DEUTSCHES JAHRBUCH
FÜR VOLKSKUNDE
Herausgegeben vom Institut für deutsche Volkskunde
an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
durch
Wilhelm Fraenger
Dritter Band
Jahrgang 1957
AKADEMIE-VERLAG-BERLIN
MITGLIEDER DER SCHRIFTLEITUNG:
Prof. Dr. Wolfgang Steinitz - Berlin,
Dr. Paul Beckmann - Rostock, Dr. Paul Nedo - Leipzig,
Dr. Reinhard Peesch - Berlin, Dr. Harry Schewe - Berlin,
Dr. Friedrich Sieber - Dresden, Dr. Günther Voigt - Berlin,
Dr. Ingeborg Weber-Kellermann - Berlin,
Schriftleiter: Prof. Dr. Wilhelm Fraenger- Berlin
Herausgeber: Institut für deutsche Volkskunde an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Betlin. Schriftleitung: Prof. Dr.
Wilhelm Fraenger, Berlin W 8, Unter den Linden 8; Fernsprecher: 200481. Verlag: Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8,
Mohrenstraße 39; Fernsprecher: Sammelnummer 2003 86; Postscheckkonto: Berlin 35021. Das Deutsche Jahrbuch für Volks-
kunde erscheint zweimal jährlich. Bestell- und Verlagsnummer dieses Bandes: 1034/III/II. Preis 17,— DM. Druckerei: Druckhaus
„Maxim Gorki“, Altenburg. Veiöffentlicht unter der Lizenz-Nr. 100/568/57 des Amtes für Literatur und Verlagswesen der
Deutschen Demokratischen Republik. Printed in Germany.
INHALTSVERZEICHNIS
ABHANDLUNGEN
Seite
Friedrich Sieber, Dresden: Wünsche und Wunschbilder im späten deut-
schen Zaubermärchen..................................................11
BEJAMIN RajeCZKI, Budapest: Typen ungarischer Klagelieder..................31
Oskar VON Zaborsky, ICötzting-Leckern: Die Trachten der ehemaligen
Mark Brandenburg. Fortsetzung........................................47
WOLFGANG Jacobeit, Berlin: Jochgeschirr- und Spanntiergrenze...........119
Ingeborg Weber Kellermann, Berlin: Volkstheater und Nationalfestspiel
bei Gottfried Keller................................................145
WILHELM Fraenger, Berlin: Der vierte König des Madrider Epiphanias-
Altars von Hieronymus Bosch.........................................169
Adolf SPAMERf: P(h)ol ende Uuodan. Zum zweiten Merseburger Spruch . 347
Friedrich Sieber, Dresden: Dem Monde kann man kein Kleid machen . .366
Leopold Schmidt, Wien: Der randbeschlagene Holzspaten in Ostmittel-
europa .............................................................388
Herbert Clauss, Dresden: Bergmännische Arbeitsvorgänge in volks-
künstlerischer Gestaltung.......................................... 4°7
Lajos VaRGYAS, Budapest: Das Musikleben im ungarischen Dorf und die
Methoden seiner Erforschung.........................................447
Gerda Grober-GlÜCK, Greifswald: Heidelbeerlieder aus Thüringen • • • 47°
MITTEILUNGEN UND BERICHTE
KARL-HEINZ Otto, Berlin: Ethnographische Allunionstagung in der
UdSSR 1956.......................................
......................201
Erich Stockmann, Berlin: Achte Jahrestagung des International Folk Music
Council in Oslo.....................................................205
Erich Stockmann, Berlin: Internationaler Musikwissenschaftlicher Kongreß,
Wien 1956
207
Seite
GÜNTER, JAROSCH, Berlin: Konferenz über die tschechische und die slowa-
kische Volksdichtung, Prag 1956.......................................208
GÜNTER Reitz, Dresden: Stand der volks- und heimatkundlichen Museen
in Sachsen............................................................210
Lutz RÖHRICH, Mainz: Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945. 3. Teil:
Frankreich............................................................213
Vladimir Propp, Leningrad: Vladimir Ivanovic Cicerov zum Gedächtnis . 481
WOLFGANG JacOBEIT, Berlin: Bericht über die Konferenz der Geräteforscher
in Klagenfurt vom 17.—21. September 1956..............................482
WOLFGANG Jacobeit, Berlin: Fragebogen zur Geräteforschung in Albanien 484
Wolfgang Jacobeit, Berlin: Ein Fragebogen zur Schäfervolkskunde in
Deutschland...........................................................485
Erich Stockmann, Berlin: Tagung für Volksmusikforschung in Freiburg . . 488
Gyula ORTUTAY, Budapest: Fragebogen zur Sammlung von weihnachtlichen
Umzugsspielen.........................................................489
Lutz RÖHRICH, Mainz: Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945. 4.Teil:
Schweden und Dänemark, USA und Kanada.................................494
Berichtigung..........................................................514
BÜCHERSCHAU
ALEKSANDER JACKOWSKI, Warschau: Das volkskundliche Schrifttum Polens
seit 1945......................................................227
BOY Wander, Amsterdam: Eine Übersicht der niederländischen volkskund-
lichen Literatur 1945—195 5 ...................................258
BESPRECHUNGEN
Festschrift für Will-Erich Peuckert, zum 60. Geburtstag dargebracht von Freunden und
Schülern. Hrsg, von Helmut Dölker (Friedrich Sieber).........................269
Wörterbuch der deutschen Volkskunde. Begründet von Oswald A. Erich u.
Richard Beitl (Ingeborg Weber-Kellermann)....................................269
Eigen Aard. Grepen uit de Vlaamse Folklore door Dr. K. C. Peeters (Paul Beckmann) 271
Max Rumpf: Deutsches Handwerkerleben und der Aufstieg der Stadt (Herbert
Clauß) ......................................................................273
Theodor Hornberger: Der Schäfer. Landes- und volkskundliche Bedeutung eines
Berufsstandes in Süddeutschland (Wolfgang Jacobeit)..........................275
Heiner Heimberger: Von Schippenschmieden und Schäferschippen (Wolfgang
Jacobeit).....................................................................277
Seite
Ernst Neweklowsky: Die Schiffahrt und Flößerei im Raume der oberen Donau
(Wolfgang Jacobeit) ..........................................................278
Lajos Kiss: Vasarhelyi hires väsarok (Die berühmten Märkte von Väsärhely) (Zoltan
Ujväry).......................................................................280
John Greenway: American Folksongs of Protest (Linda Degh)........................281
Vladimir Karbusicky: Nase delnicka pisen (Unser Arbeiterlied) (Josef Lansky) . . 288
Gustav Gugitz: Lieder der Straße. Die Bänkelsänger im josephinischen Wien
(Elfriede Moser-Rath).........................................................29°
Somogji täncok (Volkstänze von Somogy). Hrsg. v. Peter Morvay und Ernö Peso-
vär (Anna Raffay).............................................................29*
JandeVries: Betrachtungen zum Märchen besonders in seinem Verhältnis zu
Heldensage und Mythos (Gyula Ortutay)...........................................
Brüder Grimm: Deutsche Sagen (Gisela Schneidewind) ..............................29^
Franz Josef Vonbun: Die Sagen Vorarlbergs mit Beiträgen aus Liechtenstein. Auf
Grund der Ausgabe von Hermann Sander (1889) neu bearbeitet u. herausgegeben
von Richard Beitl (Elfriede Moser-Rath).......................................298
Richard Beitl: Im Sagenwald. Neue Sagen aus Vorarlberg (Elfreide Moser-Rath) . 298
Walter F. Otto: Die Musen und der göttliche Ursprung des Singens und Sagens
(Friedrich Pfister)...........................................................300
Willy Lademann: Wörterbuch der Teltower Volkssprache (Reinhard Peesch) . . 301
Alfons Maissen: Werkzeuge und Arbeitsmethoden des Holzhandwerks in Roma-
nisch-Bünden (Hans Friedrich Rosenfeld).......................................302
Leopold Schmidt (Hrsg.): Masken in Mitteleuropa (Ingeborg Weber-Kellermann) 305
Karl Meisen: Die heiligen drei Könige und ihr Festtag im volkstümlichen Glauben
und Brauch (Johanna Nickel) ..................................................308
Edward Karwot: Katalog magii Rudolfa (Richard Gansiniec).........................310
Hans Fehr: Das Recht in den Sagen der Schweiz (Gerhard Buchda)..................312
bin altes deutsches Josephspiel von den zwölf Söhnen Jacobs des Patriarchen. Hrsg,
von Artur Kutscher und Mathias Insam nach der Axamer Handschrift von
1678, ergänzt von Anton Dörrer (Leopold Magon)...............................3*5
Erich Meyer-Heisig: Deutsche Bauerntöpferei. Geschichte und landschaftliche
Gliederung (Rudolf Weinhold).................................................318
Otfried Kästner: Die Eisenkunst im Lande ob der Enns (Christa Pieske) .... 322
Louise Witzig: Schweizer Trachtenbuch (Oskar v. Zaborsky).......................324
P. E. Rattelmüller: Bayerische Trachten (Oskar v. Zaborsky).....................32^
Istvan Györffy: Matyo n^pviselet (Die Volkstracht der Matyö) (Zoltan Ujvary) . 326
Josef Blau : Die Glasmacher im Böhmer- und Bayerwald in Volkskunde und Kultur-
geschichte (Herbert Clauß)......................................................327
Siegfried Sieber: Sie Spitzenklöppelei im Erzgebirge (Herbert Clauß)..........329
Leopold Schmidt: Bauernwerk der Alten Welt (Wolfgang Jacobeit)................33°
Andre Georges-Haudricourt, Mariel Jean-Brunhes Delamarre: L’homme
ct charrue & travers le monde (Wolfgang Jacobeit)...........................331
erner Radig: Die Siedlungstypen in Deutschland und ihre frühgeschichtlichen
Wurzeln (Walther Schulz).....................................................333
Kat Lldall; Frilandsmuseet, Führer in deutscher Sprache (Karl Baumgarten) • • • 334
A. Kärolyi, I. Perenyi, K. Töth, L. Vargha (Hrsg.): A magyar falu ¿pitöszete
„ Architektur des ungarischen Dorfes) (B£la Gunda)............................335
Ceskoslovenskä ethnografie. Rocnik II, 1954 (Josef Lansky)....................33^
Slovenski Etnograf, Band 8, 1955 (Wolfgang Jacobeit)..........................34°
Zeitschrift für Volkskunde, 52. Jahrgang, 1955.................................341
Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, hrsg. von Günther Franz,
1953 —1956 (Wolfgang Jacobeit)...............................................342
Robert Wildhaber: Internationale Volkskundliche Bibliographie (Herta Uhlrich) 517
Alfred Wirth : Neue Beiträge zur anhaitischen Volkskunde (Reinhard Peesch) . .518
Seite
Pavel Josef SafarIk: Slovansk^ närodopis (Slawische Ethnographie) (Ernst
Eichler)..................................................................519
Georg Grüll: Die Robot in Oberösterreich (Karl Ilg)........................521
Arnold Niederer: Gemeinwerk im Wallis (Reinhard Peesch)....................523
Judit Morvay-Szolnoky: Asszonyok a Nagycsalödban (Die Frauen in der Groß-
familie) (Marta Beleny£sy)................................................524
Kustaa Vilkuna — Eino Mäkinen : Isien Työ. Veden ja maan viljaa arkityön
kauneutta (Der Väter Arbeit) (Wolfgang Jacobeit) ........................526
Studia Memoriae Belae Bartök Sacra. Adiuvantibus Z. Kodäly et L. Lajtha curant
B. Rajeczky et L. Vargyas (Erich Stockmann)..............................527
Ernst Klüsen: Der Stammescharakter in den Weisen neuerer deutscher Volkslieder
(Erich Stockmann)........................................................529
Das Wienhäuser Liederbuch. Hrsg, von Heinrich Sievers. Das Liederbuch der
Anna von Köln. Hrsg, von Walter Salmen und Johannes Koepp (Erich
Stockmann)................................................................529
Felix Hoerburger : Die Zwiefachen (Jan Raupp)...............................530
Hermann Kaiser: Begegnungen und Wirkungen. Festgabe für Rudolf Mirbt und
das deutsche Laienspiel (Leo Weismantel).................................531
J. B. Masüger : Schweizerbuch der alten Bewegungsspiele (Reinhard Peesch) . . .534
Gottfried Henssen: Sagen, Märchen und Schwänke des Jülicher Landes (Paul
Beckmann) ...............................................................535
Paul Nedo: Sorbische Volksmärchen (Gottfried Henßen)........................536
Paul Schlosser : Bachern-Sagen (Gisela Schneidewind) .......................536
Harry Trommer: Wo das Erz in Fülle blinkt. Bergmannssagen (Herbert Clauß) . . 538
Mathilde Hain: Sprichwort und Rätsel. In: Deutsche Philologie im Aufriß (Inge-
borg Weber-Kellermann)...................................................538
Vernam Hüll and Archer Taylor: A Collection of Irish Riddles (Ingeborg
Weber-Kellermann).........................................................540
Walter Henzen : Schriftsprache und Mundarten (Anneliese Bretschneider) .... 541
Albert Zirkler: Feste angepackt! (Gerda Grober-Glück).......................542
Josef Dünninger: Brauchtum. In: Deutsche Philologie im Aufriß (Ingeborg
Weber-Kellermann).........................................................542
Ludwig Deubner: Attische Feste (Günter Dunst)...............................546
Alfons Rosenberg: Joachim von Fiore — Das Reich des Heiligen Geistes (Gottfried
Holtz) ..................................................................548
Leopold Schmidt: St. Radegundis in Groß-Höflein (Erwin Richter).............549
Rudolf Kriss/Lenz Kriss-Rettenbeck: Eisenopfer (Oskar von Zaborsky) . . . 552
Karel Sourek: Volkskunst in Bildern (Robert Wildhaber)......................553
Friedrich Sieber: Bunte Möbel der Oberlausitz (Josef Maria Ritz)...........555
Karl Hillenbrand: Bemalte Bauernmöbel aus württembergisch Franken (Friedrich
Sieber)................................................................. 555
Wolf Lücking: Die Lausitz. Sorbische Trachten (Oskar von Zaborsky).........556
Elisabeth Kunsdorff: Die Trachten des ehemaligen Kreises Jüterbog-Lucken-
walde (Walter Fink).......................................................557
Hermann Weidhaas: Fachwerkbauten in Nordhausen (Werner Radig)...............558
Hans Müther : Baukunst in Brandenburg bis zum beginnenden 19. Jh. (Werner Radig) 558
Hermann Gleisberg: Das kleine Mühlenbuch (Walter Rüben).....................559
Research on Ploughing Implements (Hans Damm)................................560
Istvän Tälasi: Az anyagi kultura neprajzi vizsgälatänak tiz eve (1945—1955) (Zehn
Jahre Erforschung der materiellen Volkskultur) (Wolfgang Jacobeit).......561
Leopold Schmidt: Geschichtliche Grundlagen der Gerätekultur (Wolfgang Jacobeit) 562
Leopold Schmidt - Norbert Riedl: Die Johann R. Bünker-Sammlung zur Sach-
volkskunde des Burgenlandes und Franz Kollreider: Katalog zum Museum
bäuerlicher Arbeitsgeräte in Schloß Bruck, Lienz (Wolfgang Jacobeit).......564
Seite
Ceskÿ lid (tschechische volkskundliche Zeitschrift) 43. Jahrgang 1956 (Wilfried
Fiedler).......................................................................565
Weiterhin werden in den Märchenforschungs-Berichten von Lutz Röhrich folgende
Bücher, Zeitschriften und Dissertationen besprochen:
Allice de la Chapelle d’Apchier: Contes de la vieille Marianne, Paris 1939,
sowie Les soirs de la Montagnère, Paris 1942; Les nouveaux soirs de la Montagnère,
Paris 1946; Un vent souffle sur la montagne, Paris 1947......................218
Barbi zi er: Almanach franc-comtois 1949.......................................218
Jean Francois Bladé: Contes populaires de la Gascogne..........................220
Pertev Naili Borotav: Contes Turcs............................................2I7
Pertev Naili Borotav und Wolfram Eberhard: Typen türkischer Volksmärchen 217
R. Cuzaco: Histoire de la Littérature gascogne des Landes.....................218
Paul Delarue: Recueils de chants populaires du Nivernais......................213
Paul Delarue : Märchen der Provinzen Frankreichs................................2I4
Paul Delarue : La collecte et l’inventaire des contes populaires................2I6
Paul Delarue: L’Amour des trois oranges.........................................2I7
Paul Delarue: Collections de contes Canadiens...................................2I9
Paul Delarue: Les contes populaires de France...................................222
Paul Delarue: Les contes merveilleux de Perrault................................222
Paul Delarue: Les contes merveilleux de Perrault et la tradition populaire, II:
Barbe Bleue...............................................................»..222
Paul Delarue: La pantoufle de Cendrillon, de Perrault à Walt Disney.............223
Paul Delarue: Le conte de l’enfant à la queue du loup...........................223
Paul Delarue: Le serpent qui vole à l’homme le secret de l’immortalité..........223
Paul Delarue: Quelques idées sur une organisation internationale des recherches
sur le conte populaire.......................................................224
Ariane de Félice: Contes de Haute-Bretagne......................................216
Klassische französische Märchen von Madema D’Aulnoy und Madame Leprince
de Beaumont..................................................................221
Wolfhart Klee: Bretonische Märchen..............................................220
Max Lüthi : Hamlet in der Gascogne............................................221
F. M. Luzel: Contes populaires de Basse-Bretagne..............................220
Geneviève Massignon: Contes de l’Ouest..........................................2I5
Marie Aimée Méraville : Les contes du vent frivolant, Contes du pays d’Auvergne 218
Achille Millien: Märchen aus dem Nivernais und Morvan.........................214
Achille Millien et Paul Delarue: Contes du Nivernais et du Morvan .... 214
Mathilde Mir : Vielleschoses d’Augoumois........................................218
Jean Palmadé: Contes et légendes d ’Ariège......................................218
An t on in Perbosc: Contes de Gascogne........................................2I5
n 1 Önin Perbosc : Contes populaires, Ire série: Contes de la vallée du Lambon . . *215
Contes languedociens et gascons, recueillis par Antonin Perbosc............... . 215
Jean Hinard et Antonin Perbosc: Contes populaires, 2e série: Contes populaires
de la vallée de la Bonnette.................................................... 2I5
Henri 1 ourrat: De trésor des contes..........................................218
J. Reboul: Contes Bourdésans....................................................218
Ulysse Rouchon: Contes et légendes de la Haute Loire..........................218
Konrad Sandkühler: Bd. I: Der Mann in allen Farben; Bd. 2: Der Davidswagen. 220
Claude Seignolle: Contes populaires de la Guyenne.............................218
Ernst Tegeiiioff: Französische Volksmärchen („Märchen der Weltliteratur ) . . 220
R. Tricoire: Folklore de Monségur...............................................218
Weston la Barre: Folklore and Psychology........................................5°8
Ernest W. Baughman: A Comparative Study of the Folktales of England and North
America.......................................................................510
Seite
Inger M. Boberg: The tale of Cupid and Psyche...............................499
Inger M. Boberg: Andersens Æventyrstil......................................505
Inger M. Boberg: Gädetraditioner i 0st og Vest..............................505
L. Bodker: Kvinden der mistede sin Næse....................................505
L. Bodker: Den lange logn...................................................506
Joseph M. Carrière: Encyclopedia of Literature..............................511
Richard Chase: Grandfather Tales.............................................511
Arthur Christensen: Motif et thème...........................................501
Arthur Christensen: Molboernes vise Gerninger................................501
Arthur Christensen: Dumme Folk...............................................501
Reidar Th. Christiansen: Til sporsmalet om forholdet mellem irsk og nordisk
tradisjon..................................................................496
W. H. Desmonde: Jack and the Beanstalk......................................508
Richard M. Dorson: Negro Folktales in Michigan..............................508
Richard M. Dorson: Jonathan Draws the Long Bow..............................508
Richard M. Dorson: Bloodstoppers and Beanwalkers............................508
Christian Elling: Om Baron Münchhausen og Marchese del Grillo...............503
Hans Ellekilde: Vore danske Folkeæventyr....................................504
Aurelio M. Espinosa: Spanish and Spanish-American Folktales ................512
Helen L. Flowers: A Classification of the Folktales of the West Indies by Types and
Motifs.....................................................................510
Erich Fromm: The Forgotten Language..........................................508
Funk and Wagnall’s Standard Dictionary of Folklore, Mythology and Legend, hrsgg. v.
Maria Leach...............................................................508
Oskar Hackman: Katalog der Märchen der finnländischen Schweden .............495
HiROKO Ikeda: A Type - and Motif - Index of Japanese Folkliterature.........510
Eric Jacobsen: The Fable is inverted, or Donne’s Aesop......................506
Emma E. Kiefer: Albert Wesselski and Recent Folktale Theories................508
J. Evald Tang Kristensen: Den i Tankerne rige Mand eller Kone...............506
J. P. Kuhre: Borrinjholmska Sansâger........................................504
Aurora Lea: Literary Folklore of the Hispanic Southwest, San Antonio........512
Waldemar Liungman: Sveriges Samtliga Folksagor i ord och bild...............494
Waldemar Liungman: Sagan om Bata och Anubis och den orientalisk-europeiska
undersagans Ursprung......................................................497
Waldemar Liungman: Till folksagoforskningens metodik.........................497
Astrid Lunding: The System of Tales in the Folklore Collection of Copenhagen . 501
J. A. Mac Culloch: The Childhood of Fiction.................................500
Calum Mac Lean: Hebridean storytellers.......................................496
Christen Nielssen : De Garnie Vijses Exempler oc Hoffsprock, hrsgg. v. L. Bodker 503
Göran-Axel Nilsson: Jachin et Booz dans la crypte du dôme de Lund...........497
Axel Olrik: Dansk Folkmindesamling...........................................501
Ernst A. Philippson: Um Grundsätzliches in der Märchenforschung.............508
Vance Randolph : The Devil’s Pretty Daughter and Other Ozark Folktales . . . . 511
Vance Randolph: Who Blowed Up the Church House? and Other Ozark Folktales. 511
Holger Rasmussen: Æsops Fabler pâ Fliseborde.................................507
Leonard Roberts: South from Hell-fer-Sartin..................................511
Warren E. Roberts: A Norwegian Fairy Tale in Jamaica.........................496
Warren E. Roberts: Aarne-Thompson’s Type 480 in World Tradition .............509
P. A. Save : Gotländische Märchensammung ....................................496
Schwedische Volksmärchen. Ausgewählt, verdeutscht u. eingeleitet v. Anni Carlsson 496
A. Stender-Petersen: 0rvarod og Kejser Mikael den 3. af Byzanz.............505
Dag Strömbäck: Bröderna Grimm och folk minnesforskningens vetenskapliga
grundläggning..............................................................496
Dag Strömbäck: The Uppsala Institute for philology and folklore..............496
Seite
Svenska Folkböcker. Neu hersgg. v. Jöran Sahlgren......................49^
Svenska Sagor och Sägner. Hrsgg. v. Hermann Geijer, Sven Liljeblad u. Karl
Hampus Dahlstedt.....................................................496
Jan-Ojvind Swahn: The Tale of Cupid and Psyche.........................498
C. W. v. Sydow: Tva spinnsagor.........................................497
C. W. v. Sydow: Finsk metod och modern sagoforskning...................497
C. W. v. Sydow: Märchenforschung und Philologie.........................498
Lis Thärup-Andersen: Fiskefangsfabeln i den skriftlige Litteratur og folkelittera-
turen................................................................5°6
Stith Thompson: Motif Index of Folk-Literature. Revised and enlarged edition . . 509
Stith Thompson: The Star Husband Tale.....................................
Stith Thompson: The Folktale .............................................
Carl Hermann Tillhagen: Taikon berättar................................ 495
Carl Hermann Tillhagen: Taikon erzählt. Zigeunermärchen und -geschichten . . 495
Anna Birgitta Waldemarson-Rooth: Kung Lindorm...........................498
Anna Birgitta Waldemarson-Rooth: Ett skillingstryck och dess källa......497
Personen- und Sachverzeichnis...........................................5^7
Tafel I-VIII zu
TAFELTEIL
Wilhelm Fraenger: Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars von Hierony-
mus Bosch
Tafel IX-XII zu
1 RiEDRicH Sieber: Dem Monde kann man kein Kleid machen
Tafel XIII-XIX zu
Leopold Schmidt: Der randbeschlagene Holzspaten in Ostmittelcuropa
Tafel XX-XXIV zu
Herbert Clauss: Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
Friedrich Sieber — Dresden
Wünsche und Wunschbilder im späten deutschen Zaubermärchen
Vortrag, gehalten auf der volkskundlichen Sonderkonferenz zur Jahrestagung
der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 31. März 1955
I.
„In den alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat. . .“, mit dieser Ein-
gangsformel beginnt bei Grimm das Märchen „Der Froschkönig oder der eiserne
Heinrich“. Nun aber ist dieses Märchen die Nummer eins der gesamten Grimmschen
Sammlung, die sich mit dieser Formel bedeutsam eröffnet. Die Oelenberger Hand-
sc 11 kennt sie noch nicht, auch nicht die Ausgaben von 1812 und 1819, selbst der
usgabe von 1825 ist sie noch fremd, erst von der dritten Auflage an nach
mancherlei stilistischen Änderungen am Märchen taucht sie auf und bleibt Ein-
gangs orme des Gesamtwerkes. So mag diese Formel, nach langen Märchenstudien
an so e eutsame Stelle gesetzt, auch eine bedeutsame Einsicht Wilhelm Grimms
aussprechen, eine Einsicht, die er theoretisch nicht weiter erörtert hat, die aber
marchenecht Gestalt gewinnt und thematisch durch das Gesamtwerk schwingt - die
insicht nämlich, daß das Wünschen eine wesentliche Triebkraft im Märchen ist1).
Diese Einsicht, geformt in den Text gestellt und so verhüllt neben den theore-
tischen Erörterungen über die mythisch-sagenhafte Ausdeutbarkeit der Gebilde
stehend, wird erst von der Märchenforschung des 20. Jahrhunderts von anderen
^ ragestellungen aus wieder gewonnen und schließlich als wesensbestimmend für
for ^.ä'rc^ien erkannt, so daß FRIEDRICH RANKE 1934 an repräsentativer Stelle
mu ieren kann: „In seinen Märchen besitzt unser Volk einen Schatz an tröstlichen
ichtungen, durch die es verrät, welche Richtung seine Wachträume nehmen,
Y. .Y.Sle’ ^urc^ keine Erfahrung gelenkt oder gehemmt, ins Blaue greifen und sich
1£L -Verfüllung schaffen, die das Leben versagt.“2)
er okabelschatz, dessen sich FRIEDRICH RANKE bedient: Wachträume, die
ms aue greifen . . . Wunscherfüllung, die das Leben versagt — weist unverkennbar
in rW Härchen der Brüder Grimm. Aus dem Nachlaß Clemens Brentanos
Kin I926’ S- l6x* - K- Schmidt: Die Entwicklung der Grimmschen
Drnrt- • k arC <2° se** ^er Urhandschrift nebst einem kritischen Texte der in den
T.8anE!?eg.“cke- HaUe '932, S. 27; 271; ,66. - Albert Wesselski: Ver-
such einer Theorie des Märchens. Reichenberg ,,,, S. 117.
j • . RrEDRIEH ANKE. Märchen. In: A. Spamer: Die Deutsche Volkskunde. Bd. I
Leipzig 1934, S. 249.
12
Friedrich Sieber
auf eine psychoanalytisch gerichtete Seelenkunde als einen geistigen Quellraum
dieser Märchenauffassung.
Schon SIGMUND Freud hatte das Märchen in seine Untersuchungen über Traum
und Symbol einbezogen3). FRANZ RlKLIN baut 1908 die FreuDschen Anregungen
auf dem Gebiet des Märchens aus und versteht „die Märchen als Dichtungen unter
direkter Verwertung der unmittelbar aus dem primitiven menschlichen Seelenleben
geschöpften Erfahrung und der allgemeinen Wunscherfüllungstendenz, die wir in
der echten Dichtung auch jetzt noch . . . wiederfinden“4).
Auch für W. A. BERENDSOHN ist das Märchen „reinste Wunschdichtung, in die
sich die gequälte Seele flüchtet aus der Enge und Gemeinheit des drückenden All-
tags“ 5).
Den Begriff Wunschdichtung präzisiert PAUL GROTH als Wunscherfüllungs-
dichtung: „Der Wunsch nach Reichtum, Erleichterung der harten Arbeit wird im
Märchen nicht geäußert, sondern erfüllt, ist über dem Erleben der Erfüllung gar
nicht einmal bewußt. Er . . . ist. . . die geheime treibende Kraft, die sich im Hinter-
gründe hält und die Handlung dahin bringt, wo sie im Märchen stets hinkommt:
zur Wunscherfüllung“6).
Neben der Psychoanalyse betont auch die Völkerpsychologie die Bedeutung der
Wunschaffekte für die Entstehung der Märchen, die WILHELM WUNDT eine „er-
träumte Wirklichkeit“ nennt7).
Während die Psychologie das Wünschen in seelischen Urgründen des Menschen
verankert und aus diesen Antrieben das Märchen aufwachsen läßt, erkennt ANDRE
JOLLES in seiner morphologischen Untersuchung der „Einfachen Formen“ das
Märchen als die Form, in der das Geschehen so geordnet wird, daß es der Forderung
der naiven Moral, wie es in der Welt zugehen müßte, entspricht. Das Märchen hebt
in seiner Form die als ungerecht und unmoralisch empfundene Wirklichkeit auf.
Aus der Wunscherfüllungsdichtung wird das Märchen eine in Sprachakten ge-
rinnende Geistesbeschäftigung, die auch bei JOLLES in der Spannung zwischen
Wirklichkeit und Wunschbild lebt8).
Die Ergebnisse psychologischer und morphologischer Fragestellung werden ver-
tieft und bereichert durch Einsichten der Germanisten, die sich mit den Beziehungen
zwischen Heldensage und Märchen beschäftigen. FRIEDRICH PANZERS einst bahn-
3) Über den Einfluß der FREUDschen Theorie auf die volkskundliche Forschung s. die
Literaturangaben bei Paul Groth : Die ethische Haltung des deutschen Volksmärchens.
Leipzig 1930, S. 13, Anm. 2.
4) Franz Riklin: Wunscherfüllung und Symbolik im Märchen. Schriften zur an-
gewandten Seelenkunde. Lieft II. Leipzig u. Wien 1908, S. 9fr. Reifer und bedeutsamer Otto
Rank: Psychoanalytische Beiträge zur Mythenforschung. Leipzig und Wien 1919. In Auf-
satz XIII handelt Rank über Mythus und Märchen.
5) W. A. Berendsohn : Grundformen volkstümlicher Erzählkunst in den Kinder- und
Hausmärchen der Brüder Grimm. Hamburg 1922, S. 36.
6) Groth, a. a. O., S. 29.
7) Wilhelm Wundt: Völkerpsychologie. Bd. II, Mythus und Religion 3.Teil. Leipzig
1909, S. 33.
8) Andre Jolles: Einfache Formen. Halle 1929. 2. Aufl. Halle 1956.
13
________Wünsche und Wunschbilder im späten deutschen Zaubermärchen
brechende Arbeiten auf diesem Gebiet9), vor allem aber ANDREAS HEUSLERs10)
Untersuchungen ringen um die Frage: Spendete das „Urmärchen“ Bausteine zum
Aufbau der Heldensage, oder ist das Neumärchen volkstümliche Umbildung der
Heldendichtung? Steht es also zur Heldendichtung im ähnlichen Verhältnis wie das
spätmittelalterliche erzählende Tanzlied, das ANDREAS HEUSLER als volkstümliche
Neuformung schon auf höherer Ebene geformter Stoffe faßt, denn „in der Ballade
erscheint die Welt der Könige und Helden — um die handelt es sich ja zumeist —
ln zweithändiger Darstellung; oft darf man sagen, ohne tadelnden Beiklang, in
Travestie. Darin gleicht ihr das Märchen, die vorzugsweise travestierende Gattung,
mit seiner Verkindlichung und Verbauerung der Großen“11).
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Heldendichtung und Märchen12) führt
notwendig zur soziologischen Zuordnung der Formen. Der Ort der Heldendichtung
ist bei den Germanen die Halle des Druchtin, des Gefolgsherren, das Märchen aber,
sei es als Urmärchen, sei es als Neumärchen, wird von breiteren Volksschichten am
Rande der heroischen Welt getragen13).
Diese Einsicht germanistischer Forschung verbindet sich mit der psychologischen
Auffassung des Märchens als Wunscherfüllungsdichtung, und so bilden sich Formeln,
wie sie Ernst Tegethoff gebraucht, der die Märchen Aschenbrödel, Goldener und
Allerleirauh Märchen der „erhöhten Niedrigkeit“ nennt und sie als „Glückstraum
er sozia Entrechteten versteht13a). Auch der spätere FRIEDRICH PANZER sieht
W 1 Cr^Str^ Cn en’- g°^enen Umwelt der Märchengestalten „ein Wunschbild der
Weit, das der Einbildungskraft der Armen und Niederen entsprossen scheint“14).
, ^ Friedrich Panzer: Hilde-Gudrun. Halle a. S. 1901. Hier versucht Panzer, das Mär-
c cn a s orstufe germanischer Heldensage zu erweisen. Ders.: Studien zur germanischen
Sagengescluchte, I. Beowulf. München 1910; II. Siegfried. München 191z.
NDREAS Heusler : Geschichtliches und Mythisches in der germanischen Helden-
sage. itzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften Berlin 1909, S. 920
bis 945; bcs. S. 939; 943.
n) Andreas Heusler: Die Balladendichtung des Spätmittelalters. In: Germ.-rom.
1 onatssc rift X (1922), S. 20. Über Ballade und Epos bei den Deutschen und anderen
1-!^C1^ Völkern vgl. neuerdings Erich Seemann: Ballade und Epos. In: Schweize-
sches Archiv für Volkskunde. Basel 1953, S. 147—183.
Schn HaNS Uonti: Volksmärchen und Heldensage. Helsinki 1931. FFC 93. — Hermann
faßt dElI|r^: ^crrnan*schc Heldensage I. Berlin u. Leipzig 1928, S. 26ff.— Robert Petsch
form ' arc^en a^s volkstümlichen Ersatz der Heldensage, als frühe volkstümliche Neben-
7c f vu P^sönlUhen Heldensage. Vgl. R. Petsch: Die Kunstform des Märchens. In:
-)NeueC;d7-RBd-7^37),S.3;23.
f 1 ■ d°8S vertritt JAN DE Vries die Meinung, daß das Märchen als eine ArtGegen-
?fm -f CQCri ifCr Heldensage auch im aristokratischen Umkreis entstanden sei. Er faßt es
a s rei c ^ pic orm aristokratischer Kasten vor der Katastrophe. Seine Konzeption ist wohl
TV.11 UTI1IS mmanalyse des Märchens beeinflußt. Jan de Vries: Betrachtungen zum
Märchen. Helsinki 1934. FFC 150
13a) Eei*st Tegethoff; Französische Volksmärchen. Jena 1923. Bd. I, Anm. S. 317 zu
r. 27. Allerlei rauh gehört nicht zu diesem Typ. Hier geht eine Hochgestellte durch eine
-eit der Prüfung, aus der sie sich wieder zum Glanz ihres Standes erhebt, ein beliebtes
mittelalterliches Erzählmotiv.
) Friedrich Panzer: Das Märchen. In: John Meier: Deutsche Volkskunde. Berlin
u. Leipzig 1926, S. 234.
14
Friedrich Sieber
Nach Per WiESELGREN haben zwei Wirkkräfte zur Entwicklung des Zauber-
märchens beigetragen. Nach ihm führte die Einführung des Christentums bei den
Germanen zu einem tiefen Kontrast zwischen Lehre und Leben, den man früher
nicht gekannt hatte und der zunächst zu einem Niedergang des Ethos führte.
„Höchstwahrscheinlich ist aber auch durch das Christentum eine verstärkte Nei-
gung zum gütigen Wunder eingetreten, die belangvoll gewesen ist für die Ent-
wicklung des Wundermärchens. In derselben Richtung wie das Christentum wirkten
in ethischer Hinsicht m. E. die sich immer schärfer entwickelnden Klassengegen-
sätze. Das Märchen als Wunschtraum des kleinen Mannes, als Spiegelbild der
Phantasien der unterdrückten Leute ist dadurch besonders beliebt geworden. Früher
dürfte es nur bei dem Sklavenstand ein solches Gepräge gehabt haben“15).
Will-Erich Peuckert, der WiESELGREN verkürzt zitiert, meint, daß er
„etwas Richtiges“ ausspreche, daß der Aschenpüster, der Dümmling, Hamlet, das
Bäuerchen Einochs Gestalten seien, die einmal das Glück zu ergreifen vermochten,
wie jeder der Kleinen es für sich erhoffe16).
Wir stimmen PEUCKERT bei: In der Auffassung des späten Zaubermärchens als
Wunscherfüllungsdichtung der sozial Entrechteten „steckt etwas Richtiges“. Doch
glauben wir mit ihm nicht, daß alle Anliegen des vielschichtigen und aspektreichen
Zaubermärchens damit getroffen werden. C. W. V. SYDOW ist der Meinung, daß
sich eine große Gruppe von Zaubermärchen (er nennt sie Schimäremärchen) aus
einfachen Fabulaten in Fortsetzungsdichtung entwickelt habe; z. B. sei das Märchen
von den Schwanenjungfrauen deutlich aus einem Fabulat von der Ehe mit einem
übernatürlichen Wesen entstanden, das seinen Mann verläßt, weil er ein Tabu ver-
letzte. Später aber habe dieser Ausgang nicht befriedigt, und man habe weiter
fabuliert, wie der Mann seine Frau sucht und nach vielen Abenteuern wieder mit ihr
vereinigt wird17). Die Anliegen solcher älterer Erzählteile, die einst ein Eigenleben
führten, aber in das von Wunschbildern gelenkte Geschehen eingeschmolzen
wurden, sind im Zaubermärchen hier und da noch spürbar.
Die Prägekraft der Form hat in eindrucksvoller Weise Max LÜTHI dargestellt.
In seiner aufgesteilten Formanalyse erscheint ihm das Märchen als eine „Wesens-
schau der Wirklichkeit“, Darstellung nicht einer, sondern der Welt, in der allem
seine bestimmte Stelle angewiesen, in der alles in Ordnung ist. „Und in diesem, nur
in diesem Sinne darf man das Märchen Wunschdichtung nennen. Es stellt uns eine
Welt dar, die in Ordnung ist und befriedigt damit den letzten und ewigen Wunsch
des Menschen.“18)
Wir stimmen mit LÜTHI überein, daß das Märchen keineswegs die mühelose
Befriedigung primitiver Wünsche zeigen will — obwohl auch diese Schicht in ihm
15) Per Wieselgren: Quellenstudien zur Völsungasaga. Tartu 1935, S. 359. In: Acta et
Commentationes Universitatis Tartuensis (Dorpatensis). Tartu 1936. Reihe B. Humaniora-
16) W.-E. Peuckert : Deutsches Volkstum in Märchen und Sage, Schwank und Rätsel-
Berlin 1938, S. 33.
17) C. W. v. Sydow: Selected Papers on Folklore. Copenhagen 1948, S. 84. — Katego-
rien der Prosa-Volksdichtung. In: Volkskundliche Gaben zum 70. Geburtstag John Meiers-
Berlin u. Leipzig 1934, S. 253—268.
18) Max Lüthi: Das Europäische Volksmärchen. Form und Wesen. Bern 1947, S. 106-
Wünsche und Wunschbilder im späten deutschen Zaubermärchen
15
vorhanden ist sondern daß es in seinem letzten Wollen auf eine Ordnungswelt
abzielt. Wir aber sind der Meinung, daß diese nicht vorhanden, in der Ausgangs-
stellung des Märchens zum wenigsten gestört ist, und daß es dem Helden bestimm-
ter Märchentypen aufgegeben ist, sie wieder herzustellen.
Einst hatten Märchen ihren Platz auch in der höfischen, der bäuerlichen und der
bürgerlichen Gesellschaft18 19), aber in der zweiten Hälfte des 19. und im 20. Jahr-
hundert, darin stimmen alle Märchensammler überein, sind kleine Handwerker,
Tagelöhner, Instleute, Fischer, Matrosen die wichtigsten Märchentrager geworden.
In ihren Händen erfährt das Zaubermärchen seine letzte Prägung. Wir kennen es
weithin nur in dieser Gestalt. Sichere Anzeichen deuten daraufhin, daß es von den
späten Märchenträgern nicht als Glasperlenspiel19 a) mit Figuren un gura en e
Zügen verstanden wurde, sondern daß es für sie kräftig von Wollungen, unsc n
und Wunschbildern durchpulst war. Von diesem Blickpunkt aus sei das spate
deutsche Zaubermärchen beleuchtet.
II.
Das Wünschen schwingt im seelisch-geistigen Bereich zwischen Trieb und Wille.
Wir wollen nicht die Psychologie anrufen, um uns über die Erscheinungsformen
des Begehrens zwischen Trieb und Wille zu belehren, aber wir rufen die Sprache
an, die mit einer Fülle von Bezeichnungen sowohl diese Übergänge als auch die
Stärkestufen des Begehrens zu fassen sucht: gelüsten nach, getrieben werden von,
aus sein auf, scharf sein auf, erpicht sein auf, begierig sein auf, süchtig sein auf,
für sein Leben gern haben, verlangen, wünschen, o möchte dochl ach wenn doch!
ersehnen, wollen, trachten nach, erstreben, auf etwas abzielen20).
Aus diesem Wortfeld des Begehrens heben sich deutlich drei Hauptgruppen der
Begehrens weise heraus je nach ihrer Nähe zum Trieb oder zum Willen. Der Trieb
ist dumpf und treibt den von ihm Ergriffenen zur Trieberfüllung. Der Wille ist ziel-
strebig und beschreitet im Tun den Weg zur Verwirklichung. Der Wunsch weiß,
worauf er abzielt und ist somit den dumpfen Anstößen triebhaften Begehrens ent
rückt, aber er löst sich nicht wie der Wille in verwirklichende Handlung aus. Der
Wunsch ist das Gerichtetsein zielbewußten Begehrens auf ein Nicht-Zuhandenes.
Dieses Nicht-Zuhandene kann wie bei den üblichen Geburtstags- und Wei
nachtswünschen zuhanden gebracht werden. Die Wunschintention erfährt dann 1|ire
Erfüllung. Es gibt aber auch Wünsche, die die Grenze unmittelbarer realer Erfüll-
barkeit überschreiten. Zwar ist diese Grenze je nach dem soziologischen Standort
des Wünschenden verschieden weit gezogen, aber nicht realisierbare Wünsche gi
es für jeden, wo er auch stehen mag.
Wünsche, erfüllbare oder nicht erfüllbare, können sich auf ein in sich begrenztes
Einzelobjekt richten: auf einen Beutel mit Geld; Wünsche können sich aber auc
18) Bolte-Polivka Bd.IV, Leipzig 1930, S. 4. Vgl. dazu A. Wesselski: Märchen des
Mittelalters. Berlin 1925, Nr. 17: Der Königssohn und der Tod.
19a) Lüthi, a. a. O., S. 125. , , w
20) Vgl. die entsprechenden Sachgruppen bei Franz Dornseiff. er eutsc e or
schätz nach Sachgruppen. 3. Auf!., Berlin 1943.
16
Friedrich Sieber
auf ganze Geschehnisreihen richten, in denen sich die Wunschintention verwirk-
licht, etwa: Ich wünsche mir ein vom Glück gekröntes Abenteuerleben. Solche auf
Reihen und Ordnungen ausgerichtete Wunschintentionen nennen wir Wunsch-
bilder.
Wunschbilder wurzeln tiefer in der Gesamtperson des Wünschenden als bloße
Objektwünsche; ihnen haftet noch der Hauch der alten Wortbedeutung an, die
JACOB Grimm so faßt: „Den Inbegriff von Heil und Seligkeit, die Erfüllung aller
Gaben scheint die alte Sprache mit einem einzigen Worte, dessen Bedeutung sich
nachher verengte, auszudrücken, der hieß Wunsch. Dieses Wort ist wahrscheinlich
von wunja, wunniga, Wonne, Freude abstammend, wunisc, wunsc, Vollkommen-
heit in jeder Art, was wir Ideal nennen würden“21).
Wunschbilder sind das Schaffensbereich der Phantasie, des Fabulierens. Sie ent-
falten sich in bunten Geschehnisketten, die im leichten, schwebenden Spiel das
gewünschte Nicht-Zuhandene illusionistisch verwirklichen und damit „real un-
befriedigte Interessen imaginativ befriedigen“22).
Im Trieb ist der Mensch dumpf ergriffen, im Wollen handelnd gestrafft, im
Wünschen fabulierend gelöst. Im Wünschen leuchten die Augen auf; es ist ein
Einstieg in die Welt des Märchens.
Im Märchen „Der Ranzen, das Hütlein und das Hörnlein“23) sind drei Brüder
in tiefe Armut geraten, und endlich war die Not so groß, daß sie Hunger leiden
mußten und nichts mehr zu beißen und zu brechen hatten. Da sprachen sie: „Es
kann nicht so bleiben; es ist besser, wir gehen in die Welt und suchen unser Glück.“
Aus einer unerträglichen Ausgangssituation, einer gestörten Ordnung, steigt,
wie so oft im Märchen, das Wunschbild auf: das Glück.
„Die drei Brüder machten sich also auf und waren schon weite Wege und über
viele Grashälmerchen gegangen, aber das Glück war ihnen noch nicht begegnet.
Da gelangten sie eines Tages in einen großen Wald, und mitten darin war ein Berg,
und als sie näher kamen, so sahen sie, daß der Berg ganz von Silber war. Da sprach
der älteste: „Nun habe ich das gewünschte Glück gefunden und verlange kein
größeres.“ Er nahm von dem Silber, so viel er nur tragen konnte, kehrte dann
um und ging wieder nach Haus. Die beiden andern aber sprachen: „Wir verlangen
vom Glück noch etwas mehr als bloßes Silber“, rührten es nicht an und gingen
weiter. Nachdem sie abermals ein paar Tage gegangen waren, so kamen sie zu einem
Berg, der ganz von Gold war. Der zweite Bruder stand, besann sich und war un-
gewiß. „Was soll ich tun?“ sprach er, „soll ich mir von dem Golde so viel nehmen,
daß ich mein Lebtag genug habe, oder soll ich weitergehen?“ Endlich faßte er einen
Entschluß, füllte in seine Taschen, was hinein wollte, sagte seinem Bruder Lebewohl
und ging heim. Der dritte aber sprach: „Silber und Gold, das rührt mich nicht.
Ich will meinem Glück nicht absagen; vielleicht ist mir etwas Besseres beschert.“
21) J. Grimm: Deutsche Mythologie. 4. Bd., S. 114. Vgl. dazu Robert Petsch: Wesen
und innere Form des Volksmärchens. Nd. Zs. f. Vkde XV (1937), S. 13.
22) Vgl. A. Vierkandt: Prinzipien der ethnologischen Volksforschung. In: Jahrbuch
f. hist. Vkde Bd. II.
23) KHM 54.
17
Wünsche und Wunschbilder im späten deutschen Zaubermärchen
Die beiden Brüder, die heimkehrten, führten dort ein Leben in Saus und Braus.
Silber und Gold als die Grundlagen materiellen Wohllebens waren ihr Wunschbild
vom Glück.
Erwerb materieller Güter aller Art nimmt im Märchen einen breiten Raum ein.
tigen Wesen gewährte Wünsche werden im aktiven Wortzauber zu ihrer Herbei-
schaffung verwendet oder Wunschdinge vermitteln sie. Vom Tischlein-deck-dich
über Geld, Silber, Gold, Edelsteine bis zur Repräsentation des Reichtums im Schloß
erstreckt sich ihr Umkreis24). Es ist naheliegend, gerade diese Wunschintentionen
aus der dürftigen sozialen Lage der Trägerschicht abzuleiten und wie PAUL Groth
einseitig zu sagen: „Das Märchen ist des Volkes Sehnsucht nach materiellem
Glück“25).
Nun aber ist der Wunsch nach materiellen Gütern so alt wie die Klassengesell-
schaft. In der Klassengesellschaft wünscht sich auch der Reiche noch größeren
Gliedern der Klassengesellschaft gemein und keine Besonderheit der Enterbten.
Aber zweifelsohne werden die auf Mehrung der Reichtümer gerichteten Wunsch-
intentionen des Reichen anders geartet sein als die des Armen. Der Reiche stockt
auf Zuhandenes auf; er weiß um Geld und um die Wege seiner Mehrung. Seine
Wunschintentionen werden eher den Charakter phantastischer Spekulationen
tragen als den naiver Märcheneinfälle. Als Beispiel dafür kann das Märchen vom
Armen und vom Reichen dienen26). Für den Reichen ist das Finden allumfassender
Wünsche eine so komplexe Aufgabe, daß er über dem Grübeln in unwirscher
Reaktion seine Wünsche unnütz vertut. Dem Armen dagegen ist das Wesen des
Reichtums und des Reichseins unbekannt. Er stampft die Märchenschätze aus dem
Nichts. Ein Sack, eine Kiste, ein Scheffel voll Geld, soviel wie einer tragen kann,
bezeichnen in der Vorstellung der Märchenwelt ungeheure Mengen.
Wertvoller noch als gehäufte Schätze sind Menschen, denen bei jedem Wort ein
Goldstück aus dem Munde fällt oder die jeden Morgen eins unter dem Kopfkissen
finden, Vögel, die Goldeier legen oder goldniesende Esel, Geldbeutel, die unversieg-
bar sind; d. h. wertvoller als Schatzhäufung ist die dauernde Bereitstellung der
materiellen Grundlagen für ein sorgenfreies Leben. Diese Sorge um ein gesichertes
heben scheint eine echte Wunschintention wirtschaftlich ungesicherter Träger-
schichten zu sein.
Erwerb und Verwendung der Schätze vollziehen sich in so naiven Vorstellungs-
reihen, daß wir, um einen Ausdruck ANDREAS HEUSLERs aufzugreifen, von einer
x ravestie des Reichtums und des Reichseins sprechen können. Nicht der Wunsch
nach materiellen Gütern, der in allen Mitgliedern einer Klassengesellschaft lebendig
24) Baggs unter Geld im HWM.
25) Paul Groth: Die ethische Haltung des deutschen Volksmärchens. Leipzig 193°»
S. 30. Auch für Hans Naumann lebt das Märchen wesentlich aus kindlich-primitiven,
„auf ganz materielle Güter gerichtete Wunschphantasien“: H. Naumann: Grundzüge der
deutschen Volkskunde. Leipzig 1922 S. 152.
9A\ T/TTir « > ' JJ' 2
Solche Güter werden als Belohnung verdient oder vom Glück beschert, von mäch-
Reichtum und noch üppigeres Wohlleben. Der Wunsch als solcher ist also allen
2e) KHM 87.
2 Volkskunde
18
Friedrich Sieber
ist, sondern in der Art der Wunsch Verwirklichung zeigt das Märchen die Griff-
zeichen seiner späten Träger.
Dem Helden verliehene Zaubergegenstände vermögen aber nicht nur materielle
Güter herbeizuschaffen. Durch ihren Besitz und ihre rechte Handhabung gewinnt
der Held Kräfte, mit deren Hilfe ihm allein seine Taten gelingen. Mitunter stehen
die Zaubergegenstände im greifbaren Bezug zu den Wünschen soziologischer
Gruppen. Der Jäger erhält eine Büchse, die nie fehlt, der Musikant ein Instrument,
das alle verzaubert tanzen läßt, der Scholar ein Pflaster, das alle Wunden heilt, der
Spieler Karten, die immer gewinnen, der soldatisch geprägte Held Ranzen und
Horn, die ihm militärische Machtmittel herbeizaubern. Daneben stehen die zahllosen
Wunschdinge, die gruppenmäßig ungebunden in allgemein menschlichen Inten-
tionen wurzeln: Fahrzauberische Wunschdinge wie Hut, Mantel, Siebenmeilen-
stiefel, die alle räumlichen Entfernungen überwinden lassen, der Wunschring, das
Wasser des Lebens, solche, die als archaische Elemente (Verstehen der Tiersprache)
oder als Intention aus fremden Kulturbereichen (wunderbare Früchte) im Strome
der Überlieferung mitgetragen werden.
Die Verleihung solcher Wunschdinge an den Helden bleibt im Märchen nicht
Selbstzweck. Aus den Energien ihrer Zauberkausalität wird die Handlung zum
glücklichen Ende getrieben; sie sind für das Zaubermärchen weithin konstituierend.
Das Zaubermärchen wird von den späten Märchenträgern noch erzählt, als auch
in ihrem Umkreis der Zauberglaube erloschen ist. An seine Stelle ist eine allgemeine
Gläubigkeit getreten, die das Wunder im menschlichen Schicksalsablauf gelten läßt27).
Im Märchen vom Ranzen, Hütlein und Hörnlein erwirbt sich der letzte der drei
Brüder mit Hilfe seiner Wunschdinge ein Königreich. Was war ihm also das Glück?
Er wußte es am Anfang selbst nicht. Das Königreich fällt ihm zu.
Nach GERHARD Kahlo28) sind etwa die Hälfte aller Märchen Abenteuermärchen.
Wie verschieden die Gründe zur Ausfahrt auch sein mögen: wirtschaftliche Not,
der Berufswunsch des Gesellen, sich in seiner Profession zu vervollkommnen, der
allgemeine Wunsch, sich die Welt anzusehen, Überdruß am Leben zu Haus: immer
ist die Triebkraft zur Ausfahrt subjektiv vom Helden her gesehen, die Unerfülltheit
seines Lebens. „Wenn mir’s nur gruselte“, spricht der, der auszog, das Fürchten
zu lernen, auf Weg und Steg vor sich hin29).
Wenn nicht Brüder gemeinsam zur Ausfahrt rüsten, zieht der abenteuernde
Märchenheld allein aus. Er gleicht dem fahrenden Ritter, der ohne Bindung im
Heer allein das Abenteuer besteht. Im Märchen vom Ranzen, Hütlein und Hörnlein
erlistet sich der dritte Bruder durch Betrug die zwei letzten Wunschdinge, und nur
aus verletzter Eitelkeit gerät er mit dem König des Landes in Krieg, den er schließ-
27) Zu den Wunschdingen vgl. Antti Aarne: Die Zaubergaben. Eine vergleichende
Märchenuntersuchung. Journal de la société Finno-ougrienne. XXVII, Helsinki 1917.
Ders.: Der tiersprachekundige Mann und seine neugierige Frau. Helsinki 1914. FFC 15.
Ders.: Vergleichende Märchenforschung. Helsingfors 1908. — Heckscher unter Gerte im
HWM II, S. 554fr. — M. Lüthi: Die Gabe im Märchen und in der Sage. Bern 1943.
28) G. Kahlo: Stichwort Abenteuer, HWM.
29) KHM 4.
Wünsche und Wunschbilder im späten deutschen Zaubermärchen
19
lieh mit Hilfe seiner zauberischen Machtmittel besiegt. Er ist, wie viele andere
Helden in Abenteuermärchen auch, nur auf sein Glück bedacht. Taten der Auf-
opferung für andere, leidenschaftliche Hingabe an seine heldische Aufgabe sind ihm
unbekannt. Doch seiner kecken Unbekümmertheit bleibt der Erfolg nicht versagt.
Die Unbestimmtheit des Erfolgziels bis zum Ausgang der Erzählung gehört als
wesentlicher Zug dem Typ an. Im Wagnis, im Spiel der Fortuna verwirklicht sich
das Wunschbild der Märchenträger: ein vom Abenteuer erfülltes und vom Erfolg,
vom Glück gekröntes Leben30).
Eine tiefere Tönung erfährt das Abenteuermärchen, wenn das Glück, das dem
Helden erblüht, die Braut ist. Auch im Märchen vom Ranzen, Hütlein und Hörnlein
fällt dem letzten Bruder die Königstochter zu. Aber er empfindet keine Neigung
zu ihr, und auch sie mag ihn nicht, vielmehr versucht sie, ihn umzubringen. Zur
Strafe dafür bläst der Held als rechter Abenteurer so zornig in sein Horn, daß unter
den stürzenden Mauern und Festungswerken der König und seine Tochter er-
schlagen werden.
Auch in vielen Märchen der Brautgewinnung ist der erotische Antrieb gar nicht
oder nur schwach wirksam. Aber die Brautgewinnung reißt den Helden aus der
Enge seiner eigensüchtigen Ziele und ordnet ihn in Anliegen der Gemeinschaft ein.
Wenn er die Braut aus der Gewalt des Unholds oder feindlicher Menschen erlöst,
den Zauberbann bricht, sie aus dem Zauberschlaf weckt, so bekämpft er mit diesen
Taten lebensfeindliche Mächte. Ist die Erlösung an standhaftes Erdulden von Marter
und Qual gebunden, so erfährt sein Wesen eine dem Abenteuerhelden fremde
Vertiefung. Furchtlosigkeit, Kraftgefühl und Siegeszuversicht sind auch ihm eigen,
aber auch Mitleid ist ihm bekannt, und leidenschaftliche Hingabe an seine heldische
Aufgabe erfüllt ihn. „Und wenn es mein Leben kostet“, pflegt er zu sagen. Dabei
birgt der opferbereite Entschluß zur Tat bereits den von Erfolg gekrönten Hand-
lungsvollzug in sich.
Die Hand des hochgestellten Mädchens, die ihm als Preis winkt, gibt ihm ein
vieltönigeres Glück als das Erfolgsglück des Abenteurers: Liebesglück, Macht-
glück und der Genuß eines sorgenfreien Lebens klingen darin zusammen.
Die Abenteuermärchen und die der Brautgewinnung müssen in ihrem ganzen
Ablauf gesehen werden: Auszug, Abenteuer, Lebenseinsatz und schließlich der Er-
folg sind ein Ganzes und bilden ein biographisches Wunschbild. Die Träger dieser
biographischen Wunschbilder sind in Kreisen der Jungmannschaft aller Klassen
zu suchen, einst wie jetzt31).
Beide Märchengruppen stehen in enger Nachbarschaft literarischer Vorbilder.
Aber unter den Händen der späten Trägerschicht sind aus fahrenden Rittern ab-
30) Vgl. die Schildern~
deutschen und russische Typs bei August v- Löwis of Menar: Der Held im
Völkerpsychologie II rh a^l' Jena *9I2> S- 6o/01- Vgl. auch Wilhelm Wundt:
Glücksmärchen ' ’ * ythus und Religion, 3. Teü. Leipzig 1909, S. 89—122, Das
sieht, „von der Geburt De^Ries v°U zu, der auch das Heldenleben als ein Ganzes
Märchen. Helsinki 1954 S * 126^ tragischen Tod“- JandeVries: Betrachtungen zum
20
Friedrich Sieber
gedankte Soldaten, Handwerks- und Bauernburschen oder sonstige Vertreter werk-
tätiger Berufe geworden, und unter dem Einfluß dieser ritterlichen Nachfahren mag
auch die Heirat im zunehmenden Maße als gute Versorgung verstanden worden
sein313).
Neben dem Märchen der Brautgewinnung stehen die der Brautwerbung. Sie
bilden mit den Geschichten von der Wiedervereinigung Liebender die eigentlichen
Liebesmärchen. An ihrem Ausgangspunkt steht ein erotisches Erlebnis. Im Märchen
vom treuen Johannes* 32) erblickt der Königsohn in dem verbotenen Gemach das
Bild der Königstochter vom goldenen Dach33), bei dessen Anblick er, von Liebe
ergriffen, ohnmächtig zu Boden stürzt. Er zieht nun aus, die Braut zu erwerben.
Im Märchen von den sechs Dienern34) hört der Königsohn von der Schönheit der
Jungfrau, und dieses Hörensagen entflammt ihn so, daß er dahinsiecht, als ihn der
Vater nicht ziehen läßt. In den Brautwerbungsmärchen handelt der Held, der Be-
stimmtheit der Zielvorstellung entsprechend, entschiedener und aktiver als in den
Glücks- und Brautgewinnungsmärchen35). Das Brautwerbungsmärchen bleibt an
den Kreis der Standespersonen gebunden36). Das Wunschbild, das aus ihm und aus
den Märchen von der Wiedervereinigung Liebender spricht, ist die allen Klassen
zugehörige Meinung: Liebende gehören zusammen.
Das Wunschbild, in der Form einer Forderung vorgetragen, ist von anderem
Rang als die Intentionen, die auf begrenzte Objekte oder biographische Abläufe
gerichtet sind. In diesen Gruppen ist der Wunschträger das Ich: Ich wünsche mir . . .
Bei der Forderung: Liebende gehören zusammen, wird ein Wunschbild ausgespro-
chen, das über subjektive Bezüge hinaus als Grundsatz einer rechten Lebensordnung
Geltung heischt. Wir wollen solche Wunschbilder Ordnungs Wunschbilder nennen 36 a).
Zu den Ordnungs Wunschbildern gehört auch das Wunschbild der erhöhten
Niedrigkeit. Glück und Braut erhöhen den Helden in den Abenteuer- und Braut-
gewinnungsmärchen. Gerade in den letzteren gehören die Partner verschiedenen
sozialen Ständen an. Heirat bedeutet also für einen der Partner sozialen Aufstieg.
Das kann dadurch geschehen, daß der männliche Held durch seine Tat das hoch-
gestellte Mädchen gewinnt, aber auch dadurch, daß sich Hochgestellte männlichen
und weiblichen Geschlechts in Partner niederen Standes verlieben und sie zu sich
emporheben. Dabei kennt das Märchen die Standesunterschiede sehr wohl; gerade
31a) Daß nicht die Liebe, sondern die Heirat im Sinne einer glücklichen Versorgung des
Helden das Ziel dieser Märchengruppe sei, hat zuerst Friedrich Panzer betont: Mär-
chen, Sage und Dichtung. München 1905, S. 12.
32) KHM 6.
33) Nach E. Röschs nicht unwidersprochener Meinung ursprünglich als Traumerschei-
nung. Vgl. E. Rösch: Der getreue Johannes. Eine vergleichende Märchenstudie. Helsinki
1928. FFC 77. Dazu Kaarle Krohn: Übersicht über einige Resultate der Märchen-
forschung. Helsinki 1931, S. 83fr.
34) KHM 134.
35) Vgl. Heiligendorff: Stichwort Brautwerbungsmärchen. HWM. S. auch F.Geiss-
ler: Brautwerbung in der Weltliteratur. Halle 1955.
36) Vgl. Hans Honti: Volksmärchen und Heldensage. Helsinki 1931, S. 48F FFC 95.
36 a) Robert Petsch spricht von Ordnungsbegriffen sozialer Richtung. HWM II, S. 606:
Gestalten und Umwelt im Märchen.
Wünsche und Wunschbilder im späten deutschen Zaubermärchen
21
ihre Überwindung durch Mut, Geschicklichkeit, Fleiß, Schönheit, Klugheit, Treue,
Leidensfähigkeit, gleich, ob die Anstöße dazu von unten oder von oben ausgehen,
ist das wesentlichste Spannungsmoment in den Märchen dieser Gattung. Die Hinder-
nisse, die in immer neuer Auftürmung überwunden werden müssen, und der schließ-
lich doch glückliche Ausgang zeigen, daß es diesen Märchen auf die Erhöhung der
Niedrigkeit, nicht auf eine demokratische Aufhebung der Standesunterschiede an-
kommt. Daß dem so ist, wird auch dadurch erwiesen, daß es im Umkreis der
Niedriggeborenen selbst gilt: Der Dümmling, von allen für unfähig gehalten, über-
strahlt schließlich seine Brüder, die sich schon immer ins rechte Licht zu setzen
wußten.
Das Ordnungswunschbild der erhöhten Niedrigkeit wird, so vermuten wir, im
Trägerkreis der Spätmärchen besonderen Anklang gefunden haben. Es ist unwahr-
scheinlich, daß bei der Ausbildung dieses Wunschbildes die christlichen An-
schauungen über die Erhöhung der Niedrigkeit im Jenseits mitgewirkt haben.
Im religiösen Bewußtsein des Mittelalters hat auch „das liebe Armut“ als Be-
tätigungsfeld christlicher Mildtätigkeit seinen unverrückbaren Platz. Unverrückbar
ist der Platz der Niedrigkeit auch im Rahmen der feudalistischen Gesellschafts-
ordnung. Aber unser Wunschbild durchbricht diese unverrückbaren Gefüge und
beweist damit die heftige Vitalität, von der es getragen wird. In ihm wirkt die Über-
zeugung, „daß viele körperliche und seelische Kraft bei dem Elenden und Ver-
achteten vorhanden sei, die eines Tages aufwachen und wirken muß, und sollten die
Geister selbst sich seiner annehmen“36 b). Von allen Wunschbildern, die sich im
späten Zaubermärchen verwirklichen, empfinden wir dies von der erhöhten Niedrig-
keit als das sozialechteste der späten Trägerschichten.
Der Held trifft auf seinem Wege zum Ziel Gegenspieler, die seinen Weg hemmen,
Betrüger, die ihn um seinen Erfolg bringen wollen, die eigenen Brüder, die ihm
den Tod wünschen. Die Heldinnen leiden unter den verbrecherischen Anschlägen
der Stief- und Schwiegermütter oder den Verleumdungen der Höflinge. Alle diese
Gegenspieler erhalten ihre Strafe. Seit Charles PERRAULTs Histoires ou Contes
du temps passé avec des Moralités gilt das Märchen als eine moralische Erzählung,
ln ^er die Tugend belohnt und das Laster bestraft wird. ANDRÉ JOLLES und andere
haben demgegenüber darauf hingewiesen, daß die Märchenhelden durchaus nicht
immer Tugendhelden sind und doch mit Erfolg belohnt werden37). Die Gerechtig-
keit des Märchens ist keine juristisch wägende Gerechtigkeit, die unabhängig von
der Rolle der Person im Spiel für gleiche Vergehen gleiche Strafen bereitstellt. Das
Märchen ist parteiisch. Leidenschaftlich ergreift es die Partei des Helden, den es zum
Erfolg führt, gleich, ob er sich der List oder gar des Betruges dabei bedient. Grau-
sam bestraft es oft die, die dem Helden übel taten oder sich ihm in den.Weg stellten.
