gebliebenen Chronometer abzunehmen. Endlich gelang es
Speke doch fortzukommen und er sah den Nil nun 2 Grad nördlich
vom Großen See, in 2 ° N. Br. — Dort macht der Strom seinen
großen Bogen nach Westen, um dann durch den Luta Nzige zu
fließen. Speke folgte aber nicht dem Laufe des Bogens,
sondern reis'te aus der Sehne desselben, ans einerStrecke
*) Das Letztere wenigstens ist bei den französischen Bauern im Durchschnitt
nicht der Fall. Nach amtlichen Berichten giebt es in Frankreich 348,000 Wohn-
häuser, die keine andere Ocffnung habe» als die Eingangsthür, und nahe an
zwei Millionen, die nur ein Fenster haben. A.
**) Das Volk in diesen Ländern zerfällt in zwei Klaffen: Die Wahuma oder
Reichen und die Wanvambv, abhängige Bauern. Wir verweisen auf die vorige
Nummer des Globus. . A.
Globus IV. Nr. 6.
von 7 0 Miles. An den Fluß kam er erst wieder bei De-
bono's Elfenbeinstation, in 3 0 45' 9Í. Sßx., einige Tage-
reisen südlich von Gondokoro.
Hier ist nun eine 1000 Fuß betragende Differenz im Niveau,
in Betreff der Höhe des Flusses vor und nach dem großen Bogen,
und darüber hat Speke keinen Aufschluß gegeben.
(— Hat er sich in Betreff der Identität des Stromes nicht
etwa geirrt, so muß auf dieser verhältnißmäßig kurzen Strecke ein
Gefäll von 1000 Fuß oder eine Reihenfolge von Katarakten vor-
handen sein. Hier ist, soweit die Nachrichten vorliegen, Unklarheit,
und es bleibt in hohem Grade zu bedauern, daß Speke gerade
einen so wichtigen, wesentliche Aufklärung versprechenden Theil des
Laufes nicht untersucht hat. Jetzt ist hier eine empfindliche
Lücke. A. —)
Auf der Elfenbeinstation fand er eine beträchtliche Anzahl
von Türken, die ihn sehr freundlich aufnahmen. Nach einigen
Tagen brachen sie ihr Lager ab und und gingen nach Gondokoro,
wohin Speke sie begleitete. Die Bari-Neger wurden von ihnen
gezwungen, Trägerdienste zu verrichten. Speke bestätigt alle Nach-
richten über das grausame Verfahren, welches die Türken in jenen
Gegenden sich gegen die Eingeborenen zu Schulden kommen lassen.
Am 1 5. Februar erreichten Speke und Grant Gon-
dokoro, wo Baker ihrer harrte. Man kann sich die gegenseitige
Freude und Ueberraschnng denken! Speke schreibt an Murchison:
„Das Zusammentreffen zweier alten Freunde, die so nnvermuthet
von zwei ganz verschiedenen Richtungen her miteinander zusaminen-
treffen, läßt sich nicht beschreiben. Wir waren trunken vor Freude.
Mein lieber Freund hatte übrigens der Hoffnung gelebt, uns
irgendwo in einer unangenehmen Lage anzutreffen, aus welcher er
uns dann erlösen wollte. Baker besaß eine Dahabieh und zwei
kleine Fahrzeuge, und stellte uns sogleich Vorräthe zur Verfügung,
gab mir Geld, um damit die Reise nach Kairo zu bestreiten, und
machte es uns auf unserm Fahrzeuge so behaglich als möglich. Er
war unser Retter, wenn auch nicht tief im Innern, doch wenigstens
am Nil."
In Bezug der drei obengenannten Königreiche giebt Speke
Karagneh den Vorzug; der König Rnmanika (oder Armanika)
sei ein Mann von Charakter und Intelligenz. Mt esa, Beherrscher
von Uganda, war ein freundlicher, junger Mann, der von seinen
Frauen umgeben ist und sich an der Jagd erfreut. Eine Hofsitte
erfordert, daß zu Nutz und Frommen des gemeinsamen
Wesens alle Tage ein Mensch hingerichtet werde. Der
nördlichste unter den drei Königen, in dessen Gebiet die Sprache
völlig wechselt, ist ein mürrischer, eigennütziger Patron und voll
Argwohn obendrein; er heißt Kamrasi. Seine Hauptbeschäfti-
gung besteht darin, seine Frauen und Kinder dermaßen fett zu
füttern, daß sie kaum noch stehen können; auch giebt er sich viel
mit Zauberei ab. *)
Die beiden Reisenden gebrauchten ein volles Jahr, um dnrch
diese drei Königreiche zu kommen, wo man nie zuvor einen weißen
Menschen gesehen hatte. Sie würden schwerlich jemals wieder los-
gekommen sein, wenn sie den verschiedenen Majestäten nicht reich-
liche Geschenke gegeben und wenn diese nicht den eifrigen Wnusch
gehegt hätten, einen Handelsverkehr mit den Weißen zu eröffnen.
Herr Murchison fügte diesen Mittheilnngen noch andere hinzu.
Graf Russell hat sofort nach Alexandria eine Geldsumme für die
Reisenden übermittelt. Die Oriental- und Peninsular-Dampfschiff-
Compagnie giebt den 23 schwarzen Dienern der Reisenden freie
Fahrt nach Aden oder Bombay, von wo sie dann wieder nach
Sausibar geschickt werden. Die Oberbehörde für Indien hat den
Kapitäns Speke und Grant Sold und Urlaub bis zum I.Juli 1804
') Der Leser vergleiche den Aufsatz über die Länder am Nyanza-See in der
vorigen Nummer des Globus. Er bestätigt, wie wirseben, durch Speke's persön-
liche Wahrnehmungen Vieles von dem, was Burton zu Kasel, aus dem Munde
arabischer Kaufleute erfuhr. R-
23
178
Speke's und Graut's Entdeckung der Hauptquelleu des Weißen Nils.
verlängert, damit dieselben sorglos und in Muße ihre Tagebücher
bearbeiten können. Den jüngsten Nachrichten zufolge waren Beide
schon in Theben angekommen und am Bord eines viceköniglichen
Dampfers. Speke hat die Länge und Breite aller wichtigen Punkte
astronomisch bestimmt, hat meteorologische Beobachtungen angestellt
und der Astronom Airey wird dieses Material bearbeiten. Während
seiner langen, unfreiwilligen Muße hat Speke eine Geschichte der
Wahnma entworfen (— Murchison fügt bei: otherwise Gallas or
Abyssinians; wir wissen aber noch nicht, was das hier bedeuten
soll —), namentlich über jene Abtheilung dieses Volkes, das über
den Nil ging und das große Königreich Killaja gründete.
Dieses wird begrenzt im Süden vom Nyanza-See und dem Flusse
Kitanguli Kagera, im Osten vom Nil und im Norden von dem
kleinen Fluß-See Lnta Nzige (— so steht im Text: and on the
North by the small river lake Luta Nzige, was unverständlich
ist —) und im Westen von den Königreichen Utumbi und
Wkole. Don den Dynastien, welche Speke ausführt, hat man
nie zuvor etwas gehört; er spricht von einem König klare dem
Siebenten und Nohinda dem Sechsten; einer von diesen Potentaten
hat 3000 bis 4000 Frauen.
Murchison bemerkte weiter: Nachdem einmal das Becken be-
stimmt sei, ans welchem der Nil abfließt, wären wir nun in den
Stand gesetzt, über die regelmäßige Periodicität seines An-
schwellens in Aegypten weit genauer zu speknliren als seither. Jetzt
wird dasselbe allgemein nicht dem Schmelzen des Schnees auf den
hohen Gebirgen zugeschrieben, sondern dem Falle des Aeguatorial-
regens im Innern, durch welche die oberen schwammigen Becken
im Innern angefüllt werden; wenn sie dann übersättigt sind, fließen
sie über und füllen die Seen. Die Periodicität wird bestimmt von
dem Durchgänge der Sonne über den Aequator.
Daß Jnnerafrika eine gebirgige Sandwüste sei und daß der
Nil aus einer solchen herabkoinme, glaubte schon längst Niemand
mehr. In Bezug auf die äquatorialen Breiten haben wir Auf-
schlüsse durch Bnrton's, Speke's und Grant's Reisen erhalten, und
in Bezug auf den Süden bekommen wir durch Livingstone Klar-
heit. Durch die neueren Entdeckungen ist eine Annahme bestätigt
worden, welche Murchison vor nun elf Jahren anssprach. Das
wirkliche Centrum Afrikas, sagte er, ist ein hochliegendes ausge-
dehntes Wasserbecken und hat viele fruchtbare Landstriche; die
großen Seen werden gespeis't von zahlreichen Flüssen, welche von
den benachbarten Gebirgsketten herabströmen, und ihr Wasser
findet einen Abzug zum Meere durch Spalten und Senkungen des
umliegenden Hochlandes. Im Jahre 1852 betonte Murchison,
daß man finden werde, Jnnerafrika sei ein Becken von ungleichen
Erhebungen, das jetzt, wie schon in früheren geologischen Perioden,
Süßwasserseen aufweise, die Abzug nach Osten und Westen hätten
und zwar durch Spalten iu den Küstengebirgen. Diese Theorie
fand in Südafrika durch Livingstone's Beobachtungen am Sam-
besi ihre Bestätigung; sie findet auch auf den Niger Anwendung
und, wie wir jetzt erfahren, auch auf den Nil; denn der Nyanza-
See, aus welchem derselbe abströmt, liegt auf einem 3500 Fuß
hohen Plateau. Das Wasser kommt hier von einer Wasserscheide
im Süden herab, hat aber weder nach Osten noch nach Westen die
Möglichkeit, nach diesen Richtungen abzufließeu, weil in den Ge-
birgen keine großen Querthäler vorhanden sind. Deshalb sucht sich
das Wasser nothwendig einen Abzug am Nordende des Nyanza, bildet
den Weißen Nil und strömt durch eine Reihenfolge von Senkungen,
wobei es Wasserfälle und Stromschnellen bildet. Den Wasserfall,
welcher dem See zunächst liegt, hat Speke RiponFall genannt.
Der Nil empfängt dann im Fortgange seines Laufes eine
Menge von Zuflüssen und hat, vom See ab gerechnet bis Chartum,
ein Gefälle von 2400 Fuß. Chartum liegt 1100 Fuß über dem
Meere.*) Er muß, wie bemerkt, nach Norden strömen, weil er
*) Das ist eine ungefähre Annahme. R utzcg g er hatte die Höhe von Chartum
zu 1493 Fuß bestimmt, also viel zu hoch; Bete glaubte sie „mit Bestimmtheit"
nirgends Seitenthäler findet, durch welche ihm ein Abfluß nach
dem Meere hin möglich ist.
Durch Speke und Grant sind, abgesehen von der wahren Quelle
des Weißen Nils, folgende allgemeine Sätze festgestellt worden:
1. Die hypothetische Gebirgskette, welche man alsMoud-
gebirge bezeichnet hat und welche, laut Annahme des Ptolemäns,
die Aeqnatorialgegend Afrikas von Osten nach Westen durchzieht,
bildet keineswegs eine solche Kette, wie Dr. Beke theoretisch nach-
zuweisen versucht hat. Speke und Grant zufolge sind sie lediglich
eine abgesonderte Gruppe von Bergen, von welchen einige kleine,
dem Nyanza zuströmende Gefließe Herabkommen. Die Mondberge
Bnrton's und Sveke's bilden den höhern Theil der centralên
Wasserscheide zwischen Nord - und Süd-Afrika. Sie führen also
dem Nyanza, also auch dem Nil, einiges Wasser zu; vielleicht
geben sie, nach Westen hin, auch einiges an den Congo ab. „Es
scheint nur noch wenig Zweifel obzuwalten, daß sie auch Wasser
an den Tanganyika abgeben, und von diesem aus in Livingstone's
Nyassa, was, meiner Ansicht nach auf sehr richtige Gründe hin.
schon von Herrn Franz Gallon gemuthmaßt worden ist."
2. Die Bewohner in den Königreichen Karagneh und Uganda
sind mehr civilisirt (— richtiger: nicht in so hohem Grade bar-
barisch; das Abschlachten eines Menschen an jedem Tag ist mit
„Civilisation" unverträglich —) und vorgeschritten, als das Volk
weiter nach Norden hin am Nil, zwischen dem See und Gondokoro.
Diese Leute sind nacktgehende Barbaren, wahrscheinlich die Anthro-
pophagen Herodot's. Sie haben zu allen Zeiten ein weiteres Vor-
dringen von Norden nach Süden hin verhindert.
3. Die Reisenden verstanden die Sprache, welche von den
Stämmen der Ostküste geredet wird, und sie konnten sich vermöge
derselben überall verständlich machen, bis sie zu jenen nördlichen
Barbaren kamen; die Sprache dieser Letzteren ist ganz verschieden
von irgend einer südlichen Mundart.
4. Aus Speke's Aufzeichnungen über den geologischen Bau
der von ihm durchwanderten Region nehme ich ab, daß sie nirgends
goldhaltig sei. —
Zum Schluß erwähnte Murchison, daß zu Rom in der Biblio-
thek der Propaganda eine alte Karte von Afrika aus dem 16. Jahr-
hundert vorhanden sei, auf welcher zwei Seen als die Quellen
des Nils eingetragen sind; diese letzteren werden südlich vom
Aequator verlegt. Beke seinerseits hat ganz richtig vermuthet,
wo die wahre Quelle liege. Der Redner hob dann nach Gebühr
die großen Verdienste hervor, welche sich deutsche Reisende um die
Entdeckungen in Afrika erworben haben, z. B. Krapf, Reb-
mann und von der Decken; er sprach auch von dem Plane
Dr. Bialloblotzky's, welcher 1848 eine Reise zur Entdeckung
der Nilquellen unternehmen wollte. Aber zu jener Zeit war man
gegen Expeditionen, welche von Südost nach Nordwest gerichtet
waren, noch sehr eingenommen.*)
auf 1188 Fuß redueiren zu köunen. The sources of the Nile etc. by Charles
Beke, Scutum 1860. p. 32 it. 35. Die niedrigste Angabe ist die Dovyak' sche,
828 Fuß ; von H e U g l i n fand als Durchschnittsresultat 330 Meter — 1016 Pariser
Fuß ; Pruysseuaer dagegen kaum 300 Meter — 924 Pariser Fuß ; Peney
335 Meter — 1031 Pariser Fuß. v „ A.
*) Wir haben im Globus dem Nil und den Entdeckungsreisen auf diesem
Strom oft unsere Aufmerksamkeit zugewandt. Da die „Nilquellen" nun mehr als
je auf die geographische Tagesordnung gekommen sind, so wollen wir hier für solche
Leser, welche eine Uebersicht oder einen Rückblick wnnschen, eine Himveisnng auf
frühere Mittheilungen geben. Die Entdeckungen in der Nilregion wurden znsammen-
gestellt Band 1, S. 107. — Lafargne s Bemerkungen über die Länder am
Obern Nil I., S. 92. — lieber L ei ea n I., S. 107. — Die Reisen Pene »'s
am Obern Ril und der Tod dieses Reifenden I., S. 247 u. 250. — P eth erick's
Reisen I., 344. —Ueber dieProbleme amObernRil, überDebonv und
Brun Rollet I., S. 372 und ff. — Ueber Bnrton's und Speke's Reisen II.,
S. 129. 171. 205 ff. — L ejean auf dem Bahr el Gasal II., S. 153. — Eine
Schilderung von G oudokoro II., S. 316. ■— Nene Nachrichten vom client
Weißen Nil IL, S. 319. — Chartum, die Anwohner des Weißen Nils und
des Bahr el Gasal II., S- 353 und III,, S. 247 ». 270. — Aus den südabessini-
schen Landschaften und über den S obat III,, S. 27. — M ian i's Entdeckungen
am Obern Nil III., S. 30. Die Sklave nja gden der Europäer am Weißen Nil
III. , S. 214. — Sennar, von Dr. R. Hartmann IV., S. 1. — Baker's
Expedition IV., S. 22. — Reue Reisen auf dem Nil (Petherick, Frau Tinne re.)
IV. , S. 126 ^
-Ule diese Mittheilungen gewähren, zusammengenommeu und mit den Bemer-
kungen Murchison's über Speke's glückliche Reise, einen Ueberblick. Speke wird
jeden Tag in Europa erwartet; er will in der Londoner geographischen Gesellschaft
über seine Entdeckungen sprechen. Es versteht sich von selbst, daß wir Allem, was
sich auf die Nilregion bezieht, eine besondere Aufmerksamkeit znwenden. A.
Ein Schreiben aus St. Thomas in Westindien über die freien Neger.
179
Ein Schreiben aus St. Thomas in Westiudien über die freien Neger.
Wir halten es für eine im Interesse der wahren Humanität
und der Bildung gebotene Pflicht, die Negerfrage vorurtheils-
frei zu beleuchten und die Thatsachen der pseudo-philanthropischen
Floskel entgegen zu stellen. Diese Negerfrage ist eine der inhalt-
schwersten unseres Jahrhunderts. Nachdem früher wohlmeinende,
ehrliche Menschenfreunde sich derselben bemächtigt hatten, traten
dann Fanatiker ans, welche mit dem Abolitionismus politisches
Kapital machten. Die ehemalige nordamerikanische Union zeigt,
wohin man damit gekommen ist. Westindien und Südamerika
lehren, was es heißt, die Neger mit einem Schlage emancipiren.
Wir haben in unserm Aufsatz über die freien Neger in Westindien,
Globus III, S. 85, hervorgehoben, daß die Abolitionisten in ihrem
Fanatismus gewissenlos seien; wir wiesen in dem Buche S ew ell's
nach, daß diese Leute sowohl der Wahrheit und den Thatsachen
wie der Logik völlig abgekehrt sind. Trotzdem fanden wir noll-
jüngst wieder in einem vielgelesenen Leipziger Blatte die Unwahr-
heiten Sewell's wiederholt. Jeder glaubt eben berufen zu sein, in
der Negerfrage mitznreden, auch wenn er nicht das Geringste von
derselben versteht. Man meint mit dem Stigma, das mit dem
Worte „Sklaverei" verbunden wird, über alle Schwierigkeit hin-
wegzukommen; man fällt das Urtheil über einen Proceß, dessen
Akten man nicht kennt. Man sollte aber dem weißen Publikum
und den schwarzen Leuten gegenüber gewissenhafter sein.
In einem Aufsatz: „Unsere schwarzen Brüder" wiesen wir
nach (Globus I, S. 314), daß sowohl auf Mauritius im Indischen
Ocean wie aus Jamaika die Emaucipatiou gleichbedeutend sei
mit Barbarei und Verwilderung des Negers, bei welcher Freiheit,
Humanität und Civilisation nichts gewinnen. In Bezug darauf
erhalten wir nun von einem deutschen Kaufmann auf Sanct Thomas
folgende Zuschrift:
Sauet Thomas, 14. April 1863.
In Ihrem „Globus" las ich neulich eiuen Aufsatz, betitelt;
„Unsere schwarzen Brüder", welcher hier in St. Thomas in
den weitesten Kreisen der weißen Bevölkerung wegen seiner so un-
gemein trefflichen Charakteristik der Negerrace bekannt ge-
worden ist, im Gegensätze zu den philanthropischen Aufsätzen anderer
Blätter, deren Autoren man es ansieht, daß sie über den Gegen-
stand, den sie zu behandeln sich erlauben, auch nicht die geringste
Kenntuiß haben. Genau so, wie Sie die schwarze Rare schildern,
ist sie, und ich könnte Ihnen von hier hunderte derartiger Beispiele
anführen. Unsere Stadt hat etwa 2000 Weiße und 13,000 schwarze
und farbige Einwohner; die Letzteren lebten bis 1848 znm größten
Theil in einer ungemein milden Sklaverei, und waren auf den
Zuckerplantagen unserer Insel oder in den verschiedenen Stores der
Stadt rc. beschäftigt. Macht man jetzt einen Ritt über die Insel, so
sieht es höchst traurig aus: alle Gebäude der Plantagen
liegen in Ruinen. Von Zucker und allen sonstigen Producten
wird kein Pfund mehr producirt, die Eigenthümer können
keine Arbeiter bekommen, da es den baumstarken, gesunden
und starrköpfigen Herren Negern nicht beliebt, ihre Gliedmaßen zu
etwas Nützlichem zu verwendeu. Zu Hunderten lungern sie den
ganzen Tag auf den Straßen, öffentlichen Plätzen und in den
Thorwegen herum. Braucht man Arbeiter in den Stores, wo sie
für 8 Stunden tägliche, leichte Arbeit einen spanischen Thaler
(1 Thaler 12 Silbergroschen) erhalten, so kann man doch zumeist
keine bekommen, denn wenn sie zwei Tage gearbeitet haben, beliebt
es ihnen, ihre Glieder für den Rest der Woche ruhen zu lassen.
Schwarze Dienstboten zu haben, ist wirklich eine Strafe; man
giebt hier einem Hausmädchen bei freier Station 120 Dollars
jährlich, wofür sie thun so viel sie eben wollen; man ist genöthigt,
mindestens 3 bis 4 Dienstboten zu halten, um nur einigermaßen
im Hause nicht Alles selbst thun zu müssen. Alles machen sie schlecht
und verkehrt; weist man sie zurecht, so sprechen sie stets dagegen an;
wird man heftig, dann gehen sie sofort aus dem Hause, denn sie
dienen der Herrschaft aus Gefälligkeit und sind free xeoxle! Sonn-
tags ist kein Diener im Hause zu haben, denn sie müssen den ganzen
Tag zur Kirche, um — zu schlafen. —
Glaubt man in Europa, daß mit Abschaffung einer
gemäßigten Sklaverei der Moral und Sittlichkeit ge-
dient wäre, so irrt man sich gewaltig; früher wurden hier
die Neger untereinander verheirathet, jetzt ist jede Negerin und
Farbige ein Freudenmädchen für allgemeinen Gebrauch. Das
geht schon daraus hervor, daß von allen hiesigen Geburten
nur etwa 9% ehelich und 91% unehelich sind. Die Weibs-
bilder kommen in alle Stores; an Bord der Schiffe, auf allen
Plätzen bieten sie ihre schwarzen Reize dem Meistbietenden an.
Liebe zu ihren Kindern kennen sie gar nicht, wenigstens sieht
man sie die kleinen schwarzen Geschöpfe fast täglich mit empören-
derGrausamkeitmißhandeln. Wie oft sehe ich, daß eine Mutter
ihr kleines zweijähriges Kind mit der einen Hand bei der Wolle des
Kopfes festhält, während sie mit der andern dasselbe mit irgend
einem Stück Holze fortwährend gräßlich prügelt! Miethet man
ein schwarzes Dienstmädchen (weiße Mägde giebt es hier nicht),
so kann man sicher sein, daß sie irgend ein Kind von 10 bis
12 Jahren mit sich bringt, welches dann, auf Kosten der Herrschaft
genährt, die metfie Arbeit seiner Tyrannin thun muß, da letztere
das Recht des Stärkern gegen den Schwächen: gar wohl auszu-
üben versteht.
Seit fünfzehn Jahren sind hier die Neger ganz vollkommen frei;
sie können Mitglieder des Bürger Couneils und Colonial Councils
werden und haben jede, dem weißen Bürger ganz gleiche Berechti-
gung; mau hat hinlänglich Gratisschulen [für sie errichtet, kurz
alles Mögliche für sie gethan; aber Alles, was sie in dieser
Zeit profitirt haben, ist unbegrenzte Faulheit und
Frechheit gegen die Weißen.
Kann nun ein denkender und vernünftiger Mensch glauben,
daß eine solche Menschenrace im vollen Besitz ihrer Freiheit jemals
dazu beitragen werde, ein Land in Kultur und einem blühenden Zu-
stande zu erhalten? Nein, ganz gewiß nicht! Das Aufhören aller
Kultur, alles Fortschrittes, die Verwilderung und Verwüstung der
von Gott am reichsten ausgestatteten Länder der Welt sind die un-
bedingte Folge, wenn man dieser schwarzen Race das Recht
giebt, nach Gutdünken schalten und walten zu können. Die That-
sacheu reden. —
So lautet der Brief aus Sanct Thomas, welchem die Firmen
der dortigen Handelshäuser beigelegt sind. Es sind folgende:
1) Schön, Willink u. Co. — 2) C. M. Grasmeyer u. Co. —
3) H. C. Brodersen — 4) L. Tentler u. Co. — 5) Hurtzig u. Eber-
bach — 6) Grüner u. Co. — 7) Z. I. Levy u. Co. — 8) Heise,
Schmidt u. Co. — 9) O. I. Bergeest u. Co. — 10) Petersen
u. Riefkohl — 11) Rothschild Son u. Co. — 12) H. H. Meyer
u. Co. — 13) von Lindemann Brothers — 14) Paulsen u. Co. —
15) Sonderbnrg, Haddock u. Co. — 16) Göttig. —
Demnächst werden wir eine Schilderung der Insel St. Thomas
und ihrer Handelsbedeutnng nach Trollope's Werk über Westindien
mittheilen.
Nachschrift.— Mit welcher Dreistigkeit die angeblichen Neger-
freunde Unwahrheiten für Wahrheiten ausgeben, davon haben sie
wieder einmal am 22. Mai in London, bei der Jahresversammlung
der Britsh and Foreign Antislavery Sotiety erbauliche Proben ge-
liefert. Daß in derselben Attentate gegen den gesunden Menschen-
verstand Vorkommen, soll hier nicht weiter betont werden; man
ist daran bei manchen „Reverends" schon gewöhnt. Ein Herr
C. Buxton besprach die Wirkungen, welche der Unterjochungs-
kampf der Jankees gegen die Conföderirten in Bezug auf die Sklaverei
möglicherweise ausüben werde, und fuhr dann fort: „Als ein großes
23*
180
Leben und Treiben in den Straßen von Konstantinopel.
Problem stellt sich nun die Frage hin: werden die Neger, wenn sie
frei sind, eben so wohl arbeiten wie in der Sklaverei? Die Er-
fahrungen, welche man in Westindien gemacht hat,
müssen in dieser Beziehung auch den Ungläubigsten zu-
frieden stellen. Aber freilich, es giebt halsstarrige Men-
schen, die nicht zugeben wollen, daß das Experiment in West-
indien gelungen sei. Wenn dort ja etwas sehlschlug, so lag die
Schuld lediglich daran, daß man nicht genug Kapital hatte. Die
Pflanzer könnt en den Negern die Arb eit nicht bezahl en.
Aber jetzt sendet Westindien für sechs Millionen Pf. Sterling Zucker
zu uns, und der ist ganz und >gar ein Produkt der Neger-
arbeit."
Unverschämter, man verzeihe den Ausdruck, ist nie gelogen
worden. Die Blanbücher und alle unbefangenen Berichte besagen
gerade das Gegentheil. Der westindische Zucker ist zu bei weitem
größtem Theil Erzeugniß der Arbeit asiatischer Kulis. Gewiß
konnten die Pflanzer den Neger nicht bezahlen, denn er verlangte
durchschnittlich für 8 Stunden Arbeit, die er aber nur vier Tage
in der Woche verrichten wollte, täglich bis zu fünf Dollars,
dazu noch Kost und Rum, so viel zu trinken ihm beliebte. Nie hat
eine Maßregel nach allen Seiten hin so klägliche Folgen gehabt,
als die Emancipation in Westindien. Aber die Antisklaverei-
philanthropeu kümmern sich nicht um die Thatsachen. Sie schicken
einen von ihnen besoldeten Menschen nach Westindien, zuletzt Herrn
Sewell, der ihnen dann ein Buch schreibt, das voll von Unwahr-
heiten und ganz und gar von Urtheillosigkeit durchdrungen ist.
Aber gerade das sagt ihnen zu, weil es ihnen paßt. Diese Unwahr-
heiten werden dann zu einem Evangelium, auf das sie schwören.
Was nicht damit übereinstimmt, ist nicht in der Welt, und wer es
nicht glaubt, ist der „perversity" anheimgefallen.
Ich will hier noch bemerken, daß die Times schon vor sieben
Jahren sich gedrungen sah, unumwunden einzngestehen, daß die
Emancipation heillose Folgen hatte. Ich habe mir damals die
Stelle angemerkt; sie steht in der Nummer vom 11. Juli 1856.
Es war damals Streit über Roatan und die übrigen Inseln in der
Bucht von Honduras, welche England sich widerrechtlich ange-
maßt hatte. Der Gesandte von Honduras, vr. Heran, forderte
die Inseln wieder zurück, welche bekanntlich hinterher auch zurückge-
geben wurden. Die Times befürwortete die gerechten Ansprüche
der centralamerikanischen Republik und äußerte: „Großbritannien
hat kein Interesse mehr, sein Gebiet an der Küste Centralamerikas
zu vergrößern, in einer Zeit, in welcher seine westindischen
Besitzungen wieder der ursprünglichen Wildheit an-
heimfallen, wo auf Jamaika fruchtbare Ländereien
aufgegeben werden und in Trinidad und Demerara der
Anbau beinahe anfgehört hat." Sie fügt hinzu: „England
darf seine Sonverainetät in jenen tropischen Gegenden nicht weiter
ausdehnen, in welchen die Sklaverei die einzige Quelle des Wohl-
standes bietet." —
Die westindischen Kolonien haben Millionen Pf. Sterling ver-
ausgabt, um sich asiatischeArbeiter kommen zu lassen, und sie be-
zahlen diese Arbeiter und diese liefern Produkte. Nun sollten die
Antislaveryleute in Londen sich fragen: warum arbeitet der Asiat
und der Neger nicht? Und sind die Asiaten etwa über's Meer ge-
kommen, ohne daß man dafür „Kapital" angelegt hätte, und besteht
ihr Arbeitslohn in Nichts? Aber freilich, mit der Logik haben jene
Leute eben so wenig zu schaffen, wie mit den Thatsachen; sie haben
nichts als die Phrase, mit der sie leider viel Unheil angerichtet haben.
A.
Leben und Treiben in den Straßen von Konstantinopel.
Zweiter Artikel.
Eine Wanderung unter den Buden. — Bilder- uud Tabacksläden. — Allerlei Delikatessen. — Raki. — Engländer in einer Schänke. — Die herrenlosen
Hunde. — Die heulenden und die tanzenden Derwische. —
Die Buden der türkischen Handelsleute haben etwas
Anlockendes, weil man in ihnen allerlei Siebensachen findet, die
uns Europäern als Raritäten erscheinen. Wenn man vier Wochen
in Stambul ist, hat man schon ein kleines Museum von morgen-
ländischem Allerlei beisammen und findet zu seinem Schrecken, wie
viel Geld dafür verschwendet wurde. Aber man will und muß
doch Das und Jenes in die Heimat mitbringen, Erinnerungs-
zeichen an Konstantinopel. Da sehe ich Talismane ans rothem
Karneol in derselben Bude mit Stücken von sogenanntem Aloä-
holz (Aguila), welches die Türken statt des Weihrauchs ver-
brennen. Ich kaufe von beiden Sachen, aber in die Bude eines
Nudelnhändlers werfe ich nur einen Blick. Sein Hauptwerkzeug
besteht in einer Art von Bürste aus Metallfäden, und er handhabt
den Teig etwa so, wie Hanf durch eine Hechel gezogen wird. Die
Läden sind mit Eßwaren reichlich versehen; vor einem derselben
sehe ich einen mächtigen ledernen Sack, der mit weißem Käse ange-
füllt ist. Dieser kommt aus Odessa; eine andere weiße Sorte, die
ans Büfselmilch bereitet wird, kommt vermittelst der Kameelkara-
wanen aus dem Innern von Kleinasien. Allerlei getrocknete See-
thiere sehen abscheulich aus und verderben mir den Appetit, aber
hier zu Land ist man nicht wählerisch; in früheren Zeiten aß man
sogar Schwertfische.
In den Bilderbuden sieht es bunt genug aus. Ehemals
hätte man nicht wagen dürfen, menschliche Gestalten zu zeichnen
oder abzumalen; das wäre eine Kapitalsünde, ein Hauptverstoß
gegen den Koran gewesen; aber heutzutage geht mancherlei durch, >
was früher großes Argerniß verursacht hätte. Die Türken sehen
sogar init Gemüthsruhe allerlei bunte Pinseleien an, zum Beispiel
Schlachtbilder, auf denen die Griechen als Sieger dargestellt sind.
Nur selten kommt es jetzt vor, daß ein Bäcker, der zu leichtes Brot
verkauft oder falsches Gewicht führt, mit den Ohren an seine Laden-
ihür genagelt wird, und in Säcke eingenähte Frauen werden
wenigstens nicht bei Hellem Tage in den Bosporus geworfen.
Hunderttausende von Menschen leben in Stambul, ohne jemals den
blutigen Kopf eines rebellischen Paschas auf einem Pfahle gesehen
zu haben.
Sogar der Turban wird seltener, weil der Türke lieber den
bequemern Fes trägt; Schneiderwerkstätten sieht man im Bazar
nur sehr vereinzelt, aber desto mehr Jnwelenläden, deren Inhaber
zumeist Juden sind. Der Orientale ist erpicht auf Diamanten und
Edelsteine, und sie werden namentlich von den Damen der Harems
begierig gesucht. Deswegen sieht man im Bazar sehr viele Sma-
ragden und Perlen, und Ohrringe aus Filigranarbeit. Diese
letzteren sind ein Lieblingsschmuck der Negerinnen, welche als Auf-
seherinnen die verhüllten Damen begleiten; jene tragen durch-
gängig gelbe Stiefeln.
In den unteren Stadttheilen sieht es während der Winter-
monate sehr schlimm aus, denn man versinkt bis an die Knöchel
in den Schlamm; im Sommer sind die Straßen gedrängt voll
von Menschen, und Ntan kann sich nur mit Mühe einen Weg bahnen.
Das Gewühl ist groß und lästig. Ich trete an den Stand eines
Mahabidschi, der einen delikaten, mit Zucker bestreuten Reis-
Leben und Treiben in den Straßen von Konstantinopel.
181
Pudding verkauft und mir einen kupfernen Löffel zureicht, damit
ich essen kann; aber im Nn drängt die Menge mich fort und nur
mit Mühe gelange ich wieder an den Stand. In der Nähe desselben
verkauft man geröstete Kastanien und gesottene Maiskolben. Diese
lasse ich unberührt. Hundert Schritte weiter sehe ich einen Land-
streicher ans Nubien; er steht an der Mauer einer Moschee und
erzählt einigen schwarzen Sklavinnen seinen Lebenslauf. Diese
Negerinnen tragen ihr Volks- und Stammwappen ans den Wangen;
es besteht in verschiedenen Einschnitten in die Haut und ist ein
Paß, der nicht verfälscht werden kann. Man erkennt an diesen
Einschnitten das Vaterland dessen, der es trägt.
Der Tabaks Verkäufer ist Legion; sie haben ihre Buden
überall, auf den Hügeln und am Hasen, neben der Sophienkirche
und sogar neben der Hohen Pforte selbst. Was mögen wohl die
Türken angefangen haben, bevor man in Europa den Tabak kannte t
Sie konnten doch nicht immer und ewig schlafen, Schach spielen,
Christenköpfe absäbeln und eingenähte Frauen in's Meer werfen!
Und was tranken sie, ehe der Kaffee seine Verbreitung gewann?
Vor dem sechszehnten Jahrhundert hatten sie weder Tabak noch
Kaffee, und jetzt wären sie ohne diese beiden Reizmittel gar nicht
zu denken.
Doch da kommen einige vornehme Türkinnen! Sie treten in
eine große Bude, die sich einigermaßen europäisch ausnimmt. Sie
sind tiefer in weiße Schleier verhüllt als Nonnen, aber sie lassen
ihre mit netten Stiefelchen bekleideten feinen Füße sehen, indem sie
das seidene Gewand ein wenig emporheben. Ich trete auch in die
Bude ein. Jene nehmen ans den nmherstehenden Tabourets Platz
und machen nicht blos dem Kanfmanne viel zu schaffen, sondern
auch seinem Negersklaven, der eben Pistazien in Oel und Zucker
kocht. Wir befinden uns nämlich in einem Delikatessenladen.
An den Wänden hängen auf langen Stäben jene parfumirten
Leckereien, welche in den Harems als Rahat ln kum, d. h. Masse
des Ergötzens, bezeichnet werden. Diese Leckerei besteht ans einer
Art von gelber oder rosenrother Gallert oder vielmehr aus einem
Teige mit Mandeln, Zucker und Stärkemehl, nebst allerlei wohl-
riechenden Zuthaten; er schmeckt vortrefflich, ist aber entsetzlich schwer
zu verdauen. Unsere europäischen Zierpuppen möchten wo möglich
gar nicht sehen lassen, daß sie Speise zu sich nehmen; sie gebärden
sich zimperlich sogar wenn sie ein Bischen von einer Täubchen - oder
Hähnchenbrust zum Munde führen. Da sind die Zobeiden, Sche-
herazaden und wie diese schönen Frauen des Harems weiter heißen,
doch von ganz anderm Schlage. Sie setzen sich in die Bude und
verzehren gewöhnlich den Rahat ln knm ellenweis, trinken dazu ein
Glas Limonade nach deni andern und verspeisen obendrein Him-
beereis. Zum Frühstück haben sie schon Reis mit Huhn genossen,
Mittags ein tüchtiges Stück Schöpsenfleisch, das sie mit ihren
zarten Fingern zum Munde führen, denn die Gabel ist noch nicht
allgemein durchgedrnngen, und nun thun sie sich gütlich an der
süßen Masse des Ergötzens! Daß es ihnen gut anschlägt, sah ich
an der einen Dame, die ich'Zobelde nennen will; sie war sehr be-
leibt und ließ dann und wann ein Gesicht sehen, das nach unseren
Begriffen doch um das Dreifache zu fett war. Die andere war
allerdings hübscher, mich störten aber die gemalten Augenbrauen
und die weiße Schminke, die mich an eine frisch getünchte Wand
gemahnte. Nach Verlauf einer halben Stunde erhoben sich die
Damen, ihre Negerin folgte und alle drei stiegen in ihre Araba,
den verdeckten Wagen. Nun verließ ich mein Platz an der Thür
der Bude, von dem aus ich meine Beobachtungen angestellt hatte,
schlug in meine Hände, was so viel bedeutet, als wenn man bei
uns „Kellner" ruft, und bestellte Eislimonade mit Veilchen. Kein
geringerer Mann als der Prophet Mohammed trank Veilchenli-
monade gern; ich habe mich aber in den Buden Stambuls vergeblich
nach derselben umgesehen.
Aber geistige Getränke, welche der Prophet verboten hat,
findet man überall. Die Engländer nehmen das Privilegium in
Anspruch, dergleichen zu verkaufen. John Bull ist bekanntlich kein
blöder Gesell, er will Alles verkaufen, aus Allem Geld machen von
wegen der — Handelsfreiheit! Man kann in Konstantinopel Raki
haben, einen sehr starken, öligen Anislikör, der zwar höchst unge-
sund, aber besonders bei den Griechen und auch bei den Türken sehr
beliebt ist. Diese letzteren trinken ihn natürlich nur insgeheim. So
weit sind die Türken schon, daß sie in europäischen Häusern Wein
trinken, gerade wie wir; sie machen es wie Sultan Mahmud und
sein Sohn that. Sie sagen, Champagnerwein sei eigentlich nur
I ein sehr feines Flaschenbier, denn es schäume, was der Wein im
Orient ja nicht thue; auch sei der letztere roth, der Schaumwein
j aber weiß. Wie hübsch man doch Sophisterei treiben kann!
Unweit vom Arsenale liegt eine kleine „ englische Schänke",
welche von einem Griechen gehalten wird; dort sind die britischen
Arsenalarbeiter Stammgäste. Diese John Bulls wollen von Li-
monade nichts wissen; ich hörte einmal, daß einer sagte: „Die ist
gerade gut genug, um Schweine darin zu baden," und der Raki
ist ihnen zu süß und ölig. Sie trinken Jamaika-Rum und holländi-
schen Wachholderbranntwein. Diese Engländer benehmen sich sehr
unverschämt. Sie bekommen hohen Lohn, zahlen keine Abgaben,
haben den blauen Himmel und die Veilchendüfte, welche der Wind
ans Bithynien herüberfächelt, umsonst, und doch schimpfen sie auf
Alles, schlagen mit ihren groben Fäusten ans den Tisch, daß Alles
dröhnt, fluchen über die Türken, und wenn sie den Nebel im Kopfe
haben, singen sie, ach! wie Engländer eben singen. Sie hatten ein-
mal etliche Fässer mit Ale aufgelegt, waren dann trunken durch die
Straßen gerannt; da traf es sich, daß der Sultan, ihr Brotherr,
ihnen begegnete; aber die mit Ale getränkten Briten verweigerten
dem Beherrscher der Gläubigen den Gruß, den SalLm. In seinem
ersten Grimme wollte er diesen edlen Insulanern den Kops abschlagen
lassen; dagegen wurden aber diplomatische Einsprüche erhoben.
Unter den Charakterthieren Konstautinopels spielen zwei eine
ganz hervorragende Rolle; ich meine die Hnnde und die heulen-
den Derwische. Sie sind von Thornbury ganz vortrefflich ge-
schildert worden. Er sah einmal, wie bei der Moschee des Sul-
tans Achmed, beim Hippodrom, wo die riesigen Marmorsäulen
stehen, vier Hnnde gleichzeitig an einem alten europäischen Filzhute
nagten. Er will damit nicht gesagt haben, daß die Tausende von
herrenlosen Kötern nur von alten Filzhüten leben; er hat gesehen,
daß sie auch todte Esel und Katzen, altes Riemenzeug und Pantoffeln,
Melonenschalen, Ziegenfelle und Pferdeknochen fressen; manchmal
aber wird ihnen doch irgend ein Leckerbissen vorgeworfen. Diese
konstantinopolitanischen herrenlosen Hunde, die man nicht mit Un-
recht als Pariahs bezeichnet hat, sind ein eigenthümlicher Schlag.
Allerdings geht ihnen die Kraft des Neufundländers, die Zierlich-
keit des Windspiels, der Mnth des Bulldog, der Scharfsinn des
Schäferhundes ab; dafür haben sie aber starke Knochen, spitze
Zähne und einen sehr feinen, für ihre Verhältnisse sehr noth-
wendigen Instinkt. Der Charakter ist verschieden. In den ab-
gelegenen, menschenleeren Straßen, wo manche Mauern eingestürzt
sind, ist der Pariahhnnd ein grimmiger Misanthrop und einsehr
cynischer Gesell; aber in den volksbelebten Gassen, am Hafen, im
Bazar und am Serail erscheint er feig und kriechend. Das Alles
erklärt sich leicht. Der Hund in den einsamen Stadtvierteln bleibt
von den Leuten unbehelligt; er übt Straßenpolizei, indem er allen
Wegwurf und Abhub verzehrt, weiß sich gewissermaßen unent-
behrlich und in seinem Rechte, bellt die türkischen Kinder an und
weist auch Erwachsenen die Zähne. Sein College in den belebten
Gassen bekommt von Jugend auf manchen Schlag, sein Mnth
wird schon früh gebrochen, er muß sich verkriechen; jener ist einem
Räuber vergleichbar, dieser einem Diebe; jener greift inich an,
dieser flieht vor mir.
Der herrenlose Hund in Konstantinopel ist im Allgemeinen
röthlichbraun; diese Farbe spielt bei manchen in's Schwärzliche,
bei anderen in's gelbliche Braun über; er hat ein lebhaftes Auge,
feine Witterung und, wie schon bemerkt, sehr scharfe Zähne. Am
Tage läßt er die Leute unbehelligt, aber Nachts bellt er sie in
182
Leben und Treiben in den Straßen von Konstantinopel.
den unbeleuchteten Straßen an, weis't auch wohl die Zähne, wagt
aber nur in seltenen Fällen einen Angriff. Der Stock nützt gegen
ihn nicht viel; wenn man sich aber bückt und so thut als wolle man
einen Stein aufheben und nach ihm werfen, dann reißt er ans.
Eines Tages fuhr ich in einem Kalk, kleinem langem Boot, hin-
über nach der asiatischen Seite und trat unweit von Galata an's
Land. Nachdem ich eine Strecke weit gegangen war, verspürte
ich einen sehr unangenehmen Geruch. Von strangulirten Paschas
und eingesackten Frauen, welche etwa der Bosporus an's Gestade
geschwemmt, konnte derselbe doch nicht herrühren, denn jene Hin-
richtungen sind nicht mehr Mode. Gleich nachher bemerkte ich ans
grünem Rasen ein gefallenes Pferd, über das sich ein halbes
Dutzend Hunde hergemacht hatten. Es war ein schauderhafter
Anblick; mit wilder Gier zerrten die Bestien an dem Gaule herum,
rissen ihm das Fleisch ab und verschlangen große Stücke. Ich
drehte mich rasch um und schlug eine andere Richtung ein.
Ein anderesmal ging ich auf den kleinen Leichenacker bei Pera,
der einen sehr beliebten Spaziergang bildet, und bemerkte ein
geöffnetes Grab. Indem ich hin und her sann, wer wohl seine
frevelhafte Hand an diese Ruhestätte gelegt habe, bemerkte ich, daß
ein kleiner Hund aus dem Erdspalt hervorkroch; drei andere folgten
ihm und alle spielten lustig in der Sonne. Jetzt wurde mir die
Sache klar; eine Hündin hatte sich das Grab auserkoren, um in
demselben ihre Jungen zu werfen.
In Konstantinopel kann man allerlei merkwürdige Dinge über
die Hunde erzählen hören. Sie haben sich, sagt man. nach Stadt-
vierteln und verschiedenen Gassen in Gruppen getheilt und halten
darauf, daß ihre Grenzen nicht überschritten werden; ein fremder
Eindringling wird weg- oder todtgebissen. Jedes Quartier hat
gleichsam einen eigenen Hnndestaat, dessen Angehörige sich kennen,
verstehen und Zusammenhalten; auch üben sie unter sich eine Art
von Polizei. In den Straßen, welche in der Nähe des alten Pa-
lastes Blachernae liegen, wohnen vorzugsweise Griechen; man sieht
dort viele hübsche Mädchen mit hübschem Gesicht und schmuziger
Kleidung. Während ich mir eine dieser neuhellenischen Grazien
betrachtete, hörte ich Bellen und Heulen und wandte mich um. Da
sprengte eine Meute von Pariahunden durch die enge Gasse und
ich trat rasch zur Seite. Sie verfolgten mit Gebell einen unglück-
lichen Eindringling, der schon mit Schlamm und Blut bedeckt war.
Offenbar gehörte er nicht in's Quartier und mußte nun ausreißen.
Die Hunde in Konstantinopel sind selbstsüchtig und unduldsam,
beinahe wie Philosophen oder Theologen verschiedener Sekten.
Aber die Türken kümmern sich um solche Sachen nicht, die Hunde
thun und treiben was sie wollen; aber leider entfernt man die,
welche todt auf den Straßen liegen nicht, sondern läßt sie liegen.
Die Himdewirthschaft ist eine Plage für Stambul, aber man ist
dort altkonservativ wie in Hinterpommern, und hält das Herge-
brachte für unantastbar.
Das gilt auch in Bezug ans die heulenden Derwische,
diese „frommen" Männer, welche ihr Hauptquartier ans der asia-
tischen Seite des Bosporus, in Scutari, haben. Ihre Kapelle oder
kleine Moschee liegt auf einer abschüssigen Straße in der Nähe des
Cypressenwaldes, welcher den großen türkischen Friedhof bildet. Als
ich dorthin ging, begegnete mir erst ein bescheidener Leichenzng,
und gleich nachher ein Pascha hoch zu Roß mit stattlichem Gefolge.
Vor der Kapelle mußte ich meine Schuhe ausziehen und ging dann
treppauf zu einer Galerie, wo Kapellendiener gegen ein Trink-
geld, Bakschrsch, einige Strohkisseu hinlegten und Schaffelle dar-
über breiteten. Unten im Tempel außerhalb des Geländers, welches
die Altarseite (den MihrLb) umhegt, standen türkische Bauern und
Kinder. An den Wänden hängen alte Fahnen, Keulen, Dolche,
Lanzen, Hellebarden und mächtige Löffel, welche einst gleichsam das
Palladium der Janitscharen gewesen sind. Alle diese Siebensachen
wurden vor Zeiten von den Derwischen, welche als Feldprediger
die Heere der Osmanen begleiteten, mit in den Krieg genommen;
heutzutage werden sie dann und wann von den Derwischen nach
Konstantinopel hinübergebracht; diese geben gleichsam Gastrollen
im Enthusiasmus, wenn sie das Volk in der Anhänglichkeit an den
alten Glauben befestigen wollen.
Wir waren vielleicht fünf Minuten in der Moschee der heulen-
den Derwische, als der alte Scheich eintrat. Nachdem die übrigen
Derwische ihm die Hand geküßt hatten, begann der Gottesdienst
mit einem näselnden Gesang, und Wolken von Weihrauch durch-
zogen das Gebäude; sie nahmen mir den Kopf ein. Ich sah so
wunderliche Dinge, daß ich in einer Irrenanstalt zu sein glaubte.
Zunächst sielen mir drei hochbejahrte Männer auf, die nicht mehr
ordentlich mitheulen konnten; der eine war blind, der andere hatte
eine citroneugelbe Haut, der dritte keinen Zahn mehr im Munde.
Sie setzten sich nieder und kreischten mit ihrer zitternden Stimme
in der allerhöchsten Tonlage Verse aus dem Koran. Nun begannen
auch die Derwische zu heulen, und sie befolgten dabei die übliche
Methode, indem sie sich in eine Reihe stellten, wie Soldaten beim
Exerciren. Anfangs sagen sie langsam und in gemessenem Takte
das mohammedanische Glanbensbekenntniß her: La illah illah ha!
Bei der ersten Silbe la biegen sie sich nach vornüber, beim il
heben sie den Kopf wieder, beim ersten la neigen sie ihn nach
hinten, bei der vierten Sylbe il wieder nach vorn und so fort.
Dann machen sie schaukelnde Bewegungen, abwechselnd nach der
linken und nach der rechten Seite, der Takt wird lebhafter, die
Musik schneller, es ist als ob der Teufel in den Flöten und in den
Leibern der Derwische säße. Inzwischen näseln die drei alten
Männer mit ihren kreischenden Stimmen den Borda, das Lob des
Propheten und des Derwisch-Scheichs; sie klatschen mit ihren
knochigen Händen und schreien: Jahn (Jehovah) und Scha
meded (o Hülfe)! Und nun ertönt das La illah, illah ha!
noch lauter und rascher, die Körperbewegungen werden immer
ärger; bald ertönt auch das Geheul: Hu, hu, hn! Es ist als
ob diese Derwische sich in Wölfe verwandelt hätten. Beim Heulen
drehen sie sich wie Maschinen, und man meint, daß sie Anfälle von
Epilepsie bekommen müßten. Unter den Heulern war auch ein
Neger, dessen Lippen ganz blau wurden, ein Soldat, welchem die
Augen aus dem Kopfe heraustraten, noch ein Mann, der mir wie
ein Matrose verkam, immer krenzweis mit den Beinen über-
einandertrat, und den ich für einen Scheinheiligen hielt. Am
meisten fiel mir aber ein Blödsinniger auf; dieser in Lumpen ge-
hüllte Bettler gebärdete sich noch toller und besessener als alle ande-
ren, von denen doch jeder einzelne Erkleckliches leistete. Er war
geradezu unermüdlich und dabei rann ihm der Schweiß in Strömen
von Kopf und Leib herunter. Manchmal stampfte der alte Scheich
mit dem Fuß, um die Heuler noch mehr aufzumuntern, und der
Spektakel wurde dann viel ärger.
Mir aber schwindelte es im Kopf und fast wären mir die
Sinne geschwunden; das Schreien und Heulen dieser fünfzehn
Heiligen zerriß mir das Ohr, und ich wandte mich von dem Schau-
spiel ab. Zum Glück war ein Fenster mir ganz nahe, ich schöpfte
Luft und blickte hinaus in einen Garten, in welchem eine türkische
Hütte stand. Unter einem schattigen Maulbeerbaume war das
Grab eines Derwisches, der längst nicht mehr heulte.
Man kann sich keinen schroffern Gegensatz denken, als die
friedliche Stille in jener Landschaft und die Auftritte in der Moschee,
wo mehr als ein Dutzend Menschen wie Unsinnige ras'ten und ein
Hu, hu, hu! nachdem andern heulten und dazwischen Allah,
al h am du tillah! schrieen. Am tollsten gebärdete sich immer-
fort der Blödsinnige; es war als ob er eine Maschine im Leibe
hätte, die ihn unablässig triebe; er schlenkerte mit seinen dünnen,
kurzen Beinen immer hin und her wie ein Pendel. Gäbe man
Menschen solchen Schlags ein wenig Opium, brächte man sie in
einen Qualm von Weihrauch, ließe man sie nur eine Stunde
lang mit Anderen heulen und gäbe ihnen dann einen Säbel in die
Faust, sie würden ohne Weiteres ein Dutzend Ungläubige nieder-
hauen, und wenn ihr Scheich es geböte, sogar dem Sultan den
Kopf vom Rumpfe Herabsäbeln. Die Tollheit ist ansteckend.
Leben und Treiben in den Straßen von Konstantinopel.
183
Auffallend erschien mir, daß keiner von diesen Heulern er-
schöpft zu Boden sank, auch trat ihnen kein Schaum vor den Mund.
Als das Heulen ein Ende nahm, war es die Aufgabe des Scheichs,
allerlei Wunder zu verrichten. Sie waren freilich so, wie
„Wunder" überhaupt zu sein Pflegen. Der alte Scheich berührte
die Augen mehrerer Kranken, um dieselben durch Handanflegen zu
heilen; ob es ihm gelungen ist, weiß ich nicht. Er knetete auch
einigen Lahmen die Glieder;.daß aber diese Lahmen lahm geblieben
sind, das kann ich versichern. Dann kamen Eltern, brachten ihre
Kinder und legten sie ans den Teppich hin; ein von zwei Männern
gestützter Greis marschirte nun mit seinen gelben Stiefeln über die
Leiber der Kinder hinweg und trat ihre Glieder, ohne daß ein Kind
geschrieen hätte. Ich kann nicht sagen, welch ein Wunder dadurch
bewerkstelligt werden sollte, und da es mir nun ganz wirr im Kopfe
war und eine Art von dumpfem Wesen meinen Menschen durch-
drang, so eilte ich in die freie Luft hinaus.
Man darf in Konstantinopel nicht versäumen, auch die tanzen-
den Derwische sich anzusehen; es ist in der That schon der Mühe
werth. Auch diese Fanatiker haben ihren besondern Tempel, zu
welchem ich nicht ohne einige Mühe gelangte. Der Weg führt
durch ein verschlungenes Gewirr von engen und steilen Gassen, und
ich hätte die Moschee ohne die Weisung eines Griechen, welcher sich
mir anschloß, kaum aufgefunden. Nun stand ich vor dem Gitter
des Hofes, ging dann hinein und stieg einige Stufen hinan. Die
Eingangsthür zur Kapelle stand offen und ich sah, wie die Tanz-
derwische gerade ihre Tanztracht anlegten und ihre braunen Filz-,
mützen auf den Kopf stülpten. An der Thür stand ein alter
graubärtiger Türke, er trug rothe Pantoffeln und einen gelbge-
blümten Schlafrock; es war, als ob eine Gestalt ans Tausend und
Eine Nacht vor mir stände; er vertheilte Billette, etwa so wie bei
uns in Museen und auf Bällen Marken für abgegebene Hüte,
Stöcke und Mäntel ausgetheilt werden. Hier aber handelte es
sich um eine Empfangsbescheinigung für die Schuhe oder Stiefel,
welche man anszieht, ehe man in das Gotteshaus tritt. Doch
höre ich, daß man es ausnahmsweise bei den tanzenden Derwischen
nicht eben genau mit dem Schuhausziehen nimmt.
Der Saal, in welchem die Derwische tanzen oder vielmehr
sich drehen, ist viereckig und mit Strohdecken belegt; von der ganz
schlichten Decke hängen, zu Kreisen geordnet, kleine Lampen herab,
und der Tanzraum ist mit einem durchbrochenen Geländer um-
geben; dieses letztere ist so breit, daß man sich darauf, mit über-
einandergeschlagenen Beinen, setzen kann. Der Mekka zugekehrten
Nische gegenüber stand ein Mann, welcher Verse aus dem Koran
vorzulesen hat, und eine Bande von Mnsikmachern.
Als der Scheich, der Oberderwisch, eintrat, spielten sie ans
Flöten und schlugen mit den Händen auf eine Art von Trommel,
und nun kamen auch die Derwische durch eine niedrige Thür. Sie
setzten sich, einen Kreis bildend, in der Nähe des Geländers nieder,
nachdem sie vor der geheiligten Nische, über welcher Verse aus dem
Koran mit blauen und goldenen Buchstaben angebracht sind, sich
niedergeworfen und den Boden mit der Stirn berührt hatten. Ihre
Röcke waren von verschiedenen Farben, braun, veilchenblau,
schwarz, grün, aber nicht karmesinroth, blau oder gelb, denn leb-
hafte Farben verschmäht der tanzende Derwisch. Er trägt eine
Mütze von braunem Filz, welche die Gestalt eines Blumentopfes
hat, und unter derselben eine zweite von weißem Zeuge. Dazu
kommen kurze, weite Beinkleider und ein langer weißer Rock.
Ich konnte mir diese Fanatiker in aller Muße betrachten, denn
es verging eine Weile, ehe der Scheich sich erhob und sein Gebet
anstimmte. Nun wurde die Musik lauter. Dieser Scheich trug
ein blaßgrünes Gewand, schwarze Schärpe und hatte um die braune
Kappe einen grünen Turban gewunden; er hatte ein bleiches, ab-
gemagertes Gesicht und stechende, aber tiefliegende Angen, aus
denen mehr Intelligenz hervorlenchtete, als aus den Blicken der
schmuzigen Fanatiker, welche nun ihr Werk begannen. Der
Scheich überflog die verschiedenen Gruppen im Tempel; es waren
aber Syrer, Araber, Perser, Türken und Europäer anwesend.
Nun sprach er wieder, völlig gesannnelt und wie in sich gekehrt,
mit feierlichem, eindringlichem Ton ein Gebet; er neigte den Kopf
nach vorn über, legte die Hand auf's Herz und sah ans wie ein
Märtyrer, der zum Scheiterhaufen geführt wird. Inzwischen
hörten die schrillenden Töne der Flöte nicht auf und eben so wenig
das dumpfe Getöse der Trommel. Die Derwische stellten sich der
geheiligten Nische gegenüber ans, verneigten sich und fielen wie eine
Rotte Soldaten gleichzeitig auf die Kniee. Es waren solcher Kniee
acht und sechszig. Der Koranleser sprach einige Verse, während
die Derwische zum Scheich zogen, der ihnen den Segen gab. Sie
hatten jetzt ihr langes Obergewand abgelegt, den Gürtel gelöst
und standen nun so da, daß jeder seine rechte Hand auf die Schulter
des Nebenmannes legte; dann hob jeder die eine Hand in die
Höhe, die andere nach unten hin, und nun begann eine Art von
Walzer, der immer rascher wurde, je lebhafter die Musik spielte.
Besonders auffallend war mir Folgendes. Zwölf oder vier-
zehn Derwische drehten sich gleichzeitig ans einem sehr beschränkten
Raume wieKreisel, aber Keiner stieß den Andern, selbst die Kleider
berührten sich nicht. Es ist sehr schwierig, diesen Drehtanz zu
schildern. Der linke Fuß bleibt stets am Boden; auf ihm dreht sich
der Derwisch herum wie ans einer Angel, und das in Folge der Be-
wegung anfgebauschte Gewand sieht ans wie eine Glocke. Beide
Arme werden weit ausgestreckt, und diese Derwische sahen aus wie
Magier, welche den Planeten einen symbolischen Kultus weihen.
Das Ganze erschien mir wie ein religiöses Ballet, in welchem
übrigens dann und wann eine Pause gemacht wurde, obwohl die
abscheuliche Musik nie aufhörte. Die Derwische blieben manchmal
stehen, ruhten aus, warfen den Mantel über und trockneten sich den
reichlich fließenden Schweiß ab. Dann ging das Drehen wieder
von vorn an, bis endlich Flöte und Trommel verstummten. Der
Lektor sprach wieder einige Verse aus dem Koran, der Scheich sprach
einige Gebete und gab den Derwischen seinen Segen; dann zogen
sie ihre Schuhe an und gingen fort.
Die Drehtänze sind symbolischer Art; sie sollen die Bewegun-
gen der Planeten versinnlichen, und während der Scheich die Sonne
vorstellt, sind die Derwische gleichsam Wandelsterne.
Ich fand in jener Kapelle der tanzenden Derwische ein Publi-
nm, das bunt und interessant genug war. Neben mir stand ein
arabischer Kameeltreiber, ein echter Sohn der Wüste; er hielt den
Stachel in der Hand, mit welchem er seine Thiere antreibt. Ein
schlank gewachsener Perser hatte die hohe, spitz zulaufende Lamms-
mütze auf dem Kopfe; neben ihm stand ein englischer Reitknecht,
der offenbar nicht begriff, was ein so seltsamer Tanz bedeuten solle-,
er sperrte den Mund weit ans. Europäische Touristen waren auch
da. Auf den oberen Galerien saßen verhüllte Frauen; türkische
Kinder fehlten auch nicht, und ein munterer Knabe fand so viel Ge-
schmack an dem Drehtanze, daß er mitten unter die Derwische
lief und seinerseits Versuche anstellte, es ihnen gleich zu thun.
Die ganze Geschichte war viel erbaulicher als jene bei den
Heul-Derwischen; diese hat mir einen unangenehmen, jene einen
heitern Eindruck hinterlassen.
184
Victoria's Mineralschatz.
Victoria's Mineralschah.
ii.
Die goldhaltigen Qnarzriffe in Bictoria.
Der Charakter der Goldquarzrisfe Victorias wird veran-
schaulicht durch nachfolgende Schilderung des Verfassers einer
Reihe interessanter Artikel über die Goldfelder der Kolonie, welche
vor Kurzem in der Melbourner Zeitung „Argus" erschienen sind.
Der Verfasser sagt u. A.:
Dem Beobachter der Qnarzriffe in Victoria müssen noth-
wendig die große Verschiedenheit und abweichenden Formen und
Bildungen derselben auffallen. Die Erfahrungen der Miner in
dem einen Distrikte sind ihnen von geringem Nutzen in einem
andern; denn an dem einen Ort ist z. B. der Quarz goldreich an
der Oberfläche imb arm in der Tiefe, während man an anderen
Stellen je mehr Gold findet, je tiefer man gräbt. Oder das eine
Riff ist am reichsten ans der westlichen, das andere auf der östlichen
Seite und ein drittes gleich goldhaltig durch den ganzen Stein.
Das eine streckt sich nach Norden, das andere nach Süden aus;
eins steigt jählings Pyramiden- oder thurmartig auf, ein anderes
dehnt sich meilenweit wie ein schmaler Rücken oder eine Wand von
Quarz aus. Dieses geht perpendikulär, jenes liegt flach, ein drittes
bildet einen großen Winkel, ein viertes ist in Bänder oder Büschel
getheilt, und ein fünftes liegt winkelartig in „Taschen" und diese
Taschen oder „makings", wie sie verschiedentlich bezeichnet werden,
liegen in Beziehung zu einander in senkrechter Richtung. Von
Farbe sind sie schwarz, weiß, roth, gelb, blaßroth und grau. Sie
sind krystallisirt und hart in einigen Fällen, in anderen weich und
bröckelig. Sie sind ganz ohne oder angefüllt mit Arsenik. — Fast
aller goldhaltige Quarz enthält Eisen- und andere Pyriten, und
einiger ist voll davon. —-
Die Kombinationen, in welchen hier die Metalle im Quarz
gefunden werden, scheinen in der That ganz neu zn sein; denn Jeder,
welcher den verschiedenartigen Charakter des Quarzes in dieser Ko-
lonie stndirt, und dann die Meinungen der jüngsten Autoritäten der
mineralogischen und geologischen Wissenschaft vergleicht, wird über-
rascht durch die Wahrnehmung, daß die Erfahrungen unserer
praktischen Miner neues Licht ans manche gelehrte Theorie
werfen, und daß die Lehrsätze, welche man noch vor vier oder fünf
Jahren aufstellte, sich hier nicht bewähren; ja daß die Ansichten
welche jetzt in Europa gäng und gäbe sind, in Bezug ans Charakter,
Ausdehnung, Ursprung und die wahrscheinliche Dauer unserer
gold- und silberhaltigen Quarzadern und Riffe, entschieden einer
Revision bedürfen.
Die erste Besonderheit der Riffe ist die fremdartige Ver-
bindung der Metalle, die in ihnen gesunden werden. Silberrisfe
existiren z. B. in Menge in Süd- und Mittelamerika, aber Gold
und Silber in demselben Stein verbunden, scheint erst durch die
neuesten Entdeckungen hier in St. Arnaud, Crowslands und
Reedy Creek bekannt geworden zn sein. In demselben Riss zn
St. Arnaud ist neuerlich mit den zwei edlen Metallen auch Wismuth
kombinirt gefunden worden. — Zu Whroo, M'Jvor, Maldon und
an einigen anderen Orten werden Sulphurete von Antimon und
Gold gefunden, ersteres reichlich auf der einen Seite des Riffs, in
fast reinem Zustand, und das Gold auf der andern Seite.— Metal-
lischer Zink ist im Alluvial von Daylesford und Spezimen Gully,
Bendigo, und Zink und Gold, vereinigt im Quarz, hat man im
M'Jvor Caledonian Riff und in den Johnston's und Star Riffen,
Bendigo, entdeckt. Kupfer, in Form von Carbonat, wurde, ob-
gleich nur iu kleinen Quantitäten, mit Gold verbunden im
Windmill Hill Riff, Dunolly, gefunden. Gold und Blei, kom-
binirt in Quarz, sind noch nicht entdeckt worden, aber Bleiproben
hat mau gefunden, und da die Existenz von Antimon, Wismuth
und Zink in goldhaltigem Quarz anerkannt ist, so ist es nicht un-
wahrscheinlich, daß auch Blei mit Gold in den silberhaltigen Riffen
entdeckt werden wird. —
Die Eisen- und Quarzgänge in Bendigo sind noch nicht unter-
sucht worden, haben aber auf der Oberfläche die gewöhnlichen Kenn-
zeichen goldhaltiger Riffe. Im Whippriff aber, dem Spezimen Hill
Riff an Campbells Creek, dem Mariners Riff in Maryborough
und mehreren anderen ist der Stein fast ausgelaufen in Eisen,
Arsenik und andere Pyriten, an und unter der Wasserscheide;
während St. Mungo's Riff, Bendigo, und Poverty Riff, Tarna-
gulla, Arsenik in großen Quantitäten enthalten. —
In Cornwall findet man die reichsten Kupfer- und Zinngänge
östlich und westlich laufend; und auf dem Kontinent ziehen sich die
Gebirgsadern, welche die meiste Aehnlichkeit mit unseren Qnarz-
adern haben, von Nordosten nach Südwesten. Hier folgen die
Adern einem andern Gesetze, indem sie von NNW. nach SSO.
laufen, oder beinahe direkt nach dem astronomischen Norden und
Süden. Diese Richtung wird übrigens nicht streng Leibehalten,
da einige Riffe sich mehr westlich ziehen und andere einen ganz
bestimmten westlichen oder östlichen Lauf nehmen.
In dem östlichen Theile von Victoria, im Oveusdistrikt, ist
Zinn in reicher Menge, und kleine Krystalle, Rubinen und Zirkone
sind zahlreich im Waschsand aller Goldfelder nördlich vom Schei-
dnngsgebirge (Dividing Range) enthalten. Nach Westen hingegen
— in Südaustralien — nimmt fast ausschließlich Kupfer die Stelle
ein wie Gold in Victoria; während Zinn nicht westlicher als am
Goulbourn-Fluß erhalten wird. Die silberhaltigen Riffe und die,
welche Antimon enthalten, liegen an der nördlichen Grenze des
bekannten Goldlandes, sind aber durch die reichen goldhaltigen
Quarzadern von Bendigo und Jnglewood geschieden. —
Gestalt und Färbung der Qnarzriffe sind außerordentlich
mannichfaltig. Das Bolivia-Riff, Campbells Creek, ist ein Hügel
von Quarz in einem Rahmen von Sandstein. Die Ansicht der
Digger in diesem Distrikte, daß man Gold in den Sandsteinbänken
finde, rührt wohl daher, weil zur Zeit der Formation des Quarzes
Gold in die Sandsteinwände gesprenkelt wurde. Im Allgemeinen
sind die Wände der Riffe in dieser Kolonie Schiefer, und man hält
diese Felsgattnng für das Bett oder den primitiven Fels, älter als
die Granitrücken. Aber in manchen Fällen ist der Schiefer mit
Sandstein und Schutt vermischt, gleichsam als habe ein heftiger
Ansbruch nach oben stattgefunden und der flüssige Quarz sei durch
eine brechende Masse von Schiefer und Sandstein emporgeschossen.
Am Nuggetty Riff, Tarrangower, sind dagegen die Quarzwände
von Granit, und der Quarz erscheint so als habe er Theile des
Felsens, durch den er gedrungen, im flüssigen Zustand umschlossen
und theilweise aufgelöst; er hat ein eigenthümlich dunkles und
glasiges Aussehen. Gleich dem Bolivia, obwohl in weiter Ent-
fernung von demselben, dringen die Hauptriffe von Jnglewood
durch Sandstein mit Schiefer gemischt. Maxwells Riff ruht auf
rothem Granit und Sandstein. Der Stein vom Jersey Riff ist
schwarz, an den äußeren Theilen wie verbrannt, und das Gold in
ihm hat eine kugelige Form angenommen, wie es aussieht, wenn
der Quarz in Gruben gebrannt wird, um den Arsenik auszuscheiden.
Auch die Moonambell-Riffe zeigen Feuerspuren in rothem und
schwarzem Stein. —
Zu Carisbrook ist der Quarz perlweiß; zu Bet Bet bräunlich-
roth; zu Windmill Hill, zwei Meilen entfernt, blaßröthlich von
Farbe. Der Quarz von Eaglehawk ist weißlich-gelb; in dem
Grunde der Beehive- Gesellschaft ist ein weißes und ein schwarzes
Riff, beide parallel mit einander! Parkin's Riff hat einen gelb-
lichen Stein, und der vom Concord ist sehr rein weiß. Im Ma-
riners Riff befindet sich ärmlicher weißer Quarz unter einem reichen
Die Verwirrung in China.
185
rothen Gange; der Stein von Poverty Riff ist grünlich-grau; der
vom Eaglehawk, Spezimen Hill, gelb; St. Mungo und Catherine
Riffs, Bendigo, sind weiß, und das Energetic Riff ist roth gefärbt.
Der Quarz von M'Jvor Caledonia ist krystallisirt und hart;
Streifen inmitten von hartem Quarz des Mariner Riffs sind weich
und zerbrechlich. Der weiße Stein vom Beehive enthält Arsenik
und der schwarze Stein Eisen; der weiße ist weich, schmal und
reich, und der schwarze hart, breit und arm. — Die Formen
der Riffe sind ebenso anomal. Poverty Rifs z. B. ist am reichsten
nach der Ostseite, während Jacob's Riff im Whipstick auf der
Westseite ain reichsten ist. Einige der Bendigogänge sind in einer
Länge von zehn Meilen verfolgt worden, und das Jersey Riff wird
vier Meilen weit bearbeitet; Nuggetty Riff dagegen hat nicht mehr
als zehn oder zwölf kleine Claims in Länge, und Mariners Riff
ist einfach ein Thurm von Quarz. Das Exhibition Riff, Bendigo,
ist flach; und in Buchanan's Riff, Jnglewood, geht der Schacht
senkrecht von der Spitze bis zum Boden. Poverty und Nuggetty
Riffs sind in mehrere Quarzmassen gebrochen, von denen die einen
von Granit, andere von Schieferwänden umgeben sind.
Eine große wissenschaftliche Autorität behauptet, daß der
reichste Quarz nahe an der Oberfläche gefunden werde, und das
Gold in einer Tiefe von hundert Fuß sogar gänzlich aushöre. Hin-
sichtlich nun des bisherigen Quarzriffens in Bendigo paßt diese
Hypothese ziemlich, allein in anderen Distrikten geht die Theorie
zu Grunde. In Steigleitz leiten oblateudünne Quarzstreifchen zu
zu mächtigerm und reichem Stein in der Tiefe; Quarz vom Poverty-
Riff aus einer Tiefe von 400 Fuß brachte 40 Unzen Gold per Tonne,
und die Ader war fast 24 Fuß breit. Bei 420 Fuß Tiefe zeigten
sich frische Ansätze des Steins, und jede folgende „Pocket" war
reicher als die höherliegende. Der beste Stein in Mariners Riff
ist der rothe unter dem weißen, in Tiefen, die von 250 bis 500 Fuß
variiren. Das Jersey Riff, welches bei 90 Fuß Tiefe 2V2 Fuß
breit war, ist gegen 12 Fuß bei 165 Fuß Tiefe, und am gewaltigsten
in der untern Tiefe. Maxwell's Riff an denffelben Goldselde
nimmt an goldhaltigem Ertrage zu, je weiter man es in die Tiefe
verfolgt. In den oberen Claims erhielt man von der Tonne Stein
nur an 10 dwts. Gold, aber bei 150 Fuß Tiefe drei und eine halbe
Unze. Long Gully Riff, Bendigo, brachte fünf Unzen bei 100 Fuß
Tiefe, obwohl auch gut an der Oberfläche. Vom Eastern Victoria- !
Riff gewann man 1060 Unzen Gold von 40 Tonnen Stein aus der
Tiefe von 200 Fuß, obwohl es noch reicher an der Oberfläche !
war. Nuggetty Riff, Maldon, erlangte eine Breite von 35 Fuß
in der Tiefe von 300 bis 350 Fuß, und wird reicher mit jeder
tieferen Lage. An der Wasserscheide übrigens wird der Quarz im
Allgemeinen, was eine merkwürdige Thatsache ist, entweder gold-
haltiger oder reicher an Arsenik und Pyriten, und zeigt sich über-
haupt geneigt, in eine andere Mineralform überzugehen.
In der Regel sind die Quarzadern an der Spitze eng und
weiten sich unten aus, aber das Armenian Riff, St. Arnaud, ist
25 Fuß breit an der Spitze; das Caledonian Riff, Bendigo, ist ein
großer Qnarzbruch, fast an der Oberfläche; das Old Man Riff,
Dunolly, bildet einen Hügel, ans dem ein großer Kopf sich hervor
streckt; während New Chnm, Bendigo, und Sebastopol Hill
St. Arnaud, Quarzmassen sind, die 20 bis 25 Fuß über der Ober-
fläche des Hügels emporschießen.
Das Gold im Stein hat auch seine Besonderheiten. Das
Alluvialgold wechselt im Werth um 5 oder 6 Schill., was auch bei
dem Quarzgold obwohl weniger, der Fall ist. Einiges Gold ist
verhältnißmäßig grob, und leicht vor Verlust bewahrt, während
man in Maryborough und Dunolly, wo es durch Feinheit sich aus-
zeichnet (chemisch reines Gold ist dort erhalten worden), große
Schwierigkeit hat, es durch den gewöhnlichen Prozeß zu bekommen.
Bemerkenswerth ist auch, daß in keinem Theile der Kolonie große
Goldklumpen im Quarz gefunden wurden. Woher sind nun solche
große Massen wie das Welcome, Blanche Barkly und andere
Riesennuggets gekommen? Es mag sein, daß sie, wie ein Ge-
lehrter meint, von „antiken" Quarzriffen durch Stürme eines
urweltlichen Oceans ausgewaschen wurden, welche die Adern auf-
brachen, den Quarzstein zu Sand zermalmten und die goldenen
Findlinge umherwarfen, welche dann im Schlamme ruhten, wo sie
nach Jahrtausenden ein Geschlecht auffand, das einer späteren
Periode der Erdgeschichte angehörte. — Gewiß ist, daß bis jetzt
kein Nugget des Namens werth im Quarz gefunden wurde; jedoch
war stets das angeschwemmte Land am goldergiebigsten, je näher-
es den Riffen von Goldquarz lag.
( Die Farbe des Quarzes gilt nicht als Kennzeichen seines gold-
haltigen Charakters. Quarz dagegen, der kein oder spärlich Gold
enthält, kennen die erfahrenen Goldgräber wohl, und nennen ihn
gewöhnlich „hungrig anssehender Stoff". Nach ihrer Meinung ist
derselbe, wie hübsch er auch von Ansehen sein mag, ein „Skandal
der Schöpfung". Quarz dieser Art enthält keines der niederen
Metalle und seine Textur ist hart.
Die Verwirrung in China.
Mehrmals haben wir im Globus darauf hingewiesen, daß die
Engländer durch ihre Einmischung in die inneren Händel Chinas
in unabsehbare Weiterungen verwickelt werden, für welche sich
gar kein Ende absehen läßt. Dasselbe wurde in der Sitzung des
Unterhauses vom 15. Mai von Herrn Lid del ausführlich nach-
gewiesen, und wir wollen seiner Rede das Wesentliche entlehnen,
weil dadurch Schlaglichter auf die chinesischen Zustände fallen.
England hat für die Kaiserlichen gegen die Taipingrebellen
Partei genommen; nun wies aber Konsul Meadows (der bei Pro-
fessor Neumann in München chinesisch gelernt hat) schon zu Anfang
des Jahres 1861 nach, daß es der Tatping ernstliches Streben sei,
mit den Engländern in freundlichen Verkehr und in Handels-
verbindungen zu kommen. Die Engländer beliebten aber ein selt-
sames Verfahren; mit der einen Hand schlugen sie den Kaiser nieder
und mit der andern Hand die Rebellen, und an die Verträge, welche
sie selber erzwungen hatten, kehrten sie sich auch nicht. Im zehnten
Artikel des Vertrags von Tien tsin wird ausdrücklich festgestellt,
daß die Landschaften am Jangtse kiang erst eröffnet werden sollten,
Globus IV. Nr. 6.
wenn die Ruhe hergestellt sei, nicht aber so lange die Rebellion an-
danere. Erst nach vielem Drängen gab Prinz Kong, der chinesische
Premierminister, im Herbst 1860 seine Erlaubniß, zwei Flußhäfen
zu öffnen. Das war lediglich ein Zugeständuiß; ein Anrecht darauf
hatte England nicht. Aber im März 1861 erklärte man englischer-
seits ohne Weiteres den ganzen Stromlauf des Jangtse kiang für
eröffnet, obwohl dort ein großer Theil des Landes im Besitze der
Rebellen war, welche eine Stadt nach der andern nahmen und die
Einwohner vertrieben. Graf Ruffel schrieb an den Gesandten
Bruce, 1862, England habe in jenen Gegenden gar kein Recht, so
lange die Rebellion währe, und bedauerte, daß man, trotz aller
Einsprache und Verwahrung von Seiten der chinesischen Regierung,
den Strom dennoch für offen erklärt habe.
Allerdings stellten sich sofort unliebsame Thatsachen heraus.
Der Schleichhandel griff um sich, und Europäer führten den Re-
bellen Waffen und Kriegsbedarf zu; sie gründeten N'iederlassungen
an Plätzen, wo sie vertragsmäßig gar kein Recht dazu hatten,
und wo sie sich der Aufsicht der Konsulate entzogen. Auf dem
24
186
Die Verwirrung in China.
Strome schwärmten Schmuggler- und Piratenschiffe, die zumeist
von Europäern befehligt waren; diese trieben namentlich Handel
mit Salz, von welchem der Vertrag die Fremden ausschließt.
Natürlich kamen die Zollkassen zu Schaden; blutige Gefechte mit
den Schleichhändlern waren häufig.
Noch mehr. Aus dem Blaubuche, welches die amtlichen Be-
richte über die chinesischen Angelegenheiten enthält, geht hervor,
daß die Engländer mit Gewalt Grund und Boden sich
aneigneten und obendrein den Kanfschilling, welchen
dann die Eigenthümer verlangten, nicht bezahlten.
Der Gesandte mißbilligte allerdings ein solches Verfahren, aber
geschehen war doch dasselbe. Prinz Kong beschwerte sich bitter über
ein solches Benehmen der Ausländer. „Eines der größten Uebel,
welches das von uns in China übernommene Protektorat im
Gefolge hat, besteht darin, daß dadurch das Ansehen der chinesi-
schen Regierung untergraben wird. Das verständige Benehmen
des chinesischen Ministers hat weit mehr dazu beigetragen, ver-
hängnißvollere Kollisionen abzuwehren, als das Benehmen der
englischen Behörden."
Vertragsmäßig steht diesen letzteren das Recht zu, Leben und
Eigenthum ihrer Staatsangehörigen in China zu schützen, nament-
lich in den eröffneten Häfen und deren nächster Umgebung, in
Schanghai zum Beispiel in einem Umkreise von 30 Miles. Die
Engländer nahmen aber den Rebellen mehrere Städte ab, für
welche jedoch die Kaiserlichen keine Besatzung liefern konnten; jene
mußten also wieder geräumt werden und die Taiping drangen
vor. Manche Städte sind zwei- oder dreimal erstürmt worden,
und auf beiden Seiten kam es zu entsetzlich blutigen Repressalien.
Seitdem war aus dem Wirrsal gar nicht mehr herausznkommen.
Ningpo wurde im Herbst 1861 von den Rebellen, im Mai
1862 vom englischen Flottenkapitän Dew genommen. Engländer
waren in diesem Hafenplatze gar nicht ansässig; trotzdem bombar-
dirte Dew eine Batterie, welche von den Taiping zur Vertheidigung
gegen die Kaiserlichen errichtet worden war. Damals befand sich
China überhaupt in einer ganz eigenthümlichen Lage. Vier aus-,
wärtige Mächte: England, Frankreich, Rußland und Nordamerika
rangen dort um Suprematie. Großbritannien hat sich auf ein
mit Frankreich gemeinschaftliches Protektorat eingelassen. Die ver-
schiedenen Niederlassungen der Ausländ er sind wie eben so
viele Treibhäuser für Jntriguen. Ursprünglich ist der Grund und
Boden, auf welchem sie liegen, von Seiten der chinesischen Re-
gierung den Kaufleuten nur zu dem Behuf eingeräumt worden,
damit sie Wohnhäuser und Magazine auf demselben errichten
konnten; aber in diesen Zeiten der Anarchie sind Chinesen in großer
Anzahl dorthin geflüchtet, um unter den Bajonetten der Aus-
länder Schutz zu suchen. So ist es gekommen, daß der Boden-
werth ganz ungeheuer in die Höhe getrieben wurde, und darin lag
für die europäischen Kauflente ein Anreiz, den Chinesen Grund und
Boden zu verkaufen. Solche chinesische Käufer machen nun, ihrer
Regierung gegenüber, eine Exterritorialität geltend, betrachten sich
als Ausländer, und wenn die kaiserliche Regierung einen von ihnen
irgendwie zur Verantwortung ziehen will, muß sie erst bei dem be-
treffenden Konsul Genehmigung dazu einholen.
Die gegenwärtige Stellung Englands in China hat große
Aehnlichkeit mit der srühern in Indien; vielleicht nehmen die Dinge
dort einen ähnlichen Verlauf wie hier. In den kaiserlichen Zoll-
häusern sind viele Europäer angestellt, und man sagt, das sei zum
Vortheil des Handels geschehen; die Kaufleute sind aber mit dem
Betriebe des Zollwesens nicht zufrieden. Bis zum Jahre 1833
ging in China Alles glatt, dann aber sandte England einen Re-
gierungskommissar dorthin, der Politik und Handel durcheinander
mischte, und dieses System ist bis jetzt befolgt worden. —
Ein anderer Redner, Baillie, hob hervor, daß die Streit-
macht, welche England jetzt in China unterhalte, einen Kosten-
aufwand von jährlich einer Million Pfund Sterling verursache.
Es habe den Franzosen geholfen, festen Fuß in Schanghai zu
fassen, und diese haben nun einen Kreuzzug gegen die Taiping
unternommen, angeblich, weil sie Feinde des katholischen Ceremo-
niells seien; die englischen Opiumhändler ihrerseits sind
denTaiping feindselig gesinnt, weil diese eine so ver-
derbliche Waare platterdings nicht zulassen. (Das ist
ein Punkt, den wir unsererseits schon mehr als einmal im Globus
betont haben.) „Die englische Regierung aber hat keine Ursache,
sich über die Taiping zu beschweren; sie haben weder unsere
Religion, noch unsernHandel beeinträchtigt, auch nie
einem britischen Unterthan etwas zu Leide gethan."
Anfangs war man entschlossen, sich in die inneren Händel nicht
einzumischen; aber von diesem klugen Vorsatze ging man bald
ab, als man gemeinschaftlich mit den Franzosen nach Schanghai
Truppen geworfen hatte. Die Taiping wurden angegriffen, eng-
lische Offiziere stellten sich an die Spitze kaiserlicher Soldaten, und
der englische Gesandte Bruce ging noch weiter. Er setzte in Peking
durch, daß die Ueberschüsse des Zollamts in Schanghai dazu ver-
wendet werden, in England für die chinesische Regierung Dampfer
zu kaufen, die von englischen Offizieren befehligt und gegen die
Taiping verwandt werden sollen. Auf solche Weise ist England
Schritt nach Schritt immer tiefer in den blutigen Krieg verwickelt
worden. Dieser wurde vom Anbeginn auf beiden Seiten mit einer
abscheulichen Grausamkeit geführt; aber soviel steht fest, daß
die Taipings nirgends Verwüstungen angerichtet haben, wo die
Bewohner sich friedlich verhielten und sich unterwarfen. Ein eng-
lischer Handlungsreisender, Hart, ist neulich durch die ganze Provinz
Sche kiang gekommen; er fand das Land überall trefflich angebaut,
das Volk zufrieden und in Wohlstand; erst in der Nähe von
Schanghai, wo die Europäer sich in die Händel gemischt haben,
begann das Elend. General Staveley meldet amtlich an das
Londoner Ministerium, daß die Europäer, welche das im Besitze
der Rebellen befindliche Land besuchen, um Handel zu treiben,
überall sehr höflich behandelt werden. Die Rebellen seien nicht so
rückhaltslose Zerstörer, wie man behaupte. Die Seiden- und
Thee-Distrikte sind in ihrer Gewalt und gedeihen. Im Jahre
1859/60 wurden von Schanghai nur 17 Millionen Pfund Thee
ausgeführt, 1861/62 schon 53 Millionen Pfund; 1853/54 erst
58,000 Ballen Seide, 1860/61 aber 112,000 Ballen. „Fast alle
Produkte, die wir aus China erhalten, gleichviel ob Thee, Seide
oder Baumwolle, kommen aus solchen Gegenden, in denen die
Taiping herrschen. Diese könnten, falls sie wollten, allen Handel
lahm legen; sie thun aber gerade das Gegentheil."
Die neuesten uns vorliegenden Nachrichten ans China (aus
der ersten Aprilwoche) lauten anders als die früheren. Ein
Schreiben ans Hongkong, in der Times, hebt hervor, daß die
Ansichten der Engländer sich zu klären anfingen; man sähe jetzt
das Treiben der Rebellen mit anderen Augen au; viele Leute seien
der Ansicht, daß die kaiserliche Gewalt kaum aufrecht zu erhalten
sei, und das, meinen sie, wäre auch kaum zu wünschen. „Die
Behauptung, daß Ackerbau und Gewerbe unter der Herrschaft der
Rebellen zu Grunde gingen, stellt sich als falsch heraus; die Zei-
tungen in Schanghai melden entschieden das Gegentheil. Das Land
gedeiht überall, wo die Taiping in ungestörtem Besitze sind.
Die Times, welche in ihrer Nummer vom 16. Mai Be-
trachtungen über die oben erwähnten Parlamentsreden anstellt,
weiß sich eigentlich nicht zu helfen. Mit dem Sturze der
kaiserlichen Gewalt falle das britische Protektorat
über China. „Wir sind allerdings in China so zu
Werke gegangen, wie unsere Väter in Indien: wir
haben Krieg und Handel durcheinander gemengt. Als
Kaufleute sind wir gekommen, und dann haben wir
uns durch Waffengewalt festgesetzt; wir haben den
Schleichhandel aufgemuntert und Veranlassung zu Re-
bellionen gegeben. Unter unserm Schutze sind allemög-
lichen Arten unerlaubter Praktiken emporgewachsen,
und zwar deshalb, weil die, welche dergleichen üben,
Ein reichsfreies Dors in Dentschland.
187
von vornherein gewußt haben, daß sie unbestraft
bleiben; denn wir nahmen Partei für die, welche das
Gesetz verletzen, und gegen jene, welche dem selb en Ach-
tung verschaffen wollten. Wir haben China arm gemacht,
ohne doch uns zu bereichern. — Das Alles ist oft gesagt worden
und es ist auch viel Wahres daran; aber wenn wir nun auch wirk-
lich aus diesem Labyrinth heraus wollten, was sollte und könnte
geschehen? Wir können zugeben, daß wir erbärmliche Sünder sind,
aber was soll in Betreff Chinas Anderes geschehen,
als was geschieht?"
Hier wird ganz offen zugegeben, daß die englische Politik in
China nichtsnutzig in jeder Beziehung und obendrein unpraktisch
sei; man weiß aber nicht, wie man aus der Sackgasse heraus-
kommen will, in welche man sich nun einmal verrannt hat.
Wir wollen hier einige Bemerkungen hersetzen, die wir neulich
in „Lothar Bucher's Bildern aus der Fremde", Berlin 1863.
II. S. 88 lasen:
Wenn die Engländer, natürlich immer im Interesse der
„Civilisation", einem neuen Kunden die Zähne aufbrechen, so
kommt es ihnen wenig darauf an, was sie von ihm kaufen,
sondern was sic an ihn absetzen können. In der Regel ist Jeder-
mann geneigt zu verkaufen; die Chinesen haben sich nie geweigert,
Thee, Seide, Indigo und das Hemd vom Leibe zu verkaufen,
gegen „gleich baare Zahlung", aber kaufen wollen sie nichts. In
der Wissenschaft, welche England den übrigen Völkern un-
ablässig predigt, heißt es nun zwar, das schade gar nichts; Nie-
mand werde mehr Silber weggeben als er übrig habe, und wenn
die Chinesen die vortrefflichen englischen Maaren nicht kaufen
wollen, so sei das ihr eigener Schade. — Die Praxis ist aber
eine ganz andere; in der Praxis hält man gar sehr auf
die wissenschaftlich verspottete Handelsbilanz. Prak-
tisch erklärte Herr Cobden es für eine der wichtigsten Aufgaben
der Civilisation, die 300 Millionen Chinesen dahin zu bringen,
daß Jeder sich eine baumwollene Nachtmütze aus Manchester kaufe;
praktisch siug man die Opiumkriege an und richtete den letzten
Frieden so ein, daß — wie ein Timeskorrespondent es für noth-
weudig erklärte, nachdem er am Bord eines Opiumschmugglers
„einen guten Eispudding und eine noch bessere Flasche „Chateau
d'Aqnem" genossen hatte — daß die Möglichkeit gegeben ist, „den
Chinesen die englischen Fabrikate in den Leib zu
treiben." Es wird behauptet, daß das Bestreben der englischen
Diplomatie dahin gehe, die chinesische Regierung zu Steuern auf die
notwendigsten Lebensbedürfnisse zu nöthigen, um das Arbeitslohn
theuer zu machen. Auch der Gesandte am Hofe des Taikun hat in
dieser Hinsicht Japan geprüft; das will er sagen mit der question
of competitive powers of production, und er ist nicht befriedigt.
Die Japaner erzeugen Alles, dessen sie bedürfen, und zwar zu
sehr niedrigen Preisen. Es wird also über lang oder kurz eine
Lorcha-Affäre geben, etwas friedfertiges Bombardiren und einen
Vertrag, der die inneren Verhältnisse zerrüttet. Möchten bis da-
hin wenigstens gute Nachrichten über die Verfassung und Ver-
waltung eines Volkes gesammelt werden, das im geschlossenen
Handelsstaat einen allgemeinen Wohlstand und eine
Ruhe genossen hat, von denen kein europäisches Volk
zu erzählen weiß. —
Ein reichsfreies Dorf in Deutschland.*)
„Ein reichsfreies Dorf?" wird Mancher fragen. Ja, wir
haben auch heute noch ein solches; und hier ist der Sachverhalt:
Auf der Grenze zwischen Alt-Vorpommern und Mecklenburg-
Schwerin, an der Landstraße zwischen den Städten Treptow an der
Tollense in Pommern und Stavenhagen in Mecklenburg, liegt in lieb-
licher Gegend das herrschaftliche Dorf und Rittergut Wolde,
mit schönem Schlosse, Hof und Park und etwa 200 Einwohnern.
Dasselbe gehört zur Zeit dem großherzoglich mecklenburgischen
Kammerherru von Fabrice und steht so wenig unter Preußens als
unter Mecklenburgs oder unter sonst einer Landesoberhoheit. Pom-
mern und Mecklenburg behaupten seit alter Zeit, jedes ein Recht an
Wolde zu haben. Weil man sich aber immer nicht darüber hat
einigen können, so übt, laut Vertrag vom Jahre 1600, keins von
beiden die Landeshoheit über Wolde aus; so kommt es, daß Wolde
keine Steuern zahlt und von jeglicher Militärrekrutirung oder
sonstigen staatlichen Einwirkungen frei ist. Die neuen Belehnungen
des Gutes geschehen aber von beiden Seiten, von Pominern und
Mecklenburg, gemeinschaftlich.
In gerichtlicher Beziehung gilt das vereinte mecklenburgische
Patrimonialgericht zu Jwenack auch für Wolde, und es steht mit
jenem unter der Justizkauzlei zu Güstrow; Wolde ist jetzt auch in
kirchlicher Beziehung nach dem mecklenburgischen Dorfe Kastors ein-
gepfarrt. Daraus erklärt sich, daß Wolde im gewöhnlichen Leben
als mecklenburgischer Ort angesehen wird; das ist jedoch durchaus
unrichtig. Die Leute im Dorfe erzählen über ihre Verhältnisse
Folgendes:
Woldeist, so lange mau denken kann, ein Gut gewesen, das außer
seinem Gutsherrn keinen andern Oberherrn als den deutschen
Kaiser über sich anerkannte. Weil es nun aber gegenwärtig keinen
Kaiser über Deutschland giebt, so hat auch kein Fürst hier im Dorf
etwas zu sagen, höchstens etwa der Deutsche Bund; Wolde ist also
ein kleiner Freistaat und wird es auch ewig bleiben; denn als man
nach der „Franzosenzeit" auf dem Congresse zu Wien eine große
Menge kleiner Ländchen, Freistädte und Reichsdörfer aufhob und
verschiedenen Fürsten uuterordnete, vergaß man Wolde ganz, und
dieses blieb so frei, wie es von jeher gewesen war.
Auch wird man, erzählen sie weiter, dem freien Reichsdorfe
Wolde überhaupt so leicht nichts anhaben können; denn als es in
alten Zeiten vom Kaiser reichsfrei gemacht wurde, da bekam es von
ihm auch einen „Roland" (Rolandssäule) als Unterpfand für
seine Privilegion und Gerechtsame.
Dieser Roland stand ehedem vor dem Orte, nach Kastors zu.
Ein früherer Besitzer von Wolde, ein Graf Moltke, hat ihn jedoch
von dort wegnehmen lassen und in einem verborgenen und schwer
zugänglichen Gemach im Schlosse versteckt, nachdem er sich erst
eine getreue Kopie davon hatte machen lassen. Es war ihm nämlich
zu Ohren gekommen, wie man von Pommern aus Absichten auf
Roland habe; und wäre der Roland verloren gegangen, so würde
mit ihm auch Wolde alle seine Gerechtsame verloren haben. Es
hätte dann dem Land unterthänig sein müssen, welches den Roland
in seine „Gewalt bekommen", und dann auch Steuern zahlen und
Rekruten stellen müssen, wie jeder andere Ort.
Das erzählen die Leute von Wolde und seinem Roland.
Schließlich sei hier noch bemerkt, daß das Territorium von
Wolde 194,155 Quadratruthen groß ist und daß der Ort in dem
beregten Vertrage von 1600 zwischen Pommern und Mecklenburg
„Städtlein" genannt wird, — vielleicht deshalb, weil daselbst von
jeher einige Handwerker wohnen, was sonst in dortiger Gegend
nicht der Fall ist und in Mecklenburg in Dörfern auch nicht sein darf.
Alle späteren Verhandlungen wegen der Landeshoheit über Wolde
haben bis zur Stunde noch immer zu keinem Resultate geführt.
*) Bon Herrn Dr. 91. Niederhöffer in Berlin eingesandt. Der Ber-
fasser hat des Roland's in Wolde schon in seinem Werke: Mecklenburgs
Bolkssagen. Leipzig 1857 — 1861. Band III. S. 237 erwähnt.
24
188
Kleine Nachrichten.
Kleine N
Verwirrung in Japan. Dieses ostasiatische Jnselreich befindet
sich in einer untern Krisis und geht vielleicht auch einem europäischen
Krieg entgegen. Die neuesten Berichte lauten bedenklich. _ Nach dem
Angriff auf die britische Gesandtschaft in Jeddo im Juli 1861 ver-
langten die Gesandten der Vertragsmächte von der japanesischen
Regierung Grundstücke zur Erbauung ihrer permanenten Resi-
denzen, und zwar wählten sie dazu einen solchen Punkt ans, welcher
sowohl von der Land- als auch von der Seescite leicht zugänglich
war, so daß die Inwohner unter allen Umständen geschützt und
vertheidigt werden konnten. Die Wahl von Goteng-gama, in der
Nähe von Sinagawa, einem der wichtigsten und beherrschenden
Punkte um Jeddo, war aber bei den Daimios sowohl, als auch
beim Mikado selbst sehr verhaßt, und der Taikun wurde wiederholt
darauf aufmerksam gemacht, die fremden Gesandten von ihrem
Vorhaben abzubringen. Allein namentlich der englische Gesandte,
der seither abberufeue Sir Rutherford Alcock, bestand darauf, und
sein Gebäude war das erste, welches vollendet wurde. Es sollte
jedoch nicht lange seine Vollendung überdauern. Am I.Februnr
gegen 2 Uhr Nachmittags wurde das ganz hölzerne Gebäude,
welches durch gedungene Brandleger mit Pulver und anderm
Brennstoff llnterminirt worden war, unter heftigen Explosionen
ein Raub der Flammen. Als das Feuer am ärgsten wüthete, ver-
nahm man 10 bis 20 Kanonensalveu, gleichsam als Signale, daß
die That gelungen sei. Die erst halb beendeten Gebäudg der
französischen Legation blieben unberührt. Von jenen der holländi-
schen und der amerikanischen Legation hatte der Bau noch nicht be-
gonnen. Der intermistische britische Geschäftsträger, Oberst Reale,
blieb ruhig und unthätig in Iokuhama, wahrscheinlich in Er-
wartung von Befehlen aus Downing-Street; der französische
Bevollmächtigte dagegen ist sofort nach Jeddo anfgebrochen, um
gegen diese neue Gewaltthätigkeit und Schmach Beschwerde zu
führen. Auch der britische Admiral Kuper hat sich mit dem Linien-
schiff „Euryalus", sowie mit einigen Schaluppen und Kanonen-
booten nach Jeddo begeben; doch wissen wir nicht, ob in Folge des
eben erzählten Vorfalls oder auf Grund der neuesten, aus England
eingetroffenen Befehle und Instruktionen. Jedenfalls bereiten sich
in Japan gewaltige Umwälzungen vor, und wenn die fremden
Mächte nicht, nach so vielen Anstrengungen, das japanesische Reich
dem Weltverkehr wieder verschließen lassen wollen, so ist ein Krieg un-
vermeidlich. Denn der eigentliche Kaiser von Japan, der in Miako
residireude Mikado, und die Mehrzahl der Daimios oder Lehens-
herren sind fremdenfeindlich gesinnt, und wenn auch ein veröffent-
lichter Befehl des Kaisers au den Taikun apokryph sein sollte, so
zeigt doch schon das Vorhandensein eines solchen, selbst verfälschten
Dokumentes, welche Stimmung in Japan herrscht. „Seit langer
Zeit", heißt es in diesem japanesischen Ukas, „beschäftigen wir uns
mit den Gedanken der Ausrottung und Verjagung der Barbaren,
und wenn auch dieser Plan bis jetzt nicht zur Ausführung kam, so
bleibt doch der kaiserliche Wille unabänderlich fest. Wir haben in
der Durchführung verschiedener neuer Maßregeln in der Provinz
des Taikun die löbliche Absicht bemerkt, unserm Willen zu gehorchen;
aber wenn jetzt die Austreibung der Fremden ans dem Lande nicht
erfolgt, so werden, zum großen Kummer für unser kaiserliches Herz,
die Wünsche des Volks nicht in Erfüllung gehen. Es möge daher
der Taikun von allen in seiner Macht stehenden Mitteln Gebrauch
machen, um die Fremden aus dem Lande zu jagen, zu diesem Zweck
auch allen Fürsten und Lehensherren die entsprechenden Befehle
geben. Zugleich ist es Pflicht des Befehlshabers der Armee (Taikun
oder Schungun), die beschlossenen Schritte auszuführen, schnell und
eilig den Entschluß zu vervollständigen, und die Zeit genau fest-
zusetzen, wenn die Verbindung mit den abscheulichen Barbaren für
immer aufzuhören habe. Ihr werdet einen Bericht in dieser An-
gelegenheit an uns erstatten." — Der Taikun oder Statthalter von
Jeddo scheint bis jetzt sich auf die Seite der Fremden zu neigen;
aber daun wird es für ihn gerathener sein, sich diesen dauernd an-
zuschließen, anstatt nach Miako zu ziehen, wo er Gefahr läuft, sich
den Bauch aufschlitzen zu müssen. (— Wir lesen eben, daß er im
Marz wirklich nach Miako, oder Miyako, gegangen sei. —)
Japanische Landkarten nnd Küstenaufnahmen. Lady Franklin
hat aus dem Jnselreiche des Sonnenaufgangs interessante japanische
Landkarten mrtgebracht und dieselben der Londoner geographischen
Gesellschaft geschenkt. Sie liefern den Beweis, daß die Japaner in
der Trigonometrie und Topographie beträchtliche Fortschritte gemacht
haben. Em Plan der Stadt Jeddo, die so groß wie London ist,
läßt an Genauigkeit nichts zu wünschen übrig. Als Kapitän Ward
tnit dem Schiff Aktaon einen Theil der Küste ausnehmen wollte,
zeigte die japanische Regierung ihm die Arbeiten, welche sie selber
hatte vornehmen lassen, und er war ganz erstaunt über die Genauigkeit
ch r i ch t e n.
derselben. Die Japaner gaben ihm willig Kopien, und er fand
Alles so zuverlässig, daß er mit seiner Arbeit sehr rasch fertig wurde.
Er bewundert den Geist, den sinnreichen Scharfsinn und die be-
harrliche Ausdauer dieses Volkes. Alcock hob hervor, die große
Masse des Volkes habe in Japan einen hohen Grad materieller
Zivilisation erreicht und könne sich in dieser Hinsicht dreist neben
Europa stellen; ihre Industrie stehe hinter der von Manchester, Bir-
mingham und London nicht zurück. — Bullock pries die Vortreff-
lichkeit der japanischen Karten. Bei sorgfältiger Prüfung habe er
gefunden, daß jede Ortschaft, Bergkette, Bodenvertiefung, Poststraße,
jedes Gewässer, alle Küstenbiegungen mit äußerster Sorgfalt und
durchaus korrekt verzeichnet sein.
Tsusima, eine wichtige Insel im japanischen Meere. Durch
Laurence Oliphant, denselben, welcher Lord Elgin's Zug nach
China vortrefflich beschrieben, haben wir nähere Nachrichten über
die Insel Tsu (Sima bedeutet im Japanischen Eiland) er-
halten; sie ist die größte einer kleinen Gruppe und offenbar be-
stimmt, einmal eine große Nolle zu spielen. Sie liegt zwischen
der südlichsten großen Insel Japans, Kiustu, und der Südostküste
von Korea, etwa 80 Miles westwärts von der Simonesaki-
(Suwonada-)Straße und beherrscht den Eingang aus dem ost-
chinesischen Meer in das japanische Binnenmeer. Oliphant be-
suchte die Hauptstadt Fatsch io, die etwa 10,000 Einwohner zählt,
und umfuhr die ganze Küste. Die Insel gehört einem japanischen
Fürsten, der zu Chufan an der koreanischen Küste eine Besatzung
von 300 Mann hält und in etwas unklarer Weise zugleich Vasall
von Korea und Japan ist. Er hat das Monopol des Handels mit
Korea, von wo das meiste in Japan umlaufende Gold kommt.
Tsusima ist von vulkanischer Formation, 35 Miles lang, 8 bis
10 Miles breit, und zählt etwa 30,000 Bewohner. Durch eine
tief in's Land eindringende Föhrde wird ein Hafenbecken gebildet,
in welchem alle Kriegsflotten der Welt zumal sichern Ankergrund
finden könnten. Die Berge, welche sich bis zu 1670 Fuß über die
Meeresfläche erheben, sind mit Urwald bekleidet; die Fauna hat
mehr Aehulichkeit mit jener der Mandschurei als mit der japa-
nischen.
Der oft von uns erwähnte Rutherford Alcock, vormals
englischer Generalkonsul in Jeddo, gab zu dem Obigen einige Er-
läuterungen (in der Londoner geographischen Gesellschaft). Man habe
von Seiten Englands Tsusima näher in's Auge gefaßt, weil die
Russen dort längere Zeit mit Kriegsschiffen gelegen und dieselben
dort ausgebessert hätten. Der Hafen der Insel sei ganz herrlich,
könne den Schiffen Zuflucht gewähren und leicht vertheidigt werden.
Kommandeur Bnllock fügte hinzu, daß die Russen auf Tsusima
großen Werth legen; sie haben erklärt, es sei für sie durchaus noth-
wendig, einen Zufluchtshafen mittewegs zwischen der Amurmün-
dung und Schanghai zu haben; deshalb legten sie auf Tsusima ein
„Depot" an. Walfischfahrer legen manchmal an der Nordwestseite
an, um Holz und Wasser einzunehmen.
Die Landenge von Kram in Hiutcrindien ist seit einiger
Zeit vielfach genannt worden, seitdem die Kapitäne Fraser und
Forlong den Vorschlag gemacht haben, eine Eisenbahn über die-
selbe zu bauen. Oberstlieutenant Fytche war beauftragt, eine Rund-
reise durch die englischen Provinzen Taoof und Merghi zu machen,
und er kam auf derselben bis zum Pakschanflusse, welcher die Süd-
grenze von Tennasserim gegen das siamesische Gebiet bildet (etwa
10° N. Br.). Er fuhr denselben etwa 15 Miles aufwärts, nnd die
beiden genannten Kapitäne benutzten die günstige Gelegenheit, um
quer durch die Halbinsel vom Dorfe Kraw bis zum Hafen Tay nng
zu gelangen, der am Golf von Siam liegt. Sie meinten nun, es
werde vortheilhaft sein, diese sehr schmale Landenge für die Anlage
eines Verkehrsweges in's Auge zu fassen, und vermittelst desselben
den Weg zwischen Osten und Westen wesentlich abzukürzen. Im
südlichen Teunasserim liegen Kohlen, im siamesischen Gebiete mehrere
Zinngruben. Kraw ist eine von Sch ans bewohnte Ortschaft, hat
etwa 50 Häuser nnd einige chtuesische Familien; sie liegt am
Pakschan, in welchen dort der Krawfluß mündet. Nur 8 Miles
von dort liegt die Wasserscheide, von welcher nach Osten hin der
, Bankrenfluß in den siamesischen Meerbusen müdet. Wenn
nun, so meinen Fraser und Forlong, eine Eisenbahn für etwa
700,000 Pfd. Sterling über diese Landenge gebaut würde, dann
würden für die Strecke zwischen Kalkutta und Hongkong 93, zwischen
Ceylon und Hongkong 56 Stunden Zeit erspart. Man vermeide
so die für die Schifffahrt gefährliche Straße von Malakka.
Gegen das Projekt sind aber gewichtige Gründe geltend ge-
nñicht worden. Der größte Theil der westlichen hinterindischen
! Halbinsel ist mit dichtem Walde bestanden; die in Frage kommende
Kleine Nachrichten.
189
Gegend liefert Zinn, Gold und Eisen. Die Entfernung zwischen
beiden Küsten beträgt 65 Miles. Der Pakschan ist kein eigentlicher
Fluß, sondern eine weit in's Land eindringende Föhrde, deren
Barre nur 9 Fuß Wasser hat. Am östlichen Endpunkte der 50 Miles
langen Eisenbahn wäre kein H äsen, und schon deshalb kann keine
Rede davon sein, daß der Waarenzug zwischen Westen und Osten
über diese Straße gehen werde. Das Umladen werde nicht nur die
Fracht vertheuern, sondern auch die Zeitersparniß, welche man
angeblich erzielen könne, völlig aufheben.
Die Straße von Malakka ist nicht so gefährlich wie man sagt.
Sie hat eine Länge von etwa 500 Miles und ist bis zu 300 Miles
weit am nordwestlichen Eingänge. Eigentliche Stürme hat sie
nicht, wohl aber veränderliche Winde und Bullerböen (plötzliche
Windstöße mit Donner und Blitz), welche von den Seefahrern als
„Sumatras" bezeichnet werden. Seit etwa 18 Jahren haben die
Postdampfer nahe an 700 Reisen durch diese Straße gemacht und
keinen Unfall erlitten, außer daß einmal zwei Schiffe gegen einander
rannten. Ein Kapitän Anderson hebt hervor, daß er 37 mal durch
die Malakkastraße gefahren sei, ohne jemals in Gefahr gewesen zu
sein. Das Kraw-Projekt wird also wohl auf sich beruhen bleiben.
Wcgliantcn in Ptgu. Die Engländer wissen sehr wohl, wie
viel namentlich in Kolonialländereien darauf ankommt, Verbin-
dungswege herzustellen und so sehr als möglich zu vervielfältigen.
Wir haben früher schon darauf hingewiesen, daß sie auf Britisch-
Barma, also Pegn mit der Jrawaddymündnng, großen Werth
legen und in jener Gegend darauf ausgehen, sich bei günstiger Ge-
legenheit ganz Barma anzneigueu. Nun hat die Regierung den
Obersten Short beauftragt, einen Wasserweg in Pegn nach dem
Flusse Sittung herzustellen. Er will jetzt den Landrücken zwischen
dem Poing Kayung und dem Chayasonflnsse durchstechen, das Bett
des letztern vertiefen, den Poing Kayung mit dem Sittung ver-
binden und diesen letztern unterhalb der Stadt Sittung abdämmen
und zwar an der Stelle, wo ein Arm sich gegen Manlmein hin ab-
zweigt. Solchergestalt würde vermittelst des Sittung eine Ver-
bindung zwischen Pegn und dem wichtigen Reishafen Maulmein
hergestellt, eine sichere und bequemere Verbindung zwischen dieser
Stadt und dem andern wichtigen Reishafen Ranguhn, der Kanal
durchzöge das südliche Martaban und würde wesentlich zur Hebung
und Besiedelung dieses Landes beitragen.
Erforschung des Landes der Schau in Hinterindien. Wir
wiesen schon mehrfach auf die Bestrebungen der Engländer hin, sich
vom Bengalischen Meerbusen aus einen Weg nach der westchinesi-
schen Provinz Aüunan zu bahnen. Ein solcher würde vom Golf
von Pegn oder von dem nördlichen Teunasserim ans durch das
nordsiamesische Gebiet führen. In diesem wohnt das Volk der
Schau s. Der amerikanische Baptistenmissionär B i x b y hat sich
nun bereit erklärt, das Land derselben näher zu erforschen, und
die englische Kolonialregierung hat ihm einen Geldbeitrag von
1000 Rupien bewilligt. — Ein Kapitän Sprye hat bereits den
Plan zu einer Eisenbahn von Maulmün nach Esmok, (d. h.Muangla)
im südlichen Nünnan entworfen; aber das ist ein sehr vorzeitiges
Projekt; man wird die schönen Wasserstraßen des Landes durch
gute Fahrwege verbinden, die auf lange Zeit vollkommen für den
Handel genügen werde. Die Sch ans sind eigentlich unabhängig
und ziemlich betriebsam. Manche von ihnen kommen alljährlich
im December ans den Markt nach Manlmän, bringen Pferde und
Gummilack und nehmen dafür zumeist englische Eisenwaaren mit.
An einer Straße bis zur Grenze der Schans wird jetzt gebaut. —
Zn Bh anmv, im nördlichen Barma, ganz nahe an der Grenze
von Nünnan, befindet sich seit Januar 1863 ein englischer Kon-
sularagent, Dr. Williams.
Die Landenge von Pauamä. wird für den Waarendnrchzng
immer wichtiger. Es kann nicht fehlen, daß im Fortgange der
Zeit ein beträchtlicher Theil des Verkehrs zwischen Ostasien und
Australien einerseits und Europa andererseits den Weg über diese
Landenge nimmt. Die Australier gehen schon seit einigen Jahren
damit um, eine regelmäßige Dampferlinie nach Panama herzu-
stellen, und es unterliegt kaum noch einem Zweifel, daß der Plan
verwirklicht werde. Der Weg wäre kürzer und sicherer als der
um Afrika herum oder über das Meer. Jetzt eben lesen wir, daß
im Januar 1863 eine Schiffsladung°roher Seide aus
Japan über die Landenge von Panama nach Europa ge-
gangen sei. Sie war für Lyon bestimmt, wurde in Panama
gelandet und grng auf der Jsthmusbahn bis zum atlantischen End-
punkte derselben, dem Hafen Aspinwall (Colon), und wurde von
dort nach Marseille verladen. Es fragt sich nun, ob die Schnellig-
keit der Beförderung auf diesem Wege Ersatz biete für die Kosten
der Umladung und der allerdings noch viel zu hohen Frachtsätze
auf der Bahn, welche von ihren Inhabern, nordamerikanischen
Nankees, in monopolistischer Weise ausgebeutet wird.
Die große Eisenbahn nach dem Stillen Ocean innerhalb
des Gebietes der amerikanischen Nordunion ist nun an beiden
Enden der Linie in Angriff genommen. Die Bahn ist in drei
Strecken, die östliche, mittlere und westliche, getheilt, und wird
von drei verschiedenen Gesellschaften gebaut. Die östliche Strecke,
von der Vereinigung der beiden Flüsse Missouri und Kansas durch
das Territorium Kansas bis zum 100.° W. L. (von Greenwich),
350 Meilen lang, naht sich schon ihrer Vollendung: die mittlere
Strecke durch Nebraska, Utah und Nevada bis zur Ostgrenze von
Californien ist 1300 Meilen lang. Die westliche Linie, welche
von der californischen Grenze bis zu San Francisco geht, bietet
die größten Schwierigkeiten auf der ganzen Bahn. Sie kreuzt die
Sierra Nevada und muß eine Höhe von 7000 Fuß über das
Sacramento-Bett erreichen. Dennoch ist die Steigung auf das
Maximum von 105 Fuß per Meile, noch 11 Fnß unter der Er-
hebung der Baltimore- und Ohio-Bahn, beschränkt worden. Acht-
zehn Tunnel, von denen der längste 1370 Fuß, der kürzeste
300 Fuß messen wird, beabsichtigt man auf dieser Strecke, deren
ganze Länge 155 Ai eilen beträgt, zu bauen. Der Kostenanschlag
für die westliche Länge beläuft sich auf 13,270,000 Dollars, für
die ganze Bahn ans 99,870,000 Dollars. Am Sacramento-Ende
sind bereits 60 Meilen vollendet, und die Weiterführung der Ar-
beiten ist jetzt für eine kurze Zeit auögesetzt, bis die bestellten
Schienen aus Europa ankommen.
DieLänge der mitcrsceischenTelegraphenlinien beträgt gegen-
> wärtig schon mehr als 3000 deutsche Meilen. Es ist jetzt im Plan,
Indien 'mit Australien zu verbinden, wobei Java das Mittel-
glied bilden wird.
Bergbau-, Hütten- und Saliueubctrieb des Zollvereins.
1 Die vom Centralbureau des Zollvereins angefertigte Hanptzn-
sammenstellung der Ergebnisse des Bergwerks-, Hütten- und Sa-
linenbetriebs im Zollvereine für das Jahr 1860 ist nunmehr er-
schienen, und damit der erste Theil der Zollvereins-Gewerbsstatistik.
Wir erhalten über jenen Industriezweig zum erstenmal eine ganz
vollständige Uebersicht.
Die 5491 Grubenwerke förderten nämlich im genannten
Jahre 246,956,560 Zollcentner Stein- und 87,653,287 Ctr.
Braunkohlen, 28,015,637 Ctr. Eisenerze, 694,494 Ctr. Gold - und
- Silbererze (und etwas mehr als ein halbes Pfund Waschgold),
! 72 Ctr. Quecksilbererze, 2,968,490 Ctr. Bleierze, 1,858,948 Ctr.
I Kupfererze, 6,203,268 Ctr. Zinkerze, 5425 Ctr. Zinnerze, 4976 Ctr.
j Kobalterze, 75,383 Ctr. Arsenikerze, 776,s Ctr. Antimon- und
! 356,830 Ctr. Maugan-, 629,340 Ctr. Alaun- und 537,772 Ctr.
j Vitriolerze, 19,483 Ctr. Graphit, 32,000 Ctr. Asphalt und
! 72,682 Ctr. Flußspath.
Die Gesammtprodnktion deö Bergbaues beträgt
demnach 376,085,478,5 Zollctr., die einen Geldwerth am Ursprungs-
orte von 41,604,251 Thlru. hatte; die Anzahl der Bergleute
belief sich auf 161,963 Köpfe.
Die Hüttenwerke, deren der Zollverein 1589 zählt, haben
producirt: Roheisen in Gänzen und Maßeln 9,429,471 Zollctr.,
i Rohstahleisen 144,187 Ctr., Gußwaaren aus Erzen 1,008,076 Ctr.,
Gnßwaaren ans Roheisen 1,979,705 Ctr., Stab- und gewalztes
Eisen 6,702,223 Ctr., Eisenblech 865,688 Ctr., Eisendraht
455,288 Ctr.. Stahl 506,241 Ctr., Gold 86,039 Pfd. und Silber
124,103,005 Pfd., ersteres 38,077 Thlr., letzteres 3,684,909 Thlr.
Werth. Ferner Kaufblei 517,792 Ctr., Glätte 64,362 Ctr., ge-
walzte Bleiplatten 8527 Ctr., Garkupfer 48,477 Ctr., verarbeitetes
Kupfer 38,109 Ctr., Messing 35,120 Ctr., Platten-und Barren-
zink 1,107,191 Ctr., Zinkblech 278,096 Ctr., Zinn 3118 Ctr.,
Blaufarbenprodnkte 13,898 Ctr., Nickel 8007 Ctr., Arsenik
6863 Ctr., Antimonium 125 Ctr., Alaun 67,844 Ctr., Kupfer-
vitriol 14,166 Ctr., Eisenvitriol 69,270 Ctr., gemischten Vitriol
8,959 Ctr., Schwefel 5311 Zollctr. Die Gesàmmtmasse der
Hüttenproduktion beträgt also 23,387,354,8 Ctr. im Werthe
von 84,164,182 Thlru. In den Hüttenwerken waren 72,308 Per-
sonen beschäftigt.
Die 675 Salinen erzeugten: 5,401,576 Ctr. Kochsalz,
145,832 Ctr. schwarzes und gelbes Salz, 369,839 Ctr. Dungsalz,
und aus den sechs Salzbergwerken wurden 1,023,346 Ctr. Stein-
salz gefördert, so daß also die 681 Salinenwerke des Zoll-
vereins (mit 5916 Arbeitern im Jahre 1860) im Ganzen
6,580,593 Ctr. Salz im Werthe von 6,070,314 Thlrn. producirten.
Der ganze Zollverein zählte in jenem Jahre demnach 7761
Werke für Bergbau, Hütten- und Salinenbetrieb, in welchen zu-
sammen 240,187 Arbeiter ihren Lebensunterhalt fanden, und welche
190
Kleine Nachrichten.
403,760,310,2 Ctr. Produkte im Werthe von 130,808,291 Thlrn.
lieferten.
Wirklicher Fortschritt in Ostindien. In den westlichen
Ghats liegt in malerischer Gegend die Landschaft Knrgh, deren
Häuplinge von einem englischen Residenten überwacht werden. Sie
haben sich jüngst mit einer Bittschrift an denselben gewandt, deren
Inhalt sehr bemerkenswerth erscheint, weil gerade in Indien das
Volk mit ungemeiner Zähigkeit am Alten klebt. Vor sechs Jahren,
schreiben sie, hat General Mac Gubben Schulen bei uns einge-
führt, deren Wichtigkeit wir damals nicht begriffen, denn wir
waren durch Vorurtheile verdunkelt. Aber diese sind geschwunden,
seitdem wir erkennen, wie viel Segen uns die englische Lehranstalt
zu Mercara gebracht hat; sie wird von einen: verständigen, acht-
baren, seinem Beruf ergebenen Manne geleitet. Wir haben uns
nun vereinigt und die erforderliche Summe zusammengelegt, um
anch unsererseits noch eine zweite derartige Erziehungsanstalt für
einhundert Knaben zu gründen; wir wünschen aber den wohlthäti-
gen Einfluß des Unterrichts auch für unsere Töchter. — Die
englische Regierung ist darauf gern eingegangen und hat einen
Beitrag von 11,000 Rupien für Mädchenschulen angewiesen.
Aus dem Staatskalendcr des Königreichs Siam. Im Auf-
träge Mongknt's, des „philosophischen Herrschers", den die Leser
des Globus kennen, giebt Di-. Bradley ein Hof- und Staats-
handbuch zu Bangkok, der Hauptstadt von Siam, heraus. Der
Jahrgang für 1863 enthält zunächst, gleich seinen europäischen
Kollegen, allerhand Nachrichten über denHof, z.B. die vollständige
Liste der Könige, welche bis jetzt über Siam geherrscht haben, die
Namen der Eltern und der Kinder der beiden jetzt regierenden
Majestäten, denn Siam hat bekanntlich stets zwei Könige neben-
einander, doch so, daß der Oberkönig Inhaber der wichtigsten
Machtbefugnisse ist. Dem Regentenverzeichnisse folgen Bemer-
kungen über siamesische Pflanzen und über den Ackerbau; er bringt
weitere Nachrichten über buddhistische Tempel, über Sitten und
Gebräuche der Priester, über den Besuch, welchen die Regenten
alljährlich in den Tempeln abstatten, über das Schulwesen und
dergleichen mehr.
König Mongknt hat im Ganzen 61 Kinder gehabt; das jüngste
ist eine 1862 geborene Prinzessin; von jenen 61 sind jetzt noch 50
am Leben. Seine Majestät haben 27 Hauptfrauen und 34 Neben-
frauen; dieselben erhalten ein Traktament von 120 bis 1200Tikals.
Außerdem zahlt der königliche Hofhalt noch 6440 Tikals jährlich
an 65 Hofdamen, welche alle Töchter von Edelleuten sind, und
24,960 Tikals an 27 Muhmen, Schwestern und Nichten des
Monarchen. Zwanzig Prinzen und Prinzessinnen von Geblüt haben
eine englische Gouvernante.
Der zweite König hat 20 Frauen aus dem Volke der Laos,
5 siamesische Frauen und 30 Kinder; er besitzt aber im Ganzen
60 Stück. Der älteste Prinz hieß früher Georg Washington, jetzt
heißt er blos Georg.
Man muß zugestehen, daß beide Könige sich mit einer verhält-
nißmäßig geringen Anzahl von Frauen begnügen, denn ihre Vor-
gänger haben mindestens viermal so viele gehabt. Manche Edellente
besitzen 30 bis 40 Gemahlinnen.
Bangkok hebt sich als Handelsstadt immer mehr. Die
Einfuhren aus dem Auslände betrugen 1862 den Werth von
2,710,807 Dollars; davon kamen für 2,215,931 Dollars von
Batavia und Singapore. In allen diesen Angaben ist aber nicht
mit inbegriffen, was unter siamesischer Flagge an Seiden- und
Glaswaaren, Geschirr, Quincaillerie, chinesischen Maaren und
dergleichen mehr eingeführt wird, auch nicht was in chinesischen
Dschonken gebracht wird, weil diese Flaggen keinen Eingangszoll
geben. Die Ausfuhr aus Bangkok stellte sich auf 3,390,430 Dol-
lars — 5,650,718 Tikals, denn der Tikal ist so viel wie 60 ame-
rikanische Cents. Die Zahl der europäischen Residenten in Bangkok
beträgt 112, der amerikanischen 38, ohne deren Familienange-
hörige.
Stand des Grziehnngswescns in Brasilien. Ein Graf
de la Hure hat 1862 ein dem Kaiser von Brasilien gewidmetes
Werk in Paris drucken lassen, in welchem er über das Erziehungs-
wesen Folgendes äußert:
„Die Brasilianer erhalten von der Geistlichkeit gar keinen
Unterricht in beit Wahrheiten der Religion, und ihr Kultus ist aus
einer solchen Menge von abergläubigen Gebräuchen zusammen-
gesetzt, daß die evangelische Moral dadurch einen schweren Stoß
erleidet, der aber in Brasilien nicht von Wichtigkeit erachtet wird.
Handlungen, welche bei uns als grobe Vergehen gegen die Sitten
angesehen werden, gelten dort als ganz natürlich, und besonders
Seitens der Geistlichkeit als ganz tadellos. Der Glaube beschränkt
sich auf einige äußerliche Uebungen, und diese werden nur gewohn-
heitsgemäß und auf eine leichtfertige und unanständige Weise ver-
richtet." — Dann folgt eine Beschreibung der lärmenden, halbafri-
kanischen, halbindischen Kirchenfeste, wie sie selbst in den großen
Städten häufig abgehalten werden und „die mehr wie eine Parodie
des schlechten Geschmackes , denn als ein religiöser Akt erscheinen." —
„In den Kirchen wird nie ein Gebetbuch gebraucht. Der Priester
tieft meist nur eine stille Messe ab. Die Frauen putzen sich für
die Kirche wie für den Ball, setzen sich auf den Boden und schlagen
sich mit der Hand vor die Brust. Die Priester haben keine größeren
moralischen Verbindlichkeiten in ihrer Lebensweise als die Laien.
Sie lesen weder das Evangelium, noch legen sie es aus. Sie
schwatzen und lachen noch kurz vor Anfang der Messe in der Kirche
selbst mit den dort befindlichen Personen. Von Vespern ist nicht
die Rede. Die Kinder werden ohne allen Religionsunterricht
konfirmirt und bei ihrer ersten Komnumion nicht über eine einzige
Religionswahrheit befragt, die ihnen natürlich so auch ganz un-
bekannt bleibt. Die Gläubigen werden von dem Priester nur
besucht, um die heilige Oelung zu empfangen. Letztere geben sich
vielseitig mit Geschäften aller Art ab. Sie kleiden sich nicht immer
anständig, obwohl gewöhnlich wie andere Leute. Ich habe mehr
als einmal Jungen bei der Messe im bloßen Hemd admini-
striren sehen. Die Rücksichtslosigkeit gegen allen Anstand Seitens
der Geistlichen hört jedoch hier nicht auf. Simonie wird von
allen Klassen betrieben und auf jede Weise ausgeübt, und dieser
Verkauf der heiligsten Dinge wird durch alle möglichen Vor-
wände beschönigt, dadurch aber nicht weniger demoralisirend ge-
macht. Dabei ist das Leben der meisten Priester wahrhaft skan-
dalös. Das Spiel, die Trunkenheit und andere schamlose Laster
stellen sie noch weit unter die in dieser Beziehung sehr tadelns-
wertsten Privatpersonen. Doch wir müssen unterlassen, die ge-
hässigsten Seiten dieser Kaste hier weiter aufzndecken."
Fastnachtsfeier der polnischen Banern. Ein Hauptfest der
ländlichen Bewohner ist die Fastnacht. Vorbereitungen dazu werden
schon lange vor der Zeit sowohl von Jung als Alt gemacht. Die
Mädchen sammeln Geld, um in würdiger Weise beim „ausführen"
auftreten zu können. Weizen wird gemahlen, um zu Kuchen und
Pfannkuchen verbacken zu werden; Bratwurst, ohne welche es keine
Fastnacht giebt, eingeschafft. Fleisch, dessen Genuß sie während der
Fastenzeit beraubt sind, wird je nach den Vermögensumständen jedes
Einzelnen in möglichst großer Quantität eingekauft.
Am Fastnachtsonntag beginnt das Fest. In Feiertagskleider
gehüllt, welche anch die anderen Tage nicht abgelegt werden, eilt
Jeder zum Wirthshaus, es müsse denn sein, Krankheit hielte ihn
von: Besuche desselben ab. Die ganze Nacht hindurch wird getanzt.
Montag tritt Waffenstillstand ein. Zur Abwechselung tanzt
Abends die liebe Schuljugend, deren Stellungen und Bewegungen
beim Tanz eine allgemeine Fröhlichkeit Hervorrufen. Ungeschlacht
sind sie in ihren Bewegungen, Alles dreht und läuft durch-
einander; dabei suchen sie die Manieren des ältern Theils der Be-
wohnerschaft nachzuahmen, was ein allgemeines und gar nicht
anfhörendes Gelächter zur Folge hat.
Dienstags Abends werden die unverheiratheten Personen des
weiblichen Geschlechts „ausgeführt". Es wird „pod Koziolek“
getanzt. Ein Tisch, auf dem Branntwein, Liquenr und Bier
anfgepflanzt steht, wird außerdem noch mit einer, entweder vom
Musikus oder dem weiblichen Theile der Ortschaft verfertigten
Figur, dem „Koziotek“, geziert. Jetzt beginnt der Tanz. Die
Junggesellen führen die Mädchen aus, tanzen mit ihnen ein paar-
mal herum und bleiben dann mit ihnen vor dem Tische stehen.
Auf einen dort stehenden Teller werfen nun die Mädchen irgend
ein Geldstück und bekommen dafür Branntwein oder Liquenr, je
nach Höhe der Gabe. Ist der Geldbeutel leer, so wird ein anderes
Mädchen genommen, bis sie alle an der Reihe waren. Nachdem
dieser Tanz beendet ist, nehmen alle Anwesenden lebhaften Antheil.
Der anbrechende Morgen erst setzt der Fröhlichkeit ein Ziel.
Mittwoch früh durchzieht eine Schaar Männer das Dorf.
Voran schreitet der Musikus, ihm folgt Einer mit einen: langen
Spieß, ein Anderer mit einem Korbe; alle Andern haben Säcke,
die mit Asche gefüllt sind. In jedem Hanse wird eingekehrt und
die Bewohner werden mit Asche bestreut. Diese Artigkeit wird sehr
oft erwidert, und zwar nicht zum Vortheil der dabei Betheiligten.
Die Männer erhalten dann entweder Geld, oder Speck, Wurst,
Eier und dergleichen. Sind Alle mit diesen: Besuche beehrt, so
wird die Rückkehr nach dem Wirthshaus angetreten. Hier werden
der Speck und die Eier gebraten, das Geld wird vertrunken.
Nachmittags tanzen die Frauen, und wehe den: Manne, der
da mit tanzen wollte. Er wird bei den Haaren ergriffen, seiner
Mütze beraubt und diese ihm nicht eher znrückgegeben, bis er sie
eingelös't hat. So ergeht es anch den Mädchen. Will Jemand
nüttanzen, so muß er sich einkaufen; dann kann er ungestört mit-
tanzen. Ebenso nmß jeder Mann und jede Frau, die im Laufe
Kleine Nachrichten.
191
des Jahres geheirathet haben, '/2 bis 1 Quart Branntwein geben.
Erst wenn Mitternacht längst vorüber ist, endigt der Tanz und
mit ihm zugleich für dieses Jahr das Fest. (— Diese Mittheilung
erhielten wir aus Pieschen im Posenscheu. —)
Ein polnisches Urtheil Liber den polnischen Nationalcharaktcr.
Ein patriotischer Pole entwarf in dem Posener Orendownik
Nankowy folgende Schilderung seiner Landsleute, die berichtet
zu werden verdient. Das hat Professor Wuttke in seiner Schrift
über Polen und Deutsche hervorgehoben, und neuerdings legt auch
O. A grico la in seinem „Polens Untergang und Wiederherstellung"
(Gotha 1863) Gewicht darauf. Das Urtheil lautet folgendermaßen:
„Der Abscheu gegen jede, besonders geistige Ärbeit, welche
dauernde Anstrengung und immerwährende Beschäftigung fordert,
beherrscht noch bis zur Stunde, wie früher, alle Stände. Ans
der aufgeklärten Klasse nimmt Keiner die Feder in die Hand; denn
sie fällt ihm ebenso schwer, wie unserm faulen Bauer der Dreschflegel.
Ein Büchlein nimmt selten einer vor sich, denn man muß bei ihm
sitzen bleiben, und der bewegliche Pole bedarf einer unaufhörlichen
Aufregung und ist heut in der Stadt, morgen bei seinem Nachbar
und in einer Woche in Paris, in Rom, an einem Badeort. Immer
aber beschäftigt ihn eine „Affaire", immer strotzt sein Kopf von
großen, aber stets neuen Projekten. Der windbeutelige Müssig-
gang, der ihn keine Stelle warm sitzen läßt, führt ihn zu Zer-
streuungen, zum Luxus, zur Verschwendung seiner Zeit und seines
Vermögens." —
„Aus demselben Müssiggang entspringt die aller Ausdauer
baare Veränderlichkeit und der Leichtsinn, der den Polen auch
von der heiligsten Sache losreißt. Unfähig, bei irgend einem
Unternehmen bis zu Ende auszuharren, verläßt er das Eine und
hascht, ohne den geringsten Aufenthalt, nach einem Andern, wie
ein kleines Kind, das um einen neuen Ball das alte Pferd in den
Winkel wirft. So belustigen ihn heute die Vorlesungen, morgen
das Theater und übermorgen wissenschaftliche Sitzungen, dann
nationale Zusammenkünfte, Eisenbahnen, ja er sammelt znm Besten
der Armen selbst Knochen ans der Straße, aber das Alles nur
kurze Zeit, und dabei ist er stets durch Kleinigkeiten zersplittert,
aber sorgfältig darauf bedacht womit er in der nächsten Woche sich
unterhalten könne. Er schreibt dem geringfügigsten, gleichgültigsten
Ding eine außerordentliche Wichtigkeit in der Hauptsache, dein
Nationalinteresse, zu, hält dabei aber die Sprache, diese in unserer
Angelegenheit entscheidende Grundstütze, und die Geschichte des
Landes und die Wissenschaften für das fünfte Rad am Wagen."
Dies Urtheil findet durch einen Bericht des zum Referat über
die neueste Erhebung (1863) nach Warschau gesandten Special-
korrespondenten der Times, also eines Blattes, das gewiß keine
Voreingenommenheit gegen die Polen zur Schau trägt, eine merk-
würdige Bestätigung. Der gedachte Korrespondent zeichnet die
Adeligen Polens in folgender Weise: „Auf ihre Ritterlichkeit
und persönliche Tapferkeit kann man unter allen Umständen rechnen;
aber ihr Edelmuth ist von weiblichem Typus und, obwohl zu
Zeiten hervorstechend genug, doch zu nahe der Eitelkeit verwandt,
um von echtem und dauerhaftem Gepräge zu sein. Sie sind un-
gemein streitsüchtig und eigensinnig, erkennen kein höheres
Gesetz als den Machtspruch ihres Willens an und wechseln, in
gewöhnlichen Fällen, jed enAugenblick den Gegenstand ihrer
Wünsche. Verschwenderisch und unwirthlich in jeder Be-
ziehung, haben sie tausend Bücher überflogen und keines studirt.
Voll liberaler Bestrebungen, gefallen sie sich darin, die Selbst-
herrscher unter den Bauern zu spielen, die ihnen den
Rocksauin küssen: und, obgleich die zärtlichsten Gatten, halten
sie es mit den Pflichten des Ehestandes vereinbar, ein paar Mai-
tressen neben ihrer angebeteten Gemahlin zu haben. Mit einem
herzlichen Sinn für die edleren Elemente im menschlichen Charakter
und einem unwiderstehlichen Hange, sich jeder Art von Genußsucht
hinzugeben, zeigen sie jene wunderbare Mischung orienta-
lischer Charaktermerkmale, durch die sie lange Zeit ihre
Nachbarn in Erstaunen gesetzt, aber sich auch in das Verderben
gestürzt haben, welches die nothwendige Folge ungeschulten Talents
und ungezügelter Leidenschaft ist."
Dre Stimmführer der Polen gefallen sich in der Behauptung,
daß sie von deutscher Seite verkleinert und verleumdet würden; sie
sind in hohem Grad empfindlich; auch die im Globus mitgetheilten,
sehr ruhig gehaltenen „Briefe über Polen" des Herrn Dr. Caro
haben dem Letztern mehrfach schriftliche Drohungen eingebracht.
Herr Di°. Caro aber ist aus Gnesen gebürtig und kennt Land und
Leute sehr wohl. Die Polen haben sich ' stets als Werkzeuge
Napoleonischer Politik verwenden lassen und gerade jetzt thun sie es
wieder. Sie haben sich in einen feindlichen Gegensatz gegen das
deutsche Element überhaupt gestellt, und können von diesem
keine „Sympathien" erwarten. Vor dreißig Jahren fanden sie
solche in reichem Maße gerade bei uns; seitdem sind sie aber
durch Thatsachen beträchtlich abgekühlt worden und das ruhige
Urtheil, die Würdigung der konkreten Verhältnisse behält die
Oberhand, wenigstens bei allen Denen, welche unbefangen erwägen
und die Lehren der Geschichte nicht in den Wind schlagen.
Das Borkommen des Tigers tut nordöstlichen Asien. Als
wir vor einigen Monaten über Gustav R a d d e' s R ei sen in Dau -
ri en Mittheilnngen machten, wurde erwähnt, daß in jener Region
auch der Tiger vorkomme. Wir erhielten nun vor Kurzem eine
anonyme Zuschrift, in welcher gesagt wurde, daß „der Tiger doch
wohl schwerlich so weit hin nach Nordosteu vorkomme"; die Sache
selbst ist jedoch längst bekannt und unterliegt gar keinem Zweifel.
In Rücksicht auf jenen Brief wollen wir aber eine Stelle aus
Arthur Nordmann's Zoologischen Bemerkungen im
Amurlande mittheilen. Sie steht in Erman's Archiv, XXI. Band,
1862, Seite 348. —
Der Tiger (Felis tigris), Bars, goldisch Mareh, zeigt sich
am südlichen Amur, so wie am Sungari und Ussuri ziemlich häufig,
soll aber auch am nördlichen Amur bisweilen erscheinen. So er-
zählten mir einige alte Giljaken, daß auf einer kleinen Insel an
der Südküste vom ochotskischen Meere, wo die Umgegend mit der
Zwergzirbelfichte bewachsen ist, alle Sommer ein Tiger haust, und
daß die Insel deswegen sorgfältig gemieden wird. Der Tiger
wird von den Amurvölkern gejagt, indem sie vor ihm einen pani-
schen Schreck haben. 1857 im Winter ging das in einem Dorf
an der Ussurimündung so weit, daß die armen Golden alle ihre
Fahrhunde einem, jede Nacht znm Dorfe kommenden, Tiger aus-
gefüttert hatten, und zwar banden sie zur Nacht ein paar Hunde
vor dem Dorfe fest. Zuletzt wollten sie schon ihre eigenen Kinder
zum Fraß aussetzen, wenn nicht einige Kosaken den Tiger zufälliger-
weise erlegt hätten. Die Russen haben in den letzten Jahren einige
Tiger im Burejagebirge erschossen, aber gewöhnlich ohne zu wissen,
was es für ein Thier war. So zog 1860 im Herbst eine Gesell-
schaft von drei Kosaken, der eine bewaffnet mit einer ungeladenen
Bajonnetflinte, der andere mit einer kleinen Kngelbüchse, der dritte
mit einem Beile, der blutigen Spur nach, welche ein Tiger ge-
macht hatte. Derselbe hatte den Leuten ein Pferd geraubt, er-
würgt und es in den Wald geschleppt. Die Nimrode fanden den
Tiger, der sich während seiner Mahlzeit nicht im Geringsten stören
ließ; darauf wurde nach einer Berathschlagung beschlossen, daß
der Büchsenmann feuern und die Anderen mit dem Bajonnet und
dem Beile das Uebrige machen sollten. Der Kosak stellte seine lauge
Büchse auf die gebräuchliche Stützgabel, und es gelang ihm, nach
mehrmaligem Versagen des Schlosses, den fehlgehenden Schuß ab-
zudrücken, wobei aber der Tiger sich nicht rührte und sein Miß-
vergnügen nur durch ein schreckliches Brüllen kund gab. Alsbald
beschloß der mit der Axt Bewaffnete auf das Thier loszugehen, und
versetzte demselben aus allen Kräften einen Hieb auf den Rücken,
wurde aber augenblicklich gepackt und mit der einen Vordertatze
am Boden festgehalten. Der Bajonuetträger, der dem Kameraden
helfen wollte, theilte dasselbe Schicksal, und nun lagen Beide und
schrien den Dritten um Hilfe au, wozu der Tiger mit kraftvollem
Baß einstimmte, ohne den beiden Männern besonders zu schaden.
Dem Büchsenmanne gelang es endlich, die Bajonnetflinte unter
denDreien hervorzuziehen, ohne daß der Tiger, dessen beideVorder-
tatzen mit dem Festhalten der Schützen befestigt waren, ihn fassen
konnte. Mit dem erbeuteten Bajonnete durchbohrte nun der Büchsen-
mann dem Tiger einigemal den Leib, worauf das Unthier starb.
Die beiden verunglückten Schützen krochen mit nur etwas zerkratzten
Bäuchen unter dem Tiger hervor, und nun machten sich alle Drei
an das Abhäuten des Tigers. Als man später die drei Jäger be-
fragte, wie der Tiger ihnen vorgekommen sei, erzählten dieselben,
er wäre nicht besonders gefährlich gewesen, hätte aber nur so
grimmig gebrüllt, daß ihnen das Herz im Halse gesessen habe.
Der aus Holz grob aber doch kenntlich geschnitzte Kopf des
Tigers wird bei den Golden als Götze verehrt, und der Tiger selbst
in den Schamanengesängen gepriesen. Es existirt bei diesem Volke
der Glaube, daß, wenn ein von Krankheit befallener Mensch einem
Tiger im Walde begegnet, falls er nicht gefressen, ganz hergestellt
werde. Die Giljaken erzählen, daß das Thier zuweilen auch auf
der Insel Sachalin erscheine.
Am Amur wie auch am Ussuri kommt noch eine andere, kleinere
Tigerart vor (Felis irbis). Diese ist nicht gestreift, sondern gefleckt,
soll aber seltener sein als die vorige Art.
Ter Riesenvogcl Moa ans Neu-Seeland. Die Kolonisten
sind überzeugt, daß derselbe noch vorhanden sei, und daß er keine
„Seeschlange" ist; sie hoffen seiner habhaft zu werden, denn er
sei noch nicht ausgestorben. Ein Mann, so schreibt die Otago-
Times, habe ihn mit eigenen Augen gesehen, und ein Diener des
Herrn Rees, der zu Wakatipu wohnt und für einen glaubwürdigen
Menschen gilt, habe Folgendes erzählt: Er sei mit einem Gefähr-
192
Kleine Nachrichten.
teu nach dem Bezirk des Flusses Arrow gegangen, um Gold zu
suchen. Gegen Sonnenuntergang saßen die beiden Leute an ihrem
Lagerfeuer, da rief der Eine: „Sieh mal dort oben hin, was
kommt da?" Auf einem Hügel, in nur drei- bis vierhundert
Schritten Entfernung, sahen sie einen mächtig großen Vogel, der
sich ihr Feuer zu betrachten schien; er lag und sein Kopf war ihnen
zngewandt. Nach^einem kleinen Weilchen stand er auf, ging fort
mit sehr großen «schritten und war bald aus ihren Augen ver-
schwunden. Er schien, ohne Hals und Kopf, sieben englische Fuß
hoch zu sein. Der letztere war sehr laug und platt und der
Vogel hielt ihn weit vorgestreckt. Am andern Morgen gingen die
beiden Goldsucher auf jenen Hügel und betrachteten sich die Spuren
des Vogels; sie sahen drei Eindrücke, die durch einen Zwischen-
raum von 12 Zoll von einander getrennt waren, und den Eindruck
des Sporns, etwa einen Fuß weit hinter jenen. — Wer einen Moa
lebendig oder todt einbringt, erhalt eine Belohnung von 100 Pfd.
Sterling.
Pisco in Peru und die Guano-Inseln. Zwischen den
Thälern von Chiucha und Pisco erstreckt sich eine Sandwüste.
Nachdem mau eine neue Hängebrücke über den Fluß Pisco
passirt hat, eröffnet sich eine freundliche, mit Dattelpalmen, Weiden
und Wiesenland bedeckte Ebene, in welcher die Stadt Pisco liegt,
die als Musterbild für die kleinen Küstenstädte Perus dienen kann.
Auf dem Marktplatze befinden sich mehrere stattliche Häuser, dar-
unter das des DonDomingo Elias, des größten Landeigenthüniers
und unternehmendsten Mannes in Peru; ingleichen eine schöne
Kirche im Vaustyle von Lima, welche die eine Seite des Platzes
einnimmt. Die kleineren Wohnungen der ärmeren Klaffen, nament-
lich der Neger und der gemischten Farbigen, sind von einfacher
Bauart. Es sind weiß übertünchte, zehn Fuß hohe Häuser von
Fachwerk aus Rohr mit Lehmschlag; sie stehen reihenweise und
sehen mit ihren getäfelten Thüren und gläsernen Lampen darüber
recht nett und anständig aus. Außer der großen Kirche, einer be-
kannten Landmarke für die Küstenschifffahrer, besitzt Pisco
noch die alte Jesuitenkapelle mit schönem vergoldeten Schnitzwerk
und ein verfallenes Franziskanerkloster, das vor zwanzig Jahren
von der Regierung eingezogen wurde. Früher war Pisco unge-
sund; die Einwohner hatten viel an Fiebern zu leiden; durch eine
vor achtzehn Jahren eingerichtete gründliche Austrocknung aber
hat man den Platz zu einem ganz besonders gesunden umgeschaffen.
Die Umgebungen von Pisco sind mit weit ausgedehnten Wein-
gärten bedeckt,' von denen die meisten Don Elias besitzt, der aus-
gezeichnete Trauben baut. Er läßt große Quantitäten keltern
und aus einem Theile den berühmten Pisco oder Jtalia be-
reiten, einen Liqueur, der nach allen Küstenplätzen imb auch in
das innere Peru versandt wird. Seine Niederlage zu Pisco ent-
hält mehr als hundert Fässer Wein, jedes zu 280 bis 300 Gallonen
(1350 bis 1450 Kannen), die in drei Sorten zerfallen: die beste,
ein ausgezeichneter Wein, dem Madeira ähnlich, dann ein etwas
geringerer weißer Wein und ein dritter, der dem Bucellas gleicht.
Der Pisco ist in großen Niederlagen am Strand anfgespeichert,
von wo er nach den Häfen von Peru und Ehile verladen wird.
Eine ausgezeichnete Sorte des Pisco wird aus der großen weißen
Traube unter Zusatz der duftenden Chirimoya-Frucht bereitet.
In der Bai von Pisco, etwa dritthalb Meilen von der Küste
entfernt, liegen die Chincha- oder Guano-Inseln. An einem
Januartage, schreibt Markham, schiffte ich mich in einem kleinen
mit Chinesen bemannten Langboot ein, um sie zu besuchen. Wir
landeten zunächst an der nördlichsten, deren Felsenwände so schroff
abfallen, daß man die Insel mittelst einer hohen, steilen Leiter er-
klimmt, die zu einer an der Seite des Felsens angebrachten hölzer-
nen Plattform führt. Die Insel ist gegen 1400 Varas (2389 Ellen)
lang und 600 (1024 Ellen) breit. Sie ist ihrer ganzen Aus-
dehnung nach mit dicken Guanoschichten bedeckt; der Hauptstich,
etwa hundert Schritte vom Rande des Felsens entfernt, zeigt bereits
eine Höhe von sechszig Fuß. Zweihundert Verbrecher sind damit
beschäftigt, den Guano herabzuschaufeln, und eine kleine Dampf-
maschine dient dazu, ihn zu heben und in die Karren zu laden.
Von der Maschine geht nämlich ein Krahn aus, vermittelst dessen
ein großer eiserner Trog, der acht Centner schwer ist. auf und
nieder bewegt wird. Der Trog füllt sich selbst und entschüttet sich
in die Karren, die ihn auf Schienen bis an den Rand des Felsens
führen, von wo er durch einen Schlauch von Segeltuch in den
Raum des ladenden Schiffs gelaugt. Hier wird er von stark-
nervigen Negern sofort, wie er herabfällt, gebreitet und geordnet.
Sie erhalten dreizehn Dollars für hundert Tonnen zu breiten und
tragen eiserne Masken, da der Guano durchdringender ist als
Kohlenstaub und Eisenfeilspähue, und stärker als flüchtige Salze.
Die Verbrecher wohnen in einem Haufen schmutziger Hütten, neben
denen sich ein paar eiserne Gebäude befinden, die den peruanischen
Beamten, einigen englischen Zimmerlenwn und einem irländischen
Doktor zum Wohnsitze dienen. Man hat berechnet, daß im Jahre
1853 auf der nördlichen Insel noch 3,798,256 englische Tonnen
(1 Tonne — 20 Ctr., also zusammen ungefähr 230Millionen Ctr.)
Guano vorhanden waren, aus der Mittlern 2,000,000, auf der
südlichen 5,680,000. Die letztere war noch gar nicht angegriffen.
Die mittlere wird fast nur von Chinesen bearbeitet, die aber theils
wegen der schlechten Behandlung und der fürchterlichen Beschaffen-
heit der Arbeit, theils aus Heimweh sehr häufig Selbstmorde be-
gehen. Es lagen fünfundzwanzig Kauffahrteischiffe, meistens eng-
lische, vor den Inseln; in der Regel befinden sich mehr dort, bis-
weilen steigt ihre Anzahl bis zu hundert. Die weniger betretenen
Stellen werden noch jetzt von vielen tausenden Guanovögeln
(Guano ist das verdorbene Quichua-Wort Huano und bedeutet
Dünger) besucht. ^ Sie legen ihre Eier in kleine Höhlen im Guano,
und einzelne Anhöhen sind mit ihren Nestern völlig bedeckt. Sie
gehören zur Familie der Meerschwalbeu, haben rothe Schnäbel
und Füße und sind etwa zehn^Zoll lang. Oben am Kopfe, au den
Spitzen der Flügel und am Schwänze sind sie schwarz, am untern
Theile des Kopfes weiß, übrigens von dunkler Schieferfarbe; an
beiden Seiten unter dein Ohre tragen sie einen langen, geringelten
Federbart. Schon die Incas von Peru legten hohen Werth auf
den kostbaren Düngungsstoff; er wurde im ganzen Reiche viel ge-
braucht, und jede Störung der Vögel während der Brutzeit soll
mit Todesstrafe bedroht gewesen sein. Außer den Meerschwalben
nisten große Schaaren von Tauchern, Pelikanen und Möven auf
den Inseln.
Steinwaffen der Feuerländer. Bekanntlich findet man im
Drift neben Meuschenknochen auch steinerne Geräthe von Feuer-
stein, und in der jüngsten Zeit ist viel darüber hin und her ver-
handelt worden. Jetzt macht nun der alte Admiral Fitz roh seine
Beobachtungen aus dem Feuerlande bekannt. Dieser südlichsteTheil
Amerikas, eine unzählige Menge von Inseln und Klippenholmen,
bietet einen ungemein mannichfaltigeu Anblick dar: Berge von
einigen tausend Fuß Höhe, Gletscher, bewaldete Hügel, Wasser-
fälle, geschützte Buchten, es ist, als ob die Schweiz, Norwegen und
Grönland dort dicht bei einander lägen. Die Bewohner, Pescheräs,
haben Nachen aus Rinde; sie besitzen steinerne Werkzeuge, Messer
aus Feuersteinen, eben solche Pfeil- und Lanzenspitzen, schneiden
damit Rinde von den Bäumen ab, Fleisch, Fett von Seetbieren,
zerschlagen Muschelthiere und benutzen dieselben überhaupt zu viel-
fachem Behuf. In jeder geschützten Bucht, wo Hütten gestanden
haben, findet man Muscheln und Steine, Abfall und Knochen, die
oft sehr alt und mit Triebsand oder von Wasser anfgeschwemmtem
Geröll, oft auch mit Pflanzen überdeckt sind. Das Alles erinnert
den Beobachter an das Steinzeitalter in Skandinavien. Menschen-
knochen kann man iin Feuerlande deshalb nicht finden, weil die
Pescheräs ihre Todten mit Steinen beschweren und iu's tiefe Meer
werfen oder dieselben verbrennen. Manche solcher Haufen sind
sechs bis zehn Fuß hoch und zehn, zwanzig, auch wohl fünfzig
Schritte breit. Auch in Australien, Polynesien, im nördlichsten
Amerika haben die Wilden steinerne Geräthe. Wenn aber Fitzroy
nieint, daß dieselben die Kenntniß derselben in Urzeiten von einem
gemeinschaftlichen Mittelpunkte mit auf ihre Wanderungen ge-
nommen hätten, so ist das eine Verirrung der Phantasie. Der
Mensch muß Geräthe haben, und findet oder kennt er keine Metalle,
so nimmt er Stein, Holz, Knochen und Fischgräten; die Noth-
weudigkeit weist ihn darauf hin.
Todesfälle durch Feuer. Eine amtliche Nachweisung ergiebt, daß
in Großbritannien während der vierzehn Jahrevon 1841 bis 1861
nicht weniger als 39,927 Menschen durch Feuer ums Leben gekommen
sind. Das ergiebt acht Menschen für jeden Tag. Von jener
Gesammtzahl waren 1344 Kinder unter einem Jahre; 4500 Kinder
zwischen dem ersten und zweiten Jahre; 9777 zwischen dem zweiten
und vierten Jahre; 6255 junge Mädchen und 3700 Knaben, beide
zwischen dem fünften und dem fünfzehnten Jahre. Vom 15. bis 50.
Jahre entfallen weit mehr Feuertodte auf das männliche als auf
das weibliche Geschlecht, bis zum Jahre 1850; seitdem aber die
Crinolinen Mode geworden, hat sich dieses Verhältniß geradezu
umgekehrt; es verbrennen viel mehr Frauen und Mädchen als
Männer.
Die Perlenfischerei aufCeylon beginnt gewöhnlich am 9. März
und dauert 35 Tage. Die englische Regierung erhebt davon durch-
schnittlich ein Einkommen von ungefähr 300,000 Thaler.
Herausgegeben von KarlAndree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghansen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildbnrghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Sie Inka-Stadl Cuzco in Peru.
In der Umgegend der Sonnenstadt. — Das Kloster de la Recoleta und die Beguinage. — Eine Vorstadt von Cuzco. — Charakter und
Bauart der Stadt. — Erinnerungen an die alten Zeiten. — Die Inkas und ihre Regierung. — Barbarei der Spanier. — Die Kirchen
Die Geistlichkeit. — Privathäuser und deren Einrichtung. — Die Einwohner und deren Bildungszustand.
und Klöster.
Cuzco, Stadt der Inkas, mit deinen weisen, patriarcha-
lischen Fürsten und deiner hohen Kultur; deiner Macht, die
ein großes Reich umfaßte; deinen Wunderwerken, die noch
heute das Staunen des Reisenden erregen; deinen Tempeln,
welche den Glanz der Feenpaläste in Tausend und Eine Nacht
seit jenen längst entschwundenen Tagen des Glücks nun über
Dich gekommen! Wo sind sie, deine Schätze, wo ist deine
Herrlichkeit? —
So ruft der Engländer Clements R. Markham aus.
Wir begreifen, daß man von sehr elegischen Eindrücken über-
Plaza und Kathedrale in Cuzco.
überboten; mit deinen Trophäen, welche die Inkas auf den
Schlachtfeldern vom Aequator bis zu den Gestaden Chiles
gewannen; — du Cuzco, wo man Triumphgesänge an-
stimmte zum Preise Unti's, der lichtstrahlenden, geheimniß-
vollen Gottheit und zum Preise der Wohlthaten, die von
den Inkas ausströmten; — du Cuzco, einst Schauplatz
der Größe und Herrlichkeit, wie tief bist du jetzt gesunken!
Wie viel des Leides, des Elends und der Entwürdigung ist
Globus IV. Nr. 7.
mannt wird, wenn man den ersten Blick auf die Stadt wirft,
welche einst Mittelpunkt einer hohen und selbständigen Kultur
war. Diese Kultur aber ist ganz eigenartig und urwüchsig
amerikanisch gewesen, sie war ohne Zuthat oder Beimischung
aus fremden Erdtheilen. Die Regierungsform des
Inkareichs war ein theokratisch-patriarchalischer
j Kommunismus. Legt man als Maßstab zum Beurtheilen
desselben unsere europäischen Begriffe über Bürgerthum und
25
194
Die Inka-Stadt Cuzco in Peru.
Staatswesen an diese merkwürdige Theokratie, dann wird
man Vieles verwerflich finden können. Aber dieser Maß-
stab hat für den konkreten Fall keine Berechtigung. Die
Volksbeschaffenheit und die Bedingungen der Entwickelung im
alten Reiche der Sonnensöhne waren durchaus verschieden
von denen unserer alten Welt. Die Inkas aber kannten ihr
Volk und hatten für dessen Anlagen, Fähigkeiten und Be-
dürfnisse ein tiefes Verständnis); ihre Politik hatte eine sichere
ethnologische Unterlage. Doch wir können heute aus
diesen Stoff nicht näher eingehen, werden aber gelegentlich
das alte Peru näher betrachten. Der Gegenstand ist in
hohem Grad anziehend, und seitdem der Amerikaner Prescott
sein berühmtes Werk geschrieben, hat die Forschung manches
Neue zu Tage gefördert.
Das Wort Cuzev bedeutet Nabel. Diese Hauptstadt
lag im Mittelpunkte des eigentlichen Jnkareichs, mehr als
11,000 Fuß über dem Meer, unter 13° 30' S. Br., in
einem schmalen, von hohen Bergen umschlossenen Thal in
gemäßigtem Klima.
Wer von Arequipa her über Aeopia nach Euzeo reitet,
kann nur durch eine tiefe Bergschlucht, eine sogenannte
Quebrada, in das Thal gelangen. Er kommt an den Bach
oder kleinen Fluß Huatanay, welcher durch die Hauptstadt
fließt und als Abzugskanal dient, und rastet noch einmal
im Dorfe San Sebastian, das ihm wegen der massigen
Kirchthürme auffällt, und dessen Bewohner er sich näher
betrachtet. Denn sie alle, ohne irgend eine Ausnahme,
machen Anspruch darauf, Edelleute zu sein und Jnkablut
in ihren Adern zu haben; auch führen sie sammt und sonders
das Wappen der Inkas. Sie sind aber nur halbschlächtige
Leute, braune Mischlinge von Europäern und Indianern.
Sie rühmen sich, von der berühmten peruanischen Familie
der Quispe, Mamaui und Coudori abzustammen; diese
aber waren mit den Inkas verwandt, und also sind die
Bauern in San Sebastian auch Söhne der Sonne. Aber
der Glanz ist verschwunden, denn diese Leute gehen barfuß
und treiben Heerden von Schafen oder Llamas; sie verdingen
sich als Wasserträger oder Stallknechte, trinken viel Brannt-
wein und Chicha, kauen Coca und sind für den Fleiß keines-
wegs leidenschaftlich eingenommen.
Jenseit des Dorfes treten die Berge noch näher an
einander, und man sieht noch nichts von Cuzco. Links am
Wege steht der Baum des Abschieds, dessen Alter un-
bestreitbar ist. Die Sage behauptet, er sei vom Inka Capak
Pnpangui gepflanzt worden; in diesem Falle würde er in
die Mitte des zwölften Jahrhunderts unserer Zeitrechnung
hinaufreichen. Man bezeichnet ihn als Chachacnmayoc,
das heißt: Baum des Abschieds. Bis zu ihm wird ein
Mann, der von Cuzco aus eine längere Reise antritt, von
seinen Verwandten begleitet. Man ißt und trinkt dort, man
tanzt und singt Stunden lang; beim Abschiednehmen weint
man, tröstet sich jedoch leicht mit einer Despedida, einem
letzten Trünke.
Nach einem Ritte von ungefähr zehn Minuten fällt
der Blick auf ein eigenthümliches Gebäude, eine viereckige,
ganz abgeschlossene Masse Manerwerk, — das Kloster de
la Recoleta, welches ein kirchlich gesinnter Mann aus
Burgos in Spanien 1599 für die Franciskanermönche
bauen ließ. Diese haben das Kloster auch heute noch inne.
Zwar kann man nicht sagen, daß sie der Welt etwas nützen,
aber sie sind harmlose Menschen; der Bruder Pförtner strickt
Strümpfe, und der Reisende Marcoh, dessen unsere Leser
sich wohl erinnern (Globus III, S. 129 ff.), fand im Prior
einen würdigen Greis. ^ Seine Hautfarbe war braun wie
Mahagoniholz. Den jüngeren Mönchen sah er durch die
Finger und hatte nichts dagegen, daß sie in den Schänken
tranken und zuweilen mit den hübschen Indianerinnen Sama-
cuecas tanzten.
Unweit des Klosters de la Recoleta liegt eine von dem-
selben abhängige Beguinage, ein Beaterio; das Gebäude
ist durchaus anspruchslos, denn es besteht aus lehmbeworfenen
Wänden und einem Rohrdache. Zwei Nucchos (Salvia
splendens peruviana) mit bläulichen Blättern und purpur-
rothen Blumen erheben sich zu beiden Seiten der Eingangs-
thür. Drei alte Begumen sollen das Innere in Ordnung
halten; mehrmals im Jahre ziehen Processionen dorthin.
Das Beaterio liegt noch vereinzelt, aber dann kommt
man an eine ununterbrochene Reihenfolge von Meierhöfen
und Gärten, deren Mauern eine lange und enge Gasse bilden,
die sogenannte Vorstadt de la Recoleta. Dieses schmuzige
Quartier wird in der Mitte von einem Bache durchzogen,
der zumeist trocken liegt. An Schänken ist in dieser Vor-
stadt kein Mangel, denn die Hispanoperuaner sind dem
Trinken leidenschaftlich ergeben; sie können nicht leben ohne
Chicha, dieses starke Getränk aus gegohrenem Mais.
Nun ist mein endlich in Cuzco. Marquoh macht sich
lustig über die lyrischen Ergüsse, welche von anderen Rei-
senden ausgeströmt worden sind, sobald sie die Stadt der
Inkas betraten. Der Franzos nimmt die Dinge von der
lustigen Seite, sein Temperament ist ein ganz anderes als
jenes des Engländers Markham; er freut sich, daß die bis
dahin so trägen Maulthiere beim Einzug in die heilige
Stadt eine übernatürliche Kraft entwickelt hätten. Es war,
sagt er, als ob sie an jedem Bein eine Merkuriusschwinge
gehabt hätten; sie hielten die Ohren spitz, flogen gleichsam
hinweg über Löcher, tief ausgefahrene Geleise, Steinblöcke;
mau merkte es ihnen gar nicht an, daß sie acht und neunzig
Leguas gemacht hatten, so munter waren sie.
Also über Stock und Block kam der Reisende an die
Cueva Honda, das heißt die tiefe Grotte; sie bildet die
Fortsetzung einer steinigen Schlucht, durch welche der Bach
Sapi in die Ebene einströmt. Von diesem Punkt aus hat
man einen guten Ueberblick von Cuzco. Aber was sieht
man? Eine plumpe Masse von Steinen und Ziegeln, kaum
eine hervorragende, aus dem Gesammtgewirr hervortretcnde
Einzelnheit, keine fesselnden Umrisse. Cuzco hat durch die
Spanier sicherlich nichts gewonnen.
Man reitet durch das steile Quartier San Blas in
die Triumphstraße ein und kommt dann auf die Plaza mayor,
an welcher die Domkirche steht.
Cuzco ist im elften Jahrhundert von dem ersten Inka,
Manco Capak, gegründet worden. Sie wurde die Haupt-
stadt des Reiches, welches er stiftete. Der Sage nach lehrte
er das Volk den Ackerbau und die Anlage von Bewässerungs-
kanälen, und seine Gemahlin Mama Ocllo unterwies die
Frauen im Spinnen und Weben. Aber im heutigen Peru
und Bolivia war schon früher eine Civilisation, auf welche
jene der Inkas gleichsam aufgepfropft wurde. Für erstere
zeugen die vielen großartigen Denkmäler und Bauwerke aus
Zeiten, die weit über Manco Capak hinansliegen. Ein
Volk, das solche Monumente schaffen konnte, verstand sich
ohne Zweifel schon auf Ackerbau und Webekunst.
Man setzt Manco Capak's Auftreten in das Jahr
1021; er war der erste in der Reihe der Inkas, deren
letzter (der siebenzehnte), Tupac Amaru, 1571 starb. Im
Allgemeinen war der theokratische Despotismus der Inka-
Herrschaft mild und patriarchalisch in der Ausübung. Der
Sohn der Sonne war „Vater des Volks", das er bevor-
munden ließ; sein stolzester Titel war Huaccha cuyac,
d. h. Freund der Armen.
Die Bauwerke der Inkas hatten kleine, viereckige Fenster-
öffnungen und man sieht dergleichen noch heute in den Ruinen
Die Inka-Stadt Cuzco in Peru.
195
des Manco Capak-Palastes; als Dachbedeckung verwandte
man Achu, das lange Gras, welches im Gebirge wächst.
Das Innere bestand aus geräumigen Hallen, aus denen man
in kleinere Gemächer gelangte. Die Wände waren mit
goldenen Thiergestalten und Blumen von feiner, sehr ge-
schmackvoller Arbeit geziert. An steinernen Nägeln hingen
Spiegel aus hartem, glänzend pvlirtem Stein mit konvexer
und konkaver Oberfläche; in den Nischen standen Geräthe
oder Canopas, Hausgötter aus Gold und Silber, meist
nach phantastischen Zeichnungen, auch in der Gestalt von
Llamas, Maiskolben und dergleichen.
Pizarro' und dessen spanische Ranbgenossen, diese eisen-
gepanzerten, berittenen Banditen, waren erstaunt über die
Pracht, welche sie am Hofe zu Cuzco fanden. In dieser
Stadt sind noch Gemälde aus den ersten Zeiten der Er-
oberung vorhanden, auf denen die Inkas in vollem Ornate
dargestellt sind. Sie tragen ein Gewand aus feiner Baum-
wolle gewebt, einen Gürtel von Wollenzeug, der mit Figuren
gemustert ist, einen goldenen Brustharnisch, auch wohl eine
goldene Sonne um den Hals und ein langes, flatterndes
Gewand, das vom Nacken bis auf die Fersen hinabhängt.
Manche haben einen Kopfputz von Reiherfedern; ein
der Bodenlage eingetheilt in Hu rin, das obere Quartier,
und Hanau, das niedrige Quartier; gegenwärtig zerfällt
sie in sieben Bezirke, hat ungefähr 3000 Häuser und nicht
mehr als 20,370 Einwohner (nach anderen Angaben etwa
40,000). Mindestens eintausend von jenen Häusern sind
armselige Hütten, und davon reichlich fünfhundert Schänken.
In der Straße de las Heladerias wird vorzugsweise Eis
und Limonade verkauft; in ihr steht noch daö Haus, wo
gegen die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts der berühmte
peruanische Geschichtschreiber Inka Garcilaso de la
Bega geboren wurde. Als Marquoy dasselbe besuchte,
fand er das Erdgeschoß von einer braunen Wäscherin, das
Obergeschoß von einem einäugigen Indianer bewohnt, der
verschiedenen Hunden Kunststücke beibrachte.
An Kirchen und Klöstern ist bekanntlich in Städten, wo
das spanische Element sich geltend machen konnte, gar kein
Mangel; Cuzco zählt der ersteren nicht weniger als fünfzehn,
der letzteren sieben, wovon drei für die Nonnen. Alle diese
„Gotteshäuser" haben etwas Düsteres, das aber zu dein
rauhen Klima, dem oft sehr trüben Himmel und den Bergen
ganz wohl paßt. Auch im Innern sind sie zumeist recht
einfach in der Bauart, aber reich mit Kirchengeräthen von
Kloster de la Recoleta.
regierender Inka ist zu erkennen an einer karmesinrothen
Llautu, Franse, und der schwarz und weißen Flügelfedcr
des Coraquenque, eines Falken. Aus dem einfachen
Herrscherstabe Manco Capak's wurde späterhin ein eigent-
liches Scepter. Die Königinnen und Prinzessinnen trugen
den Lliclla, langen Mantel, der über der Brust mit einer-
langen Nadel befestigt war, und eine Spindel. Wir geben
eine Abbildung mehrerer Inkas und ihrer Frauen; schon
ein Blick ans die Gesichtsgestaltung reicht hin, zu zeigen,
wie rein widersinnig es ist, die Inkas ans China oder der
Mongolei abstammen zn lassen, sie überhaupt aus Asien
herzuholen. So edle Physiognomien hat nie, so lange die
Welt steht, ein Mensch von mongolischem Schlage gehabt,
nie eine solche Adlernase. iS. Seite 200.)
Die heutige Stadt Cuzco (Ccozoco der Inkas) nimmt
auf keinen Fall einen großer» Flächenraum ein als in den
Tagen der eingeborenen Herrscher. Sie bildet ein längliches
aber unregelmäßiges Viereck von Nordwest nach Südost; der
von der Cordillera de Sapi herabkommende Hnatany, ein
wildes, brausendes Bergwasser, scheidet die Stadt in zwei
ungleiche Hälften; während der Wintermonate ist er beinahe
trocken; er ist theilweise mit Mauerwerk eingedämmt, das
ans den Inkazeiten herrührt. Die alte Stadt war nach
Gold und Silber und Edelsteinen begabt. In der Kathedrale
ist der Hauptaltar ganz von Silber, und die Sakristei ist
überfüllt mit allerlei Kirchenschmuck „von fabelhaftem Reich-
thum." Eine der Kapellen dieses Doms ist dem Tenor de
los Temblores, dem Herrn der Erdbeben, geweiht. Durch
die spärlich angebrachten Fenster fällt nur sehr wenig Licht in
die Kirche.
Tie Indianer haben eine alte Sage, der gemäß sich
unter der Domkirche ein tiefer See befindet. Sein Wasser
bleibt das ganze Jahr hindurch ruhig, aber am 13. November
schwillt es an, siedet und brans't mit Geräusch an die großen
Platten und Quadersteine, welche den Fußboden bilden.
Es war am 13. November 1532, als der Freibeuter Pizarro
mit seiner christlichen Räuberbande in Cuzco einzog. Seit-
dem ist unermeßliches Unheil über die Bewohner des Inka-
reiches gekommen; die Barbarei feierte ihre scheußlichen
Orgien. Natürlich baute der Freibeuter Pizarro sofort
eine Kirche, die er von seinem Feldpater Vicente Valverde
weihen ließ. Aber im Jahre 1572 ließ der Vicekönig
Francesco de Toledo sie niederreißen, um statt ihrer einen
Doni zu bauen. Nachdem man große Summen dafür ans-
geworfen und volle fünfzig Jahre gearbeitet und immer und
immer Nachschuß gefordert und erhalten hatte, fragte endlich
25*
Jesilitenkirche in Cuzco.
Bild zeigt, was man für einen solchen Betrag geleistet hat.
Am 15. August 1654 ist dieser Dom eingeweiht worden.
An der rechten Seite der Kathedrale steht die „Triumph-
Kapelle ", die zuerst auch nur eine kleine Hütte war. Die ;
Indianer waren durch die abscheulichen Wüthereien der j
Spanier zur Verzweiflung gebracht worden und erhoben
unter der Leitung des Inka Manco, Huascar's Bruder,
die Fahne des Ausstandes. Eine Rotte der spanischen
die steinerne Kapelle gebaut. Am Tage Mariä Himmelfahrt
kommen nun alljährlich Indianer beiderlei Geschlechts vor
die Kapelle, stellen dort einen tragbaren Altar auf, singen,
tanzen, essen, trinken und berauschen sich zu Ehren der
„Jesu mamachay".
Im Jahre 1538 war Pater Viceute Valverde Bischof
von Cuzco. Selbst die Spanier bezeichnen ihn als einen
„Schinder"; er war ein Henker, voll des scheußlichsten
196 . Die Inka-Stadt Cuzco in Peru.
König Philipp der Vierte einmal an: ob man etwa die Dränger hatte sich, während Cuzco an mehreren Stellen
Kirche aus massivem Silber aufführe. Es ver- i brannte, in diese Kapelle geflüchtet, die aber nicht mit
gingen im Ganzen nicht weniger als zwei und achtzig Jahre abbrannte. Der Spanier will „Wunder" haben; jene
bis zur Vollendung des Baues, der, nach unserm Gelde ge- ! Tyrannen nun schrieben ihre Rettung auf Rechnung ihrer
rechnet, etwa 20,000,000 Thaler gekostet hatte. Unser „Mutter Gottes". Zur Erinnerung an das Mirakel wurde
Die Inka-Stadt Cuzco in Peru.
197
Fanatismus. Nachdem er als Bischof drei Jahre lang
schändlich gewüthet hatte, fielen die Indianer der Provinz
Quispicanchi über diesen „ Schinder" her und schlugen
ihn tobt
Zur rechten Seite der Plaza mayor, an deren Süd-
ostseite die Kathedrale sich erhebt, steht die Jesuiterkirche
ans der Stelle, wo einst der Palast des Inka Aupanqui und
die neben demselben befindliche Schlangenmenagerie war.
Sie ist in dem bekannten „Jesuiterstyl" aufgeführt, der sich
im ganzen ehemals spanischen Amerika wiederholt und so
entsetzlich frostig und kahl erscheint. Es ist gar keine
Phantasie darin. Die Vertreibung der Jesuiten aus Amerika
war kein Glück für die Indianer. Die Kirche in Cuzco
blieb seit den 1770er Jahren verlassen; als aber die Spa-
nier verjagt worden und die „Patrioten" Sieger waren,
schlugen diese die Thüren ein und verwandelten das Ge-
bäude in eine Wache. Späterhin ist sie wieder verschlossen
worden, und die meisten Bewohner von Cuzco kennen von
ihr lediglich die Außenseite.
Von der Priesterschaft in Cuzco entwirft der
Katholik Marcoy, der zehn
Jahre lang in Peru ver-
weilte, folgende Schilderung :
Kanonici, Pfarrer und Vikare
singen in den Kirchen zu
Gottes Ehre ein Latein, das
einen eigenthümlichen Ein-
druck macht. Im gewöhn-
lichen Leben sprechen sie
Quechua, und die gezoge-
nen Kehltöue, welche dieser
Sprache eigenthümlich sind,
überträgt man auch auf die
Aussprache des Lateinischen.
Diese Priester sind durchaus
weltmännische Leute, führen
ein lustiges Leben. Mit
ihrem Wissen ist es nicht
weit her, aber sie besorgen
den Unterricht der Jugend.
Das ist leicht genug. Der
Geistliche nimmt ein Lese-
buch der Geographie, Physik,
Mathematik rc. zur Hand und
studirt dasselbe. Diese Lehr-
bücher sind in Fragen und
Antworten abgefaßt, und diese muß der Schüler aus-
wendig lernen. Einzelne Priester beschäftigen sich auch mit
scholastischer, mystischer oder kanonischer Theologie, so weit
das eben reicht. Die meisten siud Eingeborene, Indianer
von reinem Blut oder Mischlinge; ihre Tracht wird durch
unser Bild veranschaulicht.
In Bezug auf das, was au Sitte und Lebensweise
schicklich sei, hat die südamerikanische Geistlichkeit ihre eigenen
Ansichten und Begriffe, welche von jenen, die man in Eu-
ropa für richtig hält, doch einigermaßen abweichen. Der
geistliche Herr hat „Nichten", deren Mutter aber von ihm,
natürlich nur Anstands halber, nicht etwa Schwester ge-
nannt wird, sondern die lediglich „Haushälterin" oder
„Gouvernante, Erzieherin" ist. Man bezeichnet das in
Cuzco als Ama de Llaves. Manche nehmen auch ein
Waisenkind zu sich, oder haben Erbarmen mit einer jungen
Wittwe, deren Kinder sie adoptiren. Das Alles geschieht
natürlich nur aus Nächstenliebe, aus Abneigung gegen die
Einsamkeit und aus dem Drange, welcher edle Naturen dazu
antreibt, sich mit Menschen zu umgeben, auf deren un-
geheuchelte Zuneigung man rechnen kann. Und deshalb
sorgen diese guten geistlichen Herren auch mit rührender,
wahrhaft väterlicher Zuneigung für solche Nichten und Er-
zieherinnen; sie theilen Alles mit ihnen, was sie haben;
sie gehen mit ihnen in die Kaufmannsläden und suchen die
hübschesten Putzsachen aus. Der Sektor Padre ist gut-
müthig; die Wittwe zeigt sich im Kaufmannsladen sehr-
dankbar gegen ihn. Aber zu Hause, in den vier Pfählen,
ist manchmal ein Gewitter. Wenn der Padre nicht gefügig
sich benimmt, oder nicht gekauft hat, was die Wittwe wünschte,
dann, sagt Marcoy, begegnet es ihm wohl, daß sie den
frommen Mann einen S i c a t er o, Rat o n oder Av ari en t e,
also einen Dieb, eine Ratte, einen Geizhals, schilt!
Ein wunderliches Exemplar wird von dem Reisenden,
wie er sagt, getreu nach dem Leben in folgender Weise
geschildert: —
Ein mir befreundeter Kanonikus, der nebenherPhilosoph
aus Instinkt war, bekleidete die Stelle eines Professors der
Experimentalphysik. Sein Studirzimmer befand sich in einer
Art von Speicher oder Stall und duftete nach ganz etwas
Anderm als nach Rosen.
Da war ein Durcheinander
von Büchern, Justrumenten,
Lumpen und Papieren, Staub
und Spinngewebe! Der Ka-
nonikus saß an seinem Ar-
beitstisch und trank beim
Studiren guten Cartonwein.
Dann und wann warf er
einen heitern Blick auf drei
„adoptirte" Kinder, welche
lärmend und schreiend sich
auf einer Blatte umherwälz-
ten. Die Mutter derselben
war eine Indianerin und
Köchin des Kanonikus. Die-
ser hatte den Kindern Namen
gegeben, welche er dem Pflan-
zenreich entlehnte. Der äl-
teste Knabe der Köchin wurde
K ü r b i s genannt, der jüngste
hieß Selleri und das Mäd-
chen Zanahoria, d. h. gelbe
Rübe.
Biele Wohnhäuser haben
als Grundlage Mauern, die
noch aus den Zeiten der Inkas herrühren und leicht daran
erkannt werden, daß mau sie nicht mit Kalktünche anstreicht,
während mau im klebrigen die Wände mit einer Hellen Farbe
überpinselt. Pizarro ließ viele Häuser niederreißen, aber
die Grundmauern blieben wo sie einmal waren. So ist nun
Cuzco in Architektonik, wie in Sitten und Bräuchen, oben
modern und spanisch, in Grund iinb Boden aber peruanisch
und heidnisch. Solch ein spanisches Gebäude ist eintönig,
plump, eisig, und bildet gewöhnlich ein Viereck, daseinen Hof-
raum einschließt. Eine Treppe führt auf der innern Seite
zu einer Galerie, und auf diese hinaus fuhren die Zimmer-
thüren. Nach der Straße hin ist ein Balkon angebracht.
Dann und wann sieht man an der innern Hofthür einige
Granitvasen, sogenannte Mazettes, in welche Blumen ge-
stellt werden, oder ein Gärtchen, in welchem Myrthen,
Dahlien, Astern und Nelken stehen.
Das Hausgeräth besteht aus Möbeln in altem spanischen
Style; sie sind aus dem vollen Holze geschnitzt, manchmal
auch mit Tulpen bemalt; hin und wieder trifft man auch
moderne Sachen. Vorhänge an den Fenstern kommen nicht
198
Die Inka-Stadt Cuzco in Peru.
oft vor, aber der Fußboden, welcher aus Argamaza, Estrich, !
besteht, wird mit dicken Teppichen belegt. Der Fremde be-
trachtet mit Interesse allerlei ans Spiegeltischen oder Kon-
solen ausgestellte Siebensachen, z. B. Statuetten von Inkas,
oder Gemälde aus der altern Zeit und seltsame Stamm-
bäume, welche ans den Wänden der Hausflur angebracht
werden. Manche Familien haben es schon bis zu einem
Fortepiano gebracht, das, einerlei ob Jemand im Hause
daraus spielen kann oder nicht, für ein Zeugniß von Civili-
sation und „Bildung" gilt.
Das Klima von Cuzco kann man nicht preisen; an
Hagel, Schnee und Regen ist kein Mangel, und das Sprich-
wort sagt, daß diese Stadt dreizehn Regenmonate im Jahre
herabfallen. Das gilt von beiden Geschlechtern; die In-
dianerin ist aber niemals geneigt, einen zerlumpten Rock
abzulegen, sie zieht den nenangeschafften über drei oder vier
alte, die nie gereinigt worden sind, und von gewissen Para-
siten wimmeln.
Vom Oktober bis zum Januar ist das Klima weniger
streng und unangenehm; der Himmel ist manchmal blau und
die Sonne scheint. Während dieses kurzen Sommers machen
die Cuzkenos Ausflüge, zum Beispiel nach den Thälern von
Aucay und Urubamba, wo sie Erdbeeren und Pfirsiche essen,
lustig trinken und sich an Flöten- und Guitarrenspiel er-
götzen. Andere gehen täglich nach Huancaro, einem Weiler,
neben welchem sich eine Badeanstalt befindet. Diese wird
Ein Kanonikus und Professor der Experimentalphysik.
habe. Aber die Leute dort haben weder Oefen noch Kamine
oder Wärmebecken. Die Senoras hüllen sich bei nassem
und kaltem Wetter in ihre wollenen Tücher und in Schleier
und die Caballeros in große Mäntel. Die Indianer beiderlei
Geschlechts tragen Hemden und Oberkleider von Wolle, und
obendrein lange oder kurze Mäntel; jene der Männer be-
zeichnet man als Llaeolla, die der Frauen als Llicclla.
Den innern Menschen erwärmt man in allen Städten reich-
lich mit europäischen Likören, Chicha und Zuckerbranntwein.
Unter einem so bewölkten Himmel und bei zumeist naß-
kalter Luft sind die Leute nicht eben für kalte Bäder und
Abwaschungen eingenommen, und der Indianer vermeidet
dergleichen ganz und gar; bei ihm ist das Reinigen von
Gesicht oder Händen schon eine Art von Luxus. Beim
Schlafengehen legt er die Kleider nicht ab; er behält sie
überhaupt ein- für allemal auf dem Leibe, bis sie in Fetzen
aber nur von Leuten benutzt, die in der Welt etwas vor-
stelleu.
Leute von unvermischt gebliebenem europäischen Blute
sind bekanntlich im ehemals spanischen Amerika nicht häufig
anzutreffen. Auch bei den „weißen^ Frauen in Cuzco über-
wiegt das indianische Element. Ihre Hautfarbe ist mehr
oder weniger braun und auch sonst erscheint die Tünche
europäischer Erziehung nur sehr oberflächlich. Die Sache
selbst ist augenscheinlich genug, aber man würde eine Dame
tödtlich beleidigen, wenn man auch nur entfernt ans india-
nische Abkunft anspielte. Jede will uns beweisen, daß sie
eine reine Andalusierin sei; wenn man sie näher kennt, zeigt
sie auch wohl ihren kleinen Schuh als unwiderleglichen Be-
weis dafür. Er ist allerdings zierlich und klein, er würde
für Aschenbrödel passen, aber in Bezug auf Rassenabstam-
mung will doch ein Schuh nicht eben viel beweisen. Uebrigens
Die Inka-Stadt Cuzco in Peru.
199
sind Frauen, welche ihre vierzig Iahre hinter sich haben,
aufrichtiger als die jungen. Die sprechen: „Wir sind In-
dianerinnen; wozu sollen wir das leugnen?" (8omos In-
dias, para que negarlo?) Dabei wird dann und wann ein
boshafter Blick ans die jüngeren Damen geworfen, besonders
wenn Europaer zugegen sind.
Jm Allgemeinen ist der Verkehr mit den Frauen in
Cuzeo recht angenehm; sie sind frenndlich und gutmüthig.
zu verstecken. Manchmal wird das Gesicht auch mit Eiweiß
und kölnischem Wasser eingerieben.
Die Männer sind empfindlich, mißtrauisch und gegen
Fremde sehr zurückhaltend. Sie müssen wohl die physische
und geistige Ueberlegenheit des Europäers anerkennen, aber
sie fühlen sich dadurch in ihrer Eitelkeit gekränkt. Die Un-
terrichtsmethode ist verkehrt und völlig veraltet; die jungen
Männer werden angehalten zum Studium der Theologie
Indianischer Priester und Seminarist in Enzco.
Von großer Weltbildung kann freilich bei den meisten keine
Rede sein; sie leben in einer Stadt, die keinen Brennpunkt
der Civilisation bildet, und sprechen das Spanische nicht
eben geläufig. Auch kommen sie nicht häufig aus dem
Hause, und ein Fremder, besonders ein Europäer, ist alle-
zeit ein willkommener Gast. Die Frauen aus dem Mittel-
stände tragen noch die Kleidung, welche in den Zeiten der
spanischen Bicekönige Mode war, jene dagegen, welche sich
zur Aristokratie rechnen, kleiden sich europäisch und legen
weiße und rothe Schminke auf, um die braune Hautfärbung
und dessen, was man in Peru Philosophie, Naturrecht
und kanonisches Recht nennt; dagegen legt man auf das
Erlernen der alten und neueren Sprachen, auf die Natur-
wissenschaften oder die Literatur wenig oder gar keinen Werth.
Ein junger Cuzkeno wird am liebsten Advokat; wenn er
das einmal ist, kann er Alles werden, selbst Brigadegeneral
oder Präsiveut.
Die wissenschaftlichen Anstalten in der Jnkastadt sind
hochberühmt— in der ganzen Sierra zwischen dem 15. und
18. Grade südlicher Breite. Die 1692 gegründete Univer-
200
Die Inka-Stadt Cuzco in Peru.
Coya Mama (scalmana.
Manco Ecapac, erster Inka. 1021.
Lloqne Aupanqui, dritter Inka
Coya «tama Ocllo Huacco
Die Inka-Stadt Cuzco in Peru.
201
sität hat einen Kanzler, Rektor, Vicerektor, Studiendirektor,
Sekretair, drei Professoren, einen Schatzmeister, zwei Pedelle
und einen Thürsteher. Die Professoren tragen vor: Theo-
logie, kanonisches Recht und Logik! Neben dieser „Univer-
sität" besteht ein Kollegium der Wissenschaften und Künste;
die Schüler desselben lernen Latein, Spanisch, Philosophie,
Rechtschreibung, auch werden ihnen „Vorträge über Höflich-
keit und sittsames Benehmen" gehalten.
Die erste Buchdruckerpresse kam nach Cuzco im Jahre
1822 und zwar durch den spanischen Vicekönig La Serna,
welcher vor den „Patrioten" dorthin geflohen war. Biblio-
thek und Museum sind in einem armseligen, durchaus ver-
wahrlosten Zustande. Auch der öffentliche Spaziergang,
die Alameda, ist ohne alle Anmuth; neben demselben
befindet sich der Begräbnißort, welcher mit jenem zu Bar-
celona, der früher im Globus geschildert worden ist,
einige Aehnlichkeit hat. Man schiebt die Todten in die
Manerzellen. Theater und
dergl. Belustigungen sind in
Cuzco unbekannt.—
Wir wollen diesen Schil-
derungen Marcoy's einige
Bemerkungen aus Mark-
ham's Buche beifügen, weil
sie ein günstigeres Urtheil
enthalten; der Engländer
äußert sich milder als der
Franzose und kann jenen er-
gänzen. Er sagt:
Die jungen Damen von
Cuzco sind fast durchgehends
schön, von regelmäßigen Ge-
sichtszügen, frischer, oliven-
brauner Farbe, Hellen und
lang gewimperten intelligen-
ten Augen und füllereichem,
schwarzem Haar, das sie in
zwei Zöpfe geflochten zu
tragen pflegen. Sie sind
fein gebildet; wie denn auch
Cuzco eine von Bolivar ge-
gründete hohe Schule für
junge Damen hat, an deren
Spitze eine Frau Rektorin und Professorin der Religion,
Moral, Arithmetik und Stickerei steht. Ihre völlige
Abgeschiedenheit aber hat ihnen ein einfaches und offenes
Wesen bewahrt, mit welchem sie sich im geselligen Umgänge
bei herzlicher Freundlichkeit höchst liebenswürdig zu machen
wissen. Dasselbe günstige Urtheil kann ich von den
jungen Männern fällen, die ich als höfliche, anständige
und intelligente Leute kennen gelernt habe.
Im Jahre 1848 wurde in Cuzco ein Museum und
eine Bibliothek errichtet; das erstere enthält viele Jnka-
Alterthümer, die letztere zählt 9000 Bände.
Die Häuser der Stadt sind im Erdgeschoß meist zu
Läden verwendet. In der ersten Etage wohnt die Familie.
Vom Hauptgemache nach der Straße zu führen Flügel-
thüren auf den Balkon heraus. Die eigentlichen Wohn-
zimmer befinden sich um den Hof herum. Das Zimmer-
Die Beguinage de la Recoleta in Cuzco.
geräth ist elegant. Man sieht viele schöne altmodische
Stühle, mit Perlmutter ausgelegte Schränke und fast überall
ein Pianoforte. Das letztere gehört zu den überseeischen
Artikeln und ist wegen des Transports kostbar. Denn
da es für diesen kein Fuhrwerk irgend einer Art
giebt, so müssen die Instrumente von der Küste ab auf
den Schultern der Indianer in das Innere und über die
Andenpässe geschafft werden.
Die mittleren und niederen Klassen der Einwohner-
schaft von Cuzco sind fleißig und betriebsam; besonders
große Geschicklichkeit besitzen sie in Tischlerarbeiten und im
Holzschneiden. Sophas, Tische und Schränke von den
köstlichen Hölzern aus der Montana gefertigt und mit
reichem Schnitzwerk geziert, können nach Zeichnung und
Ausführung mit dem Ameublement der Staatszimmer zu
London und Paris wetteifern. Außerdem werden viele grobe
Zeuge gewebt, und es wird mit den Erzeugnissen der be-
nachbarten Wälder ein leb-
hafter unv ausgebreiteter
Handel betrieben.
Die Indianer in ihren
malerischen Trachten, wenn
sie die großen Llamaheerden
durch die Straßen treiben
oder mit ihren jungen Frauen
auf beras'ten Bergabhängen
sitzen, gewähren einen reizen-
den Anblick. Ihre weh-
müthigen Lieder, die sie mit
einer kleinen Guitarre be-
gleiten und die so traurig
durch das stille Gefilde hin-
tönen, und die trüben, nieder-
geschlagenen Blicke, mit wel-
chen sie beim Weiden ihrer
Heerdcn das Auge auf den
Festungstrümmern ihrer
Ahnen ruhen lassen, ver-
leihen diesen schwer ver-
letzten Stämmen ein In-
teresse, wie man es man-
chem glücklicher» Volke nicht
zuwendet.
Cuzco kann aber doch eine Zukunft haben, welche ihm
die alte verlorene Herrlichkeit noch einmal zurückbringt: die
Hoffnung weist nach Osten hin, aus die unerschöpfliche
Fruchtbarkeit seiner riesigen Wälder, aus seine breiten, dem
Amazonenstrome zusließenden Wasserstraßen und auf den
Unternehnmngsgeist des sächsischen Volksstammes, alles viel-
versprechende Quellen eines künftigen Wohlstandes. Wenn
einst die mächtigen Gewässer, deren Cordillerenzuflüsse Cuzco
von allen Seiten umgeben, gehörig durchforscht und für die
Schifffahrt eröffnet sein werden, welche Aussichten lichten
sich dann für die Industrie und das Aufblühen der alten
Inka-Stadt! Das innere Peru ist dann nicht länger mehr
durch die eherne Andenschranke von der Welt abgeschnitteu,
es kann seine Produkte auf kurzem, geradem und bequemem
Wege nach Europa senden, und Cuzco erhebt sich noch ein-
mal zur Hauptstadt von Peru.
Globus IV. Nr. 7.
26
202
R. Hartmann, Skizzen aus Aethiopien.
Mine» aus Aethiopien.
Von vr. Robert Hartmann.
Erster Artikel.
Eine Sommernacht in der sennLrischen Steppe. — Die Beduinen. — Abu-Rüf. — Lagerstelle. — Gastfreie Leute. — Das Hirtenleben.—
Die Aethiopier des Nilgebietes. — Schwache arabische Einflüsse. — Körperliche Merkmale, Trachten, Sitten, Nahrung. — Der Vieh-
stand ; Reitochsen. — Jagden; der Strauß. — Kriegszüge. — Der Großhäuptling.*)
Die Abu-Rof-Beduinen in Sennllr.
Am 10. Juni 1860 waren Freiherr A. v. Barnim und
ich auf der Rückkehr von einer Exkursion nach dem Ghnle-Berg
in Inner-Sennllr zu den Ufern des Blauen Nils begriffen.
Wir durchritten an diesem Tage die Steppen- und Wüsten-
gegenden, welche sich zwischen dem Djebel-el-Djerebln und dem
Fluß erstrecken (120 n. Br.). Die Nacht dunkelte herein. Die
scheidende Sonne strahlte noch für Minuten in jener unnenn-
baren Glorie, die den Abendhimmel des tropischen Afrika
ziert; Gewitterwolken, über den südöstlichen Horizont gehrei-
tet, violet und umberbraun, zeigten sich von Gold und Purpur
umsäumt. Die Schatten unserer Kameele verschwammen
auf dem in der Tagesglut hartgedörrten, mit Geschieben
und Kies überdeckten Boden, auf welchem gelbliche Flecke
verdorrter Grasbüschel und dunkle Akazienbüsche kaum noch
sichtbar sich abhoben. Leise säuselte der Ab'endwind in den
sparrigen Dornzweigen des Hedjelldj (Balanites). Schrillend
tönte das Gezirp des capschen Heimchens. Sonst erinnerten
nur das Knistern dürrer Halme unter den breiten Sohlen-
ballen der bedächtig einherschreitenden Kameele, und hin und
wieder ein kurzes Wort, welches von den Soldaten unserer
Bedeckung mit den Treibern gewechselt ward, daran, daß
lebende Wesen in der Ungeheuern Einöde seien.
Wir wollten heute nicht gern ohne Zelt im Freien kam-
piren, wie vierzehn Tage vorher in derselben Gegend ge-
schehen. Ein furchtbares Gewitter hatte uns damals heim-
gesucht und bis zum letzten Faden durchnäßt. Heut aber
schwankten vier unserer Leute, an der Ruhr erkrankt, im
Sattel und mit Sorge spähten wir nach einem Murllhh
oder Aufenthalt, Lager, von Beduinen, welcher uns Obdach !
gewähren könnte. Da schlug das Getrampel herannahender
Dromedare an unser Ohr. Wir erkannten tut Zwielicht
einen schlanken brauen Manu, das runzelige Antlitz von
ergrauendem Bart umsäumt. Zwei schwerbewaffnete, schwarze
Knappen, das butterglänzende Haar hoch anstoupirt, folgten
ihm auf leichtgebautem Hedjin. **) Das übliche Grußeere-
moniel fand zwischen den Ankömmlingen und uns statt.
Jene waren der Katib — Sekretär — des Schöll) Jdrls,
Häuptlings der Abu-R6f-Beduiuen und seine zwei
Diener. „Dort in der Steppe, geradeaus, dann zur Linken",
sagte der von uns befragte Katib, „trefft Ihr ein Lager
unserer Jungen (Awlad); bei denen bleibt in demSchokabat
(Mattenzelten) zur Nacht. Jahdlne n jahdlkum Allah
n Salllm — Gott geleite uns und Euch, und vielen Gruß."
Fort war er.
Wir zogen in der angegebenen Richtung weiter. Die
Sonne verschwand hinter dem Horizonte. Nacht lagerte
*) Der Herr Verfasser hat in der „Reise des Freiherrn
Adalbert von Barnim durch Nordost-Afrika in den Jahren
1859 und 1860", beschrieben von feinem Begleiter vr. Robert
Hartmann, Berlin 1863, die Abu-Rüf S. 556 bis 558 kurz ge-
schildert. Hier giebt er eine umfassendere Darstellung. A.
**) Plur. Hudjün, d. h. Reitkameel, zu unterscheiden von
Djemel, dem gemeinen Lastkameel.
sich über der Atmnr—Wüste *). Die Grillen zirpten lauter,
zuweilen ertönte in der Ferne weinerliches Geheul der D ij üb
(Schakale). Im Südosten flammte und zuckte es nun von
Wetterleuchten. Stehende grünliche und violette Phosphor-
säulen, fuhren die Blitze zum Erdboden. O diese Hellen,
lange stehenden Blitzsäulen! Endlich strahlte uns röthlicher
Feuerschein zur Linken entgegen. Bald unterschieden wir
bei seinem Glanze, zwischen dornigem Akaziengestrüpp, einige
Maulwurfshügeln gleichende Gebilde, die Zelte von Be-
duinen. Bellen der Hunde, Brüllen der Rinder, Blöken
der Schafe schlugen au unser Ohr. Um das Feuer her
hockten hagere, dunkle Gestalten, die markirten Züge von
wirrem Lockenhaar umwallt. Bei Annäherung unserer Ka-
rawane griffen einige dieser Nomaden nach ihren im Boden
steckenden Lanzen, sprangen in die Büsche vor uns und, eine
Gladiatorenstellung annehmend, krähten sie ihr: Min de-
6-de — Woher? Khabar-s — Was giebt's? Wenige
Worte des an unserer Spitze reitenden Sergeanten Bedawi
beruhigten die mißtrauischen Steppensöhne. Sonores Mar-
ls ababak "ascherah— Zehnfach willkommen— tönte aus
Aller Mund. Man kam, half dem Baron von seinem
Beschari- Dromedar, mir vom Maulesel, nahm uns
voll Grazie bei der Hand und führte unter süßlichen Er-
gebenheitsversichernngen die türkischen Essendes — dafür
hielt man uns — zu den Zelten. Knurrend umschnüffelten
uns langohrige Windspiele. Einige alte Vetteln schoben
ihr gefurchtes Antlitz unter den Matten hervor und stierten
die Fremdlinge an; junge, herrlich gewachsene Dirnen im
Backsischalter, die braunen Elfenglieder mit dem Franzen-
gurte geschmückt, stoben bei unserer Annäherung schreiend
von dannen.
