Mit besonderer Herürbsichtigung der Ethnologie, der Kulturberhältnlsse
und des Welthandels.
Begründet v o n Karl A n d r e e.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Di-. Emil Deckert.
Braun schweig
Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten
zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen.
1888 .
Der Hoangho und seine Stromlauf-Aenderung.
Von Dr. Emil Deckert.
Fast wie übermenschliche Wesen sehen wir die großen
Ströme in die Geschicke der Völker eingreifen — Länder
befruchtend, Verkehr und Kultur fördernd, Städte begründend,
staatlichen Gemeinwesen Konsistenz verleihend, aber auch
wieder gesegnete Fluren in Wüsteneien verwandelnd, hohe
Knlturblüthen vernichtend und Tausenden Tod und Ver
derben bringend. Von den Strömen keines Erdtheils gilt
dies wohl in einem höheren Grade wie von denjenigen
Asiens, wie denn überhaupt fast alle Naturgewaltcn in
diesem Erdtheile in anderweit unerhörter Großartigkeit
auftreten. Was danken die Inder nicht ihrem heiligen
Ganges, und welche Bedeutung hat nicht für die Chinesen
der Jang-tse-kiang!
Von dem Hoangho, der heute durch die furchtbare Kata
strophe , die er für zwei dicht besiedelte chinesische Provinzen
herbeigeführt hat, Aller Aufmerksamkeit ans sich gelenkt
hat, möchte man beinahe behaupten, er walte über dem
Lande, das er durchfließt, wie ein übermächtiger böser Geist.
Der geographischen Wissenschaft ist der fragliche Strom aber
natürlich ein Strom wie andere Ströme auch, und die
angegebene Katastrophe ebenso wie manche andere vorher
gegangene sucht sie sich zu erklären durch eine möglichst
sorgfältige Analyse der Naturverhältnisse, die den Strom
lauf bedingen. Angeregt durch das besagte Ereigniß ver
suchen auch wir es, uns an der Hand der wenigen Autoren,
die uns in Europa über den Gegenstand zu Gebote stehen,
eine klare Vorstellung von dem natürlichen Charakter des
Gelben Stromes zu schaffen.
Globus LIII. Nr. 9.
Seine Quellen hat der Hoangho auf zwei Parallrl-
ketten des mittleren Kuen-Luen, die durch Prshewalski
unter dem Namen Schuga- und Bajan-chara-ula-Gebirge
I bekannt geworden sind, und die sich in ihren Gipfeln etwa
5000 m über den Meeresspiegel erheben mögen. Diese Ge
birge bewähren sich inmitten der asiatischen Wüstenregion als
überaus kräftige Kondensatoren der atmosphärischen Feuchtig
keit, und cs fehlt in ihnen sowohl im Sommer nicht an
Regen, als auch im Winter nicht an Schnee, ja der letz
tere giebt sogar in beschränktem Umfange zur Gletscher-
bildung Anlaß. In Folge dcsten strömen unzählige Rinn
sale aus ihnen heraus, an deren Ufern reicher Gras- und
Blumenwuchs gedeiht, und das breite Hochthal, welches
die genannten Gebirgsketten zwischen sich einschließen, wird
von denselben dermaßen durchtränkt, daß es in seinem oberen
Theile vorwiegend ans Sumpf- und Seenland besteht. Es
ist dies die „Oduntala" oder die „Gegend der tausend
Quellen", die gewöhnlich als die Geburtsstätte des großen
Stromes gilt. Der junge Hoangho fließt von da in
mehrere Arme getheilt ostwärts und erreicht alsbald den
großen Sec Dscharing-Nor, der noch immer gegen 4000 m
hoch liegt, und nachdem er denselben durchflossen hat, den
kleineren Oring-Nor. Da in die beiden Seen von dem
Bajan-chara-ula-Gebirge her noch mehrere andere wasser
reiche Ströme münden, so verläßt der Hoangho denselben als
ein schon sehr stattliches Gewässer, und als solches strömt er
zwischen den beiden genannten Parallelzügen des Kuen-Luen
etwa 500 km in oft-süd-östlicher Richtung weiter, bis er
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