Ein so afiektbetonter Strafvollzug wird besser als Vergeltung denn als strafende
Gerechtigkeit bezeichnet. Tiefste Befriedigung gewährt es, wenn der Schuldige,
) Ders.. Die Kunstform des Märchens. In: Zs. d. Vcr. f. Volkskunde. N. F. Bd.VIl
(1937), S. 27.
37) André Jolles: Einfache Formen. Halle 1929, Märchen. — P. Groth: Die ethische
Haltung der deutschen Volksmärchen. Leipzig 1930’ S. 41 f.
22
Friedrich Sieber
der sein Verbrechen noch verborgen glaubt, selbst sein Strafmaß bestimmen muß.
Das Ordnungswunschbild der Vergeltung, das aussagt, wie es in der Welt in bezug
auf Lohn und Strafe zugehen müßte, ist mit seiner affektvollen Parteiergreifung für
den Helden tief dem Erleben der späten Märchenträger verbunden38).
Da sich gelegentlich bedenkliche Züge im Bilde des Helden finden, stellt sich die
Frage, ob eine so leidenschaftliche Parteiergreifung für ihn gerechtfertigt ist. Nun
ist offensichtlich, daß die Parteiergreifung für den Helden in den Abenteuermärchen
sich anders begründet als etwa in denen der Brautgewinnung, die an heldische Taten
und Erlösungen gebunden sind. An solche Märchen müssen wir uns aber halten,
wenn wir die Bedeutung des Helden recht ermessen wollen.
Dieser Held befreit nach alter Heldenart das Land von Ungeheuern, die das Land
verwüsten, Tribute fordern oder sonst das heile Leben schädigen. Er erlöst Menschen
aus dämonischen Gewalten, aus ihren Verzauberungen als Tier, aus ihren Ver-
steinerungen, aus ihrem Zauberschlaf, also aus Zuständen der Versunkenheit in
herabgeminderte Lebensstufen, und führt sie durch Brechung des Zaubers in das
blutvolle Leben, in die menschliche Gemeinschaft zurück. Der Held stellt die heile
Lebensordnung wieder her. In über einem Drittel der deutschen Märchen tritt die
Erlösungsformel märchenfüllend oder episodisch auf, ein Zeichen, daß wir es mit
einem Kernanliegen des Märchens zu tun haben39).
Als Egbert Gerrits, der Gewährsmann Gottfried Henssens, das Märchen
von den drei Brüdern erzählt und zu der Stelle kommt, daß die drei aus ihrer Ver-
steinerung erlöst sind und darum die drei Lindenbäume vor der Hütte des Vaters
wieder grünen, ruft der Erzähler emphatisch aus: „Oh, de Fiskevader: alle Linnen-
böm bünt weer groin!“40) Mit diesem Freudenruf begleitet der Erzähler die Er-
füllung des Wunschbildes: die Wiederherstellung des heilen Lebens.
Ein Held, der das Leben wieder heil zu machen vermag, besitzt besondere Eigen-
schaften. Seinen Kampfesmut, seine unerschütterliche Siegeszuversicht, seine Bereit-
schaft, Leib und Leben zu opfern, seine Leidenskraft, also seine „heldischen“ Eigen-
schaften, haben wir schon hervorgehoben. Aber die lebenstörenden Mächte wollen
leibhaftig überwunden sein. Dazu bedarf der Held Helfer, dinglicher Helfer, die
ihm verliehen werden und deren Handhabung ihm übermenschliche Kräfte gibt,
tierischer Helfer, die ihn beraten und ihm bei der Lösung schier unlösbarer Auf-
gaben beistehen, dämonischer Helfer, die er in seine Macht bekommen hat und die
ihm deshalb helfen müssen oder es auch aus freien Stücken tun.
Solche Helfer erwirbt sich der Held häufig durch eine Guttat. Er hat ein gutes
Herz: er ist bereit, das letzte Brot zu teilen, mit seinem letzten Gelde ein Tier los-
38) Zum ganzen Problemkreis vgl. André Jolles: Het sprookje en de moraal. Fest-
schrift Mogk 1924, S.614fr. — Karl Friedrichs: Das Recht in den Kinder- und Haus-
märchen. Mitt. d. schles. Ges. f. Vkde XXII (1920), S. 16—43. — Hans Fehr: Das Recht
in der Dichtung. Bern o. J. [1931], S. 451 ff. —Otto Ludwig: Richter und Gericht im
deutschen Märchen. Bühl-Baden 1935.
39) Vgl. Diewerge, HWM, Stichwort Erlösung. Traut Anacker: Verzauberung und
Erlösung im deutschen Volksmärchen. Königsberg 1941.
40) Gottfried Henssen: Überlieferung und Persönlichkeit. Münster i. W. 1951, S. 55.
Wünsche und Wunschbilder im späten deutschen Zaubermärchen
23
zukaufen und es dadurch vor Schlägen oder dem Tode zu retten, oder er hat als Jager
solches Wohlgefallen am munteren Spiel der jungen Tiere, daß er es nicht über das
Herz bringen kann, sie zu töten. . • .
Das gute Herz des Helden ist also ein mitleidiges Herz. Mitleid als Forderung
lm Umkreis der christlichen Ethik beheimatet, und es mag sein, daß aus le^m
Bereich letzter Einfluß kam. Aber unter dieser Aufhöhung liegen tiefere Sc ic en
~ Schichten der Naturbeseelung und sympathetischer Naturver un en eit, to
mistische Erinnerungen -, Schichten also noch unverhärteter Lebenszustande ml
menschlichem Mitfließen im Lebensstrome. Wir wollen den entwicklungsgeschicht-
lichen Grundlagen der Lebenverbundenheit nicht näher nachge en ), a er
die am tiefsten gelagerte Eigenschaft des Helden. Nur der lebenver un ene
kann das gestörte Leben wieder heilmachen. .
Die Lebenverbundenheit sichert ihm den Sieg über seine Gegenspieler. Dem
Gegenspieler steht der Zauber zur Verfügung wie dem Helden auc ,
kämpft Zauber gegen Zauber. Aber Apfelbaum, Quelle und Tier von er
bis zum Löwen helfen nur dem lebenverbundenen Helden. Die lebenstoren
Mächte stehen trotz ihrer Zaubermacht, die in ihren Händen zum Bosheitszauber
wird, im Gesamtleben isoliert. Gut ist das heile Leben, und der Held, der ihm ien ,
ist lebenverbunden. Böse ist das unheile Leben, und die Macht, die 1 m ien ,
steht in der Vereinzelung. Das Wunschbild des heilen Lebens gibt dem Märchen
seinen tiefen, humanen Gehalt. . , . •
Diese humane Grundhaltung ist es, welche die Bildungsschicht mit egri en w
ethischer Grundgehalt, Moralität, Humanität, Sieg des Guten über das Bose u. a.
einzufangen sucht. Sie wendet damit festgeprägte Begriffe an, um ein, wie wir an-
deuteten, mehrschichtiges, in den Trägern keinesfalls kategorial erstarrtes Grün -
gefühl dem Gesamtleben gegenüber zu fassen. In den späten Trägerschichten mag
dieses Grundgefühl neben anderen Quellgründen auch von berufsbedingter Ver-
bundenheit mit Tier und Pflanze und Sonne und Wind genährt und dadurch langer
bewahrt worden sein.
III.
Wir haben versucht, die Wunschintentionen des späten deutschen Zauber-
marchens als Wünsche nach materiellen Gütern und Zauberdingen, als biographische
Wunschbilder und als solche der Lebensordnung zu fassen und nach ihrer gese
schädlichen Aussagekraft zu befragen. Eine solche Befragung kann zu rase en
Schlüssen verlocken, wie sie GERHARD KAHLO vollzogen hat, der in star er er-
zeichnung die Märchen „das geistige Erzeugnis klassenbewußter Proletarier
«) Vgl. dazu W.Grxmm: Kleine Schriften. Hrsg, von G. Hinrichs, Gütersloh 189*4-Bd
S. 366. - K. Beth imHandwörterbuchdesdeutschenAberglaubens.Hrsg. vonBACHTOLD-
Staubli, Bd. V, Berlin und Leipzig 1032/33 Sp. 1626fr. — Friedrich Panzer Mär-
chen. In: John Meier: DeutscheVolkskunde. Berlin u. Leipzig 1926, 249. - Albert
Wesselski: Versuch einer Theorie des Märchens. Prager Deutsche Studien Heft 45-
Reichenberg 1921, S. 25, 59> 7o> 8o 8 _ Hans Honti : Volksmärchen und Heldensage.
Helsinki 1931, S. i6f. FFC 93. — Wilhelm Wundt: Völkerpsychologie. Bd. II, Mythus
u. Religion, 3. Teil. Leipzig 1909, S. 122 ff.
24
Friedrich Sieber
nennt42). Vor solchen Kurzschlüssen müssen die weithin noch dunklen Quellräume
und die noch kaum überschaubaren räumlichen und zeitlichen Horizonte des
Märchens warnen. Mit solchen Erwägungen im Hintergründe glaubten wir in
folgenden Zügen klassenmäßig getönte Gebrauchsspuren der späten Träger-
schichten erkennen zu dürfen: in der travestierenden Darstellung der Macht und
des Reichtums, der als Grundlage dauernder Lebenssicherung höher geschätzt
wird denn als Schatzhäufung, in der Wahl abgedankter Soldaten, Handwerks- und
Bauernburschen als Helden, in der Wertung der guten Heirat als Versorgung, in
den Wunschbildern der erhöhten Niedrigkeit, in der leidenschaftlichen Partei-
ergreifung für den Helden im Vollzug der Vergeltung, in der Bewahrung eines nicht
kategorial erstarrten, mehrschichtig gelagerten Gefühls der Lebenverbundenheit.
Weder Erzähler noch Hörer kennen die Horizonte, in denen das Märchen steht.
Es erblüht ihnen im Jetzt und Hier. Die klassenmäßigen Tönungen der Wunsch-
intentionen mögen in den einzelnen Hörerkreisen in verschiedenen Stärkegraden
gehört worden sein. Aus solchen Tönungen erlangte 1814 das Märchen „Van den
Fischer un siine Fru“43) aktuelle Bedeutung. Es wurde als Biographie Napoleons
gelesen44). Doch ein solcher Umschlag aus der Welt des Märchens in das wirkliche
Leben ist ein Ausnahmefall. Denn „wir können wohl die Welt an das Märchen
heranbringen, aber nicht das Märchen an die Welt“45).
Versuche, die klassenmäßig erlebte Welt an das Märchen heranzubringen, sind
neben den oben aufgezeigten Umprägungen, die tiefer in das Märchen eingreifen
und in seine Struktur eingehen können, im Nebenbei gegebene gesellschafts-
kritische Bemerkungen.
Bei diesen im Nebenbei gegebenen Bemerkungen möchten wir zwei Gruppen
unterscheiden: solche, die zur Struktur eines Märchenteiles, etwa der Eingangs-
situation, gehören und darum dort ihren festen Platz haben, und solche, bei denen die
Bemerkung ein echtes ä propos des Einzelerzählers ist.
Als Beispiel der ersten Gruppe diene die oft zitierte Ablehnung des lieben Gott
als Gevatter durch den armen, kinderreichen Vater: „Du gibst den Reichen und
lässest den Armen hungern.“46) Schon HANS SACHS, der sowohl in einem Spruch-
gedicht wie in einem Meisterliede mit dem Titel: Der pawer mit dem dot, 1547 den
Stoff gestaltet, prägt die kritische Wendung: „wan du dailst dein guet ungeleiche /
machst ein arm und den andern reiche“47).
42) Gerhard Kahlo: Die Wahrheit des Märchens. Halle (Saale) 1954, S. 17.
43) KHM 19.
44) Karl Schulte-Kemminghausen : Die Niederdeutschen Märchen der BrüderGrimm-
Münster i.W. 1932, S. 4. In neuester Zeit versuchte Arnold Zweig dem Märchen vorn
Ranzen, Hütlein und Hörnlein (KHM 54) als dem „Aufrüstungsmärchen der BrüderGrimm4
eine aktuelle politische Deutung zu geben. In: Der Aufbau. Berlin 1952, S. 17.
45) Andre Jolles: Einfache Formen. Halle 1930, S. 233.
«) KHM 44.
47) Hans Sachs: Sämtliche Fabeln und Schwänke. Hrsg. Goetze-Drescher, Bd. f
Halle 1893, S. 290, Nr. 99. Bd. IV, Halle 1903, S. 315. — S. Bolte-Polivka, Bd. lV>
S. 434. Vgl. dazu auch A. Wesselski: Märchen des Mittelalters. Berlin 1925, S. 53 und
221. Hier spielt das Märchen im Umkreis der höfischen Gesellschaft. Eine vergleichende
Untersuchung beider Märchen könnte in bezug auf Umformungsprozesse fruchtbar werden-
----------- Wünsche und Wunschbilder im späten deutschen Zaubermärchen
^ ^unde des HANS SACHSschen Bauern klingt die schroffe Ablehnung Gottes
als , evatter wie ein gallenbitterer Nachklang bäuerlicher Erfahrung von 1525,
ie »Gerechtigkeit Gottes“, die der Bauer leidenschaftlich beschworen hatte,
ersagte, aber die unerbittliche Gerechtigkeit des Todes, wie sie die Totentänze
läufi 6 tCn Un^ tä§^c^e Erfahrung bewies, sich allein bewährte. Viele volk-
lge Varianten haben ähnliche Bemerkungen, so wenn es von Gott heißt: „Den
^nen gift he Land un Sand, un den annern gift he’n Staff in e Hand“, aber gern wird
schroffe Anklage in den Bereich lebensweiser Betrachtung abgedämpft, wenn der
angstakige“ sagt: „Ik bün de Dod, de allns gliek makt“, und der Vater darauf
Antwortet;. „Ja“, seggt de Mann, „di will ik hebbn“, seggt he, „du geihst immer
le ut un^ halst de Rieken un de Armen, de Jungen un de Oln. Ja, di will ik hebbn“,
Seggt he48). Die einmal geprägte und für die Eingangssituation dieses Märchens
notwendige Bemerkung wird von fast allen Varianten in mehr oder weniger schrof-
fer Form beibehalten.
Als Beispiel der zweiten Gruppe der im Nebenbei gegebenen Bemerkungen, die
^.e er das ganze Märchen noch für seine Eingangssituation notwendig sind, sei
pommersche Fassung des Märchens vom Goldspinnen angeführt: „Es war
Cln ^üUer, der hatte eine wunderschöne Tochter, aber niemand wollte sie
das k raU ^a^en> So schön sie auch war. Stille sitzen und lange schlafen und putzen,
ihr n C S1C’ a^Cr sonst verstand sie gar nichts, nicht einmal das Spinnen mochte
Hause^ ^Cr g^en. ,Warte*, dachte der Müller, ,du sollst mir doch aus dem
, und weil er ein weites Gewissen hatte und zufrieden war, wenn er sie nur
^ Wo untergebracht, so ließ er überall bekanntmachen, das Mädchen verstände
nSt’ aus Str°h lauteres Gold zu spinnen. Die Nachbarn wußten, daß es nicht
seb und lachten darüber, aber die Leute in der Stadt glaubten es und der König
tan, und weil er nicht wollte, daß ihm die Goldspinnerin entginge, sandte er hin
u em Müller und ließ das Mädchen als seine Braut in das königliche Schloß
holen.“«) 6
Solch
lebenC C lm ^ekenkG gegebenen Bemerkungen entspringen dem persönlichen Er-
Falle C1?eS ^ärchenerzählers, seiner gesellschaftskritischen Wachheit. In unserem
Müller0 ^Cr Pommersche Erzähler seinen Angriff gegen das weite Gewissen des
und ge 5 !r ^erhebliche Klugheit der Städter, die doch das dümmste glauben,
ländliche0 Goldgier des Königs, und er wird mit diesen Angriffszielen bei seiner
Wie weit ?.^°rersc^a^t Verständnis gefunden haben.
Wucherstelle ■^e^>en^,e^ gegebenen Bemerkungen sich zu einer fruchtbaren
wickelt haben8i!t11SCuhaftSkritiSCher Haltun£ im Zaubermärchen überhaupt ent-
n’ lst Schwer abzuschätzen50). Offensichtlich bevorzugt das deutsche
48) Die Varianten Kr»; n
49) Ulrich Jahn• vJS1RI5TIANSEN» HWM> SP-
Das Goldspinnen Nr ^sniärchen aus Pommern und Rügen. Norden und Leipzig 1891.
Märchenforschunu u 1 ■ ' KaarleKrohn: Übersicht über einige Resultate der
50) Weitere Nürti« ■ "i * J93L S. 102; FFC 96.
Leipzig_Jena xq gCISC ^ ^OLFGANG Steinitz: Über die deutsche Volksdichtung.
hcher Kenntnisse^Nr 18^' ^ ^Cn ^c^r^tcn der Gesellschaft zur Verbreitung Wissenschaft-
26
Friedrich Sieber
Märchen den Eingang als Ansatzstelle, das sizilianische dagegen den Schluß51)-
Doch geben die sehr spärlichen Belege der gedruckten Sammlungen offenbar ein
unzulängliches Bild des wahren Tatbestandes. Vor allem die spontanen Zusätze
sind aus dem Augenblick geboren; vor dem Märchenaufzeichner werden sie nicht
häufig vorgetragen worden sein. Die Belege, die uns vorliegen, sind uns wertvolle
Zeugnisse für die gesellschaftskritische Aufgeschlossenheit mancher Märchenerzähler.
GOTTFRIED Henssen schildert die Entwicklung des Zaubermärchens in der
Neuzeit so:
„Ein Vergleich mit den GRIMMschen Märchen zeigte in Einzelheiten, wohin der
künftige Weg des Märchens in der Volks Überlieferung führt. Wohl herrscht noch
die Welt des Zaubers vor und der Held bedarf übernatürlicher Kräfte und Mächte,
um zu seinem Ziel zu gelangen; doch begegnen schon viel häufiger realistische Züge
als es bei Grimm der Fall ist. Heimische Ortsnamen treten auf, örtliche Verhältnisse
spielen hinein, und nicht nur bei Gerrits, auch bei andern Erzählern der Gegen-
wart. Verschiedentlich hat sich schon völlig der Zauber verflüchtigt.. ,“52)
Zunehmender Realismus, erlöschende Zauberkausalität, wachsendes Klassen-
bewußtsein der späten Trägerschichten erweisen sich als Komponenten einer
Gesamtentwicklung, die von der raschen Änderung der überlieferten Arbeits- und
Lebensbedingungen im Kapitalismus getragen wird. Jedem bewußten Proletarier
mußte es skurril erscheinen, einen Beitrag zur Lösung der Klassenfrage darin zu
sehen, daß in einer phantastischen Geschichte ein armer Schlucker durch unglaub-
liche Mittel zum reichen Mann oder ein abgedankter Soldat König wird, ohne daß
sich eine Hand zur Änderung des Klassencharakters der Gesellschaft rührt. In einer
festgefügten Feudalgesellschaft, weltlich und kirchlich gestützt, hatte das deutsche
Zaubermärchen seine letzte Prägung erfahren, und in diesen ihm gegebenen gesell-
schaftlichen Rahmen hatte es seine Wunschintentionen und seine menschlichen
Schicksalsabläufe weithin eingespannt.
Wohl erscheint die Fügung dieser Gesellschaft in märchenhafter Entschwerung,
um damit ein Stilmittel zu bezeichnen, dessen sich das Zaubermärchen bei Über-
nahme von Realitätsgegebenheiten immer bedient. Doch an keiner Stelle unter-
nimmt das Märchen in seinem Felde den Versuch, den Klassencharakter der
Märchengesellschaft zu verändern. Es braucht ihn als notwendiges Spannungsfeld
zur Entfaltung seiner Handlung. Manche seiner durch klassenmäßiges Erleben ge-
tönten Wünsche und Wunschbilder leben in diesem Bereich. Doch weder Wünsche
und Wunschbilder noch kritische Bemerkungen im Nebenbei vermögen den Anprall
der neuen Zeit aufzufangen. Das Zaubermärchen alten Stils tritt aus seiner Form-
Zwei benachbarte Formen sind es, in die das Zaubermärchen entgleitet: in den
Schwank und in das Glaubensfabulat. Die schwankhafte Gesamthaltung der WlSSER'
sehen Märchen hat MECHTILDA BREACCHETTI sichtbar gemacht53). Das WlSSER'
sehe Märchen liebt derbe Natürlichkeit und sexuelle Offenheit. Es rückt das Wunder-
51) Vgl. L. Gonzenbach : Sizilianische Märchen (Anm. von R. Köhler). Leipzig 1870-
52) Gottfried Henssen : Überlieferung und Persönlichkeit. Münster i. W. 1951, S. 38f-
5S) Mechtilda Breacchetti: Studien zur Lebensform des deutschen Volksmärchens-
Bühl in Baden 1935.
Wünsche und Wunschbilder im späten deutschen Zaubermärchen_
27
Erlöst G an Wirklichkeit und stimmt damit auch die Wunschbilder herab. Das
mißver ^Srn°^v verkümmert. Mitgetragene mythische Motive werden, unklar und
Nene yStan<^en’ Ansatzpunkte individuellen Fabulierens. Das Räubermärchen vom
(|as y °PP (Neunkopp) nähert sich einer sensationellen Räubergeschichte. So tritt
^ ermärchen in den Schwank und hier und da mit Einzelzügen in den sen-
gellen CesAeMsterid*
der Märchentyp vom Starken Hans hat sich im Spätmärchen fast aus-
gen lcP ^ns Schwankhafte verlagert und enthält in seinen verschiedenen Fassun-
n scharfe antifeudalistische und antimilitaristische Partien. Gerade diese Partien
: ne^en der Freude an tollen Kraftstücken das Märchen so lange und so breit
mF.mlauf gehalten haben54).
Verlagerung in Glaubensfabulate bilden die Beisleidener Märchen der
dea- Hertha Grudde ein hervorragendes Beispiel55). In den Märchenträgern,
tenV'1|1St rauen’ verelnt sich ein dumpfes Klassenbewußtsein mit dem unerschütter-
sich jaU^en an dunklen Mächte der Sage. Diese beiden Triebkräfte bemächtigen
ahl” fCS ^rzä^stodcs oder bringen ihn gar hervor. Die menschlichen Schicksals-
Bänkel ^ StrenS in die Ablaufsreihe Schuld—Strafe—Erlösung hineingezwängt.
GeradeSdn^er^SC^C ^ensat-i°ns- und Schauerlust sind spürbare Züge der Darstellung.
seiner^7 ^St erscFreckende Ineinander dieser Ingredienzien weist auch in dieser
n:_i . e.r a s^orm aus, daß das Zaubermärchen alten Stils die neuen Erlebnisinhalte
So ^auf2ufangen vermag.
eiee t-T u C daS ^aut>ermärchen, und nun sei es mit allem Nachdruck gesagt: das
Form E C ^arc^en’ Zwange der Entwicklung in Deutschland zur historischen
willj11' ä S ^chtete in den Schwank oder wie in Beisleiden und anderswo in eigen-
roma^e US^arLgsfabulate. Es flüchtete mit Zerfallsprodukten aber auch in den Schund-
Un ln Hühes Kino. Aber in seiner alten Formgestalt ist es Geschichte geworden.
D IV'
Wir hebe rC^Cn ^ ^ ^en sPaten Trägerschichten mannigfache Funktionen ausgeübt.
------- __ nur die heraus, die in unmittelbarer Beziehung zu unserem Thema
t89i: Das M LRlCif ^AHN" Volksmärchen aus Pommern und Rügen. Norden und Leipzig
Johann Krus**? Sonderbar Nr. 19; Der lederne Mann Nr. 46; Der starke Jochen Nr. 17.
livka Bd. II gE’ e starke Baas. Jena 1927. Weitere ergiebige Varianten bei Bolte-Po-
den Geschichten2 297^‘ Zum starken Baas vgl. Johann Kruse: Soziologisches in
1938, Nr. 4. Urn den starken Baas. In: Mitteilungen aus dem Quickborn. Hamburg 65
65) Hertha qRud
Dies.: Wie ich me' E’ Plattdeutsche Volksmärchen aus Ostpreußen. Königsberg 1931.
Helsinki 1932. BelnC P^attdeutschen Volksmärchen aus Ostpreußen aufschrieb. FFC 102.
f. Vkde IX (1931) S^5CcHmgen der Märchensammlung durch K. Plenzat in: Nd. Zs.
Schrift f. Literatur^' 242 254; durch Friedrich Ranke in: Deutsche Vierteljahrs-
W.-E. Peuckert zurnSChaft und Geistesgeschichte. Halle 1936, S. 252L; durch
1951, S. 142. Henssen^ ^ Volkskundl. Quellen und Forschungen seit 1930. Bern
darüber in der Abhandl PtÜ^te *937 den Sachverhalt an Ort und Stelle nach. Er berichtet
Hessische Blätter fürV ^arnrrdung und Auswertung volkstümlichen Erzählgutes. In:
Charakter mancher^ ° 5—29- SchonHenssen hat den moritatenhaften
teser Erzählungen erkannt.
28
Friedrich Sieber
stehen: Was bedeutet das Märchen als Wunscherfüllungsdichtung für die späten
T rägerschichten?
Alle Beobachter sind der einhelligen Meinung, daß es der Unterhaltung diene.
Nun aber hat es diese gesellschaftliche Elementarfunktion mit allem Erzähl- und
Spielgut gemeinsam. Darum bedarf der an und für sich leere Begriff der Unter-
haltung einer für unseren Fall spezifischen Inhaltserfüllung.
Das Märchen verwirklicht illusionistisch Wunschintentionen. Diese Wunsch-
intentionen quellen nicht im spontanen Begehren aus der Seele der Träger, sondern
werden in Abläufen, die in der Entwicklungsgeschichte der Form wuchsen oder
zubereitet wurden, traditionsverbunden dargeboten. Aber das Wunschfeld dieser
Auslese ist breit genug, daß es den wünschenden Menschen schlechthin anspricht.
Dazu wird dieses Wunschfeld im Sinne der späten Trägerschichten klassenmäßig
getönt, so daß die in der Form gestalteten Intentionen von ihnen als eigene erkannt
werden. Diese Wunscherfüllungen werden in kunstvoll spannungsreicher Handlung
vorgetragen, aber zu der Spannung tritt leidenschaftlich affektvolle Teilnahme am
Geschehen, da hier in eigener Sache gehandelt wird. Diese Teilnahme gibt den
schwebenden Gebilden Ernst und erhebt sie trotz ihres Illusionismus über jede
Gaukelei. Spannung und affektvolle Teilnahme führen in die Lösung, die von
tiefster Befriedigung begleitet ist. Diese Befriedigung, ein sehr komplexes Gefühl,
mag in ihrer Lusttönung bei den einzelnen Hörern zwischen wollüstiger Trieb-
befriedigung, triumphierender Genugtuung und ethischem Vergnügen schwingen-
Mit dieser seiner spezifischen Unterhaltung stärkt das Märchen im Hörer vor-
handene wünschelhafte Seelenkräfte niederer und höherer Ordnung, entreißt ihn dem
Alltag, entrückt ihn in eine zwar diesseitige, aber verfremdete Welt, und gewährt ihm
schließlich in diesem Raume tiefe Erfüllungsbefriedigung. Diese Art der Unter-
haltung, gewichtiger als Zerstreuung und Zeitvertreib, hat für den seelischen Haus-
halt tiefgreifende therapeutische Bedeutung.
Konowalow, der Held der gleichnamigen Novelle MAXIM Gorkis, erzähl*
seinem jungen Freunde sein Abenteuer mit der reichen Kaufmannsfrau, bei der ei
Kutscher war und die ihn liebte, und als sein Hörer die Wahrheit der Geschichte
bezweifelt, sagt er: „Nein, du kannst mir glauben. Weshalb sollte ich schwindeln?
Es ist ja richtig, unsereins erzählt gern Märchen ... Es geht eben nicht anders,
mein Lieber: Wenn es einem im Leben nie gut gegangen ist, so schadet es
doch keinem Menschen, wenn er zu seinem eigenen Trost eine schöne Geschichte
erfindet und sie den anderen als wirkliches Erlebnis erzählt. Er erzählt sie ufl^
fängt selbst an, daran zu glauben, als wäre es wirklich so gewesen. Nun, und weil &
glaubt, ist er glücklich. Viele leben nur davon . . ,“56)
Konowalow erzählt kein Märchen in unserem Sinne, er gibt seiner Versicherung
nach einen Erlebnisbericht, aber er gesteht, daß viele seiner Brüder solche Ge'
schichten erfinden, Geschichten, die aus materiellen und erotischen Wunschträumß*1
5a) Maxim Gorki: Konowalow. Leipzig 1951, S. 18. Als erster hat auf diese Stelle &
ihrer Bedeutung für die Wertung des Märchens H. Schmidt hingewiesen: Ein Beitrag ^
Erklärung von der Entstehung des Märchens. Hefte für bayrische Volkskunde X (1923/24)'
_________Wünsche und Wunschbilder im späten deutschen Zaubermärchen---
geboren werden, ähnlichen Wunschträumen also, wie sie in den Brautgewinnungs-
märchen wirksam sind, und nachdrücklich weist er auf die therapeutische Be-
deutung solcher Wunschträume hin. . . ... ,. r
Unsere Märchen verwirklichen illusionistisch Wunschintentionen in überlieferter
Fo'm. Das kann Flucht aus der rauhen Wirklichkeit sein. Schwäche und Ermüdung
gehen diesen Weg. Ihr Traumland wird gern in die Vergangenheit projiziert. Alle
nach rückwärts gewandten romantischen Sehnsüchte beheimaten sich dort.
Illusionistische Verwirklichung von Wunschintentionen kann Ausdruck ge-
sunder, ungebrochener Triebe sein, die sich mit dem Recht der ita itat ein ^ssere
Leben zaubern. Kinderwünsche und Märchenwunschbilder wer en au
Vitalität geboren. Das Märchen der späten Trägerschichten ist ein us ru
vitalen Stärke. Seine Wunscherfüllungsdichtung entnervt nicht wie w
Phantasien, sondern stärkt wie jede künstlerische Formung eines ec ten
liehen Anliegens. Die zahlreichen Zwischenrufe der Hörer zeigen die ste e
schaft zur leidenschaftlich wertenden Beurteilung des Geschehens. Das p
Zaubermärchen gestaltet vital kräftige Wunschintentionen, die sich in einer
seitigen, doch künstlerisch verfremdeten Welt illusionistisch verwirklichen.
Gestaltungen von Wunschintentionen aus Schwäche und Ermüdung trennen zu
allen Zeiten Wirklichkeit und Illusion nicht. Ernst und Spiel gehen ineinander über.
Im Märchen sind Wirklichkeit und Illusion klar gegeneinander abgesetzt. Hier lieg
die Bedeutung seiner Eingangs- und Schlußformeln. Das „Es war einmal^ist der
una in den Rmnnpn das Sichverlieren im Walde;
-nen sma. Wirkiicmceu. ---------
die Bedeutung seiner Eingangs- und Schlußformeln. Das „Es
Sprung i„ den Brunnen, das Sichverlieren im Walde; der Pantoffel aus Glas der
am Schluß des Märchens mit „klink“ an einem Steine zerspringt, ist das E
Illusion57). ,
Eingangsformeln und Schlußformeln sind Ein- und Ausstiege in die Märchen-
welt. So verwischen Wirklichkeit und Illusion nicht ihre Grenze, kreuzen s ’
werden nicht austauschbar. Kein Märchenhörer faßt das Märchen a s exemp ,
als Beispielserzählung, keiner als Aufforderung zur imitatio, zur Nacheiterung.
gehen nach der Erzählung an ihre Arbeit. ... ,
Und doch kehren sie nicht unverändert zurück. Sie haben, wie er arc ’
aUS2ogj das Glück zu dnen Schat2 mitgebracht: Hoffnung! Hoffnug
mcht im Sinne eines Wissens um das Morgen. Hoffnung aber in dem Sinne, daß jed
Sollten Lüthi und DE Vries mit ihrer Auffassung des Märchens als ’¿^vorder
Tt Tcrgaun8ener Zeiten“ (Lüthi) und als späte Spielform aristokratischer Kasten™
Katastrophe (de VRIES) recht haben, so hätten die letzten Märchentrager-Angef g
werktätiger Gruppen und Kinder - ein literarisches Hoch- oder SpatHob ™
vitalen Kiaft durchblutet und als Form der Hoffnung durch die Zeiten g g ^ im
auch ein bemerkenswertes Phänomen. Und dieser Vorgang mußte schon S ^
Gange sein, sonst wäre ein so hochgezüchtetes Gebilde längst verwelkt. Lu
fruchtbaren Einsichten 2u konstruktiv nach einem Hochbüde hin ausgerichtet mH
typisch verabsolutiert. — Lüthi und de Vries haben wie andere vor ihnen nac g »
daß das Märchen keine primitive Form, sondern eine hochentwickelte Kunstform s W
sind der gleichen Meinung, glauben aber, daß nicht nur Angehörige ernst. her s*
Klassen zu solchen Schöpfungen fähig waren. Wer so lange und treu bewahrt,
Bindungen zum Gegenstand haben als die der bloßen Rezeption.
30
Friedrich Sieber
künstlerische Gestaltung lebensstarker Wunschkräfte die Geltung einer unzuläng-
lichen Wirklichkeit erschüttert und als Richtungszeichen in die Zukunft weist*
So wird der Märchenerzähler wie jeder progressive Künstler zum Hoffnungs-
Spender58).
Sprachgebilde, die durch Generationen Wünsche des Volkes getragen und ihn1
Hoffnung gegeben haben, sind unserer Wertschätzung gewiß. Sie haben in der vor-
liegenden Form ihre geschichtliche Aufgabe erfüllt und sind in den Schatz des
nationalen Kulturerbes eingegangen.
Abkürzungen:
Bolte-Polivka = J. Bolte u. G. Polivka: Anmerkungen zu den Kinder-und Haus-
márchen der Brüder Grimm. Bde I—-V, Leipzig 1913—1932.
FFC = Folklore Fellows Communications.
HWM = Handwörterbuch des deutschen Märchens. Hrsg, von Lutz Mackensen. Bd. 1
(A—E), Berlin u. Leipzig 1930/1933; Bd. II (F—G), Berlin 1943/1940.
KHM = Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm.
58) Vgl. Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung. I. Bd., Berlin 1934.
Benjamin Rajeczky — Budapest
Typen ungarischer Klagelieder
Als OttoBöCKEL in seiner Psychologie der Volksdichtung ein TrNERS
fassung der Totenklage bot, konnte er außer einem kurzen Hinweis aus •
Ungarischen Volksdichtungen1) keine ungarische Quelle zitieren. Selbs
Kenntnis der Landessprache ihm die Benutzung der ungarischen Fac
ermöglicht hätte, wären ihr nicht einmal soviel Angaben zu entnehmen gew
als BÖCKEL für die Totenbräuche der damaligen ungarländischen deutschen
hingen bieten konnte, von den Singweisen ganz zu schweigen. Er hatte keine einz g
vorgefunden. Denn in der Tat: obwohl einzelne Ethnographen schon gegen n
des vorigen Jahrhunderts auf die Totenklage aufmerksam machten2) hat sich ers
um die Jahrhundertwende St. ALBERT in der Aufzeichnung der Klageliedmelodien
versucht3). Der Anreger und unermüdlicher Propagator der photographischen
Aufnahme von Volksmusik, B. VlKÄR, hat, obwohl sein Interesse sich auf jedes e-
biet der Volksmusik erstreckte, die Totenklage scheinbar nicht vor Augen un
Gehör bekommen. Erst die im Jahre 1905 einsetzende Sammeltätigkeit KODA
eröffnete die Möglichkeit der wissenschaftlichen Untersuchung der Klagelieder, idm
verdanken wir auch ihre einzige ausführliche Beschreibung4). Zuvor schon, seit dem
Jahre 1924, war eine größere Monographie: „Ungarische Klagelieder“ vorbereite
'worden, auf die auch BartÖK in seinem Ungarischen Volkslied hinweist ), le je o
nie im Druck erschienen ist. Außerdem hat KODÄLY im ungarischen Musiklexikon
VOn SzABOLCSI-T6th (Zenei Lexikon, 1930) einige Zeilen über das Klagelie
einem Melodiebeispiel mitgeteilt (die gekürzte Melodie s. unten). Die nach dem
zweiten Weltkriege wJÜL- — "-----------------1 1 ”1 " ^ Magyar
Nepzene beg°™ene große ungarische Liedpublikation
endlich auch0^07^5 Musicae Popularis Hungaricae, I—III/A 1951 —1955hat
___________ le Uerausgabe der Klagelieder in Aussicht gestellt, die wahrschein-
*) BÖCKEL, S.
*3.
, , (Volksgebräuche
*) K. TÖBÖK: Magyar alföldi mpszokisok I.: Te”‘f “¡¡¿pdLnTung“"}a.
vom ung. Tiefland 1.: Totengebräuche) in Nia«,y Sräd mclictt (Totengebrauche
1867, I. 61—65. — K. Gäl: Temetesi szokäsok a y . ,
Nyarad), Ethnographia, 1895, S. zzz. gemachte, unzuverlässige u zeic
3) Ethnographia, 1901, S. 29—50. Eine nach Geno g .
nung- . v , Aufl. mk 495 Melodiebeispie en
4) A Magyar Ndpzene (Die ung. Volksmusik) 1937* 3^ „
v. L. Vargyas, S. 38—42. Dt. a..—”
5\
.«.«UYAS, ö. Ig-42 n ---ay,/. J. aauu. tut,
) Deutsche Ausgabe 1925 gA^gabe *956, Budapests. 82—88.
32
Benjamin Rajeczky
lieh in Bd. VI in 3 —4 Jahren erscheinen wird. Die bisherige Sammlung beträgt
ca. 8o Nummern. Die Sammeltätigkeit steigt in den letzten Jahren jedoch beträcht-
lich an, da die Aufnahmemöglichkeiten für das Klagelied erst seit der Einführung
der Tonbandaufnahmen wirklich real zu nennen sind.
Zweck dieser Zeilen ist es, vor dem Erscheinen dieser Gesamtausgabe eine kurze
Übersicht mit einigen Melodien an die Hand zu geben und auf jene Typen hin-
zuweisen, die in KODÄLYs Zusammenfassung noch nicht aufgezählt sind6)*
Diese neuen Typen sind in erster Linie nicht für den Musikwissenschaftler,
sondern für den Ethnographen von Interesse. Der melodischen Faktur nach unter-
scheiden sie sich nicht von der Gruppe der Totenklagen, aber sie verdienen die
Aufmerksamkeit wegen der bei uns bisher nicht gekannten Ausweitung des Klage-
liedkreises, die der Rolle des frei improvisierten Rezitativs einen neuen Akzent gibt*
Das Wort „Klagelied“ hat man in Ungarn allgemein auf die Bedeutung „Totefl-
klage“ festgelegt. Ein kleiner Abschnitt von KODÄLYs Klagelied-Kapitel, der auf
Frontsoldaten beklagende Frauen anspielt7), vermochte noch nicht die Aufmerksam-
keit auf andere Kategorien zu lenken. Die von P. DOMOKOS 1949 unter den über-
siedelten Moldauer Csangös gesammelten Braut- und Hochzeitsmutterklagen
waren die ersten auffälligen Beweise dafür, daß das improvisierte Rezitativ sich
auch auf anderen Themengebieten findet. Daß es sich nicht um einen zum Csängö-
Dialekt gehörenden Spezialfall handelte, wurde bald von den südungarischen
(Kom. Tolna) und nordungarischen (Kom. Heves) Sammlungen von L. KlSS und
B. RAJECZKY bestätigt8)* Dort kamen Klagen der Braut und der Hochzeitsmutter,
hier die der Hochzeitsmutter zum Vorschein. Die nördliche Gruppe erweist die
größte Vitalität des Klagestils: Im Kom. Heves fanden sich Rekruten- und Aus-
wandererklagen. Im Verlaufe der Sammlung der Akademie der Wissenschaften be-
richtete man auch über Beispiele individueller Klagen, z. B. der von ihrem Gatten
geschlagenen Frau. Sogar Tierklagen wurden aus dem Kom. Nögräd gemeldet*
Bei der Darstellung der Typen müssen wir uns auf den textlichen und melo-
dischen Bau beschränken, da die genauere Beschreibung der Bräuche zu wei£
führen würde.
Innerhalb der freien Improvisation scheiden sich zwei große Textkreise ziemlid1
klar voneinander. Im ersten kommen lose aneinandergereihte SchmerzensausbrücU
der Klagenden, mit wiederholten oder variierten Anreden, Fragen, Vorwürfen ge'
mischt, zu Wort. In erweiterter Form enthält die Klage persönliche Reminiszenzen
und Eulogien. Dies ist die Form, welche in der Dekadenzphase den Ausgangspunk1
zu Parodien lieferte.
6) Alle in Betracht kommenden Typen sind in strengem ungarischem Klagelied-Stik
gehalten: in improvisierter rezitativischer Prosa. Die seltener vorkommenden strophisch
gereimten Klagen scheiden wir aus. Sie sind entweder neueren Ursprungs oder weisen
fremde Einflüsse hin.
7) A. a. O. S. 41. Der von Böckel zitierte Hinweis von Aigner (s. oben Anm. 1) kc
zieht sich auch auf Rekrutenaushebung, aber sein unwahrscheinlich klingender Beriet
über textlos vokalisierende Frauen schien nicht der weiteren Betrachtung wert zu sein. _
8) S. Corp. M. P. H. III/A, Nr. 279—288 u. 291—294; Rajeczky, B., Siratögyüjtt;
Bodonyban, Klageliedsammlung in Bodony. Ethnogr. Mitteilungen XXXVII, 167—-i79’
33
Typen
ungarisch«№gelicd«.
Beispiele der ersten Gruppe: ^
L Kom. Somogy. Mutter beklagt ihren verungluc ten ° ^ Blume, mein
o mein Johann, mein liebes, teures Kind! O «s £i„d? O, wie soll ich
lieber, teurer Stern? O, wie soll ich dich umar™ ’ redliches, teures Kind? O, wirf dein
meine Schmerzenstränen über dich ergießen, o heb , A n auf mich, o mein mutter-
4uScn auf mich, o mein mildes Lamm, o w lohann, mein Johann, meine g
liebendes, liebes, teures, wahres Kind! ° Mutter,’warum sind Sie so traurig?*
„(JlieDc . ____ j^Vi es vor dir; o, d
nui imui, kj un-ut ------ -----------------------------
liebendes, liebes, teures, wahres Kind! we » e Mutter, warum sind Sie so traung*
mütige, schöne Blume! O, du sagst nicht mehr:,, t leugnete ich es vor dir; o, d
O meine Blume, umsonst leugnete ich es vor dtf, um^fleug°en. O mein Johann, me n
sagtest, du merkst es an meinen Augen, ich so -m warum verlaßt du mic
Johann, mein teures Kind, meine redliche, 8ute ® ’ ginge ich! Meine liebe Blume,
Stern? O, wenn ich nur mit dir fortgehen könnte,o,w" & ^ Blume, mein liebes,
mein lieber Stern, meine liebe einzige Rose meine lieb betrübt. O mein beb« Kind,
liches, teures, redliches, teures Kindl O, du hast m ch me b Q llebe Rosen-
warum hast du mich verlassen? Ich habe dich doch so sehr g
^iciiir W, wenn 1CX1 11U1 aut -„
biein lieber Stern, meine liebe einzige Rose, meine UeDC Mttt, q mein lieDCS ivam,
hches, teures, redliches, teures Kind! O, du hast mic nie .q meine liebe Rosen-
warum hart du mich verlassen? Ich habe dich doch so sehr geliebt 1 O meine
knospe, liebes, teures Kind! (F 25/B)9).
2. Kom. Heves. Frau beklagt ihren auswandernden Gatten.
O weh mir, mein lieber, guter Gatte! Nun hat der^ßncftiager ^
wonach du fortfährst ins weite, fremde Land, über das we e ^ f Gattc?
mir, mein lieber, guter Gatte! Wann sehe ich doch dich wieder, me 1 b
Wie rasselt der schwarze Zug mit dir fort! O, wie weit fährst du? Denk*du d
an mich? Mein goldiger, guter Gatte! Wie weit ist doch jenes gro^Amenka^ .
^eit ist es! O mein lieber, guter Gatte! Ob ich dich noch einmal sehe* Obd» ™
mich denkst, mein lieber, guter Gatte? Wie mit dir auch ^^^S^’lJber,
kommst du an in jenem großen fremden Land, in jenem gr > mejn iieber,
guter Gatte? O, wenn du ankommst, schreibe gleich, denn ic a c > mich
guter Gatte! O, wann sehe ich dich wieder? O wie weit fährst duLAuf ewig * ^
hier mit meiner Familie, mein goldiger, guter Gatte! O weh mir mein , g
Wie weit fährst du ins weite, fremde Land, mein goldiger, guter Gatte. ( 95 5-)
0. Bukowina. Frau beklagt ihren Vater. Hadik
O lieber Vater, herzlieber Vater! Warum sprechen Sie nicht zu mir?
herabgekommen, drei Geschwister. Zu keinem sagen Sie oTJach^aben Sie
in sovtel Gegenden leben sie. Sie waren Vater von ac _ Amerika andere zwei
l" acht Richtungen hingegeben: den einen in den Krieg, zwei nach Amerika ander^
^ Rumänienf drei nachHadik. O, wie konnten Sie sovie Last
Last -Ln’ mit ^en eigenen zwei Händen, mein lieber Vater. , wen Bodenab-
uebra tra8Cn gehabt hätten! Aber wenn Ihr Haus während des Kneges bis »
gebrannt wat und Ihnen ^ Maulvoll Brot erhalten blieb! ... Ohebe
Ste iTger‘ Unscr viel betender Vater, der uns immer das Gute lehrte, d« uns ew g ^
viel Last *Wlr das Böse vermeiden, o wehmütiger, lieber Vater > kam daß Sepp
¡1 L ® . ZU gehabt hätten! Aber als aus Rumänien die Nächnch k ^ ^
sich erhängt hat o weh, weh, weh, wie lange haben Sie ihn beweint, kamj daß
Ohnmacht gefallen! Lieber, o herzlieber Vater! Und dazu noch, als de ^ Beinen
Johanns Fuß in den Karpaten abgeschossen wurde, da konnten Sie Händen ver-
stehen----O mildsprechender, lieber Vater! Dessen Haus lch mlsi ich Gft getröstet
ließ. Sie sagten immer: „Anna, gib etwas der Armen!“ ... O, wie haben Sie mich ott getros ,
als ich zur Witwe wurde! usw. (MF 3236.)
•) F = Schallplatten des Ethnographischen Museums; MF -
Ethnographischen Museums; Ak = Tonbandaufnahmen der Akademie der Wissenschatten,
Datum = Tonbandaufnahmen des Ethnographischen Museums.
3 Volkskunde
34
Benjamin Rajeczky
4. Moldau (jetzt Кот. Baranya). Hochzeitsmulter nimmt Abschied von ihrer Tochter-
Die langwierige Übersiedlung hat in allen Klagen der hiesigen Csängös starke Spuren
hinterlassen.
„Meiner Mutter Töchterlein“, Anyäme!10) Ich sehe wohl, Anyäme, die Stunde schlägt,
wir scheiden voneinander, Anyame. Die Stunde schlägt, Anyäme, wir scheiden vonein-
ander. Aber ich bitte dich, Anyäme, vergiß mich ja nicht. Du sollst meiner gedenken,
Anyäme; komme noch, suche mich auf, Anyäme, daß ich meinen Kummer und meine
Klagen ablegen kann. Bedenke, Anyäme, daß ich auch eine Fremde bin, ich auch einsam bin
wie eine, die aus dem Himmel fällt, Anyäme. Niemanden habe ich sonst, dem ich klagen
könnte. „Meiner Mutter Töchterlein“, danke deinem Vater, daß er dich bisher erzogen
hat, Anyäme. Und danke auch mir, und denke an mich, Anyäme. Gott weiß nur, wie ich
dich erzogen habe, so habe ich dich erzogen, und so habe ich dich behütet vor Feuer und
Wasser. Wie der Vogel, der von Baum zu Baum, von Haus zu Haus fliegt und so seine
Nahrung zusammensucht, sie seinen Kleinen bringt und an sie verteilt und sie so aufzieht,
und wenn sie flügge geworden sind, sie ihren eigenen Flügeln überläßt; und sie fliegen fort,
Anyäme. Du weißt nicht, Anyäme, wie die Mutter ist. Denn ich war auch so, Anyäme:
von Dorf zu Dorf sind wir gewandert, Anyäme, und aus einem Land ins andere. Und so
habe ich gearbeitet und unser Brot verdient. Vier wäret ihr, Anyäme, und ich habe es in
vier geteilt, bis ich euch auferzogen habe und nun dich auch deinen Flügeln überlasse.
Verzeihe mir, Anyäme, wenn ich etwas verschuldet habe. Denn es kann sein, daß ich
für dich nicht genug sorgen konnte, Anyäme. Und ich war oft hart mit dir, Anyäme, weil
ich erbittert und voll Kummer war, Anyäme. Doch bitte ich dich, Anyäme, vergiß mich
nicht. (F 130/B; CorpMPH III/A, Nr. 278.)
5. Kom. Heves. Parodie. ,,Frau beklagt ihren Gatten
Dudler warst du, mein Lieber, Dudler. О wie schön konntest du den Dudelsack pfeifen,
als du anfingst: Schari dul-del-dul-del-danom, Schari dul-del-dul-del-danom (Ak 941).
Der andere Textkreis zeigt Spuren entwickelter Riten oder fügt sich noch heute
deren einzelnen Phasen, auch zeigt er viele stereotype Formeln. Das ist am klarsten
in der Totenklage zu erkennen. (Sie ist noch in unseren Tagen zu hören; ebenso wie
die Rekrutenklage; die Hochzeits- und Auswandererklage kam im Norden in den
3 5 —40er Jahren außer Übung, im Süden schon eine Generation früher. Die über-
siedelten Csängös wagten nicht, ihre Bräuche vor den kritischen und oft maliziösen
neuen Nachbarn fortzusetzen11). Sie folgt Schritt für Schritt den Bestattungs-
Zeremonien, von der Aufbahrung bis zur Beerdigung. (Keine leichte Rolle für die
Ausführende, da sie neben dem aufgebahrten Toten oft über zwei Tage ihre Klagen
singen muß, oft auch fast ohne Speise und Trank.) Die Textformeln der Dank-
sagung, der Abbitte, des Abschieds, die den Sarg und den Grab betreffenden Ver-
gleiche, Anrede des Friedhofs usw., gehören sichtlich zum Formbestand des
Brauches12)-
10) Zweimal derselbe Ausdruck. „Anyäme“ ist auch im Ungarischen schwer zu über-
setzen. Wörtlich „Meiner Mutter“ (so antwortet das Kind, wenn man es fragt: wem gehörst
du? So zitieren die Mütter in anderen Gebieten, wenn sie ihren kleinen Töchtern sagen:
„Meine liebe Mutterl“).
u) Näheres darüber s. Domokos-Rajeczky: Csängö Nepzene (Csängö Volksmusik) I-
Budapest 1956 (mit 12 vollständigen Klagen).
12) Ganz erschrocken rief die eine Frau nach Abhören der Aufnahme: „O, ich habe
den .schwarzen Zug* vergessen!“
35
Typen unga
rischer Klagelieder^
Beispiele der zweiten Gwpw ^ ^ ßrauches mrd*n
6- Moldau. Frau beklagt ihren Vater. [Ute an
von der t'~-—:„ i.~: ilj.r Aufnahme angege en.j
Beispiele der zweiten Gruppe:
rfdau. Frau beklagt ihren Vater. -
*«" Sängerin bei der Aufnahme angege en.J
[Man trägt meinen Vater aus dem Hause.] , «x heraus, lieber Vater!
Vater, mein lieber Vater! Schauen Sie aus Ihrem Sie uns> lieber Vater,
Bedenken Sie, daß Sie Ihre Waisen verlassen habe • bdehren könnte. Lieber Vater,
bedenken Sie, daß wir niemanden mehr a ^n’ Waisen welche Sie auferzogen a en,
schauen Sie noch einmal zurück! Denn I re sie wir, lieber Vater, un a esie e
habenSienunfremdenHändenanvertraut.Dennsiebensmdw ^ an; gteh Sie auf
stehen allein in der Welt, lieber Vater. Seit drei Tagen^flehen^ ^ ^ Ueber Vater, daß
sagen Sie nur ein Wort zu uns. Und wie sin jc große Sünden müssen wir ega
Sie kein Wort an uns richten wollen! O Gott! Jie ^genommen, daß niemand mehr
haben vor dir! So hast du unsern Vater aus uns Jlesen Wegen können Sie nie
uns belehren kann! Kehren Sie um, Vater, enn ben? Schauen Sie noch zuruc
. • Tinr nun
,>-11 Ult UUl tlll YVU1L __
'flKt kein Wort an uns richten wollen! O Gott! wie giw-
haben vor dir! So hast du unsern Vater aus unserer Mitte genommen da« «cm.* ^
uns belehren kann! Kehren Sie um, Vater, denn von diesen Wegen k°nn ck auf
zuruckkehren. Lieber Vater, wohin sollen wir nun gehen? Schauen Sie n
Ihre Waisen!
[Wir kommen aus der Kirche und treten den Weg zum Friedhof an.]
Nehmen Sie den Weg nach Hause, lieber Vater! Treten Sie nicht jene unbegehbaren Wege
an denn jene, die dorthin fortgingen, sind nie mehr zurückgekehrt. Werfen Sie e n BlJ.
auf Waisen, lassen Sie sich nach Hause begleiten, lieber Vater! O Großvater Grob
vater! Kommen Sie unserem lieben Vater entgegen! Aber Gott hat auch ihn
1 einzi2en läßt er in unserer Mitte, der uns unterstützen soll. °,Gott’ wir nicht
- ’ — -UR man auch uns bedauert und wir ment
- - ^“'-'-Lwister,
sollen wir uns wenden? Wen sollen wir anflehen, aau ----- anderen wswv,...-,
draußen auf den Straßen bleiben? Lieber Vater und ‘¿r°ß'rat“ zurückgeblieben. Blicken
*e ihr euch dort versammelt habt in einem Strauß! Wir sind allem zutuckgew.
'c zurück auf uns und vergessen Sie uns nicht!
I Jetzt läßt man ihn hinab in das Grab.] lieber
Lieber Vater, lieber Vater 1 Warum haben Sie den¡-kommen und Ihnen nach-
ater, daß sie ein Fenster auf Ihr Grab schneiden, a wir e ^ hinein, wir aber
sc auen, wenn Sie in den Himmel gelangt sind? Denn so eg , ,,• b ■ t unser Sterben!
Sen Sie nie mehr auf dieser Welt wieder. O Gott! Wie haben. -
q ^5 .^azu sind wir auch geboren, daß wir weder Vater, no wer ejnmal hierher
„ Friedhof, Friedhof! Wie bitter ist uns das Wort Friedho . N }st mein lieber
gekommen ist, Friedhof, kehrt nie mehr zurück, o Friedhof, F«edho • ^ der wdt
Ct auch bierhergekommen. O, er hat uns doch verlassen, a „ w}r vcrsuchen,
gewesen wären! O weh, lieber Vater! Wohin sollen wir gehen, was so versammcln?
n Wlr nocb einmal Zusammentreffen und in unserem Strau c e . fühlen. Lieber
Denn unser Strauß ist so verstümmelt geworden, daß wir es bei Tisch imme übcl
Vater, kommen Sie 2u uns in unserem Traume und belehren Sie uns, daß wir in
geraten. Es gibt doch keinen andern, der uns belehren könnte.
[Jetzt küssen wir das Kreuz.] u v, n vor Wasser und Feuer
Gott vergelte, lieber Vater, daß Sie uns soweitb^her in keine Not-Verschuldet
behütet und aus allen Übeln gerettet haben, so da ^ yerzeihen Sie, was wir
Bleiben Sie in Frieden, in Gottes Ruhe, lieber Vater 1
haben, denn ich weiß, daß wir viel gesündigt haben. 1
1S) = Sarg.
3*
36
Benjamin Rajeczky
[Schluß unseres letzten Melodiebeispiels.]
Nun verlassen wir Sie in Gottes Namen, bleiben Sie in Frieden. Wir haben niemanden
mehr. Verzeihen Sie uns allen, diesen sieben Waisen, die Sie hinterlassen haben, Vater, o
Vater!
[Wir kehren zurück und klagen daheim.]
Leben, Leben, ödes Leben! Du bist öde geblieben! Niemand ist mehr in dir, der um'
schauen und uns belehren könnte. Denn die Waise wird auch von der Sonne mehr gebrannt
und vom Wind mehr angeblasen. O Gott, o Gott! Wohin sollen wir gehen, was sollen wif
versuchen, daß wir unsern lieben Vater noch einmal erblicken, ihn ins Leben zurückrufen
und ihn lebendig vor uns haben? (F 141/B—142/A—B.)
7. Moldau. Braut nimmt Abschied von der Familie.
Mutter, Vater, Geschwister! Bleibt in Frieden, denn ich muß fort; Türen, Tore öffnen
sich und meine Füße treten den Weg an. — Nun bitte ich Sie, liebe Mutter, lieber Vater und
liebe Geschwister, verzeihen Sie, wenn ich etwas verschuldet habe. Ich danke auch meinem
lieben Vater und meiner lieben Mutter dafür, daß sie mich auch auferzogen haben. Liebet
Vater, liebe Mutter, aber vergessen Sie mich ja nicht. Denken Sie nicht, daß ich aus Ihrem
Leben auf ewig fortziehe. Ich komme noch zurück und suche Sie auf, liebe Mutter. Ich
danke für Ihre Erziehung, daß Sie mich behütet haben, liebe Mutter, vor Feuer und Wasser,
vor allen Übeln, liebe Mutter! — Geschwister, verzeiht mir, wenn ich etwas verschuldet
habe. Denn ich sprach zu euch vielleicht oft hart, und schalt euch aus, liebe Geschwister.
Denkt nicht, daß ich euch vergesse; ich komme noch zu euch, und kommt auch ihr zu mir,
Geschwister! — Liebe Mutter, liebe Mutter! Sie wissen sehr wohl, wie das Leben der Jungen
ist. Das Leben der Jungen ist derart: zwei Fremde müssen so zusammenlernen — der Junge
mit dem Mädchen —, wie zwei Geschwister, und sie müssen so eins sein und einander an-
geboren, denn so hat es Gott angeordnet, liebe Mutter. — Denken Sie nicht, liebe Mutter,
daß mir mein Herz nicht weh tut um Sie, und denken Sie nicht, daß ich vergesse, daß Sie für
mich gut gesorgt und mich auferzogen haben, liebe Mutter. Gott vergelte alle Ihre Wohl-
taten. Ich bitte Sie, Mutter, denken Sie an mich und kommen Sie, besuchen Sie mich auch,
liebe Mutter. O weh, weh, weh! (F 130/A. Corp MPH III/A, Nr. 277.)
8. Kom. Heues. Hochzeilsmulter beklagt ihre Tochter.
Meine goldige, schöne Tochter! Wie früh müssen wir scheiden! Aber wenn du auch fort-
ziehst von meinem Hause, sollst du doch sehr bedenken, daß du dich anständig benimmst.
Sei gehorsam deinem Gatten gegenüber, kehre das Haus, mache das Bett. Sei liebenswürdig
gegen jedermann, meine süße Tochter, meine liebe Tochter, meine goldige, schöne Tochter!
O, wie tut mir das Herz weh, daß ich so früh von dir scheiden muß! Ich habe nicht gewußt,
auch nicht gedacht, daß du das Elternhaus so früh verläßt, meine süße Tochter, meine liebe
Tochter, meine goldige, schöne Tochter! Benimm dich nur sehr anständig, führe dich gut
auf, sonst wird dich dein Gatte schlagen. Gehorche deiner Schwiegermutter, sonst hat sie
dich nicht gern; gehorche auch deinem Schwiegervater, wieweit es nur möglich ist. Liebe
den Bruder deines Gatten von Herzen. Sei allen gegenüber sehr liebenswürdig. Meine
süße Tochter, meine liebe Tochter, meine goldige Blume! Wie sehr tut mir das Herz weh,
daß ich mich von dir trennen muß! Gott segne dich, meine schöne Viole! Mein goldigef
Stern, mein teurer, schöner Vogel, Gottes Segen bleibe mit dir!
(Ak 1093., CorpMPH III/A, Nr. 290.)
9. Kom. Heues. Mutter beklagt ihren Rekrutensohn.
O weh mir, meine schöne Blume, mein lieber, süßer Sohn! Warum muß ich das erleben,
daß ich dich zum Militär begleite? Weh mir, mein lieber Sohn, den ich so erzogen habe
wie die Blume im Glas, mein lieber, süßer Sohn! O, wie reißt man dich von mir! Wie hältst
du so viele Jahre unter den Soldaten aus? O weh mir, mein lieber Sohn! Warum kann ich
37
nicht mit dir ziehen, daß ich dich d°ch einmai ermuntern ich dich einmal zum M^1^
mir, mein goldiger, schöner Sohn! Ich habe nicht gedac^ ^ ^ mir! ^ werde ich das
begleite. O, der schwarze Zug! Wie weit ni , elfen dorthin darf ich nicht me r ^
ertragen? O, denn dort kann ich dir nicht mehr h » g hn! o, wie wird wohl dei
weh mir, meine goldige Blume, mein lieber sube etwas Trauriges, weil es imme
sein, mein lieber, füße^Sohn? Denn das Militärwar ^ ^ ^ ^ zu ertragen Mein
«eng Man sagt: schon ¡« dasWdatt ^ ^ gleichste ^
mein lieber, süber sonur uvm* —
f.r5ng War‘ Man sagt: schön ist das Soldatenleben, allein, es ГГ • Offizier ist
‘"bet Sohn, mein süßer Sohn, wenn möglich, schre.be mir M« “¿“¿gehn
“an ench behandelt, mein lieber, süßer Sohn. Denn dorthin dar ich «chtmehr gehn,
den\ kann ich nicht befehlen, den kann ich nicht zurechtweisen, da q ^ e§
. denn dort gibt man einem leicht eine Ohrfeige, mein lie er, su ^ die auf dich
ü“ dich stehen, wie wirs, du das schwere Joch ertragen, d.e großen S^P^^ken.
harten? Mein lieber Sohn, mein süßer Sohn, warum dar lc jcht wäre, daß
warum kann ich dich nicht ablösen? O, wenn nur diese Lage, diese W \ ^ dich
cs keinen Krieg gäbe! O, wenn man dich doch in den Krieg u , Sohn abführt,
sterben? - Und doch muß eine Mutter ertragen, wohin immer ^mein
mein lieber Sohn. Der liebe Gott wird dir schon helfen, habe nur Ve nQch zu mir
lieber Sohn. Ich kann nur soviel sagen: segne dich der lie e ott, mog ^г>
zurückverhelfen, mein lieber, süßer Sohn. (Rajeczky, a. a. O., Melodiebe p
■O. Korn. Heues. Mauer klagt ihrem Salme nach, den sie persönlich nicht Milagm
konnte. Klagen dieser Art begegnen wir bei Frauen, die ihre Toten .u ause а
beweinen.
Mein lieber Sohn, mein süßer Sohn, mein goldiger, schöner Sohn! Wie tu.*
uie , daß ich dich nicht noch einmal sehe, daß ich von dir A sc le nc [,'e •
von deiner Arbeitsstelle bis. du eingerückt. Nicht einmal ,enen schwarzen Zug ^
den du einstiegst. Mein lieber Sohn, schreibe mir, wie ist dem Los heim M d
geht mit den Soldaten leicht um, man läßt sie sogar den Abort reinigen. Lieber, süßer Sohn,
™ höhnte ich au dir gehn? Schreibe mir ein paar Zeilen wo du
daß ich dich aufsuchen kann, daß ich dir alle meine Beschwerden «gen
Soldat hat auch über vieles au klagen, aber das Heraweh der Mutter !« n°^großer Wenn
sie von ihrem Sohne Abschied nehmen möchte, kann sie ihn doch mcht emmj_sehem de
Schmera kann man nicht beschreiben, den kann man niemandem sagen, munden. klag
• . dJrh auf. wohin immer man dich lortmnr ,
’ ‘ oleich ZU
Soldat hat auch über vieles zu klagen, aber das nciMv- , ■ > . SCuw..___
sic von ihrem Sohne Abschied nehmen möchte, kann sie ihn oc niemandem klagen.
MhmerZ kann man nicht beschreiben, den kann man niemandem s g , dich fortführt>
ein süßer Sohn, mein lieber Sohn, ich suche dich auf, wo in gleich zu
nur schreibe mir ein paar Zeilen: „Meine liebe Mutter hier bin auf, so
r- enimm dich gut beim Militär, mein lieber Sohn, denn u rs nicht
r ,man dich <**> mein lieber, üßer Sohn. Gott segne dich wenn ich dich auch
micChn nann’ Wcnn ich ^ch keinen Abschied von dir nehmen kann ich aber bektag
^ hn K 0 dcn tiefcn Sehmerz, den man nicht mitteilen kann. Gott segne dich, mein
Sohn, überall soll dich der Segen Gottes begleiten, mein süßer, lieber Sohn!
Die Wendungen werden vererbt, das Klagen selbst wird aber mc g §„n_
»Das braucht man nicht zu lernen, das muß man nur fühlen .'^ Mädchen
gerinnen. Bisher sind wir nur einem einzigen Fall begegnet, wo ein e ^er
von der Großmutter belehrt wurde, wie es sie nach ihrem Tode beklag
daß die Angehörigen schon im voraus über das eine oder andere Thema n ^
verraten sie hie und da. „Wenn ich meine Mutter einst beklagen muß, w
von ihr sagen, daß sie ei'ne“chö„e Stimme hatte und die beste Vorsängerin im
Dorfe war“ sagte mir eine Frau in Bodony. Daß schon kleine Mädchen
vollständig beherrschen können, haben wir bei den Csangös gesehen: 15 1 ja g
Mädchen konnten uns noch Vorsingen, wie sie vor der Übersiedlung ( emnac
38
Benjamin Rajeczky
7—iojährige Kinder) in der Moldau ihre Puppen während des Begräbnisspiels
beklagt haben.