Schnell waren die Kameele abgeladeu, unsere Gepäck-
stücke, zum Schutze vor nächtlichem Durchnäßtwerden, auf
einige Hedjelldj-Aeste gestellt und mit groben Matten belegt;
wir selbst streckten die von langem Ritt ermatteten Glieder
auf der harten Schlafstätte des Zeltes aus und nahmen die
Kürbisschalen voll fetter Milch in Empfang, welche von
den Nomaden mit pathetischem „ B i s m i l lll h i e r-R a ch man
er-Rachlm — tut Namen Gottes, des Gnädigen und
Barmherzigen" gereicht wurden. Bald flackerte auch unser
Feuer und auf dem Eisenroste brodelte das Abendbrot gar,
nämlich etwas Reis und eine halbe Nashorngans **) von
Djereblns Regenteichen.
Oefteres Anschlägen der Hunde, Brüllen der Rinder
und fernes Raubthiergeschrei wiegten uns ein. Nachts
prasselte Regen auf die Mattenzelte hernieder und fegte
uns unter der leichten Decke hinweg in's Gesicht. Von
diesem Tropfbad erwachend, höre ich Getrampel, wie wenn
eine Schwadron Reiterei vorüberziehe. Ich wecke den in
einem neben unserm Zelte befindlichen Takht-Rewan (Kameel-
sänfte) schlafenden Soldaten Koko und mache ihn auf das
*) Die Eingeborenen nennen diese öde Landschaft: El Atmür,
d. h. die Wüste, obgleich dieselbe durchaus nicht kahl und ohne
Vegetation ist. Man könnte sie noch eher als eine dünnbewach-
sene Steppe bezeichnen.
**) Sarkidiornis melanotos.
R. Hartmann, Skizzen aus Aethiopien.
203
Geräusch aufmerksam. Der Schwarze reibt sich schlaftrunken
die Augen. „Jst's wohl die Baqr-el-GhübahJ,
Koko, mein Junge?" Koko neigt sein Ohr zur Erde und
horcht. „Nein, nicht die Baqr-el-Ghckbah, sondern sehr
große Thiere, Elephanten oder doch Giraffen, gehen zum
Bahhr (Fluß)." Dann sinkt er zurück und wenige Minuten
später tönt sein Schnarchen wie das Knarren einer stumpfen
Holzsäge. Morgens darauf wird Alles schon früh munter.
Man melkt und reicht uns wieder Milch. Nun können
die neugierigen Weiber nicht länger an sich halten, werfen
das staub- und fettbedeckte Umhängetuch über die Schultern
und besehen uns, über den vor's Gesicht gehaltenen Tuch-
zipsel hinwegschielend. Auch die nackten Knaben und
Mädchen umdrängen uns „Türken". Wir rufen: Tale ya
Woled, täte ya Bint (Komm, Junge; komm, Mädchen)
und endlich wagen sie sich heran. Sie tasten und zupfen
vor Allem bedächtig an unseren hohen, gelbledernen Reit-
stiefeln, klappen sie auf nieder. Einer hat's endlich weg.
bläht die Naslöcher und ruft den Spielkameraden enttäuscht
zu: Lachme musisch-de (Kein Fleisch das) — nur Leder.
Hatten doch die schwarzen Soldaten den unwissenden No-
maden vorgeredet, die Stiefel seien die büffelartige Haut
unserer Beine! Nun holen wir einige kleine, in Bronze ge-
faßte Spiegel und zolldicke Milchglasperlen für die Kinder
hervor, die denn des Jubilirens kein Ende finden können.
Unterdessen ist das Gepäck auf die kläglich brüllenden und
gurgelnden Kameele geladen worden; wir sitzen auf. Die
Beduinen umdrängen uns zum Abschiede. Bezahlung ver-
weigern sie, schütteln uns die Hände, zwinkern freundlich mit
den Augen und wünschen uns gute Reise. Einer derbraunen
Hirten gürtet die fettstarrende Toga fest, wirft das mächtige
Schwert über die linke Schulter und schreitet voran, uns
auf den richtigen Weg zu bringen.
So fanden wir sie größtentheils, diese Beduinen in
Ost-Sudan, schlicht, treuherzig und gastfrei, auf den Gras-
ebenen der Bejüdah und in den Wäldern Sennars. Lernen
wir sie nun noch näher kennen.
Die Nomaden, unter deren gastlichen Zelten wir die
Nacht vom 10. bis 11. Juni verlebt, gehörten dem großen
und mächtigen Stamme der Abu-N6s oder Rnsai an.
Dieser hat seine Wohnsitze im Innern der zwischen dem
Blauen und Weißen Nil gelegenen Landschaft Sennar, etwa
vom 13? N. Br. an südwärts, gegen die Berge der südlichen
Funds und der Berthat hin. Die Abu-Ros sind Beduinen,
Hirten, treiben als Hauptbeschäftigung Viehzucht. Sie
führen, wie sämmtliche nubischen und sennarischen Hirten-
völker, den (arabischen) Kollektivnamen 'Urban, Sing.
'Arab, was gleichbedeutend mitBeduan, Sing.Bedawi,
d.h. „Hirt" ist, also einen umherschweifenden Viehzüchter,
im Gegensätze zum seßhaften Ackerbauer, den Fellahh (oder
auch Hodherl), charakterisirt. Auf die Nationalität des
'Arab hat diese Bezeichnung ganz und gar keinen Bezug.
Fast alle bisherigen Reisenden haben freilich dem Namen
'Arab,'Urban eine völlig andere Bedeutung untergelegt, als
er in der That in sich schließt. Man wollte nämlich daraus
erkennen, daß die Beduinen des innern nordöstlichen Afrika
eingewanderte Bewohner der arabischen Halbinsel, also
wirkliche „Araber", nicht eingeborneAfrikaner, seien. Man
ließ sich bei solchen Annahmen nicht allein durch Miß-
deutung der Benennung 'Urban, sondern auch durch unzu-
verlässige historische Nachrichten und mancherlei trügerische
Schlüsse leiten. Die Priester (und zugleich Nechtsgelehrten
— Fuqahck —) in Nubien und Sennar nämlich haben
*) D. h. „Waldkuh", eine Antilope mit leierförmigen Hör-
nern (^clenata laueatl^).
die Eitelkeit, den Ursprung derjenigen Stämme, zu welchen
sie selbst gehören, nicht allein aus Hidjaz, sondern auch
sogleich vom Propheten selbst und von dem berühmten
Stamme derBenl-Ouresch (Kore'tschiten) ableiten zu wollen.
Diese Eitelkeit, ein Scherls, ein Nachkomme Mo-
hammed's sein zu wollen, findet sich unter fast allen Be-
wohnern des mohammedanischen Afrika, mögen dieselben
auch noch so schwarz von Farbe, noch so stumpfnasig sein,
; noch so wenig Anspruch auf eine derartige Abkunst machen
können. Viele verständige Beduinen Sennars wollen
freilich von solcher arabischen Abkunft gar nicht einmal
I wissen und meinen, ihre Vorfahren hätten ihren Boden
stets innegehabt— m in-zamün— von Alters her,— wie
sie sagen. Freilich sind, mit und nach dem Eroberer'Amru-
el-'Ayl, arabische Heere und Wanderhorden nach Afrika ein-
gedrungen und haben sich hier, besonders an den Küsten-
ländern des Mittelmeeres, niedergelassen. Abtheilungen
dieser Eindringlinge sind nilaufwärts gezogen und dann
im Laufe der Jahrhunderte in der Masse der eingeborenen
Bevölkerungen aufgegangen, keineswegs aber als selbständige
Stämme, rein und unvermischt, erhalten. Mit ihnen haben
aber der Islam und die arabische Sprache, die Sprache
des Qurün (Koran) Eingang gesunden. Daher trifft
man jetzt im Innern von Nordost-Afrika so viele (mo-
hammedanische) Volksstämme, welche sich der arabischen
Sprache, auf Kosten ihrer eingeborenen Idiome, als Ver-
kehrssprache und bei ihren religiösen Uebnngen bedienen.
Denn in afrikanischen Schriftsprachen, wie Geez, Am-
hüra u.s.w., epistirt das islamitische Glaubensbuch nicht; der
eingeborene Mohammedaner muß daher arabisch beten.
Das aber verschafft der Sprache des Propheten in diesen
Gegenden den allmäligen Sieg über die einheimischen
Sprachen.
Die Annahme mancher Reisenden, unsere Beduinen
j ähnelten Zug um Zug den Hidjüz-Arabern, ist völlig aus
j der Luft gegriffen. Nein, diese Nomaden gleichen
vielmehr Zug um Zug den alten Antochthonen des
Nilthales, wie sie uns besonders in den Wandmalereien
und Reliefdarstellungen der meroitischen Baudenkmäler zu
Naqü und an den Misawwarüt-e'-Marüqck u. s. w. ent-
gegentreten. Es ist dies der specifische Typus der
Aethiopen des Nilgebietes, mit welchem übrigens
auch noch andere oft- und west-centralasrikanische Völker-
typen eine gewisse Aehnlichkeit zeigen.
Die im Innern von Nordost-Asrika hausenden Beduinen
sind also afrikanische Ureingeborne, Kinder ihres
Grundes und Bodens, auf dessen grasigen Steppen sie
schon „von Alters her" der Zucht echtafrikanischer Hans-
thiere, des Buckelrindes, der langohrigen Ziege, des
Fettschwanzschafes und Windhundes obgelegen. Sie
sind, wie aus Vielem gefolgert werden darf, zum Theil die
politisch und social herabgekommenen Epigonen jener
hellfarbenen Aethiopen, aus deren Mitte ehedem
das blühende Reich Meroö hervorgegangen.
Kehren wir nun, nachdem wir die Abstammung der
sennürischen Beduinen im Allgemeinen kennen gelernt, zu
unseren Abu-Ros im Besondern zurück. Dies sind durch-
schnittlichrechthübsch gewachsene, mittelgroße Menschen von
angenehmer, sehr regelmäßiger Gesichtsbildung. Stirn und
Hirnschädel sind gut gewölbt, die Augen weit geschlitzt, die
Nase gerade oder sanft gebogen, die Lippen fleischig, das
ganze Antlitz ist etwas länglich. Hand und Fuß klein, zier-
lich, Brust breit, Arme und Beine sehr schlank. Das etwas
starre Haar wächst lang und voll, der Bart dagegen nur
dünn. Der Ausdruck der Physiognomien hat etwas Wildes,
Keckes; nicht selten trifft man aber auch jüngere Männer
26*
204
R. Hartmann, Skizzen aus Aethiopien.
mit milden, intelligenten Zügen, wahre Christusköpfe. Die
Weiber haben in früher Jugend weiche, hübsche Gesichter
mit feinen Zügen; alter werden sie sehr häßlich, diö Züge
werden dann breit und gemein, ihre Gestalten hager, die
Brüste schlaff, hängend, der Bauch wird aufgetrieben. Die
Hautfarbe der Abu-Rof ist ziemlich hell, bronze-
brau n, mit Röthlichbraun üb erflogen, oftmals ent-
schieden kupferröthlich, bald Heller, bald dunkler.
Mau findet heutzutage kein eigenes Idiom mehr bei
den Abu-Rof. Dieselben bedienen sich eines mit Funqi-,
Denqa- und Bedjah-Wörtern so reichlich gemischten Arabisch,
daß selbst der Kundige sie nur mit Mühe zu verstehen ver-
mag. Die Männer tragen das Haar in langen, wirren
Locken herabslatternd, seltener in mehrere dicke Zöpfe gelegt,
welche durch einen Haarknoten am Hinterhaupte vereinigt
werden. Ihre Tracht besteht meist nur in der Ferdah
oder Tob, einem 10 bis 11 Ellen langen, weißbaumwolle-
nen Zeugstücke, an den schmalen Enden ausgefasert und
roth oder blau gestreift. Dies Kleidungsstück wird auf eine
unbeschreiblich mannichfaltige Weise um Schultern und
Hüften drapirt, gewährt aber stets einen sehr malerischen
Faltenwurf. Zuweilen kommt noch eine zweite Tob hinzu.
Nur Wenige tragen noch ein Paar bis zur halben Wade
herabreichender, im Schritte weiter Hosen von weißer Baum-
wolle; ein weitärmeliges Hemd von gleicher Farbe dient als
Festtagsputz. Der Kopf bleibt unbedeckt, lieber die rechte
Schulter wird ein linkerseits herabhängendes Fell von
Schaf, Ziege, Antilope, Leopard, Wildkatze u. dgl. geschla-
gen, welches gelegentlich als Sitzteppich, zum Gebet u. s. w.
dient. Die Weiber flechten ihr Haar in viele feine Zöpfcheu,
gleich den alten Aegypterinnen, und konserviren diese zier-
liche Haartracht Nachts dadurch, daß sie, wie jene es ge-
than, ihren Hals beim Schlafen in einem ausgehöhlten
Schemelchen bergen, dem Uls der Alten. Blaue, weiße,
schwefelgelbe und karmesinrothe Perlen von Glas und Bern-
stein, sowie niedliche Goldplättchen werden durch das Haar
geflochten. Unverheirathete bedienen sich des schon früher
(Bd. IV, S. 6) beschriebenen Ra ad, dessen Lederstreifcheu
oft sehr niedlich gedreht sind. Verehelichte dagegen winden
einen Baumwollenlappen, Qumbär, um die Hüften. Ein bis
zwei Tobs werden um den Körper geschlagen und ein Zipfel
derselben wird beim Anblick Fremder vor das Gesicht
gezogen, obwohl man es hier mit dem Verschleiern keines-
wegs streng nimmt.
Die Putzsucht, das Erbtheil aller Töchter Eva's Unter
der Sonne, veranlaßt auch die Beduinenweiber zum Be-
hängen mit unterschiedlichem Tand: Halsschnüren von Glas-
perlen und Obersteiner Achatstückchen (Sümmuth), Arm-
ringen von Elfenbein, auch Gold und Silber, metallenen
Knöchelringen u. s. w. Die Augenlidränder werden nach
altägyptischer Sitte mit Kohhl geschwärzt. Man thut diese
Schminke in kleine Büchschen aus Domfruchtkernen (El-
Bkdhe-el-'Ajün) und trägt sie mit einem alten Draht
oder Nagel auf. Die Lippen werden blau tätowirt, und
durch diese Malerei, so wie durch goldene und messingene
Nasenringe, wird manches von Natur wohl leidliche Gesicht
zur erbärmlichsten Fratze verunstaltet. Jeder Beduine, Mann
und Weib, erhält in der Jugend je drei schräge Einschnitte
auf Wange und Schläfe; weshalb, scheinen die Leute selbst
nicht zu wissen, aber es ist dies, wie so Manches, alther-
gebracht und bei allen Bewohnern Nubiens und Sennürs
in Gebrauch. Sandalen, oft zierlich ausgenäht und mit
dicken Sohlen versehen, trifft man bei Männern und Frauen.
Sehr verbreitet sind hier Amulete, d. h. Quran-Sprüche,
aus Papierschnitzel geschrieben und in niedliche Lederkapselu
genäht, welche theils um den Hals gehängt, theils an
dem Ellenbogen, an den Hand- und Fußgelenken befestigt
werden. Dieser Plunder, Hedjckb genannt, soll gegen alle mög-
liche Zufälle des Lebens, gegen Krankheit, Verletzung, Ver-
luste u. s. w. schützen, aber auch Glück in der Liebe, im
Krieg u. s. w. herbeiführen. Die Männer tragen außer
diesen Hedjllb noch ellenlange Gebetschnüre von Ebenholz-
perlen und falschen Korallen um den Hals gewickelt.
So lange die Kleider des Beduinen noch neu und rein,
sehen dieselben recht schmuck aus. Leider nehmen sie durch
Schmutz und Staub alsbald eine graubraune Färbung an.
Diese Leute sind nämlich sehr unsauber, waschen sich selten,
salben sich jedoch desto häufiger mit frischer Butter ein, die,
leicht ranzig werdend, Körper und Kleidern einen unerträg-
lichen Geruch mittheilt.
Fast niemals erscheint ein Rüfckl unbewaffnet. Der
gebuckelte, kreisrunde oder längliche Schild, ersterer aus Ele-
phanten- und Büffel-, letzterer aus Antilopen- oder Giraffen-
haut verfertigt, eine oder zwei Lanzen mit Bambusschaft
und scharfer, häufig mit Widerhaken besetzter Spitze, endlich
der gerade Dolch (Sekkin, Quyy), am linken Ellenbogen be-
festigt, begleiten den Beduinen überall hin. Zu Schutz und
Trutz dienen ferner noch der Söf oder das lange, gerade
Schwert mit Kreuzgriff, welcher über der linken Schulter
hängt, das zackige Wurfeisen der Fundj und die den Tuqck-
Stännuen entlehnte Djembieh, ein Dolch mit 8-förmig
gebogener Klinge, welcher mittelst eines breiten Ledergurtes
an die rechte Seite angeschnallt wird.
Die meisten dieser Beduinen ehelichen nur eine Frau,
die sie von den Eltern um einen in Rindern, Kameelen, auch
baar an Geld bestehenden Ehezins (Makhr) kaufen. Sie
scheinen in Bezug auf Mein und Dein der Frauen strenge
Ansichten zu haben und keineswegs der in ganz Sennür
sprichwörtlichen Leichtfertigkeit der Hasanieh-Nomaden zu
huldigen. Als Konkubinen wählen sie gewöhnlich geraubte
Negersklavinnen, mit denen sie die hübschen, körperkräftigen,
dunkelfarbigen Mischlinge zeugen, die man nicht selten unter
ihnen bemerkt. Diese mit Sklavinnen erzeugten Kinder
werden stets wie die legitimen behandelt.
Die Abu-Rüf wohnen in leichten, ohne Mühe abtrag-
baren Zelten, (Schokabut) oder, noch häufiger, Brüsch
genannt, so nämlich nach den Matten, Brüsch, aus denen
sie konstruirt werden. Eine Schokabah besteht zunächst aus
mehreren Holzstäben, welche, in die Erde eingelassen, an ihren
gabelförmigen Enden eine horizontale Stange tragen, lieber
diese werden zwei große, an den Rändern mit netten, braun-
rothen und schwarzeü Mustern versehene Matten ausge-
breitet und durch ausgespannte Bastschnüre im Gleichgewicht
gehalten. Unter den Matten der Schokabah erhebt sich der
Serir, d. i. ein breiter, aus der Länge und Ouere nach
eng aneinander gefügten, gespaltenen Rohrstäben verfer-
tigter, leicht transportabler Rahmen, der auf rohen Holz-
böcken ruht und den Bewohnern des Zeltes als Sitz und
^chlafraum dient. Reichere bedienen sich statt des Serir
eines oder mehrerer "Anaqerib. (S. S. Z). An den Holz-
stangen der kaum mannshohen Schokabah sind Päckchen
von roher und gesponnener Baumwolle, von zersplissenen
Dom-Palmblättern zum Mattenslechten, mit Schnüren um-
gebene Straußeneier, lederbezogene Körbchen, einige Djer-
blln oder Lederschläuche, ein Tabaksbeutel aus der Hals-
haut des Abu-Sö'n (U6ptoptilo8 Argala), betroddelte und
mit Kaurimuscheln verzierte Kameelzäume u. s. w. aufge-
hängt. In der Regenzeit bedecken viele Abu-Rof ihr Zelt
mit einem groben, schwarzbraunen Tuche von Ziegenhaar,
dem Hadjlr, andere begnügen sich mit doppelten, ziemlich
wasserdichten Matten. Wo die Nähe von Hyänen und
N. Hartmann, Skizzen aus Aethiopien.
205
anderen wilden Bestien zu fürchten ist, da umgiebt man die
einer Familie gehörenden Zelte oder den Dnur, d. h. das
Lager eines ganzen Wanderstammes, mit einer Hecke
(Zerlbah) von trockenen Dornzweigen, und pfercht inner-
halb derselben auch die besseren Hausthiere ein.
Ein solches Bedu inenlag er mit den niedlichen Zelten,
seinen braunen, wildaussehenden Insassen, dem ringsumher
weidenden Vieh u. s. w. gewährt, besonders in einer Lich-
tung des tropischen Urwaldes, den merkwürdigsten Anblick,
den man sich nur zu denken vermag.
Die Abu.-Rüf leben mäßig. Frische und saure Milch,
etwas Brei aus Durrahmehl, einige wilde Waldfrüchte, wie
die Thamr-el-°Arab oder°Alob, von Balanites aegyptiaca,
der Nebeq oder die Frucht des Zizyphus Spina Christi,
die Früchte der Deleb und Dom-Palme, Bebün, eine in-
sipide, in den wüsteren Strichen Inner-Sennars wachsende
Wurzel, ferner das Fleisch erlegter Thiere, seltener Fleisch
und rohe Eingeweide von Schlachtvieh, bilden ihre Nahrung.
Einige bereiten auch Käse, indem sie die gewonnene und
halbverdaute, im Labmagen saugender, geschlachteter Läm-
mer enthaltene Milch (Omm-el-Leben) genannt, zur frischen
Milch (Leben) thun und diese dadurch zum Gerinnen
bringen. Butter wird durch Schütteln in ziegenledernen
Schläuchen gewonnen. Die Stückenbutter (Zibdeh) dient
zum Einsalben, die flüssige (Semn) zum Essen und wird
von ihnen zuweilen in ganz unmäßigen Quantitäten ge-
trunken, indem sie behaupten, daß Semn gar sehr gesund
sei. Jede Bedninenfamilie besitzt ihre Merhakeh, eine
abgeschrägte Granitplatte zum Zerreiben der Durrahkörner,
eine Düqa (Backpfanne) von Eisen oder Thon und einige
grobe Wassertöpfe (Buram). Tabak wird nicht geraucht,
sondern, mit Natron oder Asche vermischt, getaut und ge-
schnupft. Als Dose (El-Bedhe-e-Süq) dient eine
Strychnos-Frucht.
Der Stamm (Qabilieh) zieht während jeder trockenen
Zeit in Sennars Steppen und Wäldern umher, hält, wo
er Weide und Brunnen findet, und nimmt dort seinen Aufent-
halt. Den Ort. wo die Nomaden rasten, nennt man hier
Murahh. Da weidet man das Vieh, melkt Morgens und
Abends in Kürbisschalen, tränkt gegen Mittag und gegen
Abend, geht auf die Jagd, zieht auch aus und plündert zur
Abwechselung die Dörfer der Denqa-Neger am Weißen Nil.
Die Weiber flechten Matten und Körbe und spinnen Baum-
wolle; die Knaben üben sich im Werfen der Lanzen und im
Reiten, die jungen Mädchen balgen sich mit Hunden und
Ziegenlämmern. So fehlt es dem Murahh nicht an Leben,
obwohl diese Beduinen im Allgemeinen doch sehr ernst sind
und wenig oder gar nichts von der Heiterkeit der Donqo-
laner und Fundj besitzen. Eine Rebab oder Laute, eine
Darabnkkeh oder Handtrvmmel, findet man selten bei den
Abu-Rüf; wohl aber hocken sich die Männer gern beim
Feuer zusammen und schwatzen von der „Niederkunst" irgend
einer Naqeh (Kameelstute), von einer Jagd- oder Kriegs-
that u. s. w.
Ist die Weide am Murahh erschöpft, so packt man die
abgebrochenen Zelte auf Kameele und zieht weiter. Galante
Abu-Rof schassen Weib und Kind auf einem Takht-
Rewan fort, d. h. der bequemen, aus einer Bettstelle und
Matten konstruirten Sänfte, die sich am Rücken eines Ka-
meels ganz leicht befestigen läßt. In der trockenen Zeit treiben
sie ihre Heerden weit nach Süden bis an den Fuß der Ber-
that-Berge, in das Tumat-Thal bis in die Nähe von Beni-
Schonqülo hinauf; in der Regenzeit dagegen ziehen sie vor
den Güssen und der von ihnen so sehr gefürchteten Tsetse-
fliege nach Norden über den zwölften Breitegrad hinaus.
Einige Familien beziehen zu dieser Zeit am Birket-Kurah,
um Hedebat, bei Serü u. s. w. Standquartiere. Die wenig
zahlreichen ansässigen Abu-Rüf leben in Strohhütten
(Toqüle) zu Abu-Sakrah u. s. w. Die Abu-Rüf züchten
den gewaltigen, kurzhörnigen, großentheils weiß-grauen,
fuchsigen oder schwarzen, seltener buntscheckigen Zebu, kleine
niedliche Ziegen mit langen Ohren, Thürieh oder Tha-
würieh (Hircus roversus) genannt, große schlanke, grob-
behaarte Schafe mit zuweilen dünneren, zuweilen recht fetten
Schwänzen *), zahlreiche Kameele und schöne Windspiele.
Pferde, die hier schlecht fortkommen, sind selten. Der Vieh-
reichthum dieses Volkes ist sehr groß und manche Reichen
besitzen bis zu 6000 Stück. Dem Verfasser wurde ein
junges Abu-Rüf-Mädchen, die Tochter eines Schükh, zur
Frau angeboten, falls er im Lande bleiben und an sich die
Circumcision vollziehen lassen wolle. Zum Scherze nach der
Mitgift der Dirne fragend, erhielt er zur Antwort: „Sie
bringt dir 6000 Rinder, 2000 Kameele, worunter 20
Hudjün (S. 202), 3000 Ziegen, 4000 Schafe, 15 Hunde,
davon 6 tauglich zur Jagd."
In Ermangelung von Pferden richten die Abu-Rüf
auch Ochsen zum Reiten ab. Diese Thiere sind sehr ge-
gelehrig, gehorchen nicht selten wie Hunde dem Pfiff ihres
Herrn, lassen sich gemächlich besteigen und an einem durch
die Nase gezogenen Halsterringe leiten. Sie gehen Paß.
Auf dem Rücken wird ein mit Steppenheu gefüllter, dem
Buckel angepaßter Sattel von grobem Zeuge gelegt und
auf diesem sitzen rittlings ein bis zwei Personen. Eine
Ochsenkavalkade sieht gar wunderlich aus. Man setzt sie
auf kleineren Expeditionen in Scene, bei größeren dienen
ausschließlich Kameele.
Letztere sind hier größer und stämmiger als die der
dvnqolanischen Nomaden, nicht so durchgängig weißlich-gran
wie diese, vielmehr öfters mäusegrau und schwarzbraun; ihr
Buckel ist mit dickem Haarbüschel besetzt. Die Hudjün der
Abu-Rof sind ausgezeichnet. Sie erhalten einen Sattel mit
seitlichen Sitzbrettchen (Makhlusah), einen um den Hals
und die Nase geschlungenen Lederzaum oder Strick (Res-
mah) und den dünnen, am Nasenringe befestigten Leitzaum
(Zumüm). Auf diesen schnellen und ausdauernden Thieren
unternehmen die Abu-Rüf die kühnsten Jägerwagnisse, welche
denn neben Viehzucht ihre Lieblingsbeschäftigung bilden.
Sie erlegen u. A. folgende Thiere: Die Ghazül (Antilope
dorcas), die Baqr- el- Khalah (Antilope leucoryx [A.
Beisa?]), Baqr-el-wahsch (Ant, bubalis), den Tütal (A.
Soemmeringii), die Baqr-el-Ghübah (Ant. leucotis), den
Ang elet (Ant. strepsiceros) und, weiter im Süden, auch den
großen Mremrl (Aegoceros equina); ferner Giraffen,
Elephanten, Wildschweine, Stachelschweine, Perlhühner,
Trappen, Strauße und große Landeidechsen. Antilopen
werden von ihnen im Buschwalde beschlichen und durch
Lanzenwürfe niedergestreckt, oder auf Dromedaren müde ge-
hetzt und dann mit Lanzen erstochen. Wildschweine (8ns
8ennarensis) tödten sie im Buschwalde Nlit Lanzen. Die
Stachelschweine (Hystrix) werden mit Knüppeln erschlagen.
Den Hasen und Perlhühnern laufen sie zu Fuß nach und
werfen dieselben mit ihren kurzen Hakenstöcken (Salam) von
zähem Akazienholz, deren sie fast bei jeder Exkursion ein
ganzes Bündel mit sich führen, zu Boden. Trappen (Otis
*) Wohl eine Varietät des über ganz Afrika verbreiteten Fett-
schwanzschafes (Ovis platyura). In SennLrsNiederungen haben
diese Thiere keine eigentliche Wolle, dagegen aber in Tigrèh u. s. w.
Das im Globus von R. Kretschmer in Nr. 34, 1863, S. 297,
recht gut abgebildete Fettsteiß sch af (Ovis steatopygos) ist nicht,
wie Des-Murs und Andere glauben, in Nubien heimisch, sondern
in Westasien, Nedjed (Arabien), von wo aus es in die Bogos-
länder, das Samhar, die Adnli- und Somâli-Territorien impor-
tirt worden. H.
206
R. Hartmann, Skizzen ans Aethiopien.
arabs) werden mit Windhunden gehetzt und mit dem Sa-
lam erschlagen. Das Fleisch des Abu-Schokah (Stachel-
schweins), desHalüf-el-Ghabah (Wildschweins), desDidjadj-
el-Wadl (Perlhuhns), der Hubarah (Trappe) und des
Waran - el - Khalah, der Steppen - Warnechse (baranus
ocellatus) wird von ihnen sehr geschätzt.
Den Strauß (Na ameh) jagen sie in folgender Weise:
Mehrere Reiter besteigen ihre Dromedare und spähen die
Riesenvögel aus. Ein Kamerad, dessen Kameel noch einen
Wasserschlauch und einige Provision an roher Durrah trägt,
wird nach einem verabredeten Sammelplätze dirigirt. Nun
geht es auf den Strauß los; man hetzt ihn die Kreuz und
und Quer, möglichst in.dichtes Akaziengestrüpp hinein, bis
er müde wird. Dann schlägt ihn der nächste Reiter mit
seinem Salam oder einer flachen Holzkeule (Trumbasch)
auf den Kopf; schnell ist ein anderer zur Hand und schneidet
dem zusanunenbrechenden Strauß unter Hersagung der beim
Schlachtwerk üblichen Gebetsformel die Kehle ab. Um ein
Beschmutzen der Federn durch Blut und Staub zu verhüten,
packt man den in Todeszuckungen um sich schlagenden Vogel
an seinen Beinen fest und zieht ihm nachher die Haut ab.
Das Fleisch wird, trotz seines multrigen Geruchs, gegessen,
das Fett bildet ein geschätztes Mittel gegen Rheumatismus.
Das Fleisch erlegter Thiere wird in riemenförmige Stücke
zerschnitten, getrocknet und nunmehr als Kadid, Melheh,
aufbewahrt.
Diejenigen Abu-Rof, welche um Hvdebat, Serü u. s.w.
ihren Sommeraufenthalt nehmen, bauen hier während der
Regenzeit etwas Durrah (Sorghum), in Sudan'Usch genannt,
einige Zwiebeln, Tabak u. s. w. Sie tauschen die Produkte
ihrer Jagden und geringen Industrie, — als Straußfedern,
Elephanten-und Antilopenhaut zu Schilden, gedörrtes Fleisch,
Elfenbein, Stäbe von Bambusrohr (vom Qhor-e-Deloh,
einem Regenstrom in Süd-Sennar), Qaradh oder Akazien-
hülsen zum Ledergerben, Gummi, einige Arzneigewächse u. s. w.,
ferner: Schlachtvieh und Kameele, Butter, Honig, grobe
Matten und lederne Wasserschläuche — auf den Märkten zu
Sennar, Karkütsch, am Djebel-Ghüle u. s. w. gegen rothen
Pfeffer, Steinsalz, Kümmel (Cuminum cyminum), Sor-
ghum, Tabak, Tobs, Glasperlen, Kohl und Spezereien
zur Thelqah oder Hautpomade aus. Zuweilen rotten sich
die wehrhaften Männer einer Qabilleh zu einem Küm oder
bewaffneten Haufen zusammen, wählen ihren'Aqld,
Anführer, und brechen, die sennarische Halbinsel auf ihren
Hudjün quer durchreitend, auf die Denqa-Neger des
Weißen Flusses ein und rauben Vieh und Menschen. Letztere
werden in die Sklaverei geschleppt und müssen, falls man
sich überhaupt zu ihrer Freilassung versteht, von ihren An-
gehörigen gegen Kälber und Elfenbein ansgelöst werden.
Die Denqa ihrerseits schonen selten einen Rüfal, der in
ihre Hände fällt. Auch die Fnndj des in ganz Sennar als
Raubnest gefürchteten Djebel-Thabi liegen mit den Abu-
R6f in häufiger Fehde und stehlen diesen Weiber und Kinder.
Es istschonmehrmalsvorgekvmmen,daßdieThabl-Schwarzen
aufgehobene Abu-Rof-Kinder nach dem Djebel-Ghüle ge-
bracht haben, wo die Eltern für die Geraubten schweres
Lösegeld zahlen mußten. Der König der Fundj hat sich dann
nicht geschämt, bei solch nichtswürdigen Geschäften die Makler-
rolle zu übernehmen. Diejenigen Abu-Rof, welche in der
trockenen Zeit am Tumat hinaufgehen, balgen sich hier nicht
selten mit den Berthat herum, und zwar der Weidegründe
und gegenseitigen Viehdiebstähle wegen. Bei diesem häufigen
Kriegszustand ist der Sinn der Abu-Rof etwas verwildert,
und wenn man auch, unseren eigenen Erfahrungen nach,
den von Aegypten und Fundj gegen sie ausgestreuten Ver-
leumdungen keineswegs unbedingten Glauben schenken darf,
so zeigen sie sich allerdings unstät und unbändig. Viele unter
ihnen sind Fuq ara, d. h. Mitglieder einer Art Bettelmönchs-
orden, ähnlich den Derwischen. Dieselben befleißigen sich
einer gewissen Sittenstrenge, enthalten sich des Gebrauchs
berauschender Getränke und narkotischer Mittel, wie Tabak
u. s. w., üben Barmherzigkeit, verstehen zu lesen, häufig
auch zu schreiben und halten ihre Gebete pünktlicher ab, als
die übrigen; denn mit Ausnahme eben der Fuqara sind die
sennarischen Beduinen von großer religiöserJndifferenz.
Unduldsamkeit liegt diesen Leuten fern, und der Reisende, mag
er auch Christ oder Heide sein, wird von ihnen stets freund-
lich aufgeuonnnen werden.
Die Abu-Rof zerfallen, wie bereits angedeutet worden,
in mehrere Stämme (Qabilijat). Die Qabilleh der
Merdüs nimmt während der trockenen Zeit am Birket-Kurah,
einem unfern Hödebat gelegenen Teiche, ihren Murahh.
Einige Familien bleiben zu Hellet-Jdrls am Djebel-Ghüle.
Andere ziehen sich um diese Zeit an die Berge Bosl und
Masmün. Am letztem hat der Großhäuptling (Schokh-el-
Keblr) der ganzen Nation, seinen Sitz. Er bewohnt da ein
aus Strohhütten bestehendes, am Fuße des Djebel belegenes
Dorf. Um dies Dorf gruppiren sich dann die Zeltlager
der Wanderfamilien. Der jetzige Groß-Schckkh heißt Jdris-
Woled-Abu-Rof. Sein Vater, ein zäher äthiopischer Patriot
und altberühmter Kriegsmann, war den Türken nicht hold
und chikanirte diese, wo es anging. Da gedachte man ihn
unschädlich zu machen. Dreimal hat man ihn gefangen und
nach Kharthüm expedirt; ebenso oft ist er aber seinen Wächtern
davongelaufen und hat sich endlich zu den Denqa-Negern
am Weißen Nil geflüchtet. Diese hetzte er zu mancher
Schandthat gegen die der türkischen Herrschaft unterwor-
fenen Distrikte auf. Sein Sohn Jdrls aber blieb dem
Gouvernement treu und agitirte gegen seinen rebellischen
Vater. Der Groß-Schekh zahlt jährlich etwa 16 bis
18,000 Marie-Theresienthaler Tribut nach Kharthüm. Er
übt das Richteramt in kleineren Streitigkeiten seiner Leute
aus; bei Kriminalfällen muß er einen Qadhl (Oberrichter)
hinzuziehen. Kapitalverbrechen gehören zunächst vor das
Tribunal des Kommandanten von Woled-Medlneh, eines
türkischen Majors und dann vor den Mahhkemeh, das Ober-
tribunal der Provinz Kharthüm. Obgleich Herr über 20,000
bis 30,000 wehrfähige Männer, ist der Schokh-el-Keblr
der Rüfal doch nur eine Null gegenüber einem Bimbaschi zu
Woled-Medlneh, der es an Bildung und Kenntnissen kaum
einem preußischen Feldwebel gleich thut. Als Auszeichnung
vor seinem Volke trägt der Schokh eine feinere Tob, rothe
Schuhe, den Tuneser Tharbüsch und, bei festlichen Gelegen-
heiten, den ihm vom Gouvernement verliehenen Ehremnantel
von Scharlachtuch.
Die Parsis in Bombay.
207
Die parsis in Lombay.
Zweiter Artikel.
Der Pantschayet, Vertretung der Gemeinde. — Zerwürfuiß zwischen Priestern und Laien. — Die Parsis als Kaufleute. — Ihr
Unternehmungsgeist und ihre bürgerliche Thätigkeit. — Statistik der Beschäftigungen. — Wohlthätigkeit und Gemeinsinn. — Sir Dscham-
sidtschi Dschischibhoy und dessen Freigebigkeit. — Der literarische und wissenschaftliche Verein. — Schulwesen ; Mädchenschulen. — Zeit-
schriften. — Zoroaster und dessen Religion. — Feuertempel. — Die heiligen Bücher und die Symbole. — Die Priesterschaft als erbliche
Klasse. — Aussichten für die Zukunft. —
Die inneren Angelegenheiten der Parsi - Gemeinde
wurden, seit der Vertreibung aus Persien, von einer Ober-
behörde geleitet, dem Pantschayet, Rath der Fünf, welche
man aus den tüchtigsten und angesehensten Männern erkor.
Diese entschieden über Alles in letzter Instanz; die Parsis
haben sich stets gehütet, die Ortsbehörden anzurufen, sie
machen Alles unter sich selber ab. Der Pantschayet war
auch Gerichtshof, gegen dessen Entscheidungen nie etwas
eingewandt werden konnte. Wer demselben Gehorsam ver-
weigerte, wurde aus der Kaste gestoßen und seine Religions-
genossen brachen allen Verkehr mit ihm ab; auch durfte er
den Feuertempel nicht betreten und man versagte ihm ein
Parsibegräbniß. Jedermann fügte sich.
Aber in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts nahmen
die Dinge eine andere Wendung. Der Pantschayet zu Bombay
stieß damals auf allerlei Schwierigkeiten. Dem herkömmlichen
Systeme zufolge wurden Vergehen so bestraft, daß der Ver-
urteilte mit einem Schuh geprügelt wurde; das erschien jedoch
unter englischer Herrschaft nicht mehr angemessen oder durch-
führbar ohne besondere Erlaubniß der Regierung, welche
dann auch ertheilt wurde; die Schuhprügel wurden 1778
genehmigt. Acht Jahre später entstanden Zwistigkeiten unter
den Andiarus, der Priesterkaste, und den Behdins, Laien,
und man mußte die Einwirkung der Negierung nachsuchen.
Zu allen Zeiten und unter allen Religionsgenossenschaften
haben bekanntlich die Geistlichen so viel Privilegien als irgend
möglich für sich und ihre Klasse zu erlangen gesucht, und
jene bei den Parsis machen keine Ausnahme. Sie trafen
unter sich die Verabredung, daß sie nach wie vor (reiche)
Töchter der Laien heirathen wollten, daß aber ihre eigenen
Töchter, die Priesterkinder, sich nicht mit einem Laien ver-
heirathen dürften. Gegen solchen Hochmuth erhob sich der
Pantschayet und gab, mit Zustimmung der Gemeinde, den
Befehl, daß fortan kein Laie seine Tochter einem Priester
zur Frau geben dürfe. Trotzdem verheirathete ein Priester
seinen Sohn mit einem Behdinmädchen und darüber ent-
stand eine so große Aufregung, daß die Regierung eine aus
drei Europäern bestehende Kommission ernannte, welche
dann gegen die Priester entschied, durch deren Habsucht der
Unfug angezettelt worden war.
Jene Kommission gab nebenbei den wohlgemeinten
Rath, daß der Pantschayet, dessen Autorität bisher nur im
Herkonuueu eine Stütze fand, sich eine neue Einrichtung gebe,
welche von der Regierung zu bestätigen sei. Dadurch erhalte
er einen gesetzlichen Boden; übrigens solle man doch die Schuh-
prügel abschasfen. Darauf ging man ein. Der Gouverneur
verordnete demuach, daß dem Pantschayet oder der versam-
melten Gemeinde der Parsis das Recht zustehe, Verord-
nungen für das Gemeinbeste der Religionsgenossenschaft zu
geben. Diese mußte 1787 dem Gouverneur eine Liste von
vier und zwanzig Männern Vorschlägen, aus welchen derselbe
zwölf, und zwar sechs Laien und eben so viele Priester, er-
nannte, um als bevollmächtigter Ausschuß über alle An-
gelegenheiten der Gemeinde zu entscheiden. Aber derselbe
entsprach den Erwartungen nicht, der Pantschayet verlor an
Ansehen, es war viel Hader und Streit, und 1838 hielten
die Mitglieder um ein förmliches Statut an, vermittelst
desselben sie ihren Amtsbefugnissen größer« Nachdruck geben
konnten als zeither. Aber darauf gingen die Behörden nicht
ein. Die meisten Mitglieder des Pantschayet haben sich durch
Parteilichkeit gegen die Reichen um alle Achtung gebracht,
und jetzt hat dieser Rath keinen besonder« Einfluß mehr;
er verwaltet nur noch einige milde Stiftungen. Wir wollen
hier beifügen, daß die Parsis nun seit 1838 ein Gesetzbuch
haben, welches Klarheit in das Familien- und Erbschafts-
recht gebracht hat.
Die Parsis sind, wie wir früher hervorhoben, als
Flüchtlinge nach Indien gekommen und haben schwere Zeiten
durchgemacht. Um so bemerkenswerther erscheint es, daß sie,
namentlich in neueren Zeiten, immer mehr gedeihen und ein-
flußreich werden; mit den Hindus und Mohammedanern ist
das nicht der Fall. Sie sind der britischen Herrschaft auf-
richtig ergeben, denn sie gewährt ihnen Freiheit und Schutz,
und können sich ungestört den Geschäften widmen, für welche
sie eine ausgezeichnete Begabung haben. In früheren Jahr-
hunderten waren sie vorzugsweise nur Ackerbauer, sobald
sie aber herausfanden, daß sie Wohl auch in anderen Berufs-
zweigen Erfolg haben könnten, warfen sie sich mit Eifer in
eine neue Bahn. Unter Englands Schutze konnten sie sich,
wie oben bemerkt, frei bewegen, was unter der Herrschaft
der Hindukönige und der Mohammedaner nicht der Fall
war; damals wurden sie von oben her bedrückt und von den
Beamten ausgesogen. Nun aber wurden viele von ihnen
Kaufleute in großem Styl. Bombay hat zu nicht ge-
ringem Theile gerade ihnen seine Handelsblüte zu verdanken;
ein großer Theil des Verkehrs von Indien und China geht
durch die Hände der Parsikaufleute, unter denen Millionäre
keine Seltenheit sind. Ihre Handelsfirmen sind in der ganzen
Welt bekannt. Die Parsikaufleute sind klug, schlau, keines-
wegs kleinlich, legen einen großen Maßstab an und sind
wegen ihrer Rechtschaffenheit bekannt. Es erregte ungeheures
Aufsehen, als 1862 ein Parsihans zu Cauton sich in Opium-
schmuggel eingelassen hatte und Bankerott machte. Unter den
Parsis selbst werden die größten Geschäfte, ohne schriftliche
Urkunden, auf Wort, Treu und Glauben abgemacht, und
auch vielen Europäern gegenüber beobachten sie ganz dasselbe
Verfahren.
In Indien haben die Parsis zu manchen Banken und
Aktiengesellschaften den Anstoß gegeben; bei allen sind sie
mit ihren Kapitalien mehr oder weniger betheiligt, nament-
lich bei den Eisenbahnnnternehmungen. Auch haben sie aus-
gedehnten Grundbesitz und, wie wir schon früher sagten, die
schönsten Landhäuser auf der Insel Bombay sind in ihrem
Besitze; viele sind Schiffsbauer, andere treiben ausgedehnte
Rhederei; bei allen öffentlichen Verbesserungen betheiligen
sie sich lebhaft.
Sir John Malcolln sagt in seinem Werk über seine
Verwaltung Indiens: „An Intelligenz und Unternehmungs-
geist sind die Parsis allen anderen Eingeborenen Indiens
weit voraus. Ihnen zumeist verdankt Bombay seinen Auf-
208
Die Parsis in Bombay.
schwung, und es ist in politischer Hinsicht von großer Be-
deutung, ihre Anhänglichkeit an unsere Regierung durch
neue Bande immer fester zu knüpfen."
Als der Bau von Eisenbahnen in Indien begann,
waren die Parsis sofort am Platz, um denselben zu über-
nehmen. Die Sache selbst war ihnen ganz neu, aber sie
wurden derselben bald Meister und entledigten sich ihrer
Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit. Heute ist der Parst
DschamsidtschiDorabdschi unbestritten der vorzüglichste Eisen-
bahnkontractor in Indien. An den beiden ersten Bahnen,
welche er baute, kam er zu Schaden, bei der dritten nicht
mehr. Er baute auch große Viadukte und vollendete schwierige
Werke auf Tag und Stunde. Bei seinen Bahnbauten be-
schäftigt er zuweilen bis zu 17,000 Menschen, die ihm alle
anhängig sind, weil er für Speisung und Gesundheit der-
selben große Fürsorge bethätigt.
Die jüngste Zählung in Bombay hat für die Parsi-
gemeinde eine Ziffer von 110,544 Seelen ergeben. Davon
waren unter Anderen, die Familienglieder eingerechnet:
Rentner, die kein Geschäft treiben .... 2657
Auktionatoren........................... 128
Bäcker und Konditoren................... 1417
Tuchhändler............................. 328
Hausdienerschaft........................ 5468
Hausirer................................ 347
Pferdehändler und Kutscher.............. 2025
Juwelirer und Uhrmacher................. 1125
Taglöhner................................ 41
Likör- und Weinhändler, Palmweinsabrikanten 5227
Aerzte, Wundärzte, Apotheker............ 577
Kaufleute, Bankiers und Mäkler . . . 61298
Geldwechsler und Münzwardeine . . . . 1535
Priester.................................. 5636 (!)
Schulmeister............................ 2056
Schänkwirthe............................ 826
Wasserträger............................ 1584
Schreiber und Rechnungsführer...........11028
Holzarbeiter (beim Schiffsbau re.) .... 4101
Man sieht, daß mehr als die Hälfte der Parsibevölke-
rung von Bombay zum Handelsstande gehört. Unter
den Parsis findet man keinen Soldaten, ebenso wenig
Barbiere, Fleischer, Sänftenträger, Wäscher oder Gassen-
kehrer. Es ist wohl behauptet worden, der Parst werde
deshalb kein Soldat, weil er, wegen seiner Verehrung für
das Feuer, Anstand nehme, ein Gewehr abznfeuern. Herr
Dosabhoy Framdschi erklärt das für geradezu lächerlich; der
Parst darf sich der Feuerwaffe zum Angriffe wie zur Ver-
theidigung bedienen. Der Parst läßt sich nicht anwerben,
weil er durch seine bürgerliche, gewerbliche Thätigkeit sich
in den Stand gesetzt sieht, weit mehr zu verdienen als die
sieben Rupien, welche der indische Soldat monatlich an
Löhnung erhält. Während der Sipahimeuterei erboten sich
übrigens viele, in's Heer zu treten, wenn man ihnen die
Löhnung gebe, welche der englische Soldat in Indien erhält.
Von den oben angeführten 11,028 Schreibern re. stehen
mehr als die Hälfte im Dienste der Regierungsbehörden;
doch drängt sich der Parst nicht zu Beamtenstellen, was da-
gegen von Seiten der Hindu und Mohammedaner allerdings
der Fall ist. Manche sind übrigens Richter, Dolmetscher
und Uebersetzer am Obergerichte, Mitglieder der Präsident-
schastsbehörden. Einzelne sind früher auch zu diplomatischen
Sendungen verwandt worden.
Ohne alle Frage sind die Parsis weit energischer und in-
telligenter als alle anderen Eingeborenen Indiens. Sie werden
nicht von religiösem Fanatismus umdüstert, nicht durch Kasten-
wesen abgeschlossen oder eingeengt, und können reisen wohin
sie wollen und sich ihre Berufszweige nach Belieben wählen.
Im Allgemeinen machen sie von ihrem Reichthum einen guten
Gebrauch und spenden gern Wohlthaten. Im Jahre 1790
herrschte in Bombay Mangel an Lebensmitteln, der einer
Hungersnoth gleichkam; so lange diese dauerte, speis'te ein
Parst, Sorabdschi Mondscherschi, täglich zweitausend Men-
schen, ohne Unterschied der Kaste oder Religion, auf seine
eigenen Kosten, und ein anderer, Ardeschir Dädy, nicht
weniger als fünftausend.
Wahrhaft großartig steht der Parst Dschamsidtschi
Dsch ischibh oy da. Einen Privatmann, der Wohlthaten in
solcher Weise, in so großartigem Maßstabe gespendet hätte,
kennt kein anderes Volk; keine andere Religionsgenossen-
schaft hat Aehnliches aufzuweisen. Von 1822 ist kein Jahr
vergangen, ohne daß dieser edle Mann seine schöne Humanität
in erfreulicher Weise bethätigt hätte. Bombay, Surat,
Nausari und andere Städte in Gudscherat, sodann Chandalla
und Puna im Dekkan sind redende Zeugen für das, was er aus
reiner Menschenfreundlichkeit gethan. Er hat viele Leute,
die ohne ihr Verschulden in Bedrängniß geriethen und durch
ihre Gläubiger zur Haft gebracht worden waren, aus der
schwierigen Lage befreit, indem er die Forderungen bezahlte;
er hat aus eigene Kosten Verbindungswege hergestellt, Volks-
schulen und höhere Lehranstalten gegründet, Krankenhäuser
für Arme gebaut und reichlich begabt, viele wohlthätige An-
stalten in verschiedenen Städten reichlich bedacht, Einkehr-
häuser zum Unterkommen und zurBequemlichkeit der Reisenden
aufsühren lassen und Wasserleitungen dort hergestellt, wo
sie ein dringendes Bedürfniß waren. Bei alledem hat er
nicht gefragt, zu welcher Nation, Kaste oder Religion ein
Hülfsbedürftiger gehöre, ihm stand der Mensch höher als
der Heide oder Christ, der Mohammedaner oder Parst; er
verwarf die Ausschließlichkeit.
Solch einen Mann hat Abendland und Morgenland
nie zuvor gesehen. Dieser edle Mensch, der „Feueranbeter",
war nicht blos wegen seiner Güte, Milde und Menschenliebe
allgemein verehrt; er war auch in jeder andern Beziehung
ein ausgezeichneter Charakter. Die englische Königin er-
ernannte ihn 1842 zum Baron und ließ 1843 ihm zu Ehren
eine goldene Denkmünze prägen. Im Jahre 1856 beschloß
man in Bombay dem Sir Dschamsidtschi Dschidschibhoy ein
Standbild zu errichten; in der zu diesem Zweck anberaumten
Versammlung führte Lord Elphinstone den Vorsitz. Er
äußerte, daß es eine Freude und eine Ehre sei, einem solchen
Manne Hochachtung zu beweisen. Die Achtung vor ihm
beruhe aber nicht etwa auf den Summen, welche er mit un-
glaublicher Freigebigkeit für wohlthätige Zwecke gespendet
habe. „In welchem Zeitalter und in welchem Lande finden
wir ein Nebenstück zu solcher Munificenz? Sir Dscham-
sidtschi hat gleiche Theilnahme für den Leidenden ohne Unter-
schied der Religion; er ist überhaupt ein bewundernswürdiger
Mann. Er hat seinen Reichthum in der ehrenvollsten Weise
erworben; allezeit war er fleckenrein, pünktlich, von un-
ermüdlichem Fleiße; seine Politik hat immer in der strengsten
Rechtschaffenheit bestanden. Wir wollen dem Mann ein
Standbild setzen. Hospitäler, Herbergen, Schulen, Wasser-
leitungen, Trankstätten und dergleichen, das hat er Alles
selber sich schon als Denkmal gesetzt. Ihm gebührt eine
Ehrenstatue."
Andere hohe Regierungsbeamte äußerten sich mit
gleicher Wärme. Wir finden in Herrn Framdschi's Buche
(S. 181 ff.) eine Uebersichtsliste der wohlthätigen Anstalten
und öffentlichen Werke, welche der parsische Baronet theils
ganz allein gegründet, theils durch seine Unterstützung möglich
gemacht hat. Sie ist bei weitem nicht vollständig, es geht
aber aus derselben hervor, daß jener Mann im Verlaufe
Die Parfis in Bombay.
209
von etwa zwanzig Jahren für solche Zwecke verausgabt hat
die Summe von 2,219,810 Rupien, sage zw ei Millionen
zweimalhundert neunzehntansend achthundert und
zehn Reichsgulden, jeden zu 20 Silbergroschen gerechnet.
Diese Summe vertheilt sich aus 51 Gegenstände. Allerdings
hat er die Parsis, welche ihm zunächst standen, sehr reichlich
bedacht, aber wir finden außerdem in der Liste Folgendes:
Für nothleidende Familien 44,000 Rupien: für arme Hindus
in Gudscherat, um das Andenken eines verstorbenen Hindu-
Freundes zu ehren. 30,000; für die Abgebrannten in Snrat,
um Lebensmittel rc. änzuschafsen, 30,800; für Brunnen-
anlagen in Bombay 15,000; für Herbergen in Chandalla
und Nansari 40,000; für ein Hospital 160,500; für eine
Hebammenschule 30,000; für die Mahim-Chaussee 155,000;
für andere Verbindungswege 22,000; für eine Brücke 4000;
für ein allgemeines Einkehrhaus an der Bellasisstraße, auf
der Insel Bombay, 150,000; für eine Wasserleitung in
Puna 180,270; für Trinkwasserbehälter 6500 und 23,000;
für eine Zeichnenschule in Bombay 100,000; für eine Er-
ziehungsanstalt, in welcher die Kinder armer Parsis unter-
richtet werden, 440,000; ein Kapital zur Preisvertheilung
in der medicinischen Lehranstalt 15,000; für allerlei Lehr-
stühle und Schulen 1000,11,000 rc.; für europäische Wittwen
5000; für Schott-und Irländer 10,000; für die Seemanns-
schule in Devonport 1000 Rupien, und so weiter.
Ilebrigens steht jener Baronet nicht allein; es findet
vielmehr unter den Reichen ein wahrer Wetteifer statt, sich
recht nützlich zu machen. Unter den Parsis giebt es keinen
einzigen Bettler; alle gesunden Leute arbeiten; die hülflosen
werden von der Gemeinde verpflegt. Die Feueranbeter zeigen
ihre Nächstenliebe nicht in salbungsvollen Worten, sondern
in praktischen Handlungen.
Wir haben früher die Parsis als die einzigen Orientalen
bezeichnet, welche sich den Fortschritt in europäischem
Sinn angelegen sein lassen. Sie begreifen sehr wohl, daß
ein solcher ohne ein geregeltes Unterrichtswesen nicht
möglich sei, und deshalb haben sie sich den Bemühungen der
englischen Negierung, welches demselben große Fürsorge
zuwendet, mit Eifer angeschlossen. Die Parsijugend ist
in den Schulen sehr zahlreich und alle Knaben lernen Englisch.
Die Gemeinde hat aber auch eine Anzahl Lehranstalten auf
eigene Kosten gegründet, europäische Lehrbücher sind in die
Gubscheratisprache übersetzt worden und werden zu wohlfeilen
Preisen verkauft. Sir Dschamsitdschi's „Translation Fund"
belief sich im Jahre 1858 auf 396,000 Rupien.
Manche Parsis haben sich den höheren Zweigen der
Wissenschaften zngewandt: sie sind Aerzte, Richter, Profes-
soren, und die Zahl derer, welche mit der europäischen Literatur
vertraut sind, wächst mit jedem Jahre. Dadurch ist ein
höherer Strich der Bildung unter diese Asiaten gekommen,
und sie fühlten seitdem das Bedürfnis, auch die Mädchen
derselben theilhaftig zu machen; ungebildete Frauen konnten
solchen Männern nicht genügen. Der aus jungen Parsis be-
stehende „Literarische und wissenschaftliche Verein"
in Bombay ging in dieser Beziehung voran. Er erörterte in
Wochenversammlungen die gesellschaftlichen Verhältnisse der
Gemeinde und begann 1849 mit der Gründung von
Mädchenschulen. Die Zahl derselben hat sich beträchtlich
vermehrt, die Lehrbücher sind zweckmäßig; der Unterricht
umfaßt dieselben Gegenstände wie etwa in deutschen Bürger-
schulen, auch sind bereits weibliche Lehrerinnen herangebildet
worden. In Bombay werden die sieben Mädchenschulen
von etwa 1000 Schülerinnen besucht. Schon der Umstand,
daß die Parsis mit Sorgfalt auf die geistige Ausbildung
des weiblichen Geschlechts Rücksicht nehmen, was bekannt-
ich weder bei Hindus noch bei Mohammedanern geschieht,
Globus IV. Nr. 7.
j kann zeigen, daß sie von ganz anderm Schlage sind wie
; jene Orientalen.
Auch für für die Verbreitung von Kenntnissen und
allgemeiner Bildung sorgen sie. Es erscheinen jetzt nicht
weniger als sechszehn Zeitungen und Zeitschriften
> in der Gudscheratisprache, wovon drei täglich. Ein
j Wochenblatt, Rast-Goftar, ist ganz vortrefflich redigirt
j und kann sich an Werth und Reichhaltigkeit mit europäischen
Blättern solcher Art völlig messen. Jene Blätter werden
zumeist von Mitgliedern des wissenschaftlichen Vereins
redigirt, und ein Hauptzweck geht dahin, asiatischen Vorur-
theilen und dem Aberglauben mit Nachdruck entgegenzutreten.
Es ist dabei sehr bemerkenswerth, daß vorzugsweise der
! Mittelstand sich für diese Reformbestrebungen am empfäng-
lichsten zeigt; unter den Reichen und Vornehnien ging Sir
Dschamsitdschi voran, und sein Sohn Sorabdschi Dscham-
sitdschi ist des Vaters würdig. Er ist ein in jeder Be-
ziehung liberaler Mann, tritt als Schriftsteller für sociale
Verbesserungen in die Schranken, hält öffentliche Vorträge
und unterstützt den Fortschritt auf alle Weise. Manche eifern
! ihm nach.
DieParsis halten fest an ihrer Religion, die bis weit
in das Alterthum hinaufreicht. Sie stand in hoher Blüte
unter Darms und bis zu Alexander's Eroberung, scheint
! dann gekränkelt zu haben und wurde 226 nach Christus
durch Ardeschir Babekan neu belebt. Dieser sammelte die
I heiligen Bücher (so viel von denselben noch vorhanden war),
> ließ sie aus dem Zend in die Landessprache seiner Zeit,
: nämlich in das Pehlwi, übertragen und errichtete neue
Feuertempel. Als aber im siebenten Jahrhundert die Mo-
hammedaner über Persien hereinbrachen, wurden diese
zerstört, und die treuen Anhänger der alten Lehre flüchteten
zumeist ins Ausland. Wir haben ihre Schicksale weiter
oben erzählt.*)
Die Avesta umfaßten ursprünglich ein und zwanzig
j Nusk, Bücher, deren Titel im Zend und Pehlwi wir noch
! kennen; die meisten sind aber durch die Griechen oder durch
' die Mohammedaner vernichtet worden. Manche, welche
man Zoroaster und seinen Schülern zuschreibt, sind glücklich
bis auf unsere Tage gekommen, z. B. das Vendidad, Aasna
oder Jsaschneh und Vispard, welche zusammen das Ven-
didad Sadeh bilden. Dazu kommen noch mehrere andere.
Sie enthalten Vorschriften über Lehre und Ceremonien,
Gebete und moralische Lehren.
Zoroaster's Religion lehrt den einigen Gott; dieser ist
I Wir gehen auf das, was Herr Dosabhoy Framdschi über
Zoroaster sagt, nicht näher ein. Er führt an, daß ein gelehrter
Parsi, Nnrosdschi Ferduntschi, in einem 185t veröffentlichten
Buche: Tarich i Sertoschti (Tareekh i Zurtoshtee nach der
schlechten englischen Schreibweise) „hinreichend bewiesen" habe,
daß Zoroaster im sechsten Jabrhnnderte vor Christus gelebt.
Professor Spiegel in Erlangen, ein Mann welcher in Be-
treff altpersischer Dinge als Autorität ersten Ranges dasteht, ist
folgender Ansicht: — Zoroaster gehört in die Zeit vor aller
Geschichte. Wir haben über ihn nur Legenden. Er war in
West-Iran znHause, etwa am Urmiah-See oder in dermedischen
Stadt Rhages. Man nahm schon früher mehrere Zoroaster
an. Auch in Babylonien und Pamphylien sollen Zoroasters auf-
getreten sein. Das Avesta in seiner jetzigen Gestalt rührt nicht
von Z. her; er ist viel zu mythisch, als daß man ihn ohne Weiteres
als Stifter der iranischen Religion annehmen könnte. „In dem
RamenZoroaster sind die Arbeiten von Jahrhunderten
und verschiedenen Entwickelnngsstufen zusammen-
gefaßt, welche die iranische Religion durchlaufen hat."
Auf keinen Fall war Z. ein Baktrer,' zu welchem man ihn hat
machen wollen. In Baktrien hat sich keine dort heimische, selbständige
Kultur entwickelt. Rawlinson (— auf dessen Urtheil überhaupt kein
Gewicht zu legen ist und dessen ganze Art und Weise viel Dilettan-
tisches an sich trägt —) will aus Zoroaster einen Semiten machen!
27
210
Die Parsis in Bombay.
Schöpfer, Gebieter und Erhalter der Welt. Die Grund-
lehren der Avesta schärfen ein: Reinheit in Worten, Hand-
lungen und Gedanken. „Die Tugend ist das einzige wahre
Glück in dieser Welt; die angenehmsten Opfer für Gott sind
gute Handlungen und gute Absichten. Aufrichtigkeit ist die
Grundlage der Vervollkommnung, die Lüge aber ein verab-
scheuenswerthes Laster. Jede Arbeit trägt ihre gute Frucht,
sie ist Schutzwehr für die Unschuld, ein Wall gegen Ver-
suchungen. Müssiggang aber ist die Mutter der Armuth und
der Schande. Zn den höchsten Pflichten des Menschen gehört
Ausübung der Gastfreundschaft und der Wohlthätigkeit."
Herr Dosabhoy Framdschi äußert über die sogenannten
Feueranbeter, seine Neligionsgenossen, Folgendes:
Sie sind Deisten, glauben nur an Einen Gott, haben
keine andere Anbetung als jene des höchsten Wesens. Dafür
zeugen sowohl die heiligen Bücher wie die Gebete und reli-
giösen Bräuche der heutigen Parsis. Daß sie keine Götzen-
diener sind, bemerkt sofort ein Jeder, der mit ihnen in Be-
rührung kommt. Die Behauptung, daß sie Feuer, Sonne,
Wasser und Luft anbeten, ist von Unkundigen ausgestellt
worden, und die Parsis weisen eine solche Beschuldigung
mit Entrüstung ab. „Das thue auch ich mit aller Entschie-
denheit", sagt Herr Framdschi, „und ich bin ein Bekenner
der Lehre Zoroaster's. Diese meine Erklärung sollte hin-
reichen, um alle Zweifel zu beseitigen. Unserm Glauben
zufolge ist Gott das Sinnbild der Hoheit und des Licht-
glanzes; deshalb stellt sich der Parst, wenn er betet, vor
das Feuer oder wendet sein Antlitz der Sonne zu. Feuer
und Sonne erscheinen ihm als geeignete Symbole des
Allmächtigen"?)
Im Morgenlande hat man auch niemals die Parsis
für Heiden gehalten, und europäische Kenner thun dies eben
so wenig. So äußert Dekan Prideaux: Sie verabscheuen
alle Bilder und verehren Gott nur unter dem Symbol des
Feuers. Licht gilt ihnen für das wahre Symbol des guten
Gottes; Feuer ist die Ursache des Lichts; die Sonne gilt
ihnen für das reinste Licht. Und nur deshalb brennt in
ihren Tempeln Feuer, vor welchem sie ihre Andacht ver-
richten; ebenso verrichten sie im Hanse ihre Privatandacht
vor dem Feuer. Dem Lichte zollen sie die höchsten Ehren,
weil ihnen dasselbe gleichsam als Vertreter des Guten Gottes
gilt. Sie verabscheuen die Finsterniß, weil sie ihnen für
den Repräsentanten des bösen Gottes gilt, welchen sie ver-
abscheuen, wie wir Christen den Teufel. — Sir William
Ouseley äußert: Es ist meine feste Ueberzeugung, daß aus
den ersten parsischen Altären das Feuer zur Ehre des einigen
Gottes loderte, wie das noch heute bei den Anhängern der
Lehre Zoroaster's der Fall ist. Und genau so sprechen sich
viele andere Gelehrte aus.
Die Parsis richten ihre Gebete an Gott selber, nicht
an das Symbol, vor welchem sie beim Beten stehen.
Sie lehren den einen, allmächtigen Gott, der gütig
gegen die Menschen ist; sie verabscheuen Ahriman, das böse
Princip, den Anstifter aller bösen Gedanken; dieser ist aber
nicht gleich ewig mit Gott. Ihre Moral ist rein und auf
die Nächstenliebe gegründet.
Forbes bemerkt in seinen Oriental Memoirs: Das
heilige Feuer der Parsis darf nicht verlöschen; die Priester
bewachen dasselbe Tag und Nacht; es brennt in einer großen
Pfanne und wird mit Sandelholz oder anderen wohlriechenden
Stoffen unterhalten. Die Unkundigen und die gemeinen
Leute verehren diese heilige Flamme, sodann Sonne, Mond
und Sterne, ohne ihre Gedanken zum unsichtbaren Schöpfer *)
*) In Bombay sind gegenwärtig drei öffentliche Feuertempcl,
die 1780, 1830 und 1844 gebaut wurden; den letztem ließ Framdschi
Kowasdschi auf eigene Kosten bauen; er kostete 250,000 Rupien.
zu erheben; aber die Kundigen und Verständigen sehen in
dem Feuer nur die allmächtige Quelle des Lichts; es ist ihnen
lediglich Sinnbild. Die Sonne gilt ihnen blos für eine
| Kreatur des großen Schöpfers, der das Weltall gemacht
hat; sie verehren dieselbe als das beste und schönste Bild
und weil es so großen Segen ans Erden spendet. (— Die
Monstranz im christlichen Kultus ist auch eine Sonne, ein
Symbol. —) Die heilige Flamme soll daran gemahnen,
daß der Mensch die Reinheit bewahren solle. Die Quelle
also ist rein, aber im langen Fortgange der Zeit ist in den
Strom des religiösen Systems viele falsche Zuthat gekommen.
Die Moral, welche von den heiligen Büchern gelehrt
wird, ist groß und erhaben; sie hat ihre Geltung durch
alle Zeiten behalten, aber in Bezug ans die Ceremonien ist,
in Folge äußern Dranges, manches Fremdartige in den
Parsikultus gebracht worden. Wir haben früher erzählt,
unter welchen Bedingungen die flüchtigen Perser in Sandschan
Aufnahnie fanden. Sie mußten sich fügen, und nachdem
Menschenalter vergangen waren, verwuchs das, was von
den Hindus den Parsis aufgezwungen war, allmälig mit
den Volkssitten; das entlehnte Hinduwesen bürgerte sich ein.
Von da an hieß es: Unsere Väter haben es so gemacht, und
der Asiat ist bekanntlich zu der Annahme geneigt, daß Alles
recht sei, was seine Vorfahren gethan haben. Sie besaßen
nur noch wenige ihrer alten heiligen Bücher, und Schrift-
gelehrte waren unter ihnen sehr selten. So geschah es, daß
Hindubräuche einwurzelten, und daß z. B. noch jetzt Leute
aus dem Volk eine Schale Oels dem Hanuman oder Blumen
und Früchte dem Ocean opfern. Uebrigens gab sich der
Pantschayet schon vor einem Menschenaller Mühe, derartige
Bräuche zu beseitigen, aber ohne großen Erfolg, weil
jahrhundertaltes Herkommen sich nicht leicht entfernen läßt.
Zwangsmittel hat man nicht, möchte dergleichen auch nicht
anwenden; man versucht nun durch Belehrung dem Miß-
bräuchen beizukommen. Ein Verein reicher und gebildeter
Männer, der Rahnuma'i Masdiasma, d. h. die Ge-
sellschaft für religiöse Reform, hat sich die Wiederbelebung
der reinen Lehre und die gesellschaftliche Reform zu seiner
Aufgabe gemacht, läßt sich durch keinen Widerstand irre
machen und verbreitet gute Bücher und Flugschriften. Der
gute Einfluß dieses Reformvereins ist offenbar.
Bekanntlich geht kein anderer Stand so schwer an Re-
formen, wie jener der Priester. So ist es auch bei dem
der Parsis, unter welchem sich manche Mißbräuche einge-
schlichen haben. Die wenigsten verstehen ihre gottesdienst-
lichen Bücher, wohl aber können sie wie Papageien die
Kapitel herplappern, welche sie bei den verschiedenen Feier-
lichkeiten herzusagen haben. Dafür bekommen sie ihre Stol-
gebühren und diese bilden ihre wichtigste Einnahmequelle.
Sie nähren sich vom Priesterhandwerk, und — ein arger
Uebelstand und Mißbrauch — dieses Priesterhandw erk
ist eine erblich eProfession! Man wird nicht Priester,
weil man sich die dazu erforderlichen Eigenschaften erworben
hatte, sondern weil der Vater zum Handwerk gehört.
Uebrigens bleibt es dem Sohn eines Priesters unbenommen,
in ein anderes Geschäft zu treten, aber ein Laie kann nicht
Priester werden. So bilden die Priester der Parsis
eine geschlossene Kaste. Aber eine solche Erblichkeit
widerspricht den Kirchensatzungen und ist nicht in Zoroaster's
Lehre begründet; der Mißbrauch hat sich im Verlaufe der
Zeit eingeschlichen. Die Priester sind nun zumeist unge-
bildete Menschen und haben in der Gemeinde nur geringe
Achtung; die Laien sind aufgeklärter und unterrichteter.
Deshalb haben in den letzten Jahren mehrere Priester sich
von einem Beruf abgewandt, der in Mißachtung gefallen ist.
Jetzt wird nun diesen Parsipsaffen die Kultur aufgedrängt,
Die wissenschaftlichen und praktischen Erfolge der Novara- Expedition.
211
die Gemeinde verlangt ordentliche Geistliche; sie hat eine
Anstalt gegründet, in welcher Zend, Pehlwi und Persisch
gelehrt wird. Die Lasten bestehen darauf, daß die Geist-
lichen etwas lernen sollen. Und es ist um sie geschehen,
wenn sie Ignoranten und Faullenzer bleiben, denn die Laien,
zum Theil sehr gebildete Leute, regen sich und lesen nun
selber die heiligen Bücher, theils in der Ursprache, theils
in englischen Uebersetzungen mit europäischen Kommentaren.
Einige wenige Geistliche machen übrigens eine ehrenwerthe
Ausnahme; die große Menge ist aber noch so, wie Pfaffen
eben zu sein pflegen.
Herr D'osabhoy Framdschi wirft in seinem Schluß-
kapitel einen Blick auf die gegenwärtige Lage der Parsis.
Sie sind, sagt er, unter allen Völkern Indiens dasjenige,
welches sich am meisten den Europäern anschließt und sich
ihnen nähert. Sobald sie mit den Engländern in Berührung
kamen und britische Unterthanen wurden, trat sofort ihr
Unternehmungsgeist und ihre Energie offen zu Tage. Unter
Schirm und Pflege einer erleuchteten Regierung begann die
Civilisation unter ihnen aufzuleben und sie ist seitdem unter
ihnen dermaßen Heraugewachsen, daß sie sich in jedem Jahre
mehr europäisiren, und nicht etwa lediglich im Aeußern,
also in Sitten und Bräuchen, sondern hauptsächlich auch
in ihrem Denken und Fühlen.
Der Fortschritt zeigt sich bei ihnen nicht nur in der
gesteigerten Handelsthätigkeit und in der Anstelligkeit für
das Geschäftsleben, sondern auch in der Entwickelung des
ganzen geistigen Treibens, in der Veredelung des Ge-
schmacks, in den Anschauungen überhaupt. Das verspricht
sehr Gedeihliches für die Zukunft; es wird nicht fehlen,
daß die Parsis als das große Bindeglied zwischen
der englischen Regierung und deren eingeborenen
Unterthanen dastehen. Schon jetzt üben sie in dieser
Beziehung einigen Einfluß. Man überzeugt sich in Indien,
daß die Parsis durch ihren Unternehmungsgeist, ihr geistiges
Streben und ihren energischen Fleiß den Europäern, weit
größere Achtung einflößen, als Andere durch orientalischen
Pomp, der doch nur barbarisch ist. Durch den Einfluß der
Parsis wird eine große Revolution herbeigeführt werden;
die Anhänglichkeit der Parsis für die britische Regierung
wird auch auf andere Inder übergehen.
Den Parsis bleibt indessen noch Vieles zu thun übrig.
Aber sie haben dabei doch den Trost, daß nur wenige
Vorurtheile ihnen im Wege stehen; sie kennen die allen
Fortschritt hemmende Kasteneinrichtung nicht und die Religion
legt ihnen kein Hinderniß in den Weg. Erziehung und
Unterricht, auch des weiblichen Geschlechts, gewinnen immer
größere Ausdehnung und ruhen auf sicherer Unterlage. Täg-
lich streifen sie irgend eine Fessel orientalischer Ignoranz ab.
In ihrem häuslichen Leben sind sie beinahe schon europäisirt:
das Weib ist nicht Magd oder Spielding des Mannes, sondern
dessen Lebensgefährtin, und der Parst hat ein Familien-
leben, das andere Orientalen nicht kennen. Deshalb haben
auch die Kinder eine andere Stellung als bei jenen.
Die Anhänglichkeit der Parsis an die britische Regierung
rührt zumeist auch daher, daß sie das Wesen derselben voll-
ständig begreifen. Sie, die so lange unter dem Druck indischer
Radschas und mohammedanischer Herrscher gelebt, wissen
wohl, was es heißen will, unter einer aufgeklärten Regierung
zu stehen, unter welcher Leben und Eigenthum sicher sind,
die den Fortschritt befördert und die Religion unangetastet
läßt. Die Parsis haben für ihre Entwickelung keiner künst-
lichen Reizmittel bedurft; sobald ihnen die Möglichkeit ge-
geben war, sich zu rühren, fingen sie auch an sich zu rühren:
sie gewährten dem befruchtenden Strome der Civilisation freien
Eingang. Nun fanden sie auch Spielraum zur Entfaltung
ihrer Talente: sie sind heute nicht mehr die Leute, die sie
noch vor einem Vierteljahrhundert waren; ein neues Ge-
schlecht ist Heraugewachsen; diesem gehört zu nicht geringem
Theileschon die Gegenwart unddieZukunft ist ihm sicher!
Die Wissenschaftlichen und praktischen Erfolge der Uovara-Expedition.
Von befreundeter Hand ist uns aus Wien ein Aushängebogen
(wie wir vermuthen, ans einem demnächst erscheinenden Bande der
vortrefflichen Oesterreichischen Revue) übersandt worden, welchem
wir die nachfolgenden Mittheilungen entlehnen. Die Novara-
Expeditir>n ist von der Theilnahme aller Deutschen begleitet
worden und sie hat die Hoffnungen, welche man von ihr hegen
durfte-, nicht nur erfüllt, sondern in wahrhaft glänzender Weise
übertroffen. Die Ergebnisse liegen vor, der Gewinn für die Wissen-
schaft ist klar. Wir legen darauf einen hohen Werth, noch mehr
aber auf den Umstand, daß man in Wien einen maritimen Blick
hat. Allerdings ist die europäische Großmacht Oesterreich schon
wegen ihrer geographischen Lage zunächst auf das große Becken des
Mittelmeeres angewiesen; aber wenn sie die Bedeutung dieser
Thalassa auch vollkommen begreift und mit Eifer danach strebt, auf
derselben eine ihrer würdige Rolle zu spielen, so beschränkt sich sich
doch nicht ans dieses Binnenmeer allein. Sie hat ein Kriegsschiff
zu wissenschaftlichen Zwecken auf den Ocean gesandt und ihre
Flagge unter allen Zonen mit Ehren gezeigt. Hoffentlich findet
das löbliche Beispiel bald Nachahmung; es ist ja doch endlich hoch '
an der Zeit, daß Gesammtdeutschland nicht zurückbleibe und daß
auch die schwarzrothgoldene Flagge stolz im Winde flattere.
Der guten Fregatte Novara gebührt aber unbedingt der Ruhm,
der Bahnbrecher und Vorläufer gewesen zu sein.
Eine Uebersicht der Leistungen ihrer Expedition liefert den Be-
weis, mit welchen: preiswürdigen Eifer die Mitglieder derselben
sich ihrer Aufgabe widmeten. Der Bericht sagt:
Sechs Jahre sind verflossen, seitdem die Fregatte Novara in
einer maritimen, politischen und wissenschaftlichen Mission am
30. April 1857 den Hafen von Triest verließ. Eine großartige,
unter den verschiedensten Verhältnissen dnrchgeführte Uebungsreise
sollte den jungen Kräften unserer Kriegsmarine eine besonders
günstige Gelegenheit zur praktischen Ausbildung darbieten; dabei
sollte die Expedition die Flagge des österreichischen Kaiserstaats an
mehreren in kommerzieller Beziehung wichtigen Punkten der Erde
entfalten, wo dieselbe früher nie geweht hatte, so wie Handelsver-
bindungen und Verträge mit fremden Nationen anbahnen und
vorbereiten. Endlich wurde den Forderungen, welche die Wissen-
schaft in unserer Zeit an derartige Unternehmungen stellt, dadurch
gebührend Rechnung getragen, daß mehrere Naturforscher und ein
Künstler auf Kosten der kaiserlichen Regierung die Novara ans
ihrer Erdfahrt begleiteten, deren Aufgabe es war, allgemein wissen-
schaftliche Studien und Forschungen anzustellen, Verbindungen und
Tauschverkehr mit den verschiedenen wissenschaftlichen Instituten in
den besuchten Ländern und jenen der Heimat einzuleiten, Samm-
lungen, namentlich von solchen naturhistorischen Gegenständen zu
machen, deren Erwerbung wegen der Kostspieligkeit und Schwierig-
keit des Transports dem mit Privatmitteln reisenden Naturforscher
fast unmöglich ist, so wie endlich von den interessantesten Erschei-
21*
212
Die wissenschaftlichen und praktischen Erfolge der Novara-Expedition.
nungen ans dem Gebiete des Natur- und Völkerlebens Skizzen zu
entwerfen.
Sowohl vom damaligen Marine-Oberkommandanten, Erz-
herzog Ferdinand Maximilian, welcher zuerst die Idee der Erd-
umsegelung eines österreichischen Kriegsschiffes angeregt hatte, als
auch von der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, vom Unter-
richtsministerium und vom Oberstkämmereramte wurde eine Anzahl
von Fachmännern bestimmt, welche sich während der Reise der
Förderung der verschiedenen wissenschaftlichen Zwecke unterziehen
sollten.
Man kann mit Recht sagen, die Augen der ganzen gebildeten
Welt waren ans diese erste österreichische Erdumsegelungs-Expedition
und ihre Resultate gerichtet. Nicht nur patriotische Herzen des
engern Vaterlandes folgten dem kühnen Unternehmen mit Vorliebe
und Begeisterung, — aus allen Theilen von Europa gab sich das
regste Interesse für die Novarafahrt kund. Gelehrte aller Nationen,
Deutsche, Engländer, Franzosen, Holländer und Nordamerikaner
betheiligten sich gewissermaßen geistig an derselben durch nützliche
Winke, Nathschläge und Empfehlungen. Deutschland namentlich
schenkte dem Unternehmen eine wahrhaft warme Sympathie.
Der größte Denker und Forscher unseres Jahrhunderts, Alexander
von Humboldt, obschon zur Zeit der Abfahrt des Schiffes leidend,
richtete in halber Genesung eine Anzahl weihevoller Erinnerungen
an die österreichischen Reisenden und erflehte den Segen des Himmels
über dieses große und edle, zur Ehre des gemeinsamen
deutschen Vaterlandes ausgeführte Unternehmen.
In allen Ländern, welche die Expedition besuchte, zeigte sich
das gleiche erhebende Interesse. Ueberall wurde ihr der glänzendste
Empfang, die ehrenvollsten Auszeichnungen, zuvorkommende Unter-
stützung zu Theil. Besonders aber in der Brust der auf
verschiedenen Punkten der Erde zerstreut lebenden
Deutschen erregte die Ankunft der Novara stets die
lauteste Freude, die lebhaftesten Hoffnungen! Glaub-
ten sie doch in dem Erscheinen des Kriegsschiffes einer-
deutschen Großmacht die Morgenröthe jener heißer-
sehnten Epoche zu gewahren, wo nicht blos der in fer-
nen Erd theilen lebende Engländer, Franzose oder
Amerikaner, sondern auch der deutsche Ansiedler sich
mitStolz erinnern mag, daß sein Vaterland denWillen
und die Kraft besitzt, ihn selbst im entferntesten Winkel
der Erde zu schützen und sein gutes Recht zu verthei-
digen! —
Nach einer gefahrvollen, aber ohne ernsten Unfall durchge-
führten Reise, während welcher die Mitglieder wiederholt Gelegen-
heit hatten, die ernsthaftesten Dinge am Bord eines Schiffes,'wie
Drehstürme und Feuersgefahr zu erleben, aber doch von deren ver-
nichtenden Folgen verschont blieben, kehrte die kaiserliche Expedition
am 26. August 1859 wieder glücklich in die Heimat zurück. Sie
hatte Gibraltar, Funchal (auf Madeira), Rio de Janeiro, Simons-
town (Kap der Guten Hoffnung), St. Paul und Amsterdam,
Ceylon, Madras, die nikobarischen Inseln, Singapore, Batavia,
Manila, Hongkong, Macao, Canton, Schanghai, Puynipet (Ka-
rolinen-Archipel), Sikayana (Stuarts-Inseln), Sydney *) (Austra-
lien), Auckland (Neuseeland), Papeete (auf Tahiti), Valparaiso
und Santiago de Chile besucht, im Ganzen 5 1,686 See-
meilen zurückgelegt, 551 Tage unter Segel und 298 Tage
vor Anker zugebracht. **) Die Gesammtsumme der Auslagen, ein-
*) Es ist entschieden unrichtig, Siduey zu schreiben, wie im Reise-
berichte der Novara und auch in Hochstetter's Werk über Neuseeland immer ge-
schieht: Die Stadt heitzt Sydney. A.
**) 3^ Mitglieder der wissenschaftlichen Kommission trennten sich im
Stillen Oeean im Interesse ihrer Studien von der Expedition und kehrten auf
verschiedenen Wegen an Bord von englischen Dampfschiffen nach Europa zurück.
Or. Hoch st etter schiffte sich in Auckland ans Neuseeland ans und verblieb noch
neun Monate ans dieser wichtigen Insel, von welcher er mehrere Provinzen
geologisch untersuchte, vr. Scherz er verließ die Fregatte in Valparaiso und
schlug den Heimweg über Lima, Panama und Westindien ein. Die Reisen
schließlich der Kosten der Ausrüstung des Schiffes und dessen Her-
stellung für die Zwecke der Expedition, betrug 616,560 Guldeu
österr. Währung.
Ungeachtet des Nachtheils, in welchem sich der Reisende bei
einer Erdumsegelung im Vergleich mit einer nach einem einzigen
Brennpunkt wissenschaftlicher Thätigkeit gerichteten Expedition be-
findet, und obschon es für naturforschende Zwecke weit weniger
lohnend ist, die verschiedensten Länder und Völker in fünf Welt-
theilen flüchtig zu besuchen, als sich in das Studium eines einzigen
beschränkten Gebietes zu vertiefen, ist dennoch das mitgebrachte na-
turhistorische und literarische Material überaus reich und mannich-
faltig ausgefallen.
Die vom Befehlshaber der Expedition, Freiherrn von
Wüllerstorf-Urbair, und den Marine-Offizieren am Bord
der Fregatte so wie auf dem Lande ausgesührten Arbeiten umfassen:
astrononiische, magnetische und meteorologische Be-
obachtungen, geographische Ortsbestimmungen sowie
geodätische Aufnahmen, und bilden als nautisch-physikalischer
Theil eine besondere Abtheilnng der wissenschaftlichen Publikationen
der Novara-Expedition.
Die zoologischen Sammlungen, welche von den beiden
Zoologen theils selbst gemacht, theils geschenkt oder angetanst
wurden, bestehen ans: 320 Säugethieren, 1500 Vögeln, 950 Am-
phibien, 2000 Fischen, 6550 Conchylien, 13,000 Insekten, 950
Crustaceen, 500 Strahlthieren, 60 Skeletten, 60 Schädeln, 120
Nestern und 250 Eiern.
Die botanische Ausbeute besteht aus umfangreichen Her-
barien und werthvollen Sämereien (mit besonderer Berücksichtigung
der für die klimatischen Verhältnisse der einzelnen Kronlünder des
Kaiserstaats sich eignenden Nahrungspflanzen); aus einer großen
Anzahl in Essigsäure und Weingeist aufbewahrter Frucht- und
Blutenstände tropischer Pflanzen, so wie aus indischen, chinesischen
und chilenischen Droguen und zahlreichen Proben von Zier- und
Nutzhölzern. Mit den niemals vorher in so großen Quantitäten
nach Europa gebrachten Blättern der peruanischen Cocapflanze
(vrytllroxylon Coca) wurden vonWöhier in Göttingen chemische
Untersuchungen in großartigem Maßstabe augestellt, welche die
Entdeckung mehrerer neuer organischer Basen, wie Cocain,
Ecgonin und Hygrin, zur Folge hatten. Weitere Versuche sind
noch in vollem Zuge, welche namentlich mit dem Cocain von vr.
Schroff auch auf pharmakognostische und physiologische Experi-
mente ausgedehnt werden sollen.
Die mineralogischen, petrographischen und pa-
läontologischen Sammlungen enthalten von sämmtlicheu
besuchten Gegenden Suiten an Mineralien, Gebirgsarten undPetre-
fakten, welche sich auf mehrere tausend Stück belaufen, und theils
von vr. Hochstetter selbst gemacht, theils von wissenschaftlichen
Instituten und Privatpersonen geschenkt oder durch Ankauf er-
worben wurden. Dieselben sind namentlich in Folge des verlän-
gerten Aufenthalts des Geologen der Expedition auf Neuseeland mit
einer werthvollen Sammlung von Resten der ausgestorbenen
Riesenvögel Neuseelands (Palapteryx ingens, Dinornis ele-
phantopus, D. dediformis etc.) bereichert worden.
Die ethnographische Sammlung enthält 376 Gegen-
stände: Waffen der verschiedensten und seltsamsten Art, Haus - und
Arbeitsgeräthe, Ornamente, Amulete, Schnitzereien, Idole, Ge-
sichtsmasken, Kleidungsstücke, Gewebe, Stoffe aus Baumrinde,
Musikinstrumente, singhalesische und chinesische Manuskripte, Schrift-
fragmente auf Palmenblättern, auf Bambusrohr und Baum-
rinde geschrieben; — olles Gegenstände, von denen einzelne der
Knlturwissenschaft die letzten Beweise primitiver Kunstfertigkeit lie-
fern dürften, welche sich seit bem häufigem Kontakt der wilden
beider Forscher wurden hauptsächlich in der Absicht unternommen, um über die
besuchten Länder neue Kenntnisse und Erfahrungen zu samnieln und die Re-
sultate der kaiserlichen Expedition mit interessanten Thatsachen zu bereichern.
Die wissenschaftlichen und praktischen Erfolge der Novara-Expedition.
213
Völker mit Europäern immer mehr verliert und in den meisten
großen Kolonien schon als gänzlich erloschen zu betrachten ist.
Die a n t h r o P o l v g i s ch e S a m m l n n g zählt über 100 Skelet-
schädel, so wie Kopfhaare der verschiedenen Menschen-
rassen; ferner das vollständige Skelet eines Buschmanns aus
der Kapkolonie und eine Anzahl physiologischer und pathologisch-
anatomischer Präparate.
Außer diesen großartigen naturhistorischen Schätzen, welche
dermalen provisorisch in einem Gebäude des k. k. Augartens in
Wien zur freien Besichtigung aufgestellt sind und außer ihrem
hohen wissenschaftlichen Interesse zugleich einen materiellen Werth
von mindestens' 80 bis 100,000 Gulden repräsentiren, haben die
einzelnen Mitglieder auch neue Kenntnisse über die todte und orga-
nische Natur, über Menschenrassen, über Sitten und
Sprachen gesammelt, und gleichfalls ein ebenso reichhaltiges als
kostbares literarisches Material mitgebracht. Ein Jeder war redlich
bemüht, das in ihn gesetzte Vertrauen durch seine Leistungen zu
rechtfertigen und nach seinem besten Können und Vermögen zum
Gelingen des großen vaterländischen Unternehmens beizutragen.
Der beschreibende Theil der Reise, welcher gewissermaßen nur
als Vorläufer der eigentlichen streng wissenschaftlichen Arbeiten zu
betrachten ist, wurde schon bald nach der Rückkehr der Fregatte
Novara von Di-. Karl v. Sch erzer ans Kosten der Kriegsmarine
ausgearbeitet und liegt in drei großen, mit zahlreichen Illustra-
tionen gezierten Oktavbänden beendet vor. (Das Werk wurde
mit lebhafter Theilnahme ausgenommen; noch vor Ablauf eines
Jahres wurden 5000 Exeniplare vergriffen und demnächst wird
eine neue Auflage, eine „Volksausgabe" erscheinen. Es ist auch
in englischer, italienischer und französischer Uebersetzung erschienen.
Diese Arbeit Scherzer's hat also die ihr gebührende Anerkennung
von vornherein gefunden.)
Wir ersehen aus dem uns übersandten Berichte, daß man
auch ernstlich an's Werk gegangen ist, die speeiellen wissenschaftlichen
Ergebnisse in systematischer Weise zu veröffentlichen. Es wird aus
Kosten des Staats unter Leitung der Akademie der Wissenschaften
geschehen, und der Kaiser hat dafür eine Summe von 80,000 Gulden
angewiesen. Die akademischen Ausschüsse, welche die Arbeiten
übernommen haben und die Veröffentlichung leiten werden, be-
stehen aus Fachmännern von Ruf und Gediegenheit. Der Bericht
äußert:
Die sämmtlichen wissenschaftlichen Publikationen der Novara-
Expedition werden aus ungefähr 15 Qnartbänden mit circa 300
Tafeln und Kartenbeilagen bestehen, und in folgende Abtheilungen
zerfallen:
I. Nautisch-Physikalischer Theil: 1 Band, welcher
sämmtliche während der Reise ausgeführte astronomische, magne-
tische und meteorologische Beobachtungen und geodätische Arbeiten
umfaßt und vom Chef der Expedition, Contre-Admiral Freiherrn
vonWüllerstorf-Urbair, unter Mitwirkung des Hydrographen
und Expeditionsmitgliedes Robert Müller, so wie anderer Mit-
glieder der hydrographischen Anstalt der Kriegsmarine in Triest
bearbeitet wird.
II. Zoologischer Theil: circa 5 Bände (250 Druckbogen)
mit 80 Tafeln, unter der Redaktion der Herren Di-. C. Felder,
G. v. Frauenfeld, Professor Kner und Di-. Redtenbacher.
III. Botanischer Theil; 2 Bände (100 Druckbogen) mit
>i>0 Tafeln, unter der Redaction des Professors E. Fenzl und
Di'. S. Reissek.
IV. Geologisch-paläontologischer Theil: 2 Bände
(80 Druckbogen) mit 5o Tafeln und einem Atlas von Professor
Dr. v. Hochstetter, unter Mitarbeitung von Dr. Hörnes und
Bergrath F. v. Hauer.
Der erste Band dieses Theils wird hauptsächlich die vulka-
nischen Erscheinungen im Allgemeinen, die Korallenbildungen, die
Bodenbewegnngen im Gebiete des Stillen Oceaus, die tertiären
Schichtenkomplexe der nikobarischen und Sunda-Inseln, die Stein-
kohlenablagerung von Australien und die Art des Vorkommens des
Goldes im fünften Welttheile behandeln. Der zweite Band wird
die physikalisch -geographischen und geologischen Forschungen des
Di-. Hochstetter auf der Insel Neuseeland, so wie die Beschreibung
der von ihm mitgebrachten fossilen Pflanzen- und Thierreste um-
fassen. Diesem Theile wird auch eine große Anzahl von Dr. Peter-
mann in Gotha ansgeführter topographischer und geologischer
Karten und lithographirter Tafeln beigegeben werden.
V. Statistisch - commercieller Theil: 1 Band von
60 Druckbogen und 5 bis 6 Kartenbeilagen, von Dr. Karl
v. Scherzer bearbeitet. Dieses hauptsächlich einen praktischen
Zweck anstrebende Werk soll dem Kaufmanne wie dem Industriellen
eine möglichst klare Skizze geben von den physischen und politischen
Verhältnissen der besuchten Länder, von den wichtigsten Boden-
erzengnissen und Handelsartikeln, von dem Kulturzustand und
den Bedürfnissen der Eingeborenen, von der jährlichen Handels-
bewegung und den bestehenden Verkehrsmitteln; es soll sie bekannt
machen mit den landesüblichen Maßen, Münzen und Gewichten,
den herrschenden Usancen, den muthmaßlichen Aussichten, welche
sich der Einführung österreichischer Fabrikate bieten dürften, und
ein Verzeichniß der wichtigsten Handelsartikel der Erde mit ihren
verschiedenen populären und wissenschaftlichen Benennungen ent-
halten. Zugleich soll das Werk kurze Monographien über die be-
deutendsten Kolonialpflanzen, über ihre gesammte Produktion
und Konsumtion, über die mögliche Ausdehnung ihrer Kultur u. s. w.
bringen. Ebenso sollen der hochwichtigen Angelegenheit der deut-
schen Auswanderung, so wie der Frage der Deportation
zwei besondere Abhandlungen gewidmet werden.
VI. Ethnographischer Theil: 1 Band mit 60 Druck-
bogen und 15 bis 20 Tafeln, von Dr. Karl v. Scherzer im Ver-
eine mit Professor A. Böller und Dr. Fr. Müller bearbeitet.
Dieser Theil soll ein umfassendes Bild der verschiedenen von der
Expedition besuchten Menschenrassen entwerfen, daher Alles ver-
einigen, was sich auf deren Geschichte, Sprache, Gebräuche, Sagen
und Lieder, Regierungsform, sittliche und religiöse Zustände, Lebens-
gewohnheiten , Nahrungsmittel, Beschäftigung u. s. w. bezieht. Auch
sollen diesem Band an 40 Wörterverzeichnisse von Idiomen,
theils wilder, theils halbcivilistrter Völker, so wie eine Karte über
die Verbreitung der verschiedenen Rassen und der wich-
tigsten Nahrungsmittel ans der Erde beigegeben werden.
VII. AnthropologischerTheil: 1 Band, 50 Druckbogen
mit circa 50 Tafeln. Diese Abtheilung wird sich hauptsächlich mit
der Beschreibung der von der Expedition mitgebrachten Rassen-
schädel, sowie mit dem während der Reise bei den interessantesten
Menschentypen angewendeten anthropometrischen System
und den bisherigen Resultaten desselben beschäftigen. Da an jedem
einzelnen Körper 78 Messungen vorgenommen und diese über mehrere
hundert Individuen der verschiedensten Rassen ausgedehnt wurden*),
so dürfte die Bearbeitung des mitgebrachten Materials sowohl für
die anthropologische Wissenschaft, als auch für die graphische Dar-
stellung manche neue und werthvolle Thatsachen und Anhalts-
punkte liefern.
i ») Zu vergleichen die in den Mittheilungen der k. k. geographischen Ge
sellschaft, lll. Jahrgang 1889, niedergelegte Abhandlung: „lieber Körper.
Messungen als Behelf zur Diagnostik der Mensch enracen." Noch
wenige Monate vor seinem Tode, im Januar 1889, sprach sich A. v. Humboldt
in einem Schreiben an Hofrath W. Haidinger in Wien äußerst wohlwollend und
theilnehmend über diese Arbeit aus, und nachdem er auf die hohe Bedeutung
von Körpermessungen für die Diagnostik der Menschenracen hingewiesen, machte
der greise Forscher die interessante Bemerkung: „Sonderbar genug hat bei Ein
theilung der Racen bisher gerade das unwichtigere Kennzeichen der Haut,
färbe die Aufmerksamkeit am meisten gefesselt; die früheste Menschenkultnr in
Assyrien, Aegypten, China und Phönizien war aber nicht der ganzen weißen
I Race eigenthümlich. Semiten waren nicht weiß wie Hellenen. Das geogra-
phische Wort „kaukasische Race" hat viel Nebel angerichtet." Auch der
im September 1861 auf Veranlassung von Professor R. Wagner und Dr. Baer
in Göttingen abgehaltene Anthropologen - Congreß hat das obige System znr
I Benutzung für weitere Messungen als das umfassendste empfohlen.
214
Ein Jahr zu Beresof in Westsibirien.
VIII. Medicinisch-Pharmakognostischer Theil:
2 Bände, etwa 50 Druckbogen. Von diesem Werke ist der erste
Band, 37 Bogen stark, vom Korvettenarzte vr.Eduard Schwarz
bearbeitet, bereits vor Jahresfrist erschienen. Derselbe schildert die
hygienischen Verhältnisse des Seefahrers im Allgemeinen, den Ein-
fluß der Lokalität, der Kost, der Beschäftigung, des Klimas, der
Schiffsbewegnng; die wichtigsten chirurgischen und medicinischen
Fälle am Bord, so wie Krankheiten wie Skorbut und Hemeralopie,
deren Lokalität des Zustandekommens vorzüglich die See ist; Niko-
barensieber, Dyssenterie und endemische Kolik; endlich enthält das
Schlußkapitel eine ziemlich umfassende Instruktion für den reisenden
Arzt. —
Wir zweifeln keinen Augenblick, daß diese Werke der deutschen
Wissenschaft zur Ehre gereichen werden.
Cm Jahr zu Seresof in Westsibirien.
Der beresofer Kreis. — Die polnischen Frauen und ihr Charakter. — Die klimatischen Extreme in Sibirien. — Die Stadt Beresof. — Erinnerung an
Fürst Mentschikoff und Graf Ostermann. — Die Verbannten. — Sommermonate. — Gesellschaftliche Verhältnisse. — Hochzeiten. — Samojeden vom Eis-
meer. — Kohlfest. — Die Ostjaken. — Winterkälte. — Die Krähen als Frühlingsboten. —
Beresof liegt am untern Obi, im Lande der Ostjaken. Es
ist ein trübseliger Ort im hohen Norden, unter 63" 56' N. Br., in
öder Gegend, nach dem Eismeere hin. Die russische Regierung
hat dorthin seit anderthalbhundert Jahren manche Patrioten und
manche Verbrecher geschickt; dort, in der Verbannung, waren sie
ungefährlich. Wie viele Seufzer sind dort ansgestoßen, wie viele
Thränen geweint worden! Und wie würde die Nachtseite des
menschlichen Gemüthes hervortreten, wie ergreifend müßte unsere
Theilnahme für die Tausende von „Verschickten" oder „Unglück-
lichen" sein, wenn wir psychologische Annalen von Beresof hätten!
Der Beresofer Kreis hat den größten Umfang unter allen west-
sibirischen, und die beträchtlichere Hälfte desselben liegt im arktischen
Erdgürtel. Dieser nördliche Theil ist eine Moorwüste, eine mit
Filzen und Moosen überdeckte, nasse Steppe, kahl und nie frei von
Eis. Im Süden dagegen dehnen sich unabsehbare Wälder aus,
in denen man Fichten, sibirische Cedern, Lärchen, Espen und
Weidenbäume sindet. Sie werden von Wogulen, Ostjaken und
Samojeden durchzogen, und durch dieser Waldeinöden bahnt sich
der majestätische, fischreiche Obi seinen Weg zum Eismeere.
Die Hauptstadt ist von St. Petersburg 4073, von Moskau
3352 Werst entfernt, und sie gilt für einen der härtesten Ver-
bannungsorte. Aber nian kann dorthin noch mit Postpferden ge-
langen; weiter nach Norden hin giebt allein das Nennthier die
Zugkraft her, z. B. bis Obdorsk, 66y2° N. Br., wo die Samo-
jeden ihren Tribut in Pelzwerk abliefern, während die Ostjaken
ihren „Jassak", das heißt die Abgabe an die Regierung, in Beresof
entrichten.
Unter Kaiser Nikolaus sind viele Polen und Polinnen nach
Beresof in die Verbannung geschickt worden. Wir haben neulich
(Globus IV, S. 191) mehrere Urtheile über die polnischen Männer
zusammengestellt, und wollen hier ein solches über die polnischen
Frauen hinzufügen. Der Mann, welcher dasselbe ausspricht, ist
der Psendonymus Schedo-Ferrotti, einsehr gründlicher Kenner-
aller slawischen Verhältnisse, der eben jetzt wieder eine Schrift über
die polnische Frage veröffentlicht hat.
Er ist der Ansicht, daß bei den Slawen die Frauen den
Männern überlegen seien, und namentlich bei den Polen in emi-
nentem Grade. Die Polin, sagt er, ist vor allen Dingen eine
glühende Katholikin und ihr Glaube ist aufrichtig. Sie hat volles
Vertrauen zu ihrem Beichtvater, ans ihn hört sie, ihm folgt sie
blindlings; er ist der einzige Mann, den sie nicht zu beherrschen
versucht, welchem sie Einfluß auf sich gestattet. Im Uebrigen giebt
die Polin ihre Souverainetät niemals auf; in dieser Beziehung
sind alle einander gleich, gleichviel, ob sie sonst tugendhaft oder-
leichtsinnig sein mögen. Jede übt fortwährend einen unwider-
stehlichen Einfluß auf die Männer.
Neben der religiösen Andacht stehen bei der Polin die patrio-
tischen Gefühle; sie hofft auf den endlichen Triumph der Sache
Polens, auf die Macht und den Ruhm ihres Vaterlandes. Sie
predigt gegen die Moskowiter, fanatisirt die Jugend und treibt
diese zum Aufstande. Polen soll als Apostel für die Verbreitung der
heiligen katholischen Kirche wirken. Bei der Polin gehen die Ideen
vom polnischen Vaterland und katholischem Kultus in einander
über. Aber diese Polin unterliegt dem psychischen Gesetze, welches
die Auffassung des Weibes bestimmt, das heißt: auch bei ihr
wird das Urtheil von der Einbildungskraft bestimmt
und beherrscht; sie gehorcht den Wallungen des Her-
zens weit mehr als den Geboten der Vernunft. Ernstes
Nachdenken ist ihr zuwider; in ihren Beweisführungen schreitet sie
springend und hüpfend voran; sie setzt, ohne Zusammenhang, den
Gründen eine Autorität und der logischen Beweisführung eine ihr
genehme Behauptung entgegen. Sie ist überhaupt weit inehr
poetisch als logisch, sie mischt in Alles Leidenschaft, sieht nur die
poetische Seite an den Dingen und in Bezug auf geschichtliche Er-
eignisse hat sie Sinn und Neigung nur für dramatische Effekte.
Sie macht auch Politik nur mit dem Herzen und der Einbildungs-
kraft. ^hreni Wesen und ihren Neigungen entspricht nicht ein
geistig bewegtes Leben, wenn es voll Mühe und Arbeit sein muß;
eine friedliche aber einförmige Existenz paßt nicht zu dem Ideale,'
welches sie verfolgt. Die bei den Weibern ohnehin vorwaltende
Neigung, die Fragen zu personificiren und sich mit den Gegenständen
ihrer Theilnahme zu identisiciren, tritt gerade bei der Polin sehr
stark hervor.
Wir geben diese Charakteristik, weil die nachstehenden Mit-
theilungen von einer polnischen Dame herrühren, welche als
Gegnerin der russischen Herrschaft nach Beresof verbannt wurde.
Diese Frau, Eva von Felinska, war dieMutter des Erzbischofs
von Warschau, Felinski. Sie ertrug in den Einöden Sibriens
ihr bartes Geschick mit Würde und Ergebung; dafür liefert das
Tagebuch, welches sie geführt hat, einen schönen Beweis. Wir
wollen ans demselben Allerlei, das sich auf das Leben und Treiben
in Beresof bezieht, mittheilen.
Frau von Felinska wurde am 11. März 1839 als „zu Ver-
schickende" in einen Schlitten gesetzt und über Tula, Nischni-
Nowgorod und Kaflm nach Perm gebracht. Von da ging die Reise
iiber Katharinenburg durch das Uralgebirge und weiter nach
Tobolsk am Jrtysch. Ans diesem Flusse, welcher jenseit des
60. Breitengrades in den Obi mündet, wurde sie eingeschifft und
gelangte am 31. Mai nach Beresof, das an der Sofia, einem
Nebenflüsse des Obi, liegt. Vom Wasser aus sah sie zwei „schis-
matische" Kirchen und ein großes gelb angestrichenes Gebäude auf
einer Anhöhe; die Häuser unten am Wasser bieten einen ärmlichen
Anblick dar. Rings um den Ort liegt Cedernwald; auf den
Straßen war es lebhaft. Der Verbannten wurden in einein
ansehnlichen Hause zwei wohnliche Zimmer angewiesen. Sie
richtete sich ein, so gut sie konnte, und es scheint ihr, was die
äußeren Dinge angeht, recht erträglich gegangen zu sein. Die
Hauswirthin war eine einfache, gastfreie Frau und ließ es an
freundlicher Aufmerksamkeit nicht fehlen.
In jenen hohen Breiten berühren sich die klimatischen Extreme;
Ein Jahr zu Beresof in Westsibirien.
215
Alles ist rascher Uebergang, und von einem Frühling in uuserm
Sinne keine Rede. Heute muß man sich dicht in einen Pelzmantel
wickeln und morgen trägt man leichte baumwollene Kleider. Im
Mai geht die Sonne kaum unter, sie schießt glühende Strahlen
herab; sie erwärmt den Menschen nicht, sie brennt. Und doch ist
diese Gegend nicht ohne einige Anmuth; die Lärchenbäume prangen
in mildem aber saftigem Grün; die Erdoberfläche ist nicht mehr
mit Eis bedeckt und rasch mit Pflanzen geschmückt; aus demUeber-
schwemmnngswasser der Soswa gnken die grünen Kopse der
Weiden hervor. Beresof erhebt sich in Stufen auf einem steilen
Hügel. Ein sinniges Gemüth kann der ganzen Scenerie etwas
Poetisches abgewinnen, aber ein melancholischer Zug spielt doch
immer in dasselbe hinein. Einen heitern Anblick gewähren übrigens
die vielen bewimpelten Schiffe, welche sich anschicken, den Strom
hinabzufahren und in den obischen Meerbusen hineinzusteuern,
wo die Fischerei einen guten Ertrag gewährt. Auch der Kosak, in
dessen Hause Frau von Felinska wohnte, war Fischer.
Am 5. Juni wurde ein Nordwind mit Wohlgefallen begrüßt,
denn er milderte die drückende Hitze ein wenig und vertrieb die
Mücken. Die Verbannte ging aus, um sich die Umgebungen der
Stadt näher anznsehen. Die Straßen sind nicht gepflastert; wenn
es regnet oder der Fluß über die Ufer getreten ist, gelangt man
ans Brettern von einem Hanse zum andern. Vom Fahren kann
keine Rede sein; Buden, Waarenläden und Markt fehlen; aller
nothwendige Lebensbedarf kommt von Außen her. Das Land ist
mehr für Bären, Eichhörnchen und Füchse als für Menschen ge-
schaffen. Die paar Hundert Häuser, ans welchen der Ort besteht,
sind aus Holz aufgeführt, die beiden Kirchen ans Bruch- und
Ziegelsteinen, und zwar recht geschmackvoll. Die eine derselben,
Sarutschaina, liegt sehr hübsch an einem Haine von Lärchen-
bäumen, welche bei den Ostjaken in hohen Ehren gehalten werden.
Bei der zweiten Kirche, der Spaska, befinden sich zwei Friedhöfe:
der eine für die Reichen und Edelleute bestimmt, der andere für
die Armen. Auf dem erstern liegt Alexander Mentschikoff be-
graben, der Günstling Czar Peter's, und zwar in voller Staats-
kleidung, denn das war Brauch. Einige Jahre vor der Ankunft
der Frau von Felinska war das Grab geöffnet worden. Man
fand den Körper und die Kleidung unversehrt, und das erklärt sich,
weil der Sarg von Eis umgeben war. Der Erdboden thaut auch
im Sommer nur ein paar Fuß tief auf. Mentschikoff wurde
wieder beigesetzt und mit steinharten Eisblöcken umgeben, und so
wird er Jahrhunderte hindurch unversehrt daliegen. Ueber dem
Grab erhebt sich nun ein kleiner, mit einem hölzernen Geländer
umgebener Hügel; aber eine Grabschrift hat es nicht. Bis zum
Jahre 1798 stand das kleine Hans, in welchem der einst allmächtige
Halbbarbar wohnte; damals brannte es ab. Die Leute in Beresof
erzählen, Mentschikoff sei fromm und Kirchenältester der Spaska-
Gemeinde geworden; er war freundlich, für Jedermann zugängig
und arbeitete mit Axt und Hacke wie ein Tagelöhner. Auch ein
Fürst Dolgoruckof und Graf Ostermann sind in Beresof als
Verbannte gestorben und auch von ihnen ist keine Spur übrig
geblieben.
Die Kosaken, welche in Beresof, einer durchaus friedlichen
Stadt, Gendarmeriedienste versehen, werden wenig in Anspruch
genommen und können in aller Muße Kleinhandel und sonstige Be-
schäftigungen treiben. In einigen Häusern kann man Kattun, Thee,
Zucker und Süßigkeiten zu Kauf bekommen, aber die Einwohner
versorgen sich zumeist an Bord der Schiffe mit allem Röthigen.
An heißen Frühjahrstagen verspürt man einen fast unwider-
stehlichen Reiz, im Schatten des Waldes Kühlung zu suchen, aber
man darf sich wegen der entsetzlichen Schnaken nicht dorthin wagen,
wenn man nicht eine Haarmaske vor's Gesicht und um den Hals
dicke Tücher bindet; die Hände muß man in Pelzhandschuhe stecken,
und trotz aller dieser Vorkehrungen wird man doch von den Blut-
saugern gepeinigt.
Frau von Felinska machte mit einigen Beresofer Frauen Be-
kanntschaft und fand dieselben recht umgänglich. Einzelne Familien
waren ganz europäisch eingerichtet und mit allen Bequemlichkeiten
umgeben. Es fehlt nicht einmal an Luxus in diesem hohen Norden.
Am 12. Juni schreibt die polnische Dame: — Die Hitze ist
geradezu entsetzlich, die Luft glüht; ich mag nicht ans meinem
Zimmer gehen. Kein Thau, kein Lüftchen am Morgen oder am
Abend! Die Sonne geht nur auf eine kurze Zeit unter; wir haben
vier und zwanzig Stunden Hellen lichten Tag. Das greift den
ganzen Menschen an; man fühlt sich träg und gedrückt, ist gleichsam
willenlos und denkt kaum an etwas Anderes als an Wassertrinken.
Aber selbst ein eiskalter Trunk erquickt nicht.
Der ausgedehnte Bezirk Beresof hat kaum fünfzehntausend
Einwohner und nur spärlichen Ackerbau. Nur in Beresof werden
Kohl, Radieschen und Rüben gezogen, sonst nirgends. Die Hitze
ist so heftig, daß Gemüse nicht gedeihen; Kartoffeln kommen, aber
auch nur in geringer Menge, ans dem Süden her.
Für eine so entlegene Ortschaft ist die Bevölkerung bunt genug;
ich habe sogar Kalmücken gesehen. Die Kosaken sind träg und
faul, weil sie wenig oder gar nichts zu thun haben. Dabei ist ihr
ganzes Wesen weibisch geworden. Ich warZenge, daß ein zwanzig-
jähriger Kosak wie ein Kind weinte, und weshalb ? Weil man ihm
seinen Thee eine Viertelstunde später als gewöhnlich gebracht hatte.
Was sollen die Leute auch arbeiten? Ackerbau bleibt außer
Frage und Gewerbe treibt man nicht. Wild und Fische sind in
Menge vorhanden und der Handel erfordert keine Anstrengung;
ohnehin ist er gering.
Am 1. Juli. Vom Eismeere kommen Windstöße herüber.
Dadurch werden wohl die Schnaken vertrieben, aber nicht die Beiß-
fliegen, die beinahe eben so schlimm sind. Indessen haben wir einen
Spaziergang in den Wald und an den Fluß gemacht, um die Ost-
jaken in ihren Hütten zu betrachten. In diesen letzteren leben und
sterben sie. Es herrscht in diesen armseligen Wohnungen eine solche
Unsauberkeit und ein so böser Geruch, daß wir kaum eine Minute
darin ausdauern konnten. Die Bekleidung, welche der Ostjak
zunächst am Leibe trägt, besteht aus einem dicken Ueberzuge von
Fell; darüber zieht er dann eine Rennthierhaut. Er verzehrt Fische
und Fleisch in rohem Zustande; gern ißt er auch den Abfall ans
den Beresofer Küchen, den er in Eimern aus Baumrinde sammelt.
Am 6. Juli. Die Hitze ist wo möglich noch drückender und
ungemein schwül. Ich glaube, daß ein Ungewitter heranfzieht. —
Nun ist es da; wir haben Donner und Blitz und der Regen
fällt in Strömen herab. Unser ganzes Haus zittert. Die Kosaken-
familie liegt auf den Knieen und betet zur heiligen Jungfrau.
Am 11. Juli. Beim Bürgermeister war große Gesellschaft:
man hatte uns eingeladen. Die gute Sitte will, daß man eine
zweite ausdrückliche Einladung erwartet, ehe man hingeht. Wir
erhielten dieselbe um sieben Uhr Abends und erschienen um zehn Uhr.
Im ersten Zimmer spielten die Herren Boston und tranken viel
Punsch, in einem zweiten Zimmer saßen die Damen. Bei ihnen
zeigt der Kopfputz den Rang an, welchen sie in der Gesellschaft
einnehmen; die privilegirte Klasse trägt nämlich reich verzierte
Mützen, die geringere ein sehr geschmackvoll um das Haupt ge-
bundenes Tuch. Aber trotz dieser künstlichen Unterscheidung herrscht
wirkliche Gleichheit.
Die Tische waren mit Süßigkeiten, eingemachten Früchten
und Zirbelnüssen reichlich besetzt; man trank viel Thee, aber auch
Kaffee fehlte nicht, er gilt aber hier für einen ganz besondern Lecker-
bissen. Männer und Frauen kommen in der Gesellschaft kaum in
; Berührung mit einander; auch die letzteren spielen Boston oder
knapper» den ganzen Abend an Nüssen herum. Darin besteht
j ihr Zeitvertreib, denn eine Unterhaltung kennt man nicht. Um
zwei Uhr früh setzten wir uns zu Tisch; alle Gerichte wurden kalt
aufgetragen, nur eine Schüssel mit Pirogis machte eine Ausnahme.
Es war kein Mangel an Ochsen - und Rennthierzungen, marinirten
Schinken aus Tobolsk, Spanferkeln und fetten Gänsen; dazu kamen
noch Koteletten und Wildpret mit Zucker, Zwiebeln und Pflaumen,
216
Ein Jahr zu Beresof in Westsibirien.
ein ganz schreckliches Gericht, von dem ich keinen Bissen hinunter
bringen konnte; den dritten Gang bildete ein gebratenes, mit
Wildpretschnitten belegtes Kalb; hinterher trug man Reis und ver-
schiedene wohlschmeckende Gallerte auf. Das Ganze war ein home-
risches Gastmahl, welches mit Apogar beschlossen wurde. Dieses
Getränk besteht aus Cognac mit Himbeer- und Stachelbeersaft
nebst Zucker.
Am 13. Juli wohnte ich einer Hochzeit bei. Das junge Paar
begiebt sich für gewöhnlich zu Fuß in die Kirche, aber diesmal fand
eine Ausnahme statt, denn die Braut saß ans einem mit Teppichen
belegten Karren, der von ein paar Männern gezogen wurde; der
Bräutigam war vorher nach der Kirche gegangen und empfing dort
seine Zukünftige. Inmitten des Kirchenschiffes stand em Altar; der
Priester las Gebete, der Küster sang ein Lied, welches die Pflichten
der Ehe einschärft, dann werden die Ringe gewechselt und der Gatte
setzt der jungen Frau einen Blumenkranz auf. Das Paar geht nach-
her drei Mal um den Altar herum, umarmt sich dann, und damit
hat die Feierlichkeit ein Ende.
Gegen Ende des Juli macht sich schon der Herbst bemerkbar.
Die Blätter werden gelb und Nachts fällt Reif, der die Blumen
tödtet. Ich ging noch einmal in den Wald, an einem Bache hin,
aber ich verirrte mich. Während ich den Weg suchte, traf ich zwei
Ostjaken, die eben gottesdienstliche Gebräuche verrichteten. Sie
standen vor einem Lärchenbaume, sielen dann zur Erde nieder und
bewegten Arme und Beine in epileptischen Zuckungen, gleichsam als
ob sie besessen wären. Die russische Regierung hat zwar solche
heidnische Bräuche den Ostjaken verboten, weil diese sich äußerlich
zum Christenthnme bekennen; sie werden aber stets bleiben, was sie
im Innern einmal sind, ächte Heiden. Mir war bei der Sache
nicht wohl zu Muthe, denn wer stand mir dafür, daß jene beiden
Männer mir den Garaus machten; alsdann brauchten sie keinen
Verrath zu befürchten. Aber sie ließen mich ruhig meines Weges
ziehen. —
Das Wetter ist nun düster und regnig, die Tage werden kürzer,
und es ist mir sehr willkommen, daß ich eine Bibliothek ausfindig
gemacht habe. Ein hierher verbannter Pole hat sie der Stadt ver-
macht; sie enthält russische, polnische, deutsche und französische Werke.
Es sind Samojeden vom Eismeer angekommen, um
Branntwein einzukaufen. Ihr Wuchs ist höher als jener der Ost-
jaken; Auge und Haar ist schwarz, aber der Kopf, bis auf einen
Büschel auf dem Wirbel, kahl geschoren; das Barthaar raufen sie
ans, sobald es zum Vorschein kommt. Sie tragen Kleider aus
Rennthierfellen. Bei den Frauen bemerkte ich Gürtel von ver-
goldetem Kupfer und farbige Glasperlen und Armbänder über
den Knöcheln.
Wir haben Nachtfröste wie in Polen zur Decemberzeit. Die
Fischer kommen aus dem Obischen Meerbusen mit voller Fracht zu-
rück und es sind Tobolsker Kaufleute hier, um ihnen ihre Waare
abzukaufen. —
Das Kohlfest, welchem ich beiwohnte, wird alljährlich zu
derselben Zeit gefeiert. Jede Familie schneidet Kohl ein, der mit
Salzlagen überdeckt und für den Wintergebrauch in den Keller ge-
stellt wird. Abends wird getanzt, aber ohne Musik. Manche
Männer vertreiben sich die Zeit auf der Bärenjagd, bei welcher ein
großes Messer die Hauptrolle spielt; der Jäger geht mit demselben
gerade auf das Thier los und stößt es ihm in den Leib. Die Ost-
jaken schneiden ihm die vier Tatzen ab und weihen sie ihren Gott-
heiten; sie glauben damit vergossenes Blut sühnen zu können.
— Es ist nun Herbst geworden und Schnee bedeckt weit und
breit das Land. Bon weitem gesehen nehmen sich die Menschen ans
wie das liebe Vieh, denn sie stecken vom Kopfe bis zum Fuß in
Rennthierfellen, deren Haar nach außen gekehrt ist. Diese Tracht
gleicht jener der Ostjaken, ist aber für dieses Winterklima ganz
zweckmäßig, besteht aus zwei Theilen, einer Maltza und einer
Parka, und es steckt der ganze Mensch darin. Nur für Angen,
Mund und Ohren sind Oesfnungen gelassen, und das Ganze wärmt
dermaßen, daß mau mit solcher Umhüllung jeder Kälte Trotz bieten
kann. Die Leute sind an hohen Frostgrad gewöhnt, und wenn Lippen
und Ohren etwa erfrieren, so reiben sie dieselben mit kaltem Brannt-
wein und die Sache hat weiter keine nachtheiligen Folgen.
Die Ostjakinnen tragen sich im Winter genau so wie ihre
Männer, aber haben noch einen Schleier vor dem Gesicht, den sie
in Gegenwart ihres Schwiegervaters und ihrer Schwäger nie
lüften, während jeder Fremde sie unverhüllt sehen kann. Sie
flechten das lange schwarze Haar in Zöpfe und lassen diese lang
herabfällen. Ganz unten an diesen perlengeschmückten Zöpfen
hängen silberne Münzen von der Größe eines Thalers. Im
Sommer hat die Ostjakin einen Unterrock von rother oder über-
haupt schreiender Farbe; das Mieder ist mit Schellen oder Glöckchen
besetzt, und als Oberkleid dient ein großes rothes, blangerändertes
Schleiertuch, das den ganzen Körper umspannt. Sowohl Männer
als Frauen tättowiren sich.
Ein heirathslnstiger junger Ostjak wendet sich, zunächst an die
Eltern seiner Auserwählten, zahlt ihnen eine Kaufsumme, welche
seinen Vermögensverhältnissen entspricht, und hat dann ein Recht,
das Mädchen zu entführen. Aber die Bräute sind billig, man
kann dergleichen schon für den Werth von zwei Thalern kaufen;
manche kosten aber viel, nämlich fünf und zwanzig bis dreißig
Thaler! Gewöhnlich unterwirft sich das Paar einer christlichen
Trauung, denn die Ostjaken haben die Gefälligkeit, ihre Kinder
taufen zu lassen, aber im Innern sind und bleiben sie dem Glauben
ihrer Väter getreu; der Schamanismus bleibt in alten Ehren, ob-
wohl man ein kleines kupfernes Kreuz auf der Brust trägt. In
jeder Hütte ist ein Götzenbild, welchem der Ostjake, bevor er speist,
die Lippen mit Blut beschmiert. Das ist eine Art von Dankopfer.
Im September. Die Leute in Beresof sind rechtschaffen
und ehrlich. Wenn irgend eine Missethat verübt wird, so kann
man durchschnittlich annehmen, daß der Verbrecher ein Fremder,
ein Mensch aus dem civilisirten Europa sei. Man hat weder Riegel
noch Schlösser oder Ketten an den Thüren; Diebstahl ist eine fast
unbekannte Sache. Auch das Vieh, welches in der warmen Jahres-
zeit auf die Weiden getrieben wird, ist beinahe ohne Aufsicht.
Am 5. Oktober. Wir sind nun in vollem Winter. Gegen
4 Uhr Nachmittags bricht die Dunkelheit herein; mein Thermo-
meter zeigt 30 Grad Reaumur Kälte, und das finden die Leute
hier völlig in der Ordnung. Heute habe ich eine Fahrt auf einem
von Renuthieren gezogenen Schlitten gemacht. Man spannt drei
Thiere vor eine solche Narte, die mit fabelhafter Schnelligkeit
dahin fliegt, bergauf oder bergab. Die Rennthiere können die Hitze
nicht vertragen und man treibt sie deshalb schon im April in's Ge-
birge, in den Ural, wo der Schnee auch während der Sommer-
monate liegen bleibt.
Am 8. December. Grimmige Kälte! Die Fenster haben
keine Glasscheiben, sondern statt derselben Fischhäute,
die in eigenthümlicher Art znbereitet werden. Sie halten Wind
und Kälte vortrefflich ab, und man kann das Eis von ihnen leicht
abschaben; aber sie lassen nur ein schwaches Licht hindurch und es
ist auch bei Tage düster in solchen Zimmern. Ohnehin haben wir
jetzt am Tage nur drei Stunden laug Tageslicht; man freut sich,
wenn die Sonne einmal zum Vorschein kommt, aber sie ist sehr matt
und erwärmt nicht.
Uhren sind selten; selbst auf den Kirchen fehlen sie. Auf dem
Polizeiamte steht eine Sanduhr, welche ein Kosak alle halbe
Stunden nmkehren muß. Sobald er es gethan, schlägt er in der
Kirche mit einem Hammer auf die Glocke, und auf solche Weise
erfährt man in Beresof, wie viel es an der Zeit sei. Am Tage
pflegt der Kosak seine Sache ganz richtig zu machen, aber in der
Nacht, in schlaftrunkenem Zustande, fallen dann und wann kleine
Jrrthümer vor. Ich habe einmal die Glocke fünf und vierzig
schlagen hören!
Die Einwohner vertreiben sich die Langweile der Wiuterzeit
so gut sie können. Alles, was irgend eine Zerstreuung bringt, ist
Das Erdbeben auf Rhodus.
217
willkommen, und die wandernden Banden, welche Geschichten,
Sagen und Märchen erzählen, sind überall wohl ausgenommen.
Um Neujahr 1840. Die Weihnachtszeit bringt manche
Ergötzlichkeiten; die Beresofer treiben Mummenschanz, maskiren
sich und machen so einander Besuche. Aber Lustbarkeiten und Ver-
gnügungen in unserm europäischen Sinne fehlen; selbst die ver-
larvten Leute reden nur wenig; man ist sehr schweigsam im hohen
Norden.
Die Glocken haben das neue Jahr verkündet, und die Leute
beglückwünschen einander. Für mich ist keine Freude. —
Am 21. Januar. Die Beresofer sind wie im Taumel. Alt
und Jung, beiderlei Geschlechts, führen phantastische Tänze auf,
selbst Großmütter gebärden sich wie besessen. Ich sah eine Frau,
die vor wenigen Wochen ein liebes Kind verloren hatte und deren
Trauer aufrichtig war; aber nun tanzt und springt sie umher, als
ob gar nichts vorgefallen wäre. Zur Zeit des Dreieinigkeitsfestes
darf mau nicht betrübt sein; Ausgelassenheit gilt für Pflicht und
ein paar Tage lang sind die Leute wie närrisch.
Dann aber wird Alles wieder still und ordentlich. Meine
Wirthin kam mit Weihwasser in meine Zimmer und sprengte das-
selbe nach allen Richtungen hin. Während der letztverflossenen
Tage, sagte sie, ist der Teufel mächtig gewesen; die Ausgelassen-
heit und die Tänze warm ein Werk des Satans, und nun müssen
wir als gute Christen dem Höllenwerk ein Ende machen. Das
Weihwasser und Gebete verjagen den Satan. —
In der folgenden Stacht hatten wir einen fürchterlichen Sturm,
der mehrere Dächer abdeckte und Bäume entwurzelte, aber unser
Haus blieb unversehrt. Am Morgen kam die Wirthin und erklärte
uns, daß der Teufel aus Wuth und Aerger jenes Unwetter an-
gestiftet habe. „Wir aber konnten ganz ruhig sein; mein Weih-
wasser hat ihn ohnmächtig gemacht."
Die Kälte ist auf 35° R. gestiegen; ausgeworfener Speichel
wird zu einem Eisklumpen, ehe er auf die Erde fällt, und der Hauch
bildet vor dem Munde Eistheilchen.
Ende Februars. Die Fastenzeit wird streng beobachtet; die
Leute essen schlecht und nur wenig, gewöhnlich rohen Fisch, der ge-
froren ist und in sehr kleine Stücke zerlegt wird. Manchmal be-
streuet man diese mit Pfeffer, aber nie mit Salz.
Am 3. Mai. „Die Krähen sind da, die Krähen sind
da!" Diese Worte ruft ein junger Mensch mir in's Zimmer; er
steckt aber nur den Kopf durch die Thür und läuft fort. Er ist
heiter und vergnügt und klatscht in die Hände. Unsere Wirthin
erklärt uns, was das Alles bedeuten wolle. Die Krähen sind
die Boten des Frühlings, verkündigen Wärme und Freude.
Wer so glücklich ist, die erste Krähe zu sehen, läuft von Haus zu
Haus und verkündet die frohe Botschaft.
Wir wollen zum Schlüsse bemerken, daß Frau von Felinska
nach einiger Zeit begnadigt wurde; sie ist 1859 gestorben.
Vas Erdbeben
Rhodus hat fast an jedem Tage heitern Himmel, die Sonne
ist dort selten umwölkt und das herrliche und fruchtbare Eiland,
das man mit Recht als eine der anmuthigsten Stellen auf der
ganzen Erde bezeichnet, war dem Helios lieb und werth, und ihn
verehrten die Bewohner. Aber sie ist auch den Mächten der Unter-
welt verfallen. Diese stürzten schon im Alterthume den berühmten
Koloß, dieses Bild des Sonnengottes, durch ein Erdbeben, und
sie sind in allen Jahrhunderten mehr oder weniger thätig gewesen.
Und eben jetzt wurde die Souneninsel abermals in einer entsetz-
lichen Weise durch eine gewaltige Bodenerschütterung heimgesucht,
lieber das Erdbeben vom 22. April 1863 liegen uns einige Be-
richte vor.
Ein Augenzeuge schreibt einer Pariser Zeitung, Le Temps,
Folgendes: — Solch ein gewaltiges Erdbeben wie das am 22. April
ist auf dieser Insel noch nicht erlebt worden. In der Stadt Rhodus
und allen Dörfern blieb kein einziges Haus verschont; der große
St. Michaelsthurm ist eingestürzt; was von Trümmern desselben
noch aufrecht steht, droht gleichfalls den Einsturz. Der Leucht-
thurm ist eine Ruine; der Palast der Großmeister, welcher vor
Kurzem in ein Gefängniß umgewandelt worden war, gleichfalls.
Die Mauern und sämmtliche Kirchen der Stadt sind mehr oder
weniger stark beschädigt. In der Ortschaft Tri and a stehen kaum
noch zehn Häuser; zwölf andere Dörfer sind ganz und gar zerstört.
Mehr als dreihundert Menschen sind erschlagen worden, und die
Menge der Verwundeten ist unzählig. Das Dorf Massari hat
am schwersten gelitten; es war von 26 Familien bewohnt; von
den Angehörigen derselben leben nur noch 35 Personen, die aber
sämmtlich verwundet sind. Zwei Tage nach der Katastrophe be-
suchte ich Massari, wo man bereits 126 Leichen begraben hatte.
Von einzelnen Familien hatte man gar nichts mehr gesehen, weil
die Stelle nicht zu erkennen war, auf welcher ihre Häuser gestanden
hatten. Während meiner Anwesenheit wurden binnen einer Viertel-
stunde fünf Leichen hervorgezogen. Es war ein entsetzlicher An-
blick. Dieses traurige Schauspiel erinnerte mich an die Pulver-
explosion von 1856. Lin dos hat wenig gelitten. Noch immer
Globus IV. Nr. 7.
auf Rhodus.
verspüren wir Erdstöße, aber sie werden schwächer, und hoffentlich
werden sie bald aufhören. (— Das war nicht der Fall; sie haben
bis weit in den Mai hineingedauert —).
Um das Unglück noch schlimmer zu machen, fiel drei Tage
nach dem Erdbeben ein unendlicher Regen in Strömen herab und
verdarb den Bauern, was sie an Getreide und Lebensmitteln etwa
gerettet hatten, völlig. Nun haben diese Unglücklichen weder
Obdach noch Nahrung, sie haben Alles verloren: Verwandte,
Freunde, Häuser, Kleider, Vieh, Seidenwürmer. Das Elend
ist entsetzlich. —
Aus späteren Berichten geht hervor, daß dreizehn Dörfer
ganz und gar oder doch beinahe völlig zerstört worden sind, nämlich
Trianda, Bastida, Maritza, Damatria, Salakos, Dimilia,
Lardos, Catavia, Laerma, Pilona, Lacharia, Jstridos, Mono-
tilos und Massari; von diesem letztern steht nicht einmal eine
Mauer oder Wand mehr; von mehr als 200 Einwohnern sind
nur 35 am Leben geblieben. Sehr arg mitgenonmen, aber doch
nicht völlig zerstört, wurden die Dörfer Krimasto, Villanova, Kos-
kino, Kalithies, Gennadi, Vati und Archangelos; am wenigsten
j litten Faudos, Maloua und Liudos. Auf der ganzen Insel blieben
überhaupt nur fünf Dörfer verschont. Die Ernte bietet keine
Aussichten; viel Vieh ist zu Grunde gegangen.—
Wir haben im Globus III, S. 33 ff., einen Blick auf die
Insel Rhodus geworfen, und Abbildungen, namentlich jene des
Hafens und der Thürme mitgetheilt. Wir lesen nun in der Times,
daß den Seefahrern, welche Rhodus besuchen wollen, große Vor-
sicht anempfohleu wird. Denn, wie schon gemeldet wurde, das
Feuer auf dem Leuchtthurme brennt nicht mehr, die Unterlagen
des letztern wichen und so stürzte er zusammen.
Wir schließen den Bericht eines Deutschen an, welchen wir in
der Allgemeinen Zeitung finden; er ist vom Mai datirt.
Giebt es in der Welt eine schrecklichere Heimsuchung als die
Katastrophe, die wir hier zu schildern versuchen wollen? Am
22. April d. I., um halb 11 Uhr Abends, hat ein heftiger Erdstoß
diese Insel in den bedauernswürdigsten Zustand versetzt. Die von
28
218
Das Erdbeben auf Rhodus.
dieser Naturerscheinung ungerichteten Verwüstungen sind gross.
Ganze Dörfer sind zerstört; überall herrscht Trostlosigkeit, überall
stößt man auf verhängnißvolle Spuren dieser Geißel der Menschheit-
Zwanzig Sekunden haben hingereicht, um diese Zerstörungs-
arbeit zu vollbringen. Zwanzig Sekunden sind die Zeit, welche
das Erdbeben gebrauchte, um aus der Insel Rhodus fast nur einen
Trümmerhaufen zu machen. Hier sind Häuser eingestürzt, dort
liegen unter dem Schutte begrabene Opfer; überall trifft man die
gleichen, herzzerreißenden Scenen. Welches Verhänguiß lastet denn
auf dieser dem Unglück geweihten Insel? Wunden, die noch bluten
in Folge der Erdbeben, welche in den Jahren 1851 und 1856 die
Insel verheerten, werden größer als je wiederaufgerissen. Seit
Menschengedenken hat kein stärkeres Erdbeben als
dieses letzte auf Rhodus stattgefunden. Wer kann sich
ohne Schauder der traurigen Nacht des 22. April erinnern? Diese
schmerzliche Erinnerung wird nie aus unserm Gedächtniß ver-
schwinden.
Bereits seit einigen Tagen tobte mit äußerster Heftigkeit ein
schneidend kalter Nordwind. In der Nacht des 22. April verdoppelte
sich seine Heftigkeit, ein wahrer Sturm brach los, und einige
schwärzliche Wolken zeigten sich am Firmameute. Der Anblick des
Himmels bot ein düsteres, drohendes, unglückschwangeres Geinälde;
die Atmosphäre war drückend, gewitterhaft. Wir fanden diese
Nacht sonderbar, und wider Willen bemächtigte sich unser eine
gewisse Unruhe, die wir uns nicht erklären konnten. Allein nicht
Einer hätte an die schreckliche Katastrophe gedacht, die uns deci-
miren sollte. Der Tod war indessen da, er schwebte über unseren
Häuptern, und um halb 11 Uhr Abends brach, wie gesagt, das
Erdbeben los. Dem Phänomen war ein sehr langes unterirdisches !
Geräusch vorangcgangeu und gefolgt. Beinahe die ganze Be-
völkerung lag zu dieser Stunde der Nacht iu tiefem Schlafe, der
leider für gar Manche ein ewiger sein sollte. Stille — die Stille
der Gräber — herrschte überall; sie ward nur unterbrochen durch
das scharfe Pfeifen des Windes und das dumpfe Getöse des auf-
gewühlten Meeres. Ein Stoß, ein einziger, dessen Dauer
20 Sekunden nicht üb erschritt, hat hingereicht, um aus
einem großen Theil unserer Insel einen Trümmer-
haufen zu machen.
Mau kann nur mit Wehmuth an die Schrecken dieser Nacht
denken: hier Klagen und Seufzer, dort Trauer, Trostlosigkeit.
Frauen warfen sich nieder auf ihre Knie und beteten: andere ver-
deckten ihr Gesicht mit den Händen, um das rasche Herannahen
eines entsetzlichen Todes nicht sehen zu müssen. Der St. I o h a u n i s -
thurm, dieses schöne Baudenkmal der Johanniter-Ritter, das
seit Jahrhunderten allen Arten von Gefahren getrotzt hat, ist nur
noch eine Ruine. In einigen Dörfern war die Wuth des Erdbebens
so groß, daß die Zerstörung dort vollständig ist. In einem dieser
Dörfer wurden mehr als 140 Personen unter dem Schutte hervor-
gezogen, theils todt, theils grauenhaft verstümmelt. Wie schrecklich
mußte ihr Tod sein! In jeder Straße, in jedem Quartier ertönt
dasselbe Klagelied. Aus den von uns eingezogenen Erkundigungen
geht hervor, daß mehr als 300 Personen das Leben verloren. Eine
gleiche Anzahl ist mehr oder minder schwer verwundet. Mehr als
1500 Häuser sind eiugestürzt, und von den noch aufrecht stehenden
sind ungefähr 4000 weitere iu dein traurigsten Zustande.
Bei jedem Schritte stößt man iu den Straßen auf blasse,
traurige, abgehärmte Gesichter. Hier jammert ein Vater, eine
Mutter, dort weint ein Bruder, eine Schwester, ein Verwandter
oder ein Freund. Die düstere Verzweiflung schildern zu wollen, der
sie zur Beute geworden, wäre unmöglich. Es ist eines jener Schau-
spiele, in welche der Schrecken, so zu sagen, au's Erhabene streift.
Eine junge Mutter, blaß wie ein Gespenst, die Haare zerzaus't,
betrachtet, dem Wahnsinn verfallen, ihre drei Kinder, die man so
eben unter dem Schutthaufen hervorgezogen hat. Der Schmerzens-
schrei, den sie erhebt, ist herzzerreißend. Vergeblich sucht man sie
zu trösten. Sie hört nichts, sieht nichts als ihre entseelten Kinder:
„sie ist die Rahel, welche ihre Kinder beweint und sich nicht trösten
läßt, dieweil sie nicht mehr sind".
Ich muß darauf verzichten, die Leiden, die Entbehrungen
aller Art zu schildern, welche die ärmeren Schichten der Bevölkerung
zn erdulden haben. Unsägliches Elend herrscht unter ihnen. Einen
solchen verzweiflungsvollen Anblick bietet in diesem Augenblick
unsere Insel. Man schätzt, ohne irgend zn übertreiben, die Verluste
auf 4,000,000 Franken. Die 120,000 Franken, welche die türkische
Regierung kürzlich, als schwache Hülfe für die Bedürftigsten, über-
sandte, sind nur ein in den Ocean geschleuderter Wassertropfen.
Ferdinand von Hochstetter's Werk über Neuseeland.
— Die deutschen Forschungsreisenden. — Einwirkung des Kontaktes der Europäer ans
— Die Maoris auf Neuseeland. — Ihre Getter- und Wanderungssagen. Religiöse
— Grenzen der Civilisationsfähigkeit. - Volkszahl. - Gegenwärtige Zustände. -
Die Weltlage von Neuseeland. — Georg Forster's Prophezeiung. -
die Insulaner der Südsee. — Die Polynesier und ihre Verbreitung.
Anschauungen. — Sitten und Gebräuche. — Die Anthropophagie.
Das ist eine gediegene, prächtige Arbeit, auch .eine Frucht
der Novara-Expedition, an welcher bekanntlich Höchst etter theil-
nahm. Es war ihm vergönnt, neun Monate „eines der merk-
würdigsten Länder der Erde" erforschen zu können. Die Engländer
bezeichnen dasselbe als das „Großbritannien der Südsee", und in
der That hat es eine reiche Zukunft.
Hochstetter erinnert an einen Ausspruch Karl Ritter's,
welcher 1842 in begeisterten Worten sagte: Neuseeland erscheine
berufen, eine „Mutter civilisirter Völkergeschlechter" zu
werden.
Wir unsererseits wollen hervorheben, daß mehr als sechszig
Jahre früher als von Ritter die herrliche Weltlage Neuseelands und
dessen künftige Weltbedeutung weit großartiger und schärfer von
Georg Förster bezeichnet worden ist. Cook suchte 1769 das
„hochgepriesene Südlaud" auf, welches in der Mitte des Großen
Weltmeeres nicht weit vom Wendekreise liegen sollte. Aber er fand
bis zum 40? S. Br. keine Spur von nahem Lande, und wandte
sich westwärts nach den Küsten von Neuseeland, welche seit den
Tagen des holländischen Entdeckers, Abel Tasman, nicht wieder
gesehen worden waren. Man wußte von diesen Inseln wenig
mehr als daß sie vorhanden seien und streitbare Bewohner hätten.
Cook entdeckte sie am 6. Oktober 1769 und fand, daß das, was
man bisher für einen Theil des vermeintlichen festen Südlandes
gehalten hatte, zwei große Inseln seien. Die Küsten derselben
wurden sechs Monate lang untersucht. Nun sagt G. Förster: *)
„Cook's Nachrichten beweisen zur Genüge, daß zumal die
nördliche Insel wegen ihrer vortrefflichen Häfen, ihrer Anhöhen,
Thäler und wohlbewässerten Ebenen, ihres gemäßigten Himmels-
striches, ihrer herrlichen Wälder vom besten Bau- und Nutzholz,
ihrer dauerhaften Flachspflanze und ihrer fischreichen Gestade,
dereinst für unternehmende Europäer eine höchst wichtige Entdeckung
werden kann. In dem leichten, fruchtbaren Boden jenes Landes
*) In dem trefflichen Aufsätze: Cook der Entdecker; in Georg Forster's
sämmtlichen Schriften, herausgegeben von G. G. Gervinus, Leipzig 1843,
j Bd. V, S. 82. ' A.
Ferdinand von Hochstetter's Werk über Neuseeland.
219
würden alle Arten von europäischem Getreide, von Pflanzen und
Früchten gedeihen und den Ansiedler mit den Nothwendigkeiten des
Lebens, bald aber auch mit Allem, was zum Ueberflusse gehört, ver-
sehen. Ein Sommer wie in England, dessen Hitze nie beschwerlich
fällt, und ein Winter wie in Spaniens gemäßigten Provinzen,
der eigentlich kein Winter ist, machen das dortige Klima zum an-
genehmsten Aufenthalte. Für den weit um sich greifenden
Handel, der getrennte Welttheile verbindet, kann keine
Lage vortheilhafter sein als diese, welche zwischen
Afrika, Indien und Amerika die Mitte hält. Man
denke sich in Neuseeland einen Staat mit Englands
glücklicher Verfassung, und es wird die Königin der
südlichen Welt."
Das wollten wir hervorheben, ehe wir auf Hochstetter's Werk
eingehen. Förster hat das Richtige geahnt. Ein Vergleich Neu-
seelands mit Australien fällt zu Gunsten des erstern aus. Wir
haben im Globus mehrfach hervorgehoben und betonen auch hier
wieder, daß das letztere eigentlich ein, wir möchten sagen roher
Erdtheil sei, mit Extremen verschiedener Art, im Innern unge-
gliedert, und eine Wüste mit Oasen für Viehzucht. Eigentliches
Kulturgebiet kann Australien nur in den gegliederten Küstenregionen
sein und werden; im Innern wird es immer nur einzelne und ver-
einzelte Vorposten der Kultur haben können.
Wir Deutschen besitzen keine Kolonien, aber wir verstehen es,
die Kolonien anderer Völker am besten zu erforschen und zu be-
schreiben. 8ic nos non nobis! Es wäre besser, wir besäßen
Pflanzungen und schilderten sie so vortrefflich als von so vielen un-
serer Landsleute geschehen ist und noch alljährlich geschieht. Wir
nennen hier nicht die lange Reihe Namen unserer deutschen For-
schungsreisenden seit 1762, da mit Carsten Niebuhr eine neue Epoche
begann, und bleiben bei Neuseeland, um dessen Kunde sich früher
Dieffenbach und jetzt Hochstetter und Julius Haast so ver-
dient machten. Ein Gesammtbild von Neuseeland haben die Eng-
länder durch diese Männer erhalten.
Hochstetter entwirft zuerst eine physisch-geographische Skizze,
schildert die Urbewohner, deren Ueberlieferungen, Mythen und
Poesien, giebt einen Ueberblick der Geschichte von den Tagen der
Entdeckung bis zu jenen des Goldsiebers und beschreibt dann die
Einzelnheiten übersichtlich, klar und vortrefflich. Das Mineral-
reich, die Pflanzenwelt und die Thierwelt, die Alpen, Vulkane
und Seen werden eingehend erörtert; klar und anziehend sind auch
die Abschnitte über die Eingeborenen, die Maoris.
Dem Schreiber dieser Zeilen gereicht es zur Freude, durch
einen so scharfsinnigen und vorurtheilslosen Naturforscher wie Hrn.
von Hochstetter, der an Ort und Stelle seine Wahrnehmungen
machte, bestätigt zu finden, was von ihm schon im Frühjahre
1858 geäußert wurde. Die Missionäre hatten, wie das üblich ist
und an ihnen nicht befremden kann, in hochtrabenden Worten große
Ergebnisse über ihre Wirksamkeit verkündet. Es gebe, so be-
haupteten sie, kein zweites Beispiel von einer so raschen und durch-
greifenden Einwirkung ans einen Menschenstamm, wie jener auf
Neuseeland. Binnen fünfzehn Jahren seien Alle, bis ans wenige
tausende, vom Heidenthum abgezogen; der Maori lese das Evan-
gelium in seiner Sprache; Söhne wilder Kriegshäuptlinge seien
Prediger. — Wir stellten diesen Behauptungen der sanguinischen
Missionäre die Beobachtung eines englischen Arztes entgegen, der
mit anderen Augen sah als die Geistlichen. Er schrieb, daß es mit
jener vielgerühmten Civilisation nichts sei; was man davon sage,
sei nur Wind und Aufschneiderei. „Wilde sind und bleiben sie
und die Barbarei steckt ihnen im Blute. Die Missionare haben
nun schon lange unter den Maoris gearbeitet und viel von Er-
folgen gerühmt, sie müssen aber jetzt mitBetrübniß eingestehen, daß
die vermeintlich Bekehrten nicht nur wieder verwildern, sondern
daß sie weit schlimmer sind als zu der Zeit, da sie noch Heiden
waren."
Wir werden weiter unten zeigen, wie Hochstetter diese Fragen
auffaßt, und wollen jetzt ein wichtiges anthropologisches Moment
hervorheben, das mit unerbittlicher Konsequenz in den Vorder-
grund tritt.
Wir sagten"): „In der Südsee wirkt der Kontakt zwischen dem
weißen und dem dunkelgefärbten Menschen nicht minder zersetzend
und auflösend, wie bei den Wald- und Prairie - Indianern Nord-
amerikas. In Australien und Tasmanien verschwindet der Ein-
geborene, auch auf Neuseeland nimmt die Zahl der Maoris rasch
ab. In Polynesien hat der Andrang der Weißen kaum erst be-
begonnen, und doch tritt schon klar zu Tage, daß alle diese
Polynesier rettungslos dem Untergänge geweiht sind.
Das Berhängniß will seine Erfüllung haben und läßt sich
nicht abwenden; alle Bemühungen, dem Verlaufe der Dinge
Stillstand zu gebieten, werden vergeblich sein. Diese Polyne-
sier mit ihrer halben oder völligen Barbarei sind durch die
Europäer und Nordamerikaner aus ihrem Gleichge-
wi ch t e g e w o r f e n w o r d e n. Das Alte ist unwiederbringlich da-
hin und das Neue vermögen sie, ihrer ganzen Beschaffenheit
nach, nicht zu bewältigen. Sie nehmen es an und auf, aber
es bleibt ihnen innerlich theils ganz fremd, theils nur bis zu einem
gewissen Grade verständlich. Ein schlimmerer Feind als die
Blattern sind die starken Getränke. Aus dem Zusammenleben der
verschiedenen Rassen entsteht eine Mischung, welche mit allen
Mängeln der Halbschlächtigkeit behaftet ist. — In der
Südsee nehmen die Sachen einen solchen Verlauf, daß diese
Blendlinge vor dem weißen Menschen verschwinden werden; er
zersetzt und vernichtet auch sie, gleich den Eingeborenen. Das
braune Menschenelement also, der Mischling wie der
Urtypus, ist im Abzug, und wenn noch nicht unser Jahr-
hundert, so doch sicher eines der nächsten, wird den Tag sehen, an
welchem der letzte ureingeborene Polynesier verschwindet. Gleich den
braunen Menschen werden auch die schwarzen Stämme unter-
gehen. Verenden werden sie alle an der ihnen zuge-
brachten europäischen Civilisation." —
Hochstetter giebt zunächst eine Charakteristik der beiden, an
körperlichen und geistigen Eigenschaften sehr verschiedenen Nassen,
von welchen die Inseln des Großen Oceans bewohnt sind. Die
Melanesier (Schwarzen) berühren uns hier nicht, sondern nur
die Menschen von lichterer Hautfarbe, welche in den verschiedensten
Schattirungen von Braun vorkommt. Sie haben einen starken,
regelmäßigen Körperbau und stehen auf der Stufenleiter der
Menschenrassen weit höher als jene Schwarzen, und zeichnen sich
durch Vorliebe zur See aus. Sie haben sich verbreitet über die
zahllosen kleinen Inseln und Gruppen, die sich, von den Palaos-
inseln im Westen, nach Osten hin bis zur Osterinsel erstrecken. Aber
sie zerfallen in zwei charakteristisch verschiedene Gruppen: in Mi-
kronesier und in Polynesier im engern Sinne. Den letzter«
gehört die östliche Hälfte, von den Samoa- und Tonga-Inseln
bis zur Osterinsel sammt den Sandwichsinseln und Neuseeland.
Die Mikronesier haben eine etwas dunklere Hautfarbe; ihre ein-
zelnen Völkerstämme sprechen sehr verschiedene Sprachen und
schließen sich im Körperbau, in Sitten und Gebräuchen näher an
die Völker der malayischen Rasse an als die eigentlichen Polynesier.
Diese Letzter» bilden den Mikronesiern gegenüber eine weit mehr
einheitliche, völlig in sich abgeschlossene Völkergruppe. Die
zu derselben gehörenden Menschen reden, trotz der großen Ent-
fernungen, durch welche die einzelnen Stämme getrennt sind, eine
und dieselbe Sprache, nur mit mundartlichen Verschiedenheiten. Sie
haben alle einen und denselben Schöpfnngsmythus, den„Maui-
mythus"; sie haben sämmtlich auch die Einrichtung des Tabu,
d.h. des Gebrauchs, gewisse Personen und Sachen für unantastbar
zu erklären, und sind auch in Körperform und Hautfarbe einander
durchaus ähnlich.
*) Das Erwachen der Siidsee. In: Geographische Wande-
rungen von Karl Andree, Dresden 1869, Bd. n, S. 319 ff.
28*
220
Ferdinand von Hochstetter's Werk über Neuseeland.
Zu diesen Polynesiern im engern Sinne gehören auch die Ein-
geborenen von Neuseeland, und sie sind an Zahl, an körper-
licher und geistiger Begabung der bedeutendste Stamm der poly-
nesischen Rasse. Sie haben die natürlichen Anlagen dieser letzteru
bis zu dem Grade von Spannkraft entwickelt, dessen diese Rasse
überhaupt fähig ist.
Abel Tasman's Leute, in der ersten Hälfte des siebeuzehnten
Jahrhunderts (1642), wollten in einer Bucht an der Nordküste der
Südinsel landen, aber sie wurden von den Eingeborenen ange-
griffen und vier Matrosen erschlagen. Das war in der „Mörder-
bucht." Diese Insulaner waren Menschenfresser.
Aber heute? Europäische Städte und Ansiedelungen blühen
an den Gestaden Neuseelands, die Mörderbucht heißt Golden-Bay,
und seit Jahrzehnten leben Europäer neben den Eingeborenen. Man
kennt die Sprache derselben, man versteht ihre Sitten und Ge-
bräuche, hat in den furchtbaren Wilden ein Volk kennen gelernt,
das sich durch seine reiche Begabung weit über den gewöhnlichen
Strich der übrigen Eingeborenen des Großen Océans erhebt.
Seine Eigenschaften erinnern an jene der alten Germanen, wie sie
Tacitus schildert; sein kühner Muth in den Kämpfen mit der
europäischen Einwanderung und Civilisation erregt unsere Be-
wunderung und wir verfolgen sein Schicksal mit Theilnahme.
Die Neuseeländer bezeichnen sich selbst als Maori*); und be-
trachten alle anderen oceanischen Rassen als tief unter sich stehend.
Ihre Herkunft ist in tiefes Dunkel gehüllt, aber in den schwer zu
deutenden Sagen, welche sich durch mündliche Ueberliefernng fort-
gepflanzt haben, scheinen allerdings ganz verschwommene historische
Erinnerungen enthalten zu sein.
Die Schöpfungssage trägt die Form eines Fischer-
mythus; das ist bei einem Jnselvolke natürlich und erklärlich.
Die Völker bilden sich überhaupt ihre Kosmogonien nach den
Natnrumgebungen, und in den Mythus kommt im Fortgange der
Zeit noch allerlei Zuthat. Der oben erwähnte Maui war der
Schöpfer von Neuseeland; er fischte das Land aus dem
Meer. An den Schöpfungsmythus schließen sich Entdeckungs-
und Einwandernngssagen, für welche Hawaiki der Aus-
gangspunkt ist. Diese Insel liegt nach den Vorstellungen der
Maoris im Osten oder Nordosten von Neuseeland. Von dort,
meinen sie, seien die Vorväter des jetzigen Geschlechts gekommen.
Man nennt noch die Namen der Kahnschiffe, mit welchen dieselben
landeten. Man weiß, daß sie die süße Kartoffel, den Taro, die
Kalebassenpflanze Hue, den Karakabaum, die Ratte Kiore und den
grünen Papagei Kakariki mitgebracht hätten. Hochstetter bemerkt
dazu: In der That weichen auch alle diese noch auf Neuseeland
vorkommenden Thiere und Gewächse in auffallender Weise von
*) Das Wort Maori bedeutet im Sinne der Eingeborenen nichts Anderes
als: einheimisch, eingeboren, überhaupt etwas, das auf Neuseeland
gewöhnlich vorkommt. Tangata maori ist der eingeborene Mensch,
im Gegensätze zum Tangata p aheka, dem fremden Menschen. So heißt
Wai maori, gewöhnliches Wasser, süßes Trinkwasser. — Die Nordinsel von
Neuseeland heitztTeJka a Mani, d.h. derFisch desMani. Mani ist
in der Sage eine Art von Herkules, war Lehrer im Kahn - und Häuserbau, Er-
finder der Kunst, auö Flachs Stricke zu drehen, Herr des Wassers und Feuers,
gleichsam ein Nationalgott. Die Südinsel wird von den Maoris als T e W a h i
Punamu bezeichnet. Punamu ist der Nephritstein (Beilstein, Jade, neu-
seeländischer Grünstein), welcher von den Maoris sehr geschätzt wird. Sie ver-
fertigen aus demselben Zierrathen und Steinäxte, und gingen häufig von der
Nordinsel nach der Südinsel hinüber, um von dort solchen Stein zu holen.
Te wähl punamu bedeutet Platz oder Land des Grünsteins. Das dritte
kleine Eiland der Gruppe, die Stewarts-Insel, heißt Üi a k iura, vonraki,
trockenes, und ura. schönes Wetter, der Südwind bringt klaren Himmel und
schönes Wetter. Für ganz Neuseeland haben die Maoris keinen allgemeinen
Namen. Hochstetter, S. 48 und 49. — Es ist sehr zweckmäßig, daß man au-
gefangen hat, in geographischen'Lehrbüchern die Bedeutung der fremden
Namen in Bezug auf Länder, Berge, Flüsse, Städte, Völker rc. beizufügen.
Das ist mit großem Fleiße geschehen in I. I. Egli's Praktischer Erd-
kunde für höhere Lehranstalten, St. Gallen 1863. Diese zweite ver-
besserte Auflage des knapp und bündig abgefaßten mit Umsicht und praktischem
Treffer ausgearbeiteten Buches giebt eine etymologische Erklärung von etwa
1000 Eigennamen und Kunstausdrücken. A.
dem übrigen Naturcharakter der dortigen Flora und Fauna ab
und weisen auf eine unter den Tropen gelegene Heimat hin. Welche
Insel unter jenem Hawaiki zu verstehen sei, wird sich schwerlich mit
voller Bestimmtheit ermitteln lassen. Man nimmt an, daß die Ein-
wanderung vor etwa zwanzig Generationen, zu Anfang des vier-
zehnten Jahrhunderts, stattgefnnden und sich auf etwa 800 Seelen
belaufen habe. Ebenso wenig wissen wir, von woher die Be-
wohner von jenemÄuswanderungslandeHawaiki stammen. Nach
der Ansicht Sch irren's (Die Wandersagen der Neuseeländer und
der Mauimythus; Riga 1856) bedeutet dieses Wort: Das Unten-
gelegene, die Unterwelt, Todtenwelt, und hat keine geo-
graphische, sondern eine mythische Bedeutung. Es ist Anfang und
Ende, nach Anschauung der polynesischen Völker der Ort, von wo
die Ahnen gekommen und wohin die Seelen der Abgeschiedenen
zurückkehren.
Die „Ein Paradies"-Phantasten und Jene, die aus einem
asiatischen Centralpunkt oder wenigstens ans der „Alten Welt" alle
Kreatur herholen und „über die ganze Erde ausstrahlen" lassen
möchten, werden mit den folgenden Bemerkungen Hochstetter's
nicht einverstanden sein; wir unsererseits finden sie vortrefflich und
verständig.
Auf Neuseeland sucht jeder Stamm durch eine künstlich kom-
binirte Ahnenreihe seine Herkunft von einem mythischen Wander-
helden herzuleiten und dadurch sein Anrecht auf diesen oder jenen
Grundbesitz zu beweisen. Auf solche Weise schließen sich die Wander-
sagen an den Maui-Mythus an. Die Neuseeländer haben von
einer Einwanderung ihrer Ahnen keine historische, sondern nur
mythische Kunde, und damit schwindet jeder Anhaltepunkt, die
Eingeborenen nach ihren Sagen durch Einwanderung von dieser
oder jener Südseeinsel herzuleiten.
Maui ist der vorzüglichste Repräsentant bei allen Polynesiern,
ihre Nationalgottheit; er beweist ebenso unwiderleglich, wie die
gemeinsame Sprache, die ursprüngliche Einheit und Zu-
sammengehörigkeit der polynesischen Menschenwelt.
Wenn diese heutzutage zerstreut und wunderbar vertheilt erscheint,
dann müssen allerdings Wanderungen stattgefunden haben. Ja,
die Polynesier sind vielleicht das größte Wandervolk der Erde,
wahre Zigeuner des Meeres, und noch heute zeichnet diese Menschen
eine fast instinktmäßige Liebe für das Wasser und das Seewesen,
eine unwiderstehliche Neigung zum Reise- und Wanderleben aus.
Aber zur Beantwortung der Fragen: wann und in welcher Rich-
tung diese Wanderungen erfolgte und welches der ursprüngliche
Ausgangspunkt der Rasse war, fehlen uns alle Anhalte-
punkte.
Man hat an Amerika gedacht oder an Asien; man hat auch
einen Kontinent der Südsee angenommen, welcher einst die natür-
liche Heerstraße großer Völkerwanderungen gewesen sei, aber durch
heftige Erdumwälzungen in Trümmer zerbrochen, heute nur noch
in seinen höchsten Spitzen, deren zahllose Inseln der Südsee über
das Wasser emporrage.
Allein nach beiden Richtungen, gen Ost und West,
fehlen die verbindenden Fäden. Weder in den gesellschaft-
lichen Zuständen noch in den ursprünglichen Regierungsformen der
Polynesier läßt sich eine Spur fremden Einflusses oder-
früherer Völkerkreuzung Nachweisen. In der Sprache
sucht man vergeblich nach fremden Elementen, und eben auf
dem sprachlichen Gebiet, auf welchem man gründlich und mit schein-
barem Erfolg einen Zusammenhang mit der malayischen Rasse
Nachweisen zu können glaubte, hat sich dieser Erfolg durch fort-
gesetzte Forschungen illusorisch erwiesen.
Und eben so wenig kann man im Maui-Mythus fremdartige
Bestandtheile, wie Entlehnung aus anderen Mythensystemen, er-
kennen. Schirren führt den ganzen Sagenkreis zurück auf einen
Kultus von Elementargeistern, wie er aufeinerfrühern
Stufe des Gottesbewußtseins allen Völkern gemeinsam
sein muß; selbständig hervorgeg au gen in jedem Volke,
Ferdinand von Hochstetter's Werk über Neuseeland.
221
ja in der Brust des einzelnen Menschen; — auf einen
einfachen Sonnenkultus, in konkrete Bilder von Sagen
und Märchen gefaßt durch die lebendige Phantasie
eines ursprünglich frischen, kindlichen Volkes.
Die Sonne, die Erde, das Meer, die Luft sind dem Natur-
menschen nicht bloße Elemente, sie sind ihm Persönlich leiten,
mit denen er beständig umgeht, deren Gunst er anfleht, deren Zorn
er abzuwenden sucht. Die Mythen des Jnselvolkes entsprechen daher
seiner Natur, seinen Sitten und seiner Sprache derart, daß sie
nicht als Ausfluß einer ältern Bildung in der Ferne gedeutet werden
können, sondern ihre Erklärung nur in sich selbst finden.
Wie der Wohnplatz des Volkes, so blieb auch das Maorivolk
selbst bis in die neuesten Zeiten unberührt von den Stürmen der
Völkerbrandung und ihrer Geschichte. Und was für die merk-
würdige Menschenwelt der polynesischen Inseln gilt, das gilt,
zumal auf Neuseeland, auch für ihre eigenthümliche Thier-
und Pflanzenw elt; die eigenartigen, mit nichts Andern:
verwandten Bestandtheile sind so überwiegend und bleiben
ohne Nachweis einer Heimath, daß man auch hier zu der An-
nahme verschiedener Schöpfungskreise kommt. Die
Wissenschaft hat noch nicht vermocht, diese auf ein gemein-
schaftliches Centrum zurückzuführen.
Wir fassen nun die gegenwärtigen Zustände der
Maoris in's Auge. Ihre Gesammtzahl wurde 1858 auf 56,049
Seelen geschätzt, wovon 31,667 männlichen und 24,303 weiblichen
Geschlechts. Auf die Nordinsel kommen davon 53,056, und
zwar in die Provinz Auckland 38,269, Taranaki 3015, Wellington
und Hawkes Bay 11,772 Seelen; auf die Südiusel nur 2283,
wovon in die Provinz Nelson und Marlborough 1120, Canterbury
638, Otago und Sonthland 525. Dazu noch die Stewarts-
Insel mit Ruapuke 200 und die Chatham-Insel mit 510 Seelen.
Ein 1859 zu Auckland veröffentlichtes Blaubuch, berechnet
aus der bisherigen Abnahme der Maori-Bevölkerung
dienichtallzuferneZeit, w osieganzvvnd er Erdever-
schwunden sein wird. Diese Abnahme betrug, jenem amt-
lichen Buche zufolge, in den letztverflossenen vierzehn oder fünfzehn
Jahren, das heißt innerhalb der halben Zeitdauer einer
Generation, neunzehn bis zwanzig Procent. Wenn diese
Abnahme fortdauert, daun wird die Maoribevölkerung zählen:
1872 — 45,164 Seelen, 1886 — 36,393, 1900 — 29,325, 1956
— 12,364 Seelen. Mau kommt so zu dem Schluffe, daß um's
Jahr 2000 die eingeborene Race ziemlich ausgestorben sein wird,
während die europäische Bevölkerung, nach dem Maße der gegen-
wärtigen Zunahme von 84,000 Seelen im Jahre 1860, zu einer-
halben Million im Jahre 2000 angewachsen sein würde. —
Wir glauben, daß das Erlöschen der Maori weit rascher von
Statten gehen, die Zunahme der weißen Bevölkerung aber mindestens
vierfach stärker sein werde, als oben angenommen wurde. Dafür
zeigt die gegenwärtige Einwanderung. Neuseeland zeigt jetzt, 1863,
schon weit über 100,000 Weiße, das Gold zieht eine immer größere
Menge an. Californien hat binnen zehn Jahren eine halbe Million,
Australien binnen einem halben Jahrhundert mehr als eine Mil-
lion Weiße angezogen. Je beträchtlicher die Zahl der Letzteren an-
wächst, um so rascher nimmt das Verschwinden der Eingeborenen
seinen Lauf. Und Neuseeland bietet den Ansiedlern günstigere Ver-
hältnisse als Californien und zum mindesten ebenso giinstige Aus-
sichten als Australien. Es eignet sich gleichzeitig für Ackerbau,
Bergbau, Viehzucht, Handel, Industrie und Schifffahrt. Dazu
kommt das gemäßigte Klima und die prächtige Weltlage. —
Herr von Hochstetter hebt hervor, daß die Maoris sich des
baldigen Aussterbens vollkommen bewußt seien. Sie sehen mit
fatalistischer Ergebung dem unabweisbaren Schicksale
des Erlöschens entgegen. In der veränderten Lage, in welche
sie durch die europäische Kolonisation gekommen sind, und in ihrem
gegenwärtigen Zustande finden wir Gründe genug für das traurige
Schicksal, welches ihnen bevorsteht.
Die Maoris sind, wie schon oben gesagt wurde, ein Zweig
des großen „Zigeunervolkes der Südsee", der Polynesier. So lange
diese wanderten von Insel zu Insel, ihr Blut fortwährend neu
vermischend mit dem Blut anderer Stämme, vermehrten sie sich
und bevölkerten die zahllosen Inseln der Südsee. Die Maoris
machen entschieden den Eindruck einer vielfach gemischten Race;
unter 100 Personen sind etwa 87 braun und haben schwarzes
straffes Haar. Diese vertreten am reinsten das polynesische Ge-
präge. Etwa 10 von 1000 haben eine röthlich braune Haut-
farbe und entweder kurzes gekräuseltes oder langes straffes
Haar, dieses jedoch mit einem Stich in ein schmutziges rost- oder
rothbraun. Drei Procent endlich haben eine schwärzliche Haut-
farbe und krauses, aber nicht wolliges Haar. Am deut-
lichsten erkennbar ist die Mischung mit der malayischen und mela-
nesischen Rasse. Die Häuptlinge gehören gewöhnlich zum rein poly-
nesischen Typus. Auffallend ist auch der Unterschied in der
Physiognomie und der jüdische Gesichtstypus in einigen Distrikten.
Die Entdecker fanden, daß die Maoris in Dörfern beisammen-
leben; ihre geräumigen, aus Holz und Schilsflechtwerk errichteten
Hütten waren mit kunstvollen Holzschnitzereien verziert und mit
bunten Arabesken bemalt. Man muß erstaunen, wenn man bedenkt,
daß diese Holzarbeiten nur mit steinernen Meißeln und Aexten
ausgeführt wurden, und daß man einen ganzen Baumstamm ab-
arbeiten mußte, um ein einziges Brett zu gewinnen; denn Metall-
gebrauch, also auch die Säge, waren unbekannt. Die Maoris
tättowirten Körper und Gesicht. Die Dörfer waren durch Pfahlwerk
und Gräben geschützt und mit ausgedehnten Anpflanzungen um-
geben, in denen man süße Kartoffeln, Taro und Melonen baute.
Neben dem Ackerbau trieb man Fischfang und Jagd, letztere auf
Vögel und Ratten; Hunde, Farnwurzeln und Beeren dienten gleich-
falls zur Nahrung. Man bereitete aus der Faser des neuseelän-
dischen Flachses geflochtene Matten und gewebte Mäntel, und
färbte dieselben mit Stoffen, die aus Rinde und Wurzeln gewonnen
wurden. Eine Schriftsprache haben sie nicht, wohl aber zahlreiche
Sagen, Lieder, Gesänge und Märchen. Die Religion war ein
Kultus vou Elementargeistern, ohne Götzenbilder oder Tempel; das
Volk war in viele einzelne Stämme geschieden und diese wurden
von Häuptlingen patriarchalisch beherrscht. Man hatte Rangklassen
und Sklaven; die Häuptlinge lebten in Polygamie, das Eigeuthum
war Gemeingut des ganzen Stammes. Durch die unaufhörlichen
Fehden der Stännne gegen einander hatte sich ein ungemein kriege-
rischer Bolksgeist ausgebildet: die Erziehung der Jugend erinnert
an spartanische Zucht.
Aber die Neuseeländer waren Kannib alen. Die Menschen-
fresserei war zur Zeit der Entdeckung auf Neuseeland in eine»,
Grade herrschend, wie kaum anderswo. Aber aus den Ueber-
lieferungen des Volkes geht mit Sicherheit hervor, daß dieselbe
erst während der letzten Jahrhunderte in Schwang kam; indeß
herrscht in Betreff des Ursprungs Dunkel. Als die Missionäre über
das Menschenfressen an der Jnselbay jammerten, sagten die Häupt-
linge: „Der große Fisch frißt denkleinen, der Hund den Menschen,
der Mensch den Hund, Hunde fressen einander, Vögel fressen
einander, ein Gott frißt den andern."
Hochstetter's Ansicht geht dahin, daß mit der Zunahme der
Bevölkerung auf den Inseln das Erträgniß der ohnehin wenig er-
giebigen Jagd und damit die einzige Quelle der Fleisch-
nahrung immer spärlicher wurde. Um neue Jagdgebiete, gutes
Ackerland und ergiebige Fischplätze entstanden Streitigkeiten, die
znm Kriege führten. Durch diese verwilderte der Geist des Volkes,
die Feldarbeiten wurden vernachlässigt, Roth trat ein, und Hunger
in, Verein mit Rachedurst und Haß führte im Kriege zu den ersten
Fällen des Kannibalismus. Die Kriege dauerten fort, der Mangel
an Fleischnahrung wurde mit der allmäligen Ausrottung der
Thier- und Bogelarten, welche das Hauptjagdwild ausmachteu,
immer fühlbarer, und so wurde das Menschenfreffeu nach und nach
Brauch, der erst dann wieder aufhörte, als durch Einführung er-
222
Ferdinand von Hochstetter's Werk über Neuseeland.
giebiger Nahrungsmittel dem Mangel abgeholfen und die Grund-
ursache der blutigen Kriege gehoben wurde. Dies geschah durch
Einführung der Schweine, Kartoffeln, Getreidearten durch die
Seefahrer, später auch des Hornviehs. Der letzte Fall von
Kannibalismus gehört in dasJahr 1843. Wohlleben noch
viele Männer, die in ihrer Jugend Menschenfleisch gekostet haben,
aber der jüngern Generation klingt jede Erinnerung daran fast
wie ein Märchen. Ein alter Häuptling, der mit einem jungen
Maori ans der Reise war, sagte diesem: „Sieh, hier haben wir
Deinen Vater gefangen und getödtet; dort haben wir ihn gekocht
und gegessen." Der junge Mann hörte der Geschichte zu, als ob sie
ihn weiter gar nichts anginge; beide schliefen gemächlich in dem-
selben Zelt, aßen aus demselben Topf und waren gute Freunde.
Die Maoris sind mit wenigen Ausnahmen zum Christenthume
bekehrt. Die meisten lernen in vortrefflichen Missionsschulen und
zum Theil in Volksschulen mit eingeborenen Lehrern und Predigern
lesen und schreiben und entwickeln oft staunenswerthe Kenntnisse in
Geographie und Geschichte. Sie treiben Ackerbau und Viehzucht,
betheiligen sich an Handel und Gewerben und sind tüchtige, un-
erschrockene Seefahrer. „Von der Natur mit intellektuellen und
physischen Kräften reich begabt, von lebhaftem Naturell, voll
frischen und freien Selbstgefühls und natürlichen Verstandes, ist sich
der Maori seiner Fortschritte in besserer Gesittung und Kultur
wohl bewußt; allein auf die ganze Höhe christlich eivilisirten Lebens
vermag er sich nicht zu erheben, und in dieser Halbheit geht
er zu Grunde". Die Unfähigkeit der Maoris, sich zur ganzen
Höhe europäischer Gesittung und Bildung zu erheben, meint Hoch-
stetter, zeigt sich in nichts schlagender, als in der Art und Weise,
wie sie sich zur englischen Sprache verhalten und wie sie das
Christenthum auffassen. Die erstere ist ihnen fast ganz fremd ge-
blieben; der Engländer sieht sich genöthigt, die Maorisprache zu
erlernen, nicht umgekehrt. „Vielleicht beweist nichts so sehr die
Grenze, welche die Natur selbst der Civilisatonsfähig-
teit der Eingeborenen gesetzt hat, als die merkwürdige Er-
scheinung, daß diese, wenn sie auch Englisch verstehen, es sogar
lesen und schreiben können, es doch nimmermehr zu einer deut-
lichen Aussprache bringen. Ein Maori sagte mir: er glaube, die
englische Sprache gehe in sein Ohr, aber er könne sie nicht wieder
herausbringen. — Aus New-Zealand wird im Maori Nuctireni,
Governor wird zu Kava na, Auckland zuAk araño, Christchurch
zu Karaitihaiti. Und so wird Alles umgestaltet."
„Vom Christenthum haben sich die Maoris nur die äußere
Form angeeignet. An die Stelle ihrer alten heidnischen Bräuche
und Feierlichkeiten sind jetzt christliche getreten; die biblische Ge-
schichte ist für den Maori nur eine neue Auflage von Ueber-
liefernngen, die er mit seinen alten heidnischen Ueberliefernngen
vertauscht und wohl auch vermengt; viele ließen sich taufen, nur
weil sie dadurch zugleich materielle Vortheile erreichten." Der
äußern Observanz nach sind die Maoris die besten und
strengsten Christen. Regelmäßig läutet in ihren Dörfern das
Glöckchen zum Morgen- und Abendgebet, und in der Sonntags-
feier sind sie noch strenger als die Engländer. Die Liturgie, das
Alte und Neue Testament sind in ihre Sprache übersetzt, und es ist
stannenswerth, welche Bibelkenntniß viele Maoris verrathen. Bei
jeder Gelegenheit hört man Bibelsprüche hersagen. Aber das
Christenthum des Maori ist nur äußerliche Satzung, die zur Mode
geworden. Er betet regelmäßig, aber er lebt unregel-
mäßig und arbeitet unregelmäßig."
„Der Fortschritt in der Civilisation ist für ein Volk nur
dann ein positiver Gewinn und wirklicher Fortschritt, wenn dadurch
zugleich die Lebensfähigkeit des Volkes erhöht wird, wenn
der civilisatorische Einfluß auch zur moralischen und
physischen Kräftigung des Volkes beiträgt. Bei denMaoris
ist im Allgemeinen gerade das Gegentheil der Fall." Hochstetter
führt davon Beispiele ans.
„Die Einführung des Pfluges, der Dreschmaschine und der
Mühlen war eine Wohlthat von sehr zweifelhaften Folgen. Früher
arbeiteten die Leute zu zwanzig und dreißig ans einem Acker; jetzt
geht der Pflug und die zwanzig und dreißig sitzen um den Acker,
lachen und scherzen, essen und rauchen und denken, die Europäer-
Haben alle diese Dinge nur erfunden, um nicht arbeiten zu
müssen. Wie beim Feldbau, so geht es bei der Schifffahrt.
Die Eingeborenen am Tauranga-Hafen sparten lange, um sich
einen Schooner zu kaufen, machten ein paar Fahrten, dann ließen
sie ihn wie ein abgenutztes Spielzeug liegen. Er gehört vierzig
Leuten, somit Niemandem, Keiner will etwaige Schäden ans-
bessern. Wären sie bei ihren alten Kriegskauoes geblieben, es wäre
besser für sie gewesen. Auch in der Kleidung hat der europäische
Einfluß bis jetzt mehr schädlich als nützlich gewirkt. Die alten
Mäntel paßten vortrefflich für Umstände und Klima; jetzt sind
wollene Decken an deren Stelle getreten, in denen die Maoris wie
zerlumpte, schmutzige Proletarier aussehen; die Brnstkrankheiten
und rheumatischen Uebel sind in neuerer Zeit höchst empfindlich
geworden. Die alten Nahrungsmittel waren für die Maoris heil-
samer als die Kartoffeln. Früher war das Volk gastfrei; jetzt ist
es geldgierig. Ein Fährmann verlangte von einem Weißen, der
über den Waikatosluß setzen wollte, fünf Pfund Sterling Fähr-
geld! Sitten und Charakter haben sich verschlechtert, besonders
bei den Stadt-Maoris. Zu stolz oder zu faul, um bei Europäern
Dienste zu nehmen und durch regelmäßige Arbeit sich den Lebens-
unterhalt zu verdienen, lungern sie in den Straßen und Wirths-
häusern herum, physisch und moralisch verkommene Proletarier,
den Europäern eine Last und ihren Landsleuten ein Greuel."
„So wirkt die ganze europäische Civilisation und
Kolonisation, trotz mancher Vortheile, die sie den Eingeborenen
gebracht hat, auf diese doch nur wie ein schleichendes Gift,
das an dem innersten Mark ihres Lebens zehrt; wie ein
Gift, welches nicht blos Walfischfahrer und Sandelholzkrämer in
Form von Seuchen und Hautkrankheiten einschleppen, sondern
das jeder Europäer mit sich bringt. Die Naivetät der
Sitten verschwindet vor den Förmlichkeiten der Civilisation.
Der gastfreundliche Wilde wird zum rechnenden und überlegenden
Händler, unsere Kleidung macht ihn steif und hülflos und unsere
Nahrung macht ihn krank. Der frischen, vollen Lebenskraft gegen-
über, mit welcher die angelsächsische Nace sich ausbreitet und ver-
mehrt, ist der Maori der schwächere Theil, und so zieht er im
Kampf um das Dasein den Kürzern."
Die Maoris selbst sagen: „So wie der Klee das Farn-
kraut tödtete und der europäische Hund den Maori-
Hund; wie die Maori-Ratten von den europäischen
Ratten vernichtet wurden, ebenso wird nach und nach
auch unser Volk von den Europäern verdrängt und
vernichtet."
Ja wohl. Die europäische „Civilisation" ist der allerürgste
Kannibale; sie hat schon jetzt mehr Menschen vertilgt als die
Anthropophagie aller Kannibalen seit Anbeginn der Geschichte.
Kleine Nachrichten.
Karl von der Decken in Ostafrika. Seine zweite Bestei- ans Sansibar von: 15. Januar, welchem wir hier auszugsweise
gnng des Kilimandscharo, I)r. Heinrich Barth veröffentlicht in das Folgende entlehnen.
der Berliner Zeitschrift für Erdkunde einen Brief dieses Reisenden j Herr von der Decken wollte im Herbste vorigen Jahres das
Kleine Nachrichten.
223
Land der Wamasai erforschen; das ist ihm aber nicht gelungen.
„Das Glück ist einmal von mir gewichen", schreibt er.
Am 3. Oktober 1862 reis'te er von Mombas ab und fuhr an
der Küste hin bis Wanga, von wo aus er den Weg nach dem In-
nern hin schon von seiner frühern Reise her kannte. Von der Küste
ans erreichte er in vierzehn Tagen den im vorigen Jahre von ihm
entdeckten Jipe-See, den er jetzt näher erforschte, und von wo
ans er die Ugonoberge bestieg, die etwa 5000 Fuß hoch sind.
Von dort beziehen die umwohnenden Völker ihren Bedarf an Eisen.
Dann ging er zu den Arnschabergen. Dort traf er mit den
Wamasai zusammen. Etwa zweitausend derselben lagerten kaum
zehn Minuten von deni Ruheplatze der Reisenden entfernt; sie ver-
boten ihm, trotz aller Versprechungen, den Eintritt in ihr Land.
Kein Enr op ä er, sagten sie, solle dasselbe betreten, denn
wenn Das geschehe, werde all ihr Vieh sterben; dasbe-
sage eine alte Prophezeiung.
Nenn Tage lang verhandelte Hr. v. d. Decken hin und her mit
den Wamasai. welche ihm zuletzt den Krieg erklärten. Sie sagten
ihm, er solle am nächsten Tag ermordet werden, wenn er nicht so-
fort ihr Land verlasse oder die Hälfte seiner Maaren als Lösegeld
gebe. Zwei Europäer, bemerkt er, vermochten nichts gegen ein paar
tausend Krieger; er habe, fügt er bei, seine Zuflucht zu einer Kriegs-
list genommen, aber worin diese bestand, das theilt er nicht mit.
Genug, er schüchterte die Wamasai ein: sie zogen „mäuschenstill"
ab. Aber auch der Reisende kehrte um und wandte sich nach den
Dschaggabcrgen, um den König von Lambunga, dessen
Land er noch nicht kannte, zu besuchen und eine zweite Besteigung
des Kilimandscharo zu versuchen.
Aber durch einen Zufall kam er nicht nach Lambunga, sondern
in das angrenzende kleine Königreich Uru, wo er vom Volk und
dem erst achtzehnjährigen Sultan freundlich empfangen wurde.
Doch darüber wurden dessen Oheime eifersüchtig und zettelten mit
den Kriegern eine Verschwörung gegen den Fremden au. Sv
wurden diesem die Führer nach dem Schneeberge verweigert und
er ging dann nach Mossi, wo ein erst neunzehnjähriger Häupt-
ling regierte, aber auch dreißig Elephantenjäger an der Küste ver-
weilten, die im Nothfalle von Nutzen sein konnten. Doch in Mossi
erging es ihm ähnlich wie in Uru, doch erreichte er hier durch Ver-
sprechungen und Drohungen seinen Zweck. Sultan Kimandaro
schloß Blutsbrüderschäft mit dem Europäer und durfte diesem
nun keine Bitte abschlagen; v. d. D. konnte zum zweiten Male
den Bergricsen besteigen.
Auf dem Kilimandscharo kam er bis in eine Höhe
von 13,000 Fuß. „Ich wäre noch höher gekommen, wenn
meine Begleitung nicht durch die zu dünne Luft gehindert worden
wäre, sich auch nur in der langsamsten Weise fortzubewegen.
Nachts schneite es tüchtig und am andern Morgen sahen
wir den Schnee zur Rechten und Linken unterhalb un-
seres Standpuntes liegen. Somit wird die Schneenatur
dieses Berges jetzt wohl nicht einmal mehr von dem obstinaten Geo-
graphen Cooley in Zweifel gezogen werden." Der Rückweg ging
nach dem See Jipe, dann nach Norden zu den B ura- und E n d a r a -
Bergen und nach Mombas; am Sylvesterabend war der Reisende
wieder in Sansibar.
Er schreibt, daß seine weitern Pläne unsicher seien. „Der Haß
des hiesigen Sultans gegen mich nimmt von Tage zu Tage zu. Er
will seine Leute, die sich gegen mich vergangen haben, nicht be-
strafen und beschuldigt mich, daß ich Alles thäte, um ihn und
den Islam zu stürzen. Jndirekterweise hat er freilich mit
dieser Behauptung Recht, da ich es für das verdienstlichste
Werk halte, den Mohammedanern, wo ich nur kann,
zu schaden."
So schreibt Herr von der Decken wörtlich. Unter solchen Um-
ständen ist es ganz in der Ordnung, daß «Sultan Said Medschid
einem solchen Fremdling feindlich ist. Wenn ein Reisender in ein Land
kommt mit Haß gegen die Leute, von denen er Förderung seiner
Pläne erwartet und deren Abneigung ihm dieselben völlig durch-
kreuzen kann, dann darf er sich nicht beklagen. ^Wozu Feind-
schaft gegen denMohammedanismus in Ostafrika? Herr
von der Decken wird dort an den Verhältnissen nichts ändern, und
schon die ganz gewöhnliche Klugheit geböte ihm. sich gegen den
Islam neutral zu verhalten, nicht aber demselben „zu schaden,
wo es nur angeht".
So ist es wohl sein eigenes Werk, daß, wie er schreibt, seine
weiteren Pläne sehr unsicher sind. Er hatte gleich nach Neujahr, zur
Stärkung seiner Gesundheit, auf dem englischen Kriegsschiffe
Gorgon eine Seereise nach Süden gemacht, die portugiesische
Niederlassung Jbo und die arabische am Kap Delgado besucht,
war wieder nach Norden hinauf bis Lamu und von dort nach den
Comoro-Jnseln gefahren. Von der größten derselben, Johanna,
schrieb er am 23. Februar 1863 einen zweiten Brief an vr. Barth.
Hall's neue Reise nach den Nordpolgegcnden. vr. C. F.
Hall "aus Cincinnati, dessen glückliche Heimkehr ans dem hohen
Nordeil wir in vorigem Herbst im Globus meldeten, will eine neue
Reise unternehmen.' Auf seiner frühern hat er bekanntlich ermittelt,
daß die sogenannte Frobisher-Straße nur eine tiefe Föhrde, eine
Meereseinbuchtung ist und nach Westen hin keine Einfahrt in das
arktische Meereslabyriuth gewährt. Hall fand auch Spuren von
Frobisher's Expedition (welche im sechszehnten Jahrhundert unter-
nommen worden ist), und verkehrte fremldlich mit den Eskimos,
deren Sprache er sich angeeignet hat. Jetzt will er nun drei Jahre
lang unter seinen hochnordischen Freunden verweilen. Seme Ab-
sicht geht dahin, weitere Nachrichten über Franklin einzuziehen;
er hofft von den Eskimos dergleichen zu erhalten. Sodann möchte
er ermitteln, was es ans sich habe mit einem großen Süß-
wassersee, von welchem die Eskimos ihm Manches erzählt
haben; auch die nordwestliche Durchfahrt gedenkt er näher
zu untersuchen. Auch diesnial sind es reiche Newyorker Kaufleute,
Herr Grinnell wieder voran, welche ihm die zur Expedition erfor-
derlichen Mittel und Instrumente freigebig zur Verfügung stellen.
Ein »euer Vulkan in Mexiko. Aus Manz anillo an der
mexikanischen Westküste meldet ein vom 15. März datirter Kon-
sulatsbericht Folgendes:
Die Stadt Colima befindet sich in unbeschreiblicher Aufregung,
weil in einer Entfernung von nur sechs Meilen (— milles; was für
welche? —) plötzlich ein neuer Vulkan entstanden ist. DerAusbruch
kam ganz plötzlich; der Fluß Armeria wurde durch eine aus Sand,
Steinen und Schlamm gebildete Bank förmlich abgedämmt und
bat nun oberhalb weit und breit das Land unter Wasser gesetzt.
Der Krater öffnete sich auf einem Hügel, der, vom Fluß ab ge-
rechnet, nur etwa 150 Fuß hoch ist. Der Auswurf glühender
Stoffe nimmt sehr beunruhigende Verhältnisse an. Seit drei
Tagen grollt es, als ob der Donner rolle, und Erdstöße sind sehr
häufig. Die Provinz oder vielmehr das Gebiet Colima liegt, um-
schlossen vom Staate Talisco, am Stillen Ocean und auf jenem
gewaltigen vulkanischen Striche, welcher ganz Mexico von Osten
nach Westen durchzieht.
Eine neue gefährliche Krankheit in Indien. Die Landschaft
Dschessore im untern Bengalen liegt da, wo der Ganges viele Seiten-
arme in die sumpfigen Gegenden der Sonderbends aussendet. Dort
war es, von wo ans die Cholera im Jahre 1817 sich über die
ganze Welt verbreitete; sie ergriff in Dschessore zuerst die Truppen
Lord Hastings'. Jetzt ist nun in Dschessore eine Krankheit einheimisch,
schlimmer als die ägyptische Pest. Seit Juni 1860 hat sie in der
Umgegend von Calcutta um sich gegriffen, ebenso der Eisenbahn
ngch Bardwan entlang, und schon mehr als 40,000 Menschen,
d. h. 60 Procent der dortigen Gesammtbevölkerung, hinweggerafft.
Die Regierung hat Alles, was in ihren Kräften steht, aufgewandt,
um der Seuche entgegen zu wirken, aber sie wüthet fort, besonders
seit dem Regenfall im vorigen November. Auf weiten Strecken
sind alle Dörfer verlassen; Niemand blieb zurück. um die Todten
zu begraben, und die Leichen verpesteten die Luft. Ein Bericht des
Arztes Elliot ist geradezu schaudererregend. Er leitet die Krankheit
von bösen Ausdünstungen, von Malaria, her; das Wasser in
jenen Gegenden ist dermaßen mit zersetzten Pflanzenstoffen an-
gefüllt, daß eine ölige Decke auf demselben liegt. Die Dörfer in
Bengalen liegen zumeist unter dichtem Baumwuchs versteckt und
denken nicht an zweckmäßige Maßregeln für die Gesundheit. Nun
hat die Regierung empfohlen, daß die Wälder gelichtet und die
stehenden Gewässer abgeleitet oder ausgefüllt werden sollen. Dar-
über wird aber längere Zeit verfließen, und so kann die Krankheit,
welche oft schon nach fünf Stunden die Menschen fortraffte, vorerst
noch weitere Verheerungen anricht en. Manchmal dauert dieses
Fieber bis zum fünfzehnten Tage. Es ist am schlimmsten während
der Regenzeit, welche vier Monate im Jahre einnimmt. Zur Zeit
der großen Hitze ist es weniger gefährlich.
Zur Statistik von Ncnsccland. Die amtlichen Berichte für
das Jahr 1861 sind veröffentlicht worden. Der Werth der Ein-
fuhren betrug 2,493,811 Pfd. St., viermal mehr als 1853, und
945,478 Pfd. St. mehr als 1860. Das ist die Folge der Gold-
entdeüungen. Ausfuhr: 1,370,247 Pfd. St. oder 781,294 mehr
als 1860. Davon kommen auf die Wolle für 523,728 Pfd. St.
Der Goldexport bis zum September 1862 betrug 538,560 Unzen
im Werthe von 2,086,921 Pfd. St.
Die europäische Bevölkerung'belief sich zu Ende 1861
ans 109,315 Seelen mit Einschluß von 7294 Militärs und deren
Familien. Die eingeborene Bevölkerung (die Maoris) ist auf
55,257 Köpfe zusammengeschmolzen. (S. S. 221.)
224
Kleine Nachrichten.
Wie sieht die Hafenstadt Duneddin auf Neu-Seeland aus?
Eine Frau Rye, welche das löbliche Bestreben verfolgt, Altengland
des Ueberflusses an einer unglücklichen Menschenrace, der überflüs-
sigen Gonvernantinnen, zu entledigen, hat eine Ladung dieser Per-
sonen und nebenbei auch anderer Frauenzimmer nach Neu-Seeland
geschafft, wo an Mädchen und Frauen Mangel ist. Angebot und
Nachfrage ist die Losung! Sie landete ihr „Cargo" in Duned din,
von wo, wie die Leser des Globus wissen, der Goldertrag der
Otagogruben verschifft wird. Fast alle Häuser, schreibt Frau Rye,
sind von Holz, nur wenige haben steinerne Unterlagen; sie sind
aber sauber und bequem und sehen ganz hübsch ans. ' Die Miethe
ist theuer; für zwei kleine Gemächer muß man 18 bis 30 Schillinge
zahlen. Das können Viele nicht erschwingen, und so kommt es,
daß die halbe Stadt aus Zelten besteht: in diesen wohnen
die Frauen und Kinder der Männer, welche in den Diggings arbeiten.
Manche Zelte sind weiß, ganz dicht; man hat sogar kleine Glas-
fenster in ihnen angebracht und einen hohen Schornstein. Viele
sind aber braun, halb in einander gefallen und haben einen Heerd
aus gestampftem Schlamm; er dient gewöhnlich auch als Ofen
und hat keine Esse. Auch mehrere aus Schlamm aufgeführte
Wohnungen habe ich gesehen. Ein Haus war ganz aus Zinn
aufgeführt. Man hat nämlich eine Menge von Zinnbüchsen und
Kisten, in welchen Lebensmittel luftdicht verschlossen waren, ge-
nommen und hat sie so geklopft, daß sie zu Platten wurden. Diese
wurden zusammengenietet und bilden nun die Mauern und die
Wände des Hauses.
Tahiti und die Gesellschafts-Inseln. Dieser schönen und
fruchtbaren Gruppe in der Südsee hat bekanntlich Frankreich ein
„Protektorat" anferlegt, das übrigens für Handel nnd Verkehr
ganz ersprießlich ist. Es sorgt auch für den Ackerbau, und im
Januar 1863 sind 100,000 Francs an Prämien ausgesetzt worden,
um die Kultur aufzumuntern. Davon sind 40,000 Francs für
den Anbau des Kaffees bestimmt, 10,000 für die Anpflanzung von
Kakaobäumen; andere Posten für Baumwolle, Zuckerrohr, Kokos-
palmen, Vanille und Tabak, sodann auch für Wiesenbau und
Viehzucht. BeiPapeete hat man einen botanischen Garten
angelegt, in welchem Versuche zur Eingewöhnung fremder Pflanzen
gemacht werden. Gelungen ist jene des Gnineagrases, des
abessinischen Coracan, der Arachis hhpogäa (Erdnuß) und der
langstapeligen Baumwolle. Die Handelsbewegung des Hafen-
platzes Papeete hat sich 1862 auf die Werthsumme von 4,486,024 Frs.
belaufen, wovon 2,787,947 auf die Einfuhr, 1,688,077 auf die
Ausfuhr entfallen. Von auswärts liefen 168 Schiffe von 14,025
Tonnen ein. Briefe aus Europa sind schon in 54 Tagen nach den
Gesellschaftsinseln gelangt; wenn eine Dampferlinie aus Oceanien
sich an jene der südamerikanischen Küste anschlösse, daun würden
sie nur etwa 40 Tage gebrauchen.
Projekt einer russisch-indischen Eisenbahn. Englischer-und
russischerseits trägt man sich mit dem abenteuerlich aussehenden
Plane, das indische und das russische Eisenbahnsystem
mittelst des Oxusthals und des Kaspischen Meeres mit
einander in Verbindung zu bringen. Nimmt man die Karte zur
Hand, so findet man, daß die nächste und fast direkte Route zwischen
Calcutta und London diese ist: von Nauigandsch nach Buxar, von
da über den Ganges nnd durch Audh und Rohilkand nach Am-
ballah, von wo die Pendschab- Eisenbahn nach Lahore führt. Von
da zieht sich eine schöne Landstraße nach Peschawer, und ein Tunnel
unter dem Indus bei Attock ist schon mehr als halb gebohrt. Von
da geht es durch den Kheyber-Paß, an Dschellalabad und Kabul
vorüber, über den Hindukusch auf den Oxus los; diesem folgt man
bis Chiwa, von wo die gewöhnliche Karawauenstraße an das
Kaspische Meer hinabführt] und hier erwartet uns ein russischer
Dampfer. Astrachan wird in wenigen Jahren durch die St. Peters-
burger Eisenbahn, über Saratow an der Wolga, mit der russischen
Hauptstadt, und diese hinwieder über Kiew mit Lemberg verbunden
sein. Die Route ist um zwei Tage kürzer als durch das Euphratthal
und beträgt in allem acht Tage von Calcutta nach London. Die
einzige Schwierigkeit liegt zwischen Peschawer und dem Kaspischen
Meer, und die einzige Verlegenheit (aber was für eine!) für den
Ingenieur würde der Hiudukusch sein. Jedenfalls ist es leichter,
einen Schienenweg durch Central-Asien zu bauen, als längs der
Mekrankuste, wo einst Alexanders Heer zu Grunde ging und wo
es schwer ist, eine Telegraphenlinie zu schützen.
einen Weg nach der chinesischen Provinz Ammanzu eröffnen. Bei
dem Vertrage, welchen sie im vorigen Jahre mit dem König von
Barma schloffen, lag ihnen vor Allem daran, sich freien Durchzug
durch dieses Land zu sichern. I)r. Williams ging nach Bhanmo
am obern Jrawaddy als britischer Konsul, und er hat den Auf-
trag, den Weg von dort bis zur chinesischen Grenze zu erforschen —
In'Assam hat Major Agnew den Bramaputra bis Sadeya
(Sudija), dem äußersten Punkte der englischen Besitzungen in jener
Gegend, mit einem kleinen Dampfer befahren. Derselbe liegt
nur etwa 60 deutsche Meilen von der Gegend entfernt, wo der
Aangtsekiang in das eigentliche China einströmt. — Die Briten
denken auch daran, eine Straße von Dardschiling imHimalaya
nachHlassa in Tibet zu eröffnen. In Assam gewinnen die
Theepflanzungen eine immer größere Ausdehnung.
Die britisch-indische Dampfergesellschaft unterhält einen
lebhaften Schifffahrtsverkehr zwischen Bombay und Basra,
und die durch denselben vermittelte Handelsbewegung belief sich
im Jahre 1862 auf den Werth von 11/3 Millionen Pfd. Sterling.
Die französische Madagaskar-Kompagnie hat eine wissen-
schaftliche Expedition nach der ostafrikanischen Insel gesandt, um
diese in Bezug auf Ackerbau, Bergbau und Handelsverhältniffe
zu erforschen. Die Kompagnie beabsicht namentlich Kaffee, Baum-
wolle und Zucker in großer Ausdehnung zu erzeugen. Sie soll
auch hydrographische und klimatische Studien machen,Ist reichlich
mit Hülfsmitteln versehen, und da die Mitglieder sämmtlich in
ihren Specialfächern tüchtig sind, so darf sich die Wissenschaft Aus-
beute versprechen. Lambert, der bekannte Verschwörer gegen die
Königin Ranovalo, jetzt Gesandter Seiner Majestät Radama des
Zweiten, steht au der Spitze und hat sich am 28. Mai mit der Kom-
inission zu Marseille eiugeschifft.
