Bd. LXII
Nr. 15
Braunschweig.
Jährlich 2 Bände in 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 1898
zum Preise von 12 Mark für den Band zu beziehen.
Die Insel Fernando de Noronha.
Von Dr. H. v. Ehering. Rio Grande do Sul.
Obwohl diese kleine' Inselgruppe schon 1503 von
Amerigo Bespucci auf dessen vierter Reise entdeckt wurde,
so ist dieselbe doch bis vor kurzem fast unbekannt geblieben.
Da die Insel der brasilianischen Regierung zur Deportation
von Verbrechern dient, so dürfen Schisse dort nicht anlegen,
auch dürfen Boote nicht dort sich befinden, um den Sträf
lingen Fluchtversuche nnniöglich zu machen. So kam es,
daß sowohl die Novara- als auch die Challenger-Expedition
die geplante Untersuchung der Insel nicht ausführen durften,
was doch leicht möglich gewesen wäre, wenn man zuvor die
erforderliche Erlaubnis der brasilianischen Regierung einge
holt hätte. Darwin hat zwar aus seiner Weltumsegelung
auch Fernando Noronha besucht, aber nur wenige Stunden.
Die ersten gewonnenen Kenntnisse verdankte man Kapitän
Webster, welcher aus der Reise des „Ehanticleer" einen
Monat sich da aufhielt. In den letzten zwei Dezennien sind
zweimal Naturforscher längere Zeit dort zum Aufenthalte
gewesen. Der erste von ihnen war John C. Brauner,
welcher 1876 als Mitglied einer brasilianischen geologischen
Kommission während der Monate Juli und August daselbst
verweilte. Er hat darüber 1888 im American Naturalist,
]). 861 bis 871 einen kurzen Bericht Publiziert. Seine
Sammlungen übergab er dem National Museum in Rio,
wo sie aber nicht verwertet wurden, worüber Brauner sich
mit Recht beschwert. So kam cs, daß Ridley in seinen
wertvollen Beiträgen über Naturgeschichte von Fernando
Noronha ans die Arbeit seines Vorgängers nicht Bezug
nehmen konnte. Diese neue und trefflich bearbeitete Expe
dition ging von der Royal Society aus, in deren Auf
trag H. N. Ridley nebst Romage vom 14. August bis
24. September 1887 auf Fernando de Noronha verweilten.
Ridley untersuchte die Geologie der Insel und sammelte
Tiere und Pflanzen, welche in England bearbeitet wurden.
Diese Publikationen bilden nun eine gute Grundlage für
die Beurteilung der Verhältnisse, die ich, wie sich zeigen
wird, zum Teil anders deuten muß als jene Autoren 1 ).
I Journal of the Linnean Society Botany, Vol. 27,
1888, p. 1 — 86 (Botany); p. 89 — 94 (Geology), sowie I
Globus LXII. Nr. 15.
Eine gute Übersichtskarte der Inselgruppe giebt Brauner
S. 863. Die Insel liegt unter 32» 25' 30" W. und 3»
50' 10" S. nach Ridley, während Brauner die Länge zu
120 50' E. von Rio angicbt. Die Entfernung der Insel
vom Kap San Rogue an der brasilianischen Küste soll nach
Brauner 230, nach Ridley nur 194 engl. Meilen betragen.
Die ganze Gruppe bildet eine etwa 8 engl. Meilen lange
Kette. Die Hauptinsel ist 5 engl. Meilen lang und an
der breitesten Stelle 2 engl. Meilen breit. Ihr folgt in
Größe die Jlha rata, die am meisten gen N. und O. liegt
und zirka 1 engl. Meile lang ist. Zwischen ihnen liegen
nur durch ganz schmale Meeresarme getrennt Jlha do meio,
Sclla Ginete, San Joze und Jlha raza. Die Namen der
einzelnen Inseln sind zum Teil unklar. Brauner schreibt
Jlha rapta, die gestohlene Insel, das P für stumm haltend,
was nicht stimmt. Das Adjektiv rato heißt schlau, die
Deutung rata = die weibliche Ratte, beanstandet Brauner
wohl mit Recht, weil die sonst so unsagbar massenhaft auf
tretenden Ratten gerade auf Jlha rata fehlen, resp. dort
durch Mäuse ersetzt sind.
Die Ratten bilden in der Geschichte der Insel ein wich
tiges Moment. Als Amerigo Vespucci sich hier zuerst auf
hielt, traf er als einzige Säugetiere der unbewohnten Insel
auffallend große Ratten („toxi molto grandi“). Die
Insel bot ihm reichlich Süßwasser und fiel ans „durch die
unzähligen Bäume, die Land- und Scevögel in unge
heuren Mengen beherbergten; die Vögel waren so zahm,
daß sie sich mit der Hand greifen ließen und mir ihrer so
viele singen, daß wir ein Boot mit ihnen beluden. Sonst
sahen wir nur noch sehr große Ratten, Eidechsen mit zwei
Schwänzen und einige Schlangen". Als die Holländer
bei ihrer Besetzung des nördlichen Brasiliens etwa 1630 auch
Fernando de Noronha besiedelt hatten, mußten sie die Insel
bald wieder verlassen der Ratten wegen, welche alle Feld
früchte vertilgten. Dieses Verhältnis hat sich bis auf den
heutigen Tag erhalten, da Raubtiere und Raubvögel fehlen.
Journal of the Linnean Society Zoology, Vol. 20, 1890,
p. 473 — 592.
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