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P. V. Cathrein, S. J.,
„Auch haben die Sulus keinen Glauben an eine persönliche höchste, alles
beherrschende Vorsehung. Es bestehen zwar Überlieferungen von einem Herrn
oder Häuptling im Himmel. Aber Bischof Callaway kam nach einer sehr sorg
fältigen Untersuchung zum Schluß, daß im Geiste der Eingebornen kaum
ein Begriff der Gottheit, wenn überhaupt einer vorhanden ist, eingehüllt in
ihren Aussagen über einen himmlischen Häuptling. ,Wird (dieser Ausdruck)
auf Gott angewandt, so ist er einfach das Ergebnis des (christlichen) Unterrichts.
Von ihnen selbst wird er nicht als der Schöpfer und auch nicht als der Er
halter der Menschen, sondern als eine Macht angesehen.“'
Damit glaubt Hartland dargetan zu haben, daß die Sulus keinen eigent
lichen Gottesbegriff haben. Aber er hat sich die Sache doch zu leicht gemacht.
Mit ein paar etymologischen Erwägungen läßt sich keineswegs sicher ermitteln,
welchen Sinn ein Volk tatsächlich mit einem Wort verknüpft; die Etymologie
kann uns höchstens darüber Aufschluß geben, welche Bedeutung das Wort ur
sprünglich gehabt haben mag. Die Wörter sind eben willkürliche Zeichen.
Gerade das Beispiel der Sulus zeigt uns in lehrreicher Weise, welche Ver
schiebungen in der Auffassung eines Ausdruckes im Laufe der Zeit Vorkommen
können.
Hartland beruft sich besonders auf Canon Callaway, den späteren
(protestantischen) Bischof von St. John in Natal. Callaway lebte viele Jahre
als Missionär bei den Sulus. Schon im Jahre 1867 gab er eine Sammlung von
Sulu-Märchen und Sagen heraus 1 . Später sammelte er mit großem Fleiß die
religiösen Überlieferungen der Sulus 1 2 . Leider sind beide Werke unvollständig
geblieben, doch enthalten sie, besonders das letztere, sehr viel kostbares Ma
terial und werden stets eine Hauptquelle für das Studium der Sulu-Religion
bleiben, obwohl die eigenen Ausführungen Callaway’s manchmal unklar und
widersprechend sind.
Ein eingehendes Studium dieser beiden Werke und anderer Quellen hat
mich zur Überzeugung geführt, daß seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bei
den Sulus eine völlige Verschiebung in der Auffassung des höchsten Wesens
stattgefunden hat. Ich fasse das Ergebnis meiner Untersuchung in folgende
Sätze zusammen:
I. Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gilt den Sulus Unkiiliinkiilii
als Gott und Schöpfer aller Dinge, doch ist diese Auffassung unklar und mit
mancherlei Widersprüchen behaftet.
II. In früherer Zeit betrachteten die Sulus den Unkulunkulu nur als den
ersten Menschen, den Stammvater aller Menschen.
1 Izinganekwüne Nensumansumane, Nesindaba Zabantu (Nursery Tales, Traditions and
Histories of the Zulus. Natal and London 1867). Es sind nur die ersten zwei Lieferungen er
schienen.
2 The Religious System of the Amazulu. Capetown-London 1870. Callaway bringt zuerst
den Urtext, dann die englische Übersetzung mit zahlreichen Anmerkungen. Bei Abfassung meines
Werkes „Die Einheit des sittlichen Bewußtseins der Menschheit“, 3 Bde., Freiburg 1914, war mir
leider diese Schrift Callaway’s nicht zugänglich gewesen. Das Buch findet sich weder in den
Königl. Bibliotheken zu Berlin und Brüssel, noch in den Universitätsbibliotheken zu Bonn und
Leiden. Erst seither habe ich es durch die Güte der Verwaltung der Königl. Bibliothek zu
München erhalten.