Ein Telegraph bis zum Weißen Nil. In Aegypten hat sich
eine Kompagnie gebildet, welche gesteigertes Leben in den Verkehr
nach dem Obern Nil, dem Sudan und dem Rothen Meere bringen
will. Sie wird einen Telegraphen bis über CHartum hinaus legen
und projektirt sogar eine Eisenbahn von Kairo bis zu dieser Haupt-
stadt des ägyptischen Sudan. Das ist freilich ein Plan, dessen
Verwirklichung gewiß in weiter Ferne liegt. Die Kompagnie wird
mit ihren Geschäften zunächst in Oberägypten beginnen. Suakin,
Hafenplatz an der ägyptischen Küste des Rothen Meeres, wird von
Suez aus mit Dampfern, welche die Zwischenhäfen anlaufen sollen,
in sechs Tagen erreicht. Von dort gelangt man in sechs Tagen
nach Berber am Nil, von dort mit dem Dampfer in sechs Tagen
bis Chartum, so daß die Reise von Kairo bis zu diesem letztem
Platze nur 18 Tage in Anspruch nehmen würde; jetzt dauert sie
5 bis 6 Wochen. Die oberen Regionen liefern Gummi, Elfenbein,
Straußfedern, Wachs, Häute und Goldstaub in den Handel. Am
Weißen Nil kann man einen Ochsen für den Werth von 6 bis
7 Thalern kaufen, in Kairo würde er das Zehn - bis Füufzehnfache
kosten. Auch die Belebung des Handels mit Abessinien ist in Aus-
sicht genommen worden, und in diesem Falle würde der Hafen
Massawah den Stützpunkt der Operationen bilden. Jedenfalls
wird zunächst in Oberägypten und in Sudan der Anbau der Baum-
wolle in's Auge gefaßt; diese hat aber jetzt nur kurzen Stapel, nicht,
wie in Unterägypten, eine lange Faser; man will deshalb für
Nubien rc. Samen der langstapeligen amerikanischen Art aussaen.
Der Verkauf kleiner Mädchen im östlichen Bengalen geht
trotz aller Aufsicht der Behörden ununterbrochen fort, ^n manchen
Gegenden betrachtete man in den Familien die Geburt eines
Mädchens für ein großes Unglück (wie in China), jetzt aber nicht
mehr, weil man solch ein Kind schon in frühen Jahren verhandeln
kann. In Calcutta wohnen die Aufkäufer, und sie treiben ihr schnödes
Gewerbe so schwunghaft, daß man jetzt endlich damit umgeht, von
Negierungswegen Jedem eine Prämie zu zahlen, der einen Mädchen-
käufer nächweist. Die unglücklichen Kinder werden für das Laster
erzogen. ___________
Die Witternngsverhültnissc. I. Herrschet hat jüngst die
Ansicht ausgesprochen, daß^die klimatischen Verhältnisse auf der
ganzen Erde, zu Land und See, während der letzten paar Jahre
eine sehr auffallende Störung erlitten hätten, und zwar durch eine
kosmische Ursache, die er in der Sonne finden will. Sie habe zuerst
direkt auf die südliche Halbkugel eiugewirkt und indirekt auch auf
die nördliche.
Der Ueberlandweg nach dem südwestlichen China. Wieder-
holt haben wir im Globus darauf hingewiesen, wie eifrig die Eng-
länder bemüht sind, vom Bengalischen Meerbusen aus über Land
Herausgegeben von Karl Andrer in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen.
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
•i;
4
Die Ztadl Arequipa in Peru.
Zustände in Peru unter den Inkas und in der Gegenwart. — Verfall des Ackerbaues. — Handel. — Bauern und Gärtner bei
Arequipa. — Die Stadt. — Erdbeben. — Bauart und Kirchen. — Marktplatz. — Gesellschaftliche Verhältnisse. — Die Frauen. —
Mandar un Indiecito. — Die Indianer.
Wir sagten in der vorigen Nummer, daß Pern in den
Tagen der Inka-Herrschaft in Blüte gestanden habe, während
es jetzt in Verfall sei. Der Gegensatz zwischen der Vorzeit
und der Gegenwart ist schlagend. Damals war Alles Ge-
deihen, heute finden wir fast aller Orten Stillstand. Zur
Zeit der alten Landesherrscher lieferte der Ackerbau reichen
Ertrag und die Bewässerungsanstalten waren in trefflichem
Zustand. Aber gleich die ersten spanischen Abenteurer, welche
wie Heuschrecken über das Land herfielen, kümmerten sich
nicht um die Felder, sondern gierten lediglich nach Gold.
Spanien hat an sich die ganz unbestreitbare Wahrheit er-
Vorschub leistete. Ein noch junger, aber sehr verständiger
Mann mit praktischem Blick, Ernst Grandidier, welcher
Peru durchreiset und gründlich studirt hat, äußert die Ansicht,
daß das strenge Regiment der Inkas durchaus nothwendig
für die Quechua-Rasse gewesen sei. Diese Indianer arbeiten,
wenn sie müssen, ohne zu murren oder zu klagen; sobald
der Zwang wegfällt, werden sie Fanllenzer. Wenn man
die Zweckmäßigkeit von öffentlichen Einrichtungen an ihren
guten Früchten erkennt, so stellt sich für Peru die Thatsache
heraus, daß die Indianer unter den Inkas fleißig waren
und in Wohlstand lebten, und daß jetzt das Gegentheil der
Peruanische Feldarbeiter (Peones).
fahren, daß Gold nicht gleichbedeutend ist mit Reichthum
und Wohlstand; es verarmte und verkümmerte gleich seinen
Kolonien, welche ihm das Gold und Silber liefern mußten.
In unseren Tagen werden Kalifornien und Australien reich,
trotz des Goldes, denn Ackerbau, Gewerbe und Handel
gehen Hand in Hand mit der Förderung edler Metalle; die
letzteren sind nur Mittel, nicht Zweck.
Die Inkas begriffen vollkommen den hohen Werth und
den Nutzen der Arbeit; sie wußten auch, daß der Indianer
eilten großen Hang zur Trägheit in sich hat, deshalb er-
ließen sie strenge Gebote gegen den Müßiggang. Ihr theo-
kratisch-kommunistischer Polizeistaat war nicht etwa das Werk
launenhafter Willkür, sondern das System entstand im Fort-
gänge der Zeit und beruhte auf einem richtigen Verständnisse
des Volkscharakters. Das Leben und Treiben eines jeden
Uuterthans war genau geregelt, es gab für ihn von der
Geburt bis zum Tod eine Richtschnur, an die er sich zu l
halten hatte und die seinen Naturell derart angepaßt war, j
daß sie der Entwickelung seiner bessern Anlagen und Triebe i
Globus IV. Nr. 8.
Fall ist. Sie haben weder an Wohlstand noch an Bildung
oder Zufriedenheit gewonnen. Ethnologisch betrachtet sind
diese Indianer in Bezug auf Anlage und Intelligenz wie
Kinder. Das System der Inkaregierung übte ihnen ge-
genüber eine väterliche Gelvalt, und die früheren spanischen
Geschichtschreiber, welche noch aus eigener Anschauung die
alten Zeiten mit denen der christlichen Herrschaft vergleichen
konnten, loben ohne Rückhalt die Weisheit der altperuani-
schen Gesetzgebung, weil sie so durchaus passend für Land
und Volk gewesen sei.
Heut ist nicht viel von dem srühern Gedeihen übrig
geblieben. Die Volksmenge war unter den Inkas mindestens
fünfmal so beträchtlich als jetzt, wo sie höchstens 1,800,000
Seelen zählt. Damals gab der Ackerbau mehr als reichlichen
Ertrag; gegenwärtig bezieht Peru viel Getreide aus Cali-
fornien und Chile. Es hat aber fruchtbaren Boden, Dünger
in Menge, ein Klinia in allen Abstufungen, und liefert nicht
einmal den eigenen Bedarf an Körnerfrüchten. In der Stadt
Cuzeo trinkt man Chocolade, die aus Ecuador kommt, weil
29
226
Die Stadt Arequipa iu Peru.
sie billiger ist als die in Peru verfertigte. Und doch gedeiht
der Cacaobaum in diesem Lande vortrefflich; die Thäler
unterhalb Cuzco sind mit demselben angefüllt. Ueberhaupt
liegt der Ackerbau danieder. Ueberall, wo man sich die
Mühe nimmt, den Boden zu bewässern, ist er auch fruchtbar.
Die Inkas zwangen den Quechua-Indianer zu solcher Be-
wässerung; sie haben gethan, was Montesquieu von einer-
guten Negierung verlangt, daß sie nämlich den Uebelständen,
welche das Klima etwa Hervorrufen oder begünstigen könne,
entgegen arbeiten müsse. Der Inka befahl dem Indianer
zu arbeiten, und er arbeitete; die spanische Regierung ver-
langte von ihm eine Jahresabgabe und erarbeitete, um diese
zahlen zu können. Schon deshalb war diese Auflage eine
zweckmäßige Einrichtung; der Eingeborene mußte seine Träg-
heit überwinden, um seine Verpflichtung gegen den Staat
zu erfüllen. Die „Republik" wollte „liberal" verfahren,
und schasste diese Auflage ab; die Folge eines so unver-
ständigen Verfahrens ließ jedoch nicht lange auf sich warten;
der Staat bekam keine Einnahme mehr und der Ackerbau
verfiel. Jetzt arbeitet der Indianer nur so viel, um seinem
Hange zum Genüsse berauschender Getränke fröhnen zu können,
Wanderung vom Hafenplatz Jslay durch die peruanische
Wüste bis nach Arequipa geschildert. Betrachten wir uns
heute diese für Peru immerhin wichtige Stadt etwas ge-
nauer. Drei Stunden vor derselben hört die Wüste auf
und man gelangt in ein grünes Thal, sieht wieder Bäume,
findet zu beiden Seiten des Weges fette Weiden und auch
Aecker, welche von indianischen Landleuten bestellt werden.
Bauern, kleine Gutsbesitzer oder Gärtner, C Harare ros,
wie sie dort zu Lande heißen, gehen zur Stadt; sie tragen
den in Südamerika allgemein üblichen Poncho. Nachdem
man noch eine Strecke weit geritten ist, sieht man endlich
Arequipa, das von dem herrlich geformten Vulkane Misti
überragt wird. Nun ist man in Tingo, einem Flecken, der
ein Mineralbad hat und mit Arequipas Vorstadt zusammen-
hängt; dieses liegt etwa 7300 Fuß über dem Meer in einem
herrlichen Thal am gleichnamigen Flusse. Dort siedelte
gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts Maita Capac,
der vierte Inka, einige tausend Familien an; aber die neuere
Stadt wurde von dem Spanier Pedro Ansnres de Campo
Redondo auf Pizarro's Befehl im Jahre 1536 oder 1540
gegründet.
Chacarero.
Alte Bäuerin.
Chacarera.
nicht mehr, und so wird es bleiben, bis er wieder das Feld
bauen muß, um eine Abgabe zahlen zu können. Aber zu
einer so nothwendigen Maßregel werden sich die Demagogen
und Stellenjäger nicht entschließen, weil sie unpopulär wäre.
Jeder Soldat oder Advokat möchte Präsident werden und
die Massen für sich gewinnen.
Auch der Handel von Peru nimmt keinen Auf-
schwung. Wir lesen in den Pariser „Annales du commerce
exterieur", April 1863 (Nr. 1476), daß im Jahre 1860
die Einfuhr 15,428,305 Piaster betragen habe, die Aus-
fuhr 35,078,524 Piaster, zusammen eine Handelsbewe-
gung von etwa 50^2 Millionen. Als Hauptartikel der Aus-
fuhr steht der Guano voran; sodann kommen Chinchona,
Wolle, Salpeter, Kupfer, Gold und Silber. Den Haupt-
hafen bildet Callao-Lima; zunächst an Handelsbedeutung
folgt Arequipa, das aber, den Darstellungen der neuesten
Reisenden zufolge (Grandidier und Marcoy), im Verfall ist.
Arequipa soll, unseren Handbüchern der Geographie
zufolge, etwa 30,000 Einwohner haben, und diese Zahl
mag auf frühere Zeiten passen; Marcoy, der lange an Ort
und Stelle lebte, giebt die Ziffer von 2064 Häusern mit
etwa 17,000 Einwohnern. Von den Häusern sind nicht
weniger als 928— Schänken!
Wir haben vor einiger Zeit (Globus Nr. 29) eine
Der Boden ist sehr vulkanisch. Achtmal ist Arequipa
theilweise, dreimal fast gänzlich durch Erdbeben verwüstet
worden; zweimal hat man der Stadt eine andere Stelle
gegeben. Der Vulkan Misti hat ihr nichts geschadet, wohl
aber der Vulkan Huyana Patina, der im Thale Moque-
hua sich erhebt (— nicht, wie in manchen Büchern steht, im
Thale von Coripuna —). Der heftigste Ausbruch dieses
1 feuerspeienden Berges fällt in's Jahr 1609. Die ersten
Andeutungen des bevorstehenden vulkanischen Sturmes be-
standen in inneren Zuckungen, welche von einer im Do-
I minikanerkloster noch vorhandenen Chronik mit Bauch-
grimmen verglichen werden (Vueltas y revueltas de bar-
riga). Gleichzeitig stürmte ein entsetzliches Donnerwetter
mit unbeschreiblich heftigen Schlägen herein, dann fiel zwei
Wochen laug ein ununterbrochener Platzregen, und erst
nachdem dieser vorüber war, begann der Vulkan zu speien.
Er warf Steine und Asche aus, eine Rauchwolke stieg zum
Himmel empor und verdunkelte das Sonnenlicht. Man
glaubte, die Welt müsse untergehen, denn diese gewaltigen
Zuckungen der Natur wollten gar kein Ende nehmen, denn
sie dauerten fünf und vierzig Tage lang. Arequipa war
ein Trümmerhaufen, das ganze Thal mit einer dicken Schicht
von Asche überdeckt, die Flüsse bekamen einen andern Lauf;
durch die Ausdünstungen der vielen todten Fische entstand
Die Stadt Arequipa in Peru.
227
eineModorra, Seuche. Die Detonationen dieses Erd-
bebens hörte man deutlich in dem 220 Leguas entfernten
Lima und das Meer war bis meilenweit von der Küste grau
gefärbt.
Das heutige Arequipa ist so gebaut wie überhaupt die
Städte im ehemals spanischen Amerika durchgängig gebaut
sind; aber man hat aus die Erdbeben besondere Rücksicht
genommen und die Mauern der Häuser sehr dick gemacht.
Die letzteren haben gewöhnlich nur ein, zumeist gewölbtes,
Erdgeschoß; Privatgebände von Bedeutung sind nicht vor-
handen. Die Plaza mayor hat auf drei Seiten überwölbte
Säulengänge-und Waarenläden, die vierte Seite wird von
der Kathedrale eingenommen. Unsere Abbildung zeigt, daß
sie einen frostigen Styl hat, sie ist aber das wichtigste Ge-
bäude, das seit der llnabhängigkeit in den amerikanischen
Kreolenstaaten aufgeführt worden ist. Außer diesem Dome
hat Arequipa noch fünf Kirchen, in jedem Stadtbezirk eine,
dazu noch fünf Mönchs - und drei Nonnenklöster.
Alle diese Kirchen sind überfüllt mit Kostbarkeiten, sie
strotzen gleichsam von Gold, Silber, Edelsteinen und köst-
lichen Gewändern; von diesen erglänzen die Altäre und die
Puppen, welche Heilige vorstellen.
Die verschiedenen Christusbilder sind
mit Spitzengewändern bekleidet und
die Dornenkrone hat immer Stacheln,
die ans Edelsteinen, z. B. Smarag-
den, verfertigt worden sind; die Nägel,
vermittelst deren die Figur am Kreuze
befestigt wurde, sind von Diamanten
und die Blutstropfen sind Rubine.
Man hat einen Christus der Erd-
beben, einen Christus des guten
Todes, einen Christus de los Re-
medios, aber eine noch weit größere
Anzahl heiliger Jungfrauen mit sei-
denen Kleidern und Mänteln aus
Sammet oder Brokat, Hauben mit
Marabutfedern oder mit Turbanen,
Perlenhalsbändern, schweren golde-
nen Ohrringen, Ringen an allen
Fingern; gewöhnlich ist solch eine
Mutter Gottes auch mit Uhren und
Uhrkette geschmückt, hat ein feines
Taschentuch und einen Fächer. An
diesen Kostbarkeiten vergreift sich kein Mensch; europäische
Diebe kommen nicht nach Arequipa und die einheimischen
fürchten sich vor den ewigen Höllenstrafen.
Das Verkehrsleben hat seinen Mittelpunkt aus dem
großen Marktplatze; der Großhandel ist in den Händen
von vier ausländischen Häusern , unter denen ein deutsches.
Der eingeborene Handelsmann ist ohne alle Betriebsamkeit,
und wir finden darüber bei Grandidier folgende Bemer-
kung: In Peru, sagt er, fühlt sich der Käufer dem Ver-
käufer verpflichtet. Wer ein Kleid oder irgend einen andern
Gegenstand zu haben wünscht, bittet den Verkäufer oder
Handwerker freundlich darum und zahlt ein Handgeld an,
damit der Mann die Verpflichtung zum Arbeiten übernehme.
Denn sehr oft hat er zum Letztem keine Lust und läßt die
Sachen liegen, so lange es ihm eben gefällt; er arbeitet ja
nur „aus Liebhaberei", ans Aficion. Bringt er aber die
vollendete Arbeit zu einer ihm beliebigen Zeit und sie ist
schlecht gerathen, dann kann man auch weiter nichts machen
und muß sie nehmen. Ein charmantes Land, dieses Peru! ruft
Grandidier aus; es hat ganz herrliche Gesetze auf dem
Papier, aber sie finden keine Anwendung; es hat Richter
in Menge, aber das gute Recht kommt selten zu seinem
Recht und der Fremde zumal bekommt durchschnittlich un-
recht! —
Marcoy, dessen etwas gepfefferte Schilderung der ge-
sellschaftlichen Verhältnisse Cuzcos wir kennen, hat in ähn-
licher Weise jene von Arequipa geschildert. Die Mönche leben
ungemein zwanglos; sie sind lustig und haben eine äußerst
behagliche Weltverdauung. Strenge Regeln kennt man nicht;
leben und leben lassen ist die Losung. Der Mönch ist Rath-
geber für die Männer, Vertrauter der Frauen und allezeit
ein gern gesehener Gast bei Tische, weil er immer heitere
Geschichten zu erzählen weiß. Er empfängt in seinem Kloster
Besuche und giebt selber Gesellschaften, seine Zelle ist wie
ein Salon; man bekommt dort Chokolade, Liqueure und
Kuchen in Hülle und Fülle, preis't die Vorzüge der schönen
Frauen und raucht Cigarretten. Die Nonnen dagegen
dürfen ihr Kloster niemals verlassen, aber von diesem Zwang
abgesehen, leben sie heiter genug und haben ihre Zimmer
hübsch eingerichtet; man findet dort nicht selten eine hübsche
Büchersammlung, Vögel und eine Guitarre; auch ist der
Klostergarten allemal im besten Zustande. Die Nonne em-
pfängt Besuche von den Angehörigen ihrer Familie, die ge-
wöhnlich auch Freunde und Freun-
dinnen mitbringen. Diese Alle werden
bewirthet, doch so, daß die Nonne
hinter dem Gitter sitzt, durch welches
der große Saal in zwei Abtheilungen
geschieden wird; trotzdem macht stein
liebenswürdiger Weise die Wirthin,
nimmt lebhaften Antheil an der Unter-
haltung und hält es mit der Ver-
schleierung des Gesichts nicht allzu-
genau.
Pastetenbäcker und Konditoren
sind in Peru, namentlich in Arequipa,
nicht vorhanden; sie sind auch über-
flüssig und würden schlechte Geschäfte
machen, denn Kuchen und andere
Leckereien werden in den Nonnen-
klöstern ans Bestellung verfertigt.
Jedes Kloster rühmt sich, in irgend
einem Zuckergebäck oder einerPasteten-
art alle anderen zu übertresfen, und
es herrscht in dieser Beziehung eine
bis zum Neide gesteigerte Eifersucht
zwischen den verschiedenen Klöstern. Die Nonnen von
Santa Rosa rühmen sich, daß in der weiten Welt keine
solche karminrothe Mazamorra bereitet werde als bei und
von ihnen. Sie sind stolz aus diesen gallertartigen Brei,
wie jene im Katharinenkloster auf ihre Hühnerpasteten mit
Mandelmilch und die Karmeliterinnen auf ihre Pfannkuchen
mit Honig und Rosenblättern. Man bestellt dergleichen
Sachen aber nicht beim Kloster im Allgemeinen, sondern bei
der Schwester So und So. Durchschnittlich hat jede Nonne
ein paar Dienerinnen, die allemal Cholas, d. h. Mesti-
zinnen, sind.
Die Damen von Arequipa können im Allgemeinen
für hübsch gelten. Sie sind nicht ohne eine gewisse Körper-
fülle, die ihnen gut steht, und halten gleichsam die Mitte
zwischen den majestätischen, wohlbeleibten Chileninnen und
den schlanken Limenas. Durchschnittlich haben sie einen
mittelgroßen Wuchs, schöne Büste, kleinen Fuß und jenen
leichten, rhythmischen Gang, den die Spanier als Meneo
bezeichnen. Der Ausdruck des Gesichts ist voll Leben und
Geist, die Züge sind fein, obwohl nicht von regelmäßiger
Schönheit; aus den schwarzen Augen schießen Pfeile und
die Lippen sind sehr dünn. Sie lieben Musik, Gesang
29*
Brotverkäufer in Arequipa.
Die Stadt Arequipa in Peru.
229
und Tanz und sind zum Theil vortreffliche Reiterinnen.
Modistinnen und Schneidermamsells kennt man in Arequipa
nicht; es bleibt also den Damen nichts übrig, als mit Bei-
hülfe ihrer Cholas sich die Anzüge selber zu verfertigen.
Zeit genug dafür haben sie. Unsere Abbildungen zeigen
die Kleidertrachten der Arequipenas von Stand. Im Hause
tragen sie auch wohl, gleich den Chacareras, Kleider aus
Baumwollenstofsen, sonst aber nur schlichte Seidenzeuge oder
Wollenmusselin, wo möglich recht bunt und groß gemustert.
Die sogenannte Kirchen- ____ ^
tracht ist bei allen Damen
dieselbe; sie besteht aus Rock
und Mantille von Seide und
ist mit Spitzen und Sammet
besetzt. Man sieht auf den
ersten Blick, daß dieser Anzug
aus Altspanien stammt, und
er steht den Arequipenas ent-
zückend schön.
Betstühle und Bänke hat
man in den peruanischen
Kirchen nicht; deshalb läßt
sich jede Dame einen Teppich
nachtragen, auf welchen sie
kniet. Zum ganz feinen und
vornehmen Tone gehört es,
daß der Träger ein Indianer
oder eine Indianerin ans der
Sierra nevada sei; ein solches
Individuum muß sich aber
durch kleinen, recht dicken
Wuchs auszeichnen, und
wird dann durch den Anzug,
welchen man ihm giebt, zu
einer Art von Karrikatur.
Die Vornehmheit einer Dame
erreicht den Gipfel, wenn sie
von zwei solchen Figuren
zur Kirche begleitet wird.
Wer sich bei einer Dame
recht beliebt machen will,
schenkt ihr ein etwa vier bis
fünf Jahre altes Jndianer-
kind. Wer nach der Sierra
nevada reis't, wird beim Ab-
schied auch wohl mit der
Bitte angegangen: „Vida
mia, no se olvide Usted
mandarme un Jndie-
cito!" Mein Leben, ver-
gessen Sie nicht, mir einen
kleinen Indianer zu besorgen!
Der Reisende sucht dann in
der Sierra eine beliebige Jn-
dianerfamilie auf und be-
sorgt ein paar Kinder. Der
Kirchentracht in Arequipa.
Vater giebt rasch seine Eintpillignng, denn er bekommt
einige Piaster, etwas Coca und Branntwein; aber die
Mutter ist zäh und will sich anfangs auf nichts einlassen.
Indessen dieser Widerstand wird durch einen hübschen neuen
Rock und einige Flaschen Branntwein besiegt, und der
Erwerber schickt das Kind oder die Kinder mit der ersten
Maulthier- oder Llamakarawane, wie einen Waarenballen,
der Dame in Arequipa zu. Der brannhäutige junge
Autochthone wird auch richtig an die Adresse abgeliefert und
seine Ankunft erregt allgemeine Freude. Man betrachtet
ihn von allen Seiten, hebt ihn ans und er wandert aus
einer Hand in die andere. Zunächst wird er civilisirt.
Man streift ihm seine indianischen Kleider ab, er wird über
und über geseift und tüchtig abgerieben; auch hat man
guten Grund, ihm das Haar ganz kurz abzuscheeren. Nach-
dem das Alles geschehen ist, steckt man ihn in altmodische,
mit Gold- oder Silberborten besetzte Kleider, aus die er
bald sehr stolz ist; indessen läuft er für gewöhnlich gern
barfuß. Daß er gut gefüttert wird, versteht sich von selbst.
Im Anfänge bekommt er
allerdings einige Unverdau-
lichkeiten, aber das giebt sich
mit der Zeit.
Bis zum zwölften Jahre
etwa bleibt er Teppichträger
und Salondiener; dann aber
wird er für zu groß und
für zu alt erachtet, und er be-
kommt Dienst in der Küche.
Sobald er erwachsen ist,
kann er über sich selbst ver-
fügen, denn ein Sklav ist
er nicht. Gewöhnlich bleibt
er als Diener im Hause; das
gilt auch von den Mädchen.
Die Männer in Are-
qnipa sind durchgängig ohne
geistigen Aufschwung und be-
wahren die von den Vätern
ererbte Trägheit wie ein hei-
liges Feuer; jede Neuerung
ist ihnen zuwider; die intellek-
tuelle und körperliche Reg-
samkeit und Beweglichkeit
eines Europäers begreifen sie
nicht; sie können sich dieselbe
so wenig erklären wie der
Wilde das Ticken einer Uhr.
Para que siroe eso? Wo-
zu ist das gut, was nützt
es? fragen sie. Aber Are-
quipa hat eine Universität
und eine Bibliothek, welche
1821 gegründet wurde und
1860 schon den Ungeheuern
Vorrath von — 1995 Bän-
den hatte!
Das Volk beobachtet
man am besten Morgens ans
dem Marktplatze. Zwei Ty-
pen ragen ganz besonders
vor. Da ist zuerst der In-
dianer von der Küste des
Stillen Weltmeeres mit
rundem Gesichte, platter
Nase, aufgeworfenen Lip-
in denen das Weiße in's
Gelbliche spielt. Sie sind die Nachkommen der Llipis,
Changos, Moquehuas, Quileas und anderer alten
Stämme, welche als eine Gesammtgruppe vom 16. bis
25.o S. Br. das Gestadeland inne hatten. Dann sieht
man zweitens den Ouechua-Typus mit ovalem Gesicht,
vorstehenden Backenknochen, Adlernase, schräg aber weit
geschlitzten Augen, üppigem, langem aber weichem Haar.
Aus beiden Typen sind Mischlinge hervorgegangen, an denen
schwächliche Häßlichkeit als Hauptzug bemerkbar ist.
pen, enggeschlitzten Augen,
230
Denkmäler assyrischer Kunst.
All dieses Volk befindet sich nirgends wohler als in
den Schänken, deren Arequipa, wie schon bemerkt, reichlich
neunhundert zählt. Auch Frauen sieht man in diesen düsteren,
räucherigen Spelunken, in welche etwas Tageslicht nur
Manco Capac Gemahlin, im Jahre 1043 eingeführt wurde;
so lautet wenigstens die Sage.
Arequipa ist, wir haben es schon gesagt, im Verfall,
und kaum noch ein Schatten von dem, was es einst-ge-
Jn Reitkostüm. (Damen zu Arequipa.) In Putz.
durch die Thür eindringt. Die Kunden sitzen auf der platten
Erde, denn Bänke, Stühle oder Tische fehlen; in der einen
Hand halten sie eine Schüssel mit stark gepfeffertem Brei,
in der andern einen Topf, der mit Chich a gefüllt ist, diesem
Maisbier, das durch Mama Ocllo Huacco, des ersten Inka
wesen. Die unaufhörlichen politischen Umwälzungen haben
ihm großen Schaden zugefügt; sie führten Bankerotte herbei,
der alte Wohlstand ging verloren. Einst war Arequipa
eine Nebenbuhlerin von Lima, dieser „Stadt der Könige",
jetzt ist es zu einer Provinzialstadt herabgesunken.
Denkmäler assyrischer Kunst.
Wir kennen die Prachtpaläste der assyrischen Könige,
welche in unseren Tagen, allerdings nur theilweise, von dem
Schutte befreit worden sind, unter welchem sie fast dritthalb
Jahrtausende begraben waren. Man staunt über die groß-
artige, nach unseren Begriffen von Schönheit und Eben-
maß allerdings etwas wilde und phantastische Kunst; aber
sie macht doch einen gewaltigen Eindruck.*) Alles spricht
dafür, daß die assyrische Kunst ihren Ursprung in Babylon
gehabt habe, aber in mancher Beziehung in eigenthümlicher
Weife weiter entwickelt worden sei.
Assyrien hatte eine hochentwickelte Civilifation, auf
*) lieber die Geschichte der Ausgrabungen in Babylon und
Ninive siehe Globus Nr. 20, Band II, S. 228 u. folg. Wir gehen
hier nicht weiter darauf ein.
welche die häufigen Berührungen mit Pegypten, Phönizien
und Babylon nicht ohne Einfluß geblieben sind. Freilich
gewähren uns die zu Tage geförderten Ueberreste keinen so
umfassenden Einblick in das Privatleben des Volkes, wie in
das Treiben der Herrscher; diese treten überall voran und
bilden den Mittelpunkt.
Die jüdischen Propheten und die griechischen Geschicht-
schreiber Herodot und Ktesias schildern eindringlich und mit
schwunghaften Ausdrücken die Macht der Könige, den Pomp
ihres Hofes und den Glanz ihrer Paläste. Jetzt, nachdem
vier und zwanzig Jahrhunderte verflossen sind, wissen wir
durch den Augenschein selbst, daß sie nicht übertrieben haben.
Diese Pracht der Alleinherrscher am Tigris und Euphrat
war nicht ohne Verfeinerung, aber sie zeugt auch von einer
gewissen Barbarei. Ihr fehlt die Schönheitslinie und das
Denkmäler assyrischer Kunst.
231
Ebenmaß; scharfe Kontraste sind in Menge neben einander,
wir finden keine Ausgleichung, keine eigentliche Harmonie.
Als Angelpunkt, um welchen sich Alles bewegt, sehen
wir, wie schon bemerkt, überall den König. In den vielen
Skulpturen wird er dargestellt im Krieg, aus der Jagd oder
auch wie er den Göttern Opfer darbringt. Er sitzt auf eineni
Thronsessel, hält in der Hand Pfeil und Bogen und schaut
zu, wie eine Stadt belagert wird; oder er steht auf einem
Kriegswagen, und kehrt, von seinen Leibwächtern begleitet,
aus einem siegreichen Feldzuge heim. Er trägt immer ein
langes, mit Franzen und Perlen besetztes Gewand, das
oberhalb der Hüften von einem Gürtel zusammengehalten
wird; auf dem Haupte hat er eine kugelförmige oder abge-
stumpfte Mütze. Der Ueberwurf bildet eine Art von Mantel
und ist reich gestickt; an den Füßen hat er Sandalen, deren
Hackenende erhaben ist; noch heute trägt das Volk in Meso-
potamien genaudieselbeFußbekleidnng. IndenOhrenhängen
Ringe, mit Perlen und Edelsteinen besetzt. Auch die (stets
nackten Arme) sind mit Ringen geziert. Die rechte Hand
ruht auf dem Griffe des Schwertes, das im Gürtel steckt
und allemal eine wagerechte Richtung hat; in der Linken
trägt er den Herrscherstab.
Unser Bild (S. 232) stellt einen assyrischen König dar;
dieses Basrelief befindet sich jetzt im Louvre zu Paris. Ein
gleichen. Wahrscheinlich haben die Assyrer ihre Todten ver-
brannt; Botta wenigstens fand in einer Art von Grabhöhle
eine Reihenfolge von Urnen mit kalcinirten Knochen. Wir
wissen übrigens aus Herodot, daß die Babylonier, deren
Gebräuche mit jenen der Assyrer im Wesentlichen überein-
stimmten/) die Leichen in Honig anfbewahrten, und man
hat in der That in Babylonien Grabgewölbe mit Resten von
Gerippen und eigenthümlich gestaltete Särge gesunden.
Die Einrichtung und die Geräthe in den Königspalästen
sind reich und kostbar, und was auf den Basreliefs darge-
stellt ist, läßt uns einige Schlüsse ans Leben, Sitten und
Gewohnheiten des Volks thun. Manches ist bezeichnend.
Die alten Assyrer saßen nicht, wie die Orientalen der
späteren Zeiten, mit kreuzweis über einander geschlagenen
Beinen aus Teppichen oder Polstern, sondern auf Stühlen,
die mit unseren Lehnsesseln und Tabourets Aehnlichkeit haben.
Tische und Stühle finden wir sehr mannichfaltig und sehr-
geschmackvoll verziert, zum Theil mit Motiven zu Orna-
menten, die noch jetzt angewandt werden, z. B. Löwen-
tatzen und Thierköpfe.
Der Kleiderlupus war groß; schon oben sagten wir,
wie der Herrscher sich trug. Die verschiedenen Broderien
(Stickerei und Besatz) mit ihren phantasiereichen Arabesken,
mit Blumen, verflochtenen Zweigen, Thieren und Rosetten,
anderes Bild (S. 233) veranschaulicht einen Königspalast
in Ninive, nach Eugen Flandin's Zeichnung. Da dieser
ausgezeichnete Künstler zugleich ein gründlicher Alterthums-
forscher ist und bei den Ausgrabungen anOrtund Stelle thätig
war, so irrt man wohl nicht, anznnehmen, daß ungefähr so,
wie unsere Platte zeigt, ein Königspalast in Ninive sich darge-
stellt habe. Der König schreitet die Stufen herab, umseinen
Wagen zu besteigen. Uni ihn sind Eunuchen, und fast aus
allen bildlichen Darstellungen ist er von solchen umgeben.
Sie haben bekanntlich zu allen Zeiten und bis aus unsere
Tage herab an den Höfen des Orients eine große Rolle
gespielt. Aus den assyrischen Kunstdenkmälern erkennen wir
sie allemal aus den ersten Blick an ihrem bartlosen Kinn und
den vollen Wangen. Sie sind des Königs Waffenträger
und Wagenlenker, tragen Wedel und Sonnenschirm, be-
kleiden hohe Staatsämter, kämpfen sogar als Feldherren
und dienen dem König als Geheimschreiber.
lieber das Volksleben erhalten wir durch die assyrischen
Denkmäler Auskunft nur insoweit, als dasselbe sich auf den
König bezieht; auf den ägyptischen Monumenten, namentlich
auf den Gemälden im Innern der Grabkammern, finden
wir alle Berufsarbeiten des Verstorbenen dargestellt. Wir
sehen, wie der königliche Mundschenk den Wein mischt, wie
der Ackersmann säet und erntet, wie er Getreide worfelt
und für die Bewässerung sorgt. Am Tigris nichts der-
machen einen äußerst gefälligen Eindruck. Die Assyrer ver-
wandten, gleich allen Orientalen, große Sorgfalt auf die
Pflege des Bartes, der in eigenthümlicher Art geflochten
wurde, und ans jene des Haupthaars.
Schon in unserm srühern Aufsatze (II, S. 235) wiesen
wir darauf hin, daß ans den Skulpturen in den Königs-
*) Wir wollen hier eine Stelle aus Max Duncker's Ge-
schichte deö Alterthums, Berlin 1855, I, S. 107, hersetzen:
„Mau hat in neuerer Zeit angenommen, dieBabylonier und Assyrer
müßten ein Mischvolk sein, also vermuthlich wohl aus Ariern und
! Semiten, trotz aller Zeugnisse des Alterthums, trotz der vorhan-
denen Uebereinstimmnng zwischen Syrien, Assyrien und Baby-
lonien in Religion und Baukunst, trotzdem, daß Aryhacsad,
Assnr, Elam und Chaldäa von den Hebräern wiederholt und be-
stimmt als verwandte Länder, Chaldäa als ihr Geburtsland
bezeichnet wird; daß der Feldherr L>anherib's von den Beamten
Hiskia's anfgefordert wird, nicht hebräisch, sondern syrisch mit
, ihnen zu reden. Der Beweis für jene Annahme wurde in einigen
assyrischen und babylonischen Königsuamen gefunden, welche der
semitischen Sprachform nicht angemessen erschienen. Jndeß könnten
! so wenige in vielfach veränderter Form überlieferte Eigennamen
gegen so bestimmte Zeugnisse immer sehr wenig beweisen. Nun
sind auch semitische Inschriften in Babylon aufgefnnden, und
man wird wohl thun, den semitischen Charakter der
Assyrer und Babylonier festzuhalten, bis etwa die Ent-
zifferung der in hinreichender Masse vorhandenen Inschriften von
Babylon und Ninive das Gegeutheil ergeben hätte, was indeß
nicht zu erwarten ist."
232
Denkmäler Assyrischer Kunst.
Palästen keine Frauen dargestellt sind, außer als Kriegsge- ! Vordergrund. Wir sehen das Fußvolk mit Lanzen und
fangene: und als solche werden sie neben Männern ausge- ; Pfeilen bewaffnet; die Reiterei sitzt nach Art der Parther zu
Ein assyrisches Königsbild. Sandon, der assyrische Herkules.
führt, oder in Musikzügeu. Kriegsauftritte, Belagerungen, Pferde, oder Bogenschützen stehen aus Streitwagen. Das
Schlachten und Märsche treten bei den Bildern stets in den Alles entspricht den SchilderungenHerodot's. Manche Krieger
234
Denkmäler assyrischer Kunst.
sind völlig mit Ringelpanzern bedeckt. Die Assprer kannten
Fahnen und nicht selten finden wir die Streitrosse prächtig
angeschirrt. Wir können uns einen deutlichen Begriff von
der Kriegsführung machen; wir sehen, wie Städte angegriffen
und vertheidigt wurden, wie man mit Widdern gegen die
Leitern anrannte oder Sturmleitern anlegte. Kriegführung
ist Barbarei zu allen Zeiten gewesen und unsere Zeit ist eben
so blutgierig und barbarisch wie das Alterthnm. Ein Blick
auf Polen und die Scheußlichkeiten, welche die Pankees in
Nordamerika verüben, liefern allein schon Belege zu diesem
Ausspruch. Ein assyrisches
Schlachtfeld zeigt uns gräß-
liche Metzeleien; wir sehen
abgeschnittene Köpfe und Ge-
fangene, die lebendig ge-
schunden werden. Wir haben
auch bildliche Darstellungen
von Kämpfen auf dem Wasser.
Dem siegreich heimziehen-
den Könige gehen Spielleute
und Sänger voraus; unter
den musikalischen Werkzeugen
kommt eine Art von Theorbe
oder leichte Harfe sehr oft
vor; manche Musikanten
blasen auf einer Doppelflöte
oder schlagen ein Saiten-
instrument; andere treten den
Takt zur Musik. Hinter den
Spielleuteu gehen auch sin-
gende Frauen mit Kindern.
Sehr richtig wird von Max
Duncker hervorgehoben, daß
die assyrischen Könige nicht
minder eifrige Waidmänner
gewesen seien wie die ägyp-
tischen Pharaonen, und wir
brauchen uns nur an den
sprichwörtlich gewordenen
Nimrod zu erinnern, der ein
gewaltiger Jäger vor dem
Herrn war. Auch in Griechen-
land waren die Heroen der
Sagen- und Urzeit kühne
Jäger und befreiten das Land
von gefährlichen Thieren.
Der König konnte mit
seinem Hofstaat in den ge-
räumigen Sälen der Paläste
seinen vollen Pomp entfalten.
Sie gewährten, von außen
betrachtet und da sie allemal
auf einer Erhöhung standen,
einen majestätischen Anblick,
welchem das Innere durchaus entsprach. Die lange Reihe
von^ Sälen und die vielen Privatgemächer nahmen einen
großen Raum ein; bei den Ausgrabungen sind Säle vom
Schutte befreit worden, die etwa einhundert Fuß lang und
nahezu eben so breit waren. Die Decken so gewaltiger
Zimmer wurden von Säulenreihen gestützt, von denen
allerdings bis jetzt erst wenige Spuren gefunden worden
sind, doch hat man in Kujundschick Piedestale entdeckt, die
in geordneten Reihen stehen. Auf einigen Basreliefs finden
wir die Säule als äußern Schmuck angebracht. Die Wände
waren mit Marmor bekleidet und auf diesem befanden sich
Skulpturen; daß diese in vielen Fällen bemalt waren, unter-
liegt keinem Zweifel. An den Eingängen liegen vor der
Thür geflügelte Löwen oder Stiere (Globus II, S. 233
und 235), an den Treppenabsätzen auch wohl Gestalten
von Schutzgottheiten. Die Basreliefs im Innern verherr-
lichen den Herrscher und dessen Thaten, und sie sind für die
Völkerkunde der alten Zeiten Vorderasiens und Mesopo-
tamiens von entschiedener Bedeutung. Die Bilder sind alle
naturgetreu, ebenso die Tracht, und wir sehen, mit welchen
Völkern die Assyrer in Berührung gekommen sind. Jeder
Monarch baute sich seinen Palast; in diesem mußte die
Kunst seine Thaten verherr-
lichen, damit sie auch auf die
Nachwelt kämen. Und sie
sind, obwohl so lange unter
Schutt und Trümmern be-
graben, auf unsere Tage ge-
kommen. Noch einmal scheint
die Sonne auf diese Königs-
paläste, aber auf Ruinen!
Wir wissen nicht, ob
die assyrische Kunst an
bestimmte Formeln oder re-
ligiöse Vorschriften gebunden
war, aber so viel ist aus-
gemacht, daß hier, wie in
Aegypten, die Plastik zu keiner
freien Entwickelung gelangte,
sondern da wie dort so ziem-
lich auf derselben Stufe haften
blieb und nicht weiter ging.
Beide haben Aehnlichkeit mit
einander in Bezug auf das
Ueberkommene an den Typen
und auf das Steife in den
Formen; doch ist in den assy-
rischen Kunstwerken immer-
hin mehr Freiheit wie bei
den ägyptischen. Allerdings-
hat der assyrische Künstler,
gleich jenem am Nil, einen
maßgebenden Typus für jede
Gestalt, einerlei ob er einen
Priester, einen Krieger oder
einen Kriegsgefangenen dar-
stellen will; wir sehen stets
dieselbe Tracht, dieselben
Kennzeichen und Sinnbilder,
fast immer dieselbe Stellung,
aber in Betreff der Zeichnung
sucht er sich doch der Wirk-
lichkeit zu nähern, er bringt
au Gesicht und Gliedern eine
Art von Abwechselung an,
welche der ägyptische Künstler
nicht kennt; er gefällt sich in Einzelnheiten, Ornamenten,
im Ausarbeiten des Haupthaars und in der Darstellung
von Thieren ist er geradezu gewandt und geschickt. Wir
finden an Löwen und Rossen nicht selten eine Reinheit und
einen Schwung in der Darstellung, wie oft bei unseren heu-
tigen Künstlern. Aber sobald er Menschen darstellt, geht
ihm alles Zeichnen aus, er weiß ihnen keine Bewegung zu
geben, kennt nicht die Wirkung des Verkürzens; er stellt
Gruppen dar, weiß aber nichts von Verhältnissen oder gar
von Perspektive, hat keinen Sinn für Natur und Natur-
beobachtung, er weiß, mit einem Worte, nichts von Kunst
in höherm Sinne; er hat nur eine Schablone und in der
Assyrische Schmucksachen.
R. Hartmann, Skizzen aus Aethiopien.
235
Ausführung zeigt er sich sehr als Anfänger. Er ist darin
Barbar, und man kann ein solches Ungeschick mit den Fort-
schritten, ja mit der Vollendung, welche die Assyrer in
anderen Handfertigkeiten erreicht hatten, gar nicht zusammen-
reimen. Die wahre Kunst wurde erst den Griechen offenbar;
sie hatten die Begabung dafür. Sie entlehnten Vieles vom
Orient, aber sie gingen mit dem Entlehnten schöpferisch und
selbständig um. Sehr gut sagt der vortreffliche Vivien de
St. Martin: „Die griechische Kunst wurzelt in der
asiatischen, ebenso wie eine schöne, schlanke, an-
muthige und duftende Blume ihre Wurzeln in
einem groben Erdboden hat."
Wir kennen aus Assyrien nur erst zwei eigentliche
Statuen. Die eine, in sitzender Stellung und sehr stark
beschädigt, wurde in den Ruinen von Kalah Schergät ge-
funden, eine andere, aufrecht stehende in einem Palaste zu
Nimrüd. Diese letztere hat nahezu die halbe natürliche
Größe und ist aus einem festen Kalkstein gehauen.
Man war lange der Ansicht, daß die Anregung zu den
plastischen Künsten aus Aegypten nach Griechenland und
Italien gekommen sei; es hat sich aber, seitdem wir die assy-
rischen Denkmäler kennen, herausgestellt, daß diese An-
nahme eine irrige sei. Die völlige Uebereinstimmung der
Vasen und Schalen, die in Phönizien und Ninive gefunden
wurden, mit den ältesten Erzeugnissen der Keramik in Etru-
rien und Griechenland, zeigt sehr deutlich, von woher die
Muster gekonunen sind. Die Uebereinstimmung finden wir
nicht nur in der Gestalt, sondern auch in den Ornamenten
und den emblematischen Gegenständen. Schon von diesem
Gesichtspunkt aus betrachtet, hat die assyrische Kunst eine
ganz besondere Wichtigkeit und dasselbe gilt auch von der
Skulptur. Man kann die Entwickelung derselben von dem
assyrischen Ausgangspunkt, also vom Tigris und Euphrat
an, durch Kleiuasien verfolgen bis zu den Gestaden des
Aegäischen Meeres und hinüber zu den europäischen Hel-
lenen. Kleinasien war Jahrhunderte hindurch, und ehe es
unter die Herrschaft der Perser fiel, abhängig von Assyrien.
Die Spuren der assyrischen Zeit sind zumeist verloren, nicht
so jene der persischen Epoche. Die persische Kunst in den
Zeiten der Achämeniden war aber lediglich ein Reflex der
assyrischen, und der Zusammenhang zwischen den Denkmälern
aus der persischen Periode Kleinasiens mit den alten griechi-
schen Kunst wird jetzt auch nicht mehr in Abrede gestellt.
In den Handarbeiten zeigen die assyrischen Künstler
und Handwerker ungemein viel Geschmack und bewunderns-
würdige Fertigkeit. Mau wird dabei unwillkürlich an die
Aegypter erinnert, in deren Gräbern wir aus einer Zeit, die
anderthalb tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung liegt,
Waffen, Schmucksachen und andere Gegenstände finden,
welche von geradezu bewundernswürdiger Vollendung sind.
Die Assyrer kannten das Glas und bereiteten ver-
schiedene Arten von Schmelz; sie brannten Thon und Lehm.
Die Backsteine waren in einer Region wie Assyrien und
Babylonien sowohl für den Bau wie für die Ornamentik
ZkyM aus
Von Dr. Robl
Zweiter
Außer den Abu-Rof schwärmen auch noch andere
Beduinenstämme in Sennürs Steppen und Wäldern um-
her. Im Allgemeinen schließen sich diese in physischer und
von der höchsten Wichtigkeit. Auf Thonplatten oder auf
Walzen von Lehm schrieb man Urkunden, und so haben wir
assyrische Backsteinarchive. Auch wurden die Backsteine mit
verschiedenen Farben bemalt, wie bei den Etruskern. Die
Töpsergeschirre sind, wie unsere Abbildungen zeigen, ge-
schmackvoll und elegant; dasselbe gilt von den Basen aus
Erz oder Alabaster. Man bereitete eine große Menge von
Phantasiegegenständen aus Terra eotta. Der Metallguß,
insbesondere des Kupfers, war den Assyrern wohl bekannt.
In Korsabad fand man einen, jetzt in Paris befindlichen,
ehernen Löwen von sehr hübscher Arbeit; dort und auch in
anderen Ruinen viele kupferne Geräthschaften, Werkzeuge
und auch Schalen mit Inschriften, welche spiralförmig
am untern Rande ganz herumlaufen; sie bestehen aber nicht
aus Keilschrift, sondern aus Buchstaben, welche den alt-
phönizischen ähneln. Entweder sind diese Schalen aus
Vorderasien gekommen oder, wie V. St. Martin meint,
man hat sich dieser Buchstaben in Babylon und Ninive
als einer Art von Cursivschrist bedient. Das Letztere ist
aber wohl vorerst noch sehr zweifelhaft. Die assyrischen
Schmuckgegenstände, z. B. Armbänder, Ohrringe rc. sind
von trefflicher Arbeit; man verstand sich auf das Elfenbein-
schnitzen und das Graviren in Edelstein.
In Bezug auf religiöse Verhältnisse wird wohl die
Forschung künftig noch manche Aufschlüsse bringen. Als
symbolische Figuren finden wir bei den Basreliefs und den
dekorativen Skulpturen (von den geflügelten Löwen und
Stieren mit Menschenköpfeu abgesehen) sehr oft mensch-
liche Gestalten mitSperber- oder mitFischleibern,
geflügelte Genien und den assyrischen Herkules, welcher
einen Löwen mit dem rechten Arm erwürgt. Dieser Gott,
Sardan, oder Sand o n entspricht dem Melkarth derTyrier;
er war ein Gott, welcher gegen die wilden Kräfte der Natur
im Kampfe steht und dieselben überwindet. (M. Duncker I,
S. 296). Sandon war ein Sonnengott; er wird den
Assyrern, wie Melkarth den Phöniziern, ein Sonnen Held
gewesen sein, welcher die feindlichen Zeichen des Thierkreises
überwand und die Sonne aus der Erdferne, aus der Kälte
des Winters, immer wieder in die Erdnähe zu wohltäti-
ger Wirkung zurücksührte. Der Löwenbezwinger Sandon
kommt in Kleinasien, in Lydien, in Verbindung mit dem
Namen des Bel und des Ninos vor. Auch die Münzen der
Stadt Tarsus in Cilicien, über welche letztere wir im Glo-
bus (III, 225 ff.) ausführlich gesprochen haben und die gegen
Ende des achten Jahrhunderts unter assyrischer Herrschaft
stand, nennen den Namen des Gottes Sandon und ver-
anschaulichen das Feuerfest, welches dort jenem Gotte
gefeiert wurde. Sie zeigen einen viereckigen Unterbau, auf
welchem sich eine Pyramide befindet; über dieser schwebt
ein Adler nüt «usgebreiteten Flügeln, als Symbol der Er-
hebung in den Himmel.
Das Sinnbild für den höchsten Gott war bei den
Assyrern wie bei den Persern ein Gesicht, das aus einem
geflügelten Ring, aus einem Kreise hervorsieht.
Äthiopien.
rt Hartman».
Artikel.
moralischer Hinsicht, in Sitten, Trachten u. s. w. nahe an
die geschilderte Nation an. Einige Eigenthümlichkeiten mögen
hier bei einer Aufzählung derselben zugleich mit Platz finden.
30*
236
R. Hartmann, Skizzen ans Aethiopien.
Den Westen Sennars bewohnt auf beiden Ufern des
Weißen Nils, zwischen dem 11. und 14. 0 N. Br., und
erstreckt sich westwärts bis nach der fürawischen Grenze
das weitverzweigte und mächtige Beduinenvolk der B a q ar a,
d. h. Kuhhirten. Auch diese sind, ganz wie die Stämme
der Beni-Madjcknin und BenL-Djerar in Kordüstln, die
Sajedieh, Mahhamid, 'Ereqat, Machrieh, Mchalieh und
Rizqat in Dar-Für und höchst wahrscheinlich auch die
Schüah in West-Sudan, äthiopische Ureinwohner.
Die Baqara ähneln im Aeußern den Abu-Rüf; indessen
liegt in ihren feingeschnittenen Zügen, wenigstens bei Er-
wachsenen, der Ausdruck noch größerer Wildheit als in
denen der eben Genannten, auch ist die Hautfarbe der
BaqLra gemeiniglich dunkler, noch mehr in's Chokoladen-
farbene spielend, als die der Rü fall In der Tracht weichen
die Baqüra etwas von den übrigen Nomaden des Nil-
gebiets ab. Ihre Männer nämlich flechten das Haar nach
Weibersitte in viele parallele Zöpfchen und schmücken diese
mit Bernsteinkugeln, Glasperlen u. s. w. Dadurch erhalt
der Kopf junger Männer, deren Züge bis zur Vollendung
der Mannbarkeit ohnehin weich bleiben, ein fast mädchen-
haftes Wesen. Auch bedienen sich die männlichen Baqüra
sehr selten einer Ferdah oder Tob und der Hosen; sie be-
kleiden sich vielmehr nur mit einem weiten, bis zu den
Knieen reichenden, weißbaumwollenen Hemde, dessen faltige
Aermel bei der Arbeit auf dem Rücken znsammengeknotet
werden. Ein Dolch am linken Ellenbogen und eine Lanze
mit acht Fuß langem Bambusschafte bilden ihre Haupt-
massen; Schild und gerades Schwert dagegen findet man
bei ihnen nicht häufig. Ihre Weiber kleiden und putzen
sich ganz wie diejenigen der Abu-Rof. Sie gelten als
die schönsten in Sudan. Einige jüngere Baqckra-Mädchen,
welche wir zu sehen bekamen, hatten feine Züge mit großen,
feurigen Augen und schlanke, herrliche Gestalten.
Die Sprache der Baqsira ist jetzt arabisch, aber so
sehr korrumpirt und mit so vielen Wörtern aus dem Funqi,
Nebowl*') und bei den westlichen Stämmen mit Wörtern
aus fürüwischen Idiomen vermischt, daß auch noch so gute
Kenner des Arabischen sich im Verkehr mit ihnen häufig
eines Dolmetschers bedienen müssen.
Physisch tüchtig, keusch und muthig, sind die Baqara
ein zwar wildkühnes, aber doch ehrenwerthes Volk. Sie
haben nur wenige Kameele, welche auf ihren Triften nicht
mehr gut fortkommen, aber unzählbare Mengen von Buckel-
rindern. Diese bilden einen Mittelschlag, haben kurze,
oft künstlich nach vorn und hinten verbogene Hörner, starke
Wampen, kräftige Beine, einen mäßigen Buckel und eine
bald graue, schwarze, rothbraune oder buntgescheckte Farbe.
Zu ihren Jagd - und Kriegseppeditionen gebrauchen sie Pferde.
Die westlichen Stämme nehmen deren von donqolanischer
und kordüfrlnischer (füräwischer) Zucht, die Baqüra-Selime
in Kordüstln ziehen die Maqndah- (abessinischen) Pferde vor.
Da ihnen aber durch Krankheit und Verletzungen im Kampf
u. s. w. alljährlich viele dieser Thiere zu Grunde gehen, sie
selbst aber aus klimatischen Rücksichten nicht gut welche auf-
ziehen können, so müssen sie den Abgang immer wieder er-
setzen. Die Baqckra-Selime senden daher alljährlich eine
Anzahl ihrer Männer durch die Furth Makhckdhat-Abu-Zed
über den Weißen Nil und über Sennsir nach Qed-lrif, wo
diese 300 bis 400 junge Pferde aufkaufen (das Stück für
durchschnittlich 10 bis 15 spanische Thaler) und auf demselben
Wege nach Hause kehren. Ihre Wohnzelte, Geräthe u. s. w.
sind ganz wie die der Abu-Rof. Sie lassen, meist durch
I Sprache der Nobah-Neger von KordüfLn, zerfällt in
mehrere Dialekte, wieKoldrlgi, HadrLwr, Der! und Schllebüm.
Negersklaven, einige Aecker mit ^sch (8orZllum), Dokhn
(l^onnmMnm), Zwiebeln, Tabak (zumKauen) und mitBaum-
wolle bestellen; sie selbst aber verachten den Ackerbau und
liegen mehr der Wartung ihrer Heerden, der Jagd und dem
Krieg ob. Sie jagen viel Elephanten, die im Allgemeinen
nicht nördlich von Makhrldhat-Abn-Zöd angetrosfen werden,
während der Regen jedoch in kleineren Trupps bis Turah-el-
Hadrah vorrücken. Die meisten Elephanten giebt es hier
noch hinter den Schillük, zwischen dem 11. und 12.0N.Br.,
bei den Selime. Um den Elephanten zu erlegen, setzen sich
zwei Baqüra ganz nackt ans ihre ungesattelten Pferde, jeder
mit seiner Lanze bewaffnet. So erspähen sie einen einzelnen
Elephanten oder scheuchen ein Individuum von seiner Heerde.
Einer von Beiden reizt den Koloß durch Geschrei und Ge-
berden zur Verfolgung, der Andere sitzt ab, stößt ihm seine
Lanze zwischen die Hinterbeine in die Genitalien und zer-
schneidet diese, so wie die hinten liegenden Darmportionen.
Der Elephaut dreht um und wendet sich gegen seinen Feind.
Dieser aber schwingt sich behend auf sein wohlabgerichtetes
Pferd und entflieht vor dem wüthend ihm nacheilenden Thiere.
Nun sitzt der Erstere ab und macht von seiner Lanze Ge-
brauch. So peinigen beide Jäger abwechselnd das Niesen-
thier, bis dies, von furchtbaren Wunden zerfleischt und vom
Blutverlust erschöpft, zu Boden stürzt. Dann springen die
Jäger hinzu und thun es vollends ab. Der Elephanten-
jäger Th. Evangelisti erzählte uns, wie wildschauerlich eine
solche Scene sei: der unstät bald hierhin, bald dorthin
rennende, kläglich brüllende Elephant und die nackten, über
und über mit Blut bespritzten, teuflisch gewandten Beduinen!
DieBaqüra verhandeln das so gewonnene Elfenbein an die
Kharthümer Spekulanten, theils für klingende spanische Thaler
und Tauschartikel, theils gegen Vieh und Sklaven, welche
das ruchlose Kaufmannsgesindel am Weißen Flusse geraubt
und ihnen feilbietet.
Die Baqüra gebrauchen Sklaven für den Anbau ihrer
Getreidefelder. Wo ihnen diese von den Sklavenhändlern
nicht käuflich abgelasseu werden, da rauben sie sich dieselben
auf eigene Faust. Sie bilden eine Kriegspartie, diese er-
späht ein Dorf der Nobah- oder Schillük-Neger, dringt bei
Nacht hinein, metzelt die sich Wehrenden nieder und führt
die Neberlebenden in die Sklaverei. Die von den Selime
im Kampfe benutzten Waffen sind meist nur Lanze und ge-
rader Dolch, selten das Schwert.
Diese Beduinen zerfallen in mehrere Stämme, welche
nicht einem gemeinsamen Groß-Schokh gehorchen. Die
Bezirke, innerhalb deren die einzelnen Tribns sich halten,
lassen sich dermalen nur schwierig und kaum mit einiger Ge-
nauigkeit bestimmen; indessen erfuhren wir dennoch, daß im
Allgemeinen die Baqüra-Selime sich westwärts vomBahhr-
el-Abjad und den Schillük, in Ost-Kordüstln halten, daß
die Baqckra-Hawck und B.-Hawasm ebendaselbst, wenn-
gleich nördlicher wie jene, daß die B.-HamrJ in West-
Kordüstln gegen Dckr-Für hin, daß endlich die Baqüra-
Hamr in den noch unbekannten Regionen des Bahhr-el-
Qalaqah Hausen.
Die Bacplra-Selime zahlen, als zur Provinzialstatt-
halterschaft Kordüstln gehörig, au die Türken Tribut. Aber
sie sind in Ableistung dieser Verpflichtung knauserig und
man hat sie deshalb schon mehrmals mit bewaffneter Exe-
kution heimgesucht. Am schlimmsten hat ihnen vor Jahren
Mustl-Bey mitgespielt, der gegenwärtige Generalgouver-
neur des Beleb-Sudan. Mit Schaudern erzählen sie noch
heute von den Metzeleien dieses Anführers, den sie deshalb
I Oder, wie ein BagLra-Schökh gegen uns behauptete:
BagLra-HamLr, die eselbesitzenden B.?
R. Hartmann, Skizzen ans Aethiopien.
237
El-Djezzär, den Schlächter, nennen. Nach Musä-Bey's
Kriegszug hielten die Selime aus Türkenhaß eine Zeit lang
zum Schökh Nayr, dein Fürsten des unabhängigen Berg-
landes Taklah oder Teqeleh, einem alten Feinde der gegen-
wärtigen Beherrscher Ost-Sudäns. Da kam aber vor
wenigen Jahren der schlaue und intriguante Faqih Mo-
hammed -Khör aus Donqolah zu den Bagära-Selime,
schmeichelte sich bei ihnen ein, brachte sie wieder zur An-
näherung an die türkische Regierung, hetzte sie sogar gegen
Schokh Na^-.r auf und veranlaßte sie zum Sklavenranb auf
den Gebieten von Taklah, Schaebün und Der. Mohammed-
Kher gewann nach und nach ganz das Vertrauen der Be-
duinen, verwüstete an ihrer Spitze im Jahre 1861 das
Schillük-Ufer, verbrannte Hellet-Qägä, vertrieb den
Schillük-König Djeü ans seiner Residenz Denäb und jagte
ihn nach Hellet-e'-Deleb. Viele Schillük wurden damals
in die Sklaverei geschleppt, ihr Land aber, nebst dem Ge-
biete der Selime, unter dem Titel „Där-el-Baqära", der
Provinz Kordüfän einverleibt. Moh. Khor wurde Ma'mür
oder Gouverneur dieses Gebiets und übt als solcher, mit
Hülfe seiner Selime, ungestraft Menschenraub und Menschen-
handel.
Einige Familien der Selime bewohnen auch das rechte
Ufer des Weißen Nils, also den Westen der Halbinsel
Sennär. Diese sind arm, haben nur wenige Pferde und
bedienen sich meist nur der Ochsen zum Waarentransport
und zunt Reiten. Einige dieser Baqära halten sich immer in
(Setmär, Kärküsch und Rosöres auf, woselbst sie ihre Pferde
und Ochsen vermiethen und von wo sie, sobald genug ver-
dient worden, wieder nach Hause gehen.
Ferner lebt im Osten des Blauen Flusses der zahl-
reiche und mächtige Beduinenstamm der S chukuri eh. Dieses
Volk bildet nachweisbar einen Zweig der sogenannten
Bedj ah-Nationen, zu welchen auch die Nomad en st ämme
der Provinz Täqä, die Beschärin und 'Abäbdeh ge-
hören. Die Bedjah-Völker, unzweifelhaft direkte
Abkömmlinge der mero'itischen Aethiopier, sowohl
schon von den Zeitgenossen des aksumitischen Königs Aizanas,
als auch vom arabischen Historiker Magrizi genau gekannt,
reden das Midhäb-t»-Bedjawieh (oder Aeidhäb-ethä-
Bedjäwi) die Bedjah- Sprache, ein merkwürdiges, afrikani-
sches Idiom, welches mit der Sprache der Fundj-Neger
Verwandtschaft haben soll?) Auch einige Qabilijät der ge-
nannten Schukurieh sprechen noch einen Dialekt des Bed-
jäwi; die mehrsten von ihnen freilich, besonders die dem
Blauen Nil benachbarten, drücken sich recht geläufig im Ara-
bischen aus. Die Schukurieh gleichen im Aeußern sehr den
Abu-Röf, mit denen sie höchst wahrscheinlich gleiche Ab-
stammung gemein haben. Aber jene zeigen, gerade wie die
Baqärä und die Bescharin, noch wildere Physiognomien
(wahre Galgengesichter) als ihre Brüder im Westen des
Bahhr-el-azraq. Die Schukuri-Männer tragen das Haar
in 5 bis 7 große Flechten gelegt und drehen aus dem Vorder-
haupt einen wirren Schopf empor, durch welchen sie einen
Stachelschweinstachel oder ein Hölzchen stecken, um damit die
lebendigen Insassen des Toupes zu zügeln. In Tracht,
Schmuckwerk und Sitten gleichen sie ganz den Abu-Röf;
als Waffen führen sie jedoch nur Lanzen, Schwerter, grade
und krumme Dolche. Die Schukurieh sind große Besitzer
von Kameelen, Buckelrindern, Ziegen und Schafen. Eine
Anzahl von ihnen lebt in Strohhütten, den schon mehrfach
von mir erwähnten Toqüle, oft dorfweise beisammen, so
*) Welcherlei Beziehungen zwischen dem BedjLw! und anderen
afrikanischen Sprachen, z. B. dem Altegyptischen, und dem diesem
verwandten Berber! (Nubischen) stattfinden, ist bisher leider noch
nicht aufgehellt worden.
an verschiedenen Orten des östlichen Flußufers, ferner zu
HelletAli-Qortub und Qöz-Redjeb am Atbarah, zu
Hellet-Abn-Sinn und an anderen Plätzen des Qedärif
u. s. w. Diese treiben Anbau von Durrah, Dokhn, Tabak,
Baumwolle u. s. w. Die Uebrigen ziehen mit ihren Zelten
aus Matten und Ziegenhaartuch auf den zwischen Blauem
Nil und Atbarah gelegenen, grasreichen Steppen, der so-
genannten Buthänah, d. h. „Weidegrund", umher. Diese
beschäftigen sich viel mit der Jagd aus Strauße und große
Antilopen.
Die Schukurieh stehen unter einem Groß-Schokh. Der
gegenwärtige heißt Ahhmed-Abu-Sinn, und ist ein ehr-
würdiger Greis, eine in ganz Ost-Sudan weithin bekannte
Persönlichkeit, schon von manchem europäischen Reisenden
großer Biederkeit und Gastfreiheit wegen gerühmt. Auch
wir haben uns der Bekanntschaft mit diesem interessanten
und mächtigen Häuptlinge erfreut. Er, ein alted, treuer
Anhänger des türkischen Gouvernements, hatte vor wenigen
Jahren auf eigene Faust Krieg mit benachbarten Stämmen
geführt. Darob zog ihn Hasan-Beh, Gouverneur in
Karthüm, im Jahre 1859 zur Verantwortung, und sandte
ihn, behufs seiner Aburtheilung, nach Kairo. Unterwegs
trafen wir den alten Groß-Schokh zu Urdu, der Hauptstadt
von Dongolah. Wiewohl es in Kairo dem Diwan nach
des Abu-Sinn Kopfe gelüstet haben mag, so ließ man
diesen doch auf seinen Schultern sitzen und sandte den Schökh
in Gnaden wieder nach Hause, versetzte aber dagegen den
verschiedener Willkürstreiche beschuldigten Hasan-Bey nach
Täqä. Die Schukurieh (wohl an 40,000 Mann Wehr-
fähiger!) würden die etwaige Hinrichtung ihres fast ab-
göttisch verehrten Abu-Sinn gewiß blutig gerächt haben,
und so drückte man denn gern ein Auge zu. Der Groß-
Schckkh lebt bald zu Rufä am Blauen Nil, woselbst er ein
Lehmhaus und einen mit schönen Fruchtbänmen geschmückten
Garten hat, bald im Toqül-Dorfe Hellet-Abu-Sinn oder
Süg-Abu-Sinn in Qedärif. An letzterm Orte unterhält
der Häuptling ein Hauptdepöt für die von seinen Leuten
eingesammelten Strauß- und Marabnfedern. Durch einen
Mäkler, Namens Angelo, vertreibt er diese Produkte an
verschiedene Häuser zu Karthüm, ^awäkim (Suakim) und
Massäwah. Auch in dem schon mehrmals aus seiner Asche
wiedererstandenen Alt-Sufi am Atbarah hat Abu-Sinn
seine Handelsdepöts, nämlich Lager von Sennes-Blättern,
Rindshäuten, Rhinoceroshorn und Elfenbein, denn er ist
nicht nur ein geehrter Richter seines Volkes, sondern auch
ein gewiegter, spekulativer Geschäftsmann.
Den Schukurieh sind noch folgende, Ost-Sennär be-
wohnende und soviel ich weiß, von einander unabhängige
Bedninentribus stammverwandt, welche heut zu Tage meist
nur arabisch sprechen. *) Die DH absna im Süden der
Buthänah zwischen dem Ra adfluß und Atbarah stehen
unter einem Groß-Schskh. Die, Qöähil und Jehena
im Norden des sogenannten Khör-el-'Atschän, d. h. des
zwischen Ra ad und Dindir gelegenen Landes. Die Re-
kübin im Süden von den Dhabsna, ostwärts vom Ra ad.
Die Hamrän leben mehrstens am Ostufer des Atbarah, nahe
der Einmündung des Setit u. s. w. Von den Abyssiniern
werden die Schukurieh und deren Stammverwandte, haupt-
sächlich aber die ersteren, Schankelä-Takaze genannt, wie
denn Schankelä, Schanqäla, keineswegs zur Bezeichnung
einer Völkerschaft von bestimmter Nationalität, sondern für
mehrere auswärts von Abyssinien wohnhafte, sowohl hell-
I Jedoch sollen sich auch unter den im Innern von Ost-
SennLr hausenden Kabilijàt selbst dieser Nomaden welche finden,
die ein eigenes Rüthanah (Welsch), muthmaßlich, ein Bedjah-
Jdiom, sprechen.
238
Die Eingeborenen der australischen Kolonie Victoria.
als auch dunkelfarbige Aethiopenstämme, wie Beduinen,
Fundj, Berthnt u. s. w. gebraucht wird. Endlich nennen
wir noch folgende, zur großen Familie der äthiopischen No-
maden gehörige Stämme: Die Awläd-Abu-Simbil im
Osten der Fundj-Hammegh, welche ihren Hauptsitz an:
Djebel-Gheri haben sollen, und die HLbün (oder nach
Andern Zllbün) ein sehr trotziges Volk, dessen Häuptling
für gewöhnlich seinen Duär am Fuße der Berggruppe des
Djebel-'Ardns und Djebel-Udjelmeh aufschlägt. Die
Abu - Simbil und l^llbün gehören zur Jurisdiktion des
Kommandanten von Kärkütsch, die übrigen vor das des i
Gouverneurs in Karthüm und des Kreischef (Kllschif) von
QedLrif. Alle letztgenannten Stämme gleichen sehr den
Schukurleh, haben auch ganz dieselbe Tracht, dieselben Sitten
und ähnliche Lebensweise. Es sind dies nur diejenigen
Beduinenstämme Sennnrs, von deren Epistenz wir persönlich
Kunde erfahren. Sie allein sind von Bedeutung und spielen
in der Physiognomie, wie in den Geschicken des Landes
eine Rolle. Einige andere Tribus, die wir selbst nicht
kennen gelernt, sind ohne Bedeutung, und können hier über-
gangen werden.
Die Eingeborenen der australischen Kolonie Victoria.
Bon Richard Oberländer.
Erster Artikel.
Die nachfolgenden Bemerkungen über die Eingeborenen von
Victoria bilden den wesentlichen Inhalt eines umfassenden
Vortrags, welchen Herr R. Oberländer in einer Monats-
versammlnng (Juni) des Vereins für Erdkunde in Dresden
gehalten hat.
Herr Oberländer spricht als Augenzeuge. Als junger, wissen-
schaftlich gebildeter Mann wurde er, während der politischen
Stürme des Jahres 1849, durch welche so manche unserer begabten
Landsleute in die Ferne getrieben wurden, nach Australien ver-
schlagen und blieb dort bis 1861. Bevor er näher ans den von
ihm erörterten Gegenstand einging, gab er eine Skizze über das
sehr bewegte Leben, welches er bei den Antipoden geführt. Als er
1849 in der damals noch von Nensüdwales abhängigen Provinz
Port Phillip (— nicht, wie selbst in unseren neuesten geogra-
phischen Hand- und Lehrbüchern steht, Port Philipp —) landete,
fand er eine noch sehr junge Kolonie und hatte mit vielen Müh-
seligkeiten und Entbehrungen zu kämpfen, welche heute in der
Kolonie Victoria schon dem Reiche der Sage angehören. Der
junge Dresdner landete mit dem ersten deutschen Schiffe, das
überhaupt dorthin kam; er verstand die Sprachen des klassischen
Alterthums, aber kein Englisch, und der Studiosus wurde Hand-
arbeiter. Das pflegt oft so zu gehen in „neuen Welten", und auch
Amerika liefert dafür viele Tausende von Beispielen. „Aber", sagte
Herr Oberländer, „ein junger Kolonist, der ein paar gesunde
Arme und das Herz ans dem rechten Flecke hat, darf sich von
solchen Kleinigkeiten nicht abschrecken lassen, zumal die Arbeit
nicht schändet. Frischer, fröhlicher Muth und Ansdauer ließen mich
bald die eingebildeten Schwierigkeiten belachen und ich überwand
sie leicht. Freilich war es mir nicht an der Wiege gesungen worden,
daß ich meinen Lebensunterhalt auf so harte Weise, und noch dazu
in Australien, erwerben sollte."
Indessen, so fuhr der Redner fort, wurde mir bei meinen:
Herumstreifen Gelegenheit geboten, das Land, seine Einwohner,
Sitten und Gebräuche kennen zu lernen. Zur Zeit meiner Ankunft
waren die Ureinwohner der Kolonie noch in größerer Anzahl vor-
handen wie jetzt; ihre Berührung mit den weißen Eindringlingen,
das von diesen erlernte Laster des Trunkes und andere Aus-
schweifungen hatten ihre Reihen noch nicht so arg gelichtet wie
heute. Nur wenige der neueren Kolonisten werden im Stande sein,
über die Eingeborenen etwas zu berichten, und die traurigen
Exemplare, der jetzt dort, in verhältnißmäßig geringer Anzahl,
umherstreifenden Stämme bieten so wenig Erfreuliches dar und
muntern so wenig zu genauer Nachforschung über sie selbst und ihre
Vergangenheit auf, daß vergleichsweise nur wenig über sie gemeldet
worden ist.
Hatte ich Gelegenheit, zu Anfang meines dortigen Aufenthaltes,
in nähere Berührung mit den Eingeborenen zu kommen, so war
das in späteren Jahren, von 1853 bis 1855, noch mehr der Fall,
als ich, eben von einer langwierigen Krankheit genesen, statt
wiederum in den Goldfeldern mein Heil zu versuchen, in die be-
rittene Buschpolizei eintrat. Da in den Diggings nur wenig
Comfort, selbst für schweres Geld zu erkaufen war, die Stadt
Melbourne hingegen Verführungen genug bot, um das leicht
erworbene Gold Leuten, die früher noch nie Geld in den Händen
gehabt hatten, auf angenehme Art abzunehmen, so hatte Alles,
was einen sogenannten Spell oder Spree haben wollte, nach
jenem Centralpunkte zu wandern. Die vielen in der Kolonie lebenden
Deportirten fanden jedoch bald, daß es leichter sei, den heimkehren-
den Diggern ihre Bürde abzunehmen, als sich selbst in den Minen
zu Plagen, und so ward der Weg von den Goldfeldern nach
Melbourne so unsicher und so verschrieen, daß sich die Negierung
genöthigt sah, durch bewaffnete Macht dem Nebel abznhelfen.
Woher aber, bei einer so großen Entfernung von England,
sogleich disciplinirte Truppen den Buschrangers (Busch-
kleppern) gegenüber hernehmen, die überall genau Bescheid wußten ?
Dem Mangel an Reiterei ließ sich durch alte Kolonisten, welche als
Farmer und Aufseher auf Rindvieh- und anderen Stationen mit
Pferden unizugehen verstanden und das Buschleben kannten, wohl
abhelfen, und um ihre Wirksamkeit noch zu vermehren, ordnete
man ihnen, wenn nöthig, einige Mann von der bereits vorhandenen
„Black Police" des Kapitän Dana unter. Von dieser wurde
die Fährte der gefürchteten Bnschrangers bald entdeckt und die
Gefangenen fielen der wohlverdienten Strafe anheim. Freilich war
ans solcher Jagd mancher Kampf zu bestehen, denn sie wußten, daß
ihr Weg nur zun: Galgen führen konnte, und Mancher meiner
Kameraden, darunter einige sehr liebe Landsleute und Freunde,
haben dabei ihr Leben eingebüßt, oder schleppen sich noch als
Krüppel einher.
Bei diesem Dienste hatte ich also öfters Gelegenheit, mit den
Eingeborenen in nahe Berührung zu kommen, und meine schon
früher gesammelten Erfahrungen über ihre Lebensweise, Sitten
und Gebräuche zu bereichern.
Ich kann nicht umhin, hier Einiges über einen Mann mit-
zutheilen, den: ich viele Nachrichten über die dortigen Ureinwohner
verdanke.
William Buckley kam als Konvikt, deportirter Verbrecher,
unter Colonel Collins in: Oktober 1803 nach Port Phillip. Die
damalige Ansiedlung Western Port, dieselbe Lokalität, wo jetzt das
blühende Melbourne steht, würde nachVerlauf eines Jahres „als
unfruchtbar und zur Kolonisirung unbrauchbar" verlassen und man
Die Eingeborenen der australischen Kolonie Victoria.
239
brachte die Gefangenen nach Vandiemensland. Buckley entfloh mit
noch drei anderen Deportirten in den Busch. Einer von ihnen ward
von den nachsetzenden Konstablern erschossen; den anderen schwebte
die dunkle Idee vor, ihren Weg zu Lande nach Sydney zu machen.
Von Hunger und Müdigkeit überwältigt, verließen endlich die beiden
Anderen Buckley, um sich wieder auszuliefern; man hat aber nie
wieder etwas von ihnen gesehen oder gehört.
Buckley, nun allein in diesem wilden Lande, fand eine Höhle
am Meeresufer, und Monate lang waren Muscheln seine einzige
Nahrung. Er verlor unglücklicherweise seinen Feuerbrand und ward
so der Möglichkeit beraubt, seine Speisen zu kochen. Endlich ward
er, während er schlief, von Schwarzen entdeckt. Diese wollten bald
herausfinden, daß er ihr von den Todten wiedererstandener Ver-
wandter und Freund Mnrrangurk sei, und schonten deshalb sein
Leben. Viele Jahre lebte er dann mit und unter diesen Leuten, bis
seine angeblichen Brüder und anderen Verwandten getödtet und
von ihren Feinden aufgefressen waren. Dann verließ er, mißmnthig,
diesen Stamm mit seinen beiden Adoptivkindern, einem blinden
Knaben und dessen Schwester. Ersterer ward bald getödtet und
verzehrt, als Sühne für das angebliche Verbrechen, daß ein Ein-
geborner in Buckley's Hütte gestorben war.
Nachdem seine Adoptivtochter geheirathet und ihn verlassen
hatte, lebte er wieder für sich allein, bis er sich eine junge Frau
nahm, welche seine Gesellschaft der ihres Stammes vorzog. Mit
dieser lebte er zwei und dreißig lange Jahre vergleichs-
weise glücklich, ohne je das Antlitz eines Weißen zu
erblicken.
Eines Tages, als er in der Nähe von Jndented Head, dem
jetzigen Geelong, war, traf er auf zwei Schwarze, die bunte
Schnupftücher an ihren Speeren hatten, und von diesen erfuhr er
die Ankunft zweier Weißen und sechs fremder Schwarzen. Es
waren dies die damaligen Gründer der Kolonie
Victoria, die Herren Batman und Fawkner, ans Tas-
manien, von denen Letzterer noch lebt und mir wohl bekannt ist.
Die Schwarzen erzählten Buckley ferner, daß sie zu den übrigen
Gliedern ihres Stammes gingen, um die Weißen zu morden und
deren Eigenthum zu erhalten. Das weiße Blut meines Freundes
regte sich und er lief 15 Miles, um seine Landsleute zu retten.
Anfangs konnte er sich mit ihnen nicht verständigen, und die
Weißen wußten selbst nicht, was sie aus ihm machen sollten. Sein
Aussehen mag auch höchst eigenthümlich gewesen sein. Seine riesen-
hafte Statur (er ist (i Fuß 6 Zoll hoch), eingehüllt in eine Opossnm-
felldeüe, sein langer Bart und ein Haar, das dreißig Jahre lang
nicht geschoren war, dazu seine Speere, Schilde und Keulen, das
Alles ließ ihn wie einen Wilden erscheinen. Die Europäer hielten
ihn anfänglich für einen großen Häuptling und waren in keinem
geringen Zweifel, ob er ihnen freundlich gesinnt sei oder nicht.
Obschon er mit der Absicht gekommen war, den Weißen zu nützen,
kümmerte er sich doch anfänglich in seiner ihm eigenen scheuen und
blöden Weise gar nicht um diese, sondern saß anscheinend theil-
nahmlos unter den Schwarzen, bis endlich die Weißen auf ihn zu-
kamen, um mit ihm Verhandlungen auzuknüpfen. Als sie ihm
Brod gaben und es mit Namen nannten, schien eine Wolke von
seinem Gedächtniß zu fallen, und er wiederholte dies und andere
englische Worte, die ihm vorgesagt wurden, sehr bald. Durch Zeichen
gab er zu verstehen, daß er ein Weißer und kein Eingeborener sei,
und sie nahmen ihn darauf hin zu ihren Zelten, wo sie ihm Speise,
Trank und Kleidung gaben.
Buckley sagte mir: „Meine Gefühle kann ich nicht beschreiben,
und da ich mich nicht in meiner Muttersprache ausdrücken konnte,
zeigte ich ihnen die Anfangsbuchstaben W. B., die auf einen meiner
Arme tättowirt waren. Sie hielten mich für einen schiffbrüchigen
Matrosen und behandelten mich demgemäß. Nach und nach fing
ich an, Einzelnes zu verstehen und fühlte bald wie durch Instinkt,
daß sie hier zu bleiben gedächten und bereits mehrere Häuptlinge
gesehen hätten, von denen sie, ihrer Aussage nach, Land für allerlei
Dinge eingetauscht hätten."
Batman's Gesellschaft engagirte unfern Buckley als Dolmetscher
mit einem jährlichen Gehalte von 50 Pfd. St., und Herr M. Gelli-
Lrand, dessen ich später noch einmal erwähnen werde, gab ihm ein
Pferd. Seine Aufgabe war es nun, den freundlichen Verkehr
zwischen Weißen und Eingeborenen anzubahnen und zu erhalten.
Kapitän Lonsdale machte ihn später zum Konstabel. Vorher aber
erhielt er durch Oberst Arthur seine Begnadigung, und zwar durch
die freundliche Vermittelung von Batman und Wedge.
In seiner nachmaligen Eigenschaft als Chief Constable von
Melbourne habe ich ihn wohl gekannt und viel mit ihm verkehrt.
Im Jahre l854 kam er auf Gnadenbrot nach Tasmanien, und dort
heirathete er nochmals, diesmal die Wittwe eines Deportirten.
Im Jahre 1856 fand er durch einen Sturz aus dem Gig bei einer
Spazierfahrt seinen Tod.
Als weitern Gewährsmann hätte ich zunächst I)r. Thomson,
den nachmaligen Mayor von Geelong, zu nennen, bei welchem ich
kurz nach meiner Ankunft als Gartenarbeiter in Diensten stand
und welcher stets sehr viele Schwarze um sich zu versammeln suchte.
Er fand bald, daß ich mich für diese Leute interessirte, und wollte
mich von besserm Material finden als seine übrigen Arbeiter.
Aus seiner reichen Erfahrung theilte er mir Manches mit und gab
sich, beiläufig gesagt, unendliche Mühe, mir die englische Sprache
beizubringen.
In späteren Jahren lernte ich au dem von mir und meinen
beiden Freunden, den Söhnen des hiesigen Hofgärtuers Seidel,
entdeckten, jetzt sehr bedeutendem Goldfelde Jim Crow, auch den
Protektor der Schwarzen, Herrn Parker, kennen, dessen Station
sich am Fuße des gleichnamigen ausgebrannten Vulkans befand
und von deni wir unsere Lebensmittel einkaufen mußten. Dieser
hat sich oft mit uns unterhalten, hauptsächlich über sein Lieblings-
thema, die Bekehrung der Eingeborenen zum Christenthuine.
Obschon fast immer eine große Anzahl auf seiner Station, auf
der sich eine Missionsanstalt befand, war, ist ihm doch sein
Vorhaben nie recht gelungen; wollene Decken und Lebensmittel
haben sie in Hülle und Fülle ihm abgenommen, aber zum Still-
sitzen konnte er sie nie bringen.
Ich hätte endlich noch eines deutschen Landsmanns, Herrn
Blandowsky's, zu gedenken, der auf seinen Entdeckungsreisen
in Südaustralien und Victoria viel mit Schwarzen verkehrt und
Manches über dieselben geschrieben hat. — Seine Berichte sind
leider nicht zu größerer Oessentlichkeit gelangt, sondern befinden
sich meist im Archiv der Philosophical Society zu Melbourne, deren
Mitglied er ist.
Jch theile nun meineWährnehmungen und Beobachtungen mit.
Die Eingeborenen der Kolonie Victoria sind den höchst lächer-
lichen Karrikaturen, welche hier und da von ihnen zu finden sind,
sehr unähnlich. Die Männer sind durchschnittlich untersetzt, mit pro-
pvrtionirten Gliedmaßen und nicht unangenehmen Gesichtszügen.
Ihre Stirn ist oft hoch und gerade. Sie besitzen ein außerordent-
liches Sehvermögen und große mechanische Geschicklichkeit. Ihre
Augen sind groß, glänzend und ausdrucksvoll. Ihre Nasen sind
breit, ihre Zähne sind stark, und weiß; der Mund ist groß, das
Haar dunkel, glänzend und gelockt. Viele Männer haben lange,
glänzende, gelockte Bärte, die den Neid manches Europäers er-
wecken würden. *) Wenn ein junger Eingeborener zum National-
tanze, dem Corroboree, geschmückt ist, wenn sein Haar eingeölt
und gescheitelt, seine muskulösen und schön geformten Glieder
durch Kleidung unbeengt, wenn er, von der Dame seines Herzens
künstlich mit Oker bemalt, dasteht und sein freudiges Auge von
sprudelndem Humor glüht, dann bietet er einen bei weitem weniger
*) Die Abbildungen, welche der Globus I, S- 269, von südanstralischen
Eingeborenen mitgetheilt hat, erklärt Herr Oberländer für durchaus getreu.
240
Die Eingeborenen der australischen Kolonie Victoria.
unangenehmen Anblick dar als der pakfümirte, schwänzelnde
Stutzer Europas.
Die Haut ist nicht schwarz, sondern von dunkler Kupferfarbe.
Der Gebrauch von Fett, Holzkohle und Oker indessen, obschon
von Nutzen gegen die Einwirkung der Sonnenstrahlen, hat ihre
Farbe anscheinend verdunkelt. Erhabene, wulstige Narben von Ein-
schnitten über die Brust ersetzen als Schmuck die Tättowirung des
Neuseeländers.
Der stolze Schritt unseres Schwarzen, seine aufrechte Haltung,
die Leichtigkeit, mit der er sich in Gegenwart selbst der Großen der
Kolonie bewegt, seine Unabhängigkeit, ja sogar sein stolzes Be-
nehmen, mit dem ernsten, zuversichtlichen, kalten Blicke, Alles zeigt
ein Leben der Freiheit und Selbständigkeit in seiner Wildniß an,
ohne die Tyrannei eines unverantwortlichen Häuptlings und ohne
den Druck der Gesetze.
Ihr Charakter ist, wie überhaupt bei allen Wilden, ans an-
scheinend unvereinbaren Widersprüchen zusammengesetzt. Herr
Eyre, der berühmte Reisende, sagt, daß sie von Natur ein gutes
Temperament hätten, hingegen bisweilen unter dem Einfluß einer-
wahrhaft satanischen Wuth seien. Ich kann dieser Ansicht nur
beistimmen. Sie sind anhänglich und dankbar und können doch
schonungslos grausam, rachsüchtig und hinterlistig sein. Der
Uebergang ist schnell. Jetzt ruhig und sanft, wie ein austra-
lischer Morgen, dann heftig und zerstörnngssüchtig wie der stürmische
Taifun. Die Laster des Fluchens, Schwörens und der Trunken-
heit haben sie von ihren christlichen Besuchern gelernt. Sie sind
nicht ohne natürliche Anhänglichkeit und Zartgefühl. EinSchwarzer
an: Murray ward einst beobachtet, wie er ein altes zinnernes Trink-
geschirr (Pannican), welches seiner verstorbenen Frau gehört hatte,
blank putzte. Auf die Frage, was er damit zu thun gedenke, gab er
seine Absicht zu erkennen, dasselbe zu ihrem Bruder am Moorundee
tragen zu wollen, und setzte hinzu: „Tlien him plenty cry.“
Sie sind in sich ein wahrhaft glückliches, munteres, ungebun-
denes Völkchen. Ein Gedanke an Selbstmord kommt ihnen nie
in den Sinn. Der bejahrte Mann wird im Stamme hoch geehrt;
er rührt sich nicht mehr und die Jüngeren versorgen ihn mit
Lebensmitteln. Seine Rathschläge werden geachtet und befolgt;
er heirathet nach Belieben die jungen Weiber und kann dieselben
aus Liebe oder Ueberdrnß fressen, wenn er will.
Kleidung, Schmuck und Wohnungen.
Für gewöhnlich lieben die Eingeborenen den Zwang der Klei-
dung nicht. In kalten Wintern werfen sie eine ans Opossnm-
oder Kängeruhfellen mit Sehnen oder einer Grasart künstlich zu-
sammengenähte Decke über sich.
Der Ersatz derselben durch die jetzt sehr häufige „Blanket",
d. h. wollene Decke, ist kein Fortschritt. An der Seeküste sind
Kleider aus Binsen und Seegras gemacht worden. Ihr Schmuck
ist einfach; Zierrathen werden nicht so hochgeschätzt wie bei anderen
wilden Nationen. Mit den Federn des schwarzen Schwans, des
Casuars (Emu), Kakadus rc. schmückt man sich bei großen Gelegen-
heiten; dann ist auch das Haar bisweilen mit Kängeruhzähnen
und Vogelkrallen gleichsam durchspickt. Auch tragen sie um den
HalsFäden, auf denen kleine Stücken Binsen gereiht sind. DieFranen
werden ohne solchen Putz für genügend schön erachtet; sie haben
keine Hilfsmittel, um ihre natürlichen Reize zu erhöhen. Die
Männer eignen sich ausschließlich die Locken und das Okerband
an; aber beide Geschlechter haben die oben erwähnten, schwülstigen
Narben, die Männer auf der Brust, die Weiber auf dem Rücken,
als einzige vermeintliche Zierde.
Ihre Wohnungen sind nicht stabil. Da sie gewöhnlich nach
Nahrung weit und breit umhersuchen, können sie sich mit Errich-
tung von festen Wohnstätten nicht befassen; sie haben auch der-
gleichen, bei einem so milden Klima, nicht nöthig. Wenige
Stangen und Aeste, einige Zweige gegen einen nmgestürzten Baum
gelehnt, oder der Schutz einer aufgehängten Opossumfelldecke ist
Alles, was sie wünschen und bedürfen. Zuweilen ist ihr Wirlie
oder Mia Mia von Binsen oder Stöcken gebildet und mit Zweigen,
Rinde, Gras, Lumpen oder alten Kleidern, welche von den Einge-
wanderten weggeworfen, bedeckt. Je nach dem Windwechsel drehen
sie diese sogenannten Wohnungen herum. Wo viel Nahrung zu
finden ist, sind die Hütten zwar aus demselben Material, aber
etwas dauerhafter hergestellt.
Nahrung. Kochen.
Vor Ankunft der Weißen war nie Mangel an passender Nah-
rung für die Eingeborenen, ebenso wenig wie jetzt, nachdem ihre
Anzahl zusammengeschmolzen und da die Einwanderer die ur-
australische Nahrung für sich nicht angemessen finden. In ge-
wissen Distrikten zwar, wo zufolge des Ueberhandnehmens der
Weißen solche nicht reichlich vorhanden ist, finden oft Einfälle in
die Jagdgründe anderer Stämme statt, und diese sind öfters
Ursache zu Kämpfen.
Ueber die Nahrung haben sie gewisse, feste Bestimmungen.
So z. B. können Kinder unter zehn Jahren Alles essen. Knaben
dürfen kein Kängeruhfleisch genießen, ebenso wenig das Weibliche
oder Junge irgendwelchen Thieres. Den Mädchen ist nicht ge-
stattet, vom Kranich, Bandicoot und männlichen Wallaby (Haema-
turus wallabatus) zu essen. Jungen Männern ist der Genuß vön
schwarzen Enten, Kranichen, Adlern, Schlangen und Wallabies
(und des Jungen im Beutel) verboten; die Aelteren des Stammes
sagen ihnen, daß, wenn sie solche zu sich nehmen, Beulen über
ihren ganzen Körper ausbrechen würden. Verheirathete Männer
müssen sich bis zum vierzigsten Jahre des Genusses von Adlern und
Kranichen enthalten. Erwachsene Mädchen und Frauen dürfen
kein männliches Opossum (Didelphis sp.), rothes Kängeruh oder
Schlangen genießen. Ebenso wenig dürfen sie von einem Fisch
essen, der unter Klippen gefangen wurde, wohin er sich zur Laich-
zeit zurückgezogen. — Frauen in einem gewissen Zustande sind mehr
auf Begetabilien angewiesen. Alte Leute können gleich den Kindern
essen, was sie wollen.
Man hat Enten und Gänse in Fülle; auch fehlt es nicht an
Leckerbissen. Schmackhafte Würste von Fett (in den Därmen des
Pelikans) werden im Kreise zum Aussaugen herumgereicht. Lvap
oder Manna giebt auch ein beliebtes Gericht. Die geschätzte
Myrnongwnrzel, dem Radieschen ähnlich, ist leider von un-
seren Schafen vielfach zerstört worden. Der hakenförmige Kako-
stock holt die saftigen Engerlinge ans ihren hölzernen Höhlen.
Ein an die Küste geworfener Walfisch giebt Anlaß zu üppigem
Schmaus. Benachbarte Stämme machen freundschaftliche Be-
suche und können sich abschneiden und mitnehmen, was ihnen
beliebt. —
Der Australier betrachtet das Walfischfest als eine gute Ge-
legenheit, sich vollzupfropfen, und nimmt Massen von halbver-
faultem Fleisch als Geschenk für seine Bekannten landeinwärts
mit sich. Nun, an diesen Walfischmahlzeiten habe ich meinerseits
mich nicht betheiligt, außer als Zuschauer; aber sonst hat mir doch
manche australische Mahlzeit sehr wohl gemundet. Eineni euro-
päischen verwöhnten Gaumen möchte sie allerdings wohl weniger
behagt haben, namentlich ließ die Reinlichkeit viel zu wünschen
übrig; aber einen australischen Ansiedler, der nicht verwöhnt ist
und der stets Hunger hat, darf das nicht stören.
Streichhölzchen und Schwefel waren zu meiner Zeit den
Schwarzen im Allgemeinen unbekannt, sie machten Feuer durch
Aneinanderreiben zweier Stücken Holz. Als Geheimniß erfuhr
ich, daß das ächte Material aus den Bergen komme und „all the
same appletree“ sei. Das eine Stück ist 3 bis 4 Fuß lang und
das andere ein kurzer, runder Stock. In dem crstern befindet sich
in der Mitte ein Loch, das mit fein zerkleinerter Rinde des Faser-
rindenbanms angefüllt ist. Indem sie das eine Ende des größern
Holzes gegen einen Baum stemmen und das andere Ende in der
Hand halten, drehen sie den Stock in diesem gefüllten Loche schnell
Die Eingeborenen der australischen Kolonie Victoria.
241
und so lange herum, bis sich die Rinde entzündet. Eine bequeme
Art des Kochens ist, das Fleisch auf glühende Kohlen zu werfen.
Eine ihnen eigenthümliche interessante Kochweise ist die mit
Dampf. In einem in die Erde gegrabenen Loche wird ein Fisch
oder ein Stück Fleisch auf heiße Steine gelegt und mit reinem Gras
bedeckt. Darauf wird ein Stock senkrecht gehalten und das Loch
mit Erde ausgefüllt. Der Stock wird herausgezogen und in die
dadurch zurückbleibende Röhre Wasser gegossen. Das Wasser ver-
dampft auf dem heißen Steine und der durch das Gras zurück-
gehaltene Dampf kocht Fisch oder Fleisch fertig und zwar sehr
schmackhaft. Fleisch wird auch bisweilen in hohle Baumrinde
dicht vor's Feuer gelegt, um den Saft zu erhalten, ebenso wie die
Nordaustralier ihre Schildkröten in der Schale rösten. Ein aus-
gezeichnetes Gericht wird derart bereitet, daß man in abwechseln-
den Schichten bis zum Rande des Loches Fisch auf nasses, über
heißer Asche liegendes Gras legt. Eier werden in der Asche gekocht,
Ameiseneier und Engerlinge ans Stücken Rinde geröstet. Obschon
man gewöhnlich das Opossum oder Kängeruh ganz auf das Feuer
wirft, werden doch die Eingeweide, nachdem sie vollständig durch-
gewärmt sind, herausgczogen, ausgewaschen, besonders zubereitet
und als besonderer Leckerbissen für einen Freund oder den Fänger
des Thieres aufbewahrt.
Jagd.
Der Eingeborene führt, in seiner Weise, ein behagliches Leben.
Sein Weib (Lnbra) sammelt Wurzeln, und wenn es ihm paßt,
geht er mehr zum Zeitvertreib als aus Noth mit Speer, Waddy
oder Bumerang aus und bringt gewöhnlich gute Beute heim.
Beliebt ihm ein Opossum, so macht er mit seinem steinernen To-
mahawk Einschnitte für die Zehen in die Rinde, ersteigt solcher-
gestalt schnell einen Baum, untersucht ein oder zwei Löcher in
faulenden Aesten, worin er ein Thier vermuthet, schnellt dasselbe
beim Schwänze heraus und wirft es hinab zu den lauernden
Hunden, von denen ihm stets eine große Anzahl folgen. Der
Casuar und der wilde Truthahn lassen Menschen sehr schwer an
sich herankommen. Daher kriechen die Schwarzen unter dem Schutz
eines großen grünen Zweiges langsam an dieselben heran.
Ein Australier von der Aarra (Aarra Darra, d. h. immer
fließend, so heißt der bei Melbourne fließende Strom) gab mir
einst eine ausgezeichnete Beschreibung eines Truthahnfanges. Der
Jäger, bewaffnet mit einem langen Stab, an dessen einem Ende
eine Schlinge, an dem andern ein kleiner Vogel angebunden ist,
nähert sich seinem Opfer unter dem Schutze des eben erwähn-
ten großen grünen Zweiges, den er in der Hand trägt. Der
dumme Truthahn geht an den sich sträubenden Gefangenen hinan
und pickt ihn mit dem Schnabel. Der kluge Wilde nimmt die Ge-
legenheit wahr und dreht geschickt seinen Stab, um den Hahn mit
der Schlinge zu fangen und zu erdrosseln. Der todte Truthahn
wird sorgsam entfernt und der Lockvogel hat denselben Erfolg mit
dessen Kameraden. Der schöne Leierschwanz ist besser ans derHut und
muß mit dein Waddy (einer Art Keule) heruntergeschlagen werden.
Knaben werfen mit einem drei Fuß langen hölzernen Stabe (dem
Wammera), der mit einem länglichen, eiförmigen,, im Feuer ge-
härteten Knoten endet, nach Vögeln, namentlich nach Waldtauben.
Das Netz ist eine Hauptsache bei der Jagd. Die zum Fange der
Kängeruhs bestimmten werden aus der Wurzel einer Binsenart,
andere aus der Wongulwurzel bereitet. Die Fasern werden
durch Kauen getrennt. Die Nadel ist in der Form eines Blei-
stiftes, um die der Faden gewunden wird. Maschen kennen sie
nicht. Die ans den Schenkeln der Lubras geriebenen Faserfäden
werden so zierlich und regelmäßig, wie unsere Peitschenschnüre.
Der Gonlbourn-Stamm hat Fischnetze von einer Grasart. Der
Iarra-Stamm fischt mit dem Speere. Der Murray-Stamm
sucht seine Beute bei Nacht, und ich habe eine ganze Flotte von
Kähnen beobachtet, die, mit einem Feuer im Stern, den Fluß hin-
abruderte. Der Kahn wird aus Rinde verfertigt, welche man
Globus IV. Nr. 8.
durch Feuer erweicht, um ihr die gewünschte Gestalt zu geben, und
diese behält sie nach ihrer Erhärtung. Um die Seiten auseinander
zu halten, werden Stäbe hineingezwängt. Solch ein Fahrzeug ist
nicht ohne Schwierigkeit im Gleichgewichte zu erhalten. Aber jeder
Eingeborene zeigt Gewandtheit in der Führung und ist überdies ein
halbes Amphibium.
Gesang und Tanz.
Nicht selten wird der Reisende, welcher sich am Abend einem
Lagerplatze der Eingeborenen nähert, durch eine Art von Gesang
begrüßt, der bald langsam und weich, bald schnell und heftig ist.
Diese Töne haben, obwohl sie höchst einfach sind, auf dies erreg-
bare Volk einen Einfluß, indem sie Leidenschaften dämpfen, Rache
erwecken oder Wünsche entflammen. Takt halten die Australier
merkwürdig gut. Das Aneinanderschlagen zweier Stöcke ersetzt
den Taktstab des Kapellmeisters. Crescendo und Diminuendo,
Allegro und Andante werden mit Genauigkeit und Geschmack be-
obachtet. Unkenntniß ihrer Sprache hindert uns meist an gehöriger
Würdigung ihrer poetischen Erzeugnisse.*)
Der Tanz ist die Musik der Füße und die Poesie der Bewe-
gungen. Ich weiß nicht, ob ursprünglich die Tänze der Einge-
borenen mit ihren heidnischen Ceremonien in Zusammenhang ge-
standen haben; sicher ist es, daß jetzt der Geist derselben längst
entschwunden ist. Sie ahmen in ihren Tänzen meist den Thieren
nach: so z. B. haben sie einen Kängeruhtanz, einen Emu-Tanz rc.
Bei weitem der beliebteste und häusigst vorkommende Tanz ist der
Corrodo ree, über den ich auch als Augenzeuge reden kann, denn
ich habe ihn häufig gesehen.
Der Mond ist voll; die Hügel, welche in der Mittagöhitze
glühten und mit der untergehenden Sonne in wechselnder Farben-
pracht von Gold, Purpur und Aschgrau wetteiferten, liegen jetzt
im Dunkel. Des lachenden Esels **) Abschiedstriller ist verklungen
und die Fledermaus schwirrt ihren excentrischen Flug. Da dringt
vom Thale her ein Ton eigener Art an unser Ohr. Wir treten
näher. Inmitten der dunklen Masse unterscheiden wir den Klage-
sang, das Schlagen der Taktstöcke und daö gedämpfte Gemurmel
der Opoffumfelltrommeln. Eine große Anzahl von Wilden sitzt
um kleine Feuer, die bisweilen schnell auflodern, wenn trockene
Zweige oder Blätter auf die Kohlen gelegt werden.
Die Lubras (Frauen) haben ihre Decken zusammcngefaltet und
zwischen ihre Schenkel gelegt, auf die sic mit der flachen Hand
schlagen. Manche sitzen mit gekreuzten Beinen und singen, mit
niedergeschlagenen Augen und das Antlitz betrübt, eine Trauer-
melodie. Hier giebt cs keine Unterbrechung, da die Melodie das
Schwatzen des gesprächigen Stammes dämpft. Ein munteres
Lied folgt; die alten Männer schlagen schneller mit ihren Stäben,
das Tum Tum wird lauter, die Augen fangen an zu glänzen,
bisweilen erschallt Gelächter, das Schwatzen beginnt und mit dem
letzten schrillen Tone stürmt Alles in lauter Munterkeit.
Der Corroboree soll beginnen. Verschiedene wichtig aus-
sehende alte Leute gleiten herum, geben Rath und Anordnungen
zur Festlichkeit. Die Mitwirkenden sehen zu, ob die Linien von
Töpferthon, welche sie skelettähnlich ans ihre Leiber gemalt haben
und die ihnen ein groteskes Ansehen geben, in Ordnung sind und
helfen nach, wo es ihnen nöthig erscheint. Nach den gehörigen
Hein s und Ha's, Hin- und Herrücken und der nöthigen Verwir-
rung nimmt Alles'Platz. Die Damen kauern neben den Feuern,
räuspern ihre Kehlen und geben ihren Trommeln eine Extra-
*) Dr. Lang gibt in seinem gelehrten ethnologischen Werke über die Sndsee-
iusnlaner folgende Geschichte. Ein schottischer Geistlicher, sagt er, der eine Zeit lang
im Innern ver Kolonie weilte, und der die Sprache ver Eingeborenen stnvirt hatte,
versichert, Vaß er einen Schwarzen einst habe ein Gedicht, recitimi hören, Vas die
kriegerische Expedition eines Stammes in Vas Gebiet eines anderen beschrieb mit
welches nicht weniger als fünfzehn Stanzen hatte und einen hohen Grad poetischen
Gefühls verricthen.
*') Laughing Jackass, der Engländer. Es ist Dacelo gigantea, und
kommt sehr häufig vor.
31
242
Klimatische Krankheiten im Innern Ostafrikas.
spannung. Die alten Männer sitzen oder stehen in Gruppen. Die
jungen Leute, welche diesmal die Tänzer sind, springen gelenkig
in die Mitte, begleitet von einem lauten Ha! der Verwunderung
von den ebenholzfarbenen Schönen. Neckende Aeußerungen unter
den jungen Leuten werden von den älteren zum Schweigen ge-
bracht. Ruhe! — Die Glieder bilden sich. Mit Bündeln von
Gumblättern in der Hand und anderen um die Knöchel sind die
jungen Männer, gleich fliegenden Merkuren, fertig. Die Musik,
d. h. Trommeln und Gesang der alten Weiber, beginnt. Den
Körper langsam von der einen nach der andern Seite bewegend,
folgen die Jünglinge dem Takt. Auf ein gegebenes Zeichen fangen
Hände und Füße eine gleiche Bewegung an, die ein sehr groteskes
und unnatürliches Aussehen gewährt. Das Fleisch an Schenkeln
und Waden zittert auf erstaunenswerthe Art. Ausrufe der Be-
wunderung ertönen von den gespannten Zuschauern bei irgend
einer schwierigen und besonders interessanten Verrenkung der
Glieder. Nach verschiedenen Chasses treten die Männer ab,
rennen ohne anscheinende Unordnung und Konfusion hin und
wieder, springen in die Luft, schwenken die Zweige über sich, rufen
ein lautes „Wsthf", brechen in Gelächter aus, mischen sich in den
Wirrwarr von Geklatsch und empfangen die Liebkosungen und
Gunstbezeugungen ihrer Freunde. Enthusiastische Freundinnen
einzelner Tänzer müssen durchaus unsere, der weißen Zuschauer,
Hände drücken, und uns mit lachendem Munde, ans die Günst-
linge zeigend, erklären: Murrcy jih along o’ that Corroboree,
miu’rey jik blackfellow, zon give him six-pence! Gebadet in
Schweiß nehmen die jungen Männer einen Trunk zu sich, werfen
sich ans das thauige Gras und ruhen ans.
Doch die Alten haben schon wieder einen Tanz angeordnet,
diesmal anderer Art, und wiederum treten Tänzer an. Das In-
teresse ist erneuert und der Mond steht schon hoch am Himmel, ehe
der Corroboree vorüber, das Wirlie gefüllt ist und die Tänzer zur
Ruhe sind.
Bisweilen haben sie Spiele unter einander. Einer nimmt
eine Partie Casuarfedern zur Hand, rennt damit in den Wald
oder duckt sich zwischen den Weibern herum, verfolgt von einer
Anzahl junger Männer, welche die Federn erhaschen sollen.
Oesters sieht man die Trophäe hoch emporgehalten, wenn es dem
Tänzer gelungen war, der Beobachtung zu entgehen. Tnmul-
tnarische Heiterkeit folgt dem glücklichen Fange.
Ein junger „Blackfellow" wird von zwei anderen in das Lager
geführt. Unaussprechliche Qual, wie von einem Unglücksfall, ist
in seinen Zügen und in den theilnehmenden Blicken seiner Be-
gleiter zu lesen, die ihn sorgfältig unterstützen. Die Lagerfeuer
werden verlassen, und ängstliche Gesichter gruppiren sich um den
Leidenden. Plötzlich springt der Mann mit lautem „Whirr-r"
auf, seine Begleiter brechen in munteres Gelächter über das Ge-
lingen der Täuschung ans und ein langes, angenehmes „Aabber,
Iabber" ist das Resultat.
Die Tänze der Weiber sind zur Belustigung des andern Ge-
schlechts und, nach unserer Ansicht, sehr frivol. Einer der schönsten
Corroborees, dem ich beiwohnte, ward am Tage der Trennungs-
feier Victorias von Nen-Süd-Wales am 1. Juli 1851 in Mel-
bourne von ungefähr 800 Schwarzen ausgeführt, welche stolz, in
neue „Blankets" gehüllt, sich dem Zug anschlossen, und denen
ein Ochse, ganz gebraten, mit Thee und Brot nach Belieben
preisgegeben wurde.
Klimatische Krankheiten im Innern Ostafrikas.
Ohne Zweifel werden Speke und Grant während ihrer
dritthalbjährigen Reise durch ostafrikanische Gegenden, von San-
sibar bis znm obern Weißen Nil, dem Klima ihren Tribut haben
zahlen müssen, denn kein Europäer bleibt verschont von lebens-
gefährlichen Fiebern. Wie viele Forschungsreisende sind denselben
schon erlegen und >vie viele andere leiden ihr ganzes Leben hindurch
an den Nachwehen!
Die westafrikanischen Fieber sind arg und gefährlich genug,
aber sie treten nicht in so entsetzlicher Form auf wie jene im Innern
Ostafrikas. Darüber hat uns Kapitän Richard Burton hin-
länglich belehrt, und es wird gerade jetzt nicht ohne Interesse sein,
zusammenznstellen, was er darüber aus Wahrnehmungen an sich
selbst und an SP eke, in seinem vortrefflichen Werke über die Seen-
Region in Centralafrika, berichtet hat.*)
Im Februar 1857 hatten die beiden Reisenden von Sansibar
* ) Ans Burton's Mittheilungen können A. M ii hry : D i e g e o g r a pH i -
scheu Verhältnisse der Krankheiten oder Grundzüge der Nvsv-
Geographie, Leipzig und Heidelberg 1856. II, S. 63, und desselben Ber
sasscrs Klimatologische Untersuchungen oder Grnndznge der Klima-
tologie in ihrer Beziehung ans die Gesundheitsverhältnisse der Bevölkerungen,
Leipzig und Heidelberg 1858, S. 881 ff., ergänzt werden. Burton's Werk er-
schien 1860; Mühry's Arbeiten sind vortrefflich ; es ist ein ungemein sorgfältiger
Fleiß, eine in der That bienenartige Emsigkeit darauf verwandt worden. Wir
wollen bemerken, daß die Nosogeographie eine Schöpfung der deutschen
Wissenschaft ist. Tie Bahn brach schon Ludwig Finke in seinem: Versuch einer
allgemeinen medicinischenGeographie, Leipzig 1795; dann wurde sie umfang-
reicher von Friedrich Schnurrer betreten, in dessen: Geographischer Nosologie
oder die Lehre von den Veränderungen der Krankheiten in den verschiedenen Ge-
genden der Erde, in Verbindung mit physischer Geographie und Naturgeschichte
des Menschen. Stuttgart 1,313. Dann folgten Isensce und Fuchs; Bondin
in Paris 1857. An dieses Letztern Traité de géographie et de statistique
médicales et des maladies endémiques knüpfte P 0 N d) et sein Urogramme d'une
géographie nosologique a propos du traite etc. du Dr. 1,oudin , tlt Nouvelles
annales desvoyages, Mai 1859, p. 129. Vom verstorbenen Nilreisenden P en et)
lasen wir sehr lehrreiche Études sur l’ethnographie, la physiologie, l’anatomie
et les maladies des races du Soudan. Sie stehen im Bulletin de la
société de géographie, 1850, I, p. 321 sqq. II.
aus eine Reise am Flusse Pangani gemacht, bei drückender Hitze.
In der gleichnamigen Stadt mußten sie auf ein Boot lange warten;
es erschien erst am 5. März. Es lag in ihrer Absicht, nach Süden
hin, der Küste entlang bis Kiloa, zu fahren; sie waren aber vom
Fieber gepackt und so schwach, daß sie nach Sansibar znrücksegeln
mußten. Speke konnte nur mit Mühe aus seiner Wohnung bis an
den Einschiffnngsplatz gehen und Burton mußte sich tragen lassen.
Der Letztere schreibt:
„Der Reisende soll so viel als möglich vermeiden, sich anzu-
strengen und der Sonne auszusetzen. Man wird sich eben so wenig
an das Sitzen auf glühenden Kohlen wie an das afrikanische Klima
gewöhnen. Man kommt noch am wenigsten schlimm fort, wenn
man so vorsichtig als möglich ist; sogenannte Abhärtung
nützt nichts; es ist am besten, kräftige Nahrung, aber mit Maß,
zu genießen, damit der Körper während der Reise etwas znzusetzen
habe."
Speke hatte auf dem Wege zwischen Schogne und Pangani
ans feuchtem Sande Beobachtungen mit dem Sextanten angestellt
und sich dem Than ausgesetzt. Gleich darauf bekam er das Fieber,
welches dann auch seinen Gefährten ergriff. Die Anfälle begannen
mit allgemeiner Abspannung, die Glieder waren schwer, der Kopf
war eingenommen und bald stellte sich Ekel ein, während ein un-
angenehmes Gefühl von Kälte über Arme und Beine kroch und ein
empfindlicher Schmerz die Schultern ergriff. Nachher kamen kalte
Anfälle mit reißendem Kopfweh, Brennen im Gesicht, Aufschwellen
der Adern, Erbrechen und ein Unvermögen, aufrecht zu stehen. Es
war, wie das Tazo auf Madagaskar ein sehr bösartiges re-
mittirendes Gallenfieber. Die Augen wurden heiß und
schwer und schmerzten, wenn der Kranke sie emporschlagen wollte,
der Puls war rasch und voll, die Zunge stark belegt. Aller Appetit
| fehlte dermaßen, daß Burton eine ganze Woche lang gar nichts
! aß, aber trotz allen Trinkens ununterbrochen von entsetzlichem
I Durste gequält wurde.
Klimatische Krankheiten im Innern Ostasrikas.
243
Am Tage kam zn der Hinfälligkeit ein drückendes Gefühl von
Angst und Niedergeschlagenheit, aber die schlaflosen Nächte waren
nock> schlimmer. Anch Delirinm tritt ein, aber man darf dabei
um keinen Preis Blut lassen; ein Aderlaß zieht unbedingt
den Tod nach sich. Bei Burton stellte sich allemal um 3 Uhr
Morgens und um 3 Uhr Nachmittags ein verstärkter Anfall ein.
In der Zwischenzeit nahm er Chinin, mit welchem man aber sehr
vorsichtig umgehen muß. Einige Franzosen nahmen zu
starke Gaben und starben davon am Schlagfluß. Wenn
die Krankheit einen tödtlichen Charakter annehmen will, ver-
schlimmern sich die Symptome, der Geist schweift in her Irre
umher, der Körper verliert alle Kraft; dann tritt eine scheinbare
Besserung ein, aber auf diese folgt Bewußtlosigkeit, Erstarrung,
Tod. Nimmt sie einen guten Verlauf, dann läßt das Fieber am
siebenten Tage nach, die Zunge ist weniger belegt, Kopf und
Augen hören ans zu schmerzen, die letzteren sind nicht mehr roth
unterlaufen, der Ekel verschwindet und der Appetit stellt sich wieder
ein. Doch ist die Genesung immer sehr langsam und
zweifelhaft; man ist, namentlich um die Zeit des
Mondwechsels und Vollmondes, vor Rückfällen nicht
sicher, welche gern als mildere Wechselsieber anftreten, die bei
manchen Hindus sich das ganze Jahr hindurch ganz regelmäßig
eingestellt haben. Mindestens sechs Wochen vergehen, bevor man
sich einigermaßen genesen fühlt; so lange wirkt die Leber mit un-
gewöhnlicher Energie, der Magen verdaut schlecht und der Körper
hat noch keine Kraft. Am wohlthätigsteu wirkt Luftveränderung;
nicht selten hat ein Kranker sich sogleich besser gefühlt, wenn man
ihn nur ans einem Hause in ein anderes trug oder vom Lande weg
an Bord eines Schisses brachte.
Bei Leuten von nervöser Anlage läßt das Fieber als Spuren
zurück: weißes Haar, Geschwüre und argen Zahnschmerz; bei
anderen bleiben Eingeweide und Gehirn äußerst empfindlich, manche
büßen das Gedächtniß oder die Mannheit ein, viele werden taub
oder trübsichtig, oder behalten Leberbeschwerden, Durchfall, Ver-
stopfung oder dergleichen mehr, und werden niemals wieder gesund.
Die auf Sansibar geborenen Araber und die Banianen leiden in
der Regel während der Krankheit selbst nicht so stark wie die
Europäer, aber die Nachwehen sind auch bei ihnen sehr empfindlich.
Einige Muselmänner aus Indien entflohen ans Afrika, weil sie
sich dort behext wähnten. Manche Europäer sind in San-
sibar gänzlich verschont geblieben; aber Hunderte von
Beispielen beweisen, daß an der Küste selbst kein Eu-
ropäer sich Beschwerden aussetzen darf. Dann tritt
unbedingt Fieber ein. Wer demselben nicht erliegt, ist aller-
dings eingewöhnt; er kann nnch etwa ein Jahr in Europa gewesen
sein, ohne nach der Rückkehr einen zweiten Anfall besorgen zu
dürfen; das scheint wenigstens die Regel zn sein. Der Reisende
sollte allemal an der Küste das Fieber abwarten und sich dort
„akklimatisiren", dann aber sofort in's Innere ziehen, bevor ein
zweiter Anfall kommt, der ihm den Rest der zur Reise erforder-
lichen Kraft rauben würde.
Die Reisenden hatten im Herbst 1857 den Handelsplatz Kaseh
in Unyamuesi erreicht. Am 14. November setzte die Masika
oder die nasse Jahreszeit ein; sie hatte sich schon seit einiger
Zeit durch starke Regenschauer, die in Zwischenräumen eintraten
und die trockene Hitze unterbrachen, deutlich angekündigt; jetzt
öffneten sich die Wolken, es goß wie in Strömen herab, und auch
„Regensteine" fielen, nämlich Hagel. Diese Regenzeit ist die
eigentlich „gesunde" Jahreszeit in Ostafrika, und nach der Hitze,
dem Staube und der Dürre der heißen Monate wirken die frische
Luft und das neue Grün wahrhaft erquickend.
Die erste Zeit der Masika ist allemal ungesund, die Fremden
leiden dann viel vom Fieber, der rasche Umschlag der Temperatur
wird empfindlich. Sp eke befand sich ziemlich wohl, aber die goane-
sischen Diener bekamen die Muknrungn, die Eingewöhnnngs-
krankheit von Unyamuesi, welche in einem ab schwäch enden
Gallen sieb er besteht. Bald kam auch die Reihe an Burton
und Sney ben Emirs „Kameeldoktern" mit gepulvertem Ingwer
wollte nicht anschlagen. Da holte der Doktor eine Mganga,
alte Hexe, herbei, die als Heilkünstlerin großen Ruf hatte. Nach-
dem sie ihre Vorausbezahlung bekommen hatte, untersuchte sie den
Mund des Kranken und fragte, ob er nicht etwa Gift bekomme»
habe. Daraus geht hervor, daß Vergiftungen in jenem Lande
nicht gerade selten sein müssen. Dann zog sie ans einem kleinen
Zanberkürbiß ein grünliches Pulver, wahrscheinlich von Hanf, her-
vor, begoß dasselbe mit Wasser und gab es dem Kranken zum
Einschnupfen. Natürlich erfolgte sogleich ein starkes Niesen, das
von der Alten mit lautem Frendengeschrei begrüßt wurde. Nachher
rieb sie ihm den Kopf mit einem andern Pulver und erklärte, daß
nun ein tüchtiger Schlaf eintreten werde; am andern Morgen wolle
sie wiederkommen. Allein sie erschien nicht, denn sie war nun
reich geworden und hatte genug, um sich eine Woche lang täglich
in Pombe zn betrinken. Dieses Unyamuesifieber läßt große
Schwäche, Leberleiden, Brennen in der Handfläche, Jucken auf den
Fußsohlen, Kopfschmerzen und abwechselnd kalte und heiße Anfälle
zurück. Burton hatte daran einen vollen Monat hindurch sehr
zu leiden.
Am 18. Januar war Burton in K a d sch s ch an d s ch eri, dessen
Klima berüchtigt ist, und gerade dort erkrankte er. Schon seit
Sorora, wo die giftige Luft auf ihn eingewirkt hatte, fühlte er sich
wieder sehr unwohl; als er jetzt an seinem Tagebuche schrieb, über-
fiel ihn plötzlich eine große Nervenreizbarkeit, der ein Schauder und
ein kalter Fieberparoxysmus folgte. Dann wurden ihm alle seine
Glieder schwer und fingen zu brennen an, als ob sie in einem
glühenden Ofen lägen. Bei Sonnenuntergang litt er furchtbar.
„Ich sah", schreibt er, „den Tod vor Augen; mein ganzer Körper
war gelähmt und bewegungslos, und es war mir, als ob die
Glieder abstürben; in den Füßen war kein anderes Gefühl als ein
Pochen und Prickeln wie von vielen Nadeln; die Arme konnte ich
nicht nach meinem Willen bewegen, und es war einerlei, ob ich mit
der Hand einen Stein oder ein Stück Zeug anfühlte. Der Anfall
ging bis an die Rippen hinan, aber weiter kam er nicht.
„Da lag ich nun, zwei Monate weit von jeder ärztlichen
Hülfe, und die Hauptarbeit der Expedition sollte erst noch gethan
werden! Aber ich tröstete mich. Die Araber sagen: Hoffnung ist ein
Weib, Verzweiflung ein Mann. Ging Einer von uns Beiden zn
Grunde, so kam wohl der Andere mit dem Leben davon und konnte
die Ergebnisse unserer Forschungen nach Europa bringen. Als ich
die Reise unternahm, war ich entschlossen, das Problem zu lösen
oder zu sterben. Ich hatte gethan, was ich vermochte, und jetzt
schien mir nichts übrig zn bleiben, als wie ein Mann zn sterben.
Ich hatte in Folge der giftigen Luft eine theilweise Lähmung be-
kommen. Die üblichen Gegenmittel versuchte ich ohne Erfolg.
Meine Muskeln über und unter den Knieen waren zusammengezogen;
fast ein Jahr lang konnte ich keine irgend beträchtliche
Strecke weit gehen, und die Betäubung in Händen und
Füßen hielt noch länger an. Ein Suaheli, der einmal
ähnlich gelitten hatte, erklärte übrigens, daß ich nach zehn Tagen
wieder Bewegung verspüren würde, und richtig, am zehnten Tage
konnte ich wieder einen Esel besteigen."
Gleich nachher wurde Speke, der durch öftere Fieber sehr ge-
schwächt war, heftig krank und erblindete beinahe; bei Bnrton
war das Augenleiden schwächer. Später, in Udschidschi, bekam
Speke eine gefährliche Angenentzündung.
Unyamuesi ist manchmal von arabischen Reisenden, welche
von dort zurückkamen, als das gesundeste Land in Ost- und Central-
Afrika gerühmt worden; als Beweis dafür berufen sie sich ans ihren
Appetit und daß sie viel essen können. Wer aber länger im Lande
verweilt, verdaut schlecht und behält in Unyamuesi eben so wenig
eine gute Gesundheit wie in anderen heißfenchten Ländern. Die
Nachwehen der Krankheiten sind allemal sehr bedenklich; die meisten
Leute gebrauchen keine Arzneien gegen Krankheitseinflttsse, deren
31*
244
Klimatische Krankheiten im Innern Ostafrikas.
Ursachen sie nicht kennen; die Wiedergenesung ist unsicher, schmerz-
haft und langwierig; die Menschen sind und bleiben invalid. Das
Klima macht schlaff und trag und man wird wohlbeleibt; die regel-
mäßige Wärme erzeugt Kahlköpfigkeit, verdünnt den Bart, und so
wird der Fremde einigermaßen den Eingeborenen assimilirt. Die
Araber heben als eine bemerkenswerthe Thatsache hervor, daß das
Klima „die Feuchtigkeit und Säfte des Körpers verderbe". Männer
welche lange in diesen Gegenden verweilt haben und dann nach
Oman in Arabien zurückkehren, werfen dort alles Entbehrliche,
das sie aus Afrika mitgebracht haben, in's Meer, verbrennen
Kleider nebst Bettzeug, und meiden zwei bis drei Monate lang
jede Gesellschaft, weil eine eigenthümliche Hautausdünstnng sie
ihren asiatischen Landsleuten unausstehlich macht. Das gefähr-
lichste Klima sieb er, Mukungnra. ist ein remittirendes Gallen-
fieber, das gewöhnlich drei Tage anhält, in dieser kurzen Zeit den
Kranken ganz ungemein mitnimmt und schwächt; in schweren Fällen
folgt dem täglichen Fieber ein sehr hartnäckiges Tertianfieber, von
dessen Nachwehen auch sehr nervenstarke Leute sich nie
ganzerholen. Der brennende Augenschmerz, Hitze ans Hand-
fläche und Fußsohlen, Anfälle von Frost und Fieberhitze, mit bald
eiskalten, bald glühheißen Extremitäten, Unverdaulichkeit, Mangel
an Schlaf, Hantausschläge, Geschwüre, Abspannung und Trüb-
sinn zeigen genugsam, wie tief das Klimagift sich eingefressen hat.
Manchmal verläuft dieses Fieber sehr rasch; Einige bekommen
gleich anfangs das Delirium und sterben am ersten oder zweiten
Tage.
Aber am schwersten wurde Speke auf der Rückreise von
Kaseh nach der Küste heimgesucht. Am 4. Oktober 1858 er-
reichten die beiden Reisenden H anga, ein kleines Dorf an der
Ostgrenze des Bezirks Unyanyembe. In Hanga nun erkrankte
Speke, der sich unterwegs bei heftigem Ostwind erkältet hatte
und schon nach der -zweiten Tagereise vom Fieber geschüttelt wurde.
In dem elenden Neste Hanga wohnten die beiden Europäer in
einer Art von Kuhstall, in welchem es von Ungeziefer wimmelte.
Der kalte Wind blies in diese elende Herberge hinein. Speke
konnte auf dem einen Ohre nicht hören, ein Auge war entzündet,
das Gesicht geschwollen; im Körper zog ein Schmerz umher, der
oft die Stelle veränderte und von Leber oder Milz ausging. Erst
verspürte der Kranke ein Brennen wie von glühendem
Eisen über der rechten Brust, das sich dann mit scharfen Stichen
über die Herzgegend verbreite, um die Milz herumzog, den obern
Theil des rechten Lungenflügels ergriff und sich zuletzt an der Leber
festsetzte.
Am 10. Oktober erwachte er gegen Tagesanbruch aus einem
fürchterlichen Traume. Haufen von Tigern, Leoparden und
anderen wilden Thieren waren mit eisernen Haken auf ihn ein-
gesprungen, und hatten ihn wie im Wirbelwind über die Erde
hingeschleift. Er saß auf dem Bettrand und schlug mit beiden
Händen an seine Seiten. Der Schmerz hatte ihm fast den Ver-
stand geraubt; aber er rief nach dem Diener Bombay, der selber
einmal an der Kichy omachyoma, den „kleinen Eisen", ge-
litten hatte. Der Diener nahm Speke beim rechten Arme, brachte
ihn in eine sitzende Stellung, denn liegen konnte er nicht, und
drehte ihm den Kopf mit der linken Seite nach rückwärts. Da-
durch verloren sich die entsetzlich schmerzhaften Stiche; die nächsten
Krämpfe waren nicht mehr so stark, aber der Kranke war seines
Verstandes nicht mächtig, und er wollte immer seine beiden Seiten
mit den Händen schlagen, woran jedoch Bombay ihn verhinderte.
Am andern Morgen wankte Speke, auf zwei Diener gestützt,
nach dem Zelte; als er aber den einen wegschickte, um einen Stuhl
zu holen, und damit die Stütze unter dem einen Arme verlor,
stellten sich sogleich wieder heftige Krämpfe und Stiche ein; alle
Muskeln zogen sich zusammen. Die Diener brachten ihn wieder
in's Hans, wo er abermals von epileptischen Anfällen gepackt
wurde und sich dabei geberdete wie ein von der Wasserscheu Er-
griffener. Er sah die Gestalten scheußlicher Teufel,
Riesen, Geister mit Löwenköpfen, welche ihm mit über-
menschlicher Kraft alle Sehnen und Flechsen bis auf
die Fußknöchel herabrissen. Endlich saß oder lag er
vielmehr auf dem Stuhle mit Krämpfen in allen
Gliedern, geisterhaftem Antlitz, starrenden Augen,
steifem Körper und fing an zu bellen; dabei waren Mund
und Zunge in einer eigenthümlichen. hackenden Bewegung, die
Lippen standen weit vor, das Athmen war schwer und der Kranke
sah so schrecklich aus, daß man ihn kaum erkannte.
Nachdem dieser dritte Anfall, der auch der heftigste war, sich
gelegt hatte, forderte Speke Feder und Papier und schrieb einen
zusammenhanglosen Abschiedsbrief an seine Familie. Aber nun
war auch die Krisis überstanden; von da an bewegte er sich nur
mit großer Vorsicht und nie ohne Beistand; die folgende Nacht
war schon besser, doch mußte er in Kissen gehüllt sitzen und konnte
sich erst nach Verlauf einiger Wochen wieder auf die Seite legen.
Der Schmerz war weniger heftig, hörte aber noch nicht ganz auf;
der Kranke bemerkte darüber: „Das Messer steckt in der Scheide."
So verhält es sich mit der ostafrikanischen Kichyoma-
chyoma. Es ist entweder eine Nachwirkung des Fiebers, das
dem Eurpäer in Sansibar so viel zu schaffen macht, oder es rührt
von Miasmen her, welche ja so mannigfache Krankheiten Hervor-
rufen. Burton ließ sogleich durch einen Eilboten aus Kaseh die
nöthigen Arzneien holen. Die Araber wenden gegen die „kleinen
Eisen" gepulverte Myrrhe mit Eidotter an, indem sie beides mit
Mehl von der Mungbohne (Phaseolus Mungo) vermischen und
den Brei auf die Glieder legen. Bei Speke half dieses Mittel
nicht viel. Der Araber Seid ben Selim munkelte viel von dem
Einflüsse, welchen der „Vater des Haares" ausübe, nämlich der
prachtvolle Komet, welcher damals am westlichen Himmel stand,
und drang darauf, daß der Mganga, der Mediciumann der
Karawane, herbeigeholt werde. Dieser ehrwürdige Mann erschien
denn auch, verlangte und erhielt seinen Lohn im Voraus, nämlich
eine große Ziege, bestrich mit dem Fette derselben zwei Holz-
stückchen, die er mit einem Faden aus Baumbast umwickelte, und
dann dieses Lebenselixir, Mpigi, um Speke's Leib band.
Der Faden riß aber gleich nachher.
Speke's Krankheit verzögerte die Weiterreise, aber eine Luftver-
änderung war unumgänglich nothwendig; auch Burton's Glieder
waren erstarrt, er konnte nicht gehen, sondern mußte sich in einer
Hängematte tragen lassen. Die Stationen wurden nun kürzer,
die Sonne brannte nicht mehr so arg und der Wind war milder;
nachdem man vierzehn Monate vom Fieber geplagt
gewesen war, glaubte man sich nun leidlich akklimatisirt und
Alle lobten Wasser und Luft. Speke konnte nach vierzehn Tagen
wieder reiten; der heftige Schmerz in der Leber war verschwunden,
doch blieb eine Zeit lang ein lästiges Kopfweh und Neigung zum
Erbrechen, besonders wenn er sich auf den Nachmittagsmärschen
der Sonne aussetzte. Nachher bekam er wieder guten Schlaf
und das Essen schmeckte ihm; zu Khoko in Ugogo konnte er schon
wieder ein Gewehr tragen und ans Perlhühner und Antilopen
Jagd machen. Auch die goanesischen Diener, welche viel an Fieber
und Schmerzen im Gesichte gelitten hatten, erholten sich.
So ist es mit dem ostafrikanischen Fieber beschaffen. Aber
alle diese fürchterlichen Leiden und Heimsuchungen haben nicht ver-
mocht, den Mnth und Forschungseifer der beiden Reisenden zu
schwächen. Burton ging als englischer Konsul nach Fernando Po,
hat Aoruba besucht, das Nigerdelta erforscht, ist an der Gabun-
küste gewesen und hat das Cameronesgebirge erstiegen. Speke
trat, als er sich kaum ein wenig erholt hatte, seine Reise zur Ent-
deckung der Nilquellen an und durchwanderte dieselben Gegenden,
in welchen er so furchtbare Qualen zu erleiden hatte.
So muthige, ausdauernde, aus Liebe zur Wissenschaft allen
Gefahren trotzende Männer verdienen die Hochachtung der Men-
schen, und sie wird ihnen noch in fernen Jahrhunderten gezollt
werden.
Aus Alexander von Humboldt's geographischem Briefwechsel.
245
à Alexander von Humboldts geographischem Srieswechsel.
Im praktischen Leben wie in der Wissenschaft gilt das Wahr-
wort, daß sich erst in der Beschränkung der Meister zeige. Wir
legen keinen Werth mehr auf die sogenannte Polyhistorie. Aber
es giebt Ausnahmen, Männer, denen es verliehen ist, das Ge-
sammtgebiet einer weitverzweigten Wissenschaft zu beherrschen
und, während sie ihrerseits dieselbe durch eigene Entdeckungen be-
reichern, zugleich die Errungenschaften und den Inhalt der For-
schungen insgesammt zu überschauen, zu durchdringen und ein um-
fangreiches Gebiet des Geistes völlig zu bemeistern wissen. Sie
bringen für Epochen einen Abschluß, und nach ihnen wird ein Zeit-
alter benannt; sie stehen da gleichsam als erhabene Marksteine. So
war es mit Aristoteles, RogerBaco, Leibnitz, Alexander
von Humboldt.
Niemand bezweifelt, daß Humboldt zu den größten Geistern
aller Zeiten gehöre. In den Naturwissenschaften ist kaum ein
Zweig, welcher ihm nicht neue Anregungen oder Entdeckungen zu
verdanken hätte; aber merkwürdig, daß er der Anthropologie und
der Ethnologie weniger nahe gestanden hat als anderen Zweigen.
Ein halbes Jahrhundert lang griff er treibend und fördernd ein;
er bewältigte die ungeheure Fülle des lawinenartig anwachsenden
Stoffes durch seinen umfassenden Genius und durch eine Rast-
losigkeit des Fleißes, ohne die Großes nicht zu erreichen ist. Davon
zeugen seine unsterblichen Werke.
Es gewährt ein eigenthümliches, hohes Interesse, zu verfolgen,
wie Alexander von Humboldt gearbeitet hat. Sein geogra-
phischer Briefwechsel gestattet uns einen Einblick in die Art
und Weise seiner wissenschaftlichen Thätigkeit. Wir sehen, wie er
während eines Zeitraums von dreißig Jahren mit unablässiger
Aufmerksamkeit den Bewegungen auf dem Gebiete der Erdkunde
folgt, überall eingreift und thätig ist, jedem neuen und wichtigen
Resultate seine Theilnahme zuwendet. In ihm glühte ein heiliges
Feuer für die Wissenschaft; für diese war er begeistert, und er stand
da als ihr Hoherpriester.
Dieser Briefwechsel*) enthält die wichtigsten Beitrüge zur
neuern Geschichte der Geographie, welche gerade in unserer Zeit
so außerordentliche Fortschritte gemacht hat und in welcher wir
Deutschen — selbst die Ausländer gestehen es zu — unbestritten
alle anderen Völkern überragen. Neben Karl Ritter und Alexander
von Humboldt haben sie keine gleich ebenbürtigen Männer zu setzen.
In diesem Briefwechsel finden wir Mittheiluugen hervorragender
Gelehrten aus beiden Erdhälften und werthvolle Abhandlungen,
die früher entweder noch nicht gedruckt oder doch in Zeitschriften
zerstreut waren. Mau kann hier den Gang verfolgen, welchen die
Entwickelung der Geographie genommen hat; Briefe wie Beiträge
sind in hohem Grade belehrend, und nicht nur der Gelehrte von
Fach findet reiche Ausbeute, sondern auch der Freund der Erdkunde
erhält manche Anregungen und Aufschlüsse über wichtige Sachen
und bedeutende Personen.
Die Briefe sind nicht etwa nur an Herrn Berghaus geschrieben, !
sondern auch an andere Männer der Wissenschaft. Gleich der
erste, vom Juli 1825, ist aus Paris an den seiner Zeit bekannten
K. F. V. Hoffmann in Stuttgart gerichtet. Humboldt äußert, daß
er gern als Mitarbeiter an der Zeitschrift wirken wolle. „Bücher,
die mir gehören, gebe ich gern, sende sie auch, wenn Sie es wünschen,
zu Ihnen nach Stuttgart, ohne sie zurückzufordern, da ich, reise-
fertig, selbst nichts besitze. Bisweilen werde ich kleine Notizen an
Sie, Berghaus oder Ritter zusammendrüugen; das ist eine freie
*) Alexander von Humboldt „Briefwechsel mit Heinrich Bergbaus". Das
Werk, in der äußern Ausstattung jener des Kosmos gleich, befindet sich
unter der Presse und wird im Verlage von Costenoble im Laufe der nächsten
Monate vollständig in drei Bänden erscheinen. Der Herr Verleger hat die
Freundlichkeit, dem Herausgeber des Globus die einzelnen Bogen zu über-
senden, sobald sie die Presse verlassen.
und bequeme Form. Ich habe heute Herrn von Cotta Briefe aus
Paraguay mitgetheilt, die einiges Licht über den sonderbaren
Zustand dieses tief verschleierten Landes verbreiten. Ich habe mit
Fleiß nichts weggestrichen, was blos unterhaltend ist. Da ich
zugleich gründlichere geographische Betrachtungen beigefügt, so
halte ich eine solche Mischung dem Journal am zu-
träglichsten."
„Um der Erd- und Völkerkunde Leben zu geben, ist es oft
nothwendig, von dem strengen Weg abzuweichen, ohne in das
Anekdotenwesen, wie Zach, zu verfallen." Dann fügt der große
Gelehrte bescheiden hinzu: „Ich bitte Sie, mir frei zu sagen, ob
Sie mit dem Tone meines Aufsatzes zufrieden sind. Es liegt mir
daran, so zu arbeiten, wie Sie nach Ihrer Ansicht es wünschen."
An politischen Streiflichtern fehlt es in diesem Briefwechsel
nicht. So schreibt Humboldt aus Paris unterm 1. Juli 1825 an
Berghaus, im Hinblick auf die Erhebung Deutschlands von 1813;
„Was ist aus den unendlichen Opfern von Gut und Blut geworden ?
Wie es kommen würde, merkte man schon 1814, als die hohen
Herren hier versammelt waren. Und nun erst Wien! Mein Bruder
hatte die besten Vorsätze, als er nach Wien ging; allein-----!
Männer von Talent finden hier in der Weltstadt bald und dauernd
Anerkennung; aber in Berlins nebulöser Atmosphäre, die
den Gesichtskreis ringsum verschleiert, und wo Alles
und Jedes nach der Schreiberschabloue gemessen wird,
kann davon nicht die Rede sein."
In einem folgenden Briese bemerkt er, im Hinblick auf eine
statistische Uebersicht von Peru, daß man auf seiner Hut
sein müsse, nicht alle Angaben, die aus fernen Erdtheilen nach
Europa gelangen, auch als neu zu betrachten. Der Nordamerikaner
Poinsett hatte 1818 zu Washington eine solche Uebersicht ver-
öffentlicht; Humboldt aber weist nach, daß dieselbe einem 1793 in
Lima erschienenen Werk entlehnt sei. Damals hatte Lima 52,627
Seelen, Truxillo 5790; das ganze damaligeVicekönigreich Peru
war auf 1,076,997 Seelen herabgekommen, wovon 619,000 als
Indianer angegeben werden.
Humboldt fand 1825 als Ergebuiß seiner neuesten Unter-
suchungen, daß die Gesammtbevölkerung des Spanischen Amerika,
des kontinentalen sowohl wie des insularischen, auf einem Flächen-
raume von 371,380 Quadratlienes (20 Längenlieues — Io des
Aequators) folgendermaßen zu stehen komme:
Indier .... 6,530,000 oder 45 Procent
Vermischte Rassen 5,291,000 „ 32
Weiße .... 3,243,000 „ 19 „
Schwarze. . . ?21,0W „ 4
Zusammen 16,785,000 Seelen.
Sehr richtig hebt Humboldt hervor, daß man auf die früheren
Verhältnisse Rücksicht zu nehmen habe, um die Entwickelung jener
Länder an der Hand sicherer Daten verfolgen zu können. Er er-
wähnt, daß Boussiugault ihm aus Santa Fe de Bogotá in
Neu-Granada wichtige Höhenmessuugen über verschiedene noch
nicht untersuchte Gebirge, sodann astronomische Ortsbestimmungen
und neue Untersuchungen über den Kuh bäum (Palo de Bacca,
Galactodendrum utile) zugeschickt habe, dessen Saft bekanntlich
ein Nahrungsmittel für Menschen ist.
Ritter, meint H., „taumele im asiatischen Far East umher"
und werde für den Augenblick vielleicht keinen speciellen Werth auf
südamerikanische Ortsbestimmungen und Berghöhen legen. Nach-
her äußert er sich über die See-Expeditionen, auf welche die
Franzosen damals mit Eifer eingingen. „Sie sind eine kostspielige
Sache. Eine kleine Portion nationaler und persönlicher Eitelkeit
ist dabei im Spiele. Nach dem Frieden wollte die französische
Marine den Engländern den Beweis liefern, daß sie unter der
weißen Flagge in wissenschaftlichen Dingen Das zu leisten vermöge,
246
Aus Alexander von Humboldt's geographischem Briefwechsel.
was ihr mit der Trioolore wegen der allgemeinen Seesperre nicht
möglich gewesen war. „So betrieb Freycinet, der als erster
Lieutenant unter Kapt. Bandin (desfen Expedition ich einst
mich anschließen wolle) gedient hatte, seit 1816 die erste Expe-
dition, die unter dessen Befehl gestellt wurde, und Dnperrey
war sein erster Lieutenant. — Dnperrey wollte seinen Namen auch
an eine große See-Expedition knüpfen, als oberster Führer der-
selben. Dumont d'Nrville war sein erster Lieutenant. Kaum
ist daran zu zweifeln, daß dieser nun auch mit einem Plane zu
einer neuesten oder dritten Expedition vorrücken werde, um von
einer d'Urville'schen Erdumschiffung sprechen zu machen (— diese
Annahme H.'s ist denn auch eingetroffen, und die Wissenschaft hat
sich darüber nicht zu beklagen —). Das sind menschliche Schwächen,
über die man gern hinwegsieht, wenn nur unsere Erkenntniß dabei
gewinnt."
Unterm 16. August 1825 kommt er auf Poinsett's statistisches
Gemälde von Peru zurück. Berghans hatte H.'s Ausdruck: „Ent-
wickelung" der staatlichen Verhältnisse in den Republiken des
Spanischen Amerika in „Verwickelung" umgeändert, und die
Kreolen eine „entartete oder doch der Entartung ent-
gegen geh ende Rasse" genannt.
Humboldt bemerkt nun: „Sie haben Recht. Nirgends sind
die politischen Zustände verwickelter als in den neuen Gesellschaften
des westlichen Kontinents. Wir müssen bei Benrtheilnng dieser
Erscheinung aber nicht zu streng sein und Vieles in derselben ans
Rechnung des Jahrhunderte langen Druckes stellen, den das
Mutterland auf die Kolonien ausgeübt hat: daher die Entfesselung
der Leidenschaften, unter deren Herrschaft der klare Blick verschleiert
ist. Ich sehe nicht so düster wie Sie in die Zukunft des
Spanischen Amerika; obwohl dasjenige, was Sie über die
körperliche Ausartung des Spaniers der Neuen Welt sagen, nach-
dem Erneuerungen des europäischen Blutes durch Einwanderung
vom Mutterland anfgehört haben, mir der Beachtung sehr werth
zu sein scheint, vor allen Dingen, wo es sich um die Bevölkerung
der Küstenländer unter den Tropen handelt. Ans den Plateanx ist
es weniger zu besorgen, da der europäische Mensch sich hier seit
den Tagen der Conqnistadoren akklimatisirt hat." —
Humboldt täuschte sich. Ein Blick ans Mexiko, Ceutralame-
rika, Venezuela, Nengranada, Ecuador, Bolivia und Peru zeigt
das. Der große Mann hatte noch manche Ideen aus der Zeit
des vorigen Jahrhunderts, wo man von einem abstrakten Menschen
träumte und noch keine eigentliche Wissenschaft der Anthropologie
und Ethnologie hatte. Man faßte den „Menschen" viel zu allge-
mein und schablonenmäßig, legte auf die verschiedene Begabung
und immanenten Anlagen der verschiedenen großen Menschengrnppeu,
ans die verschiedenen Kulturwerthe und Kultnrmöglichkeiten bei
weitem nicht das gebührende Gewicht, schlug die Eigenthümlich-
keiten der Rassen- und Blntmischungen nicht hoch genug an. Der
Mensch ist dasjenige Naturerzeugniß, mit welchem Humboldt sich
weniger eingehend beschäftigt hat als mit anderen. Es war eine
Schwäche von ihm, ein abstrakter Philanthrop zu sein, z. B.
in der Negerfrage; darüber konnte er nicht die geringste wissen-
schaftliche Einwendung ertragen; er mochte darüber nicht eimnal
etwas lesen, man sollte nicht einmal davon sprechen.
Er schreibt weiter an Berghaus: „Und selbst den — Bür-
gern der Vereinigten Staaten stellen Sie ein böses
PrognostikonI Ich glaube, Sie gehen zu weit. Hier hört die
Einwanderung doch niemals auf; also neuer Zuschuß in Hülle und
Fülle und klimatische Zustände, die den unserigen nahe verwandt
sind, walten ob; ich glaube dies in meinem Memoire über die
Isothermen klar dargelegt zu haben."*)
*) H. hat Nechi und Unrecht. Seine Isothermen treffen zu, und doch
wirkt das Klima Nordamerikas auf die Einwanderer aus Europa sehr bald
ein, namentlich ans die Nervenstimmung. Auch die Engländer, selbst wenn
sie nnvermischt bleiben, gewinnen in den Vereinigten Staaten ein neues Ge-
präge. Wer viele Jankees gesehen hat, erkennt den Neu-Engländer ans den
„Ein Anderes ist es, wenn, wie Sie sehr richtig bemerken, die
Sklavenfrage dereinst zum Ausbruche kommen sollte;
für den Fall theile ich vollständig Ihre Ansicht über das Pre-
carium des staatlichen Bestandes der nordamerikani-
schen Union. Ich wünsche diesen Fall nicht zu erleben. Jch
halte viel, sehr viel auf die Vereinigten Staaten, weil sie der
Hort einer vernünftigen Freiheit sind."
Sie waren ein Hort der vernünftigen Freiheit noch vor
dreißig Jahren, als Humboldt diese Worte schrieb. Seitdein aber
ist die Entartung des öffentlichen Lebens mit Riesenschritten vor-
wärts gegangen; die unkontrolirte Demokratie hat sich selber
zu Grunde gerichtet. Die Union ist von gewissenlosen Aemter-
jägern und fanatischen, wahnwitzigen Abolitionisten zu Grunde
gerichtet worden, und die Nord-Union, das Aaukeeland, wird zu-
gleich heimgesncht von wilder Anarchie und von einem abscheulichen
Militärdespotismus, der doppelt widerwärtig erscheint, weil er
von einer „Gaunerbande armseliger Stellenjäger, ohne Charakter
und Talent, Geschöpfen einer revolutionären Minderheit" ans-
geübt wird. So drückte sich ein deutsch-amerikanisches Blatt aus.
Lehrreich ist in dem Briefwechsel H's. die Abhandlung
über die Gestalt und das Kliina des Hochlandes in der
iberischen Halbinsel, deren Resultate nun längst Gemeingut
sind. Das beweisen Moritz W ill ko m in' s treffliche Bücher über
die pyrenäische Halbinsel.
Am 31. August 1825 schreibt H„ ein Pariser Freund habe ihm
ans London über das mnthmaßliche Ende des Niger in der
Bucht von Benin geschrieben. Humboldt antwortete demselben,
diese Voraussetzung sei keineswegs eine englische Erfin-
dung, sondern zum ersten Male vor bereits 20 Jahren von
einem unserer Landsleute ausgesprochen worden, „von einem
Manne, der außer dem kleinen Gebirgswasser der Saale in ihrem
Oberläufe bei Saalbnrg und Saalfeld etwa, nie in seinem Leben
einen großen Strom gesehen hat, nämlich von Reichard in
Lobenstein, den ich, als ich als Bergmeister in Steben am
Fichtelgebirge stand, persönlich gekannt habe. Ich habe es nie
recht begreifen können, wie ein Mann, der, einem Reichard gleich,
in einem kleinen Bergstädtchen des reussischen Voigtlandes, ein
vereinsamtes Leben führen muß, ohne alle Bücher, Karten und
andere literarische Hülfsinittel, ein so gründlicher, tief forschender
Geographus hat werden können." Bekanntlich hat Reichard's An-
nahme sich bestätigt; R. Lander fuhr bis in die Mündung des
Niger hinab und kam in die Bucht von Benin, 1830, also fünf
Jahre später, als H. die obigen Worte geschrieben.
Ein Jahr später berichtet er Mittheilungen, welche ihin Oberst
Wilson aus Ostindien schickte, wohin derselbe mit dem ersten
Dampfer gegangen war, der überhangt von England dorthin ge-
fahren ist. „Der Brief ist aus Cawnpore datirt; wo aber in
aller hindostanischen Welt liegt dieser Ort? Ich weiß
ersten Blick. Der Hals ist dünner nnd erscheint länger, obwohl er es eigent-
lich nicht ist. Der Amerikaner erkennt den Fremden leicht. „He is a stranger;
look at his neck, an American has no such neck!“ Das Mnskel> nnd das
Drüsensystem erhält beim Amerikaner eine Modifikation. Trotz der Ueber-
einstimmung der Isothermen wirkt das Klima ans den Menschen in Nord-
amerika anders als in Europa. Wenige Europäer werden dort wohlbeleibt,
dagegen setzen Nordamerikaner, die lange in Europa verweilen, Fleisch an.
Die fieberhafte Thätigkeit der Nordamerikaner, die Unruhe, Hast nnd Rast
losigkeit beim Essen rührt wohl mit her von der großen Trockenheit des Klimas.
A Yankee type has been developed. This type is not the product of inter-
mixture, since it is seen in the most marked form in the Eastern States,
where the race is least mi.xed. E. Desor on the influence of the Climate
of North America on the physical and psychical Constitution. 1853. Einige
Auszüge daraus in The Anthropological Review, I. May 1863. p. 180 sq.
Ein deutscher Arzt, Dr. Gustav Blöde in Nen-Uork, hebt hervor, daß „in
Nordamerika auch in Physischer Beziehung eine neue Nationalität im Ent-
stehen begriffen sei. Sie ist ein Erzeugnis; der Mischung verschiedener Volks-
thümlichkeiten der Alten Welt im Vereine mit den langsam aber
sicher und rastlos schaffenden Einflüssen von Boden nnd
Klima." Ich habe Blöde's sehr werthvolle Bemerkungen mitgetheilt in
meinen „Geographischen Wanderungen", I, S. 94 bis los. A.
Aus Alexander von Humboldt's geographischem Briefwechsel.
247
cs nicht, ich finde ihn ans keiner Karte, und keiner der hie-
sigen (Pariser) geographischen Leute kann es mir
sagen, selbst Lapie nicht, der doch so viele Karten von allen
Ländern der Welt gemacht hat, und fortwährend — fabricirt.
Ich muß mir Aufklärung ans der Hauptstadt der deutschen Civili-
sation verschaffen, wie man anfängt Berlin zu nennen, — un peu
hautainement!"
Es war doch stark, daß H. eine Stadt wie CZupur nicht
kannte, und noch stärker, daß die Pariser „geographischen Leute"
über diese Stadt, welche am Ganges liegt und mehr als 100,000
Einwohner zählt, keine Auskunft geben konnten! Man hatte da-
mals schon Gazetteers, und darin wäre die gewünschte Notiz zu
finden gewesen. Bergbaus gab dann die nöthige Nachweisung.
Die Notizen über die Fahrt des ersten Dampfers, der nach
Ostindien ging, der Enterprise, Kapitän Johnstou, sind jetzt,
da die Sache etwas Alltägliches ist und die Schiffe so rasch fahren,
der Vergleichung halber von Interesse. Wilson schreibt:
Abgesegelt von Falmonth 16. August, 7 Uhr Abends.
Vor Anker gegangen am Sauger, der Mündung des Cal-
cntta-River, den 4. December, 7 Uhr Abends.
Uebcrhaupt unterwegs gewesen 112 Tage. In dieser
Zeit bedienten wir uns
des Dampfes...................57 Tage 4 Stunden
und der Segel.................44 „ 3 „
Am 18. Sptbr. langten wir bei St. Thomas
(asrikan. Westküste) an und verweilten . 2 „ 18 „
Am 13. Oktober langten wir am Kap der
Guten Hoffnung an und lagen daselbst
vor Anker . . . .'............... 7 „ 23
Die Zahl der Tage, an denen wir in Bewe-
gung waren, ist daher..................101 7
Beigefügt sind dann meteorologische und Temperaturbeobach-
tungen. Die Gesammtstrecke, welche von der Enterprise zurückgelegt
wurde, beträgt 15,680 Miles; im Durchschnitt eine tägliche Strecke
von 155 Miles.
Im Oktober 1826 schreibt H. über seinen Prospektns der
„Geographie der Pflanzen", welcher hier im Briefwechsel
(S. 64 ff.) wieder abgedruckt wird. Er ist in der That meister-
haft geschrieben.
Es heißt in demselben: — „Unter dem etwas unbestimmten
Namen Geographie der Pflanzen knüpft sich diebeschreibende
Botanik an die Klimatenknnde; sie giebt die Zahl, das Aussehen
und die Bertheilung der Gewächse unter den verschiedenen Zonen
an, vom Aeqnator bis zum Polarkreise, von den Tiefen des Oceans
und der Gruben mit den Keimen kryptogamischer Pflanzen bis
zu der nach geographischer Breite und nach Beschaffenheit der
umliegenden Länder verschieden hochliegenden Linie des ewigen
Schnees."
„Unvollständig wie die Geologie, aber jünger als dieser
Zweig unserer physikalischen Kenntnisse, war sie von Anfang an
weniger jenem Trug der Sinne, jenen systematischen Traumbildern
auögcsetzt, durch welche des Menschen Einbildungskraft so gern
in Ermangelung wirklicher Kenntnisse anshilft. Der Gang der
Wissenschaften folgt immer dem Geiste des Jahr-
hunderts, in welches ihre Entwickelung fällt, und das
Studium der Geographie der Pflanzen wurde am eifrigsten zu der
Zeit betrieben, wo der Geschmack an Beobachtung vorherrschend
geworden und alle Zweige der Naturkenntniß strengere Methoden
angenommen haben. Den Reisenden, welche einen großen Strick-
Land durchwanderten, an fernen Küsten landeten, oder Berg-
ketten erklimmten ans deren Abhang sich die Verschiedenheiten von
gleichsam in Stockwerken übereinander liegenden Klimaten zeigt,
fielen jeden Augenblick, bei jedem Schritt, die merkwürdigen Er-
scheinungen in der geographischen Bertheilung der Gewächse ans;
man möchte sagen, sie sammelten Materialien für eine Wissen-
schaft, deren Name kaum gesprochen war."
------- „Linne's Geist befruchtete die Keime einer entstehenden
Wissenschaft, aber er gab sich allzukühnen Vermnthnngen hin.
Haller, Gmelin, Pallas und besonders Johann Rein-
hold Förster, so wie sein Sohn Georg, studirten mit unab-
lässiger Aufmerksamkeit die geographische Bertheilung einiger Gat-
tungen. -----Menzel, Verfasser einer nichtherausgegebenenFlora
von Japan, hat das Wort: Geographie der Pflanzen,
ausgesprochen. Es giebt Wissenschaften, deren Name so
zu sagen vor der Wissenschaft selbst vorhanden war. So vor
50 Jahren die Meteorologie, das Studium der Physiologie
und Pathologie der Pflanzen; fast möchte man auch die
Geologie dazu fügen. Der von Menzel ausgesprochene Name
ward um'sJahr 1783 fast zu gleicher Zeit von Giraud Sonlavie
gebraucht." — Weiterhin zeichnet H. in scharfen, die wichtigen Mo-
mente hervorhebenden Umrissen, welchen Verlauf die Geschichte der
Pflanzengeographie genommen hat, und bezeichnet diese selbst als
eine „gemengte Wissenschaft."
Die folgenden Bogen enthalten einen Aufsatz Orbogosos:
Untersuchung der Landenge von Tehnantepec. Humboldt
interessirte sich bekanntlich sehr lebhaft für eine Kanalverbindung
zwischen den beiden großen Weltmeeren; er hatte die Punkte nach-
gewiesen, ans welchen er eine solche für möglich und ausführbar
hielt; doch haben alle Untersuchungen, die bis heute angestellt
worden sind, kein günstiges Ergebniß geliefert.
Im December 1827 schreibt er über „die unerwartet lebhafte
Theilnahme, welche meine Vorlesungen über physische
Geographie finden". Er fühlt sich dadurch „sehr beschämt",
doch werde er sie in irgend einer Form drucken lassen. „Herr von
Cotta hat mir den Vorschlag gemacht, das gesprochene Wort durch
einen geübten Schnellschreiber an's Papier zu heften, dessen Auf-
zeichnungen nach jeder Vorlesung,durchznsehen und das also ge-
wonnene Manuscript ihm nach Stuttgart zu schicken, damit er es
gleich in die Druckerei gebe und bogenweise versenden könne.
Er verspricht sich von dieser Manipulation mit ganz frischer
Waare einen großartigen Erfolg, und hat mir in dieser Aussicht
glänzende Propositionen gemacht. Allein diese können mich weder
blenden, noch können sie mich verstricken! Ich habe ihm geant-
wortet: Nicht Alles, was man auf dem Katheder spreche, könne
so ohne Weiteres gedruckt werden) was für die Presse und durch
diese für eine längere Zukunft bestimmt sei. müsse wohl und reiflich
überlegt, dann niedergeschrieben, überarbeitet, geläutert uub ge-
sichtet und mit den Beweisstücken der Schriftsteller in Noten und
Citaten beglaubigt werden. In dieser Richtung kenne er ja meine
Manier zu schreiben; ich würd e a u f G ru ndlag e der Notizen,
welche ich für meine freien Borträge benutze, ein Buch
üb er physische Geographie ab fassen."
Hier ist die e r st e I d e e z n m K o ö m o s a u s g e s p r o ch e n.
Der Brief Humboldt's, in welchem sie zuerst hervortritt, ist datirt
Berlin 20. December 1827.
248
Das Gedeihen der Chinchona in den Nilgherris und der Theepflanzungen in Assam.
Vas Gedeihen der Chinchona in den Nilgherris und der Theepflanzungen in Main.
Seit Entdeckung der westlichen Erdhalbe sind viele nutzbare
Pflanzen kosmopolitisch geworden; die Kontinente haben werth-
volle Gegenstände ausgetauscht und an einander abgegeben. Die
Reihe derselben ist so lang, daß wir sie nicht aufzählen können;
wir wollen nur an ein jüngst von uns erörtertes Beispiel (Globus
III, S. 219) erinnern, an die Chin cho na, welche durch Markham's
Bemühungen aus Peru nach Indien und schon früher durch die
Holländer nach Java verpflanzt wurde. Seitdem wir jene Be-
merkungen mitgetheilt, ist uns Markham's neuestes Buch (Travel«
in Peru and India, while superintending the Collection of Chin-
chona plants and seeds in South America, and their intro-
duction into India, London 1862) zu Handelt gekommen. Die
zweite Abtheilung desselben (S. 331 bis 572) enthält werthvolle
Mittheilungen über Indien und insbesondere über die verschiedenen
Chinchonaarten und die Art und Weise ihrer Anpflanzung und
Eingewöhnung, namentlich in dem Nilgherrigebirge, in der Prä-
sidentschaft Madras, vorzugsweise in Utakamand.
Die Nilgherris. d. h. blauen Berge, weil sie von: Tief-
land aus gesehen in blauem Dufte sich zeigen, bilden eine in sich
abgeschlossene, vor das 3006 Fuß hohe Tafelland des Dekkan hin-
gestellte Hochlandmasse; diese ist aber durch eine tiefe Kluft von
jener Hochebene getrennt. Sie steigt bis zu 8000 Fuß Meereshöhe
empor. In den Thalsenkungen, die geringen Luftzug haben, ist
die Hitze so stark wie iin Tiefland; auf den hochliegenden Ge-
bieten herrscht dagegen mäßige Wärme, im Mittel 13° SR. im
Deccmber hat man bis 3° Kälte. Markham und Mac Jvor fanden
in den Nilgherris ein für die Chinchona geeignetes Klima, Feuch-
tigkeit genug, eine Vegetation und eine Höhe über dem Meere,
welche jenen der Chinchonawälder in Südamerika entspricht. In
den Gärten der Regierung zu Utakamand waren alle Bedingungen
zum Gedeihen einer Baumschule geboten. Von dort aus sollen
nun die geeigneten Oertlichkeiten mit Pflanzen versorgt werden,
so daß in Indien bald Chinchonawälder die Hügel bedecken. Vom
Oktober 1861 unternahm dann Markham mit Mac Jvor eine Reise,
um geeignete Punkte ausfindig zu machen, und er hat eine Anzahl
derselben näher bestimmt. Das Titelkupfer zu seinem Buche giebt
eine photographische Abbildung der Chinchonazucht im botanischen
Garten zu Utakamand; schon im August 1861 standen manche
Pflanzen in voller Blüte.
Utakamand liegt unter 11° 24' N. Br., 94° 27' Ö. L. in der
Provinz Koimbatur, am Fuße der Dodabettakette, 7300 Fuß über
dem Meere*), mittlere Wärme 111/2° R.; Regenmenge 45 Zoll,
nach anderen Angaben 60 Zoll. Der Ort ist ein sogenanntes
„Sanitarium", ein wichtiger Genesungsplatz für Europäer, welche
dort in der Bergluft den im heißen Tieflaude geschwächten Körper
wieder kräftigen. Auch befindet sich in Utakamand eine meteoro-
logische Station.
Der Gartendirektor Mac Jvor, welcher die Chinchonapflanze
mit Sorgfalt gepflegt hat, giebt nun Rechenschaft über den Erfolg
(Athenäum, 6. Juni). Der Versuch ist glänzend gelungen; schon
zu Anfänge des lausenden Jahres konnten Tausende von Pflanzen
abgegeben werden. Wir erfahren, daß sich mehrere Kompagnien
*) Nach I. Hartwig Brauer, der in Stein's Handbuche der Geographie
und Statistik, neu bearbeitet von Wappäus, Asien mit großem Fkeiße dar-
stellt (Bd. II, Lief. V, S. 581). Es liegt ein Widerspruch darin, wenn der
Verfasser vorher S. 57b dem Dodabettaberge nur 6751 Fuß Hohe giebt. Wir
wollen beiläufig bemerken, daß Brauer's Buch die indischen Länder-, Städte-
und Volksnamen phonetisch wiedergiebt, so wie sie wirklich lauten. Er ver-
schmäht mit Recht das wilde, ganz abscheuliche Chaos der Namenschreibuug,
welche die Engländer eingefiihrt haben. In Deutschland wenigstens sollte man
eine so widersinnigen Kakographie fernerhin nicht mehr nachahmen. Uebrigens
sind die Gebrüder Schlagintweit schon mit gutem Beispiele vorangegangen.
A.
gebildet haben, welche ausgedehnte Chinchonawälder anlegen wollen,
um dieselben zu geeigneter Zeit kommerziell auszubeuten. Die Be-
fürchtung mandjer Botaniker, daß die in Indien gezogene Chin-
chona nicht dieselben Alkaloide enthalten werde wie jene, welche in
Südamerika wild wächst, ist durch sorgfältige chemische Prüfungen
vollständig widerlegt worden.
Für die Theepflanzungen in Assam sind die Aussichten
geradezu glänzend; schon jetzt liegen großartige Ergebnisse vor.
Assam ist eine Region im Süden des Himalaya und des hinter-
indisd-en Hochlandes am Mittlern Brahmaputra, zumeist Ebene;
aus dieser steigen viele Hügelgruppen empor, und die Abhänge des
Hochlandes gehören gleichfalls zu Assam, das solchergestalt klima-
tische Abstufungen darbietet.
Bekanntlich hat Niemand dem chinesischen Thee größere Auf-
merksamkeit zngewandt, als Robert Fortune, dessen Reisen auch
in deutscher Uebersetzung erschienen sind. Er wagte sich in die Thee-
bezirke des Blumenreiches der Mitte und wurde mit allen Mani-
pulationen gründlich vertraut. Seine Ansicht ging dahin, daß
Indien jeden Bedarf an Thee, auch der besten Sorten, werde
liefern können. Trotz aller Einsprache der Schulgelehrten, hat der
Praktiker Recht behalten. Assam liefert jetzt Suchongthee, der
aus dem Londoner Markte mit sieben Thalern (21 Schillingen) das
Pfund bezahlt wird; ja für die beste Sorte Pekoe aus Assam siud
schon 34 Schillinge, also mehr als zehn Thaler, bezahlt worden.
Im Jahre 1 862 betrugen die Theeernten in Assam,
Kaschar und Dardschiling schon 2,203,781 Pfund, und
jüngst haben sich wieder Dutzende von Kompagnien gebildet, um
Pflanzungen im großen Maßstabe zu gründen.
Uebrigens war Fortune's Gedanke, den Thee in Indien ein-
zubürgern, md)t neu. Schon 1793 leuchtete die Sache dem Lord
Macartney ein, welcher die bekannte Gesandtschaftreise nach China
machte. Er schickte auch Theepflanzen naä) Indien; man wußte
aber in jener Zeit die Wichtigkeit nicht zu würdigen und so hatte die
Angelegenheit weiter keine praktischen Folgen.
Weder in China noch in Japan ist seither der Thee in wildem
Zustande gefunden worden; man kennt ihn lediglich als Kultur-
pflanze. Es liegen geschichtliche Beweise vor, daß er von Japan
durch buddhistische Priester nach China gekommen ist, wahrschein-
lich schon vor dem neunten Jahrhundert. In geschichtlichen Werken
wird erzählt, daß im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung ein
d)inesischer Minister Thee getrunken habe; eine Abgabe auf den
letztern wurde zuerst um das Jahr 800 nach Christus gelegt. Keine
Mittheilung sagt, daß die Theepflanze in irgend einem Theile
Chinas ursprünglich einheimisch sei; ebenso wenig läßt sich be-
haupten, daß der Thee bereits im hohen Alterthume National-
geträuk gewesen. Der Gebrauch verbreitete sich allmälig, und
das spricht vielleicht dafür, daß man ihn von auswärts her ent-
lehnt habe.
Im Jahre 1816 schickte Gardiner, britischer Resident am
Hofe von Nipal, von dort eine wilde Theepflanze nach Calcutta;
von dort schaffte man dieselbe nach London. Dann schickte 1826
David Scott aus Mannipur Blätter von einem Strauche,
welchen er für den „ächten Thee" erklärte. Einige Jahre nachher
erhielt Lieutenant Charlton einige junge Theepflanzen aus
Bisa in Assam; sie waren in der Umgegend jener Stadt ge-
wachsen. Auch uock) von anderen Männern, z. B. Major Bruce
und dessen Bruder, wurden dergleichen eingeschickt.
Das Alles war jedoch vergeblich. Der berühmte Botaniker
vr. Wallid), damals Direktor des botanischen Gartens in Cal-
cutta, hatte sich steif und fest in den Kopf gesetzt, der sogenannte
wilde Thee aus Assam sei nicht eine Thea, sondern eine Ca-
ín ellia. Die Gesellschaft der Künste in London dagegen gab dem
Herrn Bruce ihre goldene Medaille, „weil er die Theeregion ent-
Das Gedeihen der Chinchona in den Nilgherris und der Theepflanzungen in Assam.
249
deckt habe und in Assam Thee Pflanze und zubereite". Wallich
hatte durchaus Unrecht. Zum Ueberflusse hat unser Landsmann
Barthold Seemann nachgewiesen, daß der Assamthee als
die Urpflanze zu betrachten sei, von welcher die ver-
schiedenen Arten in China ab stammen.
Lord William Bentinck gab sich als Generalstatthalter von
Indien große Mühe, die Anpflanzung des Theestrauchs dort in
Aufnahme zu bringen; ersetzte einen „Theeausschuß" ein, dessen
Mitglied Wallich war. Dieser steifnackige Gelehrte blieb auch
dann noch bei seiner Camellientheorie, als schon längst guter, trink-
barer Thee aus der wilden Assampflanze bereitet und getrunken
wurde. Als er' 1834 die Thatsache nicht mehr in Abrede stellen
konnte, bewog er den Theeausschuß, mit einem Urtheile zurückzu-
halten, bis man die Blüten gesehen und untersucht habe. Acht
Jahre vergingen, ohne daß ein Urtheil gesprochen wurde. In-
zwischen hatten andere, weniger rechthaberische Botaniker sich der
Sache angenommen, z. B. I)r. Falconer, M'Clelland und
vor allen Griffith. Während der „Theeausschuß" sich schweigend
verhielt, wurde 1839 in London das Pfund Assamthee mit, wie
schon bemerkt. 21 und 34 Schillingen bezahlt. Man bildete die
„Aktiengesellschaft Assam" mit einem Kapital von einer Million
Pfund Sterling. Sie begann ihre Arbeiten im Jahre 1840,
wurde aber außerordentlich schlecht verwaltet und kam dem Banke-
rott nahe. Das entmuthigte jedoch einzelne unternehmende Männer
nicht; namentlich behielten einige Offiziere ungeschwächten Eifer.
Oberstlieutenant Hannay pflanzte chinesische Theesorten und
hatte schon 1851 große Erfolge aufzuweisen.
Von da an nahm die Sache einen gesunden Aufschwung; die
Gärten der halb zu Grunde gerichteten Kompagnie lieferten auch
Ertrag, schon 1852 konnte eine gute Dividende gezahlt werden, und
der Assamthee ist sehr gesucht.
Wir haben über denselben amtliche Erhebungen, welche sich
auf den Juli 1862 beziehen. Damals waren in Assam für Thee-
pflanzungen 71,218 Acres bestimmt worden, und von diesen
13,222 wirklich bepflanzt. Der Ernteertrag wurde auf 1,788,737
Pfund Thee veranschlagt; man beschäftigte 16,611 Taglöhner. In
Assam waren 160 Theeplantagen, welche 60 Eigen-
thümern (theils Kompagnien, theils Privatpersonen) gehörten.
Die Aktien der erwähnten Assamkompagnie, welche ursprünglich
auf 20 Pfd. St. lauteten, waren 1841 in Calcutta das Stück für
eine halbe Rupie zu haben (10 Silbergroschen); jetzt werden sie
mit mehr als 450 Rupien (zu 20 Silbergroschen) bezahlt und sind
dafür kaum zu haben.
Uebrigens ist der Theebau nicht lediglich auf Assam beschränkt.
In der Provinz Kaschar sind vorerst 68,149 Acres für denselben
bestimmt und 6077 waren unter Kultur; sie liefern 336,800 Pfd.
fertiger Waare. Auch die Versuche bei Dardsch iliug im briti-
schen Antheil von Sikkim scheinen Erfolg zu versprechen; doch fragt
sich, ob dort bei einer Höhe von 7000 Fuß die Pflanzen nicht durch
Frost leiden werden. Sicher ist, daß von dort schon nahe an
80,000 Pfund fertiger, sehr guter Waare als Ertrag eines einzigen
Jahres in den Handel gekommen ist.
So viel steht nun fest, daß China nicht mehr das Monopol
auf den Thee besitzt. Die Engländer haben die Anpflanzung in
großartigem Style begonnen; sie werden ohne Zweifel mit Nach-
druck weiter gehen. Auch auf Java lassen die Holländer Thee
bauen, und bringen von dort eine gute Waare in den Handel,
in jedem Jahre 800,000 bis 1 Million Pfund, wenn wir nicht
irren. Der Weltbedarf an Thee kann also gedeckt werden; ohne-
hin liefert nun auch Japan schon beträchtliche Quantitäten zur
Ausfuhr.
Speke's Vorträge über seine Entdeckung der Vitguellen.
Murchison und die Seen der Nilqnellen. — Die Angaben des Ptolemäus. — Bemerkungen Bivien St. Martins. — Speke's Mittheilungen über den
Nyanza. — Der neueutdeckte See Luero lo Urigi. — Der Fluß Kitangulc als Abfluß vieler Seen. — Maschonde in Uganda. — Das Thal von Katonga. —
Der Fluß Muorango > Kafu. — Der Luadscherri. — Der Hauptstrom und die Ripon- Fälle. — Die Karuma - Katarakten. — Der Asna im Lande Madi. —
Bemerkungen über die Völker und Reiche am Nyanza. Das Reich Kittara. — Wie es in Uganda mit „hoher Kultur und guter Regierung" beschaffen ist. —
„Aufklärung" in Karagneh. — Hohe Berge. — Hofbräuche in Uganda. — Die Seen Akenjara, Lutschura, Jngesi, Winandermere. — Der Berg Mfumbira. —
lieber die „Mondgebirgc". — Der Flächeninhalt deS Nyanza-Sees. — Resultate. —
Wir haben jüngst die Mittheilungen Murchison's über
Speke's und Gr aut's Reise ausführlich gegeben (Globus IV,
S. 175 folg.) und dieselben durch Anmerkungen erläutert. Der
Präsident der Londoner geographischen Gesellschaft konnte (am
25. Mai) nur oberflächlich vortragen, was er in aller Eile aus
Speke's eben erst eiugelaufeuen Tagebüchern zusammengestellt
hatte. Seitdem ist nun der Reisende selbst in Europa eingetroffen
und hat am 22. und 23. Juni in der Londoner geographischen Ge-
sellschaft und in der Royal Institution zwei Vorrräge gehalten,
welche ein hohes Interesse in Anspruch nahnien. Wir finden Be-
richte darüber in der Times vom 23. und 24. Juni, verdanken
auch der Güte des Herrn Dr. Ravenstein in London eine Karten-
skizze über die von Speke entdeckten Regionen; dieselbe enthält
mehr Namen und mehr Einzelnheiten als die vor einigen Tagen
in London von Stanford veröffentlichte Karte. Die Längen-
beobachtungen Speke's hat Herr Ravenstein noch nicht berücksichtigen
können, wohl aber die Breitenbeobachtungen.
Speke erwähnte, wie begreiflich, mancher Umstände, welche
schon Murchison in seiner Uebersicht hervorgehoben hatte; solche
Wiederholungen lassen sich nicht vermeiden. Wir verweisen unsere
Leser auf unsere frühere Mittheilung, welche durch die folgenden
Angaben ergänzt wird. Daß wir auch unsererseits hier den einen
Globus IV. Nr. 8.
oder andern Punkt zum zweiten Male kurz berühren müssen, liegt
in der Sc^che selbst.
Murchison stellte die beiden Reisenden vor und hielt zum
Preis derselben und zu Englands Ruhm eine Rede, die er in eigen-
thümlicher Weise begann. Er habe, sagte er, in seinem friihern
Vortrage darauf hingewiesen, daß keine über 300 Jahre hinaus-
reichenden Karten vorhanden seien, auf welchen eine Spur des
großen Sees (Nyanza) angegeben sei; „seitdem habe er aber
erfahren, daß derselbe nicht nur auf einer mehr als 1000 Jahre
alten arabischen Karte ganz deutlich verzeichnet stehe, sondern
daß auch Ptolemäus der erste Geograph gewesen sei,
welcher einen Bericht über diese subäquatorialen Seen
gegeben habe."
* *
Das ist doch eigenthümlich für einen in der Wissenschaft hervor-
ragenden Mann, der sich so viel mit afrikanischer Geographie be-
schäftigt, und wesentlich dazu beigetragen hat, daß Speke und
Grant ihre Reise zur Entdeckung der Nilquellen unternehmen
konnten! Die Stelle des Ptolomäus über die Seen, aus welchen
er den Nil abströmen läßt, hat immer eine große Rolle gespielt;
32
250
Speke's Vorträge über seine Entdeckung der Nilquellen.
in allen Handbüchern wird ans sie Bezug genommen, und auch
unser alter Cellarins hat die Seen und den Stromlaus ab-
gebildet: Notitia orbis antiqui, Lipsiae 1706. 4. Vol. II. zu
p. 216. Seite 246 beschreibt er die Region Azania, in qua
plurimi elephantes. Usque ad mare porrigitur et sua habet
emporia saltem dromos (Handelsfaktoreien), Arriano teste, qui
Azaniam longe in austrum producit. Myrrhifera regio eis
aequatorem: Cinnamomifera trans eundem: ultra quam lacus
duos posait, quos Nili vocat, orientalem unum, alteruni
occidentalem.
Herr Mnrchison hätte auch in seines College» Charles T.
B ek e, the source of the Nile etc. London 1860, S. 66 und 67,
Nachweisungen über die two lakes of the Nile finden können.
Die neueste, sehr gründliche Arbeit des vortrefflichen Vivien
de St. Martin hat er wohl nicht gekannt, weil sie erst vor ein
paar Wochen erschienen ist. (Le Nord de l'Afrique dans
l'antiquité grecque et romaine. Etude historique et
géographique; ouvrage couronné, en 1860; par l’académie des
inscriptions et belles-lettres; accompagné de quatre cartes. Paris,
imprimerie impériale, 1863. Lexikonformat.) Ich will das, was
V. St. Martin über die Stelle des Ptolemäus bemerkt, hier mit-
theilen. Der ausgezeichnete französische Gelehrte schildert in der
achten Abtheilung, Artikeln, von S. 467 an, das Aethiopien des
Ptolemäus, den Lauf des Nils oberhalb der Katarakten, die Insel
Meroö, die oberen Zweigflüsse des Nils, dann das Land der
Troglodyten und der Axnmiten und bringt zuletzt einen Para-
graphen über die Nilgnelle. In diesem bemerkt er Folgendes:
Bekanntlich waren bei den Alten die Ansichten sowohl über die
Quellen des Stroms wie über dessen Auschwelleu sehr verschieden.
Nach Einigen kam er fern her ans dem östlichen, nach Anderen aus
dem westlichen Aethiopien, oder von den Schneegipfeln des Atlas,
oder endlich ans dem unbekannten Süden. Man meinte auch, er
ströme ans langen Strecken entweder unter dem Meeresboden, oder
unter dem Sande der Wüste, bevor er in bewohnten Ländern,
südlich von Aegypten, zu Tage trete. Uebrigens wußte man, daß
er oberhalb Merocs zwei Hauptarme habe. Der östliche,
welcher durch das Land der Automoleu floß, war bis auf 20
Tagereisen jeuseit Merocs bekannt; er ist der Astasoba des
Eratosthenes, der Astapus des Ptolemäus. Der westliche Arm
(bei Eratosthenes und Plinius Astapus genannt) ist zu allen
Zeiten als Hauptstrom und Haupt des Nils betrachtet worden;
an ihm waren die Centnrionen Nero's hinaufgekommen bis zu
den weit ausgedehnten Sümpfen, die mehr als 600 römische
Meilen oberhalb der Insel Meroc lagen.
Ptolemäus sammelte neue, umfassendere Nachrichten. Er
weiß, daß der östliche Arm, auf welchen er seinerseits den
Namen Astapus überträgt, aus einem großen See, dem Coloe.
kommt, welcher im Laude der Axnmiten liegt. Hier haben wir
den Blauen Nil, den Bahr el azrek der Araber, den Abai der
Abessinier, und der See Coloe ist der Tzana-See, der See von
Dembea, im südlichen Habesch.
lieber den westlichen Arm bringt Ptolemäus gleichfalls
nähere Angaben; er kümmert sich nicht um sagenhafte Ueber-
lieferungen, welche die Nilqnellen weit nach Westen hin verlegen,
sondern ihm liegen sie im Süden und in einer Entfernung, die er
genauer bestimmen zu können glaubt. Uebrigens war auch diese
Angabe nicht neu. Eratosthenes," der fast 400 Jahre vor
Ptolemäus lebte, wußte schon, daß der Hauptnilarm, „der Körper
des Flusses", wie er sich ausdrückt, gerade von Süden her kommt,
wo er aus gewissen Seen abströmt (bei Strabo, Buch 17
S. 786, Casaubonus). Gleichermaßen hatte er erfahren, daß auch
der östliche Arm aus einem See komme. Diese Andeutungen stimmen
in bemerkenswerther Weise mit den Angaben des Ptolemäus über-
ein, neu sind aber in den letzteren die Einzelnheiten. Diesen gemäß
liegt dem alexandrinischen Geographen südlich von der Aeqnatorial-
linie und, ihm zufolge, in einer nicht unbeträchtlichen Entfernung,
eine Kette von Gebirgen, welche von Osten nach Westen
10 Grad Ausdehnung hat, das 2ílr¡vr¡<; opoq. Diese Berge sind
mit Schnee bedeckt, und die von ihnen herabkommenden
Gewässer fließen in die Nil-Seen, welche ihnen als
Aufnahmebecken dienen: «P ob (t r¡¡; 2iXr¡vr¡(; o (i ove) vno-
()'¿/ovraí toíq /oóvaq ai tov lYií/.ov /.iiivat,. Diese liegen un-
gefähr unter einem und demselben Breitengrad, aber weit aus-
einander (nach der ptolemäischen Karte 8 Grade); der östliche liegt
etwas mehr nach Süden hin als der westliche. Aus jedem dieser
Seen strömt ein Fluß ab; beide vereinigen sich nachher und bilden
den großen Nilarm.
Ptolemäus fand diese Angaben in dem Werke des Marinos
aus Tyrus, der zu Ende des ersten oder zu Anfänge des zweiten
Jahrhunderts schrieb, also ungefähr dreißig Jahre vor Ptolemäus;
Marinos seinerseits hatte die Mittheilungen, welche er giebt, aus
Berichten griechischer Seefahrer, die aus Aegypten nach der Ost-
küste von Afrika gefahren sind und die Gestade von Azania be-
suchten (— bei Ptolemäus bedeutet Azania das Land im Innern
Ostafrikas; die Küstenstrecken werden als Barb ari a bezeichnet—).
Ein gewisser Diogenes war bei seiner Rückfahrt aus Indien auf
der Höhe des Promontorium Aromatnm (also aus der
Gegend des heutigen Kap Guardafui), durch den Nordwind an
der Küste von Azania nach Süden hin getrieben und kam nach
25 Tagen bis zu einer geringen Entfernung vom Promontorium
Rhaptum oder Rhapta (das im Hintergründe der Bucht von
Sansibar zu suchen ist), und die Gegend der Seen, aus welchen
der Nil abströmt. Ptolemäus sagt weiter: „Marinos nun glaubte
den Lauf des Nils der Wirklichkeit gemäß verzeichnen zu können,
von diesen Seen an, wo der Fluß zuerst auftritt und sichtbar wird
(— hierin liegt eine Anspielung auf die oben erwähnten Sagen,
denen gemäß er unter dem Meeresboden oder unter der Wüste hiu-
ströme —) und ihn daun auf seinem Laufe von Süden gen Norden
bis Meroc zu verfolgen."
Nimmt man diesen Bericht streng nach dem Buchstaben, so
müßten die Seen, aus welcheir der Nil käme, in der Nähe von
Rhapta und unweit von der Küste liegen. Marinos wird aber
wohl die Angabe des Seefahrers Diogenes ungenau wiedergegeben
haben, oder Ptolemäus jene des Marinos, oder möglicherweise hat
Diogenes selbst das, was er in jener Gegend, wahrscheinlich von
Arabern, horte, nicht getreu nachgesagt. Ohne Zweifel lautete die
ihm gegebene Kunde dahin, daß ans der Höhe des Punktes, an
welchem er sich befand, Seen vorhanden seien, in welche die von
den Schneegebirgen herabfließenden Gewässer sich ergössen, und
daß ans diesen Seen die Flüsse abströmten, welche dann den Nil
bilden. — Und das Alles verhält sich auch so. —
So weit Vivien de St. Martin. In England streitet man jetzt,
wer denn eigentlich der theoretische Entdecker der Nilquellen
sei. In Obigem ist die Antwort gegeben: ein griechischer isee-
fahrer ans Aegypten, ein verschlagener Ostindien-
fahrer, Diogenes.
Kapitän Speke wurde begrüßt, wie es sich für einen so
muthigen Reifenden gebührt; die ganze Versammlung erhob sich
ehrerbietig. Er stellte zunächst einen schwarzen Knaben vor, welchen
er mitgebracht, und äußerte, daß derselbe einem der intelligentesten
Stämme der Aequatorialregion angehöre. Vermöge der freund-
lichen Gesinnung und der treuen Anhänglichkeit eines Mannes ans
demselben Stamme sei es ihm möglich geworden, seine große Aufgabe
zu lösen. Er empfahl der britischen Regierung, einigen jungen Leuten
dieses Volkes eine gute Erziehung geben zu lassen und sie dann als
Konsuln in ihre Heimat .zurückzusenden, damit sie nachher in Ost-
afrika für die Verbreitung des englischen Handels und der Civili-
sation thätig seien. Der vierzehnjährige Knabe gehört wirklich dem
weniger unintelligenten Schlage der Schwarzen an: er hat aller-
dings wolliges Haar und ist tief schwarz, aber seine Nase ist so ge-
Speke's Vorträge über seine Entdeckung der Nilquellen.
251
rade und seine Stirn so hoch wie bei einem Europäer. Er benahm
sich durchaus unbefangen. Kapitän Grant hat gleichfalls einen
schwarzen Knaben mitgebracht.
Speke beschrieb zunächst den Nyanza, „die Hauptquelle des
Nils"; er liegt bis unter 3° @. Br. und der Strom ist, von dort
an gerechnet bis zu seiner Mündung in's Mittelländische Meer unter
31" 9i. Br„ über 3000 engl, geogr. Miles lang; das macht etwa
eine Längenstrecke wie der zehnte Theil des Umfangs der Erde aus.
Speke entdeckte, wie bekannt, den See int Jahre 1858 und hielt ihn
schon damals für die Hauptquelle des Nils. Die Anwohner er-
zählten, daß er einen sehr beträchtlichen Umfang habe, und arabische
Kauflente ans Sansibar, welche bis in jene Gegenden gedrungen
waren, um Elfenbein aufzukaufen, versicherten, daß aus dem
Nyanza ein großer Strom abfließe. Berichte von Eingeborenen
lauteten ebenso. Speke meinte, er würde schon 1859 die Frage in's
Reine gebracht haben, wenn er damals mit einem indischen Kauf-
mann nach Uganda gereis't sei; er wurde aber durch Burton's
Krankheit daran verhindert.
Dann ging er, wie wir wissen, mit Kapitän Grant nach Ost-
afrika zurück und gelangte 1801 bis Unyanyembe, 5° südlich
vom See. Bon dort aber schlug er nicht den frühern Weg ein,
sondern einen andern, auf welchem er, wie er aus den Weisungen
der Elfenbeinhändler folgern zu können glaubte, zu einem Creek
(— das kann Bucht und kann Fluß bedeuten —) an der Westseite
des Sees gelangen würde. Aber in der dortigen Landessprache
unterscheidet man nicht genau die Ausdrücke Fluß und See, und so
fügte es sich, daß Speke nicht zu einem Creek kam, sondern an einen
neuen See, den Luero lo Urigi, der in früheren Zeiten eine
große Wassermenge enthalten haben muß, jetzt aber rasch ans-
trocknet. Bon Westen und Norden aus Äaragueh her empfängt der
Nyanza seine größte Wasserfülle, vermittelst des Flusses Kitan-
gule, welcher auch das Wasser des Luero lo Urigi und vieler
kleineren Seen aufnimmt. *)
Aber alle diese Seen sind im Vergleich zum Nyanza nur
Pfützen. Der Äitangnle ist ein schöner Strom, läuft in einem
tiefen Bette, wie ein großer Kanal, und hat wohl 80 Uards, also
250 Fuß, Breite.
Wodurch werden nun diese zahllosen Seen gebildet?
Die „Mond g ebir g e", von denen sie ihr Wasser erhalten, liegen
inmitten der Regenzone, und 1862 beobachtete Speke dort 233 mehr
oder weniger nasse Tage. Den ersten Ausblick auf den See hatte
Speke won Maschonde aus, einer Ortschaft, „in der Uddu-
Abtheilung des Landes Uganda", an der Westseite des großen
Wassers. Er ging dann vorwärts nach Norden hin, dem Ufer ent- !
lang, bis zum Thale von Katonga, das unter dem Aequator liegt, j
Das über dem See gelegene Land gewinnt nun einen sehr hübschen |
Anblick; niedrige Sandsteinhügel, tief von heftigem Regen aus-
gefurcht, sind mit gigantischem Grase bestanden und mit Gruppen
von Bäumen, welche kerzengerade emporragen wie die blauen Gnm-
bäume Australiens. Das Reisen ist übrigens gerade in dieser Gegend
ungemein beschwerlich, weil allmälig alle Ströme zurückweichen und
das Uferland derselben weit und breit tiefe Moräste bildet.
Als Speke den Aequator überschritten, kam er an den Muo-
rango, einen Strom von mäßiger Größe; man sagte ihm, auch
dieser sei ein Abfluß des Sees. Er läuft nach Norden, vereinigt
sich mit dem Nil im Königreich Unyoro und bekommt dann einen
andern Namen, er heißt nämlich Kafu. Dann überschritt der
Reisende den Luadscherri, der gleichfalls ans dem See kommt
und in den Nil fließt**); und weiter, im Centrum der Nordküste des
*) So steht im Berichte der Times, der wir folgen. In einer hand-
schriftlichen Mittheilung, welche wir der Güte deö Herrn Dr. Ravenstein
verdanken, finden wir noch Folgendes: „Dieser Luero lo Urigi wird durch
einen Fluß gespeist, der ans dem Land Urundi kommt, und fließt zum
Kitangule ab, dem wichtigsten Zufluß des Nyanza, so weit Speke's Er-
fahrung reicht." A.
*•) So verstehe ich die Worte: Nnrtdor cm the Luajerri follows its
(des Kafu) example.
Nyanza, kommt aus diesein heraus der Hanptstrom des
Nils, fließt über vulkanisches Gestein und bildet >2 Fuß hohe Ka-
tarakten, die Ripou Falls. Speke hat den Abfluß ans dem See,
zwischen diesem und den Ripon Katarakten als „Kanal Na-
poleon" bezeichnet.
Dieser Abfluß des Nyanza, 20 Miles vom Aequator, war der
einzige von den ans dem See abfließenden Strömen, welchen
Speke untersuchen konnte, „weil der König des Landes den
Reisenden barbarische Beschränkungen auferlegte." Sie sahen aber
die Stellen, wo der Kafu und der Asua in den Nil einmünden,
mtd überschritten den Luadscherri an einem Punkte, der mittewegs
zwischen seinem Austritt aus dein See und seiner Miindung in den
Hauptstrom, den Nil, liegt.
Speke ging von den Ripon-Fällen am Nil abwärts, zuerst
durch eine Reihe von Sandsteinhügeln; jenseits derselben fließt der
Strom, schön wie ein Gebirgswasser, gerade nach Norden und bildet
weiterhin im Flachland, eine seeartige Erweiterung.
In Unyoro nimmt er dann den Kafu und Luadscherri auf und
bleibt schiffbar bis zu den Karnmafällen, über welche er mit
großem Geräusch herabstürzt. Ueber diesen Punkt hinaus
konnte Speke den Nil nicht verfolgen, weil Krieg im
Lande war. An den Hauptstrom gelangte er erst wieder im
Lande Diadi, und auch dort trägt er noch den unverkennbaren
Charakter des Nils: weite platte Flächen und lange Stromschnellen.
Dort, im Lande Madi, nimmt er ans seiner Ostseite den schon
erwähnten Asua auf, einen großen, aus dem Nyanza kommenden
Fluß. Am westlichen Ufer dehnt sich eine große Fläche weit in's
Land hinein, bis, wie Speke meint, zum kleinen Luta Nzigi-
See. —
So weit reichen die positiven Angaben Speke's, wie wir sie
iu der Times finden. Der Reisende machte dann noch einige Be-
merkungen, auf welche wir unsererseits, offen gestanden, vorerst
keinen Werth legen. Speke ist ein muthiger Mann, vor deni wir
die größte Hochachtung hegen, und wir haben derselben im Globus
oft Ausdruck gegeben. Aber er ist, wie uns bedünkt, kein kritischer
Kopf, und seine Beobachtungsgabe scheint auch iu Bezug auf ethno-
logische Verhältnisse keineswegs scharf zu sein. In Betreff der Zu-
flüsse, ìvelche der Weiße Nil weiter abwärts erhält, erwähnt er des
Bahr el Gasal, den er selber nicht besucht hat, über welchen wir
aber während der letzten Jahre Vieles erfahren haben und durch
Herrn von Heuglin bald noch mehr Kunde erhalten werden. Dann
spricht er vom Gir affen flnß, „dessen Quelle noch nicht entdeckt
worden sei und dessen Charakter als möglich annehmen läßt, daß
auch er aus dem disianza-See komme!"
In den Bemerkungen über die Völker der von ihm durch-
reisten Gegenden sagt er, daß die Leute in den Königreichen
„äußerst intelligent" seien; sie wären aber sehr mißtrauisch gegen
die Weißen, weil die Sklavenhändler viele Abscheulichkeiten verübt
haben. Das letztere ist gewiß richtig und erklärlich. Die Könige liegen
ununterbrochen im Kriege mit einander und deshalb desertirten den
Reisenden viele Diener. Jene Eingeborenen, mit denen Speke
freundlichen Verkehr unterhielt, benahmen sich gut und gaben ihm
sogar Schntzwächter init. Er hält sie für eines und desselben
Stammes mit den „Abessiniern", meint aber, sie hätten eine
„starke Hindubeimischnng". Abessinische Blutbeimischung ist in
jenen Regionen sehr wahrscheinlich; mit welchen Griiuden Speke
aber „Hindubeimischnng" dort Nachweisen will, darauf sind wir be-
gierig. Und was für Hindu? Arische oder drawidische? „Diese
! Leute sind schlank und gut gewachsen, haben gerade Nasen und ge-
kräuseltes Haar, haben keine Religion und glauben an
keine Seele." Und solche Leute bezeichnet Speke als „most in-
tellectual!“ —
Dem Vortrage, welchen Speke in der Royal Institution hielt,
entlehnen wir die wichtigsten Angaben. Die Wahn ina (Globus IV,
S. 177, Anmerkung) und einige andere Stämme am (— westlichen
und nördlichen —) Seeuser, betrachtet er als Abkömmlinge der
32*
252
Speke's Vorträge über seine Entdeckung der Nilquellen.
„alten Abessinier"; in dieser Annahme werde er durch Ueberliefe-
rungen bestärkt, welche im Volke leben. Auf die Frage, woher sie
gekommen seien, erfolgte allemal die Antwort: aus Norden.
Dann stellte Speke den Satz auf, welchen er zuvor hätte beweisen
müssen, nämlich: „Die Abessinier verdankten ihren Ursprung einer
Vermischung zwischen den Kindern Sem's und Ham's; das Neger-
blut aber wurde modificirt und abgeschwächt durch semitische Zu-
that." Das kann aber nur bedingt und partiell zugegeben werden.
Speke sagte weiter, daß die Ureingeborenen Abessiniens ursprünglich
und wesentlich Ackerbauer gewesen seien; sie wären dann von No-
madenstämmen erobert und unterjocht worden. Dann aber seien
diese alten Abessinier allmälig vom Norden herab vorgedrungen,
hätten Alles, was sich ihnen widersetzte, bezwungen und das große
Königreich Kittara gegründet, welches jetzt, in Folge unauf-
hörlicher Kriege, in mehrere kleine Königreiche zersplittert ist. Eine
eigenthümliche Ueberlieferung, welche Speke aus dem Mund eines
brannt; man verschont nur den Thronnachfolger und
zwei andere Söhne. Diese werden, als eventuelle Ersatzmänner,
in Vorrath gehalten, bis nach der Krönung; dann aber wird der
eine pensionirt und der andere nach Unyoro in die Verbannung
geschickt. Wer sich unordentlich kleidet, begeht ein todeswürdiges
Verbrechen, das ihn den Hals kostet, falls er nicht reich genug ist,
eine ungeheuer hohe Strafe zu zahlen. Undankbarkeit sei straf-
würdig; strafwürdig sei auch schon der Mann, welcher verabsäumt,
für eine empfangene Wohlthat seinen Dank zu sagen. Niemand
darf vor dem Könige stehen und wer ihn anrührt oder auf
eine seiner Frauen einen Blick wirft, verfällt der Todes-
strafe. Die Leute glauben an Zauberei und bösen Blick;
der König ist allezeit von Frauen umgeben, welche todte Eidechsen
in's Haar flechten und mit Bananenwein gefüllte Gesäße in den
Händen tragen. —
Man sieht, Kapitän Speke hat Begriffe von „höherer Kultur
Häuptlings erfuhr, erinnere, wie er meint, an den doppelten Ursprung
des Volkes. Jener Häuptling erzählte nämlich ganz ernsthaft, die
Leute von Kittara seien vormals halb weiß und halb schwarz gewesen;
ans der einen Seite des Kopfs hätten sie krauses Haar gehabt und
auf der andern sei es schlicht gewesen.
Unyoro bildet jetzt den beträchtlichsten Theil des ehemaligen
Kittara. Speke ging auf die Geschichte des Landes ein und ver-
folgte den Gang derselben bis auf den jetzt regierenden Monarchen.