Die Annahme, daß es auch in Ungarn bezahlte Klageweiber gegeben habe, be-
ruht nach KODÄLY14) auf bloßer Legende und ist auf die Verwechslung mit def
Totenwache zurückzuführen, wo die Kirchenvorsänger, die für ihren Gesang auch
bewirtet werden, in der Tat eine wichtige Rolle spielen. Zu bemerken ist allerdings»
daß ihre Rolle in einigen Gegenden weit über das bloße Vorsingen hinausreicht
und eben deswegen noch näherer Untersuchung bedarf15 16 17). Wir können aus neueret
Zeit nur auf einen Fall unter den übersiedelten Csängös hinweisen, wo eine gute
Sängerin, die schon öfter vor dem Mikrophon stand, einen Burschen aus deß1
Nachbardorf beklagt hat, „daß man ihn nach Csängö-Art bestattet“. Ihr scheinbar
aufdringliches Tun fand aber, wie auch verdient, nicht viel Verständnis.
Zur melodischen Seite des ungarischen Klageliedes:
KODÄLY hat schon darauf aufmerksam gemacht16), daß hinter den verschiedenen»
besonders hinsichtlich des Ambitus auf mehrere Typen deutenden Melodien doch
nur ein einziges Schema steckt: eine auf 5, 4, b 3 und 1 kadenzierende, absteigende
moll-pentatonische Weise, welche von den ähnlich gebauten Stücken des un-
garischen Volksliedmaterials durch ihren frei rezitativischen Charakter ab weicht»
d. h. ihre einzelnen Zeilen kennen keine Silbenzahlschranken, ihr Rhythmus ist
vollständig ungebunden, und ihre durch die Finalkadenz zusammengehaltenen
strophenartigen Gebilde bestehen aus Zeilen verschiedener Anzahl und Kadenz-
folge. Beisp. I.17) Die Labilität des Piens, der meist als dorische Sexte auftritt»
bezeugt Beisp. II.
Innerhalb dieses Schemas finden die im allgemeinen zweikadenzigen Typen mi*
Pentachordambitus ihren Platz. Sie sind im Grunde nichts anderes als Teilmelodien»
die den oberen oder unteren Abschnitt des obigen Schemas zur Geltung bringen-
KODÄLYs Annahme wird durch die Tatsache gestützt, daß sehr viele Klagen in5
allgemeinen zwei Kadenzen aufzeigen, doch am Ende oder manchmal auch in de*
Mitte auf eine dritte, eventuell vierte Kadenz herabgleiten. So z. B. Corp. MPl^
III/A, Nr. 278 = unser Textbeispiel Nr. 4, oder unser Melodienbeispiel Nr. Xll'
das bei der einen Aufnahme zweimal in der Mitte, in der hier mitgeteilten Variante
nur am Ende zum g’ absteigt.
B. SzABOLCSI hat sich in zwei Aufsätzen mit den finnisch-ugrischen Parallele*1
unserer Klageliedmelodien befaßt. In dem einen18) hat er als Urtypus des Klagß/
liedes eine zweizeilige, quarttransponierende Durpentachord-Melodie angenommen
14) a. a. O., S. 38 und Anm. 68. .
15) A. Bälint: A halalhoz es temeteshez füzödo szegedi nephagyomanyok (Toten-
Begräbnisbräuche in Szeged), Sonderabdr. aus d. Jahrb. 1944—45. d. Alföldi Tudomänyn
Intezet (Wissensch. Institut v. Alföld), S. 3—4.
16) a. a. O., S. 39—40.
17) Zenei Lexikon (Musiklexikon) I., S. 67. j
18) Osztjak hösdalok-magyar siratök melödiäi (Melodien ostjakischer Heldenlieder Ul1
ungarischer Klagelieder), Ethnographia, 1933, 71—75.
___ Typen ungarischer Klagelieder_____________
welche in der ungarischen Gestalt pentatonisiett wurde. Im zweiten») wurde,“
Anbetracht von KODÄLYs Studie, die Möglichkeit emer zwetzeihgen penta-
tonischen Grundschicht behauptet, welche sich später, nacht l^be^g d« °£
“ch als Kadenz erscheinenden VII. Stufe (s. Beispiel XI-XU) gletchMldurch
Abwärtstransposition in eine vierzeilige, die zwei Durpentac or e au p
schem Gerüst tragende Melodie umgewandelt hat.
Später nahm il VäRGYAS20) SZABOLCSls ersten Faden wieder auf und machte
darauf aufmerksam, daß es in der ungarischen Volksmusik eine ganze ^ ’
Grunde quarttransponierender, 5-, 4, - und :.Kadenzen *atag^r delodien
gibt, welche uns berechtigen, von einer „ugrischen Schic t im 1 ~eiiedoarodie-
schen Volksliedmaterial zu sprechen. (Vgl. etwa das fo gen e g , zwei
Beispiel III.) Nach ihm dürfen wir also die Möglichkeit einer Ursprung
kadenzigen Durpentachord-Melodie nicht abweisen.
Ohne zum Obigen weiter Stellung zu nehmen, wollen wir hier noch auf eimge
Merkmale hinweisen, die möglicherweise als Eigenschaften beson er PP
in Betracht kommen könnten (sie sind in der Literatur bisher unerwähntgebtebt
Beispiel IV steht mit seinem Tetrachord-Ambitus nicht vereinzelt a.
Klagen aus der gleichen Ortschaft (ob auch in der Umgebung?) werden auf nur
vier Stufen (hier g_a_h-c) gesungen, ebenso mit auffallender Wiederholung de
Meinen Terz c-f. Sie verraten aJein c_a-g-Gerüst. Wir konnten dazu nur im
- • finden.
weinen terz c_f. Sie verraten also°ein c-a-g-Gerüst. Wir kou.,^ ^
Süden (Sükösd in der Bäcska) einen leider bruchstückhaften Beleg find .
Die unter Nr. a77 im CorpMPH III/A stehende Klage (Textbmpiel №7)
Tetrachordambitus ist von derselben Sängerin aufgenommen sotten.
folgende Nummer (Textbeispiel Nr. 4) in Oktavenumfang gesungen ( P
Ob diese Melodie einen andern Typ verkörpert oder nur einen uss ^
folgenden darstellt, ist schwerlich zu entscheidet Bei den Csango wir
Seltenheit, von einer Sängerin zwei Klagemelodien zu hören ); fern
abwärtsgleitende Tetrachordmelodien auch in den Klagen der nahen rumänische
Umgebung, allerdings immer mit gereimtem Text und regelmäßigem Kaden
Wechsel22).
Bau der Beispiele IV und VI (Dur-Tetrachord bzw. :P*ntaCJ°*$ Zen
auffallend viele Kadenzen auf der Stufe z, nach welchen die i-Kadenz du
lang ausgehaltenen Ton vorbereitet wird. Wir haben ein entsprechendes BeisP
auch aus dem Nordosten22), wo sogar die ganze Klage mit lauter * * r *iösun2
Ende gesungen wird und die i-Kadenz erst als Schluß vorkommt. A s °
gehört dieses Vorgehen wohl zu einem andern Vorstellungskreis als die Melod
mit frei abwechselnden Kadenzen.
19) Osztyäk es vogul dallamok (Ostjakische und wogulische Melodien. Neuere Angaben
7-U™V™hlc™ d-U,nS- Klageliedmelodie). Ethnographia i937, 340-345- l6l_I96
) Ugrischc Schicht in d. ung. Volksmusik. Acta Ethnographica I, 195 . 9
(Russisch mit deutschem Auszug)
- ~-r-^7TTV
c oGiuGiu. in a. ung.
lssiscn mit deutschem Auszug).
*) S. die Klagemelodien in Domokos-RaJECZKY.
,a) S. C. Brailoiu: Bocete din Oas. Bukarest i938> Meio '
23) MF 4240b.
Nr. 2c und zf k.
40
Benjamin Rajeczky
Die Verzweigung des gleichen Melodietyps nach Gehörtendenzen konnte ifl
Bodony (im Norden) gut belegt werden: die eine Frau nahm als Endkadenz kon-
sequent die z. Stufe und gab der Melodie Mollcharakter, während die andere ebenso
konsequent Stufe i als Endkadenz benutzte, mit sichtlicher Tendenz nach Dnf
(von den melodischen Kadenzwendungen s. weiter unten). Beispiel VII—VIII24)*
Untersuchungen betreffs Ständigkeit solcher Tendenzen stehen noch aus.
Ebenso fehlen nähere Angaben über die Rezitationstenöre, ihre Länge, ihr Ver-
hältnis zueinander. In einigen Klagen stoßen wir auf einen auffälligen Tenor-
wechsel, am meisten in steigender Richtung (s. Beispiel IX—X, vgl. auch Beispiel $
mit seinem Übergang von der kleinen Sexte auf die große).
Gegenüberder allgemeinenTendenzin der großen Mehrheit der ungarischen Klage'
melodien, ihre Linien fast in jedem Satz von oben nach unten zu führen, deuten
einige Beispiele (Nr. XI—XII) auf einen anderen Typ, der die Bogenlinie bevor-
zugt. Das erste mit seinen b$ — i-Kadenzen ruft rumänische Klageweisen in Er-
innerung25). Diese haben aber auch gereimten Text, und die Anfangsformel fehlt-
Das zweite gleicht auffallend der Offiziumspsalmformel des VItenTones. Der zweite
Teil des Beispiels bildet erst den Schluß der Klage.
Das stärkste Kennzeichen dieser Gruppe könnte auch als Initialformel bezeichnet
werden, wenn wir gewöhnt wären, in Verbindung mit den Klageweisen vofl
Melodieformeln zu sprechen. Das trifft aber gar nicht zu. Vargyas definiert gerade
ihre Melodielinie „als skalenmäßige und tonwiederholende Senkung mit charakter-
losen Motiven zur Kadenz“26). Doch glauben wir hervorheben zu müssen, daß die
so häufig sich wiederholenden Textformeln, die am Ende der Sätze oder Abschnitte
oft eine Art Reim-Eindruck hinterlassen, oft auch melodische Wiederholungen mit
sich führen, welche ziemlich stark formelhaft wirken können27). Als letztes Beispiel
möchten wir einen Fall zitieren, wo diese Wiederholung sich mit Quintabwärts-
transposition verbindet und dem Schluß der Klage eine liedmäßige Geschlossenheit
verleiht. Beispiel XIII.
24) S. Rajeczky a. a. O. je zwei Klagen.
25) S. C. Brailoiu: Esquisse d’une méthode de Folklore Musical, Paris, o. J., Sondef-
abdruck aus d. Rev. d. Musicologie, Nr. 40., S. 25, eine Klageweise aus der nördliche^
Moldau.
26) a. a. O., S. 193.
27) S. Rajetzky a. a. O., S. 169—170.
44
Benjamin Rajeczky
Beispiel VIII
De ha jel ■ mégy is a hà • zam - tô. csak na • gyon gon dold mê. hogy |ô vi • sel • këd jé.
e des lyâ - nyom. ke-da - ves lyà - nyom. a - ra • nyos szép lyà nyom
Beispiel IX
le * ke - te su • tét fô •- do - be................. / Jaj, ked - ves i • dëss a • nyâm. de
fi 1 3 1
_ . —-s— - ^
Vf— =2=- — —•i-|a- L_g ^
el • gon * dol - ni is nagy do - log. hogy ki - lenc gyer - më • kët fol ne vel
nm
ffij. a ki
< 5 I
ki lenc
46
Benjamin Rajeczky
Beispiel XII
Beispiel XIII
OSKAR V.ZABORSKY
D* Trachten de *«..*« **
III- r,Apn Gebiete
Die Tracht des Spreewaldes und der angren ^ ^ kleinen Volks-
Länge schon ehe HERDER daS¿^Thäufige Erwähnung und ^adSenkund-
gruppen weckte, beginnt die auf a g der in Zeitschriften un ^n_
Uusitzet Sorben'). AUein die zahkeicten^ ^ stattüchen Ban MÜLLER
liehen Werken würden zusammeng er«MALER sowie von E „Qtücken
gehende Schilderungen von HAUPT «i übetraschend zaWreiC^eren Volksteil
erschlossen uns zugleich mit den (bi 94 ' kaum einem an i n_
in Museen so ergiebige Quellen, wie w“Sokht„ Forschungen über die branden
finden. Gerade aus den stark vernac aS®lg t herausheben2). . ,
burgischen Trachten werden sie sich stets ev der Satz: „Findet sic
Am Anfang der sorbischen Trachtenforsc .g Düdschen. )
Laußniczeufvolk Winden genaht,... ^ ^J^r beW gfbeim
i summarischen Urteile gelten bekanntlic s Hinweis, daß es sic
diese frühe Quelle den auch von anderen e-prbstücke oder Entwicklung^ °
sorbischen Trachtengut nicht vorwiegend um andeite Trachten und
altslavischer Kleidung, sondern vielfach um g und zum Teil selbst w
handelt, die früher in Deutschland getragen w bnen in ihrer Sprache vi
vom Ausland übernommen waren. Die Sor en ttr;huten mit Lehnworten aus
von ihrer Kleidung und ihren brauchtümlic en _^£e Übernahme zum el re
Deutschen, abgeschliffen und slavisiert, so a
alt sein dürfte4). N , ctpu,t aus einem Rock aus v
Das Unterhemd — sglo der Frau (Abb. ia) ^ mieder aus einem ra r»
regelmäßigen trapezförmigen Teilen, die mit einen\ enäht sind. Älter® ^
förmigen und zwei rechteckigen Seitenteilen zusa 8 Seitenteile des Mie •
zeigen noch gleichartig geschnittene Rockteile un gleichmäßig bre
Wie uns E. Müller hechtet, hatte das Hemd noch f™h« befflerkte Un-
Unterteil, war also recht altertümlich zugeschnitten. wd nicht. Aus e e
gleichheit in der Höhe von Rücken- und Busentei
4) Vgl. das Schrifttumsverzeichnis. durch den Verfasser g
2) Die Belege zu nachstehender Studie wurden x94° T wol
3) Queerfeld: Reyse durch einige düdsche staten, T4 ' Füller und N.
4) Die sorbischen Bezeichnungen sind im folgen en können nicht vollstan g
stets in der Einzahl (bis auf die Strümpfe) angefort-
denn sic waren manchmal von Dorf zu Dorf verschie en.
48
Oskar v. Zaborsky
fand sich ein urtümlich geschnittenes Hemd ohne Seitenteile (Abb. ib) mit eiO'
seitiger (nachträglicher?) Erweiterung durch einen doppelten Zwickel.
Von den bei E. MÜLLER und LUGOWOI erwähnten Frauenunterhosen, um 19°°
nur im strengen Winter und vereinzelt getragen, fand sich kein Belegstück.
Am Ärmelhemd, Kittelchen = kitelk (Abb. 2), konnten wir in zahlreich^
Belegen seine Entwicklung vom geradeärmeligen Gebrauchsstück zu stärkt
Bauschung der Ärmel bei immer noch fast geradlinigem Zuschnitt bis zu seine1
chen Bärwalde ist offensichtlich (vgl. v. Zaborsky, a. a. O., Abb. 9).
Abb. 1 b. Frauenunterhemd aus Lehde. Im wesentlichen aus einem Stück, die Ar#1'
Öffnungen bis zur Taille unvernäht. Ein doppelter Keil, seltsamerweise nur links. Im Gegen
satz zu dem aus dem Tragmiederrock gestalteten Hemd von Burg und dem Ländchen Bä1'
walde einfacher altertümlicher Schnitt (beide Stücke ehern. Mus. f. dt. Vkde Berlin).
vorläufigen, fast modischen Endform verfolgen. Es gab auch Unterhemden m*1
angesetzten, meist gestreiften oder karierten Kurzärmeln, die bei der Arbeit cb‘
Kittelchen entbehrlich machten.
E. MÜLLER erwähnt ältere Kittelchen mit gestreiften oder farbigen Ärmel11'
Im Winter wurden oft zwei übereinander getragen und man ließ die farbigen Ärrü£*
unter den weißen des oberen Kittelchen hervorsehen.
Unterm Kittelchen verbirgt die Spreewälderin das aus gröbstem, oft ungebleick
tem Leinen genähte Tragmieder des Unterrocks = spödnja ßuknja, pur da’1’
(Abb. 3). Dieser bestand aus rotem, grünem, zuweilen auch grauem Fries. Die Brä111
trug ihn schwarz, weil die Hochzeit für sie eine ernste Feier war. Die dichte Fält£
lung des derben Stoffes bildete an den Seiten und hinten einen steifen Kranz, d£
den Hüften die gewünschte Breite verlieh. Neuere Unterröcke aus leichterem St0^
sind durchgehend gefüttert und wattiert.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
49
Das schwarze Tragmieder = schtalt des Frauenrocks = schorz (Abb. 4) hat sich
®eit mehr als 100 Jahren kaum verändert. Nur daß es von Samt ist, dürfte nicht
nge vor der Jahrhundertwende allgemein geworden sein. Über den verhakten
°rderkanten liegt manchmal noch eine Blende. Querüber greift vorn ein schmaler
°Ppelt genähter Samtriegel, der an der linken Seite befestigt ist und rechts an-
^öpft wird. Nach den nicht ganz deutlichen Zeichnungen von J. E. WELAU
§ er um 1840 vorn eine helle Verzierung (Abb. 20 und 22). Damals wurden
n°ch nicht die Zipfel des Brusttuches = schant, zippeltuch daruntergesteckt. Dies
eine Neuerung aus dem dritten Viertel des 19. Jahrhunderts, entsprechend den
rch Vergrößerung des Tuchs immer länger werdenden Zipfeln, die zu Braut-
anderen Festtrachten rechts und links über die Schürze = schorzuch, schör-
*Uschk herabhingen (Abb. 22, 24, 30, 31 und 45).
Auch im Gebiet des Fläming wurden die Brusttücher in neuerer Zeit durch einen,
erdlngs viel breiteren und kürzeren Brustriegel gesteckt.
^ Früher waren die Röcke so kunstvoll in steife Falten gelegt, daß diese in die des
merrocks schlugen. In letzter Zeit wurden die Röcke nur etwa handbreit in eng
Vernähte Falten gereiht. Weiter unten fiel der Stoff freier herab. Zwischen Schlitz
Und Tasche und ein wenig darüber hinaus sind keine Rockfalten. Dort ist in der
ganzen Länge des Rocks ein Sparfleck von geringerer Güte eingesetzt oder ein-
§e^ebt. Der Stoff für die Röcke wurde, abgesehen vom Tuch für den schwarzen
»tausendfältigen“ Brautrock, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts allgemein von
Cn Bäuerinnen selbst gewebt.
St ffDer Oberrock bestand für den alltäglichen Gebrauch aus selbst gewirkten, wollenen
ein Cn ^an kaufte von den Tuchmachern die Enden der Kette, die meist eine Länge von
ge Meter hatten. Diese Fadenenden wurden sorgfältig geknüpft und zum Färber
w c abt> von dem sie in den verschiedensten, grellen Farben zurückkehrten. Gleichzeitig
Ga Cn daselbst Partien von gutem, starkem Flachsgarne dunkelblau gefärbt worden. Diese
sich^i WUrdCn Zur Kette verwandt, die gefärbte Wolle lieferte den Einschlag. So wirkten
jyr <aie Frauen eigenhändig die Röcke, natürlich recht buntstreifig und nach eigenem
fest Cr' geknüpfte und gefärbte Wolle, die damals eben auch stark gesponnen war und
tyar Zusarnmengeschlagen wurde, gab einen KleidungsstofF, der äußerst stark und fest
rüc^nd Tausende von Knoten zeigte, die sich deutlich markierten. An eine Appretur war
unte 2-U dcnben. Diese Röcke wurden innen mit Leinwand gefüttert und von oben bis
Sam ln steife Falten gelegt. Am untern Rande wurden sie mit drei oder vier schmalen
hanrlkCtStrefien oder einem breiten Seidenbande besetzt oder gleich mit einem einfarbigen,
R" f^ten Saume gewirkt.
Ott °cbe mit letzterem Saume finden sich nur noch in den südöstlich von Peitz gelegenen
en' * • Sie sind gewöhnlich grün oder blau, selten rot in der Grundfarbe und meist von
dur re*ten schwarzen, gelben und roten, bei den grünen auch noch von blauen Streifen
sjcj^C 2?Sen> tti denen sich wiederum noch eine farbige Linie befindet. Daneben kleidet man
schty1*111 roten’ grünen, blauen und braunen Röcken, durch welche sich ganz schmale
j a^e °der gelbe Streifen, meist 2 cm voneinander entfernt, hindurchziehen.
(um o orden und Westen von Cottbus und im ganzen Spreewaldgebiet sind gegenwärtig
Linie1 ebenfalls einfarbige Röcke vorherrschend, teilweise mit denselben farbigen
Zeigt ^ VcrseFen> die aber 15 bis 20 cm Abstand haben. Das geblümte Seidenband als Saum
fand j1? Laddusch bei Festkleidern die ansehnliche Breite von 20 cm. Die Röcke selbst
her *C. aus Plüsch, Sammet, blumigem Atlas, schwerster, glatter Seide und feinstem Tuche
s eilt. Unterhalb des breiten Bandsaumes zeigten dieselben noch gelbe oder weiße, 1 cm
Volkskunde
Abb. ia.
AHSHoavz "Л hvhsq
05
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
51
Qek‘ 2' Ärmelhemden = kitelk aus dem Spreewald, Museum Cottbus, a ursprüngliche
Är rau?ksform. Gutes, ziemlich derbes Leinen. Die später so auffällige Bauschung der
kisme* Et hier auf einen Abnäher beschränkt. Über dem Armeinschnitt ist die Oberkante
typ-211 ^cn Punkten x zusammengenäht. Das angesetzte vordere Mittelstück hier ausnahms-
an Se -arn rec^ten Vorderblatt. Mehrere entsprechende Hemden, jedoch stets mit links
Wütern Mittelstück und durch mehr Abnäher gebauschteren Ärmeln waren dort vor-
die Ok" ^er ^uschnitt der Typen a u. b ist meist recht unordentlich. Im allgemeinen ist
erkante ebenso gerade wie die untere. Die kennzeichnende Umkrempelung der
e • zweimal nach außen und einmal nach innen, ist bei den Typen a u. b gleich. Sie
bedeckt den Ärmel bis zum Punkt y.
Abb
lini ^ Entwickelterer Typ mit starker Bauschung der Ärmel bei immer noch fast gerad-
an ^Crn -2uschnitt. Leib grobes Leinen, Ärmel und Ärmelauflagen Batist. Die Spitzenkante
en Ärmeln besonders schmuck ausgeführter Kittelchen zeigt an den umgeschlagenen
Ärmeln von y nach oben (vgl. Abb. 29—31).
bei * -o" Äufgeben der Überlieferung: Schneiderinnenmäßiger geschwungener Zuschnitt
Hoki - ^ 8ebauschten Ärmeln ohne Umschlag, am Rand Spitzen und Band, das zwei Reihen
Will Saurne nachahmt. Der Schulterzwickel ist bei zi zu einem 2 cm breiten gefalteten
la S 2usarnmengezogen. Der ÄrmelstofF darunter paßt sich mit weniger Falten dieser Auf-
an- Uer Achselzwickel 22 ist außerordentlich weit geschnitten. Leib feines Leinen,
beide Zwickel Batist, Ärmel Tüll.
Schnit ‘ Enterrock — spödnja ßuknja, purdanz aus feuerrotem Fries, Museum Cottbus.
Wie d|e ^ter und Vorderansicht des Tragmieders aus grobem Leinen. Rechts sieht man,
mit Au °berc Kante des Frieses mit einem weißen Leinenstreifen eingefaßt und ringsherum,
Et der Vorderseite, „eingefältelt und im Smokstich vernäht“ ist. Das Mieder
ii cm b aVßen darangenäht. Länge ohne Mieder 66 cm, Weite 4,4 m. Unten innen ein
ausziemi-1? Streifen grobes Leinen. Im Mus. f. dt. Vkde Berlin befand sich ein Unterrock
hundert 1C^ ®r°kern Leinen ohne Mieder, bezeichnet: Ende des 18. oder Anfang des 19. Jahr-
im j g S a^s Lehde, 87 cm lang, unten 3,56 m, oben 85 cm weit, blutrot im 5 cm- und weiß
bläulich*11' tre^Cn’ neben diesen beiderseits 3 feine weiße Streifen. Kante unten 2 cm breit
einem hT^ mit scbwarzem Paspel. Ohne Tasche, Schlitz ca. 31 cm, oben nur mit
r°tem L ^ en zu schließen. Ebendort befand sich auch ein Unterrock aus Lehde von grell-
em^ <; ClnC?> a^e 10 cm schmalen weiß-gelb-grünen und schwarzen Längslinien und
neuerer krc*ten Samtband 1 cm über der Unterkante. Er war auf Nessel genäht, also
bunden jÄrst^ul^8> wattiert und mit einem Tragmieder aus grobem Leinen fest ver-
cr cblitz ging von diesem in der Mitte gerade herunter. Länge des Rocks nur
4 * 58 cm, Weite 2,90 m.
52
Oskar v. Zaborsky
breite Zacken von gelbem Tuche oder eine dicke Seidenschnur. Selbst bei der Feldarbe*1
wiesen die Mädchen in der ganzen Tracht einen ausgesuchten Luxus auf, wie ich denselben
in der ganzen Niederlausitzer Wendei nicht wiedergefunden habe. Beziehen doch die reiche*1
Bäuerinnen die Stoffe zu ihren Garderoben von keiner geringeren Firma als Hertzog i*1
Berlin. — In den meisten anderen Ortschaften sind die Festtagsröcke aus einfarbige*15
wollenem Damast oder Rips hergestellt.“ (E. Müller S. 79 f.)
An diesem Bericht fällt auf, daß er die rote Farbe der Röcke seltener erwähnt)
während diese an den erhaltenen Stücken vorherrscht. Auch Weinrot oder Grü*1
mit dünnen Linien in weiterem Abstand war beliebt. Grün gilt heute allgemein als
Farbe der Halbtrauer. Früher trug man vielerorts auch zur Ganztrauer grüne Röcke»
Abb. 4. Tragmiederrock = schörz aus Burg, ehern. Mus-
f. dt. Vkde Berlin. Mieder = schtalt und Gürtelband ai*$
schwarzemSamt, Rock aus schwarzem Tuch, Sparfleck aus
blauem Baumwollstoff, der bis 6 cm über den Röckrath
reicht, wo ein Streifen schwarzes Tuch angenäht ist. E**1
1 cm breites Samtband ist 1 cm vom Unterrand angenäht-
Länge des Rocks 92 cm, Weite 3,04 m. (E. Müller be'
richtet von 6—7 m weiten Röcken). Am Mieder dreimal
am Rock einmal zugehakt. Die Vorderkanten des Miedet8
bis 2,5 cm über dem Unterrand gesteift. Diese Versteifung»
die sparsame schmale Verzierung kennzeichnet zugleicb
mit dem Futter aus grobem Leinen (auch unter dem Spat'
fleck), daß dieser Rock älter ist als Stücke, die ganz auf
Nessel genäht und unten mit breiten Zierstreifen versehe*1
sind. Bei ihnen überdeckt die rechte Seite des Miedet8
die linke um ein paar Zentimeter und geht im Bogen bi8
an den Haken x, wodurch eine auffällige Ähnlichkeit
mit dem Schnitt der Röcke des Fläminggebiets entsteh1
(vgl. v. Zaborsky, a. a. O., Abb. 36).
heute nur noch in Burg. In den anderen Dörfern wurde, weil die Pastoren darauf
Wert legten, Schwarz die Trauerfarbe. Ältere Frauen kleiden sich in braune, grünß
oder schwarze Röcke. Entsprechend der allgemeinen Verweichlichung der Farbe*1
trägt man im Spreewald seit dem ersten Weltkrieg Rosa statt Rot, Zartgrün statt
des kräftigen Grasgrün, oft auch ein schönes Pastellblau. Zum Staat wurden 194°
nur noch solche selbstgewebten Röcke getragen, deren feine Längsstreifen i*1
weiterem Abstand waren (etwa 10 cm). Die alten buntgestreiften (Abb. 5) gälte*1
geradezu als lächerlich und wurden als Unterröcke aufgetragen. Samt oder Seide
als Rockstoff waren nur um die Wende des 19. Jahrhunderts vorübergehend i*1
Mode. Dagegen ist die Verzierung der Festtagsröcke, besonders von Mädchen»
sehr reich (Abb. 11). Schwarze Samtstreifen und weiße Spitzen fassen ein breite5
weißes oder hellfarbiges Seiden- oder auch ein schwarzes Samtband ein, das №**
schönen Blumen bestickt ist. Billiger sind helle Bänder mit aufgedruckten Blume*1'
mustern, die aber ziemlich wäßrig gefärbt und unschön wirken. Die Besenborten fÖ*
den Rocksaum wählt man stets in der Gegenfarbe des Stoffs, meist gelb oder grü*1.
Früher waren es zweifarbige gedrehte Schnurborten. In jüngster Zeit trug m^*1
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
53
v°m zweiten Sonntag nach Trinitatis bis zum Bußtag zur Kirche den roten Rock,
01 anderen Halbjahr den grünen. Zur kirchlichen Feier von Taufe und Hochzeiten
rote und rosa Röcke nicht passend, dagegen schätzt man sie zum Hochzeits-
s ' Beim althergebrachten Ball der Mägde auf dem Marktplatz von Vetschau
en einmal im 18. Tahrhundert nicht weniger als 1080 in ihren roten Friesröcken
do* getanzt haben5).
Ie nach dem Tode eines Jünglings oder einer Jungfrau die Jugend des ganzen
r es trauert, so trägt die Spreewälderin auch während des Krieges zumeist den
^ nen Rock mit querlaufenden schwarzen Samtstreifen zum Zeichen der Landes-
deUer' ^Us FÜLLERS Bericht fassen wir zusammen, daß um 1895 nur noch in
Dörfern am nordöstlichen Grenzwald die früher offenbar verbreiteteren, nur
ans Knie reichenden Röcke getragen wurden (Abb. 37), 1940 waren sie auch
**• 5. Webmuster eines Spreewaldrockes, z. Hälfte des 19. Jahrhunderts, im Besitz von
rau Krautz, Cottbus. Maßstab 1:1,4-
Gekennzeichnet durch die Schmalheit der Streifen.
d°n Schon eine Handbreit länger. Um die Jahrhundertwende reichten die Rocke
'm Weiteren Umkreis westlich von Cottbus mit einem Schwerpunkt um Lehde und
^eiPe bis an die Knöchel. In den Dörfern des Kreises Lubben, die nördlich von
Burg liegen, wurde eine schmucklosere Spreewaldtracht getragen, mit bescheide-
Bandbesatz an den Röcken. In jüngster Zeit reichte der Rocksaum bis zur
Mitte der Wade. Nur in Lehde und Leipe „trägt man länger“ (Abb. 54)-
Greifen wir auf ältere Belegstücke, Abbildungen und Nachrichten zuruc , so
finden wir, daß der Tragmiederrock zur Festtracht erst um die Mitte des 19. Jahr-
Underts allgemein in Aufnahme kam. R
»Vor etwa 60 fahren (um 1835) trug man an vielen Orten, z. B. in Klein- un ro
i2°W> *n=n CZL l^aus einem viereckigen Stück Pappe, nur Sa^«,^
Perl ’ ^eMümter Seide oder falschem Brokat überzogen un o t mi se kürzer und
2" geschmückt. Der Latz reichte bald bis zum Kinn empor, bald war er kurzer u
D LUrch Schnüre an drähtenen Heften der Acbselbänder befestigt. Sammet
od?alhi«zu gehörige Mieder oder Leibchen, dessen vordere Teile aus schwarze ha
!*r„>>ei festUchen Gelegenheiten aus farbiger, geblümter Seide vorn
™«aUe„e Knöpfe, oft auch durch zwei Bänder zusammengehalten wurden,¡ f
B™*la,z odel das Busentuch. Bei verheirateten Frauen war das Mieder oben sehr t,et
^schnitten, und das Tuch verhüllte den oberen Teil der Brus. Das “
nnteren Rande nach hinten und an den Seiten Innen starke Polster ub _
enseite kräftige Haken angebracht waren, an die man den schweren
ist das Leibchen alleSthalben mit dem Oberrock zusammengenaht. Nur in der
erutenberger Gegend sind beide Teile getrennt. . ,. .
m dem Busen mehr Fülle zu geben, bediente man sich ehemals zweier » c o \
b^gender^bkugeliger KissenTdie man „Latzk“ nannte.“ (E- Müller, S. 78.)
W. Köhler, Bd. II, a. a. O., S. 18, nach Berghaus, Landbuch.
54
Oskar v. Zaborsky
Es ist denkbar, daß der Tragmiederrock zum alten Bestand der Werktagskleidung
gehörte und nach der verzögerten Abschaffung des Rokokostils in der Volkstracht
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter Verwendung wertvollerer Stoffe
in die Festtagskleidung übernommen wurde. Wir kennen einen solchen „Aufstieg
aus anderen Trachtengebieten, und der Übergang des Arbeitskopftuchs = lapa nah
Scheitelschleife in die festliche Frauentracht des Spreewaldes ist eine 50 Jahre
Abb. 6. Mieder — schtalt aus Burg, a Vorder-, b Rückseite. Vorn an den Kanten und hintei*
längs der Mittelnaht bis zu den Punkten x gesteift, hinten biegt sich der Fischbein(?)-Staß
einige Zentimeter vor seinem unteren Ende um fast 450 nach außen.
Abb. 6 c. Muster des Samtstoffes, der bis zur Horizontalnaht reicht. Die Schöße und das
Futter von derbem Leinen. Die Schnürlöcher mit grüner Seide eingefaßt. Die drei Riegel'
Stiche hinten von grobem Leinengarn.
Abb. 6d. Miederstecker aus Burg, Pappe, außen mit sehr schönem violettem Brokatsto^
mit Rokokomuster bezogen. Innen querüber durch einen Stahlbügel versteift. Er ist viel $
klein für das vorliegende Mieder.
Abb. 6e. Umriß, f Oberkante, g Seitenansicht eines entsprechenden Miedersteckers a^5
Lehde, mit weißgrundigem Silberbrokatbezug. In der Größe entspricht er dem Mieder 6 a, b
Beide Stecker innen mit derbem Leinen bezogen. (Alle Stücke ehern. Mus. f. dt. Vkßc
Berlin.) In derselben Sammlung befand sich ein Mieder aus Lehde, das dem vorliegende*1
entsprach, aber bis an die Horizontalnaht hinten nur 26 cm und an den Seiten 14 cm maß'
Die Vorderkanten liefen von den Achselträgern in gerader Linie schräg nach der Taille*1'
mitte zusammen. Der seidene Bezugsstoff war mit etwa 1 cm großen ornamentierte*1
Quadraten in schwarz, violett und schwarz-weiß mit senkrechten orangefarbenen Linie*1
gemustert. Die unregelmäßig eingeschnittenen Schnürlöcher waren rot strahlenartig ei*1'
gefaßt. Auf den (durch das Brusttuch unsichtbaren) Achselträgem Blaudruckstoff, A*1
diesem Stück waren auch die schrägen Rückennähte gesteift. Die Schöße waren wuls*'
förmig ausgestopft. In derselben Sammlung befand sich unter der Bezeichnung ,,Spree'
wald“ ein nicht gesteifter schwertförmiger Miederstecker nach dem Vorbild der Mode df
hohen Barock (aber auch einer vorübergehenden Mode um 1870) mit schwarzem Sat**1
bezogen und mit gekreuzten schwarzen Bändern geschnürartig benäht.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
55
päter erfolgte entsprechende Erscheinung. Zwei erhalten gewesene Mieder
c|e S( ^la^t aus Burg und Lehde zeigten die starke Abhängigkeit der Volkstracht von
er Rokokomode (Abb. 6). Wir dürfen uns ihre Erscheinungsform im ganzen ent-
... chend Abb. 7 vorstellen. Ein ehemals in der Berliner Sammlung vorhandenes
r.. fetes Nieder aus Lehde glich den uns bekannten Tragmiedern an den Spreewald-
s Gürtelband an der Vorderseite), war aber an keinen Rock genäht,
Yv, ern trug statt dessen an der Unterkante einen 9,5 cm breiten, dick gestopften
c St> der den Röcken die erwünschte Breite geben sollte. Die von E. MÜLLER
•p a nten Rockhaken fanden sich nicht. Die in der Oberlausitz erhalten gebliebene
Cnnung von Rock und Mieder greift bis in die Senftenberger Gegend herüber.
Abb. 7. „La Vandale“, Nachzeichnung nach einem
Gemälde um 1750—60 von C. Hutin, gest. 1776 in
Dresden. Gestochen von P. Hutin, gest.1763 inMuskau,
Oberlausitz. (Frhl. Lipperheidesche Kostümbibliothek,
Mappe 66). Die Tracht ist wohl die der Oberlausitz,
doch möchten wir die Haube mit den Ohrenlappen und
das auffallend locker gelegte Brusttuch mit den Formen
von Heinersbrück (Abb. 36, 37) vergleichen. Die Hemd-
ärmel sind weit und neigen dazu, aufgekrempelt zu
werden. Das Mieder mit den schräg zusammenlau-
fenden Kanten und der dreieckige gewölbte Mieder-
stecker erinnert an Abb. 6. Der kurze Rock ist über
die Hälfte seiner Länge gereiht. Am Saum das kenn-
zeichnende Band. Strümpfe mit Zwickeln in Bäumchen-
form (vgl. Abb. 13). Hier ist das Strumpfbandende
sichtbar, wie heute noch in der Schwalm. Es ist wahr-
scheinlich, daß sich die gestaltungsreiche Verzweigung
der sorbischen Trachten erst seit dem Ende des 18. Jahr-
hunderts stärker entwickelte, wie sich andererseits noch
bis in unsereTage manche Gleichartigkeiten auch in ihren
weit auseinanderliegenden Teilgebieten erhalten haben.
zippeltu /G JaRrRundertwende waren die Hals- und Brusttücher = schant,
liefert) C ' V°n feiner Wolle (Stoffnamen wie „Tibit“, Zirz und Kaschmir sind über-
bla^ brV°n MuSSdin Unfl Kattun in bunten Farben. Die Grundfarbe war weiß,
Breite Scilwarz °der gelb, seltener rot. Eine Blumenkante von etwa 8 cm
n geknüpfte Fransen umgaben den Rand.
> Hai
°der seiden*^ ^USen verhüllte man mit einem Tuche, das weiß gestreift oder farbig, kattunen
Mit diese^T-^ess?n hinterer Zipfel über den oberen Teil des Rückens hinabreichte.
Und mit den k hcrn> die bei Hochzeiten und Kindtauffesten oft von schwerster Seide
Ungewöhnlirü°St«;arStCIT3^?lt2:en besäumt sind, macht man besonders in Burg und Raddusch
an denselben (V^i *fhb ^auffeierlichkeit befestigt man noch zwei seidene Bändchen
c>‘n rotes und ' Kl ’ 31 °ke? rechts), in Saspow beispielsweise entweder zwei grüne oder
rotes Tuch fürC,i W7 eSp e*nZelnen Orten, z. B. in Heinersbrück und Haasow, ist ein
u'eißes. Die weiß f!^errie!n im Gebrauch, des Sonntags für den Kirchgang ein
ci e arbe hierbei wählt man überhaupt bei hohen und ernsten Festen,
56
Oskar v. Zaborsky
beim Begräbnis und in der ersten Trauerzeit; später trauert man in einem schwarzen Tuche-
In Groß-Lieskow, Tranitz, Bärenbruck usw. wird das weiße Halstuch faltig gelegt (Abb. 41
und 37), quillt bauschig aus dem ausgeschnittenen Teil der Jacke hervor, reicht über
Schultern, auf denen es fächerförmig zusammengesteckt ist, und bis zu dem Rückeft
woselbst der Zipfel durch eine Nadel festgehalten wird.“ (E. Müller, S. 78-)
Um 1840 (Abb. 20 und 22) finden wir das Brusttuch noch vorn ins Mieder ge'
steckt. Nur unter der Jacke der Braut sehen die Zipfel des damals noch glatt'
randigen weißen Tuches schon rechts und links vorne hervor. In jüngster Ze#
gibt es von den oben genannten Stoffarten nur noch Tücher aus Musselin. Sonst
trug man allgemein bestickte Kunstseidentücher mit Spitzeneinfassung. Besonders
bei diesen ist Übereinstimmung mit den Kopftüchern = lapa in Grundstoff un^
Stickmustern üblich. Die Verwendung der Stickerei kam erst ziemlich spät Ü
allgemeine Aufnahme (Abb. ix und 5o),inTurnowbei Peitz z. B. erst um 190 5—1906-
Vor der Fastnacht herrschte große Aufregung unter den Mädchen; jede wollte
die schönsten Tücher haben. Mit List und Intrige suchten sie zu erkunden;
was für Muster die Nebenbuhlerinnen sticken ließen, wie die Grundfarbe urü
die Spitzeneinfassung beschaffen wäre, um sich gegenseitig zu übertrumpfen.
Frau Jahn in Dissen, die aus Turnow stammt, erzählte mir, daß sie, weil ihr Tanzstaa*
verraten worden war, sogleich durch einen Boten bei einer Stickerin in Berlin, die das
Brautkleid der Kronprinzessin gestickt hatte, andere Seidentücher für Schultern und Kop^
bestellte. Diese wiesen ein bis dahin nie gesehenes Rosenmuster auf. Groß aber war dann die
Enttäuschung, als wegen eines Todesfalles in der Verwandtschaft zur Fastnacht diese Tüchef
gegen einfachere vertauscht werden mußten, die der Vorschrift der Halbtrauer entsprachen'
Bräute, Brautjungfern und Patinnen trugen ganz weiße gestickte Tülltücher mi*
breitem getollten Spitzenrand, deren lange Zipfel rechts und links neben der großen
Schleife des Schürzenbandes herabhingen (Abb. 30 und 31). Zwei ältere Stücke
dieser Art, noch ohne bzw. mit schmaler Spitzeneinfassung, ehemals im Volks'
kundemuseum Berlin, aus Batist mit schöner Weißstickerei an zwei aneinander
stoßenden Kanten maßen knapp 1 m im Quadrat.
Außer den von E. MÜLLER erwähnten farbigen Seidenbändern trugen zu den'
selben Gelegenheiten die weiblichen Hauptpersonen girlandenartige Ketten aus
Glasperlen, früher auch aus Korallen und Schaumünzen = koralkowy reczask, di£
in breitem Bogen über der Brust lagen (Abb. 29—31). Sonst trug die Sorbin in1
Spreewald wenig Schmuck. Er beschränkte sich auf eine Schließe (Brosche), die das
Brusttuch an der Halsgrube zusammenhielt.
Mit den Schürzen = schörzuch, schörzuschk wurde im Spreewald kaum wenige*
Prunk getrieben als mit den Kopf- und Brusttüchern. Alltags waren sie meist vo*1
einer bestimmten schiefergrauen bis dunkel graublauen Farbe mit kleinen weiße*1
Mustern. Bis zum ersten Weltkrieg, als noch in jeder Stadt ein Stoffdrucker arbeitete»
waren sie fast ausschließlich von selbstgewebtem Leinen, auf beiden Seiten mit vef'
schiedenen Blaudruckmustern geschmückt, die sich nicht allein auf Dunkelblau uiü
Weiß beschränkten, sondern auch noch hellblaue und gelbgrüne Töne als Bereiche'
rung zeigten. Am unteren Rande war meist eine schöne breite Blumenborte auf'
gedruckt. Schließlich wurde der Stoff noch nach einem geheimen Verfahren nü
Wachs geglättet, so daß er glänzte. Es gab auch Schürzen in gleicher Ausführung
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
57
mit dunkelgrüner Grundfarbe. Für Burg kennzeichnend sind solche aus dunkel-
ten! Leinen, auf das mit weißem oder farbigem Garn Streublumen gestickt sind
(Abb. 8), seitlich, am Unterrand und zuweilen auch noch zwei Handbreit darüber
eine Blumenranke. Sie wirken wie eine reichere Abwandlung der Blaudruck-
schürzen, die allerdings die Grundfarbe des Stoffes zuweilen ganz mit ornamentierten
Kar°s und die Ränder mit breiten Blattmustern geschmückt zeigten, zuweilen sich
t auch auf fingerbreite Längs- und Randstreifen mit Zackenkante beschränkten.
Füller berichtet, daß um die Jahrhundertwende die Schürzen stets einfarbig
Spesen seien.
•Abb ß r. . ...
jedes ' ‘Urei von iauter verschiedenen gestickten Motiven in vielen gedämpften Farben,
^tWa 11 cm breit, von einer schwarzen Lüsterschürze = schörzuch aus Burg, ehern.
itU TV ' ^t' Berlin. Volkstümliche Umgestaltung von Renaissancemotiven. Sie waren
Jv la§°nalnetz mit etwa 20 cm freiem Abstand verteilt, dazwischen mehrfarbige Punkte.
Se: 1 cbUfze 2,42 m weit, oben auf 59 cm gezogen, 87,5 cm lang. Oben 2 cm schwarzes
ge nband und zwei je 1 cm breite Biesen als Einfassung. Hellblaue, braun und weinrot
hin Sterte Bänder, 5,4 cm breit, etwa 1 m lang. (Zwei ähnliche Schürzen waren in der Samm-
ränd 0 .anden< Eine Schürze aus dunkelblauem Leinen mit ähnlichen Motiven und Ranken-
rn ln weißem Garn bestickt aus Sielow befindet sich im Museum Cottbus, 4 entspre-
chende, davon 3 aus Burg, befanden sich im Mus. f. dt. Vkde Berlin.)
pe’’ lc Schürzen bilden auch heute noch (um 1895) einen wesentlichen Bestandteil der
bes acht. Sie sind stets einfarbig, oft mit gleich- oder andersfarbiger Spitze umsäumt oder
baU Und schließen mit dem Rande des Rockes ab. Die Bänder der Festtagsschürzen sind
Ul Vorn 1—1J ' - oii./. 1 1 1 1 •• • , • , -r .. , 1
£ Schü
tn etn binden über die seidene Schürze meist eine solche von leinenem durchbrochenem
Die g (Jrn> bald hinten zur Schleife gebunden und hängen in verschiedener Länge herab
Chürze der Braut, und zwar der ehrbaren, ist fast allenthalben schwarz. Die Braut-
....... ... »«ucuc *uu.« cmc c vun
Faa kaSt (Abb* 29>’ die Schürze der Mädchen beim Kindtauffeste ist fast immer vo^ ^
rbe (Abb. 31). Diese Farbe dürfen auch beim Tanze nur ehrbare a^c g. gl^
hiähte man sie damals aus Merino, Seide und anderen feinen b ’
*a*en in jüngster Zeit bei der Jugend großgeblümte Seidenschürzen (Ab n),
lUcb solche von Tüll mit großblumigen Mustern sehr beliebt. Aue un e ei e
^ schwarzer Spitzeneinfassung und Durchbrüchen aus quer eingesetzter Tull-
‘^5 durch die die Rockfarbe eigenartig durchschimmert, waren in Mode.
Über die im Spreewald getragenen Frauenjacken = jopa, jopka ist nie t me
ind nichts Genaueres zu berichten als uns E. MÜLLER, S. 8if., um le Ja r un ert
^ende mitteilt:
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
59
Tuch 9 ^ Fraueniacke — jopa, joplca aus Ströbitz, Museum Cottbus. Schwarzes glänzendes
QSen mit schwarzer Samteinfassung, ganz mit weißem Fries gefüttert, vorn mit Haken und
bl 2u schließen. Ärmelknöpfe in 11 mm Durchmesser, schmaler Rand von Tombak, mit
steif^m Glas ausgefüllt. Längs der senkrechten Rückennaht ist eine Stahlfeder F zur Ver-
bildet e^nßcnaht, die unten 3,5 cm nach außen umgeknickt ist und einen spitzen Dorn
£r über dem die untere Stoffeinfassung der Jacke in losen Spitzen endend herausragt,
ein ente w°hl zum Tragen des Rockes oder der Schürzenbänder. Die Oberärmel sind aus
Ärm Stück, nur in die Unterärmel ist ein Viereck eingesetzt. Bis zum Punkt x bleiben die
c °ffen. — Von der Empire-Mode beeinflußtes Trachtenstück mit extrem kurzem Leib
und großem Ausschnitt (vgl. Abb. 35).
Sch^. Hochfestliche Frauenjacke = jopa aus Burg, ehern. Mus. f. dt. Vkde Berlin.
jya arzcs Tuch mit breiter und schmaler Paspel, ganz mit weißem Fries gefüttert, die
4 tu Cn ^ißem Kaninchenfell besetzt. Am Ärmel ein gelbmetallener Knopf von
Durchmesser. Die Vorderkante deckt 3 cm den Untertritt aus grobem Leinen und
Spr 11111 Haken und Ösen dort geschlossen. An der hinteren Unterkante ein Dorn, ent-
a‘ Die Ärmel, bis auf die Manschetten, aus einem Stück geschnitten. — Anpassung
^ der Modeform a an die Volkstracht, 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts.
» ' 9C> Frauenjacke = kamsol aus dem Spreewald, Museum Cottbus. Schwarzes Tuch,
ej sPHt, mit Ausnahme der Schöße ganz mit weißem Fries gefüttert. Die Ärmel sind aus
g Cm Stück geschnitten, am Handgelenk sehr eng, und werden dort zugehakt. Der in
che n aus8eschnittene Kragen, die wellenförmigen Paspeln an den Ärmeln und die Schöß-
2q ■» ßehen auf Anregungen aus der Zeitmode zurück. Mitte des 19. bis 1. Viertel des
(Hau rhUnderts- Das Kamsol unterlag zeitlichen und örtlichen Abweichungen. J.E. Welau
aber ?-T U‘ Schmaler,T.V.) zeichnet um 1840 das Kamsol noch ohne Kragen, sehr tief,
GimT^ht hreit ausgeschnitten und mit kurzen ungefalteten Schößchen (Abb. 20, 22). Der
Gr n zwei gelben Knöpfen zu schließen. Metzner (T. 38) zeigt es als Tracht von
Res V, • ^ Und Schorbus „vor 50 Jahren“, doch wohl erst von etwa 1860, sehr weit aus-
(Abb nitten mit kurzem Leib und kurzen, vorn schräg abgehenden gefältelten Schößchen
him ' feckts und links). Kretschmer zeichnet es um 1870 mit glatten Schößchen. Nur
Br en der Mitte sitzt ein kleines Faltenbündel. Bei Metzner (T. 22, 23) sehen wir die
Res V. ^US PaPitz um *^95 im Kamsol ähnlich unserer Abbildung, allerdings weiter aus-
form,nitten’ vßk auch Fleinersbrück (Abb. 36, 37), wo die Schößchen um 1900 luch wellen-
*8 abstanden. An unserer Abbildung ist zu beachten, daß die Schößchen über den
^ breiten Röcken abstehen und die Quetschfalten auseinandergehen.
’TUc^9d. Puffjacke = jopa, jopka aus Lehde, ehern. Mus. f. dt. Vkde Berlin. Schwarzes
hajj * weißem Fries gefüttert. Ziemlich hoch geschlossen, vorn an den Kanten zuzu-
ba-; Der Gürtel mit Haken und Schlaufe, wie die Einfassung aus schwarzem Baumwoll-
(vßk Kretschmer um 1870). Ein entsprechendes Stück im Museum Lübbenau mit
... ’ ------ - - ' i hatten etwas
Jahrhunderts.
eng Barchent gefüttert. Die 1940 noch vereinzelt getragenen Puffjacken
Cfe Ärmel. — Angleichung an die Zeitmode im letzten Drittel des 19.
Abb.
_ • j c^Hnrbus vor 100 Jahren“ (Metz-
"lJU- 9e. Jacke = jopa der Tracht von Gr.-Oßmg ^ Def seh’r altertümliche Zuschnitt,
*ER>T- 38), wohl aus dem 2. Viertel des i9; >hrhu^dc Köpfen, auch an den unvermittelt
?le enge Anpassung an den Körper mit vielen kleinen _PAnfang des I?. Jahrhunderts
kreit ausladenden Schößen, erinnert an Modeformen ^ (wahrscheinlich Pr. Krüger)
m Museum Lübbenau fand sich das Bild einer re g zwci von ihnen aber tragen
üm 1850—60. Die Frauen sieht man darauf naodlSchrgcrpnden entsprechende Jacke, an der
*ü der Schleifenhaube mit großer Tolle eine d<* vorüegen verstärken. Metzner zeigt
*e tief angesetzten Ärmel den altertümlichen Mn ruc: § puffärmeliger mit längerer
37 u. 39) ähnliche, jüngere Jacken, (Abb. 10 n. Die Samtmanschetten sind
raille und schwungvoll (nicht scharf) abstehenden Gesamtumriß nähert sich der
sParsam nur an der Außenseite der Ärmel angebracht. Der ocs
späteren Polkajacke (Abb. n u. 5°h
Abb. io. Frauen von Schorbus, nach Metzner, T. 36 u. 39. Die beiden linken Figure*1
bezeichnet: „Trauer in Schorbus vor 50—100 Jahren“, was zu weit zurückgegriffen ist'
Die alte Frau um 1850—60 in spitz ausgeschnittener puffärmeliger Jacke mit Schalkragt11
und ganz kurzen Schößen (ähnlich dem Kamsol, Abb. 9 c), die junge Frau in einer Jacke
aus der 2. Flälfte des 19. Jahrhunderts, die sich aus der Jacke 9e entwickelt hat, mit A*1'
näherung an die Polkajacke (Abb. 11 u. 50). Die Batistkrausen der weißen Hauben sind nod1
ohne Spitzenrand, die Kinnschleifen aus schwarzem gemustertem Seidenband. Die ältet*
Tracht (links) bindet über die Haube ein kleines schwarzes Tüchlein, dessen Zipfel obe*1
verknotet sind. Der Rock ist noch kürzer, stark gefältelt, liegt enger an wegen des wenigei
auftragenden Unterrocks. Der jüngere Rock ist knöchellang, die weite Schürze kürze*’
mit schwarzem Spitzenrand. Alles streng schwarz-weiß. Die Figur rechts, bez. „Brau*'
jungfer vor 50 Jahren in Sch.“. Sie trägt dieselbe Jacke wie die alte Frau, fußfreien Rock
schön gemusterte Blaudruckschürze, eine Haube wie die Frau daneben, aber mit Spitze11
garniert, darüber einen Bogen aus künstlichen Blumen, Rosmarin und Glasperlen, eine helk
geblümte Kinnschleife, weißes Brusttuch und Schuhe mit Bandschleifen. Im Museum Cot*'
bus fanden sich Lichtbilder von Bräuten aus Schorbus in der alten Jacke (Abb. 9 e) tü1*
schwarzer Schürze, die Kopftracht entsprechend vorliegendem Bild, sowie einer Braut №
Kamsol, weißer Schürze, der Kranz nahe dem Vorderrand der Haube, sowie das Lichtbik
einer Brautjungfer ohne Jacke.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
61
blaue* ^Cr ^a^ten Jahreszeit, bei Regenwetter und an Feiertagen zog man eine kurze, dunkel-
rcn p ober schwarze Jacke aus Tuch, Kattun oder schwarzer Leinwand an, welche am unte-
Mi rl an<^e rrbt e^nem schmalen Bande bortenartig eingefaßt war und in der Länge mit dem
8ckrücr abschnitt. Hinten war der Rand zu einer kleinen Falte, Schneppe genannt, empor-
^iese1?^ <Abb' 9a> b). Auf der Brust war das Jäckchen sehr breit und tief ausgeschnitten.
Gekr ^ac'ie, gewöhnlich Jopka genannt, war vor etwa 60 Jahren (um 1840) allgemein im
bruckaüch. In einzelnen Dörfern, besonders in Heinersbrück (Abb. 37, 2. v. rechts), Bären-
ür*d K Pr°b~Lieskow, tragen sie noch heute (1894) die älteren Frauen beim Abendmahl
djCSe jCl Festlichkeiten, ebenso die Braut hier und noch in anderen Orten. Oftmals zierte
Jrj . ckc in früherer Zeit ein meist weißer Pelzbesatz und ebensolche Aufschläge (Abb. 9b).
eiUersbrück und Grötsch findet sie sich vereinzelt noch jetzt.
, u nA rechts 1896 (METZNER, T. 35),
Abb- U. Zwei Mädchen aus Saspow, zum Markt gehe®> Seitenflügel und Spitzenein-
bnka 1935. Zu beachten ist die Vergrößerung aUer if„eblümten Streifens am Rock Die
Fassung des Kopftuches und des Brusttuches sowief treifen von schwarzer Spitze, links
chürze rechts ist einfarbig, wohl schieferblau ml e nJstil Das Mädchen rechts trägt
i°bl schwarz mit großen Ranken in verspätetem Jugen gpitze Form der Kopf-
le schön geschneiderte Polkajacke. Die kennzeic n ’ schon modefarbige Strümpfe.
tu^er hat sich wenig geändert. Früher weiße, jetzt meist
62
Oskar v. Zaborsky
Fast in der ganzen Niedetlausitzer Wendei kam bald darauf eine etwas längere Jack
— kamsol mit handbreitem, rundum faltigem Schößchen und umgelegtem Kragen aU
(Abb. 9 c). Die Ärmel hatten hohe und breite Schultern, wonach die Jacken auch Puffjackef
genannt wurden. Der Ausschnitt unter dem Halse war schon kleiner. Ein schmaler, schwaf
zer Gürtel hielt die Jacke an der Taille zusammen. Von Frauen und Bräuten wird diesff
Kleidungsstück noch jetzt getragen und von den letzteren am Trauungstage erst nad
12 Uhr nachts abgelegt (vgl. Abb. 24, 30 u. a.). In der Peitzer Gegend, namentlich in Heinei5'
brück und Bärenbruck ist diese Jacke noch so tief ausgeschnitten, wie die vorher erwähn11
(Abb. 36, 37). Sie besteht meist aus blauem Tuche und ist häufig mit grün eingefaßte1*
Sammet von schwarzer Farbe am Kragen und Ausschnitte verziert. Zuweilen befinden sid
oberhalb des Schößchens auf dem Kreuze drei weiße, kleine, im Dreieck stehende Knöp*'
chen (Abb. 12).
Abb. 12. Vorn zwei ältere Frauen aus Sedlitz bei Senftenberg um 1940. Die Haube bedeck1
Scheitel und Ohren mit schwarzem Lüster. Der Haubenboden ist schwarz gemustert, D1'1
schwarz-weißen Borten senkrecht benäht. Hinten nicht gezogen. Am Halse sieht man da5
weiße, grün und violett gemusterte Tibettuch aus feiner Wolle. Die kurze schwarze Tuck
jacke = jopa mit Schalkragen, hinten mit kleinem Schoß, der Gürtel hinten mit drei weißd
Glasknöpfen. Die Ärmel sind oben sehr weit und gebauscht und mit Doppelpaspel zu einek
halbmondförmigen Streifen von Abnähern zusammengezogen. Unten sind sie eng und fl1*1
Flaken und Öse zu schließen. Die Jacke ist verwandt mit 9 d und dem äußeren von Abb. i°‘
Grüner Friesrock auf weißer Webkette, alle 6 mm ein weißer Faden. An der Kante bläu‘
Paspel (kein Sparfleck). Violette Seidenschürze, in sich geblümt, 8,5 cm über dem Rand ei*1
schmaler schwarzer Sammtstreifen, darunter eine weiße Zackenborte. Statt eines Schürzei1'
bandes eine links festgenähte doppelte, mehrmals geknüpfte Schnur, deren Schlinge ^
einen Knopf an der rechten Schürzenecke befestigt wird. Die Frauen hinten, aus Buchwald1
bei Senftenberg, um 1940, in kurzer Sackjacke und Kopftüchern mit Kinnbindung. (B)f
Beispiel für die von Lugowoi beschriebene Spremberger Haube = kuschawa: weiß, ^
dem Wirbel spitz zulaufend mit gefältelter Tüllkrause ringsum, mit schmalen weißen Kio*1
bändern und großer weißer Nackenschleife fanden wir nicht mehr).
Gegenwärtig ist im ganzen Spreewaldgebiete und um Cottbus die sogenannte Polkaja<№
— pölka in Mode gekommen. Ihr fehlt der Kragen, und die Ärmel liegen auf den Schulte^
glatt an (Abb. 11, 44, 50 u. a.). Sie läßt unter dem Halse nur einen kleinen Raum fi^’
während sie unten nach den Seiten zu keilartig offensteht, wodurch das Halstuch nach obcl
und unten sichtbar wird. Ein schmales und kurzes Tuchband — auch zwei, hält an Knöpk1
die beiden Seitenteile der Jacke oberhalb des Busens zusammen (vgl. Abb. bei E. MüLl-V
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
63
tritt an die Stelle des Bandes eine einfache Hefte. Das Schößchen hat nach hinten
j1 s^ttlich je eine emporstehende Falte.
an 01yrrner bei der Feldarbeit zieht man im Spreewalde gleiche Jacken aus hellem Kattun
>|Urr' die weißen Arme vor der Einwirkung der Sonnenstrahlen zu schützen.
brau hinter ist des Wochentags meist eine aus Wolle gefertigte Jacke von gleicher Form
j^VPder schwarz mit grüner Randeinfassung üblich (Abb. 55).
haüD . Senftenberger und Spremberger Gegend, in Haasow, Neuhausen, Glinzig, über-
lri den mehr deutschen Dörfern, trägt man für gewöhnlich Sackjacken (Abb. 12).“
Sch Ur ^^kajacke wäre noch zu bemerken, daß sie, wenigsten in der Gegend von
r Us- an eine sehr altertümliche frühbarocke Modeform anschließen konnte
(Abb.
9j io Mitte). Ihren Siegeszug hat sie auch ihrem Namen (Polin) zu verdanken,
der dem im letzten Drittel des 19. Jahr-
hunderts schon stark betonten National-
gefühl der Sorben entgegenkam. Ihre Her-
kunft ist im übrigen nicht auf Polen be-
schränkt. Um 1880 war sie ein ausgespro-
chen modisches Kleidungsstück, das im
Abb. 14. Schuhschnalle aus Lehde im Stil der 80er
Jahre des 18. Jahrhunderts. Stahl, versilbert.
Ehern. Mus. f. dt. Vkde Berlin. (Eine zweite,
ebenfalls aus Lehde, viereckig 5,6 X 4,6 cm,
Bronze mit nur einem Dorn aus Stahl an stähler-
nem Bügel, mit kleinen eingepunzten -geome-
trischen und Muschelmotiven befand sich in
derselben Sammlung).
y
links) Ve z^ltweise mit dem schon um 1860 beliebten Zuavenjäckchen (Abb. 37
*u schloß80 m°k‘ Vielleicht stammt von diesem die Eigenart, die Polka nur oben
Bild bei pn^n.^ nack unten »keilförmig“ offen zu tragen. Auf dem bezeichneten
üller, wie auch zur Trauertracht in Tauer bei Peitz (Metzner
64
Oskar v. Zaborsky
T. 34) ist sie noch ganz geschlossen, in Heinersbrück um 1900 nur oben und ufltd1
geschlossen (Abb. 37, 2. v. links).
Die sehr schlichte Puffjacke von Lehde (9d) ist ziemlich hoch geschlossen. Ü
übrigen stellt sie mit ihrem Schalkragen, aber noch ohne Schößchen, ein Zwische11
glied von b zu den jüngeren Jacken von Schorbus (Abb. 10) dar.
Über die ältere Fuß- und Beinbekleidung gibt uns wieder E. MÜLLER (S. 82h
ausführlicheren Bericht, als es uns zu erkunden möglich war:
„Im Sommer ging man barfuß, nur an Sonntagen und bei Festlichkeiten bekleidete n^1
die Füße mit langen roten oder weißen, später blauen Strümpfen = schtrumpy aus WoM‘
oder Baumwolle mit bunten Zwickeln (Abb. 13), früher auch mit querfaltigen Strümpfe11
die beim Auseinanderziehen eine bedeutende Länge besaßen6 * *).
Für den Kirchgang sind jetzt (1894) entweder schwarze, weiße oder braune Strümp1'
gebräuchlich, bei Festen gewöhnlich weiße, besonders beim Begräbnis und in der ers#1
Trauerzeit, später schwarze. Zum Tanz zieht man solche von verschiedener Farbe an. 211
Kirche geht man in der warmen Jahreszeit unterwegs barfuß und bekleidet die Füße ei!
weder vor dem Kirchorte oder erst unmittelbar vor der Kirche. Die Strumpfbänder waiv
ehemals aus Leinwand oder Tuch, das bunt bestickt war, hergestellt. Jetzt findet man meJi
gehäkelte und mit Wolle gestickte.“
„Die Schuhe = stupne, czreje bestanden früher aus Juchten und waren oben mit rotf1
Klappen versehen, unter denen sie zusammengebunden wurden. Darauf kamen Schnall^
schuhe, oben durch große Schleifen und Schnallen (Abb. 14) verziert, in Gebrauch. V1'
Absätze waren mit Hufeisen, die Sohlen mit Nägeln, sogenannten Zwecken, beschlagd
Außerdem trug man Pantoffeln von Leder oder Holz, im Winter Filzschuhe.
Gegenwärtig (1894) bekleidet man die Füße beim Gottesdienst und bei festlichen Gelegt
heiten mit Halbschuhen aus Leder, Sammet und Plüsch im Spreewaldgebiete und im Nor<k:
und Westen von Cottbus. Im Südosten von Peitz haben sich die Schnallenschuhe noch et
halten (Abb. 37).
Im Winter zieht man lederne Schnürstiefel an; in vielen Orten, namentlich im Spreewald
benutzt man bei der Feldarbeit bei nassem Wetter oder tiefem Schnee auch Männersti<J‘
(Abb. 55).“
Bei der Arbeit sehen wir die Sorbin in Kleidungsstücken des gleichen Schni^
wie am Sonntag. Der Rock ist oft sehr kurz. A. BURGER bemerkt, daß die Sorb^
(1881!) nichts daran fand, ihre Beine bis zum Knie und darüber hinaus nackt &
zeigen. „Dagegen fand sie es notwendig, die Brust bis zum Halse ängstlich ^
bedecken.“ Das Brusttuch war damals auch bei der Arbeit vom Nacken her soff
fähig in Falten gelegt. Wie auf Burgers Zeichnung, so finden wir auch später
Schürze mit einem Band in seit dem Mittelalter bekannter Weise um die Hüftßl
hochgerafft (Abb. 15).
