Utii besonderer Herüeksrchtlgung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andrer.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunschweig
Jährlich 2 Bünde à 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten
zum Preise von 12 Mark pro Baud zu beziehen.
1887 .
Prshewalski's dritte Reise in Central-Asien.
v.
Nach überschreiten des Burchan-budda und nut er
Ankunft in Dynsy-Obo war die Expedition aus em
Hochplateau von Tibet angelangt. Der Charakter er
Gegend und der Natur hatte sich plötzlich geändert: w
Reifenden sahen sich in eine ganz andere Welt versetz,
in welcher sie vor Allem der außerordentliche Nelchthum
der großen Thiere in Erstaunen brachte. Und die Thiere
scheuten sich gar nicht vor den Menschen; ganz nahe dem
Lagerplatze weideten Heerden von Ehulans, lagen o er
wanderten wieder Jaks, standen männliche Drongos, hüpften
und sprangen die kleinen Ada-Antilopen umher. Die Be
gleiter Prshewalski's, welche dieses Leben und Treiben zuui
ersten Male beobachteten, konnten sich nicht genug darüber
wundern. __
Nach zweitägigem Aufenthalt in Dynsy-Dbo wurde der
Weitermarsch angetreten. Die bedeutende absolute Hohe
der Gegend machte sich unangenehm fühlbar durch Athem-
beschwerden, Herzklopfen, schnelle Ermüdung, Schwindel mu
allgemeines Schwächcgcfühl, erst allmählich gewöhnte man
sich daran. Dazu kam, daß die Witterung sich plötzlich
änderte: es begann zu stürmen, zu schneien und zu hageln,
es wurde nicht allein Nachts, sondern auch Tags recht kalt.
Vor einer Woche hatten die Reisenden sich in der brennenden
Tonne Tzaidams kaum zu schützen vermocht; jetzt mußten
sie schon Morgens ihre Pelze und dicken Handschuhe anziehen.
Endlich war der Paß über das Schuga-Gebirge,
15 200 Fuß (4560 in) hoch, erreicht und wurde über
schritten; der Abstieg in das Thal des Schuga-Flusses ist
etwas steil, aber immerhin noch gut passirbar. Das Schuga-
Gebirge zieht dem Burchan-budda parallel und setzt sich
Globus MI. Nr. 2.
nach Osten in dem Gebirge Ur und uschi fort, nach Westen
reicht es bis an den Schuga-Fluß. Trotzdem es noch früh
im Herbst war, war doch die Nordseite der Schuga-Berge
schon mit mehr Schnee bedeckt, als Prshewalski tut De
cember 1872 und Januar 1873 hier vorgefunden. Das
Thal des Flusses Schuga, in welchem stromabwärts weiter
gewandert wurde, hat Wiesencharakter — es ist unbedingt
die beste Lokalität in Nordtibet. Hoch in seinem mittleren
Theile hat es eilte Breite von 6 bis 8 Werst; die das
rechte Ufer begrenzende und mit dem Flusse parallel lausende
Bergkette ist das Schuga-Gebirge; das am linken Ufer sich
hinziehende ist von Prshewalski als das Marco-Polo-
Gebirge bezeichnet worden.
Die vortrefflichen Weideplätze im Thäte des Schuga-
Flusses locken eine große Menge pflanzenfressender Thiere
herbei: ununterbrochen wurden bei der Wanderung Chulans,
Jaks und Antilopen gesehen. Mit Verwunderung und
Neugier blickten die Thiere auf die Karawane, ohne sich zu
scheuen. Die Chulanheerden gingen nur wenig zur Seite,
um die Karawane vorbei zu lassen, mitunter folgten sie
sogar eine Zeit laug den Kameeleu. Die Antilopen
(Orongo und Ada) weideten in Ruhe, die schwerfälligen
Jaks gaben sich gar keine Mühe auszustehen, sie bliebeii
ruhig liegen. Es schien, als seien die Reisenden in das
ursprüngliche Paradies gekommen. Dieser friedliche Zu-
staud, den das beigegebene Bild veranschaulichen soll, wurde
aber durch die Jagdlust der Reisenden bald zerstört. Die
Mitglieder der Expedition gaben sich der ungetrübten Jagd-
freilde hin, wenngleich dieselbe hier und da mit Gefahren
verbunden war.
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