Die fruchtbarsten Gegenden am See nimmt das Königreich
Uganda ein; das Volk dieses Landes ist das interessanteste im
äquatorialen Afrika; „es ist höher kultivirt und wird besser re-
giert als alle anderen." Wie sich höhere Kultur und gute Re-
gierung mit dem Folgenden zusammenreimt, das ist uns unklar.
Speke bemerkt, in Uganda habe man manche „äußerst unregel-
mäßige" Gebräuche. Die Prinzen halten einen ungemein zahl-
reichen Harem und ihre Nachkommenschaft ist sehr beträchtlich.
Wenn ein Eönig stirbt, werden alle seine Söhne ver-
und guter Regierung", die ihm durchaus eigenthümlich sind. Er
sprach dann von Karagueh, dessen König der „civilisirteste" von
allen sei. Speke verweilte, bevor er nach Uganda ging, längere
Zeit bei ihm. „In Manieren, Höflichkeit und Aufklärung
(enlightenment;) kann man ihn mit vielen Europäern vergleichen.
Das rührt zu nicht geringem Theile von dem Einflüsse her, welchen
Muss« Msuri, ein indischer Kaufmann, auf ihn übte. Dieser gab
ihm guten Rath, wie er seinen Bruder, mit dem er Krieg führte,
besiegen könne." Dieser „aufgeklärte" König richtete an Herrn
Speke sehr viele^ äußerst kindische Fragen, zum Beispiel: „Was
wird aus den alten Sonnen und weshalb schneidet der
Blond der Erde Gesichter zu?" Der „aufgeklärte" König wollte
auch wissen, ob England, von dessen Dasein er durch die Elfenbein-
händler etwas gehört hatte, ganz Afrika mit Schießpulver in die
Luft sprengen könne? Uebrigens benahm er sich ordentlich gegen
die weißen Leute; er schickte Boten an den König von Uganda, um
sie dem letztem zu empfehlen, fuhr mit Speke und Grant in einem
Speke's Vorträge über seine Entdeckung der Nilquellen.
253
Nachen auf dem Mnrchison- Creek und sie gingen mit ihm und mit
den Prinzen auf die Jagd. Wenn sie etwas geschossen hatten,
drückte der König ihnen die Hand, eine Sitte, die sonst in jenen
Gegenden Afrikas nicht vorkommt. Speke hörte vom Könige Ka-
ramsi, daß nördlich von Unyoro weiße Männer gesehen worden
seien; durch sie wären viele Eingeborene vermittelst eines wunder-
baren Gewehrs getödtet worden. Darüber wurde Speke sehr be-
sorgt: er nahm an, daß jene weißen Leute die ihm entgegengesandte
Partie Petherick's sein könnten.
Mit zahlreichem Gefolge brach er dann nach Uganda ans;
es war ihm im Palaste des Königs Rumanika von Karagueh wohl
ergangen. Von demselben aus hatte er mehrfach drei oder vier
Berggipfel bemerkt, die mehr als 10,000 Fuß hoch sind.
Der König von Uganda sandte ihm zur Begrüßung eine Schaar
bewaffneter Männer entgegen, welche ihn geleiteten. Ueberall floh
das Volk aus den Hütten und ließ die Lebensmittel im Stiche. Die
Gegend ist sehr fruchtbar und bildet reizende Landschaften. In der
Hauptstadt des Herrschers von Uganda fand Speke es angemessen,
alle für denselben bestimmte Geschenke in Baumwolle zu wickeln,
weil vor Seiner Majestät Augen nichts gebracht werden darf, was
unbedeckt ist. Der Palast bestand aus Hunderten von kegelförmigen
Zelten, welche den Vorsprung eines Hügels bedecken. Tausende
vom Hofgesinde waren mit allerlei Dingen beschäftigt; manche
machten Musik, andere fütterten des Königs Hühner. Speke bat,
dem Herrscher aufwarten zu dürfen, und erhielt zur Antwort, daß
er sich auf den Boden setzen und das Weitere abwarten solle. Speke
ließ aber zurücksagen, er sei ein Prinz und nicht daran gewöhnt,
auf der Erde zu sitzen oder zu warten. Eine solche Anmaßung er-
schien den Hoslenten ungeheuerlich und sie prophezeiten ihm böse
Dinge. Er ging aber stracks in den Palast, jagte, wie er sagte,
dem König und allen Anderen Schrecken ein und machte sie dadurch
gefügig, daß er seinen Regenschirm öffnete; diesen hielten sie für
eine gefährliche Zanberwaffe. Nun wurde er vor versammeltem
Hofe vom König empfangen und durfte sich auf einen Stuhl setzen.
Neben dem Monarchen standen auch jetzt Frauen, welche todte
Eidechsen in den Haaren trugen, um den bösen Blick abzuwenden.
Der Herrscher betrachtete sich den weißen Menschen wohl eine
Stunde lang und fragte dann: „Hast Du mich gesehen?" Dann
ging er in ein anderes Zelt, wo sich genau derselbe Auftritt wieder-
holte. Darauf folgte Speke ihm in ein drittes Zelt, und dort erst
war Seine Majestät Mt esi so herablassend, eine Whitworthflinte zu
besichtigen. Speke bemerkte, in dem Lande, wo er Prinz sei, habe
man die Gewohnheit, dem Könige, dessen Land man besuche, Ge-
schenke zu machen, und überreichte dann einige Schießgewehre,
Uhren und etwas Pulver; er sprach auch mit dem König über die
Möglichkeit, nach Norden hin eine Handelsverbindung zu eröffnen;
es dauerte aber lange, bevor er des schwarzen Potentaten Zutrauen
gewann. Bei der Abreise erhielt er übrigens von demselben werth-
volle Geschenke. Dann, sagt er, sei er weiter geschifft bis Gondo-
koro, wo er mit Baker zusammentraf.
Dies sind Speke's Mittheilungen, so weit sie in der „Times"
vor uns liegen. Sie erscheinen, bei allem Interesse, das sie ge-
währen, im Allgemeinen dürftig und abgerissen, was sich aller-
dings bei zwei Vorträgen, für welche die Zeit bemessen war, leicht
erklärt. Man sieht aber, daß jene angeblich aufgeklärten
und civilisirten Könige sammt ihrem Volk auch nichts
weiter sind, als schwarze Barbaren in ächt afrikanischem
Style.
Speke's Werk wird ohne allen Zweifel in hohem Grad an-
ziehend werden, weil es eine große Menge neuer Thatsachen bringt.
Aber die Frage der Nilqnellen wird durch Speke immerhin
nur erst theilweise beantwortet. Es bleiben noch wichtige
Probleme zu lösen; sie liegen nicht nur an der Ostseite des Sees,
zwischen diesem und den höhen Schneebergen, sondern auch im
Süden und Westen, denn auch den Hauptarm kennen wir in seinem
obern Laufe nur erst theilweise, und dasselbe gilt von seinen Zu-
flüssen, welche aus dem See abströmen oder ans den westlichen
Gebirgen kommen.
Wir tonnen die Lücken in dem Berichte der Times aus einer-
brieflichen Mittheilung des Herrn Dr. Ravenstein ergänzen. Es
heißt in derselben:
„Die Quellflüsse des Ny an za entspringen in dem
Mondgebirge Speke's, erweitern sich stellenweise und bilden
Seen, die jedoch einen Vergleich mit dem Nyanza nicht aus-
halten. Der oberste dieser Seen ist der Akenjara in Urundi;
weiter unterhalb liegt der Lutschnra und westlich von der Residenz
Rumanika's (— also in Karagueh —) der Ing esi. Ein noch
kleinerer See, von Speke Winandermere genannt, liegt ganz in
der Nähe der Residenz. Diese zahlreichen Gewässer kommen vom
„Mondgebirge" herab; wir glauben aber, daß Speke sich irre,
wenn er in jenen Bergen nördlich vom Tanganyika das „Mond-
gebirge" zu sehen wähnt (— S. Globus, IV, S. 176, Anmerk.—)
Schnee liegt dort nicht, denn der hö chste Berg, der Mfnmbira,
ist nur 10,000 Fuß hoch. Wir werden jedenfalls richtiger ver-
fahren, wenn wir den Namen Mondgebirge auf die Kolosse Kenia
und Kilimandscharo übertragen. DerGrnnd, welchen Speke früher
für den Namen Mondgebirge angab (er glaubte nämlich, das
Ganze sei nach seiner mondförmigen Gestalt so genannt worden!)
ist nicht länger stichhaltig (— und war es auch von vornherein
nicht —), denn es hat sich jetzt in einzelne Gruppen auf-
gelös't." *)
„Am 1. Januar 1862 verließ Speke die Hauptstadt von
Karagueh. Bei Maschonde sah er (— wie früher bemerkt —)
zuerst den Nyanza (— das Wort bedeutet im Allgemeinen Wasser,
großes Wasser—), der in Uganda Lacera lo lut a Nsige ge-
nannt wird, d. h. weiß von todten Heuschrecken, weil
Schwärme von Heuschrecken, welche über den See fliegen, häufig
ermatten, bevor sie Land erreichen, und von Bootsleuten häufig im
See gefunden werden. Der König von Uganda heißt Mtesi; bei
ihm blieb Speke fünf Monate lang. In Uganda wird täglich
ein Mensch zum Wohle des Staates geschlachtet." —
Diesen Bemerkungen Dr. Ravenstein's fügen wir Einiges aus
einem lithographirten Schreiben vom 30. Juni hinzu, welches
wir der freundlichen Mittheilung des Herrn Dr. August Peter-
mann verdanken. Auch er zweifelt nicht mehr daran, daß der
Nil aus dem Nyanza komme, „von dessen Umfang und Weite man
sich einen Begriff machen könne, wenn man sich vergegenwärtige,
daß er nicht blos viel größer als der Genfer- oder Bodensee, ja
größer als alle Alpenseen zusammengenommen sei, sondern mehr
als doppelt so groß wie die ganze Schweiz, größer als Irland,
und etwa eben so groß wie die drei Königreiche Bayern (ohne die
Rheinpfalz), Würtemberg und Sachsen zusammengenommen.
Nach derZeichnung der Speke'schenKarte berechnet, ist der Nyanza
1610 deutsche Quadratmeilen — 34,230 englischen Quadratmiles
groß; der mit ihm durch einen breiten Kanal zusammenhängende
Baringo-See (— aus welchem, wie Herr Ravenstein meldet,
der Asu a kommen soll, der unterhalb Meri in den Nil mündet—)
210 deutsche oder 4460 englische Quadratmeilen, beide zusammen
1820 deutsche oder 38,690 englische Qnadratmeilen." —
Herr Petermann bemerkt: „Der Nyanza ist nur zum kleinsten
*) Es wäre höbe Zeit, daß man die verschwommenen „Mondgebirge"
endlich ganz fallen ließe. Man hat sehr viel geographischen Unfug damit
augerichtet, viel Spielerei ist damit getrieben worden, auch von Speke. Es
ist offenbar, daß die Alten mit dem Ausdrucke Nontea Lunae überhaupt nur
die hohen Gebirge im äquatorialen Ostafrika im Allgemeinen
bezeichnen wollten, daß sie aber Genaueres über dieselben nicht
wußten. Dasselbe gilt von den Mondgebirgen der Araber. d-Abbadie
verlegte sie sogar nach Ga maro in Enarca. Sükabessinien, weil Gamaro an
das arabische Kamar, Mond, erinnert; Beke nach Mono mocsi, dem
Uniamnesi unserer deutschen Missionäre zu Mombas, und Burton's; der Eine
also viel zu weit nach Norden, der Andere zu weit nach Süden hin. A.
254
Speke's Vorträge über seine Entdeckung der Nilquellen.
Theil von Speke, der Baringo gar nicht gesehen oder erforscht
worden." —
Speke hat demnach nichts Genaues über die Größe dieser
Seen ermittelt, von der ganzen Ostseite und bis wie weit er sich
erstreckt, kann er Zuverlässiges nicht wissen, und es bleibt künftigen
Reisenden Vorbehalten, in wie weit seine Hypothesen und Mnth-
maßungen richtig oder auch nur annähernd richtig sind. Gewiß
bleibt vorerst nur, daß der Nyanza ein großer See ist. Der
„kleine" Luta Nzigi-See soll etwa eben so groß sein, wie der
von Burton entdeckte Tanganyika.
Wir haben früher im Globus (III, S. 30) der Reisen des
Venetianers Miani erwähnt. Er hoffte von Gondokoro bis zum
Aeqnator vorzudringen. „Aber wegen der Aequatorialregen kam
ich nicht weiter als bis Galuffi, wo ich meinen Namen in
einen Tainarixbanm schnitt." Diese Angabe findet jetzt
durch Speke ihre Bestätigung. Er fand diese Tamarinde mit dem
Namenseinschnitt unter 3° 45' N. Br. —
Den nachfolgenden Bemerkungen des Herrn Dr. Petermann
schließen wir uns um so lieber und mit voller Ueberzeugung an,
da wir selber uns schon oft in ähnlichem Sinne geäußert haben.
Er hebt hervor, daß verschiedene Leute Anspruch erheben auf einen
Antheil an der Entdeckung der Nilquellen, wenn auch nur aus
Grund ihrer theoretischen Folgerungen. „Wenn aber", fährt
er fort, „irgend Jemand einen solchen Antheil hat, so sind es die
deutschen Missionäre Krapf, Rebmann und Erhardt,
die Pioniere der geographischen Erforschung jener Regionen, welche
durch ihren langjährigen Aufenthalt an der Küste von Sansibar
zuerst in hervorragender Weise die Aufmerksamkeit auf diese Ge-
biete lenkten, selbst in's Innere vordrangen, die Schneegebirge
(an denen ohne Zweifel Zuflüsse des Nyanza ihren Ursprung
haben) entdeckten, und durch ihre Forschungen und Erkundigungen
zuerst von den durch Burton und Speke besuchten Gegenden Nach-
richt brachten. Die aus diesen Arbeiten hervorgegangene nnd im
1. Hefte der „Geographischen Mittheilungen" für 1856 von mir
publicirte Karte (Tafel 1) hat bekanntlich unmittelbar die
Expeditionen von Burton und Speke veranlaßt; auf ihr steht
genau da, wo Speke den Quellsee des Nils entdeckt
hat: — Dies mag als das Quellgebiet des Bahr el Abiad (Hanpt-
strom des Nils) angenommen werden.
Nachschrift.
Seitdem wir das Obige geschrieben hatten nnd als wir eben
die Revision des Druckbogens erhielten, kam uns der Bericht zu,
welchen das „Athenäum", Nr. 1861, über Speke's Vortrag bringt.
Wir schalten aus demselben noch Einiges ein, um die vorstehenden
Angaben zu vervollständigen.
Speke hob wiederholt hervor, daß er den Ufern des Obern
Nils nicht allzeit habe folgen können; derselbe sei von ihm berührt
und auch befahren worden, je nachdem die Gelegenheit sich dar-
geboten. Er habe ihn nur theilweise gesehen, nnd in dem was er
berichte, gebe er Nachrichten, welche er von Eingeborenen erhalten,
gemischt mit dem, was er selber gesehen und erfahren habe.
Arabische Elfenbeinhäudler aus Sansibar hätten mit ihren
Sklaven den Nyanza-See in seinem ganzen Umfang umwandert,
aber nicht so, daß irgend Einer eine solche Reise im Zusammen-
hänge gemacht, sondern einige an der einen und einige an der
andern Seite. Alle behaupteten, daß aus dem See ein großer
Fluß abströme; was für ein Strom das sei, wußten sie aber nicht.
Von den unter dem Aeqnator wohnenden Eingeborenen hatten sie
verwirrte Angaben gehört, daß weiße Elfenbeinhändler den Nil
bis zum 5? N. Br. besuchen. Die Eingeborenen sagten weiter:
wenn der Nil steige, also rascher ströme, trieben Inseln auf ihm
hinunter, und das, sagt Speke, ist in der That der Fall. Die-
selben bestehen aber nicht aus Erde und Steinen, sondern aus ver-
schlungenen Baumwurzeln, Binsen, Schilf und Gras, und manch-
mal stehen sogar Hütten darauf. Die heftige Strömung reißt
Strecken von den Ufern ab und so bilden sich jene schwimmenden
Inseln.
Dieselben Araber beschrieben die Gegend zwischen dem Nil
und dem Asua „als eine Insel auf der einen Seite, und das Land,
welche das vormalige Königreich Kittaia bildete, erscheint nach
ihrem Begriffe gleichfalls als eine Insel, denn es wird fast ganz
umzogen von den Flüssen Kitangule und Luta Nzige (— das soll
wohl heißen: den Flüssen, welche dem Luta Nzige zum Abzüge
dienen, denn dieser selbst ist ja ein See —), vom Nyanza und
dem Nil.
lieber den ersten Grad nördlicher Breite waren aber keine
arabischen Kaufleute hiuausgekommen und von Geographie ver-
standen sie nichts. Sie hörten allerlei von den Eingeborenen, be-
griffen aber nicht vollständig, was diese letzteren ihnen erzählten,
und so blieb es ungewiß, von woher der Nil kam.
Speke erzählte dann, wie es gekommen sei, daß er einen neuen
See entdeckt habe, den von Uzige, der, wie schon früher bemerkt
wurde, rasch anstrocknet. Sein oberes Ende liegt in Urundi,
von dort zieht er rund um die Süd - und Ostseite von Karagueh
in Gestalt eines Gebirgsthales, und der Kitangule führt sein Wasser
in den Nyanza ab; er hat aber auf den Höhenstand desselben
keinen Einfluß. Der See bekommt seinen größten Wasserzufluß
auch vermittelst des Kitangule, aus dem westlichen und südlichen
Karagueh; der Kitangule erhält nämlich nicht blos den Abzug
jenes Luero lo Nzige, sondern außerdem die Abflüsse vieler
kleinerer Seen. Zu diesen gehört (— wie schon oben mit-
getheilt wurde —) der Akenyara in Urundi; der Luckurow,
der in derselben Seenkette mit jenen liegt (which is the second
of a chain with the Akenyara); sodann der Ingerezi und
Karagime, dann auch der Winandermere, welcher sehr klein
ist. Nachdem der Kitangule alle diese Zuflüsse erhalten hat, ist er
ein ansehnlicher Strom mit einer Schnelligkeit von vier Miles in
der Stunde; und dieselbe Schnelligkeit hat auch der Nil unterhalb
der Ripon-Fälle.
Bootsleute ans Uganda (das Volk dieses Landes wird als
Wag anda bezeichnet) befahren mit ihren Kähnen den See nach
Süden hin bis zur Insel Ukerewe, welche Speke auf seiner ersten
Reise von Muanza ans gesehen hat; gen Osten schiffen die Waganda
bis über den Kanal Napoleon hinaus, bis zum Nordostwinkel des
Nyanza. Hier gelangen sie durch eine breite Wasserstraße in einen
andern See. Sie gehen dorthin, um Salz zu holen. „Dieser
See ist möglicherweise der Baringo Krapf's; der Letztere
erfuhr, daß die Eingeborenen ihn als Salzsee bezeichnen, wahr-
scheinlich weil salzhaltige Inseln sich in demselben befinden. Ich
schließe das daraus, daß auf meiner früher« Reise die Araber,
welche mir vom kleinen Luta Nzige erzählten, denselben als einen
Salzsee schilderten, der mit dem Nyanza in Verbindung stehe; als
ich aber weiter in sie drang, erklärten sie, das letztere sei nicht
der Fall; das Wasser des großen Nyanza sei frisch und süß. Die
Araber berichteten, ebenso wie Dr. Krapf, nur was sie gehört
hatten. Krapf spricht von einem Flusse, der vom Kenia herab-
komme und zum Nil fließe. Wenn das sich so verhält, dann muß
er ein Zufluß des Baringa- (so schreibt Speke, statt Baringo)
Sees sein. Der Ausfluß dieses Baringa ist aber der Asua,
welcher in den Nil mündet. Arabische Elfenbeinhändler, welche
das ganze Ostufer durchzogen haben, schildern die Gegend dort
als ein Land mit niedrigen, wellenförmigen Hügeln, das von
keinem Flusse durchzogen werde." —
Man sieht, wie Vieles noch ungewiß ist, welch weiten Spiel
raum hier überall die Vermuthungen, die Hypothesen und da
Hörensagen einnehmen. Allgemeine Anhaltpunkte sind allerding
gewonnen, aber der Kritik nnd dem Zweifel ist noch ein große
Feld übrig geblieben. Speke's Nachrichten sind fragmentarisch
er wird, wenn er sein Buch schreibt, wohl daran thun, die Ans
sagen der Eingeborenen nicht zu „vermischen" mit dem, was
selbst gesehen hat. Dieses ist ohnehin schon aller Ehre werth
Kleine Nachrichten.
255
er wird aber manche Verirrung vermeiden, wenn er Sicheres und
Selbsterlebtes ganz absondert von seinen Hypothesen und die „ver-
wirrten Angaben" der Eingeborenen mittheilt.
Uebrigens wird man in Deutschland hoffentlich den Nyanza-
See nicht mit dem überflüssigen Zusatz Victoria versehen. Es
haben so viele Gastwirthe und englische Reisende von diesem Namen
Gebrauch gemacht, respektive damit Mißbrauch getrieben, daß
jede weitere „Victoria" durchaus von Ueberfluß ist. Wir sind
nicht verpflichtet, jede geistlose Schrulle oder schablonenmäßige
Namengebung, auf welche John Bull sich steift, uns gefallen zu
lassen oder anzunehmen.
Kleine Nachrichten.
Ein Vortrag Kapitän Grant's über seine afrikanische Reise,
in der ethnologischen Gesellschaft zu London, bezog sich ans die
Sitten und Gebräuche der schwarzen Völker im äquatorialen Afrika.
Der Redner theilte das Land in zwölf Distrikte ein. Was er über die
Völker der Region zwischen der Meeresküste und dem Nhanza-See
bemerkte, war nicht neu, und schon von Burton sehr ausführlich
behandelt worden. Dann aber schilderte er Uvinza, wohin früher
noch kein Europäer gekommen war. Das Land ist wellenförmig,
bewaldet, hat malerische Thalgründe und die Bewohner waren
bessere Feldbauer als alle anderen, welche Grant in Afrika ge-
sehen. Dann schilderte er Karagneh, über welches, wie unsere
Leser wissen, Speke sich schon ausführlich verbreitet hat. Grant
fand das Klima wie jenes von England während der Sommer-
monate, sab aber nur wenige Bäume, jedoch hohes Gras; viel
Rindvieh, Erbsen, Bohnen, Zuckerrohr, Bananen, Paradiesäpfel
und Tabak; die Aecker waren gut bebaut. Uganda sei „der
Garten von Centralafrika" und sehr dicht bewohnt; man hält viel
ungehörntes Rindvieh. Unyoro bilde zu Uganda einen schroffen
Gegensatz: dieses Land sei von „immenser" Größe und spärlich
bewohnt; das Volk, träg und ohne geistige Regsamkeit, nähre sich
vorzugsweise von Getreide und süßen Kartoffeln. Dann sprach er
über die Neger, welche am Nil unterhalb Goncokoro wohnen. Seine
Bemerkungen waren überhaupt von geringfügiger Bedeutung.
Herr von Hcnglin und Dr. Stcudncr auf dem Bahr cl
Gasal. Beide Reisende waren am 25. Januar als Begleiter der
muthigen Frau Tinne von Chartum stroman gefahren, um den
großen westlichen Zufluß des Nils zu befahren und so weit als
irgend möglich denselben nach Westen hin zu verfolgen. Aus
einer uns von Herrn Eh-. Pctermann zugekommenen Nachricht er-
sehen wir, daß Herr von Heuglin, außer anderen werthvollen
Arbeiten, auch astronomische Arbeiten nach Gotha eiiige-
schickt hatte, welche er auf der Fahrt von Chartum bis znm See
Rek angcstellt hatte. Dieselben sind vom Leipziger Astronomen
Bruhns berechnet worden, und schon deshalb von großem Werthe,
weil wir über die Gegenden südlich von Chartum bisher nock keine
Beobachtungen von solcher Genauigkeit hatten. Herr P. bemerkt,
daß diese astronomischen Positionen von Henglin's und die Detail-
anfnahme des Obern Nils von Ferdinand Werne ans den Jahren
1840 und 1841 auch neben den Arbeiten der Expedition Speke's
ihren Werth behaupten werden. —
Wir unsererseits besorgen keineswegs, daß bei uns i n D e u t s ch - !
land die hohen Verdienste, welche so manche unserer Landsleute
um die afrikanischen Entdeckungen sich erworben haben, nicht nach
Gebühr anerkannt würden. Wir Preisen die muthigen Engländer,
nicht minder freuen wir uns aber auch über den nickt geringern
Mnth und die, in wissenschaftlicher Beziehung ungleich bedeu-
tenderen, Leistungen der deutschen Reisenden. Diese sind ja eigentlich
die Wegweiser und Bahnbrecher gewesen.
Die Irrungen, welche Herr v. Heuglin mit dem Comitö in
Gotha früher gehabt hat, kümmern uns nicht. Als Reisender
rechtfertigt Herr v. Heuglin die Erwartungen, welche man von ihm
hegte, und auch wir halten sein Vordringen auf dem Bahr el Gasal
für ungemein wichtig. Die Erdkunde darf sich von demselben werth-
volle Bereicherungen versprechen.
Der König Radama von Madagaskar ermordet. Die Civi-
lisationskomödie auf Madagaskar hat ein Ende. Die jüngste
Ileberlandpost meldet, daß in Antananarive eine Revolution auö-
gebrocken sei, in welcher der König das Leben verlor. Man über-
trug seiner Gemahlin die Regierung, erklärte aber die von Radama
mit dem Ausland abgeschlossenen Verträge vorerst für gültig. Frank-
reich, welches ohnebin einen lüsternen Blick auf Madagaskar gerichtet
hält, wird eine solche Veränderung nicht gern sehen; es kann geltend
macken, daß seine eigenen und seiner Staatsangehörigen Interessen
und Reckte durch die Revolution gekränkt worden seien, und bat
Vorwände in Menge, sich in die madagassischen Händel einzumischen,
im Namen der Verträge und im Namen der — „Civilisation."
Die Entfernung der Sonne von der Erde. Die Astronomen
müssen, bei fortschreitender Kunde über die kosmischen Erschei-
nungen und in Folge vervollkommneter Werkzeuge für die Be-
obachtung, manche früheren Berechnungen und Schlüsse ändern.
Dafür liegt eben jetzt wieder ein Beispiel vor. Lev erri er be-
schäftigte sich jüngst mit einigen Erscheinungen der Gravitation und
fand dabei mehrere Schwierigkeiten, die nur durch die Annahme
zu beseitigen waren, daß die Sonne um ein Zehntel leichter
oder daß die Erde um ein Zehntel schwerer sei als seither
allgemein angenommen wurde. Er war geneigt, die letztere
Annahme für richtig zu halten.
Inzwischen hatte Foucault ermittelt, daß die Schnellig-
keit, mit welcher das Licht von der Sonne zur Erde ge-
langt, überschätzt worden ist, und erberechnete, daß die
Sonne der Erde um ein Dreißigstel näher sei, als die
Astronomen bis jetzt angenommen haben. Durch Fon-
cault's Berechnungen ist Leverrier's Schluß über die geringere
Sckwere der Sonne bestätigt worden, und seine Beobachtungen
über die geringere Schnelligkeit des Lichts haben durch andere, die
auf der Sternwarte zu Greenwich angestellt worden sind, sich als
richtig bewährt. Statt 95 Millionen Miles ist sie nur 92 Millionen
entfernt.
Die Zahl der seither entdeckten kleinen Planeten beträgt
jetzt acht und siebenzig; der zuletzt entdeckte heißt Diana.
Wahrscheinlich wird noch im Laufe unseres SäculumS die Zahl
100 voll werden.
Europäischer Handel mit China. Der Verkehr hat, trotz
aller Störungen durch den Krieg zwischen den Kaiserlichen und den
Rebellen, eine großartige Ausdehnung gewonnen. Allein in der
Stadt Hankön am Uangtsekiang, welche bis jetzt den Endpunkt
für die von Schanghai stromauf fahrenden Dampfer bildet, betrug
der Waarenumsatz zwischen Europäern und Chinesen den Werth
von 152,368,044 Francs. Er wird sich, wenn einmal Friede im
Land ist, sehr bald um das Drei- und Vierfache steigern; denn
Hankön wird ein Mittelpunkt und Stapelplatz auch für die großen
Provinzen Sze tschnen und Kuöi tscheu werden. Am Uangtsekiang
sind drei Hafenplätze dem fremden Verkehr geöffnet; Hanköri,
Tschinkiang und Kenkiang. Dieser letztere bildet einen Centralpunkt
für den Handel mit grünem Thee, wie Hankön für den schwarzen
Thee. Tschinkiang deckt de» Ansgang des großen Kaiserkanals,
ist Stapelplatz für fünf große Provinzen, aus welchen Flüsse dem
großen Strome zufließeu, und hat große Niederlagen von Rohseide.
Notizen aus Brasilien. Von einem fleißigen Freunde des
Globus, Herrn Karl von Koseritz zu Rio Grande, haben wir
wieder eine werthvolle Sendung erhalten, die wir nach und nach
mittheilen werden.
Handelsstatistik der Provinz Rio Grande do Sul.
Diese Provinz hat vom Juli bis zum December 1862 den Werth
von 5,717,507 Milreis oder 2,858,750 Dollars ans verschiedenen
Ländern importirt, welche Waaren mit 793,019 Milreis oder
396,509 Dollars versteuert wurden. Dieselbe Provinz exportirte
in dem nämlichen Halbjahre Produkte im Werthe von 2,632,914
Milreis (1,316,457 Doll.), die mit 184,303 Milreis (92,151 Doll.)
versteuert wurden.
D a s K a i s e r r e i ch B r a s i l i e n hat gegenwärtig folgende öffent-
liche Anstalten: 2 medicinische Fakultäten.'die eine in Rio
Janeiro, die andere in Bahia; 2 juridische Fakultäten, eine
in S. Paulo, die andere in Recife (Pernambuco). Eine polytech-
nische Schule (oder mathematische Akademie, escola central) in
Rio Janeiro; 2 praktische Militär-Schulen, eine für Infanterie
und Artillerie in Rio Janeiro, eine andere für Fußvolk und Reiterei
in der Provinz Rio Grande; eine Marine-Akademie in Rio
Janeiro: eine Handels-Akademie in Rio Janeiro: ein Na-
tion al-Museum in Rio Janeiro: eine National-Bibliothek
mit 100,000 Bänden, ebenda; eine Akademie der Künste, ebenda;
eine Akademie der Elementar-Wissenschaften, ebenda; einen
256
Kleine Nachrichten.
botanischen Garten, ebenda; 7 Priester-Seminare: 1 in
Rio, 2 erzbischöfliche in Bahia und 4 in den anderen Provinzen;
eine Hülfsgesellschaft der nationalen Industrie in Rio und Bahia; 2
historisch-geographische Institute, eins in Rio, das andere in
Porto Alegro Provinz Rio Grande; eine Taubstummen-Anstalt,
ein Blinden-Justitut, ein großes Hospiz für Verrückte in Rio
Janeiro; ein astronomisches Observatorium in Rio.
Mineralschätze der Provinz Rio Grande do Sul.
Der Engländer Nathanael Plant, welcher seit längerer Zeit die
verschiedenen Steinkohlenlager in der brasilianischen Provinz Rio
Grande do Sul auf Ordre der Regierung untersuchte, um sie zur
Bearbeitung vorzubereiten, hat neuerdings eine sehr reiche und be-
deutende Kupfermine am Flusse Qnaraim in derselben Provinz
entdeckt. Er war zu Ende des Mais soeben in Rio Janeiro, wo
er um ein Privilegium zur Ausbeutung jener neuen Minen ein-
gekommen ist. Derselbe Mineralog hat bereits einige vorzügliche
Eisengrubeu in jener Provinz entdeckt, so wie verschiedene große
Steinkohlenlager. Silberminen sind bereits seit langen Jahren
bekannt und ans Gold ist ebenfalls in dem Distrikte von Lavras
in derselben Provinz gearbeitet worden. Die neue Kupfermine
soll sehr bedeutend sein und es unterliegt keinem Zweifel, daß die
genannte Provinz eine äußerst metallreiche Region ist, der vor der
Hand nur Arme zur Verwerthung der Reichthümer mangeln, die
in ihrem Schooße verborgen schlummern.
Marktleben zu San Jose in Costarica. Wilhelm Marr
hat jüngst in Hamburg (bei Meißner) eine in vieler Beziehung für
den Leser ergötzliche Reise nach Central-Amerika veröffent-
licht, der wir das Folgende entlehnen.
So still und öde die Straßen von San Josö im Allgemeinen
sind, so verwandelt sich jeden «Sonnabend Vormittags die Scene
wunderbar. Der ganze Ort ist lebendig, denn die weite Hochebene
giebt sich an diesem Tage Rendezvous auf der Plaza. Der Sonn-
abend ist der Markttag, an dem sich die Hausfrauen für die ganze
Woche mit Gemüse versorgen. Die große Plaza ist bedeckt mit
Buden von Leinwand, in welchen der Kleinhandel außerdem alle
Erzeugnisse fremder Industrie feilbietet. Landmädchen in ihren
malerischen Trachten sitzen am Boden gekauert und bieten Eier,
Früchte, Butter rc. aus. Indianer kommen mit Mais und Cacao
zu Markt. Ambulante Händler, Jungen von 9 bis 10 Jahren,
drängen sich mit ihrem Krame, welcher oft nur aus wenigen Gegen-
ständen besteht, wie Nadeln, Zwirn und Band, durch die Menge.
Zu Pferde und zu Fuß wird geschachert. Die weiche, indolente Be-
völkerung ist wie umgewandelt, denn der Schachergeist ist das
Lebensprincip derselben. Der Präsident der Republik ver-
schmäht es an diesem Tage nicht, dem Bauer einige
Ellen Kattun abzuschueiden; der Finanzminister redet
sich die Kehle heiser, um dem Käufer zu beweisen, daß
ein elendes Trinkglas von ihm mit Schaden verkauft
werde. Officiere, Hauptleute und Majore stehen hier hinter
dem improvisirteu Ladentisch und verkaufen Nägel, Federmesser,
Scheeren; Richter des obersten Gerichtshofes detaillireu baum-
wollene Strümpfe; Advokaten bringen Pferdedecken an den Mann,
Aerzte verschänken Sodawasser und Magenbittern in ihren Apo-
theken, ja Geistliche versehen interimistisch den Dienst des Ellen-
reiters, während der eigentliche Verkäufer frühstückt. Die Stufen,
welche zur Kathedrale führen, sind bedeckt mit Strohhüten, Sattel-
zeug des Landes, Raketen, Steinzeug u. s. w. Und während
drinnen Messe gelesen wird, treiben die Krämer am Eingang ihr
Gerwerbe.
Es ist eine traurige Erscheinung, dieser Schachergeist, bei einer
von Natur ackerbautreibenden Bevölkerung. Die ganze Erziehung
des Menschen läuft hier darauf hinaus, ihn dem wahren Lebeus-
bernfe zu entfremden, und so redlich und treuherzig der ältere Thcil
der Bevölkerung von Costarica ist, so konfus fangen die Begriffe
von Mein und Dein bei der Jugend bereits zu werden an, und
Eltern und Erzieher leisten systematisch der Neigung Vorschub,
statt einer geregelten Beschäftigung sich dem Schacher zu ergeben.
Gaunereien, ja kleine Diebstähle sind daher auch bei den Söhnen
der besten Familien, welche Sonnabends als Trucheros (Hau-
sirer) die Plaza besuchen, nichts Seltenes. Nachdem zwei oder drei
Käufer angeführt sind, wird der Rest der Maaren um jeden Preis
verschleudert. Kräftige, junge Leute ziehen es vor, statt das Land
zu bebauen, zu handeln. Kredit ist bald gefunden; die Maaren
werden verkauft und mit dem Erlös wird Hazard gespielt. Ist
der Truchero hierin glücklich, d. h. versteht er zu betrügen, so
zahlt er dem Kaufmann; wo nicht, so macht er Bankerott. Dem
Landbau werden von Jahr zu Jahr mehr Kräfte durch diesen Ge-
brauch entzogen. Die höchsten Behörden gehen, der Konstitution
zum Trotz, mit schlechtem Beispiele voran, und die Masse ver-
sumpft auch in diesem herrlichen Lande zusehends. Die Hamburger
sogenannte Jndenbörse ist ein Salon gegen die Schäbigkeit des
hiesigen Kleinhandels. Das ganze Raffinement des Handels os-
cillirt fiter im Kleinsten, und Unverstand, Erziehung, schlechtes Bei-
spiel wird auch aus den Costaricanern über kurz oder lang eine
raza perdida machen, wenn nicht im eigenen Lande eine kräftigere
Regierung Wandel schafft oder Bruder Jonathan seine Klauen
darüber ausstreckt.
Auf jedem Markte pflegen mehr Käufer als Verkäufer zu sein.
Hier ist es umgekehrt. Hier kauft und verkauft Albes. Die Frau
des Plantagenbesitzers schickt Papiercigarren zu Markte, Don Ra-
fael Escalante läßt Thee kolportiren', und für den Erlös kaufen
sie ihre Bedürfnisse. Ja man kauft, um kaufen zu können.
Man kauft nämlich Cacaobohnen ein, welche die Stelle der
Scheidemünze vertreten, da die kleinste geprägte Münze
ein Medio Real — Vis Dollar ist, und manche Produkte, wie Ba-
nanen, Orangen u. s. w., so billig sind, daß man zu viel erhält,
um sie fortzubringen. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich be-
haupte, am Sonnabend leben in ganz San Jose nicht zehn Ein-
geborene, welche eine Ausnahme von der allgemeinen Regel machen,
abgerechnet höchstens die Kinder unter drei Jahren.
Für den Touristen ist das bunte Bild solcher Markttage höchst
interessant. Er glaubt sich in eine andere Welt versetzt. Das
Schreien und Lärmen, die bunten Gruppen würden den Genre-
malern, die bei uns so dürftig ans ihre mageren Süjets Jagd
machen, für's ganze Leben Stoff bieten. Das neue, phantastische
Schauspiel, die tollsten Abwechselungen und vor Allem diese Ver-
schiedenheiten der einzelnen Physiognomien, vom steifen Don bis
zum stupiden Indianer herab, der tiefäugig und straffhaarig iu's
Blaue stiert, — das Alles regt gewaltig an und erheitert —^ben
Fremden, der den tiefen moralischen Krebsschaden der Bevölke-
rung nicht eher gewahr wird, als bis man ihm sagt: so und so
viel'Kaffee muß an den Bäumen verfaulen wegen Mangel an
Arbeitskräften.
Und, sollte man es glauben, obgleich tausend Stufen höher in
der Kultur als Nicaragua, ist auch in diesem reizenden Land oft
Mangel. Brächte man z. B. Butter centnerweise zu Markte, sie
würde verkauft werden, und doch ist bei den herrlichsten Wiesen,
bei dem schönsten Vieh der fühlbarste Mangel an Butter und Milch,
indem die angeborene Indolenz den Producenten nur so viel ar-
beiten läßt, als er nothdürftig braucht; und nur in dem Universal-
schacher muß die Ursache der dürftigen Produktionsfähigkeit ge-
sucht werden.
Ich wollte mir ein Päckchen Streichhölzer kaufen und trat zu
dem Ende in einen kleinen, unansehnlichen Laden in der Carmen-
straße. Hinter dem Ladentische stand, umgeben von einem wahren
Chaos aller möglichen und unmöglichen Gegenstände, ein kleiner,
etwas gedrungener Mann, dessen Physiognomie auf den ersten
Blick die gewöhnlichste der Welt zu sein schien, neben einer einfach
gekleideten Dame, deren Auge einen klug berechnenden Glanz warf
und deren Profil edel genannt werden durfte. Die beiden Leute
hatten Mühe, sich in dem Gewirre von Maaren, das sie umgab,
zu bewegen. Tassen, Gläser, Aexte, Spielsachen, Glasperlen-
schnüre, Kattune, Stearinlichte, Seidenzeuge, Flinten, Säbel,
Leuchter, Olivenöl, Merinos und gelbe Seife, Tinte und Kölnisch-
wasser, Flaschen, Schirme, Säcke, Peitschen, Hüte und Stiefel,
eiserne Kesseln, Machetes (Haumesser) und Guitarren, Akkordions
und Essigkaraffeu — das lag, hing und stand aus-, über- und
nebeneinander geschichtet und gedrängt, und schien kaum Platz
zum Athemholen, geschweige zur Bewegung, gelassen zu haben.
Doch das Paar bewegte sich in dem Waarenkäfig; es handhabte
Elle, wog und zählte, und während sie mit ungemeiner Zungen-
volubilität einigen Seüoras Seidenband verkaufte, demonstrirte
er gerade mit einem lauten „Jesuus!" einem Kerl in kurzer Jacke,
welcher ein paar Sporen erstand, wie wenig daran verdient werde.
Auch ich kaufte und zwar vier schachteln Streichhölzer für
einen Real.
Wer war der Handelsmann? Kein anderer als Don Ma-
nuel Joso Carazo, Minister der Finanzen und des
Krieg s der Republik Co starica,— der klügste, gewandteste,
talentvollste und — auf centroamerikanischem Standpunkte — der
gentilste Mann im ganzen Lande, nebst seiner Frau Gemahlin
Dona Mariquita.
Herausgegeben von Karl Andree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: H errmann I. Meyer in Hildburghausen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildbnrghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
ZtreMgr in den Gebirgen n»d Steppe» der Lhatchas-Mongolen und der Kirgisen.
Charakter der Steppen. — Die Kirgisen. — Bei den Chalchas-Mongolen. — Die Ulan-Kum-Wüste. — Das Tang nu-Gebirge. —
Ein nächtlicher Kampf mit Wölfen. — Giftige Scl,langen. — Die Sarcha-Wüste. — Orkane und Sandhosen. — Die Anle der Kirgisen. —
Die Sultane Baspastban, Knbaldos und Sabeck. — Gastfreiheit, Mahlzeiten und Jagden. — Eine Meteornackt am 11. August
1850. — Die Heerden in der Steppe. — Raubzüge der Kirgisen. — Begräbnißfeierlichkeiten. — Eine Postfahrt von Kopal nach Semi-
palatinsk. — Ein Fluchtversuch tscherkessischer Gefangener. —
Die ausgedehnte Landstrecke, welche von den Mün- ^ einiger Monate im Jahr auch im Hochgebirge, weil dasselbe
düngen der Wolga und des Uralstroms im Westen sich gen seinen Heerden üppige Weiden darbietet. Aber gegen den
Osten bis in die Dznngarei hineinstreckt, im Norden von Herbst treibt er das Vieh wieder zu Thal und nimmt seine
Sibirien, im Süden von Türkistan begrenzt wird, gehört Filzhütten mit sich. Sobald aber im Frühling die weite
Wasserfall des Tschimbulak im Alatau.
den Kirgisen. Sie wird allezeit eine Region nomadischer
Völker bleiben und ist recht eigentlich für Wanderhirten ge-
schaffen. Ackerbau könnte auch unter sehr günstigen Be-
dingungen immer nur in beschränktem Umfange getrieben
werden. Allerdings fehlt es nicht an Punkten, an denen
die Bestellung der Felder lohnen würde, aber ein seßhaftes
Leben ist dem Kirgisen von Grund der Seele zuwider; er ist
von der Natur selbst zum Viehhirten angelegt und durch-
streift ein Land, dessen ganze Beschaffenheit seinen Neigungen
zusagt. Nur in der Steppe ist ihm wohl, und während
Globus IV. Nr. 9.
Fläche sich mit Kräutern überzieht und die Kaiserkronen
und Tulpen ihre Millionen und aber Millionen Blumen
zeigen (— sie sind aus dem Steppenlande zu uns nach
Europa gebracht worden —), dann werden die Winter-
jurten abgeschlagen, und unzählige Heerden sind in unab-
lässiger Bewegung.
Im Allgemeinen erscheint uns das Leben der Nomaden
auf der Steppe einförmig; es bewegt sich lediglich um zweierlei
Dinge: um die Heerden und um den Krieg. Denn der Wander-
hirt ist allemal auch ein wehrhafter Mann, und der Kirgise
33
258
Streifzüge in den Gebirgen und Steppen der Chalchas- Mongolen und der Kirgisen.
zumal auch gern ein Räuber. Und doch bieten Land und
Leute reichen Stoff zu Beobachtungen. Die Kirgisen kann
man als ein Misch- und Uebergangsvolk ansehen. In ihrer
äußern Erscheinung haben sehr Biele von ihnen mongolische
Züge, aber durch ihre Sprache reihen sie sich den Stämmen
der Turkvölker an. Im Westen und Norden haben sie
Russen zu Nachbarn, im Süden Türkistaner, im Osten
Mongolen. Ihre Gesammtzahl wird höchstens 700,000
Köpfe betragen. Fast alle stehen jetzt in Abhängigkeit vom
Selbstherrscher aller Reußen, der im Fortgange der Zeit die
einzelnen Horden durch Waffengewalt oder Geschenke mehr
oder weniger unterworfen hat. Daran lag der russischen
Politik um so mehr, weil auf der ganzen Strecke vom
Kaspischen Meere bis zum Altaigebirge alle Karawanen-
wege von Süden nach Norden durch das Gebiet der Kir-
gisen laufen. Im Südosten jenseit des Balchasch- und des
Dsa'isan-Sees ziehen einzelne Sultane auf chinesischem
Gebiet umher.
Diese letzteren sind von dem vor einiger Zeit gestor-
benen Thomas Wikham Atkinson besucht und mit sehr leb-
haften Farben geschildert worden. Sechs Jahre lang, von
1848 bis 1854, hat dieser Künstler, der zugleich ein wissen-
schaftlich gebildeter Mann war, die weiten Strecken zwischen
Moskau und dem Amur, namentlich auch das südliche und
östliche Sibirien, durchzogen, und für die Kirgisen scheint er
eine ganz besondere Vorliebe gehabt zu haben. Wir wollen
ihm auf einigen seiner Streifzüge folgen.
Nachdem er den Altai durchzogen und in diesem Ge-
birge den Gipfel des Bieluka erstiegen, ging er nach Süden
hin, in das Land der Chalchas-Mongolen, und zwar
in eine Gegend desselben, welche vor ihm noch kein euro-
päischer Reisender besucht hatte. Zur Begleitung nahm er
drei Kosaken und sieben Kalmücken mit sich. Der Haupt-
mann der letzteren, Tschöck a boi, war ein kräftiger Mann
und ganz geeignet, um als Führer auf beschwerlichen Zügen
durch Steppen und Gebirge zu dienen. Er trug einen
weiten Mantel aus Roßhaut. Die Pferde trabten rasch, und
nach einiger Zeit erreichte Atkinson das Zeltlager des be-
rühmten Chalchas-Häuptlings Darma Tshren, von welchem
er gastlich ausgenommen wurde.
Von diesem aus Filzzelten (Jurten) bestehenden Lager
(dem Aul) ritt Atkinson dem Tang nu-Gebirge zu, über
wellenförmigen, mit Rasen überzogenen Boden; bald folgten
dann Hügelreihen, zwischen denen die Thäler sich von Westen
nach Osten hinzogen. Auf diese von zahlreichen Antilopen-
heerden belebte Steppe folgte unmittelbar die Ulan-Kum-
Wüste, die sich weit nach Westen hin ausdehnt und viele
kleine Seen hat. Ein blauröthlicher leichter Nebel lag über
der ganzen Gegend; als er sich verzog, erblickte der Reisende
von einem Hügel herab den Ubsa nor (Nor ist mongolisch
und bedeutet See) und den ihm zuströmenden Teß. Auch
das Tang nu-Gebirge war in seiner ganzen Länge sicht-
bar, während sich die Steppe in unübersehbarer Breite nach
Westen hin erstreckte.
Die Nacht war ruhig, die Sterne funkelten hell, die
Pferde waren derart geborgen, daß sie sich nicht weithin
zerstreuen konnten. Alles im Lager, bis aus ein paar wacht-
haltende Männer, lag in tiefem Schlafe. Da erhob sich
in nicht geringer Entfernung plötzlich ein Geheul, und sofort
waren die Kosaken und Chalchas - Mongolen auf den Beinen
und rannten zu den Rossen hin, um diese gegen die Wölfe
zu vertheidigen; denn ein ganzes Rudel dieser gefräßigen
Thiere, welche unter dem Vieh der Nomaden nicht selten
große Verheerungen anrichten, hatte sich herangeschlichen,
als das Lagerfeuer beinah erloschen war. Man ließ aber
diese Feinde mit Vorsatz immer näher heran kommen, um >
aus ein gegebenes Zeichen gemeinschaftlich zu schießen. Sie
kamen schnobernd immer näher, während alle Männer sich
platt auf den Boden gelegt hatten und ihre Waffen bereit
hielten. Plötzlich setzten sich die Wölfe in Trott und erhoben,
als sie ganz nahe waren, ein entsetzliches Geheul. Sofort
wurde einiges Strauchwerk aus die Kohlen geworfen, und
bei der rasch emporlodernden Flamme, welche einen röth-
lichen Schein auf die Raubthiere warf, vermochte man selbst
die Augen derselben zu erkennen. Nun gab Atkinson das
Zeichen, eine Menge Gewehre wurden gleichzeitig abgeseuert,
und das Heulen der Wölfe bewies, daß man nicht ver-
geblich geschossen hatte. Das Rudel zog ab, allein die
Chalchas sagten ganz richtig vorher, daß die Wölfe bald,
mit anderen verstärkt, sich wieder einstellen würden.
Und so war es auch. Einige Zeit nachher wurden die
Pferde wieder unruhig; die Wolfsbande hatte sich getheilt,
wollte diesmal von zwei Seiten her angreifen und ein-
brechen, um die Pferde in Verwirrung zu bringen, einzelne
derselben auf die Steppe hiuaustreiben, dort verfolgen und
uiederreißen. Das mußte um jeden Preis verhindert werden.
Die Wölfe kamen mit außerordentlicher Frechheit ganz nahe,
aber auch jetzt wurden sie warm empfangen. Abermals ein
gewaltiges Heulen und dann wieder völlige Stille; nur die
Rosse schnaubten.
Inzwischen hatte sich der Himmel bewölkt und es war
nun stockfinstere Nacht, so daß man keine paar Schritte weit
sehen konnte. Was thaten die Wölfe? Sie warteten ruhig,
bis Alles im Lager schlafen würde, um noch einmal einen
Angriff zu wagen. Atkinson aber meinte, sie würden genug
haben und nicht wieder kommen, die Mongolen dagegen
behielten auch jetzt Recht. Als etwa eine Stunde verflossen
war, zeigte sich abermals Unruhe unter den Pferden. Der
Himmel war wieder klar und die Sterne flimmerten. Dann
erhob sich ein Geheul, das Rudel trabte heran, und aber-
mals wurde Gesträuch, auf das schwach glimmende Lager-
feuer geworfen. Ein Rudel von acht bis zehn Wölfen stand
kaum noch zwanzig Schritte von demselben entfernt.
Auch diesmal verfehlten Pulver und Blei ihre Wirkung
nicht, und der Rest der Nacht verlief ruhig. Am andern
Morgen wurde daö Schlachtfeld besichtigt und man fand
acht todte Wölfe, welchen die Chalchas sofort das Fell ab-
zogen; die vielen Blutspuren lieferten den Beweis, daß eine
nicht unbeträchtliche Anzahl verwundet worden war.
Zwei Tage später machte Atkinson mit einer andern
Landplage Bekanntschaft. Er kam aus eine nackte Hochebene,
über welche sehr hübsche Achate und Chalcedone in großer
Menge zerstreut umherlagen; auch Bruchstücke von Sardonyx
kamen dann und wann vor. Auf diesen! steinigen Boden fand
der Reisende ein wahres Gewimmel von Schlangen.
Sie wohnen in Felsspalten, schauten mit den Köpfen aus
den Löchern hervor und pfiffen. Einige krochen rasch fort
und flohen, andere dagegen rührten (ich nicht einmal und
man tödtete eine Anzahl mit Peitschenhieben. Wer in dieser
steinigen Wüste sein Nachtlager hielte, würde sehr unwill-
kommene Schlafgefährten bekommen. Atkinson bemerkte
vier verschiedene Arten von Schlangen. Die eine ist schwarz,
drei bis vier Fuß lang, einen guten Zoll dick und sehr-
behend; eine andere hat drei Fuß Länge und schiefergraue
Farbe; andere waren graugrün oder schwarz und hatten
kermesrothe Flecken an der Seite. Die Mongolen fürchteten
sich sehr vor diesen Schlangen. „Zwei Chalchas, so schreibt
Atkinson, sprangen plötzlich zur Seite und wiesen aus eine
Schlange hin, die aus einem Steine zusammengerollt lag.
Der Kopf ragte etwa acht Zoll über den Boden hervor, die
Augen sahen roth aus und das Thier pfiff laut; es war
gewiß giftig. Ich nahm mein Gewehr, legte dasselbe auf
Streifzüge in den Gebirgen und Steppen der Chalchas-Mongolen und der Kirgisen.
259
einen hohen Stein und zielte. Die Schlange zog den Kopf
ein, behielt uns aber im Gesicht und sing wieder an zu
pfeifen, als der Kalmücke Tfchöck a boi ein paar Schritte
vortrat. Ich schoß ihr eine Kugel in den Kopf, der zer-
trümmert wurde; aber sie machte einen Satz in die Höhe
und zuckte in hundert Windungen. Nun peitschten meine
Leute auf sie los, es dauerte indeß wohl zehn Minuten, ehe
sie völlig bewegungslos war. Ohne den Kopf maß sie
sechsthalb Fuß, und der Durchmesser betrug vier und einen
Viertel-Zoll; sie war schwarzbraun und hatte an den Seiten
grüne und rothe Flecke."
Weiterhin war in dieser „traurigen Steppe" auch nicht
ein Grashalm zu sehen und kein Wasser zu finden. Dann
traten vereinzelt stachelige und salzhaltige Pflanzen auf, und
nach langen Ritte kam der Reisende an einen Steppenfluß,
dessen Namen die Mongolen selber nicht kannten. Er suchte
den Djabakan, einen Hauptznfluß des bisher noch un-
erforscht gebliebenen Ilka Aral n6r, und fand ihn zwei
Tage später. Die Quelle des Stroms liegt in den Kurus-
Bergen, unweit von jener der sibirischen Selenga, und er
ist sehr wasserreich. An der Stelle, wo Atkinson ihn über-
schritt, hat er eine Breite von ungefähr zweihundert Schritten.
Vor dem Reisenden lag nun eine Sandsteppe, welche
einen Theil der Sarcha-Wüste bildet, und diese gehört
ihrerseits zur großen Gobi. Von Pflanzenwuchs weiter keine
Spur als breite Streifen von Salsolen an den verschiedenen
kleinen Seen. Alles war still aus dieser dürren, ausgedehnten
Ebene, welche der Mensch flieht und die weder von vierfüßigen
Thieren noch von Vögeln besucht wird. „Man sagt wohl, daß
es in den Wäldern einsam sei, und ich bin oft tagelang un-
unterbrochen durch Wälder gekommen. Aber ich hörte doch den
Wind pfeifen, Blätter rauschen und Zweige knarren, auch
stürzte dann und wann ein gewaltiger Baumriese mit lautem
Gekrach zu Boden; ich vernahm ein Echo, sah einen Vogel
oder irgend ein anderes lebendiges Wesen; ich war also
nicht in einer völligen Einöde, denn mit dem Baume kann
der empfindsame Mensch gleichsam reden. Aber in dieser
dürren Wüstenei wird die Todtenstille durch nichts unter-
brochen. Ich hatte den ganzen Tag über keine Stelle ge-
sehen, welche einem Vogel oder einer Antilope Schutz hätte
geben können, und mit großer Mühe brachten wir so viel
verdorrtes Heidegras zusammen, um unser Abendessen be-
reiten zu können. Hier waren wir vor den Uebersällen der
Wölfe oder räuberischer Kirgisen'ganz sicher."
„Am andern Morgen erreichte ich einen Salzsee und
ein ausgetrocknetes Flußbett, an welchem auch nicht ein
einziger Halm zu finden ist. Alles war Sand, der meist
in kreisrunden Terrassen, oft bis zu zwanzig 'Fuß Höhe, lag,
und diese Terrassen wiederholten sich, so weit das Auge
reichte. Nach Norden hin sah ich im See einige flache
Eilande. Während ich eine Skizze dieser trostlosen Gegend
entwarf, konnte ich beobachten, wie über dem Wasser ein
Orkan sich bildete, der von Norden her gerade auf uns
zukam. Sofort beeilten sich die Kosaken und Kalmücken, die
Pferde ans Seeufer zu ziehen, weil dort hohes Schilf stand,
das den Thieren doch einigen Schutz gewähren konnte. Die
Windsbraut stürmte mit ungeheurer Schnelligkeit heran,
wühlte gewaltige Wogen auf und zog eine lange tiefe
Furche über den See. Der Orkan brüllte mächtig. Vom
Wasser ging er ans die Steppe über; hier begann er zu
wirbeln, hob ganze Terrassenhügel in die Höhe und bildete
an anderen Stellen mächtige Haufen. Aber nach einer
Viertelstunde war Alles vorüber. Wehe Dem, der von einen
solchen Wirbelsturm auf ganz offener Ebene überrascht wird!
Ich habe später gesehen, wie er vom Hochgebirge herabkommt
oder in liefen Schluchten wüthet; ich habe ihn, in einem
Durchmesser von mehreren tausend Fuß, rabenschwarz über
die Steppe mit der Schnelligkeit eines Wettrenners Hinweg-
rasen sehen; alle Thiere fliehen erschreckt vor ihm, denn
der Naturtrieb sagt ihnen, daß sie verloren seien, wenn er
sie packt. Aber zuni Glücke dauern diese Erscheinungen nur
sehr kurze Zeit."
Oestlich vom Djabakanfluß und der Sarcha-Wüste
liegt die Gobi; nach Süden hin erheben sich die Schnee-
gipfel des Thian schan mit dem Bogdo Oola, welcher sie
alle überragt. Den Ho tschöu oder Vulkan von Turfan
konnte Atkinson nicht sehen. Er ritt weiter in der Steppe,
und bald zeigte ein Kosak ihm eine Rauchsäule, welche im
Westen hoch emporstieg. Dort mußte ein Aul der Kirgisen
liegen, denn man wußte, daß in jener Gegend eine Horde
umherzog, welche durch ihre kühnen Ranbüberfälle berüchtigt
war. Deshalb traf Atkinson alle Vorkehrungen, um während
der Nacht nicht plötzlich überrascht zu werden.
Am andern Morgen ritt er zu dem Aul (sprich A-ül),
der an einem Bach im Hintergrund eines Thales lag; auch
standen Jurten etwa eine Viertelstunde Wegs von einent
See entfernt, dessen Ufer mit Rohr und Schilf umsäumt
war. Auf den Wiesen weideten unzählige Schafe und Ziegen.
Mit nicht geringer Spannung sah der Reisende zwei Reiter
heransprengen. Der eine hielt seine Hand auf Atkinson's
Brust und sprach Amen, er kam also in friedlicher Absicht
und geleitete den Fremden zu einem Zelte, vor welchem eine
mit einer Roßmähne bewimpelte Lanze stand. Ein sehr-
anständig aussehender Mann trat aus der Jurte, nahm
Atkinson's Zügel in die Hand, lud diesen zum Absteigen ein
und führte ihn in's Zelt.
So war der Reisende nun beim Sulta Baspasihan.
Dieser Kirgise war hoch und kräftig gewachsen, hatte ein
stark geröthetes Gesicht, trug einen Kalat, Oberrock, von
schwarzem Sammt, mit Zobel besetzt, als Gürtel ein kermes-
rothes Tuch und eine runde, mit Fuchsbalg verbrämte Mütze.
Diese war mit einer Eulenfeder geschmückt, und damit wurde
angedeutet, daß der Sultan ein Abkömmling Dschingis
CH an's sei. Auf dem Boden war ein bucharischer Teppich
ansgebreitet; auf diesem mußte der Fremde Platz nehmen
und der Sultan setzte erst ihm sich gegenüber, dann, auf
Atkinson's Wunsch, neben ihn; gleich nachher brachten zwei
Söhne des Sultans Thee und Früchte. Im Hintergründe
der sehr geräumigen Jurte saß auf einer Querstange ein
gewaltiger Adler neben einen: Jagdfalken. Wer eintrat,
hielt sich in achtungsvoller Entfernung von dem Sultan,
der mit einem Kosaken und dem Kalmücken Tschöck a boi ein
Gespräch angeknüpft hatte, dessen Gegenstand natürlich der
Gast aus Europa war. Der Jagdkittel, die hohen Stiefeln
und der Filzhut desselben erregten allgemeine Aufmerksam-
keit bei Männern und Frauen; aber der Gegenstand ganz
besonderer Theilnahme waren die Waffen, welche Baspa-
sihan genau prüfte. Zündhütchen hatte er nie zuvorgesehen,
und Atkinson gab den Kirgisen Proben seiner Schützenkunst,
über welche sie erstaunten. Er riß ein Blatt aus seinem
Notizbuche, bezeichnete den Mittelpunkt, und ein Kosak be-
festigte dasselbe auf einem Stabe, den er in die Erde steckte.
Auf eine Entfernung von fünfzehn Schritten traf der Eu-
ropäer mit seiner Pistole in's Schwarze.
Die Kirgisen waren darüber sehr verwundert: aber
konnte das Papier nicht etwa einen Zauber enthalten? Der
Sultan ließ ein chinesisches Gefäß bringen, das auf den-
selben Stab gestülpt wurde; auch dieses traf der Fremdling
mit der Kugel.
Baspasihan's Horde bestand aus geächteten Räuber-
nomaden, welche mit den ckinesischen Behörden ans sehr ge-
spanntem Fuße lebten. Aber Atkinson hatte nickts von ihnen
33*
Streifziige in den Gebirgen und Steppen der Chalchas-Mongolen und der Kirgisen.
262
Streifzüge in den Gebirgen und Steppen der Chalchas-Mongolen und der Kirgisen.
zu befahren und wurde glänzend bewirthet. Man schlachtete
einen recht fetten Hammel, warf denselben in einen mächtigen
Kessel, und nach Verlauf einiger Stunden war das Mahl
bereit. Der Gast mußte neben dem Sultan Platz nehmen;
vor diesem blieb ein freier Raum, um welchen die übrigen
Gäste einen Kreis bildeten.
Zuerst wurde von Dienern warmes Wasser umherge-
tragen und man wusch sich die Hände; dann trugen zwei Köche
dampfende, eimerartige Schüsseln herbei, in welchen Hammel-
fleisch nebst gekochtem Reis lag, und nun zog Jeder sein
Messer hervor. „Mein Wirth nahm ein prächtiges Stück
Fleisch, gab mir dasselbe in die Hand und langte dann für
sich selber zu. Damit war das Zeichen zum Essen für Alle
gegeben. Zuerst streckten die Männer von Rang und An-
sehen ihre Hände aus, nahmen die Stücke, welche ihnen
am besten zusagten, aßen einen Theil davon und reichten
das Uebrige den hinter ihnen Sitzenden. Diese genossen
auch ein paar Bissen und gaben das nun zwiefach Angenagte
ihrerseits an Andere, welche sich gleichfalls gütlich thaten.
Dann erst kamen die Stücke, von denen allerdings nicht
mehr viel übrig war, an die Frauen und jungen Mädchen,
welche zuletzt die Knochen den Hunden vorwarsen! Der
ganze Hammel war in kurzer Zeit verschwunden, und nun
erst wurde die Fleischbrühe herumgegeben, welche den Kirgisen
trefflich mundete. Am Schlüsse des Mahls wusch man
sich abermals die Hände."
Atkinson gab dem Sultan noch mehrere Proben seiner
Fertigkeit im Schießen, und dieser war vor Erstaunen außer
sich, als der Europäer aus 450 bis 500 Schritte in's Schwarze
traf. Am andern Tage gab er ihm das Geleit bis zu einem
befreundeten Aul und veranstaltete unterwegs eine Jagd.
Der Gast aus dem fernen Abendlande mußte einen der besten
Renner Baspasihan's besteigen, auch der Sultan und dessen
Söhne ritten vortreffliche Pferde. Der eine hatte den Jagd-
falken auf der Faust, ein anderer Kirgise den schwarzen
Adler vor sich auf einer am Sattel angebrachten Erhöhung.
Als der Zug an einen mit Gesträuch und Rohr umsäumten
Wasserlanf kam, gingen Treiber in das Gebüsch, aus welchem
bald nachher einige Hirsche hervorkamen. Sogleich wurde
dem Adler die Kappe abgenommen und er schoß wie ein Pfeil
in die Lüfte empor. Hoch oben beschrieb er erst Kreise in
weiten, dann in immer engeren Bogen, schien dann eine
Zeitlang unbeweglich, machte einige Flügelschläge und schoß
in gerader Linie aus seine Beute herab, so rasch wie nur ein
Meteor fliegt. Er hatte einen Hirsch gepackt und ihm den
einen Fang in den Hals, den andern in die Weiche geschlagen
und hackte gierig auf seine Beute ein. Ein Kirgise sprengte
hin und zog dem Adler die Haube über den Kopf. Atkinson
hat später im Alatan mit angesehen, wie diese mächtig starken
schwarzen Adler mit jungen Argalis in die Lüfte steigen und
große Böcke, welche ihnen zu schwer waren, von Felsen-
wänden in den Abgrund schleuderten.
Am andern Morgen lagen die schneebedeckten Gipfel
des Himmelsgebirges (Thian schan) vor den Augen des,
über einen so herrlichen Anblick entzückten Reisenden. Sie
hoben sich geisterbleich von dem Blau des Himmels ab;
daun wurden sie von den Strahlen der ausgehenden Sonne
beleuchtet und erglänzten wie Rubinen. Inzwischen war
im Aul Alles lebendig geworden. Mehr als hundert Männer
melkten die Stuten und brachten die Milch in Säcken nach
den Jurten. Die Füllen standen inzwischen, an Pfähle
gebunden, in zwei langen Reihen. Auf der andern Seite
wurden Schafe, Ziegen und Kühe von Frauen gemolken,
und hinter ihnen säugten die Kameele ihre Jungen. Auch
weiterhin war die Steppe belebt; dort weideten ein paar
tausend Rosse, mehr als eintausend Kühe und Stiere, zwei-
hundert und achtzig Kameele und mehr als sechstausend
Schafe und Ziegen. Die Kameele stießen ihren durch-
dringenden Schrei aus, das Hornvieh brüllte, die Hengste
wieherten und die Schafe blökten. Es war ein Heerden-
konzert, wie man es in Europa nimmermehr zu hören bekommt.
Atkinson verließ wohlbehalten den gastlichen Aul des
Sultans Baspasihan und ritt weiter über die flache Steppe,
bis er an ein Labyrinth gewaltiger Granitmassen kam, die
sich bis zu achthundert Fuß erhoben. Sie waren von un-
regelmäßiger Gestalt, boten einen höchst malerischen Anblick
dar und glichen den Ueberbleibseln einer zertrümmerten Riesen-
stadt. Jenseits derselben traf er auf Kirgisen einer andern
Horde, von welchen er gleichfalls gastlich ausgenommen
wurde, und wagte sich in den nächsten Tagen bis zum Aul
des durch seine Räubereien und Grausamkeiten weit und
breit verrufenen Sultans Kubaldos. Er fand denselben
vor dem Zelte; der gefürchtete Häuptling berührte ihm die
Brust erst mit der rechten und dann mit der linken Hand
und bewirthete ihn mit Thee, der nebst dem Kandiszucker
und getrockneten Früchten in chinesischen Gefäßen gereicht
wurde. Kubaldos betrachtete sich den Mann aus dem Abend-
lande sehr genau und war sehr erstaunt, als er vernahm,
daß derselbe weder etwas zu verkaufen hatte, noch etwas
eintauschen wolle. Gern hätte der Sultan Pulver und Blei
gehabt, allein Atkinson war klug genug, ihm seinen Wunsch
abzuschlagen, zeigte indeß auch hier wieder seine große Ge-
wandtheit im Schießen, besonders auf einer Entenjagd.
Der Kosak, welcher als Dolmetscher diente, mußte den Sultan
fragen, wie viele Tagereisen man von seinem Aul noch bis
zur Stadt Tschensi, die auch Barkul heißt, zurückzulegen
habe, und erhielt zur Antwort: bis dorthin vier, bis zum
Aul des Sultans Sabeck aber nur drei Tagereisen.*) Der
Reisende beschloß seine Richtung nach Osten zu nehmen,
um zu dem eben genannten Sultan zu gelangen. So lange
er sich als Gast im Zelte des Kubaldos befand, war er sicher.
Man setzte ihm Hyram vor, eine Speise, welche für die
oentralasiatischen Nomaden von großer Wichtigkeit ist. Sie
besteht aus einem Gemisch von Kuh-, Schaf- und Ziegen-
milch, das durch Einkochen sehr dicht wird. Man trocknet
die Masse in der Sonne, und sie bildet dann eine Art von
Käse, welcher wie Kalkstein aussieht und beinahe eben so
fest ist.
Am andern Morgen ritt Atkinson weiter. Es war
ihm auffallend, daß Kubaldos während der Nacht seinen
Aul verlassen hatte. Unterwegs erfuhren seine Kosaken von
einigen Frauen, daß der Sultan sich in einen Hinterhalt
gelegt habe, und dadurch war der Reisende im Stand, eine
andere Richtung einzuschlagen. Am Abend war er schon
weit weg und hatte nun, wie er meinte, nichts mehr zu be-
' fürchten. Der Sonnenuntergang war herrlich; das Gewölk
am Horizonte glich Massen schwimmenden Goldes und diese
waren so glänzend, daß sie das Auge blendeten. Nach und
nach verwandelte sich dieses brennende Gold in dunkles Roth,
dann in Blau, das in Abstufungen in's Grün überging, sich
bald in Gelb und zuletzt in Orangegelb verlor. Das Ganze
gewährte einen prachtvollen Anblick.
Es war in der Nacht am 11. August und Alles ringsum
still wie das Grab; am Himmel funkelten die Sterne. Atkinson
weidete sich an dieser Herrlichkeit und mochte nicht schlafen.
Da wurde plötzlich die Steppe durch ein blaßblaues Licht
erhellt, durch ein gewaltiges, blauscheinendes Meteor, das
vom Himmel langsam herabfiel und von Süden nach Norden
zog. Nach etwa dreißig Sekunden strahlte dasselbe ein blen-
') Die Gegend, in welcher sich Atkinson damals befand, liegt
so ziemlich auf dem 45.« N. Br. und etwa 9 t? Ö. Länge.
tofctenflage bei beit Kirgisen.
Mitternacht wurden sie ungemein häufig und immer schöner;
einige sahen glänzend kermesroth aus, andere wie brennend
rother Purpurs sie bewegten sich in verschiedener Richtung,
aber vorzugsweise nach Nordwest. „DieserFall von Meteoren
hielt eine ganze Stunde lang an, und ich habe während dieser
Zeit mehr als achthundert gezählt."
Steppe von einem Aul zum andern umherwandernden Barden,
welche seine und seiner Vorfahren Großthaten besangen,
fanden bei ihm stets einen freundlichen Empfang und er-
hielten reichlichen Lohn. Nicht nur jeder kirgisische Stamm
hat seine Sänger, sie kommen auch unter den Mongolen
vor, bei denen sie als To o lholots bezeichnet werden. Hier
Streifzüge in den Gebirgen und Steppen der Chalchas-Mongolen und der Kirgisen.
dendes Licht aus und dann folgte ein Geräusch, welches einem
entfernten Kanonenschüsse glich. Bald nachher erschienen
auch andere Meteore, aber sie waren viel kleiner, sehr
glänzend, von ungeheurer Schnelligkeit und ließen einen
Streifen von weißen Funken hinter sich. Um zwei Uhr nach
Kubaldos hatte die Reisenden verfolgt, sie leiteten ihn
aber durch eine List irre und kamen wohlbehalten beim
Sultan Sab eck an. Dieser war ein „Hirt der Völker"
in Homerischem Sinn und gewährte dem Europäer eine
gastliche Aufnahme. Er liebte den Gesang, und die in der
DítdaijuaJitoK azq u; jjacfc asq ;iiu smZ
Streifzüge in den Gebirgen nnd Steppen der Chalchas-Mongolen und der Kirgisen.
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wie dort besingen sie volksthümliche Thaten, werden manch-
mal dramatisch und wissen alle Hörer zu fesseln.
Der Aul des Sultans Sabeck bildete den am weitesten
nach Südost gelegenen Punkt in der Gobi, bis zu welchem
Atkinson kam. Er machte von dort einen Ausslug bis dicht
in die Nähe der nur zwei Tagereisen entfernten chinesischen
Stadt Barkul, wagte sich aber unter den obwaltenden Ver- !
hältuissen nicht bis in dieselbe hinein. Von dort ging er
weiter in nordwestlicher Richtung nach dem Ala tau und dem !
Tarbagatai (Murmelthier-Gebirge), zwischen demBalchasch- j
und dem Dsaisan-See, immer in lebhafter Berührung mit
den Kirgisen.
Diese unternehmen ihre Raubzüge, Barantas,
gegen die Heerden gewöhnlich in den heißesten Tagesstunden;
einen Aul dagegeu überfallen sie am liebsten, wenn die Nacht zu ;
Ende geht und Hunde und Hirten, durch die Nachtwache er- j
müdet und im Schlummer liegend, nicht mehr sorgfältig !
aufpassen. Am Kampfe liegt ihnen nichts, sie wollen nur j
Beute machen, und deshalb trachtet man ganz besonders da-
nach, Verwirrung in die Heerden zu bringen und so viel Vieh
als irgend möglich fortzutreiben. Aber dabei kommt es dann
manchmal zu äußerst blutigem Handgemenge.
Aller Hader zwischen den verschiedenen Stämmen hört
ans, wenn ein Häuptling gestorben ist. Dann ist weit
und breit in der Steppe Waffenruhe, Raubzüge finden nicht
statt, Feind und Freund kommen weit und breit zum Be-
gräbnisse herbei. Atkinson war Zeuge, als man den Sultan
Darma Shrim am Dsaisan-See begrub; einen Greis, der
von seinem Stamme hochgeehrt, von dessen Feinden un-
gemein gefürchtet wurde.
Sobald er den letzten Athemzug gethan, schickte man
Boten nach allen Strichen der Windrose aus, um den Todes-
fall bekannt zu machen. Die Reiter sprengten wie rasend
nach den zunächst gelegenen Aulen und überbrachten ihre
Meldung, welche dann sofort weiter durch die Steppe ge-
tragen wurde. So war sie binnen vier und zwanzig Stun-
den bis in Aule gelangt, die fünfzig deutsche Meilen weit
entfernt standen.
Ueberall bestiegen die Sultane, Häuptlinge nnd Aelte- |
sten ihre Rosse, um dem Todtcn die letzte Ehre zu erweisen, !
nnd bald langte ein Zug nach dem andern an. Beim Leichen- !
zelte stand eine hohe Lanze, an welcher ein schwarzes Tuch
flatterte: der verstorbene Sultan lag vor dem Eingänge zur
Jurte. Ihm zu Häupten stand sein Staatsstuhl, als Zeichen
seiner hohen Würde, und zu beiden Seiten desselben lagen
Sättel, Pferdegeschirr, Waffen und Kleider. Vom Zelte
herab hingen in großen Falten Vorhänge von chinesischer
Seide herab, und Frauen stimmten Todtengesäuge an. Sie
hielten dabei den Blick auf die Leiche gerichtet und wiegten
den Oberleib hin und her. Das Ganze machte einen feier-
lichen und pathetischen Eindruck. Die Männer traten gruppen-
weis vor, knieten, setzten sich dann und stimmten in die
Todtenklage ein. Man hörte weder Geschrei noch Schluchzen,
auch raufte keine Frau sich die Haare ans.
Gleichzeitig fand hinter dem Zelt eine andere Feier-
lichkeit statt. Mehrere Männer schlachteten zehn Pferde und
einhundert Hämmel für den Leichenschmaus; unter großen
Kesseln prasselten die Flammen und die Köche schwangen
mit blutigen Armen mächtige Löffel. Das Ganze hatte einen
barbarischen nnd phantastischen Anstrich, besonders als die
Nacht hereingebrocheu war und die verschiedenen Gruppen
mehr oder weniger beleuchtet waren. Die Leichenfeier dauerte
volle sieben Tage; während dieser Zeit kamen und gingen
fast in seder Stunde Sultane und Krieger. Erst ani achten
Tage wurde Darma Shrim begraben. Man zog ihm das
Festkleid aus, legte ihn in eine neue Hülle und mit dieser ans
Globus IV. Nr. 9.
ein Kameel, das ihn bis an die Gruft brachte. Aus einem
zweiten Kameele war fein Thronstuhl befestigt; dann folgten
erst seine beiden Pferde und hinter diesen seine Frauen und
Töchter nnd andere Weiber, unter Leichengesängen; nach-
her kamen Mollahs und Krieger, gleichfalls singend. Als
die Leiche in die Gruft gelassen wurde, sprachen die Mollahs
Gebete und erzählten von den Großthaten des Verstorbenen.
Man opferte die beiden Rosse, legte eins derselben an jede
Seite des Verstorbenen, und nun erst schaufelte man Erde
in's Grab. Hinterher wurde ein Schmaus gehalten; im
Ganzen waren bei dieser Gelegenheit einhundert Pferde und
eintausend Hämmel geschlachtet und verzehrt worden. Die
Frauen sangen gleich nach dem Begräbnisse noch einen
Leichengesang vor den Waffen nnd Sätteln Darma Shrim's;
dann folgten Leichenkomplimente. Die Familie des Sultans
mußte noch ein ganzes Jahr lang an jedem Morgen und
Abend Trauergesänge anstimmen.
Von der Stadt Kopal aus, die im Westen des Ala
tau liegt, durchstreifte Atkinson manche Theile dieses Ge-
birges, das wahrhaft großartige Landschaftsbilder darbietet.
Auf der Nordseite brechen nicht weniger als elf Ströme
hervor, welche in den Balchasch-See fließen, und zumTheil
prachtvolle Wasserfälle in phantastischen Felsenlabh-
rinthen bilden. Von Kopal ging der Reisende im Herbst
1850 wieder nach der sibirischen Grenzstadt Semipala-
tinsk, und zwar in leichten Tarantassen, Steppenfuhr-
werken.
Das war eine wilde Fahrt. Wir ritten, sagt Atkinson,
zuerst auf Kosakenpferden nach einem etwa neun deutsche
LN eilen entfernten Aul, von wo unsere Führer nach ihrer
Station zurückkehrten. Wir unsrerseits erhielten Pferde,
deren sechs vor unsere Tarantasse gespannt wurden. Ein
Kosak setzte sich vorn auf und nahm die Zügel der beiden
Stangenpferde; auf jeden der vier anderen Gäule setzte sich
ein Kirgise; aber die Thiere waren hartnäckig und wollten
nicht vorwärts. Darüber gcrieth der Häuptling in große
Wuth und ließ noch sechs Pferde Vorspannen, so daß nun
vor dem leichten, scheinbar zerbrechlichen Wagen nicht weniger
als ein Dutzend Gäule waren. Diese mußten fort, weil
der Alte sechs Kirgisen als Postillone nebenher reiten ließ,
und diese es an derben Peitschenhieben nicht fehlen ließen.
Aber die Pferde bäumten, einige sprangen zur Rechten,
andere zur Linken, und es war ein Wunder, daß nicht alles
Zeug riß. Erst nach langen, höchst mühseligen Anstrengungen
konnte man die des Ziehens ungewohnten Thiere in die Reihe
bringen, und dann flogen sie wie der Wind über die Steppe.
Ich werde diesen Augenblick niemals vergessen. Die in
hohem Grad aufgeregten Führer kümmerten sich weder um
mich, noch um die Tarautasse; für mich aber war es eiue
schwierige Aufgabe, mich im Wageu festzuhaltem Das
Gauze war nicht etwa eine Postfahrt, sondern .glich einem
Wettrennen im Cirkus eines Kunstreiters. Länger als eine
Stunde rannten die Pferde in vollem Galopp, dann wurden
sie etwas ruhiger, aber manchmal machte doch das eine oder
andere den Versuch, sich zu befreien. Als wir bei der nächsten
Station ankamen, waren die Thiere weiß von Schaum. —
Atkinson kam mit heilen Gliedern in Semipalatinsk
an, und erfuhr dort zu seiner nicht geringen Neberraschung,
daß er für einen Landesfeind gehalten wurde. In der Stadt
Barnaul am Obi (nördlich von Semipalatinsk) war bei
Nacht und Liebet eine Schaar von Grenzkosaken eingeritten,
mit der Meldung, daß Nomadenhorden eingebrochen seien,
welche Alles mit Feuer und Schwert verheerten. In Barnanl
lagen gerade damals Gold und Silber im Werthe von vielen
Millionen Rubeln, und auf diese hätten die Räuber aus
der Steppe es abgesehen. Zuerst hieß es, sie feien dreitausend
34
266
Zur Kennzeichnung der Menschen und der Dinge in Nordamerika.
Mann stark, diese Zahl wurde aber bald auf achttausend
vergrößert. An ihrer Spitze stehe der Engländer Atkinson,
der sie alle mit gezogenen Gewehren bewaffnet habe!
Der Stafettenwechsel zwischen Barnaul, Omsk und
Tobolsk war sehr lebhaft, ganz Westsibirien war in Auf-
regung und nach dem Altaï wurden Truppen mit Feld-
kanonen geschickt. Am Ende stellte sich heraus, was an der
ganzen Sache eigentlich war.
Etwa vierzig gefangene Tscherkessen waren in den
Altaï gebracht worden, wo man sie an einem kleinen Flusse
mit Goldwäschen beschäftigte. Nach und nach hatten sie sich
so viel Gold bei Seite geschafft, um von tatarischen Handels-
leuten Gewehre und Schießbedarf kaufen zu können. Dann
war es ihnen gelungen, bei nächtlicher Weile Pferde zu
Zur Kennzeichnung der Menschen
Die Ausartung im öffentlichen und gesellschaftlichen Leben. — Ole
der Abolitionisten. — Der >
Der Gang, welchen die Ereignisse in der großen trans-
atlantischen Republik seither nahmen, hat die Leser des
Globus nicht überraschen können. Wir hielten es von vorn-
herein für eine Pflicht, zur Beseitigung von Vorurtheilen
und Täuschungen beizutragen, welche in Europa und nament-
lich bei uns in Deutschland ziemlich allgemein verbreitet
waren. Man hatte sich daran gewöhnt, in den Vereinigten
Staaten eine Art von Musterrepublik zu sehen/und ließ sich
durch den beispiellosen materiellen Aufschwung und das
rührige Treiben iin öffentlichen Leben blenden. Man über-
sah, wie allmälig Alles mehr und mehr ans artete, wie
eine, in der Weltgeschichte beispiellose Korruption gleich
einem tödtlichen Krebs um sich fraß und endlich auch das
Herz annagte. Ueberlieferungen aus früherer Zeit, welche
den Menschen und den Verhältnissen unserer Tage gegen-
über alle Berechtigung längst verloren hatten, behielten in
Europa noch ihre Geltung, als die nordamerikanische Re-
publik in ganz anderen Zuständen sich befand und von sich
selber abgefallen war.
In Nordamerika selbst haben die Blassen sich lange
Zeit über die Lage der Dinge getäuscht, während es an ein-
zelnen scharfblickenden Leuten nicht fehlte, denen nicht ver-
borgen blieb, was da kommen mußte. Sie sahen und sagten
voraus, daß das stolze Gebäude zerfallen müsse, gleichviel
ob über kurz oder lang. Es ist auch in Trümmer gegangen
durch Fanatismus, Geldgier und Parteiwuth. Die
nnkontrolirte Demokratie des Aankeelandes, nachdem sie
ein Spielball einer großen Schaar von Handwerkspolitikern
und Stellenjägern geworden, hat sich selbst zu Grunde ge-
richtet und in sittlicher und politischer Beziehung einen
Bankerott gemacht, der schimpflicher und schmachvoller nicht
gedacht werden kann.
Das ist eine niederschlageude Wahrheit, aber dieThat-
sache läßt sich nicht in Abrede stellen. Die Union ist zer-
trümmert und die prahlerische Ruhmredigkeit der Aankees
ganz und gar zu Schanden geworden. Die Berichte, welche,
leider auch von deutschen Fanatikern, Abolitionisten und
Aemterjägern, noch immer in unseren Zeitungen erscheinen,
können über die Sache selbst nicht täuschen und an der-
selben nichts ändern. Man lese z. B. die Berichte des
Dessäuers Hermann Raster in der Augsburger Allge-
meinen Zeitung; sie haben sich als ein langes Gewebe von
rauben, und sie ritten nach der chinesischen Grenze hin.
Anfangs schien Alles ihre Flucht zu begünstigen, sie kamen
ungehindert über das Sayauskische Gebirge und ritten dem
Tang nu-Gebirge zu. Kamen sie über dasselbe, dann wären
sie gerettet und im Lande der Chalchas gewesen, von wo
aus sie zu den Kirgisen und weiter zum Kaspischen Meere
gelangen konnten. Aber es fehlte ihnen an einem zu-
verlässigen Führer, und sie verirrten sich wieder in den Altai
zurück, wo sie mit Kosakenposten zusammentrafen. Von nun
an wurden sie gehetzt wie das Wild, in eine Schlucht gedrängt
und, va sie keinen Pardon verlangten, nach tapferer Gegen-
wehr niedergemacht, bis auf vier; diese kanien zwar mit
dem Leben davon, man weiß aber nicht, was aus ihnen
geworden ist.
»Ild Kr Dingt in Nordamerika.
aufm und Gustav Struve über die Corruption. — Die Phrasen
nmbuZ im Parteiwesen. —
Unwahrheiten herausgestellt und sind eingegeben von einem
an den Wahnwitz streifenden, geradezu blutgierigen Fana-
tismus. Was hat denn das Pochen und Prahlen gegen
die „Rebellen" geholfen? Und wie lächerlich nimmt es sich
aus, wenn rothe Demagogen von Profession in einem Lande,
das einst wegen der Theetaxe eine Revolution machte, einem
Dutzend Staaten, die für ihr gutes Recht und für ihre Un-
abhängkeit kämpfen, verwerfen, daß sie „Rebellen" seien.
Gracchi, de seditione querentes! Und wie kindisch, ja
wie frevelhaft erscheint es, den barbarischen Unterjochungs-
krieg, welchen die Jankeestaaten gegen den Süden führen,
als einen Kampf für Freiheit und Civilisation auszu-
geben! Die Sache wird dadurch nicht anders, daß man
den Neger in den Vordergrund stellt, gegen Sklavenhalter
und Sklaverei mit ganz nichtswürdigen, hohlen Redensarten
deklamirt, während man gleichzeitig, gerade von Seiten
des Nordens, in berechneter, raffinirter Weise diesen Neger
in ganzen Hekatomben auf die Schlachtbank liefert; während
der Pöbel in den großen Städten der „freien" Staaten
Razzias gegen die Schwarzen unternimmt, sie todtschlägt
und ihre Häuser einäschert; während Präsident Lincoln eben
diesen Negern erklärt, daß sie ein „Unglück" für das Land
seien. Nie ist die Heuchelei schamloser aufgetreten.
Wir haben unsere Ansichten über die Stellung des
Negers zum weißen Menschen oftmals ausgesprochen und
gehen jetzt nicht näher darauf ein. Heute wollen wir nur
hervorheben, daß noch kein einziger Abolition ist zu
sagen gewußt hat, was man mit den vier Mil-
lionen Negern anfangen solle, falls dieselben
„frei" würden. Von einer wirklichen und vollständigen
praktischen Gleichberechtigung im gesellschaftlichen und im
staatlichen Leben kann, das giebt auch der Norden zu, gar
keine Rede sein. Wozu uun das Geschrei gegeu die „Sklaven-
halter und Niggerbarone" ? Wären vier Millionen eigen-
thumslose schwarze Proletarier, in welchen der zahlreiche
weiße Pöbel seine ärgsten Feinde sieht, ein Glück und nicht
eine schlimmere Plage als eben so viele wohlgenährte und
wohlgekleidete „Sklaven" ? Mit bloßen Redensarten ist aus
einer verhängnißvollen Alternative nicht herauszukommen,
und eine praktische Antwort auf die Frage hat, wie ge-
sagt, noch kein Abolitionist gegeben. Die Abolitionisten,
diese Fanatiker der hohlen Phrase und Floskel, sind die
Zur Kennzeichnung der Menschen nnd der Dinge in Nordamerika.
267
ärgsten Feinde, welche der Neger je gehabt hat; sie ver-
fahren gegen ihn in der That als „Exterminatoren".
Und welch ein Geschrei erheben diese Fanatiker der
Floskel gegen Alle, die nicht in ihren Jens einstiunnen! Sie
stellen sich hin, als ob sie allein Recht hätten, während sie
doch, unter dem heuchlerischen Deckmantel einer Pseudo-
philanthropie, gegen alle Geschichte und Erfahrung Sturm
laufen. Man sieht, wohin Nordamerika und die Neger
durch sie gebracht worden sind. Aber freilich, es liegt im
Wesen des Fanatismus, das; er dem gesunden Menschenver-
stand abgekehrt und für Vernunftgründe platterdings un-
zugänglich ist. Er möchte allein das große Wort führen,
aber die Thatsachen strafen ihn Lügen.
Wir wollen eine Reihenfolge von Beiträgen mittheilen,
welche dazu dienen können, einen Einblick in die nordame-
rikanischen Verhältnisse zu gewähren. Nicht nur kennzeich-
nende Darstellungen in Hülle nnd Fülle werden wir bringen,
sondern auch eingeborene Amerikaner aus dem Norden und
Süden und Deutsche verschiedener Parteien urtheilen lassen.
Auf solche Weise erhalten wir bunte Mosaikbilder, und der
Leser kann, in Hinblick auf die Thatsachen, ein Arth eil fällen.
Auf solche Weise legen die Amerikaner selber Zeugnis;
über sich ab und sitzen über sich zu Gericht. Streng ist ein
solches über sie gehalten worden von Gustav von Struve.
Dieser Mann ist in manchen seiner Ansichten excentrisch
und abstrakt, ist in der Negerfrage auch nicht über die
Redensart hinausgekommen; was er also in dieser Be-
ziehung gesagt, hat gar keinen Werth. Aber er ist kein
Stellenjäger geworden, wie so mancher Deutsche; mit seiner
Ueberzeugung hat er es stets ehrlich gemeint nnd er ist un-
eigennützig geblieben. Wir lesen, er habe den Staub des
Pankeelandes von seinen Füßen geschüttelt und sei wieder
nach Europa zurückgekehrt.
Wo er als unmittelbarer Beobachter anstritt, kann
man dem wahrheitsliebenden Manne trauen. Die Aus-
artung ini öffentlichen Leben Nordamerikas empörte ihn,
und er gab 1855 seiner Entrüstung Worte in einem zu Neu-
Pork gedruckten Buche, das bei uns in Deutschland wohl
nur Wenige kennen: „D ie Un ion vor d em Ri ch terstuh le
vesgesundenMenschenver st an d e s." Es wirst Schlag-
lichter auf die Dinge, welche wenige Jahre später sich er-
eigneten und die jetzt ihren wilden, grauenhaften Verlauf
nehmen. ,
„Die Zeit des einträchtigen und friedlichen
Zusammenlebens verschiedenerNationalitäten im
Schooße der Union, die Zeit des gesetzlichen Stre-
bens und verfassungsmäßiger Gesinnung hat
augenscheinlich ausgehört. Schon das Auftreten
der Know Nothings hat dem bisherigen Zustande
der Union ein Ende gemacht. Keinem Potentaten
Europas wird von gemeinen Aemterjägern so viel
Weihrauch gestreut als dem amerikanischen Volke.
Da ich nach keinem Amte hasche, erwartet wohl
Niemand von mir Schmeicheleien. Ich sage bittere
Wahrheiten."
So schrieb Struve schon 1855. Doch bevor wir seine
Wahrheiten hören, möge erst ein anderer Deutscher sprechen,
gleichfalls ein rechtschaffener Mann, OlsHansen aus
Schleswig-Holstein. Auch er ist uicht frei von Abstraktionen
und gehört der sogenannten republikanischen Partei an, durch
welche alles Unheil über das Land gekommen ist, aber er
gehört nicht zu den eigentlichen Exterminatoren und das Ge-
wissen in ihm regt sich. Er sagte, als Redakteur der zu
St. Louis in Missouri erscheinenden „Westlichen Post",
im Februar 1861 (die Nummer liegt vor uns) Folgendes:
„Auch wer nicht zu den Schwarzsehern und Unglücks-
propheten gehört, hat reichlichen Stofs zu Besorgnissen für
die Zukunft. Zn viele Dinge geschehen in dieser
Republik, welche an das von Thukydides geschil-
derte Griechenland oder das von Tacitus ge-
schilderte Rom erinnern. Wenn heute unsere Zustände
einen solchen Maler fänden, so möchte das Gemälde nicht
viel erfreulicher werden. Das Volk hat das Beispiel
nnd die Lehren seiner Väter vergessen. Das gegen-
wärtige Geschlecht ist zwar der Erbe der Wohlthaten und
der weisen Anordnungen jener Männer, aber nicht ihrer
Tugenden. Nach Nom flössen die Schätze der Provinzen
und Nom sank. Diese Republik hat kaum drei Generationen
gesehen und schon droht die Fülle des Reichthums das Volk
zu entnerven. Daß auch die höchsten Beamten käuflich,
daß ihr Sinn mehr durch den Hang nach Geld als von
Bürgertugenden beherrscht wird, ist traurig; trauriger aber,
daß selbst das Volk die Achtung vor der Tugend
und die Verabscheuung des Lasters vergessen hat.
Die Proletarier Roms verlangten nur Brot und Schau-
spiele; sie bewahrten sich in ihrer Versunkenheit doch noch
einen Rest von Tugend, einen Hauch von dem Edeln, aber
dieses amerikanische Geschlecht ruft nur nach Gold!
Gold öffnet die Pfade der höchsten Ehren; Gold ist das
einzige Ziel der Begeisterung des Jünglings und der Liebe der
Jungfrau, Gold heißt das Kalb, welches von diesem Ge-
schlecht am heißesten angebetet wird; Gold ist sein Gebet
am Morgen wie am Abend, die Hingebung für das Volk
wird als Thorheit verlacht, die ehrliche Armuth verspottet,
aber dem glücklichen Gauner wirft man sich zu
Füßen wie ein Sklav."
Struve sagt: — „Eine Partei des Fortschritts,
welche auf allen Gebieten des Lebens: in Religion, Staat
und Gesellschaft, in Fragen des Handels und Bodens für
eine freie Entwickelung gewirkt hätte, gab es seither in
Amerika nicht. Hier bilden Interessen den Angelpunkt
aller Bestrebungen, in Europa dagegen Principien. Hier
sind die wichtigsten Fragen durchgängig im Sinne der Un-
freiheit gelös't worden. — Der Amerikaner ist hochmüthig,
und möchte die Fremden am liebsten ganz austreiben; er ist
aber auch habgierig und möchte sie deshalb, so gedrängt wie
Häringe in der Tonne, einführen."
Unser Landsmann schildert das öffentliche Leben und
nimmt in Nordamerika dieselbe Geistesrichtung wahr, wie
er sie in Rußland gefunden hat. Dann sagt er: „Ich
bin fürwahr kein Freund der Despoten, aber ich nehme
keinen Anstand zu erklären: so niedrig wie hier wird
in keinem Staat Europas um die Gunst des
Souveräns gebuhlt. Die Aemterjäger fingen damit
an, die guten Eigenschaften des amerikanischen Volkes:
seine frische, ungestüme Kraft, seine Geschäftsgewandtheit
und seinen Thatendurst, in übertriebenem Maße zu preisen,
fuhren in ihren Lobhudeleien fort, indem sie seine Habgier,
Eroberungssucht, Eitelkeit und Herrschsucht für
Tugenden ausgaben, und sind nun auf dem Punkt an-
gelangt, daß ihnen nichts übrig bleibt, als die gegen alles
Lob stumpf gewordenen Massen zu kitzeln, den unsinnigsten
Vornrtheilen und verderblichsten Leidenschaften zu fröhnen.
Die Folge davon ist eine solche Verwirrung aller Begriffe,
wie sie selbst unter dem Joch europäischer Tyrannen nicht
schlimmer sein kann, nnd eine Korruption im Staats-
haushalte, wie sie in keinem civilisirten Staate
der Erde sich wiederfindet." „Die Entwickelung staat-
licher Freiheit besteht wesentlich darin, daß der äußere Zwang
abnimmt und immer Mehreres der Selbstbeherrschung der
Bürger anheimgegeben wird. Aber in Amerika hat sich
unstreitig im Verlaufe der Jahre der äußere Zwang auf
268
Zur Kennzeichnung der Menschen und der Dinge in Nordamerika.
allen Gebieten des Lebens ansgebreitet und ver- |
stärkt. Amerika ist auch das Land der schroffen
Extreme, welche noch weit entfernt sind von einer freund-
lichen und friedlichen Ausgleichung. Die öffentliche
Meinung kann sich hier nicht so still und ruhig, nicht so
gründlich und fest entwickeln wie in Europa. Sie wird
gemacht, theils durch die Presse, theils durch Volksver-
sammlungen und Vereine, welche alle in der Ziegel von
einer geringen Anzahl Menschen beherrscht werden. Die
Geistlichen, die reichen Kapitalisten und die Politiker von
Profession spielen dabei die Hauptrolle. Die Masse des
Volks ist hier nicht selbständiger als in Mittel-
europa. "
„Der Schrei gegen die herrschend? Korruption wird
von Tage zu Tage lauter, und die Frechheit, mit welcher die
gewissenlosen Aemterjäger ihre dem Volke gegebenen Zu-
sagen brechen, weckt manche schlummernde Kräfte. Aber
das Parteiwesen hat sehr wenige erquickliche Seiten. Die
Widersprüche sind hier schroffer als irgendwo sonst, und
die Gewissenlosigkeit, mit welcher nach dem Ziele ge-
strebt wird, ist wahrhaft haarsträubend. Alles trägt den
Parteistempel, und jedes Mittel: Lüge, Gewalt und
Bestechung, wird ergriffen, um den Sieg zu gewinnen. Die
Vereinigten Staaten führen den Beweis, daß kein hoher
Grad von Bürgertugend erforderlich ist, um einer Republik
das Dasein zu fristen."
Der Hochmuth der Amerikaner charakterisirt sich
in einem öffentlichen Aufrufe, welchen die Nativ isten er-
ließen. Sie erklärten sich „für das königliche Blut von
Amerika"; es sei „Hochverrath", wenn ein im Auslande
Geborener sich „ Antheil am Besitz amerikanischer Rechte,
Freiheiten und Vortheile anmaße." Dann sagten sie:
„Durch Handarbeit allein kann der Ausländer
hier nützen, und es ist die Pflicht und das Recht
des amerikanischen Volks, die Fremden darauf,
als den einzigen, ihnen angemessenen Berns, zu
beschränken."
Das ist der Pankee in seiner Entpuppung, der „Träger
der Freiheit und Civilisation", wie deutsche Blätter sich ans-
drücken. Strnve meint, solche Aeußerungen seien „sehr
unrepublikanisch und sehr unvernünftig". Er sagt weiter
in Bezug auf die Parteien: „Wenige Drahtzieher
halten eine geheime Versammlung, entwerfen einen Plan,
gewinnen durch Geld und Versprechungen Redner und
Agitatoren, verkünden ein Programm, das sie für geeignet
halten, die Massen zu täuschen, und fangen an, das
Eisen zu schmieden. Schlaue Betrüger suchen dadurch, daß
sie mit großer Heftigkeit die niedrigen Eigenschaften der
Blasse aufwecken und deren Spannkraft aus bedeutungslose
Nebendinge richten, Einfluß, Macht und Reichthümer zu
gewinnen."
Durch den Temperanzfanatismus, so sagt unser
Gewährsmann, der selber sehr mäßig lebt und niemals
Fleisch genießt, hat hier das ganze Leben eine so einseitige
Richtung genommen, daß alle Harmonie dadurch gestört
worden ist. Die Eintönigkeit lastet wie ein schwerer Alp
auf demselben. Selbst Amerikaner gestehen ein, daß es
unter ihnen keine Kinder gebe; nicht selten sangen Knaben
wie Mädchen schon im Alter von sechs Jahren an Geschäfts-
leute zu werden; Alles ist Geschäft; Naturgenüsse
kennt man nicht, eben so wenig eine heitere, mit ge-
ringen Kosten Allen gebotene Geselligkeit. So wenig
eigentlichen Lebensgenuß wie der Nordameri-
kaner hat kein anderes Volk der Erde; nirgends
gehen die Menschen so kalt neben einander her wie hier.
Den armen Menschen hat man nichts gelassen als die
Kirchen, und diese sind kahl, ohne allen Schmuck. Auch
die höhere Gesellschaft leidet an einer geisttödtenden Ein-
förmigkeit; sie ist nur eine traurige Kopie der letztern, ohne
deren geschichtlichen und politischen Stützpunkt. Selbst die
Künste sind hier freudenlos.
So schildert Strnve die gesellschaftlichen Ver-
hältnisse; wir wollen nun hören, was er über das Poli-
tische Leben zu sagen hat.
In eineni Staate, in welchem das allgemeine Stimm-
recht den Ausschlag giebt, muß jede Partei darauf hin-
arbeiten, die Massen und deren Stimmen für sich zu
gewinnen. Bei den Wahlen bildet der Knüttel und manch-
mal auch der Revolver ein wichtiges Element; aber Gustav
Struve betont, daß es doch noch ein schlimmeres gebe als
die rohe, offene Gewaltthat. Das sind, sagt er, die
Umtriebe, welche im Stillen durch Lug, Trug und Be-
stechung gemacht werden. Ein Mann, welcher eine Wahl
auf sich lenken will, muß viele, oft sehr verschiedene
Elemente für sich zu gewinnen suchen; das aber ist nicht
möglich, wenn er nicht einen Theil derselben über seine
eigentlichen Gesinnungen täuscht. So kommt es, daß die
Politiker vor der Wahl ihre Gesinnungen proteusartig
wechseln, und ihre größte Kunst besteht darin, viele Stimmen
zu gewinnen und keine zu verscherzen.
Die Ernennung der Kandidaten geschieht ge-
wöhnlich im Geheimen. Die Führer treten zusammen und
„nominiren" Leute, welche die größten Vortheile in Aus-
sicht stellen, falls man ihre Erwählung durchsetzt. So wird
die Wahl verdorben, ehe die Mehrzahl der Wähler eine
Ahnung davon hat, daß die Hauptsache schon fertig
sei. Die Wenigen, welche im Geheimnisse sind, müssen
große Opfer an Geld und Zeit bringen, um ihre Bewerber
durchzusetzen. Niemand erwartet von ihnen, daß reine
Vaterlandsliebe sie bewegen sollte, oft viele Monate lang
ihre Geschäfte zu vernachlässigen, geheime Unterhandlungen
zu pflegen, Reisen zu machen, einflußreiche Männer und
Zeitungen zu gewinnen und dann auf die Massen zu wirken,
ohne daß ihnen dafür ein Antheil an der Beute zufiele.
Die Kandidaten selbst dürfen nicht müßig sein. Sie
reisen durch die Bezirke, halten Reden und suchen durch
allerlei künstliche Mittel Stimmen zu werben. Der eine
wird Methodist, um sich den Beistand dieser mächtigen
Sekte zu erwerben, der andere läßt sich, gleichviel ob er
schon ein hochbejahrter Mann sei, zur Taufe untertauchen,
um die Baptisten zu gewinnen; der dritte macht Schenkungen
zu Kirchenbauten; der vierte baut eine Schule und speis't die
Armen. Von den Kanzeln herab wird Politik gepredigt,
reisende Kunstredner und Geistliche durchziehen das Land
und bearbeiten die Massen. Sehr oft werden gefälschte
Wahlzettel vertheilt und Bestechungen sind bei den Wahlen an
der Tagesordnung. „Aus den Wahlen gehen meisten-
theils Gauner von Talent hervor. Reinheit des
Charakters, Gewissenhaftigkeit vertragen sich
mit den Wahlen schlecht, und ans Fachbildung
wird wenig oder gar keine Rücksicht genommen."
Es ist, so sagt Struve weiter, eine beklagenswerthe
Thatsache, daß wahre Bürgertugend hier nur selten An-
erkennung findet. Die öffentlichen Verhältnisse können
nicht so bleiben wie sie jetzt sind. Was kann das Volk von
Gesetzgebern, Richtern und Vollziehungsbeamten erwarten,
die aus solchen Wahlen hervorgehen?
„Im Kongresse sitzen die größten politischen
Gauner des Landes; immer lauter werden die Klagen
über die in Washington herrschende Korruption.
Wer nicht Geld mit vollen Händen um sich wirft,
kann beiin Kongresse sein Recht nicht finden. Viele
Zur Kennzeichnung der Menschen und der Dinge in Nordamerika.
269
der bedeutendsten Maßregeln werden durch direkte Be-
stechung der Mitglieder durchgesetzt."
Die Tribüne schrieb im März 1855: „Das große
Werk der Entsittlichung schreitet auch im Repräsentanten-
hause fort; der Senat ist ihr ohnehin längst verfallen;"
sie führt die Worte eines frühem Staatsmannes aus besseren
Zeiten an. Er ahnete was kommen würde, und schrieb:
„Wenn jemals die Korruption in unser stolzes Kapitol ein-
dringt und käufliches Verbrechen, ohne zu errvthen, durch
unsere Hallen geht, wenn Schwelgerei, Ausschweifung und
Bestechung herrschen, dann sind wir gescheitert an den-
selben Klippen, an welchen andere Republiken zu Grunde
gingen."
Und daran ist die Aaukee-Union gescheitert. „Be-
stechung ist zum regelmäßigen Hebel der Gesetz-
gebung in Washington geworden", sagtStruve, und
führt eine andere Stelle aus der Tribüne an (21. Februar
1855), in der es heißt: „Alles stinkt hier von Korruption.
Ich werde morgen abreisen, denn wenn ich länger bleibe,
werde auch ich verkauft werden. Sich für ehrlich aus-
geben, gilt hier für erheuchelte Sonderbarkeit,
welche man langweilig findet."
Alljährlich werden Millionen verschleudert an Leute,
deren Ansprüche als vollkommen grundlos nachgewiesen
sind. Aber sie besitzen Gewandtheit genug, Stimmen zu
kaufen und so ihre Anforderungen durchzusetzen. Agenten,
sogenannte Lobby-Mitglieder, umschwärmen in großer
Zahl den Kongreß, geben den Mitgliedern Feste und lassen
sie von bezahlten Frauen umgarnen. Die Mittel der
Bestechung sind vielfach; Aemter, Kontrakte, Wetten,
Quittungen für bezahlte Schulden spielen eine große Rolle,
und wer auf solche Weise einmal bestochen worden, ist auf
immer abhängig von denen, welche ihn bestachen. In den
ersten Monaten der Sitzungen wird nur geredet, nichts
gethan; aber in den letzten Tagen, kurz vor Schluß der
Session, jagt man die wichtigsten Geschäfte im Sturm-
schritte durch beide Häuser. > Das geschieht in Folge ge-
heimer Verhandlungen hinter den Coulissen, und erst nach-
dem alle Rollen' ausgetheilt sind. Man bringt die
Maßregel gegen das Ende der Session vor, wenn die Ge-
schäfte sich dermaßen drängen, daß man sich kaum die Mühe
nimmt, die wichtigsten Verhandlungen auch nur anzuhören;
man stimmt wie die Freunde wollen und leistet diesen den-
selben Dienst. Vieles wird durch Ueberrumpelung durch-
gesetzt und der Präsident ist selten entschlossen genug, sein
Veto einzulegen; er selber wird oft überrascht. Und der
Kongreß ist das Muster, nach welchem sich mehr oder weniger
alle gesetzgebenden Versammlungen der verschiedenen Staaten
richten; "sie sind in kleinerm Maßstabe, was jener im Großen.
(— Wir wollen hinzufügen, daß 1861 die ganze Gesetz-
gebung von Wisconsin, keinen Mann, auch den Gouverneur
nicht ausgenommen, bündig überwiesen wurde, von Eisen-
bahnspekulanten mit Geld bestochen worden zu sein. Ans
diesen Gegenstand werden wir speciell zurückkommen. —)
Auch mit der Rechtspflege ist es schlimm bestellt,
und der Jurist Struve führt eine lange Reihe von Belegen
auf. Daß notorische Mörder freigesprochen werden, kommt
alljährlich zu Dutzend und aber Dutzend Malen vor. Sehr oft
verschwinden Zeugen und Ankläger dann, wenn sie den Ge-
richten Mittheilungen machen sollen. Der phantasiereiche
Idealist Struve hoffte 1855 Beseitigung aller jener „Miß-
stände" schon aus dem Grunde, weitste öffentlich besprochen
werden dürfen. Aber sie sind seitdem nur noch ärger und
kolossaler geworden, denn anch die Presse ist mehr oder
weniger korrumpirt, und das Unwesen hat sich immer
höher aufgegipfelt, seitdem Kontrakte im Belaufe von mehr
als 500 Millionen Dollars für Lieferungen vergeben wurden,
von denen ein beträchtlicher Theil an Zeitungsbesitzer kam.
Struve hoffte, „daß durch den belebenden Hauch der Frei-
heit ein Nebel nach dem andern ausgcrottet werden könne."
Aber die Amerikaner haben die Diktatur und die Tyrannei,
und die Freiheit ist zu Grabe getragen. Er meinte, die
Mißbräuche könnten durch den bloßen Willen des „Volks",
das er doch selbst als unmündig erkannt und hingestellt hat,
ohne eine Revolution abgestellt werden. Es ist ganz anders
gekommen.
Wie tief Demoralisation und Schamlosigkeit sitzen
und wie alles Gefühl für öffentlichen Anstand geschwun-
den ist, ergiebt sich aus Folgendem. Vor nun etwa vier
Jahren er-mordete ein Repräsentant dem Staate Neu-Jork,
Daniel Sickles, einen Mann, Namens Barton Key,
der gleich ihm Stellenjäger und politischer Abenteurer war.
Sickles hatte Key's unsittliches Verhältnis; niit seiner Frau
lauge gekannt und sah durch die Finger. Als aber wegen
eines mit der Politik zusammenhängenden Geldgeschäfts
Streit zwischen Beiden entstand, lauerte Sickles seinem
Gegner auf und fchoß ihn am hellen Tag auf der
Straße todft. Während des Processes kamen verruchte
Dinge zu Tage. Die Geschworenen, durch Sickles'Freunde
„gewonnen", sprachen den Mörder frei. Er habe seine
Ehre rächen wollen; — aber er nahm seine entehrte Frau
wieder zu sich, ehe ein Monat verflossen war; die Wähler
in Nen-Uork kündigten dem Mörder und ehrlosen Aemter-
jäger sein Mandat nicht; er blieb nach wie vor im Kongreß,
und jetzt ist der ehemalige Advokat — General in der Unions-
armee. Am 9. April 1863 hielt Präsident Lincoln Heer-
schau über die Polomac-Armee; neben ihm ritt, in dem aus
vier Generalen bestehende Ehrengeleit — Generalmajor
D. Sickles. Madame Sickles, die schöne Frau, fuhr
hinterher in einem Galawagen!! Herr Karl Schurz ritt
auch nebenher.
Struve schrieb, wie bemerkt, im Jahre 1855. Die
gegenwärtige Lage der Dinge zeigt, daß die Zustände un-
endlich ärger geworden sind, und die Thatsachen reden laut.
Wir erwähnten, daß die Presse erkauft werde; in welcher
Weise das geschieht, ergiebt sich daraus, daß der Redakteur
der zu Oien-Port erscheinenden „Evening Post" vom Prä-
sidenten zum „Navy-Agent", Marineagenteu, ernannt
worden ist und als solcher einen Jahresgehalt von
50,000 Dollars bezieht!
Wir finden diese Angabe in der deutscheil „Neu-Porler
Staatszeitnng" vom 12. März 1863. Die Staatszeitnng
ist das verbreitetste deutsche Blatt, übt großen Einfluß, hat
allzeit ihre demokratische Farbe behauptet und hält streng
an der Verfassung. Insbesondere eifert sie gegen die Kor-
ruption; sie weis't nach, daß Senator Wilson, ein Haupt-
lieferant, Unrecht hatte, zu behaupten, es gebe im Lande
keine Gesetze, uni die Betrüger zu erreichen. Sie ruft:
Für die Lieferanten der gegenwärtigen Bundesregierung
ist freilich der Arm der Gerechtigkeit nicht laug
genug, denn was ist das Resultat all<r Unter-
suchungen gewesen? Was ist aus dem umfangreichen
Material der tugendreichen Untersnchungskommission Holt,
Owen und Davis geworden? Den Einen hat mau aus dem
Repräsentantenhause vertrieben und in die Armee gejagt,
dem Zweiten hat man mit einem Generalauditoriat, dein
Dritten mit einer Sinekure, einem Vierten mit einer Richter-
stelle den Mund verstopft. Bergehohe Betrügereien kamen
an den Tag, und erschreckt und kleinlaut verbarg man
jeden Betrug, als man fand, wer die Betrüger seien.
Nur wenn ein armer Teufel processirt wird, weiß etwa ein
Lincoln'sches Kriegsgericht einen Spruch zu finden. Man
270
Das blutige Drama auf Madagaskar.
kann in unseren Tagen ein gewaltiger Spitzbube sein und
nicht nur straflos ansgehen, sondern sogar zu höheren Ehren
gelangen, nur dars man nicht aus der Schule schwatzen.
Und diese Schwindlerbande spielt die Rolle der Unions-
retter !"
Ein notorischer Gauner und Räuber, General
Butler, der Tyrann von Neu-Orleans 1862, wurde in
Boston und Neu-Port mit Serenaden feierlich als Kriegsheld
bewillkommnet; man mußte ihn abberusen, aber auch unter
seinem Nachfolger Banks „stehlen und rauben die Unions-
beamten dort ganz schamlos. Der Präsident hat Räuber
und Schwindler in's Amt eingesetzt; Andere, welche
schändlicher Verbrechen überführt worden, hat er
der Strafe entzogen, sie im Amt erhalten und
Manche mit neuen, einträglicheren Ehrenposten be-
lohnt." (Neu-Aorker Staatszeitung vom 11. April 1863.)
Wir wollen diesen Aufsatz mit einer Betrachtung
schließen, welche wir in der deutschen Nen-Porker Jllustrir-
ten Zeitung vom 19. Juni 1863 finden.
„Es sind eigentlich nur sechszehn Personen, welche das
politische Wetter unserer guten Stadt Nen-Pork machen.
Es wird soviel geredet vom Einflüsse des Parteiwesens, von
der Macht der Parteien rc. re. Das ist Alles Mond-
schein; die Partei an und für sich hat weder Einfluß noch
Macht, sie ist eine ungeschlachte, formlose Masse,
die erst durch den souveränen Willen einiger weniger Führer
Gestaltung erhält. Volksherrschaft und Volkssouve-
ränetät sind in unserm politischen Leben längst zur
Phrase geworden; das Volk gehorcht und parirt blind-
lings Ordre, das Herrschen wird von einemDutzend
Schlauköpfen besorgt, die man sehr passend als
„Drahtzieher" bezeichnet, wodurch sich die Massen
selber als Marionetten bekennen. Fünf Anhänger
Thurlow Weed's und vier Gegner desselben leiten die setzt
freilich sehr zerfahrene republikanische Partei, während sechs
Tammanyleute und der Tycoon von Mozart-Hall (Fernando
Wood), der natürlich die Sechse aufwiegt, die demokratischen
Parteigeschäfte erledigen. Um diese Leute dreht sich Alles,
sie sind das A und das O, ohne ihren Willen fällt in Neu-
Uork kein Sperling vom Dach und wandert kein Dollar
von einer Hand zur andern. Es hat sie Niemand zu ihrer
hohen Stellung berufen, sie sind aus keiner öffentlichen
Wahlurne hervorgegangen, und doch ist ihre Autorität eine
unerschütterliche; sie erhalten kein Honorar und erheben
keine direkten Steuern, dennoch verfügen sie über ein Budget,
das die ganze Verwaltung eines Königreichs bestreiten
würde; sie leben wie die Blumen des Feldes und die Vögel
des Waldes: sic spinnen nicht und arbeiten nicht, sie säen
nicht und ernten nicht — aber unser himmlischer Vater er-
hält sie doch. —" A.
Das blutige Drama auf Madagaskar.
König Nadama und die Civilifatiou. — Stellung desselben zu den Christen. — Sein Charakter; reizbares Temperament, Aus-
schweifungen. — Ausländische Ränkeschmiede. — Aberglaube. — Der 12. Mai 1863. — Eine psychische Seuche. — Die Mena maso.
— Mordpläne. — Missionär Ellis in Todesgefahr. — Der Versammlungsplatz Andohalo. — Ausbruch der Revolution. — Despotische
Verstocktheit Radama's. — Seine Ermordung. — Rabodo zur Königin ausgerufen. — Grundzüge einer konstitutionellen Verfassung;
Geschwornengericht. — Betrachtungen.
Wir haben früher schon kurz gemeldet, daß König
Nadama, der Idealist, im Maimonat in seiner Hauptstadt
Antananarivo ermordet worden ist. In der „Civilisations-
komödie", welche seit beinahe zwei Jahren auf Madagaskar
gespielt wurde, hat sich ein blutiger Akt ereignet, welcher
den Haupthelden das Leben kostete.
Die Dinge, welche sich auf der großen und schönen
Insel im Indischen Ocean begeben, haben auch für Europa
eine weitreichende Bedeutung, und wir begreifen sehr wohl,
daß die jüngste Katastrophe in England wie in Frankreich
ungeheures Aufsehen gemacht hat. Die Leser des Globus
erinnern sich, daß wir die Eifersucht der beiden großen
Seemächte eingehend geschildert haben; wir wiesen nach,
wie fest der französische Einfluß gewurzelt sei und wie die
Engländer sich bemühten, demselben entgegen zu wirken.
Jetzt wälzt nun die Londoner Presse den Franzosen, die
Pariser Presse den Engländern die Schuld auf, und doch
erklärt sich, unserer Meinung zufolge, die ganze Ange-
legenheit sehr einfach. Der europäische Einfluß, welcher
auf Madagaskar durchgreifende, unvermittelte Umge-
staltungen bewirkte, hat ohne Zweifel einen Hauptanstoß
gegeben, und man braucht nicht gerade Verschwörungen und
geheime Intriguen von Seiten der Engländer oder Franzosen
zu wittern.
Die ausführlichen Nachrichten, welche uns jetzt vor-
liegen, beweisen übrigens, wie richtig wir den idealistischen
Halbbaren und die salbungsvollen Missionsberichte benrtheilt
haben. Diese letzteren lauten jetzt ganz anders, und fassen
wir die Thatsachen iu's Auge, so stellt sich heraus, daß
Nadama der Zweite, der Hoch gepriesene, nichts
mehr und nichts minder war, als ein durch euro-
päische Einflüsse aus dem innern Gleichgewicht
i geworfener Halbbarbar, der durch die Zudring-
lichkeit einer Civilifatiou, welche er nicht ver-
stehen, begreifen, bewältigen und in sich ein-
arbeiten konnte, toll gemacht wurde.*)
Der Pariser Moniteur hat amtliche Berichte der fran-
zösischen Agenten veröffentlicht, und die Londoner Missions-
gesellschaft einen Brief ihres Agenten, W. Ellis, bekannt
gemacht. Beide ergänzen einander, doch ist in Bezug auf
die Entwickelung der Dinge die englische Darstellung klarer.
Sie wird von den Sekretären der Misstonsgesellschaft mit
*) Schon vor beinahe zwei Jahren warfen wir einen „Blick
auf Madagaskar", Globus I, S. 380, und bemerkten, daß
diese Insel bald die Aufinerksamkeit Europas in höherm Grad
auf sich lenken werde. — In Band II, S. 193, gaben wir eine aus-
führliche Darstellung, schilderten die Weltlage, die Handelserzeng-
nisse, das Volk, die Regierung, die alte Königin Ranovalo und
den neuen König. Wir gaben auch eine Geschichte der Verschwörung,
welche von Franzosen angezettelt worden war und in welche man
unsere Landsmännin Jda Pfeiffer verwickelt hatte. — In Band 111,
S. 46 findet der Leser eine Schilderung des Idealisten Radania
und der Gegensätze der französischen und englischen Politik. S. 124
gaben wir Nene Nachrichten aus Madagaskar, und S. 252 gaben
wir einen Aufsatz: „Die Civi lisationskomö die anf Ma d a-
gaskar und Napoleonische Annexionen"; wir sprachen dort
über die Bedeutung des an Frankreich abgetretenen Hafens Diego
Snarez. Eine Notiz über die französische Madagaskar-
Kompagnie steht IV, S. 224. Unsere Leser sind also völlig
orientirt.
Das blutige Drama auf Madagaskar.
271
einigen Betrachtungen eingelertet, welche wir nicht über-
gehen wollen, weil sie zeigen, daß auch in Bezug ans
Radama die Missivnsleute wieder einmal sehr sanguinisch
gewesen sind.
Die Briefe des Missionärs und Agenten Ellis
(desselben, welchem wir zwei vortreffliche Werke über Mada-
gaskar verdanken) sind vom 16. und J7. Mai, gelaugten
aber erst am 6. Juli nach London. Seit fünf Monaten
waren keine Berichte aus Madagaskar eingelaufen, weil
während der stürmischen und ungesunden Frühlingszeit der
Verkehr zwischen dieser Insel und Mauritius unterbrochen
wird. Die Sekretäre bemerken: Ellis erwähne, daß
Radama von einem seltsamen Wahne gepackt worden war;
er sei ein Opfer eigennütziger, fanatischer und lasterhafter
Menschen gewesen. Wir haben, sagen sie, Beweise, daß
er während der tyrannischen Regierung seiner Mutter jahre-
lang ein aufrichtiger Freund der schwergedrückten Christen
war, die er vor Verfolgung schützte und aus der Sklaverei
erlös'te; dabei hat er mehrmals sein eigenes Leben auf das
Spiel gesetzt. Von seiner Thronbesteigung an sind alle
seine Staatshandlungeu durch dieselben Ansichten bestimmt
worden; er verkündete gleiche Freiheit für alle Klassen seiner
Unterthanen, und die eingeborenen Christen hatten sich
seiner ganz besonder» Aufmunterung zu erfreuen.
Radama also, so fahren die Sekretäre fort, zeichnete
sich durch manche vortreffliche Eigenschaften aus; er haßte
aus Instinkt jede Grausamkeit, hatte große Achtung vor
Herrn Ellis und dessen Genossen, nahui lebhaften Autheil au
dem Unterrichte, welchen sie ertheilteu, aber — er bekannte
sich niemals zum Christeuthume, gab auch niemals
eine Absicht kund, dasselbe anzunehmen. Seine besten
Freunde mußten stets bedauern, daß er neben jenen vor-
trefflichen Eigenschaften nicht nur große Schwächen besaß,
sondern auch groben Lastern ergeben war. Bei seinem
aufbrausenden, reizbaren Temperament, verfiel er in die
Schlingen, welche ihm von lasterhaften, gewissenlosen Aus-
ländern (— ein Hieb auf die französischen Agenten und
Abenteurer Laborde, Lambert und Konsorten —) gelegt
wurden. In der letzten Zeit war er auch nächtlichen Aus-
schweifungen ergeben, und diese standen doch in einem selt-
samen Gegensätze zu dem angeblichen Interesse, welches er
am Ehristenlhum zu nehmen behauptete. —-
Die nächtlichen Ausschweifungen beging Radama, den
Berichten des Moniteur zufolge, in dem sogenannten
Steinernen Hause zu Ambohimitsimina, in welches er
sich auch während der Revolution flüchtete. -
Aus den Berichten des Herrn Ellis geht hervor, daß
Radama sich dein Trunk ergeben hatte. „Dadurch wurde
er zugängig für schlechte Rathgeber; daher die Grausamkeit
und die Verrätherei ausländischer Intriguanten, die
seine Aufgeregtheit und Schwäche, welche sie doch selber
herbeiführten, eigennützig ausbeuteten, indem sie ihn zu
Vorsätzen verleiteten, die er in nüchternem Zustande gewiß
nicht gefaßt haben würde. Unter dem Einflüsse des
Weines Unterzeichnete er den verhängnißvollen
Vertrag mit einem wohlbekannten Ausländer und
andere Dokumente, die er nicht verstand; seine
Trunksucht warUrsache, daß er Verstand und Leben
einbüßte."
Mit diesem „wohlbekannten Fremden" deutet Ellis
ohne Zweifel ans Lambert, einen kecken, verwegenen
Abenteurer, denselben, welcher einst eine Verschwörung
gegen die alte Königin anzettelte, sich im vorigen Jahre
zum „Herzoge von Emirene" ernennen ließ, den Napoleo-
nischen Königsmantel für Radama besorgt hatte, mit La-
borde die Rollen der Civilisationskomödie austheilte, alle
Fäden lenkte und die Pläne der französischen Politik förderte.
Er war es auch, der die Abtretung der wichtigen
Diego - Snarezbay an Frankreich durchsetzte und der
französischen Madagaskar-Kompagnie so umfassende Privi-
legien auswirkte, daß durch dieselben Madagaskar so gut
wie völlig in die Gewalt dieses Fremden gegeben ist. —
Radama war, wie Ellis weiter meldet, in hohem Grad
abergläubig, hielt große Stücke auf Träume und
Geistereinwirkungen. Wenn er etwas behauptete, sagte
er gewöhnlich: „Es ist richtig, denn Gott hat cs mir so
gesagt." Geistererscheinungeu hatten für ihn einen weit
größern Reiz, und er legte auf dieselben einen viel höhern
Werth als auf Vorstellungen, in welchen vernünftiger Zu-
sammenhang war und bei denen man ihm Ursache und
Wirkung nachwies. „Ich kann indeß nicht glauben, daß er
mit dein gegen mich geschmiedeten Mordplane zusammen-
hing, habe aber Gründe genug zu der Annahme, daß er
irr und wirr in seinem Kopfe gewesen sei, und daß er
zuletzt völlig den Verstand verloren habe. Man
kann den irre geleiteten König nur bedauern, der auf ganz
unverantwortliche Art das Werkzeug von Leuten wurde,
welche einen tödtlichen Haß gegen Christi Sache haben; er
hieß Blutthaten gut und ermunterte zu denselben, und doch
widerstrebten sie sciucii früheren Neigungen und Gewohn-
heiten ganz und gar."
Welche Ergebnisse, so sagen die Sekretäre, unter der
neuen Regierung sich auf die Dauer Herausstellen, das kann
Keiner im Voraus wissen. Der absolute Despotismus ist
mit einer Negierungsform vertauscht worden, welche sich
dem konstitutionellen System annähert. Doch nur allein
die Zeit kann lehren, ob die einflußreichen Klassen in Ma-
dagaskar diese guten Principien wirklich zu würdigen und zu
benutzen verstehen. Ellis und seine Genossen sind voll der
größten Hoffnungen.
Wir wollen nun denVerlauf der madegassischen
Mairevolution schildern und das, was Ellis unterm
16. Mai aus der Hauptstadt Antananarivo darüber meldete,
zum Leitfaden nehmen.
Binnen wenigen Tagen, schreibt er, hat eine völlige
Umwälzung stattgefunden. Radama der Zweite ist nicht
mehr; die Edellente haben eine Thronsolgerin gewählt, die
vom Volk anerkannt worden ist. Das Land hat eine neue
Regierungsform, der gemäß fortan Gesetzgebung und Ver-
waltung gemeinschaftlich bei der Königin, den Edelleuten
und dem Volke sind. Rabodo hat die ihr gestellten Be-
dingungen angenommen, und wurde als Rasoaherina
zur Königin von Madagaskar ansgerufen. Radama's Tod,
die Uebernahme der Krone durch seine Gemahlin und die
Proklamirung derselben, das Alles ereignete sich an Einem
Tage, den 12. Mai 1863.
In einigen Beziehungen war Radama ein umgänglicher
mtb verständiger Mensch, aber seine Begriffe von den
Pflichten und Ausgaben eines Herrschers waren überaus
mangelhaft, und seitdem er den Thron bestiegen, ist
zum Wohle des Landes eigentlich so gut wie gar
nichts geschehen. Indem er alle Zölle abschaffte, be-
raubte er die Regierung eines großen Theils ihrer Ein-
künfte. Er entfernte viele Edelleute und die erfahrensten
Männer aus seinem Rath, und umgab sich mit einer
Schaar junger, unerfahrener, theilweise nichtsnutziger Leute,
welchen er sein Vertrauen schenkte. Er that gar nichts, um
verbrecherischen Handlungen vorzubeugen oder dieselben zu
bestrafen; er traf auch nicht die mindeste Maßregel, um feste
Grundlagen für das Gedeihen des Landes zu gewinnen,
und so wuchs das Mißvergnügen gegen ihn im Volke.
Einzelne waren ihm allerdings ergeben. Uebrigens hielt
272
Das blutige Drama auf Madagaskar.
man ihn doch für gut geartet und hoffte auf einen Um-
schwung zum Bessern. Die Christen, welchen die Lehr-
freiheit nicht im mindesten verkümmert wurde, gaben sich
Mühe, ihre heidnischen Landsleute anfzuklären.
Während der letztverflossenen drei Monate wurden
außerordentliche Anstrengungen gemacht, den König wieder
unter den Einfluß des alten Aberglaubens zu bringen; sie
gelangen vollständig und führten Radama'sUntergang herbei.
In der Hauptstadt und den umliegenden Provinzen war eine
Art von psychischer Seuche ausgebrochen. Die Leute,
welche davon ergriffen wurden, behaupteten, daß sie selber
von Allem, was sie thaten, gar nichts wüßten; sie seien
platterdings außer Stande, das Springen, Laufen,
Tanzen re., wenn dasselbe sie anwandle, zu unterlassen.
Diese Leute hatten auch Visionen und vernahmen
Stimmen aus der übernatürlichen Welt. Unter
diesen Gesichten war eins, das sehr Viele geschaut haben
wollen: sie erblickten die Ahnen des Königs, und Stimmen
verkündeten, daß diese Ahnen kommen und dem Könige
sagen würden, was er für des Landes und Volkes Wohl-
fahrt zu thun habe. Radama erhielt dann eine Botschaft,
welche ihm angeblich von diesen Ahnen geschickt wurde; es
hieß in derselben, daß er sehr bald von einem schweren
Unglück heimgesucht werden solle, wenn er das Beten
nicht einstelle.
Radama's beste Freunde (— Ellis und die anderen
Missionäre—) waren überrascht, daß er diesen seltsamen
Dingen so großes Gewicht beilegte. Er schien an diese
Botschaft aus der Geisterwclt zu glauben, ermuthigte die
wahnsinnigen Tänzer, welche sich tagtäglich in seinen Palast
drängten und offen erklärten, daß das Tanzen so lange
iunnev ärger werden müsse, bis das Beten aufgehört habe.
Der allgemeinen Annahme zufolge ist diese ganze Be-
wegung durch die Hüter der Götzenbilder, die heid-
nischen Priester, hervorgernsen worden; gefördert wurde
sie durch des Königs Mena maso. Von diesen letzteren
wurden Leute bestochen, die als angeblich Kranke (Besessene)
vom Lande hereinkommen mußten, damit der Betrug nicht
aufhöre.*)
Es wurde der Vorschlag gemacht, eine Anzahl Christen
zu ermorden, weil man dadurch der Ausbreitung des
Christenthums Hindernisse in den Weg legen könne; auch
sollten die angesehensten Edelleute, welche das Gebahreu
des Königs mißbilligten, getödtet werden. Radama wollte
den Einstnß dieser fanatischen Partei verstärken, und erließ
einen Befehl mit Gesetzeskraft, demgemäß Jedermann,
der einem (sogenannten) Kranken begegne, vor
diesen! den Hut abziehen solle. Den Kranken müsse
solchergestalt dieselbe Ehrfurchtsbezeignng erwiesen werden,
wie früher den Götzenbildern beim feierlichen Umzüge durch
die Hauptstadt.
*) Mena maso bedeutet buchstäblich: rothe Augen. Ellis
bemerkt: „Sie sind nicht die anerkannten Minister des Königs,
sondern eine Art von Inquisitoren, von denen angenommen wird,
daß sie Alles ausspüren und entdeckten, was etwa der Regierung
zuni Nachtheil gereichen könnte. Sie geben bei allen vorkommenden
Gelegenheiten dem Könige Winke und Rathschläge; man nimmt
ferner an, daß ihre Augen rotst geworden seien, weil dieselben
durch das unablässige Nachforschen allzusehr angestrengt würden."
Man vergleiche mit dem, was der englische Missionär über diese
Mena maso sagt, die hohen Lobpreisungen, zu welchen sich der
katholische Missionär, Pater Jonven, ein Franzose, hingerissen
fühlt, Globus Hi, S. 47. Er bezeichnet diese Leute als Leib-
wächter, als junge, intelligente, mnthige Männer, welche dem
Herrscher ganz ergeben seien, und dem Könige bei Ausführung
seiner vielen Pläne zur Erhöhung der Volkswohlfahrt an die Hand
gingen; sie seien zugleich Beiräthe, Ingenieurs und Baumeister
des Königs, welche „erstaunliche Dinge fertig brächten". Darüber
erzählt dann der Pater allerlei blendende Jägdgeschichten! A.
Um die Leute, welche die beabsichtigten Mordthaten
ausführen sollten, gegen alle Verfolgungen sicher zu stellen,
ließ Radama verlauten, er werde verordnen, daß Alle, die
mit Feuerwaffen, Schwertern oder Speeren fechten wollten,
daran nicht verhindert werden dürfen, und daß Keiner
dafür, daß er einen Andern getödtet habe, bestraft werden
solle. Dadurch kam große Unruhe unter die Leute. Am
7. Mai erklärte der König vor seinen Ministern und anderen
Männern, es sei bei ihm unwandelbar beschlossen, jene
Verordnung zu erlassen. Von allen anwesenden Mena
maso waren nur drei gegen den Erlaß, andere schwiegen
und die übrigen erklärten ihre Zustimmung.
Von da an hielten die Edelleute und die Vorsteher des
Volks den ganzen Tag lang Berathungen über Das, was
nun zu thun sei. Am andern Morgen begab sich der
Premierminister mit ungefähr einhundert Notabeln, dar-
unter der Oberbefehlshaber des Heeres, der Schatzmeister
und der oberste Palastbeamte, zum Könige; sie alle protestirten
dagegen, daß er den Mord legalisiren wolle, und baten
ihn dringend, es nicht zu thun. Der Premierminister that
sogar einen Fußsall; als aber das Alles ans Radama keinen
Eindruck machte, stand jener auf und fragte: „Erklärst Du
vor allen diesen Zeugen, daß ein Mann, welcher einen
andern tödtet, nicht bestraft werden solle?" Der König
antwortete: „Ja, das ist mein Wille." Der Minister
wandte sich darauf zu seinen Begleitern mit den Worten:
„Das ist genug; wir müssen uns bewaffnen; kommt mit
mir." Ich sah sie in langem Zuge vor meiner Wohnung
vorübergehen, als sie nach des Ministers Hanse sichöbegaben,
wo sie dann den Entschluß faßten, dem Könige Widerstand
zu leisten.
Gegen Abend war ich in des Königs Wohnung und
schwebte dort in Lebensgefahr. Fünf oder sechs seiner ver-
trauten Rathgeber, nämlich Mena maso,'hatten sich verab-
redet, mich zu ermorden, und dadurch, wie sie meinten,
der Ausbreitung des Christenthums entgegen zu wirken.
Aber Freunde warnten mich und der Premierminister traf
Vorkehrungen für meine Sicherheit. Ich ging eine Stunde
früher als gewöhnlich zum König und kehrte sofort wieder
zurück, um in der Nähe meiner Wohnstätte einen sichern
Aufenthaltsort zu suchen. Boten des Premierministers
harrten schon meiner, und vor Einbruch der Dunkelheit
begab ich mich in das Haus des Doktors Davidson, welches
an einer Ecke des AndoHalo steht, das heißt des großen
Platzes auf welchem Volksversammlungen abgehalten werden.
Alles in der Stadt war in der äußersten Aufregung;
die ganze Nacht hindurch zogen Weiber, Kinder und Sklaven
mit werthvollen Gegenständen beladen, ab, während gleich-
zeitig Schaaren bewaffneter Männer aus den Vorstädten
her eindrangen. Am 9. Mai, bei Tagesanbruch, hatten
mehr als zweitausend Soldaten den Andohalo besetzt; andere
Truppen waren auf der Anhöhe neben der Wohnung des
Ministers ansgestellt; auch ließ dieser alle Zugänge zur
Stadt sorgfältig bewachen.
Den Edelleuten lag zunächst daran, etwa dreißig von
den Mena maso in ihre Gewalt zu bekommen, und zwar
solche, welche den König vorzugsweise zu gemeinschädlichen
Handlungen aufmunterten. Es gelang auch, eine Anzahl der-
selben gefangen zu nehmen, und sie wurden ohne Weiteres
niedergehauen, andere entflohen und nur zwölf oder dreizehn
blieben beim Könige, von welchem man die Auslieferung
derselben verlangte. Als dieselbe verweigert wurde, erklärten
die Edellente, sie würden jene Männer mit Gewalt aus
dem Palaste heransholen. Inzwischen wurden immer mehr
Truppen herangezogen; nur wenige Soldaten waren beim
Könige geblieben, und diese weigerten sich, auf die anderen
Das blutige Drama auf Madagaskar.
273
zu feuern. Das Volk mochte wohl Mitleid mit dem Herrscher
haben, erhob aber keine Hand zu seiner Vertheidigung.
Endlich versprach Radama die Mena maso auszuliefern,
wenn man ihnen das Leben nicht nehmen und sie lebens-
länglich gefangen halten wolle. Am 11. Mai wurden sie
über den Andohalo nach der Stelle hin geführt, wo sie in
Fesseln geschlagen werden sollten.
Radama hatte während der Verhandlungen mit den
Edellenten erklärt: nur er allein sei Herrscher, sein
Wort allein sei Gesetz, seinePersvn sei heilig und
unantastbar, er werde von oben her durch über-
natürliche Kräfte beschützt und werde Alle, welche
gegen seinen Willen sich auflehnten, streng be-
strafen. Die Edelleute fanden es demnach mit ihrer eigenen
Sicherheit unverträglich, ihn länger am Leben zu lassen,
und ermordeten ihn am andern Morgen in seinem Palaste.
Die Königin war bei ihm und gab sich alle Mühe, sein Leben
zu retten, aber vergeblich. Dann wurden auch seine Rath-
geber, die Mena maso, getödtet.
Am Vormittage begaben sich vier der angesehensten
Edelleute zur Königin und legten ihr ein schriftliches Doku-
ment vor; dasselbe enthielt die Grundzüge von Be-
stimmungen, welche fortan bei der Regierung des Landes
maßgebend sein sollten. Man werde die Königin als Herr-
scherin anerkennen, im Falle sie sich niit denselben ein-
verstanden erkläre; wenn nicht, müsse man einen andern
Herrscher suchen. Sie las die Schrift und erklärte ihre volle,
aufrichtige Einwilligung und Zustimmung, nachdem sie sich
über einige Punkte hatte Erläuterungen geben lassen. Die
Edelleute sprachen dann: „Auch wir erklären uns durch
dieses Uebereinkommen gebunden. Wir sind, wenn wir
dasselbe brechen, des Hochverraths schuldig; brichst
aber Du es, dann werden wir abermals thun, wie
wir jetzt gethan haben." Der Premierminister Unter-
zeichnete das Aktenstück im Namen und Aufträge der Edelleute
und der Vorsteher des Volkes, und die Königin unterschrieb
gleichfalls. Mittags zwichen 1 und 2 Uhr wurde dann die
neue Ordnung der Dinge durch Kanonenschüsse verkündet.
Zwischen 3 und 4 Uhr kamen mehrere Offiziere zu uns
mit einer Abschrift des Dokuments und lasen uns dasselbe
vor. Der Hauptinhalt ist folgender:
Das Wort des Herrschers allein ist nicht Gesetz, sondern
die Edellente, die Volksvorsteher und die Königin gemein-
schaftlich geben die Gesetze.
Allen Ausländern, welche den Landesgesctzen gehorsam
sind, wird volle Freiheit und Schutz gewährleistet.
Die freundschaftlichen Beziehungen zu allen anderen
Völkern werden aufrecht erhalten.
Es werden Zölle erhoben, aber Handel und Civi-
lisation sollen gefördert werden.
Den einheimischen Christen wird Freiheit und Schutz
für Ausübung des Gottesdienstes, der Lehre und der Aus-
breitung des Christenthums zugesagt; aber derselbe Schutz
und dieselbe Freiheit wird auch Allen, die nicht Christen
sind, gewährleistet.
Die Sklaverei wird auf Madagaskar nicht abgeschafft;
aber den Besitzern bleibt es unverwehrt, ihren Sklaven die
Freiheit zu geben oder dieselben zu verkaufen.
Niemand darf für irgend ein Vergehen auf Befehl des
Herrschers allein hingerichtet werden; ein Todesurtheil kann
nur vollzogen werden, wenn zwölf Männer einen An-
geklagten für schuldig eines Verbrechens erklärt haben, auf
welches Todesstrafe gesetzt ist. —
Dies sind die Grundzüge. Nach Verlauf einer Stunde
wurden wir in den Palast berufen, um die Königin zu be-
grüßen. Sie versicherte, daß sie freundschaftliche Ge-
Globus IV. Nr. 9.
sinnungen für die Engländer hege, auch uns (Missionären)
wohlgesinnt sei und unsere Arbeiten zu fördern wünsche. —
In einer Nachschrift sagt Ellis: Alles geht vortrefflich
von Statten. Die Königin hat an Königin Victoria und den
Kaiser der Franzosen geschrieben und ihre Thronbesteigung
angezeigt; sie erklärt, daß sie die freundschaftlichen Be-
ziehungen zwischen beiden Mächten und Madagaskar un-
angetastet ausrecht erhalten, auch die Unterthanen beider
Mächte, welche hierher kommen, in Bezug auf Person und
Eigenthum schützen werde. Der Beamte, welcher mir dieses
mittheilte, sagte auch, man habe den Vertrag mit England
sorgfältig geprüft und sei entschlossen, ihn unbedingt an-
zunehmen. Unsere Aussichten für das Missionswerk sind
günstiger als je zuvor. —
* *
Aus dieser Darstellung des Missionars Ellis geht
hervor, daß die Revolution aus Madagaskar lediglich und
allein durch Radama hervorgerusen worden ist; daß die
Edelleute ihn ermordeten, um das eigene Leben zu retten
und wieder Ordnung in das zerrüttete Staatswesen zu
bringen. Radama war zum Trunkenbold herabgesnnken,
despotischer Wahnwitz hatte seinen Kops eingenommen und
er war jedem verständigen Rathschlag unzugängig geworden.
Die Regierung des Vielgepriesenen war eine tragi-komische
Posse mit blutigem Ausgange. Die einzige Handlung, welche
Billigung verdient, war die Abschaffung des Tangihn,
des Gerichts durch die Giftprobe, über welche wir wohl
gelegentlich einmal reden.
Wer mit den Verhältnissen in Madagaskar und dem
Verlaufe der Dinge näher bekannt ist, findet in den An-
gaben und Betrachtungen sowohl der Londoner wie der
Pariser Blätter manche positiv unrichtige Angaben und ganz
falsche Schlüffe. Das „Paps" hat dreist behauptet, der
Missionär Ellis habe die Mordthaten angestiftet und sei
Zeuge derselben gewesen. Wir kennen die beiden Werke
des Herrn Ellis über Madagaskar sehr genau, sind allen
seinen Schritten genau gefolgt, und können mit voller Be-
stimmtheit sagen, daß er, ein wohlwollender, sanfter Mann,
absolut unfähig ist, nur einen Gedanken an eine derartige
Greuelthat zu fassen. Ein solcher liegt ihm weltenweit fern.
In seinen hochfahrenden Hoffnungen ans Radama hat er
sich freilich ganz und gar getäuscht.
Wenn ein Blatt, dem überhaupt das unbefangene
Urtheil (z. B. auch in Betreff der deutschen, nordamerika-
nischen, polnischen, ungarischen, türkischen und griechischen
Dinge) in geradezu auffallender Weise mangelt, — wir
meinen Dailp News, — behauptet, Radama sei Christ
gewesen, so ist das platterdings falsch; wenn dieselbe Zeitung
ihn als einen „Reformfreund" bezeichnet, so ergiebt sich aus
dem Verlaufe der Dinge, wie diese Redensart zu verstehen
ist. Radama, wir wiederholen es, war ein Halbbarbar,
ohne sittlichen Zusammenhang in sich selbst, und am Ende
ohne gewöhnlichen Menschenverstand. Dafür zeugt, daß
er seinen Unterthanen, bei schwerer Strafe im Falle der
Nichtbefolgung, den Befehl gab, nur europäische
Kleidung zu tragen. Man kann sich etwas Wider-
sinnigeres gar nicht denken. Er war ein Spielball gleich-
zeitig der französischen Abenteurer, die ihn beschwindelten
und mit ihm Champagner tranken, der Missionäre, welche
mit ihm beteten, und der vergoldeten Jugend, der aus-
schweifenden Junker, seiner Mena maso, mit denen er nächt-
liche Orgien feierte. Am Ende ward er verrückt und beim
Volke so verhaßt, daß sich keine Hand für ihn erhob. Ja,
so tief war die Abneigung gegen ihn gewurzelt, daß sein
Name in der Reihenfolge'der Regenten nicht einmal
35
274
Ein Ausflug von Stockholm nach Drontheim.
genannt werden soll. Denn die neue Regierung ver-
ordnete: daß die Königin Rabodo, welche unter dem
Namen Rasoahery den Thron bestieg, so betrachtet
werden solle, als sei sie unmittelbar Nachfolgerin
der Königin Nanovalo (die im Sommer 1861 starb).
Radama der Zweite wird so angesehen, als habe
er nie gelebt oder regiert. Bezeichnend ist auch, daß
die Königin, bevor sie anerkannt wurde, sich ausdrücklich
hatte verpflichten müssen, niemals starke Getränke zu ge-
nießen.
Diese Abneigung spricht sich auch noch in anderen Ver-
fügungen aus. Radama's Leiche sollte unbeerdigt bleiben;
man hielt ihn also für unwürdig eines ehrlichen Be-
gräbnisses.
Die Revolution auf Madagaskar ist ohne allen Zweifel
eine Reaktion der Selbsterhaltung, gegenüber der Tollheit
eines Herrschers, der nicht mehr zurechnungsfähig war.
Evelleute und Volk waren vollkommen einverstanden, und
! die neue Verfassung, eine Art von Magna charta, ist
offenbar in der Absicht gegeben worden, despotischer Willkür
Schranken zu setzen. Alle Bestimmungen derselben sind ver-
ständig, auch, vom afrikanischen Standpunkt ans angesehen,
jene über die Sklaverei, welche so innig und tief mit den
Begriffen und Anschauungen der Menschen verwachsen ist,
daß sie durch ein Dekret sich nicht beseitigen läßt. Aber
der auswärtige Sklavenhandel bleibt nach wie vor verboten.
Ohne Zweifel werden wir demnächst charakteristische
Einzelnheiten über jene bemerkenswerthen Vorgänge er-
fahren, und dann auch beurtheilen können, welche Stellung
das herrschende Volk der Howas gegenüber den anderen
Völkern Madagaskars, z. B. den Betimsaras, Betanimenen rc.
eingenommen hat, und wie weit volksthümliche Gegensätze
bei der Revolution betheiligt waren. Alle bis jetzt vor-
liegenden Berichte geben nur die äußeren Thatsachen, nicht
den Zusammenhang der inneren Verflechtungen.
Ein Anssing von Stockholm nach Drontheim.
Von einen schwedischen Offizier für den Globus geschrieben.
Sundwall. — Bärenjäger. — Oestersund in Jemtland. — Der Stör-See. — Schlechte Waldwirthschaft. — Die Lemminge. — Der Weg aus Jemtland
nach Norwegen. — Skallstuga. — Lappen und Missionen. — Drontheim. — Ausflug nach Stickelstad. — Landwirthschaftliches Fest. — Eine skandinavische Rede.
Sie haben bereits mehrere Mittheilungen über Skandinavien
gebracht. Erlauben Sie, daß auch ich in der folgenden Skizze
Ihnen einen Beitrag zur Landeskunde des Nordens liefere.
Ich unternahm im Monat Juni 1861 eine Reise in das nörd-
liche Schweden. Wir benutzten eines jener großen, mit allen Be-
quemlichkeiten, selbst einer Badezelle, versehenen Dampfboote,
welche von Stockholm aus bis zur Stadt Haparanda, an der
Nordknste des Bottnischen Meerbusens, regelmäßig ihren Kurs
machen und unterwegs an vielen Küstenstädten anlegen. Eine An-
zahl Nordländer, die aus verschiedenen Gegenden Skandinaviens
und des europäischen Kontinents in ihre eisige Heimat znrückkehrten,
bildeten, nebst einem jungen Engländer, unsere Reisegesellschaft.
Wir kamen zunächst nach Sund sw all, einem von Stockholm
etwa 60 Meilen *) entfernten Küstenstädtchen. Ein uns befreundeter
Holzhändler, den wir seit 15 Jahren nicht gesehen hatten, lud uns
(— meinen Vater und mich —) zum Mittag und zu einer Bären-
jagd ein; leider mußten wir ablehnen. Die Bärenjagd ist in jener
Gegend beliebt. Selten wird der zottige Waldbewohner von der
wohlgezielten Büchscnkngel getödtet; meist stellt man Gewalt der
Gewalt entgegen und es kommt zum Handgemeng. Der Jäger hat
kaltblütige Besonnenheit nöthig; er muß den mit beiden Armen
erhobenen Jagdspieß in die Nachenhöhle des Thieres sicher hinein-
znstoßen verstehen, sonst ist er verloren. Trifft aber der Spieß,
dann hilft der Bär selber seinen Tod zu befördern, indem er den
Spieß mit seinen Tatzen rascher hineindrückt, als es der Jäger ver-
mag. In den Nordlanden giebt es, besonders in den Thälern,
kraftvolle und kühne Männer, welche cs gern mit den Bären ver-
suchen. Zwei Thalbewohner gingen an einem Wintermorgen einen
Berg hinauf, um Holz zu hauen. Ein gewaltiger Bär wird durch
das Krachen des Baumes in seinem Morgenschlnmmer gestört, und
init einem Sprung umfaßt er den einen Mann. Der Andere eilt
sogleich zu Hülfe, aber statt auf einmal mit einem scharfen Hiebe
seiner Axt den Bären zu Boden zu strecken, giebt er ihm mit dem
Hammer der umgekehrten Axt einen Schlag nach dem andern auf den
Kopf, um ja nicht das kostbare Fell zu verletzen. Der Bär und der
von ihm umhalste Mann rollen nun mit einander den steilen Hang
hinunter und kommen so plötzlich dem besorgten Retter aus dem
Gesicht. Der aber ruft verwundert aus: Nun, wo seid Ihr denn
geblieben! — und tritt den Rückweg an! Dieser Vorfall wurde
uns in Sundswall erzählt.
Nach kurzem Aufenthalte reis'ten wir in Gesellschaft des Eng-
länders, im eigenen bequemen Reisewagen, von Sundswall ab
und fuhren nach der in nordwestlicher Richtung gelegenen, 30 Meilen
entfernten Stadt Oestersnnd in der Provinz Jemtland Die
Reise hat nichts Beschwerliches denn der Weg ist gut, und die
Wirthshausbesitzer, welche den Vorspann zu leisten haben, sind mit
raschen Pferden versehen. Auch bekommt man unterwegs gute
Butter und Milch, manchmal auch vortreffliche Fische. Die Häuser
sind im Allgemeinen gut gebaut. Es fehlt nicht an landschaftlichen
Schönheiten, wenn gleich die Natur, bevor man Oestersnnd erreicht,
nichts Eigenthümliches darbietet. Was die.Bewohner betrifft, so
nimmt man bald wahr, daß es Menschen von selbständiger Ge-
sinnung sind, die nur von der eigenen Ueberzeugung geleitet werden
und die nur dann sich überzeugen lassen, wenn man ihnen freundlich
entgegenkommt.
In Oestersnnd siel es mir schwer, mich zurechtzufinden, so sehr
hatte sich die Stadt, und zwar zu ihrem Vortheil, in den letzten
fünfzehn Jahren verändert. Geblieben war natürlich die herrliche
Lage am Strande des Storsees, wie die schöne lange Brücke,
welche die Stadt mit der lieblichen Insel Frösön verbindet, wo
das Jemtlandsche Regiment seinen Exercierplatz hat und die statt-
lichen Ofsiziershäuser sich am Strande des schönen Storsee hinziehen.
Dort hatte ich zehn Jahre in Jugendfrische unter Kameraden und
Freunden verlebt, von denen ich nun viele wiedersah; denn der
Nordländer verläßt ungern sein Land, wo die gesunde, stärkende
Luft dem Menschen im Durchschnitt ein hohes Alter verleiht.
Am Strande des Storsees sieht man die fünfzehn Meilen weit
entfernten und doch dem Auge ganz nahe gerückten, mit ewigem
Schnee bedeckten Berge, denen der wärmste Sommer immer nur
einen Theil ihrer weißen Hülle nimmt. Wie lebhaft steht er mir
vor der Seele, der prächtige Storsee, mit seinem klaren, blauen
Wasser, wo an milden Sommerabenden das Echo, klar und rein,
vom Waldhorn aus den nahen Bergen gelockt wird! Wie oft habe
ich dort das Große und Schöne in der nordländischen Natur em-
pfunden, und doch auch das Gefühl gehabt, welches uns immer
beschleicht, wenn wir uns von einer spärlichen Bevölkerung um-
*) Stets, wie hier, deutsche Meilen.
Ein Ausflug von Stockholm nach Drontheim.
275
geben wissen — das Gefühl der Leere, der Einsamkeit. Nicht etwa
einer Unfruchtbarkeit des Bodens wegen ist die Bevölkerung so
dünn, denn das ausgestrcute Korn kommt zwanzigfach zurück,
und die wachsende Saat verspricht immer eine gute Ernte; aber
es ist immer ungewiß, ob die schönen, dichten Halme zur Reife ge-
langen werden; früh eintretende Fröste vernichten in manchem Jahre
die Hoffnung.
Der Reichthum der Provinz Jemtland besteht in ihren großen
Tannen - und Fichtenwäldern. Allein hier, wie überall in Schweden,
werden dieselben in roher Weise ansgebeutet, und zwar in dem
Maße stärker, als der Bedarf an Holz in der übrigen Welt zunimmt.
In der That trage ich gar kein Bedenken, die Waldwirthschaft
für unsere wichtigste ökonomische Frage zu halten, zumal es für
unumstößlich gelten kann, daß die klimatischen Verhältnisse
davon abhängen. Entschließt man sich nicht, einen geregelten
Waldbetrieb einzuführen, so dürfte der Tag nicht allzu
fern sein, wo diese nördlichen Gegenden in öde Steppen
verwandelt sind.
Eine geordnete Waldwirthschaft, durch welche die Nachkommen
vor dem Erfrieren geschützt würden, hält man theils für zu kostspielig,
theils erblickt man in ihr einen Eingriff in das Eigenthumsrecht,
weshalb nur bei Staatswaldungen von guter Wirthschaft die Rede
ist. Es scheint mir ein Recht und eine Pflicht der Gesetzgebung zu
sein, bei diesem mächtigen Kapitale die willkürliche Benutzung
des Einzelnen, welche der Landeswohlfahrt in Zukunft so tiefe
Wunden schlagen kann und schon geschlagen hat, nicht zu gestatten, s
Sehen wir, um ein Beispiel anzuführen, auf Island. Es hatte
einst die schönsten Wälder und war ein fruchtbares Land. Was ist
es jetzt?
Ich gedenke noch der zahlreichen Birk- und Haselhühner, die
in unseren nordischen Wäldern nisten, von denen ganze Wagen
voll, 90 Meilen und weiter, nach Stockholm gebracht werden.
Das Weib im Norden, dem wahre Anmuth nicht fehlt, zeichnet
sich durch offenes, unbefangenes Wesen aus. Das traulicheDu wird
oft unter den verschiedenen Geschlechtern gehört; doch glaube der
Fremde nicht, daß größere Vertraulichkeit leicht sei. Was die Nord- !
länderin giebt, ist gegeben; die Grenze wird nur sehr ausnahms-
weise überschritten.
Das Tuch, welches die Landbewohnerin tief und mehrfach um :
die Stirn windet, läßt die Form des Gesichtes nicht nach Wunsch !
hervortreten, aber die milden, blauen Augen und die oft unge- I
mein weiße, feine Haut verfehlen nicht einen angenehmen Eindruck
zu machen.
Die Gastfreiheit war früher in Jemtland überall groß und
ist es wohl noch jetzt. Kauft man sich ein Pferd und macht eine
Reise, so werden Mensch und Pferd von den schlichten Landbe- !
wohnern je länger je lieber beherbergt. Von Bezahlung darf i
keine Rede sein.
Höchst merkwürdig sind die während des kurzen Sommers von
den Gebirgen herabkommenden Lemminge. Das rattenähnliche
Thier mißt bis zum Schwänze, der über einen halben Zoll lang
ist, etwa fünf Zoll. Das Fell ist rostgelb, init unregelmäßigen
schwarzen Flecken, und von ziemlich zarter Beschaffenheit. In !
schmalen, parallelen, möglichst geradlinigen Zügen wandern sie zu
Millionen dahern, werden etwa acht bis vierzehn Tage gesehen und
verschwinden dann, indem sie bei dem Versuch, über den Storsee
zu schwimmen, größtentheils umkommen. Sie nähren sich von
mancherlei Pflanzen, Rennthierflechten u. s. w., und der Schaden,
den sie anrichteu, ist nicht gering. Ich habe manchmal mit dem
bloßen Stock in kurzer Zeit mehrere Hunderte getödtet.
Ich kehre nun noch einmal zu dem Augenblick unserer Ankunft
in Oestersund zurück. Der Bezirks-Oberste und alte Freunde
nahmen uns so gastlich auf, daß ich, der die Kasse führte, während
der acht Tage unseres Aufenthalts nichts weiter ausgab, als die
bei der Abreise üblichen Trinkgelder. An sechs Mittagen waren
wir die Gäste verschiedener Privatpersonen, die in Betreff der Be- !
wirthung dem Ruhme des Landes nichts vergaben; und an zwei
Mittagen nahmen wir an öffentlichen Festmahlzeiten, womit man
uns beehrte, Theil. Die eine wurde von der Bürgerschaft ver-
anstaltet und ist mir besonders durch die freundliche Art, wie der
Verdienste meines Vaters gedacht wurde, der die Verwaltung des
Distrikts längere Zeit geleitet hatte, in lebhafter Erinnerung. Unter
ihm war schon die Lösung der Frage (die noch immer nicht gelös't
ist und doch eine Lebensfrage für die Gegend genannt werden kann),
vom Storsee ans mehrere in der Richtung nach der Ostsee liegende
kleine Seen zu einem bequemen Wasserwege nach dem ent-
fernten Meere zu verbinden — angebahnt werden. Das andere
Festmahl wurde von den Offizieren des Jemtlandschen Reiter-
regiments, auf der Insel Frösön, an einem der schönsten Sommer-
tagen gegeben. Am Nachmittage wurden die Truppen in Parade
aufgestellt; dann folgte ein Ball. Um nun vermuthlich meinen
Vater recht lebhaft an seine eigenen Gewohnheiten zu erinnern,
ertönte plötzlich, während Alle sich bei rauschender Musik dem Tanz-
vergnügen überließen, das Lärm-Signal. Alles stürzte sogleich
davon, die Truppen waren im Augenblick aufgestellt und in der
prachtvoll Hellen Sommernacht ward fortmarschirt. Nach einer
Stunde wurde Kehrt geblasen, und nicht lange nachher der Ball
fröhlich fortgesetzt.
Schon einige Tage zuvor hatte sich der englische Reisegefährte
von uns getrennt. Sein Ziel war eine durch Lachsfischerei be-
rühmte Stelle an der Südwestküste von Norwegen. Als echter
Sohn Albions hatte er es diesen Sommer vorgezogen, statt von
England aus direkt hinüberzusteuern, zuvor das Kattegat und den
Sund zu passireu, die Ostsee hinauf bis Sundswall zu fahren,
Schweden in beträchtlicher Breite zu durchreisen und über die Kjölen
zu klimmen, um endlich am ersehnten Ziel anzulangen. Von ihm
hatte ich übrigens gelernt, wie man durch ein kaltes Douchcbad
am Morgen der drückenden Sommerwärme des Tages am leichtesten
widerstehen kann. Mein Vater hatte Drontheim, die Stadt,
wo die schwedischen Könige als Könige von Norwegen gekrönt werden,
zu seinem Reiseziel erwählt. Dort sollte ein landwirthschaft-
licher Kongreß stattfinden. Die Reise dahin, welche wir ans
einem, noch von meinem Vater angelegten, bequemen Wege machten,
wurde uns durch die Gesellschaft des Gouverneurs von Jemtland
und seiner liebenswürdigen Familie verkürzt.
Die Reise wurde durch die anmuthigste Gegend fortgesetzt.
Schöne Wiesen wechselten mit dunkeln: Wald, in dem aber die
Eiche nicht mehr zu finden war, und klaren blauen Seen ab. Die
zerstreut liegenden Gehöfte machten durch ihre Reinlichkeit und
solide Bauart einen angenehmen Eindruck, und für ein patriotisches
Schwedenherz weckte dabei der Gedanke, daß nicht Hypotheken-
vereine und Privatbanken dazu mitgeholfen, ein gewisses Gefühl
des Stolzes.
In den letzten sonnigen Junitagen über das Gebirge zu
reisen, welches Schweden von Norwegen trennt, ist in der That
sehr interessant. Und eine solche Reise ist nicht mehr, wie früher,
mit großen Anstrengungen verbunden; im Gegentheil, sie kann
in großen Wagen zurückgelegt werden, wenn auch die Abhänge
auf norwegischer Seite ungemein steil sind. Uns war das Glück
bcschieden, schon am folgenden Tage das Thal zu erreichen, welches
den Eingang zu den Bergen bildet. Diese gewähren hier einen
imponirenden Anblick mit ihren stattlichen Laub - und Nadelwäldern,
und mit Entzücken athmeten wir die erfrischende Luft ein, die sich
am Morgen von ihnen her verbreitete. An einem wohlgebauten
Hause, das auf der blühenden Wiese an einem murmelnden Bache
lag, hielten wir an und wurden von der Familie des Zolleinnehmers
freundlich zum Kaffee eingeladen. Wir nahmen das Anerbieten an
und blieben, bis frische Pferde herbeigeschafft waren. Weit entfernt
von den nächsten gebildeten Menschen, hatte die Familie Alles
gethan, um sich in ihrer Häuslichkeit für das einsame Leben, zu
dem sie verurtheilt war, möglichst zu entschädigen. Besonders
erfreuten uns die vielen im Eßzimmer stehenden, in voller Blüte
35*
276
Ein Ausflug von Stockholm nach Drontheim.
prangenden Zierpflanzen. Sie bildeten einen hübschen Gegensatz
gegen die vielen schönen, aber immer nur kleinen Gebirgsblumen.
Nach einem herzlichen Lebewohl wurde die Reise nach der nor-
wegischen Grenze, oder der ans der höchsten Spitze des Berges
befindlichen Vorspanns-Station Skallstuga fortgesetzt. Da
die zum Vorspanndienste verpflichteten Wirthe hier wohl noch für
ihr Vieh etwas Futter finden, für ihren eigenen Unterhalt aber
vornehmlich ans den Ertrag des Vorspanngeldes angewiesen sind,
so kostete dasselbe hier etwas mehr als bisher.
Höher und höher, wenn auch sehr allmälig, steigt der Weg. Die
Tannen und Fichten nehmen immer mehr an Größe ab und sinken
zu unscheinbarem Krummholz herab, während doch die Birke noch
bleibt. Schließlich hört wegen mangelnder Sonnenwärme aller
Pflanzenwuchs auf. An zwei Stellen wurden wir auch genöthigt,
den Wagen zu verlassen, weil große Schneehaufen den Pferden die
Arbeit zu beschwerlich machten. Im Winter, bei schlechtem Wetter,
hat eine solche Reise ihre zwei Seiten; denn man kann dann vielleicht
weiterkommen, vielleicht aber auch gar nicht. Wir erreichten endlich
Skallstuga und fanden eine gute Mahlzeit, welche voraus bestellt
war, vor. Fragt man, wie das möglich sei, so diene zur Antwort,
daß der etwa 5 Meilen lange Weg über das Gebirge ziemlich
lebhaft ist, so daß die gewünschten Speisen sich wohl herbeischaffen
ließen.
Wir sahen vor uns einen von den Bergen, welcher den Lappen
zur Weide für ihre Rennthiere dient, und trafen in Skallstuga mit
einer Lappen-Familie selbst zusammen. Die Geschichte giebt uns
über den Ursprung der Lappen und deren erstes Auftreten in
Skandinavien keinen sichern Aufschluß; ihre eigenen Sagen und
Ueberlieferungen bieten auch dem Forscher nur schwache Anhalts-
punkte dar; doch läßt sich mit Recht bezweifeln, daß sie die älteste
Bevölkerung Skandinaviens gebildet haben. Sie scheinen vielmehr,
wie zahlreiche Denkmäler der Lappen in Finnland beweisen, aus
diesem Land, etwa 500 v. Ehr. G., verdrängt und über den
Bottnischen Meerbusen oder um denselben in Skandinavien ein-
gewandert zu sein. Anfangs waren diese Lappen nicht geneigt, sich
einer geordneten Regierung zu unterwerfen, so daß mannigfache
Grenzverletzungen vorkamen; doch nach und nach ist weniger davon
die Rede, und seit dem sechszehnten Jahrhundert zahlen sie regel-
mäßig die ihnen auferlegte sogenannte Bergsteuer, welche nach
der Weide der Rennthiere berechnet wird und sehr gering ist. Man
meint, daß die jährliche Steuer für Sommer- und Winterweide
von zweitausend Rennthieren nicht mehr als ein halbes Pfund
Butter beträgt.
Die Rennthiere leben ausschließlich von dem sogenannten
Rennthiermoose, welches sie sich im Winter dadurch verschaffeu,
daß sie es mit den Füßen unter dem Schnee hervorkratzen. Des
Lappen Hund hält die Heerde zusammen, gleich dem Schäferhunde.
Doch ist sein Bereich ein viel größerer, da eine Rennthierheerde
sich über einen sehr beträchtlichen Flächenraum zerstreut. Der
Nahrungsstoff des Rennthiermooses ist sehr gering, es wächst nur
niedrig und findet sich nicht überall.
Das Rennthier ist ein schönes Thier und fiir den Lappen ganz
unentbehrlich. Fleisch und Milch dienen ihm zur Nahrung, das
Fell zur Bekleidung. Das Fleisch, welches übrig bleibt, verkauft er,
obwohl es ganz vortrefflich ist, zu billigen Preisen, um sich dafür
sein Liebliugsgetränk, den Branntwein, zu verschaffen, auch wohl
um eine wollene Leibbinde dafür zu kaufen. Uebrigens hat er selbst
im Winter keine andere Bekleidung, als ein dreifach zusammen-
gelegtes Rennthierfell um den Leib, mit Riemen zusammengehalten,
ein Paar Schuhe aus Rennthierhaut und mit Riemen aus dem-
selben Felle zusammengenäht *).
Der Lappe scheint jedenfalls nicht zu den Millionen Brüdern
*) Der Herr Verfasser entwirft einige Schilderungen aus dem Leben und
Treiben der Lappen, welche wir übergeben, weil wir im Globns darüber schon
mehrfach Mittheilungen gegeben haben.
zu gehören, welche der Lieblingsdichter der deutschen Nation fest
umschlungen halten möchte. Aber kannst du mir sagen, lieber
Leser, ob nicht der von uns verachtete und bemitleidete Lappe auch
uns mit all unserer Civilisation und ihrem Elende dieselben Gefühle
widmet, wie wir ihm?
Als einen seiner größten Schätze betrachtet der Lappe seine
Otja, den Schlitten. Dieses Fahrgeräth hat Aehnlichkeit mit einem
Boote. Die Otja ist so wenig geräumig, daß nur ein Mensch
darin sitzen kann. Von der vordern Spitze der Otja läuft, als
Zugleine, ein dicker Riemen unter dem Bauche des Rennthiers
bis an dessen Geweih fort, wo derselbe befestigt ist. Ein anderer, feiner
Riemen, vorn am Kopfe des Thieres befestigt, dient als Zaum.
Das Gleichgewicht in dieser Otja muß der Lappe selbst zu halten
suchen, und es Hilst ihm dabei ein kleiner Stock, welchen er stets in
der einen Hand hält. So legt er, auf ungebahnten Wegen, oft
große Strecken zurück.
Die Lebensdauer des Lappen — er selbst weiß nur ausnahms-
weise, wie alt er ist — scheint kürzer zu sein, als die der germa-
nischen Rasse. Gewiß ist, daß er mehrere Jahre früher die ge-
schlechtliche Reife erlangt, als es bei uns der Fall zu sein pflegt.
Er kann sich deshalb, nach schwedischem Gesetz, auch früher ver-
heirathen.
Viele Missionäre, besonders der verdiente Pastor Stockfleth,
haben mit großer Ausdauer und unter den empfindlichsten Ent-
behrungen das Christenthum bei den Lappen gepredigt; auch sind
mehrere Schulen für sie gegründet worden; mir ist indeß von er-
heblichen Erfolgen nichts Zuverlässiges bekannt geworden. Es
wird von einer Art bildenden Einflusses wohl nur bei Denjenigen
die Rede sein können, welche an den Küsten entlang vom Fisch-
fänge sich nähren, also kein durchaus nomadisirendes Leben führen.
Die Lappen-Bevölkerung in Skandinavien betrug im Jahre 1855
23,528 Seelen, wovon etwa zwei Drittheile aus Norwegen kommen.
Während hier eine Vermehrung stattfiudet, wird in Schweden
eine Verminderung wahrgenommen. Viele Lappen sind in den
letzten Jahrzehnten in den Kupfer- und Eisenbergwerken, welche
immer zahlreicher werden, so daß man schon über 100 Grubenplätze
zählt, verwendet worden. Dieser Bergwerksbetrieb im hohen Norden
wird wohl mit der Zeit eine recht erhebliche Quelle des nationalen
Wohlstandes werden, da die Gruben unerschöpflich zu sein scheinen.
Wir kehren wieder nach Skallstuga zurück, doch nur um die
einsame Station sofort zu verlassen. Der Weg führt nun nach der
norwegischen Seite hinab; wir sind, nach schwedischem Sprach-
gebrauch, in's Ausland gekommen. Der reichere Pslanzenwnchs,
durch die sich nähernde Meeresküste bedingt, die jähen Thalformen,
und je mehr man hinabsteigt, die abweichende Bauart der Häuser,
besonders aber die zwar verwandte, aber doch sehr abweichende
norwegische Sprache verrathen hinlänglich, daß nicht bloß das
Kjölen-Gebirge oder der Seve-Rücken die beiden nordischen Länder
von einander trennt.
Wir waren früh am Morgen von Skallstuga aufgebrochen
und erreichten schon am Nachmittage das freundliche, aus kleinen
netten Holzhäusern bestehende Drontheim. Die überall herrschende
Reinlichkeit und die ziemlich breiten Straßen machen einen an-
genehmen Eindruck. Die Mitglieder der Kommission, welche für
den Empfang und die Aufnahme der Gäste zu sorgen hatte, wiesen
uns auf's bereitwilligste die für uns bestimmten Wohnungen an
und gaben uns blaue Bändchen zum Zeichen unserer Mitgliedschaft,
so daß wir nicht blos zur Theilnahme an den lehrreichen Erörte-
rungen über den Landban, sondern auch — was mich theilweise
mehr interessirte — an den von der ungezwungensten Heiterkeit
belebten Festmahlzeiten berechtigt waren. Von den recht gründlich
geführten Berathungen will ich den Leser nicht unterhalten. Gewiß
ist cs zwar, daß in den letzten Jahrzehnten Schweden und Nor-
wegen große Fortschritte in der Landwirthschaft gemacht haben;
aber trotzdein steht dieselbe im Ganzen genommen noch auf keiner
vorzüglichen Stufe der Ausbildung und erst unsere Nachkommen
Ein Ausflug von Stockholm nach Drontheim.
277
werden die Früchte von den bessern Methoden ernten, welche sich
mehr und mehr Bahn brechen.
Da die Wärme eine der vorzüglichsten Bedingungen alles
vegetabilischen wie animalischen Lebens ist, dieselbe aber immer
ungenügender auf den Boden einwirkt, je mehr man nach Norden
kommt, so scheint es nach meiner Meinung von höchster Wichtigkeit,
daß in unseren nordischen Gegenden selbst dem von Natur frucht-
barsten Boden eine starke animalische Düngung zu Thcil werde,
und daß, allgemein gesagt, mit zunehmender geographischer
Breite auch die animalische Düngung zunehme. Dieser Grundsatz,
der von den Vorfahren befolgt, in späterer Zeit aber wieder
zu eigenem Nachthcil anfgegeben wurde, kommt wieder mehr und
mehr zur Geltung.
Viele Mitglieder des landwirthschaftlichen Vereins machten
an einem schönen Tage, theils mit dem Dampfboote, theils auch
zu Wagen und Einige selbst zu Fuß, einen Ausflug nach S t i cke l st a d,
wo Olaf der Heilige begraben liegt. Hier wurden unter freiem
Himmel, von einer schnell improvisirten Reduerbühne herab (eine
Schiff umgekehrt werden; aber, meine Herren, gleichwohl ist es
nicht so, denn was wir vom Kiel sehen, ist nur unbedeutend gegen
die breite Basis, welche das Schiff in der unendlichen Tiefe besitzt.
Was wir sehen, das muß sich, bei vernünftiger Ueberlegung, in
einem großen Schisse finden, nämlich eine st ark e Zw i s ch e nw and,
damit, wenn Unglück kommt, das Schiss nicht zu Grunde gehe.
In unserm eisernen Zeitalter wird jedoch auch die Zwischenwand
durch das in so vieler Hinsicht nivellirende Eisen und auf andere
Weise durchbrochen. Das Schiss braucht aber nicht blos einen Kiel,
sondern es thnt auch Roth, daß mau auf beiden Seiten für eine
gute Ausrüstung sorgt. Wenn der Schwede auf der rechten, der
Norweger auf der linken Seite des Zwischenbalkens baut, so darf
das zu nichts Anderin als zu einem Wetteifer, stark und gut zu
bauen, führen. Was soll's denn schaden, wenn die eine Einrichtung
hier sich von der andern dort ein wenig unterscheidet? Ueberdies,
wenn wir diese Einrichtungen — unsere Gesetze und den königlichen
Wahlspruch: „Nach dem Gesetz soll gebaut werden",*)
haben wir ja gemeinsam — anführen wollen, so werden wir finden,
-Krönungsdom in Drontheim.
alte umgekehrte Kiste diente als solche), viele wackere Reden ge-
halten. Zwar trat in denselben das Nationale des Norwegers
wie des Schweden hervor, aber in den lebhaften Beifallsbe-
zeugungen, welche sie einander gegenseitig zu Theil werden ließen,
zeigte sich unverkennbar bei aller Offenheit und Ungezwungenheit,
womit auch das Mangelhafte und Unvollkommene in beiden Ländern
besprochen wurde, ein Zug von gegenseitiger Hochachtung, der ein
schönes Zeugniß der Eintracht beider Nationen gab. Einer der
Redner sprach:
„Stellen wir uns die skandinavische Halbinsel unter dem
Bild eines Schiffes vor — und das Bild liegt nahe, denn das Land
ist ja vom Wasser fast rings umflossen — so wollen wir sehen, was
dies Schiff nöthig hat, nicht um im ruhigen Hafen still vor Anker
zu liegen, sondern um unter den gewaltigen Stürmen, welche die
Welt aufregen, mit Sicherheit und Kraft das vorgesteckte Ziel zu
erreichen. Einen Kiel muß das Schiss haben, und es hat ihn auch
— das Gebirge, das Schweden und Norwegen trennt, ist der
Kiel*). Wie jetzt der Kiel nach oben liegt, da scheint es, muß das
*) DieDentschen nennen das Gebirge bekanntlich Kjölen. Dieschwedische
Sprache gestattet hier unmittelbar das Wortspiel.
daß die Fehler, welche auf der einen Seite berichtigt werden müssen,
auch auf der andern Seite der Berichtigung bedürfen, daß sie
vielfach auf beiden Seiten dieselben sind, und daß, wie groß auch
der Unterschied in äußeren Formen sein mag, die innere geistige
Verschiedenheit minder groß ist, als man glaubt. Jedenfalls
können doch selbst zwei Brüder auf verschiedene Weise zn Glück
und Wohlstand gelangeu, und die Bruderliebe braucht darunter
nicht entfernt zu leiden, sondern sie werden einander gegen jede
äußere Gewalt mit Gut und Blut vertheidigen. Dies ist auch
die Hauptsache und ich behaupte kühn, daß die Stunde der Noth,
woher sie auch komme, uns zur gegenseitigen Vertheidigung bis
auf des letzten Mannes letzten Blutstropfen bereit finden werde.
Dabei kenne ich wohl den § 25 des Unionsvertrags, der da
bestimmt, wie das gesetzlich zn geschehen hat. Bevor aber die
Segel auf dem köstlichen Schiff aufgehißt werden können, ver-
gessen wir nicht, daß uns das Steuer gemeinsam ist, der kräftige
Arm, der sichere Blick, der den Gang des Schiffes bestimmt und
dem es folgen muß, wenn es nicht untergehen will — Schwedens
*) Dieser Wahlspruch Karl's XV. ist einem allen Rechtsbuch entnommen.
278
Die Eingeborenen der australischen Kolonie Victoria.
und Norwegens König. Freilich — nicht zu vergessen — ist er nicht
allein ans dem Schiffe, wenn es gilt, Befehle zu ertheilen, sondern
er hört auf den Rath der erfahrensten Männer, die ihm das Land
zur Seite stellt. Und dessen bleibe er sich stets bewußt!"
Mit rauschendem Beifall wurde die begeisterte Rede aus-
genommen, und mancher herzliche Händedruck bewies dem Redner,
wie sehr er die unter beiden Nationen herrschende Gesinnung zu
treffen gewußt hatte.
In der Thal hat zwar oft eine starke Verstimmung der Nor-
weger gegen Schweden geherrscht, aber sie hatte nicht ihren Grund
in einem in socialer Hinsicht unangemessenen Benehmen Einzelner
oder ganzer Stände unter uns gegen das Nachbarland. Der Nor-
weger, stolz ans seine Verfassung, die ihm bis auf wenige Punkte
volle Selbständigkeit und Unabhängigkeit von Schweden sichert,
verträgt es durchaus nicht — und wer wollte es ihm verdenken? —
wenn von schwedischer Seite, auch selbst in den u n bedeutendsten
Sachen, eine Einmischung versucht wird. Leider ist dies aber selbst
von sonst wohlgesinnten, patriotischen Schweden versucht worden.
Der König allein, die vermittelnde, über den Parteien stehende
Macht, könnte in gesetzlicher Hinsicht eine Art Initiative ergreifen.
Doch es soll nicht meine Sache sein, mich hier in Politik zu vertiefen.
Nach einem froh verlebten Tage kehrte die Gesellschaft in
heiterster Stimmung nach Drontheim zurück. Natürlich ver-
säumten wir nicht, den ehrwürdigen Dom zu besuchen, in welchem
die Könige gekrönt und die 1818 verfertigten Reichskleinodien
aufbewahrt werden.
Wir verweilten noch einige Tage im Umgänge mit den lieben
alten Bekannten und begaben uns dann auf demselben Wege nach
Oestersnnd zurück. Hier ruhten wir einige Tage, fuhren dann
nach Sundwall und bestiegen das Dampfboot. Ein recht empfind-
licher Sturm überraschte uns auf der Rückreise, doch wir über-
standen ihn glücklich und trafen wohlbehalten, wenn auch etwas
später als erwartet wurde, wieder in Stockholm ein.
Äie Eingeborene» der australischen Kolonie Dictoria.
Von Richard Oberländer.
Zweiter Artikel.
Weiber und Kinder.
Die eingeborenen Frauen oder Lnbras sind in ihrem wilden
Zustande selten mit Kleidern belästigt. Wie die Weiber in Neu-
Guinea nur eine sehr leichte Bedeckung haben, so sind die von
Australien auf ähnliche Weise ungeschmückt. Die Port Phillip-
Lubras sind sich indessen einer Unanständigkeit völlig unbewußt.
Manche haben eine Art Flechtwerk, um ihren Rücken zu be-
schützen, sehen aber die Nothwendigkeit nicht ein, etwas An-
deres zu bedecken. Die Persönlichkeit der Frauen ist bisweilen,
ja fast immer, abschreckend, da sie in physischer Entwickelung weit
unter den Männern stehen. Kurz von Gestalt, ausgemergelt, mit
langen schlaffen Brüsten, an denen sie ihre Kinder öfters zwei bis
drei Jahre säugen, Stoppeln, weil abgeschoren, statt der Haare,
mit dicken Lippen und großer Unreinlichkeit, ähneln sie eher allem
Andern, als der Venns von Medici. Eine Ursache ihrer nntxr-
geordnetern Stellung, im Vergleich zu den Männern, mag darin
liegen, daß sie so zeitig heirathen, in der schlechten Behandlung,
welche sie von ihren Männern zu erdulden haben, und in ihrer
schlechten Lebensweise. Von ihrer mit Recht verschrieenen Häßlich-
keit habe ich übrigens doch einmal eine entschiedene Ausnahme be-
merkt. Unterm Gonlbonrne-Stamme hatte ich an den Jones-Creek-
Diggings Gelegenheit, die Tochter des „Königs Bondi", eine
Schöne von sechzehn Sommern, zu bemerken, die allgemeine Be-
wunderung erregte. Ihre Form war zierlich und schön gerundet,
wie die einer Cirkassierin. Die Brust war fest und rund, ihr
dunkelgelocktes Haar regelrecht gescheitelt, der Mund zeigte eine
brillante Reihe von Elfenbein, und muntere, muthwillige, ruhelose
Augen mit dünnen, langen, schwarzen Wimpern vollendeten ihre
Schönheit. Diese Australierin hatte ihre Opossumfelldecke mit der
Grazie einer Salondame umgeworfen. Bisweilen ließ sie diese
Decke fallen, um ihre Schönheit den sie umstehenden Diggern zu
zeigen, und warf dann einen halb schüchternen, halb heraus-
fordernden Blick auf die Zuschauer, wenn diese ihre absichtliche oder
zufällige Nachlässigkeit bemerkten. Von den Diggern ward sie all-
gemein Fair princeß Kathleen genannt. Leider sind dergleichen
Ausnahmen mehr als selten; ich wenigstens habe während meines
dreizehnjährigen Aufenthalts dort keine zweite Kitty gesehen.
Die Frauen sind nicht besonders fruchtbar. Und nun, was
für ein furchtbares Verhängniß muß über die Schwarzen gekommen
sein, wenn wir hören, daß im letzten Jahre nur zwei Kinder
auf einem Flächenraume von Tausenden von Qnadratmeilen, im
Portland Bay Distrikte, geboren wurden! Die junge Mutter be-
darf nicht vieler Vorbereitung zu ihrer schweren Stunde. Sie hat
keine langen Qualen und auch keine Ruhe nach ihrer Entbindung.
Eine Mischung von Holzkohle und Fett wird über den Körper des
Neugeborenen zum Schutze gegen die Insekten und die Hitze gerieben.
Der Stamm kann nicht rasten, an: nächsten Tag ist die Mutter
wiederum auf der Wanderung. Von Mischlingen giebt es nur
einige, obschon der Verkehr weißer Männer mit Lubras leider nur
zu häufig ist, von den Schwarzen keineswegs als eine Schande
betrachtet wird und von den Männern, um Geld oder Tabak oder
Spirituosen zu erlangen, nur zu gern unterstützt wird.
Eins der schönsten Kinder, die ich je gesehen, war ein Misch-
ling an den Ufern des Murray. Der Knabe war bronzefarben,
hatte reiches, lockiges Haar, gesunde, feiste Backen und die glänzenden
Augen seiner ausnahmsweise nicht ganz häßlichen, jungen Mutier.
Er war etwa fünfzehn Monate alt, lugte über die Schulter der
Lubra und streckte, wenn ein Weißer vorbeipassirte, seine Hände
aus, wobei er mit halb schalkhafter, halb weinerlicher Stimme
winselte: Gib me copper.
Die Jungen im Lager sind voller Munterkeit. Wenn sich
der Vater selten herabläßt, an ihren Spielen Theil zu nehmen,
läßt doch die Lubra ihren mütterlichen Gefühlen freien Lauf. Oft
habe ich mit Vergnügen ihren munteren Spielen zugesehen. Obschon
die Mutter mit treuer Liebe an ihrem Sprößlinge hängt, hat sie
doch noch einen andern Günstling, an den sie ihre Liebe verschwendet.
Man sieht keine Lubra ohne fünf bis sechs fleckige, schmutzige, dürre,
räudige Hunde, deren Junge mit ihrem eigenen Kind ihre Milch
theilen. In der Nähe von Alberton in Gippsland sah ich einst eine
Eingeborene, die abwechselnd ihren Knaben und vier junge Hunde
säugte.
Heirath.
Die alte Sage ist, daß wenn ein junger Mann einer Frau
bedurfte, er auf ein Mädchen eines andern Stammes lauerte, auf
sie wie ein Tiger stürzte, sie mit einer Keule niederschlng und dann
bewußtlos und blutend nach seinem Lager schleppte. So weit ich
beobachten konnte, ist dies eine grobe Verleumdung des Charakters
der Eingeborenen. Eine Liebesgeschichte ist ähnlich wie bei uns in
Europa, aber richtig ist, daß die Australier das Küssen nicht
kennen. Der Neuseeländer hat dafür ein Surrogat, das „Nasen-
Die Eingeborenen der australischen Kolonie Victoria.
279
reiben", der Australier kennt aber auch dieses nicht. Bon einem
ehrbaren Wittwer, der die schreckliche Prüfung überstanden, erhielt
ich einen wahrheitstreuen Bericht über ihre Liebesaffairen, den ich
soviel als möglich mit seinen eigenen Worten wiedergeben will.
Er begann mit der Eröffnung, daß wer nicht schon als Kind, wie
dies bei ihnen gebräuchlich, mit einer Lubra versprochen sei, sich
dann zur Zeit eine solche in einem benachbarten Stamm aussuchen
müsse. Gewisse Gebräuche gehen der Mannbarkeitserklärung der
Eingeborenen voraus, so z. B. werden ihnen bei Mondschein
die oberen Mittelzähne ansgeschlagen, auch muß ihr Ge-
sicht von einem Barte geziert sein, sie müssen Proben ihrer Tapfer-
keit und Geschicklichkeit im Jagen abgelegt haben. Der Heiraths-
kandidat also besucht den Stamm, setzt sich an das Lagerfeuer und
wählt natürlich das, welches durch die Gegenwart des Gegen-
standes seiner Neigung verherrlicht wird. So beginnt nach seiner
Aussage die Liebschaft:
„Junger Mann sitzt nieder, sehr schöner junger Mann sieht
Lubra, sehr schöne, junge Lubra. Sie sieht ihn, sagt: sehr schöner
junger Mann; er sieht sie an, sagt: sehr schöne junge Lubra. Er
spricht zu ihr, sie spricht zu ihm, dann viel sprechen, ein Tag, viele
Tage. Dann er sagt: Du meine Lubra; dann sie sagt: Du mein
Mann! Dann er sagt: Du gehst mit mir, wenn ich fertig; sie sagt:
ich gehe, wenn Du fertig. Dann sie sagt's andrer Lubra, ganz
dasselbe Freundin. Die sagt: sehr schöner junger Mann. Du gehst
mit ihm in sein Lager? Einen Tag junger Mann gehen ans viel
weiten Weg. Zwei Lubras gehen herum viel weiten Weg. Dann
schöne junge Lubra nehmen Hand von jungen Mann, und laufen
in jungen Mannes Hand. Bye und bye viel ärgerlich Vater von
junger Lubra. Stamm kommen zu Stamm von jungen Mann.
Viel Speer und Bumerang. So kriegt Blackfellow Lubra."
Da unter den Stämmen Polygamie gednldetwird, wie dies unter
allen Nomadenvölkern von der Zeit des Abraham bis zum jetzigen,
herumstreifenden Mongolen der Fall ist, so kommt es, daß ältere
Leute sich mehr solcher Begünstigungen zu erfreuen hatten, als die
jungen. Daher kommt es auch, daß man alte Männer mit jungen
Weibern sieht, während junge, kräftige Burschen ohne Lnbra's sind.
Manche Alte haben bis zu fünf Frauen. Aus lauter Verzweiflung
machen sie dann wohl einem guten Freunde ein Geschenk mit einem
alten, runzlichen Weibe. Der Mann mit zwei Frauen, die sich
einigermaßen vertragen können, führt in seiner Weise ein köstliches
Leben, denn er hat nicht nur zwei Proviantmeister, sondern auch
zwei Lastträger, die ihm Speer, Buinerang und alles Reise-
gepäck nachschleppen müssen, denn ein Mann, der einmal einen
Bart und eine Lubra hat, hält es unter seiner Würde, der-
gleichen selbst zu thun. Ein junges, unverlobtes Mädchen ohne Vater
wird von ihrem Bruder in Schutz genommen, und dieser verschenkt
sie, an wen er will. Manchmal bekunden junge Männer ihre Freund-
schaft durch Wechsel der Schwestern. Jndeß die Lieblings-
methode ist die oben beschriebene Brautfahrt nach einem andern
Stamme.
Kind ermord und Kannibalismus.
Das bei den Eingeborenen sehr häufig vorkommende Tödten
der Kinder geschieht nicht aus Mangel an mütterlicher Anhänglich-
keit, sondern ist von dem Willen des Stammes abhängig, so wie
von der Schwierigkeit, hernmziehenden Männern mit Säuglingen
zu folgen, und dem Mangel an natürlicher Nahrung für solche.
Die Beschaffenheit der Lebensmittel der Eingebornen ist unpassend
für ganz kleine Kinder; diese hängen von ihrer Mutter zwei- bis
dreimal längere Zeit ab, als bei uns Europäern.
Wedge schrieb über die Schwarzen im Jahre 1840: „Sie
haben eine andere Gewohnheit, nämlich die, ihre neugeborenen
Kinder zu tödten, wenn sie eher geboren sind, als bis das vorige
ein Alter von 3 bis 4 Jahren erreicht hat, vor welcher Zeit diese
nicht entwöhnt werden."
Buckley sagte mir: „Sobald sie so viel Kinder haben, als sie
bequem mit sich Herumschleppen können, tödten sie die anderen
gleich nach ihrer Geburt, nicht um sie zu fressen, sondern mit der
Idee, daß es unter diesen Umständen besser, ja sogar der Tod eine
Art praktischen Mitleids sei." Aus derselben Quelle erfahren wir,
daß, wenn eine Familie sich zu schnell vermehrt, der Stamm, zu
dem sie gehört, eine Berathnng darüber hält, ob das Neugeborene
leben soll oder nicht ; wenn aber der Vater des Kindes darauf besteht,
daß es am Leben gelassen werde, kann der Stamm nicht ans dessen
Tödtung bestehen. Ebenso hatten sie die Gewohnheit, daß, wenn
eine Lubra mit einem Manne verlobt war, aber einen andern nahm,
ihr erstes Kind getödtet wurde. Von Zwillingen wurde eins erdrosselt.
Abortion durch Druck (sie bezeichnen dasselbe als Mibra) kommt
keineswegs selten vor, besonders nach einem Zanke zwischen Mann
und Frau!
Am Murray ward mir die Lubra des Nnllaboid gezeigt, die
zehn oder elf ihrer Kinder getödtet hatte!!!
Protektor Thomas führt als einen Grund, weshalb sie die
Kinder tödten, an: „Weil sie den Muth verloren haben und ihre
Kinder, denen von den Weißen das Land genommen worden ist,
nicht leben lassen wollten." Mischlinge werden in der Regel getödtet.
Als ich darüber eine Lubra befragte, erhielt ich zur Antwort: Ko
goocl, all the sanie warrigal (wilder Hund). Eine andere erklärte
mir ebenso aufrichtig: Blackfellow kill 'emplenty white piccaninny-
Die Eingeborenen Australiens sind Kannibalen, machen
daraus kein Geheimniß und sprechen davon als von einer selbstver-
ständlichen Sache, wie sie denn auch die Art und Weise der Zu-
bereitung des Mahls ganz unbefangen beschreiben. Die Einzelheiten
sind aber zu empörend, als daß ich specieller darauf eingehen könnte.
Buckley bemerkte: „AufmeinenWanderungenbegegneteich denPalli-
dnrgbarrans, einem Stamme, der seines Kannibalismus wegen be-
kannt ist, weil er nicht nur das Fleisch seiner getödteten Feinde ver-
zehrt, sondern Menschenfleisch überhaupt bei allen möglichen Gelegen-
heiten genießt. Sie standen auf einer der Thierwelt nächsten Stufe
und waren sehr gefürchtet. Ihre Farbe war hellknp fer färben und
sie hatten ungeheuer, große vorstehende Bäuche. Hütten oder andere
künstliche Wohnplätze waren ihnen unbekannt, sie lagen im Gebüsch
umher. Ihre Brutalität wurde endlich so lästig und ihre Angriffe
so häufig, daß man beschloß, den Wald, worin sie sich verborgen
hatten, anznzünden und sie Einen und Alle zu vernichten. Dies
gelang, denn nachher habe ich keine mehr gesehen." Dr. Thomson
schickte den Kopf eines gerösteten Kindes an das Museum in
Edinburgh. Ein alter Kolonist erzählte mir, daß eine Freundin
von ihm, eine Weiße, ein großer Liebling der Aarraschwarzen ge-
wesen sei, weil man glaubte, sie sei die Wiedererscheinung eines
Gliedes ihres eigenen Stammes. Deshalb wurden ihr Geheimnisse
erzählt, die Anderen verschwiegen wurden. Eines Tages kam eine
Lubra, zog ein Stück gebratenen Kindes hervor, zeigte es ihrer
weißen Freundin und bat diese, nichts davon zu sagen. Der
Barrabool-Stamm sing einen alten Mann und ein Mädchen ein,
die zu einem anderen Stamme gehörten, und welche sie beschuldig-
ten, meinen Freund Gellibrand*) gemordet zu haben. Das Mädchen
ward getödtet und gebraten und das Fett als Haarpomade benutzt.
Etwas warmes Fleisch ward lachend einem Engländer zum Kosten
gereicht. Di-. Cotter nahm, soviel mir erinnerlich, einen Theil des
Schenkels als Beweis der Thatsache mit sich fort.
Waffen.
Der Speer ist eine 8 bis 9 Fuß lange Waffe mit einer Spitze
aus Kängernknochen, die in der Hand eines starken Mannes nicht
zu verachten ist. Am Murray wird eine leichtere Art Speer Kilo
genannt. Derívale Schild ein Hile man. Der Warum era
oder Nya-waóak oder Wurf stock wird beim Speerwerfen als
*) Im Jahre 1857 kamen die Landmesser Gellibrand und Hesse nach
Port Phillip um das Land welches die Schafzüchter Tasmanien'» aufnehmen
sollte, oberflächlich zu vermessen. Sic wurden in den Leigh claims am Fuße
! der jetzt nach ihnen genannten Berge, ermordet gefunden.
280
Die Eingeborenen der australischen Kolonie Victoria.
Hebel zur Beschleunigung der Schnelligkeit angewandt. Der kurze
Stock mit eiförmigen, im Feuer gehärteten Knoten, mit dem sie
sehr geschickt und sicher werfen, heißt Bwirris. Die Aarra-
Schwarzen nennen den Speer mit Widerhaken ein Kam well, den
Jagdspeer Daar; der Bumerang heißt bei ihnen Wungara oder
Kilie, die beiden Schilde nennen sie Malga und Seangwell.
Letzterer ist länglich und hat eine Art Knopf in der Mitte; der
Malga ist dazu da, um Schläge abzuwehren, und 3 Fuß lang-
Beide werden aus der Rinde des rothen Gumbaums gemacht.
Der Nella oder Waddy ist ein starker Stock oder Keule, der
Langiel ein Stock mit einer elnbogenartigen Krümmung und wird
wie eine Hellebarde gebraucht. Der Speer mit Widerhaken
ist mit Stücken eckigen Quarzes versehen, die mit Gummi angeklebt
sind. Es bedarf ungefähr einer Woche, um diesen zu härten. Der
Speer wird aus dem Eisenrindenbaum (Jronbark, ebenfalls ein
Eucalyptus) oder aus Buchsbaum gemacht. Der Wurfstock, in
einem von dessen Einschnitten der Speer beim Wurfe balancirt
wird, wird aus Kirschbaumholz (Exocarpus) oder Akazienholz
(Mimose) geschnitzt. Bei weitem die interessanteste Waffe aber, die
sie besitzen, ist der Bumerang, ein etwa 15 Zoll langes, 2 Zoll
breites und circa '/2 Zoll dickes, sichelförmiges Stück Holz, ans dem
Eisenrindenbaum geschnitzt, mit dem die Eingebornen nach irgend
einem Gegenstände bis zu einer Entfernung von 60 und 100 Fuß
und mehr werfen können. Dies thun sie mit einer unglaublichen
Fertigkeit und die Waffe hat dabei die eigeuthümliche Eigenschaft,
daß sie, nachdem der gewünschte Gegenstand getroffen oder getödtet
worden ist, jedesmal in die Nähe des Punktes znrückkehrt, von wo
sie geworfen. Ich habe nie einen Europäer gesehen, der diese Waffe
mit derselben Geschicklichkeit gebrauchen konnte; ebenso wenig hat
meines Wissens jemals ein Europäer einen Bumerang anfertigen
können. Was im beschreibenden Theile der Novara-Expedition
erzählt wird, daß die Eingeborenen diese Wurfgeschosse zum jedes-
maligen Gebrauch aus dem Knieholz eines benachbarten Baums
schnitzen mußten, ist vollständig unwahr. Ich habe stets einen
Vorrath von wenigstens 4 bis 5 bei ihnen gesehen. Ein Gleiches
würden auch die armen Lubras auf Befragen berichten können,
welche, wie bereits erzählt, die Waffen ihrer Herren und Meister
schleppen müssen. In unmittelbarer Nähe einer Stadt wie Sydney
ist ja auch gar nicht der Ort, um das Leben der verdrängten Ein-
geborenen zu beobachten; da kann es schon vorgekommen sein, daß
einer seine letzte Waffe an einen neugierigen Weißen für einen
Schluck Rum erst kurz vorher verkauft hatte.