„Geht die Spreewälderin zur Arbeit ins Freie, so macht sie eine sorgfältige Toilette, zid
blendendweiße Wäsche und Tücher an und leuchtet förmlich in ihrer Sauberkeit, woduff
sie schon aus der Ferne von einer Deutschen zu unterscheiden ist, die zur Landarbeit №
schlechtesten Kleider anzieht.“ A. Burger, a. a. O. Bd. 2, Bl. 95. Zu diesem Hinweis d
die Sauberkeit der Sorbinnen gehört der Bericht E. Müllers (S. 81): „In einzelnen Dörfd
wechseln die Mädchen beim Tanz, bei Hochzeiten und Kindtaufen drei- bis viermal d
Schürzen, die Kopf- und Halstücher.“ Die schmucke Tracht der Sorbinnen bei der Fd
6) Diese Art von Strümpfen kommt auch in alpenländisch bestimmten Trachten 'i°\
Im Museum Linz trägt das Oberösterreichische Bauernmädchen von 1730 aus dem
viertel solche von orangeroter Farbe.
65
<jerri’ V* Sommerliche Arbeitstracht, hier mit Beispielen aus der Gegend von Peitz. Über
tCnoteirif?C^eren Kopftuch = lapa, ein Tuch, ähnlich dem Kirchentuch = ßmagajne, der
Cn a‘3er hinter den Scheitel geschoben. Hochgeschlossenes Brusttuch über dem Mieder,
5 Rock und Schürze mit einem Hüftband hochgebunden. (Um 1900.)
v°lkskunde
66
Oskar v. Zaborsky
arbeit mag auch auf brauchtümlicher Grundlage beruhen. So kam es in manchen konse*'
vativen Trachtengebieten vor, daß zur Feldarbeit, zumal zur Ernte, eine Art Festtrack
angelegt wurde. Im Gegensatz dazu berichtet Lugowoi aus jüngerer Zeit: ,,In Heinei5
brück teilte mir Herr Kantor Hühnchen mit, daß viele jüngere Frauen seines Ortes bel
großer Hitze bei der Arbeit alle Röcke wegließen und dafür hinten herum unter der voü
getragenen üblichen Schürze noch eine zweite trugen.“ Wir müssen die Frage offen lasse11
ob es sich hier um eine hochaltertümliche Wickeltracht handelt, und vermerken nur, d^
in der Slovakei Doppelschürzen zur Arbeit Vorkommen.
Über das jetzt kleiner gehaltene, 1881 jedoch unverkürzt und manchmal aus weh'
vollem Stoff bestehende Kopftuch = lapa (Abb. 17) bindet die Sorbin als Sonnefl'
schütz ein großes weißes, kennzeichnend ge'
faltetes Überkopftuch = szmagajne, das auch al5
Kirchgangs- oder Trauertracht dient (Abb. ih
5 8). Um es in der Sommerhitze luftiger umzU'
legen, werden seine Zipfel zuweilen hinte*1
angesteckt oder gebunden.
„Bei der Feldarbeit im Sommer waren auch grob
geflochtene Strohhüte und Strohhauben im Gebraud1
(Abb. 16 u. 37). Erstere, meist schwarz, finden sid
auch heute (1894) vielfach in der Umgegend vo*1
Cottbus, Peitz und Spremberg. Eine Art der letz-
teren ist namentlich bei Peitz und Cottbus gc'
bräuchlich. Diese gelbe Strohhaube = klobuk ode*
klobyk ist mit einem schwarzen oder roten Band£
geschmückt. Dasselbe ist an der Stelle, wo di£
Hinterseite mit dem den Kopf umfassenden vor-
deren Stücke zusammenstößt, rund herum geleg1
und wird unter dem Kinn zusammengebundefl'
Oft hängen die Enden auch seitlich hernieder, I*1
Heinersbrück und Grötsch setzt man die Haub£
oft noch über ein kleines Kopftuch.“
(E. Müller, S. 71 f)
Das heute als das Kennzeichen der Spreewälder Frauentracht erscheinend^
Flügelkopftuch ist verhältnismäßig jung. Bis um 1900 trug man als Festtrach1
Hauben und Mützen verschiedener Form, da und dort noch viel länger (Abb. 36))
und E. MÜLLER berichtet 1894: „Früher hatten auch die Schulmädchen, ebenso
die Frauen daheim vom Morgen bis zum Abend nur Mützen mit Krausen auf“ (S. 73)'
Abb. 17 zeigt die räumliche Verteilung der Hauptformen. Aufgenommen wurde*1
in die Kartenskizze nur bildliche Belege. Weitere, von E. MÜLLER beschriebene»
sind als Umrißzeichen angedeutet.
Am kennzeichnendsten erscheint die dreieckige Mütze = glazona meza, die in de*1
Spreewalddörfern östlich von Burg und im Gebiet um Peitz früher allgemein, bi5
zur Jahrhundertwende in stark vergrößerter und örtlich verschiedener Gestalt zü*
Festtracht getragen wurde. Ihre auffallende Eigenart erhält sie durch die Quei'
Stellung, die durch zwei hinter dem Scheitel nach den Seiten abstehende „Hörner'
betont wird. Wir fanden im Museum von Cottbus ein einfaches und in der A«s'
dehnung bescheidenes Stück, dessen Schnittmuster (Abb. 18) wir gewissermaßen
Abb. 16. Schutenartige Arbeits-
haube = klobuk, klobyk aus Stroh
mit schwarzem Boden, mit darunter
getragenem Tüchlein, Gegend von
Heinersbrück. Nach Lichtbild im
Museum Cottbus.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
67
a ^grundlegend für die weitere Entwicklung ansehen dürfen7). Ihr sehr altertüm-
c er, im wesentlichen geradliniger Zuschnitt, ihre Verwandtschaft mit mittelalter-
lchen Formen, lassen uns LuGOWOls Datierung in das zweite Viertel des 19. Jahr-
underts bestreiten. Die von ihm als frühere Form bezeichnete Radhaube (Tollen-
lau°e) = kschidlata meza umschloß das Gebiet der dreieckigen Mütze im Westen
Süden.
aj^r möchten das Alter der dreieckigen Mütze auch gegen E. MÜLLERS etwas
gemein gehaltene Angaben in den ersten Zeilen von S. 71, denen sich auch
GOWoi anschließt, verteidigen. Lediglich Saspow, an der Grenze des Gebiets,
neflnt er ausdrücklich. Dorthin mag die dreieckige Mütze, wie später vorüber-
b end nach Heinersbrück, nachträglich eingedrungen sein. Angesichts ihres früher
^scheidenen Umfangs wäre es verständlich, daß sie als örtlich begrenzte Sonder-
rm im Rahmen der viel verbreiteteren anderen den Gewährsleuten von E. MÜLLER
*lcht bemerkenswert erschien. Die einseitige Herausstellung der Hörnermütze als
racht der Sorbinnen des Spreewalds durch HAUPT und SCHMALER (1841) läßt
ausgeschlossen erscheinen, daß diese Form in dem gleichen Vierteljahrhundert
tst neu aufgekommen sei. Freilich ist es möglich, daß die kleine Altform (Abb. 18)
fUs ^er Alltagstracht aufgestiegen ist und die Tollenhaube verdrängt hat, wie es
men später durch das Kopftuch geschah. Ihre betonte Breitenausdehnung hat sich
°r *840 entwickelt (Abb. 20) und nahm bis 1870 einen außerordentlichen Maßstab
y Noch bis zur Jahrhundertwende hielt sie sich mancherorts in bedeutender Größe.
ler unbedeckte Stücke, ehemals im Mus. f. dt. Vkde Berlin (Abb. 19), lassen die
nehmende Kompliziertheit ihrer jüngeren Gestalt erkennen. Der hinten gerade
jy Scmuß der Halskrause war vorherrschend. In der Gegend von Burg und in
^ Ssen blieb sie aber radförmig, in Burg auch, als ein Teil des übergroß gewordenen
^cktuches und seine Seitenzipfel, diese zuerst lose zusammengedreht (Abb. 21b),
nn als steif gefaltete handbreite Streifen (Abb. 20 und 31) darüber hinaushingen.
Zu Sc^nt nur um Burg und Werben die dreifache Spitzenkrause üblich gewesen
Sem. Kretschmer zeigt uns eine hübsche Verzierung durch eine kleine am
u \ TUNIKA, a. a. O., S. 2i6f., bezeichnet diese Form kurzerhand als „die dem slavischen
«gesicht entsprechende“. Nun deutet der sorbische Name dieser Mütze, glazona meza,
a ‘lhre Entlehnung aus dem deutschen Volksraum hin. Frauenhauben mit solchen hörner-
hu ^P*tZen traten wohl zuerst in der Modetracht des burgundischen Hofes im 15. Jahr-
^as TV*” aU^' bhese Form ging auch auf die Tracht niederländischer Bürgerinnen über, wie
Me b dnis der Gattin JAN VAN Eycks von 1439 im Brügger Stadt. Museum beweist.
eine w«fdigerweise zeigt es auch die im Spreewald bestätigte Neigung, diese Haube mit
übe ^ Tuch Zu bedecken, das hier mit seinen getollten Rändern seitlich herabhängt und so
den büederlausitzer Halskrausen ähnelt. Einfacher und ebenfalls mit einem
bnden wir dieselbe Haube auf dem Bilde des Osterlammessens von Dirk Bouts im
Abbln- Deutschen Museum (Ernst Heidrich, Altniederländische Malerei, Jena 1924,
* 52)* Eie Kumäische Sybille in Jörg Syrlins Chorgestühl des Ulmer Münsters von
einJ tfägt ebenfalls die doppelgehörnte Haube mit dem Tuch darüber. — Auch wenn wir
Alnrriittelbare Übertragung der dreieckigen Mütze, etwa durch niederländische Siedler,
Urfürst Friedrich II. nach der Erwerbung des Spreewaldes im Jahre 1445 dorthin ver-
CrCe> nicN behaupten können, dürfen wir sie nicht als eindeutig slavisches Trachtengut
5*
68
Oskar v. Zaborsky
Scheitel hineingesteckte doppelte Spitzenrüsche (Abb. 21a). E. MÜLLER vermerkt
daß die dreieckige Hinterseite gewöhnlich von roter Seide und mit Spitzenstoß
überzogen war. KRETSCHMER zeigt sie um 1870 rot oder weiß, einfarbig und ge'
mustert, A. BURGER 188i8) weiß, blau und grün mit blau und bunten Blume#>
mit dazu passender Seidenbandschleife an der Halskrause und entsprechende#1
Brusttuch. Die Art der Bindung des Decktuches wechselte zwischen völliger A#'
Abb. 17. Verteilungskarte der Hauben im Spreewald und angrenzenden Gebieten; nad
den vorhandenen Bild- und Sachbelegen. Nach den Angaben von E. Müller (1894) durd1
schematische Umrißzeichen vervollständigt. Das Gebiet der dreieckigen Mütze = glazofl11
meza zeigt sich auf den Spreewald im Kreis Cottbus und die Gegend von Peitz beschränk#
(Nach Aufgabe der althergebrachten Ostniederlausitzer Hauben in Heinersbrück wurde sk
auch dort vorübergehend in die Festtracht übernommen, Abb. 30 oben Mitte). Vom Kre'5
Calau her bis in die Gegend von Senftenberg und Cottbus und südostwärts davon verteile#
sich die Tollenhauben mit umgeschlungenem Scheitelband, das hinten zur Schleife geleg1
ist. In Schorbus bei Cottbus und Sedlitz bei Senftenberg ist um die Haube ein seiden^
Tüchlein gebunden, dessen Zipfel oben wegstehen. Von Süden her macht sich der Einflu#
der Oberlausitzer Haube bemerkbar, die in Skado unverändert getragen wird. Die Obe#
lausitzer Haube hat in Sedlitz in jüngerer Zeit die ältere Tollenhaube verdrängt (vgß
Abb. 12).
8) A. Burger, a. a. O., Bd. II, Bl. 96.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
69
^■kb. x8. Schnittmuster
fnd Schema der Knif-
J\tüLd!r ;dreiecki?en
p — gtazona meza.
rühe einfache Form,
“:0ch ohne ToUen, von
jttelalterlichem Cha-
a ter. Museum Cott-
Us‘ heißer, piquearti-
ger Stoff.
70
Oskar v. Zaborsky
Abb. 19. Schematische Zeichnung der entwickelteren Form der dreieckigen Mütze ll
getolltem Batistkragen (noch ohne Spitzenrand). Nach vier gleichartigen Stücken, ehef*5;
Mus. f. dt. Vkde Berlin. Drei von Piquestoff, eine von in sich gemustertem Batist. Z^c!
Nackenschleifen aus Pique, zwei aus Batist, eine mit hübscher Lochstickerei. An z^1
Kragen Spitzenränder.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
71
jcr ' 2o- Gegenüberstellung der Entwicklungsformen der dreieckigen Mütze mit Rad-
2gcn von Burg um 1840 (nach Haupt u. Schmaler) und um 1870 (nach Zeichnungen
^CHIM v. Arnim, Wiepersdorf, ohne Farbangaben). Zunehmende Breitenausdehnung
Mütze und außerordentliche Vergrößerung des Radkragens sowie des Decktuches,
dessen Seitenzipfel 1870 bindenartig gestaltet sind
(2. Fig. oben und 1. u. 3. Fig. unten). Die Frau
links unten trägt ein Mittelding zwischen dem
Kamsol und der Polkajacke. (Die Kinnschleife
der 3. Fig. oben ist weiß mit gelb, grün und rot,
das Brusttuch der 4. gelb mit kleinem roten
Muster und buntem Rand.) *
*ust21- a dreieckige Mütze = glazona meza, um 1870 mit herumgeschlungenem ge-
ilad-pr^n1 Seidentuch und oben hineingestecktem doppeltem Spitzenvorstoß, großem
kragen n‘)KraSen m’t Nacken- und Kinnschleife; b die dreieckige Mütze mit Tollen-
’ Vom Decktuch hinten völlig verhüllt. Seine Seitenzipfel hängen, noch nicht ver-
steift, hinten seitlich herunter (beide Fig. nach Kretschmer).
72
Oskar v. Zaborsky
passung mit Betonung der spitzen „Hörner“ und losem Überhang. Bei reichet
Gestaltung wurde das diagonal gefaltete Tuch an der langen Dreieckseite nad1
außen und hinten handbreit umgeschlagen, mit der so gebildeten verstärkten Kaflt£
Abb. 22. Links Brautjungfer, Mitte Züchtjungfrau des Bräutigams, rechts Braut aus Bui£
um 1840. Besonders bemerkenswert ist die gewickelte Kopftracht = hupaz mit ihren d3'
mals noch gerollten Ohrenschlaufen. An dem Hupatz der Braut überwiegt Schwarz mit Grüt1’
Weiß und Gold sind Nebenfarben. Man sieht deutlich die grünen Seidenfäden hinten hei'
unterhängen. Außer der hellblauen Jacke = kamsol mit zwei Goldknöpfen, und der hek
gelben Kinnschleife ist die Brauttracht auf Schwarz-weiß abgestimmt. Die weiße Ecke av
der Schürze ist einer der Zipfel des Brusttuchs. In den Händen trägt sie das sonst gerollt
(links!) Zeremonialtuch = rubczk ursprünglich ein Regentuch. Die Tracht der Ehrenjung'
frauen ist farbig, die des ersten Grades (links) auf Grün, die der zweiten Stufe (Mitte) au
Rot abgestimmt. Die Tollenkragen haben noch nicht die spätere Größe erreicht (nao1
Haupt und Schmaler, T. V.).
73
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
an die Stirn gelegt und das übrige hinten „verstochen“, soweit es nicht überhing.
Die Zumeist nach METZNERs Lichtbildern gezeichneten Typen auf derVerteilungs-
karte (Abb. 17) zeigen auch abweichende Arten der Bindung.
Bevor wir den bräutlichen Schmuck und die Auszier der Brautjungfern und
Patinnen an dieser Haube betrachten, müssen wir auf noch ältere Formen zurück-
8reifen. In Burg wurde um 1940 der
nUr noch für dieses und die nächstlie-
8enden Dörfer kennzeichnende Kopf-
^hrnuck der Braut und der Braut-
JUngfern, hupaz, getragen. Er hatte sich
Seit der ersten Abbildung hundert Jahre
ang fast unverändert erhalten (Abb. 22,
*3 und 24). Wir zitieren E. MÜLLER
(S* 74):
. »Las Haar wurde oberhalb der Stirn mit
^lnem schmalen Streifen weißen Seidenban-
es> Weiter hinauf mit grünem und schließ-
cn mit breitem, schwarzem Bande um-
runden. Auf dem Scheitel befestigte man
ClI)en Kranz aus gelben und blauen Seiden-
g leifchen. So trug man den Hupatz in
Urg. Anderwärts trat an die Stelle dieses
ränzchens ein vergoldeter oder versilber-
j5r Beif, ¿labnik, von dem vier grüne lange
ander herabhingen. Auf dem Kranz oder
lng ruhte der bräutliche Rautenkranz, von
Reichem lose grüne und weiße Seide in den
acken herabhing. Der Brautkranz bestand
auch aus Myrthe, Eppich, Mjerik, nicht
en aus Sellerieblättern. Den Hals umgab
le breite, weiße Halskrause mit einer
j Cl^en> geblümten Schleife, deren Enden
berabhingen. Bei dem weiblichen
rengeleite der Braut, bei der Podruschka,
Luschka, Pschidruschka, war der Hupatz aus grünem und weißem, bei der Towanschka
ud Szwaschka aus weißem und dunkelrotem Bande angefertigt.
Wir finden alle diese Angaben auf WELAUs Zeichnung von etwa 1840 bestätigt
(Abb. 22). Ähnlich geschmückt, aber mit schwarzer Jacke und spitzengesäumtem
Brusttuch und Zeremonialtuch (vorn in den Händen) sehen wir die Braut 1869
kAbb. 23). Die Halsschleife ist kürzer geworden. Lang vom Kinn herabhängende
andenden trug hingegen noch um 1900 die Braut in Raddusch (Abb. 44).
A* Burger9) datiert seine Zeichnung mit 1876. Man sieht auf ihr schon das
^hmale schwarze Stirnband, darüber eine Spitzenkante (194° weiß und schwarz,
bb. 24) Und die nur noch schwarze Umwickelung des Kopfes, die noch etwas
grollten Bandschleifen über den Ohren hingegen grün (seit dem Ende des 19. Jahr-
uuderts flach und schwarz), die Bandrosette am Hinterkopf schwarz-weiß, wie
Abb. 23. Brautpaar um 1869 aus der Gegend
von Burg. Der Tollenkragen hat sich ver-
größert, der Hupaz erscheint in die Höhe
gezogen. Das Tuch = rubezk in den Hän-
den der Braut und das Brusttuch mit Spitzen-
rand. Das Kamsol ist schwarz. Der Bräuti-
gam im Zylinder und Gehrock mit modi-
scher heller Weste und kleiner schwarzer
„Fliege“. Meist sieht man das Kränzchen
am linken Arm des Bräutigams. (Nach einem
Zeitschriftenausschnitt im Museum Cottbus).
*) A. Burger, a. a. O., Bd. IV, Bl. 229.
74
Oskar v. Zaborsky
noch jetzt. Allerdings ist der Hupatz in neuerer Zeit (Abb. 24) ganz mit künstliche*
Myrte besteckt und mit weißen und grünen Glasperlen behängt. Da jetzt de*
Brautkranz sozusagen nach vorn verschoben ist, ziert den Wirbel eine Rosette aüs
grünen Bandschleifchen. Schon 1876 sieht man die Braut in der Jacke mit kurze*1
Schößchen {kamsol). Die seidene Bandschleife im Nacken war um 1840 schwarz»
Abb. 24. Burger Braut um 1935. Rund gewickelter Hupatz aus schwarzem Band in breitet*1
Bogen mit künstlicher Myrte besteckt. Dahinter schwarze und weiße Schleifchen. Schwa*'
zes Stirnband, weißer und schwarzer Spitzenstreifen. Darüber ein Gehänge von weißen uO^
grünen Glasperlen und -tropfen. In den schwarzen Bandstreifen mehrere Reihen einfache*
Stecknadeln, als Zierelemente. Drei platte Bandschleifen liegen auf dem dreistufigen, fl*1*
Spitzen besetzten Tollenkragen. Auch sie sind mit sichtbar gesteckten Nadeln festgehalte*1
und verziert. Die Kinnschleife ist aus weißem Seidendamast, das Schultertuch aus Tüll'
spitze, darüber, vorn (ein wenig sichtbar), ein girlandenartiger Schmuck aus weißen ufl^
grünen Glasperlen. Im Ausschnitt des Kamsol (Jacke) ein kleines Myrtensträußchen. Vie
lose seidene Nackenschleife ist grün.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
75
später grün, die Kinnschleife, früher farbig, später weiß oder gemustert, war 1940
v°n weißem Seidendamast. Der Hupatz der Brautjungfern wurde in neuerer Zeit
aus blauem, rot gemustertem Band, vorn mit weißen und schwarzen Spitzen, ge-
funden und gesteckt. Über dem Scheitel lag quer ein Bogen aus Kunstblumen,
Äer Myrte,0 Rosmarin, großen, meist ei- oder tropfenförmigen Glasperlen und
aufrechtstehenden Fäden von Goldlame. Ein Gebilde aus denselben Schmuck-
elementen bedeckte den Hinterkopf, im Bogen
^>b. 25. Kopftracht = hladzenje der
Brautjungfern in Bluno, Krs. Hoyers-
%Verda, um 1936. Gewickelt aus ge-
mustertem rotem Band mit Nadeln.
Atl der Spitze ein Flittersträußchen.
(Retzlaff-Helm, S. 94.)
de:
r W,
Abb. 26. Brautjungfernmütze = hupaz, Museum
Vetschau. Ein grobes Tülltuch, dessen Zipfel im
Nacken herunterhängen, bedeckt eine aus Pappe
gefaltete Haube und trägt den kranzähnlichen
Blumenstreifen mit Glasperlen. An den Ohren
Weinlaub Verzierung mit grünen Bändern. Der
Brautschmuck soll nach Lugowoi in entsprechen-
^lse gestaltet gewesen sein, zu deren wenig entwickelter Einfachheit der steife
cn*tagen in merkwürdigem Gegensatz steht. (Im Museum Vetschau fand sich hin-
&egen
der n CIne vollständige Brauttracht, deren wohl späterer Kopfschmuck eine Haube war,
aüch °den *n yiele senkrechte Falten gelegt. Die Auszier war reicher als an Abb. 26. Sie zeigte
ejn Vjastr°pfcn und rote Blumen und mehr grüne Bänder. Um den Leib trägt die Braut
eißes, grün gerandetes Seidenband, vorn in der Schleife (?) ein grünes Myrtenkränzchen).
üs handelt sich beim Hupatz um ein spätes , , denn in der Trachten-
tfacht. Er dürfte früher weitere Verbreitung geha ’ ünglichere Form er-
¡nsel Bluno (Oberlausitz) hat sich eine verwandte,, ^ handelt, beweist
galten (Abb. 25)10). Daß es sich hier wirklich um a e wendischen Mägden
der Beschluß der Lausitzer Stände von 1654, »
10) V ,
Braut; d*e Schwälmer Tracht: Dort braucht man zum „Schappeln“ einer Braut oder
ngfer 32 m Band, das auf dem Kopf teils zusammengeheftet, teils gesteckt wird.
76
Oskar v. Zaborsky
(Mädchen) die theueren Bänder um die Köpfe, wie auch Halsbänder von Koralle
zu tragen, verboten sein soll“11).
Sehr altertümlich und fast an die Trauerhaube von Heinersbrück (Abb. 38) ge'
mahnend erscheint der Brauthupatz von Vetschau und Umgebung (vgl. Abb. 26)
Er bestand aus einem weißen, mit Zipfeln in den Nacken gesteckten Kopftuch
dessen Ende hinten herunterhing, darüber eine schlichte gefältelte Halskrause tf1*1
dunklem Kinnband. Außer der bogenförmigen Girlande von grüner Borte, Mytfi
Abb. 27. Brauthupatz über der dreieckigen Haube mit doppelter Halskrause aus Bati«1
(ältere Form noch ohne Spitzenrand, Rückansicht). Man sieht die zahlreichen Reibe*1
schwarzen Seidenbandes, mit dem die Mütze besteckt ist und von dem einzelne Gän£c
seitlich auf der Krause liegen (links!). Auf der unteren Kante der Mütze weiße und schwaf^
Seidenbandschleifchen über weißen und blauen Kunstblumen, silbernen, goldenen, blauet
gelben und grünen Glaskugeln, Rosmarin und Silberbouillon. Die „Girlande“ über der Stid1
etwas weniger farbig. Zwischen den beiden Blumenstreifen befand sich auf dem Hinte1"
köpf das Kränzchen aus Myrte oder Raute. (Die Vorderansicht ähnelt Abb. 28.) Gafl^
Breite 54 cm. Man sieht deutlich die mit dickem Papier gesteifte linealartig starre Nackei1'
schleife mit Lochstickerei am Ende. Märkisches Museum, Berlin.
oder Raute mit Kunstblumen, Glasperlen und Goldlame trug die Braut obena^
noch ein Kränzchen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts benutzte man, außer in Burg, die dreieckig
Mütze = glazonci meza als Grundlage für den Braut-, Brautjungfern- und Patinne^
schmuck (Abb. 27—31).
„Man steckte (zum Hupatz der Braut) schwarzes Seidenband um die Mütze und legte 111,1
dieselbe Ranken aus künstlicher Myrte und weißen Blumen, Perlen und Flitter, ,G>{'
n) E. Müller, a. a. O., S. 65 f. Die von ihm beschriebene, höhere, nach oben spitzt
zulaufende reich verzierte steife Mütze der Braut, die Borta, wie sie noch jüngst in ¿ci
Oberlausitz in Gebrauch war, fand er in Graustein bei Spremberg. Sie dürfte sich auf <&S
Grenzgebiet der Niederlausitz beschränkt haben.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
77
knden‘
c , genannt; eine andere Ranke wurde (hinten) oberhalb der steifen, waagerechten
Hj C^e Gefestigt. Das I
Scheite ¿es Hupatz zu liegen. An der Halskrause vorn war eine große, weißseidene
befestigt. Das Kränzchen mit dem grünen und weißen Seidenbüschel kam auf der
tr. «jciestigt. .uas is
S^rseite (jes Hupatz
angebracht. Die Brautjungfern trugen diese Mütze (Abb. 28), ebenso wie früher,
i. v* - VXX w». w—iv Vk/WlXOW W IV liUlIUlj
mit grünem Bande ums\"ecTt7mh grünem, weiß geblümtem Bande ist auch der Brauthupatz
!n Raddusch (Abb. 44) geschmückt. Die sogenannte Girlande beim Kopfputz der Braut-
]Ungfern besteht aus bunten Blumen, Perlen und Flitter.“ (E. Müller, S. 74.)
R^uPate über der dreieckigen Mütze einer Brautjungfer aus Werben. Neuerer Über-
stQßaus 12 cm breitem grünem, schwarz und weiß gemustertem Seidenband, darunter Vor-
Har"fUs Schwarzer und weißer Spitze. Man sieht innen die Versteifung aus dickem Papier.
bancj ,^r kommt das Organdifutter, dann die eigentliche Mütze aus Batist, die mit Seiden-
^c'egt ist. Man sieht den auf der Rückseite der Mütze angeordneten Streifen aus
lila 7° umen> künstlicher Myrte, Glasperlen, Chenille und grünen Federn, unterlegt mit
desVraUnroten und hellst blauen Seidenschleifen. Darüber am Hinterkopf ein 10 cm messen-
streif ranzchen aus denselben Schmuckelementen ohne Federn, mit Rosmarin. Der Blumen-
Hge Vorn ist wie der vorher beschriebene mit Rosmarin, aber ohne Schleifen als Unter-
Rr ' Ucb hier eine dreifache Reihe Stecknadeln auf dem grünen Band. Die dreifache
ber War mit rosa, 9,5 cm breitem Seidenband mit Zackenrand (scheinbar) geschlossen.
upatz des Brautgefolges zweiter Ordnung war aus weißem und dunkelrotem Band
angefertigt. Museum Cottbus.
besitzen eine Fülle von Belegen davon. Die älteren Hupatze des Braut-
|r^ges Sln^ zumeist mit verschiedenen bunten Bändern besteckt, unter denen
k0tnrriÜn<^ Rot in Abwandlungen wie Erdbeer-, Lachs- oder Rostrot stets vor-
78
Oskar v. Zaborsky
Die ledige Patin trug in Burg über der dreieckigen Mütze ein ungenauster*^
rotes Seidentuch, die weiße Schürze und das Brusttuch waren nicht durchbroche11
(Auf der Abb. 31 vorn links nicht mehr ganz stilecht, wie auch die Schuhe.) V11
verheiratete Patin legte über die Mütze das weiße gestärkte Überkopftuch = ßifl6'
Abb. 29. Brautjungfer um 1900. Hupatz
über der dreieckigen Mütze. Breiter, ge-
tollter Halskragen, offenbar noch ohne
Spitzenrand, was für die Datierung aus-
schlaggebend ist. Weißes, in sich ge-
mustertes Brusttuch mit Spitzenrand, dar-
über Kette aus Glasperlen. Kittelchen mit
zwei Spitzenstreifen an den Ärmeln, Tüll-
schürze mit großem weißen Blumenmuster,
darüber grünes oder rotes Band mit großen
hellen Blumen. Gleichfarbiger Rock mit
breitem geblümtem Band besetzt, jedoch
nur bis an den Sparfleck unter der Schürze.
(Nach Dünninger, S. 20.)
gajne mit schmalen gesteiften Seitenzipfel11
Rock, Schürze und Unterrock wafel1
schwarz, Brusttuch und Bandgürtel weiß
Man steckte ein Blumensträußchen
die Brust. Die Taufzeuginnen erschienenl!i
festlicher Tracht, die aber durch Verweb
düng der grünen Farbe auf den Ernst ck!
Zeremonie hinwies. Da und dort käme1
die Unverheirateten auch im Hupatz (obe<
rechts). In der Kirche war früher die Jack
vorgeschrieben (nach LüGOWOl).
Mehrere Hauben aus Groß-Lieskow $
Museum Cottbus lassen uns den Entwich
lungsgang anderer Niederlausitzer Hauben
formen erkennen (Abb. 32). Grundform b1
eine einfach geschnittene Haube mit dre>'
eckigen Wangenteilen und Spitzeneinfa5
sung, die bei e um alle Ränder herumge
führt (und an den vorderen Teilen dur^
einen inneren schmalen Spitzenrand be
gleitet) ist. Die breitere Spitze dieser Hod1
zeitshaube zeigt die Neigung, nach hint£i
umzukippen. Dies ist an den weniger fes1
liehen Hauben a, b in dem Maße der Faß
daß der Spitzenrand von den Schläfen übfi
die Stirn unter dem bindenartig gefaltet
umgelegten Tuch verschwindet. Wenn ^
uns den Spitzenrand (oder, wie es an ei*1'
fächeren Stücken der Fall ist, den gefaltet^
Leinenstreifen), der die Wangenteile dc
Haube so sorgfältig umkraust, verbreite^
und die Wangenteile bis ans Kinn verlangt
vorstellen, und, wie an der Hochzeit
haube e (die als solche vermutlich die Tb
dition am treuesten wahrt), diese Kraust
bis um den Nacken fortgeführt denke11
dann wäre in den Hauben von Groß-Liß5
kow die Entwicklung zur Tollenhaüb
(Abb. 34,3 5,41 —44) vorgezeichnet. Die sic
auf dem Scheitel fast berührenden Tud1
80
Oskar v. Zaborsky
Abb. 30. Hochzeitsgesellschaft. Brautpaar aus Werben, 1901 (Lichtbild im Museum Cot*
bus). Außer dem bekannten Brautschmuck ein schärpenartiges weißes Band = bant, vor1
mit Schleife und langen Enden. Über dem Zeremonialtuch = rubczk ein Taschentuch tu11,
ein Myrtensträußchen. Seltener Beleg für den aus der Stadtmode übernommenen Schlei
= glowna, plachcziza, schlewaf, der in festgelegter Weise angebracht ist. Die Braut träg
Stoffschuhe mit Lackkappen und kleinen Bommeln. Der Bräutigam in Gehrock und Zylind*!
mit schwarzem Chemisett und weißem Vorstoß, ein Sträußchen mit weißen Bändern voh1'
am Hinterkopf ein Kränzchen mit grünen Bändern. Links Erster Brautführer aus Saspo"
mit Säbel, Schärpe, Zippeltuch und Sträußchen mit Bändern, schmalere Bänder am
Darüber Brautjungfer aus Saspow (Metzner, T. 29 und Lichtbild Mus. f. dt. Volkskunst
Berlin, beide um 1896). Oben Mitte und rechts: Brautjungfer und Brautführer aus Heiner*
brück um 1910 (Lichtbild im Mus. f. dt. Vkde Berlin). Darunter Erster Brautführer u®
Brautjungfer aus Tauer bei Peitz um 1896 (Metzner, T. 40 u. 41). Wir erkennen die ve*
schiedenen gebräuchlichen Hut- und Mützen-, Schlips- und Kragenformen. Die Brautjungf’
in der Mitte oben trägt über dem Brusttuch ein nahe dem Spitzenrand angeheftetes Seide*
band in der ihr zustehenden Farbe: rot oder grün (vgl. auch Abb. 31 oben rechts).
zipfel (Abb. 32) zielen zum Scheitelknoten hin, der dann auch in Schorb^
(Abb. 10 links) undSedlitz in kleinem, in anderen märkischen Trachten in oft geW
tigern Maßstabe ausgebildet wird. Die Leinenbinde mit rhombischen Knotenenden №
Nacken (d) stellt die Verbindung dieser Abendmahls(?)-Haube mit der Konfirm^11
dinnenhaube von Schleife (Oberlausitz) her. Doch lenken wir auf die Tollenhaube z*
rück! Wir glauben, selbst an der reich ausgebildeten Form von Ogrosen (Abb. 34) (¿'l
wir nur nach dem Lichtbild kennen) hinten oben einen unter das darüberliegen^
Band zurückgeschlagenen Spitzenrand zu erkennen, der sich dann in der vorhc
beschriebenen Weise um die ehemaligen Wangenteile herum (die jetzt unter d*1
Ohren hindurchgehen) bis unters Kinn und von dort zurück bis in den Nack*1
ausdehnt. Das um die Haube gelegte Band bemerkten wir als noch wenig beton*1
Bestandteil der Hochzeitshaube von Groß-Lieskow (Abb. 32 c). Es hängt do*'
noch nicht zur Schleife geschlungen (?) hinten herab. Dies ist bei d sicher der F^'1'
denn hier hängen die Bandenden neben einem Paar schmaler Leinenbänder un**1
dem betonten Nackenknoten. (Die Neigung, für unsere Begriffe ziemlich nichtr
sagende schmale Bändel tief in den Rücken hängen zu lassen, bemerken wir aü*'
in Abb. 36, 39 und 44.) Die Anregung, die Tollenhaube mit einem zur Nack^
schleife gebundenen Seidenband zu schmücken, kam wohl aus bürgerlichen Kreis*
(vgl. Abb. 35). Von dieser schlicht herabhängenden zu den prachtvoll geschwü*
genen, oft reich gemusterten oder auch aus zartestem Material gestalteten Schleif*1
an den Tollenhauben (Abb. 34, 41—44) ist ein weiter, doch erkennbarer Weg1'
Eine der Abb. 32a und b entsprechende Haube aus gemustertem Tüll fand si*
unter der Bezeichnung mit dem Hinweis „Stadt Cottbus“ im Museum Cottb12 13’
12) „Das Tüllen der Krause wurde auf folgende Weise bewerkstelligt. Auf ein klein*
schmales Brett, das an der kürzeren Seite je ein nach oben verschiebbares, waagerecht lieg*^
des Stäbchen hatte, wurde der geplättete und etwas angefeuchtete weiße Stoff so aufgelef'
daß er zunächst an der einen Seite von dem Stabe festgedrückt wurde. Dann schob ^
wechselnd über und unter den Stoff Binsen von gleicher Breite mit dem Brett, drückte 5
aneinander und befestigte das Ende unter dem anderen Stäbchen. So trocknete man S*
Stoff, der nach Entfernung der Binsen getüllt erschien.“ (E. Müller, a. a. O., S.
82
Oskar v. Zaborsky
Abb. 31. Taufgesellschaft um 1900. Vorn drei Frauen aus Burg, um 1905 (Lichtbild i#
Museum Cottbus). In der Mitte die Hebamme mit dem Täufling, links unverheiratete Patin
die dreieckige Mütze mit einem roten ungemusterten Seidentuch glatt bedeckt (daher glazofl11
meza, die glänzende Mütze). Man sieht deutlich den dreifachen Radkragen in der ken#
zeichnenden Lage der Tollenreihen. Die Schürze müßte weiß sein. Auch die Schuhe mi(
Absätzen und Spangen übertreten die Trachtenvorschrift. Rechts verheiratete Patin
großem weißem Decktuch über der Mütze. Seine streifenförmig gefalteten gesteiften Zip&
und die in der Mitte herabhängenden Ecken drücken den Radkragen hinten herunter. ViC
Ränder des gestärkten Tuches sind mit Spitzen garniert. Die Farben der Tracht sind schwa#
und weiß. Das Taufzeugenpaar links oben ist aus Tauer bei Peitz (Metzner, T. 42).
drei Taufzeugen rechts davon aus Saspow (Metzner, T. 31 u. 33). Der Männerhut is{
ergänzt. Die Auszier der Tracht ähnelt der des Hochzeitsgefolges.
Abb. 32 a. „Mützchen“ ^
meza aus Groß-Liesko^>
Museum Cottbus. Batis£
mit Lochstickerei. Tüllrand
und Spitzen von hellste#1
Blau, Einfassung der Wan'
genecken hellblau. Schöne5
weißes, grün gemustertes
Seidenband, das durch die
Schlaufen dieser Ecken ge'
zogen ist und als Kinn'
schleife dient. Die Haube
ist hinten mit einem Zug'
bändel passend zusammen'
gezogen. Darüber ist als
eine Art Zierelement cin
schmales Leinenband zuf
Schleife gebunden, dessen
Enden etwa 30 cm herab'
hängen. Das zur Binde =**
bindka gefaltete, mit de#
Zipfeln nahe dem Scheit^
angesteckte Baumwolltuch
(Fortsetzung Seite 83)
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
83
Unkelblau mit weißem und hellblauem Blaudruckmuster. Die Tuchbinde bedeckt fast ganz
den oberen Teil der Haubenkrause.
‘ 3^b. Mützchen, entspr. a, aus weißem, in Streifen durchbrochenem Wäschestoff
^ Weißen gestärkten, scharf geplätteten Krausen aus Batist mit Spitzeneinfassung. Die
angenecken hellblau-weiß eingefaßt. Die Anpassung der Haube am Hinterkopf durch
s §eplättete Falten. Schmales weißes Schleifenband wie bei a. Das umgelegte Tuch
Uarz> grün bestickt. Die sehr schön gemusterte seidene Kinnschleife schwarz, weiß,
violett und grün.
(t '1 ^C‘ Streifen aus dünnem Leinen, mit grünem, rot und weiß gemustertem Seidenband
1 Weise) benäht. Stirnbinde, die als Vorstoß unter dem umgelegten Tuch der Hauben a
. und b hervorsieht.
• 3*d. Abendmahls(?)haube, zu a und b gehörig. Dreieckig gesteifter Boden aus Tüll
ü Weißstickerei. Seitenteile und Krausen aus Tüllspitze. Einfassung der Wangenecken
V ■ Schlaufen hellblau, hinten schmale Leinenbänder mit Zackenrand, entspr. a und b.
rh * . Mehrschichtige Leinenbinde, am Hinterkopf geknotet, mit seitlich abstehenden
°mbischen Zipfeln, mit doppeltem Zackenrand und schöner Weißstickerei. Die Stirn-
u ri G ni*t schmalem Rand von Häkelspitze, darüber dachziegelartig ein weinrotes, blaues
n braun-weißes Seidenband mit Zackenrand angeheftet. Die Enden des letzteren hängen
^ unten 17 cm aus der Haube.
32e. ,,Hochzeitshaube“, zu den vorigen gehörig. Der gefältelte Tüllrand ohne Binde
jj. bls in den Nacken ausgedehnt. Schmale Spitzeneinfassung um Stirn und Wangenecken.
Un<^ Seitenteile aus grüner Seide, beiderseits mit Tüllspitze bedeckt. Haubenboden
^as ^aPpe 13X13 cm gesteift, mit hellgrüner Seide bezogen. Das braun-weiße Seidenband,
u s außen um die Haube gelegt ist und hinten frei herunterhängt, entspricht völlig dem von
be d. Nahe dem Oberrand ein Sträußchen (vielleicht als Kränzchen gedacht) von Ros-
ln> wenigen Kunstblumen, blauen, roten, grünen und weißen Glastropfen und -perlen,
grünen Schleifchen unterlegt. Auch die Schlaufen für die Kinnschleife sind grün.
re hintere Fläche war durch einen 14 X 12 cm messenden Ring aus Werg ver-
eute(I937) ist diese Frisur nur noch bei einigen alten Frauen üblich.“ (LuGOWOI.)
as violett-grün gemusterte Kattuntuch mit Fransen an der Cottbusser Haube ließ
Ih:
„Das kolasko, ein hölzernes Rädchen mit Leinwandumwicklung und ledernen
•ypeichen diente früher zur Stützung der Kopfbedeckung und wurde immer in
erhindung mit einem breiten, weißen Leinenband (vgl. Abb. 32 c) um die Stirn
ketragen. Das Rädchen selber wurde am Hinterkopf vermittels der Haare befestigt.
Di
G frei nach hinten unten hängen. Diese Kopftracht können wir bis zum
tr; fe 1^I° zurückverfolgen. Die Frau, doch wohl eine Bäuerin, auf Abb. 60 rechts
s- P über der Haube, von der man nur die bescheidenen Tollen an den Wangen
b eine breite Binde aus weißem, rot gemustertem Stoff, deren Enden hinten
einer Schleife gebunden sind.
heir^n ^Cr Kopfbedeckung kennzeichneten sich früher die weiblichen Personen als Ver-
hei a(:ete Und Unverheiratete. Die ersteren trugen eine Haube = kapa von weißer, streifiger
jbwand, von Kattun oder Zitz, die mit einfachen Spitzen eingefaßt war und unter dem
fja ? Stunden wurde. In einzelnen Orten, z. B. in Saspow, umhüllten die Mädchen diese
a0(j e Mit einem weißen Tuche.“ (Dies dürfte der Haube von Abb. 60 entsprechen.) „In
dCne^n Dörfern gingen sie mit bloßem Kopfe, das Haar in zwei dreireihigen Zöpfen um
,.°Pf gelegt. Die Frauen setzten eine von weißem Zwirn netzartig gestrickte Haube
War /yjkald mit weißen Schnüren, bald mit breiten, weißen Leinwandstreifen eingefaßt
c* ' ber derselben trug man die Oberhaube.“ (Netzartig aussehende und übereinander
84
Oskar v. Zaborsky
aufgesetzte Hauben findet man noch in Schleife, OL.) „Diese war entweder weiß gestielt
und mit einem weißen Bande und ebensolchen Schleifen, bei Festlichkeiten jedoch mit rot'
seidenen, versehen, oder sie bestand aus buntem Stoffe, war schwarz eingefaßt und hatte
ein schwarzes langes Band zum Binden im Nacken. Vermögende Frauen trugen nicht selten
bunt gestickte Brokathauben, ärmere solche mit Blumen und Ranken aus unechten Perlefl'
Abb. 33. Frau aus Groß-Lieskow in festlicher Kif'
chentracht mit der Haube wie Abb. 32 d und weißet
Kinnschleife. Schwarze, stark ausgeschnittene Jacke
mit leichten Puffärmeln, seitlich und wohl auch
hinten stark gewellten Schößchen (vgl. Abb. 37
Mitte). Weißes Brusttuch und hellfarbige Schürze
mit kleinem Streumuster über schwarzem (?) Rock-
Weiße Strümpfe, etwas grobe schwarze Schuhe rnk
Bandschleifen. Das gerollte Regentuch als zere-
moniöses Requisit. (Nach Lichtb. im Mus. Cottbus.)
Abb. 34. Tollenhaube = kschidlata meza aus Ogrosefl»
die bis in die 80 er Jahre des 19. Jahrhunderts getragen
wurde. Die Kragentolle setzt sich über dem Scheitel
fort (?) und ist dort nach hinten unter das gemusterte
Tüllband geklappt (?), das imNacken große Schleifet1
und herunterhängende Enden zeigt. (Nach KÖHLER,
Bd. II, S. 77.)
Abb. 35. Bürgerliches Pastellbild um 1800. (Museum Vetschau) Haube und Brusttuch weiß»
Scheitelband hellblau, Jacke braunrot. Auflösung der steifen Barockform (Abb. 39) in die
Tüllmode des Empire. Der barhäuptigen Tracht jenes Zeitalters wird hier das Zugeständnis
gemacht, daß das Haar vorn sichtbar bleibt. Die schmale Tolle der Vorform (Abb. 39 a) isfi
besonders am Halse, verbreitert. Übergang zu den Formen 34, 41—44.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
85
2ü
itcvT* ^chut2e gegen die Sonne band man ein Kopftuch darüber aus weißer, blau und weiß
Ein UC. er Leinwand, aus weiß und rot gestreiftem Kattun oder anderen Stoffen und Farben.
rein weißes aus Zwillich wählte man für den Kirchgang. In wollene, bunt gestreifte
jjU. er hüllte man den Kopf bei Regenwet
^einersbrück, Grötsch und anderen Orten trug man vor etwa 70 Jahren (um 1825) im
Jriter warme runde Mützen = pechawa, die mit Fell, meist vom Kalbe, verbrämt waren
man den Kopf bei Regenwetter und Kälte. In Krieschow, Groß-Lieskow,
¡*nd einen gestickten Sammetdeckel hatten. In den beiden letzten Dörfern hat sich diese
Kopfbedeckung nebst der mit Pelz eingefaßten Jacke bei einzelnen alten Frauen noch bis
eute (1894) erhalten. ,. .
Darauf trug man mützenartige Hauben aus steifem Kattunstoffe oder aus Pappe, die mi
Leinwand überzogen waren, und die im Südosten von Peitz seitlich herabhängende, breite
lau ^te Erauen aus Heinersbrück um 1935 in der Kirchenmütze = rneza mit Ohren-
Ein weißes Tuch bindenartig herumgesteckt. Hinten weiße schmale Bandschleife
Sehr C] UnterEängenden Enden, vorn schwarzes gemustertes Seidenband mit kleiner Schleife,
lose gelegtes schlichtes leinenes Brusttuch. Tief ausgeschnittene Jacke = kamsol.
(Rechts nach E. Retzlaff, S. 35).
Lä^^C^en Latten (Abb. 36, 37), welche die Ohren bedeckten. Man zog ein Band durch diese
^WeM^en und knüpfte dasselbe unter dem Kinn fest. Um den unteren Haubenrand liefen
Eals ^^kreisförmige, handbreite, getüllte weiße Stücke = zanki, welche als Krause den
(Eb UtnSaben, vorn zusammengesteckt, und mit einer großen Schleife geschmückt wurden.“
hcra^an8 2ur Tollenhaube.) „Von der Mütze liefen zwei schmale Bänder über den Rücken
s°lch Trauer und am ersten Tage der hohen Feste wurde schwarzes Band oder ein
Tuc^CS Luch, an den übrigen Feiertagen und Sonntagen buntes Band oder ein farbiges
Urn die eigentliche Mütze gesteckt, deren hinterer runder Deckel aus weiß oder bunt
86
Oskar v. Zaborsky
gesticktem Tüll bestand, durch welche die rote oder schwarze Unterlage hindurchschitfl'
merte.“ (Die Tollenhaube konnte damals also noch wahlweise mit einem Band oder einet
Tuchbinde umwunden werden.) „Eine besondere weiße Haube, vorn mit blauer Randein'
fassung, war für Neujahr, Karfreitag und Himmelfahrt im Gebrauch. Die Mützen wurdet1
so aufgesetzt, daß ein um den vorderen Teil des Kopfes gebundenes Seidenband teilweise
sichtbar blieb (Abb. 32). Ältere Frauen tragen noch heute (1894) diese Kopfbedeckung fas1
allgemein. Ähnlich, nur ohne Ohrenklappen, und mit einer etwa 3 cm über den vordere^
Rand überstehenden feinen Spitze und hinten mit einer großen handbreiten Schleife vef'
sehen waren die Mützen in (folgt Aufzählung von Orten südlich von Cottbus, vgl. Vef'
teilungskarte Abb. 17), überhaupt in der Drebkauer Gegend und in den Spreewalddörfef*1
(. . . südwestlich von Burg). In Byhleguhre ragt diese Spitze oder dieses Band etwa 2 cfl1
breit nach hinten über die Rundung der Haube. Nur ältere Frauen bedienen sich in den
oben erwähnten Dörfern dieser Kopfbedeckung zum Abendmahlsgange, zum Begräbnis»
vereinzelt auch beim Besuch des Gottesdienstes.
Abb. 37. Frauen von Heinersbrück (nach Lichtbildern um 1900 im Museum Lübbenau)-
Die mittleren Gestalten in der tuchumwundenen oben breiteren Mütze mit Ohrenlappen,
die z. T. zu kleinen Rüschen ausgebildet sind. Das Band unterm Kinn meist noch ohne
Schleife. Die zweite Gestalt von rechts in der schoßlosen hochfestlichen Jacke (ähnlich
Abb. 9 b), daneben im Kamsol, zwei weitere in farbigem Kamsol. Die Schürzen zumeist
Blaudruck. Nach Lugowoi war das Mieder geknöpft und die Schürzen „in lauter Vierecke
gefaltet“. Das junge Mädchen (2. von links) in seltsamer Verquickung der Halskrause mit
einem haubenartig gebundenen Kopftuch, in der Polkajacke. Das Kind mit turbanartig
gebundenem Kopftuch und kurzem Jäckchen. Rechts Arbeitstracht mit schutenartigßt
Strohhaube (vgl. Abb. 16).
Wesentlich verschieden von dieser Kopfbedeckung sind die Mützen in . . . Orten def
Senftenberger Gegend. Die Hinterseite hat die Form eines Eies; nach dem Gesicht zu vef'
jüngt sich der Umfang der Mütze. Die breite Halskrause fehlt. Die Hinterseite der Haubc
ist mit schwarzem Sammet überzogen, der übrige Teil mit einem weißen Tuche umsteckt;
Eine schwarze Atlas- oder Sammetschleife mit langen Enden befindet sich im Nacken; zwc*
schwarze, wollene Bänder an den Seiten werden unter dem Kinn zusammengebunden. So
geht man in der Trauerzeit und zum Abendmahl. An die Stelle des schwarzen Überzugs
an der Hinterseite der Haube tritt bei Halbtrauer und im Brautstande ein dunkelblauef
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
87
^kb. 46), sonntags und bei festlichen Gelegenheiten ein verschieden gefärbter; dann
steckt
tnan auch ein buntes Tuch um die Mütze.
len
Eine einfache weiße Tüllhaube mit rundlicher Hinterseite und im Nacken mit einer schma-
‘cn> weißen Schleife geschmückt = Kuschaua, wie jene um Senftenberg genannt, ist ...
bei Spremberg die gewöhnliche Kopfbedeckung alter Frauen. Über die Haube wird oft-
maIs noch kunstlos ein Kopftuch gebunden, dessen seitliche Zipfel unter dem Kinn zusam-
^ngeknüpft werden.“ MuLLER> S’ 7* f>)
de a^tart^gen Hauben = meza von Groß-Lieskow (und Cottbus?) führen uns zu
räumlich benachbarten, noch urwüchsigeren Form, wie sie in dem zwischen
k a ^ern abgeschlossenen Heinersbrück getragen wurde. H. und R. Retzlaff
tr>n 1934 un(j je)^6 Lichtbilder alter Frauen, die damals noch diese Hauben
s FgCn 36). Sie entsprechen im wesentlichen Abb. 32a und b (auch die
de rna^e We^e Bandschleife im Nacken mit hängenden Enden fehlt nicht), aber an
2 n Wangenecken sind keine umlaufenden, sondern nur nach oben und außen
p Uckgebogene Läppchen angebracht. Gleichwohl erscheinen sie in gewissen
^trachten (Abb. 37, 2. und 3. Fig. v. rechts) gefältelt oder mit Spitzen umsäumt.
°beren Rand der Haube ist um 1900 die Waagerechte betont, vermutlich durch
88
Oskar v. Zaborsky
eine steife Einlage. Diese Tendenz in die Breite macht verständlich, daß uns vofl
1920 ein Lichtbild überliefert ist, das eine Brautjungfer aus Heinersbrück in de{
dreieckigen Mütze zeigt (Abb. 30 oben, Mitte). Daß schon um 1900 dort die Be-
harrlichkeit in der Haubentracht zu wanken begann, beweisen die beiden Mädchen
links mit hauben- bzw. turbanartig gebundenem Kopftuch, das größere Mädchen
überdies noch mit einem Tollenkragen. Immerhin ist es angesichts der vielen aüs
Heinersbrück überlieferten Lichtbilder verwunderlich, daß wir darunter keifle
Brauttracht ermitteln können. Sollten sich Kranz und Flitter auf ein ähnliches
kleines Sträußchen wie auf Abb. 32e beschränkt haben? E. MÜLLER erwähnt
(S. 75) allgemein „das kleine Kränzchen mit der Seide“ (grün und weiß lose herab'
Abb. 39 a. Haube aus Lehde (ehern. Mus. f. dt. Vkdc Berlin). Schwarzes derbes Tuch mit
schwarzer Bandeinfassung. Weiße feine Leinentolle, die von den Wangen aufwärts glatt
bleibt. Hinten beiderseits zwei tiefe Falten, geknifft, in denen der durchlochte Flaubenrafld
mit schmalen 75 cm langen Bändern zusammengezogen ist. Auf dem Scheitelteil der Haube
16 mit Fäden gezogene Querrippen, die nach vorn gegen die Stirnschncppe hin andeutend
fortgesetzt sind.
Abb. 39 b. Zwei entsprechende Hauben aus Lehde (Museum Lübbenau). Weiße Atlasseide,
ebenfalls mit 16 Querrippen. Die Randtollen nicht mehr vorhanden. Darunter das Sehern9
des Fadenzugs der Rippen.
Abb. 39 c. Haube aus Lehde (ehern. Mus. f. dt. Vkde Berlin). Silberbrokat mit kleinen bunte*1
und goldenen Blumen. Silberne Randborte und schmale silberne lang herabhängende Zug'
bänder. 4 cm breite Spitzeneinfassung.
Abb. 39d. Schnittmuster von b.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
89
Abb. 40. Spreewälder
Bauernpaar, 2. Viertel
des 19, Jahrhunderts
(nach Franz Krügers
Studie in der National-
galerie Berlin). DieHau-
be der Frau weist durch
die Ähnlichkeit mit
Abb. 39 in die Gegend
v°n Lehde. Sie besitzt
Bier allerdings nur einen
sehr schmalen schwar-
ten gezackten Vorstoß
an der Vorderkante, da-
gegen reichen schwar-
ten Bänderschmuck an
Kais und Nacken. Ein
farBig gemustertes Ti-
bettuch bedeckt Ober-
körper und Oberarme,
kbe Unterärmel sind
cng und mit schwarzem
Samt (?) eingefaßt. Die
Schürze bedeckt den
Bock fast ganz. Sie hat
Unterhalb des Knies
twei oder drei schmale
Stufen, der Rock eine
bogenförmig gezackte
Kante. Wir glauben hin-
ten ein zu einer Schleife
gebundenes Schürzen-
band mit etwa 40 cm
langen Enden zu er-
kennen. Die mäßig aus-
geschnittenen Schnal-
lenschuhe haben ganz
^iedrige Absätze, die
Strümpfe waren wohl
blau. In der Hand hält
Sle ein durch Abnäher
Und Fransen verziertes
Tuch. Der Mann im
Dreispitz mit kleinen
Ecken des Hemdkra-
gens über dem schwarz-
seidenen Halstuch, lan-
&er einreihiger Weste ^
tüit sehr vielen Metall- f t wrärmeln und
Behuhe mit ovaler silberner Schnalle.
90
Oskar v„ Zaborsky
hängend) als Abzeichen der Braut, „in Groß-Lieskow ein Band von grüner Seide
am Halse“ (die Kinnbänder, damals wohl noch ohne Schleife). Offenbar begnüg#
man sich in diesem engeren Gebiet mit so bescheidenem Brautschmuck.
Höchst eigenartig erscheint das im Museum Cottbus als Trauerhaube verzeichnete
Stück, das wir nach (oder in die nächste Nähe von) Heinersbrück verweisen dürfen
(Abb. 38). Eine glatte, wenig tiefe Leinenhaube, deren ganzer unterer Rand ge'
zogen ist, innen durch ein Zugbändel anzupassen. Von den Wangenecken nach
außen schlagen die von Abb. 3 6 bekannten glatten Leinenläppchen. Quer über den
Scheitel und seitlich bis zur Kinnlade ist sie durch einen Pappebügel versteift*
Abb. 41. Zwei Hauben = kschidlata meza aus Lehde (links) und Leipe (ehern, im Mus. f. dt.
Vkde Berlin). Die linke aus Mull, die rechte aus Tüll. Die Krause mit Spitzenrand ist an
der rechten heruntergebogen, um die weiße Tüllstickerei auf dem Haubenboden zu zeigen-
(Auch solche ganz aus Batist mit schmaleren Tollen waren in der Sammlung vorhanden.) —'
Beibehaltung der Rippenbildung auf dem Scheitel (vgl. Abb. 39), wenn auch hier in Längs-
richtung. Kennzeichnend sind die muschelartigen Gebilde am Übergang von der Hals-
zur Schciteltolle. )
Während sonst im Spreewald ein Trauertuch schleierartig die Haube bedeckte, so
ist es hier aus grobem Leinen fest um die Haube, über ihrem Boden in ziemlich
regelmäßige Falten gelegt und bildet hinten ein zopfartiges Schwänzchen, das durch
ein darumgeschlungenes und angestecktes Stück Leinen zusammengehalten wird-
Zusammenfassend stellen wir fest: Die Hauben von Groß-Lieskow und Heiners-
brück blieben mit der geringen Ausbildung der Wangenrüschen und der Kleinheit
des umgelegten Tuches, das nicht bis zur Scheitelschleife vergrößert ist, auf einet
älteren Stufe der märkischen Trachten stehen. Im Osten der Niederlausitz begegnen
wir dieser Form häufiger.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
91
Ältere Hauben als die in der Verteilungskarte Abb. 17 verzeichneten fand man in
Lehde (Abb. 39). Ihr kurvenreicher Zuschnitt läßt auf modische Vorbilder schließen.
SeLsam sind die in der festgelegten Zahl x 6 quer über den Scheitel gezogenen Rippen,
^ir fanden sie von schwarzem Tuch, weißer Atlasseide, violettem, bunt geblümtem
Seidenbrokat und Silberbrokat mit kleinen bunten und goldenen Blumen, die
letztere c mit silbernen Borten und schmalem, silbernem hängendem Zugband, das
p • Mädchen aus Wend.-Sorno bei
Cnftenberg. Es trägt die mit weißem ge-
mustertem Seidenband umschlungene Tol-
cnhaube. Die Kinnschleife ist farbig und
geblümt, das Stirnband schwarz. Schwarzes
Mie ’
Abb. 43. Haube — kschidlata meza aus
Schorbus (Museum Cottbus). Sie ist ganz aus
glasbatistartigem Tüll, mit blauer Pappe
unterlegt. Kinnschleife aus weiß-grünkarier-
tem Seidenband mit wenigen gelben Linien.
In der Sammlung befindet sich eine ähnliche
mit schmalen Spitzenrändern, am Boden
schön bestickt (vgl. Abb. 10).
p/e Cf’ clunbles gemustertes Schultertuch.
l ®c^Lelter quer gemusterter Rock.
streif ^Lütze einzelnen hellen Längs-
te j?‘ Geblümtes Schürzenband. Die
Line°^rrnel kurz’ gebauscht, mit schmaler Randborte. (Nach Köhler, Bd. II, S. 85.)
^and ^lauke der Sammlung auf Schloß Wiepersdorf zeigte unter dem seidenen Deck-
n°ch ein zweites weißes Band. Die Tracht war um 1920 schon ausgestorben.
92
Oskar v. Zaborsky
an der ersten (a), dünn und schwarz, 75 cm lang herunterhängt. Die ganze Ge-
staltung, nicht allein die betonte Stirnschneppe, kennzeichnet sie als Erbstück aus
dem 17. Jahrhundert13). Wir glauben, die strenge Form a mit der steif gelegten
Tolle (von den Wangen abwärts und zum Nacken, um Stirn und Schläfen glatt) ab
altertümlichste bezeichnen zu dürfen, verweisen aber zugleich auf die seltsamen
^ Längswülste neben den Querrippen an b. Di£
Haube c ist vom Rokoko gekennzeichnet. Den-
noch dürften alle diese Typen bis zur Mitte des
19. Jahrhunderts auf dem Lande getragen worden
sein. Sie wurden durch das bürgerliche Vorbild
Abb. 44. Braut aus Raddusch um
1900 (nach Lichtbild im Mu-
seum Lübbenau). Polka jacke und
schwarze Seidenschürze, über die
die langen weißen geblümten
Seidenbänder der Schleife herab-
hängen, die hier etwas unterhalb
Abb. 45. Links Braut aus Byleguhre, um 1900. Def
Kranz auf dem bloßen Scheitel, die Radkrause ist
nur noch ein auf den Schultern liegender Spitzen-
kragen. Im übrigen in herkömmlicher Brauttracht
(nach Lichtbild im Museum Lübbenau). Rechts Braut-
jungfer aus Tauer bei Peitz um 1905. Der Kranz is£
auf das Kopftuch = lapa übertragen. Auch hier in1
übrigen alte Formen (nach Lichtbild im Museum
Cottbus). — Verlust der überlieferten KopftracH
Qiupaz) der Braut und ihres Gefolges14).
des Kinns die Tollen verbindet.
Sehr breites Scheitel- und Schleifenband der Haube, vorn darunter Spitzenrand und weißeS
Stirnband. Am Oberrand Brautkranz aus Kunstblumen, Glasperlentropfen usw. Die Bände1
der breitenNackenschleifeund lange Enden des schmalen Zugbandes der Haube (vgl. Abb. 39)
fallen in den Rücken. Kennzeichnend der etwas plumpe, auf den Schultern liegende doppelt1'
getollte Tüllkragen. Schwarze Stoffschuhe mit Lederkappen mit sehr niedrigen Absätzen-
Von vorn sah die Braut von Raddusch im Umriß viel plumper, etwa stumpfkegelig ans>
13) Wir vermerken, daß nach Abr. Frenzel, a. a. O., Kap. V, um 1700 die Niedet'
lausitzer Sorbinnen Hauben mit gefältelten Halskrausen als besonderes Kennzeichen trugen-
14) Vgl. Retzlaff-FIelm, a. a. O., Abb. xoo.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
93
Abb. 35) zu größerer Luftigkeit (Abb. 41), zugleich auch zur Ausbildung ihrer
Schon vorher nach dem Kinn verlängerten Tollen zu breiten Tüllrüschen angeregt.
Den Beweis, daß die Hauben auf Abb. 39 von Bäuerinnen getragen wurden, er-
b*ingt die Handzeichnung von FRANZ KRÜGER (Abb. 40). Die Kopftracht der Frau
entspricht den beschriebenen Hauben, wenn auch die skizzenhafte Darstellung
n*cht alles deutlich macht. Eine (weit nach hinten gerückte) Stirnschneppe und ge-
steppte Quernähte sind
deutlich erkennbar. Eine
°der gar zwei Bandschlei-
en hinten und eine unterm
Kinn ergänzen diese Spät-
f°rm aus dem zweiten Vier-
te^ des 19. Jahrhunderts.
Die zeitlich folgende
Kaubenform aus Lehde
(rnit Parallelbeispiel aus
beTe), Abb. 41, zeigt die
igenart, daß das sonst als
esondere Zierde dienende
etumgeschlungene Band
auf eine Nackenschleife be-
tränkt ist, während die
teitgerippten Tollen quer
!^er den Scheitel gehen.
an könnte hier eine Kon-
Sianz des Geschmacks, der
auf dem Scheitel Rippen
Schön fand, auch wenn
s^e diesmal längsgerichtet
Slrid, annehmen. Die
Schmucken Tüllhäubchen sind mit etwas kompakten weißen Blumen bestickt, aut
tfe pappe genäht, die am Haubenboden in enge senkrechte Falten gelegt ist.
Die Tollen um den Hals sind durch ihren Spitzenrand auf etwa 12 cm verbreitert
Und reichen so bis auf die Brust.
kamen von zwei Seiten, von den Hauben aus Groß-Lieskow (Abb- 32)> wle
V°n den eben beschriebenen aus Lehde auf die Tollenhauben zu. Welche Kom-
ponenten die ausschlaggebenderen waren, läßt sich nicht ergründen. Oft iegen
Stimmte Züge der Trachtenentwicklung gewissermaßen in der Luft. Nicht alle
Vorhandenen Belege der Tollenhaube konnten wir abbilden; sie ähneln einander bis
^üf Einzelheiten (Abb. 34, 41 —44)- Die von Raddusch (Abb. 44) fallt durch das sehr
reite Scheitel- und Nackenband und durch die breiten, etwas schlapp über die
Nultem und Brust fallenden Tollen auf, was auch durch den Abstand zwischen
^stschleife und Kinn bedingt ist. An ihr haben sich die zusätzlichen (eigentlich
Ursptünglichen) dünnen Nackenbändel erhalten. Von den immer umfangreicher und
Abb. 46. Halbtrauerhaube aus Buchwalde bei Senftenberg.
Blau mit schwarzen Bändern und Einfassung. Unten An-
sicht von vorn (Museum Senftenberg).
