(HUt hesonderer |Vcrüch sich ti nunc» der Ethnologie, der Kulturderhältursse
und des Welthandels.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern Herausgegeben von
Dr. Emil Deckert.
Brau n schweig
Jährlich 2 Bände a 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalteu
zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen.
1888.
Wanderungen durch das außertropische Südamerika.
i.
(Mit zwei Abbildungen.
Sechzig oder siebzig Jahre lang hat das Wunderland
der Nordamerikanischcn Union den europäischen Answanderer
strom so ausschließlich auf sich hingelenkt, daß andere Aus
wandererziele daneben keine oder doch nur eine sehr gering
fügige Rolle gespielt haben. Heute scheint sich aber darin —
bälder als man diesseits und jenseits des Atlantischen Oceans
gedacht hat — ein starker Umschwung zu vollziehen. Heute
hören wir von einer großen Zahl derjenigen, die sich durch
die Vorspiegelungen von Lnndagentcn auf den sterilen Boden
von West-Dakota, West-Nebraska und West-Texas locken
ließen, versichern, daß cs ohne Zweifel besser für sie gewesen
sein würde, wenn sie daheim in ihrem Schwaben oder
Mecklenburg geblieben wären; und heute beobachten wir
zugleich auch an den statistischen Zahlen, wie die Einwande
rung in Nordamerika ein konsequentes Decrescendo, die
jenige anderer transoceanischer Gebiete dagegen ein nicht
weniger konsequentes Crescendo zeigt. Unter den Ländern,
nach denen die Europa-Milden der verschiedensten ^Natio
nalität — namentlich auch der deutschen — neuerdings
in wachsenden Schaaren hinüberziehen, ragen aber keine so
sehr hervor, wie diejenigen, die südlich vom Wendekreise
des Steinbocks in Südamerika gelegen sind: Uruguay,
Argentinien, Chile, Paraguay und Südbrasilicn. Da diese
Länder unsere deutsche Kolonialpolitik in Folge dessen in einem
hohen Maße beschäftigen, so dürfen die kleinen Skizzen, die
wir unseren Lesern aus ihnen vorzuführen beabsichtigen,
Globus LIII. Nr. 4.
vielleicht um so eher auf Aufmerksamkeit rechnen. Der
oberste Grundsatz, den wir dabei nicht ans den Augen lassen
werden, soll selbstverständlich: Sachliche Prüfung! sein.
Da das Dreieck des außertropischen Südamerika in
seiner ganzen breiten Basis fest mit dem großen Fünfeck
des tropischen Südamerika verwachsen ist, da das gewaltige
Andengebirge und die daran angeschlossenen Ebenen durch
das erstere so gut hindurch streichen wie durch das letztere,
und da auch die Ströme des ersteren zu einem großen
theile in dem letzteren ihren Ursprung und ihren Onelllauf
haben, so fällt es schwer, das eine von dem anderen zu
scheiden. Und doch: wenn irgendwo, so ist an dieser Stelle
strenge kultur- und wirthschaftsgeographische Scheidung
nöthig. Man ist in Süd-Brasilien nicht mehr in Brasilien,
nild man ist in Uruguay und Argentinien nicht mehr in
Südamerika! könnte man versucht sein zu sagen, wenn man
auf den Gedankeninhalt Bezug nimmt, den die Namen
„Brasilien" und „Südamerika" gemeinhin bei uns haben.
Das klimatische Regime ist über dem außertropischcn Süd
amerika ein anderes als über dem tropischen, und damit
sind es zugleich auch die hauptsächlichsten natürlichen Vor
bedingungen, mit denen es der europäische Mensch und seine
Kultur daselbst zu thun hat, und im Allgemeinen läßt sich
gar wohl die Behauptung aufrecht erhalten, daß dieselben
in mannigfaltiger Hinsicht ebenso günstige, oder selbst
günstigere sind als in Nordamerika. Mit mancherlei
7