Der Rechtsbruch und sein Ausgleich bei den Eskimo. 771
Der Rechtsbruch und sein Ausgleich bei den
Eskimo.
InauguraUDissertation zur Erlangung der juristischen Doktorwürde.
Vorgelegt der Hohen juristischen Fakultät der Universität, Köln.
Von Herbert König, Gerichtsreferendar a. D.
(Fortsetzung.)
ß) Die Stammesrache.
Aus dem im vorigen Abschnitt Gesagten kann man vor allem das eine
klar ersehen, daß in der Blutrache bei den Eskimo auf beiden Seiten immer
nur einzelne Personen beteiligt sind 1 , es sich mithin nicht um eine Fehde
zwischen ganzen Gruppen handelt 2 . Steinmetz’ Definition der Blutrache
als eines Krieges 3 trifft also hierauf nicht zu und erscheint in ihrer Verall
gemeinerung unverständlich, um so mehr, als er selbst verschiedene der von
mir genannten Eskimobeispiele unter seinem Unterbegriff der Familienrache
mit aufführt.
Es finden sich nun aber doch verschiedene Fälle, die zeigen, daß auch eine
Blutrache von Stamm zu Stamm — Steinmetz’ Stufe der ausgeprägten
Stammesrache — bei den Eskimo vorkommt dergestalt, daß die Zugehörigkeit
zum Stamme des Verletzten die Rachepflicht begründet und die Zugehörigkeit
zum Stamme des Täters genügt, um den Betreffenden der Verfolgung auszu
setzen, so daß tatsächlich hier meistens ein wirklicher Krieg entbrennt.
Zu beachten ist, daß es sich dabei nur um die Rache für das einem ein
zelnen oder mehreren einzelnen Mitgliedern des Stammes zugefügte Unrecht
handelt — wenn also „der Stamm die Sache der Familie zu der seinigen
macht“ 4 — nicht aber um Fälle, in denen der ganze Stamm als solcher ge
troffen ist, wie beispielsweise bei Verletzung der Jagdgründe und ähnlichen
Anlässen, denn dann erscheint es eigentlich selbstverständlich, daß er auch
geschlossen als Rächer auftritt. So ist es zum mindesten zweifelhaft, ob folgen
des von Jakobsen Berichtete hieher gehört: Dieser erzählt, daß die Kaviagmut-
Eskimo in Alaska einige junge Feute aus Rache für eine ihrem Stamme wider
fahrene Beleidigung getötet hätten 5 * . Hier kann tatsächlich der ganze Stamm
als solcher verletzt sein, denn der Ausdruck „Beleidigung“ ist sehr vieldeutig.
Außerdem sind die Getöteten allem Anscheine nach vom Stamme der Unaligmut
und bei einem von Jakobsen« und Nelson 7 berichteten Rachefall zwischen
1 Die Erörterung der Frage, inwieweit die Person der Beteiligten mit der gesellschaft
lichen Gliederung und der Erbfolge zusammenhängt, behalte ich aus dem oben Gesagten einer
späteren Arbeit vor.
2 Vgl. dazu noch Saabye für Westgrönland, wo der Sohn die Verwandten zur Hilfe
leistung bei der Rache zu überreden sucht, was doch nicht nötig wäre, wenn sie von vorn
herein die Pflicht dazu träfe (Saabye, S. 135).
3 Studien, Bd. 1, S. 365.
4 Steinmetz, a. a. O.
5 Jakobsen, S. 299.
* S. 233.
7 S, 306,
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