94
Oskar v. Zaborsky
schwerer werdenden Bändern wurden die anfangs starren Tollen hinten herunter
gedrückt (Abb. 42, 43). Der Geschmack der Sorbinnen gab dieser Tendenz nach
und wir finden, wie in Rad'
dusch, so auch an ändert
Orten die Tollen zu einen1
breiten Halskragen herabge'
würdigt (Abb. 44). Die eigen'
artigen Kopftrachten de*
Braut und ihres Gefolgt
wurden (außer in Burg) auf
gegeben und der Kranz ent'
weder auf das bloße Haar ge'
legt oder an das Kopftuch
= lapa gesteckt (Abb. 45)'
In den von der Industrie
lisierung nicht unmittelbat
betroffenen Dörfern bei Senf
tenberg trugen alte Frauen
noch um 1940 Hauben ahn'
lieh der Halbtrauerhaube aus
Buchwalde (Abb. 46), abet
ohne Bandschmuck, und hiö'
ten auch nicht gezogen
(Abb. 12). In Buchwalde
selbst war man zumeist schon
zum Kopftuch mit Kinnbin'
düng übergegangen. Skado»
zum Kirchspiel Geierswalde
(jenseits der brandenburgt'
sehen Grenze) gehörig, schloß
sich der Tracht von Hoyef5'
werda an (Abb. 47), doch W^t
schon in den zwanziger Jab'
ren die Tracht dort im Ab'
sterben. Ältere Belegstück
(vgl. Abb. 17) schließen sieb
eng an die Spreewälder Tob
lenhauben an, in Sedlitz tfb*
rot und grün gemusterten1
Tüchlein mit Scheitelknoten'
Der Brautkranz war in Rosen'
dorf und Brieske an den hinteren Rand des herumgeschlungenen Bandes gesteck
Die Gegend um Finsterwalde ist für uns leider ein Gebiet ohne Sach- und Bi^'
belege. Über sie hinweg aber spannt sich eine Verbindungslinie zu gleichen Hauben'
Abb. 47. Mädchen aus Skado bei Senftenberg. Die Ober-
lausitzer Tracht reicht hier unverändert über die Grenze.
Die Haube = hawba, kapa aus glattem schwarzem
Stoff, am Boden mit senkrechter Bortenverzierung (vgl.
Abb. 12). Darüber, über den Hinterrand der Haube
herausragend, schwarzes Seidenband mit Schleife. Das
Mieder ist hinten tief ausgeschnitten, seine Achselbänder
sind mit farbigem Band benäht, das Schultertuch ist weiß
mit bunten Blumen. Der Rock ist einfarbig, die Schürze
von Blaudruckstoff mit geblümten Streifen. Die Ärmel
des Kittelchens leicht gebauscht mit herabhängendem
Spitzenrand (nach Köhler, Bd. II, S. 83).
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
95
formen, die wir südwestlich von Luckau fanden15). Dort hatten sie sich in ihrer
SPätform den schwarzen Hauben des Ländchens Bärwalde farbig angeglichen.
^egen Mitte des 19. Jahrhunderts waren sie noch ohne Tollen.
Über die Frauenkleidung im Kreis Luckau um 1835 finden wir: „Die Frauen trugen auf
dern Kopfe eine Haube mit Pappbügel, am unteren Rande war sie mit bunten Schleifen
^ersehen (Kinnschleife). Hinten befand sich eine weiße Doppelschleife, die bis auf den
ücken reichte. Das Leibchen bestand aus schwarzem Samt, war mit bunten Schnüren
Jr2iert und wurde kurzärmelig getragen. Der Rock war aus roter, grüner oder schwarzer
°lle. An den Beinen trugen sie lange weiße Strümpfe und Schnallenschuhe. Die Alltags-
Kjeidung war wesentlich einfacher. Im Winter trugen die Frauen leinene und wollene
hoher oder Hauben. Zum Schutze gegen die Kälte hatten sie dicke Sackjacken an. ei
ünene Taschentücher
Sah man bei den Frau-
ihrem sonntäg-
igen Kirchgang. Die- , L
trugen sie auf dem
se
esangbuch liegend
«entlieh zur Schau,
l ne Sitte, die noch
PnCüte bei älteren Frau-
yorhanden ist.“
t (Yeimatkal- d- Krs.
«ckau, Finsterwalde
1837, S.
i°5f.)
Abb. 48. Polnische Kopftrachten mit Scheitelknoten, a von
Sandomir, gez. von J. Lewicki um 1860, b Miechow bei Sandomir,
cu. d aus der Gegend von Krakau, b—d nach Aufnahmen von
J.Krieger vom Ende des 19. Jahrhunderts (frhl. Lipperheidcsche
Kostüm-bibl. Berlin, Mappe 760).
büaeh den vorhandenen Abbildungen16) ist es unzweifelhaft, daß das Kopftuch
ut ^cheitelschleife im 17. Jahrhundert in den Niederlanden getragen wurde und seit
18 io in Berlin als volkstümliches Kleidungsstück nachweisbar ist. Trotzdem
rd immer wieder behauptet, daß das kunst-
itn ^ ^e^tete Kopftuch = lapa der Sorbinnen
Spreewald auf Beeinflussung durch die
°pftracht polnischer Wanderarbeiterinnen in
er Seiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu-
kzuführen sei. Um auch dieser Auffassung
Riecht zu werden, sahen wir die reiche Samm-
^ng polnischer Trachtenbilder in der frhl.
^Pperheideschen Kostümbibliothek, Berlin,
stUJch (Abb. 48). Die früheste bildliche Dar-
n LUn^ ^er gesuchten Kopftracht ließ sich
einer Zeichnung von J. LEWICKI von
j a i86o als kleiner Scheitelknoten mit etwa
Sa ^ ^an§en Zipfeln in der Gegend von
°mir feststellen (a). Unter mehreren an-
^ren Tragarten des Kopftuches sowie Hauben und Mützen fanden sich ferner
qC1 Aufnahmen von J. KRIEGER vom Ende des 19. Jahrhunderts (b—d) aus der
bend von Sandomir und Krakau mit einfacher Scheitelknotung des Kopftuches
iö\ v. Zaborskv, a. a. O., Abb. 44.
vgl-v. Zaborsky, a. a. 0.,Abb. 21—23, vgl. auch Reinhard PEESCH,a.a. 0.,S. 215.
Abb. 49. Beispiele der Bindung des
Spreewälder Kopftuches = lapa aus
einem Zirztuch. a Drachhausen um
1880, b Dissen um 1870, c Dissen
um 1878, d Kolkwitz 1884 (nach
Lichtbildern in Familienbesitz).
96
Oskar v. Zaborsky
im Gegensatz zum einfachen oder zweifachen Verschlingen im Spreewald. Dei
Vergleich mit Abb. 49 beweist, daß die Sorbinnen des Spreewaldes in zeitliche#1
Vorsprung bezüglich der formalen Verfestigung ihrer Kopftücher waren. Wo ga^
es im Spreewald Großgrundbesitz, der arme Wanderarbeiterinnen heranzog, die
den putzsüchtigen Sorbinnen „modisches“ Vorbild sein konnten?
Abb. 50. Frau aus Heinersbrück, um 1935, ihr selbstgewebtes Leinen auf dem Markte feil'
bietend (es wurde nicht nach Metern, sondern nach schlinka gemessen). Schwarze Sa#11'
polkajacke = polka mit schwarzer Gimpenverzierung, hellblaue, in sich gemusterte Schürf
das Kopftuch = lapa an der vorderen „Spitze“ stark bestickt (Kennzeichen des Dorfes'
Rechts Kopftuch ähnlicher Bindung um 1895 aus Kolkwitz (vorn nicht so dicht bestick^'
im Museum Cottbus. Knüpfung und „Ecken“ (Seitenflügel) noch nicht so starr gesteu '
Weißes, in sich geblümtes Tuch, lila, violett und grün bestickt. Stilvolles, ornamental gL
bundenes Blumenmuster, links naturähnliche willkürlich verteilte wulstige Formen.
Daß das Kopftuch aus der Arbeitstracht in die Festtracht aufstieg, wurde sch011
mehrfach erkannt. Im Gegensatz zu den in der Mark weit verbreitet gewesen^11
kleinen Tüchern, die bindenartig um eine Haube gelegt wurden, nahm die SpfeC
wälderin ein viel größeres Tuch, zumeist von heller, leuchtender Farbe, faltete e
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
97
^Ur *n der Diagonale zusammen, legte die Mitte derselben an die Stirn, zog die
piel unter dem Nacken durch und verwand sie auf dem Scheitel. Sie standen oder
n£en> mit oder ohne Fransen, an den Seiten weg. KRETSCHMER zeigt es um 1870
^°ch locker und kunstlos gebunden, doch haben wir schon aus den siebziger Jahren
e e§e aus Dissen (Abb. 49 b und c), an denen eine festgelegte, erstarrte Form un-
erkennbar ist; b läßt ein Hochbinden der hinteren Zipfel vermuten (vgl. Abb. 37,
z- Fig. v. links). Die damalige Bindeart weist noch nicht auf den in neuerer Zeit
^blichen Umriß hin. Auch in den achtziger Jahren war die spätere ausgesprochen
sPJtZe Form von Kolkwitz und die abgerundete von Drachhausen nicht voraus-
^usehen. Damals bahnt sich aber schon die doppelte Bindung auf dem Scheitel an
und d), durch die erst der Reichtum der Gestaltungen möglich wurde. Die
^eiche Form hielt sich noch bis über die Jahrhundertwende zur Arbeit und zur
austracht17). Noch 1940 konnte man das nicht gesteifte Tuch auf den Köpfen alter
tauen sehen. Um die durch die zunehmende Größe des Tuchs immer gewaltiger
Erdenden Flügel in der gewünschten Lage zu erhalten, bekamen sie Einlagen aus
apier oder Gaze. Hauptsache war, daß sie sich „anguckten“ (symmetrisch waren).
le beiden nach hinten übereinanderfallenden rechteckigen Zipfel hielt man eben-
ails durch Einlagen ausgebreitet und gab ihnen eine Wölbung nach innen, die so-
8euannte Wiege oder Krippe. Die von den Tuchrändern wehenden Fransen ersetzte
durch Spitzen. Diese Erstarrung vollzog sich in den achtziger Jahren (Abb. 50).
zugleich zeichneten sich Verteilungsgebiete ab, in denen die „Ecken“ waagerecht
^stehen, nach unten weisen, oder wo der „Knoten“ durch Einlagen betont ist18).
le Verteilungskarten Abb. 51 und 52 lassen die Verschiedenartigkeit, zugleich
auch die Gruppenbildung verwandter Formen und ihre Entwicklung im Laufe von
et’wa 40 —50 Jahren erkennen. Zu bemerken ist, daß besonders im Bereich der
”spitzen“ Tücher (nördlich von Cottbus) die „Ecken“ weit nach hinten gebogen
sjnd, wodurch eine außerordentlich reizvolle plastische Wirkung im Wechsel der
°rder- und Seitenansicht entsteht (Abb. 11 und 50). Schon 1894 verrät E. MÜLLER,
aß dort die „Ecken“ gesondert gefaltet und an das Kopftuch angesteckt wurden.
les ist angesichts der zunehmenden Größe der Tücher überall der Brauch ge-
°*den (Abb. 53). War um 1900 immer noch die bindenartige Faltung der Dia-
£°nale, die in den Seitenzipfeln auslief, deutlich erkennbar und auch noch um 1940
j111 Ostteil unseres Gebiets zu ahnen, so entwickelten sich die „Ecken“ im west-
Jc ien Teil zu erstaunlich großen Flächen, die in Burg mit annähernd abgerundeter
Verkante, in Raddusch lang rechteckig, in Byhleguhre mit waagerechter, rechts
^nd links rechtwinklig abgesetzter Kante, in Vetschau gar konkav, und östlich von
^Urg mit kantig aufgebautem „Knoten“ immer neue Wandlungen zeigen. Un-
-ührt von diesem Formenspiel blieb nur die Gegend von Lehde und Leipe
p 54). einziges Zugeständnis an die schmuckfreudigere Zeit benähen die
rauen und Mädchen ihre Tücher dort reichlich mit Spitzen.
is\ Metzner, T. 5 u. 45.
' F. Müller beschreibt S. 75 f. die einzelnen Sonderformen, doch stimmen seine Aus-
tUngen nicht immer mit unserem Befund nach zeitgenössischen Lichtbildern überein.
Volkskunde
Formen des
Spreewälder Kopftuchs
zwischen 1920 und 19^-0
...... Kreisgrenzen
#WM größere Waldgebiete
: V.VV'.\vi
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Gr.-Liesko’w;/;-.-..'^ **:
Cottbus
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■,4-\.-^ÜP-.....................................................................................4
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
99
^ ' 51- Formen des Spreewälder Kopftuches = lapa zwischen 1890 und 1905. Gegenüber
^er früheren sozusagen weichen Verschlingung (Abb. 49) Fat sich fast überall eine Ver-
seifung durchgesetzt, zugleich eine Aufspaltung in landschaftlich, ja sogar örtlich bestimmte
bonderformen. Im Südosten bis an den Spreebogen herrschen die ziemlich einheitlich vorn
Jitz gebundenen Tücher. Von den Wäldern nördlich von Peitz nach Westen, bis hinter
Urg ist der obere Umriß abgerundet und die Flügel oft recht ausladend. (Die nach Metz-
Ner,T. 5 und 16, gezeichneten „weichen“ Formen in Burgkauper und Werben entsprechen
jucht der hochfestlichen Tracht, die steifer und breitflügeliger war.) In Babow, Papitz und
Firnberg zog man die Flügel waagerecht auseinander. In Lübbenau wurde der „Knoten
Wulstig unterlegt, während die Flügel klein blieben. Lehde und Leipe blieben bei ihrer ein-
fachen Bindung.
Fragt man nach der Entstehung dieser merkwürdigen Erstarrung und „harten“
g Zedierung weicher Tücher, so möchten wir daran erinnern, daß schon vorher in
Urg die Verheirateten die Zipfel der Decktücher über der dreieckigen Mütze
^ndenartig legten und mit Papier versteiften. Hier besteht gewiß ein Zusammen-
hang- ~ Wir möchten zum Formenwandel auch auf die Walddörfer im Nordosten
nweisen. Um 1890 umrahmten dort die Tücher rundlich das Gesicht und hatten
Wulstige, durch Einlagen ausgefüllte Knoten. Jetzt stehen die „Ecken“ waagerecht
^ach rechts und links ab, während der Knoten dazwischen nur ein Verbindungsglied
betstellt.
Auffallend ist, daß südlich der Bahnlinie Calau—Cottbus—Forst mit der Tracht
^Uch die Kopftücher gänzlich verschwunden sind. Etwa bis zum Jahre 1910 wurde
.le hier für Branitz, nächst Cottbus nachgewiesene Form weiter südöstlich noch
n Haasow, Kahren und Frauendorf, eine ähnliche in Komptendorf und den be-
nachbarten Dörfern Neuhausen und Gablenz getragen.
^ Seit dem Volkstümlich werden des Fahrrades ist dem ständigen Größerwerden
es Kopftuches ein Ende bereitet, ja manche Sorbinnen tragen es nur noch zur
Festtracht.
und im Herbst der Wasserspiegel zu steigen beginnt, heben sich die Nebel empor,
sch 'f -e ^adchen ziehen ihre warmen Jacken, des aufgeweichten Bodens wegen ihre hoch-
tüc^ tl8eu Stiefel an, die von Mannesstiefeln sich nicht unterscheiden, und legen ihr Kinn-
ke , Dieses Kinntuch ist ein schalartig zusammengelegtes Tuch, das Kinn und Mund
es 1 •?V;t uncl am Hinterkopfe über das gewöhnliche Kopftuch = lapa gebunden wird;
Sci .. <act so einen Respirator, der die Lunge vor den giftigen Nebeln und rauhen Winden
zt Ur,d erinnert an mittelalterliche Kostümfiguren . . .“ (Wir kennen solche Kinn-
gCr Cr auch aus der Holsteinischen Probstei und dem Böhmerwald.) „Wird die Kälte stren-
So legen Mädchen und Frauen über ihr gewohntes Kopf- und Kinntuch ein dickes,
j,/?68 Tuch in streng vorgeschriebenen Falten um den Kopf, und zwar so, daß zwei
ürr) c au^ ^em Hinterkopfe festgebunden werden und das Gesicht mit einer Art Schutzdach
SC^C en wfid, so daß Augen und Nase aus der Tiefe hervorscheinen und von Regen und
Hie Pr- niGht 8etf°ffen werden. Die beiden anderen Zipfel fallen frei dem Rücken zu . . .
bis an<H steckt die Wcndin in große Fausthandschuhe. Die Mädchen, die vom Frühjahr
uncj Urn Herbst barfuß gehen, die in ihren kurzen Röcken einen schönen, freien Gang
nCn ^brliche Bewegungen behalten, . . . sind in ihrem Winteranzug nicht wiederzuerken-
s° ' , le Stiefel und die schwere Kleidung machen sie unbeholfen. Ist aber Eis vorhanden,
fährjj i^en s^e es mit jedem Schlittschuhläufer auf ... Ist das Eis dünn und die Fahrt ge-
ivlij. •? ’ ‘ * • so nehmen sie den mit einem scharfen Haken versehenen ,Stecher1 zur Hand.
7* tt* stoßen sie sich während der Fahrt vorwärts und schonen dadurch ihre Kräfte;
Abb. 52. Formen des Spreewälder Kopftuches = lapa zwischen 1920 und 1940. Der Gebietsverlust beschränkt sich im wesentlichen auf den
Südosten undhiordwesten.iyteFormen sind überall größer und durch straffe Steifung so „abstrakt“ geworden, daß man kaum noch an den
ewurmT\xc\\ , .A'ie.t \i vc\vVvwk 9Ac\\ ■?, vtrv^or Aot\ und^otdiosten, v.. T . ^,twt\d\ß-9>ct\äi ^e-vw^TvAeVt..
Oskar v. Zaborsky
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
101
102
Oskar v. Zaborsky
brechen sie aber ein oder geraten unvermutet in eine offene Stelle, so schlagen sie mk
kräftigem Hieb den am langen Schaft befindlichen Eishaken in das Eis und ziehen sich selbst
aus der gefährlichen Situation heraus, um nachher desto schneller ihrem Ziele zuzueilen-
Die gewandte Handhabung des Eishakens, welcher für den Nichtkenner eher etwas Hin-
derndes als Förderndes ist, bewirkt
es, daß im Spreewald verhältnißmäßig
wenig Unglücksfälle durch Eisbruch
geschehen.“ (A. Burger, a.a. O-,
Bd. IV, Bl. 230. Vgl. Abb. 55).
w«i/l stfcwaig VraunkAraim -rot gilt
Abb. 54. Zwei Mädchen in der Tracht von Lehde
und Leipe um 1940. Das Kopftuch — lapa ist ein-
teilig, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mit
breiten Spitzenrändern. Früher waren diese schma-
ler und in der nach hinten hängenden Ecke ein
Winkel aus Borte oder Stickerei angebracht (vgl. das Schema oben). Das Tuch wird ent-
lang der punktierten Linie nach innen umgelegt. Dieser Teil bleibt ohne Spitzenrand-
Metzner (T. io u. ii) zeigt an Stelle des breiten Spreewälder Blumenbandes am Rock
nur zwei etwa 6 cm breite hellere Querstreifen. Auf einem Lichtbild im Museum Cottbus
von etwa 1905 trägt ein Mädchen aus dieser Gegend eine dunkle schmale Borte hand-
breit über dem herunterhängenden Rand des Kopftuchs angenäht, ein schlichtes schwat'
zes Band um den Hals und leicht gepuffte Hemdärmel mit kleinem Spitzenrand nach unten-
Abb. 5 5. Wintertracht, nach Bürger
(a. a. O., Bd. IV, Bl. 230), mit wolle-
nem Überkopftuch und leinenem
Kinntuch = schont.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
103
. ^lr fanden auch ein Beispiel hübsch gestickter Fausthandschuhe — rukajzy
' bb. 56). In neuerer Zeit sieht man im Winter Frauen mit einem turbanartig eng
ürngebundenen Tuch auch nach Cottbus zum Markte gehen (Abb. 57).
An dem weißen Überkopftuch = ßmagajne ist zu beobachten, daß es sowohl zur
rbeit (Abb. 15) wie als Kirchentracht (Abb. 58 links) und in neuerer Zeit auch zur
rauer getragen wird. In letzterer Verwendung löste es die großen weißen Trauer-
'hcher ab, die in der Spreewaldtracht ein besonders altertümliches Gepräge hatten
A 1 »
• 56. Fausthandschuhe = rukajzy aus weißem Lammfell, ohne Bezug, bunt gestickt,
mit Besatz aus weißem Kaninchenfell (ehern. Mus. f. dt. Vkde Berlin).
(Abb. 58 und 59). E. MÜLLER bemerkt S. 83, daß dieser „Schleier = schlewef,
T.afi *n eln2elnen Gegenden aus einem steifen, dütenartig geformten weißen
*fuche
Süd
> das über die Haube gesetzt wurde“, bestand. Diese Gegenden dürften im
solch
en unseres Gebietes zu suchen sein, denn noch in jüngster Zeit trug man ein
"^unes in Schleife19). Ein anderes Tuch, in Name und Form dem podgubnik in
^chleifeao) entsprechend, ist der podgubk. Er stellt eine entwickeltere Form der
tauerumhüllung dar, denn das Tuch war oben bis auf einen Schlitz zugenäht.
^ürch ihn steckte man den Kopf. An der Mütze, „die in Groß-Lieskow aus Pappe
“)
20)
Agl. Neumann-Nedo, a. a. O., Abb. 21 u. 43, sowie Retzlaff-Helm, S. 85.
Agl. Neumann-Nedo, a. a. O., Abb. 17, 19, 20, sowie Retzlaff-Helm, S. 106.
104
Oskar v. Zaborsky
rundlich geformt und nur mit grobem Leinen überzogen war (vgl. Abb. 3 8), heftete
man den podgubk hinten an, der vorn den Mund fast verhüllte und den Körper bis
zu den Knien bedeckte. Das zweiteilige Spreewälder Trauertuch = plachta ist bei
HAUPT und Schmaler girlandenartig gerafft und vorn geschlossen abgebildet
(Abb. 58). Der obere Teil liegt lose auf der dreieckigen Mütze mit breiter Krause.
Es fällt auf, daß um 1840 die Trauernde keine Jacke anhat. Vor der Jahrhundert-
wende war das zweiteilige Trauertuch auf die Gegend von Burg beschränkt. Der
untere Teil war um den Leib befestigt und
ließ vorn die schwarzseidene Schürze sehen
(Abb. 5 9, Mitte rechts). Der obere, im Kreuz
angeheftet, bedeckte lose den größeren Teil
der weißen dreieckigen Mütze und ihrer
Tolle sowie die Arme. Man erkennt die
weiße Kinnschleife, das schwarze Brusttuch
und das Kamsol. Stirnbinde und Strümpfe
waren schwarz. Die Trauernde aus Papitz
(oben links) ist ähnlich gekleidet, trägt
aber weiße Strümpfe und Brusttuch und
eine schwarze Kinnschleife. Das Trauertuch
ist aus einem Stück und ebenfalls hinten
befestigt. Enger um die kleine runde Mütze
liegt das Tuch in Jänschwalde (oben rechts).
Die Frau trägt schwarze Strümpfe und eine
schmale schwarze Kinnschleife, dazu ein
weißes Brusttuch. Die schwarze Jacke ist
kragenlos und mäßig ausgeschnitten. Um
1900 war diese Trauerkleidung, die früher
von allen Teilnehmerinnen am Leichenbe-
gängnis getragen wurde, auf die nächsten
Leidtragenden beschränkt und im Westen
und Süden unseres Gebiets schon nicht
mehr üblich.
Abb. 57. Ältere Frau aus Kolkwitz, 1940,
mit schwarzem wollenem Winter kopf-
tuch, das turbanartig fest um den Kopf
gebunden ist. Die Bluse aus gemustertem
Stoff sieht man mit oder ohne nach außen
getragenen handbreiten Schößen und
auch ohne die Stoffteilung und Fältelung
über der Brust, wie hier in Flanell, so
auch in Waschstoff, als Zeichen des Ab-
bröckelns der Tracht. In Burg wird das
Wintertuch über der Stirn viel schmaler
gefaltet, fast zu einem Strang gewickelt.
„Nicht selten sind die hierbei gebräuchlichen
Begräbnistücher von besonderer Feinheit und
Eleganz. In Müschen wurde mir ein solches
vorgelegt, das 2 m in der Breite und in def
Länge maß und aus prachtvollem, blendend
weißem Linnen hergestellt war. Figuren, welche teils Christus, teils die Mutter Maria,
ferner Kirchen und Engel darstellten, auch Sprüche in 2 cm großen Buchstaben waren
kunstvoll in das Tuch eingewirkt.
Sonst geht man jetzt (1894) in den meisten Orten zur Trauerzeit in schwarzem Rock,
schwarzer Jacke, weißen oder schwarzen Strümpfen, weißem Hals- und Kopftuche odef
der Mütze. Das weiße Kopftuch der Leidtragenden hat stets einen glatten Saum, ihm fehl*
jede Spitze und sonstige Verzierung. In den Händen tragen die Trauernden gewöhnlich eiü
zusammengelegtes weißes Tuch. In der späteren Trauerzeit wird das Weiß in der Kopfo
Hals- und Fußbekleidung durch Schwarz ersetzt. Schließlich wechselt der schwarze Rock
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
105
dem grünen bis nach Jahresfrist oder früher die allgemein übliche Tracht wieder zur
^ung kommt.’
°as Trauerkostüm wird auch sonst zu gewissen kirchlichen Festlichkeiten angelegt. Man
trägt es in der Advents- und Passionszeit, zu Neujahr, am Karfreitag und Himmelfahrts-
ta8 und meist am ersten Feiertag der hohen Feste.“ (E. Müller, S. 83f.).
Öie glattgescheitelte Haartracht der Sorbinnen mit straff nach hinten gekämmtem
Scitenhaar ist in neuerer Zeit einer Anpassung an die Mode mit seitlichem Scheitel
Und gewelltem Haar, da und dort sogar dem „Bubikopf“ gewichen. Noch 1881 be-
1840
1940
Ali
jr ' 58. Trauer- und Kirchentücher. Rechts Trauertücher — plachta in Burg um 1840 (nach
^ PT und Schmaler). Das untere bedeckt, beiderseits girlandenartig gerafft den Rock,
die u ^ere erhält von der dreieckigen Mütze mit Radkragen den Umriß. Nicht erklärt ist
knaufartige Form auf dem Kopf der mittleren Figur. An der rechten sieht man in der
iv C ^CS ^uc^s gerade noch das Gesicht, darunter ein Stück der Tolle des Kragens mit der
bl '1Cn> v*°^ett gemusterten Kinnschleife (an einer anderen Figur derselben Quelle weiß mit
darunter das Mieder mit dem hellen Querriegel (vgl. Abb. 20, 22). Merkwürdiger-
!se geht die Frau nicht in der Jacke = jopa oder kamsol, sondern im Mieder mit Hemd-
j • e*n und bloßen Unterarmen. Linke Figur, Kirchentracht in Burg um 1905 (nach einem
s •, tbUd im Museum Cottbus). Die ältere Frau geht schwarz in der Polkajacke mit schwarz-
Cnejn Brusttuch und klein gemusterter Schürze. Unter dem weißen Überkopftuch
k a8ajne sieht man hinten die Spitzen der lapa. Links a—d, wie noch 1940 das Über-
nP, in Burg geknüpft wurde. Man knickte die breiten Seitenflügel der lapa teilweise
dic . nten> legte die vordere und hintere Ecke des Überkopftuchs nach innen um und band
tyaaScit^chen Ecken zu steif -wegstehenden Zipfeln unterm Kinn. Die hintere Ecke fiel vom
'j’üc^ercchten Scheitelkniff über die Rückseite der lapa. — Ein entsprechend geknüpftes
^urde im ganzen Spreewald im Sommer über der lapa zur Arbeit getragen, doch war
der Knoten dann fast immer auf den Hinterkopf verschoben (Abb. 15).
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
107
pjj ‘59- Totenbraut aus Zahsow um 1895 (Metzner,T. 46) und Tieftrauer im Spreewald.
101:6 in Festtracht mitHupatz über der dreieckigen Mütze. Die Bänder sind schwarz,
^annertracht mit Trauerflor am breitrandigen Hut nach zeitgenössischen Lichtbildern, die
F "frauertuch — plachta, das im Kreuz angeheftet ist. Rechts, aus Burg (nach
^' üller, S. 83). Es besteht dort aus zwei Stücken (vgl. Abb. 58 rechts). Die Bedeckung
p r. das untere Tuch ist zu dieser Zeit nicht mehr vollständig. Links oben Frau aus
apitz (Metzner, T. 47). Beide tragen unter dem Trauertuch die dreieckige Mütze mit
j ^nktagen. Die Frau aus Jänschwalde, rechts oben (nach einem Lichtbild im Museum
benau), bedeckt mit dem Trauertuch eine runde Mütze ähnlich der von Heinersbrück
(Abb. 38). Die Farben sind bei allen Frauen schwarz und weiß.
A 1 1
' 6°. Staffagefiguren des Aquarells „Ansicht vor dem Luckauischen Thore zu Cottbus“,
d -l^10 (Museum Cottbus). Die Frau rechts in einer Haube ähnlich Abb. 32a mit breiter
ubergebundener Tuchbinde und roter Kinnschleife. Ihre Schuhe sind noch ganz nach der
okotracht mit hohen Hacken. Die Bürgerin links in hellblauer Jacke und weißrot
M ^ei”er Schürze trägt eine Haube, wie wir sie auch in der südwestlichen und westlichen
§ fr ’ ^nden (v. Zaborsky, a. a. O., Abb. 49). Sie trägt die damals modischen absatzlosen
bis • C> kurz darauf auch bei den Sorbinnen des Sprcewaldes in Aufnahme kamen und
Ob ln unser Jahrhundert beibehalten wurden. — Auch bei den Männern sehen wir den
Qi ^Sang vom barocken Zuschnitt der Stiefel (rechts) zum englischen breiten mit Stulpen
ge^ sh h)er Bursch links trägt, ebenfalls nach der neuen englischen Mode, einen Frack (der
ni }?UC ^chnitt ist, ebenso wie der Rock des Knaben, wegen der Kleinheit der Vorlage
de TjCr^ennhar). Auch an den Hüten sehen wir den Übergang von der breitrandigen Form
Fel arock zum niedrigen und schließlich hohen Zylinder, daneben auch die sorbische
. ^dtze = bobrawa, ohne Sack, mit glattem Deckel von Samt. Die Männer tragen zu-
lst hellblaue lange Röcke rfiit senkrechten nach vorn gerückten geknöpften Schoß-
taschen und Ärmelpatten. Die Hosen sind hell.
merkt Burger21), daß die Braut in Burg zum ersten- und letztenmal etwas von
lhrem Haar zeigt, den vordersten Teil ihres Scheitels, soweit er nicht vom Hupatz
°edeckt ist (Abb. 22—24). Auf allen anderen älteren Belegen finden wir bestätigt,
die
Sti
. l) A. Burger, , , ,
Sorbin. je weiter sich ihr Wohnsitz den deutschen Nachbarn nähert, desto mehr vom
a. a. O., Bd. IV, Bl. 229. Er beobachtet (a. a. O., Bd. II, Bl. 93), daß
, -**> weiter
rühaar sehen läßt.
108
Oskar v. Zaborsky
daß das Haar sorgfältig verhüllt ist, und E. MÜLLER verrät, daß es von manche1
Sorbin der Einfachheit halber bis auf Handbreite abgeschnitten wurde (S. 77). Um
dem Kopftuch oder der Mütze eine passende Unterlage zu geben, wurde es io
Zöpfe geflochten oder einfach zusammengedreht kranzförmig um den Scheitel
Abb. 61. Schnittmuster und Ansicht eines weißleinenen mit rotem Barchent gefütterten
Rockes = ßuknja aus Groß-Lieskow (Nachbildung im Museum Cottbus). Die dick gezeich'
neten Linien sind rot gepaspelt. Die ebenso gefütterten Ärmel sind unten bis zum Punkt #
offen. Das Futter des Originals soll von rotem Fries gewesen sein. Die Knöpfe aus Tombak»
offenbar alte Militärknöpfe.
gelegt und mit einem Leinen- oder Samtband umwunden22). Das aus Werg nai*
Fäden oder Holz mit Lederspeichen gefertigte Rädchen, kolassko, das demselben
Zwecke diente, haben wir schon erwähnt.
22) Vgl. Lichtbild im Museum Cottbus.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
109
Von der stets wenig gewürdigten Männertracht der Spreewälder Sorben, die sich
Schon früh den deutschen Nachbarn anglich, konnten wir unter den Staffagefiguren
einer Ansicht von Cottbus um 1810 (Abb. 60) einiges wenige bemerken: die über-
legend hellblaue Farbe der Oberkleidung, Röcke mit senkrechten geschweiften
^aschenklappen an den Seiten und glatten an den Ärmeln, und je drei Falten unter
^en Rückenknöpfen, entgegen der damaligen Mode der überhohen Kragen noch
ohne solche. Doch bemerken wir (links) einen Frack. Die Hutform wechselt zwischen
der breitrandigen aus dem 17. Jahrhundert, Zylindern verschiedener Höhe und Breite
Zu schließen. (Die Strichlagen deuten an, wie die Streifen des Stoffes verlaufen.)
der alt hergebrachten runden Pelzmütze = hohrawa. Die Hosen scheinen aus
^ ern Leder oder ungebleichtem (?) Leinen gewesen zu sein, modisch eng und in
Ärbeitstracht (links) sehr kurz, die Strümpfe weiß und die verschiedenfarbigen
stücher teils knapp, teils wulstig gebunden. In den Stiefeln zeigt sich der Über-
^ang von der einen zierlichen Fuß betonenden Barock- zur plumperen englischen
mit Stulpen.
ach der zugehörigen Frauentracht dürfen wir den Bauern auf der Zeichnung
Franz Krüger (Abb. 40) in die Gegend östlich von Lübbenau verweisen. Die
^ lohnende konservative Bevölkerung hielt noch im zweiten Viertel des 19. Jahr-
nderts am „Dreimaster“ des vergangenen Jahrhunderts fest. Der Rock hat je-
schon den aufrechtstehenden Kragen des Empire. Seine Farbe dürfte dunkel-
^ gewesen sein. Die Weste zeigt eine eng stehende Reihe Knöpfe. Enge Knie-
n und Strümpfe, schwarze Halbschuhe mit ovalen Schnallen, an denen der Maler
110
Oskar v. Zaborsky
Abb. 63. „Faltenrock“ aus hellblauem Barchent
(Museum Cottbus). Nachbildung eines solchen
aus Fries, aus dem Spreewald. Schnittmuster
und Ansicht. Der Knopf aus schwarzer Glas-
masse. Seine Verzierung flach, leicht erhaben-
Der Zuschnitt des Rocks, bis auf das Rücken-
blatt, recht altertümlich, aber von der Bieder-
meiermode beeinflußt. Bei mittlerer Körper-
größe enden die Schöße knapp über dem Knie-
Die unter der Achsel merkwürdig geschnit-
tenen Ärmel werfen dort zwar Falten, ermög'
liehen aber die unbehinderte Bewegung def
Arme. Die kurzen Schlitze vorn an den
Ärmeln, bis zum Punkt x sind besonders
auffallend. (Die Bezeichnungen der Nähte
deuten auf den Punkt, wo diese an das vor-
liegende Stück auftreffen.)
Die Tracht des Spreewaldes
ausdrücklich „silber“ vermerkt,
Und ein locker geknüpftes J
Schwarzseidenes Halstuch un- *»'
ter kleinen Hemdkragenspitzen
ergänzen diese schmucke, land- 0.
Schaftlich aber wenig kenn-
zeichnende Tracht. Von ihr er-
gibt sich der Anschluß an Beleg- ®*
stücke aus dem Museum Cott-
bus. Abb. 61 zeigt uns einen q
lener weißen Leinenröcke = ^
ßuknja mit farbigem Friesfutter
und entsprechenden Paspeln, o.
mit aufrechtstehendem Kragen
Und kleinen dreieckigen Re-
vers. E. MÜLLER spricht von £-
^eiß gefütterten Röcken und
v°n der örtlichen Verschieden- q
Farbigkeit der Paspeln: südlich w
des Spreebogens grün, nörd-
üch und östlich rot, andernorts o.
*eiß. Außer Metallknöpfen
trug man auch hölzerne, mit
Leinen bezogen. Von der jün-
gcren Generation, die unter
deutschen zur Arbeit ging,
Wurden die Alten in diesen 64
64. lange weiße grobleinene
ose aus dem Sprcewald (Museum
^ttbus). Unten Schnittmuster,
°ben Vorder- und Rückansicht
es Oberteils. Der gesondert ge-
schnittene Bund e ist entlang der
a am hinteren Teil festge-
^aht. Die gestrichelte Linie c deu-
et an, wo auf der rechten Seite
^nter der Klappe / der Taschen-
sC, btz ist. Eigenartig ist die La-
,c mit ihrem längeren Gegen-
ück d, das durch ihre Öffnung
lct nur durchgesteckt ist (Rück-
sicht!). Vermutlich befand sich
<>d* ^n<^e von d ein größerer Knopf
fS Knebel. Die vorderen Knöpfe
S ^en Hosenträger sitzen in nur
’5 cm Abstand voneinander.
112
Oskar v. Zaborsky
„Sterbehemden“ so lange verspottet, bis sie die weißen Röcke blau färben ließen.
Die dazugehörige Weste = kamsol (Abb. 62) verrät nur die Eigenart der Empire
mode. Von dem gewiß eigenartigen Brustlatz — laz, den nicht selten goldene Litzen
zierten (E. MÜLLER, S. 67), fand sich leider kein Belegstück.
Abb. 65. Männerhemd = sglo aus Ströbitz (Museum Cottbus). Gutes Leinen, Bandvef
Schluß am Kragen. Am Ärmelbündchen geknöpft. Schmuck durch Zierstiche am untere11
Rand der inneren Kragenhälfte, an der Achselverstärkung und am Ärmelbündchen. An de
Kante desselben schmaler gehäkelter Rand (vgl. Abb. 30 links unten). An dem Schn#
muster fällt der außerordentlich weite Ärmel mit angeschnittenem Achselzwickel auf.
meist gerade geschnittenen Teile werden durch Fältelung dem Körper angepaßt.
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
113
Ungewöhnlich erscheint uns der „Faltenrock“ aus hellblauem Fries (Abb. 63)
mit seinen vorn geschlitzten Ärmeln. Die M-förmigen Revers verraten seine Ab-
■>angigkeit von der Biedermeiermode. Diese bot auch Vorbilder für leicht bauschig
angesetzte Rockschöße. Zur Arbeit wurde ein kaum knielanger Rock aus un-
gebleichtem Leinen = pikescha angezogen. Die lange weiße Leinenhose — howsy,
,Sr:: (Abb. 64) im Museum Cottbus ist in ihrem Verschluß (die Klappe hinten gürtel-
artlg verbunden) bemerkenswert. Wir dürfen annehmen, daß sich hier der Zuschnitt
der aken Kniehose = sez, die schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts abgelegt
Vurde, teilweise erhalten hat. Es fand sich auch ein Hemd = sglo (Abb. 65) ziemlich
geradlinig zugeschnitten und durch reiche Fältelung angepaßt und gebauscht.
Merkwürdig ist E. MÜLLERS Mitteilung, daß es auch solche mit rückseitiger öff-
nung gab. Der Vielgenannte muß uns zur Kennzeichnung fast aller übrigen Teile
kb. 66. Männermützen aus dem Spreewald, a Sackmütze = kulowata (Museum Vetschau),
j^oosgrüner Samt mit hellgrauem Lammfell besetzt, das vorne 8, hinten 10 cm breit ist.
le schwarze Schnurtroddel nach dem dunkel blaugrünen Stück im Märkischen Museum
crlin ergänzt (vgl. auch Lichtbild im Mus. f. dt. Vkde Berlin). Kretschmer bildet sie
g*11 *870 mit aufrecht stehendem Stoffteil ab (vgl. auch Abb. 67). b Halbkugelige Mütze aus
urg mit (rechts) kleinerem vorderen und größerem hinteren Rand und ornamental ge-
falteter Oberseite. Schwarzes Tuch mit Lammfellverbrämung, mit violettem Zeug gefüttert
’fad wattiert (ehern, im Mus. f. dt. Vkde Berlin), c Mütze aus Drachhausen um 1895 (nach
Etzner, T. 14) aus Krimmer oder ähnlichem Stoff mit seitlich aneinander geknöpftem
Vorder- und Hinterrand.
der Männerkleidung aushelfen (S. 66 f.). Den breitrandigen groben Filzhut = klobuk,
klobyk, dessen Krempe man im Sommer bei Sonnenhitze herunterbog, konnten wir
auf Abb. 59 und 60 erkennen. Einzelne Belegstücke der Sackmütze — kulowata,
Pudelawa u. a. fanden sich in Museen (Abb. 66 a). Diese Mützenform ist ost-
europäisch, vermutlich spezifisch slawisch. Sie diente den anfangs freikorpsartigen,
als° nicht straff uniformierten Husaren, Kosaken usw. als Kopfbedeckung und ging
dann bei einigen Armeen, wie der deutschen und russischen, vor 1918 in die Uni-
form über.
Wir sehen die halbkugeligen bzw. kegelförmigen Mützen mit aufgeklappten
^ändern (Abb. 66 b und c) nicht für kennzeichnend sorbisch an. Sie sind verwandt
rüit der bayerischen Schlegelmütze des 18. und 19. Jahrhunderts.
Volkskunde
114
Oskar v. Zaborsky
„An Sonn- und Festtagen band man ein seidenes Band von roter, blauer oder grüner
Farbe, auch eine gleich gefärbte Schnur um den Hut oder man trug eine verbrämte Tuch-
mütze = miza mit blauen, grünen oder roten Deckeln aus Tuch oder Seide. In Saspow
Abb. 67. Wintertracht eines Fischers aus Burg
(nach E. Müller, S. 64), mit langem stoff-
überzogenem Schafpelz = wowczi, kozuschk
mit dunklem Lammkragen, geknöpft und mit
einem angenähten Gürtel = paß geschlos-
sen, Schaftstiefeln — schkörne, Fausthand-
schuhen = rukajzy und der althergebrach-
ten Sackmütze (vgl. Abb. 66a). Auffallend
ist der breite rechteckige Ausschnitt des
Pelzmantels, in den ein Halstuch — wenkalt,
schant gehört.
hatten die Männer vor etwa 60 Jahren (um
1835) solche Mützen mit grünen Deckeln,
die jungen Burschen mit roten; bei den
Knaben waren die Deckel aus Tuchstücken
von verschiedener Farbe zusammengesetzt.“
(E. Müller, S. 66f.)
Das Halstuch — halstuch, schant war
vorzugsweise dunkel (schwarz). E. MÜL-
LER nennt es steif. Vielleicht war es von
der preußischen Uniform beeinflußt. Zur
Sonntagstracht diente eine schwarze
Schleife um ein sehr einfaches Vorhemd
mit Stehkragen, das hinten zusammen-
gesteckt wurde. Auf den Festtrachten
(Abb. 30 und 31) sehen wir verschiedene
Abwandlungen bürgerlicher Kragen und
Schlipse. Der Bräutigam aus Werben
trägt 1901 ein schwarzes Chemisett mit
weißem Vorstoß.
Die langen Strümpfe — schtrumpy, ur-
sprünglich aus Naturwolle, wurden zu-
meist von Hirten, „besonders von den
Schäfern gestrickt, welche eine große
Geschicklichkeit im Buntstricken be-
saßen. Die Strümpfe, welche man bei
festlichen Gelegenheiten anzog (vgl.
Abb. 13), waren von farbiger Wolle und
oft schön gewirkt, im Sommer von
weißer Baumwolle. Wurden Strümpfe
fehlerhaft, so stopfte man sie nicht, son-
dern flickte sie mit einem Leinwand-
oder Frieslappen“.
Von den kalbledernen oder von Juch-
ten hergestellten Halbschuhen — czreje,
stupne fand sich nur der frühe Beleg
(Abb. 40). Sie waren mit Hufeisen und
breiten Nägeln beschlagen. Die langen
Schaftstiefel = schkörne findet man aut
dem Bilde des Fischers in Wintertracht
(Abb. 67, vgl. auch 69) angedeutet. Ef
trägt die Sackmütze, den mit Stoff be-
zogenen Pelzmantel von Schaffell =
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
115
Wo^czi kozuschk mit Stoffgürtel = paß und Fausthandschuhe = rukajzy. In den
h°hen Stiefeln wickelte man Lappen oder Stroh um die Füße. Im Sommer ging man
harfuß zur Arbeit, bei Regen mit Holzschuhen — drewjawzi.
Das früher von den Sorben allgemein halblang getragene Haar sah man noch
*u Anfang unseres Jahrhunderts an alten Männern, die es am Hinterkopf oft mit
einem Rundkamm zusammenhielten. LUGOWOI vermerkt, daß die Sorben die ver-
miedenen Bartmoden der vergangenen hundert
Jahre nicht mitmachten, sondern stets glatt rasiert
gingen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
harnen für Jungen und Burschen kurze Jacken
^ pikescha, jaka oft mit kleinen Schößen, auf,
hie manchmal frackartig geschnitten waren. Man
trug dazu gern die nationale Sack- oder die flotte
Schirmmütze = czapka, meza.
Die Kirchentracht scheint sich schon früh fast
ganz der deutschen angeglichen zu haben. Ein
ianger dunkelblauer Schoßrock aus feinem Tuch,
völlig bürgerlich geschnitten, im Museum Cott-
ons, bekräftigt dies. Er ist zweireihig, mit je drei
hbersponnenen Knöpfen vorn und je zwei an den
geraden Schoßtaschen hinten. Man trug dazu gern
eine Mütze von militärähnlichem Schnitt mit
Lederschirm und gab diese Vorliebe auch nicht
auA als mit den „Sakko“-Röcken weiche und Zy-
hnderhüte auf kamen (Abb. 30 und 31).
Auch der Bräutigam und die männlichen
Ilochzeitschargen bedienten sich zum schwarzen
Anzug oder Gehrock dieser Mütze, ebenso die
Laten. Der Bräutigam trug am Hinterkopf ein
keines Kränzchen (Abb. 30), von dem die uns
ScL°n bekannte lose weiße und grüne Seide, oder
grüne Seidenbänder herabhingen. In Fehrow hatte
^as Kränzchen die Form einer 8, in Schmellwitz
“Kielte es einer Krone. Später wurde das Kränz-
ten allgemein am linken Unterarm getragen. Die
rautführer waren mit oft recht hohen Sträußen an Mütze oder Hut, von denen
Länder herabhingen, geschmückt und schlangen eine reich bestickte Schärpe
hvelka, antwel von der rechten Schulter zur linken Hüfte, wo sie zur Schleife
gebunden oder um den Leib gewickelt war und dann noch mit beiden Enden
iS nahe an die Erde herabhing. Außer dem bändergeschmückten Sträußchen an
er bnken Seite hing dort oder in der Mitte noch ein „ Zippel tu ch“, an einer Ecke
angeheftet, von seiner Brust. Außerdem trug er noch einen Säbel oder Degen.
Abb. 68. Das eine der beiden
gleichartig verzierten Enden einer
leinenen Brautführerschärpe =
twelka aus Dissen, hergestellt um
1925, Breite 43 cm. Mit bunten
Schnurbommeln, Bändern, Gold-
fransen und Leinenborte benäht.
Die Blume ist bunt gestickt. An-
dere Schärpen nur mit Bändern,
auch goldenen, z. T. im Zickzack
benäht (vgl. Abb. 30). Im Museum
Cottbus eine Schärpe aus Sielow,
sehr schön in strenger Kreuzstik-
kerei rot und moosgrün bestickt.
Oskar v. Zaborsky
116
Die Schärpe = twelka schenkte die Braut, die Zippeltücher (manchmal zwei!) die Braut-
jungfern. Der zweite und dritte Brautführer hatten keine Schärpe. Der erste Brautführer
kaufte die Braut von der Ältesten der Mädchenschaft los und brachte sie mit dem Tränen-
tuch = mlchoc verhüllt in die Kirche. Im Jahre 1940 waren Schärpe und besonders die
Zippeltücher schon seltener geworden. (Mitteilung von Frau Jahn, Dissen.)
Der Hochzeitsbitter = pobratsch ist entsprechend ausstaffiert. In Babow, wo et
auf geschmücktem Pferde reitet, fehlten ihm die Sporen nicht, und als Gegenstück
dazu fand sich ein Bild von 1869 (Museum Cottbus), auf dem er, vor dem Hochzeits-
paar im Kahn stehend, den zweispitzigen Galahut eines kaiserlichen Marineoffiziers,
überdies noch mit weißem Federbusch, trägt.
Abb. 69. Leichenzug auf Schlittschuhen im Winter 1922 von Leipe nach Lübbenau (nach
einem Lichtbild im Mus. f. dt. Vkde Berlin).
Die Hochzeitsmusikanten erschienen mit dem Strauß an der Mütze und dem
Zippeltuch an der Brust in kurzen dunklen, hell gepaspelten oder auch farbigen,
sogar karierten Jacken. Sie hielten am längsten an der kurzhosigen Tracht fest.
Ähnlich den Brautführern sind auch die Paten geschmückt, jedoch nicht mit def
Schärpe (Abb. 31).
Aus dem Kreis Luckau um 1835 noch folgende Ergänzung: „Die Männer trugen
lange, graue Strümpfe, Schnürschuhe, grau oder blau gefärbte Leinwandhosen mit
drei Hornknöpfen an der Außenseite“ (Kniehosen) „und einen langen Gehrock
aus blauem Tuch. Die Weste war aus weißem Stoff oder schwarzer Seide, hatte zwe1
Reihen blanke Knöpfe und war bis an den Hals geschlossen. Den Hals zierte ein
seidenes Halstuch. Auf dem Kopf trugen sie eine dunkle Stoffmütze mit großem
Lederschild. Das Haar wurde lang bis auf den Nacken getragen und war von einem
Kamm zusammengehalten, der hinter der Mütze sichtbar war . . . Die Alltags'
kleidung war wesentlich einfacher. Man trug Hosen oder Kittel aus selbstgewebtei
Leinwand in grauer oder blauer Farbe. Im Winter waren die Männer mit eine*
Die Tracht des Spreewaldes und der angrenzenden Gebiete
117
tauen Wolljacke und einem Schafpelz, vielfach ohne Stoffüberzug bekleidet. An
en Füßen trug man blaue, gewalkte Strümpfe, die zum Schutz gegen Abnutzung
^lt: grober Leinewand außen benäht waren. Holzpantoffel oder Holzschuhe mit
wecken beschlagen waren die billigste Fußbekleidung.“
»In ihrem Äußeren, d. h. in ihrer Ausstattung unterschieden sich die einzelnen
lrten . . . voneinander. Der Pferdehirt hatte eine metallene Klimperbüchse, die
er als Signalinstrument kräftig schüttelte, eine sogenannte Stürze (einen Eisenstab)
*-ir*d einen Hund. Zum unerläßlichen Werkzeug des Viehhirten gehörten ein Signal-
orn aus Holz, teils auch aus einem Rinderhorn, eine große Peitsche und ein Hund.
es Schafhirten Signalinstrument war die poetischere Flöte aus Holz, die er sich
meFr oder minder kunstvoll selbst gefertigt hatte, das fast niemals ruhende Strick-
Werkzeug und ein Hund. Der Schweinehirt besaß ein besonders geformtes, großes
°rn und eine kräftige Peitsche. Einen Hund hatte er in der Regel nicht. Der
Kälber- und Gänsehirt besaßen nur kleine Peitschen, oftmals auch nur Holzstäbe
Und Bastpfeifen. Hunde durften sie nicht mitnehmen. Alle Hirten trugen an der
eite ihre meist selbst gefertigte und vielfach recht hübsch mit Ziernägeln usw.
geschmückte Ledertasche für den Mundvorrat und die wenigen anderen Not-
wendigkeiten.“ (Heimatkal. f. d. Krs. Luckau, Finsterwalde 1937.)
Wir beobachten an den Trachten des Spreewaldes nach langem und in seinen
n°rdöstlichen Randgebieten bis in die jüngste Zeit bewahrtem Beharrungsvermögen
Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine zunehmende Neigung zur An-
näherung an modische Formen (Jacken, Auszier). Die slawische Vorliebe für Prunk
^acht sich beim weiblichen Geschlecht auffallend geltend. Die oft recht taktlose
eWunderung durch die zahllosen Fremden, die allsommerlich zu den Hauptpunk-
ten des Spreewaldes strömten, konnte nicht ohne Einfluß auf den Charakter und
^as äußere Gehaben der Bevölkerung bleiben. Das bis zum ersten Weltkrieg sehr
Verbreitete Ammentum, das so viele Mädchen und junge Frauen vorübergehend in
reiche Familien der Großstädte verpflanzte, wo sie in ihrer schönen Tracht auffielen
^n<J auch auffallen sollten, mag viel zu den Übersteigerungen (Vergrößerung der
°pftücher, entsprechend den Riesenhüten der Damenmode um 1910—1913) und
er Aufnahme modischer Stoffe, Muster und Farben in die Tracht beigetragen
aüen. Die nationale Unterdrückung zwischen 1933 und 1943 hat das zähe Sorben-
tUm °hne lang nachwirkende Beeinträchtigung seiner Tracht überstanden.
Schmerzlich ist es dem Verfasser bewußt, daß diese Studie trotz aller Sorgfalt
°ch nur ein Abriß bleiben mußte, der sich allzuoft auf Vorarbeiten anderer stützt,
allem aber auf dem musealen Stand vor 1945 beruht, dessen Verluste er
sner nicht nachzuprüfen vermochte.
Schrifttum
z. T. nach N. Lugowoi.
jF •|ü. Queerfeld, Reyse durch einige düdsche staten. 1418.
*8 t 1 5‘ Proposition des Bartholomaei-Landtages der Lausitzer Stände. Bautzen 1654.
• Jh. Abr. Frenzel, Historia populi et rituum Lusatiae superioris. Deutsches Manuskript
17i2, lateinisches 1728.
118
Oskar v. Zaborsky
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Martin Nowak-Neumann und Paul Nedo, Die Tracht der Sorben um Schleife-
(= Sorbische Volkstrachten 1), Bautzen 1954 (Abb.).
Paul Nedo, Sorbische Volkstrachten (= Schriftenreihe über die Sorben, H. 5). Bautzen
1954 (Abb.).
Oskar v. Zaborsky, Die Trachten der ehern. Mark Brandenburg. Jahrbuch Deutsche
Volkskunde, Bd. 2, Berlin 1956 (Abb.).
Wolfgang Jacobeit — Berlin
Jochgeschirr- und Spanntiergrenze
Das in Fachkreisen sehr unterschiedlich aufgenommene Buch von EMIL WERTH
»Grabstock, Hacke und Pflug“1) behandelt in einem besonderen Abschnitt „Die
Transporttiere und die Erfindung der Fahrgeräte“2). Als Ausgangspunkt für unsere
Untersuchung wollen wir das, was WERTH hier über die Joche und deren Ver-
breitung sagt, analysieren und kritisch beleuchten.
Ein Charakteristikum der zahlreichen WERTHschen Arbeiten sind die groß-
raumigen Verbreitungskarten über die verschiedensten Wirtschaftsformen, be-
stimmte kulturhistorische und ethnographische Erscheinungen usw. Eine solche
Uarte „Zur Verbreitung von Rind und Pferd als Zugtier“ ist der zentrale Ansatz-
punkt, um den auch das oben genannte Kapitel geschrieben wurde3).
Die Grundüberlegungen für diese Verbreitungskarte sind folgende: Das Rind
Sei seit alters ein paarweise angeschirrtes Zugtier, im Gegensatz zum Pferd, das vor-
liegend im Einzelanspann Verwendung finde. Als älteste Beweise nennt er die
Doppeljoche von Vinelz und Petersfehn, die seiner Meinung nach neolithisch
sind4). „Die typische Gespanneinrichtung für das Rind“ sei also „das sprichwört-
lc'h gewordene Doppeljoch“5), an dessen Verbreitung über die ganze Erde bzw.
den Pflugbaukulturkreis6) die „Interessensphäre“ zwischen Rind und Pferd als
abgegrenzt werden soll7). — Abgesehen davon, daß WERTH die für eine
ungskarte globalen Ausmaßes notwendige systematische Sammlung und
Erfassung möglichst aller Jochvorkommen außer acht gelassen hat und sich „in
sehr vielen Einzelangaben“ auf Lesers Pflugbuch8) beschränkte, hat er vor allem
Zugtier
Verbreit
r E Mit dem Untertitel: „Versuch einer Entstehungsgeschichte des Landbaues“. Ludwigs-
büJf >954-
, ) Vgl. vom gleichen Verfasser „Zur Verbreitung und Geschichte der Transporttiere“.
3 Abschrift der Gesellschaft für Erdkunde. 1940, S. i8iff.
) S- 273, Karte XIX.
> ) Zu anderen Datierungsversuchen vgl. Wolfgang Jacobeit: Zur Altersfrage des
ochs in Mitteleuropa. In: Forschungen und Fortschritte 26(1950), S. iyiff. (Im folgenden
lt*ert als: Jacobeit, Altersfrage.)
P ) Emil Werth : Grabstock, Hacke und Pflug, S. 272. (Im folgenden zitiert als: Werth,
v,rabstock.)
) Das Format der Karte ist 11,5 X 8,7 cm (1).
) Werth, Grabstock, S. 272.
Paul Leser: Entstehung und Verbreitung des Pfluges. Münster 1931. (—Anthropos-
Bibl:
lothek, Bd. III.) (Im folgenden zitiert als: Leser, Pflug.)
120
Wolfgang Jacobeit
versäumt, sich zumindest mit der Typologie der Joche zu beschäftigen. Er hätte
dann nämlich sehr bald feststellen müssen, daß es nicht nur verschiedene Doppel-
jochformen — auch für Pferde!9) — gibt, sondern vor allem auch Einzel joche für
Zugrinder, die nicht — wie er meint — vom Pferdekummet abgeleitet wurden,
sondern echte Joche sind, also auf seiner Verbreitungskarte hätten erscheinen
müssen. Allein unter diesen Voraussetzungen gesehen, verliert diese beträchtlich
an Wert und vermag ihre Aufgabe, die „Interessensphäre“ zwischen Rind und
Pferd als Zugtier abzugrenzen, nicht zu erfüllen.
Wir vertreten die Ansicht, daß man zunächst versuchen muß, eine Typologie und
Entwicklungsgeschichte der einzelnen Jochformen zu geben. Erst dann wird man
daran gehen dürfen, auf kleinerem geographischen Raum die Verbreitung der ein-
zelnen Formen darzustellen. Wenn für einzelne Gebiete auf dieser Basis erarbeitete
Karten vorliegen, ist es berechtigt, im globalen Rahmen vielleicht einmal die Spann-
tiergrenze zu fixieren.
In diesem Sinne sei als eine dieser Vorarbeiten eine solche Untersuchung am
mitteleuropäischen Beispiel durchgeführt:
Da bereits umfangreiche Untersuchungsergebnisse zur Typologie und Ent-
wicklungsgeschichte des Jochs vorliegen10), können wir uns auf die charakteristi-
schen Unterscheidungsmerkmale zwischen den einzelnen Jochgruppen beschränken.
I.
Wer sich mit der Geschichte des Jochs beschäftigen will, wird zunächst von der
Fülle der Begriffe für die einzelnen Formen verwirrt. Da gibt es Halsjoche und
Prügeljoche, Nacken- und Horn joche, Widerrist- und Genickjoche, um nur einige
der möglichen Termini anzuführen. Um in die Vielzahl dieser oft auch nach Dia-
lekten geprägten Begriffe eine gewisse Ordnung zu bringen, haben wir versucht,
die einzelnen Jochformen nach den Körperteilen des Zugrindes zu benennen, an
denen die eigentliche Zugkraft ansetzt oder abgenommen wird. Mit diesem Schema
ließ sich die ganze Nomenklatur im wesentlichen auf zwei Begriffe reduzieren:
auf die Widerrist joche und auf die Kopfzuggeschirre mit dem Genickjoch als typisch-
stem Vertreter.
Diese Klassifizierung besagt also, daß die Zugkraft bei Widerristjochen am
Widerrist ansetzt bzw. bei den Kopfzuggeschirren vom Kopf abgenommen wird.
Diesen Unterschied lassen die Abb. i und 2 deutlich erkennen.
Gibt es nun aber auch Unterscheidungsmerkmale in der äußeren Gestaltung des
jeweiligen Jochtyps?
9) Vgl. Wolfgang Jacobeit: Zur Geschichte der Pferdeanspannung. In: Zeitschrift
fürAgrargeschichte undAgrarsoziologie 2 (1954),S. iyff. (Im folgenden zitiert als: Jacobeit,
Pferdeanspannung).
10) Werner Morgeli: Die Terminologie des Jochs und seiner Teile. In: Romanica
Helvetica, Vol. 13, Winterthur 1940 (Teildruck). (Im folgenden zitiert als: Mörgeli, Ter-
minologie); Wolfgang Jacobeit: Das Joch, Entwicklung, Alter und Verbreitung, dar-
gestellt vornehmlich für den mitteleuropäischen Raum. Phil. Diss. Göttingen 1948 (M»'
schinenschrift). (Im folgenden zitiert als: Jacobeit, Joch).
Jochgeschirr- und Spanntiergrenze
121
Betrachten wir zuerst das Widerristjoch, das in einer typischen Variante unser
Bild i zeigt. Es entspricht einer Form, die noch im 19. Jahrhundert am „Mecklen-
burger Haken“ verwendet wurde und von den Zeitgenossen folgendermaßen be-
trieben wird: Sie „hat die Gestalt eines länglichen Vierecks, und besteht aus zwei
la
^ ngen, oben und unten mit Riegeln zusammengefügten Hölzern“11). „Der ,/oc/i-
hnd
n'lrn • - . ein rundes einstämmiges Stück Holz liegt dem Ochsen auf dem Hals,
a muß daher deren ganze Kraft, indem sie schieben, aushalten; man nimmt des
^ gern Eichhester, jedoch wohl auch anderes zähes, aber leichteres Holz dazu,
rmt die Ochsen auf dem Schuft12), wo derselbe liegt, weniger beschwert werden.
r ^ Johann Georg Krünitz : Oeconomische Encyclopädie oder allgemeines System der
ajsn Haus- und Staats-Wirtschaft. Berlin 1784. Bd. XXX, S. 545 f. (Im folgenden zitiert
i2/^RÖNiTZ, Encyclopädie).
1 Gemeint ist der Widerrist.
122 Wolfgang Jacobeit
Durch den Jochbaum gehen ebenso wie durch das Kehlholz vier Löcher für die
Jochscheiden13) und Jochsticken14) . . .
Das Kehlholz ... ist der Länge nach allemal dem Jochbaume gleich“, jedoch
nicht mehr so stark, „weil es blos dazu dient, die Ochsen zusammen zu spannen*
und weil keine Last darauf liegt, braucht es nicht stärker zu seyn; es hängt lediglich
durch die Jochscheiden mit dem Jochbaume zusammen.
Die Jochscheiden . . . haben unten einen Knopf. . . worauf das Kehlholz häng1*
und oben sind . . . einige Löcher durchgebohrt, um mittelst eines hölzernen Stickens
das Kehlholz höher oder niedriger zu halten.
Die Jochsticken oder Pinnen brauchen nicht stark zu seyn, weil sie nur verwehren,
daß die Ochsen den Kopf nicht zur Seite aus dem Joche ziehen; sie können ganz
rund . . . oder auch halb so breit wie die Jochscheiden seyn; oberwärts . . . werden
sie etwas stärker gelassen, damit sie nicht durchfallen, doch müssen sie willig aus-
und eingehen, um das An- und Ausspannen der Ochsen nicht aufzuhalten“l5)-
Neben diesem „Gitterjoch“ finden wir noch eine Reihe weiterer Varianten des
Widerristjochs, die sich aber nur graduell voneinander unterscheiden16). Im Prinzip
tragen alle die gleichen Merkmale.
Bei der Gruppe der Kopfzuggeschirre sind die Variationsmöglichkeiten größer1
Wir haben zu unterscheiden zwischen Genick-, Stirn- und Hörner jochen. Alle11
dreien aber gemeinsam ist, daß die Zugkraft an der Stirn bzw. der Hörnerbasis
ansetzt.
„Das Genickdoppel joch liegt hinter den Hörnern auf den Genicken zweier zü
einem Paar zusammengekoppelter . . . Ochsen“17). Der Jochbaum ist mehr brett'
artig gestaltet und hat halbkreisförmige Einschnitte, die sich dem Genick der Tiefe
anpassen. Im Gegensatz zum senkrecht durchbohrten Widerristjoch ist das Genick'
joch waagerecht durchbohrt und trägt meist aus dem Jochbaum herausgearbeitete
Zapfen und Erhöhungen, die der Befestigung der Stirn oder Hörnerbasis umschlifl'
genden Befestigungsriemen dienen. Die typische Anspannung wird aus Abb. z et'
sichtlich: Aus den beiden kreisrunden, horizontal gebohrten Löchern und den drei'
eckigen Ausschnitten beiderseits des Deichselloches laufen die Befestigungsrieme11
kreuzweise über die durch sogenannte Stirnlappen oder Stirnpolster geschützte
Stirn des Tieres und werden um die Zapfen auf den Jochenden geschlungen. Be-
merkenswert sind die Stirnlappen als ein weiteres charakteristisches Merkmal füf
Genickjoche. Sie verfolgen den Zweck, die empfindlichen Stellen des Kopfes, die
allein den Druck der Zugkraft auszuhalten haben, vor Verletzungen zu bewahren-
Der wesentliche Unterschied zum Widerristjoch besteht also darin, daß der Joch'
bäum nicht senkrecht, sondern waagerecht durchbohrt ist, daß Jochscheiden odet
13) Die senkrechten inneren, meist stärkeren Hölzer.
14) Die senkrechten äußeren, dünneren Hölzer.
15) F. G.von Boddien: Der Mecklenburgische Haken, ein vorzüglicheres Ackerwefk'
zeug als der gewöhnliche Pflug. Oldenburg 1840, S. 9h (Im folgenden zitiert als: v. BoddiE14'
Mecklenburgischer Haken.)
ls) Auch die Widerristdoppeljoche für Pferde bilden keine Ausnahme.
