Anthropos XXXLI. 1937.
I
Germanentum und Wirtschaft.
Von Justus Hashagen, Hamburg.
Es ist heute viel von der Höhe der germanischen Landwirtschaft, des
Ackerbaues und der Viehzucht, die Rede. Und in der Tat haben sogar die
Römer hie und da von den Germanen gelernt, und das germanische Vieh
stand, wie die römischen Autoren 1 mehrfach betonen, bei ihnen hoch im Kurse.
Dies prächtige Rindvieh war ein germanisches Zuchtprodukt. An einem ziem
lich hohen Niveau der germanischen Landwirtschaft zu zweifeln, ist schon des
halb unberechtigt, weil sie ja schon eine tausendjährige Geschichte hinter sich
hatte, als Caesar sie zuerst beschrieb, eine Vorgeschichte, die bis in die nebel
hafte mesolithische Zeit zurückreichte.
Und doch muß es sowohl im Körnerbau, wie auch in der Viehzucht noch
lange nach Caesar an eigentlichen neuschöpferischen Leistungen weithin ge
fehlt haben 2 . Denn sonst hätte die sogenannte „Landnot“, und zwar nicht nur
in der prähistorischen Zeit und bei den Kimbern und Teutonen, sondern noch
viel später bei den Wanderungen nicht immer wieder eine solche Rolle ge
spielt 3 . Sind denn die Germanen ein Volk ohne Raum gewesen? Bei ihrer
notorisch geringen Volkszahl? Denn die statistischen Phantasien der Römer
darüber sind längst abgetan 4 . In Wirklichkeit stand die Bevölkerungszahl der
Germanen mit Einschluß der Nordgermanen hinter der Bevölkerungszahl des
Römischen Reiches weit zurück. Noch um Christi Geburt hatte es siebzig
Millionen umfaßt, war dann freilich bis zirka 300 auf fünfzig Millionen
gesunken 5 * . Dem hatten die gesamten Germanen aber nur etwa zwei bis vier
Millionen gegenüberzustellen (L. Schmidt). Die Bevölkerungsdichte auf den
Quadratkilometer wird für die Germanen von O. Schlüter 6 auf zwei, von
Delbrück auf vier bis fünf, von Hoops auf sieben angenommen. Diese Be
rechnungen sind sehr unsicher. Eine höhere Bevöll^erungsdichtigkeit wird sich
kaum erweisen lassen. Die Schlüsse, die die Prähistoriker aus der starken Be
1 Caesar, Bellum Gallicum, IV, 1; vgl. Tacitus, Germania, c. 5.
2 R. Kötzschke, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, 1924, S. 77,
Anm. 1.
3 F. Kauffmann, Deutsche Altertumskunde, I (1913), S. 258, Anm. 16.
4 H. Delbrück, Geschichte der Kriegskunst, 3, II (1921), S. 300 ff.; L. Schmidt,
2, I (1933), S. 48 ff.
5 E. Stein, Geschichte des spätrömischen Reiches, 1 (1928), S. 3; E. Sadee, Bon
ner Jahrbücher, 124 (1917), S.-A., S. 4.
(i Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 1 (1913), S. 413.