Ich will hier Einiges über Kämpfe bemerken, die von eigen-
thümlicher Art sind. Ich habe oftmals dergleichen mit angesehen.
Gewöhnlich handelt es sich darum, eine Streitigkeit zwischen
zwei Gliedern verschiedener Stämme zu schlichten. Die beiden Par-
teien, je 20 bis 25 Mann stark, dahinter die Lubras, alle nackt,
stellen sich einander gegenüber und die beiden Entzweiten treten vor.
Ihr Zank wiederholt sich nun durch gegenseitiges Beschimpfen und
schließliches Bespeien in höchst komischer Weise. Nun nimmt der
Eine, auf's höchste gereizt, seinen Waddy und versetzt damit dem
Andern einen Schlag, der diesen auf kurze Zeit zu Boden streckt.
Nachdem der Getroffene sich emporgerichtet, versetzt er seinem Gegner
einen ebensolchen Schlag, und sobald dieser gefallen, stürzen die
beiden Parteien unter allgemeinem Gebrüll, namentlich der Weiber,
auf einander los. Wenn man null denkt, von den Kämpfern müßten
bei diesem wüthenden Zusammentreffen nur wenige am Leben bleiben,
so irrt man sich: dns Ganze gleicht nicht so sehr einem ernstlichen
Kampf, als einem Kampfspiele, denn es ist eine Seltenheit, wenn
einmal einer tobt oder tödtlich verwundet ist.
Religion und Missionen.
Ich habe vielfach darüber nachgefragt, ob die Schwarzen vor
Ankunft der Weißen ein höheres Wesen gekannt hätten, und die
Antwort der Missionäre, Ansiedler und Eingeborenen selbst war
stets: „Nein"! Bei Ankunft der Ersteren waren sie eine Rasse ohne
Gott, ohne Gebet. Bei den Neuseeländern und Südseeinsulanern
verhielt es sich anders. Diese wandten sich an eine Gottheit um
Schutz und Hülfe, ehe sie zum Fischfang ans fuhren. Die Ent-
wickelung ihres Verehrungssinnes war ein Hülfsmittel für die Mis-
sionäre. Es scheint, als ob ein solcher Verehrungssinn den Austra-
liern völlig mangele. Die Missionäre haben ihre liebe Noth mit
diesen Leuten. Ein Knabe, dem das Vaterunser gelehrt worden
war, bemerkte gegen seinen Lehrer einst eine praktische Schwierig-
keit, die ihm in demselben aufgestoßen war. Er sagte, daß er öfters
in der Wüste, wo Lebensmittel selten seien, gebetet habe: „Unser
täglich Brod gieb uns heute", und daß doch kein Opossum gekommen
sei. Diese Anekdote ist wohl schon vielfach erzählt worden, es
scheint also, als ob schon andere wilde Nationen auf dieselbe Idee
gekommen seien! Einer, der auf einer Missionsstation eine lange
Predigt angehört hatte, in der Hoffnung, etwas zu essen zu be-
kommen, war sehr ungehalten über die kleine Portion, die ihm zu
Theil ward, und sagte: „No good thatr, plenty one big yabber,
boorak murrey plour (flour).“ Es war keine genügende Belohnung
für die Geduld, die er an den Tag gelegt hatte.
Nach Allem, was ich gesehen und beobachtet, glaube ich nicht,
daß es je gelingen wird, die Eingeborenen zum Christenthume zu be-
kehren. Bis jetzt sind alle Versuche ans die Dauer f e h l g e s ch l a g e n.
Das Wesen der Religion ist ihren Naturen so fremd, daß aller-
höchstens erst nach mehreren Generationen irgend ein, wenn auch
schwaches Resultat erwartet werden könnte, und in der Zwischen-
zeit ist die Rasse kinderlos untergegangen. Es hat nicht
an Versuchen gefehlt, sie im Christenthume zu unterrichten. Schulen
für die Kinder sind hie und da entstanden, und eifrige Missionäre
haben sie der Religion theilhaftig machen wollen; allein es hilft
dies Alles nur für den Augenblick. Die übrigen Mitglieder des
Stammes, welche bei ihren Streifzügen in die Nähe der „Gezähm-
ten" kommen, verführen diese, welche nur zu gern ihren Landsleuten
folgen, und alle vergessenbei ihremHernmstreichen das ihnen mühsam
Gelehrte.
Aberglaube
ist der Begleiter der Unwissenheit. Der Wilde, welcher einem
wüthenden Löwen furchtlos entgegeneilt, zittert vor einem Schatten.
Ans einige abergläubige Gebräuche der Eingeborenen will ich
aufmerksam niachen. Man verwechsele dieselben aber ja nicht mit
religiösen Ideen, weil sie eine mehr oder weniger entfernte Ver-
bindung niit deni Ucbernatürlichen zu haben scheinen. Unsere dunkeln
Freunde verlassen nie bei Nacht das Lagerfeuer, aus Furcht, bösen
Geistern zu begegnen. Sie haben so viel Respekt vor ihren Dok-
toren, wie noch heutzutage unsere Bauern vor den Leuten, die, wie
sie sich ausdrücken, besprechen können. Ich sah einst, wie einer
dieser Medizinmänner au drei Lubras, die sich in einer ungewöhn-
lichen Lage befanden, eine merkwürdige Ceremonie vollzog. Sie
standen vor ihm und blickten ihm fest in die Augen. Darauf zog
er sich murmelnd nach einem Baumstumpfe zurück, schritt dann
wieder ans die Lubras zu und blies ans ihre Leiber. Dies alles
wurde mehrmals wiederholt und sollte ohne Zweifel eine sichere
und glückliche Entbindung bewirken.
Menschliches Nierenfett, das um den Hals getragen wird, gilt
für ein wunderbares Präservativ gegen Krankheiten.
Ihr Glaube, daß sie nach dem Tode wieder als Weiße auf-
erstehen werden, ist merkwürdig genug.
Buckley's Leben ward, wie ich schon mittheilte, gerettet, weil
man glaubte, er sei der verkörperte Geist eines ihrer verstorbenen
Freunde.
Wedge schrieb im Jahre 1835: „Sie haben allerdings den
Glauben, daß sie nach dem Tode wieder in Gestalt der Weißen
leben werden." Er glaubte aber, daß dies eine von den Weißen
zum Vortheile dieser Letzteren inokulirte Idee sei. Dieser Glaube
ist nicht ohne Trost für den Eingeborenen, denn als ein Mann, eines
Die Eingeborenen der australischen Kolonie Victoria.
281
Verbrechens wegen, in Melbourne gehängt ward, rief er munter
aus: „Very good, me jump Up white fellow, plenty sixpence.“
Dieser Glaube beschränkt sich nicht blos auf Port Phillip. Als
Kapitän Grey in Westaustralien -war, wurde er von einer alten
häßlichen Lubra als ihr längst verstorbener Sohn mit Freuden be-
grüßt. Ein Herr in Moonee Ponds erzählte mir, daß im Port
Fairy-Distrikt eine alte Frau sein kleines Mädchen als ihre ver-
storbene Tochter erkannt habe.
Auf meinem Wege nach Seymonr am Goulbonrn-River traf
ich einst auf einen Camp Eingeborener, von denen ich bereitwillig
nach dessen Orte begleitet wurde. Da ich in einem Walde, den wir
durchzogen, eine ungewöhnliche Anzahl abgestorbener Bäume be-
merkte, so veranlaßte mich dieser eigenthümliche Umstand, nach der
Ursache zu forschen, und ich erfuhr dann, daß dies die Stelle sei,
wo ein früher sehr zahlreicher Goulbourn-Stamm von einem anderen
mächtigen Stamme von den Murray-Ufern besiegt wurde. Jeder
todte Banm repräsentirt ein Mitglied des erloschenen
Stammes. Dieser Gebrauch wird noch aufrecht erhalten bei den
Stämmen in der Nähe des Goulbonrn und verdankt seinen Ursprung
der folgenden abergläubischen Ceremonie. Ein Jüngling, welcher
das männliche Alter erreicht, wird von drei Häuptlingen seines
Stammes in die Einsamkeit der Wälder geführt, wo er zwei Tage
und eine Nacht verweilt. Mit einem Stück Holz versehen, schlägt
er sich zwei Zähne vorn aus der obern Reihe aus, geht wieder in
das Lager und übergiebt seiner Mutter die Zähne. Der Jüngling
eilt dann in den Busch zurück und bleibt zwei Nächte und einen
Tag abwesend. Während dieser Zeit verbirgt seine Mutter die
Zähne in der Rinde eines jungen Gumbaums an einer Stelle,
wo zwei Zweige im Gipfel eine Gabel bilden. Dieser Baum wird
nur gewissen Personen des Stammes kenntlich gemacht und der
Jüngling selbst erfährt durchaus nichts davon. Im Falle nun die
Person, welcher der Baum aus diese Art gewidmet ist, stirbt, wird
vom Fuße die Rinde abgestreift, der Baum durch Feuer getödtet,
und er bildet somit ein Denkmal für den Verstorbenen. Demnach
darf man sich nicht länger wundern, so häufig Gruppen abgestorbener
Bäume, umgeben von üppiger Vegetation, in blühenden grünen
Wäldern zu finden.
Die Eingeborenen, welche mich nach Seymonr begleiteten,
weigerten sich, in der Nähe von Lagunen zu bleiben, wo ich mein
Lager anfgeschlagen hatte, und als ich nach dem Grunde mich er-
kundigte, erfuhr ich, daß ein Thier, halb Kasuar und halb Fisch,
doch mit viel längeren Beinen als erstgenannter, und so furchtbarer
Natur, daß es ihnen Gefahr droht, gewöhnlich mit dem Beginne
der warmen Jahreszeit zum Vorschein komme und am Ufer der
Lagunen auf Raub ausgehe. Dies Thier nannten sie Bunyip. Ich
habe den Glauben an dasselbe später noch bei vielen anderen
Stämmen gefunden, und selbst weiße Ansiedler gekannt, die steif
und fest behaupteten, ein ähnliches Thier bei Nacht einmal gesehen
zu haben. Die große Lagune in der unmittelbaren Nähe Ballarats
wird als ein Aufenthalt dieses Monstrums bezeichnet. Aber obschon
ich längere Zeit in der Nähe wohnte, habe ich cs doch nie zu Gesicht
bekommen, wohl aber gefunden, daß dieser See bei sehr heißen
Sommern fast ganz austrocknet, ein so großes Thier also gar nicht
beherbergen kann.
Im Jahre 1858 endlich ist man der Sache auf die Spur ge-
kommen. In der Nähe vom Edwards-River, ungefähr 250 Miles
von Melbourne, ward ein großes, merkwürdiges Thier getödtet,
welches allgemein für den Bunyip gehalten wurde und viel Auf-
sehen erregte. Ein Herr Hugh Glaß, auf dessen Station es erlegt
worden, bestimmte es für das Britische Museum, zeigte es aber
auf Verlangen dem australischen Publikum, weil er das einzige
Exemplar war, das je gefangen worden ist, und noch jetzt kennt
man kein zweites. Ich selbst habe diesen Bunyip mehrmals gesehen
und kann Ihnen deshalb eine Beschreibung davon geben. Es war
ein ziemlich großes, robbenartiges Thier mit kurzhaarigem, dunkel-
grauem Fell und einem für des Thieres Größe Ungeheuern' Rachen.
Globus IV. Nr. 9.
Seine Vorderfüße waren kurz und stämmig, das Hintere Fußpaar
ausgestreckt und weit hinab durch gemeinsame Haut umschlossen.
Alle Zehen waren mit Schwimmhäuten verbunden. Sie sehen
also, daß diese Beschreibung ziemlich genau auf einen Seehund
(Phoca) paßt; wie aber ein solches Thier von der Seeküste in eine
Süßwasserlagune kam, und nicht nur einmal gekommen sein kann,
denn der Glaube an den Bunyip ist allen Stämmen Australiens
eigen, diese Frage zu eutscheiden überlasse ich Naturforschern und
Gelehrten. Ich kann Ihnen nur so viel sagen, daß ich dies Thier-
gesehen habe, und daß es allgemein für den Bunyip gehalten ward.
Ein großes Feuer zerstörte leider das einzige bekannte Exemplar
dieses Monstrums, ehe es nach dem Orte seiner Bestimmung ab-
gesandt werden konnte. Noch viele andere Dinge werden von den
Eingeborenen als Beweise ihres Aberglaubens erzählt. Ich halte
diese indessen zum großen Theile für ganz unverbürgt, und will
deshalb nicht dabei verweilen.
Krankheiten.
Als die Weißen in's Land kamen, waren die Eingeborenen
Südaustraliens im Allgemeinen gesunde Menschen, aber eine ge-
wisse unsaubere Krankheit war doch schon vom Murray herüber
durch Ansteckung zu ihnen gekominen. Sie hat entsetzliche Ver-
heerungen angerichtet. Stamm auf Stamm verschwindet, -die
Männer sind entnervt und gesunken und suchen im Trünke Trost
und Milderung ihrer Leiden; die Weiber sind entartet und unfrucht-
bar, und von den wenigen Kindern schreibt der Protektor Thomas:
„Ich habe unschuldige, hilflose Kinder gekannt, die buchstäblich von
der Krankheit halb verfault geboren wurden." Nie werde ich den
Eindruck vergessen, den ein an dieser ekelhaften Krankheit sterben-
der Eingeborner am Loddon auf mich machte.
Die Einführung von geistigen Getränken ist in mora-
lischer und physischer Beziehung ein Hauptagens zum Untergange
der Eingeborenen geworden. Was helfen Gesetze, die das Ver-
abreichen von Spirituosen verbieten, wenn sie selten oder nie in
Kraft treten! Wenn ein Eingeborner betrunken ist, dann legt er
sich mit erhitztem Körper auf irgend eine feuchte, ausgesetzte-Stelle;
daher entstehen Lnngenkrankheiten rc. Ohne Zweifel bringt die
theilweise Civilisation bei ihnen viel Krankheiten mit sich. Sie
selber haben Kuren gegen verschiedene Krankheiten, die unsere Auf-
merksamkeit erregen müssen. Rheumatismus mildern sie durch
warme Waschungen und Umschläge, örtliche Entzündungen durch
Aderlässen und Umschläge von kaltem Wasser. Den Lubras wird
nie zur Ader gelassen. Wunden werden mit einem Pflaster von
Schinntz und Asche bedeckt und Fleischwundeu heilen schnell unter
dieser einfachen Behandlung. Ruhr wird mit Umschlägen der wilden
Johannisbeere und anderer Pflanzen bekämpft. Splinte und Ver-
bände werden bei Beinbrüchen und dergleichen besonderen Fällen
angewandt, siphylitische Geschwüre mit alkalischer Holzasche bestreut.
Gegen gewisse Krankheiten werden die Exkremente gewisser Thiere
auf den Kopf gelegt.
Die Doktoren sind alte, erfahrene Leute, doch nicht von der
Wichtigkeit wie der Medizinmann der amerikanischen Indianer.
Sie haben eine merkwürdige Art Schmerz zu lindern, dadurch, daß
sie ans dem leidenden Theil ein Stück Holz oder Knochen, als Ur-
sache des Leidens, zu sangen vorgeben, die sie jedesmal den Pa-
tienten zeigen.
Ich sah einst eine fieberkranke Lubra folgendermaßen behandeln.
Sie ward ihrer Decke entledigt und von zwei Männern über ein
Feuer hin und her gehoben. Dann band der Doktor einen Faden
um ihren Leib, nahm dessen beide Enden in seine Hand und zog so
die Lubra nach sich, wobei er unverständliche Worte murmelte.
Nachdem er sie eine Zeit lang starr angesehen, fing er an, sie am
ganzen Körper zu kneten und zu reiben, wobei ihm später noch
Andere halfen. Endlich wurde sie aufgehoben, wieder in Decken
gehüllt und ungestörter Ruhe überlassen. Diese Kur hat geholfen,
36
282
Ansichten und Urtheile über den Charakter der keltischen Völker.
denn ich habe die Lubra später noch oftmals wohl und munter an-
getroffen.
Tod und Begräbnlß.
Ich bin mehremals am Sterbelager eines australischen Ein-
geborenen gewesen. Obschon die Leidtragenden natürliche und wahre
Trauer an den Tag legten, hatten sie doch auch zu gleicher Zeit
etwas Erkünsteltes an sich, wie wir es z. B. bei den gemietheten
Trauernden der Inden, und unseren in Schwarz und Krepp ge-
kleideten, theilnahmlosen, citronentragenden Leidtragenden finden.
So habe ich eine Anzahl Lubras bei einer Leiche sitzen sehen, die
ihre Gesichter mit Töpferthon bemalt und ihre Köpfe damit bestreut
hatten und ihren Gefühlen durch einen leisen Klagegesang Ausdruck
zu geben versuchten. Bisweilen brachen sie in ein heftiges Weinen
und krampfhaftes Schluchzen aus, und als ihre Thränen die be-
malten Wangen hinabliefen und dabei die Zeichnungen verwischten,
gewährten sie einen höchst seltsamen Anblick. Da sie den Gebrauch der
Taschentücher nicht kannten, benutzten sie statt derselben Stückchen
Holz und Steine, um die Thränen abzuwischen. Manch-
mal hielten sie inne, um eine gemüthliche Unterhaltung mit ein-
ander anzuknüpfen und sich wohl auch wieder einmal ordentlich
anszulachen, dann aber fingen sie wieder an zu heulen und Thränen
zu vergießen. Die nächsten Verwandten streuen heiße Asche auf
ihre Köpfe, oder zerkratzen sich das Gesicht. Die Männer schneiden
sich die Bärte ab und bemalen sich die Brust mit weißen Linien, die
ihnen das Ansehen eines Skelettes geben.
Nach einem Todesfälle verlassen sie das Lager und
erwähnen nie wieder den Namen eines Verstorbenen,
noch deuten sie sonst wie ans seine frühere Existenz hin. Sollte ein
anderes Glied des Stammes zufällig diesen Namen haben, so muß
es ihn ablegen.
Die Begräbnißarten sind je nach den Stämmen und der
Oertlichkeit verschieden. Wo der Erdboden reich ist, legen manche
Stämme den Leichnam in ein mit Stöcken gegrabenes Loch. Zu-
weilen werden dieTodten verbrannt und die Asche wird aufbewahrt.
Am Murray wird der Leichnam ans eine hölzerne, ungefähr 8 bis
9 Fuß hohe Bühne gelegt und mit Zweigen und Blättern bedeckt.
Manche wiederum stecken ihre Todten in einen hohlen Baum oder
in einen Wombatbau, oder binden sie wohl auch an Banmäste fest.
Ich wohnte einst einem Begräbnisse der Barwon Blacks bei. Diese
nehmen die Eingeweide heraus und füllen deren Stelle mit Gummi-
blättern aus. Der Leichnam ward dann platt auf die Erde gelegt,
Arme und Beine wurden ausgebreitet und dazwischen Steine ge-
schichtet; über den Körper selbst legten sie dann Stöcke und auf
diese wiederum Steine, bis sie einen etwa 7 Fuß langen und 3 bis
4 Fuß hohen Grabhügel zusammen getragen hatten. Derselbe ist
leider nicht lange geblieben, denn Dr. Thomson, auf dessen Grund
und Boden, in der unmittelbaren Nähe der Stadt Geelong, das
Begräbniß stattfand, verbat sich Alles, und sie mußten ihren
Todten schließlich begraben. Andere Stämme untersuchen das
Nierenfett und entdecken bei Anwesenheit eines Fehlers in diesem
die Wirkung eines Zauberers.
Ansichten und Artheile über den Charakter der keltischen Völker.
Theodor Mommsen über die alten Kelten. — Nenan's Ansichten über das Keltenthum. — Lalor Shiel über Irland.
Daß die Eivilisation, der äußere Schliff, das Innere der
verschiedenen großen Rassen und Völkergruppen im Allgemeinen
nur wenig nmgestaltet und die inneren Unterlagen im Wesentlichen
unberührt läßt, das weiß Jeder, der beim Studium der Geschichte
das ethnologische Element nach Gebühr berücksichtigt. Durch
Zuthaten fremden Blutes werden allerdings Modifikationen ge-
bracht, z. B. durch die germanischen Eroberer während und nach
der Völkerwanderung in den kelto-romanischen Ländern, und je
mehr fremdes Blut voll außen hinznkommt, um so beträchtlicher sind
die Wandelungsnnancen. Ist die Znmischung nur schwach, dann
bleibt das alte Temperament überwiegend und zieht sich wie ein
rother Faden durch die Geschichte eines Volks. Diese und dieses
versteht man nicht, wenn man die Besonderheit der anthropologischen
oder ethnologischen Nranlage einer Gruppe außer Acht läßt.
In den ehemals keltisch-romanischen Ländern tritt ver keltische
Charakter noch immer hervor; die germanischen Eroberer waren
in Gallien, Spanien und Italien zu schwach, um die eroberten
Völker nmzuwandeln; sie wurden von denselben einverleibt, wurden
amalgamirt.
Neulich lasen wir, daß unser gelehrter Landsmann Theodor
M o m m s en, der Geschichtschreiber Roms und Bewunderer Cäsar's,
beim Kaiser Napoleon zu Gast gewesen sei. Der Beherrscher Frank-
reichs tritt bekanntlich als Geschichtschreiber Cäsar's ans und wird
sich ohne Zweifel niit dem gelehrten Professor über den Römer,
welcher die entartete Republik beseitigte, über die Lage von Alesia
und dergleichen mehr unterhalten haben. Interessant wäre es ge-
wesen, wenn beide Männer, der Gelehrte und der Imperator,
auch auf eine Erörterung des Charakters der alten Gallier cin-
gegangeu wären. Es hätten dabei Schlaglichter auf die Gegenwart
fallen können.
Es traf sich, daß au demselben Tage, da wir von Mommsen's
Besuch beim französischem Kaiser lasen, uns ein Vortrag in die
Hände fiel, welchen der Professor im Jahre 1853 zu Zürich, wo
er damals lebte, „lieber die Schweiz unter den Römern"
gehalten hat. Er gab damals Leute in jenem allemannischen Hoch-
lande, welche mit „Helvetien, Helvetiern, Kelten" rc. eine abge-
schmackte Koketterie trieben. Diesen historisch-verirrten Leuten hielt
Mommsen einen Spiegel vor's Gesicht. Er schlug die helvetische
Keltomanie für immer zu Boden.
Herr Mommsen ist Meister im Charakterisiren, zwar manch-
mal etwas gesucht, oft auch allzuscharf zuspitzend; allein das können
wir uns schon gefallen lassen, weil in seiner Darstellung frisches
Leben pnlsirt, weil er Geist hat und Zustände wahr schildert, lieber
seine Auffassung der Personen kann man streiten, doch das gehört
nicht hierher. Wir haben es mit seiner Auffassung des keltischen
Nationalcharakters zu thun; sie ist folgende:
Zu den vorzugsweise begabteu unter den überhaupt kultur-
fähigen Völkern gehören die Kelten nicht.
Ihre Tapferkeit wird gepriesen, und mit Grund. Aber es
war die Tapferkeit des Fechtmeisters und des Raufboldes, nicht
die des Bürgers. Das bunte, gestickte Kampfgewand, die
glänzende Rüstung waren keine Nebensachen bei ihren Kampf-
spielen; sie gefielen sich auch in Friedenszeiten im Zweikampf, und
die Wunden, welche man dabei oder im Kriege erhalten hatte, waren
nicht so sehr ehrenvoll, als Ehrenzeichen mit denen renommirt
wurde, — gelegentlich denn auch so, daß man die Wunde nach dem
Kampf erweitert, um mit einem größer« Orden anfznziehen.
Die Kelten verschmähten es, mit Wurfwaffen zu fechten; sie
kannten, wenigstens in älterer Zeit, nur den Kampf mit der Stoß-
lanze und vor Allem den mit Schwert und Dolch. Ja, sie gefielen
sich darin, nur in leichtem Gewand oder gar nackt, kaum geschützt
von dem hohen, schmalen Schild, ihren breiten, mehr fleischigen
als sehnigen Körper den Waffen der Feinde darznbieten. Sie
waren sogenannte Helden, in dem Sinne, wo dasHeldentbum
Ansichten und Urtheile über den Charakter der keltischen Völker.
283
ein gutes Stück Bärenhäuterei und Flegelhaftigkeit in sich schließt,
Helden, die lange vor dem Mittelalter im Waffenschmncke turnirten
und im Duell ad hominem argnmentirten. Tüchtige Gegner ans
der Wahlstatt, immer vorausgesetzt, daß sie leidlich nüchtern waren
und die Sonne nicht allzuheisi schien, unterlagen sie dennoch anch
militärisch, wo immer ihnen ein wohlgeführtes Heer gegenüber
stand, der Uebermacht der Wurfwaffen und des gegliederten Orga-
nismus über die Kraft, welche allein auf den harten Stahl und
den derben Arm vertraut.
Ihre Schwäche aber lag vor Allem in ihrer politischen Un-
tüchtigkeit. Die sittliche Energie, welche die Welt beherrscht,
weil sie sich selber zu beherrschen weiß, welche den Einzelnen auf-
hebt in dem größern Ganzen und den engen Egoismus zum Natio-
nalsinne läutert, diese eigentliche Herrlichkeit und Gewaltigkeit der
Menschennatur, auf welcher der Staat ruht, ist dem keltischen Wesen
verhältnißmäßig fremd.
Daraus erklärt es sich, weshalb die Kelten in d e r G e sch i ch t e
eine vergleichsweise unbedeutendere Nolle gespielt
haben, als irgend eine andere indo-europäische Nation von gleicher
Ausdehnung. Sie haben wohl Tempel zerschlagen und Städte ver-
brannt; Rom und Delphi, Byzanz und Pergamon haben vor ihnen
gezittert; — aber von jenem thörichten Gallier an, der das eroberte
Rom aus lieber langer Weile wieder fahren ließ, bis hinab auf
Paddy, der seinen Kartoffelacker so flach wie möglich umwühlt und
über die Jmprovements der Sachsen den Zorn der heiligen Jung- !
frau herabrnft, haben sie sich unfähig erwiesen, ein Re-
giment bürgerlicher Ehrbarkeit, Sicherheit und Wahr-
haftigkeit zu begründen, und im besten Fall es nicht weiter
gebracht als zur Gründung eines Soldatenstaates. Die
militärische Ordnung ist die einzige, welche sie kennen
und anerkennen.
Zwei Dinge sind es, sagt der alte Cato, auf welche die 1
Gallier Werth legen: auf die Gloire und den Esprit.
Pleraque Gallia duas res industriosissime persequitur: rem
militarem et argute 16 qui.
Die Kelten haben alle Staaten des Alterthums erschüttert,
aber sie haben keinen von dauerndem Bestand gegründet. Schon
die oberflächliche Weise, in der sie sich in den gewonnenen Land-
schaften festsetzten, nicht minder ihr Verzichten auf Seefahrt und
Meerherrschaft, beweist, wozu die Geschichte sie nicht bestimmt hat.
Sie waren schlechte Bürger, aber gute Reislänfer und vortreffliche
Unterthanen. —
So äußert sich Mommsen. Wir wollen aber die Ansicht
eines geistreichen und gelehrten Franzosen beifügen, ErustRenan's,
der eine vortreffliche Abhandlung über die Poesie der keltischen
Stämme geschrieben hat. (Revue des deux Mondes, 1. Februar
1854.) Er erwähnt der gälischen Archäologie von Myvir, welche
1801 von einem Bauer, Owen Jones, herausgegeben wurde,
und bemerkt, daß dieselbe noch jetzt ein wahres Arsenal der kym-
rischen Alterthümer bilde. Dann äußert er weiter: —
Die Ueberreste der Kelten, welche wir ans halbvergessene
Inseln und Halbinseln znrückgedräugt sehen, zeichnen sich ans durch
schroffe Individualität und Haß gegen Fremde. In !
dem zurückgezogenen Leben, in dem Mißtrauen gegen alles Fremde,
muß man die Erklärung ihrer Hauptcharakterzüge suchen.
Bei keinem andern Stantine waren die Bande des Bluts so
stark; der Familiengeist scheint jede umfassendereOrga- !
nisation erstickt zu haben. Auch scheint das Volk an
und für sich keines sonderlichen Fortschritts fähig zu i
sein. Das Leben erscheint ihnen als ein gegebener Zustand, an
welchem der Mensch nichts zu ändern vermag; man glaubt leicht
an die Macht des Schicksals und fügt sich.
Man sollte diesen Stamm kaum für japhetisch halten. Daher |
| kommt denn auch die gedrückte Stimmung. Die alten Gesänge
klagen mehr über Niederlagen, als daß sie Siege feiern. Die ganze
Geschichte ist eine lange Klage, eine Erinnerung an die Ver-
; bannung, an die Flucht über das Meer; selbst die Frendengesänge
j werden zu Elegien.
Renan bezeichnet die Kelten, insbesondere die Kymren, als
eine weibliche Race; wir möchten lieber sagen eine passive,
doch das hat er wohl mit jener Bezeichnung auch ausdrücken wollen.
Er hebt an ihr hervor: Stärke der Einbildung bei Verinnerung
des Gefühls und schwache äußere Entwickelung. Der keltische
Stamm arbeitete sich ab, indem er seine Träumereien für Wirk-
lichkeit nahm. Das wesentliche Element im poetischen Leben der
Kelten besteht im Abenteuer, d. h. in Verfolgung des Unbe-
I kannten; es ist ein Lauf ohne Ende nach dem stets fliehenden Gegen-
stände des Wunsches. Es giebt einen keltischen Messianismus,
einen Glauben an einen zukünftigen Rächer, der Cambrien wieder
Herstellen und von den Unterdrückern befreien werde. Das ist der
j geheimnißvolle Leminok, welchen der Zauberer Merlin ihnen
; versprach, der Lez Briez der Armorikaner, der Arthur der
Walliser. — Soweit Renan.
Dnrchgehends zeigt sich ein Hang nach dem Wunderbaren;
deshalb sind die Kelten auch katholisch geblieben.
In Irland ist Alles, was als Civilisation bezeichnet werden
muß, nicht keltisch. Das hat ein aufrichtiger irischer Patriot
ein Mann in dessen Adern keltisches Blut floß, Richard Lalor
Shiel, unumwunden zugegeben. Er war einansgezeichneterParla-
mentsredner und guter Schriftsteller. In einem Aufsätze: „Die
Irländer, von einem ihrer Landsleute geschildert",
sagt er: —
In den meisten Ländern ist eine Nationalphysiognomie in
der ganzen Volksmasse vorherrschend; aber in Irland kann man
die unvollkommene Aufpfropfung der Kolonisation leicht wahr-
nehmen an der großen Mannichfaltigkeit der Physiognomien. Die
Kerben und Absätze des Grundstocks lassen sich leicht unterscheiden.
Den Dänen von Kildare erkennt utan an seiner straffen Ge-
stalt, der Seminelfarbe des Haares und dem offenen, wasserblauen
Auge. Der Spanier im Westen hat dunkle Hautfarbe und ein
! schwarzes, andalusisches Auge. Eine Presbyterianerkirche
im Norden stellt uns in ihrer nüchtern-moralischen und kalkuli-
renden Gemeinde eine viereckige Breite der Backenknochen und einen
schlauen Gesichtsausdruck vor, welche dem besten Gemeinderath in
Glasgow wohl anstehen würde. AnfdemsüdlichenGebirge
und in den Moorgegenden tritt dem Reisenden in derOeffnung
j der Lehmhütten, welche zugleich Ranchfang und Thür bildet, das
; wilde und hagere Gesicht der ursprünglichen keltischen Iren
entgegen. Ein oft rothes und stark gekräuseltes Haar, ein zor-
niges und mnthiges Auge, seine kurzen und stumpfen Züge, eine
barocke Verbindung von Unerschrockenheit und Verschmitztheit, von
Keckheit und Hinterlist, Edelmnth und Falschheit, von Absurdität
und Genie, das Alles liegt an und in ihm neben einander und
drückt sich an ihm ans. Nicht nnpassend haus't er inmitten von
Felsen und Mooren; er zeigt sich ganz zweckinäßig im Halbdunkel
einer Rauchatmoshäre. Er ist ein kü nstli ch er B a rb ar. —
Von diesen „künstlichen Barbaren" sind Millionen nach Nord-
amerika hinübergegangen, zu bei weitem überwiegendem Theil in
die nördlichen Staaten, und dort haben sie sich um Millionen ver-
mehrt. In der Uankee-Union spielt das irische Element eine wich-
tige Rolle; dasselbe kann sich dort ungehindert entfalten, und so
erklärt sich die Barbarei, welcher jene Nordunion immer mehr
anheimfällt, die dortige Rohheit, Wildheit und das anarchisch-
despotische Treiben sehr leicht. Die „künstlichen Barbaren" ar-
beiten eifrig daran, die Barbarei im Aankeelande zu verbreiten
und sie arbeiten mit Erfolg. A.
36
284
Fortschritt tu beit La Plata- Staaten.
Fortschritt in den La Piata-Staaten.
Die ausgedehnte Region der Staaten am LaPlata wird endlich
in unserm Deutschland mehr beachtet als seither der Fall gewesen. Es
ist hohe Zeit. Wir haben Millionen von Auswanderern an das
durchaus demoralisirte, von einem geradezu scheußlichen Bürger-
kriege zerrüttete Z)ankeeland abgegeben, und hunderttausend un-
serer Landsleute haben, ganz wie die Lanzknechte der Vorzeit, die
Waffen ergriffen, um einen Unterjochnngskrieg gegen die südliche
Konföderation zu führen, die für eine Unabhängigkeit streitet, auf
welche sie ein volles und gutes Recht und für welche sie mindestens
ebenso viele Gründe anführen kann, wie einst die dreizehn engli-
schen Kolonien gegen das Mutterland. Mehr als fünfzigtausend
dieser Deutschen liegen in den Sümpfen und auf den Schlacht-
feldern begraben, und der Dank dafür ist kein anderer, als daß
die Uankeeblätter sagen: „An teutonischen Miethknechten
ist nicht viel gelegen, die Einwanderung dauert ja fort." Also
„teutonic mercenaries!“
Männer, wie Wappäns, Kerst und Burmeister machten
schon vor Jahren auf die La Plata-Region und deren große Wich-
tigkeit für Deutschland aufmerksam. Der Schreiber dieser Zeilen
wies bereits vor 1848 unsere hanseatischen Kauflente und Rheder
darauf hin, daß es zwar wohlgethan sei, den Verkehr und die
Schifffahrt mit Nordamerika energisch zu fördern, daß man aber
sich vor Einseitigkeit hüten und deshalb auch Südamerika mehr
in's Auge fassen solle. Die Bremer aber richteten lange ihren
Blick fast allein auf Nordamerika; erst späterhin kam, des Tabaks
halber, Brasilien mehr an die Reihe, aber nach dem Plata unter-
hielten nur einige mit Häuten handelnde Häuser eine nähere Be-
ziehung. Dagegen war der Verkehr derHambnrger mitBnenos-
Ayres viel lebhafter, und er ist in stetigem Anwachsen.
Es ist eine große Thorheit, ein schweres Versänmniß gewesen,
daß unsere deutsche Einwanderung gerade diejenige Gegend ver-
nachlässigt hat, welche ihr ganz vortreffliche Aussichten darbietet,
eine Region, wo allein auf dem Erdball in gesunder Gegend
eine massenhafte Besiedelung der Küstenstrecken und der Strom-
ufer möglich ist und wo alle Bedingungen zn einem gesunden
Aufschwünge, zu einem nachhaltigen Gedeihen gegeben sind.
Brasilien ist anrüchig geworden und mit Recht. Allerdings
eignen sich drei südliche Provinzen des Kaiserreichs für deutsche Ein-
wanderer, aber die staatlichen und kirchlichen Verhältnisse sind
nicht einladend. Doch kann einmal die Zeit kommen, da zum Bei-
spiel die Provinz Rio Grande einen geeigneten Zielpunkt für An-
siedler bilden wird. Vorerst jedoch erscheinen dafür die Regionen
am La Plata zweckmäßiger. Aber Alles kommt darauf an, daß
die Auswanderung dorthin so massenhaft als irgend möglich
gelenkt werde. Schon vor sieben Jahren schrieben wir Folgendes:
„Die argentinischen Lande sind menschenarm. Auf einem
Raume, der viermal größer ist als Deutschland, zählen sie noch
nicht so viele Einwohner als unser Thüringen, und sie haben Raum
für dreißig, für fünfzig Millionen. Sie könnten schon mit
einer Seeleuzahl von sechs oder zehn Millionen eine
der schönsten Agrikultur- und Handelsregionen der
Erde werden, weil sie unendlich reich begabt sind. Aber
ihre Schätze in allen drei Reichen der Natur liegen noch ungehoben.
Erst eine massenhafte Einwanderung von Europäern, welche durch
ihren Fleiß, durch nachhaltige Energie, Intelligenz und geistige
Regsamkeit in die starren Elemente frischen Fluß bringen, kann ein
reges Leben Hervorrufen und die vielen Hülfsqnellen entwickeln.
Man nehme einmal au, daß in jedem Jahr etwa zehn- oder
zwanzigtausend Deutsche die La Plata-Region zu ihrer Heimat
gewählt und sich dort unter zusagenden Verhältnissen angesiedelt
hätten; was würde die Folge gewesen sein? Binnen zehn Jahren
wären die Gegenden, wo die deutschen Niederlassungen ständen,
in einen blühenden Garten umgeschaffen werden, wie Pennsyl-
vanien. Sie würden kultivirt sein wie unsere Gegenden am Rhein
und Main, an der Weser, Elbe und am Neckar. Wir wünschen,
es möchte die Zeit kommen, in der man mit gutem Ge-
wissen und voller Ueberzengung die Auswanderung
nach den argentinischen Ländern empfehlen könnte."*)
Diese Zeit, glauben wir, ist nun da. An und für sich sind
alle günstigen Bedingungen zu Wohlfahrt und Gedeihen gegeben:
Auswahl fruchtbarer Landstriche, viele Strecken mit gesundem
Klima, Wasserverbindnngen, See- und Stromhäfen, leichte Ver-
bindung mit Europa nud freisinnige Gesetzgebung. Die Regie-
rungen haben erklärt, daß sie den Fremden gern und willig ein
Asyl bieten. Die kleinen deutschen Niederlassungen im Staate
Buenos-Ayres sind gediehen. Als ein Hinderniß konnten bisher
die nicht klar geregelten Verhältnisse des ländlichen Eigenthums
betrachtet werden. Bei manchen Ländereien sind die Grenzen so
unsicher, daß man nicht weiß, was Staatsländerei ist und was Pri-
vatbesitz; bei anderen weiß man nicht genau, ob sie Eigenthum
des Bundes ödes eines Eiuzelstaates sind. Manches ist während
der letzten Jahre in's Klare gebracht worden, Vieles bleibt noch zu
regeln. Aber in Bezug ans sehr große, zur Ansiedelung geeignete
Strecken waltet doch kein Zweifel ob, und es ist Sache der Ge-
sandtschaften und deutschen Konsulate, in dieser Beziehung den
Einwanderern mit gutem Rath an die Hand zu gehen. Der
deutsche Verein in Buenos-Ayres wird es schwerlich an sich fehlen
lassen. Als einen gründlichen Sachkenner, als einen durchaus
humanen Mann, einen aufrichtigen Freund und Rathgeber aller
Deutschen hat sich seit langer Zeit der preußische Geschäftsträger
in Montevideo, Herr von G ülich, in wahrhaft patriotischer, nicht
selten aufopfernder Weise rühmlich bewährt; dieser vortreffliche
Mann verdient in hohem Grade die Achtung, welche ihm von un-
seren Landsleuten in der La Plata-Region in vollem Maße gezollt
wird. Wie emsig er im deutschen Interesse wirkt, wie genau er jene
Länder kennt, davon zeugen die Verträge, welche er mit den dor-
tigen Staaten, zuletzt mit Paraguay, abgeschlossen hat, und die
Mittheilungen, welche das preußische Handelsarchiv seit Jahren
veröffentlicht.
Doch das beiläufig. Wir wollen hervorheben, daß in Bezug
auf die inneren Fehden, welche periodisch in den La Plata-Ländern
ansbrechen, die Nichtargentiner im Lande stets nur wenig oder-
gar nicht berührt wurden. Durch deutsche Einwanderer wird ohne
Frage viel mehr Stetigkeit in die Verhältnisse jener Länder kommen;
denn jene werden das eigentlich bürgerliche Element bilden, an
welchem es gerade dort noch in empfindlicher Weise mangelt. Man
bedarf dort eines Mittelstandes von Handwerkern und Acker-
bauern; den kann aber nur die Einwanderung bringen, weil den
Argentinern selbst die Grundbedingungen zur Bildung eines
solchen abgehen.
Uebrigens bemerken wir, daß wir nicht blos die Provinzen
der argentinischen Konföderation für die Einwanderung geeignet
erachten, sondern auch Uruguay.
Der europäische Fortschritt dringt mit Macht ein, und auch
in jenen Gegenden Südamerikas bewirkt der Dampf Wunder.
Dampfschiffe fahren auf einem der herrlichsten Ströme der Welt,
dem Paraguay und dessen oberen Zuflüssen, bis nach Cnyabll,
das tief im Innern Brasiliens liegt. Welch ein Strom, dieser
Paraguay! Man hat ihn wohl mit dem Mississippi ver-
glichen, aber er übertrifft diesen „Vater der Gewässer" an Länge
des Laufes, an Tiefe, an Regelmäßigkeit und Sicherheit des Fahr-
wassers bei weitem, und das Land zu Leiden Seiten ist unendlich
fruchtbarer und gesunder. Man hat ihn auch wohl den Nil Süd-
amerikas genannt, aber unpassend. Allerdings tritt der Para-
guay, gleich dem afrikanischen Riesenstrom, Über sein Ufer, aber
er nimmt seinen Lauf nicht durch eine Wüste, in welcher nur das
*) Siavi Andree: Buenos Ayres und d ie Argenttnisch eu Pro-
vinzen. Nach den neuesten Quellen. Leipzig, 1856. S. X.
Fortschritt in den La Plata-Staaten.
285
enge Stromthal eine des Anbaues fähige Oase bildet. Auch em-
pfängt er eine Menge von Zuflüssen, von denen mehrere, z. B. der
Paraná und Uruguay, bei uns in Europa Ströme ersten Ranges
bilden würden.
Vor Allem kommt es darauf an, die Verbindungswege zu
vermehren. Man begreift auch vollkommen die Wichtigkeit der
Eisenbahnen gerade für ein solches Land, und bereits sind einige
kleinere Strecken Schienenwege von Buenos-Ayres aus im Be- !
trieb. An die Stelle der schwerfälligen Ochsenkarawanen, welche
sich langsam durch die Pampas bewegen, soll das Dampfroß
treten. Man will eine Bahn zunächst bis an den Fuß der Andes
bauen. Schon im Jahre 1855 vermaß der englische Ingenieur
Allan Campbell die Strecke von Rosario, das am rechten
Stromufer den Hafen bildet, bis wohin Seeschiffe mit 14 Fuß
Tiefgang gelangen können, nach Cordova; aber es blieb beim
Plan. Erst jetzt geht man mit Nachdruck an die Ausführung. In
gleicher Weise wie es in Nordamerika geschah, das reichlich zur
Hälfte seine Bahnen mit europäischem Gelde gebaut hat, sucht
man auch in den argentinischen Landen transatlantische Kapitalien
anzuziehen.
Die ganze Angelegenheit ist in vielfacher Beziehung, auch in
Betreff der deutschen Auswanderung, von Wichtigkeit.
Am 16. März dieses Jahres wurde zwischen dem argentinischen
Minister des Innern, Guilliernio Rawson, und dem englischen
Ingenieur Wh eelwright ein Vertrag über den Ban einer Eisen-
bahn von Rosario im Staate Santa Fo nach Cordova abge-
schlossen. Der spanische Text liegt vor uns. Das Kapital be-
trägt acht Millionen harte Piaster (Dollars) in 80,000 Actien von
je 20 Pfd. St. oder 100 Dollars. Alle Ländereien, gleichviel ob
sie dem Bund oder den Provinzen, oder Privatleuten gehören,^
welche für den Bahnbau, Stationen, Maschinenwerkstätten, Ma-
gazine rc. rc. nöthig sind, erhält die Kompagnie unentgeltlich von
der Regierung und wird von dieser allezeit und in jeder Beziehung
gegen all und jeden Anspruch geschützt. Nach § 4 dürfen alle zum
Bau und zur Unterhaltung der Bahn nöthigen Materialien auf
einen Zeitraum von 40 Jahren zollfrei eingeführt werden, und
gleichfalls vierzig Jahre lang ist das Eigenthum der Bahn und
deren Zubehör von allen Abgaben und Auflagen durchaus befreit.
Die Kompagnie kann alle Wasserläufe benutzen und alles
Holz, dessen sie bedarf, aus Staatswaldungen nehmen, ohne da-
für eine Entschädigung zu geben. — Alle beim Ban und beim Be-
triebe der Bahn beschäftigten Arbeiter und Leute sind vom Militär-
dienste befreit.
§ 7. Die Regierung bewilligt der Kompagnie das Recht, die
Bahn bis zur Cordillera de los Andes weiter zu führen und zwar
auf der ihr passend erscheinenden Strecke; und sie bewilligt für
diese Fortsetzung alle die oben angegebenen Rechte und Privilegien.
tz 10. Die Regierung wird die Einwanderung erleichtern
und beschützen. El Gobierno conviene en facilitar y protejer
la introducción de inmigrantes, que haga la Compañía al pais,
concediendo a esta todas las ventajas y prerogativas que se lian
establecido ó se establecieren en favor de la inmigración. Die
Regierung begreift also, daß Einwanderung nöthig ist, wenn das
Land dauernden Aufschwung nehmen soll. Der folgende Para-
graph ist in dieser Beziehung wichtig, weil er den Einwanderern
K ultu s fr e i h ei t verbürgt. Die Argentiner haben freilich keine
Unduldsamkeit gegen Nichtkatholiken ausgeübt; die Deutschen
haben in Buenos-Ayres ihre schöne protestantische Kirche, und die
ärgerlichen Auftritte, welche in Bezug ans die Protestanten in
Brasilien kein Ende nehmen, sind dort nie vorgekommen.
§ 11 besagt, daß die Kompagnie das Recht hat, Kirchen
und Schulen für den Gebrauch der Einwanderer und der Bahn-
beamten ZU bauen. — El gobierno concede a la Compañía el
derecho de construir iglesias y escuelas para el uso de los
inmigrantes y de los empleados del camino de fierro.
§ 12. Sie bewilligt der Kompagnie als volles Eigenthum,
zu beiden Seiten der Bahn, eine Landstrecke in der Breite von einer
spanischen Meile (Legua) unter der Bedingung, daß sie diese Land-
strecke besiedele. Sie verpflichtet sich auch in den Provinzen Cor-
dova und Santa F6 je vier Qnadratlegnas von den siskalischen
Ländern dieser Provinzen ausznwirken und dieselben der Kom-
pagnie zu überlassen.
Das sind die wichtigsten Punkte. Dazu kommt noch eine
Zinsengarantie von 7 Procent.
Der Ingenieur Weelwright ist der Sache vollkommeu ge-
wachsen. Dieser energische Mann war schon vor dreißig Jahren
beschäftigt, eine Küstendampfschifffahrt in Chile und Peru in's
Leben zu rufen; er entwarf den Plan zur Bahn von Valparaiso
nach Santiago de Chile, baute auch jene vom Hafenplatze
Caldera nach Copiapo in Chile und von dort 30 Miles landein,
bis zu einer Höhe von 6000 Fuß.
Wir legen vorläufig, in praktischer Beziehung, gar kein Ge-
wicht ans den Plan, einen Schienenweg über dieCordillera de los
Andes zu führen; dergleichen liegt offenbar noch in sehr weitem
Feld und man thäte besser, diesen Punkt vorerst auf sich beruhen
zu lassen. Die Hauptsache bleibt, daß man eine große Hauptadcr
des Verkehrs vom Strome durch das Land bis an's Gebirge baut
Das Uebrige mag sich finden.
Einer brieflichen Mittheilung, die wir aus Frankfurt am
Main erhielten, entlehnen wir Folgendes:
„Wheelwright's Plan für die große Bahn vom La Plata nach
dem Stillen Weltmeer umfaßt die Strecke von Rosario nach
Cvrdova mit 250 englischen Meilen, von Cordova an den
Ostabhaug der Anden 350 Meilen, über die Anden durch
den Paß von San Francisco (in einer Höhe von 16,000 engl.
Fuß über dem Meere!) 320 Meilen, bis zum Anschluß an die chile-
nische Bahn in Caldera 80 Meilen; eine Gesammtlänge von
etwa 1000 englischen Meilen, deren einzige größere Schwierigkeit
(aber was für eine!) in dem Uebergang über die Anden besteht.
Es gibt weit niedrigere Pässe und es ist deshalb bemerkens-
werth, weshalb man gerade einen der höchsten zur Uebersteignng
in Aussicht genommen hatte. Die niedrigeren sollen nämlich
Monate lang im Jahre durch Schnee völlig gesperrt sein, während
der Paß von San Francisco (27" südlich) in einer Höhe, welche
der des Montblanc gleichkommt, in zehn Jahren nicht einmal vom
Schnee geschlossen worden sei.
Der Gegenstand ist übrigens schon in einer Sitzung der Lon-
doner geographischen Gesellschaft vom 30. Januar 1860 erörtert
worden. Es wurde bemerkt, daß, wenn selbst die Führung der
Bahn über den Paß unmöglich sein sollte, schon die Annäherung
bis zum östlichen und westlichen Fuße des Gebirgs, verbunden mit
verbesserten Verkehrsmitteln, unendliche Vortheile gewähre und
namentlich geeignet sei, die Verbindung Englands mit Australien
wesentlich zu beschleunigen. Kapitän Snllivan hob hervor, daß
Schiffe mit 12' Ladung jeder Zeit den La Plata bis Rosario
hinauffahren könnten, bei günstigem Wasserstand aber bis 16 y2'
Tiefgang möglich sei.
Das großartige Unternehmen ist nun im Begriffe, wenigstens
zum Theil verwirklicht zu werden. Binnen fünf Jahren soll die
Bahn von Rosario nach Cordova in Betrieb stehen.
Die Berichte verschiedener Reisenden, namentlich B ur m e i st er's
über das starke Bedürfniß einer bessern Verbindung der Vinnen-
Provinzen mit dem La Plata, über den bereits jetzt sehr starken
Verkehr durch die Züge von Pampaswagen, lassen günstige Folgen
erwarten. Sehr wichtig wird die in Aussicht genommene Fort-
setzung der Linie nach dem Fuße der Anden so wie eine Zweigbahn
nach Mendoza sein, welche letztere namentlich Herr Burmeister
befürwortet.
Ein anderes Unternehmen von Wichtigkeit ist die Untersuchung
des Rio Salado zum Behufe der Schiffbarmachung. Herr
Estevan Ramo y Rubert hat sich dieselbe zur Lebensaufgabe
gestellt. Neuen Berichten zufolge ist seine Expedition, in Begleitung
286
Die Erforschung des oben: Uruguay-Flusses. Entdeckung eines großartigen Wasserfalles.
des englischen Konsuls Hutchinson, von glücklichem Erfolge
gewesen; es wäre demnach Aussicht auf eine baldige regelmäßige
Befahrung dieses Flusses von Sepultura bis Sta F6. Der englische
Konsul brachte Baumwollensamen nach den Ufern des Salado,
um dort Versuche machen zu lassen. Glücklich sind solche Versuche
in der Provinz Entrerios ausgefallen, von wo bereits die erste
Ladung Baumwolle nach Buenos -Ayres zu Markte gebracht und
zu 125 Pesos (Papier) die Arroba verkauft wurde.
Von Interesse für Fachgenossen sind die erfolgreichen Aus-
grabungen Bnrmeisters in der Provinz Buenos Ayres. Es
wurden „antedilnvianische" Skelette in überraschender Menge und
theilweise in ganz neuen Formen gefunden, so daß das Museum
der Hauptstadt in diesem Fache jetzt eines der interessantesten der
Welt sein mag. Da sich bereits die Spekulation dieser Aus-
grabungen bemächtigen wollte, hat die Provinzal-Regierung die
Ausfuhr verboten, um ihrem Museum diese wissenschaftlichen
Schätze zu erhalten.
Von Wichtigkeit für die Zukunft aller nördlichen Provinzen
ist die immer reichere Ausbeute der Minen von San Juan in der
Provinz Salta. Es sind namentlich Silbererze, die in Mächtig-
keit anftreten und bis zu 50 % Reingehalt ergeben.
In einem deutschen Brief ans Buenos-Ayres heißt es:
„Arbeiter! Arbeiter! Das ist der Wunsch, den hier Hoch
und Niedrig hinausrnft. Arme, kräftige Arme für die vielen in
Angriff genommenen großen Arbeiten (von der Hauptstadt allein
vier kleinere Eisenbahnen nach verschiedenen Richtungen der
Provinz) sind Bedürfniß, und wenn die ruhige staatliche Ent-
wickelung des Landes wie bisher Stand hält, läßt sich dem euro-
päischen Fleiße dort ein reiches Feld versprechen."
Die Erforschung des oberu Uruguay-Flusses.
Rio Grande, Süd-Brasilien, 29. April 1863.
Der Uruguay ist einer der bedeutendsten Flüsse Südamerikas,
nicht sowohl seiner Größe halber, als wegen des großen Einflusses,
den seine Beschiffung ans Handel nstd Gewerbe nicht nur der
an ihn grenzenden Provinzen des Kaiserreichs, sondern auch der
argentinischen Provinzen und der Banda Oriental (Urugnay)
haben kann.
Dieser bedeutende Strom, der in der Provinz S. Pedro do
Rio Grande do Sul, fast an der Küste des Atlantischen Océans,
auf dem Gebirgskamme der Serra gerat entspringt, bildet in
seinem Laufe die Grenze zwischen den Provinzen Rio Grande und
Santa Catharina, Rio Grande und Paran-1, sodann auch jene
zwischen Rio Grande und dem argentinischen Staate Corrientes,
und durch strömt die Republik Uruguay (der er den Namen gegeben
hat), bis zu seinem Einfluß in den mächtigen ParanL, der mit
ihm und mit dem Paraguay den meilenbreiten La Pl a ta ström
bildet, an dessen Ufern Montevideo und Buenos-Ayres reißend
schnell emporblühen.
Während seines langen Laufes nimmt er die bedeutenden Zu-
flüsse Santo Victoria, Pelotinhas, Caveiras, Uruguay pnitü,
Sebolaty, Pyndahi, Jjuhy, Piratinin d'Uruguay, Quebrado,
Jcabucuü, Butny, Jbicny, Quarahim, Arapehy, Gualegnay
und Rio Negro, so wie viele andere weniger bedeutende ans. An
seinen Ufern liegen die blühenden Städte P a y s a n d ü, C o n c o r d i a,
Uruguayana, Jtaqui und S. Borja, wovon die drei letzten
zu Brasilien gehören, so wie das orientalische Städtchen Salto.
Diesem Fluß entlang erstreckten sich ehemals die 33 Jesniten-
missionen, die bereits zu einer großen Ausdehnung und Kraft
gediehen waren, als die Jesnitenverfolgnngen unter Pombal's Lei-
tung ihrer Blüte ein Ende machten. Von der ehemaligen Herrlich-
keit dieser Missionen-geben nur noch die Kirchen und Klosterruinen
von San Borja, San Luiz, San Lourenyo, San Miguel, San
Angelo, San Nicolai, San Jose, San Thomö, San Carlos,
San Estanislaü rc. eine Idee. Der Uruguay ist in seiner ganzen
Ausdehnung von da, wo er auf der Serra gerat den Rio Pe-
lotas empfängt, bis zu seinem Einfluß in den Paranà, tief
und breit und vollständig zur Schifffahrt geeignet. Bis heute
wurde er von Montevideo bis zum Salto (dem Wasserfall) in der
Banda Oriental (d. h. Uruguay) regelmäßig durch Dampfer be-
fahren; eine zweite Linie von Flußdampfern ging bis zur brasi-
lianischen Stadt Jtaqui, dort jedoch hörte die Schifffahrt auf,
weil von da aus der Fluß noch nicht näher erforscht war. Bor
zwei Jahren schickte nun die kaiserliche Regierung von Brasilien eine
Kommission zur Untersuchung dieses oberu Uruguay
ab, welche unter der Leitung des intelligenten Obcrstlieutenants
vom Geniekorps, Jose Maria Pereira Campos, der Wissen-
Entdcckung eines großartigen Wasserfalles.
fchaft bedeutende Dienste geleistet hat. Von der Jndianer-
ansiedlun g Nonoahy aus hat die Kommission einen Weg durch
den Urwald bis zu dem dort noch unbekannten Urugnay eröffnet
und diesen nun in Kanoes befahren, wobei sie häufig von den dort
hausenden wilden Jndianerstämmen (Bngres und Coroados) be-
unruhigt worden ist; sie hat die Feuerwaffen der sie begleitenden
Truppenabtheilung benutzen müssen. — Die Arbeiten schreiten
jedoch schnell und erfolgreich vorwärts.
Jüngst hat nun die Kommission eins der größten Natur-
wunder Südamerikas untersucht. Man wußte nämlich schon lange
von Indianern, daß ein großer Wasserfall die Schiffbarkeit
des Flusses verhindere; endlich gelangte die Kommission zu diesem
Fall und staunte vor einem der erhabensten Schauspiele der Natur.
Der Strom stürzt hinab über eine gewaltige Felsenmauer, die den
Fluß in seiner ganzen Breite von 1200 Brayaö (eine Bra<,-a bra-
silianischen Maßes sind 8-/3 Fuß oder 80 bras. Zoll) hindurch-
zieht und über 800 (?) Fuß hoch und ebenso breit ist. Ueber diese
enorme Felsenmasse stürzt der brausende Strom in eine unendliche
Tiefe mit fast unglaublicher Schnelle hinab und bildet ans
diese Weise einen der größten Wasserfälle der Welt.
Die brasilianische Kommission ist jetzt beschäftigt, die Art der
Felsblöcke zu untersuchen und ein Mittel ausfindig zu machen, die
kolossale Felsenmaner zu sprengen, was jedoch der allgemeinen An-
sicht nach unmöglich ist. Dieselbe Kommission hat bereits Mittel
gefunden, die Schiffbarkeit des Uruguay bis nach S. Borja zu
erstrecken, indem sie den Wasserfall des Butny zwischen
Jtaqui und S. Borja, der 64 Fuß Breite und 800 Fuß Höhe
hat und das Hanpthinderniß in jener Gegend bildete, vermied.
Die brasilianische Kommission an Bord des orientalischen Dampfers
Uruguay umging diesen Wasserfall, indem sie einen von der
Natur gebildeten Kanal, der gerade ans der Höhe der Kas-
kade den Nebenfluß Butny mit dem Hanptstrome verbindet, ent-
deckte und ans diesem den Wasserfall umschiffte. Dieser von der
Natur gebildete, leicht schiffbare Kanal hat eine Länge von 3 bis
4 Meilen und öffnet die Verbindung zwischen Montevideo und
S. Borja bis zum großen Wasserfalle, der heute das ein-
zige Hinderniß zur freien Beschiffung des mächtigen Uruguay vom
Paran-1 bis zum Nebenflüsse Pelotas auf der Serra gerat ist.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die brasilianische Regierung
durch diese Erforschung des Uruguay einen bedeutenden und der
Anerkennung werthen Dienst geleistet hat, dem wir nicht nur die
Kenntniß eines bisher iguorirten Wasserfalles danken, welcher dem
Niagara wenig nachgiebt, sondern auch die Eröffnung eines direk-
ten Verkehrs zwischen Montevideo und den innen: Provinzen des
Kaiserreichs Brasilien.
Schon sind von der Regierung die nothwendigen Befehle aus-
Kleine Nachrichten
287
gegangen, um die dort anfgefnndenen wilden Jndianerstämme zn
„katechesiren" und in Dörfern zusammen zn bringen, wo sie dann
bald ihren jetzigen Naturzustand vergessen. Dergleichen Jndianer-
dörfer (Aldeamentos genannt) giebt es heute 248 im Kaiserreiche,
in denen etwa 53,000 gezähmter Indianer unter 41 Direktorien
leben. Außer diesen sind jedoch noch 48 verschiedene Stämme !
wilder Indianer bekannt, die nichts von der Civilisation wissen
wollen und in unbeschränkter Freiheit in den unzugänglichen
Urwäldern (Sertaes) des Innern leben, und von denen einige noch
sogar Anthropophagen sind. Die am Uruguay sind weniger ge-
fährlich und leichter bis ans einen gewissen Grad zn zähmen.
K. von Koseritz.
Kleine lt
Die mißlungene Expedition des Lieutenants Krnscnstern im
Nördlichen Eismeere. Wir erwähnten im Globus (III, S. 160),
nach einer Mittheilung, die wir in der St. Petersburger deutschen
Zeitung fanden, daß die Expedition des russischen Lieutenants von
Krusenstern zur Erforschung des Weges an der n ord europ 8 i s che n
Käste nach der Mündung des Jenisey wahrscheinlich mißglückt
sei. Der Sommer des Jahres 1862 war sehr kalt und regenig,
und hauptsächlich dieser ungünstigen Witterung ist wohl die Schuld
des Mißlingens zuznschreiben. Jetzt liegt in der Jllnstrirten Zeitung
ein sehr ausführlicher Brief ans Obdorsk vom 9. Oktober v. I.
von Krusenstern an seinen Vater vor, in welchem die harten Kämpfe,
welche er mit ungeheuren Eismassen zu bestehen hatte, und der end-
liche Verlust seines Schooners Jermak beschrieben werden.
Am >. August verließen die zwei Schiffe „Jermak" und
„Embryo" Luja, trafen aber bereits bei Warandai ans unge-
heure Treibeismassen, die das Vordringen ungemein erschwerten.
Bei der Insel Dvlgoi wurde das Eis immer dichter, stellenweise
zogen sich stehende Eisfelder, oft eine Meile breit, durch den Océan.
Hatte man einen solchen Eisgürtel nach unsäglichen Mühen durch-
brochen, dann konnten die Reisenden bei ziemlich günstigem Winde
wieder eine Strecke ihre Reise fortsetzen, bis sie auf neue Eisfelder
trafen. Die Insel Matweeff ward umschifft und ihre Lage genau
bestimmt. Alles war mit dichtem Treibeis umlagert, ans dem sich
unzählige Walrosse befanden. Am 13. August ward die Jug oris ch e
Straße, welche bis auf einen schmalen Kanal mit Eis verstopft
war, durchsegelt und gegen 5 Uhr Nachmittags lag das Karische
Meer vor den Blicken der Reisenden Bei der Insel Waigatsch
ward Anker geworfen und eine schreckcnsvolle Nacht verbracht.
„Furchtbare Massen Treibeis rasten mit entsetzlichem Getöse, vom
Sturme getrieben, durch dieJugorische Straße in das Karische Meer
hinaus, Tod und Vernichtung Dem drohend, der sich ihnen ent-
gegen zu stellen gewagt hätte. Mehrere Male mußten wir die Anker-
lichten, um den Schooner vor dem Zerschellen zu retten. Mit dem
Aufwand aller Kräfte arbeiteten wir die ganze Nacht; der Anker
trieb auf Felsgrund und ich taxirte die Schnelligkeit der Strömung
auf vier Knoten. Der Embryo ward durch ein Eisfeld von uns
fortgerissen und in das Karische Meer hinansgeschleudert." Auch
dem Schooner Jermak ward am andern Morgen dieses Schicksal
zn Theil, auch ihn riß die Strömung fort, und er konnte, da das
Meer zn tief war, nirgends Anker werfen. Nur ein schmaler Kanal,
durch welchen das Schiff trieb und der sich immer mehr verengerte,
war offen; Plötzlich hörte derselbe auf und nun zeigte sich dem Blicke
nichts als Eis!
Alle Versuche zur Umkehr mißglückten, und nur der wieder auf-
gefundene Embryo versuchte durch Rudern das Land zn gewinnen.
(— Es wird dies die bereits im Globus erwähnte, von dem Unter-
offizier Korotki geführte und ani 13. Sept. v. I. glücklich heim-
gekehrte Dacht sein. —) Der Jermak lag unterdessen an einer
28 Fuß dicken Eisscholle fest, auf welcher Zelte errichtet wurden.
„Jedesmal, wenn das Eis sich schob, krachte das Schiff in allen
seinen Fugen; die rechte Wand wurde um einen halben Faden ein-
gedrückt und dennoch leckte es nicht. Bald wurde es vom Eis ans
hie eine, bald ans die andere Seite gelegt und endlich so weit ans
dem Wasser gehoben, daß es nur noch 3 Fuß zwischen Eisschollen
hing. Einigemal ward es so gequetscht, daß das Deck sich hob und
ein Krachen durch das Schiff ging, daß vielen unter der Mannschaft
der Angstschweiß ans die Stirne trat. Wir wurden mit der ganzen
Eismasse hin- und Hergetrieben und wechselten in der Breite zwischen
69° 54'uub 70° 5'. So bekamen wir beinahe das ganze südliche
Ufer bis zur Karamündung zu sehen, dann trieben uns Süd-
winde dem östlichen Ufer des Kärischen Ufers zn. Das dauerte den
ganzen August hindurch. Vom Wasser war keine Spur zu sehen,
bis ans einige sehr tiefe Süßwasserlöcher im Eise."
Der Schooner war unterdessen so schadhaft geworden, daß man
beschloß, ihn zu verlassen, und der Weg über die Eisschollen nach
dem etwa noch 30 Meilen entfernten östlichen Ufer angetreten wurde.
Ein Boot ward ans Schleifen gesetzt und mit dem nöthigen Proviant
und Instrumenten versehen. Am 9. Sept, wurde der Jermak ver-
ch richten.
lassen und ein nenntägiger, entsetzlich beschwerlicher und gefahrvoller
Marsch über Schollen'und Eisberge (Torrosse) unternommen.
Um zn zeigen, welche Mühe und Noth die Reisenden ans diesem
Wege zu bestehen hatten, heben wir noch Folgendes ans Krusenstern's
Briefe hervor:
„Wir hatten, todtmüde, ans einer Eisscholle uns hinter auf-
gethürmten Eisstücken niedergelegt, um dort unser kaltes, nasses
Nachtlager zu halten, als sich plötzlich die Scholle in Bewegung
setzt und, vom Sturme gejagt, mit rasender Schnelligkeit dem offenen
Polarmeere zutreibt.
An eine Rettung ans dieser verzweifelten Lage glaubten auch
die Muthigsten nicht mehr, und Jeder ergab sich mit Standhaftigkeit
in sein Geschick. Oft sahen wir Eisbären auf kleinen Schollen nahe
an uns vorübertreiben, die mit schnalzenden Zungen uns als eine
gute Beute betrachteten und nur des Augenblickes zn harren schienen,
in welchem unser gefährliches Fahrzeug zertrümmert werden würde,
um sich unserer Körper zu bemächtigen. Drei Tage dauerte diese
tolle Fahrt und weiter ging's in der Richtung zum Pol. Unsere
Kopfbedeckungen hatten wir verloren, die Kleider waren durchnäßt,
die Lebensmittel bestanden nur noch aus wenig Schiffszwieback.
Am dritten Tag endlich schlug der Wind um und trieb uns der
Küste zu; ein Hoffnungsstrahl belebte unfern Mnth auf's neue.
Der Wind war heftig und die See brandete über unsere Scholle
hinweg. Da ereignete sich ein Unfall, der vieren unserer Leidens-
gefährten fast den Untergang gebracht hätte. Sie standen auf der
Spitze der Scholle und schauten sehnsüchtig nach der Küste, die uns
Rettung bringen sollte. Mit einem Male löst sich die Spitze mit
den vier Mann los und treibt in die See hinaus. Nur mit eigener
Lebensgefahr gelang es uns, die unglücklichen Burschen wieder auf
die sichere Scholle herüber zu bekommen. Endlich trieben wir an
festere Eisfelder und setzten mit dem Nest unserer Kräfte den Weg
nach dem Lande fort. Jeder hatte 70 Pfund Gepäck zn schleppen.
Am 18. Sept. erreichten wir durchnäßt und erschöpft alle bei starkcr
Kälte das User. Wir schliefen ans kahler Erde unter freiem Himmel,
ohne Feuer, ohne Speise. Als es hellJvurde, begegneten wir zwei
Tschums, und wir waren gerettet! Sie brachten'uns mit ihren
Renuthieren nach Obdorsk. Unsere Journale, einige Karten, ein
paar Gewehre ist alles, was vom Schiffe mit fortgebracht wurde."
Ein Berliner Kind nnter den Afghanen. Unter dieser Rubrik
brachten wir vor längererZeitNachricht über einen Deutschen, welchen
eine 1857 aus Indien nach Kabul nnd Kandahar geschickte Gesandt-
schaft unter den Afghanen angetroffen hat (Globus III, S. 288).
Diese Mittheilnng gab im Vereine für Erdkunde zn Dresden
Anlaß zu ausführlichen Bemerkungen von Seiten des Herrn
l)r. I. C. Haentzsche, der viele Jahre lang als Arzt in Persien
gelebt hat nnd erst vor Kurzem in sein Heimatland Sachsen zurück-
gekehrt ist.
„Ans Allem," so schreibt uns Hr. Dr. H., „scheint hervorzu-
gehen, daß ich jenen Friedr. Wilh. Dapnrt gekannt habe."
JmJuni 1854, wenigeAbende vor meiner Flucht aus Erz erum
nach Nordpersien, wurde mir von einem jüdischen Schneider die
Mittheilnng gemacht, daß im innen: Theile der Stadt (Erzerum),
in einem türkischen Kaffeehaus, ein deutscher Schuster ange-
kommen sei, der Lust habe, weiter zn reisen; es fehle ihm jedoch an
Mitteln. Ich suchte den Landsmann ans und fand in ihm einen in
den vierziger Jahren stehenden Mann, mit einem von der Sonne
gebräunten Antlitz, etwas gefurchten Wangen, spärlichem Bart-
wuchs und gntmüthigen blauen Angen. Er hatte eine etwas nach
vorn überbogene Haltung, trug einen europäischen Oberrock und
ans dem Kopf ein altes türkisches Fes.
Die Habe dieses Mannes bestand ans einem alten Hemd; in
dieses war sein königlich preußischer Paß gewickelt, der nach Ruß-
land und insbesondere nach Tiflis ausgestellt und z. B. vom russi-
schen Konsulat in Jerusalem regelrecht visirt worden war. Der
Schuster besaß ein neues Testament in deutscher Sprache, welches
amerikanische Missionäre ihm geschickt hakten; wenn er ansruhte,
pflegte er in demselben zu lesen.
288
Kleine Nachrichten.
Dieser lutherische Schuhmacher hieß Friedrich Wilhelm
Gebhardt und war aus Frankfurt au der Oder oder dessen Um-
gegend gebürtig, verstand sein Handwerk recht gut und hatte in
Persien mehreren europäischen Diplomaten dauerhafte Arbeit ge-
liefert. Schoil in seinen früheren Gesellenjahren hatte er einen
großen Theil von Deutschland und Oesterreich zu Fuße durchwandert,
und die Schweiz nebst manchen Gegenden Frankreichs gesehen. Die
Militärpflichtigkeit setzte diesen Wanderungen ein Ziel. Gebhardt
mußte als Füsilier dienen; als ihm aber, da er vor den Zimmern
einer Prinzessin Schildwacht stand, in einer kalten Winternacht die
Füße erfroren und die Zehen am linken Bein abgenommen werden
mußten, gab man dem solchergestalt Verstümmelten den Abschied.
Nun konnte Gebhardt ungestört seiner Wanderlust leben, und
als ich im Jahre 1854 seine Bekanntschaft machte, hatte er binnen
etwa zwanzig Jahren einen großen Theil des Orients durchstreift.
Zuerst war er nach den Donauländern und in die europäische Türkei
gegangen, und hatte dann manche griechische Inseln, theilweise
mehr als einiiial, besucht; nach Athen war er nicht gekommen,
meinte aber, das Versäumte gelegentlich nachzuholen. Kleinasien
kannte er sehr genau; in Syrien und Palästina war er mehr als
einmal gewesen; als ich ihn traf, war er von Jerusalem durch Klein-
asien nach Siwas gegangen und hatte sich hier längere Zeit auf-
gehalten.
Bon Siwas war er nach Erzerum gekommen. Er lieferte mir
die Nachweise darüber, daß er auch in Arabien und in Aegypten
längere Zeit verweilt habe; auch Bagdad, Bombay und Kalkutta
waren ihm bekannte Sädte. Erst später brachte ich ans ihm heraus,
daß er früher zweimal in Persien und Kurdistan gewesen sei. Alle
Sitten der Morgenländer kannte er bis in die Einzelnheiten und
wußte sich mit Leichtigkeit in dieselben zu fügen. Er sprach recht
gut Deutsch, in das er nur selten ein Fremdwort mischte; sodann
Italienisch, Tatarisch und Vulgär-Arabisch, aber alle drei Sprachen
nicht sehr geläufig und niit schlechter Aussprache. Auch mit dem
Hebräischen hatte er sich etwas abgegeben, weil er, wie er mir
später vertraute, einmal die Absicht gehabt hatte, eine Jüdin zu
freien. Im Rothen Meere hatte er einmal Schiffbrnch gelitten;
die Araber und Türken hatten ihn, nebst einigen englischen Reise-
gefährten, mit Gewalt zum Mohammedaner gemacht. Er hatte
aber bald eine günstige Gelegenheit wahrgenommen, um beu Türken
zu entfliehen.
Der alte Gebhardt gefiel mir so, daß ich ihn fragte, ob er
nicht Lust habe, mich auf einem Ausflnge gen Osten, etwa bis
Täbris, zu begleiten. Das war Wasser auf seine Mühle, und
noch ehe ich ihm über Zweck und Ziel meiner Reise, wovon er erst
auf persischem Boden etwas erfuhr, ein Wort gesagt hatte, äußerte
er seine Willfährigkeit. Gleich am andern Tage führte er mein
Packpferd nach dem Weideplätze der großen persischen Kameel-
karawane; ich aber ritt einen Tag später, begleitet von einem
türkischen Kawassen, welchen mir der damalige österreichische Konsul
zur Verfügung gestellt hatte, aus Erzerum fort.
Alles verlief nach Wunsch; ich entging, obschon nur mit ge-
nauer Noth, ineinen türkischen Quälgeistern und fand meinen Geb-
hardt, der durch seine Landeskeuntniß, seine Treue und vollkommene
Ehrlichkeit mir auf der Reise nach Täbris ein werthvoller Begleiter
war. Auch that es mir wohl, mich mit ihm in unserer heimischen
Sprache unterhalten zu können. Unsere Gespräche drehten sich be-
greiflicherweise zumeist um praktische Interessen des Augenblicks;
wenn aber meinen Schuster die Lust anwandelte, auch über andere
Dinge zu reden, dann kam er gewöhnlich auf sein Hauptthema:
religiöse Angelegenheiten. Und wirklich wußte er Vielerlei von
Dogmen und Einrichtungen des Christenthums, des Judenthnms
und des Mohammedauismus. Er war eine Art von philosophi-
rendem Schuster, aber aus voller Seele protestantisch. Alle Kopf-
hängerei war ihm fremd, er erheiterte Alle, und ich muß noch
heute lächeln, da ich mich eben daran erinnere, wie er am Urmiah-
See einige persische Landstreicher in die Flucht jagte. Sie wollten
meinen Pferdverleiher ausplündern, unter dem Vorwände, daß
seine Gäule auf ihren Aeckern geweidet hätten; aber Gebhardt
ging mit meiner, eben nicht geladenen Doppelflinte auf sie zu und
sie nahmen vor ihm Reißaus.
Bald überzeugte ich mich, daß er in Täbris sehr bekannt
war. Dort erst sägte ich ihm, daß es meine Absicht sei, nach
Rescht zu reisen.
Das war ihm wieder ganz recht und genehm. Es liege ihm
eben jetzt nichts daran, nach Tiflis zu gehen, und nach Teh eran
könne er ja auch über Rescht kommen. An Zeit, sagte er, fehlt es
mir nicht; die gerade Straße von Teheran kenne ich schon, aber
das Kaspische Meer habe ich noch nicht gesehen. Ich will mir
also die gute Gelegenheit nicht entgehen lassen. —
Also nahm ich ihn mit nach Rescht und bald nachher nach
Enseli, um ihm dort das Kaspische Meer zu zeigen, in welchem
er sich badete.
Am l. August 1854 schied er in Rescht von mir, um nach
Teheran zu gehen, wo er Arbeit suchen wollte. Vorher hatte er
mir einen Vorschlag gemacht, den er sicherlich für praktisch hielt.
Was wollen Sie hier in Rescht so lange bleiben? fragte er; kaufen
Sie einen Maulesel, beladen Sie ihn mit ihrem Gepäck und mit
Arzneien, ich will ihn führen, und Sie reiten zu Pferd. Ich bin
Ihr Gehülfe (denn der Schuster hatte auch etwas in die Meinem
hineingepfuscht), und wir verdienen auf angenehme Weise viel Geld.
Zum Reiten war er nicht zu bewegen; er ging nebenher, und
wenn ich den sehr Ermüdeten dann und wann, halb mit Gewalt,
auf ein Packthier heben ließ, siel er allemal, zum großen Ergötzen
der Perser, bald wieder herunter. Uebrigens wollte er einmal mit
einigen Engländern einen Eilritt von Teheran nach Bagdad ge-
macht haben.
Ein russischer Beamter wollte den ehrlichen deutschen Mann
mit nach Petersburg nehmen. Aber Gebhardt sagte, daß er den
Norden nicht liebe; auch habe er überhaupt keine Lust, Diener zu
sein, am allerwenigsten bei einem Fremden: wohl aber mache es
ihm Vergnügen, weil ich ein deutscher Landsmann sei, mir Ge-
fälligkeiten zu erweisen; ohnehin seien wir Beide ja auch Religions-
genossen. Bezahlung nähme er nicht, er sei ein freier Mann. In
der That nahm er kein Geld. Bei alledem konnte ich mir keinen
treuern und znverlässigern Diener wünschen, und an verdächtigen
Stellen ließ er es sich nicht nehmen, Nachts vor meinem Lager Wache
zu halten. Als er in Rescht von mir Abschied nahm, ließ er sich
durch vieles Zureden bewegen, etwas Wäsche, Kleider und ein
wenig Geld anzunehmen. Ich mußte ein paar Wasserstiefeln bei ihm
bestellen, die er mir von Teheran aus schicken wollte. Er hat aber
vergessen, sie zu verfertigen.
Die Sommermonate des Jahres 1856 verlebte ich in Teheran.
Wer sich gleich nach meiner Ankunft bei inir einstellte, war der
getreue Gebhardt. Er hatte in der persischen Hauptstadt 1854 nur
noch wenige von seinen „alten diplomatischen Geschäftsfreunden"
augetroffen und war nach Bagdad gegangen, wo er einen Laden
eröffuete und bald eine kleine Summe erwarb. Nun aber war es
mit seiner Ruhe vorbei, die Reisekraukheit packte ihn mächtig, und
er kam nach Teheran zurück, um seine große ostasiatische Wande-
rung anzutreten. Er hielt es für nöthig, — immer das Neue
Testament in der Tasche, — sich für einen schiitischen Mohamme-
daner zu bekennen, weil das für seine Sicherheit zweckmäßig sei.
Er hat, wenn ich nicht irre, im August 1856 Teheran verlassen
und ist als Pilger nach Mesched gegangen; es war seine Absicht,
auch Cl>iwa, Buchara und Samarkand zu besuchen.
Daß er Mesched glücklich erreicht hat, erfuhr ich einige Zeit
nachher, dann aber habe ich seine Spur verloren, und ich höre
erst jetzt, daß er unter ungünstigen Auspieien und weil man den
ehrlichen Burschen für einen Spion hielt, am 25. April 1857 von
Kandahar nach Kabul abgeführt wurde.
Es wäre mir sehr erfreulich, wenn diese Zeilen dazu beitragen
könnten, daß irgend Jemand im fernen Osten Nachforschungen
anstellte über des ehrlichen Gebhardt Schicksal, und daß man
eventuell, falls er noch lebt, Schritte versucht, ihn aus der Ge-
fangenschaft bei den Afghanen zu befreien.
Bon Melbourne noch England ist das Schiff Lincolnshire in
der kurzen Zeit von 72 Tagen gefabren. So schnell wurde es die
weite Fahrt nicht zurückgclegt haben, wenn es durch den Suezkanal
hätte fahren können oder müssen. Die atlantische Fahrt ist sicherer
und bequemer.
Der Hopfenbau in Mittelfranken bildet einen außerordentlich
wichtigen Zweig des Ackerbaues. Amtlichen Berichten zufolge sind
dort in den Jahren 1858 bis 1861 für Hopfen nicht weniger als
22,453,398 Gulden gelöst worden. Im Jahre 1860 waren die
Preise so hoch, daß im Bezirk Spalt-Roth für 3224 Centner
902,852 Gulden bezahlt wurden.
Die Einwohnerzahl von Rotterdam belief sich am 23.Decem-
ber 1862 auf 111,403 Köpfe, ein Zuwachs von 1100 in einem
Jahre. Protestanten sind 73,217, Katholiken 33,747, Juden 441 l;
bei 28 ist keine Religion angegeben. Die Stadt hat fünf Werften
für den Schiffsbau.
Herausgegeben von KarlAndree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Line Fahrt aus dem Nil bis ;u den nubifchen Katarakten.
Die verschiedenen Dampferlinien aus Europa nach Aegypten. — Die Nilfahrzeuge. — Abschluß von Verträgen mit den Schiffseigen-
thümern. — Vorkehrungen zur Reise. — Reis, Dragoman, Kawass, Schiffsvolk. — Die Fahrt auf dem Nil. — Userbewohner; Fellah-
frauen. — Der Bauernstand und der Grundbesitz in Aegypten. — Mehemed Alis Monopolsystem. — Die Kopten; ihre Sprache und
ihr Cbarakter. — Die Städte am Nil; Manfalut und Sink. — Farschut und die Wassermelonen. — Jagd auf Enten. — Ein heiliger
Scheich. — Eine Hochzeit in Luxor.
E r st e r Artikel.
Das alte Land der Pharaonen ist in unseren Tagen wenigstens fürDeutsche, nicht zu empfehlen. Manthut am
ohne Beschwerden und ohne erheblichen Kostenaufwand zu besten, in Triest einen Dampfer des österreichischen
erreichen. Nicht weniger als drei Dampfergesellschaften Lloyd zu besteigen, der nur in Corfu anlegt und direkt nach
Pylonen des Jfistempels auf der Insel Philae.
fahren regelmäßig nach Alexandrien. Da ist die thenre
Peninsular and Oriental Compagnie; ihre Schiffe sind ge-
wöhnlich stark mit Fahrgästen überfüllt, deren Reiseziel
irgendwo in Indien oder China liegt. Die französischen
Messagerien legen die Strecke von Marseille ans in 7 bis
8 Tagen zurück, aber auch ihre Dampfer, welche mit an-
deren in Verbindung stehen, die von Suez aus durch das
Rothe Meer in den Indischen Ocean fahren, sind gleichfalls,
Globus IV. Nr. 10.
Alexandria fährt. Cr legt die Reise in 5 bis 6 Tagen zurück.
Diese Lloyddampfer sind bequemer und auch billiger als jene
der beiden oben genannten Gesellschaften.
Ein Winteraufenthalt in Aegypten ist angenehm. Man
vermißt in Kairo keine europäische Bequemlichkeit und lebt
doch mitten im Orient. In aller Gemächlichkeit kann man
die Pyramiden besuchen und einen Ausflug ans der Eisen-
bahn nach Suez machen. Sobald man aber einige Zeit in
37
290
Eine Fahrt auf dem Nil bis zu den nubischen Katarakten.
dieser wichtigsten aller afrikanischen Städte verweilt hat,
wird man von der unwiderstehlichen Sehnsucht ergriffen,
eine Stromfahrt auf dem Nil zu unternehmen, weit über
die ersten Katarakten hinaus bis nach Nubien, über den
Wendekreis des Krebses hinüber, um jene Wunderwerke des
alten Aegypten zu sehen, von denen noch so viele pracht-
volle Trümmer übrig sind. Man hat genug an dem Ge-
wühl einer großen Stadt, die jetzt nahe an 400,000 Seelen
zählt, und entflieht gern dem
Lärm, welchen die Horden
von Eseltreibern von früh
bis spät in einem halben
Dutzend Sprachen gleichzeitig
erheben. Auf dem Strom
ist Ruhe, und diese ist uns in
hohem Grad erwünscht.
Der heilige Strom, des-
sen Haupt erst in unseren
Tagen, wenn bis jetzt auch
nur theilweise, enthüllt wor-
den ist, wird auf weiten
Strecken von Dampfern be-
fahren ; ja man projektirt
Eisenbahnen durch die Ba-
Hiuda-Wüste und jene der
Bischaris; man will schiff-
bare Kanäle graben, um die
zehn Stromschnellen zu um-
gehen, welche die Schifffahrt
hindern; man will ferner den
elektrischen Telegraphen bis
Chartum amZusannnenslusse
der beiden Hauptarme des
Nils, also bis tief in den
Sudan hinein, fortführen.
Ein beschaulicher Reisender
wird aber wohl immer die
Stromfahrt ans einer
Nilbarke vorziehen; auf
einer solchen ist er fein ei-
gener Herr, kann sinnen und
träumen wie es ihm beliebt,
weiterfahren oder umkehren,
je nachdem er will; auch fin-
det er immer Fahrzeuge mit
wohl eingeübter Mannschaft
bereit.
Gewöhnlich bilden die so-
genannten zweiten Katarak-
ten, die Stromschnellen bei
Wadi Halfa in Nubien, das
Ziel derReisenden; weiter hin-
auf gehen nur Kauflente oder
Männer der Wissenschaft.
Man hat unter verschiedenen
Arten von Fahrzeugen die Auswahl. Der D s ch erm s, welche
zwei Masten und große lateinische Segel haben, bedient man
sich zur Stromfahrt in's Oberland nicht, sondern nur im
Delta, zur Zeit der Ueberschwemmung. Der Madil oder
Kiyas unterscheidet sich von einer Dscherm nur dadurch,
daß er kleiner ist. Die Nilbarke, welche ein Reisender wählt,
ist etweder ein Mansch oder Nahleh, eine Kangheh
oder ein Dahabieh; alle drei gleichen einander, nur die
Größe ist verschieden; die Kangheh ist am kleinsten, der
Mansch am größten. Das Dahabieh ist ein Boot von
Mittlerin Gehalt und reicht für den Reisenden vollkommen aus.
Im Oktober und November ist die Bootsmiethe am
theuersten, weil in diesen Monaten der Andrang von Eu-
ropäern am stärksten ist; im Januar fällt er. Gewöhnlich
nehmen drei bis sechs Leute zusammen eine Barke und führen
einen gemeinschaftlichen Haushalt. Dann belaufen sich die
Kosten, Alles zusammengerechnet, auf etwa 350 Thaler für
die Fahrt von Kairo nach Wadi Halfa und zurück; jene bis
Assuan, also nur bis an die nubische Grenze, ist billiger.
Aus den nachfolgenden
Skizzen wird der Leser ersehen,
in welcher Weise es sich mit
einer Stromfahrt auf dem
Nil verhält und was dabei
in Betracht kommt. Vor
allen Dingen muß man einen
bündigen Vertrag in ara-
bischer und nebenbei zugleich
in irgend einer europäischen
Hauptsprache abschließen,
denselben von seinem Kon-
sulat bestätigen und von der
zuständigen ägyptischen Be-
hörde garantiren lassen.
Dann kann man ruhig sein.
Derartige Kontrakte lau-
ten verschieden. Man kann
mit einem Dolmetscher ab-
schließen und diesem Alles
übergeben; aber das ist in
der Regel nicht anzurathen;
man kann auch mit einem
Schiffsführer (Reis) ein
Uebereinkonnnen treffen. Am
besten und sichersten ist es
wohl, mit einem Schiffs-
eigenthümer ein Ueberein-
kommen zu treffen. Das-
selbe muß folgende Bestim-
mungen enthalten:
Der Schifsseigenthümer
N. N. vermiethet dem Herrn
X. für die monatliche Summe
von-------(etwa 60, 80 oder
100) Napoleondors eine
Barke, welche an dem und
dem Tage bereit sein muß.
Die Bemannung besteht aus
Matrosen, Schiffsjungen,
Steuermann und Reis.
Sie alle müssen einen Tas-
karet haben, eine von der
Polizei ansgefertigte Karte.
Diese Bemannung steht
Herrn X. durchaus zu Befehl:
er hat das Recht, Jeden,
der sich verfehlt, vom Schisse wegzuweisen und ihn durch
einen Andern oder mehrere Andere zu ersetzen. Nur
allein der Reis, als Bevollmächtigter des N. N., kann
nicht entfernt werden; aber die ägyptischen Behörden und
die Polizei haben für sein gutes Betragen einzustehen.
Herr X. bestimmt über den Gang des Fahrzeugs und der
Reis hat seine Anordnungen zu befolgen; sollte aber der
letztere eine Gefahr voraussehen, und hat er auf die-
selbe aufmerksam gemacht, dann hat Herr N. allen Schaden
zu tragen. Die Barke fährt stroman bei Nacht, falls der
Wind günstig ist, mit Segeln; das Treideln (Ziehen mit
Dame in Kairo.
Eine Fahrt auf dem Nil bis zu den nubischen Katarakten.
291
Seilen) kann nur bei Tag in Anwendung kommen. Bei
der Thalfahrt wird bei Mondschein zugleich gesegelt und ge-
rudert. 9£. ist für keine Beschädigung verantwortlich, welche
der Barke zustößt, hat auch gar keine Abgaben zu erlegen,
und nur bei der Fahrt über die Katarakten die übliche Ge-
bühr zu zahlen. Er erlegt Herrn £. so und so viel von der
Miethe im Voraus, behält sich auch vor, unterwegs dem
Reis eine Summe zu zah-
len, womit die Bedürfnisse
der Mannschaft bestritten
werden können. Im Fall
irgend einer von diesen
Punkten nicht eingehalten
wird, hat N. von X. so
und so viel als Entschädi-
gung zu fordern. —
Nun hat der Reisende
auf ein paar Monate ein
schwimmendes Haus, aber
er selbst muß dasselbe mit
dem nöthigen Nahrungs-
bedars versehe», denn unter-
wegs kann er nicht allzuviel
bekommen. Die Dörfer
oder Städte am Nil liefern
ihm Milch, Butter, die zu-
meist sehr schlecht ist, Me-
lonen und Wassermelonen,
Gurken, Zwiebeln, vortreff-
liche Linsen, Spinat, Eier
und Geflügel; das ist aber
auch Alles. Das Uebrige
kauft man in Kairo, als
da ist: Mehl, Reis, Mak-
karoni, Kartoffeln, Boh-
nen, Graupen, getrocknete
Aprikosenschnitten, Trau-
ben, Pflaumen und Man-
deln, Orangen, Citronen,
Chokolade, Kaffee, Thee,
Salz, Zucker, Oel, Pfeffer
und andere Gewürze, Seife.
Brennöl, Essig, Senf,
Wein, Bier, Cognac,
Wachs- oder Stearinkerzen,
Flaschen und Gläser, Tabak,
Cigarren, Chesterkäse und
holländischen Käse. Man
nimmt Barometer undTher-
mometer mit, Waffen, Pa-
pier, Feder, Tinte und noch
manche andere Sieben-
sachen.
Drei wichtige Personen
sind, außer dem Schisss-
führer, der Koch, der Dolmetscher und der Kawaß. Unser
Koch, sagt H. Cammas, den wir auf seiner Fahrt begleiten
wollen, war ein Araber, der sich auf das Pastetenbacken
sehr gut verstand.
Auf die Dragomane, Dolmetscher, kommt sehr viel
an, und man hat von Glück zu sagen, wenn man in der
Wahl glücklich ist. Diese Leute sind, einzelne Ausnahmen
abgerechnet, äußerlich wohl gekleidet, aber unter den Klei-
dern schmuzig; sie lügen, betrügen, stehlen und heucheln,
sie drängen sich dazu, für den Reisenden etwas auszulegen,
und prellen ihn unverschämt. Sie bilden eine Art Innung,
deren Vorsteher für die Mitglieder verantwortlich ist; man
kann auch bei der Polizei Beschwerde führen, aber was
hilft das? Allerdings hat man gegen den Gauner wenigstens
einen Trost: man kann ihn tüchtig durchprügeln, und zu
diesem Behufe nimmt man einen Kurbatsch aus Hippo-
potamushaut; der macht gehörige Striemen. *)
Unser Kawaß, der türkische Polizeimann, war glänzend
gekleidet und glich einer
wandelnden Rüstkammer.
Ein solcher Mensch hat
Die, welche ihn bezahlen,
im Nothfalle zu beschützen
und fordert die verschiede-
nen Ortsbeamten, als da
sind: Mamurs, Mudirs,
Nasirs, Kaschefs rc., aus,
den Reisenden Recht und
Gerechtigkeit zu verschaffen.
Uebrigens hängt es von
dem guten Willen und der
Gunst der ägyptischen Re-
gierung ab, einen Kawaßen
herzugeben.
Am 5. Decemberl 860
gingen wir unter Segel.
Es war ein Tag wie bei
uns in Europa am Ende
des Mai; ein wolkenloser
Himmel spiegelte sich in
dem ruhig dahinströmenden
Wasser des Nils. Zur
Linken lagen die Vorstädte
von Kairo: Ramleh, wo
viele Dahabiehs neben ein-
anderhielten ; Bulak mit sei-
nem belebten Hafen und
der große Bazar von Mas-
sara Adim; zur Rechten
die immergrünen Gebüsche
der Insel Rhoda. Die
Niluser gewähren in der
Umgegend von Kairo einen
heitern, freundlichen An-
blick. Die Matrosen san-
gen ; der Dragoman erklärte
uns in einem sonderbarem
Kauderwälsch Alles, was
wir sahen, und Vieles, was
wir nicht sehen konnten.
Der Kawaß stand stolz und
schweigsam aus dem Ober-
deck neben dem Manne,
welcher das Steuer lenkte.
Als die Zeit zum Essen
kam, erhielt jeder Matrose
seinen Antheil Linsen, welchen er mit Nilwasser anfeuchtete;
*) Die Gesellschaft, welcher Alexander Ziegler angehörte,
hatte ihren Kontrakt mit zwei europäischen Dragomans abge-
schlossen und zwar auf dem Konsulate. Trotzdem wären dabei vier
Fehler begangen worden. Die Reisenden hatten — vergessen, den
Kontrakt mit auf die Reise zu nehmen! Sie hatten sich für die
Besichtigung der Monumente in Oberägypten nur 15 Tage aus-
bedungen und bekamen deshalb manche interessante Punkte gar
nicht zu sehen. Sie hatten das Aufziehen von Laternen am Mast-
baume bei Nacht nicht ausgemacht; endlich hatten die Dragomane
mit dem Schiffsfnhrer per Monat, nicht aber, wie stets zu rächen
ist, ans die Dauer der ganzen Reise abgeschlossen. Diese Ver-
07 *
Fellahfrcm.
292
Eine Fahrt auf dem Nil bis zu den nubischen Katarakten.
der Reis genoß neben uns einige Datteln. Das war in
der That ein sehr frugales Mahl, und wir schickten den
Matrosen Kaffee und Cigarren. Darüber war dann
großer Jubel.
Die Barke ist groß und schön. Auf dem Vorderdecke
leben und schlafen die Schiffsleute unter freien Himmel; wir
haben das Hintertheil time und befinden uns in den sechs
verschiedenen Räumen sehr
behaglich. Die Fenster des
Salons gehen auf einekleine
Außengallerie hinaus, wo
wir im Schatten sitzen und
ungestört, in aller Ruhe,
unfern Tschibuck rauchen.
Auch der Reis hat eine
recht hübsche Kajüte.
Gleich nach Sonnen-
untergang bricht die volle
Rächt herein, und die Sterne
funkeln mit Hellem Glanze.
Die Luft ist frisch und er-
quickend. Bald schliefen
wir ein, aber lange vor
Tagesanbruch begannen die
Schiffslente mit ihrem Ge-
sang, an den man sich übri-
gens bald so gewöhnt, daß
man sich im Schlafe nicht
mehr stören läßt. Solch
eine Segelfahrt auf einem
ruhigen Flusse zwischen
grünen Ufern ist wunder-
schön, besonders in einem
Lande, wo uns Alles, was
wir sehen, so neu und über-
raschend vorkommt. Die
Dörfer, welche in der Ferne
so weiß schimmerten, wur-
den in der Nähe gesehen
düster genug. Der Son-
nenglanz hatte einen Licht-
schimmer über ihre Arm-
seligkeit gegossen. Bei
einem derselben hielten wir
eine Weile an. Wir sahen
eine Gruppe von Frauen
in langen, blauen Röcken;
sie trugen Packen Leinwand
auf dem Kopf und gingen
durch einen Baumgang von
Mimosen und Sykomvren
zum Nil, um das Zeug zu
waschen. Junge Mädchen
trugen große Wasserkrüge
auf dem Kopfe, neben ihnen
gingen Kinder mit kleineren Gefäßen. Das Ganze war
ein fertiges Gemälde, wie ein Maler es sich nur wünschen
konnte.
Wir betrachteten uns die Frauen in der Nähe.
Cinige wollten ihr Gesicht nicht sehen lassen und verhüllten
dasselbe; andere dagegen zeigten sich keineswegs schüchtern.
Die meisten hatten eine runde, volle Stirn, große Augen,
regelmäßige Nase, etwas aufgeworfene Lippen, etwas
säumnisse gaben dann Anlaß zu manchen ärgerlichen Vorfällen.
A. Ziegler, Reise im Orient, I, S. 119.
plumpes Kinn und tätowirte Wangen. Manche trugen
Metallringe in der Nase und Ringe über den Arm- und
Fußknöcheln; bei einigen war der blaue Rock auch mit
Stahlperlen besetzt. Ueber den Kopf hatten sie nachlässig
ein Tuch geworfen. Alle waren wohl gewachsen; Arme und
Beine schlank, die Füße klein. Unsere Matrosen ließen sich mit
diesen Aegypterinnen in ein Gespräch ein, das wenigstens den
älteren Frauen nicht gefiel,
denn sie singen an ganz
entsetzlich zu schreien und
zu schimpfen. Darin sind
die Fellahweiber Meiste-
rinnen; wir haben dafür
Beweise in Hülle und Fülle
gehabt. Aber gewöhnlich
fällt auf die Matrosen alle
Schuld am Zanke, der
manchmal bis zu Hand-
greiflichkeiten ausartet.
Einst waren unsere Leute
an's Land' gegangen; es
erhob sich ein Lärnl und
wir gingen mit dem Kawaß
in's Dorf, um ihnen bei-
zustehen. Wir nahmen
einen Mann gefangen; aber
nun entstand ein förmlicher
Aufruhr. Die Weiber
rannten auf die Dächer
ihrer Hütten, kratzten die
Erde los, streuten sie auf
ihr Haupt, schrieen entsetz-
lich, heulten einmal über das
andere: Allah, Allah. Unser
Kawaß wollte den Ge-
fangenen dem ersten besten
Mudir überantworten, aber
wir legten uns in's Mittel
und er wurde freigegeben.
Ohnehin hatte sich heraus-
gestellt, daß einer von unse-
ren Matrosen Hühner ge-
stohlen hatte, und das
wollten dieFellahs sich nicht
gefallen lassen. Diese ge-
drückten Bauern haben eine
schwache Vorstellung von
Menschenwürde und von
ihrem eigenen Werth; ohne-
hin werden sie oft und
viel geprügelt. Manchmal,
wenn der Druck gar zu arg
wird, lehnen sie sich wohl
gegen die Willkür auf, aber
sie wissen schon im Voraus,
was das Ende sein wird. Gewöhnlich leisten sie Wider-
stand gegen die Conscription, das hilft indeß zu nichts.
Einige verlieren dabei das Leben, die übrigen werden auf
Barken gebracht und nach Kairo abgeführt, während die
Weiber eine Strecke lang am Ufer hinterherlaufen, heulen
und schreien.
Uebrigens leben, was Essen, Trinken und Wohnen
anbelangt, die Fellahs in manchen Gegenden nicht schlechter,
als z. B. ein slawischer oder französischer Bauer. Sie sind
auch nicht so melancholisch als man oft sagen hört; es fehlt
ihnen nicht an Heiterkeit und Frohsinn, die namentlich bei
Fellahsrau.
Eine Fahrt auf dem Nil bis zn den nubischen Katarakten.
293
ihren Hochzeiten stark hervortreten; auch lieben sie Tanz
und Gesang. Aber von dem was Recht und Pflicht ist,
haben sie keinen Begriff, und eben so wenig eine Ahnung
von der Stellung eines Bürgers odereines freien Menschen.
Der Fellah liebt sein Haus und sein Dorf; was darüber
hinaus liegt, kümmert ihn wenig, und von Patriotismus
kann keine Rede fein. Das begreift sich leicht, wenn man
die Geschichte von den Pharaonen bis^auf unsere Tage herab
in's Auge faßt. Seit der
arabischen Eroberung wur-
den Grund und Boden
Eigenthum der Sultane,
Emire und Behs. Der
Fellah mußte seinen ganzen
Ernteertrag, mit alleiniger
Ausnahme dessen, was für
den Lebensunterhalt seiner
Faniilie nothwendig war,
an den Herrn abliefern.
Gegenwärtig sind an die
Stelle des Monopols regel-
mäßige Abgaben getreten.
lieber den Bauern-
stand und den Grund-
besitz in Aegypten hat in
der jüngsten Zeit Alfred
von Kremer*) guteNach-
weisungen gegeben. Sehr-
richtig bemerkt er, daß
gerade in Aegypten, wo
doch der Bauer von jeher
den wichtigsten Th eil der
Bevölkerung bildete, dieser
Stand immer in äußerst
drückender Abhängigkeit
lebte. Schon der jüdische
Staatsminister Joseph be-
nutzte eine Hungersnoth,
um Land und Leute dem
Pharaoh völlig leibeigen zn
machen. Die armen Bauern
mußten dem Könige den
Fünften geben; „nurallein
der Priester Land war
nicht eigen dem Pharaoh."
Natürlich, die Priester-
Haben immer für sich vor-
trefflich zu sorgen ver-
standen.
Staatsminister Joseph,
ein großer Finanzmann,
drückte den einst freien
Bauerzu des Königs Frohn-
arbeiter herab, und das
blieb er auch, als fremde
Eroberer in's Land kamen. Schon unter den Römern war
er durch Druck dermaßen verthiert, daß man die Steuern
durch Schläge von ihm Herauspressen mußte. Unter Arabern
und Türken galt, wie schon gesagt, als Grundsatz, daß der
Sultan allein oberster Herr alles Grundes und Bodens sei,
der eben nur an die Bebauer das Land verpachte, welche
dafür einen gewissen Theil des Ertrages als Pachtschilling
zu entrichten hatten. Auch heute ist der Bauer nicht Eigen-
*) Aegypten. Forschungen über Land und Volk während eines
zehnjährigen Aufenthalts. Leipzig 1863,1, S. 245 ff.
thümer des Bodens, sondern hat nur, gegen Entrichtung
der Steuer, das Recht zur Nutznießung. Die heutige ägyp-
tische Gesetzgebung sagt: „Nach deni religiösen Gesetze steht
fest, daß die steuerpflichtigen Gründe nicht vererbt werden
können; bei dem Tode des Inhabers fallen sie an den
Staatsschatz (Beit el Mal) heim; aber in solchem Falle sind
die Erben des frühern Inhabers ganz besonders zu berück-
sichten." Bon einem Eigeuthumsrecht ist also keine Rede.
Im Alterthume betrug
die Abgabe ein Fünftel;
unter den Mohammedanern
war ihr Betrag völlig der
Willkür der Regierung an-
heimgegeben. Aber selbst
unter den Mamelucken er-
reichte das Elend derFellahs
keine solche Höhe wie zur
Zeit derM o n o p o lw irth -
schast des vielgepriesenen
Mehemed Ali. Das Land
wurde förmlich ansgepreßt,
ganze Dörfer starben vor
Elend aus, die Bauern
flüchteten in die Wüste.
Jenes Monopolsystem be-
stand darin, daß Mehemed
Ali nicht nur die, ohnehin
hoch bemessenen, Abgaben
von den Bauern in Natura
erhob, sondern sie zwang,
Alles was sie erndeten, an
die Negierung zu verkaufen,
und zwar zu einem Preise,
welchen sie selber festgestellt
hatte. Bei der Uebernahme
und dem Wägen der Feld-
früchte ließen obendrein die
Beamten sich Unredlich-
keiten und Willkür zu Schul-
den kommen; die Regierung
mischte sich in alle Angele-
genheiten und der Bauer
war nichts weiter als ein
armselig bezahlter Taglöh-
uer der Regierung. Der
Vicekönig koncentrirte die
gesammte Produktion Ae-
gyptens in seiner Hand und
verfügte über dieselbe.
Es gab in Aegypten
eine große Menge von
Grundstücken, die gewissen
Familien als Erblehen oder
als Familienstiftung ge-
hörten, ebenso Grundstücke,
die zu frommen Stiftungen geschenkt worden waren. Diese
alle konfiscirte Mehemed Ali, erklärte sie für sein Eigenthum,
und gab den Besitzern Anweisungen ans Jahresrenten, die der
Peusionssondzahlen sollte. Ferner: durch Rekrutirungen,Noth
und Flucht waren manche Strecken entvölkert worden, und
diese verlassenen Gründe nahm der Vieekönig als sein Eigen-
thum in Anspruch. Die auf solche Art erworbenen Güter
bezeichnet man mit dem türkischen Worte Tschistlik (nach
ägyptischer Aussprache Schiflik), das eigentlich nur eine
Landwirthschaft, ein Bauerngut bezeichnet, hier aber so
viel als vicekönigliches Privatgut bedeutet. Mehemed Ali
Eine Aegyterin.
294
Eine Fahrt auf dem Nil bis zn den nubischen Katarakten
ließ sie durch Frohnarbeiter bestellen; er befahl, wo man
Baumwolle, Bohnen, Mais re. bauen solle. Er kaufte in
Oberägypten den Ardeb Weizen zu 25 Piaster und ver-
kaufte ihn in Kairo zu 120 Piaster! Das Ganze war eine
kolossale Plusmacherei der abscheulichsten Art.
Auf Andrängen der europäischen Mächte mußte das
Monopolshstem aufgegeben werden, aber die ägyptische
Regierung legte noch jahre-
lang dem direkten Verkehr
europäischer Kaufleute mit
den Fellahs Hindernisse in
den Weg, und die letzteren
wurden nach wie vor viel-
fach beeinträchtigt. Eine
Besserung in ihren Zu-
ständen begann erst, als
es dem Bauer freigestellt
wurde, seine Steuern in
Geld zu bezahlen. Seitdem
kann er seine Produkte un-
gehindert verkaufen, wie
und an wen er will; er
fand nun Anreiz zu fleißigem
Anbau, denn was er er-
wirbt, gehört ihm. Aber
immer noch fehlt sehr viel
daran, daß man beu Fellah
in seiner Stellung mit
einem europäischen Bauer
vergleichen könnte. Das
System der Zwangs-
arbeit hat noch immer
nicht aufgehört und ge-
wöhnlich wird der Fellah
dafür nicht bezahlt. Wehr-
lose Bauern werden un-
versehens überfallen und
zu irgend einer Negierungs-
arbeit gepreßt. Man re-
quirirt vom ersten besten
Dorfe so viele Männer als
man eben braucht, und
wenn etwa die Negierung
einen geringen Lohn für die
Arbeit festsetzt, dann fließt
derselbe doch halb oder zum
großen Theil in die Tasche
der Beamten. Das Ver-
hältniß des Bauers im mo-
hammedanischen Staat, und
insbesondere in Aegypten,
ist das des Pachters
zum Grundherrn; die
Abgabe, Steuer, vertritt
die Stelle des Pachtschil-
lings, und es wird der Grundsatz festgehalten, daß bei regel-
mäßiger Bezahlung der Pacht nicht aufgekündigt werden
kann. —
So viel von den Fellahs und ihren Verhältnissen.
Die Schiffsleute auf dem Nil gehören ursprünglich zumeist
auch dem Bauernstand an, aber durch den steten Verkehr mit
Fremden und weil sie oft auch längere Zeit in Städten ver-
weilen, werden sie so zu sagen gewürfelter und bekommen
manche Ideen, von welchen der Fellah im Dorfe keine
Ahnung hat. Sie leben sehr mäßig, gehorchen dem Reis
willig und sind eine Plage für die Anwohner des Nils, weil
sie diesen Hühner stehlen und darüber oft in Streit ge-
rathen.
Unser Reis hieß Essen und war aus Assuan. Wir
konnten mit diesem tüchtigen Schiffsführer vollkommen zu-
frieden sein; er behauptete seinen Leuten gegenüber eine ge-
wisse Würde, machte sich mit ihnen nicht gemein und speiste
allein auf dem Oberdeck. Unter den Matrosen fiel uns ein
gewisser Mahmud auf, ein
unermüdlicher Bursche, der
imnler lustig war, weil er
demnächst in Luxor Hoch-
zeit machen wollte.
Wir kamen bei starkem
Gegenwinde nur langsam
vorwärts. Die arabische
Gebirgskette (am rechten
Ufer), trat immer näher
an den Nil heran, und ihr
wilder Anblick stach scharf
ab gegen die mitBaumwolle
und Zuckerrohr bestellten
Felder, welche zwischen dem
Strom und dem Gebirge
sich hindehnen. Am Ufer
erheben sich Palmen, Ta-
marinden, Mimosen und
Feigenbäume, von denen
die Dörfer beschattet wer-
den. Auch sahen wir am
Abhange der Kette eine
verödete Stadt, die, einst
ein Schlupfwinkel der Räu-
ber, jetzt nur heulende
Schakale beherbergt.
Am Fuße des Dschebel
Their kamen wir hart unter
dem Gebirge hin in eine
enge Strombahu und wur-
den dort durch einer Meute
von Bettlern belästigt, die
halb nackt und mit Unge-
ziefer bedeckt waren. Sie
schwammen heran, rafften
Alles auf, was wir ihnen
aus unserer Barke zuwar-
fen, und tauchten unter
wie Enten. Von unferm
Schisfsvolke wurden sie ver-
höhnt und verächtlich be-
handelt; sie ihrerseits gaben
alle Scheltworte mit
Wucherzinsen zurück. Am
Ende schwammen sie wieder
an's Land und liefen in
ein großes viereckiges Ge-
bäude. Unser Drogmon sagte, dasselbe sei ein Kloster,
und jene Bettlerhorde seien koptische Mönche mit
ihren geistlichen Zöglingen gewesen. Die Kopten
sind bekanntlich Christen ; ein großer Theil derselben steht
in sehr geringer Achtung bei den Mohammedanern.
Die koptische Bevölkerung des heutigen Aegypten
ist mit den alten Aegyptern identisch und stammt unmittelbar
von den letzteren ab. Als gegen die Mitte des siebenten
Jahrhunderts die Araber eindrangen und die byzantinische
Herrschaft verdrängten, war unter den christlichen Aegyptern
die koptische Sprache noch vorherrschend, und neben ihr
Aegyptischer Pferdeknecht.
Eine Fahrt ans dem Nil bis zu den nubischen Katarakten.
295
stand das Griechische, besonders in den Städten, in ziemlich
allgemeiner Geltung. Aber je mehr das Arabische um sich
griff, um so mehr verlor das Koptische an Boden; doch wir
wissen, daß es noch im zehnten Jahrhundert und auch später-
hin selbst in Unterägypten gesprochen wurde, während es
sich in Oberägypten noch weit länger als Volkssprache be-
hauptete, wenigstens bis in's fünfzehnte Jahrhundert hinein.
Den Gottesdienst hielten die Kopten dann schon früh in der
Art ab, daß man die biblischen und liturgischen Abschnitte
in koptischer Sprache vortrng und die Erklärung arabisch
gab. Aus den Volksleben verschwand das Koptische völlig
erst im siebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert. Jetzt
wird es im Nilthale nicht mehr gesprochen und hat sich nur
in den liturgischen Büchern erhalten.
In Aegypten, einem Weltpassagelande, einer Durch-
zugs- und Uebergangsregion, ist der alte bodenständige
Volksschlag in sehr ausgedehnter Weise mit fremden Zu-
thaten, namentlich griechischem, römischem und arabischem
Blute, vermischt worden; auch berberische Zuthaten fehlen
nicht. Die arahische Einwanderung ist am stärksten gewesen,
aber sie reichte doch nicht hin, die einheimische Bevölkerung
völlig in sich anfzuschlürfen und dieselbe zu arabisiren. Als
die Eroberer, die Männer des Islam, eindrangen, betrug,
die eingeborene ägyptische Bevölkerung allermindestens fünf
Millionen Köpfe. Die Ankömmlinge vermischten sich äußerst
schnell mit den Kopten, die in Massen den Islam annahmen,
und so entstand ein neues Geschlecht, welchem die große
Mehrzahl der heutigen Bewohner des Nilthals angehört.
Aber sie trägt, wie sich aus einem Vergleiche mit den alten
Denkmälern ergiebt, noch unverkennbare Merkmale alt-
ägyptischen Ursprungs an sich. In einigen Städten und
Dörfern, wo die koptische Bevölkerung nicht vom Christen-
thum absiel und dichter beisammen wohnte, hat sich die ur-
sprüngliche Bevölkerung leidlich unvermischt erhalten. Kremer
(I, S. 49) sagt: „Die heutigen Aegypter sind soinit noch
immer eine selbständige Nation, welche sich unmittelbar an
die alten Bewohner anschließt und in jeder Beziehung scharf
von den Völkern der angrenzenden Länder trennt. Es ist
ein ziemlich verbreiteter Jrrthum, die heutigen Bewohner als
Araber zu bezeichnen. Allerdings sprechen sie arabisch
und sind auch stark mit arabischem Blute vermischt; dennoch
ist das koptisch - ägyptische Elemen 1 unleugbar bei weitem
vorherrschend. Ein heutiger Aegypter ist noch jetzt von einem
Araber leicht zu unterscheiden."
Die christlich en Kopten machen jetzt kaum den zwan-
zigsten Theil der Landesbevölkerung ans, etwa 150,000
Seelen, wovon ungefähr 10,000 ans Kairo kommen. In
einigen Theilen Oberägyptens sind ganze Dörfer ausschließ-
lich nur von ihnen bewohnt und in der Provinz Fayum trifft
man sie in großer Menge. Die Hautfarbe zeigt Abstufungen
vom blassen Gelb bis zum dunkelsten Braun; die Augen
sind groß, länglich geschnitten und immer schwarz. Die
Nase ist meist gerade und wird nur an der Spitze rund und
breit; die Lippen sind dick, das Haar ist schwarz und leicht
gekräuselt. Gewöhnlich ist der Kopte von mittler Statur;
die Sitte, Knaben zu beschneiden, ist allgemein, was ja auch
schon bei den alten Aegyptern der Fall war. Vom Mo-
hammedaner unterscheidet er sich durch den schwarzen oder
dunkelblauen Turban und gewöhnlich trägt der Kopte dunkle
Kleider; in den Dörfern ist aber die Kleidung ziemlich dieselbe
wie jene der Mohammedaner.
Wir unsererseits meinen, daß die Kopten eine Völker-
mumie sind, abgelebt und abgestanden, eine Art von Fossil,
und die Zeit wird lehren, ob sie einer Weiterentwickelung
fähig seien. Sie sind völlig verknöchert in kirchlichen Aeußer-
lichkeiten und religiösem Formelkram, der an's Alberne streift,
und sind von Wahn dermaßen umstrickt, daß Mohammedaner
von ihnen weniger angeseindet werden als andere christliche
Sekten. Sie sind Halbbarbaren. Gewiß hat der viel-
hundertjährige mohammedanische Druck nachtheilig auf ihren
Charakter gewirkt, aber schon zur Römerzeit taugte das alt-
ägyptische Volk nicht viel, und Juvenal hat in einer seiner
Satiren dasselbe meisterhaft gegeißelt. — „DerKopte ist zu-
meist von düsterer, mürrischer Stimmung, habsüchtig und
geldgierig im höchsten Grade, falsch, kriechend, heuchlerisch,
frech und herrisch, wo er glaubt, es ungestraft sein zu können.
Erzeigt sich fähig im Rechnungssach, und die Regierung stellt
ihn deshalb als Schreiber in verschiedenen Aemtern an; aber
er ist der Bestechlichkeit im höchsten Grade zugängig, hat
vorzugsweise einen Hang zu Ränken und Kniffen, der sich
bei jeder Gelegenheit kund giebt. In den Städten sind die
Kopten größtentheils Kaufleute, Goldschmiede, Wechsler,
Baumeister und dergleichen, in den Dörfern treiben sie Acker-
bau. Der alte Aberglaube steht noch in voller Blüte. Unter
den koptischen Müttern sind manche, welche Kindern, die krank
werden, z. B. an der Bräune leiden, als Amulet einen lebenden
Scarabäus, den sie in Baumwolle hüllen und in eine
Nußschale verschließen, um den Hals hängen. Koptische
■ Mönche, also „ Christen", machen aus der Entmannung von
schwarzen Knaben ein einträgliches Geschäft; zu Burckhardt's
Zeiten war eine Hauptennuchenfabrik im koptischen Kloster
Zawijet ed Deir bei Sint, und Rußegger bestätigt, daß
das abscheuliche Gewerbe fortdauert. —
Nach diesen Einschaltungen wollen wir den Reisenden
Cammas weiter begleiten. Bei der hübschen Stadt Minieh,
in welcher der Bicekönig einen schönen Palast hat, mußten
am 11. December Fellahs requirirt werden, um die Barke
stroman zu ziehen, und diese Leute forderten nicht einmal
Bakschlsch, Trinkgeld. Als die Reisenden ihnen dergleichen
geben wollten, blieb ein Theil in den Händen des betrügeri-
schen Dragomán. Jedes Dorf stellte eine Anzahl Männer,
die beim nächsten Relais durch andere ersetzt wurden; die
Matrosen benahmen sich auch gegen diese Leute unverschämt,
prügelten auf sie los und hielten eine Hetzjagd aus Menschen,
wenn die mißhandelten Bauern fortliesen. '
Aus der libyschen Seite, dem linken Ufer, hat das
Nilthal eine weitere Ausdehnung und dort sieht man viele
Dörfer, bei denen Zuckerrohr gebaut wird. Malerisch liegen
die Städte Minieh, Melawi, Manfalnt und Siut;
bei dem erster« Orte hat der jetzige Bicekönig schon als Prinz
eine Dampfmaschine aufgestellt, vermittelst welcher er die
Felder bewässern läßt; auch hat er eine Zuckerraffinerie
angelegt.
Manfalut wird durch die Strömung des Nils all-
mälig unterwaschen, jetzt schon bis an den Bazar. Die
Aegypter sind zu trag und sorglos, um das Ufer zu schützen:
sie sind Fatalisten. Steht es doch, meinen sie, einmal ge-
schrieben, daß der Nil Mauern und Häuser fortreißen werde;
wozu also dagegen ankämpfen? Uebrigens hat Manfalut
vortreffliche Butter und das muß man am Nil, wo sie in
der Regel ganz abscheulich ist, hoch anschlagen. Auch wachsen
in der Umgegend herrliche Wassermelonen. Der Sklaven-
handel ist zwar verboten, nimmt aber unter der Hand seinen
guten Fortgang. Manfalut gegenüber fällt der Dschebel bu
Afsoda steil ab, bis dicht an's Ufer; dort sahen wir große
Steinbrüche, Grotten und Hypogäen. —
Siut nimmt sich stattlich aus; es ist nächst Kairo und
Alexandria die bedeutendste Stadt Aegyptens. Die vielen
Minarete bei den Moscheen und die Gruppen weißer Häuser
heben sich angenehm auf dem Hintergründe der libyschen
Gebirgsketten ab, und ein schattiger Baumgang von Mimosen
führt vom Fluß aus zu einer großen Kaserne, in welcher
286
Eine Fahrt aus dem Nil bis zu den nubischen Katarakten.
A
eine ägyptische Besatzung liegt. Diese Hauptstadt des Said
d. h. Oberägyptens, ist Stapelplatz für einen beträchtlichen
Binnenhandel, zählt etwa 25,000 Einwohner, hat eine
nicht unbedeutende Gewerbsamkeit und liegt etwa eine Viertel-
stunde vom Strom entfernt, an welchem das Dorf Hamr a
den Hafen bildet. An jedem Sonntage wird ein großer
Markt abgehalten, auf welchem man die berühmten irdenen
Maaren feil bietet, die hier verfertigt werden, z. B. die
Sinter Pfeifenköpfe. Die Lederarbeiten sind vortrefflich,
namentlich das Pferdegeschirr, Geldgürtel, Reitstiefel, Säcke
und dergleichen. Sie gehen
weit nach Centralafrika hin-
ein bis Dar Für, von wo
alljährlich Karawanen nach
Siut kommen, welche auch
europäische Maaren ein-
kaufen. —
Am20. December grünte
und blühte Alles aus den
Feldern und die Luft war
balsamisch. Die Mimosen
verloren allerdings einige
Blätter, aber das Getreide
konnte man beinahe wachsen
sehen; die Orangen- und
Granatbäume hatten schwel-
lende Blütenknospen; Nar-
cissen und Veilchen blühten,
das Zuckerrohr war drei
Klafter hoch, wurde eben ge-
schnitten und trieb schon neue
Schößlinge. Tabak, Hanf
und Flachs standen vortreff-
lich; auch trat hier zuerst
die Dum-Palme auf, welche
dem Landschaftsbild einen
anmuthigen Charakter ver-
leiht.
Weiter aufivärts liegen
zwischen Siut und Dschir-
dsche viele Dörfer, die sich,
vom Strom aus gesehen,
äußerst hübsch ausnehmen.
In zweien derselben, El
S a u i t s ch und Mensch eh,
sind koptische Klöster; es
fehlt also, wie Cammas sich
ausdrückt, die böse Mönchs-
plage dort nicht. Man
kommt an D s ch ir d s ch e vor-
über und an Farschut,
dem klassischen Boden für
Wassermelonen und Kür-
bisse, die in ungeheurer
Menge nach Kairo und Alexandria verschifft werden.
Oberhalb von Siut macht der Nil eine große Menge
von Krümmungen und scharfen Windungen. Häufig sieht
man Büffel, die an den Strom zur Tränke kommen, oder
sich am Ufer in das Wasser legen, so daß kaum die Nase
über dasselbe hervorragt; bei Farschut ist die Zahl halb-
wilder Enten, man kann wohl sagen, ungeheuer, sie sind
jedoch sehr scheu und der Jäger hat große Mühe, in Schuß-
nähe zu kommen. Die Eingeborenen aberhaben eine schlaue
Methode ersonnen, um sich diese Leckerbissen zu verschaffen.
Im Februar, der Berschisfungszeit der Wassermelonen, fallen
viele derselben in den Strom, und die Enten halten dann
Eseltreiber in Kairo.
reichliche Ernte. Dann aber stülpt der Fellah eine aus-
gehöhlte Wassermelone auf den Kopf, schwimmt vorsichtig
in den Nil hinein mitten zwischen die Enten und zieht sie an
den Beinen unter das Wasser. Diese sinnreiche Jagd dauert
den ganzen „Melonenmonat" hindurch. Uebrigens hat jene
Gegend auch sehr viele Schlangen, welche unserm Storche,
der schon im September aus Europa nach Afrika komnit,
ein leckeres Mahl liefern.
Jenseit Farschut wies uns der Dragoman einen Erd-
hügel, auf welchem ein völlig unbekleideter Greis saß:
j neben ihm stand ein Mann,
dessen Tracht wir als-stattlich
f bezeichnen konnten. Vor
„ . - —y-... dem Alten verneigte sich
eine Gruppe vorübergehen-
der Leute. Der Mann, so
sagte der Dolmetscher, ist
Scheich Selim, einHeili-
ger, auf dessen Worte die
Krokodile hören. Er thut
den Menschen, welche vor-
übergehen und ihni nicht
huldigen, Uebles an. Seht
nur, da reicht er ihnen eben
die Hand zum Kusse hin.
Die Gaben, welche man ihm
spendet, vertheilt er an die
Armen; der reich gekleidete
Mann ist sein Diener.
Wir gaben dem Heiligen
einiges Geld und ein Pfund
Tabak, und er war dann so
gnädig, uns eine glückliche
Reise zu versprechen. Dieser
Heilige war überaus schmutzig
und schmierig, die Flöhe
sprangen an ihm herum.
Freilich, ein Scheich, der nur
dem Himmel sich zuwendet,
findet keine Zeit, sich um
irdische Sauberkeit zu beküm-
mern. Bei feierlichen Ge-
legenheiten wirft er übrigens
einen seidenen Talar über
den nackten Leib. In jener
Gegend, in der thebaischen
Wüste, sind ja auch dieAna-
choreten entstanden, dort ist
das Ursprungsland der Wü-
stenheiligen, und die Sekte
ist noch nicht ausgestorben,
nur ist sie jetzt mohamme-
danisch.
Doch weg mit den Ana-
choreten, denn wir nahen uns dem hundertthorigen The-
ben. Da sind Kennet), das alte Tentyris, wo
Cleopatra einen Tempel baute, Gamanuh und Ha-
in amdi; die libysche Kette tritt näher heran. An ihr liegen
Gurna, Med inet Abu, die Kolosse, die Memnonien;
auf dem andern Ufer sehen wir Luxor und Karnak mit
ihren gewaltigen Palästen, von denen wir später reden.
Wir denken nicht mehr an fanatische Wüstenheilige oder
Säulenheilige, sondern haben die gewaltigen Werke der Thut-
mosis und Rhamses vor uns. Aber die alte Herrlichkeit ist
dahin; Luxor ist ein kleiner Flecken, Medinek Abu eine Masse
von Hütten; in Gurna wohnen Fellahs in alten Gräbern.
Eine Fahrt auf dem Nil bis zu den nubischcu Katarakten.
297
Doch heute besuchen wir diese kolossalen Ruinen nicht.
Als wir landeten, vernahmen wir Musik und Gesang; unser
Matrose Mahmud war lustiger als je, denn er wollte
heiratheu, und da mau ungefähr wußte, wann er eintreffeu
würde, hatte man bereits allerlei Vorbereitungen getroffen.
Die Hochzeit fand an einem Freitage statt. Vor dem
Hause der Braut war nach alter Sitte ein Zelt aufgeschlageu,
in welchem seit zwei Tagen die Besuche der Freunde kein
Ende nahmen; für uns Fremde hatte man einen erhöheten
Sitz mit Teppichen und Kissen belegt. Der Bräutigam ging
Palast Rhamses
Wir wurden zur Hochzeit eingeladen, zu einer Matrosen-
hochzeit neben den Trümmern der alten Theben!
Der Fellah kümmert sich nicht um die Alterthümer und
nicht um die Pharaonen. Was gehen ihn die Könige an,
die einmal gewesen sind? Er kümmert sich um das Heute,
um die Lasten, welche ihm jeder Tag bringt, und wenn er
Muße hat, belustigt er sich in seiner Weise, schläft, lacht
und tanzt.
Globus IV. Nr. 1v.
III. in Med inet ab».
mit großem Gefolge in die Moschee, um zu beten, und
nachher begann der Schmaus. Uns wurden alle Schüsseln
vorgesetzt, aber es war uns unmöglich, denselben Geschmack
abzugewinnen, und wir aßen Brot, das wir auf dem Schiffe
hatten backen lassen.
Abends gingen alle Eingeladenen in großem Znge
durch den Ort und die müßige, schaulustige Menge schloß
sich an. Viele Männer trugen Laternen und Fackeln, und
38
298
Eibofolke, die Jnselschweden an der Küste von Ehstland.
das Ganze gewährte ein sehr eigenthümliches Bild. Der
Bräutigam Mahmud warm ein Haus gegangen, in welchem
die Braut und die nächsten Verwandten seiner harrten. Es
handelte sich dort um eine sehr wichtige Angelegenheit, nämlich
darum, zu ermitteln, ob die Braut untadelhaft sei. Als diese
Erklärung von erfahrenen Matronen abgegeben war, stellte
die junge Frau in stolzer, selbstzufriedener Haltung sich vor !
das Zelt und ließ sich bejubeln von dem vorbeimarschireuden
Zuge; gleichzeitig wurden Flinten und Pistolen abgefeuert,
und Jeder gab der glücklichen Braut Geld in die Hand.
Jetzt nahm Mahmud seinen Schatz auf den Arm. Die
junge Frau war höchstens zehn Jahre alt! Er ging, auch
jetzt von dem ganzen Zuge geleitet, mit ihr an den Nil, nahm
den Mund voll Wasser und blies dasselbe in den Mund der
Schönen. Damit ist die Hochzeitsfeier vorüber und die
jungen Leute gehen allein nach Hause.
Die Verheirathung ist in Aegypten eigentlich nur eine
Privatangelegenheit, um welche sich Staat und Gemeinde
nicht kümmern. Der Bräutigam zahlt den Aeltern des
Mädchens eine verabredete Summe vor zwei Zeugen, und
meldet sich beim Ortsrichter, Kadi; doch ist das letztere nicht
gerade nöthig. Mag er die Frau nicht mehr, dann schickt
er sie fort. Mancher Schiffsmann hat eine Frau z. B. in
Dschirdsche, eine andere in Assuan. Er giebt jeder einige
Piaster, bringt von seinen Zügen allerlei Maaren mit, z. B.
ein paar Stücke Baumwollenzeug, und sie treibt damit
Hanvel, verkauft auch Töpferwaaren, Salz oder Pfeffer und
dergleichen mehr. —
Ein Schöngeist in Kairo, Scheich Scherabini, hat vor
einigen Jahren ein Werk über die Fellah geschrieben, in
welchem er auch die Hochzeitgebräuche derselben schildert.
Kremer hat dasselbe übersetzt und wir wollen einige Stellen
mittheilen.
Die Hochzeiten, welche die Bauern veranstalten.
Möchte man fast für Raubzüge halten,
Oder für Gezänk, das die Hunde in den Straßen erhoben.
Den Bräutigam führen sie herum mit Lärmen und Toben,
An Geheul und Getöse darf es nicht fehlen.-------
Da wird die Handtrommel geschlagen,
Während die Leute sich drängen und plagen;
Die Burschen fechten mit Knütteln,
Die Kinder tanzen in zerrissenen Kitteln.
In Ernst verwandelt sich auch oft das Spiel,
Und wenn der erste Schlag nur fiel,
Sv setzt es oft zwei oder drei Todte ab.
Und vor der Hochzeit geht man zum Grab;
Unter Weinen und Klagen
Wird die Leiche zum Dorf hinausgetragen.
Bald aber ist der Kummer vergessen,
Matten und Decken werden gebrächt.--------
Endlich schreitet herein die Braut,
Fett und drall, wie ein Büfselfüllen gebaut,
Mit schwarzen Tupfen und Klecksen verziert.
Vor ihr schreitet ein Sänger, der die Fiedel rührt.
Ihr folgen die Dirnen mit trällerndem Geschrei,
Die Buben gehen mit Laternen dabei.
Salz pflegt man dann auf die Braut zu streuen,
Um sie gegen den bösen Blick zu feien.
Ihr Gesicht ist deshalb auch schwarz und roth beschmiert.
So wird sie herausgeführt und läßt den Schleier fallen.
Plötzlich wird nun der Bräutigam von ihnen umringt,
Und ein Kerl tritt vor,
Der in der Hand einen brennenden Fetzen bringt.
Da schreiet der ganze Chor:
Das Festgeschenk gebührt uns noch.
Der Brautvater lebe hoch!
Da kommen nun die Diener und Burschen herbei,
Der eine giebt einen Groschen, der andere zwei.
Der eine einen Pfennig, der andere mehr,
Keine Hand bleibt leer.
Darauf umringen sie mit Bocksgesichtern
Den Bräutigam; jeder giebt ihm einen Schmatz,
Es verlöschen die Lichter —
Und sie räumen den Platz.
Eibofolke, die Jnselschweden an der Küste von Ehstland.
Erster Artikel.
Die Wohnorte der Jnselschweden. — Dörfer und Wohnhäuser. — Einrichtungen. — Majorate. — Namengebung. — Ackerbau, See-
hundsjagd . Fischfang. — Nahrung und Kleidertracht. — Festgebräuche. — Hochzeiten und Begräbnisse.
Von der Ostsee, im Juni.
Im Globus habe ich von Zeit zu Zeit eingehende
Schilderungen von Land und Leuten, auch einzelner deutscher
Gegenden, gefunden, die sehr ansprechend waren. Ich rechne
dahin namentlich die Schilderungen der Marschen an Elbe
und Weser, des Landes Oldenburg und der bayerischen
Oberpfalz.
Gestatten Sie mir, daß ich Ihre Leser mit einem
Völkchen bekannt mache, von welchem sicherlich nur Wenige
je etwas vernommen haben, und das doch unser Interesse
in Anspruch zu nehmen geeignet ist. Ich meine die Menschen
von schwedischer Abstammung, welche auf einigen Inseln und
Küstenpunkten von Ehstland und Livland, sodann auch in
Jngermanland zerstreut leben. Wir selber in unseren bal-
tischen Provinzen wußten nicht viel Genaueres von diesem
Bruchstück nordgermanischer Völker, bis ein fleißiger Ostsee-
Deutscher, C. Rußwurm, uns nähere Kunde gab. Dieser,
Inspektor der Schulen zuHapsal, hat schon 1855 in einem
678 Seiten starken Buche mit Bienenfleiß Alles zusammen-
getragen, was sich über diese Eibofolke sagen läßt; seine
Arbeit, die bei Ihnen in Deutschland wohl kaum bekannt
geworden, ist geradezu erschöpfend und ungemein reichhaltig.
Ich nehme sie bei der folgenden Darstellung zum Leit-
faden.
Auf den Inseln und an den nordwestlichen Küsten des
buchtenreichen Ehstlands und zum Theil Livlands lebt
seit langer Zeit eine von Jahr zu Jahr mehr schmelzende
Kolonie von Schweden, die, wenig bekannt und beachtet,
dennoch durch vieles Eigenthümliche in Lebensweise, Sitte
und Sprache sich vielfach von den umwohnenden Ehsten und
auch von ihren Stammgenossen in Schweden und Finnland
unterscheidet. Zwar stürmt die Macht der fremden Natio-
nalität, mit der sie im engsten Verkehr Zusammenleben,
unablässig auf sie ein und zerstört oder verwischt nach und
nach eine alte Gewohnheit, eine Tradition nach der andern,
drängt sich in die Sprache ein und sucht durch Wechsel-
heirathen sich mit ihr zu amalgamiren; doch hält an den
meisten Orten der Schwede noch immer mit der ihm eigenen
Zähigkeit an den Sitten seiner Vorväter fest und bewahrt
namentlich seine Sprache als ein theures, aus der Urzeit
Eibofolke, die Jnselschweden an der Küste von Ehstland.
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ererbtes Kleinod vor dem Eindringen der ihm stamm-
fremden Nachbarn.
Aber bald, vielleicht schon nach wenigen Generationen,
wird bei dem immer rascher werdenden Vordringen der
Ehsten auch die letzte Spur dieser Kolonisten verschwunden
sein. Wie der Fischer, über Vinetas Trümmer dahin-
gleitend, in der Tiefe nur dunkel die alten Wohnungen und
Gassen zu erkennen im Stande ist, so wird nach hundert
Jahren der Fuß des Wanderers über die Gräber der letzten
Jnselschweden dahinschreiten, und mit Wehmuth wird er
sich des unter den Wellen der ehstnischen Nationalität ver-
schwundenen Volksstammes aus den Zeiten Nurik's erinnern,
dem kaum ein einzelner Ortsname einen Denkstein setzt oder
eine dunkle Sage ein Andenken zu sichern vermag.
Die Orte, an denen diese Schweden leben, sind vor-
zugsweise die Inseln: Runö, Oesel, Dagö, Worms, Nuckö;
außerdem findet man sie in geringer Zahl an einzelnen
Punkten des Festlandes von Livland und Jngermanland.
Ihre Gesammtzahl beläuft sich aus etwa 5500 Seelen;
sie selbst nennen sich Eibosolke, d. h. Jnselwohnvolk;
von den benachbarten Ehsten werden sie Rootsi-rahwas
genannt. Ueber die Zeit ihrer Ansiedelung ist nichts ge-
naues bekannt geworden; doch ist sicher, daß sie bereits
im Jahre 1294 jene Gegenden bewohnten. Was die Ab-
stammung betrifft, so nehmen die meisten Geschichtschreiber
die Schären Stockholms als die Heimat dieser Leute an;
Viele stammen aber auch von Schweden Finnlands ab.
Im Allgemeinen haben die Jnselschweden den edlen ger-
manischen Nationaltypus bewahrt: blondes Haar und blaue
Augen sind vorherrschend, und nur wenigeJndividuen machen,
mit braunen Augen, eine Ausnahme. Die jungen Männer
sind meist gesund und kräftig, dabei hoch und schlank ge-
wachsen. Die Mädchen zeigen runde Gesichter mit frischen,
rothen Wangen und weißen Zähnen. Jndeß schwindet
ihre Schönheit sehr bald und die älteren Weiber zeichnen
sich durch Häßlichkeit aus. Unter den Landbauern und auf
der Insel Worms finden sich aber auch viele kleine und
schwächliche Subjekte und zwar gerade in den Gegenden,
wo sie nur unter sich heirathen. Besonders hinderlich
mögen einer kräftigen Entwickelung die frühen Heirathen
sein, welche von den Männern zuweilen im Alter von sieb-
zehn oder achtzehn Jahren — aus Furcht vor der Rekru-
tirung — geschlossen werden.
Die Dörfer der Schweden sind klein, meist planlos
zusammengebaut, doch zuweilen von Gärten, grünen Plätzen
und Bäumen umgeben. Die Häuser stehen mit der breiten
Seite gegen den' Hof, mit dem Giebel gegen die Straße.
Zum Unterschiede hat jeder Bauer sein Hauszeichen,
Bomerke, welches zwar nicht an dem Hause selbst, aber
doch aus allen Geräthen, Böten, Rudern u. s.w. angebracht
wird und bei Unterschriften die Stelle des Siegels
vertritt.
Das Wohnhaus besteht aus drei Haupttheilen: dem
Vorhause, dem Wohnzimmer und einer Nebenkammer.
Ersteres enthält zugleich die Küche und zuweilen noch eine
kleine Handkammer oder Schafferei. Die Wohnstube, Stua,
ist der gemeinsame Aufenthaltsort bei Tag und Nacht;
Wände und Decke sind vom Rauche geschwärzt, der Fuß-
boden ist mit Lehm gedielt und zeigt manche Unebenheiten.
Licht empfängt die Stube vorn durch zwei, hinten durch ein
Fenster von vier Scheiben. In der Ecke neben der Thür
steht der ungeheure Ofen, welcher im Winter zuweilen der
ganzen Familie zur Lagerstätte dient. Der Rauch zieht aus
dem Ofenloche hinaus und geht durch die Thür in's Freie.
Ueber dem großen Familientische, welcher der Thür gegen-
über steht, hängen an einem Drahte die Lichtringe, Ljus-
ringar, von der Decke herab, kleine Doppelleuchter, die
nur Gästen zu Ehren angezündet werden. In der Regel
brennt man Holzspäne, Pärk, von denen immer ein großer
Vorrath auf dem Ofen liegt. Die Betten stehen der Wand
entlang; Stühle hat man selten, meist treten Bänke an
ihre Stelle. Die Thüren öffnen sich nach innen, auf Runö
sind sie quergetheilt, wie in den niederdeutschen Bauer-
häusern (vgl. Globus HI, S. 117).
Eine besondere Küche kennt man nicht, sondern in
einer Ecke des Vorhauses auf dem Fußboden ist die Feuer-
stelle angebracht. Ueber ihr befindet sich der Rauch fang,
Ro a, der aus Balken und mit Lehm verstrichenem Flecht-
werke zusammengesetzt ist; hier sammelt sich der Rauch ans
der ganzen Wohnung und zieht durch eine Luke im Dach-
giebel ab. Diese alte Bauart ohne Schornstein hat sich in
den schwedischen Distrikten fast unverändert erhalten. Alle
neuen Häuser müssen aber mit Essen gebaut werden, wo-
durch die Reinlichkeit bedeutend gewinnt.
Neben dem Wohnhause stehen noch die Ria, ein Ge-
bäude zum Trocknen und Dörren des Getreides, der
Speicher, Spika, das Kleiderhaus, Klahuse, in
welchem die Leinenvorräthe ausbewahrt werden, die Bade-
stube und der Stall, Kriagar oder Stalle.
Alle Bauerngüter der Schweden sind untheilbare
Majorate und der älteste Sohn übernimmt die Haus-
haltung gegen Auszahlung einer Entschädigung an die
Brüder oder Schwestern. Bei den patriarchalischen Verhält-
nissen wächst die Anzahl der Bewohner oft sehr bedeutend,
und Alle zusammen bilden unter der Aufsicht des Stamm-
vaters eine größere Familie. Je nach dem Maße seines
Ackers und Bedarfs miethet der Hausvater Knechte und
Mägde, die mit der Familie aus einer Schüssel essen, aber
außer der Kleidung keinen Lohn empfangen.
Nach der in Schweden und Dänemark, früher auch in
Norddeutschland, herrschenden Sitte gab der Vater seinem
Sohn immer den Namen seines Vaters, dem er seinen
eigenen mit der Endung son binzusügte, so daß die Vor-
namen in der Generation beständig wechselten. Durch eine
Bestimmung der russischen Regierung von 1884 wurde den
Ehsten und Schweden aufgegeben, innerhalb einer ange-
gebenen Frist Familiennamen anzunehmen, was auch,
obwohl mit manchen Schwierigkeiten, zu Stande gebracht
wurde; indessen haben die Familiennamen bisher nur in
öffentlichen Verhandlungen oder in kirchlicher Hinsicht Gel-
tung erlangt; im gewöhnlichen Gebrauche dauert meist die
alte Bezeichnungsweise fort. Als Vornamen gelten meist die
biblischen Namen; mit wenigen Ausnahmen sind die alten
skandinavischen verschwunden.
Die Hauptbeschäftigung dieser Schweden besteht
in Ackerbau, Viehzucht, Seehundsjagd und Fischfang. Die
Aecker sind meist dürr und wenig ergiebig, doch werden sie
tüchtig bestellt und mit Dünger und Seetang befruchtet.
Der Pflug, Adr, ist überall noch der alte Hakenpslug
mit einfacher Schar, die das Erdreich nur umwühlt, aber
nicht umkehrt, wie der deutsche Pflug. Der Reichthum der
Schweden hat von je in ihrem Vieh bestanden; außer den
Hausthieren ist der Seehund noch eine Quelle des Wohl-
standes. Er wird in starken Netzen gefangen oder im Som-
mer, wenn er sich am Strande sonnt, überlistet und durch
einen Schlag aus die Nase getödtet. Im Winter auf dem
Eis ist die Jagd viel gefahrvoller; dann treten die Jnsel-
schweden zu größeren Jagdgesellschaften oder Innungen zu-
sammen, welche gemeinschaftlich auf den Fang ausgehen
und den Erwerb unter sich vertheilen. Für die Erhaltung
der Ordnung und richtige Vertheilung des Fanges sorgt
der gewählte Lag mann, Gesetzesmann. Die Fischerei,
38*
300
Eibo solle, die Jnselschweden an der Küste von Ehstland.
welche auch gesellschaftsweise betrieben wird, war früher
weit bedeutender; jetzt beschränkt sie sich meist auf den Ström-
ling, eine Art Häring.
Die Lust nach Abenteuern, das Streben nach Beute und
Handelsgewinn, oft auch Wißbegierde, sodann die Kargheit
des eigenen Landes, trieben den kräftigen Nordmann schon
in den frühesten Jahrhunderten auf die See. Dieser alte
germanische Trieb lebt zum Theil noch in unseren Schweden,
und die Beschäftigung mit dem Fischfänge von Jugend auf
nährt die Lust an der See. Die schwedischen Strandbewohner
gehören zu den besten Lootsen und Seeleuten. Sie zeichnen
sich durch Entschlossenheit und Bedachtsamkeit aus und liefern
die besten Matrosen der russischen Flotte. Verbunden
mit dieser Beschäftigung ist aber der Hang zur Schmuggelei
und Strandräuberei, gerade so wie er sich bei den meisten
germanischen Küstenvölkern, z. B. den Friesen, immer noch
findet.
Alle Hausgeräthe und im gewöhnlichen Leben er-
forderlichen Kunstprodukte verfertigt der schwedische Bauer
selbst. Die Runöer sind Schiffsbaumeister, Kupferschmiede,
Schlosser, Seiler, Goldschmiede, Hufschmiede, Büchsenmacher,
Zimmerleute, Steinmetzen, Maurer, Töpfer, Tischler,
Drechsler, Böttcher, Stellmacher, Gerber, Schuster und
Chirurgen. Jedes dieser Handwerke üben sie ans, als ob
es ihr einziges Gewerbe und ihrelebenslänglicheBeschäftigung
gewesen wäre; nur das Schneiderhandwerk haben sie den
Frauen überlassen. Auch in den übrigen schwedischen Be-
zirken zeigen die Bauern ähnliche Kunstfertigkeit. Jeder
versteht sein Haus selbst zu bauen; er fällt zu gehöriger Zeit,
mit Beachtung des Mondlichts, die Bäume, behaut sie,
sägt Bretter und fügt die Balken ineinander. Als Werk-
zeuge dienen ein Beil, eine Säge und ein großer Bohrer;
— ein Meißel und ein selbstverfertigter Zirkel sind schon
Lupusgegenstände.
Was von Mauerwerk am Hause vorkommt, wird immer
von ihnen selbst angefertigt; sie machen die Thüren und
Fensterrahmen, die Tische und Bänke, die Bettstellen und
Wiegen, die Wägen und Schlitten.
Sie verfertigen auch alle Arten von hölzernen Ge-
rathen, Bütten, Fässer, Zuber und Eimer; die Runöer
und Rogöer sind geschickte Drechsler und drehen Spinnräder,
Webstühle u. a. auf selbstgemachten Drehbänken. Ferner
gerben sie sich ihre Rindshäute oder Seehundsfelle und
bereiten sich daraus ihre Schuhe selbst. Fischernetze werden
von den Männern gestrickt. Auch in jeglicher Art von
Schmiedearbeit ist der schwedische Bauer erfahren: Sensen
und Sicheln schmiedet er selbst, und sieht dabei sorgfältig
auf die gehörige Abwechselung von hartem und weichem
Eisen; er beschlägt seine. Pferde, feilt sich seine Schlüssel
und Schlösser, bessert die Wanduhren ans und malt sich an
sein Haus eine Sonnenuhr. Am interessantesten und wich-
tigsten ist die auf Runö allgemein bekannte Kunst, Kugel-
büchsen zu schmieden. Man trifft kein fremdes Gewehr
aus der Insel, und mit den selbstgearbeiteten trifft der Runöer
auf 50 bis 80 Schritte den kleinsten Punkt, oder schießt dem
Seehund durch's Auge.
In der Arbeit stehen die Weiber den Männern redlich
zur Seite. Während die letzteren wegen des Seehunds-oder
Fischfanges draußen auf dem Meere sind, besorgen die Frauen
die Feldarbeiten. An den langen Winterabenden verspinnen
sie den Flachs beim Scheine der trübbrennenden Holzspäne.
Selten braucht der Bauer anderes als hausgewebtes Tuch;
fast jede Haushaltung hat daher, allein oder mit mehreren
zusammen, einen Webstuhl, dessen Handhabung jedes
Mädchen kennt. Dann färben die Weiber das selbstgewebte
Zeug und schneiden es zu.
Man ersieht aus dem eben Angeführten, wie wenig bei
diesem kunstgewandten Völkchen der Grundsatz von der
Theilung der Arbeit bekannt ist.
Die Hauptnahrung der Schweden wie der be-
nachbarten Ehsten besteht in Brot, Grütze und Salzfischen,
wozu mitunter Fleisch und Kartoffeln oder auch Milchspeisen
kommen. Das Brot ist reines Roggenbrot; die Grütze
wird aus Gerste bereitet und mit saurer oder süßer Milch
dick eingekocht; die Fische liebt man in angefaultem Zustande
zu verspeisen; als angenehme Abwechselung gilt in Wasser
gekochtes Seehnndsfleisch mit Essig und Meerrettig (Meretik).
Das Blut der Rinder wird mit Roggenmehl geknetet und
die so entstandenen Klöße werden entweder gleich gegessen
oder in Därme gestopft und geräuchert.
Das gewöhnliche Getränk der Bauernl ist, außer
Wasser, saure Milch und Dünnbier, Dricka, welches
sie sich selbst auf ganz einfache Weise aus Roggen- und
Gerstenmehl bereiten. Starkes Bier braut man nur bei
besondereil Gelegenheiten, zu Hochzeiten und Kindtaufen,
und würzt es mit Wachholderbeeren und Kamillenblumen.
Branntwein wird auch nur bei besonderen Anlässen vorge-
setzt; doch einige Unmäßige pflegen an jedem Morgen einen
Tanksamlare, Gedankensammler, zu nehmen.
In Bezug auf Kleidung halten die Jnselschweden
nur noch theilweise an der Tracht ihrer Vorväter fest; hier
und da ist von ihnen Fremdes, namentlich Ehstnisches, an-
genommen worden, und so kommt es, daß an verschiedenen
Orten sich säst überall eine verschiedene Kleidung zeigt,
wenn auch ein gemeinsamer Grundthpus nicht zu verkennen
ist. Die Tracht der Männer aus Runö ist an Werktagen
sehr einfach. Sie besteht aus einer grauen Watmalsjacke,
einem paar kurzer Hosen aus demselben Stofs, im Winter
aus langen weißen Hosen und „Passeln" aus See-
hund sfell. Die Festtagstracht zeigt dagegen unter dem
Wamms eine gestreifte Weste; die sehr weiten Beinkleider
schließen dicht ani Knie. Graue Strümpfe bedecken nur die
Waden; in die Socken sind über den Knöcheln Zierrathen
eingestrickt; schwarze Schuhe werden neben den Passeln ge-
tragen. Der feine weiße Hemdkragen ist über das Halstuch
von blaueni Kattun herausgeschlagen; den Kopf bedeckt ein
niedriger, schwarzer Hut mit breitem Rand und einer
Schnalle oder eine eng anschließende blaue Mütze mit
schwarzent Fellrande. Den Leib umgiebt über der Jacke ein
grauer weiter Kittel und int Winter ein Schafpelz.
Die Tracht der Runöer Weiber, besonders die Fest-
tagstracht, ist eine komplieirte. Der Rock ist schwarz und
unten blau oder roth nmsäumt und in viele steife Falten ge-
legt; vorn ist eine Art bunter Schürze eingewebt. Die Jacke
ist von rothem Kamelot, den Arm bedecken weiße Spitzen-
ärmel. Um den Hals tragen sie eine Menge weißer und
buutseidener Tücher. Darüber hängen einige Reihen blauer
und goldfarbener Wachsperlen; ans dem untern Halstuch
ist ein Halsschmuck von Silber oder ein Bernsteinknopf be-
festigt. Alles dieses aber wird von einem großen weißen
Wollschal, Waipa, so künstlich verhüllt, daß kein Zipfelchen
herausscheint. Die Mädchen tragen noch eine wattirte,
dicht anschließende Mütze von buntem Kattun, von welcher
Spitzen über die Stirn herabhängen. Bei Trauer ist die
Mütze schwarz. Der Reichthnm der Mädchen an Kleidern,
Hauben, Schürzen und Tüchern ist sehr bedeutend.
Ans der Insel Dagö hat sich unter den Männern be-
reits die ehstnische Tracht eingeschlichen. Die Frauen dort
dagegen haben mehr die ursprüngliche Kleidung bewahrt
und verwenden besonders aus den Kopfputz viel. Die Flechten
werden in ein gelblichrothes Tuch eingeschlagen, von dem
zwei lange rothe wollene Bänder herabhängen; an Sonn-
Cibo folte, die Jnselschwedeu auf der Küste von Ehstlaud.
301
und Festtagen setzen die Dagöerinnen einen oben offenen
Cylinder von Pappe oder Birkenrinde ans. Verwandt ist
die Tracht auf Worms; auf Nuckö dagegen ist die alte
Kleidung allmälig gänzlich in der ehstnischen anfgegangen.
Die Festgebränche der Jnselschweden zeigen noch
viel Eigenthümliches und manche altheidnische Sitte, die in
der germanischen Mythologie ihre Erklärung findet, kommt
dabei vor. Aber auch streng christliche Erscheinungen fehlen
nicht; so wurde bis vor nicht langer Zeit noch der Exor-
cismus bei Taufhandlungen angewandt. Zur Taufe
versammeln sich die Pathen, oft zwanzig an der Zahl, im
Hause des Vaters und ziehen mit dem Kind in die Kirche.
In den Windeln vor der Brust muß dasselbe ein Stück Silber
haben und in die Ecken des Kopftuchs wird Salz und
Teufelsdreck eingebunden.
Am reinsten haben sich die alten Gebräuche bei den
Hochzeitsfeierlichkeiten erhalten. Mit eigensinniger
Treue hält man an dem Erbtheile der Väter fest. Die Eltern
achten dabei allerdings auf die Neigung der meist sehr jungen
Brautleute, machen aber nach reiflicher lleberlegung die
Hauptsachen unter sich ab. Die jungen Leute ziehen Abends
im Dorfe umher und der Liebhaber bittet seine Liebste um
Einlaß auf den Heuboden, wo sie im Sommer gewöhnlich
ihre Lagerstätte hat. Gewährt sie, dann sieht er seine Hoff-
nungen als begründet an und schickt den Freiwerber; dieser
tritt in das Haus und macht allerlei Vorwände, wird auch
anstandshalber einige Male abgewiesen, erhält aber endlich
die Zusage und giebt nun die Brautgeschenke ab, die aus
einem silbernen Ring, einer Schürze und dergleichen be-
stehen. Dann tritt der Bräutigam herein, schenkt nach höf-
lichem Gruße von dem mitgebrachten Branntwein ein, trinkt
zuerst aus dem Glas und giebt die Hälfte der Auserwählten;
die übrigen Hausgenossen trinken auf das Wohl des Braut-
paars und der Bund ist geschlossen. Am andern Morgen
findet die öffentliche Verlobung vor dem Prediger statt.
Die Hochzeit selbst hält man gewöhnlich im Herbst an
einem Festtage. Die Einladung geschieht immer am Tage
der Freya, der Göttin der Liebe und friedlichen Gewerbe,
mit besonderer Feierlichkeit; zwei Marschälle, Bjyar, gehen
in ihren Sonntagskleidern zuerst zum Pastor und dann zu
den übrigen Gästen, um die Einladung zu besorgen. Die
Mitgift wird noch vor der Trauung in das Haus des Bräu-
tigams gebracht; sie besteht meist aus Kleidern, Bettzeug,
Leinwand und Lebensmitteln, während der Bauer baares
Geld seiner Tochter so leicht nicht mitgiebt.
Der Bräutigam wirft sich in seine besten Sonntags-
kleider, ziert den Hut mit Bändern, die Brust mit einem
Strauß und ergreift alsScepter die Peitsche, um ini voll-
endeten Hochzeitskleide dazustehen. Die Tracht der Braut
ist vom gewöhnlichen Sonntagskleid abweichend und auf
den verschiedenen Inseln verschieden. Den wichtigsten Theil
des Schmuckes bildet die Brautkrone oder Seppel,
seppul, ein 8 bis IO Zoll hoher Cylinder aus Pappe oder
Vogelbeerbaumrinde, vorn mit breiten Silber- und Gold-
tressen benäht, vor welchen Perlen, geschliffene Glas-
stückchen und Rechenpfennige hängen, die bei jeder Be-
wegung klingeln. An den Seiten ist die Krone mit Hahnen-
und Pfauenfedern geziert, hinten hängen lange seidene
Bänder herab, zwei rothe breite Seidenbänder fallen über
Schultern und Brust.
Die weiteren Hochzeitsseierlichkeiten weichen auf den
verschiedenen Inseln ziemlich von einander ab; wir be-
gnügen uns hier mit einer Schilderung jener auf Worms,
die meist am zweiten Weihnachtstag abgehalten wird. Die
Brautjungfern schmücken das Haus und die Gäste finden
sich zum Tanz ein. Zugleich erscheinen eine Anzahl einge-
ladener Gäste in maskirtem Zustand und unterhalten sich
und die Gesellschaft mit Tänzen.
Mit Tagesanbruch zieht der Bräutigam nebst Gefolge
vor das Haus der Braut, bleibt vor der Thür stehen und
wartet, bis der Brautvater heraustritt, um ihn mit einer
Kanne Bier willkommen zu heißen. Im Hause wird Warm-
bier und Wurst gereicht. Man führt den Bräutigam in die
Kammer der Braut, wo die Brautjungfer ihm Strümpfe,
Strumpfbänder, Gurt, Halstuch und Handschuhe aulegt
und ein Band um seinen Hut befestigt. Der Brautzug geht
zu Pferde zur Kirche, und selbst die Braut muß eines der
muthigen Pferde besteigen. Vor dem Altäre stellen sich die
Brautleute nahe zusammen, damit sie einig leben; fällt der
Trauring herunter, so giebt es eine unglückliche Ehe. Ist
die Ehe geschlossen und die Gesellschaft im schärfsten Trabe
heimgeritten, dann löst die Braut ihrem Pferde schnell den
Sattelgurt, was ihr leichte Niederkünfte verschaffen soll.
Zu Hause findet die Hochzeitsgesellschaft, nach einer-
alten Sitte, das Hausthor verrammelt und Ver-
th cidigt; es muß im Sturme genommen und gesprengt
werden. Die Braut geht im Haus umher und läßt an jeder
Thür, selbst in den Viehställen, ein Stückchen Gersten-
brot fallen. Nach der Tafel wird geschlafen und dann
beginnt der Tanz. Der Bräutigam und nach ihm sein Vater
führt die Braut dreimal im Kreise langsam herum, damit
sie einst leichte Niederkünste habe. Zum Walzer und Trippel-
tauz entlockt einer der Gäste der Tan neu Harfe die ein-
tönige Tanzmelodie. Selten wird die Geige, nie der
Dudelsack gebraucht. Der Tanz dauert die ganze Nacht,
wobei die Spielleute wechseln, denn fast Jeder versteht die
Tannenharfe zu handhaben. Speise und Trank stehen be-
ständig auf dem Tische bereit, und wer möchte bei dem
Ueberfluß an diesen Annehmlichkeiten an Schlaf denken?
Am andern Tage werden die Lustbarkeiten fortgesetzt.
Die Braut theilt von ihr selbst gefertigte Geschenke, plagg,
aus. In der Stube wird ein Tannenbaum zwischen Fuß-
boden und Decke fest eingeklammert und man setzt etwa
zwanzig kleine brennende Talglichter darauf. Die jungen
Leute tanzen um denselben den Trippeltanz und singen
dabei. Dann folgt der Abschied der Brautleute aus dem
väterlichen Hause. Der Bräutigam bedankt sich bei den
weinenden Eltern der Braut mit den Worten: „Dank, Vater,
Dank dafür, Mutter, die Ihr sie genährt und gekleidet habt;
nun ist sie doch unser!" Die Braut muß dabei weinen
und die Hochzeitsgesellschaft singt dazu: „Es wird wolkig
im Norden, die Dachdecken beginnen zu träufeln!"
Aber noch hat das Fest kein Ende. Im Hause des
Bräutigams wird es am dritten Tage fortgesetzt. Man
bringt mit großer Feierlichkeit eine Bank in die Stube, auf
welcher die beiden Marschälle, mit Hämmern bewaffnet,
Platz nehmen, eine Branntweinslasche neben sich. Die
Braut setzt des Bräutigams Hut auf und muß nun allen
Gästen, welche sich aus der Bank uiederlassen, das Haar-
bürsten. Dabei thut man aus der Flasche Bescheid; die
Braut beginnt ihr kosmetisches Geschäft, während die Mar-
schälle mit ihren Hämmern das herabfallende Ungeziefer
todtschlagen, wofür nachher „Läusegeld", Lusepennigar,
bezahlt wird.
Unter vielen Ceremonien wird dann die Brautkrone
abgenommen und der Braut die Frauenhaube aufge-
setzt. Den Beschluß macht das Abschiedslied, welches vom
Bräutigam und den jungen Männern gesungen wird. Es
lautet:
Lebt wohl, o unsre Mädchen,
Wir fahren zu anderen Dörfern!
Wir fahren zum Hügel von Hullo,
302
Der Streit zwischen England und Japan.
Da bekommen wir rothe Rosen.
O traurig, o fröhlich,
Mit weinenden Zähren!
Die Rothgefleckte (Brautmutter) kam nach Hause,
Die Goldbraune (Braut) blieb fort!
Die Begräbnißseierlichkeiten der Inselschweden
sind einfacher als die Hochzeiten. Männer und Jünglinge
sitzen schweigend und düster um den Sarg herum, während
die Weiber ihren Schmerz durch lautes Klagegeschrei Luft
machen. Der Todte wird mit seiner vollen Festtagskleidung
geschmückt. Eigenthümlich ist es, daß nicht nur Frauen,
sondern auch Jünglingen und Männern immer die weiße,
mit Spitzen bedeckte Leinwandhaube das Haupt bedeckt. Man
nimmt einen einfachen Imbiß und trägt mit einem Sterbe-
liede den Todten zu Grabe. Am Abend wird ein Schaf ge-
schlachtet, bei ganz Armen wenigstens ein Huhn, denn
sonst könnten ja die Todten das Glück mitnehmen.
Es ist dies ein Ueberrest der alten heidnischen Todten-
opfer.
Der Streit Wischen England und Japan.
Die großen Staaten Asiens haben keinen Segen davon
gehabt, daß sie mit den europäischen Seemächten in engere
Berührung gekommen sind. Die Geschichte dieser Berüh-
rungen besteht in einer langen Reihe von Unbilden und
Uebergrissen aller Art; sie ist gleichbedeutend mit Zwang
im Einzelnen und Raub im Großen, der natürlich, vom
einseitigen europäischen Standpunkt aus angesehen und be-
urtheilt, und von europäischer Seite aus einseitig dargestellt,
allemal „im Interesse der Civilisation und des Handels"
geschah.
Persien ist ein Spielball zwischen Rußland und Groß-
britannien; in Indien hat das Letztere nach und nach, zum
Theil unter wahrhaft nichtswürdigen Vorwänden und mit
himmelschreiender Ungerechtigkeit, alle einheimischen Staaten
seinen Besitzungen einverleibt und den Herrschern, welche es
noch nicht verschlang, alle wirkliche Macht geraubt. Es hat
ferner den Barmanen ihr ganzes Küstenland und das Mün-
dungsgebiet ihres Hauplstroms, abgenommen. Der I n d i s ch e
Archipelagus gehört zum großen Theile den Niederländern;
in Cochinchina hat die Napoleonische Politik, der englischen
würdig nacheifernd, unter hohlen Vorwänden einen Krieg
mit dem Kaiser von Annam vom Zaune gebrochen und sich
mehrere große Provinzen angeeignet. Ueber China und die
Opiumkriege brauchen wir hier kein Wort zu verlieren; sind
sie doch von Engländern selbst als „gottlos und nieder-
trächtig" bezeichnet worden. Ueberall, wohin John Bull
seinen Fuß gesetzt und Waarenballen gebracht, hat er sich
durch roheste Gewaltthätigkeit ausgezeichnet, und das System
der Politik, welches England mit einer in der Geschichte nie
überbotenen Selbstsucht und Habgier befolgt, ist überall
dasselbe. Die grauenvolle Verwirrung in China ist lediglich
eine Folge der Kriege, welche von Europäern gegen das
Blumenreich der Mitte geführt wurden. Die kaiserliche Auto-
rität wurde untergraben und gebrochen, dadurch der Rebel-
lion der wunderlichen Ta'iping Vorschub geleistet, und es ist
nun schon so weit gekommen, daß kaiserliche Heere von eng-
lischen Offizieren befehligt werden. Die Franzosen, welche
eigentlich in jenem Lande gar nichts zu suchen, nicht einmal
ein Handelsinteresse von Belang zu vertreten haben, ließen
sich die gute Gelegenheit nicht entgehen, auch in China eine
Rolle zu spielen und „Gloire" zu erwerben. Sie plünderten
um die Wette und gemeinschaftlich mit den Engländern den
kaiserlichen Sommerpalast, und der Moniteur war ein Echo
für die „ruhmreichen Heldenthaten", welche am Peiho gegen
Mandschu-Bogenschützen und chinesisches Fußvolk von
Zuaven und derartigen Kriegsknechten mehr verübt wurden.
Ganz Ostasien wurde durch die Europäer in eine un-
absehbare Verwirrung gestürzt. Es handelt sich dabei um
die Geschicke mindestens des vierten Theiles der Erdbewohner.
Denn auch Japan mit seinen dreißig bis vierzig Millionen
Menschen ist nun in den Strudel hineingezogen worden.
Fast dritthalbhnndert Jahre lang bewahrte sich dieses „Reich
des Sonnenaufgangs" einen ungestörten Frieden; es er-
freute sich, abgeschlossen von aller Berührung mit dem Aus-
land, eines großartigen Gedeihens und eines Wohlstandes,
welche von allen neueren Beobachtern als geradezu be-
neidenswerth hingestellt werden; es genügte sich selbst und
entwickelte einen ungemein hohen Grad einer eigenartigen
Civilisation, die ungestört im Volk und aus demselben her-
auswuchs. Sie ist in ihrer Weise nicht minder berechtigt,
als unsere europäische, welche wir, dünkelhaft genug, für die
> höchste und beste ausgeben, weil sie eben die unsere ist. Im
- Namen derselben wird nun Sturm gelaufen gegen andere
' Civilisationen; man geht, immer im Namen der Civilisation,
mit einer Politik vor, welche das Brandmark der Unsitt-
lichkeit und Barbarei an der Stirne trägt. Als sie sich den
Japanern aufdrang, war es mit der Ruhe vorbei; der
Frieden war dahin, die Verwirrung begann.
Vor nun zehn Jahren ließen die Nordamerikaner an
den Küsten Japans ihre Kanonen erdröhnen, und der Donner
dieser unwillkommenen Begrüßung wurde im kaiserlichen
Palaste zu Aeddo vernommen. „ Oeffnet eure Pforten oder
wir schlagen sie mit Gewalt ein, sprengen sie mit Bomben;
wir wollen mit euch Handel treiben; wir kaufen eure Er-
zeugnisse, ihr müßt unsere Maaren nehmen. Aber sperrt
euch nicht allzulange; rasch, rasch! ist die Losung!" Das
war in Summa der Inhalt der Eröffnungen, welche Kom-
modore Perry der japanischen Regierung machte.
Gegenüber dem Ungeheuern Umschwünge, welchen
während des letztverflossenen Menschenalters der Weltver-
kehr genommen hatte, war allerdings die frühere Verein-
zelung und Absonderung Japans nicht mehr aufrecht zu er-
halten. Auf die Dauer konnte das schöne und reiche Land
schon seiner Welt- und Handelslage wegen nicht unberührt
bleiben von den Wellenschlägen dieser neuen Zeit; das hat
man auch in Aeddo begriffen, so unwillkommen es auch er-
scheinen mochte, ein System fallen zu lassen, bei welchem
Land und Volk in so großartiger Weise gediehen waren.
Die Lage war für die japanische Regierung eine un-
gemein schwierige. In keinem andern Lande der Welt sind
die Staatsverhältnisse so eigenthümlich, so verwickelter Art
und, nach unseren Begriffen, so künstlich. Da ist ein re-
gierender Kaiser, dessen Dynastie allerdings seit länger als
dritthalbhuudert Jahren auf dem Throne sitzt, der aber
im Grund als Usurpator erscheint, weil der Gründer des
Herrscherstamms nur Oberfeldherr des rechtmäßigen Kaisers
war, und seine Macht auf Kosten des letztem erwarb. Dieser
epistirt neben ihm, er wird bis auf den heutigen Tag als der
Der Streit zwischen England und Japan.
303
eigentlich rechtmäßige Monarch betrachtet und übte immer
noch einen, wenn auch vielfach bedingten Einfluß; theore-
tisch ist er, der Mikadoin Miyako, — nicht der Taikun, der
Sjogun, welcher in Aeddo thront, — der wahre Herrscher.
Hier ist ein Dualismus eigner Art.
Sodann hat Japan eine große Anzahl von mächtigen
Feudalfürsten, Daimios, die reich sind, ihre eigenen Pro-
vinzen verwalten, die alten Ueberlieserungen ihrer Familien
nicht vergessen haben, und dem Taikun nur mit innerm
Widerwillen gehorchen. Sie sind in gewisser Beziehung un-
seren deutschen Fürsten des Mittelalters vergleichbar, welche
ans Kosten von Kaiser und Reich nach möglichster Vollmäch-
tigkeit trachteten. Der Taikun sucht diese großen Feudal-
fürsten durch ein sehr ausgebildetes System derUeberwachung
in Abhängigkeit zu erhalten, und hat nach und nach eineAnzahl
von Provinzen an Fürsten verliehen, über die er seiner-
seits großen Einfluß übt und welche, an Rang den Daimios
nicht ebenbürtig, gewissermaßen die Obliegenheit haben,
diese Lehnfürsten zu überwachen. Dazu kommt, daß drei
Familien des kaiserlichen Hauses großen Lehnbesitz nebst
manchen Privilegien haben und über eine zahlreiche, be-
waffnete Mannschaft verfügen.
Man sieht, die Verhältnisse sind verwickelt genug. Wir
werden demnächst das Wesen des japanischen Staates und
die gesellschaftlichen Verhältnisse eingehend schildern, und
heben deshalb heute nur hervor, daß ein beträchtlicher Theil
der alten Landesaristokratie den Ausländern in hohem Grad
abgeneigt ist. Sie war von vornherein darüber erbittert,
daß die Fremden durch Drohungen Einlaß in Japan er-
trotzten, und sah mit äußerstem Mißvergnügen, daß der
Taikun sich nachgiebig zeigte. Ein anderer Theil, die Trag-
weite der Thatsachen wohl ermessend, machte aus der Roth
eine Tugend und befreundete sich mit den neuen Verhält-
nissen, so gut es eben ging.
Nachdem die Amerikaner ihren Vertrag erzwungen
hatten, wollten andere Handelsmächte nicht zurückstehen
und wirkten auch ihrerseits Traktate aus. Nun steht fest,
daß die Regierung des Taikun, indem sie über dieselben ver-
handelte und am Ende sie auch genehmigte, ganz ungemeine
Schwierigkeiten zu überwinden hatte. Sie ist aber, und das
wird von allen Seiten zugegeben, rechtschaffen zu Werke
gegangen, und hat den Fremden gegenüber gethan, was
irgend in ihrer Macht stand. Nun hätten die Ausländer
auf die inneren Verhältnisse Japans und auf die großen
Verlegenheiten der Negierung Rücksicht nehmen sollen; sie
haben aber von vornherein das Gegentheil gethan. Die
Reihe von Nichtswürdigkeiten, welche die in Japan zu-
sammengelaufenen Abenteurer verübt haben, ist lang genug,
und besonders Engländer haben sich durch „brutale Lümmel-.
Hastigkeiten" in unbeneidenswerther Weise ausgezeichnet.
Dies wollten wir vorausschicken, bevor wir auf die
Verhandlungen eingingen, welche neulich im britischen Ober-
hause die japanischen Händel zum Gegenstände hatten. Sie
sind lehrreich genug, und wir freuen uns, sagen zu können,
daß in denselben auch für Recht und Gerechtigkeit gesprochen
wurde.
Lord Carnarvon deutete die Verwickelungen in
Japan an und gab einen Ueberblick der geschichtlichen Ver-
hältnisse bis 1853, als die Nordamerikaner erschienen. Der
Taikun, sagte er, befindet sich thatsächlich in den Händen
seiner Minister und hat einen schwierigen Stand gegen die
mächtigen Feudalfürsten, welche danach streben, seine Macht
zu untergraben, um sich selber souverän zu machen. Als
nun die Ausländer in Japan anklopften, trat der Taikun
auf die Seite der Liberalen, willigte in den Abschluß des
Vertrags mit Nordamerika, mußte aber dafür mit sei-
nem Leben büßen. Er verschwand geheimnißvoll in
seinem eigenen Palaste, und die einflußreichen Männer,
welche es mit ihm gehalten, wurden ihres Ranges entsetzt
oder verbannt. Als späterhin Japan auch mit England
einen Vertrag abgeschlossen hatte und europäische Kaufleute
im Land erschienen waren, kamen Mordthaten vor, denen
die Politik nicht frenid war. Russen, Engländer, Fran-
zosen und Nordamerikaner wurden Opfer eines systematischen
Meuchelmordes. Am 26. Juni 1861 ermordete man in
der englischen Gesandtschaft zwei Schildwachen, und an dem-
selben Tage, aber ein Jahr später, fand wieder ein gewalt-
samer Angriff statt; eine Bande von Japanern, welche sich
die Parole zu verschaffen gewußt hatte, drang ein und ein
großes Blutvergießen fand statt.
Die japanische Regierung mißbilligte höchlich diese
Vorgänge und sprach laut ihren Abscheu aus; sie werde die
Missethäter zur Verantwortung ziehen und alle möglichen
Vorkehrungen treffen, damit ein solcher Unfug sich nicht
wiederhole. Nichtsdestoweniger wurden im vorigen August
zwei englische Kaufleute aus offener Landstraße überfallen
und schwer verwundet, ein dritter verlor das Leben, eine
englische Dame verdankte nur der Schnelligkeit ihres Pferdes
das Leben. Der Gesandte, Oberst Neales, führte auch jetzt
Beschwerde bei der Regierung; er bemerkt in einer Depesche
vom 1. Oktober: „Auf mich und Admiral Kuper machen
Ton, Haltung und das ganze Benehmen der japanischen
Minister bei dieser Gelegenheit einen durchaus zufrieden-
stellenden Eindruck. Sie sind durch die Umstände, welche
bei jenen Verbrechen in Frage kommen, in die größte Ver-
legenheit gebracht worden, denn die Thäter gehören zum
Gefolge des Fürsten von Satsuma; dieser ist einer der
mächtigsten Reichsvasallen und gleichsam unabhängig in der
ihm gehörenden Provinz. Trotzdem versichern die Minister,
daß sie Alles, was in ihren Kräften steht, aufbieten wollen,
um die Thäter zur Verantwortung zu ziehen. Sie sind sich
auch vollkommen ihrer eigenen Verantwortlichkeit bewußt,
thun, was sie können, damit sich der Unfug nicht wiederhole,
und wir finden keine gerechte Ursache, uns über sie zu be-
schweren."
Der Lord hob dann hervor, daß man jene Angelegen-
heiten nicht vom englischen Standpunkt aus beurtheilen,
sondern bedenken müsse, daß Japan dritthalb Jahrhunderte
lang in staatlicher und kommercieller Abgeschlossenheit gelebt
habe. „Wir kamen, um derselben ein Ende zu machen;
es giebt aber keinen andern Fall, daß jemals irgend ein
Staat mit mehr planmäßiger Berechnung einem wider-
strebenden Volke Handels- und Schifsfahrtsverträge aufge-
zwnngen habe, wie wir es mit Japan gethan. Für solche
Verträge muß der Taikun die Bewilligung des legitimen
Herrschers, des Mikado, einholen, und wir wissen, daß sie
niemals erfolgt ist. Wir wissen ferner, daß der Taikun,
auf dessen Ermächtigung hin der Vertrag mit uns geschlossen
wurde, drei oder vier Tage,vorher starb, und daß er
an dem Tage, dessen Datum der Vertrag trägt, nicht mehr
am Leben war." Der Lord wies dann weiter darauf hin,
daß seit langer Zeit in Japan eine Abneigung gegen die
Ausländer herrsche.
England, fuhr er fort, hat auch keine reinen Hände
in dieser Sache, und das müsse man wohl erwägen, wenn
davon die Rede sei, daß die japanische Regierung den Ver-
trag von 1858 nicht streng gehalten habe. Sir Rutherford
Alcock, früher englischer Gesandter in Japan, hat nachge-
wiesen, daß von englischer Seite in Hülle und Fülle Hand-
lungen verübt worden sind, die von den Japanern als
ehrenrührige Beleidigungen aufgefaßt wurden. Matrosen
und gewissenlose Kausleute haben im Geldverkehr und im
304
Der Streit zwischen England und Japan.
Handel den Japanern Schaden zugefügt, und in Bezug auf Austausch von Gold und Silber haben wir eine große Auf-
gesellfchaftliche Verhältnisse sich mehr als unanständig be- regung hervorgebracht, den Preis aller Waaren für die
nommen. Der Lord erzählt dann, daß gleich anfangs ein unteren Klassen vertheuert und die japanische Regierung ist
englischer Kaufmann sich sehr schlecht betragen habe. Er beinahe in Verzweiflung gerathen. Wir führen Oel und
wußte, daß in Ueddo ein Theil der Gartenbesitzungen des j Seide aus, die aber für die Japaner nicht Luxusartikel,
Ta'ikun gewissermaßen geheiligter Grund ist; nichts desto sondern wahre Bedürfnisse sind. Sir Rutherford Alcock
weniger ging er dorthin, schoß Geflügel, kam mit seiner ! schreibt:
Jagdbeute durch die Straßen und verwundete einen Beamten, j „Die Regierung des Taikun steht bedenklichen Schwierig-
der ihn anhielt und in höflicher Weise nach seinem Namen leiten und großen Gefahren gegenüber, welche selbst die
Ein japanischer Offizier in alterthümlicher Kriegstracht.
fragte. (— Der Lord spielte auf einen Londoner Cockney an,
Namens Moß, einen Burschen von 21 Jahren, dessen freches
Benehmen seiner Zeit von der Overland China Mail scharf
gekennzeichnet wurde. —) „Ich glaube, daß wir mit der
Zeit in Japan Vortheile einernten werden, aber bisher
hatten wir den Japanern nichts zu bieten, was sie etwa
haben möchten; was wir bringen ist überflüssig für sie. |
Allerdings haben wir ihnen Waffen verkauft, aber das |
verstößt gegen den Wortlaut des Vertrags. Durch den
Dynastie und die Existenz der Negierung bedrohen. Sie sieht
sich gleichzeitig im Innern und von Außen her bedrängt, und
dessen ist sie sich auch sehr wohl bewußt."
, Unter solchen Umständen sollten wir Nachsicht üben.
Es ist ja ohnehin ein stehender Dadel gegen unsere aus-
wärtige Politik, daß wir erst Erklärungen über einen Krieg
im Orient erhalten, wenn derselbe schon im Gang ist. Nun
schreibt aber der Minister des Auswärtigen: „Hundertmal
besser, dass der Palast des Ta'ttan zerstört werde.
Der Streit zwischen England und Japan.
305
als daß wir unsere vertragsmäßigen Rechte ver-
letzen lassen." Gegen eine solche Sprache müssen wir
protestiren. Wenn ihr Krieg in Japan anfangt, dann
müßt ihr entweder den Ta'iknn unterstützen, ihn in den
Stand setzen, daß er über seine Feinde triumphiren könne,
und dann erreicht ihr eure Zwecke durch ihn, oder ihr müßt
einen Vernichtnngskampf gegen die Daimios führen.
Lord Rüssel bemühte sich, Rechtfertigungsgründe
für die englische Politik auszufinden. Zuerst erzählte er alle
Unbilden, welche von japanischer Seite (— aber nicht von
der Regierung, sondern gegen deren Wissen und Willen—)
gegen englische Unterthanen verübt worden sind, und er-
örterte namentlich die Ermordung eines Herrn Richardson.
Die Schuld fällt auf Leute aus dem Gefolge des Fürsten
von Satsuma. „Wir aber haben einen Vertrag mit Japan
und verlangen Genngthuung. Sie geht dahin, daß die
Verbrecher bestraft werden und die Familie des Ermordeten
eine Geldentschädigung erhalten solle. Daß der Ta'iknn
auch die Leute des Fürsten von Satsuma bestrafe, das haben
wir nicht verlangt, weil wir wissen, daß die Macht des
Ta'iknn eine beschränkte ist. Aber wir haben unfern Admiral
angewiesen, von den Daimios die Bestrafung der Mörder
zu verlangen. Der Daimio von Satsuma hat eine Burg
an der Küste, in welcher er den Mördern Schutz gewährt
und sich selbst des Mordes rühmt. Diesen Mann wollen
wir verantwortlich machen. Ich wünsche, daß die Macht
des Ta'iknn gekrästigt und jene der Daimios gebrochen
werde. Von Dem aber, welcher die höchste Autorität in
Japan hat, verlangen wir Bestrafung der Verbrecher." —
Der Minister bemerkte, daß der Ausfuhrhandel Japans
mit England sich jetzt schon auf 700,000 Pfund Sterling
jährlich gehoben habe; die Japaner seien froh, mit so „vor-
trefflichen .Kunden", wie den Engländern, zu verkehren. Dann
suchte er die Politik Großbritanniens China gegenüber zu
rechtfertigen und berief sich dabei auf deren Erfolg! Der
englische Gesandte Bruee habe das völlige Vertrauen des
Premierministers und Regenten von China gewonnen;
„wenn irgendwo einer der durch den Vertrag geöffneten
Häfen angegriffen wurde, dann haben wir britisches Eigen-
thum vertheidigt und gleichzeitig chinesische Interessen ge-
schützt. Die Folge davon ist, daß wir nun in friedlichen
und freundschaftlichen Verhältnissen zu einem Reiche stehen,
das 4OO Millionen Bewohner zählt, und mit demselben
einen höchst vortheilhaften Handel treiben, der unseren Zoll-
häusern jährlich Millionen einträgt. Hier liegt also eine
erfolgreiche und zugleich eine gerechte Politik vor; sie ent-
spricht den Rechten, welche wir durch den Vertrag erworben
haben, und flößt den Chinesen Vertrauen ein."
Graf Gr eh sah die Sachen nicht in so rosenfarbenem
Lichte wie der Minister Lord Ruffel, der eine sehr lückenhafte
Darstellung der japanischen Angelegenheiten gegeben hatte.
Die Thatsachen seien folgende: „Wir zw an gen Japan durch
Drohungen zu einem Vertrage, welchem dasselbe abgeneigt
war. Unser Gesandter hebt in seinen Berichten mehrfach
hervor, daß er der japanischen Regierung mit Gewalt
ab gedrungen wurde. Nachdem der amerikanische Ge-
sandte den Krieg der Engländer und Franzosen gegen China
benutzt hatte, um in Japan einen neuen Vertrag ausznwirken,
konnte man freilich auch uns dieselben Rechte nicht verweigern.
Unser Gesandter, Rutherford Alcock, schreibt, er habe in einer
Unterredung mit den japanischen Ministern gesagt: Wenn
ihr euch nicht zu einem freundlichen Verkehre mit den westlichen
Völkern versteht, dann werdet ihr früher oder später von
einem dieser Völker bezwungen werden. — Er stellte also
den Japanern eine Alternative und unter solchem Druck er-
preßte man den Vertrag, dessen Bestimmungen von uns
Globus IV. Nr. 10.
' diktirt wurden. Wir nahmen dabei auf die Rechte
und die Interessen Japans auch nicht die aller-
minde ste Rücksicht. Wir stipulirten namentlich für unsere
Staatsangehörigen die Exterritorialität, d. h. die japa-
nische Negierung mußte darauf verzichten, ihre Landesgesetze
aus Unterthanen der europäischen Mächte, welche einen Ver-
trag haben, anzuwenden. Diese ihrerseits verpflichteten sich,
ihre Unterthanen zur Beobachtung von Recht und Gesetz
anzuhalten." Lord Grey erzählte dann das geradezu nichts-
würdige Benehmen vieler englischen Kaufleute in der Dollar-
angelegenheit, ans welche wir heute nicht näher eingehen
können, bei welcher aber John Bull, abgesehen von geradezu
betrügerischen Vorgängen, den japanischen Behörden in
niedrigster Weise Hohn und Beleidigung zufügte. „Das
verdroß die Japaner und beunruhigte sie; dann kamen viele
Irrungen wegen der Exterritorialitätsklausel, nachdem von
Seiten der Engländer alle Gesetze und Bräuche Japans
verletzt worden waren. Die Vertragsmächte verletzten aber
den Tractat, indem sie ihre Unterthanen nicht zur Be-
obachtung von Recht und Gesetz anhielten. Ich nehme
keinen Anstand hier auszusprechen, daß in keinem andern
Lande der Welt eine größere Menge nichtswürdiger
Subjekte (reckless and lawless individuals) gefunden
wird als in Japan. Sie nehmen alle Vortheile des Ver-
trags für sich in Anspruch, kümmern sich aber nicht im
mindesten um die japanischen Landesgesetze und verüben alle
Arten von Unfug. Selbst die Bemannungen unserer Kriegs-
schiffe bleiben am Land ohne Aufsicht und begehen im Rausch
unverantwortliche Handlungen." Graf Grey kam dann aus
die oben erwähnte Angelegenheit des Burschen Moß. Das
Konsulatsgericht verurtheilte ihn wegen seines schnöden,
gesetzwidrigen Verfahrens zu einer Geldstrafe und verbannte
ihn aus Japan. Es zeugt für den schlechten Geist der in
Japan verweilenden Engländer, daß sie für jenen Moß
die Geldstrafe bezahlten; Moß aber ging nach Hong kong,
verklagte dort den Gesandten Alcock beim Obergerichte, das
einen technischen Fehler in den Verhandlungen gegen Moß
ausfindig machte und seinerseits den Gesandten zu einer Geld-
strafe verurtheilte. Das Blaubuch zeigt, wie schmachvoll
diese ganze Geschichte ist, der Minister hatte aber kein Wort
über diese Sache geäußert, und als ihm Graf Grey darüber
Vorwürfe machte, entschuldigte er sich damit, daß in Hong
kong Berufung eingelegt sei, über welche noch keine Entschei-
dung vorliege. Gras Grey erwiederte: „Diese Appellation
ist über zwei Jahre alt. Entspricht es der Gerechtigkeit und
ist es ehrlich. Alles herauszusuchen, was uns gegen die
Japaner aufreizen kann und andererseits doch die Dokumente
nicht vorzulegen, die da zeigen, welcher Art die Unbilden
sind, welche von unseren Landsleuten gegen Jene verübt
wurden? Die Verpflichtungen, welchewirvertrags-
mäßig übernommen haben, sind von unserer Seite
nicht erfüllt worden, während wir die Japaner drängen,
1 ihre Schuldigkeit zu thun. Dabei sollten wir aber Rücksicht
auf die Lage der japanischen Regierung nehmen; sie ihrer-
seits hat, glaube ich. Alles gethan was, ihr möglich war,
um den Vertrag zu erfüllen. Sie ist so weit gegangen, des-
halb selbst ihrem eigenen Volke gegenüber sich in schwierige
j Umstände zu bringen. Zwei Ta'ikuns und ein Regent sind
ermordet worden; der Minister des Auswärtigen wurde
überfallen, von seinen acht Dienern wurden sieben ermordet,
und er selbst rettete nur mit genauer Noth sein Leben. Die
Erbitterung des Volks macht es der Negierung schwer, wenn
nicht geradezu unmöglich, allen Bestimmungen des Vertrags
nachzukommen, namentlich im Hinblick daraus, daß gerade
Engländer Alles gethan haben, um die gegen uns feindselige
Gesinnung noch zu steigern. Ich halte es für eine Unge-
39
306
Eine Fahrt aus dem San Juanflusse von Greytown nach Granada am Nicaragua-See.
reimtheit und eine grobe Verletzung aller Vorschriften der
Gerechtigkeit, Volk und Regierung verantwortlich zu machen,
weil sie nicht thun, was selbst der amerikanische Gesandte
für eine Unmöglichkeit erklärt." Graf Grey führte das
weiter ans und rechtfertigte die japanische Regierung, welche
man nun zum Kriege dränge.
„Der letzte chinesische Krieg, so fuhr er fort, hat acht
Millionen Pfund Sterling gekostet. Aber zwischen Chinesen
und Japanern ist ein großer Unterschied zu machen. Die
Letzteren haben, in Voraussicht der Dinge, die da kommen
würden, längst zu einem Kriege gerüstet, europäische Waffen
gekauft und viel werthvolles Eigenthum in's Innere des
Landes geschafft. Ein Kampf mit ihnen wird kein Kinder-
spiel sein, er wird viel Blut und Geld kosten. Und was
wird das Ende sein? Wir werden einen Vertrag mit noch
schärferen Bestimmungen erzwingen und uns eine Geld-
entschädigung zahlen lassen; aber wir sind dann nicht besser
daran wie heute, weil ein solcher Vertrag nur so lange ge-
halten wird, wie er eben gehalten werden muß; nachher
bricht abermals ein Krieg auS. Ohne Zweifel wird Japan
Niederlagen erleiden, und was ist die Folge? Finanzielle
Zerrüttung; Verwirrung im gesammten Regierungsorganis-
mus, Verlust des moralischen Ansehens der Regierung.
Das werden wir bewirken in einem Lande von mehr als
30 Millionen Bewohnern, in einem Staate, den selbst unser
Gesandter als ein ungemein glückliches, gedeihendes.Gemein-
wesen schildert. Das Volk hat durch rastlosen Fleiß sein
Land in ein Paradies verwandelt, und in dieses bringen
wir die Anarchie, Unordnung und Blut, Elend und Ver-
derben. Nachdem Ihr ein Vierteljahrhundert lang
mit Eurer verwerflichen Politik China in boden-
loses Unglück, in unabsehbare Verwirrung ge-
stürzt habt, wollt Ihr nun mit Japan dasselbe ver-
werfliche Spiel beginnen und dort einen ähnlichen
Zustand der Dinge herbeiführen. Man braucht aber,
Japan gegenüber, weiter nichts als einfach gerecht zu sein.
Gewiß haben wir keine reinen Hände, und gerade deshalb
verlange ich um so mehr, daß Ihr nichts erzwingen sollt,
wenn ihr nicht selber Eure Schuldigkeit thut. Ihr habt
kein Recht, britische Unterthanen zu beschützen, wenn Ihr
selber keine Aufsicht über dieselben übt und sie dazu anhaltet,
daß sie die Landesgesetze achten. Und was für Leute sind
es denn, die so schmachvollen Unfug verüben durften? Unser
diplomatischer Vertreter selbst, Sir Rutherford Alcock, hat
sie als den Abschaum Europas bezeichnet." —
Wir sind auf diese Parlamentsverhandlungen einge-
gangen, weil sie Helle Schlaglichter auf die Stellung der
Engländer gegenüber Japan werfen. In diesem Lande sind
die Dinge, theils durch die Schuld der Europäer, theils
durch jene der fremdenfeindlichen Partei unter den großen
Feudalherren, so weit gediehen, daß eine Aufrechterhaltung
des Friedens kaum noch möglich ist. In der That melden
die letzten Nachrichten aus Ostasien von Vertheidigungs-
anstalten der Japaner und von Zusammenziehen großer
Truppenmassen.
Jedenfalls wird der Krieg, wenn er einmal begonnen
hat, ein heißes Stück Arbeit geben. Die Japaner sind die
tapfersten Leute in ganz Asien. Die Zeiten, da sie mangel-
haft bewaffnet waren, sind vorüber. Der Offizier der
kaiserlichen Leibwache, welchen unsere Abbildung darstellt,
sieht allerdings wunderlich genug aus und hat, nach unseren
Begriffen, ein keineswegs soldatisches Ansehen. Aber er ist
in der alterthümlichen Paradeuniform. Wenn aber ein
solcher Mann in's Feld rückt, dann wirft er all den über-
flüssigen Putz weg und kleidet sich eben so einfach wie zweck-
mäßig. Japan hat gezogene Kanonen, Büchsen und über-
haupt Schießgewehre nach den besten europäischen Mustern,
ein außerordentlich muthiges Volk und sicherlich auch in-
telligente Offiziere. Man wird nicht mit hochmüthigen
Halbbarbaren, sondern mit einer hochgebildeten Nation in
Berührung kommen. Wir unsererseits werden nicht er-
mangeln, dem Gange der Dinge in Japan unsere Aufmerk-
samkeit zuzuwenden; es handelt sich um eins der tüchtigsten
und interessantesten Völker des ganzen Erdballs.
Eine. Fahrt ans dem San Juanflusse von Greytown nach Granada am Nicaragua-See.
Wilhelm Marr's Reise nach Centralamerika. — Eine Nacht auf dem San Inan. — Brüllaffen, Jaguare, Alligators. — Der gestirnte Himmel. —
Marineros, Blutsauger und Moskiten. — Die Banane und die Arbeit. — Ein Gewittersturm. — Allerlei Nöthe. — Castillo viejo. — Der Nicaragua-
See. — San Carlos. — Volkswirthschaftliches.
Wir haben Wilhelm Marr's Reise nach Central ame-
rika (Hamburg 1863, bei O. Meißner) mit wahrem Vergnügen ge-
lesen. In Ton und Fassung hat das Buch viel Unmittelbares, man
könnte sagen Burschikoses, aber es hat auch den großen Vorzug,
daß es ungemein anschaulich, lebenswahr, man kann sagen mit
photographischer Treue schildert. Der Verfasser ist kein Gelehrter,
aber ein gebildeter Mann, eine frische, kräftige Natur mit offenen
Augen und scharfem Blick; es sieht sich die Menschen und die Dinge
an, und sagt offen und rund heraus, wie er sie findet. Täuschungen
und philanthropische Nebelgebilde, welche er ans Deutschland mit-
gebracht hat, läßt er, der nackten Wirklichkeit gegenüber, bald fallen,
und er thut es mit gesundem Humor und nicht selten mit ergötzlicher
Selbstironie. Wir haben einen Mann vor uns, der sich in seiner
Unmittelbarkeit nicht genirt, und in der Aeußerung derselben stößt
er vielleicht da oder dort an; aber das weiß er selber sehr wohl.
Herr Marr ist ein Tourist, aber sein Buch hat— weil ein guter
Beobachter es schrieb — Werth nicht nur für das praktische Leben,
sondern auch für die Wissenschaft. Es giebt gleichsam die Arabesken
zu den Schilderungen, welche wir von Fachgelehrten haben, und
vervollständigt dieselben; er malt durchgängig mit breitem Pinsel,
aber die feineren Züge fehlen eben so wenig wie dann und wann
ein poetischer Anflug.
Als Probe der Darstellung geben wir ein Bruchstück aus der
Fahrt auf dem San-Juanflusse, der bekanntlich den Abzug des
Nicaragua-Sees bildet. Herr Marr war mit einem Gefährten in
Greytown, oder richtiger, San Juan de Nicaragua, an Bord
eines Bongo gegangen, eines Fahrzeugs, das aus einem dicken
Stamme des Guanacastebaums verfertigt war. Es hatte etwa
25 Fuß Länge; am Hintertheile, vor einem schmalen offenen Raume
für den Mann am Steuer, waren eine Anzahl halbkreisförmiger
Stäbe befestigt, über welche er zum Schutze gegen den Regen einige
frische Kuhhäute gelegt hatte, die einen sehr Übeln Geruch verbreiteten.
Das war die Chopa, 3 Fuß breit, 6 Fuß lang. Die Schiffsleute,
Marineros, waren Mischlingsgesindel. Die Fahrt ging langsam.
Am vierten Abend waren die Reisenden noch nicht weit gekommen.
Herr Marr schreibt:
Eine Fahrt auf dem San Juanflusse von Greyotwn nach Granada am Nicaragua-See.
307
Die Nacht brach rasch herein, und als das letzte Streiflicht
des Tages von den Wipfeln der Bäume entschwunden war, lagerte
eine tiefe, schauerliche Stille wohl eine Stunde lang über dem Forste.
Da gab der gellende Pfiff eines einsamen Waldvogels zu einem
Koncert das Signal und der Wald wurde lebendig. Myriaden von
Cicaden erfüllten die Luft mit ihrem zitternden Geschwirr, Eulen
stimmten ihr dumpftönendes Nachtlied an; aber schauerlicher als
dies ertönte erst von der einen Seite, dann rund um uns her, bald
nah, bald fern, das tiefe Gebrüll des Brüllaffen (Congos),
das langgedehnte Woahau! Woahau! welches unsere Phantasie
anfangs für das Brüllen des in den Wäldern häufig vorkommenden
Jaguars hielt. Aber auch dieser stieß von Zeit zu Zeit seinen
heisern, rauhen Schrei aus und machte, daß ich die halbe Nacht
wach und schußfertig blieb.
Mit jeder Minute wuchs der unheimliche Lärm, jeder Augen-
blick brachte neue Thierlaute zum Vorschein, und selbst das Wasser
blieb dem Walde die Antwort nicht schuldig, denn hie und da trieb
ein Alligator an's Ufer, und winselte sein Wohlbehagen zu den,
gleich Diamanten auf dunkelblauem Sammet über uns funkelnden
Sternen empor. Aus dem Uferschilse sprühten Milliarden glänzen-
der Leuchtkäfer wie eine Funkengarbe in die Laubdächer empor,
summten dicke Käfer, fächelte die Caprimulge (Morciegalo
genannt), während große Nachtfalter, gleich Gespenstern, um uns
herflatterten.
Ich habe nie einen schauerlich-erhabenern Eindruck empfunden
als hier, wo ich zum erstenmale den Urwald belauschte, und wie
mir berühmte Touristen mitgetheilt, läßt der San Juan selbst den
Orinoco an Waldeffekten hinter sich zurück. Der Orion mit den
drei Gürtelbrillanten und der Riegel, in welchem wir mit bloßem
Auge jeden Stern erblickten, stand fest im Zeuith. Das Schiff
derArgo, das flammende Kreuz des Südens, denSkorpion,
ich sah sie heute zum erstenmal in ihrer vollen Pracht. Und von dem
Himmel schien man die überflüssigen Sterne wegzuwerfen, die
Sternschnuppen schossen, einen mattglänzenden Streifen hinter
sich ziehend, in einer Minute zahlreicher aus dem blauen Aether
hernieder, als bei uns im Norden während der Dauer eines ganzen
Sommers.