17) Friedrich Anton Zürn : Geschirrkunde als Beschirrungslehre. Leipzig 1897, S. i70'
Jochgeschirr- und Spanntiergrenze
123
ähnliche Vorrichtungen fehlen und daß die Zugkraft nicht direkt durch den Joch-
haum über die Deichsel auf das zu ziehende Gerät übertragen wird, sondern diese
Punktion in erster Line den Befestigungsriemen, die sich um die Stirn oder Hörner-
hasis schlingen, vor-
hehalten bleibt. Das Ge-
^ckjoch selbst hat eher
hie Aufgabe, die Deichsel
2u tragen.
Eine Weiterentwick-
Wg dieses Typs dürfte
das Stirnjoch sein. Wir
hatten bereits festgestellt,
daß die Zugkraft beim
Genickjoch durch die Be-
festigungsriemen allein Abb. 3
v°n der Stirn bzw. Hör-
Uerbasis abgenommen wird und daß das Joch selbst nur noch eine untergeordnete
Bedeutung hat. Was lag also näher, als den Jochbaum weiter nach vorn direkt
auf die Stirn der Zugrinder, die man ohnehin gegen Druckverletzungen schützte
Und polsterte, zu verlagern? Außerdem war auch die Anspannung weniger
Abb. 4
°Uipliziert, da das Stirn joch einfach mit Strickschlaufen um die Hörner der Rinder
e§t werden konnte (Abb. 3). Als Stirndoppeljoch war es jedoch für die Tiere
t °^hst unbequem, da die Last der Deichsel und damit die des Wagens ihre Köpfe
herunterdrückte. Als Doppeljoch dürfte es heute im mitteleuropäischen Raum
tnehr in Benutzung sein. Dagegen wird dasStirneinzeljoch, das ja nur durch
^stränge mit dem Gefährt verbunden ist, noch gern verwendet (Abb. 4).
124
Wolfgang Jacobeit
Wird die Zugkraft unmittelbar von der Hörnerbasis abgenommen, haben wir die
Berechtigung, von Hörner jochen zu sprechen. Leider sind wir nicht mehr in der
Lage, von dieser dritten Variante der Kopfzuggeschirre rezentes Bildmaterial vor-
zulegen. J. C. LOUDON soll das Hörnerjoch noch einmal 1827 in seiner Encyklo'
pädie der Landwirtschaft aus Polen erwähnen, wo man mit Kühen gepflügt haben
soll, an deren Hörnern einfach eine zugespitzte Stange befestigt wurde18). Ganz
sicher aber gehört das Hörner joch mit zu den ältesten Jochgeschirren, denn bis zur
Zeit des Neuen Reiches zeigen die Denkmäler ägyptischer Kunst ausnahmslos
Rinder, die unter Hörner joche gespannt sind.
Soweit die Beschreibung der beiden großen Sachgruppen mit ihren einzelnen
Varianten, deren charakteristische Merkmale wir noch einmal gegenüberstellen
wollen, um die elementaren Unterschiede auch wirklich deutlich werden zu lassen:
Widerristjoche
1. Senkrechte Durchbohrung des Joch-
baums zur Fixierung der Jochscheiden,
Stricke oder Zweigbügel, die verhindern
sollen, daß das angeschirrteRind seinen Kopf
unter dem Jochbaum hervorzieht.
2. Fehlen einer Polsterung, die wir in der
Hauptsache nur bei Verwendung des Wider-
ristdoppeljochs im Pferdeanspann finden19).
3. Einfache Gestaltung des Jochbaumes
(oft nur ein roh behauener Balken)20).
4. Die Zugkraft setzt am Widerrist an
und wird durch den Jochbaum über die
Deichsel direkt auf das Zugobjekt über-
tragen.
5. Das Widerristdoppeljoch fand und fin-
det noch im Pferdeanspann Verwendung.
Kop fzuggesch irre
1. Waagerechte Durchbohrung des Joch-
baums, der überdies noch mit Einkerbungen
und Zapfen zur Befestigung der Stirnriemen
versehen ist.
2. Polsterung ist in der Regel vorhanden•
3. Der mehr brettartige Jochbaum is1
verschiedenartig gestaltet und hat durch
seine tiefen Einkerbungen und herausragen'
den Zapfen bisweilen barockes Aussehen-
Häufig ist er mit einfachen Motiven de*
Volkskunst verziert20).
4. Das Genickjoch hat eher die Aufgabe»
die Deichsel zu tragen, da die Zugkraft
allein durch die Befestigungsriemen von dei
Stirn- bzw. Hörnerbasis abgenommen wit^'
5. Die anatomischen Voraussetzungen fhf
die Verwendung des'Genickjochs am Pfefh
sind nicht gegeben.
Freilich gibt es auch Joche, die Merkmale beider Gruppen tragen und bei denen
eine gewisse Zuordnung schwierig ist. Diese Mischformen ergeben sich einmal aüs
einer natürlicherweise beschränkten Verwendungsmöglichkeit des jeweiligen
18) Nach Richard Braungart: Die Nordgermanen. (A. d. Nachl. hrsg. v. F. DetT'
weiler). Heidelberg 1925, S. 92. (Im folgenden zitiert als: Braungart, Nordgermanen)'
19) Jacobeit, Pferdeanspannung, S. iyflF.
Noch im Herbst 1953 konnte Verf. im Koschuta-Gebirge (Kärntner Karawanken)
ein nur roh behauenes vom ,,Koschutnik“-Bauern selbst hergestelltes RinderzuggeschiF
in Form eines Widerristdoppeljoches erwerben, während z. B. die Genickdoppeljoche, <he
in den Voralpenbergen des Bezirks Amstetten (Niederösterreich) oder im Oberösterreich1'
sehen Mühlviertel gefahren werden, vom „Jochhacker“, also einem Handwerker, gefertiߣ
werden.
Jochgeschirr- und Spanntiergrenze
125
Typs 21^ können andererseits auch mit der Entwicklung der einen Jochform aus
^er anderen Zusammenhängen22) oder bilden sich leicht in Kontaktzonen zwischen
. 21) Im allgemeinen ist man der Ansicht, daß Ochsen unterm Widerristjoch eine größere
Zugkraft als etwa unter einem Genickjoch entwickeln. Wie weit diese Annahme zutrifft,
Sollen wir hier nicht untersuchen. Fest steht jedoch, daß ein Widerristjoch besonders beim
®ergabfahren oder auch ___
eim Rückwärtsstoßen er-
bliche Mängel zeigt, die
arin bestehen, daß das Joch
?5n Tieren vorn auf den
j^°pf rutschen und das Ge-
brt dadurch sehr viel
schwerer abgebremst wer-
en kann." Mag die Zug-
raft unter einem Genick-
)°ch auch nicht so groß
Sein, so sind die Rinder doch
^reit eher in der Lage, den
agen bei der Talfahrt auf-
pU^alten. Um beides, grö-
^ere Zugkraft und sicherere
remsmöglichkeiten, zu-
Sleich ausnutzen zu können,
lst man im Gebiet von Me-
^azu übergegangen, den
leren ein doppeltes Gc-
Schirr aufzulegen: einmal ist
Cs ein normales Widcrrist-
. ^Ppeljoch in der landes-
üblichen Form zum Fahren auf der Ebene. Für das Bergabfahren aber schlingt man außerdem
ütr> Kopf und Hörner breite Lederriemen, die vorne zwischen beiden Tieren in einem eisernen
J^Ug zusammenlaufen, durch den im Bedarfsfall die Deichsel des Zuggeräts gesteckt werden
bann (Abb. 5). — Noch einfacher ging man im schwedischen Östergötland vor. Hier ver-
wendete man auch, wie wir aus
bbil(Jung g unschwer entnehmen
gönnen, ebenfalls ein Widerrist-
°Ppeljoch. An dem Teil des
J°chbaumes, der den Zugrindern
^mittelbar aufliegt, hat man nun
eiu Gestell mit Lederschlaufen,
le um die Hörnerbasis gelegt
^crden, angebracht und auf diese
rt das Problem der Bergabfahrt
gelöst.
22) Abb. 7 zeigt uns ein Dop-
^•Ijoch aus dem oberbayerischen
ackersberg bei Tölz. Auf den .
crsten Blick trägt es unfehlbare Kennzeichen eines Widerristjochs. Ungewöhnlich sind
>^°ch die langen Lederriemen, das Polsterkissen und die beiden kleinen waagerechten
üfchbohrungcn im Mittelteil des Jochbaums, die alle drei zusammen Merkmale der Kopf-
*üggeschirre sind. Verf. hat schon an anderer Stelle (Jacobeit, Joch, Kap. III) nachzu-
^eisen versucht, daß sich in dieser Jochform, die bis nach Nordosttirol verbreitet sein soll,
Abb. 5
Abb. 6
126
Wolfgang Jacobeit
beiden Typen. Für den weiteren Verlauf unserer Untersuchung sind jedoch nur
Widerrist]oche und Kopfzuggeschirre in ihrer reinen Ausprägung relevant, so daß
wir glaubten, die Mischformen in der knappen Fassung von Anmerkungen be-
handeln zu können.
II.
Das Joch als ältestes Anschirrgerät hat in der Volks- und Völkerkunde kaum eine
seiner Bedeutung entsprechende Bearbeitung und Untersuchung erfahren. Wenn
Joche bisher in der Literatur behandelt wurden, standen in erster Linie ihre wirt-
schaftliche Verwendungsmöglichkeit und Rentabilität für den Landwirt und dessen
Arbeit im Vordergrund. Im wesentlichen ist es also diese Literatur, aus der wif
unsere Kenntnisse über Gestalt, Material und Funktion des Geräts entnehmen
müssen.
Auch über eine volkskundlich so eminent wichtige Frage wie die Verbreitung des
Jochs, der wir uns jetzt zuwenden wollen, müssen wir uns zurZeit noch vornehm-
lich von den Arbeiten der Landwirtschaftswissenschaft informieren lassen23) und
ein Stadium der Entwicklung vom Widerristjoch zum Genickjoch manifestiert. Möglicher-
weise gilt dieser angenommene Entwicklungsgang nur fürs Gebirge aus Gründen, wie wif
sie in Anmerkung zi dar-
zulegen versuchten. Nach
prähistorischen Funden aus
Dänemark und denNieder-
landen müssen wir immer-
hin das Vorhandensein von
Genickdoppeljochen in der
Latene-Zeit (oder noch frü-
her?) in Betracht ziehen
(Wolfgang JacobeiT,
Ein eisenzeitliches Joch aus
Nordirland. In: Ethnogra-
phisch-Archäologische For-
schungen i (1953), S. 96 f-)-
Vilkuna (Verwendung
von Zugochsen in Finn-
land. In: Studia Fennica
II/1 (1936), S. 55 ff.) glaubt
sogar erweisen zu können»
daß das Genickjoch ehe-
mals im nördlichen und östlichen Ostsceraum vorherrschend war und erst relativ
spät durch das Widerristjoch verdrängt wurde. — Für eine Entwicklung des Widerrist-
jochs aus dem Genickjoch setzen sich Mcrgeli (Terminologie, S. 15) und Steinmetz
(Kuhanspannung in Deutschland. In: Arbeiten des Reichsnährstandes 11/1936, S. 446) ein-
23) An volkskundlichen Jochverbreitungskarten können wir für unseren engeren Bereich
lediglich den Volkstumsatlas von Niedersachsen, Lieferung 1, Braunschweig 1933 nennen,
in dem Wilhelm Pessler „Die Zugarten der Rinder“ kartiert hat (Karte 8). — Für da«
Unternehmen des Atlas der deutschen Volkskunde liegt der beantwortete Fragebogen übcf
die Jochgeschirre (Fragebogen Nr. 9) bereits vor. Es wäre zu wünschen, wenn dieses ver-
zettelte Material in der üblichen Form einer Verbreitungskarte der Forschung bald zugäng-
lich gemacht würde. — Für die Schweiz nennen wir die vorzügliche Verbreitungskarte dcf
Jochgeschirr- und Spanntiergrenze
127
ziehen uns zunächst auf eine Untersuchung des Dipl.-Landwirts HEINRICH
, Einmetz24), der auf einer kleinen Verbreitungskarte (Abb. 8) die einzelnen Arten
er Kuhgeschirranspannung darstellt.
\N Dreiviertel u \WI - RoM« rkumj
O Ualblomt
-fl- Vervtellbore Uolbpoliiprtvmte
A Vprstellbarp Dreipolstertumte
. ! Gepolsterte! Widern ¿¡och t Veritellbare ZweipolsterW.te
tl Widerristsiele
Kur: uUolb-Polsterlaimt
Ö
Ein
Abb. 8
erster Blick auf diese Karte hinterläßt den Eindruck, als sei der Süden
"-utschlands ein einheitlicheres, geschlosseneres Gebiet, während der Norden zer-
Ssener und bedeutend unübersichtlicher erscheint. Dieser Eindruck findet seine
lärung darin, daß STEINMETZ vornehmlich eine Verbreitung der modernen
“geschirre kartierte, d. h. also auch die jüngsten Entwicklungen mit aufgenom-
yetl ^at. Diese modernen Geschirre sind (nach der Kartenlegende): Oberdeutsches
Kummet, Widerristsiele, Kurz- und Halbpolsterkummet, Dreiviertel- und Voll-
^ggeschirre für Rindvieh“ im Atlas der Schweizer Volkskunde, die im Gegensatz zur
ii-j ^Pfechenden Umfrage des Atlas der deutschen Volkskunde auch die historische Tiefe
24?r Verbreitung des Jochs mit zu berücksichtigen sucht.
f0j ' ”Kuhanspannung in Deutschland“ (= Arbeiten des Reichsnährstandes 11/1936). (Im
geüden zitiert als: Steinmetz, Kuhanspannung.)
128
Wolfgang Jacobeit
polsterkummet, Halbkummet, verstellbares Halbpolsterkummet, verstellbares Die1'
polsterkummet, verstellbares Zweipolsterkummet. Es erübrigt sich für unsere Daf'
Stellung, von den aufgezählten Geschirrarten eine Beschreibung oder einen Abriß
ihrer Entstehung zu geben. Wichtig zu wissen ist nur, daß sie sich letztlich aus der*1
Widerristdoppeljoch entwickelt haben25) und damit ihre Verbreitung mit der deS
Widerristjoches gleichzusetzen sein dürfte. So betrachtet, bietet auch der Nordei1
ein einheitlicheres Bild. (Wenn die modernen, aus dem Widerrist joch entwickelte11
Kummete auch im Gebiet der Kopfzuggeschirre auftreten, so kann diese E1'
scheinung das Wesentliche der Karte keinesfalls verwischen; denn gegenüber dei1
alten, oft recht mangelhaften Geschirren zieht man die neuen praktischeren viele1'
orts vor).
Betrachten wir nun unter den dargestellten Voraussetzungen die STEINMETZsche
Karte näher, so ergibt sich folgende Tatsache: „Im Westen und Süden Deutschlands»
begrenzt durch die Linie Plauen, Göttingen, Wesel“ (die im wesentlichen demVerlatff
der Mittelgebirge entspricht und, wie bekannt, kulturgeschichtlich eine nicht uU'
erhebliche Rolle spielt, d. Verf.), ist „der Kopfzug zuerst mit Genickdoppeljod1
und später in Einzelgenickjoch und Stirnjoch verbreitet“. „Nördlich und westlich
von genannter Linie ist der Widerristzug, beginnend mit dem Widerristdoppeljoch
verbreitet. Es ist denkbar, daß sich die vorhin aufgezeigte Grenzlinie im Laufe de1
Jahrhunderte an einzelnen Stellen verschoben hat. Es ist jedoch nicht anzunehmeih
daß diese Verschiebungen wesentlichen Umfang haben“25 26 27). Einsprengsel vo11
Widerrist jochen im Gebiet der Kopfzuggeschirre treffen wir scheinbar nur in Süd'
baden an, wo sie zweifellos auf Beeinflussungen aus dem Widerristzuggebiet de1
Schweiz zurückzuführen sind. Umgekehrt finden sich Einwirkungen und Voi'
kommen von Kopfzuggeschirren im Widerristzuggebiet nicht. Wahrscheinlich
treten im Grenzgebiet beide Geschirrarten nebeneinander auf27).
25) Uber das Kummet und seine Entwicklung aus dem Widerristdoppeljoch für Rinde1
vgl. u. a. Jacobeit, Pferdeanspannung, S. iyff. Gegenteiliger Ansicht ist neuerding8
Franz Hanöar, Das Pferd in prähistorischer und früher historischer Zeit. (In: Wieflei
Beiträge zur Kulturgeschichte und Linguistik XI). Wien 1956, S. 347L
26) Steinmetz, Kuhanspannung, S. 56L
27) Ob bzw. welche Mischformen sich gerade in dieser Kontaktzone gebildet haben»
müßte eine eingehende Aufnahme und Inventarisierung von Jochen in den Museen ergeben-
Meines Wissens sind solche Arbeiten noch nicht in Angriff genommen worden. Auch d^
Material aus der Umfrage Nr. 9 des Atlas der deutschen Volkskunde (s. Anmerkung 2F
dürfte hierüber kaum Auskunft geben können. — Daß wir aber mit Mischtypen an ßci
deutschen Mittelgebirgsschwelle rechnen müssen, mag uns ein Beispiel aus Portugal zeigc^’
wo sich hinsichtlich der Verbreitung beider Jochgeschirrarten ähnliche Verhältnisse wie 111
Deutschland herausgebildet haben: Es gibt in Portugal die sogenannten „Jugos ornameir
tados“ (Abb. 9), die durch ihre kummetartige Halsbindung zu den Widerristjochen zU
zählen sind. „Wir begegnen ihnen im Alto Minho in Arcos de Valdevez und seiner Uü1
gebung; überall auf dem Wege von da nach dem Minho Litoral; in Ponte de Lima tü1
Viana do Castello (am Atlantischen Ozean); im ganzen Küstengebiet nach Porto hinuntV
und landeinwärts östlich in Braga und Guimaräes.“ „Gegen Osten finden die Jugos or^9
mentados' ihre Grenze bei dem Übergang in die Provinz Traz os Montes, wo wir bishc!
Stirnjoche gefunden haben. Südwärts schließlich heben sich die Joche der Beira (Be11'1
Litoral und Beira Alta) von den Kunstjochen des Minho e Douro allmählich ab“ (FR11'
Jochgeschirr- und Spanntiergrenze
129
Sehr deutlich macht die Karte auch das Überwiegen der Einzeljochbespannung
vo r der Doppel jochbespannung in beiden Gebieten. „Das Widerristdoppel joch, das
heute nur in seltenen Ausnahmefällen in Ostpreußen und Hinterpommern vor-
kommt, beherrschte einst das ganze Gebiet“28) (Nord- und ehemaliges Ostdeutsch-
Abb. 9
^Rüger: Die nordwestiberische Volkskultur. In: Wörter und Sachen io (1927),
‘ 5 5). Diese Grenze zwischen den portugiesischen Widerristjochen und den Kopfzug-
§eschirren verläuft also nicht allein im Osten ihres Verbreitungsraumes, sondern auch im
üden. Und hier in der Provinz Beira, hat sich ein Jochtyp (Abb. 10) entwickelt, der ganz
einwandfrei eine Mischform ist, und mit dem Joch von Wackersberg aus den oberbaye-
1 lschen Alpen (Abb. 7) auf der gleichen Entwicklungsstufe steht.
) Steinmetz, Kuhanspannung, S. 59h
9 volkskunde
130
Wolfgang Jacobeit
land). 1907 wurde es durch die preußische Regierung für ihren Bereich verboten,
da es den „Gebrauch aller Mißstände“ mit sich bringe29). Auch das Genickdoppel'
joch ist nur noch in zwei kleinen Gebieten vorhanden: im Schwarzwald und in1
östlichen Teil des Rheinischen Schiefergebirges, d. h. also nur noch in Rückzugs-
gebieten.
Sehr viel mehr aber als das Vorhandensein eines nördlichen Gebiets mit vor-
wiegendem Gebrauch von Widerristjochen und eines südlichen mit Kopfzug-
geschirren ergibt sich aus der STElNMETZschen Karte nicht.
Nehmen wir hingegen die Verbreitungskarte über die „Zugarten der Rinder“
von WILHELM Pessler30) als Ergänzung hinzu, gewinnen wir für das nördliche
Widerristjochgebiet einige wesentliche Erkenntnisse, die für unsere weitere Unter-
suchung nicht unwichtig sein dürften.
PESSLERs Karte ist nicht in Schraffur dargestellt, sondern verzeichnet die ein-
zelnen Jocharten mit bestimmten Farben, so daß die schon oben erwähnte Grenz-
linie zwischen dem nördlichen Wider-
ristzuggebiet und dem südlichen Kopf-
zuggebiet schärfer und deutlicher her-
vortritt. Diese in ost-westlicher Rich-
tung verlaufende Grenze zieht sich etwa
von der holländischen Grenze bei
Enschede über Osnabrück, Minden,
Stadthagen, Hannover, Fallersleben,
Vorsfelde in recht ausgeprägter Form
dahin und setzt sich in süd-östlicher Richtung auf Plauen weiter fort. Sie fügt
sich also durchaus in die von STEINMETZ angegebene Generalrichtung Wesel—
Göttingen—Plauen ein.
Im nördlichen Widerristzuggebiet gibt es nun nach der PESSLERschen Karte
einen Gebietsstreifen, der sich von Hamburg ausgehend elbabwärts bis Cuxhaven
hinzieht und dann dem Küstenverlauf bis Wesermünde folgend weseraufwärts
Bremen bzw. (die Hunte aufwärts) Oldenburg erreicht, bzw. über Wilhelmshaven,
Emden und emsaufwärts bis zum Burtanger-Moor führt. Nach der Karte von
STEINMETZ setzt sich dieser Streifen noch in Schleswig-Holstein, Mecklenburg,
Pommern und im ehemaligen Ostpreußen fort. Es handelt sich im wesentlichen
also um das Gebiet, in dem kein Rinderzug herrscht, also auch keine Rindergeschirre
Vorkommen. — Aber es gibt hier einige Orte, in denen das „Doppeljoch“ aus-
gestorben ist31). Solche Hinweise finden wir auf der PESSLERschen Karte bei
Otterndorf (südöstlich Cuxhaven), bei Arle in Ostfriesland, an der holländischen
Grenze westlich Ülsen in der Grafschaft Bentheim und im Winkel zwischen Weser
und Aller südwestlich von Verden. Im gleichen Raum sind Punkte verzeichnet,
an denen Widerristeinzeljoche, aber auch Kummete ausgestorben sind, was wieder-
um bedeutet, daß der Rinderzug mit Widerristgeschirren einst viel weiter verbreitet
29) Ibid., S. 48.
:)0) Siehe Anmerkung 23.
31) Es dürften wohl Widerristdoppcljoche gemeint sein.
Jochgeschirr- und Spanntiergrenze
131
gewesen sein muß als heute, wo er, wie besonders das Aussterben der modernen
Kummete beweist, im ständigen Rückgang begriffen ist.
Wie ist demgegenüber der Befund im südlichen Verbreitungsgebiet der Kopfzug-
geschirre zu werten? Ein Blick auf die STEINMETZsche Karte zeigt sofort, daß hier
»weiße“ Gebietsstreifen fehlen. Zwar sind Genickdoppeljoche genauso wie die
nördlichen Widerristdoppeljoche so gut wie ausgestorben. Auch Genickeinzeljoche
sitid recht selten geworden und finden sich eigentlich nur noch im Gebiet der
Schwäbischen Alb und der östlichen Ausläufer des Rheinischen Schiefergebirges,
öafür sind an ihre Stelle die Stirneinzeljoche getreten, die sich, wie wir zu zeigen
Versuchten, aus den Genickjochen entwickelt haben dürften und weit leichter und
praktischer sind als ihre Vorläufer, die ja kaum etwas anderes als eine Stütze für die
Deichsel waren und nur eine übermittelnde Rolle bei der Übertragung der Zug-
kraft von der Stirn bzw. Hörnerbasis auf das eigentliche Zugobjekt spielten.
III.
Wenn wir bisher die Verbreitungsgebiete von Widerristzuggeschirren einerseits
Und Kopfzuggeschirren andererseits nur vergleichend betrachteten und einzelne
Besonderheiten aufzuzeigen bemüht waren, so soll im folgenden versucht werden,
den gesamten Komplex in einen größeren Zusammenhang zu stellen:
Itn Text zu seiner Verbreitungskarte schreibt PESSLER32): „Für Kühe kommen
Wegen ihres schlanken und schwachen Halses und der schwachen Stirn im all-
gemeinen Kummet- und Widerristjoch einschließlich Kammsielen häufiger in
Betracht, während die breite starke Stirn der Ochsen vorwiegend das Stirn joch
ermöglicht. . .“ Diese Ansicht erklärt in keiner Weise die Geschirrgrenze; denn
gerade im Verbreitungsraum der Kopfzuggeschirre gibt es Gebiete, in denen fast
ausnahmslos die Kuh als Spanntier vorherrschend ist (Abb. n).
Auch die Meinung, daß die schwächer entwickelte Halsmuskulatur der Nie-
derungsviehschläge die Anspannung unter ein Widerristzuggeschirr notwendig
^ache33), ist nur bedingt zutreffend.
Konstitution und anatomische Besonderheiten der Zugrinder bringen uns also
nicht weiter. Wir müssen daher versuchen, einen anderen Weg zu beschreiten, der
Ergebnissen führen kann.
. Abb. 11 und 12 stellen uns sehr klar die Verbreitung der Zugkühe und Zugochsen
In Deutschland dar. Aus ihrer Betrachtung ergibt sich folgendes: „Ein breites
Kebiet mit großer Dichte der Zugkühe zieht sich längs des Rheintales abwärts bis
^wa Karlsruhe, ein anderes vom Bodensee aus über den Hegau hinweg nach dem
eckargebiet und greift über das Neckarbergland hin nach dem Rheintal hinüber.
uf der anderen Seite, nach Osten zu, zieht das Gebiet am Nordfuße der Rauhen
" h entlang in schmaler und locker werdendem Bande nach Mittelfranken hinein
etwa in die Gegend von Ansbach. Dort tritt ein anderer Gürtel mit großer Dichte
nzu, der südlich der Rauhen Alb, längs der Donau nordostwärts sich erstreckt
hi
9*
2) Siehe Anmerkung 23.
3) Steinmetz, Kuhanspannung, S. 43 h
132
Wolfgang Jacobeit
Jeaar Punkt entsprichi 100 tugtonan 11930)
134
Wolfgang Jacobei t
und dann zwischen Rauher Alb und Fränkischem Jura durch das Talgebiet der
Wörnitz nach Norden umbiegt, um schließlich in schmalen Ausläufern den Steiger-
wald zu erreichen. Daran grenzt unmittelbar das Gebiet der Fränkischen Schweiz
und des westlichen Fichtelgebirges an, das gleichfalls eine beträchtliche Zugkuh'
haltung aufweist. Kräftig heben sich weiter der Spessart, die Rhön, die südliche
Hardt, der Hunsrück, (das Pfälzer Bergland im Süden und der Südabhang der Eifel
im Norden bilden mit dem Hunsrückgebiet dabei eine Einheit) und vor allem aber
die Hochfläche des Westerwaldes als besondere Zugkuhbezirke heraus. Abseits
von diesen Bezirken, die alle durch Gebiete mit mehr oder minder großer Dichte
verbunden sind, liegt das Zugkuhgebiet zwischen Dümmer und Weser nördlich des
Wiehengebirges (Gebiet Osnabrück — Minden).
In Süddeutschland zeigt sich eine größere Auf lockerung der Zugkuhhaltung nur
in Oberbayern und dann im Rheingebiet, in der nördlichen Pfalz, in Rhein-Hessen,
Starkenburg und im nördlichen Baden. Das übrige süddeutsche Gebiet ebenso wie
Mitteldeutschland (Hessen-Nassau, Süd-Thüringen, Thüringer Becken) besitzt eine
mittlere, ziemlich gleichmäßige Häufigkeit. Ähnlich häufig sind die Zugtiere auch
in Schlesien, wo die Unterschiede der Gegenden mit besseren und geringeren Böden
sich wenig in der Zugkuhhaltung bemerkbar machen. In den nördlicheren, flacheren
Teilen des Freistaates Sachsen treten die Zugkühe mehr zurück. Ziemlich ab-
getrennt liegt schließlich ein Gebiet mit mittlerer Dichte in der nördlichen Altmark
und ein solches im südwestlichen Mecklenburg.
In Oldenburg und im nördlichen Hannover besitzen Zugkühe kaum mehr Be-
deutung. Sie fehlen in Schleswig-Holstein, dem nördlichen Brandenburg, in Vor-
pommern und im nördlichen Ostpreußen fast völlig und kommen auch in Hinter-
pommern und Masuren nur ziemlich vereinzelt vor“34).
Das Kennzeichnende dieser Karte (Abb. u) ist die starke Verbreitung der Zug-
kühe im Westen und Südwesten Deutschlands, von der eigentlich das gesamte Ge-
biet der Norddeutschen Tiefebene ausgenommen ist. Die Grenze bildet auch hier im
groben die deutsche Mittelgebirgs schwelle.
Demgegenüber zeigt die Verbreitungskarte der Zugochsen (Abb. 12) eine Zu-
nahme der Dichte im Südosten. Auch der Raum östlich der Oder weist eine stärkere
Belegung mit Zugochsen auf. Doch liegt hier die Grenze zwischen dem nord- und
süddeutschen Raum — wenn auch etwas verwischter — ebenfalls am Rand der
Mittelgebirge und entspricht somit im wesentlichen auch der Verbreitung der
Zugkuhhaltung. (Ochsen sind in vielen Teilen Deutschlands beliebte Zugtiere.
In Norddeutschland sind es in erster Linie Großbetriebe, die Ochsen- neben Pferde-
anspannung haben. Dagegen ist in Mittel- und Süddeutschland Ochsenanspannung
vornehmlich in mittel- und großbäuerlichen Betrieben üblich. „Oberpfalz, Nieder-
bayern, Oberbayern und Schwaben sind die Gebiete mit der stärksten Ochsen-
anspannung“ 35). Der Ochse wurde früher in Großbetrieben für die Arbeitsspitzen
34) Friedrich Walter: Die Verbreitung der Zugkühe in Deutschland. In: Deutsche
landwirtschaftliche Tierzucht 33 (1929), S. 216. (Im folgenden zitiert als: Walter, Zug-
kühe).
35) Steinmetz, Kuhanspannung, S. 22h
Jochgeschirr- und Spanntiergrenze
135
gehalten, was besagt, daß seine besondere Arbeitstüchtigkeit im Vordergrund
stand).
Steinmetz glaubt, daß diese in ost-westlicher Richtung durch Deutschland
verlaufende Linie, die im wesentlichen also auch dem Verlauf der Jochgeschirr-
grenze entspricht, durch die Verbreitung von Niederungs- und Höhenvieh bedingt
sei36). Seine Ansicht trifft jedoch in unserem Zusammenhang kaum zu; denn nach-
weisbar ist Niederungsvieh zum Vorspann und zur Arbeit genauso gut verwendbar
Wie das Höhenvieh. Selbst im Verbreitungsgebiet der Niederungsviehschläge
fftacht die Kuhanspannung bis zu 70% der gesamten Bespannung aus. Auch bei der
Arbeitsleistung ist das Niederungsrind weniger anfällig und stellt selbst in gebirgigen
Landstrichen den Zuganspann37).
IV.
Viel wesentlicher ist für uns die Feststellung, daß der dargestellte Grenzverlauf
Deutschland nicht nur in ein Gebiet der Widerrist- und Kopfzuggeschirre scheidet,
sondern auch mit der Verbreitungsgrenze zwischen Pferde- und Rinderanspan-
nung38) zusammenfällt; eine äußerst wichtige Tatsache, die in diesem Zusammen-
hang von der Forschung noch kaum gesehen worden ist.
Die Spanntiergrenze ergibt sich aus folgender Verteilung der tierischen Zugkraft:
»In ganz Süddeutschland stellt das Rindvieh, von wenigen Ausnahmen abgesehen,
Überall mehr als 5 0%, vielfach mehr als 70% und stellenweise mehr als 90% — im
Durchschnitt also mehr als 70% — der gesamten landwirtschaftlichen Zugkraft.
Das Pferd ist somit hier als landwirtschaftliches Zugtier weithin ohne größere Be-
deutung. In ganz Norddeutschland ist von wenigen Ausnahmen abgesehen die
Verwendung von Arbeitskühen in der Landwirtschaft unbekannt“39). Hier tritt
also vornehmlich das Pferd als Zugtier in Aktion.
Für das Phänomen der Spanntiergrenze sind die unterschiedlichsten Erklärungen
und Vermutungen geäußert worden. HUPPERTZ erkennt hier „einen großen ober-
Ulld niederdeutschen Gegensatz unseres Bauerntums“40) und stellt darüber hinaus
»einen viel weitergreifenden großen mitteleuropäischen Kulturgegensatz“ dar,
»Zu dessen Erklärung weder geographische noch wirtschaftliche Zweckmäßigkeits-
§ründe ausreichen“41).
Andere Erklärungen, die geographische oder klimatische Bedingtheiten an-
dren, reichen nicht hin. Wenn STEINMETZ meint, daß in Gebirgsgegenden die
Duh das bevorzugte Spanntier sei, die die Bewirtschaftung dieser Gebiete überhaupt
erst ermöglicht habe42), so treffen diese Umstände nur bedingt zu, denn Pferde
°6) Ibid., S. 21 f.
Ibid., S. 21 f.
) Diese Grenze wollen wir im folgenden als „Spanntiergrenze“ bezeichnen.
. 39) Barthel Huppertz: Räume und Schichten bäuerlicher Kulturformen in Deutsch-
n<I. Ein Beitrag zur Deutschen Bauerngeschichte. Bonn 1939, S. 294.
4°) Ibid., S. 294.
**) Ibid., S. 296.
) Steinmetz, Kuhanspannung, S. 11.
136
Wolfgang Jacobeit
werden auch in ausgesprochenen Gebirgsgegenden häufig als Zugtiere in Gebrauch
genommen.
Daß im Gegensatz zu den vorwiegend trockenen Sandgebieten Norddeutschlands
mit ihrer angeblichen Futternot die Zugkuhhaltung in dem regenreicheren und
damit auch futterreicherem Gebirge eine bessere Grundlage habe43), ist gleichfalls
keine Begründung der Spanntiergrenze. Abgesehen davon, daß Norddeutschland
ja ein ausgesprochenes Weidewirtschaftsgebiet mit guter Futterbasis ist, entkräftet
STEINMETZ seine dargelegte Auffassung selbst, wenn er an gleicher Stelle sagt, daß
in früheren Zeiten mit Kühen auch in Norddeutschland gefahren worden sei44)-
„Erst im Laufe der Jahrhunderte hat sie an Bedeutung verloren. Insbesondere der
wirtschaftliche Aufschwung der Landwirtschaft im letzten Jahrhundert hat die
Kuhanspannung wesentlich zurückgedrängt“45). Damit aber ist nach unserer
Meinung die Spanntiergrenze auch nicht erklärt; denn es ist nicht verständlich,
warum die Intensivierung und Modernisierung der Landwirtschaft sich nur in Nord-
deutschland auf die Zugkuhhaltung ausgewirkt haben soll, während sie im Süden
doch unvermindert weiter fortbestand.
Einen ganz anderen Gesichtspunkt bringt ENGELBRECHT46): Und zwar geht er
von der Schwierigkeit der „Durchwinterung des Rindes in winterkalten Gebieten,
wo der Boden sich längere Zeit mit einer Schneedecke überzieht“, aus. In diesen
Gebieten stünden nur geringe Futtermengen — namentlich in Mittel- und Nord-
europa — zur Verfügung, was sich in urgeschichtlicher Zeit noch weit mehr be-
merkbar gemacht habe. „Trotzdem drang das Ochsengespann, als nach der Eiszeit
der Sommer allmählich wärmer wurde, vom milderen Westeuropa schrittweise
auch nach Mittel- und Nordeuropa vor.“ Dann aber muß ein „starker Anreiz“ vor-
handen gewesen sein, das anspruchsvollere Rind durch ein anderes Zugtier zu er-
setzen, das man auch im Winter eher sich selbst überlassen konnte. „Als solches bot
sich das Pferd“, welches nicht nur als Wildpferd seit der Eiszeit vorhanden war,
sondern das auch die Gräser unter der Schneedecke mit seinen Hufen hervor-
kratzte47). Es erübrigt sich, auf diesen rein konstruierten Deutungsversuch, der
elementaren Erkenntnissen der Urgeschichtsforschung widerspricht, näher ein-
zugehen.
PESSLER48) glaubt, daß man das Fehlen der Ochsenanspannung in Nordwest-
deutschland darauf zurückführen müsse, daß „eine rasche Bearbeitung des oft
schweren Bodens durch die schnellere Gangart der Pferde notwendig“ sei. Unseres
Erachtens ist gerade für die Bearbeitung schweren Bodens ein Ochse mit seinem
gleichmäßig ruhigen Arbeitstempo bedeutend vorteilhafter. Schon am Mecklen-
43) Ibid., S. ii.
44) Ibid., S. ii.
45) Ibid., S. ii.
4G) Thies Hinrich Engelbrecht : Das Pferd und die Indogermanen. In: Nieder-
deutsche Monatshefte 6 (1931), S. 271 f.
iT) Ibid., S. 271; vgl. auch Tiiies Hinrich Engelbrecht: Die Urheimat der Indo-
germanen. Eine prähistorisch-geographische Studie. Glückstadt 1933, S. 14.
48) S. Anmerkung 23.
Jochgeschirr- und Spanntiergrenze
137
Bürger Haken wird dieser Vorzug der Ochsenanspannung vor der Pferdeanspannung
erwähnt.
PRese bisher aufgezeigten Versuche, die Spanntiergrenze zu erklären und zu
deuten, erscheinen uns zu konstruiert, als daß wir sie akzeptieren könnten. Die Ur-
Sache für die Herausbildung eines nördlichen Pferde- und eines südlichen Rinder-
*uSgebietes liegen zweifellos tiefer. Ihnen nachzugehen, soll im folgenden versucht
Werden.
Bereits den skandinavischen Felszeichnungen der Bronzezeit können wir ent-
nehmen, daß Pferde stets vor zweirädrigen, Rinder dagegen vor vierrädrigen
^agen und Pflügen dargestellt werden. Das gleiche gilt für die ligurischen Fels-
2eichnungen und zum Teil noch für die späteren Felsbilder aus der Val Camonica
Jn Oberitalien. Wollen wir diesen Befund weiter in die Jungsteinzeit zurückverfolgen,
s° stehen uns bildliche Darstellungen von ähnlicher Deutlichkeit nicht zur Ver-
fügung. — Faßbar wird für uns das Pferd als Zugtier des Zweiradwagens also erst
ln der Bronzezeit. Für antike Kulturen trifft das gleiche zu. Als Arbeitstier im eigent-
lichen Sinne aber wurde das Pferd noch nicht gebraucht; auf keinen Fall als Zugtier
v°r dem Pflug. Gerade aber durch die Verwendung vor einem schnellen Streit- oder
Rennwagen nimmt es unter den übrigen Haustieren eine gewisse Sonderstellung
eirb die, in unserem Zusammenhang gesehen, allerdings von geringerer Bedeutung
ist.
Wann aber — und das ist für uns jetzt wichtig — wird das Pferd „als Zugtier
Zxi niedriger Dienstleistung“49) verwendet?
Ritzungen auf Gesichtsurnen und eine Felszeichnung von Scale di Cimbergo
aus der Val Camonica zeigen uns erstmalig Pferde vor Vierradwagen aus der
^allstattzeit. Ob diese jedoch schon Gebrauchsgefährte waren, bleibt fraglich;
denn gewisse Paralleldarstellungen lassen den Schluß auf Kultgefährte zu. Mit
Sicherheit werden wir das Pferd erst dann als allgemeines Zugtier ansprechen
dürfen, wenn es erstmalig vor dem Pflug erscheint. Im Neolithikum und der Bronze-
*eit ist es zweifellos noch nicht Pflugtier. Zeugnisse aus der Hallstattzeit und folgen-
den frühgeschichtlichen Epochen fehlen ebenfalls. Pferdejoche aus der Bylaner-
Platenicer Kultur Böhmens und aus der Station La Tene ergeben für unsere Frage-
Stellung nichts60).
überprüfen wir unser Material weiter, so stellt sich heraus, daß eine allgemeine
^ttschaftliche Nutzung des Zugpferdes gerade im Gebiet nördlich der Mittel-
gebirge relativ jung sein muß. Hierzu sei eine Reihe von Belegen angeführt:
»Das Pferd spielt beim germanischen Pflügen eine Nebenrolle. Nordische Zeug-
nisse für den Pflugochsen, den ardruxi, sind mehrfach erhalten, fehlen dagegen für
Cln Pflugpferd, ardrhestr“61).
o *") Hermann Güntert: Der Ursprung der Germanen. In: Kultur und Sprache IX (1934),
I03.
jP ^gl- Jacobeit, Joch, Kapitel V.
Y ) Elard Hugo Meyer: Indogermanische Pflügebräuche. In: Zeitschrift des
, Creins für Volkskunde 14 (1904), S. 6. (Im folgenden zitiert als: Meyer, Pflüge-
räüche.)
138
Wolfgang Jacobeit
„Vielfach ist die Ersetzung des Ochsen durch Pferde erst sehr spät erfolgt; so
pflügten in alter Zeit in Dithmarschen Ochsen (KARL MÜLLENHOFF, Sagen aus
Schleswig-Holstein etc. Kiel 1845, S. 1x5) und ebenso ist hier wie in Mecklenburg
(Karl Bartsch, Sagen und Gebräuche aus Mecklenburg. Wien 1879.1, Nr. 525,527»
5 33) der Ochse das Tier, das bei Kulthandlungen dem Pferde den Rang abläuft“52)'
Auch Weinhold, Meitzen, Rhamm u. a. bestätigen, daß der alt-nordische
Bauer selten Pferde, sondern in der Regel Ochsen zum Pflügen benutzt hat53)'
Nach der bekannten dänischen Sage von der Fruchtbarkeitsgöttin Gefjon wurde
die Insel Seeland mit einem Ochsengespann abgepflügt54).
Daß in einigen Gegenden Deutschlands, in denen im allgemeinen Pferdezug
vorherrscht, vor dem Leichenwagen noch Ochsen benutzt wurden, weil dieser An-
spann die Bauern vornehmer dünkte, zeigt deutlich, daß das Rind als ältestes Pflug'
tier vor dem Pferd doch eine größere Wertschätzung besaß55).
In der Lüneburger Heide spannten nur die Besitzer größerer Höfe Pferde für
die Stadtfahrt ein56).
In der Schlacht von Vercellae sollen die Cimbern vor ihren Wagen nicht Pferde»
sondern Ochsen verwendet haben57).
Auch das bekannte Monument von Adamklissi zeigt eine wandernde Bastarnen-
familie mit ihrem von Rindern gezogenen Wagen58).
Aus der geographischen Verbreitung lassen sich ebenfalls Folgerungen ziehen»
die eine frühere Verwendung des Rindes vor dem Pflug erweisen: Obwohl Finn-
land im allgemeinen zum Pferdeanspannungsgebiet zählt, galt bis Ende des 19. Jahr-
hunderts in Südwestfinnland der Ochse als „Zug- und Arbeitstier“. „Die Ver-
wendung von Zugochsen war hier ein alter Brauch“59). In Schweden ist die merk-
würdige Erscheinung bekannt, daß in Östergötland und dem Mälargebiet der
Pferdeanspann überwiegt, „während das ackerbauende Westergötland das Ochsen-
achtergespann bevorzugt“60).
52) Eduard Hahn : Demeter und Baubo. Lübeck 1896, S. 65, Anm.
53) Karl Weinhold: Altnordisches Leben. Berlin 1856, S. 79; vgl. August MeitzeN,
Siedlung und Agrarwesen der Westgermanen und Ostgermanen, der Kelten, Römer»
Finnen und Slawen. Bd. II. Berlin 1895, S. 508; Karl Riiamm, Die Großhufen der Nord-
germanen. Braunschweig 1905, S. 302 und S. 543; Johannes Hoops, Reallexikon des
Germanischen Altertums. Bd. III. Straßburg 19x5/16, S.
54) Friedrich v. d. Leven: Die Götter der Germanen. München 1938, S. 184; vgl'
auch Sepp: Altbayerischer Sagenschatz zur Bereicherung der indogermanischen Mytho-
logie. München 1876, S. 302ff., Nr. 77.
55) Vgl. u. a. Paul Sartori : Sitte und Brauch. Bd. I. Leipzig 1910, S. 145.
56) Wilhelm Bomann: Bäuerliches Hauswesen und Tagewerk im alten Niedersachseü'
4. Aufl. Weimar 1941, S. 125.
57) Eduard Hahn : Die Entstehung der Pflugkultur. Heidelberg 1909, S. 79, Anm.
58) Gustav Kossinna: Die deutsche Vorgeschichte, eine hervorragend nationale Wissen-
schaft. 6. Aufl. Leipzig 1936, S. 257, Abb. 482.
59) KustaaVilkuna: Verwendung von Zugochsen in Finnland. In: Studia Fennka
H/i (1936), S. 5 5 ff.
60) Robert Mielke: Das Pfluggespann. In: Festschrift für Eduard Hahn. Stuttgä’f
1917, S. 203. (Im folgenden zitiert als: Mielke, Pfluggespann); vgl. auchViLKUNA, ibid-
Jochgeschirr- und Spanntiergrenze
139
Auch nach den Zeugnissen antiker Schriftsteller wurde im Altertum überall das
ind als Pflugtier benutzt, Pferde dagegen nie61). Das gleiche gilt für die alten
0rientkulturen, bei denen keinerlei Beweise für die Verwendung von Pferden vor
ern Pflug erbracht werden können62). Bezeichnend ist, daß sich im römischen
eich das Pferd vor dem Lastwagen „lange nur mühsam durchgesetzt“63) hat.
5>Nur während des Krieges genießt das Pferd höhere Achtung“ als das Zugrind64).
Alle diese Belege zeigen wohl mit hinreichender Beweiskraft, daß das Rind vor
dem Pferd als Arbeitstier auch im Norden verwendet wurde. Möglicherweise
angt dessen Verwendung vor dem zweirädrigen Wagen, die wir bereits nach den
n°rdischen Felszeichnungen der Bronzezeit nachweisen können, mit einer kultisch-
reügiösen Bedeutung zusammen, die es im Norden gehabt hat. Darin mag gewiß
auch ein Grund liegen, daß es für profane Zugarbeit nicht bzw. sehr spät verwendet
^urde.
Die seiner Meinung nach ältesten Nachweise für den Gebrauch des Pferdes vor
dem Pflug glaubt Werth65) für die Mitte des 15. nachchristlichen Jahrhunderts
Pfunden zu haben. Er nennt eine Abbildung des Codex germanicus der Berliner
Staatsbibliothek66) sowie eine Initiale aus dem Gesetzbuch des Königs Magnus
jAickson67). Auch MlELKE68) weist darauf hin, daß das Pferd womöglich erst im
''Lttelalter den Ochsen am Pfluge in Holstein verdrängt habe.
Au einem früheren Zeitansatz gelangt jedoch EläRD Hugo Meyer69) : Es
jAennt das deutsche Sprichwort das Pflügen mit fremden Fohlen, und Pferde ziehen
ereits den sagenhaften (goldenen) Pflug des Welfen Heinrich in Kaiser Ludwigs
^es Frommen Zeit, und auch den Pflug, der nach einer wohl uralten Bestimmung der
vetstümer einem Grenzsteinverrücker den Hals abfahren oder das Herz durchfahren
S°H> ziehen noch nicht gebrauchte Pferde“.
Den frühesten Befund aber kennen wir von den Lofoten, wo im 9. Jahrhundert
eiri gewisser Ottarr, der große Viehherden besaß, seinen Acker mit Pferden pflügte70).
r X) Pauly-Wissowa: Realencyclopädie der klassischen Altertumswissenschaft, 2. Reihe,
• Halbbd., Sp. 2504.
e*) Leser, Pflug, S. 249.
•» ) Eduard Hahn :
jachen 1928, S. 91.
) Meyer, Pflügebräuche, S.
r.. ) Emil Werth: Die Pflugformen des nordischen Kulturkreises und ihre Bedeutung
lr die älteste Geschichte des Landbaues. In: Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte
^938), S. 38.
s?) Nach Werth ibid. bei Leser: Die Ernährung der Pflanze (ohne Seitenangabe).
Abb ^ack Werth ikid. bei H. Chevalier: Les anciennes charrues de l’Europe. 1912,
t- 8) Mielke, Pfluggespann, S. 207; vgl. auch Ernst Feige: Haustierkunde undHaus-
J^ucht. In: Wissenschaft und Bildung, Nr. 252, 1929, S. 73.
Das Pfluggespann. In: Festschrift für Marie Andree-Eysn.
5-
? ) Meyer, Pflügebräuche, S. 6.
^ ) >>A description of Europe and the voyages of Ohthere and Wulfstan, written in
^ nglo-Saxon by KingAlfred the Great, ed. by Joseph Bosworth. London i860, p. 4, § 5“,
t^Cl1 Axel Steensberg: North West European Plough-Types of Prehistoric Times and
^ Mid(fleAges. In: Acta Archeologica VII (1936), S. 244ÎT., S. 260; vgl. Leonhard Franz:
lrtschaftsformen der Vorzeit. Brünn 1943, S. 75.
140
Wolfgang Jacobeit
Dieser letzte Beleg ist meines Wissens der früheste, den wir für die Verwendung
des Pferdes vor dem Pflug anführen können. Das Pferd vor dem Zweiradwagen
der Bronzezeit oder dem Vierradwagen der Hallstattzeit ist als Arbeitstier nicht
nachweisbar. Zugegeben, daß in der weiten zeitlichen Lücke zwischen den ui'
geschichtlichen Darstellungen und der Nachricht aus dem 9. Jahrhundert genügend
Raum für die Übernahme des Pferdes als Arbeitstier bliebe, ist der erste sichere
Nachweis der Bericht von den Lofoten.
Wir können nunmehr feststellen, daß ehedem im Raum nördlich der Mittel-
gebirge ebenfalls der Rinderzug vorherrschte, das Pferd als Arbeitstier dort aber
erst von einem relativ späten Zeitpunkt ab (9. Jahrhundert) verwendet wurde. In1
südlichen Verbreitungsraum ist hingegen der Rinderanspann uneingeschränkt er-
halten geblieben. Das Pferd hat hier das Rind nicht zu verdrängen vermocht-
Somit, dürfen wir sagen, ist die Spanntiergrenze eine doch recht junge Erscheinung)
die erst durch die Verwendung des Pferdes als Arbeitstier im Norden entstanden ist*
V.
Wenn wir also eine Erklärung für die Erscheinung der Spanntiergrenze suchet1
wollen, müssen wir eine Antwort auf die Frage finden, wie es möglich war, daß in1
Norden — und nur dort! — das Rind als altbewährtes Arbeitstier vom Pferd ver-
drängt werden konnte.
Der kenntnisreiche und wegen der Exaktheit seiner Angaben bekannte KARh
Rhamm71) berichtet, daß in dem „Strich von Ülzen gegen die Elbe hin“, also iff1
Hannoverschen Wendland, der Mecklenburgische Haken „regelmäßig“ von Ochset1
gezogen werde. Dagegen sei das Pferd im gleichen Gebiet Spanntier vor deU1
Pflug72). (Eine interessante Parallele können wir aus Estland, ebenfalls einem altet1
Rinderzuggebiet, anführen: Nach MANNINEN sei früher in Gesamtestland außef
dem südöstlichen Setumaa mit Ochsen gepflügt worden. In neuerer Zeit dagegen
werden sie nur noch in Landstrichen gefahren, in denen mit einem einscharige11
Pflug73) gearbeitet wird).
Doch auch Pferde werden vor den Haken geschirrt: „Der Pferde-Haken . * *
hat. . . zwey Haupttheile, nämlich anstatt des Jochs einen Wagen, der mit deh1
Pflugwagen74) übereinkommt, und den Haken, welcher dem Ochsen-Haken gleicht
außer daß der Hakenbaum nur halb so lang ist, und auf dem Wagen liegt“75)'
Diesen interessanten Umstand bestätigen noch andere Reisende76) aus dieser Z^’
71) Karl Rhamm: DieGroßhufen derNordgermanen. Braunschweig 1905, S. 571, Anifl- x‘
72) Unter Mecklenburger Haken haben wir bekanntlich den Wühlpflug (nach KoTflÜ
und unter Pflug den Bodenwendepflug zu verstehen.
73) Sicher ist auch hier ein Wühlpflug gemeint.
74) Gemeint ist das Radvorgestell.
75) Anton Friedrich Büsching: Beschreibung seiner Reise von Berlin nach KyfltZ
in der Prignitz. Leipzig 1780, S. 212.
76) Krünitz, Encyclopädie, Bd. XXI/1780, S. 227 und v. Boddien, Mecklenburgisch^
Haken, S. 20 ff.
Jochgeschirr- und Spanntiergrenze
141
und Leser betont noch einmal ausdrücklich die Verbindung des Radvorgestells
arri Haken mit dem paarigen Pferdeanspann77).
Ha nun das Radvorgestell Kennzeichen eines neuen Pflugtyps, eben des Boden-
XVendepfluges78) ist, dürfen wir annehmen, daß der Pferdeanspann zumindest im
°tden mit der Einführung des neuen verbesserten Pfluges einhergeht. Das heißt:
‘°denwendepflüg, Radvorgestell und Zugpferd gehören zusammen™).
Wir haben an anderer Stelle80) nachzuweisen versucht, daß das Pferd im einfachen
Widerristdoppeljochanspann zu schwerer Arbeit nicht imstande war. Erst als man
5egann, das Widerristdoppeljoch für Pferde entsprechend zu polstern, entwickelte
Slch daraus ein Geschirr, das wir Kummet nennen und das die volle Einbeziehung
des Pferdes in das Arbeits- und Wirtschaftsleben erst möglich machte81).
dem Kummet hängen aber noch weitere Verbesserungen der Anspann-
1()rrichtung zusammen: die Zugstränge (auch die Gabeldeichsel?) und das Ort-
zeit. Beide ersetzen weitgehend den langen starren Grindel am Pflug oder die
Heichsel am Wagen und machen das Zugobjekt beweglicher. Vor allem aber ermög-
Icht das Kummet und mit ihm die Zugstränge den Einzelanspann, der vorher
Slcher nicht bekannt war. Allein der letztere Umstand erscheint im Gegensatz zu der
herkömmlichen Doppeljochanschirrung so umwälzend, daß man durchaus mit
^AUdricourt-Delamarre82) sagen kann: „Colliers et palonniers avec ou sans
rancards, ont également remplacé ... le joug double en Allemagne du Nord . .
Nach den Untersuchungen HaudRICOURTs-DelaMARREs83) dürfte der Über-
§ang zur Kummetanspannung mit all ihren Folgerungen im 8. und 9. Jahrhundert
V°r sich gegangen sein, ein Zeitpunkt, der durchaus mit unserer Nachricht von
dctn auf den Lofoten mit Pferden pflügenden Ottarr zusammenfällt. Erste Bild-
^°kumente, die den Kummetanspann zeigen, sollen aus dem Anfang des 10. Jahr-
hunderts stammen84).
So bedeutend die Vorteile der neuen Anschirrmethoden, die ja doch vornehmlich
auf die Anwendung vom Zugpferd zugeschnitten waren, auch sein mochten, ist
S Leser> PfluS> S- ”3-
) Für die Zusammengehörigkeit von Radvorgestell und Bodenwendepflug spricht
Ilach Leser (Pflug, S. 529L und Anm. 143) die fast gleiche Verbreitung der Begriffe „Pflug“
. >>Radvorgestell“. Die Vermutung läge nahe, daß das Wort „Pflug“ nicht etwa „Pflug
11 Streichbrett oder Beetpflug“ bedeutete, sondern allein „Pflug mit Radvorgestell“. „Was
W1 Pflug auf fällt, ist nicht das Streichbrett oder die halbe Schar, sondern sind die Räder,
j s 2eigen ebenso die Namen carucca — charrue . . . wie Dutzende von Reisebeschreibungen,
tV ^enen vom Pflug lediglich die eine Eigenschaft berichtet wird, ob er Räder hat oder
glcut. Das Auftreten des Radvorgestells könnte am ehesten . . . den Anlaß zu einer neuen
^nnung gegeben haben.“
) Uber die Bedeutung des Radvorgestells für die Entwicklung des Pfluges vgl. die
^Uesten, grundlegenden Forschungen von Haudricourt-Delamarre: L’homme et la
arrue à travers le monde. In: Géographie humaine, Tome 25, Paris 1955- (Im folgenden
J* als: Haudricourt-Delamarre, Charrue.)
Jacobeit, Pferdeanspannung, S. 17ff.
) Uber das Sielengeschirr vgl. ebenfalls Jacobeit, ibid. S. iyff.
83( Haudricourt-Delamarre, Charrue, S. 179.
) Ibid.
S. 178.
) Ibid., S. 178.
Wolfgang Jacobeit
142
die Verdrängung des Widerristdoppeljochs und damit die des Zugrinds relativ
langsam vor sich gegangen. Fanden wir doch noch an einigen Orten Nordwest'
deutschlands85) durchaus noch Erinnerungen an die alte Anspannungsweise86). Wh
werden mit dem Überwiegen des PferdeanspannsimNorden unseres UntersuchungS'
raumes also erst im Laufe des hohen und späteren Mittelalters rechnen müssen.
Haben wir nunmehr festgestellt, daß es technologisch verbesserte und praktisch-
einfachere, verwendungsreichere Anschirrmethoden — zusammen mit der Ein'
führung eines weit entwickelteren Pflugtyps — waren, die den norddeutschen
Bauern veranlaßten, das Pferd an Stelle des herkömmlichen Zugrindes zu vef'
wenden, müssen wir doch fragen, warum im Raum südlich der Mittelgebirge die
neuen Errungenschaften, die dort doch auch Eingang fanden, keine solche Um'
Wälzungen, die ein seit vielen Jahrhunderten bewährtes Arbeitstier allmählich bei'
seite drängten, hervorriefen.
Wir sahen, daß im südlichen Raum auch heute noch vorwiegend mit Zugrindern
unter Kopfzuggeschirren gearbeitet wird. Diese Geschirrform war, wie wir bei der
Besprechung der einzelnen Jochformen bemerkten, besonders gut geeignet für das
Fahren im bergigen Gelände. Diesen Vorteil vermag selbst das Pferd mit seiner
besseren Kummetanspannung nicht aufzuheben. Ganz sicher liegt in dieser Tatsache
ein wesentlicher Grund dafür, daß das Zugrind hauptsächliches Arbeitstier südlich
der Mittelgebirge blieb. Selbstverständlich wurde der Vorteil des Einzelanspanns
auch auf die Rinder übertragen, indem man mancherorts einfach die Doppeljochc
zersägte87) oder allmählich neue Einzeljochformen schuf, die freilich nach wie vor
der Eigenart von Kopfzuggeschirren entsprachen. Also auch hier wurde — wenn
auch indirekt — die Doppeljochanspannung durch die Errungenschaften der Zug'
pferdanspannung verdrängt.
Aber noch ein anderes Moment, das der Ausbreitung des Zugpferdes im Süden
Deutschlands entgegenwirkte, mag mitgespielt haben: Bekannt ist das Sprichwort)
daß die Kuh das Zugtier des kleinen Mannes sei. Tatsächlich deckt sich die Zugkuh'
haltung (siehe Abb. 12) im wesentlichen mit dem Verbreitungsgebiet bäuerlichet
Kleinbetriebe besonders in Südwest-Deutschland. In den ostelbischen Gebieten
früherer Latifundienwirtschaft hält man dagegen keine Arbeitskühe. ,,Das Zn'
schneiden der Siedlerbetriebe auf Zugkuhhaltung hat sich darum in diesen Gebieten
fast durchweg als Fehlschlag erwiesen, weil die Siedler von ihren alteingesessenen
Berufsgenossen nicht als ebenbürtig angesehen wurden und daher über kurz odcf
lang auch zur Pferdehaltung übergingen. Es soll. .. Gemeinden geben, wo ein
Bauer, der ein paar Pferde besitzt, sich nicht mit einem ,Kuhbauern4 an einen Tisch
setzt88).“
85) Vgl. unsere Besprechung der PESSLERschen Geschirrverbreitungskarte.
86) Sehr interessant ist hierfür auch ein Beispiel, das Haudricourt-DelamaRR®'
(Charrue, S. 179) geben: Im französischen Département Puy de Dôme bezeichnen Dialekt'
ausdrücke die alte Jochanspannung, während die „moderne“ nur neu-französische Tertnic1
kennt.
87) M. Lohss: Beiträge aus dem landwirtschaftlichen Wortschatz Württembergs. I*1,
Wörter und Sachen, Beiheft 2, 1913, S. 90.
88) Walter, Zugkühe, S. 216.
Jochgeschirr- und Spanntiergrenze
143
Welche Folgerungen können wir hieraus ziehen?
Für den Klein- und Mittelbauern Süddeutschlands war das Pferd trotz der Vor-
teFe, die es in mancher Hinsicht mit sich brachte, ein zu kostspieliger Arbeits-
flüsse. Das Zugrind ist für ihn weit rentabler gewesen.
Norden dagegen konnten sich der große Bauer und der Großgrundbesitzer
°hne Risiko für die Rentabilität ihres Betriebs durchaus das „neue“ Pferd leisten,
Ja es konnte sich in diesen Gebieten als Arbeitstier erst richtig entwickeln und mit
lhm die verbesserten Anschirrungsmethoden.
Öaß der reiche Bauer des nördlichen Raumes voll Verachtung auf den kleinen
’’Kuhbauern“ herabsah bzw. in der Zugkuhhaltung ein Zeichen der Armut und
ürftigkeit sah, liegt auf der Hand.
Nur andeutend wollen wir in diesem Zusammenhang erwähnen, daß das deutsche
af nmaterial, wenn wir es auf das Vorkommen von Rind und Pferd als Zugtier
Versuchen, folgendes ergibt: Das Pferd erscheint in den einzelnen Motiven fast
ausschließlich als Spanntier des „Bösen“ und des hoffärtigen Reichen. Dagegen ist
as Rind Zugtier der Heiligen und des frommen armen Mannes. Es müßte näher
Versucht werden, ob sich die so unterschiedliche Charakterisierung beider Tiere
nicht aus der oben genannten soziologischen Gegensätzlichkeit zwischen dem Groß-
grundbesitzer und dem „Kuhbauern“ ergibt. In diesem Sinne könnte auch die Sage
a^s Ausdruck der Volksmeinung zur Erklärung und Deutung der Spanntiergrenze
mit herangezogen werden89).
VI.
Ausgehend von den zwei charakteristischen Jochformen mit ihren Varianten
lallten wir fest, daß Widerristjoche im Norden, Kopfzuggeschirre im Süden unseres
aUmes verbreitet sind.
Wir fanden weiter, daß sich die Grenze der Zugkuh- und Zugochsenhaltung und
e der Verbreitung von Pferd und Rind als Zugtier mit unserer Jochgeschirrgrenze
deckt. Es lag also nahe, in der Erscheinung dieser Übereinstimmung gewisse
"Usammenhänge zu suchen. Tatsächlich glaubten wir feststellen zu können, daß:
a) im Gefolge des Bodenwendepfluges zumindest im Norden als neue Errungen-
schaft das Pferd als Arbeitstier mit verbesserter Anschirrweise (Kummet, Zug-
stränge, Ortsscheit) erscheint.
) üas bedeutet ein Zurückdrängen des Rinderanspanns und des „veralteten“
Widerristdoppeljochs.
c) ^ Süden gelang es dem Pferd als Arbeitstier nicht, das Zugrind zu ver-
drängen, weil die Vorteile der Kopfzuggeschirre beim Fahren in dem dort
Vorwiegend bergigen Gelände größer waren.
'') Üie Vorteile der verbesserten Pferdeanspannung zeigten sich hier hauptsäch-
lich in der Beseitigung der Doppeljoche bei gleichzeitiger Neuschöpfung von
Einzeljochen nach dem gleichen Wirkungsprinzip der Kopfzuggeschirre. 1
1 Jacobeit, Joch, Kap. VII.
144
Wolfgang Jacobeix
e) Schließlich glaubten wir, daß bei der Herausbildung der drei sich gleichende11
Grenzverläufe der soziologische Gegensatz zwischen dem „Kuhbauern“ 1111
Süden und dem Großgrundbesitzer im Norden eine gewisse Bedeutung habe-
Abschließend ist es notwendig zu betonen, daß noch viel zu wenig Material
greifbar ist, um einmal den Verlauf der genannten Grenzen über Deutschland hinaus
verfolgen und feststellen zu können, ob sich unsere Theorien dann bestätige*1
werden.
Wir glauben aber mit unserer Untersuchung dargetan zu haben, daß es noch
nicht an der Zeit ist, globale Verbreitungskarten über Rind und Pferd als Zugtie*
zu entwerfen, wenn selbst im mitteleuropäischen Raum die Verhältnisse noch
schwer zu überschauen sind.
Quellenverzeichnis zu den Abbildungen
1. Ochsen im Widerristdoppel joch (nach Steinmetz, Kuhanspannung, S. 49, Abb. 19)'
2. Demonstration einer Rinderanspannung unter einem Genickdoppeljoch (nach RichaRU
Braungart, Urgeschichtlich-ethnographische Beziehungen an alten Anspanngeräthefl-
In: Archiv für Anthropologie 26/1900, S. 1013fr., S. 1022, Abb. 1. (Im folgenden zitieü
als Braungart, Anspanngeräthe.)
3. Stirndoppeljoch (nach Hugo Werner, Die Rinderzucht. Berlin 1912, S. 748, Abb. 102)-
4. Oberpfälzer Stirnjoch (nach Steinmetz, Kuhanspannung, S. 74, Abb. 31).
5. Hörnerjoch (nach Haudricourt-Delamarre, Charrue, Taf. II, Abb. 5).
6. Rinder unter einem Widerristdoppeljoch mit Vorrichtung zum Bergab- bzw. Rückwärt?'
fahren aus Meran/Südtirol (nach Braungart, Anspanngeräthe, S. 1033, Abb. 18 und 19)'
7. Widerristdoppeljoch aus dem schwedischen Östergötland mit Vorrichtung zum Bergab'
bzw. Rückwärtsfahren (ibid. S. 1041, Abb. 26).