Unsere Marineros lagen, in ihre wollenen Decken gewickelt,
bunt durcheinander und priesen den Schöpfer durch ihre sehr un-
angenehmen Schnarchtöne. Es war die Dissonanz im Koncert
monstre des Waldes. Doch bald trat ein neuer Sängerchor
in Scene.
Die Sancuden und Moskiten kamen in Wolken aus dem
Walde hervor und betäubten unser Ohr durch ihr durchdringendes
Singen, zu dem sie den Takt in unser lebenswarmes Fleisch stachen.
Da half kein Wehen mit dem Taschentuche, kein Rauchen, kein
Bestreichen der Hände und des Gesichts mit Citrouensaft. Wir
waren am nächsten Morgen so übel zugerichtet, daß an unserm
ganzen Körper kein Fleckchen von der Größe eines Thalers frei von
ihren Stichen geblieben war.
Mein Enthusiasmus wurde mit Mückenstichen getödtet, und
aus Desperation leerten wir eine ganze Flasche Cognac und
tauschten den nächtlichen Menschenjammer gegen einen Katzen-
jammer am folgenden Morgen aus.
Alle Leiden aber waren vergessen, nachdem wir uns bei Tages-
anbruch durch ein Bad im Fluß erquickt hatten. Die Furcht vor
Alligatoren hinderte uns hieran nicht. Diese Thiere sind, wie
viele wilde Bestien, besser als ihr Ruf und wagen sich selten an
Leute, welche gemeinschaftlich baden und dabei tüchtig plätschern
oder sonst Lärm machen.
Unser viertes Nachtlager hielten wir am rechten Stromuser
des San Juan (Punta de Trinidad) an der Mündung des Sara-
piqui. Wir hatten somit in vier Tagen nur 28 (engl.) Meilen
gemacht. Auf dem linken Ufer hatte sich ein Deutscher, Namens
Hipp, angesiedelt, an der Costaricenser Seite wohnte ein Spanier,
Don Chico (Francisco) Alvarado. Beide trieben ein ziemlich ein-
trägliches Geschäft, indem sie an die vorüberfahrenden Californier
Früchte verkauften. Die herrlichste Bananenpflanzung, die schönsten
Melonenbänme, Paprayos, unter deren Blätterkrone die saftigen,
schmackhaften Früchte unmittelbar an dem schlanken, nackten
Stamme hängen, Orangenbäume von der Größe unserer Aepfel-
bäume, in deren dunkelm Laube das Gold der reifen Früchte ver-
mischt erglänzt mit Myriaden duftender Blüten; Ananas, die
Königinnen der Früchte, waren in die Wildniß hineingepflanzt
und wucherten mit dem Unkraut um die Wette. Und trotz dieses
scheinbaren Ueberflusses, trotz einer Anzahl gackernder Hennen,
war es unmöglich, für Geld und gute Worte auch nur ein Ei zu
bekommen. Die Hennen spazierten in den Wald, um ihre Eier zu
legen, und die Eingeborenen, viel zu faul, um einen Verschlag zu
machen, ließen sie gewähren und stillten ihren Hunger mit Bananen,
die ihnen in den Hals hineinwuchsen.
Die Banane*) heißt „der Segen des Landes". Ich möchte sie
eher den Fluch des Landes nennen, diese majestätische Frucht mit
ihren riesenhaften, wie grüner Seidensammet glänzenden Blättern,
ihren über 50 Pfund schweren Fruchttrauben, die wie eine Tiara,
in Gurken nicht unähnlicher Gestalt, an dem saftigen Stamm,
oft hundert an einer einzigen Traube (oorona.) hängen. War doch
das Blatt, aus welchem Adam seinen ersten Frack schnitt, die
Paradiesfeige, und seit jenen Tagen ist sie dem trägen Tropeube-
wohner sein Eins und Alles geblieben. Ich will mich nicht vertiefen
in Betrachtungen, was aus diesem Boden bei fermentirender Pro-
duktivität gemacht werden könnte. Die B arbarei seiner Bewohner
hat ein Recht zu faullenzen, das ist unbestreitbar. Aber Kultur
und Civilisation haben auch ein Recht, diese fanllen-
zenden Barbaren, zum Gedeihen der Menschheit, zur
Arbeit zu zwingen, und das ist ebenso unbestreitbar; denn wo
die Natur in ihrer Primitivität ist, gilt das Naturrecht und kein
anderes! Quod erat demonstrandum.
Den Sarapiqui herab wehte aus den Gebirgen Costericas ein
verhältnißmäßig kühler Wind. Das Thermometer zeigte in dem
klaren, grünlichen Sarapiqui-Fluß nur 20 Grad R. Die Luft-
strömung trieb die Moskiten vom Ufer weg, und so schliefen wir
und die ganze Mannschaft an Bord unseres Bongo, das am Ufer
unter überhängendem Buschwerke befestigt war. Gegen Mitternacht
trat ein Gewitter ein, und ein Aguacero (Platzregen) stürzte
prasselnd vom Himmel. Zum Glücke gewährte das undurchdringliche
Laubdach einigen Schutz, und wirschliefen eine Zeitlang, trotz dem
Toben der Elemente und dem gelegentlichen Stürzen eines vom
Blitz getroffenen grünen Waldriesen, ziemlich ruhig.
Da aber knackte und krachte es über unseren Häuptern: die
Reifen, über welche die schützenden Kuhhäute gespannt warm,
brachen zusammen und unsere Gesichter wurden von Fellen und
dornigem Strauchwerk gefegt. Ein „Cavajo!" unserer Marineros
jagte das andere. Erschreckt fuhren wir in die Höhe.
Unser Bongo saß buchstäblich in den Aesten und Zweigen des
Ufergebüsches. Der Sarapiqui-Fluß war, wie das bei Regenzeit
oft der Fall, plötzlich durch die Gebirgswasser augeschwollen und
schien unfern Ankerplatz in das grüne Laub verlegen zu wollen.
Wir schrien um die Wette nach Hülfe, aber sei es, daß man uns
ain Land in den nur zwanzig Schritte entfernt liegenden Ranchos
vor dem Donner und Regengeprassel nicht hören konnte oder nicht
hören wollte, genug, keine Seele kam uns zu Hülfe und wir mußten
in pechrabenschwarzer Nacht mit Händen und Messern uns durch-
brechen und durchhauen.
Wohl griff ich nach meinem Gewehr, um einen Nothschuß zu
thun; der Schuß versagte, denn das Pulver war feucht geworden.
*) Platano ist der spanische Name für Banane, Ulantanal ist eine
Bananenpflanzung. Der Engländer hat für Banane das Wort plantain.
Es ist aber unstatthaft, wie Herr M. thut, im Deutschen zu sagen: Pla-
tane, oder gar, wie ungeschickte Uebersetzer manchmal thun, Plantane
zu schreiben. Wir fanden neulich einmal das Wort pine apple, d. h.
Ananas, mit „Fichtenzapfen" übersetzt! A.
308
Eine Fahrt auf dem San Juanflnssc von Greytown nach Granada am Nicaragua-See.
Zuletzt blieb nichts mehr übrig, als den Strick durchznschneiden,
welcher uns am Lande festhielt, und so trieben wir in Kreisdrehungen
unseres Fahrzeuges, gepeitscht von dem niedersausenden Regen, in
den San Inan zurück, blutend, zerrissen, die Marineros betend,
wir fluchend.
Zum Glück ging die Sonne bald nachher ans und erlaubte
uns, die Havarie bestmöglichst anszubessern und das Wasser ans-
zuschöpfen. Unsere Kleider, denn wir waren bis auf die Knochen
durchnäßt, zogen wir aus und trockneten sie au der Sonne, während
wir ad interim in Vater Adam's Fashian blieben. Diese Thorheit
sollten wir jedoch bald schmerzlich genug bedauern, denn unsere
zarte, weiße Haut färbte sich in der Sonne bald rosenroth, und
am ganzen Körper bildeten sich Blasen, wie nach einem Kantha-
ridenpflaster. Wir litten fürchterlich und nahmen wohl zehnmal an
diesem Tag ein Bad, um unsere Brandstellen zu kühlen, schmierten
uns mit dem Oel ans unseren Sardinenbüchsen ein, rieben uns
mit Citronensaft, stöhnten nach Herzenslust und ließen keinPalliativ-
mittel unversucht. Zuletzt linderte----eine tüchtige Portion eng-
lischen Salzes unsere Schmerzen.
Bei genauerer Revision ergab sich, daß die Hälfte unserer
Vorräthe durch die Nässe verdorben war, und als wir versuchten,
dieselben an der Sonne zu trocknen, wimmelte unser Reis und
Schiffszwieback und unser Zucker von Tausenden kleiner schwarzer
Käfer. — Fahre zum Teufel, Zartgefühl! —
Wir kochten gleichwohl unfern Kaffee, warfen den lebendigen
Zucker hinein und schöpften die auf die Oberfläche kommenden
Insekten und Käfer ab. Nun, es geht Vieles in der Welt, wenn
man will, und Alles, wenn man muß.
Am sechsten Tage erreichte Herr Marr Ga stille viejo, wo
eine Menge braunen Lumpengesindels die Besatzung bildete. Ich
sah, sagt der Reisende, nichts als träge, wankende, dunkelbraune
Gestalten, halb nackt die einen, ganz nackt die meisten. Sie wiesen
sich als Soldaten ans; sie waren wirklich uniformirt. Ein
Tuch um den Kopf oder ein Strohhnt auf demselben, ein Rosenkranz
um den Hals und über den Schultern an haarigen Kuhfellriemen
eine Art Patrontasche, machten die Tenne dieser Krieger aus.
Einige trugen Schwimmhosen, ich glaube, dies waren die Sergeanten;
ein paar Indianer hatten sogar wirkliche, vom Schneider gemachte
Hosen an, und zwei hatten sich selbst bis zu einer Lastingjacke ver-
stiegen, deren Farbe mir jedoch ein Geheimniß blieb. Der große,
mit rothem Tuch umwickelte Cavaleriesäbel an ihrer Seite, der
mit Stricken um die Hüfte befestigt war, verrieth einen hohen
Rang. Das waren dieTenientes (Lieutenants) Coronels, Capitanos
und dergleichen.
Der Bongo fuhr dann weiter. Der Reisende fährt fort:
Von jetzt an sollten unsere Leiden beginnen; alles Boran-
gegangene schien nur ein Vorgeschmack gewesen zu sein. Als wir
uns anschickten, unsere Abendmahlzeit zu verzehren, fanden wir
unsere sämmtlichen Vorräthe verdorben. Ein Kessel voll kalt ge-
wordenen, am Morgen gekochten Reises, den wir mit Essig und
Oel angemacht, mit spanischem Pfeffer gewürzt und mit Sardinen
vermischt zu einem schmackhaften Salat (ich habe diese Erfindung
Salade de Pongo genannt) verwandelt hatten, und zwei Büchsen
Sardinen war Alles, Alles, was von uuserm Proviant noch zu
gebrauchen war. Der rohe Zucker, den wir von Greytown mit-
genommen, war durch die Feuchtigkeit zu Muß geschmolzen und
bildete mit den bereits erwähnten Thierchen einen braunschwarzen
Jnsektenbrei. Die Blechkisten, in denen sich der Borrath an
trockenem Reis und Schisiszwieback befand, waren mit Schimmel
überzogen, und Hunderttausende von Thierchen, Käferchen und
Maden kribbelten und wimmelten darin.
Was beginnen? Wir mußten den Reis über Bord werfen;
wir suchten unter den Schiffszwiebacken die besseren heraus, wuschen
sie im Fluß und legten sie sammt unseren zwei Büchsen Sardinen
in ein Blechgefäß, welches wir in einen größer», halb mit
Wasser gefüllten Behälter stellten, um es ans dieser improvisirten
Insel gegen weiteres Ungeziefer zu schützen. Zwanzig Zwiebacke
und zwei Büchsen a zwölf Stück Sardinen und zwei Menschen,
welche jetzt etwas über den dritten Theil des Weges ihrer Reise
zurückgelegt hatten! Zum Glück war der Nicaragua-See nicht
mehr allzuweit, und man hatte uns gesagt, daß wir uns dort
würden der Segel bedienen können.
Die Nacht, welche diesem Tage folgte, war eine der schreck-
lichsten , die ich je erlebt. Myriadenweise fielen nach eingetretener
Dunkelheit die Moskiten und Sanscuden über uns her. Um
nicht mit jeder Lungenbewegung diese Thiere einznathmen,
mußten wir den Mund mit einem Tuche verbinden. Doch
wäre es nur hierbei geblieben! — Während unser Bongo
am Ufer bei Castillo viejo lag, waren Unmassen von kleinen
schwarzen Ameisen an Bord gekommen, deren feiner, ätzender Biß
jedesmal ein kleines Brandbläschen erzeugte. In ganzen Schaaren
marschirten diese laufenden Peiniger an unseren Beinen herauf,
während die geflügelte Armee des Feindes uns von oben attakirte.
Was der menschliche Geist erfinden konnte, um uns zu schützen,
wurde in Anwendung gebracht. Aber was konnten wir thnn,
in einem Raume, wo wir weder stehen, noch sitzen, noch liegen
konnten! Die Qualen wurden zuletzt so intensiv, daß ich — schon
halb delirirend — meine großen Wasserstiefeln anzog, in dem
Wahne, diese könnten die armen Beine meines armen Leichnams
wenigstens gegen die Ameisen sichern. Kaum aber hatte ich den
Fuß unten in einen Stiefell gesteckt, als ich an den Zehen einen
scharfen Kniff verspürte, und dem rasch zurückgezogenen Fuße
folgten ein paar große Ratten, die sich pfeilschnell unter unser
Gepäck flüchteten. Und als hätten sich alle ekelhaften Geschöpfe
ans der Arche Noäh ein Rendevous gegeben, zappelten gleichzeitig
über meine Hände vier bis fünf der scheußlichsten Spinnen.
Nun, die bissen und stachen wenigstens nicht! Dagegen
stellten sich in höchst zudringlicher Weise jene großen Waldfleder-
mäuse ein und flatterten sogar häufig bis in die Chop hinein.
Mehr als einmal standen wir im Begriff, uns mit den Kleidern in
den Fluß zu werfen, um wenigstens ans Augenblicke den Qualen
zu entgehen, aber auch hier plätscherten die Alligatoren uns
ein warnendes „Zurück!" entgegen.
Und dabei glänzte wie das reinste Silber der Halbmond am
tiefblauen Himmel, das Schilf und die Lianen am Ufer wiegten
sich in feenhafter Grazie auf dem Wasser, und in den Fächern der
Palmen flüsterte es wie Scheherazade, wenn sie ihrem blutigen
Sultan liebliche Märchen erzählt. Der Wald hatte gleichfalls sein
Koncert angestimmt, diesmal von den unterirdischen Retumbos
eines fernen Vulkans begleitet. Der Congo brüllte, die Tiger
heulten in der Nähe, die Cicaden schmetterten mit vollster Kraft
„O! mein ganzes Hab und Gut gäbe ich für ein gutes Nachtlager!"
stöhnte mein Gefährte.
„Stellen Sie einen Tiger vor die Thür eines guten Schlaf-
zimmers, und verdammt will ich sein, wenn ich mir mit dem
Messer nicht den Eingang erzwinge!" rief ich.
Ich übertreibe nicht. Ich wäre einer solchen That nicht nur
fähig gewesen, sondern ich hätte Den Freund genannt, der mir die
Gelegenheit gegeben hätte, meiner Desperation in dieser Weise
Luft zu machen. Denn statt resignirt von vornherein ans den
Schlaf Verzicht zu leisten und die Entrichtung des Tributs der
Natur auf den folgenden Morgen zu verschieben, wollten wir
schlafen, und glaubten durch kindisches Wüthen die Dinge ändern
zu können. —
Lebensmittel und Flaschenvorräthe waren den beiden Reisenden
von den nicaragnensischen Soldaten gestohlen worden, und die Roth
war groß. Sie schossen einen Affen und brieten ihn. In der
siebenten Nacht blieben sie von Mücken verschont, der Urwald lag
hinter ihnen und in nordwestlicher Richtung dehnte sich, bis an den
Horizont anfsteigend, der majestätische, lachende Nicaragna-
See aus.
Bekanntlich ist in den sogenannten Kreolenrepubliken, wo die
Die Solfatara bei Pozzuoli. Von F. von Hellwald.
309
weißen Menschen nur eine kleine Minderzahl bilden, Alles im
Verfall. Die „Stadt" San Carlos fand Herr Marr in fol-
gendem Zustande: Am User standen einige der allermiserabelsten
Schilfhütten. Eine Anzahl langer Knüppel, möglichst dicht neben
einander in die Erde gerammt und oben und unten durch Gefleckt
mit einander verbunden, eine Oeffnung zum Ein- und Ausgehen,
und das Ganze mit einem Palmdach bedeckt, — das waren die
Behausungen der Bewohner, der Fußboden die liebe Mutter Erde,
das Bett eine Hangmatte ans Kuhhaut oder eine Kuhhaut auf
einer Bank. Der Feuerherd ein Haufen Steine. An den Häusern
keine Zuthat von Eisen! Kein eiserner Nagel verband die Balken,
kein eiserner Riegel verschloß die Thür; der Kochtopf und die
Machete (das Haumesser) waren die einzigen Gegenstände, welche
zeigten, daß die Bewohner überhaupt ein solches Metall kannten.
Der ganze, nngetheilte Raum dieser Hütten diente als Wohn- und
Schlafzimmer, Küche und gelegentlich als Viehstall.
Bekanntlich ist sehr viel über die Möglichkeit, einen schiff-
baren Kanal durch Nicaragua zu bauen, gesprochen worden,
und man hat erörtert, ob derselbe auch die Anlagekosten lohnen
werde. Wir gehen hier ans diesen Gegenstand nicht näher ein,
wollen aber eine sehr verständige Aeußerung des Herrn Marr her-
setzen, die uns gefällt; sie zeugt von einem richtigen Verständniß
der Rassenfrage. Er fragt, woher die Ingenieure die Arbeiter zu
den etwaigen Kaualarbeiten nehmen wollten, und bemerkt: —
Ein weißer Mann kann in diesen heißen und sumpfigen
Niederungen keiner anhaltenden, körperlichen Arbeit stehen, die
Eingeborenen von Nicaragua aber wollen nicht arbeiten; und
' seit die, auf den Ruin der französischen und spanischen Kolonien
; speknlirende, Philanthropie (!) der Engländer die einzige Rasse,
welche durch Natur und Geschichte die ökonomische Stellung
erhalten zu haben scheint, Arbeitskräfte für ungesunde Gegenden
zu liefern, lieber in ihrer afrikanischen Heimat zur Ehre
der Fetische schlachten, als zum Wohle der Menschheit
und der Kultur nützlich verwenden läßt, — seitdem darf
man auch nicht hoffen, daß unseren „schwarzen Brüdern" das
Werk aufgebürdet werden kann. Denn Onkel Tom ist ja
heutzutage die nationalökonomische Autorität civilisirter Völker,
wenn sie von der Kultur des fernen Westens reden! —
Die Solfatara bei poWüli.
Von Friedrich von Hellwald.
Von Pozzuoli steigt man über die alte Via autiniana auf-
wärts, die längs den leukopäischen Bergen und über die phlegräi-
schen Fluren hin nach Neapel leitete.
Nach einer halben Stunde gelaugt man zu jenem berüchtigten,
halberloschenen Krater, den man allgemein Solfatara nennt,
ein Name, der ihm jedoch erst in der neuern Zeit wegen der hier
wieder in Gang gebrachten Anstalt zur Gewinnuug des Schwefels
uud Alauns geworden ist; denn Strabo nennt ihn 'Hipaicrrov
ayogct und er kommt auch unter dem Namen Phlaegra vor,
wovon die phlegräischen Felder ihren Namen haben mögen.
Schon die Annäherungen zur Solfatara zeigen überall umher
eine Unfruchtbarkeit und eine weißliche Farbe des Bodens, die
auffallend mit der übrigen Gegend kontrastirt; ihr Dasein aber
verkünden die aus ihr aufsteigenden, mit Schwefel geschwängerten
Dünste, welche sich ringsum verbreiten und die Luft verpesten.
Auf welche abschreckende Art die Alten sich den schon damals halb-
erloschenen Schlund dachten, erfahren wir aus Strabo*) und
Petronius**); Diodor***) von Sicilien aber versetzt hierher den
Kampf Jupiter's mit den Giganten.
Die Gestalt dieses Kraters kann man mit einer ovalen Muschel
oder mit einem Becken vergleichen, das auf allen Seiten von ver-
kalkten Hügeln umgeben ist und 180 Schuh im längsten Durch-
messer hat. Schon beim Eintritte glaubt man sich in eine fremde
Sphäre versetzt; — es ist der verwirklichte Traum einer kranken
Phantasie! Nichts gleicht der Unordnung dieses wüsten, grausen-
haften Ortes, nichts erinnert hier an die Schönheit der Natur,
und die weiße Farbe der Hügel selbst wird zur Trauer. Ein un-
ordentlich über einander geworfener Haufen von verkalkten Felsen,
verbrannter Erde, Steinblöcke und Schlacken mit Anflügen von
Alaun und Vitriol umgrenzen die Lavaschichten, welche den tiefen
Abgrund bedecken, auf dem wir wandeln, und doch — die Natur
will überall wirken — grünt in der Mitte des Kraters ein kleines
Gehölz von Kastanienbüschen und Krüppeleichen, deren lichtes
Grün sonderbar genug gegen den verbrannten Boden absticht.
*) Lib. V. cap. 4. V7TiQy.tr au di rtjq nn/.tdK t] rov
HtfiaiffTOV ayoQcc Ttfchov TtiQuytuXtu/iivov öua7tVQOu<; ocfQvau,
y.afiuv<i)dti<i e/OVCfcui; avanvoag 7toX).a.yo r yau dtuit lyavwc.
**) Satyr, cap. 80.
***) Lib. IV,
Diese vulkanischen Massen, welche, ehe sie dem Schooßc der
Erde entstiegen, Jahrhunderte lang in den entzündeten Einge-
weiden des Vulkans hin- uud hergeworfen worden sein mußten,
scheinen noch jetzt den Schwefel und den Alaun auszuschwitzeu, der
sie bedeckt. Hier und da sieht man Schlacken mit Metallopyden,
besonders schöne Stufen von krystallisirtem schwefelsauren Arsenik,
thouartige Materie aller Farben und Krhstallisationen, zwischen
welchen leichte Rauchwölkchen langsam emporsteigen, die sich im
Aether verlieren. Dem Erstaunen, das natürlich ein so unge-
wöhnliches Gemälde wilder Zerstörung in uns erregt, folgt der
Schrecken, wenn wir mit dem Fuß auf die Erde stampfen oder
einen Stein in eine Vertiefung werfen, aus welcher ein brennender
Dunst hervorsteigt— und man sich durch den hohlen, dumpfen Ton
überzeugt, in welche Tiefe sich der Schlund erstrecken und wie dünn
die Lavarinde sein müsse, auf der unser unsicherer Fuß einher-
schreitet.
Andererseits muß mau bedenken, daß diese Materie nur durch
ein langsames Feuer erzeugt worden sein könne, da seit dem
Jahre 1198, also seit 665 Jahren, keine Eruption hier mehr vor-
gefallen ist, daß der Vulkan sich endlich erschöpfen und nach und
nach erlöschen dürfte, indem man auch keine Flammen mehr beob-
achtet, sondern höchstens in dunklen Nächten einen Schein bemerkt,
und die Anzahl der Oeffnnngen, aus welchen der Rauch aufsteigt,
sich zusehends vermindert. Deshalb wird auch das Einstürzen
dieser Decke nicht mehr fern sein, und der Kessel sich dann, so wie
es bei vielen anderen erloschenen Vulkanen der Fall ist, mit Wasser
füllen und einen See bilden. Zu Pellegrino's Zeiten scheinen
manchmal noch Flammen hervorgebrochen zu sein, und Coffredo
gedenkt, etwas undeutlich, zweier heißen Quellen, die auf der
Sohle des Kraters hervorsprudelten, von welchen die eine oft bis
sechs Fuß Höhe mit großer Kraft hcrausgetrieben worden und
manchmal pechschwarz erschienen sein soll.
Jndeß ist die Stille des Vulkans kein sicherer Bürge für seine
Unthätigkeit oder sein allmäligcs Erlöschen; denn wie lange schwieg
nicht der Vesuv und wie fürchterlich brach er nicht im Jahre 79
plötzlich los! Es ist noch immerhin möglich, daß einst Pozzuoli
unter der Solfatara begraben wird, wie jetzt Trip erg ole unter
dem Monte nuovo ruht. Die größte augenblickliche Beruhigung
wenigstens gewährt aber dem Fremden der Anblick mehrerer
Arbeiter, welche, in vollkommene Sicherheit versenkt, sich hier mit
310
Einige Bemerkungen über die Insel Helgoland.
Einsammlung des Schwefels beschäftigen, indem sie tiefe Gruben
ausheben und die daraus genommene Erde und Steine schmelzen.
Schon vor dem Ausbruche des Vesuvs im Jahre 79 kannte
man an der Solsatara Spuren von Entzündungen, Mineral-
wässer und Schwefellager.
Nach einem langen Stillschweigen brach sie im Jahre 1198
so fürchterlich los und warf so viele Flammen und Steine aus, daß
Pozzuoli und dessen Umgebungen dadurch verheert wurden. Die
späteren Schriftsteller erwähnen zwar vieler anderen kleinen Aus-
brüche, allein diese waren nichts Anderes als hervordringende und
nur bei Nacht sichtbare Flammen, bei Tage aber starke Rauch-
säulen (Fumaroli), welche eine nnterträgliche Hitze erzeugten.
Wir wissen aus Plinius, daß man schon im Alterthume hier
beschäftigt war, den Alaun und den Ammoniak zu sammeln,
welche sich in großer Quantität an den Schlacken angeslogen
fanden. Im Mittelalter, wo man mit dieser Arbeit fortfuhr, ge-
hörte die Alaunfabrik dem Spitale der Annunziata in Neapel
und einigen anderen Unternehmern; später wurde die Anstalt er-
weitert. Zu diesem Behuf errichtete man im Jahre 1687 mehrere
Gebäude mit Flugdächern, worin man den Schwefel kochte. Doch
wurden dieselben, gleich dem großen Kanäle, der das zu Ge-
winnung der Salze nöthige Wasser zuführte, an dem die Gegend
zu allen Zeiten Mangel gelitten, schon nach sieben Jahren, durch
das Erdbeben von 1694, wieder zerstört.
Im vorigen Jahrhundert kam die Anstalt abermals durch
den bekannten Baron Brentano und den gelehrten Naturforscher
Scipio Br eis lack in Aufnahme. Dem Uebelstände, daß Wasser
fehlte, half man dadurch ab, daß man die bis aus die Hitze von
80 o R. gesteigerten Dämpfe des Vulkans an einer Metalldecke an-
schlagen ließ, wo sie sich dann zu Wasser bildeten. Man hat
Letzteres mehrfach analysirt und gefunden, daß es Schwefel-
wasserstoffgas, Alaun, Salmiak und Vitriolerde in der Auf-
lösung enthalte.
Mehrere Schriftsteller haben behauptet, daß zwischen dem
Vesuv und der Solfatara eine unterirdische Verbin-
dung bestehe. Andere vermnthen wieder eine solche zwischen ihr
und den Vulkanen Ischias und wieder Einige gar mit jenen
Siciliens. Wenn übrigens die Meinung der Alten, daß das
vulkanische Feuer aus einem gemeinschaftlichen Behältniß im
Mittelpunkt der Erde sich aus verschiedenen Wegen zur Oberfläche
dränge und dort Vulkane bilde, nicht unstatthaft ist, so mag eine
Verbindung allerdings ihre Nichtigkeit haben.
Es verdient bemerkt zu werden, daß während der Eruption
des Vesuvs am 24. Februar 1822 die Solfatara sehr stark rauchte
und durch ihre leuchtenden Dämpfe bei der Nacht über die ganze
Gegend ein Dämmerlicht warf, daß der ans einer der äolischen
Inseln liegende Vulkan Stromboli zu dieser Zeit ebenfalls Lava
auswarf, selbst der Aetna in größerer Bewegung war, und der
auf Island an der Südwestseite des Hekla gelegene Vulkan
Ofields Jokel nach einem Stillschweigen von mehreren hundert
Jahren kurz vor dem Ausbruche des Vesuvs zum erstenmale wieder
Feuer zu speien begann und erlosch, sobald der Vesuv in Bewe-
gung gerathen war. Andererseits hat Panvini während der
Eruption des Vesuvs im Jahre 1817 die Solfatara genau be-
obachtet und gefunden, daß sich in ihr, so weit dies zu bemerken
möglich war, während der ganzen Dauer jenes Ausbruches nichts
geändert habe.
Ein älterer neapolitanischer Schriftsteller bemüht sich, zu be-
weisen, daß die Solfatara ein Schlund der Hölle sei! Ab operi-
bus eorum cognosceritis eosü
Einige Bemerkungen über die Insel Helgoland.
Das feste Land. — Die Dünenflora. — Thierleben. — Die Leute.
Die alte Fabel von der einst bedeutenden Ausdehnung der
Insel Helgoland ist längst widerlegt. In neuerer Zeit ausgeführte
geologische Untersuchungen haben gezeigt, wie wenig dieser Sand-
stein- und Kenperfelsen vor dem Wasser zurückweicht, und daß man
durchaus nicht zu fürchten brauche, die Insel noch im Laufe des
Jahrhunderts vom Meere verschlungen zu sehen.
Bruchstücke von Kreidefelsen, sogenannte weiße Klippen, um-
geben die Insel. Einst waren sie unter einander im Zusammen-
hang oder von bedeutenderer Ausdehnung; aber die Inselbewohner
brachen sie selbst ab, um Kalk daraus zu gewinnen, der einen ge-
winnbringenden Handelsartikel ausmachte. Wegen dieser abge-
bauten Kreideklippen entstand die Sage von der verwüstenden Ein-
wirkung des Meeres auf die Insel und von der Zerstörung ihrer
vermeintlichen Verbindung mit den nordfriesischen Uthlanden.
Außer den eben angeführten geologischen Vorkommnissen bietet
Helgoland noch manches Andere, was für den Forscher von Inter-
esse ist; durch aufgehäufte Rollsteine aus allen umliegenden Gegen-
den ist dort gleichsam eine große geologische Sammlung angelegt
worden. Man findet die verschiedensten Granite, Gneiße, Syenite,
Porphyre; da liegen neben den Kreidetrümmern und Muschelkalk-
versteinerungen die mannichfaltigsten Quarze, Sandsteine, Kalk-
steine und nicht selten Bernsteinbrocken und andere Reste, die ans
Braunkohle deuten. Auch die neuesten, in historischer Zeit ent-
standenen Bildungen sind vertreten. An mehreren Stellen haben
sich die Trümmer gescheiterter Schiffe dermaßen ange-
häuft, daß ihre Kanonen, Anker, Ketten und sonstige Metall-
massen mit dem Sande des Meergrundes, mit seinen Muscheln
und Kieseln zu einem felsenfesten Konglomerate, zu gefährlichen
Klippen verschmolzen sind. Für den Geologen von Fach ist auf Hel-
goland von besonderm Interesse der versteinerungsreiche „Töck",
ein Thongebilde, das zwei verschiedenen geologischen Epochen, näm-
lich der Hilsthon- und der Tertiärformation, angehört. E. Halli er
hat demselben in seinen jüngst zu Hamburg erschienenen gehalt-
reichen „Nordseestudien" eine eingehende Betrachtung ge-
widmet und überhaupt die Naturverhältnisse der Insel sorgfältig
beobachtet.
Auf jenem festen Boden, so wie auf den ihn umgebenden
Dünen, wächst nun eine eigenthümliche Meerstrandsflora.
Die Inselbewohner selbst beobachten und bezeichnen aber nur die
wichtigsten und hervorragendsten Gewächse; dahin gehört nament-
lich das Dünen gras (Ammopbila arenaria), welches mit seinen
langen Ausläufern den lockern Sand durchzieht, befestigt und
gegen das Zerstieben schützt. In der Sprache der Insulaner heißt
es „Halem" (Halm) und mit diesem Namen wird auch die ganze
Sanddüne der Insel bezeichnet. Bezeichnend für die Flora sind
ferner die in unangenehmer Menge auftretenden, gelbblühenden
wilden Kohlarten (Brassica nigra und Sinapis arvensis), hier
„Ketjen" genannt, dann „Omspunnen Tüch" umspinnendes Kraut,
wie die Ackerwinde heißt, die Grasnelke (Armería vulgaris), der
Seekreuzdorn (Hippophae rhamnoides), der Sandroggen (Llamas
arenarias) der Strandweizen und das Sandveilchen. Auch echte
Salzpflanzen, zumal auf dem niedrigen Vorlande, breiten sich aus,
z. B. Atriplex maritimum, Cakile maritima, Salsola Kali und
Scirpus marítimas.
Im Kleinen kann man auch am Helgoländer Strande jene
Pflanzeneinwanderungen wahrnehmen, wie sie in ganzWest-
europa an den Küsten im Großen Vorkommen. So ist es leicht
möglich, daß das Rohr durch Vermittelung des Meeres sich an-
gesiedelt hat. Im Frühjahre findet man, besonders nach anhalten-
den Stürmen, in östlicher Richtung oft große Massen verschiedener
! Rohrarten und Gräser am Helgoländer Strande; besonders wird
das sogenannte Seegras in Menge angetriebeu. Diese inter-
Einige Bemerkungen über die Insel Helgoland.
311
essante Pflanze ist kein Gras im botanischen Sinne, sondern eine
Form aus der merkwürdigen Familie, welche wegen der Lebens-
weise ihrer Glieder den poetischen Namen der Najaden erhalten
hat. Diese Gewächse kommen nämlich nur im Wasser vor; die
meisten im süßen Wasser, einige im Meere. Hierher gehört das
gemeine Seegras (Zostera marina), das rings um Helgoland im
ziemlich tiefen Wasser ans dem Grunde des Meeres wurzelt. Im
Ganzen zählt Hallier 220 auf der Insel wachsende phanérogame
Pflanzen und 183 ans den Meeresklippen wachsende Algen auf.
Was das Thierleben Helgolands betrifft, so werden noch
einige Hausthiere, namentlich Schafe und Schweine, gehalten.
Pferde kamen früher auf der Insel vor, sind aber jetzt so unbe-
kannt geworden, daß man sie den Insulanern, wie bei uns Ka-
meele und Elephanten, für Geld zeigen könnte. Auch sollen einst
wilde Kaninchen die Sanddünen bevölkert haben. Die Wander-
ratte, durch Schiffe eingeführt, ist häufig ; aber Maulwürfe, Frösche,
Eidechsen und alle diese kleinen, bei uns gemeinen Thiere fehlen
gänzlich. Von Vögeln sind heimisch: der dumme Taucher oder
Lumme (Ulia Aroile), der an der schroffen Westkante nistet;
seltener ist der Papageitaucher (Alea árctica). In Schaaren
sieht man zur Zeit des Eises verschiedene Entenarten auf dem
Wasser, auch Möven zeigen sich in Menge; der Sperling, hier
Kirchen fink genannt, ist dagegen nur vereinzelt. Als Strich-
vögel erscheinen Drosseln, Schnepfen und einige Sänger, unter
denen das Blaukehlchen sich auszeichnet.
Unter den Insekten wirken die Raupen einiger Schmetter-
linge, namentlich des Kohlweißlings und Rübenweißlings, sehr-
schädlich. Lästige, dem Menschen nachstellende Insekten fehlen fast
ganz. Die Stechmücke ist selten und die Stubenfliege tritt niemals
in lästiger Menge ans. Die Strandfliege ist ein kleines, harmloses
Thier, welches dem auf den Klippen Wandelnden nur durch die
große Anzahl unangenehm wird, denn millionenweise scheucht man
diese Thierchen bei der Annäherung vom Seetang empor. Da-
gegen belästigt die kleine gelbe Ameise mit ihrem beißenden Safte
Jeden, der sich auf dem Rasen niederläßt.
Das eigentliche, für Helgoland charakteristische Thierleben
bietet uns die salzige Flut. Säugethiere finden sich in derselben
nur zwei, der Seehund (Phoca vitulina) und der Delphin (Meer-
schwein, Delphinus phocaena). Von einiger Bedeutung ist der
Fischfang; als Köder für Schellfische dienen die kleinen Sandspieren
(Ammodytes tobianus), welche von den Helgoländern mit starken
Gabeln ans ihren Sandlöchern am Ufer ansgegraben werden.
Die Helgoländer nennen den Schellfisch (Gadus aeglefmus)
W etleg; auch wünschen sie sich zu Neujahr „brav letjen", d. i.
viele Kleine, nämlich Schellfische. Weniger als den Schellfisch
fängt man den Kabeljau. Häufig dagegen erscheinen auf der Tafel
des Helgoländer die Butten oder Schollen; sehr wohlschmeckend ist
auch der seltsam gestaltete, mit einer Saugscheibe versehene Lump
(Cyclopterus lumpus). Eine hübsche Erscheinung in den laubigen,
vom Wasser überspülten Tangwäldern auf den Klippen ist die
zierliche Seeschlange (Syngnathus ophiodon), ein aalförmiger,
schuppengepanzerter Fisch, der eine Länge von zwei Fuß erreicht.
Die Insulaner nennen ihn „Windfesk" (Windfisch), trocknen ihn
und hängen ihn wie eine Magnetnadel an der Zimmerdecke auf,
indem sie steif und fest glauben, daß er die draußen herrschende
Windrichtung angebe. Eine besonders gute Suppe liefert die
Aalmutter (Blennius viviparus), hier Tug genannt. Ihr Ge-
schmack ist wie der des Aals; die Gräten sind schön grün; das
Merkwürdigste ist aber bei ihr, daß sie lebendige Junge und zwar
50 bis 100 auf einmal gebiert. Unter den Knorpelfischen sind ein-
zelne Haie und verschiedene Rochenarten zu erwähnen.
Von Wichtigkeit für die Helgoländer ist der Hu mm erfang,
welcher mittelst sogenannter Tiners, Hummerkörbe, betrieben
wird. Diese Körbe bestehen aus einem bienenkorbartigen Holz-
gerüste mit flachem Bretterboden, das mit einem dichten Netz um-
flochten ist. Nur an einer Seite befindet sich ein kleiner Eingang
durch ein etwas aufwärts gerichtetes röhrenförmiges Netz. Der
Korb wird mit einem großen Steine beschwert, welchen man auf
dem Boden festbindet; darauf bringt man im Innern dicht vor
dem Eingang ein Stück getrockneten Fisches als Köder an und
senkt den Korb auf den Meeresgrund an einer Leine, deren Ende
durch Korkstücke oben erhalten wird; ein Hummerfischer versenkt
wohl 40 bis 50 solcher Körbe. Zweimal am Tage pflegt man die
Körbe heraufzuziehen und mit neuem Köder zu versehen. Zwölf
gefangene Hummern in fünfzig Körben ist schon sehr viel. Nach
dem Fange werden den Hummern die Scheeren festgebunden, weil
sie sich sonst untereinander zerkneipen würden. Der Hummerfang
erleidet vom 15. Juli bis 15. September eine Pause, damit die
Vermehrung ungestört vor sich gehen könne, und dieses selbst
gegebene Gesetz ist eins von den wenigen, welche die Helgoländer
streng innehalten.
Helgoland mag gegenwärtig auf yß0 Geviertmeile etwa 2500
Menschen haben. Die Einwohnerzahl ist von Alters sehr schwan-
kend angegeben worden, woran die Auswanderungen wohl die
meiste Schuld tragen. Das bekannte Seebad, welches alljährlich
von ungefähr 2000 Gästen besucht wird, kann natürlich die Ein-
wohner allein nicht ernähren; ihre Hauptbeschäftigung ist der
Fischfang und Hummerfang. Jährlich werden ungefähr 200,000
Schellfische und 50,000 Hummern nach Hamburg und London aus-
geführt.
Der Helgoländer ist, wie alle Friesen, männlich und
verschlossen; dabei mißtrauisch, ernst, selten mit Fremden zu heiterm
Scherze geneigt; ja, diese Leute beweisen oft zu ihrem Schaden eine
ins Eigensinnige gehende Abneigung gegen alles Fremde, besonders
gegen fremden Rath und fremde Hülfe. Trotz der Zähigkeit, mit
dem die Helgoländer am Alten hängen, läßt es sich nicht leugnen,
daß ihre alte friesische Sprache im Aussterben begriffen
ist, wenn es auch noch sehr viele Frauen giebt, die sich mit den
Fremden nicht verständigen können. Auf der See sind die Helgo-
länder ausnehmend tüchtig, gewandt und muthig und übertreffen,
wie überhaupt die Friesen, den englischen Seemann. Gemein-
interesse, sagt Hallier, darf man aber bei ihnen nicht suchen; Jeder
will herrschen, befehlen; Keiner will sich unterordnen oder auf
guten Rath hören. Bei diesem Zustande versteht es sich fast von
selbst, daß die Obrigkeit durchaus keine Achtung und Folgeleistung
erwarten darf. Bei alledem ist ziemlich viel Bildung unter den
Insulanern verbreitet und die Wohlhabenderen schicken ihre Kinder
in Erziehungsanstalten nach Altona, Hamburg u. s. w.
Um den Helgoländer von allen Seiten kennen zu lernen, um
ihn zu schätzen und lieb zu gewinnen, muß man längere Zeit mit
ihm im Verkehr gewesen sein, muß man bei der Hausfrau in der
„Dönsk" oder Wohnstube gesessen haben, deren Wände in älteren
Häusern noch mit „Afters" oder Fliesen geschmückt sind, muß
sich von ihr erzählen lassen aus ihrer Jugendzeit; man muß durch
den „Tal" (Gang) bis auf den „Bualkem" (Boden) gegangen
sein und muß „Mehlpös" (Mehlspeise), getrocknete Fische und
„Ahmbolk" (Pudding) mit ihr verzehrt haben.
Bei dem Nenjahrswunsche tritt uns eine bekannte Seite des
friesischen Charakters entgegen, die Geld liebe. Der Helgoländer
wünscht uns vor allen Dingen: Bell vertinne maist en nicks Verliese
maist, d. i. du mögest viel verdienen und nichts verlieren. Geister
und Gespenster, so wie das zweite Gesicht, spielen bei vielen Helgo-
ländern eine große Rolle; bei den beständigen Kämpfen mit den
finsteren Mächten der Natur» bei den oft schrecklichen Leiden und
Sorgen, welchen so Mancher ausgesetzt wird, ist dies kein Wunder,
ebenso, daß ziemlich viele Fälle von Wahnsinn Vorkommen.
Durch den Verkehr mit den Badegästen, durch die oft weiten
Seereisen der Männer schleicht sich aber immer mehr Fremdes und
eine gewisse Bildung ein, und man würde sehr irren, wenn man
die Helgoländer für ein „einfaches und schlichtes Fischervölkchen"
halten wollte.
312
Dr. Steuden ers Tod.
Dr. Zteudeners Tod.
Wiederum hat das mörderische Klima des tropischen Afrika
ein Opfer gefordert. Unser Landsmann Dr. Steudener brachte,
wie vor ihm schon so viele Deutsche, sein Leben der Wissenschaft
als Opfer dar. Den Nachrichten zufolge, welche an das Komito
für die Erforschung Jnnerafrikas in Gotha gelangten und die wir
in den öffentlichen Blättern finden, starb Dr. Steudener am 10. April
dieses Jahres in dem Dschurdorfe Wau.
Wir ergreifen diese Gelegenheit um an die vielen Deutschen
zu erinnern, welche hervorragen unter den Entdeckungsreisenden in
Afrika, als Pfadfinder und Bahnbrecher jihr Leben in die Schanze
schlugen, oder dasselbe der Wissenschaft zum Opfer brachten. Es
gereicht dem patriotischen Gefühle des Deutschen gewiß zur hohen
Befriedigung, wenn er sieht, wie seine Landsleute zu der groß-
artigen, friedlichen und segensreichen Welteroberung, die unserer
Zeit Vorbehalten scheint, ihr gutes Theil beigetragen haben; sie
find mit unerschütterlichem Muth in früher wenig oder gar nicht
bekannte Gegenden des „schwarzen Erdtheils" eingedrungen. Nicht
wenige jener Männer, welche Gesundheit und Leben daran setzten,
um durch 'Erforschung jener fremden Länder die Wissenschaft mit
Schätzen zu bereichern, sind zwar wohlbehalten heimgekehrt, so:
Russegger, Ehrenberg, Lichtenstein, Rüppel, Lepsins,
Brngsch, Werne, Krapf, Bastian, Brehm, Barth rc.;
von anderen dagegen können wir diese erfreuliche Kunde nicht
bringen. Die große Todtenliste der minder glücklichen deutschen
Forscher ist geeignet, jeden Leser mit tiefer Wehmnth zu erfüllen,
wenngleich sie auf der andern Seite den erhebenden Beweis liefert,
daß die Deutschen, allerdings vorzugsweise das „Volk der Denker",
in hohem Grad auch Kraft und Muth besitzen, für ihre Erfor-
schungen und Bestrebungen das Leben zu opfern.
Den Tod fanden in Afrika: Friedrich Hornemann aus
Alfeld; er ist im Jahre 1800 im Sudan verschollen. Röntjen
versuchte im Jahre 1809 von Marocco aus durch die Wüste nach
Timbuktu zu dringen; er ist ermordet worden. — Kummer starb
am Rio Robagga, im Jahre 1810. — Johann Ludwig Burk-
hardt starb in Kairo 1817. — Dr. Hemprich und Prof. Ludwig
Liman aus Berlin, 1820. — Dr. Vogel aus Bonn, 1842 am
untern Niger. — Dr. Overweg ans Hamburg, in Kukaua am
Tsadsee, 1852. —Dr. Reitz in Abessinien, 1853. — Dr. Schön-
lein, in Liberia. — Proviear Knoblech er holte sich den Tod im
Sudan und starb in Neapel. — Eduard Vogel aus Leipzig ward
1856 zu Wara in Wadai ermordet. — v. Neimanns in Kairo,
1858. — Dr. Vierthaler starb in Afrika. — Albrecht Roscher
aus Hamburg ward 1860 unweit vom Nyassa-See ermordet. —
v. Barnim, Sohn des Prinzen Adelbert von Preußen, starb 1860
zu Roseres am Blauen Nil. — Dr. Theodor Bilharz, 1862 in
Kairo. — Baron von Harnier aus Darmstadt ward 1862 am
Weißen Nil von einem Büffel getödtet.
An diese lange Reihe von Märtyrern schließt sich jetzt noch
Dr. Steudener an. Er betrat Afrika am 5. März 1861 und
hatte bereits zwei volle Jahre den Gefahren des mörderischen
Klimas getrotzt: in der Höhe des Sommers 1861 der berüchtigten
Glühhitze im Rothen Meere, zu Massaua und auf dem Dahlak-
Archipel, in dem darauf folgenden Winter den Schneestürmen der
abessinischen Hochländer, im Sommer 1862 den fieberschwangeren
Gebieten Ostsudans und Chartnms, dann den gefährlichen Miasmen
in den Sumpfregiouen des Weißen Nils und des Bahr-el-Gasal.
Da endlich, so lautet der Bericht des Komitös in Gotha, als
er sich schon einem ohne Zweifel gesündern Theile Central-Afrikas
näherte, raffte ihn in der Blüte seines Lebens ein Gallenfieber
hinweg. Er starb, erst 31 Jahre alt, in Wau, einem Dschur-
dorf, ein paar Meilen westlich von Bahr el Dschur, etwa 18
deutsche Meilen westsüdwestlich vom Rek-See, ungefähr in 8° 20'
nördl. Br. und 25" 45' östl. L. von Greenwich. Noch mit der zu
Anfang Junis in Deutschland eingegangenen Post hatte er sehr
umfangreiche und werthvolle Berichte an Dr. Barth eingesandt,
die demnächst in der Zeitschrift für Erdkunde veröffentlicht werden
sollen und in deren Anerkennung Barth die Nachsendung einer
Geldunterstützung ermöglicht hatte.
Die letzten Briefe hatten Nachrichten von H. v. Henglin und
Dr. Steudener bis zum 20. März gebracht; damals hielten sie sich
noch am See Rek auf. Die mitgenommenen Lastthiere reichten
zur Fortschasfung des Gepäcks nach Westen nicht ans, deshalb
entschlossen sich die beiden Reisenden, mit einem Theile derselben
dem Gros der Expedition in's Innere vorauszueilen, eine Ber-
bindungsstation zwischen den Bergen von Kasanga und dem See
herzustellen, das Gepäck daselbst anfznbewahren, weitere Träger
anzunehmen und mit ihnen zur Hauptstation zurückzukehren. Am
23. März waren sie aufgebrochen, hatten unter manchen Müh-
seligkeiten und Beide vom Fieber hart mitgenommen, am 2. April
den 300 Schritt breiten Fluß Dschur und in derselben Nacht das
Dorf Wau erreicht, wo sie blieben, da die Aussichten für das An-
werben von Trägern, deren sie etwa 150 gebrauchten, günstig waren.
Die klimatischen Verhältnisse singen jedoch leider an, ihren
Einfluß'in bedauerlicher Weise geltend zu machen; die Tage waren
sehr heiß, die Nächte kalt und feucht, die mitgenommenen Lebens-
mittel theils verzehrt, theils verdorben, so daß bereits am 8. April
fast die Hälfte der Leute krank war. Dr. Steudener hatte schon
am See Rek und auf der Reise nach Wau verschiedene Fieber-
anfälle gehabt, befand sich aber seit dem 7. April scheinbar auf
dem Wege der Genesung. Am 9. fiel er jedoch in einen Schlaf,
ans dem er nicht mehr erwachte und der den ganzen Tag. die Nacht
und den Vormittag des 10. April andauerte, ohne daß er ein Wort
sprach oder ein Zeichen von Schmerz von sich gab; um l Uhr Mit-
tags an diesem Tage verschied er leicht und unbemerkbar.
„Wir haben ihm, schreibt sein Gefährte Henglin, denselben
Abend unter einer Baumgruppe unfern des Flusses seine letzte
Ruhestätte gegraben, ein möglichst tiefes Grab, an einem vor
Ueberschwemmung sichern Orte. Den Körper ließ ich in ein großes
abessinisches Umschlagtuch nähen, im Grunde des Grabes noch
eine engere Vertiefung für denselben anbringen, diese mit Laub
und nach der Beisetzung mit Holz und Rinde füllen, wieder viel
Laub darauf geben und dann Erde. So ist wieder, leider, einem
rastlosen Forscher und Wanderer in Afrika ein frühes Ziel geworden,
der die Früchte seiner Thätigkeit nicht ernten konnte! Ich verliere
an Steudener einen braven und treuen Gesellschafter, der manche
traurige Stunde mit mir getheilt und manche Nacht an meinem
Bett gewacht und mich gepflegt hat."
Erst am 17. April konnte Henglin das traurige Wau und
das Land Dschur verlassen, um nach Bongo im Lande der Dor
zu gehen, welches er am Bahr-Fertik betrat. In Bongo gelang es
ihm, weitere Träger zu bekommen, so daß er am 24. April seine
Reise nach dem Reksee antreten konnte. Von hier wurde das noch
zurückgebliebene Gepäck der Expedition am 8. Mai durch 120
i Träger nach dem Innern gebracht, zunächst bis Bongo und zum
Kosang ofluß.
Am 10. Mai, dem letzten Datum der vorliegenden Nachrichten,
war der Hauptheil der Expedition, mit H. v. Henglin und den drei
Damen an der Spitze, im Begriffe, nach dem Innern aufzubrechen.
Der jetzt von Henglin eingeschickte Bericht nebst Karte erweitert
unsere Kenntniß von Inner-Afrika vom See Rek um zwei Grade
i nach Westen.
Nilquellen und Kilimandscharo.
313
Mlquellen und Kilimandscharo.
Hat der Nyanza mehrere Abflüsse? — Greenwood und Jukes gegen Speke und Grant. — Betrachtungen über die Stromquellen. — Hume Greensteld's
Theorie über Hebungen und Depressionen, über eine unterseeische Barriere im Nyanza und doppelte Ausströmungen. — Bedenken gegen diese Theorie. —
Analogien aus Skandinavien. — Ueber die zehn Abflüsse des Dojoa-Sees in Honduras. — Der Streit über den ewigen Schnee auf dem Kilimandscharo. —
Desborough Cooley's Polemik gegen Herrn von der Decken und gegen die Londoner geographische Gesellschaft. — Herrn von Klöden's Werk über den obern Nil.
Es verstand sich von selbst, daß nach der ersten freudigen
Ueberraschung Speke's Angaben über die Nilquellen von der
Kritik schärfer in's Auge gefaßt werden mußten. Als die Karten-
skizze des Reisenden bekannt geworden war und er selber die Er-
gebnisse seiner Forschungen übersichtlich mitgetheilt hatte, war An-
laß zu manchen Zweifeln gegeben; jedenfalls ist klar, daß noch sehr
viel zu erforschen bleibt, bevor wir uns eine richtige Vorstellung
von dem Quellengebiete des Obern Nils entwerfen können. Wir
haben in dieser Beziehung sofort mehrere Punkte hervorgehoben
und in unseren Aufsätzen (zuletzt Globus IV, S. 249 bis 255)
allerlei Bedenken gegen manche Angaben Speke's geltend geinacht.
Aber im Zusammenhänge werden wir seine Leistungen erst über-
sehen können, wenn sein Werk erschienen ist; dann aber läßt sich
auch ein endgültiges Urtheil über dieselben fällen.
Inzwischen hat sich in England ein lebhafter Streit erhoben
zunächst über die Behauptung Speke's, daß der Nyanza-See
mehrere Abflüsse habe. Gegen dieselbe tritt ein Oberst
Greenwood auf und macht auch für diesen Fall die bekannte
Theorie geltend, daß ein See nur einen Abzug haben könne
(Athenäum Nr. 1802). In der folgenden Nummer dieser Zeitschrift
läßt sich Professor Jukes vernehmen und pflichtet der Meinung
Greenwood's bei. Er äußert, es sei zu bedauern, daß so mnthige
Entdecker es nicht der Mühe Werth gehalten hätten, sich mit den
Elementarprincipien der physischen Geographie bekannt zu machen,
sondern daß sie raschweg Behauptungen anfstellten, die an Living-
stone's bekanntes „Netzwerk von Flüssen in Central-Afrika" er-
innern, so wie an desselben Reisenden fabelhafte, angeblich durch
Erdbeben entstandene, Erdspalte bei den Sambesi-Katarakten. Ein
großer See mit zwei Abzugsflüssen würde eine ebenso große Ano-
malie sein, wie ein Fluß, der sich in zwei Abzugsbecken ergösse,
oder wie ein Süßwassersce ohne einen Stromabzug.
Auf diese Bemerkungen antwortet der neue Sekretär der Lon-
doner geographischen Gesellschaft, H u m e G r e e n f i e l d, indern er die
alte Theorie untersucht und eine neue in das Gebiet der Möglich-
keiten rücken will. Es sei, meint er, wohl noch zu früh, Speke's
Entdeckungen anzufechten oder zu vertheidigen, und cs wäre müßig,
darüber zn streiten: ob wirklich zwei Ströme ans dem Nyanza
abfließen, welche sich nach einer kurzen Strecke selbständigen Laufes
mit einander vereinigen, — bevor nähere, in's Einzelne gehende
Erforschungen vorliegen. Er stellt dann, allerdings „sehr schüchtern
und unmaßgeblich", auch eine Theorie ans, der zufolge der Nyanza
allerdings zwei Abflüsse haben könne. Diese wunderliche Hypothese
läuft ans Folgendes hinaus.
„Die am entferntesten liegende Quelle des Weißen Nils ist
noch jetzt nicht erreicht worden. In den See ergießen sich viele
Ströme; nach Allem, was seither gegolten hat, muß aber der
längste und größte Arm als Hauptstrom betrachtet werden. Die
Südküste des Sees, ein Segment von etwa 400 eines Kreises,
scheint die Annahme zu rechtfertigen, daß die Gebirgskette, welche
die Wasserscheide bildet, entweder eine nahezu kreisrunde Richtung
verfolge, oder aber, was wahrscheinlicher ist, daß zwei Gebirgs-
ketten vorhanden seien, die in einem stumpfen Winkel einander be-
gegnen. Das entspreche, meint G., der Analogie, die man fast bei allen
anderen Seen finde, deren Küsten gewöhnlich den Krümmungen
der Gebirgsketten oder den Umrissen des Tafellandes entsprechen.
Nimmt man also an, daß die Gebirgskette hoch genug sei, um das
Regenwasser abzukühlen, oder daß eine der möglicherweise vor-
handenen Ketten höher sei als die andere, oder auch, daß die Berg-
ketten an einigen Punkten näher zum See hinantreten als an
Globus IV. Nr. 10.
anderen, so daß das Wasser einen kürzer« Lauf und einen stärkern
Fall hat und folglich auch, bevor es sich in den See ergießt, keine
hohe Temperatur erreichen kann, — dann wären, dieser Hypothese
zufolge, beträchtliche Wassermengen, die unablässig dem See zu-
fließen, kälter als das Wasser ans der Oberfläche des Nyanza.
Dieses kältere und folglich auch dichtere Wasser würde natürlich
unten bleiben und nur insoweit zur Oberfläche emporsteigen, als
das erwärmte und mehr verdünnte Oberflächenwasser abzöge.
Nun ist wohl in Obacht zu nehmen, daß wir über die Gestalt
des Seebodens platterdings gar nichts wissen. Es sei kein Verstoß
gegen die Möglichkeit und gegen die physische Geographie, wenn
man annehme, daß eine unterseeische Barriere, mehr oder
weniger vollständig, etwa mittewegs durch den See ziehe. Die
Wassermenge über derselben würde natürlich je nach der Jahres-
zeit verschieden sein; wahrscheinlich betrage die Tiefe dort selten
weniger als 8 oder 10 Fuß, während der See an anderen Stellen
vielleicht sehr tief ist. Lyell hat nachgewiesen, daß wir zur Er-
klärung mancher Erscheinungen, z. B. einer solchen, wie sie hier in
Frage steht, ans eine lange Reihe von nach einander folgenden Er-
hebungen und Depressionen Rücksicht nehmen müssen, und daß
diese sich über eine unberechenbare Zeit ausdehnen. Wenn also
während einer derartigen Erhebung, die Barriere zu einer solchen
Höhe emporstieg, daß das Wasser nur ein paar Fuß über ihr stand,
oder wenn sie etwa zeitweilig über die Wasserfläche emporragte
und folglich den See in zwei Theile schied, dann mußte das ange-
hänfteWasser nothwendig sich einen andern Abzug suchen. Dadurch
bildete sich ein zweiter Abfluß. Kam nachher eine Periode der De-
pression, dann erhielt der See seine normalen Verhältnisse wieder;
inzwischen aber hatte beim Ausgange jenes zweiten Abflusses das
Werk der Erosion seinen Fortgang genommen, und wenn die De-
pression tiefer ging als der neue Abzug an der Stelle lag, wo er
den See verließ, dann wurde die Wassermenge nicht erheblich ver-
mindert und er konnte, falls Zuströmung genug vorhanden war,
fortfahren, dem See als Abfluß zu dienen, selbst wenn die ursprüng-
liche Gleichartigkeit desselben wieder hergestellt worden war.
Das scheint, so sagt Herr Greenfield weiter, eine Lösung, die
sich übrigens bei näherer Untersuchung auch als faktisch unbegründet
Herausstellen kann. Aber man darf gegenüber von Erscheinungen,
welche unseren immerhin doch sehr beschränkten Erfahrungen und
Wahrnehmungen nicht entsprechen, keineswegs sagen: Das kann
nicht sein. Der oben aufgestellten Hypothese zufolge scheint mir
der doppelte Flußabzug ans dem Nyanza-See eine weit we-
niger auffallende Erscheinung zn sein als die Gabeltheilung des
Orinoko, welche 1130 Fuß über dem Ocean liegt und eine voll-
ständige Wasserverbindnng zwischen diesem Strom und dem Rio
Negro vermittelst des Cassiquiare bildet." —
Wir unsererseits werden uns hüten, zn sagen: Das kann
nicht sein; aber wir finden diese ganze Annahme und Ausführung
des Herrn Greenfield außerordentlich künstlich und gezwungen. Er
läßt seine mögliche „Barriere" mittewegs zwischen den beiden
Enden des Nyanza geradeüber durch den See laufen, und auf
Speke's Karte fließen doch die beiden Abzüge nur vom Nordufer aus
und zwar in keiner weiten Entfernung von einander ab. (Siehe die
Skizze Globus IV, S. 252). Läge der eine Abzug etwa im Süden
oder Westen oder Osten, so ließe sich eine solche Leiste denken; da
aber, wie gesagt, beide Abzüge (— wir lassen hier dahinge-
stellt sein, ob überhaupt der zweite eine Wirklichkeit oder ein Phan-
tasiegebilde Speke's ist —) auf der Nordküste des Sees
liegen, so steht Greenfield's Barrierentheorie einfach
40
814
Nilquellen und Kilimandscharo.
in der hohlen Luft, und seine ganze Hypothese nebst Beweis-
führung ist werthlos.
Dem Athenäum scheint das wohl auch vorgeschwebt zu haben,
denn es bemerkt (Nr. 1864) seinerseits: „Herr G. hat den Nach-
theil, daß er kein Beispiel von einem See anführt, der zwei
Abzüge habe. Ein Beispiel wäre mehr Werth gewesen, als weit-
läufiges Raisonnement. Das Athenäum führt dann ein Beispiel
an; ein Verwandter Speke's schreibt ihm nämlich über den nor-
wegischen Lessöe. „Dieser, am Dovrefield in der Provinz
Christiania, liefert dem obern Lause der Flüsse Rauma und
Longen gleichzeitig Wasser. Der erstere strömt, vermittelst des
Romsdal, der Nordsee zu, der andere dem Skagerrack. Ferner:
Der Otta-Elv, ein anderer Arm des Longen (— das Athenäum
schreibt dafür beide Male Langen! —) fließt ans dem Breidals-
See ab, von welchem in gleicher Weise ein Strom in den Stor-
Fjord hinabläuft. Jeder gute Atlas, Murray's Reisehandbuch
und Forbes' Werk liefern für das Gesagte einen Beweis."
Die Stelle in Forbes' „Norwegen und seine Gletscher"
steht in der deutschen Uebersetzung von E. A. Znchold, Leipzig
1858, ans S. 18. Der Korrespondent des Athenäum hätte aber,
gerade ans Skandinavien, noch eine Menge von Beispielen an-
sühren können, von denen aber, wegen der cigenthümlichen Gebirgs-
bildung dieser Halbinsel, unserer Meinung zufolge, nicht ein ein-
ziges geeignet erscheint, die Annahme Speke's oder gar Greenfield's
wunderliche Barrierentheorie irgendwie wahrscheinlicher zu machen.
„Der Seewind treibt in Norwegen die wasserschweren Wolken
an die Westküste und ans das Gebirge, und der Niederschlag ist sehr
bedeutend; in dem Hochlande kann aber wegen des Felsen-
bodens und des rauhen Klimas keinTropfen durch Ein-
sickerung oder Ausdünstung verloren gehen. Deshalb
haben sich in allen Vertiefungen Gebirgsseen gebildet, die nach
allen Richtungen hin, wo nur ein Ausweg möglich war, ihren
Ueberfluß in Flüssen und Bächen dem Meere zusenden. Daher
die merkwürdige Erscheinung an diesen Gebirgsseen und Sümpfen,
daß ihre Flüsse nach verschiedenen Richtungen ent-
strömen. Das Lessö Verks Vaud (62°Br. 26'/3 £., 1930'
hoch) bildet gegen Süden den Longen und gegen Norden die Ranma
(Romsdalselv). Ein Sumpf bei Röraas (62° 48' Br., 49°
40' L.), über 2800 Fuß hoch, die Flüsse Glommen, Guul- und
Nid-elv; in dem Sumpfe Kol des Hardangerschen Hochlandes
entspringen acht in verschiedenen Richtungen strömende
Flüsse, z. B. Laaven, Otteren, Rödalfs re. re. Die meisten
skandinavischen Flüsse sind eigentlich nichts Anderes als Reihen
von Landseen,'durch kurze Stromschnellen oder Wasserfälle dort
mit einander verbunden, wo die Felsenwände näher aneinander
treten und der Boden sich senkt." So schreibt Di-. C. F. Frisch
in seinem, beiläufig bemerkt, mit äußerster Genauigkeit und preis-
würdigem Fleiß ansgearbeitetem Werk über Skandinavien
S. 444. Das Buch bildet einen Theil des Stein-Wappäus'schen
Handbuchs der Geographie und Statistik. Wir konnten übrigens
noch manche andere Beispiele anführen, wenn das nöthig wäre.
Das Heranziehen dieser skandinavischen Seen, welche ganz
andere geologische und klimatische Voraussetzungen und Bedingun-
gen haben als der Nyanza, paßt durchaus nicht. Wollte man eine
Analogie aufsuchen, so könnte man möglicherweise eine solche eher
in Centralamerika finden, und zwar in dem Uojoa-See in
Honduras. Allein auch diese wird nichts für Speke oder Green-
field entscheiden. Seltsam genug, daß die Londoner Geographen
an diesen Aojoa-See nicht gedacht haben, obwohl vor wenigen
Jahren oftmals von ihm die Rede war und dieses Wasserbecken eine
interessante Erscheinung bildet. Da einmal der zwiefache Abfluß
auf's Tapet gekommen ist, so wollen wir einige Bemerkungen über
den Aojoa einschalten.
Im Jahre 1855 machte E. G. Squier, der als- nordameri-
kanischer Geschäftsträger bei den centralamerikanischen Republiken
bedeutende Landstrecken in denselben bereist hatte, auf den Iojoa-
See oder Taulebe in Honduras aufmerksam. Man wußte da-
mals noch nichts Näheres über den Umfang desselben, konnte auch
von den Landesbewohnern selbst nichts Genaueres erfahren. Was
Squier ermittelte, läuft auf Folgendes hinaus: Aus dem Nord-
ende dieses vom Gebirg umschlossenen Wasserbeckens, das 25 Miles
Länge, 5 bis 8 Miles Breite hat, fließt der schmale aber tiefe Rio
Blanco ab, welcher sich an derselben Stelle, wo der Humuya
mündet, mit dem Ulna vereinigt. Einer Mittheilung des Konsuls
Folsom zufolge verliert sich dieser Abfluß wenige Miles unterhalb
der Stelle, bei welcher er aus dem See tritt, unter der Erde und
strömt einige Zeit unter derselben fort. Außer dem Rio Blanco
hat der See noch drei oder vier andere Abflüsse; der eine
derselben geht nach Norden in den Santa Barbara, die beiden
anderen fließen siidöstlich in den Humuya. Das war Baily's An- ’
nähme. Squier sagte: „Baily hat aber Unrecht. Dergleichen Dinge
kommen wohl in der Kindheit der Kartographie vor, aber die
neuere Zeit weiß von dergleichen Entdeckungen nichts. Wir können
dreist annehmen, daß derUojoa^See nur einen einzigen Ab-
fluß habe; wenigstens müßte erst noch bewiesen werden, daß
mehrere vorhanden seien. Eine nähere Erforschung dieses
Binnenbeckens wäre eine dankbare geographische Aus-
gabe." (Squier, die Staaten von Centralamerika rc., heraus-
gegeben von Karl And ree, Leipzig 1856, S. 59).
Dieser Wunsch Sqnier's wurde schon nach einigen Jahren,
1858, erfüllt durch die Forschungen Stanton's und Edwards';
und Squier selbst sandte darüber einen sehr ausführlichen Be-
richt an die „Geographischen Mittheilungen" ein. Derselbe steht
im Jahrgange 1859, von S. 169 an, und ist durch eine Karten-
skizze erläutert.
Der Iojoa-See in Honduras liegt zwischen 14° 38' und
15° 3' N. Br., 88° 2' und 88° 13' W. L. Auf Baily's Karte
(1850) hat er fünf offene Abzüge, nach Stanton und Edwards
dagegen zehn, von denen einer über der Erde ist, während die
übrigen unterirdisch verlaufen. Seine Höhe über dem Meere
beträgt, nach Barometermessungen, 2050 Fuß, und er gehört zu
jenen cigenthümlichen Becken, welche man in Honduras als Bol-
sones, d. h. Beutel oder Taschen, bezeichnet. Sie werden durch
das gewundene System jenes Landes gebildet, dessen Bergketten
zuweilen nicht in relativ geraden Bergketten verlaufen, nicht einen
geraden Strich halten, sondern sich auf sich selbst zurückwerfen,
nach sich selber zurückbiegen, beinahe Kreise beschreiben, verknotete
Gruppen bilden und Hochebenen einschließen. In diesen „Beuteln"
samineln sich die Gebirgsbäche.
Der Iojoa-See bildet einen solchen Beutel, zwischen den
Bergen von Miambar im Süden und denen von Santa Barbara
im Norden und Westen; sie haben eine durchschnittliche Meereshöhe
von 5000 Fuß, senken sich nach den Flüssen Humuya und Santa
Barbara in Terrassen herab, welche von zahlreichen, in tiefen und
engen Thälern strömenden Bächen durchschnitten werden. Eine
Anzahl derselben hat ihren Ursprung in dem See, und
sie werden von demselben durch unterirdische Kanäle
gespeis't.
Aber der See hat nur einen durchweg offenen, d. h. über
der Erde verlaufenden Ausfluß, nämlich den Jaitiqne, und
zwar an seinem südlichen Ende. In sehr dürren Zeiten liegt er
zwar auch trocken, hat aber im Allgemeinen doch so viel Wasser,
daß er Kähne tragen kann. Vom See ans fließt er über eine Meile
weit durch eine tief gelegene Wiese, tritt dann in ein enges Thal
und eilt in einem Halbkreise zum Flusse Santa Barbara hinab.
Bevor er sich mit diesem vereinigt, nimmt er die auch bereits ver-
einigten Gewässer zweier anderer Bäche, Rio Sa cap a und Rio
S alala, auf, die beide mit dem See durch unterirdische Kanäle in
Verbindung stehen. Der Sacapa läuft eine halbe Meile weit unter
der Erde hin, in welcher er sich zwei Meilen vom See verliert,
nachdem er bis dahin, gleich dem Jaitiqne, durch eine tiefliegende,
mit Binsen und grobem Grase bedeckte Wiese geflossen ist. —
Nilquellen undjKilimandscharo.
315
Weitere Angaben kann man in den „Mittheilungen" lesen.
Wir erwähnen hier noch, daß die zehn Ausflüsse des Uojoa-
Sees (von denen einer ganz offen ist, die übrigen aber ans kürzere
oder weitere Entfernung unter der Erde fließen) im Monat April
trocken liegen. Von Juni bis Februar fließt mehr Wasser in den
See, als durch dessen unterirdische Abzüge ansströmen kann, und
dann geht der Ueberschnß durch das offene Bett des Rio Jaitiqne.
Wir wenden uns nun von der Kontroverse über die Nilquellen
zum Kilimandscharo. Unsere Leser wissen, daß Baron Karl
von der Decken zweimal den Versuch gemacht hat, diesen Berg
zu ersteigen. Das erste Mal kam er bis etwa 8000, das andere
Mal bis 13,000 Fuß. Diese zweite Besteigung haben wir neulich
geschildert (Globus IV, S. 223). Er sagt in seinem Briefe an
Barth, daß es Nachts tüchtig geschneit habe, am andern Morgen
habe unterhalb seines Standpunktes zur Rechten und Linken Schnee
gelegen, und er fügt hinzu: „Somit wird die Schneenatur
dieses Berges jetzt wohl nicht einmal mehr von dem
obstinaten Geographen Cooley in Zweifel gezogen
werden."
Das geschieht aber allerdings. Herr Desborough Eooley, der
von Anfang an ein theoretischer Gegner derSchneeberge war und
die Angaben Rebmann's und Krapf's als unrichtig bestritt, giebt
auch jetzt seine Sache nicht verloren und tritt mit einem wahren
Ingrimm, mit einer großen Leidenschaftlichkeit gegen Herrn von
der Decken auf, den er rundweg zum Lügner macht, wenn er auch
das Wort selber nicht ausspricht. (Athenäum, Nr. 1864.) Gleich-
zeitig führt er Keulenschläge gegen die Londoner geographische
Gesellschaft, welche von Erörterung wissenschaftlicher Fragen sich
fern halte und sich lediglich an ein Galleriepnblikum wende; indem
sie sich solchergestalt erniedrige, habe sie allerdings großen peku-
niären Erfolg, aber ihren wissenschaftlichen Charakter völlig ein-
gebüßt.
Uns gehen diese Kontroversen nichts an, und wir werden uns
hüten, Antheil daran zu nehmen. Leider nimmt in geographischen
Streitfragen ein sehr wenig empfehlenswerther Ton überhand.
Was Coolep contra von der Decken betrifft, so vermißt Jener an
den Bemerkungen unseres unternehmenden Landsmanns Präcision
und ein specielleres Eingehen. Cooley hat aber Recht, wenn er die
Rücksichtslosigkeit und Feindschaft, welche Herr von der Decken
gegen die Mahommedaner zur Schau trägt, tadelt; wir haben
dasselbe schon früher (IV, S. 223) gethan.
Cooley ärgert sich, daß auch die Berichte der Londoner geogra-
phischen Gesellschaft den Kilimandscharo ohne Weiteres als einen
Schneeberg bezeichnen, und wiederholt die früheren Einwen-
dungen, welche er schon gegen Rebmann und Krapf gemacht. Der
Letztere habe den Berg auf 12,500 Fuß Höhe geschätzt. Wer die
Angaben der Missionäre als richtig vertheidige, sei ein Gegner kri-
tischer Untersuchungen und verstehe nichts vom Detail der Sache!!
Diese Vertheidiger hätten nicht einmal die Berichte der Missionäre
gelesen; das Journal der Londoner Gesellschaft sage, der Kiliman-
dscharo sei ein vulkanischer Kegel, und das wäre doch durchaus un-
wahr, weil er eine Trachytmasse bilde, welche nach Südwesten so
allmälig abfällt, daß man, nach Rebmann's Anssagen, mit einem
Wagen hinauffahren könne.
Die Leidenschaftlichkeit Cooley's geht auch daraus hervor, daß
er annimmt, Herr von der Decken sei von vornherein entschlossen
gewesen, die Aussagen und Angaben der deutschen Missionäre zu
bestätigen; er habe Rebmann's Ansichten wiederholt, daß nämlich
die weißen Massen ans dem Kilimandscharo Schnee seien, und doch
beruhen sie lediglich auf einer Vermuthung. Herr von der Decken wolle
allerdings eine Lawine gesehen haben, das sei aber nur ein Wechsel
im Ausdrucke; weder dem vermeintlichen Schnee, dem liegenden
noch dem fallenden, sei er nahe gekommen, und sehe man von der
Lawine ab, so habe er die Worte, mit welchen er seine Entdeckungen
erzählte, den Missionären abgeborgt. In Betreff der Höhen-
angabe folge er Rebmann's erster Konjektur und habe Krapf's
Reduktion (von 20,000 ans 12,500 Fuß) außer Acht gelassen. Man
könne einwenden, daß v. d. Decken die Höhe des Berges durch
Beobachtungen ermittelt habe; das aber sei erst noch zu beweisen.
Daß er Beobachtungen angestellt habe, dürfe man nicht bezweifeln,
weil er selber das behaupte; aber man könne deshalb noch nicht
annehmen, daß sie irgendwie werthvoll seien. Sein Begleiter
Thornton habe gar keine Instrumente gehabt; von Herrn von
der Decken wüßten wir weiter nichts, als daß er etwa drei Jahre
an der Ostküste von Afrika sei, aber in dieser ganzen Zeit habe er
der gelehrten Welt auch nicht ein einziges Partikelchen genauer
Nachrichten irgendwelcher Art mitgetheilt.
Der Baron, so fährt der höchst giftige Engländer fort, wollte
Berghöhen messen, und hatte gar kein hypsometrisches Werkzeug
irgendwelcher Art bei sich. Er deducirte sich die Berghöhen aus
einer geodätischen Aufnahme einer Gegend, die sehr weit von den
Berghöhen entfernt war; er hatte einen Theodoliten und einen
Sextanten, und während er mit beiden arbeitete, lebte er in fort-
währendem Streite mit seinen halbwilden Begleitern. Die Be-
rechnung einer Aufnahme, welche sich über 1000 Geviertmeilen er-
streckt, ist selbst für einen geübten Mann eine schwere Arbeit; der
Baron hat also nur einen ungefähren Ueberschlag gegeben, Ver-
muthungen, annähernde Schätzungen ohne arithmetischen Werth.
Er giebt stets nur runde Zahlen und verdoppelt, so weit man
seine Angaben zu prüfen im Stande ist, die Wirklichkeit. Er fand
Schimba, wo er über die Küstenstenkette kam, 800 Fuß hoch.
Den Kadiaro, der 5000 Fuß hoch ist, bestieg er bis zu einer Höhe
von 4000 Fuß; dann wandte er sich nach Südwesten, machte einen
Umweg und kam an den Kilimandscharo; den östlichen Gipfel
schätzt er auf 17,000 Fuß, die westliche Kuppe ans 20,000, und von
dieser soll Schnee 3000, 4000 oder 5000 Fuß abwärts liegen. In
der Aufzählung der Berge, welche er gesehen und gemessen hat (in
runden Zahlen), vermisse man den Schira, der südwestlich vom
Kilimandscharo liegt und auf welchem Rebmann Schnee zu sehen
glaubte. Andererseits erwähnt er den Meru, der 18,000 Fuß
hoch sei; diesen hat er aber nicht gesehen, sondern fügt ihn in seine
Liste ein und bedient sich dabei der Sprache der Missionäre.
Cooley sucht daun Decken's Behauptung über den Schnee ans
dem Kilimandscharo zu widerlegen. „Der Baron sagt, es habe bei
Nacht stark geschneit, und sein Gegner fügt bei: „im December,
als die Sonne fast vertikal stand! Ich, der obstinate Geograph
Cooley, kann dem Baron nur Glück wünschen zu einem Schneefall,
der so gelegen kam. Aber ich glaube eher an die Excentricitäten
eines Reisenden, als an solche von Seiten der Natur, und nachdem
ich alle Umstände wohl erwogen habe, will ich mein Urtheil zurück-
halten, bis ich etwas Näheres über seinen Charakter weiß. Im
Bericht über seine zweite Reise sagt Herr von der Decken nichts
über die Höhe des Berges und über den ewigen Schnee. Der
nächtliche Schneefall in der heißesten Jahreszeit, fast unter den:
Aeqnator, in einer Höhe von 13,000 Fuß, ist offenbar herbei-
geholt, um Krapf's wunderliche Behauptung, daß ans dem Kili-
mandscharo ewiger Schnee in einer Höhe von 12,500 Fuß und tiefer
liege, zu bestätigen."
In allen Mittheilungen des Herrn von der Decken findet
Cooley nichts Ueberzeugendes; sein wissenschaftliches Verfahren
charakterisire sich durch seltsame Wunderlichkeit; seine Resultate
hätten mit Genauigkeit nichts zu schaffen; er sage gar nichts über
die Refraktion, welche doch ein Gegenstand sorgfältiger Prüfung
für ihn hätte sein müssen; seine Beobachtung sei auf einen äußerst
engen Kreis beschränkt, er trete überall in die Fußtapfen der
Missionäre; wenn er aber einmal einen selbständigen Schritt thue,
dann zeige er, wie werthlos seine Arbeiten seien. Krapf erzählt,
er habe, nachdem er die Hochebene von Schimba überschritten, einen
Blick auf eine große, meeresgleiche Ebene gehabt, die sich nach
Westen hin weit in's Innere erstrecke. Krapf und Rebmann er-
wähnen Ndungi's (d. h. Thonstätte), von wo, etwa 15 Miles von
der Küste, ein Abhang von etwa 200 Fuß zum Niveau der Ebene
40*
316
Nilquellen und Kilimandscharo.
herabführe, auf welcher sich die Berge erheben, vereinzelt, wie
Häuser; nach Rebmann hat diese Ebene ihren Abfall gegen Westen
hin. Im niedrigsten Theile derselben liegt der Iibe-See, welcher
Herrn Rebmann gezeigt wurde; er konnte ihn aber, weil er kurz- j
sichtig ist, nicht sehen. Nun ist Herr von der Decken von Schimba
in diese Ebene hinabgestiegen; er ging erst nach Süden hin, kam
auf einem Umweg an den Jibe-See und sagt uns, daß dessen
Küsten eine absolute Höhe von 1700 oder 1800 Fuß hätten; das
wäre aber 1200 Fuß mehr als was ans Krapf's und Rebmann's !
Angaben gefolgert werden kann; da Rebmann von Kilima den an
der Küste liegenden, 2500 Fuß hohen Berg Jambo sehen konnte,
so ist es klar, daß jenes zwischen inne liegende Land nicht jene
Höhe haben kann. Die Höhe also, welche Herr von der Decken
dem See Jibe giebt, muß als durchaus unzulässig verworfen
werden. Aber über diesen Landstrich kam der Baron, uni den
Kilimandscharo zu erreichen, und machte Nivellirungen, welche ihm
zur Höhenbestimmnng des Berges dienten. Hier ist also Alles
falsch, und die Angaben von der Decken's sind durchaus werthlos.
-------In Bezug ans die Schneeberge ist er aber mit seinen Ent-
deckungen offenbar am Ende; er hat durch seinen unduldsamen
Fanatismus die Feindschaft des Herrschers und der Bevölkerung
von Sansibar provocirt, er gesteht selbst ein, daß er es für das
verdienstlichste Werk halte, den Mohammedanern zu schaden, wo
er nur könne. —
Das sind die scharfen und bitteren Ausfälle Desborough
Cooley's gegen Herrn von der Decken. Wir registriren dieselben
nur, weil sie voraussichtlich zu weiteren Erörterungen Anlaß geben,
und weil es sich dabei um das Problem der Schneeberge im
äquatorialen Afrika handelt.
Schon früher haben wir einmal darauf hingewiesen, daß in
der Londoner geographischen Gesellschaft ein heftiger Zwist ans-
gebrochen sei, der in der jüngsten Zeit immer bitterer wird. Es
scheint sich in jenem Verein ein Cliquenwesen ansgebildet zu haben,
und nianche Mitglieder beschweren sich über Mangel an Berücksich-
tigung, über tyrannische Beeinträchtigung und dergleichen mehr.
Herr Cooley, der seine Verdienste nicht gewürdigt glaubt, nimmt
nun Gelegenheit, auch jene Körperschaft hart anznlassen. Sie habe
ohne Weiteres des Herrn von der Decken Angaben über die Schnee-
berge für wahr angenommen, und deshalb stellt er ihr folgende
Fragen, die sie beantworten solle: 1. Hat sie von Herrn von der
Decken genaue geographische Daten erhalten? 2. Kam die
Entscheidung über die Zuverlässigkeit von v. d. Decken's Angaben
von sachverständigen Mitgliedern, z. B. von den Herren Waugh,
Everest und Aule, oder nur von dem bisherigen Sekretätär, vr.
Norton Shaw? Hatte sie eine wissenschaftliche Unterlage, oder
war sie blos eine politische Maßregel zu Gunsten des Puffs und
der Ankündigung gegen forschende Untersuchung und Beweis-
führung? Auch wäre es wohlgethan, wenn Sir R. I. M ur chiso n,
der vor drei Jahren an dem ewigen Schnee auf den Bergen unter
dem Aequator zweifelte, nun die Gründe angäbe, welche ihn be-
wogen, seine frühere Ansicht zu ändern. —
Zum Schlüsse kommt Cooley ans das obenerwähnte „Netzwerk
von Flüssen", welches Livingstone im Innern Südafrikas entdeckt
haben wollte. Indem die geographische Gesellschaft nach den An-
gaben des Reisenden eine „sorgfältig ansgearbeitete" Karte ent-
werfen ließ, habe sie auf eine geradezu schmachvolle Weise Verstöße
gegen die Grundzüge der physischen Geographie sich zu Schulden-
kommen lassen. Livingstone war völlig im Jrrthum, als er an-
nahm, die früheren portugiesischen Reisenden seien nicht von Tete,
sondern von Zumbo aus (das 200 Miles weiter nach Westen liegt),
nach dem Innern aufgebrochen. Livingstone sagte, Lacerda's
Papiere seien verloren und von Gamitto's Reisebericht hatte er
nie etwas gehört. Aber Lacerda's Tagebuch und Gamitto's
Bericht befanden sich in der Bibliothek der geogra-
phischen Gesellschaft. Ein Auszug aus dem erstern steht in
Cooley's Werk: „Jnnerafrika laid open", das 1852 erschienen war,
und ans einer gleichzeitig veröffentlichten Karte war Lacerda's Reise-
weg deutlich angegeben; Dr. Norton Shaw stellte sich, als ob er
von dein Allen nichts gewußt habe. „Die Wahrheit wurde unter-
drückt; ein schmachvolles Gewebe absichtlichen und planmäßigen
Nichtwissenwollens und falscher Angaben wurde im Namen der
Londoner geographischen Gesellschaft dem Publikum vorgelegt."
Man sieht, welch einen hohen Grad von Bitterkeit eine wissen-
schaftliche Streitsache in England schon erreicht hat, und wieviel
Persönliches hineingemischt wird Wir können aber, der Sache
wegen, um welche es sich im Grunde handelt, diese Angelegenheit
nicht ganz ignoriren.
Nachschrift. 12. August. Wir schrieben das Obige vor
sechszehn Tagen; seitdem hat sich unsere Annahme, daß der leidige
Streit sich weiter ansspinnen werde, bestätigt. Den Schauplatz
bildet auch jetzt das „Athenäum", in welchen: (Nr. 1866) Hein-
rich Barth für Herrn von der Decken gegen Cooley anftritt.
Unser berühmter Landsmann geht mit dem in seiner Theorie ver-
bissenen, in der That äußerst hartnäckigen englischen Geographen
sehr unsanft um. Allerdings hat Herr Cooley durch seine ge-
radezu ingrimmige Wuth und die bösartigen Ausfälle gegen Herrn
von der Decken allen Anspruch auf Nachsicht verwirkt, und wir
finden Barth's Unwillen und Zorn gegen einen so rechthaberischen
Mann vollkommen gerechtfertigt. Aber es wäre doch gut gewesen,
wenn er in der Polemik weniger derbe Ausdrücke gewählt hätte.
Cooley trägt freilich die Schuld, daß dieselbe einen so unerquick-
lichen, persönlichen Charakter genommen hat. Er bezeichnet Herrn
v. d. Decken als einen Ignoranten und Lügner; der Mann des
Stndirzimmers, der sich für unfehlbar haltende Theoretiker, will
Alles besser wissen als der Reisende, der an Ort und Stelle war
und mit eigenen Angen beobachtete; und weil nun die Wahr-
nehmungen des Letztern mit der Theorie des Erstern nicht stimmen,
soll jener ein Betrüger sein!
Barth ist darüber mit Recht erppört und rechtfertigt Herrn
von der Decken in Bezug auf die oben von uns mitgetheilten Aus-
fälle Cooley's, der blind und steifnackig an Meinungen festhalte,
welche er sich ein- für allemal zurechtgemacht habe. Von derDecken's
Mittheilungen sind durch Barth der gelehrten Welt bekannt ge-
worden. Die Briefe der Reisenden sind an ihn gerichtet; er hat
also die Aufgabe, seinen Freund zu vertheidigen.
Cooley, sagt er, verfährt sophistisch, stellt die Dinge in falschem
Lichte dar und erlaubt sich böswilligeVerdrehnngen. Dahin gehört
die Behauptung, daß Herr v. d. Decken zu Mombas vom Missionar
Rebmann Erlaubniß bekommen habe, sich in's Innere zu be-
geben, um — Rebmann's und Krapf's frühere Angaben über den
Schnee auf dem Kilimandscharo zu bestätigen! Aber der Baron
ist ein Mann von durchaus selbständigem Charakter, und es er-
scheint geradezu lächerlich, anzunehmen, daß Rebmann, der ohne-
hin in seiner Mission bedrängt genug ist, in der Lage sei, über-
haupt eine Erlaubniß zum Reisen in's Innere zu ertheilen.
Cooley's ganzer Aufsatz zeuge von des Verfassers „Unwissen-
heit und Stupidität". Es sei nicht wahr, daß die Missionäre
Krapf und Rebmann von irgendwelchem bestimmenden Ein-
fluß auf Herrn von der Decken's Beobachtung und Urtheil gewesen
seien. Der Letztere habe bisher nur allgemeine Resultate und
runde Ziffern nach Europa gemeldet; das sei aber ganz in der
Ordnung, weil die speciellen Angaben einer größern Arbeit Vor-
behalten seien. Diese werde, sammt einer Karte, erscheinen und
Cooley's Andeutung, daß der Reisende keine hypsometrischen Werk-
zeuge gehabt habe, sei eben so falsch wie die Andeutung, daß er
wahrscheinlich den Verlust von Papieren vorschützen könne, weil
er nichts gesehen und beobachtet habe, böswillig und „schamlos".
Dasselbe gelte von der Behauptung, der Baron habe den Berg
Meru nicht gesehen, obwohl er ausdrücklich meldet, daß er ihn
erblickte, und dasselbe sagt auch sein Begleiter Thornton.
Der Baron habe allerdings in dem kurzen Bericht über seine,
Nilquellen und Kilimandscharo.
317
gemeinschaftlich mit Doktor Kersten unternommene, zweite Be-
steigung des Kilimandscharo Nichts über den Gipfel des Berges
und dessen ewigen Schnee gesagt. Cooley meine: die Angabe,
daß in der heißesten Jahreszeit, unter dem Aequator, in einer an-
geblichen Höhe von 13,000 Fuß Schnee gefallen, behaupte
v. d. Decken nur, um Krapf's wunderliche Angabe, daß in einer
Höhe von 12,500 Fuß ans denk Kilimandscharo ewiger Schnee
liege, zu bekräftigen. Darin, sagt Barth, liegt eine böswillige
Verdrehung und eine ganz ungerechtfertigte Unterstellung. Denn
was haben die beiden Reisenden zu schassen mit einer irrigen Mei-
nung des Dr. Krapf, welchem es an Kenntnissen in der physikali-
schen Geographie fehlte, und der nur eine sichere Thatsache kon-
statiren wollte, die nämlich, daß ans dem Kilimandscharo Schnee
liege. Er stellte dieselbe fest ohne Bezug auf die Höhe der Schnee-
linie; erst späterhin äußerte er, von anderen Leuten dazu bewogen,
die obige Ansicht über die Höhe, bis zu welcher herab möglicherweise
ewiger Schnee liegen könne. Das Alles hat aber mit den persön-
lichen Beobachtungen des Herrn von der Decken nichts zu schassen.
Diesem ist es gar nicht eingefallen, die Höhe von 13,000 Fuß als
die Schneelinie zu betrachten; er sagt im Gegentheil in seinem
Briefe, daß er die Schneelinie wohl erreicht haben würde, wenn
er noch zwei oder drei Stunden länger die Bergwanderung hätte
fortsetzen können. Das war ihm jedoch nicht möglich, weil seine
Begleiter ermüdet und durch die dünne Luft sehr angegriffen
waren. Er sagt ferner, daß Schnee in einer Höhe von 11,500 bis
12.000 Fuß gefallen, aber durch den Einfluß der Sonne bald
wieder geschmolzen sei. Er siel in der Nacht vom 28. auf den
29. September, als der Baron sein Lager in einer Höhe von über
10.000 Fuß hatte, der Thermometer -ff 0,5 C. zeigte, ein scharfer,
eiskalter Wind wehte, und gelegentlich auch Regengüsse nicht fehlten.
Barth widerlegt auch die übrigen Behauptungen Cooley's
schlagend genug, und findet in allen nicht eine Spur von Wahr-
haftigkeit, sondern lediglich böswillige Verdrehungen. Aber auch
er mißbilligt ausdrücklich den Haß des Barons gegen den Moham-
medanismus und äußert sich darüber ganz in der Weise, wie wir
es schon vor ein paar Monaten im Globus gethan haben.
So viel von dieser Polemik. Cooley, der „obstinate", hat sich
aber auch in die Kontroverse über die Nilquelle gemischt (Athe-
näum Nr. 1866) und dabei seine Beschuldigungen gegen die Lon-
doner geographische Gesellschaft wiederholt. Daß Speke'sNachrichten
vielfach unbestimmt und sehr dürftig sind, daß durch sie das große
Problem nnr theilweise gelöst worden ist und noch viel mehr zu thnn
bleibt, als bis jetzt geschehen, das haben wir, wie unsere Leser
wissen, gleich anfangs gesagt. Cooley Hai gewiß Recht, wenn er
Herrn Speke, der gar kein Gelehrter ist, dringend warnt, sich ans
geschichtliche Auseinandersetzungen, auf Ptolemäus, Cäsar, die
Mondgebirge und dergleichen mehr einznlassen; er solle vielmehr
einfach erzählen, was er gesehen und erlebt habe.
Cooley meint, daß in Bezug der Entfernung zwischen dem
Nyanza-See und der Station Gondokoro am Weißen Nil die
Ansichten irrig seien; sie betrüge nicht 4, sondern wenigstens
8 Breitengrade, also doppelt so viel als in Speke's (in der That
höchst dürftiger) Kartenskizze angegeben sei. Durch d'Arnaud und
Sabatier sei, seit 1841, der obere Weiße Nil viel zu weit nach
Westen hin in die Karten eingetragen worden. Alle Reisewege
zwischen dem Nil und den übrigen Flüssen jener Gegend zeigen, daß
die Entfernungen zwischen ihnen geringer ist, als unsere Karten
angeben. Man hat die magnetische Deklination in jener Gegend
um 3° zu gering angenommen, und den Strom zu weit nach Süden
und Westen hineingerückt. Trotz aller kritischen Einwendungen
Cooley's wurden von Seiten der Londoner geographischen Gesell-
schaft jene Entfernungen, 1859, noch mehr verkürzt. Sie nahmen
an, daß die ägyptische Expedition von 1839 unter Selim Bimbaschi
auf dem Weißen Nil bis 3° 35' gekommen sei. Auf der zweiten
Expedition, 1841, ergab sich aber für diesen Punkt die Breite von
6» 35'. d'Arnaud war ein unfähiger Mann; Sabatier's Auf-
zeichnungen sind 1861 in Paris sorgfältig geprüft und als werth-
los erkannt worden; wie das auch mit Peney's Beobachtungen
geschehen ist. Bisher sind am obern Weißen Nil noch keine genauen
Beobachtungen mit guten Instrumenten von sach- und fachkundigen
Gelehrten angestellt worden. Den Positionen am Weißen Nil,
über welche wir, seit 1841, Angaben bis 40 42' 42" N. Br.
haben, fehlt es an einer sichern Unterlage.
Die österreichischen Missionäre (Knoblecher re.) fanden, daß
man die Stromfahrt von Gondokoro nach Chartum, welche zu
Berg 60 bis 70 Tage in Anspruch nahm, zu Thal in sechszehn
Tagen machen könne. Sie zeichneten die Entfernungen zwischen den
verschiedenen Haltpunkten ans und fanden, daß jene von Gondokoro
bis zur Mündung des Sobat 184 geographische Meilen betrage.
Der Strom hat unmittelbar oberhalb dieser Mündung eine west-
östliche Richtung und weiter aufwärts einen sehr gewundenen Lauf:
man kann deshalb annehmen, daß die meridionale Entfernung
zwischen jenen beiden Punkten nur etwa die Hälfte jener obigen
Distanz betrage, etwa anderthalb Breitengrade. Gondokoro kann
also nicht unterhalb des 8. Breitengrades liegen.
Wahrscheinlich wird man Speke's Reiseweg in seiner nördlichen
Abtheilnng um drei bis vier Breitengrade v erlängern müssen,
Das kann um so weniger auffallen, wenn man bedenkt, daß er ein
ganzes Jahr bedurfte, um eine Landstrecke znrückzulegen, welche auf
seiner Karte nur 200Miles (etwa 50 deutsche Meilen) lang erscheint.
Wahrscheinlich wird man aber auch die südliche Abtheilung
verlängern müssen, weil doch wohl Kaseh, der auf Burton's
Reise am weitesten nach Norden hin bestimmte Punkt, viel zu weit
nach Norden hinanfgerückt zu sein scheint. Burton's und Speke's
Instrumente waren, wie wir von beiden Reisenden wissen, im
schlechtesten Zustande. Die Breitenangaben auf der Karte, welche
die geographische Gesellschaft zu Burton's Reise zeichnen ließ, sind
dieselben, welche wir in Speke's Notizbuche finden, und das Him
ansrücken des Tanganynika-Sees nach Osten hin beruht nicht ans
Berechnung. Als ich die Originalkarte sah, äußerte ich sofort, daß
der Punkt ttdschidschi am Seegestade zwei Grade weiter östlich, vom
28. auf den 30.", gelegt werden möchte, und das geschah denn auch
ohne Weiteres, ohne Berechnung. Solche Dinge werden freilich
jetzt nicht Vorkommen, da die Beobachtungen, welche Speke auf
seiner letzten Reise gemacht hat, in die Hände des königlichen
Astronomen gelangt sind.
Wenn wir richtige Angaben über die Position des Weißen Nils be-
kommen, dann wird hellesLicht ans dieGeographie jenerGegend fallen.
Das sind Cooley's Ansichten über diesen Punkt. Wir wollen
bei dieser Gelegenheit erwähnen, daß das Nilproblem sehr aus-
führlich von einem unserer tüchtigsten Geographen schon vor Jahren
sehr eingehend erörtert worden ist. Wir meinen „das Strom-
system des Obern Nil; nach den neueren Kenntnissen
mit Bezug auf die älteren Nachrichten, von Dr. G. A.
von Klöden" Berlin 1856. Mit 5 Karten. Es ist ein Werk
voll umfassender Gelehrsamkeit und ausdauernden Fleißes. Daß
es viele Hypothesen enthält, von denen manche sich nicht bestätigt
haben, das liegt in der Beschaffenheit der Quellen, welche zur
Benutzung Vorlagen. Seit acht oder nenn Jahren haben wir ge-
rade über jene Region eine Fülle neuer Berichte erhalten, und
Petermann's Karte, auf welcher das Nene eingetragen ist, zeigt,
in wie beträchtlicher Weise unsere Kunde erweitert worden ist. In
Bezug auf die neuen Entdeckungen schrieb uns vor einigen Tagen
Herr von Klöden: „Von Manchem, was ich vor acht Jahren an
nahm, muß ich nun Abstand nehmen. Noch bleibe ich aber bei
meiner Ansicht über den Hauptstrom des Nil, denJlas; ferner
bei der Existenz des Habahia oder Uabus, wie ihn die Karte
giebt, und mit Schmerzen würde ich vom Nil der Schwarzen ab-
lassen, — was aber noch keineswegs nöthig ist."
Wer sich mit dem „Nil-Problem" beschäftigt, kann nicht umhin,
das ungemein reichhaltige Werk des Herrn von Klöden sorgfältig
zu studiren.
318
Kleine Nachrichten.
Kleine Nachrichten.
Manila durch ein Erdbeben zerstört. Wir finden in der
Overland China Mail vom 13. Juni eine Correspondenz aus dieser
Hauptstadt der Philippinen vom 4. jenes Monats, dem wir
Folgendes entnehmen:
Gestern Abend um 7 Uhr schlug plötzlich eine gewaltige
Flamme aus der Erde empor und umzüngelte unsere Stadt, welche
so oft als die „schönste Blüte des Ostens" bezeichnet worden ist.
Gleichzeitig hatten wir ein fürchterliches Erdbeben, das zwar kaum
eine Minute dauerte, aber in dieser kurzen Zeilfrist unser herrliches
Manila in einen Trümmerhaufen verwandelte. Paläste, Kirchen
und Wohngebäude sind nur noch Schutthaufen, überall sehe ich
nur Tod und Verwüstung. Kaum giebt es ein Haus, in welchem
nicht Tode oder Verwundete zu beklagen wären. In der Dom-
kirche war eben Vesper; sie ist zusammengestürzt und hat Priester
wie Laien erschlagen; dasselbe war in allen anderen Kirchen der
Fall, jene des heiligen Augustin ausgenommen, welche auch
während des Erdbebens von 1045 unversehrt stehen geblieben ist.
Der Regierungspalast und andere öffentliche Gebäude sind ver-
nichtet. Die Fremden können von Glück sagen; Keiner von ihnen
ist todt, und nur zwei sind verwundet worden. Das britische
Konsulat ist völlig zerstört und nur noch ein Trümmerhaufen. Die
Bewohner haben sich bei diesem gräßlichen Unglück musterhaft be-
nommen; Gouverneur und Erzbischof gaben ein vortreffliches
Beispiel. Manila ist heute beinahe menschenleer, denn die Mauern,
welche etwa noch stehen, drohen den Einsturz und man befürchtete,
daß das Erdbeben sich wiederhole. Bevor es kam, verspürte man
Schwefelgeruch, dann ein Getöse, als ob Kanonen donnerten,
oder als ob ein gewaltiger Eisenbahnzug heranbrause. Die oben
erwähnte Flamme, welche um die Stadt herum lief, stieg von
der Bay ans zum Himmel empor; eine andere züngelte dreifach
in die Luft; diese kam vom Lande her, zog nach dem Wasser hin,
auf welchem die Schiffe drei Fuß hoch in die Höhe geworfen
wurden; am Land ist der Erdboden um eine gute Elle gesunken.
Geographie dcntschcr Ortsnamen. Es ist eine bekannte That-
sache, daß ans jedem Gebiete, wo sich ein Volksstamm in orga-
nischer Weise niederließ, eine gewisse regelmäßige Einförmigkeit
der Grundwörter in der Ortsbezeichnung sich erkennen
und dadurch gleichsam der Sitz eines solchen Stammes geographisch
begrenzen läßt. Der bekannte tüchtige Forscher Ernst Förste mann
hat so eben ein treffliches Werk über „deutsche Ortsnamen" (Nord-
hausen 1803) veröffentlicht, in welchem auch ans die Geographie
derselben, oder die Ortsnamen im Raume, Rücksicht ge-
nommen wird.
Die Frage nach der geographischen Verbreitung einzelner
Grundwörter von Ortsnamen hängt mit den Verbreitungs-
kreisen und Wandernngsrichtnngen der Volksstämme eng
zusammen. Eine solche zusammengehörige Gruppe von Volks-
stämmen und Landschaften sind z. B. die Nordseeküstenländer
von Holstein bis nach Flandern; das Wort Deich, niederdeutsch
Dyk, das einen gegen die Flnthen aufgeworfenen Damm be-
zeichnet, das Wort Geest, das weniger fruchtbare Land hinter
der sehr fruchtbaren Marsch, finden wir nur dort. Andere in
diesem Gebiete vorkommende und bezeichnende Grundwörter sind
Fleeth, (ein Gefließ, z. B. in Elsfleth), Wiesch, die nieder-
deutsche Form für Wiese, Bülte, ein Hügel, das besonders im
Oldenburgischen sehr verbreitet ist; dann Siel, das einen Kanal
durch den Deich bedeutet n. s. w.
Ein zweites Gebiet geographischer Ortsnamen zeigt sich in den
niedersächsischen Orten südlich von den vorher erwähnten. Am
vollständigsten wird dieses Gebiet bezeichnet durch Wörter, die sich
auf — kühl (— Grube) enden. Diese Schreibung gilt von Holstein
bis Düsseldorf, dann tritt bei Aachen die Form — kanl auf und
in den Niederlanden — knil. Hierher gehören auch die sich ans
— siek ( feuchte Niederung) und Hude endigenden Wörter. Die
Endung — Mittel finden wir am häufigsten in der Lüneburger
Haide; sie hat ihre Nordgrenze in Holstein und ihre Südgrenze
bei Wolfenbüttel im Braunschweigischen; sie bedeutet etwas Ge-
bautes. In demselben Bezirke liegen auch die Orte, welche auf
— Wedel ausgehen; ihm liegt die Bedeutung „feuchte Gegend"
zu Grunde; Beispiele sind Salzwedel, Steinwedel u. a. Namen
auf — scheid, wie Lüdenscheid, bezeichnen am Niederrhein eine
Wasserscheide; sonst finden sie sich in Deutschland nirgends.
Als Repräsentant der Ortsnamen im Süd westen unseres
Vaterlandes kann das sich selbst bezeichnende— weiter gelten;
im Osten Deutschlands finden wir gar keine Orte, die sich auf
dieses Wort enden, und das ist eine bedeutsame Thatsache zur
Geschichte der Besiedelung jener Länder, Nein schweizerisch
sind die Namen auf fluh oder flüh. Die Formen auf — waug
zeigen sich fast nur südlich von der Donau an den Lechqnellen, im
badischen Oberrheinkreis und am Inn.
Orte mit derEndung —leben (vielleicht ein Erbe bezeichnend)
ziehen sich von Thüringen bis nach Schleswig (z. B. Hadersleben)
in einer langen Linie hinauf. Rode hauptsächlich in einst waldigen
Gegenden, z. B. am Harz (Wernigerode, Elbingerode) bezeichnet
einen Ort wo das Holz ansgerodet ward.
Bezeichnungen mit — stein, — bürg, — berg, — stadt,
finden wir allenthalben und sie sind, als allen germanischen Völker-
stämmen eigen, von keiner besondern Bedeutung. Im Osten
unseres Vaterlandes treten dann wieder slawische Ortsnamen auf
— itz und — ow auf; doch sind auch noch hier gut deutscheNamen,
theilweise aus der Zeit vor der Eroberung durch die Slawen im
vierten Jahrhundert, nachzuweisen. Keltische und roinanische Namen
finden wir im Süden und Westen.
An einem schlagenden Beispiele weist Förstemann nach, wie
sich der Charakter der Ortsnamen in einer niedersächsischen
und oberdeutschen Gegend in Zahlen ansdrücken läßt. Er legte
350 Ortsnamen ans der Nordhauser und 213 ans der Stuttgarter
Gegend zu Grunde; diese vertheilten sich folgendermaßen:
Nordhausen: Stuttgart:
auf — rode 21 Procent, auf — ragen 20 Procent,
— uugen 9 „ — hausen 9
— stadt 5 „ — heim 8
— hausen 4 „ „ — bach 8 „
— dorf 4 „ — berg 6
— leben 6 „ „ — weiter 5
Neue russische Städte im Amurlande. Wir gaben vor
einiger Zeit einen Bericht über des Missionars Franclet Reise
anf dcm Sungari und dem untern Amur, und werden demnächst
Mittheilungen über diese interessante Region aus dem gediegenen
Werke geben, welches unser Landsmann Ravenstein zu London
in englischer Sprache heransgegeben hat. Heute bringen wir einige
Mittheilungen über neuangelegte Ortschaften im Amurgebiete
nach einer russischen Quelle.' Der Verfasser, Maksimow, bemerkt
aus dem Jahre 1860 unter Andern::
Ein großer Theil des linken, von Pen Russen besetzten Amnr-
nfers zeigt einen niedrigen, waldlosen Steppencharakter; dieses ist
entschieden sandiger und niedriger als das rechte, noch chinesische
Ufer, besonders von dem Punkt ab, wo der Amur die Fluten der
doppelt so breiten Seja aufnimmt. An diesem flachen Ufer haben
die Russen ihre neuen Städte angelegt, die bis jetzt einen noch
ganz militärischen Charakter zeigen. Die bedeutendste unter ihnen
ist Blagowjeschtschensk, welche zu schildern es gerade keiner
glänzenden Farben bedarf. Von allen Seiten hört man hier noch
das Klingen der Aexte und Kreischen der Sägen, aber nur in der
Hand russischer Soldaten. Soldaten schleppen die Balken von den
großen Flößen ans an's Ufer, zersägen sie ans den Plätzen, fügen
die Häuser zusammen und singen dabei ihre melancholischen Volks-
lieder. Hier und da Kanonen, Militär- und Civilbeamte, Muni-
tiousvorräthe und derlei Sachen geben dem ganzen Städtchen einen
soldatischen Charakter, aber einem Mann in Civilkleidung be-
gegnet man selten. So ist diese Stadt wie ein künstliches Gewächs
ans Befehl der russischen Regierung entstanden. Auf einem Raume
von zwei Werst ziehen sich in ganz gerader Linie an dem flachen
Ufer des Amur sechszehn gleiche Häuser hin; alle sind ans Holz,
und nur die Dächer mit Ziegeln gedeckt. Keine Umfriedigung ist
zu sehen; wüste Plätze, mit Schutt bedeckt, treten an die Stelle der
Gärten; von einem Baume keine Spur; nur Steppen,
nichts als Steppen nach allen Seiten!
Die Zukunft von Blagowjeschtschensk mag Etwas versprechen,
aber jetzt ist der Eindruck, den es auf den Fremden hervorbringt,
ein ungemein niederschlagender; es gleicht einer in Eile erbauten
Kaserne, kalt, mit Zugluft und tröpfelnden Dächern; von Linien-
soldaten zusammengezimmert, in deren Händen sich zum ersten
Mal ein schlechtes Beil befand, kann es auf Solidität des Baues
keinen Anspruch machen. Der Schnee dringt durch die Lücken im
Fachwerk ein, der Wind pfeift durch die Fensterrahmen, in welchen
das Moos zur Ausfüllung der Zwischenräume fehlt. Nur drei bis
vier Zimmer in der ganzen Stadt haben Oefen; in den übrigen
sitzt man im Pelze. Man lebt in der Zukunft und nicht in der
Gegenwart. Eine leicht aufgeführte Kirche und zwei Packhäuser
stechen von den einförmigen Kasernen ab, ebenso einige Getreide-
schuppen. Aber die Häuser, in welchen künftig einmal Kaufleute
und Handwerker wohnen sollen, müssen erst noch gebaut werden.
Die Mehrheit der Einwohner zieht es aber noch vor, in Erdhütten
zu wohnen, welche am Ende der Stadt liegen; es sind dies Sträf-
linge, die ihre Strafzeit überstanden haben, und einige freie An-
Kleine Nachrichten,
319
siebter, — das ganze „bürgerlich e" Element der Hauptstadt des
Amurlandes.
Unterhalb Blagowjeschtschensk gewinnen die Ufer des Amur
ein etwas mannichfacheres und lebhafteres Aussehen; doch ist die
Vegetation noch immer karg, da mau nur kleines Strauchwerk
sieht. Je mehr man sich aber der 35 Werst entfernten Mand-
schurenstadt Aigun nähert, desto freundlicher wird der land-
schaftliche Charakter. Schon dieser letztern Stadt gegenüber er-
blickt man das Mandschnrendorf Sachalan-Ula, und weiterhin
ist das ganze rechte Ufer mit Ansiedelungen wie besäet, während
sie auf dem linken nur in großen Abständen sich zeigen. Ihr
Aenßeres hat nichts Ungewöhnliches, aber nach den menschenleeren
Ufern des obern Flusses bringen sie einen angenehmen, erquicken-
den Eindruck hervor. Hierzu kommt noch der wichtige Umstand,
daß alle diese Mandschnrendörfer mitten unterHaincn
liegen, welche schon im Mai in dichtem frischen Grün prangen.
So nackt und baumlos die neue russische Stadt ist, so schön be-
laubt sind die Dörfer der Mandschuren. Wie eö heißt, gebietet
ihnen die Religion, die Gräber ihrer Väter und Ahnen mit
Bäumen zu bepflanzen, die fortan als ein unantastbares Heilig-
thum verehrt werden; wer sie umhaut, wird zum Tode vernrtheilt.
Die Russen dagegen bemühen sich Alles anszuroden, und eine kahle,
traurige Ebene erstreckt sich um die neue Stadt Blagowjeschtschensk,
während auf der chinesischen Seite des Flusses sich bis zur Stadt
Aigun ein dichtes Grün hinzieht. —
Da, wo der wasserreiche Fluß Ussuri in den Amur fällt, er-
hebt sich ein mächtiger Felsen, auf dessen Vorstufen und Abhängen
sich eine neue russische Ansiedelung befindet, die nach dem ersten
Eroberer des Amurlandes, dein wilden und rohen General Cha-
barow, den Namen Chabarowka erhielt. Ihre Entfernung von
Blagowjeschtschensk beträgt etwa 930 Werst, von Nikolajeffsk etwa
906 Werst.
Sie besteht fast ausschließlich aus großen Kasernen und
kleinen Häusern der verheiratheten Soldaten. Bedingt durch die
Bildung des Bogens, der in zwei oder drei Terrassen abfüllt, ist
Chabarowka so gebaut, daß nicht ein einziges Hans, wie klein
und unschön es auch sein mag, dem Auge entzogen oder von einem
andern verdeckt wird; dadurch erhält der Ort bei einer verhältniß-
mäßig geringen Anzahl von Gebäuden dennoch das Ansehen einer
großen, gutgebauten und volkreichen Stadt. Mit den vielen Ka-
sernen wechseln dieHänser der Amur-Kompagnie, sowie einige
Erdhütten ab. Zwischen den Häusern sind hier und da Gemüse-
gärten angelegt, und als großes Zeichen des Fortschritts gilt eine
ebene, etwa zwei Werst lange Straße, die von einem Ende der
Niederlassung zum andern führt. Ganz im Gegensätze zu Bla-
gowjeschtschensk ist Chabarowka mit thcilweise noch bewaldeten !
Bergen umgeben, in denen freilich die Axt der russischen Soldaten i
arge Verwüstungen anrichtet. Von dem Berg ans übersieht mau
die ganze Stadt, den Ussuri mit seinen Sandbänken, den breiten
Amur, welcher die Niederung durchstießt. Am rechten Ufer des
Amur stehen noch dichte, tausendjährige Waldungen mit ihren
Eichen, Lärchen, Buchen, Nußbäumen n. s. w. Von hier an ist
auch das rechte Amurufer russisches Territorium und
gehört mit dem linken zu der neugebildeteu Küstenprovinz (Pri-
morskaja ob last) des östlichen Sibiriens.
Jedenfalls ist Chabarowka zu den schönsten, bestgelegenen
Orten am ganzen langen Laufe des Amur zu rechnen und vereinigt
in sich alle Bedingungen, welche dazu nöthig sind, um die Ansiede-
lung mit der Zeit in eine ordentliche Stadt zu verwandeln.
Mariinsk unterscheidet sich von Chabarowka nur dadurch,
daß mau freie Kolonisten sieht und eine ganze Straße ans An-
siedlern besteht; aber trotzdem herrscht das militärische Element vor.
Der Ort hat weder eine Kirche, noch eine Kapelle. Unterhalb
Mariinsk wohnen Giljaken, oberhalb Golden. Unter den
Erstereu haben russische Bauern ans dem Gouvernement Irkutsk
eine Anzahl von Dörfern angelegt.
Der untere Amur, zwischen Mariinsk und Nikolajeffsk, ver-
liert den Charakter eines Stroms; zwar ist das Wasser noch süß,
aber es ist breit und schlägt Wellen wie auf dein Meere. Bis
Mariinsk kommen Heerden von Kaschelots (Potsischeu) aus dem
Meere, wie denn auch Seefische in großer Menge den Fluß beleben.
Die Deutschen in Valparaiso. August Ernst erzählt in
seinem Buche über die Republik Chile mancherlei sehr Erfreu-
liches von unseren Landsleuten an der fernen Südwestküste Ame-
rikas. Unter den vielen Fremden in Valparaiso sind die Deutschen
auffallend stark vertreten und bilden ein wichtiges Element in der
Bevölkerung der Stadt. Sowohl als Kaufleute wie als Hand-
werker haben sie sich eine höchst geachtete Stellung zu verschaffen
gewußt durch ihre Gediegenheit und Intelligenz und es da-
hin gebracht, daß schon der Name „Alemán" als eine große
Empfehlung gilt. Valparaiso zählt etwa 30 deutsche Kaufmanns-
häuser, welche sehr ausgedehnte Handelsverbindungen haben.
Junge deutsche Kanflente, welche die nöthigen Sprachkenntnisse er-
worben haben, werden ganz besonders als Kassirer und Buchhalter
in chilenischen und englischen Handelshäusern gesucht. Auch sämmt-
lichen deutschen Handwerkern geht es gut; man findet an ihren
Häusern Schilder, z. B. Sastrería alemana (deutsche Schneider-
werkstatt), Carpintería alemana (deutsche Tischlerei) u. s. w.
Unter den mannichfachen gemeinnützigen Anstalten, welche
die Deutschen in Valparaiso gegründet haben, verdient zunächst
Erwähnung: „Der deutsche Verein zu Valparaiso." Zweck
dieses-Vereins, welcher schon seit länger als 20 Jahren besteht,
ist: „den in Valparaiso sich anfhaltcnden Deutschen und Deutsch-
sprechenden ein Mittel erheiternden und geselligen Umgangs zu
schaffen." Jeder Deutsche oder Deutschredende kann Mitglied des
Vereins werden. Das Eintrittsgeld ist etwas hoch und betragt
17 Thaler nach unserm Gelde. Der Verein zählte 1861 etwa
hundert Mitglieder; er hat eine ziemlich bedeutende, schöne Biblio-
| thek und hält sechszehn Zeitungen und Journale, worunter sich
die Kölnische Zeitung, Nationalzeitnng, Augsburger Allgemeine
Zeitung, der Kladderadatsch, die Weser-Zeitung, die Jllustrirte
Zeitung n. a. befinden. Dieser Verein trägt dazu bei, daß sich
die Deutschen eng und fest aneinander schließen, daß sie sich ihr
Nationalgefühl erhalten und nicht in der fremden Nationalität
untergehen. Auch für Vergnügungen, zu welchen die Familien
der Mitglieder zugezogen werden und die stets den deutschen Cha-
rakter auch äußerlich'an sich tragen, entwickelt der Verein große
Sorgfalt. Es werden Concerté veranstaltet, in denen Meister-
werke unserer großen Tondichter und vaterländische Lieder nur
von Deutschen vorgetragen werden; dann und wann finden auch
deutsche Theatervorstellungen statt.
Außer diesem Vereine haben sich in neuester Zeit noch zwei
andere deutsche Gesellschaften gebildet, von denen die eine sich
Handwerkerverein und die andere Arbeiterverein nennt. Der
letztere hat auf sein Programm auch noch Belehrung der Mitglie-
der durch Unterricht gesetzt.
Ein anderer Verein, der zu seinen Mitgliedern alle in Val-
paraiso lebenden Deutschen ohne Unterschied des Standes zählt,
ist der germanische Wohlthätigkeitsverein, welcher hülfs-
bedürftige Landsleute namentlich in Krankheitsfällen unterstützt.
Auch eine deutsche Schule besteht seit dem Jahre 1857 in
Valparaiso; sie zählt gegen hundert Schüler und unter diesen
selbst Kinder chilenischer Eltern und wird von der deutschen Ge-
meinde unterstützt, deren Zweck es immerdar bleiben wird,
„deutsche Sprache, Sitte und Bildung unter den Landsleuten in
Valparaiso möglichst zu erhalten und zu verbreiten."
Schiffsverkehr von St. Thomas in Westindien. Ans dieser
westindischen Insel kamen im Laufe des Jahres 1862 2409 euro-
päische und amerikanische Schiffe von 319,096 Tonnen Trag-
fähigkeit an. Unter diesen waren 114 deutsche mit 39,578 Tonnen.
Der Werth der eingeführten Waaren belief sich auf über sechs Mill.
Pfund Sterling, wobei England mit etwa der Hälfte oben an steht.
Bekanntlich ist St. Thomas ein Niederlagsort und Stapelplatz auch
für die Nordküste des südamerikanischen Festlandes.
Neues Graphitlager in Sibirien. Vor einiger Zeit (Globus II,
S. 374) gaben wir, nach Gustav Radde, einen Bericht über die
großartigen Graphitwerke, welche ein Herr Alibert im südöstlichen
Sibirien betreibt. Sie liefern das Material zu den berühmten
Nürnberger Bleistiften. Jetzt eben lesen wir, daß auch iin west-
lichen Sibirien der Graphit vorkommt, und Alibert eine Kon-
kurrenz erhalten werde. Ein Herr Sidorosi besitzt im Distrikte
Turuchausk am Jenissei große Graphitlager, die im Jahre
1859 entdeckt worden sind. Um das Material 'absetzen zu können,
hat er nun von Obdorsk (am Ob) bis zum Flusse Taff durch die
Tündern einen sehr kostspieligen Weg, 800 Werst lang mit 26 Sta-
tionen, bahnen lassen. Vom Jenissei bis zum Tass existirt eine
Straße und von Obdorsk aus nach der Mündung von Petschora,
wo der Graphit eingeschifft werden soll, ebenfalls.
Otago auf Neuseeland. Auckland, die Hauptstadt der
nördlichen Provinz der Nordinsel, ist dem Namen nach auch die
Hauptstadt von ganz Neuseeland ; in der Wirklichkeit aher, so weit
Handel, socialer Fortschritt, Bevölkerung und produktive Kraft den
Ausschlag geben, steht Otago (die Hauptstadt von Otago heißt
Dunediu; wir haben dieselbe früher geschildert) entschieden voran.
Mit wunderbarer schnelle hat diese Provinz alle anderen über-
holt. Im Januar 1861 war Otago noch ein unbedeutendes, ruhi-
ges Oertchen, kaum dem Namen nach bekannt. Aber welch ein
Wechsel! Das weitläufige Städtchen, damals kaum größer als
ein englischer Weiler, ist zu einer volkreichen Stadt herangewachsen,
in deren Hauptstraßen fast so viel Verkehr herrscht als in denen
320
Kleine Nachrichten.
Londons. Der Talisman, der diese Umwandlung bewirkt hat, ist
das Gold. Im August 1861 entdeckte Herr Gabriel Read Gold
in den Schluchten von Tuapika, und seit dieser Zeit ist kaum ein
Monat vorbeigegangen, ohne daß neue Goldfelder entdeckt worden
wären. Es ist kein Zweifel, daß Gold in großen Quantitäten
fast allerwärts in der Provinz vorkommt. Neue Felder oder
..Rushes", wie sie hier zu Lande heißen, kommen so häufig vor,
daß ihre Entdeckung kaum eine gelegentliche Aufmerksamkeit erregt.
Im August 1861, glaubeich, kam die erste Gold-Eskorte von
Gabriels-Gully (d.h. Schlucht, eine vom Wasser gebildete Furche)
nach Dunedin. Seit dieser Zeit nun sind 596,789 Unzen Gold
durch die Eskorten von den verschiedenen Goldfeldern gebracht
worden. Außerdem aber wurden bedeutende Quantitäten durch
Privathände befördert.
Unter allen Entdeckungen ist die des Whakatipa-Feldes
die bedeutendste, und die zauberähnliche Verwandlung einer ver-
lassenen, wilden Einöde in einen Schauplatz regen Lebens ist wirk-
lich staunenerregend. Man denke sich einen ausgedehnten See im
Innern dieser rauhen, wüsten Provinz, umgeben von schneebegipfel-
ten Hügeln und Bergen. Vor sechs Monaten lag es weil weg vom
Aufenthalte der Menschen. Es war kaum mehr bekannt als sein
Name auf der Karte. Da drang eine Bande abgehärteter Aben-
teurer in diese Wildnis; ein und fand sie reich an güldenen Schätzen.
Schnell wie der Wind verbreitete sich die Nachricht von dieser Ent-
deckung. Wenige Wochen sahen Tausende am See versammelt;
und jetzt, nach weniger als sechs Monaten, befahren mehrere
Dampfer den See,'Städte erheben sich an seinen Ufern, und
statt der Stille und Einsamkeit haben wir den Lärm und das
Schauspiel einer geschäftigen Bevölkerung. Im Monat Februar
brachte die Gold-Eskorte vom See 48,448 Unzen, und der wöchent-
liche Ertrag ist l 1,009 Unzen. Otago hat bis jetzt keine direkte
Verbindung mit England; sein Gold wird nach Melbourne ge-
schickt und geht erst von dort nach Europa. Die Bevölkerung der
Golddistrikte ist:
Waitahuna-Feld. 710 Seelen, davon 510 Miners
Gabriel's-Gully . . 1,100 750 „
Dunstan's „ . 4,500 3000 „
Mount Beuger . 1,200 1000
Whakatipa. . . . 7,000 5000
14,510 Seelen, davon 10,260 Miners.
(Aus der Correspondenz des „Star" von Dunedin,
Otago, d. d. 18. März 1863.)
Vulkane im inda-australischen Archipelagns. Der vortreff-
liche Naturforscher Malta ce, der früher schon ein ganz ausge-
zeichnetes Werk über den Amazonenstrom geschrieben, hat während
der letztverflossenen sieben Jahre die hinterindische Eilandflur be-
sucht und wir dürfen von ihm über diese interessante Region ein
werthvolles Buch erwarten. Neulich gab er in der Londoner
geographischen Gesellschaft eine Uebersicht der physischen Geographie
derselben. Der hochbejahrte Herr Crawfnrd, dessen „Geschichte
des indischen Archipelagns" vor nun 43 Jahren erschienen ist, und
immer noch eine Hauptfnndgrube von hohem Werthe bildet, gab
einige Nachrichten über die Eruption des Timboro, welche er
>814 selbst erlebt hatte. In einem Umkreise von 75 deutschen
Meilen war volle drei Tage lang Alles so dunkel wie in der
schwärzesten Nacht; der Monsun trieb die Asche, welche der Vulkan
auswarf, bis 300 deutsche Meilen weit, und zehn Tage lang
*■ mußte sich Crawfnrd beim Schreiben des Kerzenlichts bedienen.
Die Einwohner von Fiume. In der ausgezeichneten öster-
reichischen Revue 1863, Band II. finden wir «Skizzen aus dem
quarnerischen Gebiete von Dr. Lorenz in Wien, denen wir fol-
genden Auszug über die verschiedenen Nationalitäten der
Einwohner von Fiume geben. Man weiß nicht welcher Volks-
thümlichkeit mau die Gesammtheit der Einwohner unterordnen soll.
Der größte Theil der Familien, welche durch Handel, Industrie
und Rhederei dem Platze Leben und Verkehr geben, ist außer-
ordentlich mannichfaltiger Abstammung: Kramer, Deutsche, Wälsch-
tyroler, Italiener, Magyaren, Engländer, Westdeutsche, Griechen
haben sich, auf die vielversprechende Naturanlage dieser Gegend
rechnend, des Erwerbs wegen als Kaufleute, Fabrikanten oder
Rheder hier ansässig gemacht und zusammen den Ort weit mehr
emporgebracht , als die kleine Zahl eingeborener (illyrischer) Unter-
nehmer, die sich meist später als jene Fremden emporgeschwnngen
haben. Die eingeborenen Illyrier haben großentheils schon seit
mehreren Generationen bei dem Mangel einer entwickelten National-
literatur und höherer Bilcungsanstalten, sowie bei der Nothwen-
digkeit der italienischen Sprache im Handel und Seeverkehr, sich
ihre Kenntnisse an italienischen Anstalten verschafft. Die uralten
italienischen Municipalanstalten begünstigten noch mehr die Geltung
des Italienischen in Fiume; so wurde selbstverständlich diese Sprache
das Band, durch welches der Verkehr unter der bunten Bevölkerung
erhalten wurde. In der Neustadt siedelten sich die Fremden und
mit ihnen Handel und Wandel au; in der Altstadt blieben die
Illyrer zurück und hier kann man von slawischer Nationalität noch
reden, obgleich diese Altstädter sich auch bereits nicht mehr als
Kroaten, sondern als Finmaner betrachlen; Handel und Ver-
kehr wirken hier mächtiger auf sie ein, als die geschichtlichen Be-
ziehungen zum binnen-kroatischen Lande.
Entwickelung der Volkswirthschaft in Oesterreich.. Ein
neues Werk des berühmten Statistikers, Freiherrn von Czörnig:
„Das österreichische Budget 1862" enthält einen Abschnitt über die
Steuerfähigkeit Oesterreichs und die Vermehrung seines Wohl-
standes. In demselben wird gezeigt, wie sehr während der letzt-
verflossenen dreizehn Jahre die volkswirthschaftliche Thätigkeit nach
allen Richtungen hin zugenommen hat.
Der Erzeugungswerth der österreichischen Industrie betrug
im Jahre 1845 approximativ . . . 840 Mill. fl. öst. Währ.
„ „ 1861 „ ... 1,321 „ „ „
der Werth der Baumwollwaaren stieg von 47 ans 115 Millionen;
jener der Flachs- und Hanfwaaren von 79 auf 150 Millionen; der
Schafwollwaaren von 77 auf 140 Millionen; der Werth der
merkantilischen Erzeugnisse (einschließlich der Ausrüstung der Eisen-
bahnen) Von8 ans 70 Millionen; zur Erzeugung des inländischen
Zuckers wurden:
1847 .... 2 Mill. Centner Rüben
1860 .... 16 „
verarbeitet. Im Durchschnitt der drei Jahre 1845 bis 1847 wird
eine Einfuhr von 129 Millionen, in jenem von 1859 bis 1860
eine solche von 244 Millionen nachgewiesen; dagegen betrug die
Ausfuhr von
1844 bis 1847 .... 114 Mill. fl.,
1859 „ 1861 .... 297 „ „
Der Gesammtverkehr mit dem Auslande stellte sich
1845 bis 1847 auf . . . 2,438 Mill. fl.,
1859 „ 1861 dagegen auf 5,415 „ „
Die Länge der in Betrieb stehenden Eisenbahnen, welche
1847 218 Meilen und 1854 344 Meilen betrug, erstreckt sich bereits
ans 756 Meilen. Bei den verschiedenen Genußmitteln (Fleisch,
Salz, Bier, Zucker, Kaffee, Tabak rc.) ergiebt sich in den letzten
dreizehn Jahren eine Vermehrung von 22 auf l l 7 Procent. Ein-
gehend auf die in dieser Zwischenzeit von circa dreizehn Jahren
vorgekommene Ansammlung von Kapitalien und diese speciali-
sirend, schätzt Herr v. Czörnig solche produktive Ansammlung von
Kapitalien auf 2000 bis 2500 Mill. fl., worunter z. B. zum Baue
neuer Häuser in Wien 40 bis 50 Millionen; die Vermehrung der
in Kredit- und Jndustrieunternehmungen angelegten Kapitalien
mit 383 Mill. fl., die Zunahme der Einlagen in den Sparkassen
mit 55 Mill. u. s. w. gerechnet sind.
Sprachmischung in Böhmen. Es ist bereits früher im Globus,
in den Briefen über Böhmen, auf die dort an einigen Orten herr-
schende deutsch-tschechische Sprachmengung hingewiesen worden.
Wir führen hier noch ein Beispiel an, welches wir Kapper's „Böhmer-
land" entnehmen. Die ganze Weinknltur von Melnik an der Elbe
aufwärts ist nämlich in den Händen deutscher Grundbesitzer
und Winzer, und doch ist die Terminologie derselben eine vorwiegend
tschechische, wie sie die nachrückeuden deutschen Winzer von ihren
tschechischen Vorsassen mitsammt den Weingärten und Rebstöcken
übernahmen. Man hört z.B. immernoch „wosecken" (von osekati)
statt umhanen, „rosw oden" (von roswod) statt durch Setzlinge
vermehren und „wosnitzen" (von woznice) statt Wasserfaß. In
Schnedowitz sagt man auch noch statt: auf dem Berge: „aus der
Höre", worin das slawische „Hora" sich noch vollständig er-
halten hat.
Der Weinban iu Ncnftidwales gewinnt immer eine größere
Ausdehnung, namentlich in der Gegend von Albury, und es sind
vorzugsweise deutsche Gutsbesitzer, welche sich großen Erfolgs
rühmen können. Ein Herr Zimmermann zu Beechworth hat jetzt
anderthalb Acker Wingert; er bekommt für seinen Wein 1 Pfund
Sterling per Gallon, und hat von 200 Stück dreijähriger Reb-
stöcke 1862 nicht weniger als 1600 Pfund der schönsten Tafeltrauben
geerntet. Andere Deutsche eifern seinem Beispiele nach.
Heransgeg eben von Karl Andres in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildbnrghansen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grnmhach in Leipzig.
Eine Fahrt aus dem Wl bis M den nubischen Katarakten.
Zweiter Artikel.
Von Theben nach Wadi Halfa. — Herment. — Esneh, die Stadt der Tänzerinnen. — Der Tanz der Almehs. — Edfm — Die
Steinbrücke von Silsilis. — Kom Ombos. — Elephantine. — Die Katarakten von Assnan. — Das Volk der Nnbier — Die Insel
Philae, das Juwel des Nils. — Die Inschriften und die Denkmäler. — Hathor, Isis und Osiris. — Der Jsistempel. — Welterfahrt
auf dem nubischen Nil. — Ruinen an beiden Ufern. — Korosko. — Eine nubische Hochzeit. — Die Höhlentempel von Abu Simbel. —
Der Glnthwind Chamsin. — Wadi Halfa und der zweite Katarakt. — Rückreise.
Die Fahrt geht von Theben aus weiter nach Süden, ist bei der Niederkunft der Ritho-Cleopatra zugegen; die
denn wir wollen nach Nubien hinein, bis zu den zweiten Göttin aber, welche der Gebärenden beisteht, übergiebt
Katarakten. Bei Herment oder Erment (dem Hermontis das Kind einer Amme und einer Wiegefrau. Dazu kommen
Säulenhalle auf der Insel Philae.
der Griechen) gewahren wir sorgsam bestellte Aecker, die
einem Verwandten des Vicekönigs gehören, und alte Ruinen,
auf welche der Schatten von Sykomoren und Mimosen fällt.
Unweit von der Kuppel eines muselmännischen Grabes steht
ein kleines Sanctuarium, zur Erinnerung an Cäsarion,
den Knaben, welchen Cäsar mit der Cleopatra gezeugt. In
der zweigetheilten Cella sahen wir merkwürdige Basreliefs.
Ammon Rha, von Suan, der ägyptischen Lucina, begleitet,
Globus IV. Nr. 11.
noch andere bildliche Darstellungen, welche folgenden Ge-
danken ansdrücken: Cäsar und Cleopatra sind den Göttern
ähnlich; ihnen ist ein Knabe geboren, so schön wie der Tag.
Bald nachher erreichen wir Esneh, das aufderlinken
Seite des Stroms liegt. Dieser Ort ist die „Stadt der
Tänzerinnen". Die vielbesprochenen Almehs wohnen
in mehreren Häusern unweit vom Ufer. Wir wurden vom
Dragoman und vom Koch in eines der berühmtesten geführt,
41
322
Eine Fahrt auf dem Nil bis zu den nnbischen Katarakten.
das aber von außen keineswegs einladend aussah. Die
Tänzerinnen saßen gruppenweis in einem großen Saale;
alle waren recht hübsch und wohlgestaltet, durchaus keine
blendenden Schönheiten, aber sehr aufgeputzt. Sie trugen
kurze, weit ausgeschnittene Mieder, weite seidene Beinkleider,
welche über den Hüsten mit einem Gürtel von blendenden
Farben befestigt waren, einen Unterrock von fteischsarbenem
dünnem Tüll, an den unbekleideten Füßen gelbe Pantoffeln,
Ringe ani Hals und an den Armen, vor der Stirn eine Art
von Diadem, das aus Münzen zusammengesetzt war, und
auf dem Kopf ein leicht hingeworfenes Seidentuch. -
Der Tanz begann mit
einer Reihenfolge von ge-
messenen, anmnthigen Be-
wegungen, wurde dann
rascher und steigerte sich
bis zum Ausdrucke der
Leidenschaft. Wir ver-
theilten Geld, Oliven und
Liqueur an die Tänzerin-
nen, die es ihrerseits an
Segenswünschen nicht feh-
len ließen, denn nicht alle
Tage halten die Almehs
eine so ergiebige Ernte.
Ihre Haupteinkünfte be-
ziehen sie von den reisenden
Fremden und diese kommen
nur während der Winter-
monate. Der Sommer ist
eine schlechte Zeit für die
Tänzerinnen, denn arbei-
ten wollen sie nicht, und
deshalb fallen sie Wuche-
rern in die Hände, welche
ihnen Vorschüsse auf künf-
tigen Verdienst geben.
Sie vergeuden die Zeit mit
Tabakrauchen, trinken viel
Anisbranntwein und noch
mehr Kaffee. Zur Zeit der
Mameluckenherrschaft wa-
ren die Almehs in großem
Flor, und man fand sie in
allen ägyptischen Städten;
seitdem hat jedoch ihre
Zahl beträchtlich abgenom-
men und ihr letzter Zu-
flnchtsort ist eben Esneh,
das wohl auch ihre Wiege
war. Es scheint, als ob
diese ägyptischen Bayade-
ren nach imb nach aus-
sterben.
Der amerikanische Rei-
sende Bayard Taylor hat einen festlichen Tanz der Al-
mehs sthr naturgetreu geschildert. Er sand statt — in
den Ruinen von Luksor! Zwei berühmte Künstlerinnen,
Apfelblüte und Orangenblüte, saßen in einem Saale
mit vier anderen Almehs und drei Sängerinnen. Die
Musik bestand aus zwei Trommeln, einem Tarabuk und
einer kreischenden arabischen Geige. Als die Fremden ein-
traten, erhoben sich die Almehs und drückten, zn>n Zeichen
der Begrüßung, deren Hände an Lippen und Stirn. Dann
setzten sie sich wieder und tranken ein Glas Liqueur, wäh-
rend Trommeln und Tarabnk geschlagen wurden.
Orangenblüte war von Mittlerin Wüchse, hatte oliven-
farbige Haut und regelmäßige Züge; Apfelblute, höchstens
fünfzehn Jahre alt, war klein und zart gebaut, dunkelfarbig
und sehr hübsch. Drei von den Gehülfinnen waren weiß
gekleidet; die vierte, eine nubische Sklavin, sah mit ihrem
schwarzen Gesichte wunderbar malerisch ans unter dem schar-
lachrothen Schleier, der dasselbe wie ein Turban umhüllte
und in langen Falten bis ans ihre Füße herabfiel. Unter
den Sängerinnen, sagt Taylor, war eine, Namens Bemba,
die so ziemlich das einzige wirklich schöne Mädchen ist, das
ich überhaupt in Aegyten gesehen. Ihr großes, aber regel-
mäßiges Gesicht und ihr
langes, volles, seidenwei-
ches Haar hing lose bis
auf die Schultern, wo die
feine, glänzende Masse in
Flechten gelegt war. Ihre
Zähne waren untadelhaft
weiß, die Lider der dun-
keln Augen schwarz gefärbt,
und dadurch erhielten sie
einen schmachtenden, sehr
melancholischen Ausdruck.
Diese Bemba war eine
vollendete Schauspielerin.
Als sie bemerkte, daß wir
sie aufmerksam betrachte-
ten, nahm sie sofort die
gleichgültigste Miene von
der Welt an und wir er-
hielten auch uicht einen
Blick mehr von ihr. Am
ganzen Abende war jede
ihrer Bewegungen studirt.
Der Shawl wurde in an-
muthigen Falten um den
Kopf gelegt und das Haar
von den Schultern zurückge-
worfen; in der mit Henna
rothgefärbten Hand ließ sie
das Jasminrohr ihrer Ta-
bakspfeife spielen, und erst
als sie fortging, schlug sie
noch einmal die Augen auf;
sie that dabei, als ob sie uns
eben erst bemerke, und sprach
mit melodischer Stimme
einen: „Guten Abend".
Der Tanz der Almehs
begann in sehr langsamem
Takte; beide Hände wur-
den über den Kopf ge
halten, während die klim-
pernden Metallstückchen an
ihren Shawls und zwei
kleine metallene Cymbeln, welche am Daumen und Mittel-
finger befestigt waren, mit der Musik Takt hielten. Dann
wurden die Bewegungen rascher, aber der Tanz bestand
nicht in Pirouetten und flüchtigen Springen wie auf unseren
Theatern, sondern zeigte eine wunderbare Herrschaft über
Brust- und Beinmuskelu. Ihre Leiber bebten bei der Musik
wie die Saiten einer Violine, und als gegen das Ende hin
der Gesang wilder und stürmischer wurde, stimmten die Be-
wegungen mit demselben überein. Als die Musik aufhörte,
waren dieAlmehs nicht etwa erschöpft, sondern standen kalt und
ruhig da, ohne daß ihr Athen« merklich rascher geivesen wäre.
Aegyptische Tänzerin.
Eine Fahrt auf dem Nil bis zn den nnbischen Katarakten.
323
Nebrigen's hatte dieser Tanz noch ein Nachspiel, das
einen völligen Gegensatz bildete. Die Almehs schlugen mit
erhobenen Händen die kleinen Cymbeln, sprangen im Kreis
umher, und der Beschauer dachte an tanzende Nymphen,
welche von griechischen Bildhauern dargestellt worden sind.
In dem Augenblick, ehe sie den Boden berührten, als sie,
den Kopf nach vorn gebeugt und beide Hände hoch nach
oben ausgestreckt, in der Luft schwebten, hoben sie sich von
dem blauen Hintergründe der Halle ab und sahen aus als
wären sie eben erst aus dem Fries eines Bacchustempels
herausgenommen worden. —
Die Barke fährt an
den mächtigen Pylonen von
Edfu vorüber. Unsere
Begierde, die Katarakten
von Assuan zn sehen, wird
immer lebhafter und wir
haben günstigen Wind.
Der Nil ist nun auf einer
beträchtlichen Strecke zwi-
schen steile Felsen einge-
klemmt und der Pflanzen-
wuchs wird kümmerlich.
Wir scheuchen kleine Vögel
auf, welche in solcher
Menge vorhanden sind,
daß sie in der Lust eine
förmliche Wolke bilden;
als wir ein paar Schüsse
abfeuerten, fielen Hun-
derte in den Nil, und der
Koch ließ sie auffischen.
Wir waren nun bei
den berühmten Stein-
brüchen von Silsilis,
aus welchen das Material
zu den Kolossen und Obe-
lisken Oberägyptens ge-
nommen worden ist. In
den tiefen Galerien und
Gängen sieht man noch
heute hieratische Darstel-
lungen und religiöse In-
schriften. Ein Felsen von
seltsamer Gestalt fällt uns
auf, denn er gleicht einem
Ungeheuern Champignon.
Man glaubt, daß an ihm
eine gewaltige Kette be-
festigt war, mit welcher
man den Nil absperren
konnte, wenn es sich dar-
um handelte, Aegypten vor
dem Eindringen der äthiopischen Völker zu sichern.
Bei Mondschein sehen wir den Tempel von Kom
Ombos, und legen dann beim Dorfe Elganeh an, das
von Dum-Palmen und Mimosen überragt wird. Dort
bleiben wir bis zum Morgen und sind nur noch vier und
Zwanzig Stunden von Assuan getrennt. Nun muß der
Steuermann sehr vorsichtig sein, denn wir haben jetzt keinen
guten Wind und int Flnßbette liegen viele Felsen, gleichsam
Vorposten jener in den Katarakten. Wir gelangen an die
Insel Elephantine, welche uns zur Rechten liegt, aber
von ihren Ruinen kommt uns jetzt nur wenig zn Gesicht.
Dann fahren wir in den Kanal, welcher uns nach Assuan
führt, dem alten Syene, dieser „Königin der Katarakten".
DieAlten meinten, diese noch jetzt von Dattelhainen umgebene
Stadt liege gerade unter dem Wendekreise des Krebses, und
an dem Tage des Solstitiums stehe die Sonne über dem
Scheitel der Bewohner, so daß Mittags kein Schatten zu
sehen sei und ein Brunnen bis auf den Grund von den
Sonnenstrahlen getroffen werde. Die Katarakten liegen
jedoch noch mehrere Meilen nördlich von Assuan. Aber auch
hier ist überall klassischer Boden; man kommt nach der Insel
Elephantine und ein wenig weiter auswärts nach Philae.
Am 4. Januar, Morgens um zehn Uhr, fuhren wir in
die enge Stromfahrt der Katarakten hinein. Wir fanden
schon eine Anzahl von
Schisfsleuten bereit, durch
welche unsere Mannschaft
vervollständigt wurde, und
Alle stellten sich nun unter
den Befehl eines Reis, der
jede Klippe genau kannte
und die Barke mit einer
solchen Sicherheit führte,
als bewege sie sich in ruhi-
gem Wasser zwischen zwei
Schleusen.
Diese hinzugekomme-
nen Leute waren Nubier,
halbwilde Männer, deren
Haut so aussieht, als ob
man schwarzen Krepp über
einen braunrotsten Unter-
grund gelegt habe. Sie
bilden schon in Assuan,
das noch auf ägyptischem
Boden liegt, die Mehr-
zahl der Bevölkerung.
Man findet sie in großer
Menge als „Barabra" in
den bedeutenden Städten
Aegyptens, namentlich aber
in Alexandria und Kairo.
Ihre eigentliche Heimat
liegt (Kremcr I, S. 101)
in der engen, felsigen
Strecke des Nilthals zwi-
schen der ersten und zweiten
Stromschnelle, von Assuan
bis Korosko, und von
Jbrim bis Wadi Half«;
auch wohnen sie in der
Provinz Dongola, von
Wadi Halfa bis etwa zum
Berge Dekan. Sie er-
freuen sich als ehrliche
Leute eines guten Rufes,
werden zumeist als Diener, Wächter und Thorhüter ver-
wandt, und haben große Anhänglichkeit an ihre Heimat,
in welche sie mit ihrem ersparten Gelde zurückkehren. In
Aegypten halten sie unter einander gute Landsmannschaft;
sie lieben, gleich allen Schwarzen, berauschende Getränke,
namentlich die Bnza (eine Art von Bier) und Dattelwein.
Manche dieser „Berberiner" sind auffallend schön und bei
vielen haben die Züge einen Ausdruck von Milde und
Sanftheit. Ihre Vorfahren sind bis in das vierzehnte
Jahrhundert Christen gewesen, aber in dem heutigen Ge-
schlecht ist auch nicht eine Spur der Erinnerung daran zurück-
geblieben.
Unsere Nubier schreien uns ein Willkommen zn und
Tarakukspielerin.
41 *
Eine Fahrt auf dem Nil bis zu den nubischen Katarakten.
Eine Fahrt auf dem Nil bis zu den nubischen Katarakten,
325
gehen dann an ihre Arbeit. Wir fahren zwischen Massen
von Granit; sie sind schwarz, naß und leuchtend und gleichen
einer Heerde versteinerter Büffel in verschiedenen Stellungen.
An diesen Felsen werden Seile befestigt, und vermittelst
derselben zieht man die Dahabieh langsam stroman. Als
wir eben den ersten Durchgang hinter uns hatten, brach
staunten über die phantastischen Bilder; die ungeheuren
Massen sahen aus wie gigantische Menschen, Das war kein
Granit mehr, sondern ein Volk von Titanen, deren Füße
im Wasser angefesselt zu sein schienen.
Als der Morgen graute, waren unsere Nubier an
Ort und Stelle und arbeiteten wieder, bis wir um drei Uhr
der Abend herein und wir mußten zwischen zwei Strom-
schnellen festlegen. Als dies geschehen war, erhielten wir
Glückwünsche von den Nubiern über die günstige Fahrt:
„Gott ist groß; Ihr seid gute Franken, gebt uns ein Bak-
schisch!" Dieses unvermeidliche Bakschisch wurde denn auch
willig gespendet, und die Leute begaben sich für die Nacht
in ihre Dörfer zurück. Wir aber kletterten auf die nächsten
Felsen, betrachteten das Chaos, welches uns umgab, und
Nachmittags in einem ruhigen Wasser waren. Jetzt hatten
wir noch drei Stromschnellen zu überwinden, und die letzte,
El Kebir, bot die meisten Schwierigkeiten dar. Dort wurde
unsere Barke von etwa zweihundert Leuten gezogen.
Die „Katarakten" sind keine Wasserfälle, sondern
nur Stromschnellen, mit aufeinander folgenden Felsenbarren
und heftigen Strömungen, oft ohne allen Schaum. Manche
Stellen bieten allerdings einige Gefahren, aber diesen weiß
326
Eine Fahrt ans dem Nil bis zu den nnbischen Katarakten.
der vorsichtige Schisfssührer auszuweichen und Unfälle sind
äußerst selten.
Vor uns lagen die Zwillingsinseln Philae und
Bigeh. Die letztere ist von Felsen umrandet, welche mit
Hieroglyphen bedeckt sind, und liegt auf der libyschen
Strvmseite, die andere wird mit Recht als das „Juwel des
Nils" bezeichnet. Sie ist das Entzücken aller Reisenden, so
grün, einsam, friedlich, und hat herrliche, gesunde Luft. Auch
Lepsius sagt, daß die
acht Tage, welche er auf
dieser „heiligen Insel" ver-
weilte, eine seiner schönsten
Reiseerinnerungen bilden.
Auf der hochgelegenen
Tempelterrasse, welche am
östlichen Ufer steil über dem
Flusse schwebte, pflegte er
nach der Tages Arbeit mit
seinen Gefährten zusam-
menzutreffen, um den
Schatten des wohlerhalte-
nen, aus scharfgeschnitte-
nen, dunkelglühendenSand-
steinblöcken aufgebauten
Tempels über den Fluß
Hinüberwachsen und sich
mit den schwarzen, vulka-
nischen, wild übereinander
gethürmten Felsenmassen
vermischen zu sehen. Zwi-
schen diesen ergießt sich,
Fenerströmen vergleichbar,
der goldgelbe Sand in's
Thal.
Die Insel, sagt der
große Aegyptolog, scheint
erst spät, unter den Ptole-
mäern, heilig geworden
zu sein. Herodot, welcher
zur Zeit der Perserherr-
schaft bis zu den Katarak-
ten hinauf kam, nennt
Philae gar nicht. Es war
damals von Aethiopiern
bewohnt, welche auch Ele-
phantine noch zur Hälfte
' inne hatten. Die ältesten
Gebäude, welche man jetzt
auf der Insel findet, sind
fast hundert Jahre nach
Herodot's Reise vom dritt-
letzten König ägyptischer
Abkunft, von Nectanebus,
auf der Südspitze errichtet
worden. Biel ältere In-
schriften sind auf der großen Nachbarinsel Bigeh, hiero-
glyphisch Senmut genannt. Diese war schon im alten
Reiche mit ägyptischen Denkmälern geschmückt; Lepsius hat
daselbst eine Granitstatue des Königs Sesurtesen des Dritten,
ans der zwölften Dynastie, gefunden.
Aus Philae wurde ihm ein köstlicher Fund zu Theil;
er entdeckte nämlich zwei bilingue ld. h. zweisprachige, hiero-
glyphisch und demotisch abgefaßte) Dekrete der ägyptischen
Priester, von denen das eine denselben Tept enthält, der
auch auf dem Steine von Rosette vorkommt.
Die Menge der gri e ch i s ch en In s ch rift en auf Philae
ist unzählig. Der Haupttempel war der Isis geweiht; sie
heißt hier vorzugsweise „Herrin von Philek".
Am llfer erwartete uns ein Greis, welcher uns auf
dieser zauberischen Insel umherführte. Er warf allerlei
Dinge, welche keinen Zusammenhang haben, Isis, Mo-
hammed und Jesus, durcheinander, und die Pharaonen und
die römischen Kaiser bezeichnte er als Emire und Sultane.
Wir gingen an der Westseite von Süden nach Norden und
ließen uns durch seine ar-
chäologischen Barbareien
nicht im Mindesten stören.
Ich will hier nicht in die
Einzelbeschreibnng der
Denkmäler eingehen, mit
denen die Insel buchstäb-
lich bedeckt erscheint. Sie
ist etwa 1230 Fuß lang
und 420 Fuß breit. Im
zweiten Hofe des Jsistem-
pels giebt eine Inschrift
des ägyptischen Instituts
die Lage von Philae an:
24° 11''34'" N.Br., 30°
34' 16'" O. L. von Paris.
Wir hingen neben dieser
Inschrift, im Schatten
einer Säule, Mitte Ja-
nuars, um Mittag ein
Thermometer auf, das
standhaft 33 0 C. zeigte.
Von einem etwa 35
Fuß hohen Granitfelsen
hat man einen hübschen
Blick über die ganze Insel.
Geradeaus, in der Rich-
tung nach Assuan, liegt,
nebst anderen Monumen-
ten, der Haupttempel; zur
Linken sieht man einen
Obelisk und eine lange
Kolonnade (siehe unsere
Abbildung); zur Rechten
einen Tempel der Hathor,
der ein Hypäthron bildet,
also oben offen ist. Man
gewahrt an demselben
Kapitäler, welche aus
Frauenköpfen mit Kuh-
ohren bestehen. Hathor
wurde, neben der Isis, auf
Philae verehrt; von den
Griechen wurde diese Göt-
tin als Aphrodite bezeich-
net, und in den Inschriften
heißt sie: Auge der Sonne,
ganzes. Ihre heiligen Thiere
sind der weibliche Sperber und die Kuh; in ihrem Hanpt-
tempel wurde eine weiße Kuh gehalten, sie selbst wird mit
Kuhkopf und Kuhhörnern abgebildet. Isis ihrerseits (ägyp-
tisch Hes), die große Göttin, die königliche Gemahlin des
Osiris (der seinerseits König des Lebens, Herr von unzähligen
Tagen ist), ist die Erde, deren vegetative Kraft alljährlich
durch Osiris geweckt und befruchtet wird. Alle ägyptischen
Göttinnen der Empsängniß und Geburt, z. B. die Reith,
die Pacht und auch die Hathor, gehen in Isis über,
während sie doch zugleich als besondere Gestalten neben ihr
Herrin der Scherze und des
Eine Fahrt auf dem Nil bis zu den nnbischen Katarakten.
327
stehen bleiben. Die Kuh, das Bild des bereiten Empfangens,
der reichlichen Geburt, der mächtigen Nahrung, ist das hei-
lige Thier auch der Isis; die Göttin selbst wird mit den
Rindshörnern, mit dem Kuhkopfe, ja selbst als eine Kuh
dargestellt, und Herodot sah ein solches Bild auf der Königs-
burg der letzten Pharaonen zu Sais. In einem schön ge-
schmückten Gcniache lag eine hölzerne Kuh, mit Gold über-
zogen, in natürlicher Größe ans den Knieen; zwischen den
Hörnern trug sie eine Sonnenscheibe. Nur Hals und Kops
sah man, denn das Uebrige war mit einem Purpurmantel
bedeckt. Vor diesem Bilde brannte am Tage stets Weih-
rauch und Nachts eine Lampe, und am Trauerfeste der Isis
wurde es in Procession umhergetragen. Isis und Osiris
wurden im ganzen ägyptischen Lande verehrt, auch an der
Südgrenze des Reichs, zu Philae, wo des Osiris Grab,
von hohen Tamarisken beschattet, auf einer kleinen Neben-
insel gezeigt wurde*); im Tempel der Isis auf Philae selbst
war die Geschichte des Gottes dargestellt.
Die Tempel der verschwisterten Göttin sind durch zwei
Säulengänge von ungleicher Länge mit einander verbunden;
sie lausen von jenem der Hathor bis zu den Pylonen des
JsiStempels. (S. unsere Abbildung in der vorigen Nr.)
Aus der Vorderseite jener Pylonen bringt ihr Erbauer,
Ptolemäus Philometor (181 bis 145 v. Ehr.), der als Niese
dargestellt ist, der Isis und dem Horns Kriegsgefangene
zum Opfer; in der einen Hand hält er menschliche Kopf-
haare. (S. die Abbildung in der vorigen Nummer). Mau
gelangt vermittelst einer noch gangbaren Treppe ans die
Pylonen und dann in einen Hofraum, dessen Seiten von
Gebäuden gebildet werden. Diese waren von den Ptole-
mäern der Hathor und Isis geweiht. Dieser Hofraum wird
von zwei anderen Pylonen geschlossen, die 44 Fuß hoch sind
und auf einem Felsen stehen. Eine Inschrift im Granit
sagt, daß Ptolemäus Evergetes (246 bis 221 v. Ehr.) der
Erbauer sei.
Vier Pylonen und zwei Hofränme sind des großen
Tempels der Isis würdig. Verschiedene Ptolemäer haben
an demselben gebaut. Er ist in seinem Grundrisse nicht
regelmäßig, denn er hält keine bestimmte Richtung inne,
sondern folgt der Krümmung der Insel. Man kann das
Gebäude mehr als eine Gesammtheit von einzelnen Theilen,
denn als ein Ganzes betrachten. In Folge seiner Lage hat
er verhältnißmäßig wenig durch Verwüstungen gelitten. Der
Schmuz, mit welchem koptische Christen die Wände seiner
Tempel von Denderah.
Die größere, westliche Kolonnade hat drei und dreißig
Säulen, an denen jedes Kapitäl von den anderen verschieden
ist; die östliche hat sechszehn Säulen, die bis in ein zum
Theil verschüttetes Sanktuarium reichen, das dem Jmutph
(Aesknlap), dem Sohne der Hathor und des Phtha, geweiht
war. Etwa in der Mitte der westlichen Galerie führt eine
Treppe, deren unterer Ausgang oft mit Nilwasser bedeckt
ist, zum Strome hinab. Dieses Propyläon gemahnt an die
römischen Zeiten und ist sehr schön; man sieht dort vielfach
die Köpfe des Augustus, des Tiberius und des Claudius.
Weiterhin, neben Schutthaufen, unter denen man noch
zwei verstümmelte Löwen erkennt, erheben sich zwei Pylonen,
welche ein kleines Propyläon umschließen; dieses ist sehr-
hübsch gearbeitet und ist noch ein Ueberrest desjenigen Isis-
tempels, welchen König Neetanebus aus Philae gebaut hat.
*) Es lag nicht auf Philae selbst, sondern auf der kleinen be-
nachbarten Insel Phinöb. Das sagen auch Diodor und Plutarch
ausdrücklich: der Erstere sagt, dast dieses Eiland wegen des Grabes
als das „heilige Feld" bezeichnet worden sei. „Das ist eine lieber*
setzung von Ph-i-u6b oder Ph-ih-uöb, denn auch das h findet
sich hieroglyphisch; Koptisch PH-iah-uob. der heilige Acker.
Dieses heilige Feld war ein Abaton, also unzugänglich, anßA:
für die Priester". Richard Lepsins, Briefe 'aus Aegypten,
Aethiopieu und der Halbinsel des Sinai re. Berlin 1852. S. 111.
Heiligthümer bewarfen, hat die reichbemalten Skulpturen
verbergen, aber nicht verunstalten können, und die Palm-
blätter und Lotuskapitäler haben den noch beinahe ursprüng-
lichen Glanz ihrer grünen und blauen Farben. Uebrigens
ist der Doppelkorridor von 36 Säulen vor dein Tempel,
welcher bis an das Südende der Insel reicht, niemals voll-
endet worden; denn einige Kapitäler, welche zuletzt aufge-
richtet wurden, sind noch unbehauen oder zeigen den Fort-
schritt der Bearbeitung in verschiedenen Stufen.
Die Bildhauereien sind Hautreliefs und mit hellen,
glänzenden Farben bemalt. Sie beziehen sich auf Isis,
Osiris und den Horns, beider Sohn. An einer Stelle sieht
man, wie Isis den jungen Gott säugt, und diese Gruppe
erinnert lebhaft an christliche Gemälde, auf welchen Maria
mit dem Jesuskinde dargestellt ist. Die Götter haben hier
eine weiße, griechische Haut, sie sind nicht, wie in den alt-
ägyptischen Gräbern und Tempeln, hellroth; ihr Profil ist
symmetrisch und selbst schön und die Sinnbilder, mit welchen
man sie umgeben hat, sind mit bewundernswürdigem Ge-
schniack gezeichnet.*)
*) Bayard Taylor, der Nordamerikaner, welcher auch den
Jsistempel auf Philae besucht hat, knüpft an denselben folgende Be-
trachtung, die wir registriren wollen, weil sie von einem Manne
328
Eine Fahrt auf dem Nil bis zu den nubischen Katarakten.
Die Tempel der Isis und der Hathor würden sich
leicht wieder Herstellen lassen und dem weitern Verfalle der
übrigen könnte man ebenfalls Vorbeugen. Es wäre schon der
Mühe werth. Unter den Ptolemäern nahm auch die Kunst
einen neuen Aufschwung. Das Massenhafte und Kolossale
im Ban machte den: Ebenmaß und der Anmuth Platz.
Griechischer Einfluß machte sich in Aegypten schon vor
Alexander geltend! er bewirkte Aenderungen in dem Ueber-
lieferten, ohne den Geist desselben zu vertilgen und Fremd-
artiges an dessen Stelle zu setzen. Die Pylonen passen
recht wohl zum alten Hathortempel, und auf Philae erscheint
das Aegyptische durch hellenischen Kunstsinn verschönert.
Philae bildet den Schlüssel zu den Katarakten, war,
wie schon angedeutet wurde, eine Vormauer der thebaischen
Dynastien gegen das Eindringen der äthiopischen Völker
und wurde ihre Zufluchtsstätte, als die Hyksos das untere
und mittlere Aegypten erobert hatten. Als die Pharaonen,
Ptolemäer itub Casaren nacheinander verschwunden waren,
auch Ruinen aus den Tagen der Pharaonen sind in Menge
vorhanden.. Wir sind nun unter dem Wendekreise des Krebses,
aber die Hitze finden wir keineswegs drückend, vielmehr hat
die Luft etwas Balsamisches. Freilich sind wir im Winter,
aber dieser gleicht unserm mitteleuropäischen Sommer. Um
6 Uhr früh ist seither der Thermometer nie unter 6° (¿.
gefallen; Mittags zeigte er 29, um Mitternacht etwas we-
niger als 7 o C. Vom 8. bis 12. Januar hatten wir um
Mittag allerdings 32, Morgens früh 16 bis 17° C.
Das Volk sprach nun nicht mehr arabisch, und unser
Dolmetscher mußte sich selber eines Matrosen bedienen, der
das „Barbarinische" verstand. Die Nubier sind im Ganzen
friedliche Menschen, aber es ist doch nicht mit ihnen zu
spaßen; an ihrem Arme hängt ein Dolch; sie tragen einen
Bogen aus Eisenholz und einen Schild aus Krokodilshaut.
Die Bekleidung ist spärlich; die Frauen färben die Lippen
und flechten das Haar in eine unendliche Menge kleiner
Stränge. Mädchen bleiben bis zu ihrer Verheirathung,
Nil «Katarakten von Wadi Haifa.
blieb Philae uoch lange Zeit den alten Göttern treu. Hatte
doch in dieser Inselgruppe Osiris sein Grab, und Isis wie
Hathor einen Tempel, und die Priester wehrten sich mit
Zähigkeit gegen den neuen Glauben. Noch in der zweiten
Hälfte des sechsten Jahrhunderts wurde aus Philae die
Isis verehrt. Das Christenthum drang spät dorthin, wurde
aber, gleich dem alten Götterglauben, von den Moham-
medanern bedrängt und vernichtet.
Doch wir verlassen die heilige Insel und befahren nun
den nubischen Nil, der auf vielen Strecken grüne, lachende
Userlandschaften zeigt. Wir sehen in der Ferne eineKameel-
Karawane ziehen; auf steilem Felsen erbebt sich ein koptisches
Kloster, weiterhin liegt eine halbverfallene Moschee, und
der „republikanischen", d. h. der abolitionistischen Lincoln-Partei
herrührt. „Diejenigen Freunde der afrikanischen Nasse, welche ;
auf Aegypten Hinweisen, um zu zeigen, was diese Negerrasse geleistet |
habe, befinden sich gänzlich im Jrrthum. Die einzigen Neger- !
Physiognomien, welche Zn ägyptischen Bilderwerken dargestellt
werden, sind die von Sklaven und Gefangenen, welche in den
äthiopischen Kriegen der Pharaonen gemacht wurden. Im ganzen
Nilthale findet man keinen Beweis, daß die Negerrasse
eine höhere Stufe der Bildung erlangt habe als jene. |
welche sie heutzutage in Congo oder A sch anti besitzt."
einen schmalen Gürtel abgerechnet, völlig unbekleidet. Die
Dörfer liegen ziemlich nahe bei einander und bestehen ge-
wöhnlich aus einem paar Dutzend oder auch mehr Erd-
hütten, die mit Palmblättern gedeckt werden.
In Nubien sehen wir Ruinen aus allen Zeiten und
von allen alten Göttern. Noch in Debod finden wir
Spuren von Isis und Osiris; 'auch in Kartas deuten die
Kapitäler noch auf die Isis. Ganz herrlich ist der Tetnpel
zu Kalabsche, das gerade unter dem Wendekreise liegt.
Augustus begann den Bau, der zur Zeit des Septimius
Severus noch nicht ganz vollendet war. Man benutzte zu
demselben Steine von einem alten Tempel aus dem sieben-
zehnten Jahrhundert vor Christus. Der hieroglyphische
Name für das heutige Kalabsche lautet Telmes, woraus
die Römer Talmis machten. Auf einer Säule im großen
Hofraume sehen wir eine berühmte griechische Inschrift des
Königs Nuba Silco; auch demotische Inschriften kommen vor.
Weiter aufwärts liegtDandur, gleichfalls mit einem
Tempel aus der Römerzeit; zu Gherf Hossein am west-
lichen Ufer steht gleichfalls ein solcher aus den Tagen
Rhamses des Zweiten, und so folgt ein Tempel dem andern,
bis wir nach Korosko kommen. Dort macht der Nil eine
Eine Fahrt auf dem Nil bis zu den nubischen Katarakten.
329
Biegung nach Süden und dann einen sehr weiten Bogen. Handwerk zu treiben und brachte eigenhändig das Bier
Wer nach dem Sennaar und Sudan reisen will, schließt sich in großen Krügen von Terracotta herbei. Uns wollte es
hier einer Karawane an und zieht mit derselben durch die : nicht munden, aber unsere Schiffsleute thaten sich eine rechte
Wüste der Bischarin (Atmur bela ma) bis nach Abu Hammed, Güte und sie tranken eine erkleckliche Menge. Ohnehin war
das an der Stelle liegt, wo der Nil auf seiner Biegung gerade eine nubische Hochzeit. Beider schvti erwähnten
nach Norden den äußersten nördlichen Punkt erreicht. in Aegypten ging es viel anständiger her und Alles war
In Korosko verweilten wir zwei Tage und betrachteten weit sauberer; hier aber war ein durcheinander lachender
uns dort auch den Chan oder Bazar, der gerade mit Waaren, und singender Cbor Männer und Frauen in Schmutz und
Aus den Ruinen von Karnak.
die für den Sudan bestimmt sind, reichlich gefüllt war.
Unsere Matrosen wollten ausruhen und erzwangen sich einen
ganzen Tag zum Trinken, denn das Bier sei in Korosko
ganz ausgezeichnet. Wir selber gingen in ein solches Bier-
haus, das am Eingänge zu einer Schlucht lag. Welche
Wirthschaft! Zwei abscheuliche Hexen mit einer tinten-
schwarzen Haut traten uns gleich an der Thür entgegen.
Die Hausbesitzerin war mit allerlei Flitter-und Armringen
von Elfenbein angepntzt, schien ein sehr unzweideutiges
Globus IV. Nr. 11.
Staub. Eine hochgewachsene Tänzerin trat auf, und ilcher
Pantomime fehlte es weder an einer gewissen Zierlichkeit noch
an Ausdruck; nach unseren Begriffen würde man allerdings
ihr Gebühren nicht sittsam nennen können. Sie sah in ihrem
blauen Ueberwurfe nicht unhubsch aus, und es störte uns
nicht, daß sie ihr Haar mit unzähligen Glasperlen geschmückt
hatte. Wohl aber störte uns die entsetzliche, übelriechende
Ausdünstung der Schönen, welche sich den ganzen Körper
mit Hammeltalg pomadisirt hatte. Uebrigens brannten
42
330
Eine Fahrt auf dem Nil bis zu den nubischen Katarakten.
wir zur Hochzeitsfeier ein bengalisches Feuer ab. Das
blaue Licht fiel über ein paar hundert schwarze Köpfe, die
Ballerina machte eine entzückte Miene, und wir galten
natürlich für Zauberer und Hexenmeister.
Unsere Matrosen mußten sich am frühen Morgen, bei
frischem Lustzuge, den Schlaf aus den Augen reiben, und
unsere Dahabieh fuhr weiter stromauf. Auch jetzt Tempel
und immer wieder Tempel; bei Derr zum Beispiel ein in
den Felsen gehauener, welchen Rhamses der Zweite dem
Amun Ra geweiht hatte. Dann gerathen wir bei I b s a m b u l
oder Abu Simbel in neues Erstaunen, nicht über ein paar
Krokodile, welche wir zuerst in dieser Gegend am 17. Januar
sahen (weiter stromab kommen sie nicht mehr vor), sondern
über die Höhlentempel. Wir erreichten das Dorf erst
gegen Abend, als eben die untergehende Sonne ihre Hori-
zonten Strahlen ans die kolossalen Massen dieser Monolith-
gebäude schoß, diese in der Welt einzig dastehenden Höhlen,
welche durch Menschenhände in den Granit eingegraben
sind und die bleiben werden, so lange unsere Erde ihre gegen-
wärtige Gestalt behält.
Die beiden Höhlentempel entstanden in der Zeit Rham-
ses (Ramesses) des Zweiten (zwischen 1407 und 1341
v. Ehr.), des berühmten Sesostris der Griechen. Der kleinere
Tempel war der Hathor geweiht, welche auch hier in Ge-
stalt einer heiligen Kuh abgebildet ist. Die Vorderseite ist
mit sechs Kolossen von je 34 Fuß Höhe geschmückt; das
Innere hat drei Hauptabtheilungen. Der große Tempel
ist 136 Fuß lang, 132 Fuß hoch und glatt aus dem Felsen
herausgehauen. Vier sitzende Kolossalstatuen, gleichfalls
aus dem Felsen heransgehauen, lehnen sich an's Gebirge
und haben mindestens 60 Fuß Höhe. Ungeachtet dieser
gewaltigen Verhältnisse ist doch die Arbeit, namentlich am
Gesichte, sehr hübsch. An dem schönen, noch fast ganz un-
versehrt erhaltenen Frontispiz läuft eine horizontale Reihe
von Hieroglyphen hin und über derselben ein Karins mit
22 hockenden Affengestalten und einer symbolischen Figur
des Phreh. An der Basis einer der Kolossalstatnen steht
eine griechische Inschrift, welche von hellenischen Soldaten
herrührt; diese Söldner des Königs Pjammetich hatten 660
bis hierher eine Schaar flüchtiger Antomolen verfolgt.
Das Innere entspricht vollkommen der großartigen
Außenseite. Es besteht aus vier Sälen, die zusammen eine
Tiefe von 185 Fuß und zehn Nebengemächer haben. Den
ersten Saal stützen eine Reihe von 8 Pfeilern, an welche
sich Kolosse von 16 Fuß Höhe lehnen. Der zweite Saal
hat nur 4 Pfeiler ohne Statuen; aber man sieht deren 4,
von mehr als natürlicher Größe, im Hintergründe des
Sanktuariums. Sie stellen Ramesses dar in Gegenwart
der Götterdreiheit Amun, Ra (Phreh) und Pthah. Die
Skulpturen an den Mauern, namentlich im großen Saale,
beziehen sich auf Kriegszüge des Sesostris, und man sieht
recht deutlich, mit welcher Genauigkeit in Bezug auf Gesichts-
züge, Hautfarbe und Trachten die verschiedenen Völker
dargestellt sind, mit denen die Aegypter in Berührung kamen.
Wir waren nun unserm Ziel immer näher gekommen;
als wir von Abu Simbel absuhren, wünschte uns der Orts-
vorsteher glückliche Reise und fügte hinzu: „Allah bewahre
euch vor dem CH am sin." Aber er bewahrte uns nicht vor
diesem Glutwinde, denn unser Thermometer stieg einige
Stunden nachher plötzlich auf 42° C. Es war uns als
sollten wir in einem feurigen Ofen ersticken, und wir ver-
spürten in unseren Lungen einen feinen, heißen Staub.
Unsere Schifssleute konnten nicht mehr arbeiten und die
Anwohner des Ufers wollten nicht. Wir haben es ihnen
auch nicht verdacht. Erst gegen Abend wurde die Hitze etwas
weniger unerträglich und wir kamen bis Kosko, wo wir
über Nacht blieben und außerhalb des Chamsinstrichs waren.
Am andern Tag endlich kam der Flecken Wadi Halfa
in Sicht, und nach einer Nilfahrt von sechs Wochen waren
wir hocherfreut, diesen Punkt erreicht zu haben. Wir waren
am zweiten Katarakt, mithin am Ziel unserer Reise,
und gingen mit dem Dragoman, dem Kawaß und mehreren
Matrosen am sandigen Ufer hin. Im Hintergründe dehnt
sich die bleiche, flache Wüste aus. Nachdeni wir etwa zwei
Stunden weit gewandert waren, gelangten wir auf einen
Hügel, von welchem ans wir den Katarakt überblicken konnten.
Er ist weit beträchtlicher als jener von Assuan: seine Strom-
schnellen sind viel ausgedehnter und der Fall ist stärker.
Jener bildet, wenn der Ausdruck erlaubt ist, ein mehr har-
monisches Chaos. Dieser Katarakt von Wadi Halfa nimmt
eine Stromlänge von ungefähr drei deutschen Meilen ein,
und ans dieser ganzen Strecke ist das Bett mit Felsen nach
allen Richtungen hin gleichsam übersäet. Das Gefäll be-
trägt ungefähr 100 Fuß, und in der Reihenfolge von
Stromschnellen haben ein paar etwa 20 Fuß Gefäll. Früher
konnten Barken nicht hinüberfahren, seitdem aber Mehemed
Ali Sprengungen hat vornehmen lassen, ist es ihnen möglich,
zur Zeit deS Hochwasserstands hindurch zu kommen.
Wir kehrten um, die Dahabieh schwamm ruhig den
Strom hinab. Unterwegs stiegen wir an manchen Punkten
aus, um noch einmal an den Prachtwerken der Baukunst uns
zu erfreuen und die Eindrücke, welche wir früher empfangen,
wieder aufzufrischen. So besuchen wir zum zweiten Male
den Tempel von Dendera, der noch vortrefflich er-
halten ist. Er gehört freilich in eine verhältnißmäßig junge
Zeit, da er unter den letzten Ptolemäern begonnen und
unter Nero vollendet wurde; als Bauwerk macht er einen
hübschen Eindruck, aber die Hieroglyphen wie die Skulpturen
zeugen schon von einem Verfalle der Kunst.
Gewaltig wirkten auch jetzt die Ruinen von Karnak
ans uns. Sie sind doch das wahre Kleinod ans dem alten
Theben und die großartigsten und schönsten Ruinen von
ganz Aegypten. Wie gewaltig wirkten die kolossalen Sphin-
gen und Widder, die Tempel des Ramesses des Vierten und
des Ptolemäus Evergetes; die großartigen Pylonen, die
mächtigen Säulengänge und Hofräume, der Palast des
Thutmes! Diese Denkmäler reichen theilweise bis in das
Jahr 2800 vor Christus, in die Zeiten der zwölften Dy-
nastie hinauf. Jahrtausende hindurch ist an ihnen gebaut
und ausgebessert worden bis auf die Tage der letzten Pto-
lemäer herab.
Welch ein Gegensatz, wenn man, in Staunen und
Sinnen verloren, heute in diesen Ruinen wandelt, auf
welche fünf Jahrtausende herabschanen, und eine Woche
später in Kairo auf dem Esbekiehplatze Kaffee trinkt und be-
frackte Europäer mit Glanzstiefeln und Cigarren sieht, oder
in Alexandria einen Dampfer erblickt. Eben erst int Tempel
des Ramesses oder Ameuophis und jetzt in einem modernen
Salon zwischen frackbekleideten Männern und Frauen mit
dem kolossalen llngeschmacke des Reifrocks und des staub-
aufwühlenden Schleppkleides!
Eibo solle, die Jnselschweden an der Küste von Ehstland.
331
LiboMe, -ie Inselschweden an der Rüste non Lhstland.
Zweiter Artikel.
Das Jul-Fest. — Germanische Festgebräuche. — Der Tanz. Gesang und musikalische Werkzeuge. — Sprichwörter. Altvaterische
Sitten. — Gastfreundschaft. — Häusliches Leben. — Kerbholz- und Runenkalender. — Sprache. — Aberglaube.
Das Hauptfest der Schweden ist das alte heidnische
Julfest, an dessen Stelle unser Weihnachtsfest trat.
Tannenbäume mit Lichtern werden angezündet und der Haus-
vater macht, nachdem die Familie ein Bad genommen hat.
mit Kreide über Fenster und Thüren der Badestube ein mit
einem Kreis umzogenes Kreuz. Hierin liegt vermuthlich eine
Erinnerung an den alten Namen des Festes, denn Hjul
bedeutet das N ad. das sich umwälzende. Gegen Mitternacht
wird der Iulgalt oder Weihnachtseber, ein anderthalb
Fuß langes Roggenbrot, in Form eines Schweines,
hereingebracht und vertheilt. Auf ihn wird mit Kreide
ein Rad gezeichnet.
Echt germanische Festgebräuche sind ferner noch:
das Setzen von Maien, jungen Birken, zu Pfingsten, das
Sammeln von Johanniskraut in der Johannisnacht, um
sich gegen Hexerei zu schützen, und das Herumziehen der ver-
kleideten Jugend am Martiniabend vor den Häusern, wofür
sie Wurst und Brot erhält.
Den Tanz lieben die Weiber ganz besonders, der
Walzer, P ard ans, nimmt die erste Stelle ein. Sehr beliebt
war früher und ist theilweise noch jetzt der Trippeltanz,
bei welchem in einem Kreise getanzt wird, mit den Gesichtern
nach außen, woraus man in einer langen Reihe schlangen-
förmig durch das Zimmer zieht und zuletzt die Kette in
walzende Paare ausgelöst wird.
Unter den musikalischen Instrumenten nahm
der Dudelsack. Sackpip, Drummpipa, der meist aus
einem Seehundsmagen verfertigt wird, die erste Stelle
ein. Seit ihn aber ein „frommer" Pastor als des „Teufels
Blasebalg" bezeichnete, kam er allmälig außer Gebrauch.
Bei der Ernte ertönte er ehemals immer und in Dagö gingen
die Bauern nie ohne Dudelsack zur Arbeit, der sie fleißiger
antrieb. als der Stock des Aufsehers. Mehr im Gebrauche,
besonders auf Worms und auf Dagö, ist die alte Tauuen-
harfe, Tallharpa, ein länglich viereckiges Instrument
aus Tannenholz, mit vier in Quinten gestimmten Violin-
saiten aus Pserdehaar. Das Hackebrett, Trumpa.
welches besonders auf Rogö und Odinsholm benutzt wird,
ist ein viereckiger Kasten mit einem durchlöcherten Resonanz-
boden und elf Saiten: er wird auf den Tisch gestellt und
mit den Fingern oder einer Feder gespielt.
Der Gesang, welcher früher das Leben des Land-
manus verschönerte und erhob, ist mit den alten Volksliedern
bis auf geringe Reste verschwunden. Selbst diese armseligen
Trümmer von Liedern werden jetzt zumeist nicht mehr ge-
sungen, sondern nur als halbverstandene Erinnerungen aus
der Vorzeit deklamirt. Dabei ist von Harmonie keine Rede:
selbst die Kirchenlieder erklingen unrein und ohne Takt. Die
alten Skaldengesänge und die Volkslieder sind mit der
Entfernung vom Mutterlande meist vergessen und das
Kartenspiel und die Ereignisse der Gegenwart bieten der
Unterhaltung den hauptsächlichsten Stofs. Die einzigen
nationalen Lieder, die noch gesungen werden, sind, neben
einigen improvisirten Trinkreimen, die kleinen Hochzeits-
lieder, einige Scherzlieder und Bruchstücke von Balladen.
So lautet ein Scherzlied:
Alle Männer fuhren voraus.
Mein Mann fuhr nach;
Alle hatten sie neue Hemden,
Mein Mann hatte Nichts.
Nahm ich ein altes Fischnetz,
Machte meinem Mann ein neues Hemd.
Altes Netz, neues Hemd
Zog mein Mann sich an.
„O, sage!" sagte mein Mann.
Ferner:
Hei, lustig zu leben.
Wenn Alles geht gut!
Wenn das Mädchen will spielen.
Muß das Spinnrad stille stehen.
Dann:
Ich wichse meine Stiefel,
Ich sattle mein Pferd!
Ich reite zum Mädchen,
Und werde Hauswirth!
Bekomme ich nicht die Gertrud.
So bekomme ich doch gewiß Marie.
Bruchstück aus einer Ballade:
„Die anderen werden geholt und geführt
Nicht werde ich geholt und geführt!
Die Zeit schwindet, das Jahr geht,
Nie bekomme ich einen Mann dies Jahr!"
„ „Spinn', meine Tochter!
Morgen kommt der Freier herein!" "
Die Tochter spann, die Zähre rann,
Nie kamen Freier heran.
Wir führen hier auch einige charakteristische Sprich-
wörter und Redensarten der Jnselschweden an, deren
sie viele haben; sie zeigen manches Uebereinstimmende mit
denen der übrigen germanischen Völker.
Schöne Worte machen den Kohl nicht fett. — Der
Brei wird nicht so heiß gegessen, als er vom Feuer kommt.
— Der Tod kaust keinen Kalender. — Wo bleibt der Teufel,
wenn die Hölle voll ist? — Komm' dann mit Heu, wenn
die Stute todt ist. — Mit der Zeit kann wohl die Maus
ein Ankertau abbeißen. — Weiberredeu und Pferdefressen
hat fein Ende.
Der Charakter der Jnselschweden hat sich nicht
gleichmäßig entwickelt; denn während die kräftigen Runöer
in jahrhundertelanger Freiheit die Fehler wie die Vorzüge
ihrer Anlagen ungestört auszubilden Gelegenheit hatten und
wiederum aus weiten Seereisen und in schwierigen Lebens-
lagen Gewandtheit und Anstelligkeit lernten, haben au der
ehstnischen Küste schwedische Bauern durch Mißverhältnisse
zu ihren Herren sich zum Aufgeben ihrer Freiheit genöthigt
gesehen und sind in stumpfe Gleichgiltigkeit versunken.
Aehnlich den Skandinaviern zeichnen sich die Jnsel-
schweden durch klaren, tüchtigen Verstand aus. der nicht selten
in Schlauheit übergeht, und einen oft sarkastischen Witz,
durch Ausdauer bei der Arbeit, durch Anhänglichkeit an
alte Volkssüten. durch Bedachtsamkeit. Geistesgegenwart,
Muth und Freiheitsliebe, so wie durch Ehrlichkeit, Keuschheit
und Gastfreiheit. Beim Fischfang oder der Seehundsjagd
scheuen sie weder Gefahren der Sec, noch Unannehmlich-
keiten der Witterung, weder kalte Feuchtigkeit im Herbste,
noch scharfen Frost auf dem Eise. Weniger ausdauernd und
thätig sind sie beim Landbau und der Viehzucht. Die Folge
ihres Fleißes war Wohlstand; bis vor Kurzem gab es auf
42*
332
Cibo solle, die Jnselschweden an der Küste von Ehstland.
Rogö noch keinen Annen; seit der großen: Verbreitung des
Branntweins aber sind manche Bauern zu Bettlern ge-
worden. Andere hat der Schmuggelhandel erst in moralisches,
dann in materielles Verderben geführt.
Die treue Beibehaltung der väterlichen Sitten,
die Anhänglichkeit an die alten, von Geschlecht zu Geschlecht
überlieferten Gewohnheiten, welche im Charakter des schwe-
dischen, wch überhaupt des germanischen Bauern liegt, und
welcher er noch einen guten Theil seiner sittlichen Vorzüge
verdankt, gilt auch unseren Schweden als heilige und un-
abweisliche Pflicht. Doch geht sie nicht selten in eigensinnigen
Widerstand, Starrköpfigkeit und Hartnäckigkeit über. Auch
Ungehorsam gegen die Obrigkeit ist oft die Folge davon.
„Wir sind Mannen v on Runö", sprechen die Nunöer
Bauern mit stolzem Selbstgefühl. Ihr Selbstbewußtsein
steigert sich nicht selten zum Stolz, wozu ihre gute Stellung,
die Entfernung von allen Orten, wo sie etwas zu fürchten
haben, die Unabhängigkeit auf der Insel und auf Reisen,
so wie die Vergleichung mit den knechtisch gedrückten Bauern
der Küste beiträgt.
Gröbere Verbrechen, Mord und Todtschlag, Kindes-
nwrd und Gewaltthätigkeit sind in den Annalen dieser Gegend
unter den Schweden unerhört.
Die Gastfreundschaft, welche als eine Haupttugend
aller skandinavischen Völkerstämme von den ältesten Zeiten
her berühmt war, ist, wenngleich die Verhältnisse nicht die
rücksichtslose Ausübung derselben erlauben, keineswegs ver-
schwunden. Nicht allein tritt der Hanswirth dem Besuchenden
freundlich entgegen, bietet ihm Speise und Trank an, und
weist nicht selten das dafür gebotene Geschenk zurück, sondern,
namentlich bei feierlichen Gelegenheiten, bei Hochzeiten und
Kindtanfen, hat jeder das Haus Betretende ein Anrecht auf
Bewirthung; der Besuch von Leuten Hähern Standes wird
als eine große Ehre angesehen.
Die Treue und Ehrlichkeitder Schweden im Handel
und Wandel ist von Riga bis nach Finnland hin bekannt.
Auf Odinsholm hält man keine Hunde, weil man vor Dieben
sicher ist. Auf Worms war früher ein D i e b st a h l u n er h ört
und als einmal Einer sich an einem Stücke Leinwand, ein
Anderer an einem Feuerstahl vergriffen hatte, reichte eine
Ermahnung des Predigers von der Kanzel hin, den Thäter
zu bewegen, das Gestohlene an den Platz, von den: er es
weggenommeu, wieder hinzulegen. Seit der Einwanderung
der Eh sten sind sowohl in Worms als in Nuckö Fälle von
Diebstahl nicht mehr selten. Einige Bauern von Nickholz
wurden in Hapsal beschuldigt, ein Stück Wäsche gestohlen
zu haben. Mit Selbstgefühl versicherten sie: „Kein Bauer
von Rickholz stiehlt und keiner hat es nöthig." Auch fand
sich sehr bald, daß die Anklage unbegründet war.
Mit der Reinlichkeit der Jnselschweden steht es
freilich nicht ganz so gut. Ihre Häuser und Geräthe halten
sie allerdings sauber und stechen dadurch vortheilhaft von
den esthnischen Bauern ab. Auch baden sie sich oft, doch
wird Ungeziefer nicht als unreinlich angesehen.
Ihre Sittlichkeit steht auf einer hohen Stufe. Von
Ehebruch ist unter ihnen fast nie zu hören gewesen. Die
Zahl der unehlichen Kinder verhält sich zu der der ehelichen
wie 1 zu 96. Höchst auffallend ist bei dieser Sittlichkeit der
alte Gebrauch des Kiltgehens oder Nachtrennens, der
an mehreren Orten noch nicht abgeschasst ist. Aber nicht
leicht läßt ein junger Bursche diejenige sitzen, die ihn ein-
gelassen hat.
Die Kinderzucht bleibt fast gänzlich dem weiblichen
Geschlecht überlassen. Von Unterricht ist nicht viel die Rede,
nur lehrt die Mutter das Kind, sobald es sprechen kann,
das Vaterunser und leitet es zum Lesen in der Fibel an.
Dann kommen das Gesangbuch und der Katechismus an
die Reihe. •— Schreiben können nur die Wenigsten, auf
Runö nur der Küster; bei Unterschriften bedienen sich die
Bauern ihrer Hauszeichen. In neuerer Zeit sind einige
Schulmeister angestellt worden, die aber nur am Sonntag
Unterricht ertheilen.
Eine uralte heidnische Sitte, die sich noch bei den
Schweden an der ehstnischen Küste theilweise erhalten hat,
ist der Gebrauch von Kerbholz- und Runenkalendern
neben den gedruckten. Schon Sapo Grammaticus erwähnt
„in Holz geschnittener Briefe", die auch in späteren Sagen
Vorkommen. Zur Bezeichnung der 365 Tage des Jahres
schnitt man Striche, Runen oder lateinische Buchstaben in
Holztafeln ein, unterschied durch besondere Zeichen die
Heiligentage und bildete sich so Holzkalender, die wahr-
scheinlich schon zu heidnischer Zeit im Gebrauche waren;
denn auch die heidnischen Feste, wie Jul und Disablot,
richteten sich nach der Sonne und dem Mondwechsel.
Die an der ehstländischen Küste von den Schweden
theils noch gebrauchten, theils als Andenken an die Ver-
gangenheit anfbewahrten Holzkalender sind alle aus Erlen-,
Birken- oder Tannenholz verfertigt und theilen sich in ein-
fache und zusammengesetzte. Die einfachen sind schmale
Bretter, auf denen die Tage durch Striche und jeder siebente
Tag durch ein Kreuz bezeichnet erscheint. Die Bezeich-
nung der Tage beginnt mit Weihnachten; dieses
Fest bildete ja in Skandinavien wie in Deutschland lange
Zeit den Anfang des Jahres. Die zusammengesetzten Holz-
oder Runenkalender bestehen aus acht gleichen Holztäfelchen,
die durch ein Loch am Ende zusammengebunden sind und
von denen 7 die Zeichen für die 365 Tage des Jahres ent-
halten; ihr Name ist Rimstain, Reim- oder Zahlstab.
Die Heiligen- und Merk-Tage sind durch besondere
Zeichen und Striche unterschieden. Der 6. Januar hat drei
Kronen, der 25. December einen Weihnachtsbaum u. s. f.
Zum Schlüsse noch einige Bemerkungen über die
Sprache. Die an den Küsten der Ostsee gesprochenen insel-
schwedischen Dialekte stimmen im Allgemeinen mit einander
überein, doch lassen sich fünf Hauptmundarten unter-
scheiden. Die Abweichung derselben von der Schriftsprache
ist nicht so groß, wie es scheint, wenn man die Bauern
schnell und nachlässig mit einander reden hört; doch geben
eigenthümliche, veraltete Ausdrücke, Dehnungen und Kür-
zungen der Vokale ihrer Ausdrucksweise etwas sehr Fremd-
artiges. Aber die Sprache hat schon viel Fremdes ange-
nommen und besonders in Wichterpal und Nuckö dringt das
Ehstnische ein, und es werden im gemeinen Leben ehstnische
Wörter gebraucht, selbst wenn es dafür gute und noch ganz
bekannte schwedische giebt. Auch die plattdeutsche und in
sehr geringem Maße die russische Sprache haben eingewirkt.
Es ist begreiflich, daß bei einem von allen Beziehungen
zur Außenwelt so abgeschieden lebenden Völkchen, wie diese
Jnselschweden, alte Ueberlieferungen, Sagen und Aber-
glauben bis auf unsere Tage mit vieler Treue bewahrt
wurden. In der That haben sich viele Erinnerungen aus
dem Heidenthum und der katholischen Zeit erhalten. Thier-
aberglaube und der Glaube an Zauberer und Hexen
ist noch stark verbreitet.
Hindeutungen auf den Thorsdienst finden wir in
einigen Ortsnamen: Torsgrunn, ein Rifs bei Worms,
Tort all und Torwäg auf Runö. Der dem Thor ge-
heiligte Donnerstag wird noch jetzt als eine Art Feiertag
angesehen; die Frauen mahlen an ihm nicht aus der Hand-
mühle und spinnen keine Wolle, damit die Schafe nicht die
Drehkrankheit bekommen. Das Mahlen auf Windmühlen
wird aber nicht für unerlaubt gehalten, weil hier der Wind
Eibofolke, die Jnsèlschweden an der Küste von Ehstland.
333
die Arbeit verrichtet. Unbewußt hat sich noch eine Spur des
Thorkultus im Namen des Mistkäfers, Thorbaggc (Thor-
widder) erhalten. Als Thor sich später in der christlichen
Vorstellung in den Teufel umwandelte, ward dieser Käfer
Thorsteufel (Tordiwel) genannt. Desgleichen er-
innern die Donnerkeile an Thors Hammer, indem sie
Glück und Heil bescheren, Zahnschmerz vertreiben und das
Einschlagen des Blitzes verhindern. Er mögen diese Donner-
keile uralte Streithämmer oder auch alte Wetzsteine sein.
An den Dienst des Freyr erinnert der Inlg alt (Weih-
nachtseber). Jede Erinnerung an Frehr aber und an die
Bedeutung dieses Gebrauchs ist geschwunden und der Jul-
galt wird nur noch gebacken, weil es die Väter von jeher
so gemacht haben; doch spricht sich die Verehrung des
Ebers, des Lehrers des Ackerbaues, noch in manchen Ge-
bräuchen aus.
Dem Odin war der Mittwoch (Olsdag) geweiht.
Auf der Insel Odinsholm soll er begraben liegen und man
zeigt neben einem großen Felsblock eine Stelle, die sich durch
das Verwesen seines Körpers gesenkt habe.
Eine Spur des alten Sonnendienstes liegt in dem
Glauben, daß man beim Ausfahren auf den Fischfang das
Boot nicht gegen die Sonne, sondern mit der Sonne herum-
wenden müsse und daß man es für Unrecht hält, nach dem
Genüsse des Abendmahls sich links herumzukehren.
Sind die Erinnerungen aus der Heidenzeit dürftig und
unzusammenhängend, so sollte man erwarten, deren aus der
katholischen Zeit mehr vorzufinden. Das Volk indessen ver-
wechselt katholisch mit heidnisch, nimmt christlich und luthe-
risch als gleichbedeutend, und rechnet M ö n ch e und Nonnen
zu den Trollen oder bösen Geistern. Doch werden na-
mentlich noch manche Feiertage gehalten; der häufige, oft
abergläubige Gebrauch des Kreuzes stammt aus jöner Zeit,
und wenn Jemand einen Körperfehler hat, so gelobt er ein
Opfer. An das Fegefeuer erinnert folgender Gebrauch:
Wenn es Jemandem in den Ohren klingt, so schreien die
Seelen der heidnischen Vorfahren in der Qual oder vor-
der Himmelsthür. Man muß sagen: „Gott segne meinen
Stamm und Geschlecht", dann hören die Töne auf.
Nach altgermanischer Sitte waren Bäume Stätten
des Götzendienstes und wurden auch geradezu Gegenstand
der Verehrung. Ganz nahe bei dem Dorfe Röicks stand
eine große heilige Espe, die man noch 1845 bei Krank-
heiten des Viehs mit bunten Bändern und Kreuzen zu be-
hängen pflegte, um die Gunst des Baumgeistes zu er-
werben.
Bäume, die sich über der Wurzel trennen und nachher
wieder vereinigen, so daß man hindnrchkriechen kann, gelten
für heilkräftig und heilig. Vierblättriger Klee bringt
Glück, und eine doppelte Nuß vergräbt man im Schaf-
stalle, damit die Schafe gedeihen und Zwillingslämmer ge-
boren werden.
Eine größere Nolle als der Pflanzenaberglauben spielt
der Thier ab er glaub en. Um den Kornwurm am Weiter-
ziehen zu hindern, umsteckt man die Stellen, wo man ihn
bemerkt, mit Erlenstäbchen in ungerader Zahl. Ist der
Kornwurm durch böse Menschen herbeigezaubert, was be-
sonders durch neun in's Kreuz auf den Rand des Feldes
gelegte Aehrenpaare geschieht, so sucht man diese Zauber-
mittel auf und verbrennt sie.
Die Schlangen sind mit dem Aal verwandt, deshalb
essen die Schweden auf Worms keine Aale. Fische lassen
sich durch geheime Worte in's Netz treiben. Die dicken
Kröten sind Unterirdische; deshalb darf man keinetodt
treten, da sonst die Kühe rolhe Milch geben. Die Schlangen
stehen in hoher Achtung, so daß nicht leicht Jemand wagt,
eine zu tödten, weil sonst das Vieh nicht gedeihe und das
Kern nicht wachse. In Worms und Nuckö giebt man den
Schlangen den Namen Husbon (Schutzgeist des
Hauses). — Wenn man den großen, weißen Lindwurm
(Huita orm) fängt, das Fleisch kocht und ißt, dann versteht
man, was die Vögel sprechen. Die Schlangen haben ihren
König (Ormkungen), der eine goldene Krone auf dem
Haupte hat; wer den Kopf eines solchen Schlangenkönigs
bei sich trägt, hat Glück.
Der Kukuk verwandelt sich im Winter in einen Ha-
bicht, und aus seinen Eiern kriechen Habichte aus; hört man
ihn nüchtern rufen, so ist man das ganze Jahr hindurch
hungrig oder kränklich. — In Gestalt von Krähen und
Dohlen fliegen die Hexen umher. — Eine zwischen Weih-
nachten und Epiphanias geschossene Elster brennt man zu
Kohlen und giebt das Pulver als sicheres Mittel gegen Epi-
lepsie ein. — Kräht eine Henne wie ein Hahn, so geschieht
ein Unglück; legt ein Hahn ein Ei, dann kriechen Schlangen
oder kleine Hausgeister daraus. — Der Schwarzspecht
ist ein verwandeltes Weib, welches während des Gottes-
dienstes Brod buk. Das schwarze Kleid ward zu schwarzen
Federn und ans der rothen Haube ward der rothe Schopf.—
Das Pfeifen des Finken bedeutet Nordwind und Kälte.
Katzen, dürfen nicht beleidigt oder geneckt werden,
denn die Hausgeister oder Hexen stecken in ihnen. Thnt
man es doch, so bekommt man Geschwüre; man darf sie
auch nicht im Wagen fahren, weil sonst die Pferde sterben.
— Das kluge und treue Pferd gilt für weissagend.
Kommt der Pastor, um einem Kranken das heilige Abend-
mahl zu reichen, dann achtet man auf sein Pferd ; hebt es
den Kopf wenn es stehen bleibt, so wird der Kranke gesund;
es ist ein übles Zeichen, wenn es ihn senkt.
Der Wolf ist wegen seiner schädlichen Eigenschaften,
seines schleichenden Wesens und großer Stärke im Verdachte
der Verbindung mit übernatürlichen Wesen. Er besitzt die
Kraft und den Verstand von sieben Menschen und wird aus
einer gewissen Scheu nie bei seinem wahren Namen, sondern
stets Waldvater oder der „alte Graue" genannt. Der
Glaube an Wärwölfe, d. h. in Wölfe verwandelte Men-
schen, ist unter den Jnselschweden weit verbreitet, und in
Arensburg wurde vor etwa zehn Jahren ein Weib vor dem
Konsistorium verklagt, weil es Monate lang in den Wäldern
als Wolf umhergelaufen sei.
Auf dem Gebiete des Aberglaubens, wie aus dem der
Zauberei, haben Jnselschweden und Ehsten Vieles gemein-
sam. Diese Uebereinstimmung kann nicht auffallend sein,
da gewöhnlich die Zauberer einer fremden Nationalität im
höhern Ansehen stehen, weshalb auch der Sitz der Zauberer
in fremde, entfernte Gegenden verlegt wird. Die Nncköer
halten die Wormsschen, diese die Dagioten, Alle aber die
Oeselaner für große Zauberer. D er H auptort d er Z au-
berei istFinnland und Lappland. Die Zauberer geben
sich mit der Heilung von Krankheiten ab, wozu sie segnende
Worte anwanden; deshalb wurden sie Segensprecher ge-
nannt. Auf der Insel Worms geht eine Sage: Wenn die
Hexen auf Ofenkrücken, die sie durch ihre Zauberei in schwarze
Pferde verwandeln, zum Blocksberge (Blükberge) reiten,
dann kann man ihre wahre Gestalt erkennen, wenn man in
der Neujahrsnacht durch eine Erbsenblüte sie ansieht. —
Um die Hexen, welche sich als schwarze Katzen un-
heilstiftend in die Häuser schleichen, abzuhalten, macht man
fast überall in Worms am Weihnachtsmorgen früh einen
ungeheuren Rauch vermittelst angezündeter Wachholder-
büsche. — Kommt eine verdächtige Person in's Hans, dann
wirst man, nachdem sie weggegangen, Salz in's Feuer,
damit der etwa von ihr geübte Zauber nicht schade. — Um
334
Ethnologische Beiträge.
zu prüfen, ob auf einer Stelle oder in einem Hause kein
Fluch ruhe, wirft man an den Ort einen Lappen und schaut
am andern Morgen früh zu, was für Ameisen sich dar-
unter gesetzt haben. Sind es die kleinen rothen oder die
ganz großen schwarzen, so ist der Platz verhext. — Um
den Segen aus einem alten Haus in ein neues zu über-
tragen, bringt man etwas Erde aus demselben mit und
streut sie durch ein Sieb in alle Zimmer und Stallräume.
Dagegen darf man vom Acker keine Erde weggeben, weil
man sonst den Segen mit weggeben würde. — Bei allem
Thun achtet man auf die passende Zeit, um nicht Unsegen
auf sich zu ziehen. Die Bäume müssen bei rechtem Mond-
lichte gehauen werden, Nadelholz bei Neumond. —
Alle Krankheiten, deren natürliche Ursachen man nicht
alsbald ergründen kann, werden vom Teufel oder von bösen
Menschen hergeleitet. Besonders sind Krätze und Flechten
stets Folge der Einwirkung von Dämonen. — Manche
Menschen verstehen die schWarze Kunst und haben ein Buch
mit schwarzen Blättern und weißen Buchstaben, welches sie
aber Niemandem zeigen. — Kinder, die mit den Füßen zu-
erst auf die Welt gekommen sind, haben den bösen Blick
und die böse Zunge; hiermit können sie Zauber üben. —
Hauptsächlich schaden die Zauberer deui Vieh, indem sie
den Kühen die Milch entziehen. — Wenn man ein Stück
Vieh verkauft und demselben noch nach dem Verkauf ein
Büschel Haare ausreißt, so hat es keine Ruhe, sondern
kehrt zurück.
Aber es giebt auch zauberische Gegenmittel. Kennt
man den Urheber einer angezauberten Krankheit, so sucht
man ein Stück von seinen Kleidern zu erhalten oder schneidet
ans seinem Hans ein Stück Span heraus, den man mit
Teufelsdreck zusammen anzündet, so daß der Rauch an die
kranke Stelle dringt. Man schabt etwas von geerbtem
Silber ins Wasser, wäscht sich damit und gießt das klebrige
nach Norden hin weg'; das hilft gegen den Ausschlag. —
Ein Thier, das ein Bein gebrochen hat, bekommt geschabtes
Messing von Schlittenglocken ein.
In den Gegenden, wo so viele Kriege geführt worden
sind, wie in den Ostseeprovinzen, und welche sich eines be-
deutenden Wohlstandes erfreut haben, kann es an ver-
grabenen Schätzen nicht fehlen, und wirklich sind hier
und da größere und kleinere Mengen zum Theil werthvoller
Münzen anfgefunden worden. Die Stelle, wo ein Schatz
liegt, wird durch allerlei Schutzgestalten, Geister und andere
Wesen bewacht. Aus Kartall zeigt sich da, wo ein Schatz
liegt, eine rothe Ziege. Am gewöhnlichsten gewahrt man
auf der Schatzstelle in der Johannisnacht eine blaue oder
rothe Flamme. Durch Wünschelrnthen, die in derselben
Nacht geschnitten werden, kann man die Schätze entdecken;
beim Heben des Schatzes muß das tiefste Stillschweigen
beobachtet werden, sonst versinkt derselbe augenblicklich in
die Tiefe.
Auch an Geistern fehlt es den Jnselschweden nicht.
Feurige Drachen bringen die Schätze herbei; sie sind die
helfenden Hausgeister und heißen Skrate. Mit langem
Schweife zieht der feurige Skrat als Katze, Huhn oder Möve
Abends über die Erde hin und verschwindet im Schornsteine
des Hauses. Er bringt Geld, Erbsen, Schinken, Grütze,
Leinwand der andere Dinge, die er entwendet hat. Zugleich
dient er seinem Herrn als schützender Hausgeist gegen Diebe
und Feinde; dafür muß ihn aber der Besitzer mit Reisbrei
und Butterbrot füttern. Man kann sich selbst einen Skrat
verfertigen, was auf verschiedene Weise geschieht; Einige
nehmen eine blecherne Röhre, mit Werg und Pech gefüllt,
ein Stück von einem Wagen, den Sterz vom Pflug, ein
Stück Egge und verschiedene Lappen und verarbeiten dies
zu einer Gestalt. Diese Figur stellt man drei Donnerstage
nach einander aus einen Kreuzgang; am dritten Donnerstage
besprengt man sie mit Menschenblut und spricht: „Teufel,
ich gebe Dir meine Seele, gieb mir Dein Geld!" Dann
wird der Skrat lebendig und muß seinem Herrn dienen.
Dem Skrat verwandt ist der Bise, ein Hausgeist, der mit
Blitz und Donner zu thun hat. —
Unter den Wassergeistern ist der im Meere woh-
nende Neck der vornehmste; er ist ein kleiner Teufel in
Seehundsgestalt, mit scharfen Zähnen, und zieht den
Menschen bei den Beinen in s Wasser. Er erscheint auch
als Faß, als Pferd, Bock oder Fisch.
Die Nacht mähr (Mara), der Alpdruck, ist denJnsel-
schweden auch bekannt. Wenn böse Menschen einem Pferd
oder Rind etwas Uebles wünschen, so kommt die Mara,
oft auch der Geist des mißgünstigen Menschen selbst, setzt
sich dem Thier aus den Rücken und reitet aus ihm, bis es
ganz matt wird. Auch Menschen quält und drückt der Alp.
Unter der Erde wohnen kleine Wesen, die alt, klug,
stark und reich sind und Untenwohnende (Unde-bgjare)
heißen. Es sind die bei allen germanischen Völkern vor-
kommenden Unterirdischen. Sie schaden Dem, der sich
in ihr Gebiet wagt und geben sich dem Menschen durch
Klopsen zu erkennen; meist sind sie aber gutmüthige, wohl-
wollende Geister in der Gestalt von Kröten. Was am
Sonnabend oder Donnerstag Abend ohne Licht gearbeitet
wird, gehört ihnen; oft nehmen sie die menschlichen Kinder
fort und legen an deren Stelle ihre eigenen, ungestalten
und häßlichen Kinder als Wechselbalg.
Ethnologische Beiträge.
v.
Fortschritt der Wissenschaft. — Die anthropologische Gesellschaft in London. — Bollaert's Vortrag über die ethnologischen Verhältnisse Amerikas. — Rassen-
verhältnisse — Mischlinge.
Mit großem Vergnügen folgen wir dem Gange, welchen die Lebenslust, ohne welche ein Fortschreiten und eine Weiterentwicke-
anthropologischen und ethnologischen Studien seit einiger Zeit in lung der Wissenschaft uns unmöglich dünkt, und von Verketzern ist
Großbritannien nehmen. Im Allgemeinen hat der Engländer bei uns längst keine Rede mehr. Unser Lessing hat nicht vergeblich
eine Scheu vor der Rücksichtslosigkeit und Unumwundenheit, durch geschrieben.
welche sich die wissenschaftliche Forschung bei uns Deutschen kenn- Ganz anders in England, wo heute noch ein sehr beträcht-
,zeichnet. Bei uns sucht man lediglich die Wahrheit, sagt offen licher Theil der Gelehrten in den Banden des kirchlichen Dog-
herans, was man als richtig erkannt, und kümmert sich dabei nicht , mas festgeschnürt bleibt und Auftritte sich ereignen, die uns an
im Mindesten darum, ob man nach Rechts oder Links anstößt. die Tage des hamburgischen Hauptpastors Götze erinnern. Da
Unbedingte Freiheit der Forschung gilt bei uns als die wahre ist ein Bischof, Herr Colenso, der zu Natal in Südostafrika mit
Ethnologische Beiträge.
335
den Kaffern in Berührung kam. Diese Barbaren machten dem
Kirchenmann einige Einwendungen gegen Dieses und Jenes, was
in den fünf Büchern Mosis erhalten ist; sie fanden überhaupt im
Pentateuch Manches, das nicht recht zusammenklappen will. Die
Bemerkungen der Kaffern machten den Bischof nachdenklich, er be-
gann den Maßstab der Kritik anzulegen und gab in England einen
Kommentar zum ersten Buche Mosis heraus. Bei uns in Deutsch-
land würde auch der orthodoxeste Theolog nichts dagegen einzu-
wenden haben, wenn er auch von Colenso's Erklärungen abwiche.
In England aber bäumte sich die Geistlichkeit der gesammten Hoch-
kirche gegen den Bischof auf, verdammte ihn, ehe sie noch seine
Vertheidigung gehört hatte, und seit nun einem halben Jahr
erscheinen in jeder Woche ganze Dutzende von Schriften, zumeist
contra Colenso, welchem durch das bekannte odium theologicum
sein Leben gründlich sauer gemacht wird. Durch die Zweifel-
sucht der Kaffern ist die anglikanische Kirche in Aufregung ge-
bracht worden!
Es giebt in Großbritannien noch Geologen, welche stramm
an den sechs Schöpfnngstagen festhalten. Andere glauben schon
sehr weit zu gehen, indem sie diese „Tage" für große geologische
Epochen ausgeben. Aber an dem mosaischen Schöpfnngsmythns
halten sie fest, unbekümmert um die Ergebnisse der Chronologie,
der Alterthumsforschung rc. Gleich den fatalistischen Moham-
medanern sagen diese Leute: „Es steht geschrieben!" Gegen-
über diesen Starren hat die freiere Regung in der Wissenschaft
lange einen sehr harten Stand gehabt. Man muß sich diese Ver-
hältnisse vergegenwärtigen, um zu begreifen, welch ein Aufsehen
die Frage machen kann, ob ein Unterkiefer, den man in der Picardie
im Kies gefunden hat, ein paläontologischer Knochen sei, oder ob
er unserer gegenwärtigen geologischen Epoche angehöre. Bei uns
wäre das einfach eine Frage paläontologischer Forschung; in Eng-
land glauben aber viele Leute „das Wort des Herrn" und, was
ibnen gleichbedeutend ist, ihre anglikanische „Kirche" dadurch ge-
fährdet, wenn es sich heransstellt, daß in einer frühern geologischen
Epoche schon neben den Mammnthen, den Höhlenbären je. Menschen
gelebt haben und daß diese Steinwaffen besaßen. Davon steht ja
Nichts in der Genesis, welche man nun einmal als den Kanon
aller Wissenschaft und Naturwissenschaften betrachten will. So wird
es auch begreiflich, daß man in England die Frage über eine „Ver-
wandtschaft" zwischen den Menschen und den anthropoiden Asien
mit einer Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit behandelt, die uns ein
Lächeln abnöthigt. Und was für ein Sturm würde sich erheben,
wenn ein Engländer sich einfallen ließe, ein Bnch zu schreiben,
wie des Naturforschers Karl Vogt „Vorlesungen über den
Menschen, seine Stellung in der Schöpfung und in der Geschichte
der Erde." (Gießen 1863).
Auch die Frage, ob die Menschheit von einem Paar, dem
Adam und der Eva, abstamme, wird in England noch ernsthaft
und polemisch behandelt, erörtert! Wir begreifen, daß ein ortho-
doxer Theolog sich für den Monogenismus erklärt; es ist uns aber
alle Zeit unverständlich und unbegreiflich gewesen, wie inan es
überhaupt nur vermocht hat, die Genesis als ein wissenschaftliches
Compendium anzusehen, welches die Grundlage und Grundlagen
für Anthropologie und Ethnologie enthalte. Durch eine solche An-
nahme sind dann die wunderlichstenLnftsprünge über die sogenannte
Entstehung des Menschengeschlechts veranlaßt worden; man hat
ganze Berge von Hypothesen übereinander gehäuft, von denen die
eine so wenig oder so viel werth ist als alle übrigen. Sie wider-
sprechen einander und haben zumeist mit dem gesunden Menschen-
verstande nicht das Mindeste zu schaffen, obwohl manche mit
ganz ungeheurer, aber höchst unfruchtbarer Gelehrsamkeit ans-
staffirt sind.
Das Licht unbefangener Forschung ist nun aber auch in Eng-
land immer weiter vorgedrnngen, und die Wissenschaft stellt sich
dort mehr und mehr auf ihre eigenen Füße. Schon seit längerer
Zeit traten in der Londoner ethnologischen Gesellschaft scharfe Gegen-
sätze zwischen den Männern der unbefangenen Prüfung und den
befangenen Anhängern des Buchstabens zu Tage, und jene fanden
einen Sammelpunkt in der neugegründeten anthropologischen
Gesellschaft, welche in ihrem Programm offen ansspricht, daß
sie das Studium der Anthropologie lediglich vom wis-
senschaftlichen Standpunkt aus — also mit Ausschluß
alles Theologischen und Dogmatischen — fördern wolle. Sie will
den Menschen in seinen physischen, geistigen und geschichtlichen
Verhältnissen zur Aufgabe ihrer Forschungen machen, nicht minder
die Gesetze seines Ursprungs und seiner Entwickelung. Sie ver-
öffentlicht Uebersetznngen deutscher und französischer Werke (z. B.
von Waitz und Rudolf Wagner) und ihre Verhandlungen
(Anthropological Review and Journal of the Anthropological
soeiety of London), von denen die beiden ersten Bände uns vor-
liegen, liefern den Beweis für ein ernstes Streben und eine rührige
Thätigkeit.
Von demselben Geist unbefangener Wissenschaftlichkeit ist auch
die anthropologische Gesellschaft zu Paris durchdrungen.
Am 4. Juni 1863 gab der Sekretär derselben, Paul Broca, eine
Uebersicht dessen, was sie seit ihrem dreijährigen Bestehen für die
Wissenschaft geleistet hat, und das ist sehr viel. „Die Leiden ver-
schiedenen Doktrine, sagt er, welche anderwärts mit so großer
1 Leidenschaftlichkeit einander bekämpfen, sind in unserer Mitte ruhig
j erörtert worden. Hier hat man weder die monogenistische noch
I die polygenistische Theorie als Kriegswaffe betrachtet und weder
politische noch religiöse Vorurtheile Hineinspielen lassen. Wir sind
nicht in zwei einander feindliche Setten gespalten; vielmehr wird
durch die Mäßigung, den höflichen Ton und den guten Glauben,
durch welchen Ihre Erörterungen sich kennzeichnen, der Beweis ge-
liefert, daß es Ihnen lediglich und allein um die Wissenschaft zu
thun ist. Jeder von uns spricht seine Meinung unumwunden ans;
unsere Gesellschaft als solche und als eine Gesammtheit giebt aber
eine solche nicht ab; sie ist weder monogenistisch noch polygenistisch,
sondern ein wissenschaftlicher Verein, in welchem Jeder, der nach
dem Nichtigen und Wahren forscht, seine Stelle einnehmen kann,
ohne daß er irgendwie Rechenschaft von seinen Ansichten zu geben
hätte."
Wir unsererseits werden den Arbeiten der Londoner Gesell-
schaft, und nicht minder jenen des Pariser anthropologischen Ver-
eins eine besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Heute heben wir
ans dem so eben erschienenen zweiten Bande (August 1863) einen
Vortrag W.Bollaert's: „Bemerkungen über die früheren
und die gegenwärtigen Bevölkerungen in der Neuen
Welt" hervor, weil er sich an unsere früheren „Ethnologischen
Beiträge" anreiht, welche wir im Globus Bd. 111, Nr. 33 bis 36,
mitgetheilt haben. Der Leser wird bei einer Vergleichung finden,
daß Bollaert in Bezug auf die Charakteristik dieser Bevölkerungen,
über die Wirkungen der Raffenvermischungen, die nachtheiligen Ein-
wirkungen derselben und über die trostlosen ethnischen Verhältnisse,
welche dort eine Gesellschaft in unserm europäischen Sinne platter-
dings unmöglich machen, genau zu denselben Ergebnissen kommt,
zu welchem auch der Herausgeber des Globus schon vor fünfzehn
Jahren gelangte und die er seitdem vielfach erörtert hat. Man
thnt jetzt, was schon längst hätte geschehen sollen; die allgemeinen
Phrasen von Gleichheit aller Menschen, welche einem verschwom-
menen Kosmopolitismns und der Denkfaulheit so großen Vor-
schub leisten, verschwinden. Man rückt den Sachen, wie sie sind,
geradezu ans den Leib, man individualisirt beim Forschen
und gewinnt dabei natürlich ganz andere Resultate, als ein „Phil-
anthrop" erhält, der sein Gleichheitsschema fertig hat und seinen
Phantasiegebilden nachjagt.
Was Herrn Bollaert's Vortrag anbelangt, so wollen wir be-
merken, daß unsere Angaben in den oben erwähnten vier Ethnolo-
gischen Beiträgen in mancher Beziehung, z. B. auch in Hinsicht
der Zahlenangaben genauer, sind als jene, welche B. mittheilte.
! Darauf kommt indessen für die vorliegende Frage weniger an; in
336
Ethnologische Beiträge.
der Sache selbst sind wir mit ihm zumeist einverstanden. Als ein
Mann der Forschung läßt er sich natürlich auf die „Monogenie"
gar nicht ein; er findet den sogenannten „rothen Mann", wir
wollen sagen den Urbewohner Amerikas, als Menschen einer und
derselben Species, als ein nreigenthümliches Wesen, namentlich
auch in Bezug auf die Skala der Intelligenz, dessen Dasein schon
in die Brannkohlenperiode (Plioceu und Miocen), vielleicht auch
noch höher hinaufreiche.
Durch Vermischungen der verschiedenen Species auf Erden
sind, wie B. meint, endlose Varietäten entstanden. Die Urame-
rikaner hatten zur Zeit des Columbus wohl den Höhepunkt der-
jenigen Civilisation erreicht, bis zu welchem sie vermöge ihrer
Organisation und Intelligenz (— sagen wir: Naturanlage und
Begabung —) überhaupt gelangen konnten.
Man hat berechnet, daß zur Zeit der Entdeckung die Zahl
der Einwohner Amerikas mehr als 100 Millionen Seelen be-
betragen habe (— das ist offenbar viel zu hoch gegriffen—);
gegenwärtig sind sie anfzwölf und drei ViertelMil-
l i o n e n z u s a m m e n g e s ch m o l z e n. Ganz Amerika zählt an un-
vermischten und gemischten Bewohnern etwas über 73 Millionen
Köpfe. Davon kommen 31 Va M. ans die bisherigen Vereinigten
Staaten, 25'/2 M. auf das ehemals spanische Gebiet auf dem
Festlande; die übrigen vertheilen sich ans die übrigen Länder. Die
aus Afrika hinübergebrachten Millionen Neger, Sklaven, wurden
geholt, um zu arbeiten und so den Ausfall zu ersetzen, welcher
durch die Ausrottung einer großen Menge von Indianern ent-
stand. In diesen allen war kein starker Trieb zur Arbeit.
Die Uramerikaner bildeten ein großes ethnisches Bereich,
das in viele Völker und Stämme zerfiel. Sie bauten großartige
Erdwerke, viele waren Jäger und Krieger; aber bis zu einem
Alphabete brachten sie es nicht. Als eine besondere Gruppe können
wir die Völker in Mexiko und Centralamerika betrachten.
Sie waren hervorragend in Steinbauten, hatten Sinn für Schmuck
und Zierrathen, schon in einer weit hinaufreichenden Zeit. Von
den Völkern, welche ihnen im Norden und Süden wohnten, unter-
scheiden sie sich durch manche Eigenthümlichkeiten.
Vom Festlande scheint nach den westindischen Inseln hinüber
eine zweifache Wanderung stattgefunden zu haben, jene der fried-
lichen Lucayer, und die der kriegerischen Karalben.
In Südamerika treffen wir auf dem Tafellande von Bogota
die Chibchas; aber sie saßen, gleich den Azteken und Peruanern,
auf den Trümmern einer Civilisation, welche verschwundenen
Völkern angehörte. Weiter gen Süden finden wir, gleichfalls auf
einer Hochebene, die Q nitus. Sie wurden von den Caranes
bezwungen, welche von der Küste des Stillen Weltmeeres herauf-
stiegen, und ihrerseits vondenperuanischenJnkas unterjocht wurden.
In Peru war vor den Inkas eine alte Civilisation vorhanden;
ihr gehören großartige Steinbauten an, namentlich jene von
Tiahuanaco, auf einer Hochebene, die fast 13,000 Fuß über
dem Meere liegt. Diese Ueberbteibsel einer frühern Kultur wurden
schon von den Inkas als ein Wunder angestauut, etwa so wie die
heutigen Griechen auf die alten Kunstwerke der Hellenen Hinblicken.
In Chile fanden die Europäer araukanische Völker;
jenseits der Andes patagvuisch e Horden; im heutigen Brasilien
waren Guarani-Stämme bis weit nach Norden hin verbreitet,
sodann Karaiben. Fremde, außeramerikanische Menschen waren
zur Zeit der Entdeckung nicht vorhanden. Wie stehen die Dinge,
nachdem Vierthalbhundert Jahre verflossen sind?
Mexiko hat gegenwärtig 8,283,088 Bewohner. Bon diesen
sind die meisten reine, unvermischte Indianer, die ihrem
physiologischen Charakter durchweg treu bleiben; es ändert sich
nichts an ihnen. Dazu kommen Mestizen, d. h. Mischlinge von
Weißen und Indianern, und Zambos, welche aus der Ver-
mischung von Indianern und Negern entspringen. Diese beiden
haben, als Mischlinge, keinen permanenten Charakter.
(— lieber Mexiko äußerte sich Herr Bollaert nur kurz; wir
wollen ihn deshalb hier ergänzen, weil wir in unseren früheren
Beiträgen Mexiko noch nicht berührt haben. Die obige Ziffer ist
um mehr als eine halbe Million zu hoch gegriffen. Lerdo de
Tejada giebt in seinem vor mir liegenden „Cuadro sinoptico de
la repnblica mexicana en 1850" nur 7,661,910 Seelen an, und
koinmt damit der Wahrheit jedenfalls näher. Er bemerkt, daß
sich nicht genau ermitteln lasse, wie viele Köpfe jede verschiedene
Rasse oder Mischung zähle; als annähernd richtig dürfe man jedoch
annehmen, daß
drei Fünftel unvermischte Indianer
seien; von dem Reste sei kaum ein Drittel von reinem euro-
päischen Blute, — wobei man freilich keine strenge Blut- und
Ahnenprobe anstellen dürfte — zwei Drittel seien Mestizen in
sehr mannichfaltigen Abstufungen; die Zahl der Zambos sei von
feinem erheblichen Belang.
Dann fährt Tejada, der als mexikanischer Finauzminister
wohl ein Urtheil über seine Landsleute hatte, folgendermaßen fort:
„Diese Verschiedenheit der Rassen ist seither gewesen und
wird stets sein und bleiben, falls nicht eine von ihnen die un-
bedingte Oberherrschaft über alle anderen erringt, das größte
Hinderniß für Mexikos Gedeihen und Entwickelung. Denn durch
sie zerfällt die Gesellschaft in Brnchtheile, die von
einander geschieden und verschieden sind durch ihren
Ursprung, ihre Erziehung, ihre Gewohnheiten und
sogar durch ihre Sprache. Jede einzelne Abtheilung
hat Bestrebungen und Richtungen, welche jenen der
übrigen widerstreben, und nimmermehr werden sie
sich unter einander dahin verständigen, daß sie ge-
meinschaftlich auf einen und denselben Zweck hin-
wirken." (Tiene cada una de eilas diversas tendencias, y
jamas podrän entenderse entre si para trabajar unidas hacia
un niismo fin).
Damit ist das Urtheil über den Mangel an Lebensfähigkeit
für die mexikanische „Republik" gesprochen. Ohnehin finden wir,
daß auch dort, wie in allen übrigen Kreolenrepubliken, die Argen-
tinischen und Chile ausgenommen, die Zahl der Weißen, welche
allein das Knlturelement bilden, in reißend schneller Abnahme
begriffen ist. — A.)
Herr Bollaert hob folgenden Umstand hervor. Auf dem
peruanischen Hochlande, z. B. in den Ruinen von Potosi, überhaupt
in der Höhe von 12,000 bis 14,000 Fuß, lebten manche Altspanier,
welche ihre Frauen bei sich hatten. Diese schickte man, wenn sic
einer Niederkunft nahe waren, in's Unterland, wo sie auch noch
monatelang nach dem Gebären verweilten. Die Erfahrung hat
gelehrt, daß dasselbe auf so beträchtlichen Höhen bei weißen Frauen
nur äußerst schwierig von statten geht.
Central am erika hat noch nicht volle 2 Millionen Seelen
(Globus III, 314), und Bollaert ist durchaus im Jrrthum. wenn
er 3 Millionen annimmt. Die Zahl der.Weißen beträgt noch keine
100,000 Köpfe. In Ncugranada finden wir höchstens 450,000
Weiße (Globus III, S. 380). Bollaert, der selbst im Lande war,
stimmt mit der, von uns eingeschalteten Bemerkung des Präsidenten
Mosquera in Betreff der Charakterschilderung der Neugranadiner
völlig überein. Durch die Mischung der drei Farben: weiß, braun
und schwarz, seien die Bastarde körperlich und geistig ungemein
verschlechtert worden; Mulatten werden durch Inzucht,
d. h. Verheirathuug unter einander, nach einigen Gene-
rationen unfruchtbar. Es ist in inanchen Th eilen Amerikas
sehr schwierig, Mestizen- und selbst Kreolenkindcr überhaupt auf-
zubringen, und darin liegt wohl auch eine Hauptursache, daß die
Volksmenge im Allgemeinen gar nicht oder doch nur so wenig an-
wächst. Ohnehin sind die Mischlingsvarietäten sehr wenig
fruchtbar, und was sie erzeugen, ist es in noch weit niederm
Grad oder oft gar nicht. „Der wirklichen Freiheit sind nur die
weißen Menschen in Europa fähig. Man sehe doch nur wie im-
Ethnologische Beiträge.
337
portirte weiße Nationalitäten in Nordamerika sich so schwer dem
Gesetz unterordnen."
Samper sagt: „In Südamerika haben die Rassen Sem's,
Ham's und Japhet's einander brüderlich umarmt, um die Einheit
der Menschenfamilie wiederherzustellen." Bollaert bemerkt dazu
sehr richtig, daß solch eine mouogenistische Ansicht höchstens den
Bastarden gefallen könne. *)
Venezuela hat unter 1,356,000 Einwohnern (— diese Zahl
ist richtiger als 1,052,000, welche Bollaert angiebt —) nur
298,000 Weiße, von welchen überdies 100,000 von sehr zweifel-
hafter Farbe sind.
Wir müssen noch einmal von Herrn Bollaert abweicheu. Er
nimmt für Ecuador 2,200,000 Seelen au, wovon 607,219 Weiße
seien. Nun hat aber diese Republik überhaupt nur 670,000 Ein-
wohner, von denen allerhöchsteus ein Sechstel weiß ist (Globus
III, S. 379; wo wir auch die Bemerkungen Berthold Seemann's !
über die ethnischen Verhältnisse mitgetheilt haben). Peru hat etwa !
unter 2 Millionen Seelen höchstens 240,000 Weiße, und neben
den au Zahl überwiegenden Bollblutindianern einige Dutzend
Bastardvarietäten, zu welchen nun auch chinesische Blendlinge
gekommen sind, lieber Bolivia haben wir im Globus (III, 335)
ausführlich gesprochen. General Belzu erzählte Herrn
Bollaert 1860, er sei sieben Jahre lang Präsident
dieser Republik gewesen und habe binnen dieser Zeit,
wohlgezählt, dreißig Revolutionen zu bekämpfen ge-
habt. Im Jahre 1858 war die mexikanische Republik
58 Jahr alt; sie hatte damals schon nicht weniger als j
36 größere Revolutionen gehabt.
Wir unsererseits können hinzufügen, daß in den La Plata-
ländern die verschiedenen Revolutionen und Pronunciamientos seit
1812 schon die ansehnliche Ziffer von mehr als 270 erreicht haben
und daß Peru, Venezuela und Neu-Granada es an Wetteifer in
dieser Beziehung eben so wenig fehlen lassen, wie Ecuador und
die Centralamerikauischen Republiken. Wir könnten uns anheischig
machen, für das sogenannte lateinische Amerika, die Kreolenstaaten,
eintausend Revolutionen und Aufstände für das letzt-
verflossene halbe Jahrhundert nachzuweiseu.
Chile hat keine Neger und nur wenig indianische Elemente;
mehr als 20,000 Europäer sind im Land ansässig; binnen dreißig
Jahren ist das Gruudeigenthum im Werth um das Zehnfache ge-
stiegen; Ackerbau, Bergbau und Handel sind ununterbrochen im
Aufschwünge, der Staatsschatz hat durchgängig einen Ueberschuß;
die Eisenbahn von Copiapo zahlt 20 Procent Dividende; die Haupt-
stadt Santiago ist eine „Stadt der Paläste"; für Schulwesen und
Unterricht geschieht Ersprießliches. Woher diese im spanischen
Amerika so auffallende Erscheinung, diese glückliche Ausnahme?
Weil Chile eine überwiegend weiße Bevölkerung hat und die
ethnische Anarchie, die Buntschäckigkeit der übrigen Kreolenländer
nicht kennt.
Die Plataländ er haben wenigeNeger, nur au den Grenzen
wilde Indianer, und ein gesundes Klima. Aber die Weißen sind
*) Herr Samper ist ein neugranadinischer Mestize, der vor etwa einem
Jahr in der geographischen Gesellschaft zu Paris einen Vortrag über Rassen
und Mischungen hielt, welchen jene Gesellschaft ihrem Bulletin einverleibte.
Er enthält die tollsten Behauptungen. Es wird sich wohl eine passende Ge-
legenheit finden, ein paar Proben mitzutheilen. A.
zum Theil rohe Viehzüchter und das bürgerliche Element gewinnt
im Innern nur langsam Boden. Weiße Einwanderung wird für
jene Regionen ein großer Segen sein. Paraguay zählt höchstens
50,000 Weiße und viele Mischlinge, aber den Hauptstock der Be-
völkerung bilden Guarani-Indianer. Brasilien ist ein Neger-
und Mulattenland, in welchem unter 7 Millionen Menschen etwa
eine halbe Million mehr oder weniger weiß sind. In Guyana
leben viele Indianer und Mischlinge, auch Neger; Westindien
fällt dem trägen Neger mehr und niehr anheim und barbarisirt
sich; es hat in unseren Tagen auch Chinesen und Malabaren
bekommen; die Bastardnuancen vermehren sich also noch.
Bollaert kommt zu folgenden Ergebnissen. Die Mischlinge
gehören zu den sch lech testen Mensch enprodukten; dafür zeugen
ihre physiologischen und psychologischen Eigenschaften, dafür zeugt
auch die Geschichte. Die Revolutionen ini spanischen Amerika
haben eine ihrer Hauptursachen in der Blutvermischung.
In Amerika ist die ureiugchorene Jndianerrasse auf etwa
13 Millionen Köpfe zusammeugeschmolzen.
Im spanischen Amerika hat die Vermehrung der Weißen nicht
nur nicht Schritt gehalten mit jener im germanischen Nordamerika,
sondern ihre Zahl ist bedeutend zurückgegangen. Theilweise kommt
das auf Rechnung des Klimas und auf den Mangel an frischem
Zuwachs aus Europa. Die Einwanderung fehlt.
Die Fusion, oder besser gesagt die Konfusion, der weißen,
schwarzen und braunen Eleinente ist ungünstig für die Bildung
eines kräftigen, gesunden, fruchtbaren Menschenschlages.
Gegen die Einwanderung spricht in den meisten Kreolen-
republiken die ewige Anarchie und vielfach auch das Klima.
Mischlingsvarietäten sind bei weitem nicht so fruchtbar, wie
reinblütige Rassen. —
Dieser Vortrag gab zu verschiedenen Bemerkungen Anlaß.
UnserLandsmannBerthold Seemann trat auf, um aus eigener
Beobachtung zu bestätigen, daß die Abkömmlinge von Europäern
in Amerika vergleichsweise wenig Kinder zeugen und daß das in
noch weit größerm Maße von den Mischlingen gelte. In Panama
haben manche Mulatten viele Kinder; diese sterben aber früh. Auf
die Bemerkung eines Herrn Bouverie Pusey, daß doch die
Magyaren Mischlinge, aus gelbem und weißem Blute, seien, ent-
gegnete Bollaert, daß die weißen und gelben Menschen einander
näher ständen als schwarze und weiße. Blake bestätigte, daß
Rassenmischuug durchaus demoralisirend auf ihr Produkt wirke;
insbesondere befinde sich der Zambo, Mischling vom Indianer
und Neger, auf der tiefsten Stufe sittlicher Entwürdigung und
Niedrigkeit.
Der Präsident der anthropologischen Gesellschaft, Dr. Hu nt,
äußerte, daß in Bezug auf die Akklimatisirungs-Fähigkeit
der Menschen eine andere Ansicht zur Geltung komme als die früher
allgemein im Schwange gehende. Man habe jetzt erkannt und
nachgewiesen, daß dasselbe Gesetz, welches ein Aufziehen der von
europäischen Eltern z. B. im bengalischen Tieflande geborenen Kinder,
auch auf das tropische Australien und Amerika seine Anwendung
finde. Der Mensch sei nicht befähigt, in allen Klimaten, wohin er
als Fremder kommt, so zu leben wie in seiner Stammesheimat,
und sich in der neuen Region in derselben fruchtbaren Weise fort-
zupflanzen, wie es in seinem eigentlichen Baterlande der Fall ist.
Ein deutsches Turn- und Gesangfel't in Australien.
Melbourne, den 16. Mai 1863.
Mit Freuden lesen wir hier in den Zeitungen, die uns aus
dem alten Vaterlande zukommeu, wie man sich in Leipzig zum
dritten großen deutschen Turnfeste riistet. Man wird bei Ihnen
Globus IV. Nr. 11.
bald von nichts Anderm mehr sprechen als vom Turnen, und da
dürfte Ihnen wohl auch ein Bericht nicht unwillkommen sein, der
Ihnen über den Stand der Turnerei bei Ihren Antipoden Aus-
kunft giebt.
43
338
Ein deutsches Turn- und Gesaugfest in Australien.
Leider hat man, theilweise nicht mit Unrecht, den Deutschen
vorgeworfen, daß sie, einmal in der Fremde, gar bald das Hei-
mische abwürfen und Sitte und Sprache der Fremden, unter denen
sie gerade wohnen, annehmen. In unserer Zeit hat sich das ent-
schieden zum Guten geändert und der Deutsche beginnt sich mehr
zu fühlen; er tritt, auch fern vom Heimatlande, zu Vereinen zu-
sammen, in denen vaterländische Art und Weise gepflegt werden.
So auch bei uns hier in Australien. Wo nur in den schnell auf-
schießenden Städten und Flecken einige Deutsche zu finden sind, da
gründen sie einen Gesang- oder Turnverein und erwerben sich
dann, durch die Vereinigung erstarkt, die Achtung ihrer englischen
Nebenwohner, die oft mit Neid und Freude zugleich dem herr-
lichen deutschen Liede lauschen oder mit Staunen den Turnübungen
unserer kräftigen Jugend zuschauen.
Deutsche Vereine haben wir jetzt außer dem hiesigen, noch
in: Maryborough, Tarrangower, Avoca, Maldon,
Back-Creek, Ballarat, Geelong, Castlemaine und
Daylesfort, und von ihnen allen ward das erste australische
Turn- und Gesang fest zu Melbourne vom 2k. bis 25. November I
v. I. beschickt. Es gestaltete sich zu einem gemüthlichen, echt deutschen j
Feste, das wiederum den Beweis liefern mag, wie die australischen
Deutschen fest am alten Heimatlande hängen.
Am Abend des 2l. November waren bereits viele Fremde in
Melbourne angelangt. Sie wurden von unseren Turnern und
Sängern festlich begrüßt und in die erleuchtete und geschmückte
Turnhalle geführt, wo zwischen den Wappen von England und
Australien das transparente Bild der Germania thronte. Der
Präsident des Melbourner Vereins, Herr Mehring, begrüßte die
Gäste, welche mit einem dreifachen „Gut Heil!" antworteten. In
langer, gebundener Rede trug nun ein Melbourner Turner den
Festprolog vor, in welchem es unter Anderin heißt:
Denn dieser Tag hat höhere Bedeutung:
Er treibe Wurzeln weiterer Verbreitung
Und schließ' die Zukunft in sich ein;
Er sei ein Markstein hier tm fremden Leben,
An dem wir uns die Hände einig geben
Und heilig schwören: ewig deutsch zu sein!
Unter den vielen Sprechern, die nach guter deutscher Sitte an
diesem Abende zur Versammlung sprachen, befand sich auch ein
Engländer, Herr Weymouth, welcher auf einer deutschen Hoch-
schule studirt hat. Er schilderte das deutsche Studentenleben, welches
in Bildung und Gemüthlichkeit einzig dastehe. „Es ist" — sagte
der Redner — „unser inniger Wunsch, daß die Deutschen in
Australien dieselben Rechte genießen, wie die Engländer. Die bessere
Erziehung der Deutschen berechtigt sie vollkommen zu einer Gleich-
stellung; sie können schon stolz auf die Männer sein, die sich, wie
Leichardt, so große Verdienste um diese Kolonie erwarben." Nach-
dem der Redner enthusiastisch die Anwesenden zur Vereinigung aller
Deutschen ermahnt, damit sie gemeinschaftlich ihre Interessen in
der Kolonie vertreten sollten, schloß er mit einem Trinkspruch auf
die deutschen Hochschulen.
Ein Vortrag der Melbourner Deutschen Liedertafel machte
den Schluß der Empfangsfeier.
Den Haupttag des Festes, den 24. November, begrüßte gewiß
jeder Deutsche und Festtheilnehmer mit einiger Bangigkeit, denn !
Tags vorher hatte ein heißer Nordwind geweht, der in der Regel
mindestens einen derben Regenschauer bringt; der Wind schlug
aber nach Süden um und nun erfreute sich das Fest eines an-
genehmen kühlen Wetters. Um 9 Uhr Morgens versammelten sich
die Turner in ihrer einfachen, aber geschmackvollen Kleidung in
der Turnhalle; das Musikcorps stellte sich au die Spitze, die
schwarz-roth-goldenen Fahnen wurden entfaltet und in der fest-
gesetzten Weise ging der Zug unter ungeheurem Menschenzudrang
und Staunen der Engländer durch viele unserer Straßen nach dem
Festplatze, Cremorne Garten bei Richmond. Nach der Ankunft
wurden die vielen deutschen und Sängerfahnen hoch oben auf den
Turngerüsten angebracht; dort wehten denn auch die Flaggen
anderer Nationen, der Amerikaner, Belgier und Engländer. An
der Giebelseite des Pantheon, in welchem die Gesangaufführungen
stattfanden, war die Statue der Germania angebracht, die gleich-
sam den Festplatz überschaute. Grünes Strauchwerk, Blumen-
und Laubgewinde vollendeten den Festschmnck des Platzes.
Der erste Theil der gymnastischen Darstellungen begann mit
dem Riegentnrnen. Eine große Anzahl Turner zeigte sich un-
gemein gut eingeschult, und bei fast lautloser Stille sahen die vielen
Zuschauer den gewandten Bewegungen der Turner mit großer Auf-
merksamkeit zu. Nach Beendigung dieses ersten Theils ward im
Pantheon von einem gediegenen Orchester die Ouvertüre zu Weber's
Freischütz aufgeführt; dann sprach Herr Meyring seinen, von
ihm zu dieser Feier gedichteten Prolog, ans dem ich folgende
Stelle heraushebe:
Des Vaterlandes unverfälschte Sitten,
Auch in der Ferne halten wir sie Werth;
Und ob wir auch vereinzelt stehn inmitten
Des stolzen Volks, das ersten Preis begehrt,
Wir bleiben deutsch und zeigen doch dem Britten,
Daß deutscher Brauch ihm manches Gute lehrt;
Wir zeigen ihm des deutschen Volkes Fahne
Und heilen ihn wohl auch von manchem Wahne!
Er schloß seinen Prolog:
Gut Heil dem deutschen Fest am fremden Strande!
Doch auch Gut Heil dem deutschen Vaterlande!
Unter den herrlichen und von den Mäunergesangvereinen sehr
gut vorgetragenen deutschen Liedern erwähnen wir: O, Eintracht,
aus Mozart's Zauberflöte; der Tag des Herrn, von Kreutzer; das
Marschlied: Frisch, ganze Kompagnie, von Becker; die Kapelle, von
Uhland; Abendständchen, von Härtel u. s. w.
Der zweite Theil des Turnens bestand im Preis- und
Schauturnen, und jetzt erst zeigte es sich, welche Fertigkeit viele
Turner seit dem Bestehen des Vereins sich angeeiguet hatten; die
auswärtigen Vereine wetteiferten mit uuserm Melbourner um
die Siegespalme.
Als zum zweiten Mal eine gedrängte Zuhörerversammlung
das Pantheon gefüllt hatte, erschien der Gouverneur, Sir Henry
Barkly; die Versammlung brachte ihm ein dreimaliges „Hoch".
Der Engländer war besonders vom deutschen Quartcttgesange sehr
entzückt und sprach sich zu wiederholten Malen sehr lobend über
die ganze Festlichkeit aus.
Fast mochte es scheinen, als ob bei dem herannahenden Ende
der musikalischen Vorträge sowohl Sänger als Musiker durch das
Bewußtsein, an diesem Festtage so Gediegenes geleistet zu haben,
noch mehr zu ihrer Kunst gestärkt worden wären; aber die allgemeine
Begeisterung für das theure Vaterland hatte die Künstler ergriffen,
und so wurde denn Arndt's Lied: „Was ist des Deutschen
Vaterland?" mit einem so warmen Gefühl und einer so strengen
Präcision vorgetrageu, daß nichts zu wünschen übrig blieb, und selbst
Engländer, die den deutschen Text nicht verstanden, wurden von
Reichardt's Melodie wie verzaubert.
Zum Schlüsse der musikalischen Aufführung wurde das
britische Nationallied, God save the Queen, vom Chor und
Orchester in ausgezeichneter Weise aufgeführt und von der Ver-
sammlung mit unbedecktem Haupt angehört.
Die dritte Abtheilung des Turnens hatte für die Zuschauer
ein noch größeres Interesse, als die schon vorher gesehenen Dar-
stellungen, obgleich sie von den Turnern am leichtesten auszuführen
war. Die Formiruug schöner Gruppen, die Pyramide, der Triumph-
zug überraschten außerordentlich.
Im Ganzen wurden achtzehn Preise an die Turner vertheilt,
darunter sehr werthvolle silberne Pokale. Ein Becher trug ein ganz
specisisch australisches Ansehen. Er bestand aus einem Emu-Ei
mit Deckel, worauf ein von Silber gearbeiteter Emu (australischer
Strauß) stand. Auch die deutschen australischen Jungfrauen hatten
für das Fest ihre fleißigen Hände in Bewegung gesetzt und Turner-
gürtel als Preisgeschenke gestickt.
Der Verkehr des Hafens von London.
339
Die Preise für die Sänger bestanden in thalergroßen silbernen
Denkmünzen. Auf einer Seite steht eingegraben: Preis für Quartett-
Gesang. 24. Nov. 1862; auf der andern Seite befindet sich das
vierfache Turner-!?, umgeben von einem Eichenkranz, ausgeprägt,
und der Umschrift: Turn - und Gesaugfest in Melbourne.
An das Turnen schloß sich ein von Triuksprüchen gewürztes
Festmahl, bei Pein man mit australischem Weine die alte Heimat
leben ließ; im Ganzen mögen au allen Festlichkeiten 3000 Personen
theilgenommen haben. Als Nachfeier diente ein Ball in der
Turnhalle.
Ich theile Ihnen diese Angaben mit, auf daß Sie sehen, wie
auch in unserm fünften Erdtheile das deutsche Wesen kräftige und
gesunde Wurzeln geschlagen hat. Sie finden deshalb wohl bei Ihren
Lesern eine freundliche Aufnahme.
Der Verkehr des Hafens von London.
Die riesigen Werke, welche menschliche Thätigkeit in London
hervorrief, erscheinen den Bewohnern der Weltstadt, weil sie die-
selben täglich vor Augen haben, als etwas ganz Gewöhnliches.
Der Fremde aber, welcher sie zum ersten Mal erblickt, würdigt sie
in ihrem ganzen Umfange. So geht es auch mit dem kolossalen
Hafen von London, oder sagen wir besser mit den Häfen Londons,
denn es sind deren mehrere, welche als Einfuhr- und Ausfuhrplatz
den großen Flotten dienen, die hier jährlich verkehren.
DerTrinity-house-Hafen umfaßt einen bestimmten Raum
unterhalb der Themsebrücke, wo ohne besondere Bewilligung kein
Ballast abgeladen werden darf. Der Colliery-Hafen erstreckt
sich bis nach Gravesend; über ihn hinaus darf kein mit Kohlen be-
ladenes Schiff ohne Zeuguiß des Hafenmeisters oder ohne gewisse
Abgaben gezahlt zu haben, weiter westwärts steuern. Der Cor-
poration oder Thames Conservaucy-Hafen nimmt den
Raum zwischen Staiues westlich bis zu einem kleinen Zuflusse des
Medway im Osten ein. Hier übt man die Aufsicht über Alles, was
sich innerhalb dieser Grenzen auf Fischerei, Ufersachen, Dämme,
Landwegsbrücken, Mühlen und Wasserwerke bezieht. Der Cnstom-
h ouse-Hafen geht von der Londonbrücke bis Nord-Foreland an
der Küste von Kcnt und bis Naze an der Küste von Essex; dieser
Hafen ist in den englischen Blaubüchern gemeint, wenn von Ein-
und Auslaufen der Schiffe die Rede ist.
Gleich vielen anderen großartigen Werken ist dieser Hafen nur
allmälig entstanden. Bis in unser Jahrhundert gab etz in London
keine Docks, und diejenigen Schiffe, welche nicht an die Werste
oder am Kai aulegen konnten, waren genöthigt, mitten im Fluß
auf- und abzuladen. Von Zeit zu Zeit mußte man Aushilfswerste
und Freilager errichten, um nur die ankommenden Güter unter-
bringen zu können, bis der Zoll entrichtet war. Bei der fort-
während steigenden Einfuhr konnten natürlich diese mangelhaften
Einrichtungen nicht genügen; man legte zu beiden Seiten der
Themse in den letzten fünfzig Jahren Docks an, welche bereits
annähernd die ungeheure Summe von zwölf Millionen Pfund
Sterling gekostet haben.
Sechstausend Schiffe aller Nationen laufen jetzt
alljährlich in ihnen ein, und der Werth der wieder ausgeschisflen i
Waaren erreicht die kaum glaubliche Summe von dreißig Mil- !
lio neu Pfund Sterling, ganz abgesehen von solchen Gütern,
die aus den anderen Häfen Großbritanniens verschifft werden. Der
Werth der Einfuhr übertrifft den der Ausfuhr aber noch um ein
Bedeutendes, so daß man den Import und Export mit
fünfhundert Millionen Thalern nicht zu gering an-
schlägt.
Alle Docks sind mit Eisenbahnen und hydraulischen Krahnen
zum Aus- und Einladen versehen; sie liegen voll von Schiffen
jeder Größe, und doch wimmelt es auf der Themse selbst noch mehr
denn je von Fahrzeugen. Zur Londoner Rhederei gehören
allein 3000 Schiffe, je mit einem durchschnittlichen Gehalte von
300 Tonnen, was die ungeheure Zahl von beinahe einer Million
Tonnen ausmacht, den vierten Theil des Tonnengehaltes aller
britischen Schiffe! Fünfhundert dieser Schiffe sind Dampfer.
Rechnet man aber alle Schiffe, welche überhaupt auf der
Themse verkehren, zusammen, so kommt die Zahl 30,000 her-
aus, was etwas mehr als 80 für einen Tag ausmacht, und ver-
anschlagt man den Gehalt eines jeden nur zu 200 Tonnen, so erhält
man sechs Millionen Tonnen oder beiläufig 120 Millionen Centner.
Gegen 18,000 der erwähnten 30,000 Schiffe beschäftigen sich
mit dem Küstenhandel und bringen nur Güter von verschiedenen
anderen britischen Häfen nach der Weltstadt, die als eine groß-
artige Verschlingerin dasteht, wenn man bedenkt, daß 9000 Schiffe,
zumeist Kohlenschiffe, leer zurück gehen. Von den fünf Mil-
lionen Tonnen Kohlen, welche London jährlich verbrennt,
kommen drei und eine halbe Million auf dem Seewege, die anderen
auf den Eisenbahnen an. Alle Stunden im Jahre trifft durch-
schnittlich eine Ladung Kohlen in London ein. Die wenigsten Kohlen-
schiffe gehen in dieDocks, die meisten legen in dichten Reihen hinter-
einander am „Pool" der Themse an, wo ganze Regimenter von
Lastträgern (Coal-whippers) die Ladung löschen.
Es ist oft erwähnt worden, daß trotz der vielen Eisenbahnen,
die nach London hinführen, alle anderen Zufnhrsmittel sich doch
noch vermehrt haben. Die Kanalschiffe haben ihre Zahl verdoppelt
und verfrachten mehr Güter denn je; ebenso geht es mit der Küsten-
schifffahrt. Kutschen, Frachtwagen und Pferde, welche durch die
Eisenbahnen entbehrlich gemacht schienen, nehmen, den statistischen
Ausweisen zu Folge, fortwährend an Zahl zu. Aus dem Berichte
des General-Postmeisters für 1856 ergiebt sich, daß die englischen
Fahrposten täglich 31,000 Miles machen — eine bedeutendere Zahl
als je die englischen Posten vor Einführung der Eisenbahnen. Die
Pferde und Bezngsmittel steigen fortwährend im Preise, weil die
neugeschaffenen Verkehrsmittel ungleich mehr allein zur Aushülfe
brauchen, als die früher durch jene betriebene Personen -und Waaren-
beförderung im Ganzen.
So wichtig aber auch der Küstenhandel Londons ist, so sehr
tritt er doch gegen die Großartigkeit des Handels mit dem Aus-
land in den Hintergrund; es ist gleichsam, als ob alle Winkel der
Erde in London ihren Brennpunkt gefunden hätten. Zwölftausend
Schiffe aus den Kolonien und fremden Ländern langen jährlich
dort an, um Alles, was werthvoll und schön ist, abznladen. Alle
vierzig Minuten durchschnittlich passirt an Gravesend vorüber ein
Schiff, das mit fremden Waaren beladen ist. Sieben Achtel der
Gesammteinfuhr Großbritanniens an Kaffee; sieben Neuntel des
Viehs, die Hälfte aller Früchte, die Hälfte der Haute und Felle,
das geräucherte Fleisch, der Butter, Eier und des Reises, fünf
sechstel der Gewürze, zwei Drittel der Spirituosen, die Hälfte des
Zuckers, Tabaks und der Wolle, sowie fünfzehn Sechszehntel des
Thees, die überhaupt in Großbritannien eingeführt werden, gehen
! durch den Londoner Hafen. Natürlich ist aber die Hauptstadt für
den größten Theil dieser Waaren nur ein Durchgangsplatz; sie
i verbraucht einen Theil davon und sendet den Rest in die Provinzen,
j Der Handel Deutschlands, Frankreichs, Belgiens und Hollands
wendet sich, wegen der geographischen Lage Londons, naturgemäß
dorthin. Die alte ostindische Kompagnie hatte ihren Sitz in London,
und so läuft hier, durch diese Beziehungen bedingt, der asiatische
! Handel zusammen. Amerika und Australien aber verkehren mehr
I mit Liverpool.
43
340
Mosaik aus dem Uankeelande.
Aber auch die Ausfuhr ist eine großartige. Allein der Werth
der exportirten Bekleidungsstofse beträgt nicht weniger als z eh n
oder elf Millionen Pfund Sterling. Man denke sich eine
Ausfuhr von Schuhen und Stiefeln im Werthe von sieben Millionen
Thalern, eine ebenso große von Modewaaren und Putzsachen oder
von Kleidern!
Um wieder auf die Einfuhr znrückzukommen, so stelle man sich
ganze Schiffsladungen holländischer Aale, jede zu zwanzigtausend
Pfund, vor; Ochsen, die in Schleswig-Holstein besonders für den
Londoner Markt gemästet, und Kaninchen, die in Ostende eigens
für die Zungen der Londoner gezüchtet werden. Am besten läßt
sich aber die Großartigkeit des Handels und Bedarfs der Weltstadt
dadurch kennzeichnen, daß jeder Artikel, es mag einer sein was
immer, dort seinen Markt findet.
Mosaik aus dem Dankeelande.
i.
Die allgemeine Zerrüttung. — Das keltische Element und dessen böse Einwirkung. — Nachtheilige Einwirkung des Uankeewesens auf viele Deutsche. —
Was heißt „Kunst des Blenkerismus?" — Die Bestechung im Kongreß. — Der Schuster-jSenator Wilson und der Bankier-Kriegsminister Cameron. —
Geschichte eines Lieferungscontractes über eine Million Soldatenstiefel. — Gouverneur und Legislatur von Wisconsin der Gaunerei überwiesen. — Eine
Bestechungsgeschichte aus Neu-Uork; die Stadtbehörde und der Millionär Vanderbilt.
Es giebt gegenwärtig keine Lichtseiten in den durch und durch
zerrütteten Aankeestaaten; wir sehen nur tiefe Schlagschatten. Die
romantischen Schilderungen haben sich als Nebelbilder erwiesen,
nnd die gräßlichen Thatsachen reden deutlich genug. Bei uns in
Deutschland fragen Viele, wie eine so entsetzliche Ausartung und j
Verwilderung, wie Nordamerika sie zeigt, auch nur möglich sei in >
unserm civilisirteu Jahrhundert? Aber der Augenschein zeigt, daß
auf der andern Seite des großen Wassers die Civilisation doch nur
eine sehr oberflächliche ist, und daß im Uankeelande, bei der über- j
wiegenden Mehrzahl der Volksführer, eben so wenig von einer sitt- !
lichen Kultur die Rede sein kann, wie bei den zum Theil wirklich
„verthierteu Massen".
Unsere Leset'wissen, welches Urtheil Gustav Struve schon 1855
über die Aankeerepublik fällte, und welche Schilderungen er vom
Staats - und Gesellschaftsleben entworfen hat. Wir wollen, unserm
Versprechen gemäß, dieselben durch eine Menge von Einzelnheiten
erläutern. Wenn diese zusamniengenommen einem abschreckenden
Zerrbilde gleichen, so ist das nicht unsere Schuld, sondern jene der
nordamerikanischen Zustände, Menschen und Thatsachen. Man be-
denke auch wohl, daß der germanische Charakter des amerikani-
schen Staats-und Volkswesens durch das keltisch-irische Ele-
ment mehr und mehr verändert worden ist. Man hat nicht ungestraft
sechs Millionen Menschen irländischer Abstammung in einer großen
Republik; dafür liefern die jüngsten Julitage in Neu-Uork abermals
einen Beweis.
Leider ist auch ein Theil unserer deutschen Landsleute in die
amerikanische Verwilderung hineingezogen worden; sie haben das
Aemterjagen gelernt, sind in dem Politischen Parteitreiben entartet
und verkommen, der Ränkesucht nnd dem Fanatismus verfallen.
Das gilt vorzugsweise von Jenen, welche dem „menschenmordenden"
Abolitionismus sich zugewandt und mit den Vernichtern der Union,
der radikal-revolutionären, sogenannten republikanischen Partei
gemeinschaftliche Sache haben. Ein Blick in die Zeitungen dieser Leute
reicht hin, um zu sehen, wie ihnen aller Sinn für Ehrenhaftigkeit,
alles Gefühl für Anstand abhanden gekommen ist, und wie sie in
allen schlechten Dingen den Uankees nacheifern. Es ist peinlich und
unsauber obendrein, sich mit so entarteten Landsleuten auch nur zu
befassen; man fühlt sich abgestoßen, wenn man Blätter wie den
Neu-Uorker „Demokraten", oder gar die Nen-Uorker „Abendzeitung"
liest. Wenn wir aber das nordamerikanische Leben schildern wollen,
können die Deutschen nicht bei Seite bleiben; ohnehin lassen wir
sie selber sprechen.
Einer von ihnen, der bekannte Rheinländer Karl Heinzen,
sagt einmal in seiner Zeitung „der Pionier" mit jenem Cynismus,
der in Nordamerika Beifall zu finden scheint, über seine neneHeimat:
„Nach Allem, was Erfahrung spricht,
Ist hier die beste Probeschul' auf Erden;
Wer hier nicht kann zum Vieh und Schwindler werden,
Der wird's in seinem Leben nicht."
Die Deutschen, welche so thöricht waren, für die Uankees in
den Krieg zu ziehen, haben nicht etwa Anerkennung gefunden, son-
dern zumeist nur Hohn. Bei einem großen Theile der englisch-
amerikanischen Blätter ist es System, über die Deutschen gar
nichts zu sagen, sie zu behandeln, als ob sie gar nicht da seien.
Kann man aber bei irgend einer Gelegenheit nicht umhin, ihrer zu
erwähnen, daun wird immer ein scheeler Seitenblick auf „die teu-
tonischen Söldlinge", teutonic mercenaries, geworfen. Die
Norduuiou wäre schon vor zwei Jahren in Trümmer gefallen, als
bei Bulls Run die Uankees und Irländer vor den Konföderirten in
wilder Flucht Reißaus nahmen, wenn nicht eben die Deutschen,
nnd nur sie allein, Stand gehalten hätten. Wir werden an einer
Stelle Nachweisen, daß die Uankees in ihren Blättern drucken, ein
einziger Irländer leiste im Kriege mehr und sei tapferer als drei
oder vier Deutsche.
Also die „teutonischen Idealisten und Landsknechte" erwerben
sich dadurch, daß sie für die Sache des Zwangs, der Unfreiheit und
der Barbarei, mit einem Worte für die Norduniou fechten, keinen
Dank. Die Konföderirten dagegen, in deren Reihen etwa 25,000
Deutsche aus den Südstaateu kämpfen, sprechen mit rückhaltloser
Anerkennung von ihren deutschen Waffengefährten; der Richmonder
Korrespondent der Times stellt sie in einen Gegensatz zu den deutschen
Soldaten der Unionsarmee. Da, wo er (Times vom 1 l. Juni) von
der Schlacht bei Chancelorsville spricht, spöttelt er über Karl
Schurz und dessen Flying Dutchmen. Bekanntlich nennt der ordi-
näre Uankee den Deutschen nicht gern German, sondern Dutch-
man, was eigentlich einen Holländer bedeutet, daher hier das
Wortspiel mit dem fliegenden oder fliehenden Holländer. Er fügt
hinzu: es sei merkwürdig, wie schlecht die Deutschen der Unions-
armee im Allgemeinen sich geschlagen hätten, und doch könne man
sich kein besseres Material wünschen als das, woraus diese Regi-
menter beständen. Sie hätten sich aber während des Kriegs haupt-
sächlich in der Kunst des Blenkerismus ausgezeichnet. Als sie
bei Chancelorsville ausrissen, sei Hauptmann Sch eibert, preußi-
scher Kommissarius, der Bericht an seine Regierung über die Ver-
hältnisse der Armee der Konföderirten abzustatten hat, bei General
Lee gewesen und habe sich mit äußerstem Unwillen über das Be-
nehmen der deutschen Unionstruppen geäußert.
Nun ist es aber Thatsache, daß diese mindestens eben so gut
oder sicherlich nicht schlechter gefochten haben, als die Uankees und
die Irländer, oder überhaupt das gesammte, buntscheckig zusammen
Mosaik aus dem Sjankeelande.
341
gewürfelte Volk, aus welchem die Unionsarmee besteht; aber im
Uankeelande verstand es sich wohl ganz von selbst, daß die Deutschen,
die damned Dutchmen, den Sündenbock abgeben mußten.
Was die Kunst des Blenkerismus anbelangt, so verhält
es sich damit folgendermaßen. Der Weinhändler Blenker aus Worms,
bekannt aus dem Jahre 1848, trat als General auf und rettete Lei
Bulls Run die Iankees vor Vernichtung. Späterhin führten dann
Blätter aller Parteien eine Menge von Schandthaten und barba-
rischen Gewalthaudluugeu auf, welche Blenker und dessen Regi-
menter verübt hätten: Blenker selbst wurde als Gauner und Be-
trüger hingestellt, verlor das Kommando, bezieht aber seinen Sold
fort. Ausplündern, Gewalt an Frauen verüben, Dörfer und Städte
verbrennen und was dergleichen mehr ist, geschieht zwar auch von
Iankees und irischen Soldaten und gehört zum System in dem
Unterjochungskriege; aber Blenker und seine Dutchmen müssen
auch hier den Sündenbock abgeben. Noch scheußlicher hat aber der
bekannte Millich mit seiner Soldateska am Mississippi gehaus't.
Es schmerzt uns in unsere Seele hinein, daß wir über deutsche
Landsleute dergleichen hören und lesen. Aber, wie schon bemerkt,
es muß gesagt werden. Viele sind eben so roh und barbarisch wie
Irländer und Dankees. Mehr als 30,000 sind freilich in dem
Unterjochungskriege schon erlegen, und was ist das Ergebniß der
vielen Opfer gewesen? Eine Niederlage nach der andern, Schimpf
und Schande, womit die Dutchmen von den Dankees überhäuft
werden, der Verlust aller bürgerlichen Freiheit, eine Diktatur, die
von Aemterjägeru der niedrigsten Art ausgeübt wird! Und das
soll ein Krieg für Freiheit und Gesittung sein!
Struve klagt über die Schamlosigkeit, mit welcher die Be-
stechung betrieben wird, und allerdings hat die Korruption einen
Umfang gewonnen, für welchen in jedem andern Lande der Welt
gar kein Maßstab vorhanden ist. Wenn der Kongreß in einer ein-
zigen Sitzungsperiode mehr als vier Dutzend große Betrügereien,
die gegen den Staatsschatz verübt worden sind, zur Untersuchung
an besondere Ausschüsse verweisen muß, so ist das schon bezeichnend
genug: noch mehr aber der Umstand, daß gar kein Schuldiger zur
Verantwortung, geschweige denn zur Bestrafung gezogen wurde,
denn die Untersuchungskommission ist selbst aus „Gaunern" zu-
sammengesetzt.
Hier ist ein charakteristischer Fall, welchen die Zeitungen sehr
ausführlich besprachen. Der Präsident Lincoln ernannte zum
Kriegsminister einen bekannten Handwerkspolitiker und Stellen-
jäger, den Spekulanten und Bankier Simon Cameron aus
Philadelphia. Die Gaunereien, welche dieser Bankier-Kriegs-
minister verübte, waren aber so haarsträubend und wurden in so
frecher Weise verübt, die Zeitungen wiesen so viele einzelne Fälle
mit Namen und Zahlen nach, daß endlich die Sache im Kongresse
zur Sprache kommen mußte. Da ist nun ein ehemaliger Schuh-
macher, der sich in die Handwerkspolitik und in das Aemterjagen
geworfen hat, Namens Wilson, Senator des urächten, purita-
nischen Uaukeestaates Massachusetts, ein Hauptabolitionist und
„Kriegschrist". Dieser Mann erhob sich im Senate mit tugend-
haftem Unwillen, hielt eine donnernde Philippika gegen die Be-
trügereien des Kriegsministers Cameron, zählte eine lange Reihe
derselben au den Fingern auf und verlangte nachdrücklich, daß ein
Ausschuß niedergesetzt werde, um alle jene schnöden Gaunereien zu
untersuchen und den eventuell Schuldigen zur Verantwortung zu
ziehen. Es handelte sich um Millionen.
In jedem andern Lande der Welt würde ein solchergestalt als
Betrüger an den Pranger gestellter Mann gesagt haben: „Gut, ich
lege mein Amt so lange nieder, bis ich mich gerechtfertigt habe";
oder eine ehrliebende Regierung hätte ihn des Amtes vorläufig ent-
hoben und ihn erst wieder angestellt, wenn er rein von Flecken aus
der Untersuchung hervorgegangen wäre. Aber eine solche Praxis
kennt man in der Uaukee-Union nicht.
Simon Cameron, der Bankier-Kriegsminister und Haupt-
drahtzieher der republikanisch-abolitiouistischen Partei, welcher viele
verborgene Fäden in seinen Händen hatte, blieb ruhig auf seinem
Platz und zeigte sich nicht im mindesten beunruhigt. „Ich weiß,
wie solch ein Geist zu bannen ist." So mochte er wohl in Bezug
auf Wilson sagen, und er hatte recht.
Das Kriegsministerium hatte einen Lieferungskontrakt
über eine Million Soldatenschuhe zu vergeben. Der Unter-
suchungsausschuß von Senatoren, welcher Cameron's Betrügereien
zu untersuchen hatte, war unter Wilsons Vorsitz an die Arbeit ge-
gangen und brachte ganz merkwürdige Dinge zum Vorschein. Da
ließ Kriegsminister Cameron Herrn Wilson fragen, ob er, der
tugendhafte Senator und Ankläger, nicht geneigt sei, den Lieferungs-
kontrakt über jene Million Soldatenschuhe zu übernehmen; der
Staat werde für jedes Paar 2% Dollars zahlen. Senator Wilson,
der ehemalige Schuhmacher, begriff als sachverständiger Mann
und als Massachusetts-Aankee, also als guter Rechner, sofort, welch
ein Profit dabei für ihn herausspringen konnte, und der Vorsitzer
des Ausschusses, welcher über Cameron's Gaunereien berichten und
eine Anklage befürworten sollte, n a h m d e u L i e f e r u n g s k o n tr a k t
an. Aber er ist Politiker und das Wohl der Union, der Abolitio-
nismus und der Krieg nahmen seine Thätigkeit so sehr in Anspruch,
daß er sich entschloß, die Lieferung der Million Soldatenschuhe an
Andere abzugeben. Er nahm mit den übrigen Senatoren, welche
den Untersuchungsausschuß bildeten, Rücksprache, und überließ
ihnen die Lieferung, zu 2 Dollars das Paar Schuhe.
So verdiente der tugendhafte Ankläger im Handumdrehen
eine halbe Million Dollars.
Aber die anderen Untersuchungssenatoren gingen auch nicht
j leer aus. Sie waren nun Lieferanten, aber keine sachverständigen
* Schuster. Sie hielten es für angemessen, ihrerseits den Kontrakt
einer Kompagnie wirklich er Schuhmacher zu überlassen, und
j diese lieferten das Paar Schuhe zu 1 Dollar 75 Cents. Eine
Million Mal 25 Cents, sage 250,000 Dollars, vertheilten sie unter
sich. So machten sie ein „gutes Geschäft"; Wilson hatte für seine
Person eine halbe Million eingestrichen, und es versteht sich von
selbst, daß von einer Untersuchung oder einer Anklage gegen Ca-
meron weiter keine Rede war. Dieser blieb noch längere Zeit
Kriegsminister und trieb die Dinge noch ärger; endlich mußte mau
ihn doch entfernen, weil seine Schamlosigkeit alle Grenzen über-
stieg; aber er war zu gut in alle Schliche eingeweiht, als daß man
ihn zur Verantwortung hätte ziehen dürfen, und ging nach Phila-
delphia. Dort setzt er seine Politik bis heute fort. Wir lasen jüngst
in den amerikanischen Blättern, daß er Stimmen gekauft habe, um
von Seiten der pennsylvauischen Legislatur als Senator in den
Bundeskongreß gewählt zu werden. Wir erzählen diesen Vorfall
ein andermal, im Zusammenhänge mit ähnlichen Bestechungen,
welche in der Neu-Yorker Legislatur zu Albany an's Licht gezogen
wurden.
Die Käuflichkeit ganzer Legislaturen und ganzer
Stadtkorporationen gehört in der Yankee-Union kei-
neswegs zu den Seltenheiten; die Bestechung wird mit
unübertroffener Schamlosigkeit angeboteu und an-
genommen. Sie erklärt sich daraus, daß Alles als „Geschäft"
betrachtet wird, und öffentliche Aemter als eine „Krippe" (so lautet
; der Kunstausdruck) betrachtet werden, aus der man so viel heraus-
rauft, als sich irgend thun läßt. Gewöhnlich hat ja ein Stellen-
inhaber nur zwei Jahre Zeit, „an der Krippe zu fressen". Die
meisten Aemter werdLn nur auf zwei Jahre vergeben, und in jeder
Partei sind immer Handwerkspolitiker in Hülle und Fülle, die auch
ihrerseits an die Krippe wollen.
Da hat sich nun eine sehr erbauliche Geschichte im Staate
Wisconsin ereignet, die sogar im Yankeeland auf vierzehn Tage
l allgemeines Aufsehen machte und in allen Blättern besprochen
wurde. Wir erzählen sie nach der New-York Times, welche in
ihrer Nummer vom 25. Mai 1858 einen langen Artikel mit nach-
stehender fettgedruckten Ueberschrift hat:
342
Mosaik aus dem Uankeelande.
Eiseubahuverwaltung! — En-Gros-Bestechnng ber-
gan z e n Regierung von Wisconsin. Preistaris für die
Stimmen. — Der Staatsgouverneur 50,000 Dollars.
— Jeder Senator 10,000 Dollars. — Jeder Assembly -
man 5000 Dollars. — Allgemeines Plünderung ssystem,
Raubwirthschaft im Großen, Schwindel aller Art bei
der La Crosse- und Milwaukee-Eisenbahn. — Bericht
eines Specialausschusses der Legislatur von Wis-
consin! —
Der Hergang war folgender; wir bemerken, daß er hier nach
amtlichen Quellen erzählt wird.
Die beiden Häuser der Legislatur von Wisconsin, also Sena-
toren und Assemblymen, setzten in Folge gemeinschaftlichen Be-
schlusses einen Ausschuß nieder, welcher untersuchen sollte, ob Mit-
glieder der Legislatur von 1856 und Andere der Korruption schuldig
feien und sich hätten bestechen lassen. Auch sollte derselbe Einblick
in die Verhältnisse der oben erwähnten Eisenbahn und einiger an-
deren Korporationen nehmen. Der Bericht erschien und sagte ganz
trocken Folgendes:
Die überwiegende Mehrheit der Legislatur von 1856 hat
sich bestechen lassen, und es ist ein in der Thal seltener Scharfsinn
aufgeboten worden, um die ganze Angelegenheit zu verdecken.
Die Bestechung bestand darin, daß man den Leuten Bonds und
Aktien der La Crosse- und Milwaukee-Bahn gab.
Eine Namensliste weist nach, daß die in ihr aufgeführten
Senatoren Geldgeschenke („pecuniary compliments“) im Be-
laufe von 10,000 bis 20,000 Dollars per Kopf, und zwar in Bonds
der Bahn, erhalten haben.
Bestechende und Bestochene trauten einander nicht. Die Be-
träge mußten bei einem Agenten der Kompagnie niedergelegt werden,
der sie den Senatoren erst dann einhändigen sollte, wenn die Eisen-
bahnbill wirklich dnrchgegangen sei.
Fünfzig Mitglieder der Assembly erhielten jeder 5000 Dollars
in Bonds; einige bekamen 10,000, und einer, der für sehr einflußreich
galt, 20,000 Dollars. Alle nahmen das ihnen angebotene „Kom-
pliment;" Keiner sagte Nein.
Vier Senatoren haben ohne „Kompliment" oder Ent-
schädigung für die Bill gestimmt.
So stand es mit den Männern der Gesetzgebung. Aber auch
die Staatsbeamten gingen nicht leer aus. Manche bekamen
5000, andere 10,000 Dollars; verschiedene Agenten, die als
„Outsiders" bezeichnet werden, wurden je nach ihrer Bedeutung
mit Summen von 1000 bis 25,000 bedacht. In einer Quittnngs-
liste der Eisenbahngesellschast waren 5 Striche —10. Als der
Sekretär der Kompagnie, welcher die Liste entworfen hatte, gefragt
wurde: „Was bedeuten diese fünf Striche?" entgegnete er: „Sie
werden wohl für den Gouverneur gewesen sein", und sein
Principal bemerkte: „Sehr richtig vermnthet."
Bei dem ganzen Geschäft handelte es sich vorzugsweise darum,
für die Kompagnie möglichst viel Grund und Boden umsonst zu
erhalten; durch den Bau der Eisenbahn mußte natürlich dasselbe
ini Werthe steigen. Der Präsident der Kompagnie gab vor dem
Ausschüsse die Erklärung ab, er habe einem seiner Agenten
200,000 Dollars in Bonds der Kompagnie gegeben, um dieselben
zu verwenden, damit, durch Fürsprache der Legislatur, beim Kongreß
mehrere Beschlüsse der letztern genehmigt würden, welche ans Län-
dereien und zur Fortsetzung der La Crosse- und Milwaukeebahn
nach Minnesota hinein Bezug haben.
Auch die Zeitnngsbesitzer-bekamenAntheil an der Beute. Aus
der Liste der Bestochenen geht hervor, daß fünf Sechstel derselben
Danke es, eingeborenes, amerikanisches Vollblut sind, „königliches
Blut von Amerika". Kein Deutscher hat sich bei diesem schmuzigen
Handel betheiligt.
Dieser Untersuchungsbericht über die „Verirrungen" der Legis-
latur von Wisconsin wurde, wie bemerkt, der Volksvertretung
von 1858 abgestattet. Alle Gaunereien mit Namen und Betrag
waren sonnenklar nachgewieseu. Natürlich wurden die Gauner alle
zur Verantwortung und Strafe gezogen?
Mit nichten! Die Legislatur des Jahres 1858 ver-
tagte sich, ohne irgend einen Beschluß darüber zu
fassen, und d^e Sache blieb bis heute ans sich beruhen.
Aus der allerneusten Zeit liegt uns eine nicht minder groß-
artige Bestechungsgeschichte aus der guten Stadt Neu-
Uork vor, über welche wir in „Harp er's Weekly" vom 11. Juli
1863 einen sehr ausführlichen Bericht finden. Es handelt sich
dabei um die Kompagnie der Harlem-Eisenbahn und
deren Hauptaktionär, den „Nabob" Vanderbilt, einer-
seits, und um die Väter der Stadt Neu-Uork (Stadträthe
— Councilmen, und Stadtverordnete —Aldermen), andererseits.
Im vorigen Winter stellte sich unwiderlegbar heraus, daß
die zu Albany tragende Volksvertretung des Staates
Neu-Uork von einer Spekulantengesellschaft erkauft
und bestochen worden sei, um den Plänen jener Spekulanten
die Genehmigung der Gesetzgebung zu ertheilen. Es handelte sich
vor Allem darum, der Hartem-Bahnkompagnie die Erlaubniß zu
I verschaffen, daß sie auf dem Broadway, der Hauptstraße der Stadt
Neu-Uork, eine Eisenbahn anlegen dürfe. Viele Bewohner dieser
Straße wünschten aber eine solche Bahn nicht und boten Alles ans,
um dieselbe abzuwenden. Aber mehrere Advokaten spürten ein
Gesetz der Legislatur aus dem Jahre 1832 auf, demgemäß die
Harlem-Kompagnie ermächtigt wurde, Eisenbahnwagen bis an
den Park laufen zu lassen. Auch war ihr das ausschließliche Pri-
vilegium verliehen, dergleichen in anderen Straßen und Avenuen
laufen zu lassen, falls die Stadtbehörde (Common Council) ihre
Genehmigung ertheile.
In jener Zeit machte man nämlich noch die ersten Versuche
mit Eisenbahnen in den Straßen der Stadt, und es war noch nicht
ausgemacht, ob die Sache überhaupt rentircn werde. Das Extra-
privilegium gab man den „Harlems" gewissermaßen als Auf-
munterung. Seitdem hat sich herausgestellt, daß Bahnen in den
l Straßen allerdings glänzend rentiren. Wenn nnn der Neuyorker
! Stadtrath erklärte, daß eine Eisenbahn im Broadway nothwendig
sei, dann verstand es sich, in Anbetracht des Gesetzes von 1832,
! von selbst, daß die Harlem-Kompagnie das ausschließliche Recht
hatte, dieselbe zu bauen und in Betrieb zu nehmen.
Nun kommt die „Transaktion". Man sondirte zunächst den
Common Council, und fand, wie man erwartet hatte, die Mit-
glieder ganz koulant. Einige deuteten ans den Vers der Bibel
hin, demgemäß jeder Arbeiter des Lohnes Werth sei; Andere er-
klärten, die Sache werde sich schon machen lassen, wenn man
! koulant verfahre. Nun wurde eine Summe von 100,000 Dollars
Laar und außerdem ein Betrag von 200,000 Dollars in Aktien der
Hartem-Bahnkompagnie stipulirt und man schritt zur Hauptsache,
j die sich aber, in Anbetracht der Gegner, nur durch schlaue Politik
und Ueberrnmpelung durchsetzen ließ.
Urplötzlich wurden an einem schönen Tage beide Abtheilnngen
- des Stadtraths einbernfen; die Uneingeweihten wußten natürlich
' nicht, zu welchem Zwecke. Die Broadwaybahn kam aber gar nicht
! zur Sprache; nicht einmal eine Anspielung wurde gemacht. Die
! Hartem er hatten das Geld noch nicht deponirt, und ans bloßen
^ Kredit hin wollten die Väter der Stadt nichts genehmigen. Am
j andern Tag um 1 Uhr wieder Versammlung, und abermals Schluß
der Sitzung, ohne daß auch nur mit einem Worte der „Hauptsache"
erwähnt worden wäre. Die Verhandlungen über das Geld waren
bisher noch nicht zum Abschlüsse gediehen. Die Väter der guten
Stadt Neu-Uork, die Auserkorenen des allgemeinen Stimmrechts,
verlangten nämlich, daß von Seiten der Harlemer die Summe
beim Inhaber einer bekannten Spielhölle deponirt werden solle.
Diesem Spielhöllenhalter trauten aber die Harlemer nicht; sie
wollten das Geld bei einem bekannten Bankhause hinterlegen, gegen
welches aber die Aldermen allerlei Einwendungen machten.
Die Sitzung von Mittags 1 Uhr brachte keine Resultate. Es
Ein polnisches Sanddorf in der Tuchler-Haide.
343
wurde deshalb abermals, auch demselben Nachmittag um 5 Uhr,
eine zweite anberaunt. Auch kein Resultat. Dritte Sitzung um
9 Uhr Abends, auch an demselben Tage. Jetzt merkten die
Broadwayleute Unrath; ein Gleiches war von Seiten der Harlemer
der Fall, und diese verstanden sich dazu, das Geld bei dem Spiel-
hölleninhaber zu deponiren. Also um 9 Uhr Abends Sitzung, in
welcher es zum handgreiflichen Skandale kam. Man ließ den
Scheriff und dessen Ersatzmann nicht in die Sitzung; der Letztere
wurde vom Thürsteher und einigen Raufbolden (Schulterstoßer,
Shoulder hitters, nennt man solche Biedermänner in der politischen
Sprache der Aankees) hinansgeworfen, und so ertheitten dann
die Väter der Stadt der Hartem-Kompagnie das Recht, ans dem
Broadway, in der Fulton- Straße rc. Schienen zu legen.
Damit schließt der erste Akt. Der zweite bringt eine neue
Verwickelung, die in hohem Grad interessant ist. Die Arbeiter
erhielten ihren Lohn auch in baarem Gelde. Mit diesem niachten
sie sofort eine gute Spekulation, indem sie Hartem-Aktien kauften,
welche an jenem Tag auf 58 standen. Als am andern Tage ihr
Beschluß bekannt wurde, stiegen sie auf 79 und dann rasch auf
118. Die Väter der Stadt machten glänzenden Prosit, aber ge-
rade dieser verwirrte ihnen die Kopfe. So viel hatte noch keine
andere „Transaktion" abgeworfen. Bei Spekulationen gewöhn-
licher Art, z. B. bei Vergeben eines Kontraktes über Straßen-
reinigung, fallen für jeden höchstens ein paar hundert Dollars ab;
bei kleineren Angelegenheiten beträgt die übliche Taxe für den Ver-
kauf der Stimme gar nur 100 Dollars. Nun aber sollte ans der
einmal geöffneten Schleuse des Goldstroms noch mehr Gold fließen.
Die Väter der Stadt beriethen privatim und vertraulich. Sie
sagten: „Wir haben etwas geschaffen, wir können es auch wieder
zerstören. Weshalb sollen wir uns unsere Genehmigung nicht zum
zweiten Male bezahlen lassen? Wir sagen, daß ein Jrrthum, ein
Versehen vorliege, daß wir die ganze Angelegenheit noch einmal
in sorgfältige Erwägung ziehen. Und wirklich, was sollte ans
dem Wohl und Gedeihen der Stadt werden, wenn wir, Menschen,
die ja irren können, nicht das Recht hätten, uns selber und unsere
Beschlüsse zu revidiren?"
Gesagt, gethan. Die würdigen Väter schicken zwei Vertreter
zum Nabob Vanderbilt ab, also zum Präsidenten der Harlemer,
und lassen ihm kundgeben, daß ein Widerruf des Beschlusses zu
besorgen stehe. Der Nabob ließ sich aber nicht einschüchtcrn, sondern
erklärte, die Herren möchten thnn, was sie für gut hielten, würden
aber einen Widerruf schwer zu bereuen haben.
Die Väter rechneten so: Wenn durch die Genehmigung der
Bahn die Harlem-Aktien von 58 ans 118 gestiegen sind, so muß ein
Widerruf sie bis auf 50 herunterdrücken. Dann kaufen wir, ge-
nehmigen später noch einmal und verkaufen wieder zu hohem Cours,
etwa zu 100 oder 115. Sie hatten aber die Rechnung ohne den
Wirth gemacht. Vanderbilt hat von den 80,000 Harlem-Aktien
für seine Person 50,000 Stück, und damit operirte er so, daß
die Bestochenen, welche auf Lieferuugszeit gekauft oder verkauft
hatten, in den größten Schaden gekommen sind. Denn Vanderbilt
war durch seine „Vertrauten" über alle Einzelnheiteu sehr wohl
unterrichtet.
Die edlen Väter der Stadt hatten nämlich am 25. Juni ihre
Drohung wirklich wahr gemacht und ihren Beschluß widerrufen.
Am andern Tage ließ Vanderbilt alle Harlem-Aktien kaufen, die
zu haben waren, und trieb sie bis auf 106. Er brachte die bestochenen
Gauner um eine Menge Geldes. Auf diese Börseuiutriguen gehen
wir nicht ein, weil es hier nur darauf ankommt, das Gaunergetriebe
der Vertreter einer Stadt wie Neu-Iork, darzulegen und an ihr
den sittlichen und politischen Verfall klar zu machen.
Die Gauner baten nun um Gnade bei Vanderbilt. Diesem
stellte man vor, es sei nicht gut, die Stadtbehörde auf's Aeußerste
zu treiben; sie werde an dieser Züchtigung genng haben. Wenn
man diese „Halunken" beseitige, so kämen ja doch nur andere desselben
Gelichters au ihre Stelle und das steuerzahleude Publikum gewönne
nichts. Vanderbilt erklärte, daß er Gnade ergehen lassen wolle,
wenn der Widerruf widerrufen und die Genehmigung wieder er-
theilt würde."
Also versammelten sich die Väter der Stadt Neu-Jork am
29. Juni um 1 Uhr Mittags, nahmen die „wichtige Angelegenheit"
wieder in Erwägung und erklärten, daß sie sich geirrt hätten, als sie
die Genehmigung widerriefen, weshalb sie nun jetzt mit vollein
Vorbedacht %nb sorgfältiger Prüfung, diesen Widerruf zu kassiren
sich gedrungen sähen!
Vanderbilt's Freunde machten, mit dessen Genehmigung, die
ganze Sache bekannt; die Blätter aber sprechen von den, natürlich
nach wie vor in Amt bleibenden, Vertretern der Neuyorker Bürger-
schaften, z. B. dem Vorsitzenden Walsh, dem Alderman Farley,
dem Stadtiuspektor Boote und wie die Biedermänner weiter heißen,
als „geprellten Gaunern, Halunken und Betrügern, welche in
Gegenwart des Volks haben Lauch hiuunterwllrgen und Schmuz
, fressen müssen".
Das ist die Geschichte von den Vätern der guten Stadt Neu-Uork.
Ein polnisches Sanddorf in der Tuchler-Haide.
Dorthin, wo die Wellen beider Völkerstämme einander zuerst
berühren, wo das deutsche Interesse dem polnischen zuerst in den
Weg tritt, wollen wir vor Allem unsere Blicke richten. Merk-
würdigerweise stehen sich gerade hier die beiden Nationalitäten
fast am schroffsten gegenüber, während weiter innen die gegen-
seitige eigentliche Ursprünglichkeit bereits vielfach in einander ver-
schmolzen ist.
Wenn wir an einem lieblichen Frühlingsmorgen durch den
Kiefernwald fahren, welcher sich in dem an die Provinz Posen
lehnenden Theile Mestpreußens viele Meilen weit ausdehnt, so
beschleicht uns wohl ein eigen beengendes Gefühl. So weit das
Auge zu reichen vermag, giebt es nichts als einförmiges Nadel-
holz, öden Sand, und darüber den bläulichgrauen Himmel der
Haide. Keine bunte Scenerie, keine muntere Regsamkeit, wie die
Laubwälder sie bieten, nicht einmal ein Vogel, kaum irgend ein
lebendiges Wesen ist weithin zu erblicken. Und wenn wir nun auf
eine Blöße gelangen, eine vom Wald umrahmte Ebene, da lachen
uns keine üppigen Saaten entgegen; magere Roggen- und Buch-
weizpflänzchen — letzterer das „Korn der Haide" genannt —, dürf-
tige Kartoffelstauden sind fast das einzige Grün, und ebenso ein-
förmig und unbeschreiblich lebensarm wie der Wald erscheint uns
die ganze Gegend. Selbst die Lieder der trillernden Lerchen hoch
im Aether ertönen uns so schwermüthig, gleich als jubelten sie dort
nimmer in der Frühliugsfreude aller Kreatur, sondern klagten über
die Armuth, das Leid und Weh des Lebens. Endlich athmeu wir
froh und erleichtert auf, denn drüben schimmern die ersten meusch-
lichen Wohnstätten unter den Bäumen gastlich hervor.
Es sind wohl schwer zu schildernde Empfindungen, welche die
Brust Desjenigen dnrchwogen, der lange Zeit hindurch allein im
fernen Auslande geweilt, und nun, nach beschwerlicher Fahrt, die
geliebte Heimat wiederfindet; noch ergreifender müssen die Gefühle
des halbverschmachteten Pilgers sein, wenn er in der Wüste uner-
wartet auf eine Oase trifft. Doch auch der Eindruck ist, ohne Ueber-
treibnng, ein gar mächtiger, den ein Dörfchen auf uns macht, in
344
Ein polnisches Sanddorf in der Tnchler-Haide.
das wir nach den langen Stunden einer einsamen Haidereise end-
lich gelangen.
Unsere Freude ist aber leider eine durchaus getäuschte, denn
bald gewahren wir, daß es auch der allergrößten Genügsamkeit
nicht möglich ist, ihre Ansprüche in einem polnischen Sand-
dorfe zu befriedigen. Schauen wir uns jedoch ohne Vorurtheil um.
Wir treten in die nächste Hütte. Du lieber Gott, was bietet
sich uns dort für ein Anblick dar! Das große, meistens nicht ein-
mal gedielte Zimmer, Wohn-, Schlaf- und Arbeitsstube zugleich,
zeigt in den Ecken Gestelle, welche Betten sein sollen, die jedoch
Thierlagern weit ähnlicher sehen als menschlichen Ruhestätten.
Das Stroh der Unterlagen ist meistens fast im Zustande der Ver-
wesung begriffen und ihm entsprechen die Kissen und Pfühle. In
gleicher Weise strotzt von Schmuz jegliches der ärmlichen und
größtentheils sehr defekten Geschirre und Hausgeräthe. Ebenso
verfallen ist meistens der gewaltige Ofen und neben demselben das
nicht minder unförmliche Kamin, in welchem ein unsauberer Kessel
über einem Feuer von Reisigholz hängt, dessen Dampf und Qualm
das ganze Gemach erfüllt. Und was für Ausdünstungen birgt
diese Atmosphäre noch ! Vor uns wimmeln fünf bis sechs Kinder von
schwer zu beschreibendem Aussehen, mehrere Hühner, Kaninchen
und wohl auch ein Ferkel.
Hüte dich, daß du in dem Halbdunkel nicht etwa einem der
Betten oder den Kindern zu nahe kommst. Du fischest dort jeden-
falls einige lebende Wesen auf, mit denen deine Begriffe von Wohl-
behagen sich schlechterdings nicht vertragen würden.
Mit Ekel und Trauer wollen wir eben uns abwenden von
dieser Stätte des Elends, doch da fesselt noch etwas unsere Blicke.
Ringsherum starren die meistens ungekalkten Wände von schreiend
bunten Bildern. Wir finden die Muttergottes, strahlende Heilige,
Märtyrer u. s. w., und in ihnen besteht das kostbarste Gut der Fa-
milie, denn die Armen haben diese Machwerke erschêcklich theuer
bezahlen müssen und oft nur mit den schmerzlichsten Opfern er-
kaufen können. Sonderbarerweise finden wir aber neben diesen
Heiligthümern in der Hütte des gemeinen Polen nur selten die pa-
triotischen Polenbilder, denen wir in den Zimmern des Adels
und der Priesterschast sogleich begegnen. Die Bauern haben
in dieser Beziehung den richtigen Instinkt!
Dem Innern entsprechend erscheinen die Wohnhäuser dieser
polnischen Bauern *) auch von Außen durchaus verwahrlost.
Meistens sind sie von Backsteinen mit einem Holzgerippe aufgeführt
und tragen Strohdächer, welche wohl mehr des Symbols als der
Haltbarkeit wegen ans den Spitzen längs mit gekreuzten Hölzern
belegt sind. Ebensowohl die Dächer wie die Wände, Fensterscheiben,
Thüren u. s. w. sind häufig in sehr verfallenem Zustande. Doch
finden wir vielfach in den grellsten Farben und in der komischsten
Art bemalte Fensterladen. Die Gebäude, Häuser, Scheunen,
Ställe u. s. w. der Wohlhabenderen sind öfters ganz aus Holz,
zeigen indessen ebenfalls vielfach die Spuren der allgemeinen Ver-
nachlässigung.
Während dessen hat sich in der Nähe unseres Fuhrwerks eine
gaffende Menge versammelt, doch führt keineswegs die bloße Neu-
gierde, wie wir sie anderwärts bei ungewohnten Erscheinungen
finden, hier die Leute zusammen. Können wir ihre Ausrufe und
Bemerkungen verstehen, dann füllt uns zunächst die Verschieden-
heit der beiden Volkscharaktere auf eine bemerkenswerthe Weise in
die Augen.
Der Deutsche wundert sich, staunt und ist begierig
zu prüfen! Der Pole staunt eigentlich nie und ebenso
wenig zeigt er das Verlangen, das Wie eines Dinges zu
wissen. Ihm fallen nur die glänzenden Punkte eines Gegen-
standes in die Augen, ihnen jauchzt er jubelnd zu in lebhafter
Freude. Hierin liegt im Allgemeinen ein treffender Charakter-
gegensatz der beiderseitigen Bewohner dieses Landstrichs, wie der
*) Unter der Bezeichnung Bauern begreift man hier Ackerbesitzer,
Käthner und Tagelöhner zugleich.
Polen und Deutschen überhaupt, in allen Schichten der Gesell-
schaft. —
In ihrem Aeußern erscheinen diese Menschen ebenfalls ent-
setzlich verkommen; ihre Kleidung besteht oft nur aus Fetzen und
Lumpen und ihre Gestalten tragen den Stempel der Noth und des
Elends unverkennbar. Kleine, untersetzte Figuren, mager uild
starkknochig, die Männer ohne Ausnahme mit Schnurrbärten, jedoch
ohne mannhaftes Aussehen, die Weiber fast durchgängig grund-
häßlich, mit plattgedrückten Nasen und flachen Zügen, das ist der
allgemeine Typus dieser Dörfler. —
Der Appetit auf Milch, Käse und dergleichen ländliche Speisen
ist uns freilich schnell vergangen, der mächtig erwachende Hunger
erinnert uns jedoch daran, daß Eier mindestens ein Nahrungs-
mittel sind, über dessen Reinlichkeit, auch unter schwierigen Um-
ständen, kein Zweifel walten könne. Alle unsere Fragen und Bitten
sind indessen vergeblich, wir hören Nichts weiter als ein achsel-
zuckendes nieroznmiem*) oder niewiem. **) Obwohl nun minde-
stens drei Viertheile der Umstehenden ganz leidlich deutsch sprechen
können, so lassen sie sich doch durchaus nicht mit dem Niemcze ***)
in eine Unterhaltung ein. Dies liegt jedoch keineswegs in der
außerordentlichen Feindschaft, die sie etwa gegen ihn hegten. Nein,
wer hier aufmerksam beobachtet hat und wahr und ge-
wissenhaftseinwill, der muß es mit mir bezeugen, daß
der gemeine Pole durchaus keine Feindschaft gegen die Deut-
schen hegt. Sein nieroznmiem hat einen ganz andern Grund.
Sowohl das grenzenlose Elend, wie die Tyrannei, in der dies
Volk Jahrhunderte hindurch von polnischen Großen gehalten
worden, haben diese Armen mit unbesiegbarem Mißtrauen gegen
alle über ihnen Stehende erfüllt und ihnen ihr Selbstvertrauen ge-
raubt. Daß sie jedoch noch Selbstbewnßtsein und Ehrgefühl in
hohem Grade besitzen, dafür zeugt eben dies nieroznmiem, denn
sie sprechen nur deshalb nicht deutsch mit uns, weil sie be-
fürchten, ihres Radebrechens wegen verspottet und ver-
lacht zu werden. Sie selber werden sich niemals über einen
Fremden lustig machen, auch wenn er ihre Sprache noch so arg
mißhandeln sollte, was übrigens der für uns so schweren Aus-
sprache wegen fast regelmäßig der Fall ist.
Einen sichern Beweis für diese Behauptung giebt uns der
schnelle Wechsel in dem Benehmen der gemeinen Polen, sobald sie
von uns nur einige einheimische Laute hören. Da geht das leb-
hafte Geschnatter sofort polnisch und deutsch an und zeigt sich der
Jegomosef) nur herablassend genug, um irgend einen Spaß zu
machen, so sind die finsteren, mißtranischen Blicke augenblicklich
verschwunden und das leicht erregte Völkchen lacht und jubelt um
die Wette, mit lebendigstem Mienen- und Geberdenspiel.
Eier, Milch, Butter, Käse u. s. w. erhalten wir indessen auch
jetzt nicht von ihnen, weil die Armen von alledem selten etwas vor-
räthig haben; kaum ein Stückchen schwarzes Brot vermöchten wir
bei ihnen anfzutreiben.
Der Ort, in welchem wir uns befinden, gehört zu den größten
Dörfern der Tuchler-Haide. Seine Bewohner sind theils besitzende
Bauern, theils besitzlose Arbeiter, die sogenannten Einlieger oder
Tagelöhner, welche alle zusammen, wie bereits erwähnt, hier unter
der Bezeichnung Bauern begriffen werden. Schauen wir uns die
Leute noch einmal näher an. Im Alltagsanzuge, leinener Jacke
und Hosen, meistens ohne Weste und oft ohne Hemde, gleichen diese
Polen den Deutschen ihres Standes in dieser armen Gegend; doch
bei näherm Blicke finden wir sogleich einige sichere Unter-
scheidungsmerkmale. Ein annäherndes bildet der bei fast
keinem, auch dem allerniedrigststehenden Polen fehlende Schnurr-
bart. Dann sehen wir in seinem Anzüge jederzeit irgend etwas
Schmückendes, Buntes, eine Pfauenfeder am Hute, Schnüre an
*) Niemroznmiem — ich verstehe Nicht.
**) Niewiem — ich weiß nicht.
***) Niemcze — ein Deutscher.
p) Ein gnädiger Herr.
Ein polnisches Sanddorf in der Tuchler-Haide.
345
der Jacke, ein grellfarbiges Bändchen im Knopfloch oder dergleichen.
Dasselbe ist bei den Frauen der Fall, denn wenn ihre Kleider sonst
auch noch so unsauber und unordentlich erscheinen, sie sind doch
meist von schreiender Farbe, mit Fransen und Gimpe besetzt, und
Haar und Hals zeigen Glas - oder Bernsteinperlen, bunte Nadeln
oder andern Schmuck. Das charakteristische Erkennungszeichen des
Polen bildet indessen die „Conföderatka", jene vielbedeutsame,
vierzipfelige und unten mit Pelzbräm besetzte Mütze, welche ebenso-
wohl im Sommer als im Winter getragen wird. In ihrer Feier-
tagstracht lernen wir die Polen später kennen.
Während wir die meistens ungepflasterte Gasse hinabfahren,
über Holzblöcke, Reisighaufen und durch große Dllngerpfützen, be-
kommen wir einen Begriff von der sprichwörtlich gewordenen
„polnischen Wirthschaft". Die Gebäude, Höfe, Gärten, Felder
u. s. w., Alles erscheint uns in gleicher Weise vernachlässigt und
verwahrlost. Die Fensterscheiben der Häuschen sind vielfach zer-
schlagen, ganz offen, höchstens mit schmutzigem Papier verklebt oder
mit hölzernen Brettchen ansgebessert. Aehnliche Dörfer finden wir
wohl auch noch in anderen Gegenden, z. B. in den sterilsten Theilen
Hinterpommerns (Kassuben); eine solche Vereinigung der Armuth
mit Nachlässigkeit und Unsauberkeit kann es anderwärts aber doch
selten geben.
Um so mehr werden wir überrascht, wenn wir, um eine Ecke
biegend, jetzt plötzlich vor der Thür eines Hauses ein liebliches
Gärtchen erblicken, das von einem hübschen, einfachen Holzzaun
umgeben, mit seinen srischbestellten Beeten uns so wohlthuend ent-
gegen lacht. Ein weiterer Blick zeigt uns noch etwas in diesem
Dorfe ganz Ungewöhnliches und zwarBlnmen vor den Fenstern
auf der einen Seite dieses Häuschens. Jetzt fällt es uns auch auf.
daß die Fenster weniger zerschlagen, die Laden neubemalt, die Wände
ausgebessert und alle Gegenstände überhaupt besser in Ordnung
gehalten sind.
Auch der Hofraum ist reinlicher und sogar die Straße in der
Länge des Hauses gekehrt. Dünkt es uns aber nur so, oder ist es
Wahrheit, daß auch in der Umgebung dieses Hauses Alles reinlicher
und ordentlicher erscheint? Wir täuschen uns nicht; hier wohnt fast
der einzige Handwerker des Dorfes, ein biederer deutscher
Schneider mit seinem braven Weibe, und im harten Lebenskampf
um das kärgliche tägliche Brod haben sie deutsche Sitte und deutsche
Kultur hineingetragen und verbreitet, mindestens in den ihnen
nächsten Kreisen dieser Dorfbewohner.
Vor'btwa dreißig Jahren kamen die beiden eben verheiratheten
Leute in dies ihnen ganz fremde Dorf, um Erwerb zu suchen und
sich hier eine neue Heimat zu gründen, da sie in der alten beides
mit ihren geringen Mitteln nicht finden konnten. Hier wurden sie
mit offenen Armen ausgenommen, denn damals war bei den Polen
der Haß gegen die Deutschen noch nicht. Erst weit später wurde
derselbe von den Pfaffen entflammt und geschürt, doch wenn er auch
zeitweise in dem armen dummen Volke Fuß faßte, so war er hier
doch nie so dauernd und so heftig, als man gewöhnlich anzunehnien
pflegt. Unsere beiden Deutschen wußten mit ihrer Ausdauer und
Ruhe auch in den Zeiten der heftigsten Feindschaft zwischen beiden
Nationalitäten mit der Umgebung in Frieden zu leben, und während
die Dorfbewohner auch in künstlich aufgestacheltein Hasse gegen den
Deutschen doch die Unentbehrlichkeit des Schneiders immer mehr
erkennen mußten, vermochten die beiden strebsamen Menschen stets
mindestens das für ihre immer stärker werdende Familie Nöthige
zu erwerben.
Es ist wirklich nicht schwer, den Einfluß solcher einzelnen Pio-
niere des Dentschthums in stockpolnischen Ortschaften zu erkennen,
und im Laufe der Jahre zu verfolgen. So lange die gemeinen
Polen noch nicht mißtrauisch gemacht worden waren, nahmen sie
den Fremden arglos und zutraulich auf und sahen ihn größtentheils
als ein über ihnen stehendes Wesen an. Da ist es dann doch auch
ganz natürlich, daß sie begierig alles Neue und in die AugenFallende
anzunehmen und nachzuahmen suchen. Freilich ist dies bei ihnen
Globus IV. Nr. 11.
meistens nur der Fall, so lange es ohne Anstrengung und Un-
bequemlichkeit geschehen kann, und insofern es etwas recht Glän-
zendes betrifft, während die Deutschen in gleichen Verhältnissen
bekanntlich das Fremde auch in der mühsamsten Weise und zu-
weilen sogar zu ihrem großen Nachtheile sich anzueignen suchen.
Etwas besonders Glänzendes konnte die deutsche Handwerker-
familie ihren polnischen Nachbarn freilich nicht bieten, darum ver-
mochte ihr Einfluß auch nur sehr langsam sich auszubreiten, und
erst als eine innigere Berührung dadurch stattfand, daß die herau-
gewachsenen Kinder in polnische Familien sich verheiratheten, hatten
sie durchaus festen Fuß gefaßt.
Fast noch größere Bedeutung müssen wir dem alten Besitzer
des Kruges*) am andern Ende des Dorfes, dem deutschen
Juden, beilegen. Sein Aeußeres, seine Häuslichkeit, seine ganze
Habe gleicht zwar denen der Polen nur zu sehr und steht ihnen an
Unsauberkeit gleich, dennoch ist sein Einfluß auf das ganze polnische
Dorf seit vielen Jahren ein durchaus wohlthätiger.
Während der Schneider und seine Familie das deutsche
Element in sittlicher Beziehung vertreten, gilt dies von dem
Juden in civilisatorischer und geselliger. In der Umgebung der
Ersteren geht's manierlicher zu, es wird nicht so viel geflucht, wir
sehen nicht so viele zerrissene Jacken, ungewaschene Gesichter und
ungekämmte Köpfe. In der Küche wird nicht mehr die ganze Woche
hindurch das Essen in denselben unausgewaschenen Töpfen gekocht,
und was nicht zu viel Mühe macht, wird in den Stuben, auf dem
Hofe, an den Gebäuden u. s. w. bereits ausgebessert.
Der jüdische „Kaufmann" ist ein noch weit unentbehrlicheres
Mitglied der Dorfbewohnerschaft, als der Schneider. Sein Krug
und Kramladen zugleich trägt die deutsche Inschrift „Gasthof";
dies ist nämlich für deutsche Reisende berechnet, denen er jedoch
natürlich nur die allerbescheidensten Ansprüche zu befriedigen ver-
mag, während er die Bedürfnisse der Dörfler nicht nur in jeder
möglichen Weise stillt, sondern es auch versteht, dieselben zu heben
und zu civilisiren. Er bringt regelmäßig aus den Städten Tuchel,
Osche oder gar aus Bromberg neue Nachrichten nach dem einsamen
Dorfe mit. Er hat es verstanden und wirkt unbemerkt immer mehr
dahin, daß seine Gäste ihrem Appetit auf urgeschichtliche Speisen
und Getränke immer mehr entsagen und den modernen Genüssen
zugänglicher werden. Er weiß sämmtliche durstige Seelen des
Dorfes an fast jedem Abend um seine Tische zu versammeln, und
wenn er der lauschenden Gesellschaft dann politische oder andere
bildende Borträge hält, dann ist die Andacht hier im Schenkzimmer
wahrlich größer, als in mancher Kirche.
Der Jude ist hier Pole mit den Polen, denn er spricht ihre
Sprache, beachtet ihre Sitten, nennt sich mit Alt und Jung Bruder
und ahmt scheinbar ihr ganzes Wesen nach. Dennoch bleibt er in
erster Linie stets seinem alten Volke treu, und in zweiter ist er voll-z
ständig Deutscher. Wir erkennen dies letztere sogleich, wenn wir
nur bei ihm eintreten. Mit ungehenchelter Freude heißt er uns in
deutscher Sprache willkommen, fragt in eifriger Weise nach allen
möglichen Neuigkeiten in unserer deutschen Heimat, und in zudring-
licher nach unseren persönlichen Verhältnissen.
Endlich können wir uns nun durck ein frugales Mahl aus
ländlichen Gerichten, Eiern, Schalkartoffeln mit Häring oder Butter,
Milch, Brod mit Käse oder wohl gar Wurst erfrischen. Auch können
wir ein Getränk unter dem Namen Kaffee erhalten, auf Bier da-
gegen müssen wir verzichten, da wir sonst etwas durchaus Essig-
artiges bekommen; dagegen giebt's hier für den Liebhaber leidlichen
Schnaps — — als Nationalgetränk der Tnchler-Haide. —
Der dritte dieser ersten Apostel des Dentschthums in polnischer
Gegend ist ungleich trauriger daran als die Leiden ersten. Unter
der ungeheuer» Zahl deutscher Lehrer, deren Lage eine so gar traurige
ist, muß die der Wanderlehrer uns jedenfalls als die bereit-
leidenswertheste erscheinen, und unter diesen wiederum ist die jener,
*) Die Schenke.
44
346
Die tropischen Faserpflanzen nnd der neuseeländische Flachs.
welche in polnischen Landstrichen unterrichten, eine ausnahmsweise
klägliche. Wie die Wanderlehrer überhaupt als die Märtyrer des
ganzen Standes, so müssen wir diese auch noch als die des hiesigen
Deutschthnms betrachten.
Indessen muß ich wohl voranssetzen, daß ein großer Tbeil
der Leser davon noch eigentlich gar keine Ahnung hat, was denn
eigentlich unter der Bezeichnung „Wanderlehrer" zu verstehen sei.
Deshalb erlaube ich mir hier eine kurze Erklärung dieser sonder-
baren Einrichtung einzuschieben.
In der Blütezeit des Ministeriums Mannteufcl-Westphalen
in Preußen, als man sämmtliche preußische „Nnterthanen" unbedingt
nnd ohne Widerrede für den Himmel brauchbar machen wollte, und
dies hohe Ziel, wenn nicht anders, durch Zwangsmaßregeln er-
reichen zu müssen glaubte, kam unter anderen Unsinnigkeiten auch
diese zu Tage. Es wurden nämlich in Gegenden, wo die Pro-
testanten sehr einzeln nnd zerstreut unter Katholiken wohnten, Lehrer
für Kinder dieser letzteren angestellt, welche von einem Abbau zum
andern meilenweit wandern, dort unterrichten und dafür, neben
einem unglaublich geringen Gehalte, Kost und Herberge bei den
Bauern, Käthnern, Tagelöhnern u. s. w. beanspruchen mußten.
Man denke sich nun diese meistens blutjungen Menschen, mit zer-
rissenen Stiefeln, durch die ungewohnte, im wahren Sinne des
Wortes liederlich e Lebensart heruntergekommen und verwahrlost
an Körper und Geist, dabei allen möglichen Grobheiten der sehr
armen und rohen Landlente ausgesetzt, denen sie ja aufgedrungen
! waren, und schließlich noch dem Spott oder gar den Mißhandlungen
der polnischen Bevölkerung preisgegeben, durch deren Dörfer und
über deren Aecker sie ja „wandern" mußten, ohne sich mit ihnen
verständigen zu können. Wahrlich, kläglichere nnd bedauerns-
werthere Geschöpfe kann es wohl kaum auf der Welt geben, als
diese Sündenböcke jener verschrobenen Beselignngs - Theorien!
! Daß diese Aermsten als Lehrer auch nicht das Geringste nützten,
sondern im Gegentheile bedeutend schaden mußten, indem häufig
die sonst anderen Dörfern zugetheilten Kindern durch sie völlig ver-
! nachlässigt wurden, das kann jeder verständige Mensch denken.
Dagegen ist im Ganzen ihre Berührung mit den polnischen Dörflern
nicht ohne Einfluß geblieben, denn hier und da eine Belehrung,
j eine Aushülfe in den gewöhnlichsten Fällen des Lebens, das Alles
kann hier unter Umständen reiche Früchte tragen, wie denn überhaupt
wohl kein deutsches Samenkörnchen hier nutzlos zu Boden fällt.
Karl Ruß.
Die tropischen Faserpflanzen und der neuseeländische Flachs.")
Reichthum an Faserpflanzen in den Tropen. — Agaven und Bromelien. — Verschiedenartige Benutzung derselben. — Maschinen zur Gewinnung des Faser-
stoffes. — Faser-Palmen.
Als Squier das tropische Amerika bereis'te, wandte er sein
Augenmerk auf die dort in ungeheurer Menge vorkommenden Faser-
pflanzen. Ihre Nutzanwendung trat ihm überall, wenngleich in
sehr beschränktem Maße, bei den Eingeborenen entgegen. Sein
Paß, den er in Mexiko erhielt, war auf Papier gedruckt, das ans
den Blättern der Maguey-Pflanze bereitet war. Er sah Millionen
von Pisangbäumen nmhauen, nachdem man ihre Früchte geerntet
hatte; die Blätter derselben, mit ihrem kostbaren Faserstoffe, ver-
faulten aber meist unbeachtet. An den unfruchtbarsten, sandigen
oder felsigen Orten umgaben den Reisenden zahllose Agavepflanzen
wie ein dichter Wald, und die Bromelien, mit ihren von Fasern
strotzenden fleischigen Blättern, wurden als ein abscheuliches Unkraut
ausgerottet, während in der ganzen civilisirten Welt ein Schrei
nach Faserstoffen erklang!
Bis jetzt ist die Benutzung der köstlichen Faserpflanzen deö
tropischen Amerika noch eine höchst unbedeutende. Die im kräftig-
sten Wachsthum befindlichen Pflanzen werden abgeschnitteu und in
den feuchten Sand eines kleinen Flusses oder in den Schlamm eines
Teiches vergraben, bis sie ganz verrottet sind, was je nach dem
Wetter in zwei bis drei Wochen der Fall ist. Nach dieser Zeit nimmt
man das übrig gebliebene Fasergerippe heraus, trocknet es in der
Sonne, schlägt es mit Stöcken und entfernt die noch daran befind-
liche Schebe (Spreu, Abfall) durch Reiben zwischen den Händen.
Gewiß ein sehr unzweckmäßiges Verfahren! Und mehr oder weniger
macht man das jetzt noch überall so! Uni den Sisalhanf der
Hennequin-Pflanze zu gewinnen, zerschneiden die Indianer-
in Uucatan die fleischigen Blätter derselben der Länge nach in
mehrere Theile nnd reiben dieselben so lange mit den Händen, bis
alle fleischigen und färbenden Stoffe von den zurückbleibenden Fasern
entfernt sind. Im besten Falle kann ein Arbeiter ans diese mühsame
Weise täglich sechs Pfund Hanf gewinnen! Der werthvolle
Manillahanf nnd der Neuseelandflachs werden auch durch Rotten
*) Nach: Tropical fibres: their production and economic extraction.
By E. G. Squier. London and New-York, 1863. 64 Seiten nnd 14 Tafeln
Abbildungen: der Agave sisilana; Fureraea gigantea; Agave mexicana;
Agave americana; Agave virginica; Bromelia sylvestris; Bromelia karatis;
Bromelia ananas; Musa rosacea (Banane oder plantain tree); Arenga
saccharifera ; Borassus flabelliformis; Pandanns odoratissimus; Yucca alvi-
fera; Yucca gloriosa (das sogenannte spanische Bahonnet) ; Yucca filamen-
tosa nnd Phormium tenax.
— Neuseeländischer Flachs.
und Schlagen gewonnen. Aber es liegt auf der Hand, daß der an-
gewandte Fäulnißprozeß nnd das heftige Schlagen und Quetschen
sowohl die natürliche Festigkeit als auch die natürliche weiße Farbe
der Fasern sehr beeinträchtigen müssen. Es ist erwiesen, daß die
Fasern aller Pflanzen ursprünglich ganz weiß sind und die schmutzig
graue oder braune Farbe des Rohproduktes nur durch die mangel-
hafte Bereitungsweise ihnen beigebracht wird.
Diesen Thatsachen gegenüber wandte Squier alle Energie
an, daß eine Maschine hergestellt werde, welche die Fasern auf
rationelle Weise ans den fleischigen Pflanzen bereite. Eine solche
war bis dahin nicht bekannt; viele mißglückte Versuche wurden
unternommen, bis es endlich im verflossenen Jahre den Amerikanern
Sanford und Mallory gelang, dieses wichtige Problem zu
lösen und eine Maschine herzustellen, von welcher Squier glaubt,
daß sie eine förmliche Revolution in der Erzeugung der Faserstoffe
Hervorbringen werde*).
Unter den tropischen Pflanzen, welche bei der Faserprodnktion
in Betracht kommen, nimmt die in Amerika heimische Familie der
Ananasarten eine der ersten Stellen ein. Die Ananas ist be-
kanntlich auch noch nach der Westküste Afrikas nnd nach Ostindien
verpflanzt worden, hat aber doch ihre Hauptentwickelung auf dem
westlichen Kontinent. Die am weitesten verbreitete Ananasspecies
ist die Bromelia sylvestris, welche das Seidengras der west-
indischen Inseln nnd die Pita der Mexikaner liefert. Auch alle
Arten der Musa oder Pisang g attu ng erzeugen zähe und dauer-
hafte Fasern, besonders die Musa textilis, von welcher das Ma-
nilla gras gewonnen wird. Sie ist ursprünglich in Ostindien zu
Hause, gedeiht aber im tropischen Amerika nnd auf den westindischen
Inseln so gut wie daheim.
Unter den Agaven ragt als nützliche, faserhaltige Pflanze die
Agave americana hervor; mit gutem Erfolge hat man sie im süd-
lichen Europa und Algier heimisch gemacht. Ihre Verwandten, die
Agave mexicana oder Magney, sowie die unschätzbare Agave
Sisilana oder Henneqniu, kommen bis jetzt nur in der neuen
Welt vor. Die letztere liefert den bekannten Sisalhanf. Auch ihr
*) Die Maschine, auf deren Technik wir hier nicht eingehen können,
ist beschrieben in: Sanford and Mallory’s american patent fibre extracting
and flax scutching machines. Belfast 1862.
Die tropischen Faserpflanzen und der neuseeländische Flachs.
347
genügt, gleich der Bromelia, jeder Boden, denn auf Klippen und !
Felsen gedeiht sie so gut wie in den öden Sandwüsten, wo jede '
andere Pflanze eingeht. Und gerade darin, daß diese Agaven-und
Pisangarten mit jedem Boden vorlieb nehmen, daß sie fast keiner
Kultur bedürfen und doch ein so haltbares und festes Faser- !
material liefern, beruht ihr großer Vorzug vor unseren heimischen
Flachs- und Hanfarten, die mit vieler Mühe angebaut werden müssen. j
Nahe an vier Millionen Dollars zahlen die Vereinigten Staaten \
jetzt noch allein für aus Ostindien zugeführte Faserstoffe, ans dem j
einfachen Grunde, weil dort die Arbeitskräfte billiger sind und die j
Maschinen, welche die Fasern ans den Rohstoffen bereiten, in Ame- !
rika noch nicht erfunden waren.
Auf dem Isthmus von Panama werden alle Schiffstane ans !
einheimischen Faserpflanzen erzeugt. Die besten und haltbarsten
Seile liefert die Corteza (Apeiba Tibourbon, aus der Familie
der lindenartigen Pflanzen); Tanwerk geringerer Sorte kommt von
derMajagua de plaha (Paritium tiliaceum). Die Hängematten
in Veragua bestehen ans den Fasern der C a b u y a, einer Agavenart;
den starken Zwirn, mit welchem die Schuster auf dem Isthmus
ihr Schuhwerk nähen, gewinnen die Indianer aus einer Bromelia,
Pita de zapateros genannt. Kleider, Matten, Seile, ja die
Segel für Jndianerkanoes liefert eine Daphueart.
Bei der großen Wichtigkeit, welche die tropischen Faserpflanzen
jetzt einzunehmen versprechen, lassen wir, nach Sqnier, eine Auf-
zählung der wichtigsten folgen.
Die Agave Sisilana führt ihren Namen von der Stadt Sisal
in Uucatan, wo man sie zuerst entdeckt hat und von wo ans ihre
Fasern unter dem Namen Sisal Hanf oder Grashanf in den
Handel kommen. Bei den Mexikanern heißt sie Sosqnil, in
Centralamerika Cabulla. Uebrigens findet man sie in allen Gegen-
den des tropischen Amerika; ihrem Anbau stehen, wie erwähnt, gar
keine Schwierigkeiten im Wege, da sie mit trockenem Sandboden
eben so gut wie mit Felsen vorlieb nimmt. In Aucatan unter-
scheidet man zwei Abarten, dieNaschqui-Henneqnin, welche den
besten Sisalhanf, und die Sacqni-Hennequin, welche den
meisten liefert.
Die Agave Mexicana oder M agucy ist eine in mehr als
einer Beziehung merkwürdige Pflanze; von ihr kommt ein herr-
licher Faserstoff und man gewinnt ans ihr das mexikanische National- ;
getränk, den Pulque.*) Die Blätter dieses Gewächses sind dicker, ,
fleischiger und breiter, jedoch kürzer als die der A. Sisilana, deshalb
sind auch ihre Fasern gröber und kürzer. Das aus ihnen erzeugte
Papier gehört zn den dunerhaftesteu Sorten; 1830 erließ der mexi-
kanische Congreß eine Verordnung, demgemäß bei Ausstellung ge- !
setzlicher Zeugnisse oder Dokuinente nur dieses Papier benutzt
werden sollte.
Mit den beiden vorigen Arten ist sehr häufig die Agave ameri-
cana verwechselt worden; von ihrem Blütenstamme, der eine Höhe
von 40 Fuß erreicht, zweigen sich die kandelaberartigen Aeste mit
den grün und rothen Blumen ab. Von dieser hat man gefabelt,
daß sie nur alle hundert Jahre einmal blühe. Die Fasern sind wie
jene der Maguey, und werden gleich dieser zn Papier von großer
Festigkeit verarbeitet.
Unter der gleichfalls in Amerika heimischen Familie der Bro- I
melien oder Ananaspflanzen zeichnet sich besonders die Bromelia
sylvestris, die Jst le der Mexikaner, aus. In Centralamerika nennt
man sie Pita, auf den westindischen Inseln Penguin. Auch sie
nimmt mit jedem Boden vorlieb und breitet sich von selbst wuchernd
aus. Wegen der Stacheln an den bis acht Fuß langen, zwei Zoll
breiten Blättern, benutzt man sie zur Anlage von lebendigen, un- !
durchdringlichen Zäunen. Im Distrikt von Coatzacoaleos in j
Mexiko werden die weißen Fasern, Pita, ans ihr gewonnen.
Den Agaven und Bromelien stehen in Bezug auf den Werth
ihrer Fasern die Musa oder Ban a neu pflanzen nach. Aber sie
sind doch noch immer von großer Wichtigkeit, weil sie, neben den
Fasern, den vielen Völkerstämmen zur Nahrung dienenden Pisang
liefern; bis jetzt hat man die ersteren noch wenig benutzt. Die
Musa textilis liefert, wie schon bemerkt, den bekannten Manilla-
hanf; er ist eine seidenartige, runde und fast weiße Faser, deren
gröbere Sorten zn Tauwerk verwendet werden, während man ans
den feineren indische Musseline webt.
Auch unter den Palmen finden wir mehrere Arten, welche
Faserstoff liefern; vor allen ist es die in Ostindien und auf den
Philippinen vorkommende Arenga saccharifera, die an der Basis
ihrer Blattwedel, da wo diese den Stamm umfassen, einen roß-
haarartig cn Stoff hervorbringt. Der eingekochte Saft eines
Stammes, der eine Höhe von 20 bis 30 Fuß erreicht, liefert einen
sehr reinen Zucker, ferner Sago und vier bis sieben Pfund Fasern.
Andere Palmen, welche Gewebfasern hervorbringen, sind bieAttalea
funifera am Amazonenstrom, die Kokospalme, deren Fasern
(Colr) von der allbekannten Nȧ stammen und zn Seilen verwendet
werden, und die in Europa und Nordafrika heimische Zwerg-
palme, Chamaerops humilis, deren Fasern, als „ afrikani sch e s
Haar" in Frankreich zur Teppichfabrikation gebraucht werden.
Endlich gehören hierher noch einige n e s s e l a r t i g e P f l a n z e n,
z. B. der Papiermaulbeerbanm, ans welchem die Japaner
und Chinesen Papier fabriciren; einige Malven arten, z. B. Hi-
biscus arboreus und tiliaceus, und das Phormium tenax, von
welchem der Neuseelandhanf stammt. Sie alle erreichen aber
nicht die Bedeutung der zuerst genannten Agaven und Bromelien.
lieber den neuseeländischen Flachs haben wir jüngst
durch Hochstetter*) ausführliche Nachrichten erhalten, die wir
anschließen wollen. Die Pflanze, von der er stammt, das Phormium
tenax, wächst nur auf Neuseeland und einigen benachbarten kleineren
Inseln. Was für die Bewohner des östlichen und südlichen Asien
der Bambus ist, das ist für die Neuseeländer dieser Schilfflachs.
Zn unzähligen Zwecken des Lebens wird er benutzt, lieber jeder
Hütte, neben jedem Dorfe und an jedem Wege stehen seine Büsche,
wild oder kultivirt, zu jeweiligem Gebrauche. Das schwertförmige
Blatt, wohl auch die ganze Pfläuze, heißt bei den Eingeborenen
Harakeke, der agaveähnliche Blüthenschaft Korari und alle
Theile der Pflanze: Blüten, Stengel und Blatt, liefern den Ein-
geborenen Stoffe zn Benutzung. Die gelbrothen Blüthen enthalten
einen süßen Honigsaft in großer Menge, der in Kalabassen
gesammelt wird. Zwischen den Blättern findet sich eine gummi-
artige Masse, die den Maoris als als Ersatzmittel für Siegel-
wachs und Kleister dient. Die manitichfachste Anwendung und
Benutzung findet jedoch das Blatt. Frisch am Busch oder ab-
geschnitten dient es dem modernen, lese- oder schreibfähigen Maori
anstatt Papier; mit einer scharfen Muschel kratzt oder schreibt er
seine Gedanken ein. Einfach geschlitzt in breitere oder schmälere
Streifen und je nach Bedarf länger oder kürzer zusammeugebunden,
ersetzt es durch die außerordentliche Stärke seiner Bastfaser Bind-
faden, Stricke, Ricmzeng und alle Arten von Bändern
und Tauen; für die Eingeborenen ist es beim Hütten- und Kahn-
ban unentbehrlich. Die Frauen flechten aus dem rohen Material
Körbe, die Männer Netze und Segel.
Die Phormium-Pflanze ist über ganz Neuseeland weit ver-
breitet, vom Norden bis zum Süden und Millionen Acker Landes
sind damit bedeckt. Sie gedeiht ans jedem Boden, feucht oder
trocken, an jedem Standort, hoch oder nieder; man trifft sie bis
5500 Fuß über dem Meer. Am üppigsten gedeiht sie aber in der
Nähe von Sümpfen und Flüssen: dort werden die Blätter 10 bis
12 Fuß lang und der Stamm erreicht bei 2 bis 3 Zoll Dicke eine
Höhe von 10 bis 20 Fuß.
Je nach dem Standort unterscheiden die Eingeborenen nun
----------
*) Darüber haben wir im Globus II, S. 328 gesprochen. An der ange> ! *) Neuseeland. Von Ferdinand von Hochstetter. Stuttgart 1863.
führten Stelle gaben wir auch die Abbildung der Pflanze. ! S. 418 ff.
44
348
Einwohnerzahl der bedeutendsten Städte in den Vereinigten Staaten von Nordamerika.
drei Unterarten: 1) Tuhara, Sumpfflachs, mit grober,
gelblich-weißer Faser; er wird hauptsächlich zu Seilen verwendet.
2)Tihore, die kultivirte Abart, welche die beste feidenglänzende
Faser von rein weißer Farbe liefert; sie wird zu Matten und Mänteln
benutzt. 3) Wharariki, Bergflachs, mit grober Faser; sie wird
wenig verwendet.
An Stärke übertrifft der neuseeländische Flachs den europäischen
um ein Drittel; trotzdem erscheint er, verhältnißmäßig, noch wenig
auf dem europäischem Markt, und der Grund liegt auch hier, wie
bei den meisten tropischen Faserpflanzen, in der Schwierigkeit, die
Faser für den Markt rein genug zu bereiten. Es wurden Preise
auf Neinigungsmaschinen ausgesetzt, aber sie brachten nur ein sehr
unvollständiges Produkt hervor. Die Gesammtausfuhr von neu- >
seeländischem Flachs betrug im Jahre 1860 nur 48 Tonnen zu !
20 Ctr. In demselben Jahr aber erfand Hr. Purchas auf Neu-
seeland, nach Hochstetter's Bericht, eine Maschine, welche ziemlich
einfach konstruirt ist und bei einer Dampfkraft von 8 Pferden
täglich 15 Centner grüner Blätter 3 Centner Flachs liefert. Man
glaubt, vermittelst dieser Maschine bald Flachs zu einem Haupt-
ansfuhrartikel Neuseelands erheben zu können.
Im Vergleich zum Phormium tenax sind die übrigen Faser-
pflanzen nur von untergeordneter Bedeutung. Erwähnenswerth
ist nur noch der „Ti" oder Manku der Eingeborenen, Gras-
oder Krautbaum der Kolonisten (Cordyline australis), der
besonders auf Buschheiden und in Sümpfen allenthalben vorkommt.
Die Faser seines Blattes kommt der Phormiumfaser nahe, ist aber
mehr gelb und hat weder den Glanz noch die Stärke der Flachs-
faser, ist dagegen von den Eingeborenen hochgeschätzt wegen ihrer
großen Dauerhaftigkeit. Sie soll den zerstörenden Einflüssen der
Atmosphärilien besser widerstehen, als Phormium. R.
Einwohnerzahl der bedeutendsten Städte in den Vereinigten Staaten von Nordamerika.
(Nach der amtlichen Zählung von 1860).
Städte.*)
Albany, N. I. . .
Alleghany City, Pa.
Augusta, Ga. . . .
Augusta, Me. . . .
Auburn, N. 2). . .
Alexandria, Va. . .
Ann Arbor, Mich. .
Annapolis, Md. . .
Alton, Jll..........
Baltimore, Md. . .
Buffalo, N. Y. . .
Boston, Mass. . .
Bangor, Me. . . .
Bath, Me............
Burlington, Vt. . .
Burlington, N. I. .
Burlington, Iowa .
Brooklyn, N. ?). . .
Camden, N. I. . .
Charleston, S. C. .
Cincinnati, Ohio . .
Columbus, Ohio . .
Cleveland, Ohio . .
Charlestown, Mass. .
Chicago, Jll. . . .
Cambridge, Mass.
Canandaigua, N. P.
Columbia, S. C.
Columbus, Ohio . .
Columbus, Ga. . .
Chilicothe, Ohio . .
Detroit, Mich. . .
Dover, N. H. . . .
Dayton, Ohio. . .
Einwohnerzahl. 1850. 1860. Zunahme.
50,763 62,367 11,604
21,261 28,702 7,441
11,753 12,493 740
8,225 7,609
9,548 10,986 1,438
8,734 12,652 3,918
4,868 4,483
3,011 4,529 1,518
3,585 7,338 3,753
169,054 212,418 43,364
42,261 81,129 38,868
>36,881 177,812 40,931
14,432 16,407 1,975
8,020 8,076 56
6,110 7,713 1,603
4,536 5,193 657
4,082 6,706 2,624
96,838 266,661 169,823
9,479 14,358 4,879
42,985 40,578
115,436 161,044 45,608
17,882 18,554 672
17,034 43,417 26,383
17,216 25,063 7,847
29,963 109,260 79,297
15,215 26,060 10,845
6,143 7,075 932
6,060 8,059 1,999
17,882 18,629 747
5,942 9,621 3,679
7.100 7,626 526
21,019 45,619 24,600
8,196 8,502 306
10,970 20,081 9,111
*) N. 2). bedeutet — Neu -Uork. Pa. — Pennsylvania. Ga. = Geor-
gia. Me. — Maine. Va. = Virginia. Mich. = Michigan. Md. —
Maryland. ^ Jll. = Illinois. Mass. = Massachusetts. Vt. = Vermont.
N. I, = Neu-Jersey. S. C. und N. C. — Süd - und Nord-Carolina.
N. H. New-Hampshire. Jnd. --- Indiana. Conn. — Connecticut. Ky =
Kentucky. Ala. — Alabama. Wis. — Wisconsin. Tenn. = Tennessee.
La. = Louisiana. R. I. — Rhode Island. Del. = Delaware.
Städte.
Davenport, Iowa
Dubnque, Iowa . .
Des Moines, Iowa.
Fall River, Mass.
Frederick, Md. . .
Fayetteville, N. C. .
Fredericksburg, Ba. .
Freeport, Jll. . . .
Fort Wayne, Jnd. .
Gardiner, Me. . .
Gloucester, Mass.
Georgetown, D. C. .
Galveston, Texas. .
Galena, Jll. . .
Hartford, Conn. . .
Hudson, N. 2). . .
Harrisburg, Pa. . .
Jthaca, N. Y. . .
Jndianopolis, Jnd. .
Iowa City, Iowa
Jersey City, N. I. .
Keokuk, Iowa . . .
Lowell, Mass. . . .
Lonisville, Ky. . .
Lynn, Mass. . . .
Lockport, N. N- - -
Lancaster, Pa. . .
Lynchburg, Va. . .
Lexington, Ky. . .
La Fayette, Jnd.
Lansing, Mich. . .
La Porte, Jnd. . .
Manchester, N. H. .
Mobile, Ala. . . .
Montgomery, Ala. .
Milwaukie, Wis. . .
Marblehead, Mass. .
Middleboro, Mass. .
Memphis, Tenn. . .
Muscatine, Iowa
Madison, Jnd. . .
Einwohnerzahl. 1850. 1860. Zunahme.
1,848 11,267 9,419
3,108 13,000 9,892
986 3,965 2,979
11,524 14,026 2,502
6,028 8,143 2,115
4,646 4,790 144
4,061 5,022 961
1,436 3,529 2,093
4,282 10,388 6,106
6,486 4,487
7,786 10,904 3,118
8,366 8,733 367
4,177 7,307 3,130
6,004 8,193 2,189
13,555 29,154 15,599
6,286 7,187 901
7,834 13,405 5,571
6,909 6,843
8,034 18,611 10,577
1,582 5,214 3,632
6,856 29,226 22,370
2,478 8,136 5,658
33,383 36,827 3,444
43,194 68,033 24,839
14,257 19,083 4,826
12,323 13,523 1,200
12,369 17,603 5,234
8,071 6,853
9,180 9,321 171
1,215 9,387 8,172
1,229 3,074 1,845
1,824 5,028 3,204
13,932 20,109 6,177
20,515 29,258 8,743
4,935 35,902 30,967
20,061 45,246 25,185
6,167 7,647 1,480
5,336 6,272 936
8,839 22,623 13,784
2,540 5,324 2,784
8,012 8,130 118
Kleine Nachrichten.
349
Städte. Einwohnerzahl. Zunahme. Städte. Einwohnerzahl. Zunahme.
1850. 1860. 1850. 1800.
New Haven, Conn. . . . . . 20,345 39,267 18,922 Roxburg, Mass . . 18,364 25,137 6,773
New-Jork, N. U. ... . . 515,547 805,651 290,104 Reading, Pa . . 15,743 23,161 7,418
Newark, N. I . . 38,894 71,914 33,020 Raleigh, N. C 4,518 4,780 262
Norfolk, Va . . 14,326 15,611 1,285 Richmond, Jnd . . 1,443 6,603 5,160
Nashville, Tenn . . 10,478 16,988 6,510 Rock Island, Jll. ... . . 1,711 5,130 3,419
New Brunswick, N. I. . . . . 10,019 11,256 1,237 Springfield, Mass. . . . . . 11,766 15,199 3,433
New Orleans, La. . . . . . 116,375 168,675 52,300 Salem, Mass . . 20,264 22,252 1,988
Nashua, N. H . . 5,820 10,065 4,245 Syracnse, N. I) 22,271 28,119 5,848
Nantucket, Mass . . 8,452 6,094 Savannah, Ga . . 15,312 22,292 6,980
Newburyport, Mass. . . . . 9,572 13,401 3,829 St. Louis, Mo . 77,860 160,773 82,913
Newport, R. I . . 9,563 10,508 945 San Francisco, Cat. . . . . 34,776 56,802 22,026
Neu London, Conn. . . . . . 8,991 10,115 1,124 Schenectady, N. 8). . . . . . 8,921 9,579 658
Newburg, N. N . . 11,415 15,196 3,781 Steubenville, Ohio . . . . . 6,140 6,154 14
Newbern, N. C . . 4,681 5,432 751 Thomaston, Me . 2,723 3,218 495
Natchez, Miss . . 4,434 6,612 2,178 Trenton, N. I . . 6,461 20,228 13,767
Norwich, Conn . , 10,265 14,047 3,782 Troy, N. Y . . 28,785 39,232 10,447
Pekin, Jll . . 1,678 3,467 1,789 Taunton, Mass 10,441 15,376 4,935
Portland, Me . . 20,815 26,341 5,526 Utica, N. Y . 17,565 22,529 4,964
Portsmouth, Va . . 8,122 9,502 1,380 Vicksburg, Miss . . 3,678 4,591 913
Portsmouth, N. H. . . . . . 9,738 9,335 Washington, D. C. . . . . . 40,001 61,122 21,121
Providence, R. I. ... . . 41,513 50,666 9,153 Wilmington, N. C. . . . . 7,264 9,552 2,288
Philadelphia, Pa. . . . . . 340,045 562,529 222,484 Worcester, Mass. .... . . 17,049 24,960 7,911
Pittsburg, Pa . . 46,601 49,217 2,616 West Troy, N. U. ... . 7,564 8,820 1,256
Petersburg, Va . . 14,010 18,266 4,256 Wilmington, Del. . . . . . 13,979 21,508 7,529
Plymouth, Mass . . 6,024 6,272 248 Wheeling, Va 11,435 14,083 2,648
Poughkeepsie, N. U- - - - . . 13,944 14,726 782 Zanesville, Ohio .... 10,355 9,229
Paterson, N. I. .... . . 11,334 19,588 8,254 Abgenommen an Bevölkerungszahl haben nur 9 Städte.
Peoria, Jll . . 5,095 14,045 8,950 Die Zunahme in Prozenten betrug bei Chicago 264°/,,, bei Daven-
Quincy, Jll . . 6,902 13,632 6,730 Port 509%, Iowa City 229%, Jersey City 326%, Keokuk 228%,.
Rochester, N. U . . 36,403 48,204 11,801 bei la Fayette 672%, Moutgomery 627*%, bei Richmond, Jnd. 357%
Richmond, Va . , 27,570 37,910 10,340
Kleine Nachrichten.
Ein Urtheil über die Republik Chile. Ein jüngst in Berlin
(bei Möser und Scherl) erschienenes Werk: „Republik Chili,
Erlebnisse und Beobachtungen daselbst, von August Ernst" ist
klar geschrieben und enthält auch über die deutschen Kolonien in
jenem Lande gute Nachrichten und Bemerkungen. Der Verfasser,
jetzt Lehrer in Berlin, war vorher Direktor der deutschen Schul-
anstaltin Valparaiso. Bekanntlich ist Chile (Chili ist eine un-
richtige, durch die Franzosen in Umlauf gesetzte Schreibart) die
einzige Republik in ganz Amerika, die seit der Trennung vom
Mutterland am allerwenigsten von Bürgerkriegen zu leiden
gehabt hat. Einzelne Aufstände find immer rasch beendigt worden.
Der störenden Elemente sind gerade in Chile bei weitem nicht so
viele vorhanden als in Peru, Bolivia rc. Namentlich in Hinblick
auf Südamerika und Mexiko sollte man, beim Urtheil, nie die
Thatsache außer Acht lassen, daß die Gesittnngsfrage eines
Landes allemal und ganz wesentlich auch eiue'Rassen-
fr age ist. Wir haben das im Globus schon oft hervorgehoben
und freuen uns, daß wir in dem Buche des Herrn Ernst auch in
dieser Beziehung sehr verständige Bemerkungen finden. Er sagt:
Das Klima ist gesund, begünstigt den Anbau aller euro-
päischenProdukte und gefährdet die Gesundheit der weißen Menschen
auch bei schwerer Arbeit nicht; deshalb hat eine schwarze Be-
völkerung in Chile nie aufkommen können. Der Grund,
eine Sklavenbevölkerung, deren schwere (?) Arbeit allein den Anban
der tropischen Pflanzen zum Gegenstände eines reichen Gewinnes
machen kann, einzuführen, ist h'ier nie vorhanden gewesen. Die
Schwarzen sind daher auch stets in Chile an Zahl klein gewesen.
Vor der Revolution soll ihre Anzahl beträchtlicher gewesen sein,
allein der Krieg hat ihre Reihen gelichtet. General San Martin
hatte aus den Negern ein eigenes Bataillon gebildet, welches sich
der Befreiungsarmee anschloß und größtentheils unter dem spa-
nischen Schwerte fiel. Nur wenige Schwarze kehrten ans diesem
Kriege zurück, und in einzelnen Provinzen des Landes, wie z. B. in
Concepcion, ist ein Neger eine ebenso große Seltenheit wie mitten i
in Deutschland. Man findet die Schwarzen wohl hin und wieder
in den reicheren Familien zur Behauptung eines vornehmen An-
strichs, aber nie hat mau sich ihrer auf dem Lande zur Arbeit
bedient. Da nun Chile niemals eine erhebliche Zahl von Neger-
sklaven besaß, so gehören eingeborene Mulatten ebenfalls zu den
Seltenheiten.
Diesem Umstande, daß die Republik Chile unter
ihren Bewohnern so wenig Farbige zählt, verdankt
die junge Republik es ganz vorzüglich, daß sie sich
schneller als irgend eine andere ihrer zahlreichen
Schwestern aus dem anarchischen Zustande des revo-
lutionären Kampfes erhob und mit einer Geschwindigkeit,
die in jenem Welttheil ohne Beispiel dasieht, eine höhere Stufe
von Bildung und Ordnung erreichte. Die Vermischung
verschiedener Nassen lastet auf den schönsten Ländern
Amerikas wie ein Fluch; Chile allein ist davon befreit
geblieben. ,
Hier kennt man nicht die vielfachen Uebergäuge der einen
Rasse in die andere, und dadurch ist das Land sicher gestellt vor
jenen schrecklichen Kämpfen, welche als ein dauerndes Nebel das
Wohl auch der spätesten Nachkommen in den übrigen Staaten noch
immer gefährden wird. Ist es für einen Staat schon von großem
Nachtheil, zwei verschiedene Rassen unter seinen Bürgern zu
zählen, so werden die Reibungen noch allgemeiner und verderb-
licher eintreten, wenn die Racen durch eine Vermischung entstehen,
welche weder der einen noch der andern Partei angehören. Der
Zustand der südamerikanischen Republiken wäre sicher weniger
hoffnungslos, wenn die Bevölkerung nur aus Weißen und In-
dianern bestände. Diese Mischlinge aber, gehaßt von der dunkel-
farbigen Mutter, mit Mißtrauen angesehen von dem weißen Vater,
vergelteil das niit Verachtung und Widerwillen, welche bei dem
ihnen angeborenen Stolz unbesiegbar ist. Alle Versuche diese
verschiedenen Elemente jener Bevölkerung so zu stellen,
daß sie, ohne sich zu reiben, neben einander bestehen
und zur Erhaltung des Staates gemeinschaftlich ar-
beiten könnten, sind vergeblich gewesen und werden es
350
Kleine Nachrichten.
anch stets bleiben. Was die Natur einmal entschieden
getrennt hat, das vereint der Mensch nimmer zu einem segen-
bringenden Ganzen. Daher ist an eine Einigkeit der Bevölkerung
der südamerikanischen Republiken, wie sie zum Gedeihen unter
keiner Regiernngsform so erforderlich ist als unter einer republika-
nischen, gar nicht zu denken. Diese Reibungen werden
nun und nimmer aufhören; in den größten Städten wie in
dem abgelegensten Gebirgsdorfe herrscht ein fortwährender und nie
endender Streit um Autorität; bald regiert ein Weißer mit eiserner
Ruthe, bald drückt der Mestize den Indianer, und so erweitert sich
die Spaltung und der gegenseitige Haß, und nie kann und wird
ein solches Volk sich im Innern Bildung und Reichthnm, im Aeußern
Macht und Achtung zu verschaffen vermögen.
Die Republik Chile aber ist von diesem Uebel frei, denn die
Rassenvermischnng und also auch die Farbenverschiedenheit sind in
den nördlichen Provinzen sehr unbedeutend und kaum in Anschlag
zu bringen. Kennt man in ihnen auch die Namen, mit denen im
übrigen Amerika die Kasten bezeichnet werden, so ist doch selten die
Gelegenheit gegeben, sie ans einzelne Individuen anzuwenden. Nur
in den untersten Ständen bemerkt man ein ungewöhnlich braunes
Kolorit. In den Südprovinzen kennt man zwei Abstufungen von
Farben zwischen dem europäischen Weiß und dem amerikanischen
Braun und nennt sie C h o l o s und C h ino s. Der erstere Name
ist gleichbedeutend mit dem Worte Mestize und bezeichnet die
Vermischung der Weißen mit den Indianern. Was eigentlich ein
Chino sei, ist weniger leicht zu sagen, denn selbst die Chilenen
erklären diesen Namen für gleichbedeutend mit dem erstern, oder
sind der Meinung, daß allein das Kind, welches zwischen Weißen
und Cholos erzeugt wird, also nur noch zum vierten Theil Indier
ist, so genannt werden müsse. Sie sind von Olivenfarbe und aus-
gezeichnet durch schiefe Stellung der Angenspalte, eine Eigenthüm-
lichkeit aller südlichen Indier in einem hohen Grade.
So hat denn Chile weder unruhige Neger, noch die unbrauch-
baren Indier, und durch die große Verdünnung des indischen
Blutes gegenwärtig eine größere Natioualeinheit als die übrigen
spanischen Länder. Dazu kommt nun noch der Vortheil, daß die
Sprache in allen Provinzen dieselbe ist; ein Bortheil, der schwer
in's Gewicht fällt. In allen übrigen spanisch-amerikanischen
Ländern wird die öffentliche Verwaltung und das Fortschreiten der
Bewohner durch die große Verschiedenheit der Sprachen ungemein
erschwert, ja vollständig gehemmt. Der Eingeborene von Lima
z. B. versteht kein Wort von der Sprache des Indiers der Anden,
der oft kaum durch die Entfernung von einigen Tagereisen von ihm
getrennt ist. Die Dekrete der Regierungen, welche sich oft anch
auf die Lage der Indianer beziehen, werden, wenn sie nicht mit
den Ansichten und Gewohnheiten der Gouverneure der Distrikte
übereinstimmen, von diesen aus der spanischen Sprache, in welcher
sie von der Regierung abgefaßt sind, mit Unredlichkeit und Ent-
stellung übersetzt. Der Regierung, deren Gliedern selten die alte
Sprache des Landes geläufig ist, fehlen mithin die Mittel einer
direkten Verbindung mit den Indianern, folglich anch die Kontrole
über die Beamten solcher Provinzen, und doch ist sie andererseits
gezwungen, diese Beamten, wegen ihrer Kenntniß der Sprache,
stets aus denselben Gegenden zu nehmen. Dergleichen Uebelstände
sind in Chile nicht vorhanden; die Bestrebungen der Regierung
für das Wohl des Landes können auf diese Weise nicht lahm gelegt
werden, denn Spanisch ist die Sprache, welche in allen Pro-
vinzen und allen Ständen nur allein gesprochen wird.
Für die von Jahr zu Jahr wachsende Prosperität Chiles
müssen auch die Bestimmungen der Verfassung des Landes an-
geführt werden. Es giebt zwei Grundfordernngen, die man an
jeden Staat zu machen berechtigt ist: die Ordnung und Sicher-
heit, verbunden mit dem größtmöglichsten Maße von persön-
licher Freiheit. Diese Bestimmungen stehen an der Spitze der
chilenischen Verfassung, und sie haben manchen Uebelständen vor-
gebeugt, gegen welche andere Republiken anzukämpfen haben.
Einrichtung einer chilenischen Hacienda. A. Ernst erzählt in
seiner „Republik Chili" über die Gegensätze, welche man bei der
inner« Einrichtung einer Hacienda lLandgnt) findet, Folgendes:
Ein unendlich schweres Dach ans Hohlziegeln ruht ans niedrigen
Mauern, aus hartgestampftem Lehm geformt, welche alles archi-
tektonischen Schmuckes entbehren. Die weiten, großen Tbüren sind
zu jeder Tageszeit offen und ersetzen so den Mangel au Fenstern.
Nirgends ist die Mischung von Altem und Neuem zu verkennen;
nur langsam weicht die altherkömmliche Sitte vor den neu von
Europa eingeführten Gebräuchen. Reiche englische Teppiche bedecken
den rohen Fußboden von Lehm oder Ziegeln; ein eleganter Kron-
leuchter hängt von der Decke herab; Möbel ans Nordamerika oder
Frankreich stechen sonderbar ab von den halbvergoldeten und über-
aus geschmacklosen Zierrathen, die noch ans alter Zeit herstammen.
Ein Piano fehlt selten; doch behauptet die Zither, das Lieblings-
instrument des Volks, noch immer den ersten Platz.
Fairl)-Island. In der Nordsee, unter 59^2 Grad uördl. Br.
und 2 Grad westl. L. von Greenwich, liegt zwischen den Orkney - und
Shetland-Inseln ein kleines bewohntes Eiland, mit dem stolzen
Namen der schönen oder Feen-Jnsel. Und doch ist sie unter
allen Besitzungen der englischen Krone vielleicht der ärmlichste und
verlassenste Fleck Erde, ohne Dampfschiffverbindung, ohne Hafen
und fast ohne alle Kulturbeziehnngen.
In geologischer Hinsicht gleicht sie den Orkney - und Shetland-
Inseln zugleich. Ueberall sieht das Auge nur von Haidekraut über-
wachsene Felsenmassen, zwischen denen hier und da mit Roggen
und Kartoffeln bepflanzte kultivirte Strecken sich hinziehen. Die
Einwohner beschäftigen sich mit dem Fange der Stockfische, weben
eigenthümlich gefärbte wollene Strümpfe und treiben Schmuggel-
handel mit Branntwein. Andere Beschäftigungen haben sie eigentlich
nicht. Der Pachtschilling für Grund und Boden wird in Fischen
entrichtet, und deshalb sind die wenigen Bewohner der Insel oft
auf der See, um diesen Pachtschilling zu erschwingen, und dann
wieder zwischen den Felsenklüften, um den wenigen urbaren Boden
zu bestellen; ihre Lebensweise ist also eine amphibische. Alles in
Allem leben auf der Insel jetzt nur 260 Menschen, in deren Adern
skandinavisches und schottisch es Blut gemischt ist; denn in
früheren Zeiten herrschten unter langwierigen Kämpfen hier bald
die Norweger oder Dänen, bald die Pikten. Zu dieser Mischung
gesellte sich nach der Zerstörung der Armada zur Zeit der Königin
Elisabeth noch spanisches Blut, denn eines der geflüchteten
Kriegsschiffe der nnbezwinglichen Flotte, der großen Armada,
strandete hier und die Mannschaft desselben war gezwungen, auf
diesem unwirthsamen Eilande zu bleiben.
Gleich den Bewohnern der bekannten Pitcairn- Insel gab sich
anch dies abgeschiedene Völkchen seine eigenen Gesetze, von denen
sich viele bis auf den heutigen Tag erhalten haben. Freilich sind
dieselben nicht immer beachtet worden, weil die meisten Leute das
thaten, was ihnen gerade beliebte. Die Regierung hat jetzt einen
Schulmeister angestellt; bis vor Kurzem kam aber nur jährlich
einmal ein Geistlicher von den Shetland-Inseln dorthin, um die
Taufen und Trauungen vorzunehmen; gegenwärtig ist von der
schottischen Mission ein dauernder Prediger angestellt worden.
Da es gar keine Regierungsbeamten auf diesem Stücke britischer
Erde giebt, so haben der Geistliche und Lehrer eine sehr umfassende
Thätigkeit zu entfalten, sie sind Gouverneur, Minister. Magistrats-
Personen und Aerzte, alles in Einem. Die Postverbindung mit
England ist dem Zufall anheimgegeben; oft gehen Briefe bis London
sechs Monate, also eine ebenso lange Zeit, als ein Brief nebst
Antwort nach und von Australien braucht. Wir haben im Globus
bereits auf die Barbarei auf einigen Hebriden hingewiesen; hier
ist noch ein Seitenstück dazu im europäischen Großbritannien, und
dabei wirft man jährlich viele tausende Pfund Sterling fort, um
zweifelhafte Bekehrungs- und Knlturversnche unter wilden Völkern
anznstellen!
Ein Königsbegriilmiß bei den Mongolen. Hnc erzählt in
seinen Wanderungen durch die Mongolei' nach Tibet, daß die
mongolischen Herrscher manchmal ein Begräbniß veranstalten, das
an Barbarei nicht übertroffen werden kann. Man trägt die Leiche
des Herrschers in ein ans Backsteinen ansgeführtes Gebäude, das
mit vielen steinernen Bildern ausgeschmückt ist; diese stellen Men-
schen, Löwen, Elephanten, Tiger und allerlei Gegenstände ans
der buddhistischen Mythologie dar. Mit der Leiche, die inan in
eine ansgemanerte Höhlung beisetzte, welche in der Mitte des
Mausoleums sich befindet, begräbt man Gold- und Silbermünzen,
kostbare Kleider und andere Sachen, deren man in einem andern
Leben etwa bedürftig sein könnte. Bei der Feierlichkeit müssen
dann viele Menschen ihr Leben lassen. Man wählt die schönsten
Kinder beiderlei Geschlechts aus; sie müssen so viel Quecksilber ver-
schlucken, bis sie darüber sterben; dann behalten sie, sagen die
Mongolen, ihre frische Gesichtsfarbe und sehen ans als ob sie
leben. Diese Leichen stellt man um den todten Körper des Königs,
den sie im Tode wie im Leben bedienen sollen; denn sie halten in
den Händen Fächer, Pfeifen, das Schnnpftabakfläschchen und
andere derartige Dinge, ohne welche ein Tatarenfürst nicht sein
kann. Damit alle diese begrabenen Schätze nicht geraubt werden,
hat man ein sinnreiches Mittel erdacht. Man stellt m das Gewölbe
eine Art Bogen, der bei der Berührung eine Menge Pfeile zugleich
abschlendert. Diese mongolische Höllenmaschine ist derartig an-
gebracht, daß die Pfeile zumal den Menschen treffen, welcher es
wagt, die Eingangsthür zu öffnen. Das Abschnellen des ersten
Pfeiles übt einen Druck, welcher so wirkt, daß der zweite losgeht,
der zweite wirkt in derselben Weise auf den dritten und so fort bis
zum letzten. Wer also ans Neugier oder Habsucht jene Thür
Kleine Nachrichten.
351
öffnete, würde in demselben Augenblicke von Pfeilen durchbohrt
niedersinken. Dergleichen gefährliche Maschinen stehen bei allen
Bogenhändlern feil und die Chinesen kaufen sie manchmal, um
damit ihre Wohnungen zu schützen, falls sie längere Zeit vom
Haufe abwesend fein müssen.
Die Bären und Bärenscstc im Amurgcbietc. Der Bär steht
bei den Jägervölkern Nordamerikas in hohem Ansehen. Sie halten
es für eine große Ehre, mit einem so umsichtigen und kräftigen Thier
in Verwandtschaft zu stehen, aber trotzdem ziehen sie demselben doch
die Haut ab und zerschneiden ihn in Stücke. Freilich betrachten sie
ihn, wie I>. Richardson als Augenzeuge berichtet, mit tiefem
Respekt und bitten jedesmal um Verzeihung, daß sie sich die Freiheit
nehmen, der „Großmutter" ein Leid anzuthnn. Die Tatze des
grauen Bären gilt für ein eben so ehrenvolles Siegeszeichen wie
ein Skalp.
Aehnliches berichtet ein deutscher Reisender, Arthur Nord-
mann (Erman, Archiv XXI. S. 350) von den Golden und
Giljaken im Amurlande. Bei diesen tungnsischen Völkern gilt der
Bär für eine Gottheit und spielt bei den Bären festen, welche all-
jährlich von den Giljaken veranstaltet werden, eine große Rolle.
Das Ende ist allemal, daß man den Gott verzehrt.
Die Giljaken fangen junge Bären ein, die eingesperrt und
ein paar Jahre lang mit Fischen gefüttert werden. In Ermangelung
junger fängt man alte ein. Zehn bis zwölf Männer besteigen
Hundeschlitten, welche mit Stangen, Spießen und Stricken be-
laden sind, und fahren im Januar nach einer ihnen bekannten
Winterbehausung des Bären. Dort tragen einige Schamanen dem
schlafenden Petz einige Lieder vor, um ihn aus seinem Versteck
herauszulocken. Gewöhnlich kommt er zum Vorschein. Dann wirft
sich die ganze Gesellschaft über den noch Schlaftrunkenen her,
umschnürt ihn wie ein Wickelkind, schnallt ihn an einer Stange fest
und legt ihn auf ein paar Schlitten. Gewöhnlich theilt er dabei
doch einige Tatzenschläge ans, aber das macht weiter nichts ans,
weil ein vom Bären Verwundeter für einen tapfer» Mann gilt und
deshalb in Ehren gehalten wird.
Man fährt unter großem Jubel den Bären zum Dorfe und
steckt ihn in ein bereitstehendes Balkenhans. Die Bärenfeste feiert
man in den Monaten Januar bis März; die Nachbardörfer werden
eingeladen. Die Feier findet allemal in der ersten Vollmondnacht
statt. Die Schamanen stimmen feierliche, kläglich lautende Lieder
an. Der älteste dieser Schamanenpriester holt den Bären aus dem
Gefängniß, und dieser wird, unter Gesang und Paukenschlag, an
allen Jurten herumgeführt. Man hat diese Wohnungen zum Feste
mit Hobelspänen verziert. In jeder Jurte wird er an allen vier
Wänden herumgeschleppt und muß in einer der größten, auf einem
über dem Feuer angebrachten Gerüste, die Nacht zubringen.
Die ganze Nacht hindurch halten die Giljaken einen lustigen
Schmaus und thnn sich gütlich mit ihren besten Leckerbissen, zu
welchen Fischthran mit Beeren gehört; warmer Reisbranntwein wird
in großer Menge getrunken. Am andern Morgen wird auf einer
schon hergerichteten Eisbahn mit Hundeschlitten um die Wette
gefahren; der Bär, recht breit fitzend, hat auch die Ehre, an diesem
Vergnügen Theil zu nehmen.
Dann aber ändert sich die Scene. Der bisher hochgefeierte
zottige Waldkönig und Gott wird an einen in das Eis eingerammten
Pfahl gebunden und von der hoffnungsvollen Jugend, die an ihm
vorüberfährt, mit Pfeilen dermaßen bespickt, daß er bald wie ein
Stachelschwein aussieht. Endlich erbarmen sich seiner einige Zauber-
priester und geben ihm mit ihren Spießen einige Gnadenstöße,
damit das Fleisch zerschnitten und vertheilt werden könne. Das
Fest endigt mit einem wilden Trinkgelage.
Auf einer Winterreife am Amur 1859, sagt Nordmann,
kam ich in ein Dorf, wo eben die Giljaken ein Bärenfest feierten.
Aber wer schildert den Schrecken der Leute, als sie von einer
totalen Mondfinsterniß überrascht wurden? Doch die Heiter-
keit kehrte wieder, als es den weisen Herren Priestern, den Scha-
manen, gelang, dem verdunkelten Monde sein volles Licht wieder
zu geben.
Die Stadt Osero (Osor) auf der Insel Cherso im quarne-
rischen Busen des adriatischen Meeres wird durch bösartige Wechsel-
fieber fast entvölkert, die seit einigen Dccennien dort wüthen, so
daß es in dem hübsch gebauten Orte gegenwärtig mehr
Häuser als Einwohner giebt. Die Auswanderung ist fort-
während im Zunehmen begriffen, von den Häusern sieben viele
ganz leer und sind verschlossen, die Straßen sind verödet und bie
und da schleicht ein gelbhleiches Wesen mit aufgetriebenem Unter-
leibe und hohlliegenden Augen an den Häusern vorüber, oder ein
Fremder, den irgend ein Anlaß für Augenblicke hierher geführt,
eilt hastig vorbei, um nur ans der verderblichen Luft fortzukommen.
Wenn man in Cherso oder Lussin einen ganz besonders dekrepiten,
gelbsüchtigen Menschen sieht, sagt man: Er sieht ans wie von Osero.—
Die Ursache der verbängnißvollen Krankheit ist in einer bei der
Stadt gelegenen, den Winden nicht zngängigen, schlammigen Lagune
mit fauler Ausdünstung zu suchen. Eine einfache Ausbaggerung
der Lagune würde dem Hebel ein Ende machen!
Madras in Ostindien hat nach den neuesten Zählungen in
32,610 Häusern -127.771 Einwohner. Unter diesen befinden sich
nur l 0,368 Europäer und in Indien geborene Weiße, ferner
21,839 eingeborene Christen, 325,678 Hindus und 63,886 Mo-
hammedaner. Viele eingeborene Christen gehören ihrer Religion
aber nur dem Namen nach an, denn sie tragen noch altheidnische
Zeichen auf der Stirn, nur nicht mehr zur Ehre Siva's oder
Krischna's, sondern — der heiligen Jungfrau.
Humboldt über seine Besteigung des Chimborazo. In dem
nächstens erscheinenden Briefwechsel Humboldt's mit Berghaus,
j auf welchen wir bereits aufmerksam machten, finden wir in einem
Briefe des Erster» vom November 1828 folgende Stelle: „Ich
habe mir mein Lebtag etwas darauf eingebildet, unter den Sterb-
lichen Derjenige zu sein, der am böchsten in der Welt gestiegen ist
— ich meine am Abhang eines Berges, am Abhange des Chimbo-
razo ! Wie lange haben die Menschen gestaunt über die Hohe der
Cordilleren, die ihnen von Lacondamine und den anderen perua-
nischen Gradmessern bekannt gemacht worden war, und ich habe
dieses Staunen getheilt und bin stolz gewesen auf meine-— Ascension!
Mit einem gewissen Gefühle von Neid habe ich darum auf die Ent-
hüllungen geblickt, welche von Webb und Konsorten von den Bergen
in Indien gegeben wurden, von deren kolossaler Erhebung man zwar
eine Ahnung und Vermuthungen hatte, nicht aber beglaubigte,
durch Messungen bestätigte Thatsachen. Ich habe mich über die
Riesen des Himalaya — beruhigt, weil ich glaube annehmen zu
dürfen, daß meine Arbeiten in Amerika den Engländern den ersten
Antrieb gegeben, sich etwas mehr um die Schneeberge zu bekümmern,
als es von ihnen seit anderthalb Jahrhunderten geschehen, während
welches langen Zeitraums sie den hohen Gebirgswall im Norden
der ungeheuren Ebenen, die der heilige Strom befruchtet, man
kann sagen gedankenlos betrachtet haben, ohne auch nur von fern
die Frage anszuwerfen, wie hoch find diese Kolosse des Himalaya?
Ich habe mir gesagt: Die Andesketten von Quito bleiben doch in
ihrem Rechte für die neue Welt, in ihr das höchste Gebirge zu sein,
und auf ihm der Chimborazo der erhabenste Scheitel; und damit
habe ich das neidische Gefühl, welches mir die indische Gebirgs-
welt einflößt, zu beschwichtigen gesucht. —
Diese Ansicht mußte Humboldt natürlich später fallen lassen,
seitdem z. B. Pentland's Messungen ergaben, daß der Chimborazo
keineswegs der höchste Gipfel in Amerika sei und der Aconcagua
in Chile auf diese Bezeichnung Anspruch hat.
Nene Hilfen in Formosa eröffnet. Als eine wichtige Er-
rungenschaft darf die Eröffnung der zwei neuen Handelshäfen
Kilung und Takao auf der chinesischen Insel Formosa betrachtet
werden. Ohne nach den Rechten des Landes oder nach diplomati-
schen Nebereinkommen zu fragen, kundschafteten einige europäische
Kaufleute alle Handelsbeziehungen der genannten beiden Plätze aus
und erosineten sie dem Verkehr. Ohne dieses kühne Vorgehen würden
Kilung und Takao wohl noch lange verschlossen geblieben sein. Die
Chinesischen Behörden benahmen sich der vollendeten Thatsache ge-
genüber ganz vernünftig, errichteten sofort Zollhäuser und es wird
nun an den Kaufleuten liegen, auf dem einmal errungenen Wege
weiter fortzuschreiten.
Giftige Schlangen in Sind. Nach einem Brief ausKarratschi
mehren sich dort die Todesfälle, welche nach Schlangenbissen er-
folgen, in besorgnißerregender Weise; besonders sind die acker-
bautreibenden Klassen der Bewohner diesem Nebel am meisten ans-
! gesetzt. Unter den verschiedenen in Sind vorkommenden giftigen
Schlangenarten sind die Küppers die gefährlichsten. Dieses
Kricchthier, welches mit der an der Malabarküste vorkommenden
I Ma nillaschlange identisch zu sein scheint, ist nur einen Fuß
: lang; an feinem breitgedrückten, häßlichen Kopfe kann man aber
gleich abnehmen, daß es sehr giftig ist. Der Tod erfolgt bei einem
Menschen unfehlbar, bereits fünf Minuten nach dem Biß, unter
den furchtbarsten Zuckungen. Die auffallende Vermehrung dieser
schrecklichen Todesfälle hat bereits die Aufmerksamkeit der Behörden
von Sind auf sich gezogen. Um dem Uebel entgegen zu wirken, hat
man Pfauen, die natürlichen Feinde dieser Schlange,
in großer Menge eingeführt und einen Preis auf die Auffindung
eines wirksamen Gegengifts gesetzt; außerdem wird für jede ge-
todtete und abgelieferte Schlange eine „Anna" ansbezahlt.
352
Kleine Nachrichten.
Tigenwth in Indien. In einem zoologischen Garten ist ein
bengalischer Königstiger eine stattliche Erscheinung; wer aber dem
Herrn der Wälder in Ostindien begegnet, ist wenig erbaut von einem
solchen Zusammentreffen. Die indischen Zeitungen sind angefüllt
mit „Tigerabenteuern". Jüngst wurde ein Lieutenant, Bairnsfather,
von einem Tiger überfallen und beinahe zerrissen. Die Bestie packte
ihn am Bein und schleppte ihn in den Wald. Die übrigen Jäger
schossen ihr zwei und zwanzig Kugeln in den Leib, und zum Glücke
wurde der Lieutenant nicht getroffen. Der Auftritt ereignete sich in
der Nilgherris, und man brachte den Verwundeten nach der Ge-
sundheitsstation Otakamand. In jener Gegend haben sich, trotz
der englischen Jäger, die Tiger ungemein vermehrt; im Januar
hatte der Besitzer einer Cottage daö zweifelhafte Vergnügen, an
einem einzigen Tage Besuch von fünf Königen des Waldes zu er-
halten. Er mußte mit ansehen, daß einer derselben ihyi vom Hof
einen Ochsen fortschleppte. Dasselbe geschah einem Deutschen, Herrn
Nohde, gleichfalls in der Nähe von Otakamand; er erlegte einen Tiger,
der wohl gemessen mehr als l l Fuß englisch lang war; ein Paar
Tage später wurde einer von mehr als 10 Fuß Länge geschossen. —
Auch die Insel, auf welcher Singapvre, vor der Spitze vonHmter-
iudien, liegt, ist abermals sehr unsicher geworden; dort ist freilich
die Tigerplage etwas Altes und Gewöhnliches. Man rottet die
Tiger ans der kleinen Insel selbst aus, aber fortwährend kommt
neuer Zuwachs; sie schwimmen bei Nacht vom Festlande durch den
Meeresarm zwischen diesem und der Insel herüber.
Der Omulfang im Baikalsee. Das Nordende des Baikalsees
in Sibirien kontrastrirt in auffallender Weise mit dem übrigen, meist
klaren Wasser dieses großen Binnensees. Hier mündet nämlich etwa
unter 550 40'N. Br. die Angara, ein von Nordosten kommen-
der Fluß mit mehreren Mündungen, mit morastigen Ufern, die, von
einer dichten Sumpfvegetation eingefaßt, den Fluß hier ganz un-
zugänglich machen. In dieser Niederung fließt die Angara noch
ziemlich rasch und bringt namentlich im Frühjähre viel Treibholz,
feines Gerölle und Sand mit, welches alles im See abgesetzt wird
und merkliche Untiefen oder theilweise schon Inseln bildet. An diesen
Mündungen nun ist der Schauplatz des sehr ergiebigen Omul-
fang e s.
Gustav Rad de bemerkt in seinem, von uns mehrfach er-
wähnten Reisewerke Folgendes: Das reine, klare und kalte Wasser
des übrigen Sees, sein meist steiniges Becken, die zahlreichen reißen-
den Gebirgsbäche, die in ihn münden, bedingen das vorzügliche
Gedeihen einiger Lachs arten, welche im See sowohl an Zahl
der Arten wie der Individuen alle übrigen Fische übertreffen. Die
Ausbeute einiger kleineren Arten (8almo oxyrhinus, 8. fluviatilis,
S. thymallus und 8. coregonus) erreicht einen Gesammtwerth von
23,000 Silberrubeln. Dieser Gewinn tritt aber sehr zurück gegen
deu, welchen der Fang des Omul (Salmo Omni) gewährt.
4000 Tonnen jährlich gewonnenen Omuls verwerthen sich im
Großhandel mit 120,000 Silberrubel.
Ein großer Tbeil dieses Geldes kommt unmittelbar einer
Menge armer Menschen im Jrkutskischen und Transbaikalischen
Gouvernement zu Gute; dem gegenüber ist sehr zu beklagen, daß
durch schonungsloses Wegfangen dieses Fisches während der
Laichzeit sich seine Zahl bedeutend vermindert und daß, wenn nicht
Gesetze den Fang ans irgend eine Weise einschränken und regeln
werden, diese ergiebige Fastenspeisenquelle einst versiechen muß.
In Sibirien also dieselbe Klage wie in Europa! Außer den
Menschen vernichten aber einige große Vögel bedeutende Mengen
von Omnlen, besonders die Cormorane und Sägetaucher (Nsrgns
serrator), welche beide als natürliche Feinde dieses Lachses be-
trachtet werden können.
In der Mitte des Juli beginnt die Laichzeit der Omule und
die Fische ziehen dann aus den klaren Gewässern des Baikalsees
nordwärts dahin, wo die Angara niit ihren trüben Fluten mündet.
Etwa vierzig Schiffe, jedes mit einem durchschnittlichen Gehalt von
hundert Tonnen, erwarten die heranziehenden Fische. Die Be-
mannung eines Schiffes wechselt zwischen fünfzig und dreißig
Leuten, meist Burjäten aus Olchon, die dort gemiethet werden
und hierher kommen. Der Führer des Schiffes heißt Baschlyk;
er besorgt die Beköstigung, ordnet den Fang an und verlangt un-
bedingten Gehorsam. Der Fang geschieht mit großen Wandnetzen
(New0di), die unten mit Steinen beschwert sind und oben durch
Schwimmer aus Birkenrinde auf dem Wasser erhalten werden.
Am Ufer errichtet man hölzerne Hütten, Ambaren, die mit
Kiefernrinde bedeckt sind; in ihnen bewahrt man die Fässer und
das Salz zum Einsalzen, sowie verschiedene bei der Fischerei nöthige
Instrumente auf. Der eigentliche Ort, an welchem das Reinigen
und Einsalzen der Omule vorgenommen wird, ist das Rybadjel,
ein offener Schuppen, in dessen Mitte' ein aus starken Brettern
gezimmerter Trog steht, in welchem von Weibern das Reinigen
und Einsalzen besorgt wird.
So ist Alles zum Fange bereit. Wenn der Ruf erschallt:
Die Omule zeigen sich! dann stechen die Fischer mit ihren Netzen
ans kleinen Booten in See und der Fang beginnt. Diese Fischerei
im See währt aber höchstens bis Mitte August; die wirklich er-
giebige Ausbeute findet in der Angaramündung selbst statt, wo die
Fische, auf einen kleinen Raum zusammengedrängt, leicht zu um-
garnen sind.
Das Einsalzen der gefangenen Omule wird möglichst rasch
vorgenomnien; sie werden in den Trog des Rybadjel geworfen
und hier von Tuugusinnen gewaschen, in zwei Hälften gespalten,
gesalzen und in Fässer gepackt. Man salzt nur Omule von zehn
bis vierzehn Zoll Länge, größere gehören an der Mündung der
Angara zu den Seltenheiten. Kleinere Fische werden nicht gesalzen,
sondern, ohne gereinigt zu sein, in einem großen Kessel mit wenig
Wasser gekocht, von den Gräten befreit und die kleineren Stücke
an der Sonne getrocknet. Diese stockfischartige Masse kommt als
Porssa in den Handel. Die meist sehr fetten Eingeweide werden
mit den Ueberbleibseln der Porssa zu Fett versotten, das von den
Kaufleuten in den Verkehr gebracht wird.
Das Vaterland des Truthahns. Bekanntlich wissen wir von
vielen Hausthieren oder seit undenklichen Zeiten kultivirten Pflanzen
die Abstammung noch immer nicht anzngeben. Ob z. B. unser
Haushund vom Wolf, unsere Hauskatze von der wilden Katze
u. s. w. ab stammen, das sind noch immer offene Fragen. Ein jetzt
ganz bei uns eingebürgerter Hansvogel ist der Truthahn; bei
den Engländern heißt er Turkey, bei den Franzosen Coq d'Jnde,
bei den Slawen Krotzan. Unsere deutschen Benennungen Truthahn
und Puter sind wohl onomatopöisch, während der Ausdruck Kale-
kuten nach Kalikut als Vaterland hinzuweisen scheint. Die Eug-
länder machen dies Thier zu einem Türken, die Franzosen zu einem
Indier. Sein wahres Vaterland aber ist Nordamerika, wo er
allerdings vor der sich immer mehr ansbreitenden Kultur allmälig
zurückweicht. In Virgiuicn und Pennsylvanien ist er jetzt sehr selten
noch wild zu finden, häufiger schon in Georgien und den Karolinas.
In den waldigen Gegenden der übrigen Südstaaten kommt er aber
noch in ungeheuren Wanderschwärmen vor. Eingefübrt ward der
Truthahn zuerst im Anfänge des sechzehnten Jahrhunderts durch
die Spanier, verbreitete sich dann namentlich nach England, wo
Shakespeare desselben mehrere Male erwähnt. Jetzt findet man
ihn auch schon in Asien als Hanöthier. Zu bemerken bleibt noch,
daß die wilden Thierc ursprünglich nur die bekannte dunkle Farbe
haben; die meisten Exemplare verdanken ihre Färbung der Kultur.
Die Benutzung der Seetange wird eine immer verschieden-
artigere. So kommen häufig fremde Schiffe nach Helgoland, um
die dort vom Meere ausgeworfenen Tangmassen, welche zum Ver-
druß der Badegäste einen üblen Schwefelwasserstoffgeruch ver-
breiten, fortzuholen und als Dünger zu verwenden, da die Helgo-
länder ihn selbst unter dem Vorwände: die Kartoffeln erhielten
durch ihn einen üblen Geschmack, nicht verwerthen. Das Ein-
sammeln des Wraic (Tang) ist auf den Kanalinseln Jersey u. s. w.
sogar von Amtswegen auf zwei bestimmte Jahreszeiten beschränkt
worden. Er wird entweder frisch von den Klippen als Dünger
benützt oder nachdem er zuvor als Brennmaterial gedient hat. In
der Thatist der Seetang das wichtigste, ja einzige Brenn-
material der Kanalinseln. In Schottland wurden vor der Ein-
führung des Tabaks Tange allgemein als Nahrungsmittel benutzt
und galten als blutreinigendes Mittel (in Folge des Jodgehaltes).
Auf den Hebriden bildet der Blasentang (fucus vesiculosus) einen
großen Theil des Schaf- und Rindviehfutters.
Der Raupenpilz. Unter den Insekten Neuseelands nimmt
die große Raupe eines Nachtfalters eine interessante Stellung ein.
Die Eingeborenen, welche sie verzehren, nennen sie Aweto oder
Hotete; sie zeichnet sich besonders dadurch aus, daß aus ihrem
Kopf ein schmarotzender Pilz herauswächst, der von den Kolonisten
als „vegetating Caterpillar“, von den Naturforschern als Sphaeria
Robertsii bezeichnet wird. Ein großer Theil der Raupen geht,
wenn sie sich zur Verpuppung in die Erde vergraben, daran zu
Grunde. Eine Eigenthümlichkeit dieses noch wenig gekannten
Pilzes ist die, daß der ein bis zwei Zoll lange Stiel desselben,
welcher die Fruchtsporen trägt, fast ausschließlich im Nacken der
Raupe zwischen dem Kopf und dem ersten Leibesring entspringt.
HeranSgegeben von KarlAndree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildburghausen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
No» Töbrh nach Teheran. Isfahan die Hauptstadt der Zestden.
Zeichnungen nach Originalskizzen des Herrn Major Krz'iz.
Täbriz. — Verfall und Handel. — Von Täbriz nach Teheran. — Aussätzige. — Wanzen. — Der Kysyl-üzen. — Zendschan. —
Sultanijeh. — Kaswin. — Teheran. — Der Palast des Schah. — Die Bevölkerung der Stadt. — Leben und Treiben in den
Straßen. — Das Kadscharenschloß. — Isfahan. — Geschichtliches. — Verfall. — Der Königsplatz. — Die Brücken. —
Der Reisende, welcher bei Dschulfa den Grenzfluß
zwischen Armenien und Persien, den alten Arapes über-
schritten hat, gelangt, wenn er einige Tage lang seine Rosse
in südlicher Richtung forttreibt, an eine steile Bergkette,
die vom gewaltigen, 8000 Fuß hohen Schändberg über-
ragt wird. Am Fuße der mit Schnee bedeckten Gebirgs-
masse liegt Täbriz, die Hauptstadt der persischen Provinz
Aserbeidschan.
Die neuesten Nachrichten über Täbriz verdanken wir
gepflastert. An den Enden der Brücke stehen je zwei thurm-
ähnliche Pfeiler mit kuppelartiger Oberwölbung. Man
dankt Gott, wenn man zu Pferde sitzend eine solche Brücke
im Rücken hat. Gewöhnlich vermeidet man sie am besten,
wenn man quer durch's Wasser reitet.
Der Anblick der Straßen und Häuser von Täbriz
(sprich Täbrls) war für die Mitglieder der preußischen
Gesandtschaft niederschlagend. Bon der großen Stadt liegt
etwa die Hälfte in Schutt und Trümmern da. Erdbeben,
Eine Brücke zu Täbriz.
dem ehemaligen Mitgliede der preußischen Gesandtschaft
nach Persien, Dr. Heinrich Brugsch.ft Nach ihm erscheint
diese Stadt als eine große, weitausgedehnte, dunkelbraune
Häusermasse, die sich zum Theil terrassenförmig erhebt.
In nördlicher Richtung vor der Stadt, deren Namen
die modernen persischen Etymologen von „täb" fieber und
„riz" zerstreuen, also gleichsam „fiebervertreibend", ableiten,
fließt ein „Tschai" oder Fluß, den man auf einer Brücke
acht persischen Styls überschreitet. Dieselbe besteht aus
einem aufsteigenden Damm, aus der eigentlichen hoch-
gelegenen Brücke mit Bogen und einem abwärtsgehenden
Damme; das Alles ist zwar mit Geländern versehen und
roh aus Feldsteinen ausgeführt, aber entsetzlich schlecht *)
*) Reise der königl. preußischen Gesandtschaft nach Persien
1860 und 1861, geschildert von vr. Heinrich Bruqsch. Leipzig,
1862. Erster Band.
Globus IV. Nr. 12.
die sich sehr häufig wiederholen, die Hand des Menschen,
Krieg, der Zahn der Zeit, mit einem Worte, jede nur denk-
bare Ursache der Zerstörung hat dazu beigetragen, einen so
beträchtlichen Theil der Stadt in traurige Trümmerhaufen
umzugestalten. Die Straßen, meist sehr eng und winkelig,
bieten ein abschreckendes Beispiel orientalisch-asiatischer
Liederlichkeit dar. Schmuz und Unrath in Löchern und
Pfützen, Pflastersteine, die des Schicksals Tücke nach Orten
befördert hat, wohin sie gar nicht gehören, Hunde und ver-
wesende Körper — Alles liegt chaotisch durcheinander, so
daß man genöthigt ist, die Augen mehr nach den Erdboden
als auf die Umgebung zu richten. Die Häuser, eigentlich
nur hohe Erdmauern mit kleinen Thürösfnungen, laufen
in gewundenen Linien nach allen Richtungen hin und geben
den Straßen von Täbriz, wie überhaupt allen persischen
Städten, ein sehr häßliches Anssehen. Hier und da steckten
Kinder und tiefverhüllte Weiber den Kopf neugierig über
45
354
Von Täbriz nach Teheran. Jsfahan die Hauptstadt der Sefiden.
die Mauer hinweg, um den Einzug der preußischen Gesandt-
schaft näher in's Auge zu nehmen.
Trotzdem Täbriz so heruntergekommen ist, hat es doch
als Haupthandelsplatz Persiens keine geringe Be-
deutung. In der Nähe der russischen und türkischen Grenze,
auf der großen Karawanenstraße von Teheran
nach Trapezunt gelegen, ist es für den Verkehr ein
Mittelpunkt geworden, der Innerasien mit Europa ver-
bindet. Die bedeutendsten kaufmännischen Geschäfte sind in
den Händen von Persern, Armeniern und Europäern. Zu-
gleich ist dort die von der Regierung verpachtete Zollstätte,
welche für aus- und eingeführte Waaren eine gewisse, ge-
setzlich vorgeschriebene Steuer erhebt, obwohl auch dabei,
wie bei allen persischen Einrichtungen, das Willkürliche und
Ungesetzliche in starkem Maße vertreten ist. Die Perser-
Haben seit ihren Wanderungen nach Konstantinopel den
europäischen Handel vielfach selber in die Hand genommen,
aber griechische und eine Schweizer Firma vertreiben doch
den größten Theil der eingeführten europäischen Waaren.
Leider sind die Perser unzuverlässige Geschäftsleute, so daß j
dem Einflüsse desselben zu leiden haben; der Sommer dagegen
so drückend heiß undunerträglich, daß Europäer und Perser,
besonders-die persische Haremswelt, die Stadt verlassen, um
auf den luftigen Berghöhen in der Umgebung, in Dörfern
und unter Zelten ihr Sommerquartier aufzuschlagen. Der
Frühling wird durch heftige Gewitterstürme und Regen ein-
geleitet. Das Obst erreicht in Täbriz, dessen Gartenreich-
thum einen gewissen Ruf erlangt hat, eine ganz vorzügliche
Güte. Mandeln, Melonen und besonders Wassermelonen
sind von einem unvergleichlichen Wohlgeschmack und ersetzen
den Eingeborenen einigermaßen den Mangel guten Trink-
wassers. Nach Flandin finden sich in der Umgebung der
Stadt schwefelhaltige Quellen.
Der Weg von Täbriz nach Teheran führt hinter der
erster» Stadt bald in malerische Thäler abwärts, bald zu
steilen Höhen aufwärts. Der landschaftliche Charakter bleibt
unverändert der einer vulkanischen Gebirgssormation in allen
ihren Eigenthümlichkeiten, bis zu den grün, roth und gelb
schillernden Farbentönen, in welchen die vegetationsleeren
Felsen, riesigen Maulwurfshügeln ähnlich, bis in die weiteste
Schloß des Prinzen Abbas Mirza zu Täbriz.
die Handelsverbindungen mit ihnen große Vorsicht erheischen
und oft bedeutende Verluste herbeiführen. Dabei ist das
Volk arm, große Geschäfte sind daher selten möglich, und
die europäischen Kauflente müssen sich oft mit kleinem Gewinn
begnügen. Englische Waaren, die über Teheran und Meschhed
von den Karawanen bis in das Herz Asiens, nach der Bucharei,
Chiwa u. s. w. geführt werden, sodann deutsche und fran-
zösische Handelsartikel kommen jahraus, jahrein nach
Täbriz und werden von dort nach allen Richtungen in das
Innere von Persien versendet. Die Interessen der Europäer,
welche in Täbriz ansässig sind, werden durch einen russischen
und englischen General-Consul vertreten.*)
Das Klima der Stadt bietet, wie der ganze Nordrand
des hochgelegenen Iran, die Eigenthümlichkeit extremer
Jahreszeiten dar. Der Winter ist so streng, die Winde sind
so stürmisch und kalt, daß selbst europäische Naturen unter *)
*) Die Handelsverhältnisse Persiens sind vortrefflich geschildert
vom Consul Otto Blau, „Commercielle Zustände Persiens, Berlin,
1858"; sehr werthvoll ist auch die 1862 zu Wien veröffentlichte
Schrift von v. Gasteiger, „die Handelsverhältnisse Persiens, in
Bezug auf die Absatzfähigkeit österreichischer Waaren." Der Ver-
fasser ist Geniedirektor in Persien und ein sehr guter Beobachter.
A.
Ferne hin sich zeigen. Das nächste, ziemlich bedeutende Dorf
ist Basch misch; hier zeigt sich Banmwuchs, Wasser und
eine hübsche Karawanserai. Die folgende Station, Sejid-
ab ad, ist ein kleiner, unbedeutender Ort, der aber wegen
einer besonders guten Sahne eine große Berühmtheit er-
langte. In der Folge wird die Karawanenstraße rechts und
links von Bergzügen eingeschlossen; als die preußische Ge-
sandtschaft im April durchzog, waren sie theilweise noch mit
blendendem Schnee bedeckt. Kleine Bäche, vom schmelzenden
: Schnee auf den Bergen mit ziemlichen Wasservorrath gespeis't,
unterbrechen die Straße. Verfallene Karawanseraien (siehe
die Abbildung) aus älterer Zeit, die als Bauwerke des großen
Schah Abbas bezeichnet werden, gewähren auf-der traurigen
Hochfläche die einzigen Ruhepunkte.
In dieser Gegend müssen sich die Aussätzigen auf-
halten. Die Vorüberreisenden werden von den unglücklichen
Menschen mit dem Geschrei: „Der Herr sei deine Hilfe!" um
ein Almosen angebettelt. Diese Armen, Männer, Weiber
und Kinder, wohnen dort in elenden Hütten, fern von den
Städten und Dörfern, und müssen, von aller Berührung
mit ihren Landsleuten ausgeschlossen, in der traurigsten
Wüstenei ihr elendes Dasein fristen. Der Aussatz zeigt sich
I - in den abschreckendsten Formen, vor allem im Gesicht.
Von Täbriz nach Teheran. Jsfahan die Hauptstadt der Sefiden.
355
Rothe Beulen auf der Stirn, an den Backen, an der Nase,
ein verzerrter Mund, rothe, triefende Augen geben dem Un-
glücklichen ein entsetzliches Aussehen. Die Negierung hat
bis jetzt Nichts gethan, um den mit Aussatz Behafteten
Heilung oder wenigstens Milderung ihres Leidens zu ver-
schaffen, sondern sich lediglich auf die schon von den Alten
geübte Sanitätsmaßregel beschränkt, die Aussätzigen von
der übrigen Welt streng abzusperren.
Linker Hand vom Weg erscheinen dann die Ausläufer
des Boz-Kuscht oder „Ziegentödter"-Gebirges, und
zur Rechten verschiedene Wasserstreisen; man hat nun Ab-
wechselung von Berg und Thal 'in schönster Fülle. Turk-
mantschai, wo Rußland einst dem Schah einen verhäng-
nißvollen Friedenstraktat abzwang, ist ein in einer Niederung
am Berge recht hübsch gelegener Ort, doch wegen seiner
Minutoli, welcher eifrig Insekten sammelte, wandte sich an
einen Einwohner des Orts, um durch ihn ein Dutzend
jener gefürchteten Thiere zu erlangen, für welche er ein
kleines Trinkgeld versprach. Der Mann aus Mianeh blieb
ruhig an feinem Platze stehen, öffnete seinen Gürtel und
holte in kurzer Frist aus den Falten seines Gewandes zu
Aller Schrecken das gewünschte Dutzend hervor. Der Stich
der in Rede stehenden Wanzen verursacht große Beulen, die
äußerst schmerzhaft sind, aber wohl nicht, wie man erzählt,
bei größerer Menge den Tod nach sich ziehen. Die ein-
heimischen Aerzte haben ein absonderliches Heilmittel: es
besteht darin, daß man den Gestochenen in ein warmes Bad
führt und nachher in die Haut eines frisch geschlachteten
Ochsen einhüllt. Dann sollen die Anschwellungen Nachlassen
und die Schmerzen aufhören.
Alte Karawanserei bei Täbriz.
vielen Wanzen berüchtigt. Diese letzteren fangen bereits an
den Reisenden, Persern wie Europäern, Schrecken und Be-
sorgniß einzuflößen, und lange bevor die nächste Station,
die „Residenz der Wanzen", die Stadt Mianeh, erreicht ist,
erzählt man bereits wahre Räubergeschichten von der Sehn-
sucht dieser giftigen Thiere nach dem Blut aller Reisenden.
Die Wanzen sind platt, kreisrund gestaltet, von der Größe
eines preußischen Sechsers, dunkelbraun, mit einem hellen,
beinahe durchsichtigen Ring um den Leib, und mit sechs
langsam schreitenden Beinen ausgestattet.
Mianeh dehnt sich am Fuße des Kaflan-kuh iu
einer Ebene lang aus. Grüne Pappeln und weißblühende
Fruchtbäume in der Umgebung gewähren ein freundliches,
einladendes Aussehen. Am sichersten bleibt es, hier unter
freiem Himmel zu übernachten, da selbst ganz neue Gebäude
durchaus mit Wanzen überfüllt sind. Dafür mag Folgendes
als Beleg dienen. Der preußische Gesandte, Freiherr von !
’ Eine halbe Meile hinter Mianeh durchbricht der
Kyzyl-üzen (Rothflnß) in einem langen Thalbette die
Kette des Elburs- Gebirges und ergießt sich nach seinem
kurzen Laufe durch die Provinz Gilün in das Kaspische Meer.
Sein Durchbruch schreibt eine natürliche Straße vor, welche
von Kazwin aus in nordwestlicher Richtung abgeht, dann
das linke Ufer des Kyzyl-üzen verfolgt und schließlich in
Rescht endigt. Der Weg hinter Mianeh gehört zu den ani
meisten malerischen Theilen der ganzen Reise zwischen Täbriz
und Teheran. Beim Heruntersteigen vom Kaflan-kuh zeigt
sich in bedeutender Breite und mit großem Getöse dahin-
stürzend der Kyzyl-üzen. Ein gewaltiger Felsen, der sich
links von der Straße, dicht am diesseitigen Ufer des Flusses,
in mächtigem Steilabfall erhebt, ist mit den Resten einer
uralten Befestigung gekrönt. Mauern und Thürme mit
Zinnen laufen die steilen Felskanten entlang.
Später wird die Landschaft hügeliger. Eine Menge
45*
356
Von Täbriz nach Teheran. Jsfahan die Hauptstadt der Sefiden.
weißer und rother Blumen auf dem grünen Wiesenteppich
erregen Heimatgedanken. Während man in Europa meint,
blauer Himmel, Frühlingslüfte, Nachtigallenschlag und Rosen-
duft seien die gewöhnlichste Unterlage des beneidenswerthen
Daseins im Lande Persien, drücken sich die Reisenden in
abscheulichen Schmnzlöchern herum, mit allen Entbehrungen
kämpfend, hocherfreut und von heimatlichen Sehusuchtstrieben
erfüllt beim Anblick einer bunten Wiesenblume.
Die nächste Stadt von einiger Bedeutung ist Zend-
schan; sie liegt lang ausgestreckt auf einer 5600 Fuß hohen
Hochfläche. Je näher man kommt, je mehr schwindet in ge-
wohnter Weise das malerische Bild, welches sich ans der
Ferne dem Auge darbietet. Die hohen Mauern und Thürme
schrumpfen zu verfallenen Erdhaufen mit Rissen und breiten
Oefsnungen zusammen, die Häuser und Moscheen zu elenden
Hügel zu Hügel nach dem fernen Horizonte hinzogen, be-
zeichnen bis nach Teheran die Richtung des Marsches.
Von der Ferne aus gesehen, erscheint Sultanijeh gegen-
wärtig als ein großer Trümmerhaufen, bietet aber einen
sehr malerischen Anblick dar. Zunächst zeigt sich ein sonder-
bares Gemisch halb sestungsartig angelegter Baulichkeiten,
die man als Palast des gegenwärtig regierenden Schahs
bezeichnet. Hinter einem wüsten Striche zerfallener Woh-
nungen erhebt sich ein halbzerstörtes Festungsviereck, das
ans Erdmauern und Thürmen besteht; endlich erscheint in
langer Linie die eigentliche Stadt, eine traurige Ruine mit
etlichen Moscheen, deren höchste und schönste wie ein Dom
über der winzigen Häusermasse unter ihr emporragt. Das
ist die berühmte und gepriesene Moschee des mongolischen
Sultans Adschaitn Mohammed Chudabendeh. Die Bewohner-
Verfallene Moschee der mongolischen Sultane in Sultanijeh.
Ruinen. Die hübsche Moschee mit der grünen Kuppel scheint
jeden Augenblick einstürzen zu wollen. Nach der gegenwärtigen
Ausdehnung und dem Reichthum an Trümmern zu schließen,
muß Zendschan früher eine bedeutende Bevölkerung gehabt
haben. Das Innere der Stadt ist so traurig und düster als
das Aeußere. Halbverfaultes Aas, mit Beulen bedeckte
Hunde, Bettler, halbnackte Kinder, welche quer über den
Weg hin liegen, bilden die elende Bevölkerung der ans-
gestorbenen Gassen.
Ueberall, wohin der Reisende seinen Fuß setzt, begegnet
ihm Verfall! In weit höherm Maße als in Zendschan
zeigt sich derselbe aber an dem nächsten Stationsort Sulta-
nijeh. Die Hochebene von Zendschan ist von jener Sulta-
nijehs durch ein niedriges Hügelland getrennt, das keine
große Schwierigkeit in der Ueberwindung des Geländes bietet.
Die Reihe hoher Telegraphenstangen, welche sich von
schaft der großen Stadt wird heute an Zahl und Wohlstand
von manchem persischen Dorfe übertrofsen.
Wenige Reste aus der vergangenen persischen Zeit sind
so belehrend für die Kenntniß ehemaliger besserer Zustände,
als gerade dieser in seinem Verfall noch hervorragende Ban
mongolischer Fürsten. Eine prachtvolle Kuppel überragt den
massiven sechseckigen Unterbau und bedeckt einen gewaltigen
Raum, der in alten Zeiten die fromme Zuhörerschaft in sich
faßte. Die äußeren Verzierungen, bis zu den verfallenen
Minarets an den Ecken der Seitenmauern, sind in einem
vollkommen mustergültigen Geschmack angelegt und mit be-
wunderungswürdiger Sauberkeit und Genauigkeit in Ziegel-
stein und Glasurwerk ausgeführt. Die inneren Wände strotzen
von dem Reichthum schöner Arabesken in bunten, gebrann-
ten und glasirten Steinen, und selbst die in erhabener Arbeit
; dargestellten Koransprüche sind von den mannichfachsten
Von Täbriz nach Teheran. Jsfahan die Hauptstadt der Sesiden.
357
Blumen und Verzierungen eingefaßt. Die Nachfolger des
ersten Erbauers haben das herrliche Werk durch aufgetragenes
Mauerwerk mit grob gemalten Koransprüchen geradezu ver-
pfuscht. Risse und Spalten, vielleicht in Folge von Erd- i
beben, haben so sehr die Festigkeit des Prachtbaues unter-
graben, daß der baldige Einsturz desselben über kurz oder
lang unvermeidlich geworden ist. (Vergl. die Abbildung.)
Hinter Sultanijeh dehnt sich, von Bergketten einge-
schlossen, eine scheinbar endlose Ebene aus. Der Wind jagt
mit gewaltigem Zug über die Fläche dahin. Im Winter
gehört der Weg zu den gefährlichsten Reiserouten in Persien:
Schneewehen machen jede Spur unsichtbar und begraben
nicht selten den unglücklichen, vom winterlichen Sturm über-
raschten Reis enden. Während im Sommer ungeheure Schaaren
großer Feldmäuse (hier einfach Musch, Maus, genannt) j
den Erdboden nach allen Richtungen durchwühlen und da-
durch dem Getreide großen Schaden thun, ist im Winter >
der Wolf die Plage von Mensch und Vieh; dann zeigen sich
große Rudel dieser Raubthiere aus der Hochfläche und fallen j
selbst Karawanen an, uni ihren Heißhunger zu stillen.
Der nächste Ort von einiger Bedeutung ist Qazwin 1
verfallen, schonungslos geplündert, ohne Spnr sorgender
Erhaltung.
Das Portal des Jmaret besteht aus höchst geschmack-
vollen Mustern in bunter, glasirter Ziegelarbeit, darunter
das Bild des persischen Wappenlöwen. Schöne gewölbte
Hallen, große geräumige Vorhöfe, schattenreiche Gärten mit
künstlichen Wasseranlagen, zahlreiche Wohnungen — Alles
verfallen, zerfressen, baufällig — gehörten zu den weit aus-
gedehnten Räumlichkeiten des Jmaret. Die Stadt zählt etwa
70,000 Einwohner und ist der Sitz eines Gouverneurs.
Die Armuth ist dort, nach Brugsch's Zeugniß, wahrhaft
entsetzlich und fast unbeschreiblich. Krank, elend, nackt, ob-
dachlos irren Gestalten, die den Namen Menschen führen,
auf wüsten Leichenäckeru, öden Straßen und aus denTrümmer-
hausen vergangener Herrlichkeit wie Rachegespenster umher.
Ohne Stock- und Peitschenhiebe ist der Reisende nicht im
Stande, diese Unglücklichen von sich fern zu halten.
Der weitere Weg nach Teheran bietet verschiedenartige
Abwechselungen. Zuerst kommen magere Felder, daun dürre
Haidekrautsteppen; die einzige Abwechselung gewähren die
fortwährend herumziehenden Karawanen der nomadischen
Das Reichsthor zu Teheran.
(Kaswin). Unmittelbar vor der Stadt führt der Weg über
einen großen Kirchhof. Die Gräber sind niedrig, etwa einen
Ziegelstein hoch, von gebrannten Steinen zusammengesetzt;
in der Mitte obenauf liegt eine Alabaster- oder Marmor-
platte mit Inschriften und Hieroglyphen. Rings um den
Friedhof und um die Stadt herum sind Weinberge angelegt,
die niit Hülfe künstlicher Bewässerung sehr gut gedeihen. Die
Weinberge sind in Gestalt viereckiger Gärten, mit hohem Erd-
rand, terrassenförmig gebaut, einer etwas höher als der andere.
Wenn der höher gelegene Strich genugsam bewässert ist,
wird der Erddamm an der Seite durchstochen, und das über-
flüssige Wasser läuft ab in die zunächst- und tieserliegende
Abtheilung. Qazwiner Engur oder Weintrauben sind
in Persien sehr gesucht und beliebt; die einzelne Beere ist
meist kernlos.
Durch die Stadt führt ein breiter, hübscher Weg, der
durch eine schöne Allee mächtiger, schattenreicher Sykomoren
gebildet wird, nach dem freundlichen Marktplatze. Rechts
und links sind Bazare angelegt: weiter nach dem Jmaret oder
Palaste zu zeigen sich sehr stattliche Gebäude, offenbar aus
der alten guten Zeit, leider aber, wie alle früheren Bauten, >
Jlyats (Globus IV, 87). Die Feuerhügel der alten Gue
bern werden häufiger und gleichen auf der großen breiten
Hochfläche riesigen Maulwurfshügeln.
Einen letzten Ruhepnnkt vor Teheran bietet das Lust-
schloß des Schah, Suleimanijeh, das inmitten hübscher
Gärten liegt. Neben mächtigen Platanen, kleinen Pappeln
und anderen Bäumen stehen große Schneeballgebüsche, und
in duftenden Rosenhecken schlagen die Nachtigallen. Das ist
endlich ein Stück Persien, wie es sich der Reisende in Europa
geträumt hat. Nach Teheran selbst zn aber zeigt sich keine
Spur von Bäumen oder grünen Feldern; Alles öde, leer,
eine todte Steinsläche, die sich aufwärts bis zu den schnee-
bedeckten Kämmen des Elburs hinzieht.
Mit vielen schlanken Bäumen geschmückt, umgeben von
Thürmeu und Festungsmauern aus ungebrannten Erdziegeln,
mit den goldenen und silbernen, im Strahle der Sonne leuch-
tenden Kuppeln der Moscheen, dehnt sich Teheran in der
Nähe einer niedrigen Bergkette lang aus. Ein trockener
Graben umgürtet die Stadt und zu jedem einzelnen Thurm-
stadlthore führt eine Brücke.