8. Mischform zwischen Widerrist- und Genickdoppeljoch aus Wackersberg/OberbayeV
(nach Richard Braungart, Die Südgermanen, Heidelberg 1914, S. 270, Abb. 115)-
9. Verbreitung der Kuhgeschirre in Deutschland (nach Steinmetz, Kuhanspannuflih
S. 56, Karte 6).
10. Jugo ornamentado aus der Provinz Minho/Portugal (nach Helmuth Theod0*1
Bossert, Volkskunst in Europa. Berlin 1938, Taf. 48, Abb. 3). .
11. Mischform zwischen Widerrist- und Genickdoppeljoch aus Taveiro bei Coimbra/
Portugal (nach Fritz Krüger, Die nordwestiberischc Volkskultur. In: Wörter ui>
Sachen 10/1927, S. 45fr., S. 52, Abb. 5d). ,
12. Verbreitung der Zugkühe in Deutschland (nach Barthel Huppertz, Räume tu*
Schichten bäuerlicher Kulturformen in Deutschland, Bonn 1939, Karte XIX).
13. Verbreitung der Zugochsen in Deutschland (ibid., Karte XX).
Ingeborg Weber-Kellermann — Berlin
Volkstheater und Nationalfestspiel bei Gottfried Keller*)
„So manchen guten Mann wir unser nennen,
Die Quelle seines Wertes springt im Volke,
Und was er ist, dankt jeder dieser Quelle.“
Gottfried Keller.
Die Volkskunde sollte sich weit mehr als bisher auch der Werke der Individual-
kunst bedienen, um zu ihrem Ziel der Wesenserkenntnis sozialer Gruppen zu ge-
angen. Bestimmte Kunstwerke als Quellen auszuschöpfen, ist nur ein Seitenweg
solcher Bemühungen, die notwendig das Gesamtbild des Künstlers in ihre Be-
achtung einbeziehen müssen. Man wird zu erkennen suchen, wie weit nun das
Erscheinungsbild eines Einzelindividuums eingetaucht sei ins Meer des ihm zu-
gehörigen Gemeinschaftsbewußtseins, wie dann aus diesen Wassern Gestaltungs-
WlUe und Farbkräfte aufsteigen und sich beleben. Der Künstler selbst kann uns auf
solche Weise zum volkskundlichen Untersuchungsobjekt werden, und die Ver-
strebungen zwischen der Traditions Verwurzelung seines natürlichen und geistigen
Herkommens und den gestalteten Bildern seines künstlerischen Ingeniums ver-
täten uns dann spannungsreich die Linien eines Weges, auf dem sich das Volks-
tümliche zum Kunstwerk erhöht.
Vielfache Ansätze zu solchen Untersuchungen liegen bereits vor. Es sei hier nur
auf Leopold Schmidts letzthin erschienene STIFTER-Arbeit hingewiesen1), in
^er auch er sehr energisch vor allen Interpretationen warnt, die die Werke der
Dichter als untrügliche volkskundliche Quellen auszudeuten suchen. Die Viel-
Schichtigkeit des Volkskundlichen im Bereiche der hohen Kunst an einem Beispiel
*Us dem Schaffen GOTTFRIED KELLERS zu untersuchen, seinen Vorstellungen von
oikstheater und Nationalfestspiel nachzugehen, ist die Aufgabe der folgenden
Seiten.
Neben Jeremias Gotthelf galt und gilt vor allem Gottfried Keller als
v°rzüglicher Kenner und Schilderer schweizerischen Volkslebens. Er war ein
Nann des Volkes im echtesten Sinne dieses abgegriffenen Wortes. Durch sein Her-
kommen aus bescheidenen Verhältnissen bestimmt und aus seiner tiefen Verbunden-
^ *) Für manche Anregung zu diesem Aufsatz sei meinem verehrten Lehrmeister Prof.
r- Wilhelm Fraenger vielmals gedankt.
^ ) Leopold Schmidt: Volkskundliche Beobachtungen Adalbert Stifters. In: Adalbert
TifTer Almanach für 1953, S. 86—108.
Volkskunde
146
Ingeborg Weber-Kellermann
heit mit dem Schweizervolke ergriff er 1848 leidenschaftlich Partei für die Sache der
Revolution, was besonders aus dem Briefwechsel mit dem befreundeten Literar-
historiker HETTNER deutlich wird. Er war im tiefsten Innern seines geraden und
anteilnehmenden Wesens ein Demokrat, wenn auch ohne spezielle politische Aktivi-
tät oder intellektuelle Spekulation, wie man sie zuweilen für die auf die mißglückte
Revolution folgenden Jahre in das Kellersche Leben hineininterpretieren wollte.
Wie tief ihn die Aufstände des Revolutionsjahres berührten und wie sehr er sie als
„unerschöpfliche Quellen“ für den Künstler betrachtete, geht aus folgender Stelle
seines Aufsatzes über die Romantik hervor2 *):
„Die Junitage zu Paris, der ungarische Krieg, Wien, Dresden, und vielleicht auch Venedig
und Rom, werden unerschöpfliche Quellen für poetische Produzenten aller Art sein. Eine
neue Ballade sowohl wie das Drama, der historische Roman, die Novelle werden ihre Rech-
nung dabei finden. Daß man sie aber auch unmittelbar am Leben selbst findet, habe ich nun
in der badischen Revolution gesehen. Wie ,deutsch4 eigentlich nichts anderes heißt als volks-
tümlich, so sollte auch ,poetisch' zugleich mit inbegriffen sein, weil das Volk, sobald es Luft
bekommt, sogleich poetisch, d. h. es selbst wird. Als die Waffenvorräte aus Karlsruhe und
Rastatt nach den Pfingsttagen durch das ganze Land verbreitet wurden, kamen große Züge
Landvolk in die Städte, um sie in Empfang zu nehmen; da glaubte man öfter wandelnde
Gärten zu sehen, alle Hüte und die Mündungen der Gewehre waren mit den ersten Mai-
rosen und andern roten Blumen vollgesteckt, so daß ganze Straßen von Blumen wogten,
und darunter hervor tönten die Freiheitslieder. Andere Züge hatten sich mit grünen Zweigen
und Farrenkräutern geschmückt, so daß man gleich Macbeth den Birnamswald nahen zu
sehen glaubte. Einem solchen marschierenden Park ging ein Jüngling mit einer Kinder-
trommel, einem anderen ein alter lustiger Geiger voran. Nach und nach verschwand dies
liebenswürdige Volk wieder, um sich in den Gemeinden einzuüben; dafür erschienen aber
bald die geordneten Bataillone, die Offenburger Volkswehr und Freischaren. Die Blumen
waren zwar weg, aber die keckste malerische Tracht und Behabung in der größten Mannig-
faltigkeit da: Der Turnerhut in der größtmöglichsten Auswahl von Aufstülpungen und mit
Bändern aller Art geschmückt, die blaue Bluse, dreifarbig oder rot gegürtet, Ränzel und
Bündel in den kühnsten Lagen an Hüften und Rücken, kampflustige, frohe Gesichter und
bei alle dem Durcheinander eine feste kriegerische Haltung, nur durch den feurigsten Willen
so bald erworben, machten viele dieser Scharen zu einem Paradiese für Maler und Roman-
Schreiber ... Es gab köstliche Gruppen, wo man stand und ging. Da halten einige Führet
zu Pferd, etwa Metternich und Böhning, der erstere jung, den braunen Bart bis auf die
Brust, in Reiterstiefeln und Lederhose, Bluse und Hut, der zweite ein alter Philhellene mit
grauem, herrlichem Bart und fliegenden grauen Locken, ebenfalls in der Bluse; zu Fuß
stehen andere Offiziere bei ihnen, auf schwere Säbel gestützt, mit roter wallender Feder und
breiten Feldbinden, und nicht weit davon endlich als Schildwache ein dünner spitziger»
aber entschlossener Schneidergeselle, eine zerrupfte Hahnenfeder auf dem alten Seidenhut,
begeistert salutierend.“
Keller kannte und verstand das Volk also sehr genau. Er spürte die solchen
volkstümlichen Szenen innewohnende natürliche Poesie, die in harmonischem Zü'
sammenklang von äußerer Gestalt, Bewegung und innerem Lebensgefühl in Augen'
blicken erhöhten Eigenbewußtseins ihren selbstverständlichen Ausdruck fand. Ans
diesem Wissen prägten sich bei Keller feste Vorstellungen von Wesen und Auf'
gaben eines echten Volksdichters, der nur zu sehen und dann zu formen brauche»
was sich an Schönheit und Würde im Volke selbst darstelle, was es durch sein eigene5
2) Die Romantik und die Gegenwart. Gesamtausgabe der IvELLERschen Werke b. Bcnteh»
Berlin (1926—1948), Bd. 22, S. 311 ff. (Im folgenden zitiert: Gesamtausgabe.)
Volkstheater und Nationalfestspiel bei Gottfried Keller
147
und Lassen dem aufmerksamen und liebevollen Betrachter nachwiese. In der
^rühmten Besprechung der Werke des JEREMIAS GOTTHELF, die der erst Dreißig-
jährige 1849 4n den Blättern für literarische Unterhaltung (Nr. 302 — 305) veröffent-
lichte, hat er diese Gedanken klar ausgesprochen3):
>>Denn vieles, was man für ursprünglich volkstümlich hält, die Lust an allerlei gepfeffer-
eiU Abenteuer- und Sagenspuk, ist ebenfalls nur ein Hinzugekommenes und in den tiefen
ürundschichten und Spalten länger Hängengebliebenes. Es ist sehr natürlich, daß der
Gorres des neunzehnten Jahrhunderts dasjenige für urvolkmäßig und ewig erkläre, was
Cln Görres des zehnten Jahrhunderts ausgestreut hat; aber nicht so natürlich ist es, daß
Wlr andern Leute darauf schwören. Und was vor tausend Jahren da oder dort volkstümlich
gewesen sein mag, ist es jetzt nicht mehr. Das Volk streift zeitweise alte geborstene Rinden
y°n sich ab, und man wird vergebens diese Bruchstücke trocknen, zu Pulver stoßen, und
'hrn wieder unter die Nahrung mischen wollen; sie werden entweder sogleich ausgespieen,
°der die gute Natur hilft sich durch Geschwüre und Ausschläge.
Ewig sich gleich bleibt nur das, was rein menschlich ist, und dies zur Geltung zu bringen,
lst bekanntlich die Aufgabe aller Poesie, also auch der Volkspoesie, und derjenige Volks-
richter, der ein gemachtes Prinzip braucht, um arbeiten zu können, tut daher am besten,
die "Würde der Menschheit im Volke aufzusuchen und sie demselben in seinem eigenen Tun
Und Lassen nachzuweisen. Gelingt ihm dies, so erreicht er zugleich einen weitern Zweck
und deckt eine Blöße im Getriebe der Kultur.“
Solche reifen und klaren Erkenntnisse, die bestimmend für die Verarbeitung von
"Volkstümlichen Stoffen in Kellers dichterischem Werk wurden, bewahrten ihn
v°n Anfang an vor aller sentimentalen Volkstümelei, die sich noch dazu mit päd-
agogischen Tendenzen in Richtung auf die ethische Bildung des Landvolkes zu
"Verbrämen suchte. Auch Keller verband „die Freude am Lande mit einer heil-
samen Kritik“, wie er 1860 an AUERBACH im Zusammenhang mit seinen Leuten von
Seldwyla schreibt4). In der Konjunktur der Volkskalender, Volkserzählungen und
^ olksstücke, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts um sich griff, ist
man immer wieder an Keller herangetreten, um ihn für derartige Arbeiten und
^iele zu verpflichten. Was er selbst von solchen Bestrebungen hielt und wie genau
er echte Volkstümlichkeit und falsches Volkstümeln zu unterscheiden wußte, hat
er mehrfach deutlich ausgesprochen. So schreibt er in seiner Besprechung zu
^ BACHMAYRS Volksdrama Der Trank der Vergessenheit5):
»• • . Überdies hat dies Drama einen ethischen Wert. Indem es selbst aufrichtig die Wege
der Humanität und Aufklärung geht, zeigt es, wie diese fehlgreifen, wenn sie vornehm über
^as tiefe ursprüngliche Gemütsleben des Volkes wegschreiten und sich allein das richtige
Gefühl vindizieren wollen. Insofern ist hier allerdings Tendenz, aber eine noble; nicht eine,
^le mit beliebten Stichwörtern blind nach vorwärts läuft, sondern die einmal anhält, nach
ruckwärts schaut, das Gewonnene übersieht und mit sich selbst Abrechnung hält, ehe sie
nieder vorwärts schreitet. Und insofern hat es eine tiefe Bedeutung, daß in dieser Dichtung
gerade die Edelsten und Aufgeklärtesten Unrecht tun und die Armen und Einfältigen recht
vhalten, und die Auffassungsweise Bachmayrs muß eine ernste und ehrenhafte genannt
Werden.“
____ /
3) Gesamtausgabe Bd. 22, S. 43—117.
4) Gottfried Keller: Gesammelte Briefe. In 4 Bdn hrsg. v. Carl Helbling, Bern
1950/51 (im folgenden zitiert: Briefe), Bd. 3, II, S. 188/89.
5) Gottfried Keller, Gesamtausgabe Bd. 22: Aufsätze zur Literatur und Kunst.
35—42.
10»
148
Ingeborg Weber-Kellermann
Doch wandte er sich leidenschaftlich und im Vergleich zu seinem sonstigen
liebenswürdigen Wesen hart und eindeutig gegen alle Übertreibungen, die er vor
allem bei dem Repräsentanten einer gewissen Clique österreichischer Flüchtlinge,
einem Dr. EcKARDT in Bern, zu erkennen glaubte. Dieser
„betreibt eine so hyperpatriotische und überschweizerische philiströse Ruhmrednerei und
Duselei, daß unsereins sich ob solchem wahrhaft helotischen Gebaren schämen muß. Schreibt
man einen solchen Aufsatz in günstigem Sinne ins Ausland, so erscheint es, als ob man sich
zum politischen Muster für alle Welt aufstellen wolle . . .“6),
schreibt Keller an AUERBACH und erteilt auch jenem Dr. ECKARDT selbst eine,
wenn auch höfliche, so doch sehr eindeutige Absage. Weit weniger glimpflich ver-
fährt er mit dem „Volksstück“ eines Österreichers namens MOSENTHAL, der in
seinem Sonnenwendhof den GOTTHELFschen Stoff: Elsi, die seltsame Magd auf das
Unziemlichste verballhornte. „Nachdem er erst die Geschichte in steirische Jodelei
übersetzt hat, trug er mit eifrigster Wegwerfung aller guten und begründeten
GOTTHELFschen Motive ein melodramatischesEffektsammelsurium zusammen...“7).
Und empört schreibt Keller am 26. Juni 1B54 aus Berlin an den Freund HETT-
NER8):
„Neulich sah ich auch den ,Sonnenwendhof' von Mosenthal. . . . Nichts wird ver-
schmäht, was einem Guckkasten wohl ansteht. Was in der GOTTHELFschen Erzählung,
die Sie kennen, gut und dramatisch verwendbar war, hat er mit außerordentlicher Kunst
verhunzt und ins Gegenteil verkehrt. . . . Ein förmliches Armutszeugnis stellte er sich da-
durch aus, daß das ganze Stück im Dialekt geschrieben ist. Wer einen Volksstoff nicht io
die Schriftsprache übersetzen kann, sondern den Charakter in ,no schaun S’, i hob sie liab
ghobt' usw. suchen muß, der weiß überhaupt nicht, was ein Drama ist und sein soll, oder
kann wenigstens keines machen. Ich sah übrigens, wie die Leute bei pathetischen Stellen
lachten und sich nur an dem Sammelsurium von bunten Spielereien amüsierten. Obgleich
das Stück im österreichischen Gebirge spielt, trägt die eine Schauspielerin ein Berner Kostüm,
die andere ein Appenzeller, die dritte ein Tiroler, die vierte ein steirisches usf. Herdengeläute,
Alpenglühn, Milchessen, Jodeln (und zwar sehr schlecht und ungeschickt) und lauter
solche Dummheiten wechseln ab.“
Kellers schonungslose Kritik an allen Volksstücken, die in ihrem Charakter
echte Volkstümlichkeit und Menschlichkeit und in ihrem Aufbau wirksame Drama-
tik vermissen lassen, machte auch vor AUERBACH nicht halt. So sehr er ihn an sich
achtete und seine künstlerischen Intentionen anerkannte, so geht er doch mit
seinem Volksstück Andreas Hofer streng ins Gericht9):
„Ein Mensch aber, welcher nie das Maul auftut, als nur dann und wann zu sagen: Maio
Koaser! und dann wieder still ist und sich zuletzt erschießen läßt, der ist in meinen Augen
kein tauglicher Mitspieler in einer Haupt- und Staatsaktion. Meines Erachtens liegt die
Schuld hierin an einem affektierten Haschen Auerbachs nach schlagender Lakonik, Naivität
oder weiß der Teufel was, und es ist schmählich mißlungen.“
Später ist Keller der Werbung AUERBACHS folgend mit seiner Novelle Das
Fähnlein der sieben Aufrechten zum Mitarbeiter an dessen Volkskalender geworden,
aber gerade AUERBACHS allzu dick aufgetragene Volkstümlichkeit und sein Be-
6) Briefe, Bd. 3, II, S. 188.
7) Gesamtausgabe, Bd. 22, S. 43—117.
8) Briefe, Bd. 1, S. 400.
9) Briefe, Bd. 1, S. 317/18; an Hettner, Berlin, 29. Mai 1850.
Volkstheater und Nationalfestspiel bei Gottfried Keller
149
streben, Keller zum „Volkserzähler“ abstempeln zu wollen, waren es, die diesen
Zur allmählichen Auflösung der Beziehung trieb, so sehr er dem tüchtigen Manne
auch seine Achtung bewahrte und sich seine klugen und pädagogischen Erkennt-
russe über das Wesen des Volkes zu eigen machte10).
Das Interesse am Volksschauspiel, auf das wir später noch ausführlich zurück-
k°tnmen werden, mischte sich bei Keller mit dem Interesse am Drama über-
haupt. Immer wieder ist er als Kritiker und Beurteiler dramatischer Versuche von
den verschiedensten Seiten her bemüht worden und hat sich dieser Aufgabe mit
großer Sachkenntnis sowohl künstlerischer wie dramaturgischer und theater-
technischer Art unterzogen. Sein Briefwechsel bietet gerade für diese Seite seines
Lesens, die im allgemein bekannten Kellerbild gewöhnlich wenig Beachtung
findet, reiche Anhaltspunkte11).
Doch war es nicht nur die Anteilnahme an fremden zeitgenössischen dramatischen
Arbeiten, wie sie z. B. aus dem Briefwechsel mit dem befreundeten Literarhistoriker
und Dramatiker Emil PALLESKE her vor geht12). Gottfried Keller hat sich selbst
fest sein ganzes Leben lang mit dramatischen Plänen getragen und noch 1881
an seinen Verleger RODENBERG, den Herausgeber der Deutschen Rundschau, ge-
schrieben, er „führe von der Berliner Zeit her . . . ein paar Lustspiele als anonyme
Passagiere im Hirnkasten mit, die aber wohl nicht mehr aussteigen werden“13).
Daß Keller, der zu den größten Erzählern deutscher Zunge gehört, sich bis in
seine reifen Jahre recht eigentlich als verhinderten Dramatiker empfand und seine
P-oman- und Novellenschriftstellerei nur als notwendigen Ausweg zum Broterwerb
Wertete, gehört zu den merkwürdigen Umwegen und falschen Selbsteinschätzungen,
fiic uns zuweilen in Künstlerlebensläufen begegnen. Die entscheidende Anregung auf
dramatischem Gebiet empfing er während seiner Heidelberger Studentenzeit 1848/49
durch den dort lehrenden jungen Literarhistoriker HERMANN HETTNER, mit dem
Jhn ein Leben lang die herzlichste Freundschaft verband. In jenen bewegten Jahren
der politischen Gärung, der revolutionären geistigen Befruchtung durch einen
Afenn wie FEUERBACH entzündete sich Kellers empfängliches Gemüt leiden-
Schaftlich an den literarhistorischen Vorlesungen HETTNERs, die von SHAKESPEARE
Pfe Zur Gegenwart das Drama in seiner gesellschaftlichen Bezogenheit, in der
cfiarakterlichen Verstrickung seiner Helden untersuchte14). Hier begegnete Keller
10) Vgl. die Besprechung zu Jeremias Gotthelfs Werk (Gesamtausgabe, Bd. 22,
; 43'—117), in der er Auerbach ausdrücklich zitiert: „Das Volk liebt es nicht, sich seine
eigenen Zustände wieder vorgeführt zu sehen; seine Neugierde ist nach Fremdem, Fernem
Suchtet, wie sich das auch in andern Bildungskreisen zeigt. Erst wenn sich die Überzeu-
gung auftut, daß man in sich selbst neue Bekanntschaften genug machen kann, wenn höhere
I J^fehungen in dem alltäglich Gewohnten aufgeschlossen werden, lernt man das Alte und
heimische neu lieben.“
U) Briefe, Bd. 3, II, S. 15; 3. Mai 1830.
) Vgl. Gesamtausgabe, Bd. 22, S. 199ÍF.
l3) Briefe, Bd. 3, II, S. 387; Zürich, 8. April 1881.
^emeint ist wohl in erster Linie der Entwurf zu Jedem das Seine (Gesamtausgabe, Bd. 20,
,' *5 8-—168), der in Berlin entstand, um den Verfasser besser an die Theaterdirektoren
e*anzuführen.
) Hermann Hettner: Das moderne Drama. 1831.
150
Ingeborg Weber-Kellermann
der Grundidee, die für sein dramatisches Wollen entscheidend blieb: der Erneuerung
des Dramas durch Geschichte und Nationalbewußtsein.
Die fünf Berliner Jahre (1850 —1855) sind von dramatischen Plänen ganz erfüllt,
die jedoch neben dem politischen, leidenschaftlich empfundenen Rückschlag nach
der mißlungenen Revolution, der ständigen finanziellen Misere, neben mancher
menschlichen Enttäuschung und dem Mißbehagen inmitten des ihm fremden
Menschenschlages nur in einigen Entwürfen15) und in seinen Briefen ihren Nieder-
schlag finden. So vertröstet er den ihn dauernd wegen des Grünen Heinrich drängen-
den Verleger ViEWEG mit dem Hinweis auf ein kurz vor der Vollendung stehendes
Lustspiel, wofür ihn ViEWEG dann auch bereitwillig aus dem Vertrag beurlaubt16)-
Dem Züricher Regierungsrat Eduard SuLZER, dessen Vermittlung er seine Berlin-
Stipendien verdankte, und dem er ausführlich Rechenschaft über seine Tätigkeit
schuldete, schreibt er 1853 ebenfalls von seinem dramaturgischen Studium17). Und
auch dem Verlage BROCKHAUS, für dessen Blätter für literarische Unterhaltung et
gelegentlich Rezensionen verfaßte, berichtet er, daß er sich in Berlin aufhalte,
um sich „zu dramatischer Tätigkeit vorzubereiten“18). Freimütiger äußert er sich
1850 dem Freunde FERDINAND FREILIGRATH gegenüber über das Theater, das et
als seine „Hauptunterrichtsanstalt“ fleißig und kritisch besuche und das ihn iß
seinem dramatischen Vorhaben bestärke, noch vor seiner Heimreise „ein Stück iß
Deutschland zur Aufführung zu bringen“19). Fünf Jahre später schreibt er freilich
ein wenig resigniert und selbstironisch über die gleichen Ziele, die für ihn jedoch
immer noch weit über seinem sonstigen schriftstellerischen Schaffen stehen20).
Entscheidend gerade für diese Zeit ist Kellers geistesgeschichtlich hochinter-
essanter Briefwechsel mit HETTNER, welcher ihm anfänglich große Hoffnungeß
für seine Zukunft als Dramatiker machte21). Ihm gegenüber nun entwickelt Keller
seine Vorstellungen vom echten Volkstheater, die sich zunächst, wie überhaupt
seine dramatischen Intentionen, auf das Lustspiel beziehen:
„Was die künftige politische Komödie und ihr wahrscheinliches Hervorgehen aus def
jetzigen Lokalposse betrifft, so glaube ich Ihnen im vergangenen Jahre etwas darüber
gemeldet zu haben. . . . Gerade dies ist ein Gegenstand, ein Gebiet, in welches die Klassiker
vor fünfzig Jahren noch keine Aussichten hatten und ich bin überzeugt, daß, wenn wir
jetzt einen dreißigjährigen oder vierzigjährigen Goethe hätten, ja selbst nur einenWiELANß,
so würde dieser aus den vorhandenen Anfängen bald etwas gemacht haben. . . . Und was
das Beste und Herrlichste ist: Das Volk, die Zeit haben sich diese Gattung selbst geschaffen
nach ihrem Bedürfnisse, sic ist kein Produkt literarhistorischer Experimente, wie etwa die
15) Vgl. besonders Therese, Gesamtausgabe, Bd. 20, S. 121—157.
16) Briefe, Bd. 3, II, S. 58ff.; Berlin, 1852.
17) Briefe, Bd. 4, S. 345.
18) Briefe, Bd. 4, S. 32; Berlin, 29. 6. 1853.
19) Briefe, Bd. 1, S. 252.
20) Briefe, Bd. 1, S. 259; Berlin, im Oktober 1855.
Kellers dramatischer Nachlaß ist in Bd. 20 der Gesamtausgabe, S.ioiff., zusammen'
gestellt. Über sein dramatisches Schaffen vgl. den Kommentar des Herausgebers CarI/
Helbling in Bd. 20, S. 211—244, wo auch weitere Literatur zu diesem Thema angegeben
wird.
21) Briefe, Bd. 1, S. 340/41; Oktober 1850.
Volkstheater und Nationalfestspiel bei Gottfried Keller
151
gelehrte Aufwärmung des Aristophanes und ähnliches! Gerade deswegen wird vielleicht
re Bedeutung von den gelehrten Herren ignoriert, bis sie ihnen fertig und gewappnet,
Ule die junge Pallas, vor den Augen steht. In der gegenwärtigen Beschaffenheit der Possen
ragen vorzüglich zwei wichtige Momente hervor. Das eine ist die freie Willkür in der Öko-
nomie und die Allegorisierung politischer und moralischer Begriffe, aber in durchaus unsern
""ständen homogener Weise und nicht wie es z. B. Platen in blinder Nachahmung getan
1at. Dadurch wird der für die politische Komödie durchaus nötige göttliche Unsinn und
''"beschränkte Mutwillen wieder hergestellt. Das andere Moment ist die Verbindung der
J msik mit der Dichtung in den Couplets. Diese hat, wenigstens in ihrer jetzigen Bedeu-
tung, das Wiener Volk mit seinen obskuren Possendichtern erfunden und der Bühne ge-
Schenkt, und es ist weiter nichts dazu zu tun als reinere Poesie und ein tüchtiger Inhalt,
Reiches übrigens für das Ganze ebenfalls gilt. Die Weihe der Poesie wird von wahren
ichtern, welche den Willen und das Bedürfnis des Volkes darzustellen imstande sein
^ erden, gebracht werden und sicher nicht ausbleibcn, wenn der tüchtige Inhalt durch die
'"schichte verschafft wird. Gegenwärtig reitet man immer auf dem Philister und seiner
. Bsere herum, welches eben kein poetischer Stoff ist, und auf den Erbärmlichkeiten der
Jetzigen Politik, insofern die Polizei es erlaubt. Dies ist schon lohnender; jedoch wird der
'echte Stoff erst dann vorhanden sein, wenn die Völker frei, geordnete würdige Zustände
und wahre Staatsmänner und andere Träger der Kultur vorhanden sind. Alsdann werden
auch die Konflikte und Differenzen der Völkerschaften würdiger Art sein und einen tüch-
t'gen Inhalt für eine wahre Poesie abgeben. Denn im Theater über einen Lumpenhund zu
achen, ist nichts Erbauliches; erst wenn wirklich große, aber einseitige Staatsmänner,
großartige Dummheiten ganzer Völker, edle Philosophen, die sich in irgendein Paradoxon
'neingeritten haben, Gegenstand des dramatischen Spottes werden, wird auch die Posse
c'ne edlere Natur annehmen können und müssen.“22)
Was hier für die leichte Muse anklingt, was Keller an fruchtbaren Vorschlägen
für ein echtes volkstümliches Lustspiel zu machen weiß, verdichtet sich später zu
Se'nen großen Konzeptionen von einem wahren Nationaltheater.
18 51 hatte RICHARD WAGNER seine Schrift Ein Theater in Zürich veröffentlicht23),
111 der er die durch den Mangel eines stehenden Theaters hervorgerufenen Ver-
hältnisse mit dauernd wechselnden Truppen und Direktoren und einem höchst
züfälligen Spielplan bespricht. Angefeuert durch den Theaterhunger der Bevölke-
lung fordert er ein eigenständiges Schweizer Theater, das sich aus eigenen Kräften
zusammensetzen und erhalten könne, und führt dazu aus eigener Beobachtung aus:
»Die Kunst ist nur dann das höchste Moment des menschlichen Lebens, wenn sie kein
^°n diesem Leben abgetrenntes, sondern ein in ihm selbst nach der Mannigfaltigkeit ihrer
'Kundgebung vollständig Inbegriffenes ist. Wir sind dieser gesellschaftlichen Vermensch-
*"hung der Kunst oder dieser künstlerischen Ausbildung der Gesellschaft näher, als wir
Helleicht glauben, wenn wir nur unseren vollen Willen darauf verwenden; und gerade
"rieh soll mir den Beweis für diese Behauptung liefern. Die hiesigen Erziehungsbehörden
Hben cs sich bereits angelegen sein lassen, auch der Ausbildung des Körpers einen wich-
t'gen Anteil an der Entwicklung der Jugend zuzuweisen: technisch geleitete Turnübungen
nchrnen ihre Stelle neben dem wissenschaftlichen Unterrichte ein; Turnwettspiele sind an-
§e°rdnet, und der körperlichen Geschicklichkeit werden öffentlich Preise zuerteilt. Auf
c'Uer andern Seite sehen wir die weite Ausbreitung der Gesangvereine . . .: fast jede Ge-
meinde hat ihre Kräfte für den Gesang zu einer tief bildsamen Wirksamkeit vereinigt, der
nut noch eine Richtung auf das Dramatische zu geben ist, um ihre Bedeutung für die
22) Briefe, Bd. i, S. 353/54; Berlin, 4. März 1851.
23) Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen. Leipzig (Siegels Musi-
^abenhandlung), S. 20—5
2.
152
Ingeborg Weber-Kellermann
gemeinsame Bildung zu erhöhen. Bereits ist diese Richtung in einer Neigung des öffent-
lichen Lebens vorhanden; bei heiteren wie bei ernsteren Anlässen zu einer öffentlichen
Feier greift man ganz von selbst, und zwar in erster Linie zur Anordnung von Festzügen
in charakteristischen Trachten: Darstellungen aus dem Volksleben und aus der Geschichte,
mit großer Treue und sprechender Natürlichkeit ausgeführt, bilden den Hauptbestandteil
dieser Aufzüge. Noch entschiedener tritt die Richtung auf das Dramatische in der öffent-
lichen Volksbildung da hervor, wo in ländlichen Gemeinden von der Jugend sowohl wie
vom gereifteren Alter geradeswegs Schauspiele aufgeführt werden. Haben wir hierin eine
fortgeerbte uralte Volkssitte zu erkennen, so treffen wir dabei, was den Gegenstand wie den
Ausdruck der Darstellung anbelangt, mit Bestimmtheit bereits auf den Einfluß der modern
ausgebildeten Schauspielkunst auf dieses Volksspiel, der leicht verbildend und schädlich
einwirken könnte, wenn diese Kunst nicht selbst zu einer gesünderen Entwicklung ange-
halten würde, als dies jetzt der Fall ist.“
Solche Worte fanden naturgemäß den stärksten Widerhall in der Seele des jungen
Keller. Dem Musiker BAUMGARTNER, der ihm aus Zürich begeistert von seiner
Begegnung mit RICHARD WAGNER berichtet, antwortet er im September 1851 über
seine Lektüre der neuen Schrift:
„Richard Wagner habe ich schon in Heidelberg in seinen ersten Schriften kennen-
gelernt und seither alles mit großem Interesse verfolgt, was ich von ihm erfuhr, z. B. den
Aufsatz von Liszt über ihn. Sein Schriftchen über Ein Theater in Zürich habe ich mir
kommen lassen und mit Freuden gelesen, und obgleich es leider zunächst nicht viel Folgen
haben wird, so hat es doch meine schon früher gefaßte Hoffnung bestärkt, daß ich, nachdem
ich mir in Deutschland vielleicht einigen Erfolg und Erfahrungen erworben haben werde,
zu Hause nicht ganz abgeschnitten sei, sondern ein Feld zur Wirksamkeit in vaterländischer
Luft finden dürfte. Ich bin mit dem Schriftchen ganz einverstanden, nicht so mit den letzten
Konsequenzen von Wagners Ideen über die Kunst der Zukunft. Es versteht sich aller-
dings, daß alle Künste, dereinst noch in größerer Harmonie als jetzt, im Drama aufgeheo
werden und gewiß auch die Masse, das Volk selbst, sich beteiligen und selbst verklären
wird durch die Kunst.“24)
Es folgen dann allerdings einige Einschränkungen, die das „entschiedene Be-
dürfnis individueller Virtuosität im Einzelnen“ betreffen, ein neuer Beweis für
Kellers reife Bescheidung, die sich nie im Extremen verliert. Wie sehr ihn den-
noch gleichzeitig ideale Zukunftshoffnungen bewegten, in denen sich politisch-
demokratische Wunschvorstellungen mit ausschweifendsten dramatischen Plänen
vermengten, entnehmen wir einem vertrauten Briefe an den gleichgesinnten Freund
HETTNER, dem er diese großartigen Gebilde seiner wünschenden Phantasie an-
deutend zu offenbaren wagte:
„Wenn wir von den zu erwartenden großen Dichtern der Zukunft sprechen, so setzen
wir natürlich auch größere Zustände und eine gewaltige Geschichte voraus, was uns zwin-
gen wird, zugleich auch ein gebildetes und bewußtes Volk anzunehmen. Alsdann, glaube
ich, könnte da oder dort der Fall eintreten, wo ein Volk oder ein Stamm ein solches mit
seinem eigensten Sein durchwehtes Stück ruhmvoller Geschichte, getragen von großen
Personen oder Ereignissen, durchlebt hätte und es zugleich mit seinem ganzen Gemüte
empfände, daß der dramatische Abschluß und die poetische Verklärung ihm ein Bedürfnis
wäre. Dies Volk hätte dann gewiß so viel Bildung und geistige Ausdauer, daß es einen
solchen sein eigenes Schicksal kristallisierenden Zyklus entweder an hohen Festtagen
nacheinander aushalten oder sich bei jedem einzeln gegebenen Teile orientieren könnte,
indem ihm das Ganze immer geläufig wäre. Es kann natürlich nicht die Rede sein von einem
24) Briefe, Bd. 1, S. 294.
Volkstheater und Nationalfestspiel bei Gottfried Keller
153
grundsätzlichen und schulmeisterlichen Verfahren, sondern nur von der Berechtigung des
CInzelnen vorkommenden Bedürfnisses. Dieses Bedürfnis würde nur da ganz hervortreten,
eine Nation durch die behandelte Geschichte große errungene Wahrheiten und einen
8chönen Triumph über sich selbst wie über ihre Feinde im konzentrierten Lichtbilde genösse.
nun eine Monotragödie nicht ausreichte, müßte eben der Zyklus herhalten; denn ich
^’ürde mit Liebe ausgeführte Abschnitte einem gewaltsam zusammengepreßten und allzu
Vrnbolischen Dichtwerke vorziehen, welches auch weniger im Sinne des Volkes liegt.
P°ch ist dies alles noch in blauer Ferne, und ich möchte einzig ein theoretisches Schlupf-
3ch nicht ganz verstopft wissen, welches übrigens durch ein glänzendes Faktum bald wieder
^gestoßen ist.“25)
Diese Vorstellungen von einem großen nationalen Volkstheater haben Keller
Nachdrücklich beschäftigt und stimmten ihn äußerst kritisch und empfindlich gegen
Jeden falschen Ton in anderen Versuchen solcher Art, die damals in der Luft lagen.
So kritisiert er Emil PALLESKE gegenüber GUTZKOW, der „nicht von den eitlen
ausländischen Stücken lassen (könne). Es muß wohl schwer sein, das Einfache und
Notwendige zu treffen und aus dem Innern der Nation und seiner selbst heraus zu
arbeiten“26). Er bemängelt die politische Tragödie Slruensee von KARL MOREL,
eiuem anderen Schüler HETTNERs (i860)27). Und er wendet sich scharf gegen den
Schon erwähnten österreichischen Emigranten LUDWIG ECKARDT, den er einen
3>Vollendeten Marktschreier und falschen Propheten“ schilt, „der zudem gar keine
Kenntnis besitzt und einen ästhetischen und dilettantischen Schreibeschwindel ent-
facht unter dem Stichwort nationaler Kunst und Literatur!“ Empört und mit
Schneidender Kälte antwortet er auf eine Polemik EcKARDTs in einer Schweizer
Zeitschrift, in der jener offenbar sehr diktatorische Pläne für ein (Über-) National-
theater entwickelt hatte:
»Hier nur im groben meine Ansicht! Dergleichen Dinge dekretiert man nicht wie einen
hcldzug, schließt man nicht ab wie eine Verfassung, sondern die wahre Liebe dafür achtet
ln ihnen das Werden. Ich habe mich dramaturgischer Studien halber mehrere Jahre in Berlin
aufgehalten und vielfach über das schweizerische Theater nachgedacht. Seit ich zurück bin
Und das Leben unseres Volkes sehe, bin ich überzeugt, daß das, was möglich ist, früher
0<Kr später kommen wird und daß dazu bereits der Keim im Lande steckt.
Nur gilt, wenn irgendwo, auch hier die Regel, die stets bei aller Kunst galt (siehe Aristo-
teles): Erst das gewordene Werk und dann die Theorie. Sie aber wollen das Werk theore-
üsch erstehen lassen. So ist, um nur ein Beispiel anzuführen, eine Theaterschule unmöglich,
eine traditionelle Meisterschaft da ist. Diese setzt ein lebendiges, allmähliches Werden
Voraus und nicht ein Dekret. Das Dekret a priori hat stets nur die Pfuscherei gerufen.
Uas Dekret fällt am günstigsten in die Mitte einer Entwicklung, wenn sie stark genug ist,
Cluen bestimmten Charakter angenommen hat.“28)
Er verspottet die Tendenzen jener sich allzu nationalistisch gebärdenden Schrei-
berlinge in seinem ironischen Lied vom Mutz, als er ein schweizerisches National-
erer errichten wollte 29). Vielleicht war es seine Behutsamkeit allen organisch sich
eNtwickelnden Bestrebungen des Volkes gegenüber, die den Siebzigjährigen 2
2o) Briefe, Bd. 1, S. 359/60; Berlin, am 16. April 1851.
26) Briefe, Bd. 4, S. 39; Berlin, am 4. Dezember 1853.
27) Briefe, Bd. 4, S. 84.
28) Briefe, Bd. 4, S. 78.
) Gesamtausgabe, Bd. 15, II, S. 50L
Ingeborg Weber-Kellermann
154
schweigen ließ, als ihm ARNOLD Ott, der in Luzern praktizierende Arzt und be*
geisterte Dramatiker, sein Drama Konradin zur Begutachtung zuschickte. Ott hatte
es 1887/88 unter dem Eindruck der Meininger Theatervorstellungen in Basel ge'
schrieben in der Absicht, „Deutschland eine Gegengabe zu bieten für den ,TelÜ
eine Schilderung deutschen Heldentums und deutscher Treue für die Verherrlichung
schweizerischen Freiheitssinns“. So wählte er diesen „echt nationalen Stoff“30).
Er galt mit seinen Versuchen, „klassische Überlieferung mit den Tendenzen des
heimatlichen Volkstheaters zu verbinden, vielen als ein Erfüller des Traums von
einem schweizerischen Drama“ (HELBLING). Doch hat Keller das Richteramt
über seine Werke nicht auf sich genommen, vielleicht, weil er sich immer mehr in
die Einsamkeit zurückzog, vielleicht, weil seine Vorstellungen von einem nationalen
Schweizer Drama auf anderem Boden gewachsen waren.
Dieser Boden war für Keller zunächst einmal das Schweizer Festleben mit
seinen Volksschauspielen schlechthin. Die Frühlingsfeste der Schweiz mit ihren
farbenprächtigen Aufzügen, die bäuerlichen Volks Vergnügungen auf dem Lande
hatte er als Knabe ebenso kennengelernt wie die eifrigen Laientheaterbestrebungen
der städtischen Handwerkergilden. Seine innige, erlebnis- wie bildungsmäßige3l)
Bindung zum Volksschauspiel geht aus Werken und Briefen deutlich hervor.
So schildert er dem Freund JOHANN SALOMON HEGI ausführlich den Umzug
beim Züricher Sechseläuten32) und gibt der Nichte VARNHAGENs, LUDMILLA
ASSING, ein humorvolles Bild der Züricher altstädtischen Frühlingsfeste und der
Betriebsamkeit seiner Schweizer Landsleute, die „als ob sie nicht bereits Feste
genug hätten, begierig den Anlaß der Eisenbahneröffnungen (ergreifen), um gleich
ein großes Volksfest daraus zu machen, wo viele Tausende Zusammenkommen“33)-
Kellers Freude an derartigen Festen und Umzügen war einem weiten Freundes-
kreis bekannt; so sendet ihm der Schleswiger Verehrer PETERSEN die Schilderung
eines Holmer Fischerfestes, der sogenannten „Totengilde“34), hat doch Keller
selbst gerade den ständischen festlichen Begehungen, aber auch den Bemühungen
der Handwerkerzünfte um ihre eigenen Dilettantenbühnen große, wenn auch
lächelnde Aufmerksamkeit geschenkt. An den Frankfurter Rechtsanwalt SlEGMUND
SCHOTT schreibt er, es seien „jetzt in Zürich die jungen Gewerbsleute darauf ver-
sessen, Dialektstücke aufzuführen und eben solche Reimereien selbst zu verfassen,
die sich alle in einer gewissen Trivial-Realität bewegen“35).
Diese Gedanken finden sich an jener Stelle des Grünen Heinrich, da er das städtisch-
bürgerliche Vereins wesen der Handwerker darstellt, die Einwirkung des griechi'
sehen Freiheitskampfes auf ihre Gesinnungen, ihren Kosmopolitismus, ihr Theater-
30) Briefe, Bd. 4, S. 312.
31) Vgl. dazu z. B. seine Besprechung der Fastnachtspiele in Niklaus Manuel (Gesamt'
ausgabe Bd. 22, S. 212—228), der Rezension zu einer von Baechtold besorgten Ausgabe
der Schriften des Reformationsschriftstellers, die zu anschaulicher Farbigkeit gedeiht und
das Interesse des Rezensenten an derartigen Wechselreden und allegorischen Bildern verrät-
32) Briefe, Bd. 1, S. 2oof.; Zürich, 1. April 1843.
33) Briefe, Bd. 2, S. 44; Zürich, 21. April 1856.
34) Briefe, Bd. 3, S. 389; 14. Juni 1882.
35) Briefe, Bd. 4, S. 272/73.
Volkstheater und Nationalfestspiel bei Gottfried Keller
155
^esen mit der Freude am eigenen Gestalten und dem freudigen Opfern des Feier-
abends für die selbstgeformte Geselligkeit:
»Eine Menge Vereine wurden gestiftet, welche meistens irgendeine Versicherung
*um Wohle der Mitglieder und ihrer Angehörigen zum Zwecke hatten . . in zahl-
rejchen Zusammenkünften mußten Statuten aller Art entworfen, beraten, durch-
wehen und angenommen, Vorsteher gewählt und nach außen wie nach innen
Rechte und Formen erklärt und gewahrt werden . . Dazu kam, daß auch hier wie
überall der griechische Freiheitskampf die Gemüter erregte und auf die für die ganze
Menschheit entscheidende Sache der Freiheit hinwies. Von diesem Standpunkt aus
ergriffen sie SCHILLERS geschichtliche Werke und seine Dichtungen, welche sie
»ganz praktisch nachfühlten und genossen. Sie hatten die größte Freude an seinen
Gestalten und wußten nichts Ähnliches aufzufinden, das sie so befriedigt hätte . . .
Äber einfach und durchaus praktisch, wie sie waren, fanden sie nicht volles Genügen
an der dramatischen Lektüre im Schlafrock . . .“ Um sich ein leibhaftiges Bild des
Gelesenen zu vermitteln, spielten sie nun selbst Theater, da es damals in der Schweiz
n°ch kein stehendes Theater gab. Allerdings lag den meisten die praktische Seite
der Vorbereitungen mehr als die künstlerische, „und mancher suchte sich über den
Umfang seiner Arbeit selbst zu täuschen, indem er mit vergrößerter Kraft Nägel
einschlug und Latten entzweisägte.“ Doch brachten sie die Aufführungen schließ-
lich mit einiger Gewandtheit zustande. Wenn sie älter wurden, ließen sie dergleichen
Uinge wieder bleiben, behielten aber den Sinn für das Erbauliche durchaus bei.
Ms gesunde und naive Männer zergrübelten sie sich nicht über die Vorbereitungen,
sondern nutzten ungesäumt die Abendstunden von 7—10 Uhr: „Während des
^a.ges sah man keinen, oder höchstens flüchtig, und heimlich vor den Gesellen es
verbergend, ein Buch oder eine Papierrolle in die Werkstatt eines anderen bringen,
und sie sahen alsdann aus wie Schulknaben, welche unter dem Tische den Plan zu
einer rühmlichen Kriegsunternehmung zirkulieren lassen.“36)
Solch gesunde Naivität und Vereinsfreudigkeit hat Keller dann liebevoll in
seiner Novelle vom Fähnlein der sieben Aufrechten abgebildet und in diesem Zu-
sammenhang folgende Episode für mitteilenswert gehalten37):
>>Das Volk ist doch immer produktiv und gedankenreich, wenn einmal der Weg ein-
ßeschlagen ist; es birgt alle Ideen in seinem Schoße. Vor zwei Jahren hatten wir das eid-
genössische Sängerfest in Zürich, mit kostspieligen architektonischen Einrichtungen, und
hieß, die Fortsetzung in diesem Stile sei unmöglich für kleinere Orte. Trotzdem übernahm
hen, ein kleines Städtchen im Kanton Solothurn, das Fest, welches gestern und heute
°rt gefeiert wird. Wie halfen sie sich nun? Statt eine kostbare Architektur zu errichten,
^tülpten sie über die Festhütte ein riesiges Strohdach, bauten ein Storchnest auf den Giebel,
/achten Taubenschläge mit jungen Taubenflügen an und stellten lebendige Bienenkörbe
über die Türen, alles Dinge, die nichts kosten und einen prächtigen symbolischen Spaß
“bgeben, so daß die geübten Arrangeurs und Festtapezierer der größeren Städte ganz ver-
üfft sind.“
Mfie nun das Schweizer Volk seine Feste gestaltet, wie es „zur Erhöhung seiner
Mmhlingslust SCHILLERS Teil in fröhlichem Versuch auf offenen Dorfgassen, auf
) Gesamtausgabe, Bd. 3, S. 16 ff.
^ i7) An Auerbach, für dessen Volkskalender er die Novelle schrieb. Briefe, Bd. 3, II,
' 198; Zürich, 11. Juli 1860.
156
Ingeborg Weber-Kellermann
Matten und luftigen Höhen in die braune Hand genommen und keck aufgespielt“38)
hat, finden wir im Tellspiel des Grünen Heinrich breit ausgeführt39), einer Schilde'
rung, deren innere Poesie HETTNER gerade gegenüber dem weitläufigen Münchener
Maskenzug hoch zu loben wußte40). Lassen wir dieses in satten Farben leuchtende
Spiel an uns vorüberziehen :
„Einige Wochen nach Neujahr . . . erhielt ich vom Dorfe aus die Kunde, daß mehrere
Ortschaften jener Gegend sich verbunden hätten, dieses Mal zusammen die Faschings-
belustigungen durch eine großartige dramatische Schaustellung zu verherrlichen. Die ein'
stige katholische Faschingslust hat sich als allgemeine Frühlingsfeier bei uns erhalten und
seit einigen Jahren die derbe Volksmummerei nach und nach in vaterländische Auffüh-
rungen unter freiem Himmel verwandelt, an welchen erst nur die Jugend, dann aber auch
fröhliche Männer teilnahmen; bald wurde eine Schweizer Schlacht dargestellt, bald eine
Handlung aus dem Leben berühmter Helden, und nach dem Maßstabe der Bildung und
des Wohlstandes einer Gegend wurden solche Aufzüge mit mehr oder weniger Ernst und
Aufwand vorbereitet und ausgeführt. Einige Ortschaften waren schon bekannt durch die-
selben, andere suchten es zu werden. Mein Heimatdorf war nebst ein paar anderen Dörfern
von einem benachbarten Marktflecken eingeladen worden zu einer großen Darstellung des
Wilhelm Tell . .. Man legte der Aufführung Schillers Teil zugrunde, welcher in einet
Volksschulausgabe vielfach vorhanden war, darin nur die Liebesepisode zwischen BerTA
von Bruneck und Ulrich von Rudenz fehlte. Das Buch ist den Leuten sehr geläufig»
denn es drückt auf eine wunderbare Weise ihre Gesinnung und alles aus, was sie durchaus
für wahr halten . . . Weitaus der größte Teil der spielenden Schar sollte als Hirten, Bauern,
Fischer, Jäger das Volk darstellen und in seiner Masse von Schauplatz zu Schauplatz ziehen,
wo die Handlung vor sich ging, getragen durch solche, welche sich zu einem kühnen Auf-
treten für berufen hielten. In den Reihen des Volkes nahmen auch junge Mädchen teil, sich
höchstens in den gemeinschaftlichen Gesängen äußernd, während die handelnden Frauen-
rollen Jünglingen übertragen waren. Der Schauplatz der eigentlichen Handlung war auf
alle Ortschaften verteilt, je nach ihrer Eigentümlichkeit, so daß dadurch ein festliches Hin-
und Herwogen der kostümierten Menge und der Zuschauermassen bedingt wurde. . . De*
wichtige und ersehnte Tag brach an mit dem allerschönsten Morgen . . . Mit Sonnenauf-
gang . . . tönten Alpenhörner und Herdengeläute durch das Dorf herab, und ein Zug von
mehr als hundert prächtigen Kühen, bekränzt und mit Glocken versehen, kam heran, begleitet
von einer großen Menge junger Burschen und Mädchen, um das Tal hinaufzuziehen in die
anderen Dörfer und so eine Bergfahrt vorzustellen. Die Leute hatten nur ihre altherkömm-
liche Sonntagstracht anzulegen brauchen, mit Ausschluß aller eingedrungenen Neuheiten
und Hinzufügung einiger Prachtstücke ihrer Eltern oder Großeltern, um ganz festlich und
malerisch auszusehen, und der stärkste Anachronismus waren die Tabakspfeifen, welche
die Burschen unbekümmert im Munde trugen. Die frischen Hemdärmel der Jünglinge und
Mädchen, ihre roten Westen und blumigen Mieder leuchteten weithin in frohem Gewimmel-**
Von der Bühne in die freie Landschaft verlegt, nährt sich das Schauspiel dauernd
aus den Quellen des umgebenden natürlichen Volkslebens. Das darstellende Volk,
das in geschlossener Harmonie die vier ländlichen Stände der Bauern, Hirten, Fischef
und Jäger umfaßt, erscheint in seiner altherkömmlichen Sonntagstracht, „untef
Ausschluß eingedrungener Neuheiten“! Die verschiedenen Schauplätze der drama-
tischen Handlung werden von der Szenerie der zusammenwirkenden Ortschaften
selbst gebildet, während Alpenhörner, Herdengeläute und umkränzte Kühe im Vieh'
38) Am Mythenstein. Gesamtausgabe, Bd. 22, S. 121.
39) Gesamtausgabe, Bd. 4, S. 160 ff.
40) Briefe, Bd. 1, S. 392; Jena, am 19. Februar 1854.
Volkstheater und Nationalfestspiel bei Gottfried Keller
157
auftrieb ebenso anmutig wie sinnig den festlichen Tag eröffnen. Dieses Zusammen-
stimmen von natürlichem Verhalten des ländlichen Volkes und planvoller Dar-
stellung innerhalb eines Festspiels, dieses Ineinandermischen von eigenem realem
Sein und überhöhtem Anderssein im Spiel ist der bedeutungsvolle Reiz von Kellers
Schilderung und bietet sich sowohl äußerlich im Ineinanderwogen der kostümierten
Menge und der Zuschauer wie innerlich im Auftreten der einzelnen Darsteller selbst.
Moren wir weiter:
. j>Schnell begaben wir uns mit den bereitgehaltenen Weingefäßen und einer Menge Gläser
das Gewimmel, der Oheim und seine Frau mit großen Körben ländlichen Backwerks . . .
er Oheim schenkte unaufhörlich ein, seine Töchter boten die Gläser herum und suchten
le Mädchen zum Trinken zu überreden, während sie wohl wußten, daß ihr ehrsames
eschlecht am frühen Morgen keinen Wein trinkt. . . .
Vor dem Dorfe sahen wir es bunt und schimmernd von allen Seiten her sich bewegen,
y_nd als wir eine Viertelstunde weit geritten waren, kamen wir an eine Schenke an einer
feuzstraße, vor welcher die sechs barmherzigen Brüder saßen, die den Gessler weg-
^agen sollten. Dies waren die lustigsten Burschen der Umgegend; sie hatten sich unter den
utten ungeheure Bäuche gemacht und schreckliche Bärte von Werg umgebunden, auch
le Nasen rot gefärbt; sie gedachten den ganzen Tag sich auf eigene Faust hcrumzutreiben
^nd spielten gegenwärtig Karten mit großem Hallo, wobei sie andere Spielkarten aus der
^apuze zogen und statt der Heiligen an die Leute verschenkten. Auch führten sie große
foviantsäcke mit sich und schienen schon ziemlich angeglüht, so daß wir für die Feierlich-
st ihrer Verrichtung bei Gesslers Tod etwas besorgt wurden.
. Itn nächsten Dorf sahen wir den Arnold von Melchtal ruhig einem Stadtmetzger
Snen Ochsen verkaufen, wozu er schon seine alte Tracht trug; dann kam ein Zug mit
^r°mmel und Pfeife und mit dem Hut auf der Stange, um in der Umgegend das höhnische
^ csetz zu verkünden. Denn dies war das Schönste, daß man sich nicht an die theatralische
^•üischränkung hielt, daß man es nicht auf Überraschung absah, sondern sich frei herum-
ewegte und wie aus der Wirklichkeit heraus und wie von selbst an den Orten zusammen-
tlaf, wo die Handlung vor sich ging. Hundert kleine Schauspiele entstanden dazwischen,
^nd überall gab es etwas zu sehen und zu lachen, während doch bei den wichtigen Vorgängen
lc ganze Menge andächtig und gesammelt erschien.“
Mom breitgemalten Bild der bewegten Gruppen und der wogenden Menge wendet
s*ch nun der Beobachter zu den darstellenden Personen selbst. Wie SHAKESPEARE-
Sche Narren wirken die sechs barmherzigen Brüder, die den Gessler wegtragen
s°Hen und sich inzwischen mit Wein und Kartenspiel und vielerlei Scherzen auf
eigene Faust ihre Rollen ausschmücken.
Die Gestalten dieser sechs Mönche spielen übrigens schon in einem früheren
^ramatischen Entwurf Gottfried Kellers wohl aus dem Jahre 1846, Ein vater-
ländischer Schwank41), eine gewisse Rolle. Es handelt sich dabei um eine Satire auf die
Politisch-revolutionären Vorgänge der Jahre 1844/45, in denen Schweizer Frei-
schärler unter der geistigen Führung des liberalen Arztes Dr. ROBERT STEIGER
*e Regierung stürzen wollten, die die Klöster zu restituieren und das Unterrichts-
Vesen in die Hände der Jesuiten zu legen beabsichtigte. Kellers leidenschaftliche
Teilnahme an diesen Vorgängen zeigte sich sowohl in seinen Gedichten wie in
etn genannten Schwank, einer Parodie auf die Tellszene mit dem Hut auf der
tange (hier sind es zwei Stangen mit einem Jesuitenhut und einer Nachtmütze!),
:) Gesamtausgabe, Bd. 20, S. 106—114.
158
Ingeborg Weber-Kellermann
in der die sechs Klosterbrüder mit ihrem verlotterten Lebenswandel und ihre*
konservativen Borniertheit verspottet werden.
Diese Szene nun verarbeitet Keller in seiner Darstellung des Tellspiels t#1
Grünen Heinrich. Doch gab er ihr durch die Entfernung der politisch-aktuelle11
Bezogenheit eine neue Deutung. In die reale Lebenslust der jungen Spaß machet
mischt sich ein anderes, durch die Vermummung hervorgerufenes fastnächtliches
Freiheitsgefühl. So sprengen sie die Grenzen ihres Auftrages im Festspiel, wechseln
durch ihre Rollen als barmherzige Brüder hindurch in eine andere ungebundene
Gemeinschaft, kraft derer ihnen an diesem festlichen Tage alles erlaubt ist, an-
gefangen von der übertriebenen Verkleidung über Trunkenheit und Unfug bis zuf
Verspottung der Kirche.
Haben diese sechs also gewissermaßen einen doppelten Salto geschlagen, seit sie
aus ihrem alltäglichen Leben heraustraten, so befindet sich der Darsteller des
MELCHTAL noch mitten darin und nimmt sich die Zeit, bereits in seiner Festspiel'
tracht dem Metzger einen Ochsen zu verkaufen. Wir sehen- also: die Heldenrollei1
werden von bewährten Bauern gespielt, wodurch die Zuschauer keinen Widef'
spruch zwischen wirklichem Leben und Feierspiel empfinden, wodurch aber auch
vor allem die Darsteller ihre natürliche Würde in das Spiel hineintragen. Das güt
besonders für den Tell selbst, der nun unversehens mit seinem Knaben erscheint-
,,Es war ein berufener fester Wirt und Schütze, ein angesehener und zuverlässiger Man11
von etwa 40 Jahren, auf welchen die Wahl zum Tell unwillkürlich und einstimmig gc'
fallen war. Er hatte sich in die Tracht gekleidet, in welcher sich das Volk die alten Schweiz^
ein für allemal vorstellt, rot und weiß mit vielen Puffen und Litzen, rot und weiße Feder*1
auf dem eingekerbten rot und weißen Hütchen. Überdies trug er noch eine seidene Schärpe
über der Brust, und wenn dies alles nichts weniger als dem einfachen Weidmann angemessen
war, so zeigte doch der Ernst des Mannes, wie sehr er das Bild des Helden in seinem Sinn
durch diesen Pomp ehrte; denn in diesem Sinne war der Tell nicht nur ein schlichte*"
Jäger, sondern auch ein politischer Schutzpatron und Heiliger, der nur in den Farben des
Landes, in Samt und Seide, mit wallenden Federn denkbar war. Er trat mit seinem eigene*1
Knaben, der wie eine Art Genius aufgeputzt war, besonnen auf die Brücke . . . Die Bauet*1
ermahnte er, sich zeitig wieder einzufinden, um seinen Taten zuzusehen; uns Rittersleutc
aber grüßte er kalt und stolz, und er schien uns auf unseren Pferden für wirkliches Tyrannei*'
gesindel anzusehen, so sehr war er in seine Würde vertieft.“
Was Keller in seinen erwähnten Briefen des öfteren aussprach, was er für daS
Volk wünschte und was er im Volksspiel sah, das findet hier die eindrucksvoll^
Darstellung: der ehrbare Wirt sieht sich durch die Übertragung der Rolle seii*eS
nationalen Schutzpatrones innerlich und äußerlich erhöht. Und wie das Volk stets
ihm ganz selbstverständliche Sinnbilder für seine Gefühle findet ohne Ansehung
der historischen Richtigkeit, so erscheint auch er in einer Aufmachung, die nidlt
dem äußeren Bild des Bauern und Jäger Tell entspricht, wohl aber dem innere*1
Bild, das Darsteller und Zuschauer von ihrem Helden gemeinsam im Herze*1
tragen. Hier wird in seiner Dichtung Wahrheit, was Keller an BAUMGARTNÜ'
und HETTNER geschrieben hatte: daß das Volk in schöner Anwendung der ib*11
innewohnenden Poesie sich selbst verkläre durch die Kunst.
Noch weiter von der Realität entfernt man sich bei der Darstellung des Knabe*1’
der als „eine Art Genius“ geputzt wird. Doch empfindet man auch hier keiner^1
Volkstheater und Nationalfestspiel bei Gottfried Keller
159
Widerspruch zu Leben und Handlung, zumal der Junge später noch in der Apfel-
Schußszene völlig aus dem ernsten und tragischen Ablauf des SCHILLERschen
^rarnas ausbricht und vergnügt in die Gesetzmäßigkeiten der Fastnachtsscherze
^Verwechselt. Zunächst aber nimmt die Handlung des Festspiels ihren vorgeschrie-
Venen Verlauf:
>>Aus dem festlich geschmückten Marktflecken, der das Altdorf war, ritt soeben Herr
Essler hinaus, um in der Umgebung einige Untaten zu begehen. Dort erzählte man sich
auch, wie soeben auf der Landschaft dem jungen Melchtal die Ochsen vom Pfluge ge-
n°mmen, er flüchtig geworden und sein Vater gefangen sei; wie die Tyrannen überhaupt
lhren Spuk trieben und vor dem STAUFFACHERschen Hause merkwürdige Scenen statt-
§cfunden hätten vor vielen Zuschauern. Diese strömten auch bald zum Tore hinein, denn,
°°gleich nicht alle überall sein wollten, so begehrte doch die größere Zahl die ehrwürdigen
und bedeutungsvollen Hauptbegebenheiten zu sehen und vor allem den Tellschuß. Schon
^ahen wir auch aus dem Fenster des Rathauses die Spießknechte mit der verhaßten Stange
°rtimen, dieselbe mitten auf dem Platz aufpflanzen und unter Trommelschlag das Gesetz
^crkünden. Der Platz wurde jetzt geräumt, das sämtliche Volk, mit und ohne Kostüm, an die
eite verwiesen und vor allen Fenstern, auf Treppen, Holzgalerien und Dächern wimmelte
Je Menge. Bei der Stange schritten die beiden Wachen auf und ab; jetzt kam der Tell mit
^*nem Knaben über den Platz gegangen, von rauschendem Beifall begrüßt; er hielt das
cspräch mit dem Kinde nicht, sondern wurde bald in den schlimmen Handel mit den
chergen verwickelt, dem das Volk mit gespannter Aufmerksamkeit zusah . . . Wir (der
/EssLERsche Jagdzug) ritten nun unter Trompetenklang herein und fanden die Handlung
ln Vollem Gange, den Tell in großen Nöten und das Volk in lebhafter Bewegung und nur
geneigt, den Helden seinen Drängern zu entreißen. Doch als der Landvogt seine Rede
öcgann, wurde es still. Die Rollen wurden nicht theatralisch und mit Gebärdenspiel ge-
stochen, sondern mehr wie die Reden in einer Volksversammlung, laut, eintönig und
etwas singend, da es doch Verse waren; man konnte sie auf dem ganzen Platz vernehmen,
|Jnd wenn jemand, eingeschüchtert, nicht verstanden wurde, so rief das Volk: ,Lauter,
‘auter!‘ und war höchst zufrieden, die Stelle noch einmal zu hören, ohne sich die Illusion
stören zu lassen. So ging es auch mir, als ich einiges zu sprechen hatte.“
Auch hier wieder mischen sich im Bewußtsein der Darsteller wie der Zuschauer
Verschiedene Phasen: einmal sind sie vertieft in die dramatischen Vorgänge des
Schauspiels selbst, und eingetaucht in die Wirklichkeit ihrer Rollen empfinden sie
Unbill, die dem TELL geschieht, anteilnehmend mit. Andererseits aber bleiben
Sle ebenso ihrem alltäglichen Leben verhaftet. Als ernste Männer können und
Sollen sie sich nicht des Gebärdenspiels der richtigen Schauspieler bedienen,
s°ndern sie sprechen ihre Rollen in dem auf ihren Tagsatzungen gebräuchlichen
°n, was auch von den Zuschauern als durchaus passend und angemessen emp-
Wden wird.