Die Stadt mit ihrem heiligen Namen als Dar-el-
358
Von Täbriz nach Teheran. Jsfahan die Hauptstadt der Sesiden.
Khelafeh, Wohnung des Khalifats, bezeichnet, liegt
unter 350 40' nördl. Br. und 490 2' östl. L. Ihre Er-
hebung über den Meeresspiegel beträgt 1500 Meter.
Dicht hinter dem erwähnten trockenen Stadtgraben
steigen die graufarbigen Erdmauern in die Höhe; in einer
Entfernung von 50 bis 60 Schritten werden sie durch
Thürme unterbrochen, die in entsprechenden Abständen halb
aus der Mauer hervortreten und wie diese mit Schießlöchern,
Mauernasen und runden Zinnen versehen sind. Die Th vre
geben dem eintönigen Anblick einige Abwechselung. Sie be-
stehen aus Durchgängen mit Thurmnasen in der Höhe,
zwischen Doppelthürmen, die meist aus buntglasirten Steinen
mit hübschen Mustern aufgeführt sind und im inneren, un-
bedeckten Thorraume zn einem Hofe führen mit allerhand
Wandmalereien, die meist Gegenstände aus einem Helden-
gedichte Firdusi's in modern persischer Auffassung behandeln.
Die Stadt hat im Ganzen sechs Thore. Von zweien der-
selben, dem „Thor des Reiches". Derwazeh-i-dewlet,
und dem „Thor Dulab " theilen wir die Abbildungen mit.
Der Umfang Teherans beträgt etwa drei Stunden;
Klafter hohen Lehmmauern, die an den Ecken mit runden,
krenelirten Vertheidigungsthürmen befestigt sind. Charak-
teristisch für das Schloß sind die vielen Blumenbeete, Gärten
und Baumgänge, welche sich in allen Höfen finden. Unter
den Zierbäumen nimmt die Platane (Chenar) den ersten
Rang ein und gilt als bezeichnender Baum für Teheran.
So nannte Pietro della Balle, der unter der Regierung des
Schah Abbas des Großen die Stadt besuchte, Teheran „die
Stadt der Platanen". Der kaiserliche Palast besteht aus
vielen selbständigen Theilen, alle mit Hosräumen (Hajat)
versehen. Diese Hofräume sind mit mit großen Ziegeln oder
Quadern ausgepflastert, zwischen welchen man offene Plätze
für Beete gelassen hat, aus denen Baumriesen ihre Gipfel
hoch in die Lüfte strecken. In den dichten Büschen und im
Strauchwerke der Gärten schlagen die Nachtigallen, die
Rosen duften, und in den verschiedenen Becken und mar-
mornen Kanälen plätschert das klare Wasser. Ein ächt per-
sisches Bild. Spuren des Winters bemerkt man in diesen
feenhaften Gärten nur in den Monaten December und
Januar.
Das Thor Dulab zu Teheran.
die Einwohnerzahl wechselt, je nachdem es Sommer oder
Winter ist, zwischen 80 und 120,000 Seelen. Das Herz
der Stadt bilden, wie in allen Städten des Orients, die
Bazare, in welchen fortwährend eine große Menschenmenge
hin- und herwogt. Hier findet das öffentliche Leben seinen
eigentlichen charakteristischen Ansdruck. Im Sommer ge-
währen die überwölbten Räuine der Marktgassen Kühle und
Schatten, im Winter schützen sie gegen Regen und Schnee.
Von hier aus gehen wie Adern nach den einzelnen Thoren
der Stadt die Hauptstraßen Teherans. Die kleinen, rechts
und links abbiegenden Gassen derselben münden in einen
Sack, so daß man eine sehr genaue Kenntniß der Stadt
haben muß, um sich nicht zu verirren. An schönen, luftigen
Plätzen ist großer Mangel. Der heiterste und am schönsten
gelegene ist der sogenannte „grüne Platz", dicht vor dem
Eingangsthore der kaiserlichen Burg.
lieber diese letztere geben wir folgende Originalmit-
theilung des k. k. Majors Herrn August Krziz, gewesenen
General-Instruktors des Schah von Persien.
„Die Residenz des Schah liegt innerhalb der Citadelle
der Hauptstadt in dem nördlichen, dem Elbursgebirge zu-
gekehrten Stadttheile. Ihre Umfassung besteht aus drei
Für seine Privatzwecke hat der Schah zwei Residenz-
räume, welche nie von einem weiblichen Wesen betreten
werden dürfen. Seine prunkvollen Gemächer, Hallen und
Thronsäle stehen nur mit den inneren Vorräumen in Ver-
bindung und haben nicht die geringste Aussicht nach der
Stadt.
Die Harems der Weiber liegen abgesondert. Es sind
selbständige Paläste, kerkerartig mit sehr hohen Mauern
umschlossen; sie werden ganz nach orientalischer Weise streng
von Eunuchen bewacht. Auch diese Frauenwohnnngen
(Anderuns) sind von Gärten umgeben, in denen sich große
Wasserbecken mit Springbrunnen, Glashäuser mit seltenen,
fremden Gewächsen, schöne Vogelkäfige mit buntschillerndem
ausländischen Geflügel und wohlriechende, köstliche Blumen
finden, um den armen, eingesperrten Weibern ihr zurück-
gezogenes Dasein einigermaßen kurzweilig und angenehm
zu machen.
Ans dem M e i d a n - e- Su p, dem großen Kanonenplatze
der Residenz, fallen hauptsächlich zwei einander gegenüber-
liegende Portale auf. Verziert sind sie mit Mosaiken, Gyps-
stuck und eingelegten Spiegeln. Das südliche Thor führt
aus der Citadelle in die Stadt hinaus, das nördliche ist
Von Täbriz nach Teheran. Jsfahan die Hauptstadt der Sesiden.
359
der Haupteingang zu den Platzen und Gärten des Garten-
palastes, den die Abbildung zeigt.
In drei terrassenartigen, mit Treppen versehenen Ab-
sätzen steigt der 300 Schritt lange und 100 Schritt breite
stattliche Hof gegen den Palast an. Platanen, Chpressen,
Wasserbecken und Blumenbeete durchschneiden in der oben
angeführten Weise auch diesen Hosraum. An der Hanpt-
fronte des Palastes fallen zunächst die großen Schubfenster
(Urusfj) auf; sie sind aus kleinen Stückchen bunten Glases
mosaikartig zusammengesetzt. Der Giebel des Palastes zeigt
das persische Wappen: die aufgehende Sonne und den
stehenden Löwen.
In dem Hosraume dieses stattlichen Palastes werden
eine Menge persischer Feste gefeiert: das große und kleine
Bairam, das Opfersest, die Flucht des Propheten u. s. w.
Zu den glänzendsten gehört das Nuruz, das Fest der
Niedrig, kleine Gold- und Silbermünzen aus, die eigens
zu diesem Zwecke geprägt werden.
Tags darauf ist wiederum die ganze Stadt in Auf-
regung, da sich der Schah nochmals dem Volke in seiner
ganzen Herrscherpracht zeigt. Eine Stunde vor Mittag ver-
sammeln sich vor dem abgebildeten Gartenpalaste alle Nota-
bilitäten, unter ihnen der Sadr-i-azam, Premierminister,
in seinem golddurchwirkten Kaschmir-Kaftan, in den Tausende
von ächten Perlen eingenäht sind. Auch die Prinzen und
! hohen Verwandten des Schahs, angethan mit köstlichen
! Gewändern, sind anwesend. Die mit Borten, Tressen und
Ordenssternen überladenen Generalitäts- und Stabs-
officiere stehen in besondern Abtheilnngen an den Stufen
der Treppenterrassen; abgesonderte Plätze nehmen ferner
ein: die großen Khane; die Geistlichkeit, die Astrologen und
Poeten in ihren auffallenden Trachten; die Mirzas und
Der königliche Gartenpalast zu Teheran.
Frühlings-Tag- und Nachtgleiche, deren genaues Eintreten
die persischen Astronomen sehr gut zu berechnen wissen.
Den Beginn der Festlichkeit bildet das sogenannte
Tahwiel, oder das „Eintreten der Sonne in den Frühlings-
punkt des Aequators". Der Schah, im großen Galakleide,
mit der dreifachen Krone auf der hohen Pelzmütze, sitzt an
den offenen Schubfenstern des prächtigen Kiosk, umgeben
von den Prinzen, Ministern und der hohen Geistlichkeit;
vor ihm die Vornehmsten aus dem Volke und das hohe
Ofsiciereorps. Ein Kanonenschuß zeigt den feierlichen
Augenblick des Frühlings an und Alle werfen sich zur Erde;
die Geistlichkeit murmelt arabische Gebete. Dann folgt eine
ehrfurchtsvolle Gratulation einzelner Großen an den Schah
und Jeder lispelt dem andern die Worte zu: „Aid-e-nnrnz-
mobarek-basched", d. h. das Fest möge Glück und Segen
bringen. Der Schah theilt nun an Jedermann, Hoch und
Beamten, so wie mehrere Regimenter Soldaten, mit ihren
schlechten Musikbanden. Auch die ominösen Gerichts-
diener, Sarkeschektschj, in scharlachrothen Kaftanen,
mit den blanken Aexten auf der Schulter, haben unter der
Menge ihren gebührenden Platz.
Gerade zur Mittagszeit läßt sich ein schmetternder
Trompetentusch hören; die Musikbanden der aufgestellten
Regimenter spielen den Salam, Gruß, und von den
Thürmen der Citadelle ertönen in langen Zwischenräumen
101 Kanonenschüsse. Es ist dies das Zeichen, daß der
Schah ans dem marmornen Throne Salomo's im Garten-
palast erscheint. „Der König der Könige, der Mittelpunkt
des Welttheils, der Anbetungsaltar des Universums, die
unerschöpfliche Diamantengrube u. s. w. u. s. w." strahlt
von überirdischem Schimmer; er ist von den vornehmsten
Prinzen seines Hauses umgeben, welche die Reichsinsignien
360
Von Täbriz nach Teheran. Jsfahan die Hauptstadt der Sesiden.
ihnl vortragen. Er raucht mit Grandezza aus seinem Staats- ^
Kattun (Wasserpfeife), nimmt einen Becher schwarzen Le-
vante-Kaffees, und stellt, während die Geschütze fortdonnern,
wichtige, das Staatswohl betreffende Fragen an die Minister
und Prinzen, welche mit der gebührenden Ehrfurcht und
Zerknirschung antworten. Ein Dichter, welcher für einen
Abkömmling des Propheten gilt, tritt vor und trägt ein
Lobgedicht auf den Herrscher von Iran mit sonderbarem
Ton und arabischem Aceent vor. Ihm folgt der Hospoet,
der von einem ellenlangen Streifen Papier ein schwülstiges,
in hochtrabenden Superlativen gehaltenes Verherrlichungs-
gedicht aus den Schah verliest. Zuletzt erscheinen zwei große
und ein kleiner Elephant, sd wie eine Giraffe vor dem Thron;
diese Thiere sind abgerichtet, vor dem Herrscher ihre Kom-
plimente zu machen, und ihre Führer werden mit reichen
und an der Nase zusammenstvßende Augenbrauen und lange,
hübsche Bärte. Neben den seßhaften Epigonen der alten
Perser bewohnen Mitglieder einzelner Nomadenstämme
kurdischer und tnrkomanisch er Herkunft die Stadt.
(— Die kurdischen Reiter des Schahs, über welche wir im
Globus schon früher sprachen, sind stattliche Leute —).
Araber, Afghanen, Hindu und andere Grenznachbarn
Persiens machen einen nicht unbeträchtlichen Theil der Ein-
wohner Teherans aus. Der Jude des Orients, nämlich der
Armenier, und der wirkliche, von den Persern sehr unter-
drückte und verfolgte Hebräer, verschwinden dagegen in der
großen Bevölkerungszahl. Dasselbe gilt von den Gebern
oder Parsis, die als späte Jünger des Zoroaster eine be-
sondere Aufmerksamkeit bei den Europäern erregen.
Die lustige, heitere Bevölkerung Teherans gehört, nach
Das Landschloß der Kadscharen.
Geschenk bedacht. Eine Bertheilung von Silbermünzen,
Trompetenstöße und der von den Musikbanden gespielte
Salam beendigen die Feierlichkeit. Der Schah erhebt sich
vom Thron und geht durch eine Seitenthür ab.
Ueber die großen Massen von Süßigkeiten und Pyra-
miden von Melonen, die am Rande des Bassins aufgethürmt
liegen, stürzt der anwesende Pöbel her, zankt sich darum und
entfernt sich, um in der Stadt anderweitigen Lustbarkeiten
beizuwohnen. —
Die Bevölkerung Teherans, sagtBrugsch, besteht
der Hauptmasse nach aus Tadschiks oder seßhaften Per-
sern, welche in Körperbildung und in ihrer Physiognomie
eine große Verwandtschaft mit den persischen Ureinwohnern
bekunden. Es sind durchweg schöne Menschen von mittlerer
Größe, welche die Vorzüge der kaukasischen Rasse mit den
Eigenthümlichkeiten orientalischer Schönheit verbinden. Sie
haben schwarze, brennende Augen, darüber rund gewölbte
der Lebensstellung der Einzelnen, je einer der folgenden
Kasten an, die sich ziemlich streng von einander unterscheiden,
wenn auch diese Trennung mit dem indischen Kastenwesen
nicht zu vergleichen ist. Die „Kasten" sind: die Priester,
Beamten, Krieger, Kaufleute, Handwerker und Lutis oder
Bummler. Diese Letzteren bilden einen sehr gefährlichen und
nicht unbedeutenden Theil der Einwohnerschaft. Sobald
ein Aufstand oder eine Bewegung ansbricht und das Zeichen
dazu durch Schließung und Sperrung der Buden und Bazare
gegeben worden ist, kommen plötzlich Banden wie aus dem
Erdboden hervor, durchziehen die Stadt und dringen raubend,
und plündernd in die Wohnungen wohlhabender Bürger
ein. Das sind die gefürchteten Lnti, wahre Galgenvögel,
welche in friedlichen Zeiten von Diebstählen und Straßen-
räuberei leben und ihre Seele für einen Pfifferling hingeben.
Sie haben die hervorragenden und die schlechtesten Eigen-
schaften ihres Gleichen, sind verwegenene und kühne Raus-
Von Täbriz nach Teheran. Jsfahan die Hauptstadt der Sesiden,
361
bolde, käufliche Mörder, Säufer und Opiumesser, die den Tag
verschlafen oder in den Bazaren herumstrolchen, dagegen
bei Nacht ihrem verbrecherischen Gewerbe nachgehen.
Die Bevölkerung Teherans belebt zu allen Tageszeiten
diese Straßen und Bazare: die Einen sind als Handwerker
oder Kaufleute in ihren Buden beschäftigt, die Anderen wogen
hin und her, wie die Fluten des unruhigen Meeres. Die
Armen gehen demüthig zu Fuße, die Neichen sitzen stolz zu
Pferde oder zu Maulthier, mit einem großen Troß über-
müthiger Diener neben oder hinter sich, welche Jeden zurück-
drängen oder znrückstoßen, der nicht im Stande ist, es im
Range mit ihrem Herrn oder mit ihnen aufzunehmen. Tief
verhüllt vom Kopf bis zu den Fußen trippeln die Weiber
auf ihren Schnabelpantoffeln mit hohen Absätzen unsicher
als einladendes Zeichen der Garköche, welche in den Straßen
ihren Küchenherd mit den bunten Kacheln anfgeschlagen
haben und in gewaltigen Töpfen Hammelfleisch, Pilau,
Tschilau und andere Lieblingsgerichte der persischen Küche
kochen. Sauber sieht es gerade nicht aus. In der größten
Tageshitze schlafen die meisten Kanfleute und Arbeiter lang
ausgestreckt in ihren Buden. Neben ihnen steht ein Gesäß
mit Wasser und Eis, saure Milch oder eine Wasserflasche
und darin ein frischer Strauß Rosen. Sieht man vor einer
Bude ein weitmaschiges Fadennetz ausgehängt, so ist der
Besitzer- augenblicklich abwesend und übergiebt sein Eigen-
thum vertrauensvoll dem Schutze des Publikums.
Die Physiognomie der Stadt ändert sich in entsprechen-
der Weise je nach den Tageszeiten, und die Bazare erscheinen
Ein Theil des Platzes Meidan e-Schah in Jsfahan.
einher und wenden das Gesicht der Wand zu, wenn es ein
Frengi (Europäer) ist, der ihnen begegnet. Halbnackte
Bettler sitzen auf der Erde und schreien nach Geld, sonderbar
gekleidete Wahnsinnige durchirren niit gellendem Ruf und
stieren Aügen die Straßen, junge und alte Derwische unter-
halten die Menge durch lebhafte Erzählungen und sehen
jeden schattigen und trockenen Fleck der Gasse als ihr Quartier
an. Beladene Kameele, Pferde, Manlthiere und Esel ver-
sperren häufig genug den Weg und dazwischen erscheinen
nicht selten die Löwen des Schah, welche von ihren Führern
an Ketten wie bissige Hunde, aber ohne Maulkorb, inmitten
der Menschenmenge spazieren geführt werden. Das Ge-
murmel und Getöse in den Bazaren ist so stark, daß man
sich mit seinem Nachbar kaum unterhalten kann, und nun
gar erst der Lärm in der Abtheilnng der Kupferschmiede,
deren Gehämmer eine furchtbare Musik erregt! Hin und
wieder ertönen Glockenschläge, aber nicht von Uhren, sondern
Globus IV. Nr. 12.
bald belebter, bald stiller. Sind des Morgens die Bäder
geheizt, also zwischen sechs und sieben Uhr, dann hört man
die Kuhreigentöne der persischen Posaunen, welche die Weiber
zum Bad eiuladen. Dann, eine Stunde später, entwickelt
sich das Leben ans der Straße bis zum gewaltigsten Lärmen.
Um Mittag ruft der Muezzin oder Kantor von den Moscheen
sein Mittagsgebet aus und fordert die Menge auf, an den
Propheten zu denken. Hernach nimmt der Lärm von neuem
seinen Anfang. Gegen vier Uhr Nachmittags wiederum das
Geschrei des Muezzin, auf das in der Zeit des Gebets eine
entsprechende Stille folgt. Weun die Sonne zu Rüste geht,
lärmen die Posaunen und Pauken vom Burgplatze her ihre
alten Weisen. Ein wenig später trommeln und blasen die
persischen Serbazen die französische Abendmusik, worauf
sämmtliche Hunde zu heulen und zu bellen anfangen, als
ob selbst ihnen die europäischen Klänge zu unpersisch vor-
kämcn. Die Bazare sind geschlossen, nur die Wächter dnrch-
4C>
362
Von Täbriz nach Teheran. Jsfahan die Hauptstadt der Sesiden.
streifen die von Oellämpchen matt erleuchteten Hallen des
Marktes und rufen sich mit gellenden Worten an. Auch sie
hüllen sich in ihre Decken und Alles schläft.
Von der Bevölkerung Teherans pflegen alljährlich
etwa 40,000 wanderlustige Seelen die Stadt zu verlassen,
um Ende Mai und Anfang Juni nach den nahegelegenen
Höhen des Elburs in die Sommerquartiere zu ziehen und
unter Zelten ein vornehmes Nomadenleben zu führen. Der
Schah selber, als Abkömmling eines Nomadenstammes,
zeigt sich der Wanderlust so wenig abhold, daß eres eigentlich
ist, welcher das Zeichen zum Aufbruche giebt. Die Hof-
beamten, meist zum Kadscharen stamm und zu anderen ver-
wandten Stämmen gehörig, die europäische und astatische
vornehme Welt, ein Theil der ärmern Klasse, welche das
Nomadenleben nicht vergessen kann, folgen dem Schah nnd
retten sich in die Berge, während die ansässige Perserwelt
in Teheran der Sonne und der Plage sommerlicher Hitze
in der Stadt Trotz bietet und bei saurer Milch, Wasser-
melonen und Eis ruhig den Geschäften des gewöhnlichen
Lebens obliegt.
Zu den Lustschlössern des Schah, welche zum Sommer-
aufenthalt dienen, gehört Kasr-e-Kadschar, das Schloß
Ban steht. Durch dieses Thor gelangt man in einen, von
hohen Lehmmauern eingefriedigten Garten, in dem sich
Alleen von hohen, schlanken Pappeln und mächtigen Cypressen
rechtwinkelig durchschneiden. An großen Wasserbecken und
künstlicher Bewässerung der Gartenräume fehlt es nicht.
Sechs verschiedene Abtheilungen, jede der andern
gleichend und stasfelsörmig über einander gestellt, bilden
das Schloß. Jede besteht aus einem Achteck von durch-
brochenen Arkaden, über welchen ein flacher Plafond von
mehreren Säulen getragen wird. In dem obersten Theile,
der Krone des ganzen Schlosses, befinden sich ausgezeichnete
Mosaikbilder, herrliche Glasmalereien, Portraits von Persern
und Europäern, die bereits einige Jahrhunderte alt sind und
wahrscheinlich aus Jsfahan hierher gebracht wurden. Die
Täfelung der Thüren ist mit Inschriften versehen und in
die Ghpswände und Marmorplatten sind Stellen aus be-
liebten persischen nnd arabischen Dichtern eingemeißelt.
Mehrere hohe, schlanke Säulen an der Nordseite des Schlosses
stehen durch ein Röhrenwerk mit den höher gelegenen Quellen
des Elbnrsgebirges in Verbindung und spenden ans ihren
oberen Oeffnnngen ein durch den Druck herausfließendes,
krystallreines Wasser, das über die mit Moos bedeckten
Brücke des Allah -Werdi- Khan in Jsfahan.
der Kadscharen. Beistehendes Bild (S.360) giebt einen deut-
lichen Begriff davon. Herrn Major Krziz verdanken wir fol-
gende Beschreibung desselben: „Etwa auf halbem Wege
zwischen der Stadt Teheran und dem südlichen Theile des
gegen 12,000 Fuß hohen Elburs-Gebirges, an dem Wege
der nach den Sommerquartieren in denBergen führt, liegt das
stattliche Schloß der Kadscharen. Die Hauptsaqade
desselben ist nach Süden hingekehrt, und die heißen Sonnen-
strahlen prallen von den weißgetünchten Mauern ab, der-
gestalt, daß in der Umgebung des Lustschlosses eine furchtbare
Hitze herrscht. Erbauer derselben war Feth-Ali-Schah,
welcher im Jahre 1798 bis 1834 über Persien regierte.
Er war der Zweite aus dem Geschlechte der Kadscharen und
nannte nach diesen das neue Schloß.
Aus der Ferne betrachtet, erscheint Kasr-e-Kadschar
wie ein ungeheures, aus mehreren Stockwerken bestehendes
Gebäude. Kommt man aber näher, so gewinnt man die
Ueberzeugung, daß es ans verschiedenen, terrassenförmig
hinter einander stehenden Bauwerken zusammengesetzt ist.
Als Baumaterial wurden gebrannte Ziegel benutzt; doch
hält die Festigkeit des Baues durchaus nicht den Vergleich
mit älteren persischen Bauten aus. Störend wirkt beim
Anblicke das allzukleine Thor, welches mit seinem winzigen
Pavillon in gar keinem Verhältnisse zu dem ungeheuren
Säulen herabströmt und in sprudelnden Kaskaden weiter
fortrieselt.
Von Kasr-e-Kadschar an beginnt die Landschaft all-
mälig zu steigen, bis an dem etwa eine deutsche Meile ent-
fernten Elbursgebirge das Terrain mannichfach durchschnitten
erscheint. Die schönsten Psirsichplantagen und Gärten voller
Nuß- und Maulbeerbäume zeigen dort in der herrlichsten
Gegend eine so üppige Entwickelung, wie man sie selten an
anderen Orten findet. Diese von den Teheranern hoch ge-
priesene Gegend, welche ihnen als Zufluchtsort vor der
heißen und ungesunden Sommerlust der Stadt dient, heißt
Schimeran. Dort besitzt der Schah in den herrlichsten
Fruchtgärten noch mehrere Paläste, die alle während der
Sommerzeit besucht werden. Am längsten verweilt der
Herrscher in dem am nördlichsten gelegenen Schlosse, Nia-
varan, weil hier die Temperatur am kühlsten ist; in dem
beschriebenen, am südlichsten gelegenen Kadscharenschlosse
bringt er gewöhnlich nur zehn Tage und zwar gleich nach
dem großen Frühlingsfeste zu. In der Stadt residirt der
Schah vom November bis in den April oder Mai.
Die Aussicht von allen diesen Lustpalästen ist eine
wunderbar schöne. Im Norden erhebt sich das Gebirge,
das vom November bis in den Juli auf den Gipfeln und
in den Schluchten mit großen Schneemassen bedeckt ist.
Von Tabriz nach Teheran. Isfahan die Hauptstadt der Sesiden.
363
Rauschende und lärmende Wasserfälle stürzen in großer
Menge zwischen den kahlen, grauen Felsen hernieder und
laben die durstigen Augen der vor der Hitze geflüchteten
Teheraner. Im Osten zeigt sich eine liebliche Landschaft
von Dörfern, zwischen denen sich kleine grüne Wälder hin-
ziehen. lieber ihnen erhebt der nahe an 20,000 Fuß hohe
Demawend seinen schneebedeckten Gipfel. Westlich be-
grenzt eine Hochebene den Horizont und im Süden liegt irn
Vordergründe Teheran mit seinen blinkenden Kuppeln und
Moscheen. Fünf Meilen hinter Teheran erblickt man die
sägezahnartigen Grauitberge, welche den Anfang der
großen Salzwüste bezeichnen.
Zwischen diesen und der Hauptstadt zeigt sich als grüne
Oase in der Wüstenei das blühende Dorf Schah-Abdul-
Azim, welches auf den Ruinen des alten Rhages, des
jetzigen Rh ei, erbaut ist. Die hier befindliche Moschee, in
welcher mehrere Imams, Abkömmlinge des Propheten, be-
graben liegen, dient zugleich als Gruft für die Glieder der
königlichen Faniilie. Die reich vergoldete Kuppel strahlt
weit hinaus in die Landschaft."
Jsfahan, oder nach älterer SchreibartIspahan, de-
in dem persischen London der damaligen Zeit, dessen Be-
völkerung über eine halbe Million Seelen betrug. Im Jahre
1722 sollte indeß Jssahans Sonne völlig untergehen. Die
Stadt wurde von den Afghanen erobert und Alles ging zu
Grunde, was die Sesiden-Dynastie an Größe und Wohl-
stand in kurzer Zeit geschaffen hatte. Mit dem Eintritte der
jetzt regierenden Kadscharendynastie in die persische Geschichte
hörte Jssahans Bedeutung auch als Residenz auf und ward
nur eine Stadt der Erinnerung an die Vergangenheit.
Der erste Anblick ist ein über die Maßen trauriger.
Statt Größe und Herrlichkeit tritt dem Reisenden eine
schauerliche, menschenleere Einöde entgegen, auf welcher zer-
fallene Häuser, Paläste und Moscheen die ehemaligen Plätze
und Straßen anzeigen. Die lange Zeile der zerstörten
Häuserreihen wird bisweilen durch ein von Menschen be-
wohntes Hans unterbrochen. Die alten Stadtthore und
Pforten hängen mit ihren Spitzbögen an den zerfressenen
Pfosten und die glasirten Ziegel der Ornamente sehen wie
Hohn und Spott aus. Nach langem Wandern kommt der
Reisende erst in belebtere, aber elende Quartiere. Zwei
architektonische Eigeuthümlichkeiten unterscheiden zunächst
Jsfahan: die Sagga-khaneh's und die Galerien der
Brücke des Hnsscm -Abad in Isfahan.
deutet Heerlager. Wie bei den meisten asiatischen Städten
ist auch der Ursprung dieser einst so großartigen Hauptstadt
Persiens im Dunkel der Sage verborgen. Als Nebukadnezar
im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Juden
aus der Heimat nach Medien in die Verbannung überführte,
soll er auch einen großen Theil dieses Volkes in die Gegend
von Jsfahan verpflanzt haben. In der That ist noch
heutigen Tages das jüdische Element in Jsfahan auffallend
stark vertreten. Man braucht nur die Bazare der Stadt zu
durchwandern, um alle fünf Minuten jüdischen Physiogno-
mien, besonders sehr ärmlich gekleideten Bettlern, am häu-
figsten jungen Mädchen zu begegnen, welche mehr durch
das Elend ihres Zustandes, als durch die flehentlich aus-
gesprochenen Bitten Mitleid erregen. Die Bevölkerung der
Stadt war in früheren Zeiten eine ungeheure. Timur's Er-
scheinen zerschnitt mit scharfem Messer den kräftigen Lebens-
nerv Jssahans. Er befahl dort eine Pyramide ans 70,000
Menschenschädeln auszubauen. Erst zwei Jahrhunderte später
sollte für Isfahan das eigentliche Morgenroth des Glanzes
und der Pracht, der Größe und des Wohlstandes aufgehen.
Schah Abbas, der Große genannt, erhob Jsfahan zur
Reichshauptstadt. Er verschönerte sie durch Bauten; Handel
und Wandel wurden durch armenische Kolonien gehoben.
Neben ihnen saßen englische und holländische Kompagnien
Muezzin, zum Ausrufen der öffentlichen Gebete, welche
mit ch i n e s i s ch e n D ä ch ern gedeckt sind. Die Sagga-khaneh's
sind Trinkwasserbehälter, viereckige, mit einem Gitter um-
schlossene Kästen. Eine kleine Oeffnung im Gitter gestattet
das Schöpfen vermittelst eines Bechers.
Die Prachtbauten, welche noch ans den Zeiten der
Sesiden übrig geblieben sind, spotten aller Vergleiche; ihre
Großartigkeit wirkt fast erdrückend auf den Fremden. Zu
den hervorragenden Gebäuden gehört unstreitig das Schloß
Tschehil-situn, das „Vielsäulig e". Es erhebt sich aus
der Mitte wohlgehaltener Gartenanlagen und scheint an
Höhe mit den alten Platanen seiner Umgebung zu wetteifern.
Man glaubt sich bei dem Anblick in ein Mährchen aus Tausend
und eine Nacht versetzt. Das Gebäude, halb ans kostbaren
Steinen, halb aus Holz aufgeführt, besteht aus einer Frei-
halle von 100 Fuß Breite, die von 18 dreißig Fuß hohen,
gewundenen und vergoldeten Säulen getragen wird. Aus
dieser Halle gelangt man in die Bildcrsäle; über den Ka-
minen des mächtigsten derselben prangen historische Wand-
bilder. Auf einem derselben ist Schah Abbas, der tapfere
König, mitten im Schlachtgewühl abgebildet, wie er mit
seinen Persern die feindlichen Usbeken zu Boden schlägt.
Ans anderen sitzt der Schah beim fröhlichen Male, Wein
zechend, umgeben von seinen Verwandten, Hofleuten und
46*
1
364
Von Tabriz nach Teheran. Isfahan die Hauptstadt der Sefiden.
Gesandten, vom türkischen ari bis zu dein des Großmoguls, ! thronte am Hose zu Isfahan, wenn der König, ein Diener
und ill der Gesettschast von Tänzerinnen und Sängerinnen, des Koran, vor Ungläubigen Wein polulirte! Welch eine
Kurdischer Reiter aus des Schah's Gefolge.
welche die Freuden des Mahls durch ihre Künste verherr-
lichen. Wie ganz anders war es damals, welche Toleranz
Heiterkeit erfüllte einst diese Säle, in denen nun der Perser
einsam und traurig umherschleicht! Von diesen Gemächern
Die Mormonen am Großen Salzsee.
365
aus gelangt man durch ein heilig gehaltenes Thor nach
dem schönen Königsplatze, welchen unsere Abbildung
vorführt.
Dieser Meidan-e-Schah verdient seinen Namen mit
vollem Recht. Er ist etwa 1000 Fuß lang, über 300
breit und von einer Mauer umfaßt, hinter welcher sich die
wundervollsten Moscheen und Paläste mit ihren buntglasirten
Kuppeln und Thürmen in stolzer Pracht erheben. Es sind
königliche Bauten im wahren Sinne des Wortes, feenhafte
Lustschlösser. Doch heute ist der einst viel besuchte Platz,
dessen Bazare die ganze Mauerlänge hinliefen, öde und
todt, zerfallen und wankend. Ein Plundermarkt und in der
Mitte der Galgenstein, Takht, mit seinem düsteren Mast-
baume, nehmen den Platz ein, wo das alte, heitere und be-
lebte Treiben wogte.
Zu den bemerkenswerthen Bauwerken Isfahans ge-
hören auch die herrlichen Brücken, welche den Fluß Za-
jende-rud überjochen. Der französische Reisende Chardin,
welcher sie bald nach ihrer Erbauung sah, giebt folgende
Schilderung. Allah -Werdi- Khan, General des großen
Schah Abbas, erbaute die Brücke, welche seinen Namen
trägt. Die Länge derselben beträgt 360 und die Breite
13 Schritte. Das Baumaterial besteht aus Werksteinen,
mitAnsnahme der Ziegeln, welche zu Seitenmauern und Bor-
sprüngen benutzt wurden. Die Mauern haben eine Dicke
von 6 Fuß, eine Höhe von 14 bis 15 Fuß, und sind der
ganzen Länge nach von einem Ende bis zum andern mit
schwibbogenartigen Fensteröffnungen versehen, die eine
Aussicht nach dem Flusse hin gestatten. Getragen wird
diese Prachtbrücke von 33 Bogen, die aus einem grauen,
marmorharten Steine gebaut sind. Außer Brücke dcs Allah-
Werdi-Khan nennt man sie noch Dschulfa-Brücke, weil sie
Isfahan mit der sogenannten Christenvorstadt in Verbin-
dung setzt.
Die Brücke hat sich herrlich erhalten. An Schönheit
steht ihr eine andere, die Brücke des Hassan-Abad, kaum
nach. Diese führt bei dem Schlosse Hefl-dest über den Fluß.
Ihr Kunstbau setzt sich bis zum Grunde des Wassers fort, wo
Schleusen und kaskadenartig angebrachte Wassersperren in
den letzten Bögen der Brücke sich herrlich ausnehmen. Dem
ganzen Plane liegt der großartigste Gedanke und eine tech-
nische Vollkommenheit zu Grunde, die man heutigen Tages
in Persien vergeblich suchen dürfte.
Die Ufer des Zande-rud liegen ziemlich weit ausein-
ander, doch ist sein Wasser nur klein; es ist dunkel und
schmuzig in Folge der Benutzung durch die Blaufärber und
scheint am allerwenigsten, was der Name besagt, „Lebens-
wasser" zu sein.
Die Mormonen atu Großen Sichjee.
Wir ersehen ans nordamerikanischen Blättern, daß auch
im laufenden Jahre die Zahl der einwandernden Mormonen
sehr beträchtlich sei. Nachdem sie an der atlantischen Küste
gelandet sind, ziehen sie sofort weiter nach Westen, durch
die ausgedehnten Wiesensteppen, hinweg über dieFelsengebirge
und die Höhen der Wahsatsch-Kette ans die Hochebene, in
welcher der Große Salzsee liegt. Ihr Ziel ist jene Region,
welche von den „Heiden" als Utah-Territorium be-
zeichnet wird. Aber die Heiligen des jüngsten Tages, d. h.
die Mormonen, benennen ihr Land mit dem mystischen
Namen Des-er-et, das heißt Land der Honigbiene.
Dort haben die Mormonen ihr neues Zion, ihren Staat,
der eineTheo-Demokratie bildet oder dermaleinst bilden
soll. Wer der Präsident der Kirche der Heiligen ist, soll auch
Staatsgouverneur sein, denn „er ist der Seher des Herrn
und regiert kraft des prophetischen Rechtes über die
Heiligen auf Erden." Nur ein mit Offenbarungen vom
Himmel herab Begnadeter kann bei ihnen ein Amt bekleiden;
nur ein solcher ist Inhaber der Wahrheit, welche ein „Heide"
überhaupt nicht hat und nimmermehr haben kann.
Dieses Land der Heiligen zählt gegenwärtig etwas über
80,000 Einwohner, von denen mehr als 50,000 sich zur
„Lehre des Propheten" bekennen. Wir lasen in Neu-Aorker
Berichten, daß die mormonischen Einwanderer lithographirte !
Portraits des Propheten Joseph Smith und seines
Bruders Hyram Smith bei sich führen und dieselben
mit großer Ehrfurcht betrachten. Beide Männer sind mit
einem Heiligenschein umgeben und halten die Mormonen-
bibel in der Hand, welche den Anhängern der Sekte für die
einzig und allein wahre Offenbarung Gottes gilt.
An der Entstehung des Mormonenthums sehen wir,
wie leicht es ist, eine Religionssekte zu stiften: an der Ver-
breitung derselben, wie leichtgläubig und einfältig die großen
Massen sind. Wir sehen ferner, daß selbst ein so plumper
und handgreiflicher Betrug viele Menschen bis znm Fana-
tismus aufstacheln und bis znm Martyrium begeistern kann.
Die Mormonen sind Fanatiker, und es ist ihnen völliger
Ernst mit ihrem Glauben und ihrer Ueberzengung. Sie
sind fest entschlossen. Alles dafür einznsetzen. Das Leben
hat für sie verhältnißmäßig geringen Werth, weil es ihnen
lediglich als Vorstufe für ihren Himmel erscheint, der allen
Heiligen sicher ist, während die „Heiden" von demselben
ausgeschlossen bleiben. Sie halten sich für die alleinigen
Inhaber und Bekenner des ächten Christenthums und be-
haupten, daß lediglich bei ihnen Logik und strenge Folge-
richtigkeit in Glaubenssachen und religiösen Anschauungen
zu finden sei.
Nun sind sie über alle Erdtheile verbreitet, haben
Missionäre von Patagonien bis nach Island, von China bis
Algerien und selbst Marokko. Die Zahl ihrer Anhänger
übersteigt eine Viertelmillion.
Aber wer war der Stifter dieser Religion? Der „heilige
Manu", welchen unsere Abbildung zeigt, Joseph Smith,
ein Vollblut-Uankee aus dem Staate Vermont, ein Abenteurer
und Schatzgräber, zugleich Betrüger und Fanatiker, und
zuletzt ein vom Pöbel geschlachteter Märtyrer. Man ver-
steht die Erfolge, welche er unter seinen Landsleuten hatte,
nur, wenn man sich an die sittlichen und religiösen Zustände
erinnert, welche in den Aankeestaaten während der ersten
dreißig Jahre unseres Jahrhunderts herrschend waren.
Gleich einer psychischen Seuche hatte sich weit und breit eine
religiöse Aufregung verbreitet, die von Reisepredigern mehr
und mehr gesteigert wurde. Der Fanatismus hielt eine
reiche Ernte, manche Tausende von Menschen verfielen in
/
366
Die Mormonen am Großen Salzsee.
Zuckungen und hatten Erweckungen; der Teufel und der
heilige Geist, die Holle und die Gnade spielten eine große
Nolle und die Zahl der zerknirschten Sünder war Legion.
Bei den ungebildeten Klassen wurzelte der Wahn fest, daß
das Ende der Tage heraunahe, der Welt Untergang bevor-
stehe. Die Auserwählten und Alle, so sich für rechtfertig
erachteten, wünschten auf den Knien und mit brünstigen
Gebeten den Tag herbei, an welchen! sie eingehen würden
ins Paradies, um zu sitzen in Abrahams Schoß; die Sünder
dagegen zitterten und bebten vor Satan und dem ewigen
Feuer. Tagtäglich wurden die Prophezeiungen des Jesaias
und Dauiel's wiederholt. Das jüngste Gericht konnte nicht
mehr lang auf sich warten lassen; waren doch schon alle
Anzeichen und Vorwarnungen gekommen, als da sind: Erd-
Weissagung, sagte und meinte er, wohne ihm inne; er
hatte für alle möglichen Vorgänge im Leben eine Pro-
phezeiung. Wenn eine solche ihm gebot, von dem oder
jenem Manne Geld zu borgen, so bekam er späterhin eine
andere, welche ihm befahl, die geliehene Summe nicht
zurückzuzahlen. Eine Offenbarung schärfte ihm ein, ein
Mädchen zu entführen und dasselbe wider den Willen der
Eltern zu heirathen, und was dergleichen mehr ist.
Doch das Alles waren nur Kleinigkeiten, die Haupt-
sache sollte hinterher kommen. Denn, so sagen die Mor-
monen, der Herr Herr erschien dem Propheten, nicht etwa
in einem feurigen Busche, sondern in einem lichtstrahlenden
Walde, und sagte ihm, daß er das auserwählte Werkzeug
sein solle, um Gottes Pläne zu verwirklichen. Und einmal
Der Mormonenprophet Joseph Smith und sein Bruder Hyram.
beben, Stürme, Seuchen, Kometen, Kriege und andere
„Zeichen der Zeit". Viele Bethörte warfen ihre bürger-
lichen Kleider ab, legten das schneeweiße Gewand der Rein-
heit an und beteten Tag und Nacht ans Bergen und Hügeln,
uni das jüngste Gericht würdig zu begrüßen.
AuchIoseph Smith, eines Landmanns Sohn, hatte
Heimsuchungen, seitdem 1823 ein Engel ihm erschienen
war, dessen Offenbarungen der junge Mensch sich zu Herzen
nahm. Er hatte eine nur dürftige Schulbildung genossen,
war aber ein gewandter, schlauer Gesell, so „smart" wie
nur ein Uankee sein kann. Wer seinen Lebenslauf und sein
ganzes Treiben näher in's Auge gefaßt hat, wird nicht daran
zweifeln, daß er zugleich Betrüger und Betrogener war,
und daß sich auch an ihm eine Psychologische Wahrnehmung
bestätigt, die man häufig genug beobachten kann. Er glaubte
selber an seine Lügen und Offenbarungen. Die Gabe der
wurde seine Kammer von einem Strahlenglanz erhellt, und
es erschien ihm ein Engel des Herrn, um ihn des wahren
Glaubens theilhaftig zu machen, den er verbreiten solle,
weil ans Erden noch keine wahre Kirche vorhanden sei. Denn
die, welche einst bestanden, habe die richtigen Satzungen
verleugnet, den ewigen Bund gebrochen, den Glauben ver-
derbt und sei deshalb von der Erde hinweggenommen
worden. „Aber Du, Joseph, bist dem Herrn angenehm,
und sollst sein ein Priester nach der Vorschrift Melchisedech's,
um wiederherzustellen die Lehre, und die Kirche zu bilden aus
wahren Gläubigen. Und diese Kirche wird den Herrn
empfangen im tausendjährigen Reiche. Für Dich, den wahren
Propheten, soll die Wahrheit ans der Erde hervorspringen;
ich, der Engel, will Dich geleiten zum Hügel Cumora." —
Dieser Hügel liegt bei Palmyra im Staate Neu-Pork.
In ihm sollte Joseph prophetische Urkunden finden über
Die Mormonen am Großen Salzsee.
367
einen jüdischen Stamm, der zur Zeit des Königs Zedekiah
aus Judäa fortzog und über See nach Amerika gelangte.
Bevor jedoch der Auserwählte des Herrn die heiligen Ur-
kunden fand, hatte er viel auszustehen von den Anfechtungen
des Satans. Als er aber dem Erzfeinde tapfer widerstand,
erschien der Engel abermals und zeigte ihm einen steinernen
Kasten. In demselben lagen, als heilige Kleinode, das
Schwert Laban's, ein goldenes Brustschild, zwei hell-
glänzende Sterne und goldene Platten mit Schriftzeichen.
Diese letzteren enthielten das Buch Mormon's, in
welchem die Schicksale der verlorenen Stänime Israels er-
zählt werden. Diese waren nach Amerika hinübergeschifft
und auch zu ihnen kam Jesus, nachdem er bei Jerusalem
gen Himmel gefahren, und gab ihnen das Evanglium.
Joseph Smith, nun vermittelst der Urim und Thurn-
mim zum Seher bestellt, konnte die goldenen Schriftzeichen
lesen und übersetzen. Er bekehrte zuerst einen Mann, dessen
Name war Cowdery. Bon diesem Mormonenjohannes
Prophezeiungen und Glaubenssätze dieser amerikanischen
Israeliten, und schrieb sie auf zwei Goldplatten. Diese
kamen als Erbstück in Besitz seines Sohnes Moroni, welcher
sie in Folge einer Eingebung Gottes in die Erde vergrub,
Anno 420, auf daß in späten Tagen sie wieder aufgefnnden
werden möchten von dem anserwählten Werkzeuge des Herrn.
So glauben die Mormonen. Der wahre Sachverhalt ist
aber folgender. Ein Mann, Namens Salomon Sp auldin g,
der Theologie studirt und oft gepredigt hatte, war Kaufmann
geworden, machte im Jahre 1809 in New-Aork schlechte
Geschäfte und ging nach Ohio. In jener Zeit machte man
sich in den Vereinigten Staaten sehr viel mit der albernen
Frage zu schaffen, ob die Indianer Abkömmlinge der ver-
lorenen und zerstreuten Stämme Jsrael's seien. Spaulding
hatte Muße genug, über diesen Gegenstand einen Roman
zu schreiben, den er, als Theolog von Handwerk, mit vielen
biblischen Floskeln ausschmückte. Nach drei Jahren war
das Buch fertig und bekam den Titel: „Die aufgefundene
Landschaft am Großen Salzsee.
ließ der Prophet sich im Flusse Susqnehannah in Pennsyl-
vanien taufen, und als Pathen waren zugegen die Geister
des Moses und des Elias, und der Apostel Petrus, Jako-
bus und Johannes. Und somit war Anno 1830 die Epoche
der „ Neuen Kirche der Heiligen vom jüngsten Tage" be-
gründet.
Jede goldene Platte war acht Zoll breit, auf beiden
Seiten mit ägyptischen Schriftzeichen bedeckt, und das Ganze
bildete einen Band von nur sechs Zoll Dicke. Der Verfasser
seij ein gewisser Mormon; daher der Name der Sekte.
Natürlich hat kein Sterblicher, gleichviel ob Heiliger oder
Heide, diese goldenen Platten gesehen, und zwar aus dem
einfachen Grunde, weil sie überhaupt nicht vorhanden sind,
außer in der Phantasie des Propheten und der Schafe seiner
Heerde.
Aber wie entstand das „Buch Mormon"? Der Prophet
gab kund und zu wissen, daß er seinerseits ein Abkömmling
des Stammes Joseph sei, von welchem man auch die Indianer
Amerikas ableiten müsse. Dieser Zweig von Israel, welcher
aus der westlichen Erdhälfte sich unzählig vermehrte, gerieth
in Zwiespalt und Streit, und es fand eine große Schlacht
statt. Mormon verfaßte ein Werk über die Geschichte,
Handschrift". Mormon und dessen Sohn Moroni, welche
in Joseph Smith's Goldenem Buch eine so wichtige Rolle
spielen, gehören in Spaulding's Werke zu den Hauptpersonen.
Im Jahre 1812 wurde dieses letztere dem Drucker Patterson
in Pittsburg übergeben, der das Manuscript unbeachtet
liegen ließ, weil Spaulding inzwischen gestorben war. Als
Patterson 1826 seine Angen geschlossen hatte, nahm Sidney
Rigdon, Faktor in der Druckerei, das Manuscript an sich.
Dieser wurde mit Smith bekannt, beide gaben das Werk
als „Buch Mormon's" heraus, der Prophet erklärte es für
eine Uebersetzung der goldenen Platten, und Rigdon wurde
ein feuereifriger Anhänger der neuen Lehre. Als er später
mit Smith in Streit gerietst, machte er die ganze Betrugs-
geschichte bekannt.
Man weiß also genau, wie der Mormonismus und
seine „heilige Schrift" entstand; man weiß, daß der Prophet
ein Abenteurer war. Aber seine Religion zählt 150,000 Be-
kenner, die steif und fest an die „alleinige Wahrheit und
Göttlichkeit" dieses Fabrikats glauben!
Die „Kirche" bestand anfangs nur aus dem Propheten
selber, dessen Vater, zwei Brüdern und einigen wenigen
Anderen, gewann aber rasch viele Anhänger unter Leuten,
368
Die Mormonen am Großen Salzsee.
welche an das tausendjährige Reich glaubten, und sandte
bald Apostel aus, um alle Heiden zu lehren. Die erste,
eigentlich mormonische Ortschaft war Kirtland in Ohio;
dort baute Smith einen Tempel, Mühlen und Magazine,
gründete eine Bank und trieb kaufmännische Geschäfte, über
welche ihm aber schlechte Offenbarungen zugekommen sein
müssen, denn 1837 machte er bankerott und ließ seinen
Gläubigern das Nachsehen.
Ein Engel hatte ihm enthüllt, daß das eigentliche
Zion, das wirkliche und wahre neue Jerusalem, weiter nach
Westen hin, im Staate Missouri, liege und zwar in Jackson
County. Dort war, wie Joseph verkündete, das Paradies
und dort wurde Adam geschaffen; er, der Prophet, sah mit
eigenen Augen den Altar, auf welchem der erste Mensch
dem Herrn sein Opfer darbrachte, und er legte den Grundstein
zum Tempel genau ans derselben Stelle, an welcher Adam
seinen Kindern den Segen ertheilt hat!
Die Heiden wollten aber an das Alles nicht glauben,
sondern vertrieben den Propheten aus „Zion in Eden".
Joseph ging bösen Tagen entgegen. In Ohio hatten seine
Gläubiger ihn einst befiedert und getheert; jetzt mußte er
mit seinen Heiligen flüchten. Man sagte, sie seien aus-
trat nun ein Freund und Vertrauter des Propheten,
Brigham Poung, der noch heute als „Seher" großen
Einfluß übt.
Die Mormonen sandten Vorläufer über die Prairien
und über das Felsengebirge, um eine Stätte zu suchen, wo
endlich ihres Bleibens sei. Das Volk in Masse wanderte
hinterher, schlug unterwegs fliegende.Dörfer auf und baute
Korn. Der Winter war hart und die Zelte gewährten gegen
den bittern Frost keinen Schutz. Späterhin richtete die
Cholera große Verwüstungen an. Aber die 143 Bahn-
brecher hatten weit im Westen eine Wüstenei mit grünen
Oasen gefunden und flugs den Boden bestellt, damit das
Volk Getreide finde. Am 24. Juli 1847 traf der Seher
Brigham Uoung am Großen Salzsee ein, und noch ehe das
Jahr seinen Kreislauf vollendete, hatten sich mehr als sechs-
tausend Heilige aus aller Welt im obercalifornischen
Binnenbecken zusammen gesunden. Die Felder wurden
„dem Herrn geweiht", und man baute eine Burg zum
Schutze gegen die Indianer. Aber die Prüfungen waren
noch nicht zu Ende; eine Hungersnoth brach herein und im
folgenden Sommer wurde die Ernte von schwarzen Heu-
schrecken bedroht. Jndeß die Rettung blieb nicht aus, denn
An den Ufern des Utah-See's.
schließlich und hochmüthig, nähmen es mit dem Eigenthmn
Anderer nicht genau, hätten Vielweiberei und strebten nach
Alleinherrschaft in Missouri. Hierin ist Falsches mit Wahrem
gemischt; aber gleichviel, die Mormonen mußten abziehen
und gingen 1839 nach dem Staat Illinois, wo sie 1842
am Ufer des Missisippi die Stadt Nauvoo, d. h. in der
Mormonensprache die schöne, gründeten und in derselben
einen Tempel bauten. Der Prophet hielt seine Heiligen zu
Hebungen im Waffendienst an und erklärte im Jahre 1843,
daß er der geeignete Mann sei, die Stelle eines Präsidenten
der Vereinigten Staaten zu bekleiden. Aber Hochmuth kommt
vor dem Fall. Auch in Illinois wollten die Heiden von den Mor-
monen nichts wissen, und die Reibungen nahmen kein Ende.
Die Leute fingen den Propheten ein und warfen ihn sammt
. seinem Bruder, den Patriarchen Hyram Smith, zu Karthago
in's Gefängniß, sintemalen er ein Hochverräther sei. Noch
bevor Joseph sich vertheidigen konnte, erstürmte ein Volks-
haufen den Kerker und der Prophet fiel als ein Opfer des
Meuchelmordes. Dasselbe Schicksal wurde seinem Bruder
zu Theil.
Auf solche Art bekam die neue Kirche ihre ersten
Märtyrer, und die Geschichte der Leiden, welche sie noch
manches Jahr hindurch zu bestehen hatte, ist lang, aber
in mancher Beziehung ruhmreich. An die Spitze der Heiligen I
von den Inseln des Großen Salzsees kamen Scharen von
Möven herangezogen und vertilgten die „Grasshoppers".
Das große Binnenbecken war von der übrigen Welt
gleichsam abgeschlossen und ist im Norden wie im Süden
durch weite Wüsteneien von den Wohnsitzen andererMenschen
getrennt. Seine Gewässer haben nirgends einen Abfluß zum
Meer. Im Allgemeinen trägt es den Charakter einer dürren
Wüste, aber manche Strecken sind fruchtbar, besonders jene,
welche bewässert werden können. Charakteristisch für das
Becken sind: der Große Salzsee, der Jordanfluß und der
süße Utahsee, welche mit einander in Verbindung stehen.
Seitdem die Mormonen dort sich niedergelassen, wurde
in Calisornien Gold entdeckt, und jetzt geht der Karawanen-
zug von und nach jenem Lande durch das „Territorium
Utah". Die „Heiligen" haben dasselbe in einen Garten
verwandelt, soweit die Beschaffenheit des Bodens es erlaubt.
Der Census von 1860 ergab für den Werth der liegenden
und fahrenden Habe einen Werth von 5,596,118 Dollars;
keine einzige Gemeinde ist ohne Schule.
Eigentlich sollen bei den Mormonen Staat und Kirche
zusammen fallen, und so lange Brigham Poung Gouverneur
des Gebietes war, ist das auch der Fall gewesen. Aber in
den Territorien wird der oberste Beamte von der Bundes-
| regierung zu Washington ernannt, und diese hat die höchste
Die Ungarischen Ruthenen.
369
Staatswürde einem „Heiden" übertragen, so daß ein den
Heiligen höchst unwillkommener Zwiespalt herrscht, welchem
sie gern ein Ende machen möchten. Im Frühjahr 1862
wählte die Legislatur des Gebiets Bevollmächtigte, welche
eine Staatsverfassnng entwarfen, die auch sofort genehmigt
wurde. Diese „Konstitution für den Staat Deseret"
wurde der Bundesregierung eingereicht; der Kongreß in
Washington übergab sie einem Ausschüsse, der sich aber weiter
nicht mit ihr bemühte. Der Congreß beantwortete das
Verlangen der Mormonen, als Staat in die Union zuge-
lassen zu werden, mit einem Gesetze: „zu bestrafen und zu
verhindern die Polygamie in den Gebieten der Vereinigten
Staaten und anderwärts"; dasselbe mißbilligte und erklärte
für ungültig gewisse Akte der legislativen Versammlung des
Territoriums Utah. Demgemäß soll, wer sich der Bigamie
schuldig macht, mit 500 Dollars und fünf Jahren Gefäng-
niß bestraft werden. Keine Körperschaft zu geistlichen oder
mildthätigen Zwecken in Utah soll mehr als 50,000 Dollars
besitzen dürfen. Was sie mehr hat, ist dem Fiskus der Ver-
einigten Staaten verfallen.
Der Washingtoner Kongreß hat damit ein durchaus
der Bundesverfassung widerstrebendes Gesetz gegeben; er
hat gar kein Recht, sich in die religiösen Angelegenheiten
der Mormonen zu mischen. Bekanntlich ist die Polygamie
bei den Mormonen eine religiöse Einrichtung: man müsse,
sagen sie, so viele Frauen nehmen als man unterhalten
könne, „um ein heiliges Hauswesen zu haben für den Dienst
des Herrn und ein heiliges Volk zu zeugen für das Reich
Gottes". Sie berufen sich auf eine Stelle im Propheten
Jesaias, und halten die von diesem jüdischen Seher ver-
kündete Zeit für nahe, „da sieben Weiber sich am Kleider-
saum eines Mannes halten und sagen: wir wollen unser
eigen Brod essen, aber Du, laß uns nach Deinem Namen
genannt sein". Auch berufen sie sich auf das Beispiel Gott
wohlgefälliger Patriarchen und Könige, als da sind Jakob,
David, Salomo rc.
Die Mormonen sind eben Schwärmer und schwimmen
gleichsam in einem Labyrinthe wüster Glaubenssätze. Es ist
so Vieles in und an ihnen, was unseren europäischen Be-
griffen zuwider ist; gewiß bleibt aber, daß der Kongreß der
Aankee-Union sich eines rechtswidrigen Uebergriffes und
einer Ungesetzlichkeit schuldig machte, als er die Polygamie
verbot. Er ist dazu verfassungsmäßig gar nicht befugt, eben
so wenig zu einem Gesetz über den Betrag, bis zu welchem
eine Körperschaft Vermögen besitzen soll. Die Mormonen
haben Recht, wenn sie jenes Gesetz als platterdings unver-
bindlich für sich erklären. Es ist auch schon deshalb eine
unkluge Maßregel, weil es gar nicht erzwungen werden
kann.
Selbst ein offener Krieg würde zu keinem Ziele führen.
Im Jahre 1857 wollte die Union einen solchen beginnen,
wagte es aber nicht, erlitt Demüthiguugen und suchte nach
einer Ausgleichung. Die Schwärmer wollen die Vielweiberei
nicht fahren lassen. Damals sagte ein Landvermesser: „Wenn
der Kamps ansbricht, müssen wir sehr wünschen, daß sich
unter den Mormonen kein Andreas Hofer und keine Tyroler
finden, denn sonst ist ihr Land uneinnehmbar. Die Heiligen
haben an 20,000 streitbare, in Waffen geübte Männer,
und wohl eben so viele Indianer zu Bundesgenossen". Sie
glauben ohnehin, daß ihnen Unrecht geschehe, und eine all-
gemeine Verschwörung der Heiden darauf abziele, sie aus-
zurotten.
Der Aankee-Union gegenüber sind die Mormonen ver-
fassungsmäßig im Rechte, sie haben den Buchstaben der
Verfassung für sich. Aber es erscheint als ein tragisches
Geschick für diese wunderlichen Heiligen, daß überhaupt
unter oder neben anderen Völkern für sie kein Raum ist.
Ungestört können sie ihr Ideal nur etwa auf einer Eiland-
gruppe in der Südsee verwirklichen, sonst aber wird man
aller Orten in feindliche Berührung mit den Heiligen
kommen!
Die ungarischen Nuthenen.
Die ruthenische Nationalität und ihre Stellung. — Ihr Gebiet in Ungarn. — Die Werchowinaer, ein Hirtenvolk. — Familienleben. — Vambhrglaube.
Hirtenflöte. Dudelsack. Butter und Hexen. — Sitten und Kleidertracht. — Wohnungen. — Die Dolischnianen und die slowakisirten Nutheneu. —
Nuthenisirte Goralen.
Zu den vielen Nationalitäten, welche bisher unbeachtet blieben,
in neuerer Zeit aber gleichsam in die Erscheinung traten, gehören
auch die österreichischen Nuthenen. Die kaiserliche Regierung, welche
ans politischen Gründen den exclusiven nationalen Bestrebungen
einiger Völker, z. B. der Magyaren, in ihrem großen, vielsprachigen
Gebiet entgegen tritt, befolgt den Ruthenen gegenüber andere
Grundsätze. Die Ruthenen halten zu Oesterreich, weil in mehr als
einer Hinsicht die Interessen der ruthenischen Nationalität mit denen
des österreichischen Gesammtstaates zusammenfallen. So hat man
denn in den letzten Jahren gesehen, daß im Wiener Abgeordneten-
haus die vom Bischöfe Litwinowicz und mehreren Geistlichen ge-
führten ruthenischen Bauern mit den Deutschen im Bunde gegen
die ihnen stammverwandten, aber kirchlich geschiedenen Tschechen
und Polen stimmten. Und daran haben sie ganz recht gethan und
sind entweder einem klugen Instinkt oder einer verständigen Be-
rechnung gefolgt.
Die alte, tief eingewurzelte Feindschaft der Ruthenen gegen
ihre Nachbarn, die Polen, trug hierzu nicht wenig bei; denn unter
der polnischen Herrschaft hatten die Ruthenen oder Russinen
geradezu" eine wahre Leidensgeschichte durchlebt; der polnische
Globus IV. Nr. 12.
Adel drückte schwer auf sie, die wie ein erobertes Volk behandelt
wurden. Die Bestrebungen polnischer Jesuiten/ sie von ihrer
griechisch-orthodoxen Kirche abzuziehen und der römisch-katholischen
in die Arme zu zwingen, erregten tiefen Haß. Dieser machte sich
auch im galizischen Bauernaufstände, 1846, Luft, in welchem
polnische Edelleute zu Hunderten von ruthenischen Bauern todt-
geschlagen wurden. Nach dem Prager Slavenkongresse schrieben
die Ruthenen den Polen einen förmlichen Absagebrief.
Die Zahl der Nuthenen, Russinen oder Kleinrnssen
im österreichischen Kaiserstaate beläuft sich auf 2,950,000 Seelen.
Von diesen leben die meisten in Galizien und der Bukowina, gegen
500,000 aber in Ungarn. Diese nun, welche wir heute im Auge
behalten, sind jüngst von Prof. H. I. Biedermann geschildert
worden. Er liefert mit seinem Buch einen interessanten Beitrag
zur Kunde der Nationalitäten in Oesterreich.*)
Den größten Theil der Bevölkerung bilden diese Nuthenen in
den Komitaten Marmarosch, Zemplin, Beregh, Ungh und Saros
*) Die ungarischen Ruthenen, ihr Wohngebiet, ihr Erwerb und ihre
Geschichte. Innsbruck 1862. 140 S,
47
370
Die ungarischen Ruthenm.
(sprich Scharosch). Hier wohnen sie längs der galizischen Grenze
auf einem etwa vierzig Meilen langen und zwei bis acht Meilen
breiten Landstriche dicht bei einander und im Zusammenhänge mit
ihren galizischen Stammgenossen. Im Süden des Ungher und
Zempliner, so wie im Szathmarer, Ugocsaer und Abauj-Tornaer
Komitate sind die Ruthenm stark mit Magyaren, im Süden des
Saroser Komitates und in der Zips stark mit Slowaken untermischt.
Schon im Anfänge des fünfzehnten Jahrhunderts finden wir sie
in diesen Wohnsitzen. Das Ruthenengebiet begreift also mit
einigen Ausnahmen alles Land in sich, welches im Norden
vom Kamme des ungarischen Waldgebirges, im Osten
und Westen von den östlichen und westlichen Ausläufern
dieses Gebirges und im Süden von der Theiß, so weit
btef-e die westliche Richtung einhält, umschlossen wird.
Mit Hinzurechnung der fremdartigen Enklaven beträgt die Größe
des Gebietes 380, ohne dieselben 340 Geviertmeilen.
Den Norden dieses Gebiets nimmt das einförmige, zwischen
Galizien und Ungarn sich hinziehende ungarische Waldgebirge ein-,
es erhebt sich zu einer Höhe von 4000 bis 5000 Fuß und wird im
Westen von der Tatra (8354'), im Osten vom Pie trotz (6378U
begrenzt, die so gleichsam als zwei Eckpfeiler des Ruthenen-
gebietes dastehen. Südlich von dem Gebirge beginnt die Ebene;
sie wird von zahlreichen Flüssen, welche der Theiß zueilen, so wie
von vielen Sümpfen durchzogen. Durch diese Beschaffenheit des
Ruthenengebiets erklärt sich auch die sehr verschiedenartige Frucht-
barkeit des Bodens, des Klimas und der Naturprodukte. Wiesen,
Weiden, Rohrschläge, Nadelholzwälder und mit den verschiedensten
Getreidearten bestandener Boden wechseln mit einander ab. Das
Mineralreich ist durch werthvolle Erze, namentlich Eisensteine,
stark vertreten.
Die ungarischen Ruthenen bilden in ethnographischer Beziehung
kein gleichartiges Volk, da sich unter ihnen drei Hauptgrnppen
unterscheiden lassen. Die unmittelbar an Galizien angrenzenden
Ruthenen, namentlich die in den gebirgigen Theilen der Komitate
Marmarosch, Bereg und Uugh wohnenden, nennt man Wercho-
winaer, Bergbewohner, im Gegensatz zu den Dolisch-
nianen, Thalbewohnern, welche die mehr flachen Gegenden
der genannten Komitate und Theile des Szathmarer, Ugocsaer
und Szabolcser Komitates eiunehmen. Als dritte Gruppe sind die
mehr oder minder slowakisirten Ruthenen in den Komitaten
Zemplin, Saros, Abauj und Zips zu betrachten, denen als Ab-
leger auch die ruthenischen Kolonien in den übrigen Theilen Ungarns
beizuzählen sind.
Die Werchowinaer sind unter den Ruthenen Ungarns
diejenigen, welche den ursprünglichen Typus eines kräftigen Hirten-
volkes bis auf den heutigen Tag am reinsten bewahrt haben. Sie
zeichnen sich im Vergleich zu den übrigen, meist schwächlichen
Ruthenen durch breite, gehobene Brust, größere Stämmigkeit des
Leibes, starke Muskeln und durch eine oft imponirende Gestalt
aus. Das Antlitz der Männer gefällt, wenn im Profil betrachtet,
ist aber gerade nicht schön zu nennen, denn es wird durch die un-
gewöhnliche Breite des Stirnbeins, durch das starke Hervortreten
der Jochbeine und die markirten Kaumuskeln entstellt. Den weit-
geschlitzten Mund umrahmen dünne Lippen; das scheu blickende,
meist graue Auge ist von buschigen Brauen überdeckt; die Gesichts-
farbe ist frisch, doch gerade nicht gesund zu nennen; das Mienenspiel
matt und abgestumpft. Weit hübscher sind die Frauen, zu deren
Reizen aumuthige Beleibtheit, ein zierlich gerundetes Gesicht, ein
kleiner Fuß und feuriges Auge gehören. Doch altern sie sehr rasch.
Die vorherrschende Farbe des Haars ist bei beiden Geschlechtern
die braune; oft spielt es in's Röthliche und namentlich hat der Bart
oft diese Farbe. Unter den Kindern findet man viel flachshaarige
Blondköpfe.
Der Werchowinaer ist im Allgemeinen gutmüthig, folgsam
und dienstfertig, doch unzuverlässig. Er arbeitet gern, wenn ihm
die Aussicht auf baldigen und sichern Lohn winkt und die An-
strengung nicht lange währt. Im entgegengesetzten Falle läßt er
muthlos und widerwillig die Hände sinken und erwartet von den
Fügungen des Schicksals sein Heil. Droht dagegen seinem Leben
oder Eigenthum Gefahr, dann rafft er sich leicht zu energischem
Widerstand empor und offenbart dann einen au Tollkühnheit
grenzenden Muth. Das in den letzten Sätzen Gesagte läßt sich mit
einigen Abänderungen auch auf die meisten übrigen slawischen
Völkerschaften anwenden.
Die Lieblingsbeschäftigung der Werchowinaer ist die Viehzucht,
die, gleich dem Viehhandel, ziemlich schwunghaft betrieben wird.
Obgleich große Talente und geistige Befähigung bei diesem Volke
nicht fehlen und einzelne Autodidakten Ersprießliches leisteten, so
kann doch von einer geistigen Bildung bis jetzt gar keine Rede sein;
die Mehrzahl der Bewohner in der Werchowina kann weder lesen
noch schreiben. Nur den Söhnen der Popen und einzelnen Be-
vorrechteten erschließen sich höhere Schulanstalten.
In moralischer Hinsicht sind der unausrottbare Hang zum
übermäßigen Pranntweingenuß und die oft geübte Hinterlist
als Laster; dagegen die Rechtschaffenheit in Handel und
Wandel, die Achtung vor fremden Eigenthum und die
Dienstfertigkeit als Tugenden hervorzuheben. Mit der Brannt-
weinflasche in der Hand kann man den Werchowinaer zu den ärgsten
Tollheiten und selbst — zu angestrengten Arbeiten bewegen.
Groß, ja wahrhaft rührend ist die Achtung vor den: Greifen-
alter und die Liebe zu Eltern und Verwandten. Häufig findet man
drei bis vier durch gemeinsamen Ursprung mit einander verbundene
Familien in einer armseligen Hütte vergnügt zusammenlebend und
von einem ächt patriarchalischen Geiste beseelt. Das Haupt der
Familie führt das Regiment mit absoluter Gewalt. Nach seinem
Ableben trennen sich die Söhne in der Regel nicht, sondern be-
wirchschaften gemeinschaftlich den ungetheilten Nachlaß. Handelt es
sich um die Verheiratung eines Mädchens, so wählen dessen Eltern
den Bräutigam und stoßen dabei nur selten auf Widerspruch von
Seiten der Braut, die freilich noch oft im kindlichen Alter steht.
Werchowinaer Bauern, die im nüchternen Zustande auf der
Straße sich begegnen, grüßen sich mit einer Ehrerbietung, die dem
Fremden ein Lächeln ablockt. Mit der Rechten lüften sie den Hut
oder die Mütze, während sie mit der Linken das zerzauste Kopfhaar
ordnen; dann nehmen sie sich wechselseitig bei der Hand, und während
sie diese schütteln, sprechen sie gedehnt den seltsamen Gruß: Daj
Boze! Gebe Gott! An Sonn- und hohen Festtagen küssen sie
sich wie Verliebte auf die Wangen oder auf die Stirne. Junge
Weiber und Mädchen küssen älteren Frauen sogar oft demüthig die
Hände und werden von diesen wieder auf's zärtlichste geliebkos't und
mit Segenssprüchen belohnt.
Zum Stehlen nimmt der Werchowinaer nur dann seine
Zuflucht, wenn die Qual des Hungers ihn dazu treibt. Der beste
Beweis dafür ist der gänzliche Mangel au Vorkehrungen gegen
Diebstähle und räuberische Einbrüche in den Gemeinden der
Werchowina. Die Zäune, von welchen hier und da ein vereinzelter
Bauernhof umgeben ist, bezwecken nicht den Schutz vor Dieben,
sondern sind nur zur Abhaltung des zudringlichen Viehes errichtet.
In religiöser Beziehung folgt die Bevölkerung der Werchowina
blindlings den ererbten Vorschriften des alten Glaubens oder jenen
theilweise gefälschten Ueberlieferungen, die sie in ihrer Unwissenheit
für solche halten. So groß auch die Achtung vor den Priestern im
Allgemeinen ist, diesen Traditionen dürfen sie ohne Gefahr für ihr
Ansehen nicht entgegentreten. Es hat sich schon der Fall ereignet,
daß die ganze Gemeinde in lauten Unwillen und Schmähungen
gegen den Priester sich ansließ, weil er es gewagt hatte, von Alters
her in der Kirche befindliche obscöne Bilder zu entfernen. Denn
die Werchowinaer halten, gleich den gemeinen Russen, ein Kirchen-
gemälde um so höher in Ehren, je mehr es durch Jahrhunderte
alten Staub gebräunt ist.
Unter den abergläubigen Vorstellungen ist der gräßlichste der
Die ungarischen Ruthenen.
371
Glaube au Vampyre, an blutsaugeude Gespenster, welche zur
Nachtzeit umherirren und bald diesen, bald jenen Menschen anfallen
und t'ödten. In früherer Zeit war es etwas ganz gewöhnliches,
daß Leute, die bei Lebzeiten im Rufe der Hexerei standen, nach
ihrem Tode für Vampyre gehalten wurden, die man nur dadurch
unschädlich zu machen glaubte, daß man ihre Leichname ausgrub,
zerstückle und verbrannte. Noch im Jahre 1817 geschahen Leichen-
schändungen, trotz allen Einspruchs der Geistlichkeit.*)
Manche eigenthümliche Charakterzüge nnd Volkssitten der
Werchowinaer lassen sich bei Hochzeiten, Kindtaufeu und ähnlichen
Festen beobachten. Als größtes Fest gilt ihnen aber Ostern, Paska,
wie überhaupt allen Völkern, die sich zur griechischen Kirche bekennen.
Der Liebling stanz der Werchowinaer Ruthenen ist die
Kolomaika, ein Rundtanz, bei welchem der Mann die Arme
an die Hüfte stemmt nnd die Füße auf alle mögliche Art und Weise
hin - und herschleudert; die Tänzerin verwendet kein Auge von ihm
und trippelt herum. Will der Mann, daß die Tänzerin sich drehe,
so schreit er ein- oder zweimal auf und klatscht in die Hände.
Hierauf umarmt er sie am Halse nnd beide schwanken vor- und
rückwärts. Nie tanzen mehrere Paare zugleich in des Tanzraums
Mitte; sondern es machen die schon im Tanze begriffenen stets
jenem Paare Platz, das sich drehen will.
Zu den Belustigungen des Werchowinaers gehört auch das
Blasen der Hirtenflöte und des Dudelsacks. In früheren
Zeiten, noch bis in das 17. Jahrhundert hinein, war die Bandura,
eine Art Leier, das Lieblingsiustrnmeut, welches zur Begleitung
der Volkslieder von Blinden gespielt wurde. Bei keiner Kirchweih
durfte solch ein Blinder fehlen; gierig lauschte das Volk den klang-
vollen Erzählungen, die bald zur Trauer stimmten, bald den Froh-
sinn wachriefen und noch lange, nachdem sie verklungen waren, im
Gemüthe des Werchowinaers haften blieben.
Die Nahrung des Gebirgsruthenen besteht in einem aus
Hafer bereiteten ungesäuerten Brotkuchen, „Oscypka", nnd ans
einem „Tschyr" genannten Haferbrei. In den südlichen Theilen
der Werchowina tritt au die Stelle des Haferbreis ein anderer aus
Maismehl bereiteter. Von Gemüsen genießt man mit Vorliebe
rothe Rüben, Kohl, Bohnen und Kürbisse. Fleisch wird höchstens
zu Ostern und Weihnachten genossen. Butter ist trotz der starken
Viehzucht eine große Seltenheit, weil jede Frau, die sich mit
Buttern abgeben würde, als Hexe ausgeschrieeu wird. Zu dieser
magern Kost gesellt sich als Reizmittel der im Nebermaße genossene
Branntwein.
Ein recht unvortheilhaftes Bild gewähren dem Fremden die
Wohnungen der Werchowinaer; sie sind eng, düster und unrein.
Durch die mitunter kaum faustgroßen und nirgends über einen
Quadratschnh haltenden Oeffnungen, welche die Stelle der Fenster
vertreten, dringt weder Luft noch Licht genug ein. Wenn trotzdem
die Leute rüstig anssehen, so ist dies nur ihrem guten Naturell und
der vorwiegenden Beschäftigung im Freien zuzuschreiben. Die
Bauernhäuser au sich sind indessen ziemlich groß, da sie oft drei
bis vier Zweige derselben Familie, mithin 20 bis 30 Menschen,
mit Obdach zu versehen haben. Die Wände des Hauses bestehen
aus in der Mitte gespaltenen Tanneubäumen oder Buchen, die
weder außen noch innen beworfen werden, sondern kunstlos an-
einander gefügt sind. Die Ritzen werden mit Moos verstopft, um
das Eindringen des Windes und der Kälte zu verhindern. Tritt
man durch das kleine Hausthor in's Innere, so gelangt mau zuerst
in eine breite Vorhalle, wo allerlei Wirthschaftsgeräthe stehen.
Von hier führt eine Thür in die Wohnstube, an deren südlicher
Wand man drei bis vier kleine Lichtlöcher gewahrt, lieber dem
Backofen ist in der Decke ein Rauchloch. In einem Winkel der
Stube steht ein ungeheurer Tisch aus Eschen- oder Ahornholz; an
*) Der Glaube an Vampyre ist bei den slawischen Völkern weit ver-
breitet. Er findet sich noch in den germanisirten Wendendörfern im nord-
östlichen Hannover; auch hier kamen vor nicht langer Zeit aus diesem Grunde
noch Leichenschändungen vor.
den Wänden ringsum befinden sich Sitzbänke. Außerdem erblickt
man in diesem Gemach ebenso viele Bettstellen als Familien im
Hause wohnen, und zwar sehr breite Betten, da jedes für eine
ganze Familie dient. Ueber diesen Lagerstätten hängt von der
Wand herab eine Wiege für das kleinste Kind, die von der Mutter
in Bewegung gesetzt werden kann, ohne daß sie sich zur Nachtzeit
vom Lager zu erheben braucht. Das älteste Glied der Haus-
genossenschaft hat seinen Ruheplatz auf der Decke des Backofens.
In den Abendstunden erleuchtet statt der Kerzen eine Holzfackel das
Zimmer; vom jüngsten Familiengliede wird deren Bedienung
besorgt. Einen Schornstein giebt es in den ruthenischen Bauern-
häusern nicht, der Rauch dringt mühsam durch ein Loch in der
Decke in's Freie. Infolge dessen ist das ganze Wohnzimmer mit
all seinen Einrichtungsstücken von einer dicken Rußkruste überzogen;
im Winter finden daun noch Krautfässer und das Vieh in derselben
Stube ihr Unterkommen, und nun entwickelt sich ein Gestank, der
die ohnehin unreine Luft wahrhaft verpestet. Die Wohnungen der
g alizischen Ruthenen bieten denselben Anblick dar.
Die gewöhnliche Kleidung des Werchowinaers besteht in
einem kurzen leinenen Hemd ohne Kragen, das vorn auf der Brust
von einem messingenen Knopfe zusammengehalten wird. Darüber
zieht er eine Jacke aus Schaffell au, in welche bunte Blumen aus
Leder eingenäht sind. Die Beine werden im Sommer mit einer
Leinwaudhose bedeckt, au deren Stelle im Winter ein eng anliegen-
des, wollenes Beinkleid tritt, das oben weiß, vom Knie abwärts
aber braun ist. Zur Befestigung der Hosen dient ein schmaler Leder-
riemen, der mit Messingplatten ausgelegt ist und über welchem
noch ein breiter Gürtel ans rothem Juchten getragen wird. Dieser
Gürtel dient als Tasche für Geld und Urkunden, ähnlich wie bei
uns in Deutschland Fleischer und Viehhändler ihre „Katzen" noch
benutzen. Zieht der Ruthene zur Feldarbeit aus, so begleitet ihn
stets eine breite Ledertasche, worin sich seine Tabakspfeife, eine
Salzbüchse, eine Schachtel mit Fett zum Schmieren des Kopf-
haares, ein Schnappmesser, Brot und allerlei Schnüre und Bänder
befinden. Ueber die ganze Kleidung wird die Schuba geworfen,
ein ärmelloser, zottiger Mantel aus graubrauner Wolle. Zuweilen
tritt an seine Stelle im Winter ein Schafpelz. Den Kopf bedeckt
im Sommer ein schwarzer Filzhut mit mäßiger Krempe, im Winter
eine tief bis über die Ohren gehende Pelzmütze. Die Fußbekleidung
bilden schaflederne Schnürsohlen, postoly oder botschkory. Im
Sommer führt der Werchowinaer, mag er nun im Walde, auf der
Weide oder im Felde zu thuu haben, stets entweder ein Handbeil
oder eine Flöte oder die Hirtenpfeife mit sich.
Weit geschmackvoller ist die weibliche Kleidung. Der
Haupttheil derselben ist ein knapp anliegendes Mieder mit ge-
schlossenen oder offenen Aermeln. Die Oberröcke stimmen mit dein
Mieder in der Farbe überein; doch werden an ihnen schon Aeude-
rungen angebracht, die von den Walachen entlehnt sind, wohin
namentlich die schottisch -karrirten Teppicheinsätze hinten nnd vorn
gehören. Zur Nationaltracht gehören auch schwarze Vortücher,
welche mit einem bunten Saum eingefaßt sind. Biel Aufwand
treibt man mit dem haubenartigen, doch nach den Gegenden sehr
verschiedenen Kopfputz. Ueber den Rücken herabwallende Bänder
spielen dabei eine Hauptrolle. In den südlicheren Gegenden des
Rnthenengebiets gilt es für unanständig, wenn ein verheirathetes
Weib seine Haare in Zöpfe flicht und diese herabhängen läßt; im
Norden ist dies nicht der Fall. Eine große Rolle spielt der Hals-
schmuck, Monisto oder Leljelka: blanke Silber-und Kupfermünzen,
falsche Perlen, flimmernde Steinchen, Messingringe und derlei
Sachen werden auf Schnüre gezogen und in acht bis zehn Reihen
über einander um den Hals getragen. An der galizischen Grenze
scheiteln sich die Weiber das Haar in zwei Hälften, aus deren jeder
ein stattlicher Zopf geflochten wird, der in eine Quaste endigt.
Beide Geflechte werden auf dem Rücken zusammengebunden und
hängen so herab. In den südlicheren Gegenden trägt man Haar-
rollen über jedem Ohr und hinten einen Zopf, welcher in drei
47*
372
Der Pausilipp bei Neapel und der Aguano-See.
Zipfel ausläuft. Die Fußbekleidung ist wie bei den Männern, nur
an Sonntagen werden von den Nuthenerinnen rothe Schnabel-
schuhe getragen.
Bezüglich der Sprache unterscheiden sich die Werchowinaer
von den Dolischnianen durch den Gebrauch des Wörtchens „schtscho"
statt des in den Ebenen gebräuchlicheren scho, was? Ferner durch
den Gebrauch des i statt des o in einsilbigen Wörtern, gerade wie
ihre Verwandten in Galizien und in Kleinrußland; sie sagen also
statt k6n (Pferd), Loh (Gott), hrob (Grab): kin, bih, hrib.
Die Dolischnianen sind unter den Ruthenen Ungarns un-
streitig der schönste, wenn auch nicht der kräftigste Menschenschlag.
Viele unter ihnen erreichen eine ungewöhnliche Höhe, und Leute,
die eine Klafter messen, sind keine Seltenheit. Er ist erregbarer,
fröhlicher und unternehmender als der Hochländer, doch auch
zorniger, empfindsamer und serviler. Neben der Viehzucht treibt
er Ackerbau und hier und da auch ein Gewerbe. Das mildere Klima,
in dem er lebt, und die größere Fruchtbarkeit des Bodens gestatten
ihm sich besser zu nähren, als es der Werchowinaer vermag. Er
genießt Speck und Fleisch und statt des Schnapses Wein. In
Ansehung seiner Tracht und in der Bauart der Häuser hat er viel
Magyarisches angenommen. Die Gatyen (weite Hosen) und der
Filzhut sind ganz magyarisch; die Wohnungen luftiger, sauberer
als die der Hochländer.
Was die Denkungsart und Moralität der Dolischnianen
betrifft, so sind sie weit mehr zu Excessen geneigt, minder gewissen-
haft und minder religiös als ihre Brüder im Gebirge. Diebstähle,
Ranfhändel und Injurien sind unter ihnen keine seltene Erscheinung.
Die slowakisirten Ruthenen bilden den Uebergang zu
beit stammverwandten Slowaken. Sie sind ein Gemisch ein-
heimischer und zugewanderter Slawen und haben dort, wo sie mit
den Magyaren zusammengrenzen, auch von diesen Manches in sich
ausgenommen. Doch überwiegt noch das ruthenische Element. In
physischer und moralischer Beziehung stehen sie unter
den Ruthenen Ungarns am tiefsten. Ihr Knochenbau ist
wenig entwickelt; ihre Muskulatur schlaff, die Gesichtsfarbe meistens
fahl, die Beine sind verkrümmt. Dazu kommen bei dem weiblichen
Geschlechte häufige Verschiebungen des Beckens und andere äußerlich
minder wahrnehmbare Gebrechen. Das Aussehen dieser Leute
macht beinahe einen widerlichen Eindruck. Denn der oft selbst bei
zwanzigjährigen Männern nicht einmal die Höhe von fünf Fuß
erreichende Körper ist in der Regel aufgedunsen, gleich als litte
er an Wassersucht, oder er ist bis zum Skelett abgemagert und im
höchsten Grade hinfällig. Unter zwanzigen ist nur einer zum
Soldatendienst tauglich. Das bartlose, hagere Gesicht, der stiere
Blick, der schleppende Gang, die schlotternden Gliedmaßen verrathen
Elend und eine diesem sich muthlos beugende Ergebung. Den
Formen der Frauen fehlt es ganz und gar an Rundung; der
Oberleib ist kurz und gedrungen; die Brust tritt kaum hervor. Die
Geschlechtsreife tritt spät ein und die Fruchtbarkeit endet schon wieder
mit dem dreißigsten Jahre.
So lange nicht die äußerste Gefahr einer Hnngersnoth droht,
legen diese Ruthenen nie ernstlich Hand an eine irgend eine Arbeit.
Verschlagenheit, Boshaftigkeit und Schadenfreude kennzeichnen
ihren Charakter. Diebstähle, boshafte Beschädigungen fremden
Eigenthums, Brandlegungen, Ehrenbeleidigungen und körperliche
Verletzungen sind unter ihnen häufig. Im halbnüchternen Zustande
fühlen sie sich am wohlsten; der Branntwein spielt eine große Rolle.
Ihre religiösen Regungen arten in schwärmerische Bigotterie aus;
beschwerliche Wallfahrten und asketische Bußübnngen sind ihnen
Bedürfniß. Dabei huldigen sie dem dümmsten Aberglauben; Wahr-
sager und Wettermacher stehen im höchsten Ansehen. Bei andauern-
der Dürre pflegt man die Frauen zum Baden zu nöthigen und sie
im Falle der Weigerung gewaltsam in's Wasser zu tauchen, damit
sich zeige, welche unter ihnen die Hexe sei, auf deren Rechnung die
Dürre geschrieben werden muß. Wohnung und Kost gleicht der des
Werchowinars; das Hauptgericht sind die Pyrohy, d. h. mit Kar-
toffeln gefüllter Strudel aus Hafermehl.
Ihre Sprache ist slowakisch, jedoch mit rnthenischer Färbung.
Zum Unterschiede von den eigentlichen Slowaken werden sie
Tschotaken genannt, weil sie das slowakische Wörtchen co, was
wie „tscho" aussprechen. Andere nennt man Sotaken, weil sie
das gedachte co wie „so" sprechen.
Es sind hier noch die rnthenisirten Goralen zu erwähnen,
welche in geringer Anzahl die Zips bewohnen. Sie zeichnen sich
durch Unternehmungsgeist, körperliche Behendigkeit und Mutterwitz
aus. Man findet unter ihnen Männer, die als Hausirer halb
Europa durchwandert und sich umfassende Kenntnisse erworben
haben. Sie halten viel auf Schulbildung und sehen es gern, wenn
ihre Kinder im Rechnen und Schreiben Fortschritte machen. Doch
sind sie verschmitzt, habgierig und unehrlich.
Die Kleidung besteht in einem langen braunen Oberrocke,
der am Rande mit hellfarbigen Tnchstreifen benäht ist; ans eng-
anliegenden, weißen Hosen von grobem Halinatuche, Bundschuhen,
einem breitkrämpigen Hut und einem Schafspelze. Die Frauen
hüllen sich znr Sommerszeit in weite Linnengewänder, im Winter
tritt an deren Stelle ein Schafpelz. Zur Festtagskleidnng gehören
Schnürstiefelchen aus gelbem oder rothem Saffian, die jedoch erst
vor der Kirchenthür angezogen und bis dahin in der Hand getragen
werden. Am Halse prangen Glasperlen und bunte Maschen, während
den Kopf eine buntfarbige Haube bedeckt. Die Sprache hat mit der
polnischen die meiste Aehnlichkeit, doch macht sich eine fortschreitende
! Ruthenisirung bemerkbar.
Der Pausilipp bei Neapel und der Agnano-L'ee.
Von Friedrich von Hellwald,
ordentlichem Mitglied der k. k. geographischen Gesellschaft zu Wien.
Jenes Vorgebirge, das, sich von der Kuppe der Camalduli
lostrennend, mit dem Vomero einen stumpfen Winkel bildet und,
indem es auf eine Länge von etwa einer Stunde in südlicher
Richtung in das Meer hinaustritt, den Golf von Neapel von jenem
von Pozznoli trennt, nennt man Pausilipp, was nach der
Erklärung des Plinins so viel als Aufhören der Traurigkeit be-
deutet.^) Und in der That konnte dieser Ausdruck nicht besser
gewählt werden, denn wer möchte bei dem ewig heitern Grün, dem
Schmelz der Blumen, bei dem Znlispeln hoher Pinien und stolzer
Pappeln, dem geheimnißvollen Rauschen der schattigen Akazien,
nicht fröhlich sein? Wer möchte trauern, wo die Natur nie stirbt,
wo sie mitten im Winter duftende Kräuter sprossen läßt, und die
Myrthe sanft an den Lorbeer sich lehnt, dessen Wipfel sich hoch in
den reinen tiefblauen Aether erstrecken?
Schon Sannazar *) hat die Küste treffend geschildert, wo
er sie:
*) Sannazar, Patrizier von Neapel, einer der besten lateinischen
Dichter der neuern Zeit, starb im Jahre 1530.
*) Aus dem Griechischen von navGoc Aufhören und kvmj Betrübnis;.
Der Pausilipp bei Neapel und der Ugnano-See.
373
Pezzo del ciel’ caduto in terra,
nennt, und Capaccio *) erzählt nns folgende Anekdote, die
wohl nur ein allegorisches Bild auf die Schönheit der Gegend sein
soll. Ein Kapnziner predigte: — „Der Geist der Finsterniß
habe, als ihm sein Reich ans Erden weggenommen und er zur ;
Hölle verwiesen worden, sich von Gott erbeten, mir den Pansilipp !
behalten zn dürfen, wo er sich dann über seinen Berlnst leicht trösten
wolle, da er gewiß sei, daß dnrch die Reize und Annehmlichkeit
dieses Vorgebirges alle bösen Lüste anfgeregt nnd ihm mehr !
Verdammte zufalleu würden, als sonst überall ans der weiten !
Erde. "
Die Schönheit dieser Gegend vermochte viele reiche Einge-
borene und Fremde, sich hier Sommerpaläste zn erbanen; denn
sechs Monate des Jahres, vom Mai bis Oktober, wohnt es sich
frenndlich am Pansilipp. Und tritt dann das Aeqninoktium ein, !
wo die Brandnng höher geht, die Wellen ihren Schaum bis zu
den Fenstern der am Ufer stehenden Gebände emporspritzen, nnd
die Seewinde ranher werden, anch dann noch, nimmt mau nur
ungern Abschied von dieser himmlischen Küste.
Das Vorgebirge des Pansilipp zeigt sich, von der Chiaja ans
betrachtet, wie eine bedeutende hohe Erdznnge, welche gegen
ihre Mitte sanft, dann aber in einer dergestalt schiefen Böschung ;
gegen ihr Ende abfällt, daß letzteres nur wenig über die Meeres-
fläche hervorragt. Allein dieses Ende, Capo di Pausilippo ge-
nannt, ist nicht das eigentliche, denn dieses wird durch einen Vor- !
sprung verdeckt.
Die östlichen, der Stadt Neapel zugewendeten sanften Abfälle
sind mit Obst- und Weingärten bedeckt, in welchen der Moseatello
di Pausilippo gedeiht, während die entgegengesetzte westliche Seite,
von der Grotte bis zur Spitze Coroglio, der Insel Nisida gegen-
über, einen wilden, fast unersteiglichen Abfall bildet, der mit
Stauden und Nankengewächsen bedeckt ist. Derselbe Fall findet
sich bei der auf der andern Seite des Golfs von Neapel gelegenen
Bergkette, den alten Montes laetarii, welche zwar auf der West-
seite einen mehr oder minder starken Fall haben, den aber weite
Schluchten durchschneiden. Diese bilden eben so viele herrliche und
fruchtbare Thäler, während die Ostseite fast senkrecht abstürzt
und, zwei bis drei Stellen ausgenommen, eine gefährliche und
unwirthbare Küste bildet.
Es zeigt sich am Pansilipp keine Spur eines alten Kraters
oder verwitterter Lavaströme, und dennoch besteht der ganze Hügel
ans vulkanischen Materien, nämlich ans der Asche des Lapillo
(einem Gemisch von kleinen Lavatrümmern und Bimstein) auf der
Oberfläche, und aus einer kompakten Tuffmasse im Kerne. Diese
gelbliche, von horizontalen, ans Lapillo und größeren Lavagerölleu
bestehenden Schichten von verschiedener Mächtigkeit durchschnittene
Masse tritt an mehreren Orten, besonders aber am östlichen Fuße
des Berges, zu Tage, wo sie eine verschiedenartig hohe, durch das
Meer benetzte Terrasse bildet. Der vulkanische Tuff, welcher den
Kern aller um die Hauptstadt liegenden Hügel bildet, erscheint, wenn !
er gerade aus dem Bruche kommt und noch feucht ist, sehr weich
und daher leicht zu behauen, verhärtet aber an der freien Luft und !
zeichnet sich dnrch sein geringes specifisches Gewicht ans. Eben
diese Eigenschaften machen ihn ganz besonders zu Bauten geschickt,
und man kann daher auch ohne Uebertreibnng sagen, daß die
große Stadt Neapel ganz aus den Eingeweiden der sie umgebenden
Hügel hervorgegangen sei.
Das wahre Ende des Vorgebirgs erhebt sich auf einer Breite j
von zwei neapolitanischen Meilen, stufenartig von Ost nach West, j
bis zur hohen Spitze von Coroglio, die mit dem Hügel von
Pizzofalcone einige Aehnlichkeit hat und eine kleine Insel be-
herrscht, die zu ihren Füßen liegt. DiesePnnta di Pausilippo ;
ist reizend. Ein Graf Thurn hat hier früher einen englischen Park
angelegt, dessen Gebüsche bis an's Meer reichen. Der Vorüber- 1
schiffende unterscheidet von düsteren Akazien umringte niedliche
Hermessänlen und Altäre, geschmackvolle Tempel, Statuen und
andere architektonische Verzierungen, unter den Bäumen halb ver-
steckt liegende kleine Landhäuser und Strohhütten. Der nachmalige
Besitzer dieser Villa, der Herzog von Terra nnova, hat getrachtet,
das Ganze den Verwüstungen des Meeres zu entziehen, die be-
sonders dann verheerend sind, wenn der Südost - (Sirocco) oder
Südwestwind (Libeceio) wüthen.
Letzterer ist viel ungestümer als der Siro cco, obgleich dieser
einen ganz besondern Einfluß nicht allein ans die Animalien,
sondern auch auf das Meer und die Atmosphäre ansübt. Man
erkennt seine Nähe an dem Getöse der Wellen, welche sich mächtig
erheben und zu entfliehen scheinen. Die Fluten wälzen sich bleiern
an das Ufer und prallen mit Krachen von dem Felsen zurück, den
sie mit Schaum bedecken. Der feuchte und warme Hauch des
Sirocco trübt oft die Reinheit des italischen Himmels und be-
nimmt der Luft ihre ganze Elasticität; während seiner Dauer
scheint „der die Natur belebende Grundstoff erstorben zu sein".
Alles schmachtet dahin und der Mensch fühlt sich von einer
Schlaffheit ergriffen und niedergedrückt, die selbst den Geist afficirt.
Dieser Wind macht die Schifffahrt, besonders an der Küste, ge-
fährlich; seine Gewalt ist die eines schlauen, verborgenen Feindes,
während der Libeccio sich zwar heftig, aber offen ankündigt,
obwohl anch er dem Landmanne wie dem Schiffer unheilbringend
wird. Alles muß sich vor ihm beugen oder brechen, und sogar
die Bäume an den dem Libeccio ansgesetzten Orten wachsen in
einer schiefen Richtung, welche ihnen der ungestüme Wind giebt,
den man ganz besonders au der Küste von Genna kennt.
Neben der Villa Terrannova liegt der Palazzo beite
canonabe, ein Landhaus auf einer kleinen Anhöhe am Ufer,
welches ehemals unser Landsmann, der Maler Philipp Hackert,
bewohnte. Das in der Nähe liegende Dörfchen Marepiano *)
nimmt den anziehendsten Platz ans dieser Küste ein, welche oberhalb
von einer üppigen Vegetation bedeckt ist, und an ihrem Fuße große
Blöcke nackten Tuffs zeigt, die weit in das Meer hinausragen und
mehr oder minder scharfe Ecken haben; zwischen diesen sind eben
so viel trauliche Stellen, wo die Wellen, nur sanft plätschernd,
im Sommer zum Genüsse des Bades einladen. Vor diesen Klippen
liegen die Trümmer antiker Gebände, und über selbe hinaus ist
das Meer auf eine weite Strecke voll unter dem Wasserspiegel ver-
borgener Riffe.
Der Pausilippus der Römer fing bei dem alten Mons
olympicus an, erstreckte sich bis zur Insel Nesis (dem heutigen
Nisida) und bildete in den ältesten Zeiten die natürliche Grenze
zwischen den Gebieten von Cumae und NeapoliS; man nannte ihn
wohl auch Herma, weil hier der grenzenhütende Priap in einer
kleinen Kapelle verehrt wurde. Diese ganze Küste war in den
Zeiten der Römer mit Landhäusern bedeckt, von denen man tief
unter dem Wasserspiegel die Ueberreste findet, welche, durch die
Gewalt der Wellen und die Erderschlltterungen in formlose Blöcke
zerstückt, mit scharfen Kanten ans der Tiefe hervorragen.
Unterhalb Marepiano scheinen viele Ruinen von Retikular-
mauern, an einem kleinen Busen liegend, die Stelle zu bezeichnen,
wo sich die größte und prächtigste aller Villen am Pansilipp, jene
des berühmten Vedins Pollio, erhob, welcher die großen Muränen-
weiher besaß, denen bekanntlich manche Sklaven zum Opfer fielen.
Viele alte Grammatiker sind der Meinung, daß diese Villa allein
anfänglich den Namen Pansilipp geführt, die Landzunge aber die
Benennung Ammens getragen habe. Die Fundamente der Fisch-
behälter von 50 Fuß Länge auf 18 Fuß Breite und 24 Fuß Tiefe
sind noch sichtbar.
Auch Virgil besaß ein Landhaus am Pausilipp; Silins
Italiens hatte dessen Wohnung und Grab noch lange Jahre nach
dem Tode des großen Mantuaners inne. An der äußersten Spitze des
>) il forestiers ail' antichità di Pozzuoli.
') Auch Mare Chiatto genannt.
374
Der Pausilipp bei Neapel und der Ugnano-See.
Pausilipp liegt die sogenannte Scnola di Virgilio oder Gajola,
Wohl nichts Anderes als ein ehemaliges Landhaus des reichen
Lucullus, oder ein Tempel der Venus Euploea, von Bädern
und Landhäusern umgeben, an welche sich dann, mehr gegen Nisida
hin, die lnknllanische Villa knüpfte. Unweit davon ist eine
schauerliche Grotte, welche in der Gegend Grotta di Seano oder
del truono genannt wird; sie ist aber nicht durch Menschenhände
entstanden, sondern wohl nur durch das heftige Anschlägen der
Meereswellen nach und nach ansgehöhlt worden. Aber es bleibt doch
auffallend, daß dieselbe im Hintergrund einige kleine Thüröffnungen
und Stücke von Retikularmauerwerk in einem höchst zerstörten Zu-
stande zeigt. An einigen Orten bemerkt man noch Spuren der
Wasserleitungskanäle, die hier einst in großer Menge zu finden
waren, denn jede Villa besaß ihre eigene Leitung, welche sich vom
allgemeinen Aquädukte des Claudius als Seitenast lostrennte.
Von dem schiffbaren Kanäle, dessen Plinius gedenkt,*) scheint noch
ein Rest an jener Stelle übrig zu sein, die hinter der kleinen, von
Sannazar Enploea genannten Insel und dem Festlaude durchführt,
und auch jetzt noch von den Fischern, obwohl nicht ohne Gefahr
wegen der unter dem Wasser liegenden Mauertrümmer, be-
fahren wird.
Warum man das Ganze mit dem Namen Scnola di Vir-
gilio bezeichnet, ist schwer zu begreifen. Alles zeigt hier wohl einen
Ungeheuern Bade-, nicht aber einen Lehrsaal, und ersterer läßt
sich auch bei einem am Meeresufer gelegenen Landhanse leichter
vermuthen. Jndeß sagt uns d'Ancora: „daß die Alten unter dem
Worte Schola einen Badesaal mit ringsumlaufendem Sänlengange
verstanden hätten." Bis ans 18 Klafter vom Ufer entfernt sieht
man noch Mauertrümmer im Meer und besonders die Fundamente
der Fischbehälter. In der Nähe mag auch der Tempel der Fortuna
gestanden haben, dessen in zwei aufgefnndenen Steinschriften Er-
wähnung geschieht und den der Name der jetzigen, hier liegenden
Kirche St. Maria del Faro oder della Fortuna andeutet.
Aber nur die Werke der Menschen haben in diesen Gegenden
eine Veränderung erlitten, die Natur ist sich stets gleich geblieben
sie ist durch alle Jahrhunderte hindurch noch lachend und reich; die
Hügel sind wohlbebaut, die Ufer bevölkert und wenigstens von
den Fischern stark besucht. In den klaren Gewässern, unter den
ausgewaschenen Klippen und Felsenriffen, fängt man die besten
*) Lib. IX. Cap. 54.
Frutti di mare, wie der Neapolitaner alle Arten Muscheln und
Seethiere kleinerer Art nennt. Auch ist die Gegend äußerst fisch-
reich und bei ruhigem Meere sieht mau viele Fischer stundenlang
im Wasser stehen und mit den Händen die Seethiere ergreifen oder
angeln. Mit ihrem Stab in der Hand, bemüht, sich ihre kärgliche
Nahrung zu bewerben, erscheinen sie, um ihrer Unbeweglichkeit
willen, wie in's Meer gestellte Bildsäulen, und ihr Anblick erinnert
lebhaft an Pope's schöne Verse in seinemWindsor Forest, wo er das
Fischen mit der Angel beschreibt. *)
Längs den östlichen Abfällen des Pausilipp, immer aufwärts
an den Hügeln, zieht sich die Strada nuova di Pausilippo,
welche überall herrliche Punkte für die Aussicht bietet. Diese Straße
wurde zur Zeit der österreichischen Okkupation (1821 bis 1827) voll-
endet. Sie steigt von der Mergellina fast bis zur Spitze von
Coroglio, übersattelt den Rücken des Berges unterhalb des Dörf-
chens S. Strato, windet sich auf der Westseite bis an das Meeres-
ufer, Nisida gegenüber, wieder hinab, und lenkt bei den Bagnoli
in die von Neapel durch die Grotte führende Straße nach Pozzuoli ein.
Die Scene ändert sich plötzlich, sobald man die Scuola di
Virgilio umschifft hat. Man ist nun dem Kap Coroglio, der
äußersten siidwestlichen Spitze des Pausilipps, gegenüber. Die aus
einer weichen Tuffmasse bestehende Küste fällt steil und ungleich
ab; einige ihrer niederen Spitzen haben der Gewalt der Wellen
widerstanden und ragen verschiedenartig gestaltet in-das Meer
hinaus, welches sie aber dennoch unterwaschen hat und beträchtliche
Höhlen bildet. Aber auch an dieser rauhen Stelle findet man doch
Pflanzen, zwischen den zackigen Felsblöcken, wie man sie, in solcher
Größe und Schönheit, in den Treibhäusern Deutschlands vergeblich
suchen würde. Unter ihnen prangt die indische Feige (Ficus carica L.)
Die Aloe (Agave americana L.) entfaltet ihre langen gekrümmten
und gestachelten Blätter, und gelangt in der ganzen Umgebung der
Hauptstadt nirgends früher zur Blüthe, als eben hier. Hoch über
sie hinweg wiegen sich in melancholischem Schweigen ehrwürdige
Pinien in den blauen Lüften, die, aus der Ferne gesehen, riesen-
haften antiken Kandelabern gleichen.
*) Where cooling vapours breathe along the shore,
The patient fisher takes his stand
Intent, his angle trembling in his hand.
With looks unmov’d, he tempts the scully breed
And eyes the dancing cork and bending reed.
Ich schließe hier einige Bemerkungen über den Agnano-See,
am Golf von Neapel an.
Nur in dem Augenblicke, wo man ohne Hindernisse die ganze
Ausdehnung des weiten Kraters ermessen kann, in welchem der
See Agnano liegt, tritt man aus deu dunkeln Gebüschen auf
die weichen, grünen Matten, welche ihn umkränzen und ganz das
Bild einer heitern, aber ruhigen Landschaft darstellen. Die Natur
lächelt hier in einfacher, stiller Verborgenheit dem Forscher zu!
Es ist die Einsamkeit eines glücklichen und befriedigten Gemüths,
das sich ganz vom Irdischen abgcwendet hat.
Der Name Agnano soll von einer Stadt Angulanum *)
herrühren, die am südlichen User des Sees lag, wo man auch
noch jetzt, oberhalb der Dunstbäder S. Germano, viele antike
Ueberreste findet. Sie werden von Einigen für eine Villa des
Lukullus**), von Anderen für eine Therme***) gehalten, und diese
*) Vasi, Itinerario da Koma a Napoli, pag. 130.
**) Mazzochi, De castr. Luculi, p. I. cap. 4.— Summonte, Storia
di Napoli.
***) de Jorio pag. 188.
letztere Meinung hat noch die größte Wahrscheinlichkeit. Lalande*)
redet gar von einer Stadt Agnano, die einst hier gestanden habe,
was aber offenbar falsch ist. Nach Cosiredo's Angabe wäre der
Name dem See entweder von dem griechischen ayviZw, d. h. reini-
gen, oder auf eine ironische Weise von äyvog, d. i. rein, weil er
einst voller Schlamm und Unrath gewesen— gekommen. Die Um-
gebungen bilden beträchtliche Hügel aus Tuffstein und sonstigen
vulkanischen Aggregaten, deren Formen unter dichtem Gestrüppe
verborgen sind und den Aufenthalt zahlreicher Schlangen und
Wasserfrösche bilden, von denen die ersteren, besonders im Früh-
jahre, von den nahen Hügeln herabschießen und größtentheils im
See ertrinken.
Der Umfang mag drei Viertelstunden betragen; seine stillen
Gewässer, die nur in leisen Wellen auf der Oberfläche leicht vom
Winde bewegt werden, treiben spielend auf den Rasen am Ufer,
und sollen, wie das Aqua zolfa der Campagna romana, an
manchen Stellen Schwefelwasserstosigas**) ausdünsten, wovon
auch das an manchen Orten auf der Oberfläche bemerkbare
*) Tom. III. pag. 316.
**) Romanelli S. 96.
Brautwerbung bei den Lappen.
375
Aufbrausen herzurühren scheint. Vasi*) glaubt, daß dies der j
Entwickelung einer Gasart zugeschrieben werden könne; man
brauche aber deshalb noch nicht anzunehmen, daß ein halberloschener
Vulkan unter dem See gelagert sei, um so mehr, da dessen Wasser
natürlich, ohne schwefligen Geschmack, ist, kein Adstringiren ans der
*) Rom anelli, S. 131.
Zunge erregt, keinen höhern als den gewöhnlichen Wärmegrad
besitzt und eine Menge Wasservögel sich darin aufhalten.
Die Tiefe des Sees von Agnano ist bedeutend und nian
will behaupten, daß derselbe früher mit dem Meere durch zwei
j Kanäle in Verbindung gestanden habe, welche von Menschen-
j Händen durch die nahen Berge gebrochen sind *).
*) Romanelli, loc. eit.
Brautwerbung bei den Lappen.
Stockholm, im Juli 1863.
Mit den ehelichen Verbindungen sieht es bei den Lappen, be-
sonders den schwedischen Fjell- oder Gebirgslappen, sehr betrübt
aus. Das Herz hat nämlich bei der Wahl des Gatten und der
Gattin eben so wenig Antheil, wie oftmals bei fürstlichen Personen,
während bei den civilisirteren Völkern doch gewöhnlich von den
kontrahirenden Theilen die Sache eingeleitet und abgemacht wird,
so daß die Verwandten nur eine berathende oder bedingungsweise
hindernde Stimme haben. Bei den Lappen dagegen ist es umge-
kehrt: die Verwandten und Angehörigen haben Alles zu bestimmen,
und es ereignet sich wohl gar, daß das Brautpaar von seiner
baldigen Verheirathnng erst durch das Aufgebot in der Kirche be-
nachrichtigt wird.
Der Hergang bei einer lappländischen Brautwerbung oder
Freierei ist nach Petrus Laestadius, der in den schwedischen Lapp-
marken geboren und erzogen ist, auch in denselben mehrere Jahre
als Geistlicher gewirkt hat, etwa folgender: Die Eltern, Ver-
wandten und Freunde des Freiers versammeln sich in großer An-
zahl und versehen sich reichlich mit Branntwein, um die Eltern und
Verwandten des Mädchens damit zu bewirthen und zu gleicher Zeit s
ihr Anliegen vorzubringen. Der Freier sagt, wenn er auch zugegen
ist, kein einziges Wort, und die zukünftige Braut schweigt eben-
falls. Es sieht fast so aus, als ob die ganze Sache Beide gar nicht
beträfe; denn sie sind die Einzigen, welche gleichgültig zu sein scheinen.
Auch ist es ganz der Natur der Sache angemessen, daß sie bei einer
solchen Gelegenheit keine Liebe an den Tag legen, wenn diese wirk-
lich in ihren Herzen wohnen sollte, denn die Liebe scheut eine solche
Menge forschender Augen und lauschender Ohren. Es geht hier
nämlich Alles öffentlich zu. Außer der großen Menge von Ver-
wandten, Freunden und Basen bis in's dritte und vierte Glieo,
welche den beiden contrahirenden Theilen angehören, läuft eine
zahllose Menge anderer neugieriger Leute zusammen, um zu sehen
und zu hören, wie die Sache ablaufen werde.
Von Seiten der freienden Partei ist ein Hauptsprecher gewählt,
den man Sognon-Oive, d. i. Hanptmann der Freierei,
nennt. Dieser wendet sich mit seiner Branntweinflasche und mit
seiner Rede an die Hauptpersonen der andern Seite, nämlich an
den Vater und die Mutter des Mädchens. Die übrigen, weniger
bedeutenden Sprecher aber wenden sich, je nachdem es sich trifft,
an die entfernteren Verwandten der künftigen Braut, suchen es
jedoch so einzurichten, daß Jeder, so oft wie möglich, dem Vater
und der Mutter einschenkt und das Mädchen ebenfalls nicht ver-
gessen wird. Nachdem man sich mit dem Nektar dermaßen erquickt
hat, daß man lichteren Ideen zugänglich ist, und nachdem die
Sache theils in Prosa, theils in Gesang*) gehörig ventilirt worden
*) Die lappländischen Melodien (Wuolle, Plnr. Wuolleh), deren Zahl
sehr groß ist, sind sehr verschieden, einige traurig, andere fröhlich, stolz u. s. w.
Sic sind höchst ausdrucksvolle Ratnrlante, klingen jedoch schwedischen Ohren, die
durch die vielen herrlichen Nationalmelodien verwöhnt sind, meistens äußerst nu-
angenehm, obgleich sie, von guten Stimmen gesungen, keinesweges einer ge-
wissen Anmnth gänzlich entbehren. Die Melodien sind sehr einfach und monostroph,
daher man auch leicht die Worte in eine derselben einpassen kann.. Wenn nun bei
dem Anblick einer schönen und herrlichen Naturscene das Gefühl des ungemein
ist, dann ereignet es sich wohl, daß die Eltern der Braut die
Freiergeschenke (Kileh) zu sehen begehren. Werden diese an-
genommen, so ist der Kauf abgeschlossen, und man begiebt sich ent-
weder sogleich oder an einem der folgenden Tage zum Pastor, um
das Aufgebot zu bestellen. Die meisten Partien werden bei Jahr-
märkten und anderen großen Festen bei der Kirche (in der sogenannten
Kirchstadt) abgeschlossen: doch will es sich ohne Branntwein nicht
gut machen lassen. Die Redensart in der lappländischen Sprache
„mit Branntwein freien" bedeutet ungefähr ebensoviel, wie
„förmlich um die Hand eines Mädchens anhalteu, förmlich seine
Liebe erklären". Ohne Branntwein scheint es nicht ernstlich gemeint
zu sein.
Inzwischen kann es sich wohl ereignen, daß selbst dieser Trank
keine Wirkung hervorbringt und der Freier das Faß der Danaiden
zu füllen versucht. Einen bessern Erfolg hat er kaum zu erwarten,
wenn er selbst arm, die begehrte Braut dagegen reich ist. Ueberall
hat zwar in dieser Angelegenheit der Reichthum einen mächtigen,
ja einen entscheidenden Einfluß, anstatt des Herzens, das hier allein
reden sollte; doch nirgends ist dieser Einfluß größer, als bei den
Lappen. Bei ihnen ist der Reichthum der einzige Vorzug, den der
Eine vor dem Andern hat. Die Uniform entscheidet hier gar nichts,
der eine Pelz gleicht ganz dem andern; Rang und Talent, welche
bei den civilisirten Nationen eine größere oder geringere Opposition
gegen den Reichthum bilden, sind hier ganz unbekannte Größen,
und von dem Vorzug einer höhern Bildung, die etwa auf das
Loos des einen Contrahenten entfallen wäre, ist dort ebenfalls
nichts zu spüren. Daher wagt kaum der Sohn armer Eltern seinen
Blick zu der Tochter des Reichen zu erheben, und der Sohn des
Reichen blickt selten mit solchen Absichten herab ans die Tochter des
Armen: es wäre dies ja gerade so, als wenn ein'Herr sich mit
einem Dienstmädchen oder ein Fräulein mit einem Knechte ver-
heirathete. Ja, wie schon erwähnt, es konimt häufig vor, daß
Bräutigam und Braut bei der Brautwerbung gar nicht zugegen
sind und nicht einmal etwas davon wissen oder ahnen,
sondern vielleicht erst von den aus der Kirche zurückkehrenden Per-
sonen erfahren, daß sie gesonnen sein sollen, in den heiligen Stand
zu treten.
Alles trägt hier das Gepräge eines Kaufs und eines Handels:
die erwähnten Freiergeschenke sind in der That nichts anderes als
der Kaufpreis. Und dennoch leuchtet dabei die dunkle Idee hervor,
daß hier von einer wichtigern Angelegenheit die Rede sei, als von
dem Kauf und Verkauf eines Rennthieres; denn man hält es nicht
für passend, Geld zu bieten, welches auch bei dieser Gelegenheit
nicht sonderlich geachtet und nicht gern angenommen wird. Nein,
es soll etwas anderes sein, am liebsten und gewöhnlichsten Silber-
lebhaften Volkes übersprudelt, oder wenn bei einem muntern Gelage der Lebens-
nektar ans die Sinne zn wirken beginnt, da hört die Prosa auf; man ergießt
seine Gefühle in Gesang, man redet, man unterhält sich in Gesang, man wird
munterer und liebevoller, der Eine fällt wohl dem Andern in die Arme, oft halten
Beide sich lange umschlungen, reden mit einander in Gesang, weinen vor Schmerz
! oder vor Freuden, kurz der „Naturmensch" leuchtet nnvcrdeckt hervor. Dieser
j Lappengesang, der so oft das Echo in den Bergen weckt und bei lebhaften Markt-
scencn und bei sonstigen Zusammenkünften üblich ist, beißt I oikat.
376
Brautwerbung bei den Lappen.
arbeiten, wie Löffel, Becher, Dosen oder einige prachtvollere Putz-
sachen, den Silberkragen oder Silbergürtel. Sogar der Blanke,
d. i. der Speciesreichsthaler, der sonst bei den Lappen eine größere
Zauberkraft besitzt, als die Zaubertrommel, taugt nichts beim
Brantkaufe.
Sollte es sich hernach ereignen, daß die beschlossene Partie
wieder aufgesagt wird, so werden die Freiergeschenke in vollem
Ernste zurückgefordert und auch zurückgegeben, ja im Weigerungs-
fälle kann man die Gerichte zu Hülfe rufen; kurz, man betrachtet
die Sache ganz als einen nicht erfüllten Kaufkontrakt, wobei der
eine Theil natürlich zurückgeben muß, was er als Handgeld schon
erhalten hat für eine Waare, die er nun nicht liefert. Auch wohnt
in den Meisten soviel Rechtsgefühl, daß sie ohne Anmahnung nicht
allein die Freiergeschenke zurückgeben, sondern auch noch ein Ge-
schenk hinzusügen als Ersatz für den Freierbranntwein (Sogno-
Vina), ja denselben wohl gar bezahlen, selbst wenn sie sogleich
eine abschlägige Antwort auf die Freierei ertheilen.
Leicht aber läßt sich denken, welchen Segen eine auf solche
Weise abgeschlossene Ehe anszuüben im Stande sein kann, bei
der man aus die Stimme des Herzens gar nicht hört und eben
so wenig die Eigenschaften des gewählten Gegenstandes in Erwägung
zieht, sondern wobei der Einfall des Augenblicks über das ganze
Lebensschicksal entscheidet und das Geplärr und Geschrei einer Menge
von halbberauschten Personen auf das Hauptresultat einen über-
wiegenden Einfluß hat.
Ein jetzt verstorbener Pastor, Fj ellström, erzählte aus seiner
Jugend, da er Student war, folgende Anekdote von einer Braut-
werbung im Kirchspiele Jockmack, bei welcher er zuletzt die Rolle
des Hauptsprechers (Sognon-Oive) übernommen hatte. Der
Freier hatte schon mehrere Sprecher gehabt und mehrere stets erfolg-
lose Versuche gemacht. Da begab er sich in den Pfarrhof und war
so glücklich, den Sohn des Pastors, den erwähnten Studenten, zu
gewinnen, so daß dieser mit ihm in das Haus ging, in welchem die
Unterhandlung auch in der Abwesenheit des Freiers fortgesetzt wurde.
Hier war unter Andern auch ein altes Weib, eine Muhme im dritten
oder vierten Gliede, die mit ihrer gellenden Stimme alle Uebrigen
überschrie und immerwährend rief: „Nein, nein! Es geschieht nicht!
Es wird nichts daraus! Es geschieht in Ewigkeit nicht! — Ja,
wenn auch der Sohn des Fleischfressers*) herkommt, so geschieht
es dennoch nicht!" Unser Student ließ sich jedoch dadurch nicht irre
machen; da er übrigens einsah, daß er nichts würde ausrichten
können, so lange dieseHexe belferte, so flüsterte er dem Länsmanne**),
der ebenfalls zugegen war und die Freierei unterstützte, in's Ohr,
er möchte die Alte mit guter Manier unvermerkt zur Thür hinaus
werfen. Das that dieser auch wirklich. Die Alte, welche so plötzlich
und ganz unvermnthet unter dem freien Himmel stand, summte
zwar „wie eine Bremse in einer leeren Tonne", schrie, schimpfte,
fluchte, schlug an die Thür und suchte dieselbe aufzureißen; doch
konnte ihr das Alles nichts helfen, denn herein konnte sie nicht
kommen, da der Länsmann die Thür zuhielt, und im Hause ging
die Brautwerbung ruhig ihren Gang und hatte einen guten Erfolg,
wozu der Rang und das Ansehen des Hauptsprechers, vielleicht
auch sein besserer Branntwein und seine bessere Rednergabe, so wie
eine inzwischen hcrbeigeschaffte Vermehrung der Freiergeschenke das
Ihrige beitrugen. Kurz, die Partie wurde abgemacht und die Ge-
sellschaft brach auf, um sich zum Pastor zu begeben und das Auf-
gebot zu bestellen. Die Thür wurde geöffnet und die Alte stürzte
augenblicklich und in voller Wuth und Erbitterung herein, merkte
jedoch in ihrer erregten Gemüthsstimmung nicht, daß die Gesell-
schaft im Abzüge begriffen war, und dieselbe List, welche sie erst
hinausgebracht hatte, hielt sie jetzt auch zurück, denn der Länsmann
schloß sie ein. So war denn der letzte Betrug noch ärger als der
erste, und die Hochzeit wurde bald darauf gefeiert.
*) Ein dort üblicher Schmähname des Pastors.
**) Ein untergeordneter obrigkeitlicher Beamter auf dem Lande, ein Vogt.
Wie aus dem Angeführten hervorgeht, ist es bei solchen Um-
ständen im Allgemeinen von großer Wichtigkeit, einen angesehenen
und geschickten Freier-Hauptmann oder Wortführer zu
haben. Daher geschieht es wohl, daß man bei einer Brautwer-
bung, deren glücklichen Erfolg man zu bezweifeln Grund hat, sich
einen eminentern Freierkönig sucht und ihm eine Belohnung ver-
spricht. Dies war auch bei dem eben erwähnten Ereignisse der Fall.
Heirathen zwischen Schweden und Lappen kommen
sehr selten vor. Zwar pflegen in manchen Kirchspielen Schweden
und Lappen freundschaftlichen Umgang und der Eine erhebt sich in
seinen Gedanken nicht eigentlich über den Andern oder hält sich für
besser als diesen; sobald aber von einer ehelichen Verbindung die
Rede ist, nimmt das Ganze eine andere Gestalt an. Unmöglich
kann ein Lappe, so lange er ein Lappe bleibt, d. h. seine nomadi-
sirende Levensweise führt, ein schwedisches Mädchen zur Frau be-
kommen, ja es hält noch schwer genug, wenn er ein „Schwede
wird", d. h. wenn er die schwedische Sprache, Kleidung und Lebens-
weise annimmt und ein Ansiedler wird. Das schwedische Mädchen
sagt mit Stolz und mit der größten Verachtung, sie will keine
„Lappensrau" werden. Eben so wenig aber will auch ein schwedischer
Jüngling ein Lappenmädchen heirathen. Ist sie eine vollkommene
Lappländerin, welche die Kleidung der Lappen trägt und die Lebens-
weise derselben führt, so ist es ganz unmöglich; hat sie dagegen
seit ihrer Kindheit in schwedischen Häusern gedient und die schwe-
dische Kleidung angelegt, so ist es nicht ganz unmöglich, und
ebenso kann es auf der andern Seite vielleicht geschehen, daß ein
ganz verschwedischter Lappe eine wirkliche Schwedin zur Frau be-
kommt. Aber diese Fälle sind äußerst selten; denn so gering zu-
weilen auch der Unterschied zwischen den Ansiedlern ist, so scharf ist
derselbe zwischen den Schweden und den Lappen. Die beiden Völker-
stämme unterscheiden sich in ihrem Aeußern so grell von einander,
daß eine nähere Verbindung zwischen ihnen sogar der
physischen Natur widerwärtig zu sein scheint. Ist sie
jedoch einmal geschehen, so bewirkt die veränderte Lebensweise bald
eine große Veränderung. In der zweiten Generation ist der Lappe
an Art schon so ziemlich ein Schwede geworden, und in der dritten
ist die lappische Herkunft schon vergessen, dann tragen auch die
Körperbildung und die Gesichtszüge nicht mehr das lappische
Gepräge.
So war der Hergang bei Freiereien in den schwedischen Lapp-
marken in den 1830er Jahren, und ungefähr so wird er noch jetzt
sein, da die Lappen an herkömmlichen Gebräuchen außerordentlich
starr sesthalten. Gleichwohl ist in dem letzten Decennium durch
höchst bedeutende Abgaben die Zubereitung des Branntweins in
ganz Schweden, so wie die Einfuhr desselben in Lappmarken sehr
erschwert worden; auch hat das Branntweintrinken in Folge dieser
Umstände außerordentlich abgenommen, wogegen der Genuß des
Kaffees in ungemein starker Proportion zunimmt. Daher läßt
sich mit Sicherheit annehmen, daß die Lappen jetzt nicht mehr so
häufig „mit Branntwein freien" wie früher; denn theils ist ihnen
der Branntwein zu theuer und theils können sie ihn kaum anschaffen.
Sehr verschieden sind die Sitten und Gebräuche in den nörd-
lichen Theilen des großen Vaterlandes der Lappen, besonders in den
norwegischen Finnmarken, welche Benennung ganz gleichbedeutend
ist mit Lappmarken, da man die Lappen in Norwegen Finnen nennt.
Darum führen wir hier über denselben Gegenstand noch eine Stelle
aus dem 1860 erschienenen Tagebuche des ehrwürdigen, hochver-
dienten Pastors Nils Joachim Christian Vibe Stockfleth an
(S. 139):
In Kautokeino (69.° N. Br.) trat im Winter 1842 zu mir ein
Brautpaar mit dem üblichen Gefolge herein und verlangte aufge-
boten zu werden. Da das Gedränge ungemein groß wurde und die
Hintersten auf Stühle, Kisten und Bänke steigen mußten, um sehen
zu können, konnten wir vermuthen, daß die Braut viele Freier ge-
habt haben müßte, und so war es auch wirklich. Als ich die Namen
des Brautpaars einschreiben wollte, trat ein junger Mann vor.
Die Wälder im Banate.
377
Still gab der Bräutigam der Braut ein Halstuch, das sie dem Vor-
treteuden überreichte; still nahm dieser das Tuch au, machteeine
Verbeugung und trat zurück; ebenso ging es mit einem zweiten und
einem dritten, und während der ganzen Zeit herrschte eine vollkom-
mene Stille und Ruhe. Als der dritte Freier, das Halstuch entgegen-
genommen hatte, sagte er, er könne sich zwar auf kein bestimmtes
bindendes Versprechen der Braut berufen, doch hätte sie einmal
etwas geäußert, das geklungen hätte wie „vielleicht", und nun wollte
er sie bitten, die Wahrheit seiner Aussage zu bestätigen und als Ge-
ständniß oder Bezeugung, daß er die Wahrheit redete, solle ein
Speciesthaler erlegt werden. Der glückliche Freier, nämlich der
erkorene Bräutigam, fand dieses ganz in der Ordnung, meinte
jedoch, da hier nicht die Rede wäre von einer Erstattung für die
Braut, sondern nur von einem gegenseitigen Zeugniß, daß das
erwähnte Verhältniß stattgefunden hätte, so wollte er dem Geist-
lichen einen halben Species überreichen, den dieser für die Armen
anwenden könnte. Hiermit waren Alle befriedigt und einver-
standen. Man pflegt bisweilen eine Freierei damit zu beginnen, daß
man einen Handschuh des Mädchens zu gewinnen sucht. Die
größere oder geringere Schwierigkeit, mit welcher sie sich denselben
nehmen läßt, ist entweder ein halbes Ja oder ein Nein. Auch
schickt man ihr wohl durch einen Andern ein Halstuch. Der
Bräutigam trägt an einigen Orten, am häufigsten in Kautokeino,
ein langes, weißes Tuch, kreuzweise um den Hals, über die Brust
und um den Leib gebunden. Die Braut trägt eine Krone. Nur in
Kautokeino herrscht die Sitte, daß während der Trauung von zwei
jungen Männern und zwei Mädchen ein großes seidenes Tuch wie
ein Thronhimmel über den Häuptern des Brautpaares gehalten
wird. Dieses Tuch heißt das Pell, gehört der Kirche und wird für
8 Schillinge geliehen; die Lappen nennen dasselbe nur Line (Tuch).
Die Sitte stammt vermuthlich ans der Zeit, da Kautokeino zu
Schweden gehörte.
Die Wälder im Samte.
Das Kaiserthum Oesterreich zeichnet sich svor vielen anderen
Ländern durch die fast unerschöpfliche Ergiebigkeit seiner natürlichen
Hülfsquellen aus. Unter diesen nehmen die noch vorhandenen, oft
kolossalen Urwälder nicht den geringsten Platz ein. Im Westen
der Monarchie sind dieselben freilich bereits bedeutend gelichtet
worden, und namentlich nehmen die einst berühmten „böhmischen
Wälder" immer mehr ab; auch in anderen Theilen der deutsch-
slawischen Kronländer ist dies der Fall. Der Osten dagegen bat
sich unabsehbare Strecken fast noch jungfräulichen Waldbodens be-
wahrt, so namentlich in Slawonien, der Militärgrenze, theilweise
in Ungarn und im Banate. Hier fehlen noch die Verkehrswege,
um das Nutz- oder Brennholz mit Vortheil weiter fortschaffen zu
können; auch sind die industriellen Unternehmungen und Bauten,
welche den werthvollen Stoff bedürfen, noch nicht in solcher Ent-
wickelung begriffen, wie man sie in den westlichen Theilen des Kaiser-
thums findet.
Noch verfaulen jährlich hunderttausende von Klaftern sdes
schönsten Holzes unbenutzt, während an anderen Orten eine geradezu
verwüstende Waldwirthschaft getrieben und für eine Nachpflanzung
wenig Sorge getragen wird. Wie es mit dein außerordentlichen i
Reichthume der Wälder im Banat und deren Bewirthung aus-
sieht, darüber wollen wir einen praktischen Forstmann, den sächsi-
schen Oberforstrath v. Berg, zu Rathe ziehen. Er giebt in seinem
lehrreichen Buche: „Aus dem Osten der Oesterreichischen
Monarchie. Ein Lebensbild von Land und Leuten, von E.
v. Berg", eine klare Schilderung.
Die Hauptmasse der Wälder im Banate gehört jetzt der (franzö-
sischen) Staats-Eisenbahn-Gesellschaft. Es sind dnrchgehends
Gebirgsforsten, welche ans Kalk stocken. Vorherrschend ist die
Rothbuche; neben ihr verdienen die Zerreiche und Stieleiche, der
Ahorn, die Esche, Ulme, Linde, Weißbuche, Birke, Erle und viele
andere Baum- und Straucharten von untergeordneter Wichtigkeit
— von Nadelhölzern nur die Weißtanne— genannt zu
werden. Zusammenhängende größere Bestände bildet nur die i
Buche, seltener die Eiche. DieWaldvegetation ist sehr reich.
Bei einem Ausfluge fand Berg in den Moldowaer Wäldern 52
verschiedene Baum- und Straucharten, während an dem, wegen
seiner mannichfachen Vegetation bekannten Basaltberge Milleschau
bei Teplitz deren nur 38 gezählt werden. Dabei zeigt sich überall
eine üppige Entwickelung der einzelnen Individuen, in reicher Krone,
vollen Blättern, hohen, glatten Stämmen. Man bedarf keiner leb-
haften Einbildungskraft, um sich die Mannichfaltigkeit und Pracht
dieser Wälder auszumalen. Die Berge, schön gewölbt, wie ein
Globus IV. Nr. 12.
grünes, bewegtes Meer durch die welligen, übereinander gruppirteu
; Baumkronen, wechseln anmuthig mit tiefen Thälern, in welchen
I man die versteckt liegenden Orte wohl ahnt, aber nicht sieht. Dann
fesselt unser Auge eine lange, grüne Wand an einem Thalgehänge,
aus dem einzelne Felsen hervorstehen, so wie schroffe Hänge oder
Hochebenen. Wo man eine Umsicht hat, giebt es ein Waldbild,
wie mau es selten sieht: nichts als Berge und Bäume, während die
Fernsichten in die Banater Ebenen zu unseren Füßen ein liebliches
Bild der menschlichen Thätigkeit entrollen. Das Gebirge wäre
wunderschön, wenn es mehr Wasser hätte.
Wie so ganz anders zeigt sich doch der lustige, bewegliche Laub-
wald gegen den düstern, starren und steifen Nadelwald! Ebenso
verschieden ist der Eindruck, den dadurch das Gemüth empfängt.
Niemand kann sich dieser Einwirkung entziehen, wenn er sich der-
selben auch nicht bewußt wird. Sonst überall findet man
eine Uebereinstimmung des Volks mit dem Walde, nur
hier nicht unter den Wallachen. Nadelwald stimmt den
Menschen ernst; die Sagen, die Lieder tragen diesen Charakter,
wogegen der Bursch oder das Mädel, im Laubwald erwachsen,
eine fröhliche Weise singt und lustige Schwänke erzählt. Aber der
Wallach ist ernst im Lied, im Tanz und seinem ganzen Auftreten.
Fern von den Orten menschlicher Thätigkeit stellt sich der Wald
als ein geschlossenes Ganze dar, aber je näher mau an Städte und
Dörfer kommt, desto mehr bemerkt man die Eingriffe der Menschen,
mehr aber noch deren Unverstand an den vielen kahlen, elenden
Hutweiden. Eine Waldwirthschaft auf wissenschaftlicher Grund-
lage wurde zur Zeit der kaiserlichen Verwaltung nicht geführt,
wenigstens sieht man im Walde nicht eine Spur davon, denn die
Durchhiebe, welche gemacht sind, lassen nicht begreifen, was man
für einen Sinn damit verbunden hat. Mau haute eben da, wo
wo man es für gut befand, ohne einen erkennbaren Plan, eine
Plänter- oder Plünderwirthschaft, wie es die Bedürfnisse der Werke
und Bewohner mit sich brachten. Deshalb sieht man auch sehr-
wenig geschlossene Jungwüchse, wohl aber eine große Masse
Urwald oder urwaldähnliche Bestände, wo junge und alte, faule
und gesunde Bäume bunt durcheinander stehen, einen Wald, wo
noch große Schätze aufgespart sind, aber auch große Massen ver-
loren werden durch Lagerholz, Faulwerden der alten Stämme und
durch nicht entsprechenden Zuwachs des gesunden Holzes. Man
sieht, daß es im Ganzen an Absatz fehlt, wenn auch die Wälder,
welche den Holzkohlen verbrauchenden Hütten näher liegen, eine
reichliche Abgabe tragen, wenn der Betrieb schwunghaft fortgesetzt
wird. Aber es fehlt im Innern des Waldes auch an nur einiger-
48
378
Ethnologische Beiträge.
maßen guten Wegen, und doch sind sie für den Verkehr mit Holz
eine unbedingte Nothwendigkeit. Die gegenwärtige Forstverwaltung
(der französischen Staats - Eisenbahn - Gesellschaft) ist bemüht,
Manches zu bessern.
Es fehlt im ganzen Banat an Nadelholz, denn die
Tanne ist nicht so häufig, daß dadurch alle Anforderungen be-
friedigt werden können.
Das Wild ist in diesem Theile der Banaler Wälder nicht
häufig. Rehe, Hasen und Gemsen, letztere ans dem Hochgebirge
in der Grenze, sind die einzigen nutzbaren Haarwildarten. Roth-
wild gab es vor 1848 in der Grenze nicht selten, allein die moderne
Jagdbehandlnng hat es ganz ausgerottet. An Vogelwild findet
man Haselhühner, Repphühner, Wachteln und besonders viele
Schnepfen. In den sumpfigen Niederungen an der Donau giebt
es Bekassinen und Wasservögel aller Art in großer Menge. Drosseln
und andere Singvögel beleben den Wald, am reichsten sind aber
die Raubvögel vertreten, vom mächtigen Steinadler und vom
Aasgeier bis zum Sperber, keiner fehlt. Anck die Raubthiere er-
freuen sich im Schutze dieser Wälder ihres Lebens. Der Bär und
Wolf, selten der Luchs, sind stets zu treffen; besonders der freche
Wolf thut manchen Schaden. Das kleine Raubzeug, wie Füchse,
Marder aller Art, Iltis, Wiesel, Fischotter und Dachs, sind in
ziemlicher Anzahl vorhanden.
Eine Jagd im Banate versetzt den Waidmann in längst ver-
gangene Zeiten zurück; sie ist noch lebhafter, urthümlicher als
das langweilige Treibjagen bei uns. Man jagt im Walde stets
mit Hunden, einer Art Bracken oder hochbeinigen Dachshunden.
Wo man Wild vermuthet, werden sie abgekoppelt und die Jäger
stellen sich entweder ans die bekannten Wechsel an oder folgen
der Jagd. Wer dabei am schnellsten ist, trägt gewöhnlich die
Beute davon.
Gewöhnlich reitet man mit Pferden zur Jagd ans, und auch
Damen nehmen zuweilen daran Theil. Berg schildert einen solchen
Jagdzug folgendermaßen: Voran ritten drei Waldaufseher mit
hohen steirischen Hüten, bewaffnet mit Büchse und Hirschfänger,
dann die Damen und wir fünf Forstleute; drei ebenfalls bis an die
Zähne bewaffnete Waldanfseher machten den Schluß. Man befand
sich in einem Landstriche, wo gewaltsame Angriffe gerade nicht zu
den Seltenheiten gehören. Die Muntje Semenik, eine Almkuppe
von 4590 Fuß, schaute uns hell und freundlich an. Durch schöne
Jungwüchse kamen wir in ältere Buchen-Bestände und diese be-
gleiteten uns, wenn auch nach der Höhe zu an Länge, Stärke
und Schönheit des Wuchses abnehmend, bis an den Rand der
Vergebene. Die Muntje hat oben eine große Alpenwiese, und
Wallachen waren beschäftigt, das Heu in Schober zu bringen. Nur
einzelne Felskegel von Glimmerschiefer stehen ans der Ebene hervor,
von diesen aber hat man eine großartige Aussicht, sowohl in das
Thal von Karanschebes und auf das siebenbürgische Grenzgebirge,
als auch auf die Banater Wälder und in die weite Ebene, durch
welche inan sich die Donau wie einen Silberstreifen winden sieht.
Es war ein schönes,^lebendiges Bild ans der Steppe oder dem
amerikanischen Hinterlande, wie diese bewaffneten Männer und
Frauen mit wehenden Schleiern ans ihren Nossen so durcheinander
jagten, bald einzeln, bald in großen Trupps.
Ethnologische Beiträge.
VI.
Die Einwirkungen der verschiedenen Klimaten auf den Menschen. In Mexico.
Lange Zeit hat man angenommen, daß alle Menschen einer
und derselben Species angehören, und daß die Verschiedenheiten,
welche wir bei denselben finden, mehr scheinbar und zufällig als
wesentlich und wirklich seien. Die Varietäten könnten durch Klima,
Erziehung, Civisationsbedingungen, Regierung re. entstanden sein,
aber in seinem eigentlichen Wesen sei der Mensch, gleichviel wo wir
ihn auch antreffen, einer und derselbe.
Diese Hypothese, welche schon Hippokrates aufstellte, galt für
völlig ausgemacht. Nun lehrte freilich die Erfahrung, daß nicht
jedes Klima jedem Menschen zuträglich sei; man behauptete aber
dem zum Trotz, daß bei gehöriger Vorsicht und im Fortgange der
Zeit Menschenvarietäten, die ihr Heimatland verlassen und sich
in anderen Regionen angesiedelt haben, nicht nur sich völlig ein- !
gewöhnen, sondern in den letzteren auch durchaus lebensfähig und
des Fortschritts fähig sein konnten; sie würden am Ende so, als
ob sie von Anbeginn an Eingeborene des Landes gewesen seien.
In der Geschichte finden alle diese, im großen Publikum noch j
jetzt mehr oder weniger landläufigen, Annahmen gar keine oder !
doch nur eine sehr bedingte Bestätigung; sie sind lediglich
Theorien, für welche Beweis und Bestätigung fehlen, wurden
aber unbesehen geglaubt, weil sie vortrefflich zu den bekannten
theologischen Hypothesen paßten. Man ging in unbewiesenen An-
nahmen noch weiter, und behauptete, die verschiedenen Thierspecies
seien Hybrida, Geschöpfe, welche ans der Vermischung einiger
weniger Urarten entstanden seien.
Die Erfahrung und die unbefangene Forschung giebt dagegen
Folgendes an die Hand:
Zwischen den verschiedenen großen Menschenrassen herrscht
eine innere, gegenseitige Abneigung; sie sind einander antagonistisch.
Die Natur mag und will keine Bastardschlüge verewigen.
Der Mensch kann sich nicht in all' und jedem Klima einbürgern,
’ fortpflanzen und in demselben kräftig gedeihen.
Ein wirkliches Eingewöhnen findet nur bedingt und unter großen
Einschränkungen statt.
lieber diese Akklimatisirnngsfrage hat der englische Natur-
forscher R. Knox eingehende Untersuchungen angestellt. Er sagt,
wenn Menschen ihre Urheimat verlassen und nach einem andern
Kontinent in eine ganz verschiedene Zone wandern, dann sind
sie dort gleichsam Treibhauspflanzen und sterben mit der
Zeit aus. Entweder gehen sie, wenn sie z. B. als Eroberer kommen
und in dem neuen Lande die Minderzahl der Volksmenge bilden,
in den Bewohnern, welche sie vorfanden, ganz auf, wie z. B. die
Gothen, die Vandalen in Afrika re.; oder sie arten ans, sobald sie
nicht unablässig frischen Zuwachs aus der eigentlichen Heimat be-
kommen, und verlieren an kräftiger Lebensfähigkeit, an Produktivität.
Dafür liefern z. B. die Kreolen im tropischen Amerika, die Portugiesen
in Afrika, überhaupt die Europäer in heißen Ländern, den Beweis.
Um das Richtige zu finden, muß mau, wenn es sich um
physiologische und zoologische Theorien handelt, eine bestimmte
Species genau beobachten und die Beweise nicht auf Analogien
stützen wollen, die man von anderen Species herholt.
Ein vorurtheilsfrei forschender Mann, so äußert Knox weiter,
der einen tiefen Blick in das Getriebe des Völkerlebens während
der letzten zwanzig Jahre wirft, wird einräumen müssen, daß unter
dem Wortschwall über nationale Interessen und dynastische An-
sprüche die Rassenfrage liegt, und durch diese wird ohne
allen Zweifel, über kurz oder lang, die ganze Welt
eine völlige Umgestaltung erfahren. Alle großen Be-
wegungen im heutigen Amerika lassen sich auf den Rassenkampf
zurücksühren, der ihre wesentliche Quelle bildet. Und so überall.
Ethnologische Beiträge.
379
in Skandinavien, in den germanischen Ländern, in den slawischen
Gegenden, in der Türkei, in Indien, in China. Der Antagonismus
von Nasse zn Rasse, dieser geheimnißvolle aber nnvertilgbare
Widerstreit, ist thätiger als je znvor.
Humboldt schrieb 1808 in seinem berühmten Buch über Neu-
spanien, man könne Mexiko nicht zu den tropischen Ländern rech-
nen, weil dort die Mitteltemperatur der großen Ebenen zwischen den
Wendekreisen in einer Höhe von 984 Fuß über dem Meere, 77 OF.
(also 172/o C.) nicht übersteige, also nur um 14 oder 15 o F. höher
sei als die mittlere Jahrestemperatur von Neapel. Man könne, mit
dem Thermometer in der Hand, ans einem Raume von nur wenigen
Geviertmeilen sich eine beliebige Temperatur auswählen, von
der trockenen Hitze Algeriens bis zum eisigen Lappland. Am
Abhange der Cordilleren giebt es Regionen mit ewigem Frühling,
wo der Temperatnrwechsel überhaupt nur 4 bis 5" C. beträgt. In
der Hauptstadt Mexiko fällt der hnnderttheilige Thermometer manch-
mal bis unter den Gefrierpunkt. Wenn in einem solchen Klima
Europäer nicht gedeihen, wo sollen sie dann es können? Das mexi-
kanische Tafelland hat im Allgemeinen eine Mitteltemperatur wie
Rom, und man findet in Mexiko Alles, was der Mensch sich nur
wünschen kann. Humboldt meinte, vaß die Zunahme der Be-
völkerung in Mexiko und in Nordamerika eine Folge des-an-
wachsenden innern Gedeihens sei, aber seine Schlußfolge-
rungen waren irrig. Er prophezeite für Mexiko eine glänzende
Zukunft. Er ließ die Vergangenheit und die Naturgeschichte des
Menschen außer Acht, ihm entgingen alle moralischen und physischen
Umstände, von welchen die Zukunft, das Leben der Völker geregelt
wird; er sah in Verpflanzung der Menschen aus einem Kontinente
nach einem andern kein Hinderniß und keinen Nachtheil. Er war
ein politischer Oekonom geworden, ein Schüler von Adam Smith,
ein Kollege jener Mathematiker und Statistiker, welche bei ihren
Berechnungen die Natur außer Acht lassen. Zn seiner Zeit
bestand die Bevölkerung von Mexiko aus 1) in Europa Geborenen;
2) spanischen Kreolen, d. h. Abkömmlingen von Europäern, im
Lande geboren; 3) Mestizen, also Mischlingen von Weißen und
Indianern; 4) Mulatten, d. h. Mischlingen von Weißen und
Schwarzen; 5) Zambos, Mischlingen von Indianern und Negern.
6) braunen Indianern; 7) Negern. Dazu find während der letzt-
verflossenen Jahrzehnte noch Malayen und Chinesen, wiewohl in
geringer Anzahl, gekommen.
Mit einer Bevölkerung von so buntscheckigem Wesen glaubten
Canning, Guizot und andere hochweise Staatsmänner etwas
Gedeihliches schaffen zu können! Ein englischer Premierminister
kann allerdings wunderbare Dinge verrichten, Könige machen,
Königreiche dekretiren, aber er kann keine Rasse machen!
So lange Spanien Menschen nach Mexiko schicken konnte,
behauptete es die Herrschaft und hielt die ethnischen Gegensätze
nieder; aber durch den Menschenabzug nach Amerika erschöpfte
Spanien sich völlig. Als in den Cortes zn Madrid die mexikanischen
Angelegenheiten erörtert wurden, wies ein Redner, Herr Pacheco,
nach, daß die Zahl der eigentlichen Spanier in Mexiko auf etwa
8000 zusammengeschmolzen sei. Er war in amtlichem Aufträge
dorthin geschickt worden, um die Bevölkerungsverhältnisse zu be-
obachten, und seine Ansichten laufen darauf hinaus, daß die
Elemente der gegenwärtigen Bevölkerung unfähig seien, etwas
Gedeihliches zu schaffen, daß ein großer Theil dem Untergang
anheimfallen müsse, daß das europäische Element aufhören werde,
sobald es keinen Zuwachs mehr aus der alten Welt bekomme. Die
Mischlinge aller Art müssen auch zu Grunde gehen, falls sie nicht
unablässig aus den reinen Typen frisches Blut erhalten; ein Rück-
schlag zum Indianischen sei gar nicht zu verkennen, der
Indianer aber sei im Wesentlichen heute so geblieben, wie Ferdinand
Cortez ihn gefunden habe.
Pacheco entwarf dann ein Gemälde der durch und durch
zerrütteten Zustände Mexikos, auf das wir hier nicht weiter ein-
gehen. Erhob hervor, daß die Mehrzahl der spanischen Partei
aus Weißen, die antispanische fast durchgängig ans Leuten von ge-
mischtem Blute bestehe. Die Indianer seien im Allgemeinen unter-
würfig und leicht zn regieren. Binnen vierzig Jahren hat
Mexiko nicht weniger als fünf und fünfzig verschiedene
Regierungen gehabt. Auf Jamaika kamen 1787 auf je
100 Einwohner 10 Weiße, 4 Farbige und 86 Neger; jetzt sind von
etwa 400,000 Köpfen nur 13,000 Weiße, 90,000 Mulatten, die
Uebrigen Neger. „Ja, Haiti, Jamaika und Mexiko machen wunder-
bare Fortschritte — nach abwärts in den schwarzen Abgrund hin-
unter, wo alle Civilisation ein Ende hat. Freilich hat jede Rasse
ihre eigenartige Civilisation, aber sie ist auch oft danach!"
Dieselben Bemerkungen finden auch auf Brasilien Anwen-
dung und auf die portugiesischen Besitzungen in Afrika.
Lusitanien schickte sein bestes Blut über See, und das Resultat ist
gleich Null. Man lese nur die Reisebeschreibungen, auch die neuesten,
über Brasilien; die Unwissenheit der sogenannten Brasilianer ist
in vielen Fällen haarsträubend. (— Ein Beispiel Globus III,
S. 190. —)
DenNordamerikanern stelltKnox folgendesPrognostikon:
„Ein ähnliches Schicksal erwartet die sogenannten Angelsachsen in
den Vereinigten Staaten, sobald ihnen die Flut der Einwanderung
ans Europa nicht mehr zuströmt." Den Leuten europäischer Ab-
kunft in Australien und Tasmanien werde es ebenso ergehen.
Die Mongolen waren einst im Besitz eines großen Theils von
Osteuropa, aber wo sind sie nun? Norditalien war keltisch und
Mailand eine gallische Stadt; aber wo sind die cisalpinischen
Gallier geblieben? Wie viel fränkisches Element ist im eigentlichen
Frankreich noch vorhanden, wie viel vandalisches in Nordafrika,
wie viel gothisches in Spanien und Italien? „Allerdings betone
ich, daß es Ausnahmen von diesem Gesetze giebt, und daß
gewisse Völkerstämme eine Verpflanzung vertragen können. Es
geht ihnen wie manchen Pflanzen und Thieren. Weizen gedeiht
auch in Mexiko, unser Rindvieh fast in ganz Amerika. Es mag
Rassen geben, auf welche das Gesetz keine Anwendung findet."
(— Es ist wohlgethan, daß Knox die Klausel hiuzufügt. Die
Verpflanzung allein bedingt gar keine Ausartung,
wohl aber wird sie durch große Gegensätze im Klima herbeigeführt.
Der Neger aus dem tropischen Afrika verkümmert in nördlichen
Ländern und ist gleich seinem Landsmanne, dem Affen, in kalten
Regionen der Schwindsucht unterworfen. Die Portugiesen gehen
zn Grund in Angola und Benguela wie in Mosambik und Jnham-
bane; es giebt kein Beispiel, daß nnvermischte Europäer
es dort bis zur dritten Generation gebracht hätten.
Ihre Kinder kominen dort ebenso wenig auf, wie in den Tiefebenen
Bengalens; selbst in Südchina überleben sie selten das achte oder
neunte Jahr, und man muß sie nach Europa oder ins Hochgebirge
schicken, wenn sie dem Klima nicht zum Opfer fallen sollen. Na-
mentlich wirken heißfenchte Länder erschlaffend auf Körper und
Geist zumal, die Spannkraft geht verloren. Das Gegentheil ist
der Fall, wenn die Wanderung und Verpflanzung innerhalb
eines und desselben großen klimatischen Gürtels, in
nicht zu entgegengesetzten Regionen, stattfindet. Alle
Völker arischen Stammes sind in Europa gediehen, und die Araber-
reichen, überall völlig akklimatisirt, von Jemen bis Marokko und
weit in das trocken-heiße Afrika hinein. Wo eine Rasse sich
von einem Kontinente nach einem andern in annähernd gleiche
Boden - und Lnftverhältnisse verpflanzt, dort kann sie eben so wohl
gedeihen wie in ihrer Heimat. Der Mensch ist kein absoluter Kos-
mopolit, aber er ist biegsam und aneignungsfühig bis zn einem
gewissen Grade. Freilich, am Niger kann kein Eskimo, am
Eiskap kein Neger gedeihen; ein Deutscher paßt nicht für Bengalen
und der Hindu aus Calcutta nicht für Norwegen. — A.)
Knox bemerkt weiter, daß die Beharrlichkeit, die „Persistenz"
einer Rasse als Beweis für Besonderheit der Species angeführt
werde, und zwar mit Recht. Er beruft sich auf die ägyptischen
Denkmäler, auf denen die verschiedenen Rassen genau so dargestellt
48 *
380
Jagderinnerungen aus Brasilien.
sind, wie wir noch heute sie finden; auch sei der uralte Antagonismus
der verschiedenen Nassen in unseren Tagen noch ebenso stark wie im
hohen Alterthum. „Ich möchte die Leute, welche so viel von Aus-
wanderung und Kolonisirung reden, von Bevölkerung der ganzen
Erde mit Angelsachsen, von Umwandelung des Indianers in einen
Angelsachsen, Spanier, in einen civilisirten Mann und guten
Christen, — ich möchte sie auf die Resultate Hinweisen, welche die
spanische Kommission in Mexiko gewonnen hat. Das Jndianer-
thum und die Bastarde haben die Oberhand; ein Vollblut-
indianer, Juarez, ist Präsident." Knox hätte hinzufügen können,
daß in den meisten übrigen Kreolenrepubliken Mischlinge oder
Vollblutindianer an der Spitze stehen, in Guatemala, seit 1839,
der braune Viehtreiber Carrera.
Knox stellt auch, wie wir schon sagten, den Nordamerikaneru
kein gutes Prognostikon; er spricht ferner über die „Kelten" in
Canada, nämlich über die französischen Ansiedler am St. Lorenz.
„Klima, Regierung und äußere Umstände verändern
die Rassenanlage nicht. Es kann sein, daß diese von
jenen berührt und im Verlaufe der Zeit durch sie zerstört
wird, aber sie können nimmermehr eine neue Rasse
schaffen. Binnen einem halben Jahrhundert sind die Träume
Humboldt's, Canning's und Guizot's zu Schanden geworden; die
Natur behauptet ihr Recht. Der Indianer ist noch nicht
völlig verschwunden, aber er ist auch nicht civilisirt; drei-
hundert Jahre hat man an ihm herumcivilisirt, erzogen, getauft,
und er ist im Wesentlichen derselbe geblieben, der er war. So
geht es auch in Neuseeland und mit Australien." Hier wird der
demokratische, skeptische Angelsachse seine geliebte Verfassung ein-
führen, er wird ein Native-Australier, ein Know-Nothing, ein
ächter Australier ein Demokrat werden, und die abgestandene
anglikanische Kirche aufrichten, und sie verehren wie Kinder ihre
Puppen. Aber schon jetzt artet die Rasse in Australien aus, und
es fragt sich, was nach dreihundert Jahren von ihr übrig fein
wird."
Die Schlußfolgerungen, zu welchen Knox gelangt ist,
sind folgende:
Die verschiedenen großen Menschenspecies bilden eine große
natürliche Familie.
Jede Art oder Rasse hat einen höhern oder geringern Grad
von Antagonismus den anderen gegenüber.
Wo Vermischung stattfindet, lös't dieselbe sich wieder in ihre
Urelemente ans. (— Genauer ausgedrückt soll das heißen: Misch-
linge, Hybriditäten will die Natur nicht in der Art fortpflanzen,
daß sie Typen werden könnten; sie dauern nicht, können sich aus
sich selber nicht ergänzen und gehen zu Grunde, falls sie nicht un-
ablässig Blutzuwachs aus reinen Typen erhalten. —)
Mit den theologischen Systemen, welche den Ursprung des
Menschen erklären wollen, kann ein Mann der Wissenschaft sich
gar nicht befassen. Unglücklicherweise enthalten einige dieser
Systeme auch eine Kosmogonie und eine Zeitrechnung, welche ganz
und gar der Wissenschaft widerspricht und mit der Geschichte nicht
übereinstimmt. *)
*) Wir haben jetzt nahe an achtzig verschiedene Systeme oder
Theorien über die sogenannte Weltschöpfung, und alle weichen
mehr oder weniger von einander ab. Unter solchen Umständen wird es
doch wohl erlaubt sein, die Meinung auszusprechen, daß wir darüber gar
nichts wissen. Hegel zog sich gegenüber diesen wüsten und wirren Kos-
mogonien und theologischen Phantasien und Mythologien dadurch aus der
Affaire, daß er die gar nicht so unverständige Behauptung vorbrachte: „Es
hat gar keine Weltschöpfung gegeben." A.
Jagderinnerungen aus Brasilien.
Während einer vierzehntägigen Jagdpartie, die ich mit einigen
Freunden in die Urwälder des Gebirges der Provinz Rio Grande
im Anfänge des Januars 1862 machte, hatten wir Gelegenheit,
neben vielen anderen Thieren, einige Exemplare der drei interessan-
testen vierfüßigen Bewohner des Rio-Grandenser Urwaldes in
ihrer Lebensweise zu beobachten und zn tödten.
Die A n t a wird von fast allen indianischen Stämmen Brasiliens
als Tapira bezeichnet. Dieser Tapir ist der größte unter den
Vierfüßlern von Südamerika. Man findet ihn fast in allen
unseren Wäldern. Er hat manches Aehnliche mit dem Schweine,
nicht nur in der Gestalt, sondern auch im Wesen. Sein Körper
ist für die Größe zu dick und zn gedrungen. Die Anta ist
selten kleiner als ein dreijähriges Kalb; ihr Fell, ans dem Rücken
aschgrau und am Leib in's Weißliche spielend, ist von kurzem
und wenigem Haar bedeckt. Der Kops ist groß und länglich, die
Augen sind klein und befinden sich in großer Entfernung vom Maul
und von den Ohren, die groß, gerundet und von einer weißlichen
Kante umgeben sind. Das Maul zählt 8 Schneidezähne in jeder
Kinnlade, und 10 Backzähne in der untern und 14 in der obern.
Die Oberlippe ist ein muskulöser Appendix, den das Thier etwa
5 Zoll weiter ausschwenkt als die Unterlippe, und den es einziehen
und mit ihr gleichmachen kann. Diese Art Rüssel hört in runder
Form auf und hier sind die Nasenlöcher, wie am Rüssel des Ele-
phanten, mit dem die Nase der Anta viel Aehnlichkeit hat, denn
das Thier bedient sich derselben ungefähr auf dieselbe Weise, nur
mit dem Unterschiede, daß sie nicht so empfindlich und delikat wie
der Rüssel ist; trotzdem aber nimmt die Anta mit derselben Alles,
was man ihr giebt. Ihre Beine sind dick und kurz; die Hinterfüße
haben drei Nägel, die Vorderfüße vier, von denen drei (der mittelste
ist am längsten) sich vorn befinden und der vierte nach innen zu.
Der Schwanz der Anta ist kurz und von dreieckiger Form.
Die Anta lebt einsam und flieht die Gesellschaft ihres Gleichen;
sie sucht die Tiefe der Wälder und meidet die Nachbarschaft be-
wohnter Oerter; weidet, ähnlich wie die Pferde und ernährt sich von
Kräutern und Früchten; aber die, welche jung eingefangen und
von Menschen im Hause ausgezogen wurden, fraßen auch vielerlei
Anderes. Trotz des schweren Körpers läuft das Thier mit un-
glaublicher Schnelligkeit; seine Art zu gehen ist ein harter Trab,
wie der des Schweines, und wenn es verfolgt wird, galoppirt es,
wenn auch schwerfällig.
Furchtsam und gutmüthig, wie die Anta ist, kann sie leicht
gezähmt werden, thut Niemandem, nicht einmal dem Hunde,
Schaden, und nur im Falle der Verfolgung, wenn sie, schon er-
müdet, nicht mehr fliehen kann, setzt sie sich zur Wehre, wobei sie,
auf den Hinterpfoten sitzend, mit den Vorderpfoten die angreifenden
Hunde niederschlägt. Sie schwimmt und taucht gut und geht lange
Zeit auf dem Grund unter dem Wasser hin, ohne Athem zu holen.
Sie zieht Orte vor, wo es Sümpfe und Wasserpfuhle giebt. Da-
durch sind einige Naturforscher zu dem Jrrthume verleitet worden,
die Anta als eine Art von Amphibie zn bezeichnen. Den größten
Theil des Tages bringt sie liegend zu, schlafend oder nur ausruhend,
und beginnt gewöhnlich ihre Streifzüge erst des Nachts. Ihr
Fleisch ist geschmackvoll und sehr gesucht. Das Fell ist von außer-
ordentlicher Dicke und Stärke, und ist besser zu gerben, wenn es
von einem magern Thiere kommt. Die weibliche Anta ist größer
als die männliche und erreicht oft die Größe einer Kuh; in der
Farbe ist sie auch verschieden, denn das Grau ihres Felles spielt
in's Röthliche.
Jagderinnerungen ans Brasilien.
381
Mit fünf Mann tödteten wir in sieben Tagen, die wir im
hohen Urwald zubrachten, 5 weibliche und 2 männliche Antas.
Sie werden mit der Kugel geschossen, und diese muß in's Auge
oder in's Ohr treffen, sonst dringt sie nicht durch die Haut.
Tamanduá bandeira, der große Ameisenbär. Wir
zählen zwei Arten von Tamandúas in den brasilianischen Wäldern:
den kleinen Tamanduá und den Tamanduá bandeira. Dieser letzte
ist der größte und schönste von der ganzen Familie, von der Größe
eines Mittlern Schweines, sein Fell von dunkel aschfarbigen, harten
und dichten Haaren besetzt, die auf dem Kopfe kurz sind und je
näher dem Schwänze desto länger werden. Er hat einen schwarzen
Streifen auf jeder Seite des Körpers; die Ohren sind gerundet
und ungemein klein; die Schnauze ist länglich und spitz und
beinahe wie die des Hammels; das Maul ist klein und sowohl oben
wie unten zahnlos; die Zunge dagegen sehr lang, schmal, von
Cylinderform und elastisch; sie legt sich im Maule zusammen und
ist von einer klebrigen Feuchtigkeit bedeckt; das Thier hat kleine und
tiefliegende Augen, langen und langbehaarten Schwanz, der am ,
Ende spitz ausläuft und von spannenlangen Haaren bedeckt ist, die
eine Art Federbusch bilden; den Schwanz trägt der Tamanduá
bandeira nach dem Halse zu übergebogen, wovon sein dtame (Fahnen-
träger) herkommt. Die kurzen und dicken Beine haben 5 Zehen in >
jeder Hinterklaue, von denen jeder einen kurzen und starken Nagel
hat. An den Vorderklauen hat er je vier Zehen, wovon die an der
Seite sehr klein und die in der Mitte nicht groß sind, aber einen
schwarzen Nagel von circa 4 Zoll Länge haben, den der Ameisenbär
immer nach inwendig einbiegt; dadurch wird verhindert, daß die
Nägel sich abschleifen, wenn das Thier auf der Erde geht.
Der Tamanduá lebt einsam, nährt sich nur von Ameisen und
anderen Insekten, und um sie zu bekommen, reißt er mit den
Nägeln ihre Baue auf; sobald er seine Beute sieht, streckt er die
Zunge aus, die er zurückzieht, wenn sie von den Thieren bedeckt ist. j
Er wiederholt diese Bewegung, bis er gefüttert ist, und thut es mit !
solcher Fertigkeit, daß er zum Ausstrecken und Einziehen der Zunge
voller Insekten nur etwa zwei Minuten braucht.
Beim Trinken läuft ihm die Hälfte von dem Wasser wieder !
aus der Nase heraus. Er schwimmt sehr gut und selbst durch
große Flüsse. Sein Gang ist langsam; er läuft so wenig, daß man
ihn ohne große Mühe erreichen kann; außerdem flieht er auch nicht
sehr vor dem Angreifer; wenn er aber gereizt wird, setzt er sich
selbst gegen den Menschen zur Wehre. Um ihn zu tobten, ist es hin-
reichend, ihn mit einen: starken Stock über die Schnauze zu hauen.
Wenn er angegriffen wird, so legt er sich ans den Rücken, öffnet
die Beine, erwartet den Feind, und wenn dieser herankommt, um-
armt er ihn, wirft ihn nieder und läßt ihn nicht los, bis man ihm
die Beinsehnen durchgehauen hat.
Er ist das einzige Thier unserer Wälder, welchem die
Unze nichts anzuhaben vermag. Oft hat man todte Unzen gefunden,
die der Tamanduá noch fest umschlungen hielt. Er schläft viel und
hält viele Tage ohne irgend welche Nahrung aus. Beim Schlafe
liegt er auf der Seite, steckt den Kopf zwischen die Vorderfüße, ver-
einigt diese mit den Hinterfüßen und bedeckt den Körper mit dem
Schwänze. Sein Fleisch ist von schlechtem Geschmacke, wird aber
von den brasilianischen Aerzten in gewissen Krankheiten empfohlen.
Ich tödtete einen Tamanduá mit einem Schüsse Schrot vor
den Kopf, und die uns bedienenden Schwarzen schlugen einen andern
sehr großen mit Knüppeln todt.
Onya oder Jaguar, Unze. Die Unze oder der Jaguar ist
jedenfalls das wildeste und blutgierigste der Raubthiere Brasiliens,
der König unserer Wildnisse.
Gleich allen Thieren, die zur Katzengattung gehören, besitzt
auch sie alle charakteristischen Abzeichen derselben: gerundeten Kopf
und Schnauze, kurze Kinnladen mit 6 Schueidezähuen in jeder,
2 starke Hauer und 4 Backzähne aus jeder Seite; fünf Zehen an
den Vorderfüßen und 4 an den Hinterfüßen, mit großen, starken
Krallen, die sie im Raume zwischen den Zehen verbirgt.
Die Unze ist eine wilde Katze von bedeutender Größe und
furchtbarem Anblick; die größte, welche ich hier in Brasilien gesehen
habe, hatte 6 Fuß Länge vom Kopfe bis zum Anfänge des
Schwanzes, und 3 Fuß Höhe. Der Schwanz war 24 Zoll lang.
Man unterscheidet fünf verschiedene Arten von Unzen: die
s ch w a rze, die entweder ganz schwarz ist oder schwarze kleine Flecken
auf röthlichem Grunde hat; diese Art wird Tiger genannt (d. h.
von den Brasilianern). Die zweite Art ist g esprenkelt, mit großen
gelben Flecken von runder Form mit schwarzem Rande, auf beiden
Seiten des Körpers symmetrisch geordnet; diese besonders werden
mit dem Namen Unze bezeichnet. Die dritte Art hat kleine und
viele Flecke und einen Haarbüschel am Schwänze; diese nennt
mau Canguyü; eine vierte Art, die röthlich ist, nennt man
Suyuarannas, und endlich die fünfte Art, die klein ist und nicht
über die Größe einer wilden Katze hinanskommt, und deren Farbe
auch in's Röthliche spielt, nennt man Maracajees.
Die Unze lebt in den Höhlen der Berge und in hohlen Bäumen
im tiefsten Walde; sie ernährt sich von Fleisch und Blut und lebt
in fortwährendem Kriege mit allen Thieren, von denen sie gefürchtet
ist. Sie geht schnell und schleichend, macht große Sprünge und
klettert mit Leichtigkeit auf Bäume. Ihr Gebrüll, welches selbst den
Menschen mit Grauen erfüllt, hört man eine halbe Meile weit.
Die Unze, mit einer ungemeinen Kraft ausgerüstet, schleppt
i ihre Beute, und möge dieselbe noch so groß sein, nach einem Orte,
der ihr zusagt. Die Art und Weise, wie dieses Thier seine Beute
fängt, ist dieselbe, welche die Katze den Ratten gegenüber anwendet.
Sie wartet im Hinterhalt, oder schleicht hervor, ohne gesehen zu
sein, springt auf den Rücken der Beute, schlägt die Zähne in's
Genick, ergreift mit einer der Vordertatzen den Hals, mit einer
andern die Schnauze des Thieres, und tödtet es mit großer Leich-
tigkeit, indem sie ihm den Hals umdreht. Manchmal trinkt sie nur
das Blut, andere Male frißt sie etwas Fleisch, läßt den Rest liegen,
kommt an: nächsten Tage wieder, und nachdem sie ringsherum
alles geprüft hat, nähert sie sich dem Aase und fährt fort sich zu
sättigen. Bei dieser Gelegenheit pflegt der Jäger ihr aufzulauern.
Höchst interessant ist die Art und Weise, auf welche sich ver-
schiedene Thiere gegen die Unze vertheidigen. Das Rindvieh
z. B., welches vom Jaguar angegriffen wird, bildet einen Kreis,
läßt alle Kälber in der Mitte und erwartet, mit den Köpfen nach
außen, festen Fußes den Angriff. Die jungen Ochsen und Kühe
(dreijährige) gehören nicht zur Bildung dieser Mauer; siebleiben
draußen und umschwärmen fortwährend den Kreis, wobei sie ihre
Hörner an der Erde reiben und schleifen, als ob sie den Angreifer
provociren wollten. Dieser nimmt gar keinen Anstand sie anzugreifen;
die jungen Stiere kämpfen mit Heldenmuth, fallen jedoch gewöhnlich
ihrem blutgierigen Verfolger zur Beute. Manchmal geschieht es
aber auch, daß der heldenmüthige Stier in den Kuhzwinger (Corral)
zurückkehrt und die Unze auf die Hörner gespießt trägt. Der
Kopf dieser Unze wird sodann an die Thür des Zwingers genagelt,
als Zeichen des errungenen Sieges, und der Stier bleibt für sein
ganzes Leben privilegirt.
Wir schossen eine schwarze Unze, zwei gelbe, großgesprenkelte
Jaguars und eine von der Art Canguya.
Rio Grande, 27. Januar 1863.
Karl von Koseritz.
382
Mosaik aus dem Aankeelande.
Mosaik aus dem Hankeelande.
ii.
Gefahren für die Republik. — Verlangen nach einem Wohlfahrtsausschüsse. — Volksversammlungen. — Protest gegen den Despotismus.
Wir fahren fort, bunte Bilder aus dem Jankeelande zusammen- ,
zustellen. Der Neu-Aork Herald schrieb im Mai, in Hinblick auf
die Verwirrung im ganzen Lande, daß der Himmel für die Ameri-
kaner gewiß keine Wunder thun werde, Folgendes:
„Die amerikanische Regierung ist lediglich eine Modifikation
früherer Negierungsformen, ein repräsentativer Bund von Re-
publiken, welche durch die Verfassung zu einer unauflöslichen Union
werden sollte. Aber ihre Gründer selbst erklärten, daß sie nur ein
Versuch sei, und daß ihre Fortdauer davon abhänge, ob das
Volk in allen Theilen Verstand und Mäßigung bewahre.
Allem Anschein nach sind aber die Tage unserer Republik schon
gezählt, die Katastrophe ist unabwendbar, außer wenn ein ehr-
geiziger General nicht auftritt, und wenn wir nicht mit der
allzuhänfig wiederkehrenden Präsidentenwahl eine Aenderung treffen.
Dann mag es wohl sein, daß anders geartete Männer, als die jetzt
am Ruder befindlichen, die Zügel der Regierung in die Hand nehmen,
und daß der jetzt in äußerster Gefahr schwebenden Republik noch
eine neue Lebensfrist vergönnt bleibt! Wenn wir in der That un-
fähig sind, uns selber zu regieren, daun werden die Ereignisse bald
einen Despoten obenauf bringen, der uns mit eiserner Ruthe regiert.
Es ist noch nicht lange her, daß wir in dem bedeutendsten süddeutschen
Blatte, in einer Korrespondenz aus Neu-Aork, lasen: „Nur noch
ein Mittel kann die Republik retten: gewaltsamer Sturz der
Bundesregierung durch einen Wohlfahrtsausschuß und Ein-
führung eines Schreckensregiments gegen die Rebellen-
genossen (— die konservativen Natioualdemokrateu sind gemeint —)
im Norden. Aber um sich zu solchen Maßregeln zu entschließen,
dazu ist das amerikanische Volk zu germanisch-gesetzliebend.
Lieber wird es sich au seinem Legalitätszopfe den Hals zuschnüren,
klöksut sibi!“
So schrieb Hermann Raster, ein Stellenjäger der republika-
nischen Partei und Schildknappe des „schwarzen Jakobiners",
Horace Greeley, der Augsburger Allgem. Zeitung (Nr. 55).
Nun, den Wohlfahrtsausschuß hat der Aankee-Norden aller-
dings nicht in französisch-jakobinischer Gestalt bekommen, wohl
aber in Form einer Diktatur, unter deren Druck er stöhnt, und
welchen: er sich doch nicht mehr entziehen kann. Und wer übt diese
Diktatur? Eine Regierung, die aus den Häuptern der republika-
nischen Exterminatorenpartei besteht und welche Herr Raster, ein
Anhänger der Partei, selber in folgender Weise charakterisirt: „Eine
solche Unsumme von geistiger und sittlicher Impotenz, von Halbheit,
Unentschlossenheit, Kurzsichtigkeit und verrätherischer Gesinnung,
wie sie in dieser unglückseligen Bundesregierung gefunden wird,
kann und muß auch die ungeheuersten Opfer und Mühen eines
großen Volkes zu nichte machen." Sie ist diesem Schwarzradikalen
also noch nicht exterminatorisch genug! Und doch, wie verfährt sie?
Die Thatsachen mögen reden. Wir accentuiren hier nicht, daß sie
Alles, was Recht, Freiheit und Verfassung heißt, täglich mit Füßen
tritt, daß sie, wie ein Neu-Uorker Blatt ihr in's Gesicht sagt, aus
„einer Horde von Gaunern und Dieben" bestehe. Wir wollen näch-
stens hervorheben, wie diese Herrscher und ihre Leute den Krieg führen.'
Bon Freiheit kann längst keine Rede mehr sein. Volks-
versammlung en stehen fast überall unter Controle der Sol-
dateska. In den letzten Tagen des Maimonats hielten die
Demokraten zu Newark im Staate Neu-Jersey eine Ver-
sammlung. Sofort rückten Soldaten ans mit aufgepslanztem
Bayonnet. Als Leute vom Lande mit einer Fahne hereinkamen,
auf welcher der von einem Lorberkranz umgebene Name Vallan-
digham stand (— des von Lincoln verbannten Demokraten aus
Ohio —) rückten sie vor und ein Blutvergießen stand in Aussicht.
Zur rechten Zeit trat der Scheriff des County vor und erklärte, daß
er sofort die Miliz aufrufen werde, wenn der Kommandant seine
Befugnisse überschreite und sich in bürgerliche Angelegenheiten
mische.
In Philadelphia, wo 40,000 Demokraten eine Volksver-
sammlung hielten, um gegen die „tyrannische Willkür" der Wash-
ingtoner Regierung Protest einzulegen, waren die Soldaten mit
Lebensmitteln auf 24 Stunden und mit 60 scharfen Patronen ver-
sehen. Die Führer und Hauptredner der Versammlung und Viele
aus der Menge waren bis an die Zähne bewaffnet und entschlossen,
jeder Gewalt sich zu widersetzen. Da die Versammlung so ungemein
zahlreich war, blieben die Soldaten fort und Alles verlief ruhig.
In dieser Massenversammlung zu Philadelphia wurden fol-
gende Beschlüsse gefaßt, welche einen Einblick in die despotische
Wirthschaft des Jankeelandes gewähren.
„Das Volk der Vereinigten Staaten ist schwer gekränkt, die
Gesetze des Landes und die Grundsätze menschlicher Freiheit sind
unter die Füße getreten worden. Clement L. Vallandigham, ein
Bürger von Ohio, ist von Soldaten verhaftet, von Soldaten
gerichtet und dann verbannt worden, wegen einiger Worte, die er
in einer öffentlichen Versammlung gesprochen. Das Alles ist ge-
schehen unter Verletzung der Rechte, welche jedem Bürger in einem
freien Lande znstehen, mit keckem, frevelhaftem Trotze, der Bundes-
verfassung zuwider, welche ausdrücklich besagt, daß jeder Angeklagte
vor ein Geschworenengericht gestellt werden solle. Sie besagt ferner-
ausdrücklich, daß niemals ein Gesetz gegeben werden dürfe, durch
welches die Redefreiheit Beeinträchtigung erfährt; sie besagt weiter,
daß Person, Haus und Schriften unverletzlich seien. —
Die Maßregeln der Regierung sollen und müssen der freiesten
Erörterung anheimgegeben werden, denn wenn eine Erörterung
nicht frei ist, dann ist sie gar keine. Wenn der Mensch den
Mund nur öffnen darf, um die Gewalthaber zu preisen
und ihnen zu schmeicheln, und wenn der Mund geschlossen
wird, wenn die Gewalthaber Anstoß an den Worten nehmen,
dann ist die Erörterung nur eine hohle Redensart und die Freiheit
lediglich ein Schatten."
Weiter heißt es: daß man der ärgsten Knechtschaft ver-
fallen sei. Aber das Volk sei entschlossen, die persönliche Frei-
heit und die Rechte der Einzelstaaten gegen die Usurpationen der
Bundesregierung zu vertheidigen, und wolle Hand an's Werk
legen, um die Union wieder aufzubauen. Es sei offenbar die Ab-
sicht der Washingtoner Gewalthaber, einen Aufstand des Volks
zu provociren, um einen Vorwand zu noch ärgeren Eingriffen in
die Freiheit zu finden und die Wahlfreiheit zu beeinträchtigen.
Man sieht, wie weit es in der Union schon gekommen ist,
wenn solche Nothrufe und Stoßseufzer erhoben werden.
Kleine Nachrichten.
Sü d a m er ik an i sch e s. Wir verdanken Herren Karl von Ko-
seritz in Rio Grande do Sul folgende Notizen:
Statistik der Salzfleischfabrikatiou in den La Plata-Staaten.
Wie allgemein bekannt, ist die Fabrikation des getrockneten Salz-
fieisches (carne secca), beim großen Viehreichthum der La Plata-
staaten, die Hauptindustrie derselben. Folgende statistische Angaben,
die dem amtlichen Berichte des brasilianischen Generalkonsuls
in Montevideo an seine Regierung entnommen sind, geben
eine Idee von der großen Anzahl Vieh, die alljährlich in den dortigen
Saladeros (so heißen die Salzfleischfabriken) geschlachtet
werden. Vom Januar bis Ende März des laufenden Jahres (1863)
wurden in den Saladeros der Republik Uruguay 400,000 Stück
Kleine Nachrichten.
383
Rindvieh geschlachtet; in denen von Buenos-Ayres und
Enter-Rios 230,000 Stück, welche zusammen 945,000 Centner
Salzfleisch lieferten, welches nach den Häfen des Kaiserreichs
Brasilien und nach Havana exportirt wurde.
Auswanderung nach Brasilien. In der Provinz Rio Grande
do Sul des Kaiserreichs Brasilien kamen im letzten Semester des
voriges Jahres (1862) 94 Familien deutscher Auswanderer,
zusammen 563 Köpfe, an. Von denselben waren 364 Katholiken
und 199 Protestanten.
Schifffahrt. In dem Hafen der Stadt Rio Grande (bras.
Provinz S. Pedro do Rio Grande do Sul) liefen im Semester
vom Juli bis Ende December des Jahres 1862 288 überseeische
Schiffe ein, von denen 182 unter brasilianischer und 106 unter
fremder Flagge fuhren; von dort liefen 196 Schiffe aus, von denen
106 brasilianische und 90 fremde waren.
Der Talgbanm in der brasilianischen Provinz Cears. Unter
den vielen botanischen Reichthümern, die Bonpland's Blick vor-
zugsweise auf Brasilien geheftet haben, sind manche, die von der
Wissenschaft noch nicht klassifizirt und von der Industrie noch nicht
ausgebeutet sind.
In diesem Jahre hat man in der genannten Provinz einen
neuen, sehr nützlichen Pflanzenstoff entdeckt, dessen Beschreibung
wir dem amtlichen Berichte des Präsidenten der Provinz Cearll ent-
nehmen: „Ich habe die Beschreibung eines Baumes erhalten,
welcher an den Abhängen des Gebirges von Jbiapaba, im Distrikte
von Villa Viyosa, wild wächst, und ans dem man eine dem Rinder-
talg ähnliche und ebenso nutzbare Substanz zieht. Dieser Baum,
den die Einwohner jener Gegend gewöhnlich Talgbanm nennen,
hat einen Stamm mit pyramidenartiger Form, seine Blätterkrone
ist nicht groß, und im Zustande der höchsten Entwickelung erreicht
er eine Höhe von 70 Fuß, mit einem Stamme von 10 Fuß Dicke.
Das Holz, seiner Konsistenz und seines geringen Gewichts halber,
würde sehr gut zur Verfertigung von Schiffsmasten dienen, deren
Form der Baum hat. Er beginnt zu blühen in der trockenen Jahres-
zeit und im Januar und Februar bedeckt er sich mit kleinen Früchten.
Sobald diese reif sind, öffnet sich die Kapsel und läßt eine Art von
Kern zum Vorschein kommen, aus dem man den vegetabilischen
Talg gewinnt. Das Verfahren zu der Gewinnung des Talgs ist
höchst einfach. Man zerstößt die Kerne, und die dadurch gewonnene
Masse läßt man im Wasser einige Zeit sieden. Nachdem man
dasselbe hat kalt werden lassen, beginnt die talgartige Substanz
auf der Oberfläche zu schwimmen, und nachdem sie geronnen ist,
bietet sie einen, dem Rindertalg ganz ähnlichen Fettstoff, der sich
vortrefflich zum Brennen eignet. Es ist der Mühe werth, die An-
pflanzung von Talgbäumen zu versuchen, da diese Industrie einst
bedeutend werden kann, wie die des Carnaüba-Wachses bereits
ist." Dieses Caruaüba-Wachs ist eine Substanz, welche, angemessen
verwendet, einen dem Stearin ähnlichen und zum Brennen aus-
gezeichneten Stoff liefert. Die Carnaüba ist in ganz Brasilien
häufig.
Europäische Einflüsse in China. Ein Europäer, der jetzt
Canton besucht, wird überrascht durch ein großartiges Gebäude,
dessen Grundmauern bereits über den Boden emporragen. Es ist
die neue französische Kathedrale, welche genau nach dem
Plane der Notre-Dame-Kirche in Paris errichtet wird. Zwei
französische Architekten und eine große Anzahl französischer Arbeiter
sind fleißig daran beschäftigt, und wenn einst das Werk vollendet
dasteht, wird der Anblick der Stadt Canton jedenfalls ein ganz
anderer werden. Man denke sich zwischen dem einförmigen Meere
von Bambushütten und chinesischen Häusern einen kolossalen gothi-
schen Dom! Ans alledem geht hervor, wie Frankreich festen
Boden in China faßt. In seinen; Gefolge arbeiten Väter von
der Gesellschaft Jesu mit unermüdlichem Eifer und staunenswerther
Ausdauer für die Verbreitung des römisch-katholischen Glaubens.
Der Kampf gegen den großartigen Buddhismus ist kein leichter.
Aber die Jesuiten scheinen sich China zu ihrem besondern Wirkungs-
platz ansersehen zu haben. Sie sind längst bis in die entferntesten
Provinzen vorgedrungen. Kapitän Blakiston fand in Sze-tschuen,
im Westen Chinas, mehrere jesuitische Missionäre, .welche dort
schon seit zwanzig Jahren lebten, ohne in dieser Zeit jemals einen
Europäer gesehen zu haben.
In den ersten Tagen des Monats Juni 1863 hat man zu
Wantschi auch eine protestantisch-chinesische Kapelle er-
öffnet, in der abwechselnd in englischer und chinesischer Sprache
gepredigt wird.
Zunftverfassttllg in Tiflis. Freiherr von Haxthausen erzählt
in seinem trefflichen Werke: Transkaukasia, daß sich unter den
Handwerkern in Tiflis, so wie in den meisten kleinasiatischen Städten,
eine vollkommen geregelte Zunftverfaffung finde, wie sie sich vom
Mittelalter her in Deutschland ausgebildet hat. Allein sie stammt
in Grusten nicht aus Deutschland, sondern an s Persien her und
wurde zur Zeit der Unterjochung Grnsiens durch die Perser vom
persischen Statthalter eingeführt und geregelt. Jedes Handwerk,
selbst die Sackträger oder Tagelöhner, bildet eine Zunft. .Die Vor-
nehmsten sind die Kaufleute (Soldagar), die Eisenwaaren-
händler (Ergoltzacho) und Weinhändler (Duchantschik).
Die russischen und deutschen Kaufleute sind nicht zünftig, dagegen
sind die deutschen Schuhmacher in die grusinisch-armenische
Zunft ausgenommen worden. Nur Meister bilden die Zunft.
Wer nicht zünftig ist und öffentlich arbeiten will, dem nimmt die
Zunft Schild und Handwerkszeug weg. Ein eigentliches Meister-
stück wird nicht verlangt; der Gesell, welcher Meister werden will,
bezahlt 10 Silberrubel in die Handwerkslade und hält die alten
Meister zechfrei. Ebenso müssen die Lehrlinge zahlen, wenn sie
Gesellen werden wollen. Es ist Alles, wie es bei uns war, theil-
weise leider noch ist. Seit die deutschen Schuster in die Tisliser
Zunft eingetreten sind, haben sich dort manche deutsche Gebräuche,
z. B. die offene Lade, verbreitet. Herbergen kennen die dortigen
Zünfte nicht, dagegen ist den Armeniern und Grusiniern der blau e
Montag bekannt. Es ist der Gerichtstag des Handwerks. Fahnen
und Embleme sind wenigstens bei einigen Zünften gebräuchlich.
Aus Guadeloupe und Martinique. Die Lage dieser fran-
zösischen Antillen ist nicht günstig; manche Pflanzer sind tief ver-
schuldet und klagen über niedrige Zuckerpreise. Mit den Negern
als Arbeitern, oder vielmehr Nicht-Arbeitern, läßt sich nicht viel
; anfangen, und man hat deshalb Kulis ans Indien geholt. Dabei
wurde aber nicht die nöthige Vorsicht beachtet und die Auswahl
ist nicht gut ausgefallen; man ist aber doch froh, daß man überhaupt
Arbeiter hat. Den Negern sind aber diese Indier ein Dorn im Auge.
Im Mai wurde auf Guadeloupe ein Proceß verhandelt, der sehr
bezeichnend ist. Ein Schwarzer von 26 Jahren, John Baptist,
von herkulischer Gestalt, war von der benachbarten englischen Insel
Dominica entflohen, trieb sich ans Guadeloupe als faullenzender
Landstreicher herum und verübte allerlei Unfug. Dafür wurde er
zu seclismonatlicher Zuchthausstrafe vernrtheilt. Als er seine Freiheit
wieder erhalten hatte, lockte er einen arbeitsamen indischen Kuli,
Namens Tingassamin, in ein Bananenfeld und sägte ihm den
Hals ab. Warum? Weil angeblich der Hindu vor etwa drei Jahren
eine Missethat des Negers anderen Leuten erzählt hatte.
Die französische Insel Reunion im Indischen Ocean bekommt
jetzt Arbeiter aus Cochinchina. Die Regierung brachte auf einem
Staatsschiff eine erste Ladung nach Samte Marie ans Madagaskar,
wo aber sofort unter den „freien Auswanderen" Fieber und Dyssen-
terien ansbrachen und viele starben. Die zweite Ladung, 130 Mann,
ist im Maimonat auf Rounion selbst angekommen. Diese anna-
mitischen oder cochinchinesischen Arbeiter sind friedliche Leute, aber
außerordentlich unsauber. Man will dergleichen auch nach den
französischen Antillen bringen.
Uebrigens treiben Franzosen in den indischen Gewässern fort-
während einen verdeckten Sklavenhandel. Sie nehmen z. B. ans
Madagaskar Malischen an Bord, führen dieselben in der
Schiffsliste als Hausdiener ans, zwingen aber auf Reunion diese
getäuschten Leute zur Feldarbeit. Die dortige Regierung hat eine
Verordnung gegen derartige Betrügereien erlassen.
Die Landenge von Tehnantepec in Mexiko. Es versteht sich
von selbst, daß die französische Politik sich für ihren vom Zaune
gebrochenen „Kreuzzng zum Vortheil der Civilisation" in Mexiko
eben so wohl „in uneigennützigster Weise" schadlos halten wird,
wie in Italien und Cochinchina'geschehen ist. Ein Regierungsblatt,
das in der Champagne erscheint, erklärt, daß man jedenfalls ans
längere Zeit hinaus' in Mexiko Truppen stehen lassen werde. Es
sei aber zweckmäßig, daß Frankreich sich die Landenge von Tehuan-
tepec aneigne. Das Land sei fruchtbar und eigne sich für die Anlage
eines interoceanischen Kanals, der hier nur allein, und
nimmermehr auf dem Isthmus von Panama oder in Nicaragua
möglich sei.
Ans Algerien. Die Warnungen, welche vor einiger Zeit
Justus Liebig in Betreff des Raubbaues bei der Land-
wirthschaft erhob, sind in Algier wohl beachtet worden. Ein
verständiger Beobachter, H. Blancho, hebt hervor, daß Alles
was Liebig sagt, nur allzusehr auch ans Algerien Anwendung finde.
Wir geben, spricht er, dem Boden keinen Dünger und gewähren
ihm doch keine Zeit zum Ausruhen und Erhöhten. Der Ansiedler
besät mit einer wahrhaft kläglichen Hartnäckigkeit jahrein jahraus
dasselbe Feld mit demselben Korn, und denkt an keinen Wechsel.
Den schlechten Ertrag legt er nicht sich selber und seiner schlechten
Methode zur Last, sondern alle Schuld wird ans die Sonne ge-
schoben. Die Regierung hat seither ihre Mißgriffe wesentlich
384
Kleine Nachrichten.
zur Verschlechterung beigetragen, hier ein Beispiel. Sie wollte
ui Algerien den Tabaks bau in Aufschwung bringen, vertheilte
Samen und gedruckte Anweisungen und zahlte für den Tabak
ganz unverständig hohe Preise, um solchergestalt dem Anbau eine
„Prämie" zuznwenden. Der Kolonist pflanzte nun ohne jede Unter-
brechung immer und immer wieder auf demselben Felde Tabak,
der ihm theuer bezahlt wurde. Aber die Folge war, daß dieser
algerische Tabak nicht mehr brennen wollte. Trotzdem wurde
das Gedeihen der afrikanischen Täbakskultur von den pariser Blättern
in den Himmel erhoben. Herr Blaucho gesteht offen ein, daß sowohl
im Tabaksban, wie im Getreidebau die Arab er weit verständiger
zu Werke gehen, als die europäischen Ansiedler. Jene, ans welche
man lange so vornehm herab sah, dienen, mit ihrer alten Nontine,
nun als Muster und Lehrmeister.
Wir wollen beiläusig bemerken, daß wir ans Mauritius
und Rö unión ähnliche Klagen über Raubbau und Ausmergelung
des Bodens gelesen haben. Mau pflanzte unablässig Zucker und
nur Zucker; als dann begreiflicherweise die Felder nichts mehr her-
gaben, brachte mau Guano in ganz unverhältnißmäßiger Menge
auf dieselben, und findet jetzt mit Schrecken, daß dieses Düngungs-
mittel, zweckwidrig und überdies noch ausschließlich angewandt,
die Boden arm macht und förmlich versengt.
In Algerien scheint jetzt der Flachsbau in Aufnahme zu
kommen. Die Colonialregierung hat eine verständige Maßregel
getroffen. Fortan verschenkt sie kein Land mehr, läßt aber
Grund und Boden gegen einen mäßigen Kaufpreis ab.
Die Gesammtlänge der deutschen Eisenbahnen erreicht, nach
den statistischen Daten, die beim Kongreß der deutsch-österreichischen
Eisenbahnverwaltungen in Salzburg jüngst vorgelegt wurden, die
überraschend hohe Ziffer von 2497 deutschen Meilen.
Ostlndische Eisenbahnen. Nach den Berichten der Regierungs-
direktion der indischen Eisenbahnen zu Kalkutta sind im Jahre 1862
im Ganzen 747 engl. Meilen neue Eisenbahnen dem Verkehr in
Ostindien eröffnet worden, wozu seit jener Zeit noch weitere 184
engl. Meilen kamen. Die Strecke der befahrenen Eisen-
bahnen im britischen Gebiet Ostindiens beträgt jetzt 2628 engl.
Meilen oder ungefähr 550 deutsche Meilen. Im nächsten Jahre
schon werden die Hauptbaumwolldistricte von Centralindien und
Guzerat in unmittelbarer Verbindung mit Bombay stehen und
Delhi wird in zwei Tagen von Kalkutta aus zu erreichen sein.
Einwohnerzahl von Turin. Nach einer kürzlich veröffentlichten
Statistik batte die Bevölkerung der Stadt Turin ain Ende des
Jahres 1862 eine Stärke von 204,715 Seelen und somit innerhalb
dreier Jahre einen Zuwachs von mehr als 25000 Seelen erhalten.
Gnanovorrath an der peruanischen Küste. Die Regierung
hat im April 1863 die Guanomassen genau untersuchen lassen, und
eine Berechnung ergiebt, daß gegenwärtig noch vorhanden sind:
etwa 1,500,000 Tonnen, je zu 2000Pfund, auf denMocabi-Inseln,
2,500,000 T., auf der Guanape-Gruppe, welche der St. Helena-
spitze gegenüber liegt, und 4,000,000 auf der Lobos-Insel. Der
Gesammtwerth beträgt, nach den gegenwärtigen Preisen berechnet,
230,000,000 Silberpiaster oder 46 Millionen Pfund Sterling.
Austern a la Maori. Hochstetter erzählt von einer eigenthüm-
lichen Zubereitnngsweise der Austern, die er während seines Aufent-
haltes auf der Nord - Insel Neu - Seelands kennen zu lernen Gelegen-
heit hatte. Von einem Ansfluge nach dem Takapuna, Schlackenkegel,
zurückgekommen, sah er bei den Zelten eine aus Lavablöcken gebaute
Schutzmauer und hinter dieser ein lustiges Feuer, über welchem
der Theekessel hing, während seine Maori am Strande Austern
sammelten. Im Zelte fand er ein vortreffliches Mittagsmahl,
wartete jedoch vergeblich auf die Austern. Er ging deshalb selbst
zu den Eingeborenen, die er in voller Thätigkeit traf, die Deckel
loszuschlagen und den Inhalt der Muschel auszuschlürfen. Drei
große, mit den schönsten Austern bedeckte Steine lagen noch auf
den Kohlen. Die Maoris, auf die Steine deutend, meinten: Kapai,
sehr gut; und rollten einen solchen Stein vor ihn bin. Hochstetter
langte zu und fand, daß Austern st la Maori auf Kohlen gebraten
ein vortreffliches Mahl seien. Die Deckel ließen sich leicht abheben
und die in ihrem Safte gebratenen Austern mundeten ausgezeichnet.
Die Deutschen im Banate. Der königl. sächsische Oberforst-
rath von Berg, welcher Ungarn und Siebenbürgen ans eigener
Anschauung kennt, erzählt in seinem Buche: „Aus dem Osten der
österreichischen Monarchie", über unsere Landsleute im Montau-
Distrikte des Banats Folgendes: Die Deutschen finden wir in
allen Bergorten, wo .sie gemeinschaftlich mit den Walachen wohnen,
doch giebt es auch einige, wie z. B. Steierdorf, wo, wenige
Familien ausgenommen, eine rein deutsche Bevölkerung lebt. Die
meisten Deutschen waren Berg- oder Hüttenleute und sind bei der
Aufnahme des Bergbaues aus Obernngarn und den deutschen
Provinzen Oesterreichs eingewandert, theils schon im 15. Jahr-
hundert, theils erst unter Maria Theresia.. In der neuesten Zeit
sind diese Einwanderungen für die Vermehrung der Arbeitskräfte
beim Bergbau von der Eisenbahngesellschaft wieder lebhafter aus-
genommen und man hat vorzugsweise Tschechen ins Land gezogen.
Außerdem aber finden sich durch denvermehrten berg- und hütten-
männischen .Betrieb manche einzelne deutsche Arbeiter angezogen,
und so sieht man Erzgebirger und Harzer, Westfalen und
Schwaben hier vertreten. Auch von den Nachkommen der
früheren Einwanderer werden deutsche Sitten, Gebräuche, Kleidung
und Sprache beibehalten. Solche Annäherungen an die Einge-
borenen, wie man bei den Deutschen in Ungarn gewahrt, findet
man hier nicht. „Ich glaube, es liegt das theils an der klima-
tischen Lage der Bergorte, welche der in Mitteldeutschland mehr
entspricht, wodurch eine Umänderung der Kleidung, wie in den
heißen Ebenen Ungarns, nicht geboten lvar, und in dem Berufe,
welcher die Menschen mehr isolirt. In Steierdorf trat ich eines
Sonnabend Abends in ein Bergmannshaus, das von Nach-
kommen eingewanderter Steiermärker bewohnt war. Die Wohn-
räume waren reinlich gescheuert und geputzt, das Küchengeschirr
blank und der Mann saß bei einem tüchtigen Stück Schweine-
braten. Ich äußerte meine Befriedigung über die Ordnung
und Reinlichkeit im Hause, worauf der Bergmann mit einem
gewissen Stolz und einem Anfluge von Empfindlichkeit, als ob
sich das von selbst verstehe, erwiderte: :,Ja, Herr, wir sind
aber auch Deutsche!" Und ich freute mich, hier noch das
lebhafte Nationalgefühl zu finden."
Die Abkunst der Baiern. Es ist in: Globus zu wiederholten
Malen daraufhingewiesen worden, wie viel Verirrungen in der histo-
rischen Forschung bezüglich der Abkunft mancher Völkerstämme von
den Kelten sich eingeschlichen haben. Auch die Baiern sollten zu Ab-
kömmlingen derselben gemacht werden; fand doch Karl Singert bis in
die letzte Zeithinein in allen oberbairischen Dorfnamen mit staunens-
werther Geduld und Ueberzeugungsstärke keltische Etymologien her-
aus; auch die ras enische Abkunft der Tyroler (und der mit ihnen
zu einem Stamme gehörigen Baiern) tauchte wieder auf. Aber
seit dem Auftreten des Volks der Baiwaren, Baiern, in der Ge-
schichte läßt sich in dessen Verfassung, Sitte und Sprache nur
germanisches Element Nachweisen, ebenso wie in seinen kulturge-
schichtlichen Momenten, durchaus nichts fremdes zu finden ist. Den
bündigen faktischen Beweis von der germanischen Abstammung der
Baiern, lieferte I)r. A. Quitzmann in seinem Werke: „die heid-
nische Religion der Baiwaren". An der Hand all der zahlreichen
Sagen des vom bairischen Stamme bewohnten Landes von der Ober-
pfalz bis zur Etsch, von der Isar bis zum Marchfelde, wird die
Gemeinsamkeit der alten heidnischen Religion desselben mit der
nordisch-germanischen Mythologie überzeugend und unwiderlegbar
nachgewiesen. Ein zweiter Theil des Werkes soll die Rechtsalter-
thümer der Baiwaren enthalten. Hierdurch wird der Beweis ge-
liefert werden, wie neben Franken, Sachsen, Schwaben und Ala-
mannen die Baiern der fünfte Hauptstamm des germanischen
Völkerbundes waren. In der größten Verehrung stand bei den
Baiwaren die Göttin Jsa-Nerthus, die Frau Eysen des
Aventin. Diese ward nur bei den südöstlichen Donausueven, also
den Markomannen und Quaden verehrt. Da nun die Baiern
ihrer Religion nach von diesen abstammen müssen und ihr erstes
historisches Auftreten bald nach dem Verschwinden der Markomannen
und Quaden aus der Geschichte erfolgt, so glaubt sich Quitzmann
berechtigt, das plötzliche Erscheinen der Beiwaren durch Vereinigung
mehrer starker ans ihren Sitzen vertriebener markomannischer und
quadischer Gefolgschaften und ihren Namen durch Bai-waras, das
Volk der beiden Bünde, erklären zu können. Als Süd-Sueven
gehörten die Baiwaren zu den Hermionen und noch jetzt finden
in bairischen Sagen, Orts- und Personennamen zahlreiche Anklänge
an den Stammheros Jrmin, Hirmin, damit stimmt die uralte,
in der Kaiserchronik und im Annolied überlieferte Stammsage
überein, wonach die Baiern ans Armenien kamen, welche sonst
unverständliche Mythe durch Deutung auf das alte Hermionenland,
wo die Väter der Baiwaren, Markomannen und Quaden hausten,
volles Licht erhält.
Herausgegeben von KarlAndree in Dresden. — Für die Redaktion verantwortlich: Herrmann I. Meyer in Hildbnrghausen. —
Verlag des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
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. 1993
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