Nun aber spielt plötzlich ein neues Element in das Tellspiel hinein, eine alte,
cieiR Jahreszeitbrauch zugehörige Bewußtseinsebene leuchtet auf:
>>Ich wurde aber glücklicherweise durch einen komischen Vorgang unterbrochen. Es
rjeben sich nämlich ein Dutzend Vermummte der alten Sorte herum, arme Teufel, welche
j^ciße Hemden über ihre ärmlichen Kleider gezogen hatten, ganz mit bunten Läppchen
Csetzt; auf dem Kopfe vor dem Gesicht ein durchlöchertes Tuch. Dieser Anzug war sonst
le allgemeine Vermummung gewesen zur Fastnachtszeit und in derselben allerlei Spaß
Utrieben worden; auch liebten die armen Butzen die neueren Spiele nicht, da sie in dieser
j^ltsarnen Maskierung sich Gaben zu sammeln gewohnt und daher für deren Erhaltung
egeistert waren. Sie stellten gewissermaßen den Rückschritt und die Verkommenheit vor
Ingeborg Weber-Kellermann
160
und tanzten jetzt wunderlich genug mit Pritschen und Besen umher. Besonders zwei der-
selben störten das Schauspiel, als ich eben reden sollte, indem sie einander am Rückteile
des Hemdes herumzerrten, welches mit Senf bestrichen war. Jeder hielt eine Wurst in der
Hand und rieb sie, ehe er einen Bissen tat, an dem Hemde des anderen, während sie fort-
während sich im Kreise drehten wie zwei Hunde, die einander nach dem Schwänze schnap-
pen. Auf diese Weise tanzten sie zwischen Gessler und Tell vorbei und glaubten wunder
was zu tun in ihrer Unwissenheit; auch erfolgte ein schallendes Gelächter, weil das Volk
im ersten Augenblick seinen alten Nücken nicht widerstehen konnte. Doch alsobald er-
folgten auch derbe Püffe und Stöße mit Schwertknäufen und Partisanen; die erschrockenen
Spaßmacher suchten sich unter die Zuschauer zu retten, wurden aber überall mit Gelächter
zurückgestoßen, so daß sie längs der fröhlichen Reihen kein Unterkommen fanden ... So
wurde ich meiner Rede enthoben. Dies störte übrigens nicht, da man gar nicht die Worte
zählte und manchmal sogar die ScHiLLERschen Jamben mit eigenen Kraftausdrücken ver-
zierte, so wie es die Bewegung eben mit sich brachte. Doch machte sich der Volkshumor
im Schoße des Schauspiels eben selbst geltend, als es zum Schüsse kam.' Hier war seit un-
denklichen Zeiten, wenn bei Aufzügen die Tat des Tell auf alte Weise vorgeführt wurde»
der Scherz üblich gewesen, daß der Knabe während des Hin- und Herredens den Apfel vom
Kopfe nahm und zum großen Jubel des Volkes gemütlich verspeiste. Dies Vergnügen war
auch hier wieder eingeschmuggelt worden, und als Gessler den Jungen grimmig anfuhr,
was das zu bedeuten hätte, erwiderte dieser keck: ,Herr! Mein Vater ist ein so guter Schütze,
daß er sich schämen würde, auf einen so großen Apfel zu schießen. Legt mir einen auf, der
nicht größer ist als Eure Barmherzigkeit, und der Vater wird ihn um so besser treffen!'“
Wie sich in die Schillerschen Jamben manch improvisierter Kraftausdruck ein-
schleicht, so in die ernste Handlung der Volkswitz, der ganz organisch zu dem alten
Frühlingsfest zu gehören scheint. Fast rührend nehmen sich die Fastnachtsnarren
aus, die mit ihren Flecklgewändern und derben Späßen den Geist der überlieferten
Fastnachtsmummerei und vor allem ihr Heischerecht aufrechterhalten wollen-
Auch die Zuschauer verfallen zunächst in ihre „alten Nücken“ und empfinden d*e
Narren durchaus nicht als Fremdkörper im Ablauf des feierlichen Tellspiels, so daß
sie eine ganze Weile ihre Späße unter Lachen und Beifall treiben können. Erst all-
mählich wendet man sich wieder der Handlung des Feierspieles zu, nicht ohne daß
auch auf dieser Ebene noch der Fastnachtsulk durch den Scherz mit dem Apfe^
ein wenig fortgesetzt würde.
So mischen sich harmonisch und für das Volk ohne ernsteren inneren Wider-
spruch die Elemente des brauchtümlichen Frühlingsfestes mit denen der feierliche*1
vaterländischen Schaustellung. Dann kommt diese jedoch in den folgenden große*1
Szenen wieder zu ihrem Recht. Der Darsteller des TELL ist sich in echter innere*
Erregung der Bedeutung seiner Rolle voll bewußt; und wie er die eigene Würde
in die Rolle seines Helden verpflanzt, so übertragen die Zuschauer wiederum d*e
Kraft der Tellschen Haltung auf die reale Person des Bauernwirtes, der ihne*1
dessen große Taten vor die Augen bringt.
„Als der Tell schoß, schien es ihm fast leid zu tun, daß er nicht seine Kugelbüchse zu*
Hand hatte und nur einen blinden Theaterschuß absenden konnte. Doch zitterte er wirklich
und unwillkürlich, indem er anlegte, so sehr war er von der Ehre durchdrungen, dies*-
geheiligte Handlung darstellen zu dürfen. Und als er dem Tyrannen den zweiten Pfßl
drohend unter die Augen hielt, während alles Volk in atemloser Beklemmung zusah, ß3
zitterte seine Hand wieder mit dem Pfeile, er durchbohrte den Gessler mit den Augel1’
und seine Stimme erhob sich einen Augenblick lang mit solcher Gewalt der Leidenschaft
daß Gessler erblaßte und ein Schrecken über den ganzen Markt fuhr. Dann verbreite*0
Volkstheater und Nationalfestspiel bei Gottfried Keller
161
s'ch ein frohes Gemurmel, tief tönend, man schüttelte sich die Hände und sagte, der Wirt
^äre ein ganzer Mann, und solange wir solche hätten, tue es nicht not! Doch wurde der
^ackere Mann einstweilen gefänglich abgeführt, und die Menge strömte aus dem Tore nach
Vetschiedenen Seiten, um anderen Auftritten beizuwohnen . . . Um die Mittagsstunde aber
pachte sich alles bereit, auf dem Rütli einzutreffen, wo der Bund beschworen wurde, mit
Weglassung der ScHiLLERschen Stellen, die sich auf die Nacht bezogen. Eine schöne Wiese
an dem breiten Fluß . . . war dazu bestimmt, wie der Fluß überhaupt den See ersetzen
^ußte und den Fischern und Schiffleuten zum Schauplatz diente . . . Auf dem Rütli ging
sehr ernst und feierlich her; während das bunte Volk auf den Abhängen unter den
äumen umhersaß, tagten die Eidgenossen in der Tiefe . . . Als der Schweizerbund unter
onnerndem Zuruf des lebendigen Berges umher beschworen war, setzte sich die ganze
Menge, Zuschauer und Spieler untereinander gemischt, in Bewegung; der größte Teil
'Vogte wie eine Völkerwanderung nach dem Städtchen, wo ein einfaches Mahl bereitet und
ast jedes Haus in eine Herberge umgewandelt war . . . Die Wirte hatten in Anbetracht des
Ungewöhnlichen warmen Wetters rasch den inneren Raum des Städtchens in einen Speise-
öl umgeschaffen; ... so gewann das Städtchen doch wieder das Ansehen einer einzigen
Familie . .
Nun wird über das Spiel gesprochen, die Spieler und ihr Aussehen werden im
Vergleich zu ihrem sonstigen Gehaben durchgehechelt, wobei nur der Tell ver-
schont bleibt.
Und wieder verflechten sich Wirklichkeit und Spiel zu jener dem Volke eigentüm-
hchen Einheit, die Keller in seiner Schilderung so charakteristisch erkennen läßt.
Uer alte Schweizerbund wird unter der innersten Anteilnahme der Zuschauer be-
schworen, man ist tatsächlich „dabei“, — um wenige Minuten später gehobener
Stimmung den Gasthäusern zuzustreben und über den und jenen Spieler zu witzeln,
im Gegensatz zum Kunsttheater, wo der Zuschauer selbst im bewegtesten Mit-
gerissensein noch Zuschauer bleib*- vermischen sich im Volksschauspiel ständig
ünbewußt die Ebenen: man ist der Darzustellende in ganz naiver Persönlichkeits-
Übertragung, — und ist es doch im nächsten Augenblicke wieder nicht in steifer
Bewahrung der Eigenwürde; man ist das Schweizervolk der Teilzeit in der erreg-
testen Mit-leidenschaft, — und ist doch im nächsten Augenblick wieder nur eine
Gruppe von spottsüchtigen Dorfbewohnern. Nahtlos verbinden sich all diese psycho-
tischen Stadien zu einer großen Tiefe und Breite der Möglichkeiten und bilden
tien von Keller wohl erkannten Reiz des Volkstheaters.
Uas Teilspiel des Grünen Heinrich nun nähert sich seinem Ende und mündet nach
^en letzten Szenen an der Zwinguri und vor dem Hause des Tell in ein großes
Frühlingsfest am lodernden Feuer:
Zwinguri hatte man eine verfallene Burgruine bestimmt, welche auf dem höchsten
einer Bergallmende steht und eine weite Aussicht ins Gebirge hinüber gewährt,
mmer waren durch einiges Stangen- und Brettergerüst so bekleidet, als ob sie eben
U1 Aufbau statt im Verfalle wären, und mit den Kränzen der triumphierenden Tyrannei
' langen. Die Sonne ging eben unter, als ich ankam und sah, wie das Volk das Gerüst
tesammcnbrach und mit den Kränzen auf einen gewaltigen Holz- und Reisighaufen warf
te*d diesen anzündete. Hier ging auch die Verherrlichnug des Tell vor sich statt vor seinem
*ause, doch nicht mehr nach der geschriebenen Ordnung, sondern infolge einer allgemeinen
-tfindungslust, wie der Augenblick sie in den tausend Köpfen erweckte, und der Schluß der
Handlung ging unbestimmt in eine rauschende Freudenfeier über. Die weggejagten Zwing-
ctren mit ihrem Trosse waren wieder herangeschlichen und gingen um unter dem Volke
a s vergnügte Gespenster; sie stellten die harmloseste Reaktion vor. Auf allen Hügeln und
1 Volkskunde
»Zur
Funkte
Die Trü
162
Ingeborg Weber-Kellermann
Bergen sahen wir jetzt die Fastnachtsfeuer brennen, und das unsrige flammte bereits in
vollem Umfange; wir standen in einem Kreis hundertweise darum, und Tell, der Schütze»
zeigte sich jetzt auch als einen guten Sänger, sogar als einen Propheten, indem er ein kräftigeS
Volkslied von der Sempach erschlacht vor sang, dessen Chorzeilen von allen wiederholt
wurden . .
Nun endet der festliche Tag bei den Singekreisen, die sich auf dem Platz der
Allmende bilden, unter dem warmen Hauch des Föhns, der von den Bergen in
die Feuer bläst. Dieser uralte gewaltige Frühlingshauch weckte ein trotziges
Naturgefühl in den Menschen und die ahnende Erinnerung an längst vergangene
Frühlingsfeuer, die vielleicht an der gleichen Stelle gebrannt hatten.
Dann fügt sich das Volk in seinen Altersklassen zusammen, und als die Feuer
niedergebrannt sind, suchen alle das nahe Städtchen und seine Gasthäuser mit ihren
Geigen und Trompeten auf.
Das Drama von Wilhelm Tell und der althergebrachte Funkensonntag, nationales
Feierspiel und Fastnachtsfeuer, Gefühle patriotischen Stolzes und naturhafter Früh-
lingsfreude gehen am Schluß eine harmonische Verbindung ein, die ohne Ansehen
historischer, darstellerischer oder ständischer Rücksichten alle Teilnehmer am Abend
des großen Festtages umfaßt und sie bei den alten Festelementen: gemeinsamer
Gesang, Feuer und gemeinsames Mahl vereint.
Was Keller hier aus liebevoller Kenntnis seines Volkes in feinster psycholo-
gischer Beobachtung und in den bunten Farben der ländlichen Festesfreude breit
ausmalt, gründet sich zweifellos auf ähnliche Festerlebnisse seiner Jugend. So
schreibt er auch in jenem berühmten Brief an den Verleger VlEWEG, der das Expose
des gesamten Romanes enthält42): „Unternehmung und Ausführung desselben sind
nun nicht etwa das Resultat eines bloß theoretischen tendenziösen Vorsatzes,
sondern die Frucht eigener Anschauung und Erfahrung. Ich habe noch nie etwas
produziert, was nicht den Anstoß dazu aus meinem inneren oder äußeren Leben
empfangen hat, und werde es auch ferner so halten.“ Dennoch hat er ein Tellenspiel
diesen Ausmaßes, mit dauernd wechselnder Szenerie, in seiner Jugend nicht ge-
sehen. Die inszenatorischen Möglichkeiten eines solchen „ambulanten“ Spieles,
das jede theatermäßige Einheit von Ort und Handlung zu einer weit umfassenderen
Einheit wandelt, wurden zweifellos dichterisch idealisiert, wobei der erste Anstoß
vielleicht durch eine Aufführung irgendwo im Lande kam, von der Keller einen
Bericht in einer Zeitung gelesen haben mag.
Die Bedeutung des Kellerschen Tellenspiels aber geht über die einer prall-
farbigen poesievollen Darstellung weit hinaus. Den volkskundlich wahrhaftigen
Hintergrund bildet bekanntermaßen die Tatsache, daß der TELL als Sinnbild des
eidgenössischen Staatsbewußtseins seit eh und je im Mittelpunkt des schweizerischen
Volksschauspiels stand43). Die älteste erhaltene Form ist das Urner Tellenspiel von
15 ii/iz, das mit zahlreichen Umbildungen bis ins 19. Jahrhundert im Volke lebendig
blieb, um dann in der deutschen Schweiz von Schillers Drama verdrängt zü
werden. Dieses nun wurde tatsächlich, wie Keller es in seinem Grünen Heinrich
42) Briefe, Bd. 3, II, S. 15; Berlin, am 3. Mai 1850.
43) Vgl. hierzu: Richard Weiss: Volkskunde der Schweiz. Zürich 1946, S. 2iof.
Volkstheater und Nationalfestspiel bei Gottfried Keller
163
schildert, zum wahren Hausschatz auch des einfachen Volkes, das hierin „auf eine
Wunderbare Weise (seine) Gesinnung“ ausgedrückt fand. Wie sehr er den SCHILLER -
schen Teil in seiner pädagogisch ethischen Strahlungskraft für das Schweizervolk
für Wert erachtet, wird u. a. aus dem Vorwort zum Schweizerischen Bildungs-
freund, deutlich44), einem poetischen Haus- und Lesebuch, für das er dringlich
Aufnahme eines umfänglichen Auszuges erwünschte. Seine auf eingehende
Studien gegründete hohe Meinung von SCHILLERS historisch fundiertem Werk45)
erscheint in deutlichem Ernst in seiner Antwort an MATHILDE WESENDONCK,
die ihm ihr Drama von Wilhelm, dem Eroberer, übersandt und auf seine herbe Kritik
an ihrer unhistorischen Auffassung mit Hinweisen auf SCHILLERS Teil erwidert
hatte. Er schreibt ihr am 19. Juli 1870:
„Schillers Jamben sind von den Schweizern allerdings nicht deklamiert worden;
allein der ganze ,Tell‘ ist im Geiste der historischen Anschauung geschrieben, die man zu
Schillers Zeit von der Entstehung des Schweizerbundes hegte; er entspricht dem Chro-
uisten Tschudi wie dem Geschichtsschreiber Joh. von Müller, während Ihre Schluß-
rede Wilhelms des Eroberers nicht dem eisernen Feudalismus des Normannentums, sondern
cher einem modernen Friedenskongreß entspricht.“46)
Keller hat also bereits im Tellspiel des Grünen Heinrich an einem praktischen
Beispiel darzustellen gesucht, wie er sich eine glückliche Vereinigung von Volks-
fest und nationalem Feierspiel dachte, wie er das Volk gleichzeitig erfreut und er-
hoben wissen wollte, wie es in eigener Darstellung den Stolz auf den Besitz seiner
ererbten Kulturgüter mit dem weihevollen Gefühl einer historisch-nationalen Ge-
denkstunde mischen sollte.
„Drei Ellen gute Bannerseide,
Ein Häuflein Volkes, ehrenwert,
Mit klarem Aug’, im Sonntagskleide,
Ist alles, was mein Herz begehrt!“47)
Was er in seinem Jugendroman so schwungvoll ausführte, hat er sich später
gescheut, nochmals am konkreten Falle darzustellen. Andeutungen finden sich in
einzelnen seiner Novellen und Romane, so besonders in Martin Salander48), der
Erzählung von einem wahrhaften Schweizer Demokraten und Volksmann. Das
kleine, politisch symbolische Festspiel, das der wackere Mann aus Anlaß der
Doppelhochzeit seiner beiden Töchter aufführen läßt, entspringt wiederum Kellers
häufig geäußertem Wunsch, das Volk durch die Darstellung seiner eigenen Ge-
Schichte und seines eigenen Wesens erfreut, erhoben, geläutert zu sehen. Hier nun
'^ird, auf die verschiedene Parteistellung der beiden jungen Ehemänner anspielend,
allegorisch ein Waffenstillstand zwischen den Demokraten und Altliberalen ge-
flossen, die als junge derbe Bauersfrau und als ältlicher Halbherr mit hohem Hut
ünd Vatermörder erscheinen und ihre gegenseitige Belehrung schließlich mit einem
44) Gesamtausgabe, Bd. 22, S. 204.
4j) Vgl. Gustav Roethe: Forschungen zur deutschen Philologie, Festgabe für Rudolf
Hildebrand. Leipzig 1894, S. 224ff.
46) Briefe, Bd. 4, S. 140.
4') Aus Wegelied. Gesamtausgabe, Bd. 1, S. 232.
48) Gesamtausgabe, Bd. 12, S. 1—407.
164
Ingeborg Weber-Kellermann
drolligen Tanz beenden, wobei die beiden darstellenden Gesellen „keine der bei
solchem Anlaß üblichen Hanswurstpossen“ unterlassen. Wurde nun das Hochzeits-
essen bereits von einer volkstümlichen Blasmusik und gemeinsamen Gesängen
unterbrochen, so rührt sich der Volkswitz unverbrämt, als später nach Beschluß der
Posse zwei verkleidete, zerlumpte Stromer mit Knotenstöcken und Bündeln auf dem
Rücken ihren Vorrat an politischer „Gesinnung“ aus einem wdnzigen Nadelbüchs-
lein und aus einem kleinen Pillenschächtelchen hervorkramen. So mischt sich auch
hier, dem Tellenspiel vergleichbar, das Rüpelspiel ins volkstümliche Festtheater.
Im allgemeinen jedoch reagierte Keller empfindlich auf alle an ihn herangetrage-
nen Versuche zu einem nationalen Volkstheater. Ehrfürchtig achtete er die natür-
lichen Wachstumsgesetze einer solchen Erscheinung im Volksleben, über die er sich
nur sehr vorsichtig äußerte.
Seine Vorstellungen und Pläne vom nationalen Schweizer Volkstheater hat
Keller öffentlich und theoretisch zum einzigen Mal in seinem Aufsatz Am Mythen-
stein49) dargestellt. Georg VON COTTA, der Leiter des bekannten Verlages und
Herausgeber literarischer Blätter wie der Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zei-
tung, hatte Keller durch die Vermittlung Fr. Th. VlSCHERs zur gelegentlichen
Mitarbeit gewonnen50). VlSCHER war es dann auch, der ihn zu einem Bericht übet
das Fest am Mythenstein am Vierwaldstädter See anregte, das dort am 13. Oktober
1860 zur Enthüllung der SCHILLERschen Erinnerungstafel gefeiert werden sollte.
Dieser kleine Bericht für die Augsburger Allgemeine Zeitung wurde von Keller
pünktlich erstattet. Doch hatte ihn das Fest zu weiteren Gedankengängen an-
geregt, die er in seinem Aufsatz Am Mythenslein zusammenfaßte und COTTA für
sein Morgenblatt für gebildete Leser anbot. Dort erschien der Beitrag im 55. Jahr-
gang am 2. und 9. April 1861. Ein Begleitbrief schildert den inneren Werdegang
der kleinen Arbeit51):
„Hochzuverehrender Herr!
Erst jetzt erlaube ich mir, Ihnen meinen ergebensten Dank abzustatten für das Honorar,
welches Sie die Güte hatten, mir für meine kleine Notiz über das Fest am Mythenstein in
der , Augsburger Allgemeinen Zeitung* übersenden zu lassen.
Das kleine Fest wurde durch die übrige Presse sogleich so vollständig beschrieben, daß
es kein Interesse bot, für das ,Morgenblatt* auch noch eine ähnliche Beschreibung zu liefern-
Dagegen wurde mir eine Gedankenreihe angeregt, welche ich dennoch niederzuschreiben
wünschte und nun auch niedergeschrieben habe. Der Vorgang jener Enthüllung nimmt
darin nur eine kleine Stelle ein, das übrige sind kulturgeschichtliche Bemerkungen. Aul
ein schnelles Erscheinen dieses Aufsatzes kam es nun nicht mehr an, und ich bin daher so
frei, Ihnen denselben für das ,Morgenblatt* noch zu übersenden, es vollständig Ihrem Et'
messen überlassend, ob Sie Gebrauch davon machen mögen oder nicht . .
Als Keller im Herbst 1860 mit dem Boote von Luzern aus Brunnen besuchte,
welchem kleinen Orte gegenüber am sogenannten Mythenstein die Gedenktafel
für Friedrich Schiller enthüllt werden sollte, malte seine hochgestimmte
49) Gesamtausgabe, Bd. 22, S. 121—157.
i0) S. Kellers prachtvollen Aufsatz zu Vischers 80. Geburtstag ebda. (Gesamtausgabe,
Bd. 22, S. 180—183).
51) Briefe, Bd. 3, II, S. 210/11.
Volkstheater und Nationalfestspiel bei Gottfried Keller
165
Phantasie dem inneren Auge ein glanzvoll feierliches Zukunftsbild. Die Realitäten
des eigentlichen Festes waren schlicht genug. „Die Hauptanstalt war der blaue
Wolkenlose Himmel, der wahrhaft sonntägliche Sonnenschein“ und die drei ge-
Schmückten und gemalten alten Lastschiffe, Nauen genannt, auf denen das festtäg-
liche Volk — Keller unter ihnen — auf den See hinausfuhr, um die Ansprachen
hei der Enthüllung der Tafel zu hören. Das einfach liebliche Fest wurde zu einer
Uankesfeier des „Bundes der oberdeutschen Lande“ an den schwäbischen Dichter
hir sein die Gründung ihrer alten Republik verherrlichendes Schauspiel. Kellers
dichtende Phantasie aber erahnt in dem Wechselgesang, den die herangefahrenen
Chöre der drei Länder aufführen, nun selbst den Keim zu einer Schauhandlung, den
er in seinem Aufsatz zur Vision der „goldenen Frucht eines fertigen, reinen natio-
nalen Spieles“ reifen läßt. Nach herber Kritik an den Zerrbildern eines echten
Schauspieles und scharfer Zurückweisung aller falschen Propheten vom Schlage
ejnes ECKARDT, die eine „Nationalbühne“ aus dem Boden stampfen wollten, be-
ruft er sich auf die echten „Mütter“ eines Schweizer Schauspiels — die großen und
aiten Nationalfeste. Die Schützenfeste mit ihren Umzügen, vor allem aber die Ge-
sangsfeste könnten den Nährboden für ein neu sich entwickelndes Festspielwesen
Sein. „Sie enthalten bekanntlich zwei Abteilungen: den Wettkampf der einzelnen
Vereine im Vortrage ausgewählter lyrischer Kompositionen und die Gesamt-
aufführung solcher . . . Stücke, welche sich für größere Tonmassen eignen.“ Bei
solchen Wettkämpfen nun würden die Dichter sich ihrerseits „an Wind und Sonne
des offenen Volkslebens“ zu bewähren haben und der gnadenlosen Kritik einer
ausführenden Gemeinschaft ausgesetzt sein, die nur will, „was uns rührt und
erhebt, (was) unser Bewußtsein ist, aber dies ganz und voll!“, womit Keller
den Charakter des Volkstümlichen in der Kunst sehr klar zum Ausdruck ge-
bracht hat.
Erwartet er also von den Wettkämpfen der einzelnen Vereine eine entscheidende
Forderung lebendiger Lyrik, so hat er für den großen Gesamtchor völlig andere
Pläne, „denn es hat schon jetzt etwas Komisches, mehrere tausend Männer unter
biegenden Fahnen amphitheatralisch aufgestellt zu sehen, um ein Liebesliedchen,
eine Abendglocke oder die Empfindungen eines wandernden Müllerbürschchens
vorzutragen“.
Ein Chor von vier- bis fünftausend Sängern muß für seinen Vortrag auch einen ent-
brechenden Stoff wählen, er „soll das produktive Bedürfnis und die Kraft haben, seinen
Vcsangsgegenstand selbst hervorzurufen, zu bedingen und auszubilden.“
Und hier nun trete
. „das Lyrische vor dem Epischen und Oratorischen zurück. Große geschichtliche Er-
innerungen, die Summe sittlicher Erfahrung oder die gemeinsame Lebenshoffnung eines
VUkes, Momente tragischer Selbsterkenntnis nicht ausgeschlossen, fänden Ausdruck und
Gestalt in Wort- und Tondichtungen, die aufs innigste miteinander verschmolzen und durch
eiüander bedingt wären, ohne an Gedankenselbständigkeit zu verlieren. Es wäre die Auf-
gabe des Dichters, durch die Zucht der Musik wieder eine rein und rhythmisch klingende
Ptache zu finden, ohne in Gehaltlosigkeit zu verfallen . . ., die Aufgabe des Komponisten
bagegen, für ein solches Gedicht die entsprechenden Tonsätze zu schaffen und nicht vor der
größeren Gedankentiefe und dem Reichtum wirklicher Poesie zurückzuschrecken.“
166
Ingeborg Weber-Kellermann
Hingerissen von seinen Zukunftsbildern fährt Keller fort:
„Wenn nun dieses Tonmeer erbrauste und auftauchend aus demselben eine Reihe fünf*
hundertstimmiger Halbchöre einander die Erzählung oder die großen Fragen und Ant-
worten einer Musik gewordenen Ethik abnähmen, so wäre ein Dialog im Entstehen, der
seinen Maßstab in nichts vorhandenem hätte, und die Frage des Dramas in ein neues Stadium
getreten. Auf diesem Punkte der Entwicklung wäre die Angelegenheit reif genug, um auch
die Musikfeste mit ihren Frauenchören und ihren Orchestern hinzutreten zu lassen, und
nun erst wäre der Kreis der neuen Möglichkeiten geschlossen, das ganze Leben beisammen,
und das gemeinsame Element der Bildung umfaßte die Blüte der Nation vom anständigen
Arbeiter und Bauernsohn bis zum Staatsmann und Kaufherren, vom taktfesten Dorfschul'
meister bis zum gelehrten Kapellmeister der Hauptstadt.
Jetzt würde sehr wahrscheinlich die Lust und das Geschick zu kostümierten Aufzügen
hinzutreten. Entweder in die konkrete Tracht des Gegenstandes, oder in eine nach Stimmen
oder Gauen verschiedene Festtracht gekleidet, würden die Singenden festlich einherschreiten
in symmetrischen, einander begegnenden und wiederkehrenden Zügen und sich in glän-
zenden, aber ruhigen Farbenmassen aufstellen.“
Diese große Schau eines bewegten Bildes feierlich schreitender Chöre erweckt
bei Keller neue Vorstellungen über die Verbindung von Rhythmus und Gesang-
Bezieht er sich in seiner Abhandlung Am Mythenstein auf das Freiturnen der Schulen,
so hatte er in seiner Kritik des Dichters JEREMIAS GOTTHELF bereits auf die gymna-
stischen Spiele der Bauern)ugend hingewiesen52):
„Er (Gotthelb) beschreibt dort ein gymnastisches Spiel der jungen Bauernburschen
und sagt selbst, es sei eins der schönsten nationalen Spiele, welche an Sonntagen hin und
wieder aufgeführt werden. Auch stammt es aus der belobten alten Zeit und hat in dieser
Beziehung also seinen gültigen Stammbrief. Wenn irgendwie eine ehrbare Erholung auf-
zutreiben gewesen, so war es hier. Was tut aber Jeremias? Er läßt seinen Uli von dem
Besuche dieses Volksfestes Schaden und Verdruß nehmen, und rät hierdurch seinen jungen
Lesern ernstlich ab, dergleichen Ergötzlichkeiten mitzumachen. Es wäre die Aufgabe des
Dichters gewesen, allfällige eingeschlichene Roheiten und Mißbräuche im poetischen
Spiegelbild abzuschaffen und dem Volk eine gereinigte und veredelte Freude wiederzu-
geben, da es sich einmal darum handelt, in der gemeinen Wirklichkeit eine schönere Welt
wiederherzustellen durch die Schrift. Gotthelfs Scheu vor den Volksspielen mag es auch
erklären, warum man in seinen sonst so ausführlichen Erzählungen nirgend eine Spur vom
Volksliede findet.“
Auf solchen Übungen nun, bei welchen Keller „die Ahnung einer künftigen
allgemeinen Kultur körperlich-rhythmischer Bewegung“ überkommt, beruft ef
sich, wenn er in seiner Schau eines großen Festspiels fortfährt53):
„So stelle ich mich denn ohne Aufenthalt wieder vor die zum Dache des Hauses hinan-
steigende, von dem Sängerheere besetzte Bühne. Das große Festlied erhebt sich eben zum
Ausdruck der reinsten Leidenschaft und Begeisterung. Sie reißt den Körper der auswen-
dig singenden Tausende von Männern, Jünglingen und Jungfrauen mit, eine leise rhyth-
mische Bewegung wallt wie mit Zauberschlag über die Menge, es hebt sich vier- bis fünf-
tausendfach die rechte Hand in sanfter Wendung, es wiegt sich das Haupt, bis ein höherer
Sturm aufrauscht und beim Jubilieren der Geigen, dem Schmettern der Hörner, dem Schalle0
der Posaunen, unter Paukenwirbeln, und vor allem mit dem höchsten Ausdrucke des eigenen
Gesanges die Masse nicht in Tanzen und Springen, wohl aber in eine gehaltene maßvolle
Bewegung übergeht, einen Schritt vor- und rückwärts oder seitwärts tretend, sich links und
52) s. Jeremias Gotlhelf. Gesamtausgabe, Bd. 22, S. 43—117.
5:I) Am Mythenstein. Gesamtausgabe, Bd. 22, S. 121—157.
Volkstheater und National festspiel bei Gottfried Keller
167
rechts die Hände reichend oder rhythmisch auf und nieder wandelnd, ein Zug dicht am
ändern vorüber in kunstvoller Verwirrung, die sich unversehens wieder in Ordnung auf-
löst.“
Nachdem Keller so ein harmonisches Zusammenspiel von Wort, Ton und
Bewegung erdenkt, umbaut er den handelnden Chor mit einem „bleibenden monu-
mentalen Gebäude . . ., welches ein solches Spiel würdig zu fassen imstande wäre“.
Bin hoher länglicher Bau müßte mit umgebenden Terrassen und Baumgängen
ein Kunstwerk bilden, und seine Anlage müßte die Tageshelle zu natürlichen Be-
Luchtungseffekten auszunützen wissen, wie wir es etwa von vorgeschichtlichen
Bultstätten her kennen.
Seine Vollendung fände dann der Aufzug durch die nach bestimmten Gesetzen
Gerechnete Farbenreihe der Gewänder. Sie könnten eine Erscheinung hervorrufen,
»wo Ton, Licht und Bewegung, als Begleiter des erregtesten Wortes, eine Macht
über das Gemüt übten, die alle Blasiertheit überwinden und die verlorene Naivität
rückführen würde, welche für das notwendige Pathos und zu der Mühe des
Lernens und Übens unentbehrlich wäre; denn ohne innere und äußere Achtung
gedeiht nichts Klassisches.“
Mit solchen hochgespannten Plänen füllt Keller seinen Rückweg vom Mythen-
stein. Auf dem stolzen Besitz der schweizerischen Nationalgeschichte, auf der
Nenntnis des heimatlichen Volksschauspiels und Festaufzuges, auf seinem Wissen
von Wesen und Möglichkeit des Dramas und schließlich auf der unverfälschten
Liebe zum Volke erbaut er diese Zukunftsschau eines kernigen und feierlichen Fest-
Kieles. Von den darstellenden Sängern aus dem Volke, die in ihren guten Jahren
nur zwei- bis dreimal an solchen Festen mitwirken dürften, mit ihrem ganzen Ge-
stüte empfunden, würde es aus strahlen und seine poetisch pädagogische Wirkung
nicht verfehlen. Doch steigt Keller aus den Zukunftshöhen solcher Vorstellungen
Nieder in seine Gegenwart hinab und schließt seinen Aufsatz bedeutsam:
»Noch manche Ernte muß geschnitten werden, bis das Dasein solche Texte zu ertragen
^ermag. Eine einseitige Textvirtuosität ohne dazu gehörendes Lebensgeschick wäre kein
Heil. Wer vom Nationalfeste in die Unzufriedenheit des bürgerlichen Elendes zurückkehren
muß, dem ist es nur eine niedrige Betäubung, oft die Quelle neuer Bitterkeit und Schmach,
^uch pflegen die Feste die Folge wohl vollbrachter Kämpfe zu sein, ,saure Wochen, frohe
*'este‘, und nicht ihnen vorauszugehen. Freilich könnte die Weltgeschichte das Ding auch
c,nmal umkehren und sie zu Müttern des Kampfes machen.“
Solche Gedankengänge, die Keller bescheiden genug als „Kulturgeschichtliche
Bemerkungen“ bezeichnete, klingen auch hin und wieder in seiner Lyrik an, in der
v°ü ihm zu poetischer Höhe erhobenen Gattung der Gelegenheitsgedichte zu
Schützen- und Kadettenfesten, zu Sängertreffen und Volkstagen. Aus ihnen ragt
Ltn Festzug in Zürich (1856)54) besonders hervor, eine in ihrer Handlung an Das
Fähnlein der sieben Aufrechten erinnernde Ballade:
Der wackere Meister Heinrich entwirft zur Feier der Einweihung der neuen
Lisenbahnlinie einen großen allegorischen und historischen Festzug. In der Viel-
&cstalt der erscheinenden Völkerschaften stellen sich die völkervereinenden Mög-
5<) Gesamtausgabe, Bd. x, S. 282. Zuerst veröffentlicht in Bodenstedts Neuem Alma-
r,«c/i fi±r ¿a8 ¿eutsche Haus. Stuttgart 1877.
168
Ingeborg Weber-Kellermann
lichkeiten dar, die in dieser neuen Erfindung ruhen, und im Verlauf der Handlung
gelingt es dann auch der versammelten Völkergemeinde, in gemeinsamer selbst-
loser Anstrengung eine ausbrechende Feuersnot zu bannen und zwei gefährdete
fremde Wanderer zu retten.
Der Prolog55) zur Schillerfeier in Bern (1859) nun erklingt in weit mächtigeren
Tönen. Fand der Festzug unser spezielles Interesse durch die buntfarbige Schilderung
des allegorischen Völkeraufzuges, so berührt uns hier Kellers Schillerbegeiste-
rung, die ihn ein Idealbild einer an SCHILLER erzogenen Menschheit malen läßt-
Hier findet geformten Ausdruck, was er dem Freunde PlETTNER 1851 tastend
geschrieben hatte: die Hoffnung auf ein „gebildetes und bewußtes Volk“, das ein
„mit seinem eigensten Sein durchwehtes“ gewaltiges Festspiel feierlich zu gestalten
wüßte.
„Ein einig durchgebildet Volk von Männern,
Das redlich selbst sich prüft und kennt und dennoch
In ungetrübter Frische lebt und wirkt,
Daß seine Arbeit festlich schön gelingt
Und ihm das Fest zur schönsten Arbeit wird!“
Und in einer mitreißenden Charakteristik der Schönheit, wie sie SCHILLER lehrt,
enthüllen sich die Umrisse eines künstlerisch bedeutenden und in Geschichte und
Heimatboden verwurzelten echten Volkstheaters:
„Die das Gewordene als edles Spiel verklärt,
Das seelenstärkend neuem Werden ruft,
Daß Dichtung sich und kräft’ge Wirklichkeit
In reger Gegenspieglung so durchdringen,
Wie sich, wo eine wärmre Sonne scheint,
Am selben Baume Frucht und Blüten mengen,
Bis einst die Völker selbst die Meister sind,
Die dichtrisch handelnd ihr Geschick vollbringen.“
:>6) Gesamtausgabe, Bd. 1, S. 264.
Wilhelm Fraenger — Berlin
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
von Hieronymus Bosch
Zwei Werke aus dem Schatz von eigenhändigen Gemälden Boschs, den König
Philipp II. als passionierter Liebhaber und Sammler des altholländischen Meisters
an sich brachte, wurden in seinem neu erbauten Klosterschloß, dem Escorial, bevor-
zugt aufgestellt: Für sein Privatgemach bestimmte der Monarch die große Tafel der
»Sieben Todsünden und der vier letzten Dinge“, wo er sie bis zu seinem Tode als
»gemaltes Pönitenzial“ vor Augen hatte. — Das zweite Werk: der Epiphanias-
Altar, den er im Jahre 1568, in dem die Grafen HOORN und EgmONT hingerichtet
Wurden, bei ihrem Kampfgenossen Jean DE CASEMBROOT, Seigneur de Backerzeele
konfiszieren ließ, ist in der Sakristei der königlichen Hofkirche neu aufgeschlagen
Worden. Durch diese Anberaumung wurden sie von höchster Stelle als Dokumente
rechtgläubiger Andachtskunst legitimiert.
Trotzdem hat die in Glaubenssachen unantastbare Autorität des Königs nicht
verhindern können, daß bald nach seinem Tod Verdächtigungen lautbar wurden,
Sem Lieblingsmaler sei ein Atheist gewesen. Solche Verketzerungen gingen auf die
Manchmal unerhört gewagten Stoffe, vor allem auf die Höllenbilder Boschs zurück,
Welche sein gallenbitterer Humor zur schaurigen Eindringlichkeit des Alptraums
überschärfte. So hat etwa FRANCISCO DE QUEVEDO, als ihn ein literarischer Wider-
Sacher als „gelehrigen Fortsetzer des atheistischen Malers Bosch“ gebrandmarkt hatte,
^en kritischen Vorwurf dadurch abgeschüttelt, daß er in einer der sechs Höllen-
v*sionen seiner „Sueños“ (Barcelona 1627) den alten „faizeur de diables“ aus
Bertogenbosch selbst in der Hölle schmoren und dort auf die Frage: warum er aus
den Menschen solchen Hackepeter (guisados) machte? dreist erwidern läßt: „weil
lch nie an die Existenz von Teufeln glaubte“, was für damalige Begriffe zugleich eine
Bottesleugnung war1).
Solchen Verketzerungen gegenüber, die im Stammland der Inquisition die nach
Tod des Königs schutzlos gewordenen Gemälde ernst gefährden konnten, hat
Joseph DE SiguenZA, der Geschichtsschreiber des von dem König im Escorial ge-
gifteten Hieronymiten-Ordens, den Maler vorsorglich in Schutz genommen. Er
^dmete ihm einen eigenen Abschnitt seiner „Historia de la Orden de S. GERONIMO“
(Madrid 1605, S. 837 — 841), wo er einleitend erklärt:
x) Carl Justi : Die Werke des H. Bosch in Spanien. In: Jahrbuch der Preußischen Kunst-
Sarnmlungen. 1889, Bd. 10, S. 121. Wiederabgedruckt in: Miscellaneenaus drei Jahrhunder-
tcn spanischen Kunstlebens. Berlin 1908, Bd. 2, S. 72.
170
Wilhelm Fraenger
,,Ich glaube, man verdächtigt ihn zu Unrecht als Häretiker. Habe ich doch, um damit
zu beginnen, eine zu hohe Meinung von der Frömmigkeit und dem Glaubenseifer d?s
Königs, unsres Stifters, um annehmen zu können, daß er — wenn dem so wäre — dessen
Gemälde in seinem Hause, in den Klosterzellen, in seinem Zimmer, in den Kapitel- und
Ordensräumen, in der Sakristei geduldet hätte, wo doch im Gegenteil all seine Räume
damit geschmückt sind. Außer diesem Grund, der mir sehr gewichtig erscheint, gibt es
noch einen anderen, den ich aus den Gemälden selbst ableite, auf denen man fast alle
kirchlichen Sakramente, Ränge und Würden abgebildet sieht, vom Papste bis zum
untersten: zwei Punkte, über welche die Häretiker gewöhnlich stolpern. Doch er hat siß
mit allem Eifer und großer Gewissenhaftigkeit gemalt, was er als Ketzer nie vermocht
hätte, und ebenso behandelte er die Mysterien unsres Seelenheils.“
Vom Epiphanias-Altar im besonderen stellt SlGUENZA fest, daß er „gar nichts Be-
fremdendes und Extravagantes enthalte“.
Diese Beteuerung des gelehrten Mönches, der die Vorliebe seines Königs für den
holländischen Maler teilte, soll als Ausgangspunkt für unsere Untersuchung dienen,
deren Zweck es ist, die strittige Frage: Kirchen- oder Ketzerkunst?, die wir in einet
Reihe kritischer Analysen Boschs erneut in Angriff nahmen2), genaueren Abgren-
zungen zuzuführen.
Die Messe des heiligen Gregorius (Tafel I)
Fürs erste findet man das Urteil Josephs DE SlGUENZA in den grau in grau ge-
malten Außenflügeln voll bestätigt, die als Musterbeispiel einer genauen Wahr-
nehmung des Messerituals, wie dessen geistiger Erfassung und Durchdringung vor
uns stehen. Sie stellen einen der spätgotischen Malerei geläufigen Stoff: ein von dem
Papst Gregorius erwirktes eucharistisches Wunder dar, das zur Bekehrung eines
kleingläubigen Weibes diente: Bei ihrer Kommunion bei Papst Gregor erkannte
eine Römerin in der ihr dargereichten Hostie ein von ihr selbst gebackenes Brot,
weshalb sie leugnete, daß es sich wirklich in den „Leib des Herrn“ verwandeln
könne. Der Papst bekehrte diese Zweiflerin durch ein Gebet, kraft dessen die ver-
schmähte Hostie sich offensichtlich transsubstanziierte3).
2) Wilhelm Fraenger: H. Bosch, Das Tausendjährige Reich, Grundzüge einer Aus-
legung. Coburg 1947, 164 S. — H. Bosch, Johannes der Täufer. Eine Meditationstafel des
Freien Geistes. In: Zeitschrift für Kunst. 2. Jhg. 1948, Heft 3, S. 163—175. — H. Bosch,
Johannes auf Patmos. Eine Umwendtafel für den Meditationsgebrauch. In: Zeitschrift für
Religions- und Geistesgeschichte. 2. Jhg. 1949/50, Heft 4, S. 327—345. — Die Hochzeit zu
Kana. Ein Dokument semitischer Gnosis bei H. Bosch. Kunstwerk und Deutung, Heft 6,
Berlin 1950, 128 S. — H. Bosch: Der Tisch der Weisheit, bisher „Die sieben Todsünden
genannt. In: Psyche. Eine Zeitschrift für Tiefenpsychologie und Menschenkunde, 5. Jhg-
1951, Heft 6, S. 355—384. — H. Bosch: Der verlorene Sohn. In: Castrum peregrini, 1. Heft,
Amsterdam 1951, S. 27—39. Wiederabgedruckt in: Atti delII. CongressoInternazionale dl
Studi Umanistici, Roma-Milano 1952, S. 187—-194.
*) Uber die Geschichte des Bildmotivs und dessen legendäre Varianten s. J. A. EndREs:
„Die Darstellung der Gregoriusmesse im Mittelalter“. In: Zeitschrift für christliche Kunst»
Jhg. 1917, Bd. 30, S. 146—156.
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
171
Bosch faßte beide Außenflügel zu einer einheitlichen Szenerie zusammen, die er in
einen wirklichen und überwirklichen Bereich zerlegte. Das Schwergewicht der
lrdischen Hälfte bilden die lastenden Horizontalen des Altars, der — durch Vor-
hänge abgeschirmt — auf zwei Konsolen einen Sarkophag: das Grabmal Christi
tragt, dessen Passion sich im symbolischen Messe-Zeremoniell von Tag zu Tag er-
neuert. Die überirdische Hälfte ist ein geisterhaft frei schwebendes, hufeisenförmiges
pebilde, worin sich die Passionsgeschichte visionär entrollt. Zwischen den beiden
Lotten stellt die Mittelachse die dramatische Verbindung her: ein Meistergriff des
Malers, der aus der Not, daß die zwei inneren Leisten seine Komposition entzwei
2u schneiden drohten, dadurch eine Tugend machte, daß er sie ins Szenarium mit-
einbezogen und gerade diesen Rahmenleisten die maßgeblichen Bildfaktoren ein-
§egüedert hat.
E)as Personal beschränkt sich auf die glaubensschwache Römerin, die rechts als
Zaghafte und starre Silhouette vor dem Altar kniet und so den sinnfälligsten Gegen-
satz zur Hauptperson: dem glaubensmächtigen Gregorius bildet, auf ein paar Diakone,
die ein Tragkreuz und die päpstliche Tiara halten, schließlich auf einen gravitätischen
Patrizier, der sich am linken Rand des Bildes, ohne das Wunder zu bemerken, prä-
sentiert und zweifellos als Stifter dieser Außenflügel zu betrachten ist.
Bosch hat das triviale Schema der spätgotischen Illustrationen zur Gregorius-
hlesse, worin der Schmerzensmann inmitten einer bilderrätselhaften Ausbreitung
der Passionswerkzeuge gleich einem Schausteller auf den Altartisch steigt, frei-
zügig überflügelt. Was dort ein drastisches Mirakel bleibt, hat er zu einer über-
zeugungskräftigen Vision erhoben, deren Besonderheit darin besteht, daß seine
äußerst konzentrierte Darstellung des Wandlungswunders unmittelbar aus den
Bturgischen Funktionen des Altardienstes abgeleitet wurde:
Auf dem nach Vorschrift weiß gedeckten Altartisch brennen zwei (wieder
v°rschriftsmäßige) Kerzen, welche — nach kirchlicher Symbolik — das noch unbe-
kehrte Judentum und Heidentum erleuchten sollen. Rechts stehen zwei kleine
^ ein-und Wasserfläschchen. Links liegt das Evangelienbuch, wieder nach Vorschrift
Schräg nach Norden, d. h. dem Himmelsstrich, in dem die Unbekehrten hausen,
ausgerichtet. Neben dem Kelch steht eine flache Pyxis, wie man die Hostienbehälter
bezeichnen pflegt.
Besonders ist das kleine Filiallicht auf dem Leuchter zu beachten, weil es genau
^en Augenblick der Transsubstanziation fixiert. Denn dieses zusätzliche Licht wird
aiJf dem Höhepunkt der Messe angezündet: zwischen der Wandlung und der
Kommunion, welch letztere der bereitstehende Kelch bezeichnet. Das zusätzliche
Bicht bedeutet die (von der Römerin bezweifelte) Realpräsenz des Herrn in der
Eucharistie. Das Kreuz, das sonst inmitten des Altartischs steht, ist durch die leib-
hafte Erscheinung des Gekreuzigten ersetzt.
Vor diesem Altar kniet der Papst Gregor in ebenso demütigem wie willens-
hräftigem Gebet, dessen andringende Gewalt der Maler überzeugend sichtbar
Machte: Er drängt sich mit der Aufschwungkurve seines weißen Mantels so dicht
inneren Rahmenleiste, daß seine Hände in sie übergreifen, und zwar streng senk-
recht unterm Kelch der Kommunion, auf den zugleich der Blick des Papstes zielt.
172
Wilhelm Fraenger
Dieser als Silhouette stark hervorgehobene Vorstoß des Gebets ist für den Hand-
lungsablauf hochbedeutsam. Denn innerhalb des Binnenrahmens, der den Kelch
umschließt, tritt der dem Sarkophag entstiegene Schmerzensmann, sein dorngekrön-
tes Haupt, seine gekreuzten Hände mit den Nagelspuren und — zuhöchst im Bilde
die Kreuzigung, durch das Gebet heraufbeschworen, in Erscheinung. Die Mittel-
achse wird demnach durch diese Vertikal Verspannung zu einem magischen Kraftfeld,
das der handgreifliche Gebetskontakt des Papstes energetisiert. So hat der Magus aus
Hertogenbosch das Wunder der Gebetserhörung nach Ursache und Wirkung
suggestiv verbildlicht.
Der Auferstandene neigt sein Antlitz nach der linken Seite, von woher ihn der
Papst emporgerufen hat, während er nach der rechten Seite einen auffällig betonten
Schatten wirft. Durch diesen Schlagschatten wird einerseits bezeugt, daß Christus
nicht fiktiv, sondern „leibhaftig“ die Eucharistie beherrscht, während er andrerseits
die „Finsternis des Todes“, worin die Ungläubigen sitzen, zu bedeuten hat. Zumal
dem Schlagschatten der schwarze Mantel der glaubensschwachen Römerin ent-
spricht, handelt es sich um eine wörtliche Illustration der Lukas-Stelle (i, 79): „Aut
daß er erscheine denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte
unsere Füße auf den Weg des Friedens“ —: ein Bibelwort, das wohl den Text des
päpstlichen Gebetes bildet.
Wir lassen die Stationen der Passionsgeschichte, die sich in lebhafter Bewegung
zum kahlen Gipfel des Kalvarienberges drängen, außer acht, um uns auf die Et'
klärung der neun Engel zu beschränken, deren Neunzahl eine dreifache Be-
deutung hat:
Erstens ist Neun die traditionelle Zahl der Engelchöre. Zweitens bezeichnet Neun
die Todesstunde Jesu (Matth. 27, 46). Drittens gemahnt die Neunzahl an die neun-
malige Anrufung des göttlichen Erbarmens zu Beginn der Messe, wonach das Huf-
eisen des Rahmens den geistigen Gehalt der Handlung auf das Sinnvollste zu-
sammenschließt4).
Man kann daher die „Messe des Gregorius“ nicht ernster, einfacher und über-
zeugender gestalten, als es auf dem asketisch schmucklosen, liturgisch weihevollen,
ganz auf das Geistige und Geistliche gerichteten Gemälde Boschs geschehen ist*
Die Schauwand des Altars (Tafel II)
Der Eindruck von streng kirchlicher Gebundenheit des Altarwerkes wird ange'
sichts der Innentafeln noch verstärkt. Sind doch auf dessen Seitenflügeln die beiden
Sladtheiligen Roms: ST. PETRUS und die hg. AGNES dargestellt. Sie stehen dort
als Schutzpatrone hinter einem Ehepaar, den Stiftern dieser drei Gemälde: einem
Herrn vanBRONCKHORST, dessen Adelswappen mit der Devise „een voer al“ ==*
4) Joseph Sauer: Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auf'
fassung des Mittelalters. Freiburg i. B. 1902, S. 79 f.
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
173
»einer für alle“ hinter PETRUS schwebt5), und seiner Ehefrau: einer geborenen
■ßOSCHHUYSEN, die durch ihr bürgerliches Wappen ausgewiesen ist6).
Die Innentafeln sind zu einer einheitlichen Schauwand komponiert, indem sie
dreifach ineinander greifen:
Zunächst steigt eine durchlaufende Landschaft zu dem hoch anberaumten
Horizont empor. In die moosgrüne Rasenfläche wurde zur Abgrenzung des Spiel-
felds auf dem linken Flügel eine zweistöckige Ruine eingebaut, worin ST. JOSEPH
Unter einem brüchigen Schieferdach an einem Feuerchen die Windeln trocknet. —
Der Vordergrund des Mittelfeldes wird durch den altersmorschen Stall, ein stroh-
gedecktes, wunderlich verwinkeltes Gehäuse abgeriegelt, während zur Rechten eine
^elskulisse, vor der das Lamm als Attribut der hg. AGNES ruht, als schmales Tor
s*ch in die Ferne öffnet.
Sodann sind die drei Tafeln kompositionell dadurch vereinigt, daß die Präsen-
Ution des Stifterpaares, wie die zentrale Anbetung der Könige, dicht an der Rampe
spielt, wobei die Köpfe des ST. PETRUS, des Mohrenkönigs, der Gottesmutter und
^er hg. AGNES durch eine einheitliche Scheitellinie verkettet werden. — Dazu be-
herrscht ein starker Farbendreiklang: Rot, Indigo und Weiß den ganzen Vorder-
grund. In leuchtkräftigem Rot erscheinen die zwei Standfiguren auf den Seiten-
hügeln, der greise MELCHIOR, der vor dem Christkind kniet, der Mohrenpage und
her Fremdling auf der Schwelle. Als schwarzblaue Akzente sind die Gottesmutter
und das Ehepaar van BRONCKHORST ausgespielt7).
Wo sonst auf spätgotischen Epiphanias-Bildern die Könige aus dem Morgenland
hem Christkind sich in einer Haltung nähern, in der das höfische Zeremoniell sich
*u demütiger Ergriffenheit und staunender Betulichkeit vermenschlicht, sind sie von
ßosch in hieratischer Gefaßtheit dargestellt. Diese Zurückhaltung ist aus der Diszi-
plin des Hochamts abzuleiten: die Messe ist ein streng gesetzliches, überpersönliches
Gebilde und duldet daher nicht, daß individuelle Stimmungen oder persönliche
Affekte sich in die gottesdienstlichen Obliegenheiten mischen.
So ist der kahlköpfige MELCHIOR der Typus eines greisen Priesters im Altar-
8ebet. Die beiden andern scheinen ihre Funktion schon so gewohnheitsmäßig aus-
2uüben, daß sie dabei erst gar nicht auf ihr Kultobjekt: die Gottesmutter hinzu-
kUcken brauchen, die selbst in teilnahmsloser Ruhe, ihr winziges, puppenstarres
^ind in Händen, ihnen gegenübersitzt. Auch PETRUS nimmt die Präsentation des
Stifters nur routinemäßig mit einer automatischen Handbewegung vor. Während der
Ehemann zum Typus des Devoten entpersönlicht wurde, ist vollends seine Frau dem
Dabitus und Ausdruck ihrer Schutzpatronin AGNES derart angeähnelt, daß sich
beiden wie ein Ei dem andern gleichen.
5) Ludwig v. Baldass gibt die Devise irrtümlich als „Een over al“ = Einer über alle“
Nieder. H. Bosch, Wien 1943, S. 247.
. 6) Uber die Familie van Bronckhorst und Boschhuizen bietet Jan Mosmans in seinem
Cfk „Jheronymus Anthonis-zoon van Aken alias Hieronymus Bosch“, ’s Hertogenbosch
D47, S. 69 archivalische Belege.
<, 7) Der Farbendreiklang Rot-Weiß-Indigo tritt an die Stelle des Akkordes Rot-Weiß-
chwarz, dessen symbolische Bedeutung ich in meiner Studie „Die Hochzeit zu Kana. Ein
°kurnent semitischer Gnosis bei H. Bosch“, Berlin 1950, S. 29 auseinandersetzte.
174
Wilhelm Fraenger
Gewiß wird die liturgisch rituelle Starrheit aufgelockert durch das naiv-burleske
Zwischenspiel der Hirten, die desto ungezwungener ihre neugierigen Nasen durch
die Mauerluke stecken, im Übereifer einen Baum erklettern, sogar samt Dudelsack
undWorfel das moosbraune Dach belagern, um durchseinstrohentblößtes Sparren-
werk etwas vom Epiphanias-Wunder aufzuschnappen.
Doch bleibt, trotz dieses pastoralen Intermezzos, das Augenmerk auf die Drei-
könige gesammelt, da es durch deren seltsame Gewänder und ganz absonderliche
Opfergaben aufs lebhafteste gefesselt wird. Denn statt der aus den Domschätzen und
Goldschmiedwerkstätten entlehnten Kelche, Schreine und Pokale, welche die spät'
gotische Malerei als HuldigungsgC'
schenke aufzubieten pflegte, hat Bosch
ganz andersartige, ebenso pittoreske
wie symbolhaltige Angebinde ausgC'
breitet. Sie sollen die Dreikönige als
„Weise aus dem Morgenland“ bezeich-
nen, die aus den Überlieferungen dei
Vergangenheit den Sinn des Heute z#
erkennen und das Zukünftige zu offen-
baren wissen.
MELCHIOR stellte neben seine#1
muschelförmigen Helm eine aus Gold
getriebene Figurengruppe vor de#1
Christkind nieder, die durch das jäh
emporgeraffte rote Tuch, das sie bishef
verhüllte, den Eindruck einer Offe#'
barung macht. Es handelt sich u#1
ISAAKs OPFERUNG (i. Mos. 22,
1 —19). Sie wurde durch rein anscha#'
liehe Mittel zum Prototyp des Süh#'
Opfers auf Golgatha gestaltet, indem dei
Knabe im Bewegungsumriß eines müh-
seligen Kreuzträgers sein Reisigbündel
zum Altarstein schleppt. Den Leitgedanken: Jesus, der Isaak des neuen Testamentes»
hatte schon das patristische und apokryphe Schrifttum dahin ausgesponnen, daß eS
die Opferstätte auf dem Berg Morija mit dem Kalvarienberg, dazu den Widder, dei
bei Bosch hinter dem Altar auftaucht, mit dem „Lamm Gottes“ identifizierte8).
BALTHASAR, der auf einer Silberschale Weihrauch opfert, trägt seine Weis-
sagung auf seinem Schulterkragen in plastischer Silberstickerei zur Schau. Auf diesef
prunkvollen Mozzetta thront links in einer Säulenhalle König SALOMO. Rechts
kniet vor ihm die KÖNIGIN VON SABA, die zur Erprobung seiner Weisheit a#5
dem fernen Äthiopien gezogen kam und so den Prototyp der Reise der Dreikö#ige
zur Krippe bildet (1. Kön. 10, 1»—13 und 2. Chron. 9, 1 —12).
8) Schrifttumsnachweise bei Hans Joachim Schoeps: Aus frühchristlicher Zelt'
Religionsgeschichtliche Untersuchungen, Tübingen 1950, S. 229fr.
bei
Der Vogel Charadrius nach einer Miniatur
der Bibliothèque de L’Arsenal — Paris
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
175
kö
Darunter ist auf einem schmalen Fries das OPFER DES MANOAH dargestcllt
(Rieht. 13, 3 — 12). Er kniet mit seinem unfruchtbaren Weib vor einem Rundaltar,
auf dem ein Ziegenböckchen zum Brandopfer hergerichtet liegt. Rechts neben ihnen
steht ein Engel, der dem greisen Ehepaar einen von der Geburt an gottverlobten
Sohn verheißt: SIMSON, der als zukünftiger „Erlöser Israels aus der Philister
Dand“ zu den traditionellen Prototypen Christi zählt9).
KASPAR, der Mohren-
onig, trägt in seiner rech-
ten Hand eine aus Elfenbein
geformte Myrrhenkapsel,
er mit einer feierlichen
Ritualgebärde einzu segnen
Scheint. Auf dem in diese
Kugel eingekerbten Relief
thront rechts ein König, vor
dem — begleitet von zwei
Ranzenträgern — ein Mann
t*11* einer blanken Schale
kniet. Es sind die 1. Chron.
11 > 17—18 geschilderten drei
Melden Davids10): SAMMA,
JASOBEAM und ELEA-
SAR. Sie holten ihrem Kö-
nig, als ihn dürstete, aus
einem Brunnen des vom
Reind besetzten Bethlehem,
Slch mitten durch das Lager
der Philister schlagend, fri-
sches Wasser, wonach das
Relief als eine Huldigung
an Bethlehem als „Quelle des lebendigen Wassers“ (Jer. 17, 13) zu betrachten ist.
Die goldene Krönung dieser Kugel: ein geschmeidiger Vogel, der — ein rundes
Samenkorn im Schnabel — seine Schwingen spreizt, wird in der Bosch-Literatur als
Pelikan bezeichnet, was jedoch zoologisch wie ikonographisch gleich unhaltbar ist.
Kicht nur daß er die eigentlichen Kennmale des Pelikans vermissen läßt: den mächti-
Sen Hamenschnabel mit dem Beutesack, den langen Schwanenhals, den rauhbe-
Rederten und plumpen Leib, den kurzen Sterz, die Schwimmhäute der stämmigen
Ruße, fehlt ihm auch noch das sinnbildlich Entscheidende: die Brut, die er — der 8
Der Vogel Charadrius auf einem Glasgemälde der Kathe-
drale zu Lyon
8) Von Charles de Tolnay (H. Bosch, Bäle 1937, S. 43) als „Noahs Opfer“ (1. Mos. 8,
a°) fehlgedeutet, was L. v. Baldass (a. a. O. S. 247) und J. Combe (J. Bosch, Paris 1946,
• 93) übernommen haben.
***) Ein Druckfehler bei L. v. Baldass (a. a. O. S. 247) entstellt sie zu „drei Heiden
Lavids“. — Die Mutmaßung Carl Justis, daß die Myrrhenkapsel „vielleicht chinesische
Arbeit“ sei, erledigt sich nach der Thematik des Reliefs von selbst.
176
Wilhelm Fraenger
Sage nach — mit seinem Herzblut nährt* * 11). Erst diese Selbstaufopferung macht ihn
zu einem Gleichnis der Passion. Doch kann von einer Passionssymbolik hier um so
weniger die Rede sein, als dieser schlanke, langgeschwänzte Vogel mit den spitzen
Schwingen auf der Bordürenstickerei des Mohrenkönigs (Abb. S. 190) in ganz
anderen Sinnzusammenhängen wiederkehrt: Zwischen drei Vögeln, die nach
Körnern picken, steht er diesmal als menschenköpfiges Fabeltier, das man — wie die
zwei Vorwelt-Ungeheuer auf der Tunika des Mohrenpagen — bisher der wunder-
süchtigen Zoologie des Mittelalters zuzuschreiben pflegt.
Insoweit scheinen die anschaulichen Gegebenheiten dem eingangs mitgeteilten
Urteil Josephs DE SiGUENZA Recht zu geben, daß Bosch die hierarchischen
Würdengrade, die Sakramente und „Mysterien des Seelenheils“ gewissenhaft be-
achtet habe. Wenn er jedoch zum Epiphanias-Altar im besonderen vermerkt, daß ££
„gar nichts Befremdendes oder Extravagantes“ enthalte, so wird SlGUENZAs
Urteil problematisch, wenn wir die seltsame Gestalt ins Auge fassen, die aus dem
Türrahmen des Stalles an der Spitze einer fünfköpfigen Gruppe uns entgegen-
tritt.
Der vierte König (Tafel V)
Die Kunstgeschichte hat zur Deutung dieser Szene wenig beigetragen. CaM
JUSTI spricht nur von „den drei wildfremden Herrn, die in der Tür zuschauen“ und
vermeint: „Bei der Rekonstruktion ihrer Garderobe würde wohl dem gewiegtesten
Archäologen sein Latein ausgehen“12).
HERMANN Dollmayr stößt sich an den „katzenartigen Bewegungen des Gß'
folges“ und findet, daß „diese auch ein wenig allzu phantastisch herausgeputzten
u) Da König Kaspar seine Myrrhen — einer alten Überlieferung gemäß (s. S. 185) defl1
Christkind als dem künftigen Arzt und Heiland opfert, könnte es sich um den sagenhafte1^
Vogel CHARADRIUS handeln, der nach dem jüngeren PHYSIOLOGUS, ALBERT^
MAGNUS, KONRAD v. MEGENBERG u. a. m. an Krankenbetten seine Rolle spick;
Wendet er sich dem Patienten zu, wird er gesund, da der Charadrius mit seinem Schnabe
„des mannes unkraft an sich zieht“, die er — zur Sonne fliegend — zur Genesung läutert-
Kehrt er sich von dem Kranken ab, so muß er sterben. Vgl. den ausführlichen Artikc
Eduard Hoffmann-Krayers im „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 2>
Sp.20 ff.
Zwei Bildwerke des 13. Jhdts: ein Glasgemälde der Kathedrale zu Lyon uü
eine Miniatur aus einem „Bestiarium“ der Bibliothèque de l’Arsenal-Paris, die wir naö1
L. Charbonneau-Lassays „Bestiaire du Christ“. Gent 1940, S. 43 3 wiedergeben, stelle11
den Wundervogel ganz ähnlich wie auf unsrer Tafel in seinen zwei prognostischen Fuflk'
tionen dar. Doch legen wir auf diese Möglichkeit der Deutung kein besonderes Gewicht,
Bosch bereits auf seinem Erstlingswerk: der kleinen Epiphanias-Tafel des Métropolite
Museums zu New York, den gleichen goldnen Vogel auf die Myrrhenkapsel König Kaspaf?
setzte, wobei den Opfergaben der Dreikönige keinerlei sinnbildliche Absicht beizumesscfl
ist. — Jedenfalls bleibt die Lesart „Pelikan“ eine desto kurzsichtigere Fehlbezeichnung» â
Bosch im Vordergrund unsrer Madrider Epiphanias-Tafel den Helm des MELCHIOR 11)1
zwei naturgetreuen Pelikanen krönte, die sich mit überkreuzten Schnäbeln gegenübersitzcl1'
12) Carl Justi: a. a. O., S. 128, bzw. Miscellaneen II S. 72.
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
177
Leute nicht höfisch, wie man es von der ritterlichen Schar der drei edlen Weisen ge-
lohnt ist, handeln, sondern mehr wie Boschs Teufel- und Spukgestalten, wenn sie
Linter einem armen Heiligen her sind“13).
Max J. Friedländer urteilt: „In dem Türrahmen werden Männer des könig-
Lchen Gefolges sichtbar, dabei ein fast nackter Wilder mit vogelnestartiger Kopf-
Ledeckung“14).
Lyonel CüST befindet: „Die in der Hütte sichtbaren Figuren stellen augen-
scheinlich Boten des Herodes dar, die zur Berichterstattung über das Ereignis aus-
gesandt wurden. Der vorderste von ihnen ist teilweise nackt, trägt einen phantasti-
schen Turban mit Federbusch auf seinem Kopf und hält in seiner Linken einen reich-
verzierten Kessel oder Krug“15).
Spürsinniger als seine Vorgänger hat ALVAREZ CABANAS bestimmte Einzelzüge
des rätselvollen Türhüters hervorgehoben: „In der Tür erblickt man sechs fremd-
artige Gestalten, deren eine unsre besondere Aufmerksamkeit verdient. An Rumpf
und Schultern von einem reichen Mantel bedeckt, ist sie von einem durchsichtigen
Schleier umhüllt, der die Feinheiten einer erlesenen Pinselführung zeigt. Der Schmelz
des schneeigen Fleischtons, dessen blankes Weiß mit dem kraftvollen Weinrot des
Mantels bestens harmoniert, läßt an den Sammet-Bruegel denken. Gleichzeitig ist sie
die Gestalt des Triptychons, der das meiste Leben innewohnt. Angesichts der An-
betung fließt ihr fremdartiges, von einem Bart bevölkertes (poplado de barba) Ge-
sicht vor Freude über, wozu die kleine Blume mit bläulicher Blüte und grünem
Stengel paßt, die ihr als Krönung dient. In ihrer Linken hält sie eine ziselierte
Amphora, die an der dünnen Kette eines goldmetallenen Armreifs hängt. Außer
einem hellen, gelb und blau gemusterten Tuch trägt die Gestalt unter dem karmin-
roten Mantel einen schmalen grünen Gürtel, der überm Boden in einer kunstvollen
Goldschmiedearbeit endigt16).“ —
CHARLES DE Tolnay schreibt: „Fremdartig gekleidete Personen warten im Stall,
^ie hinter Kulissen, auf den Augenblick, den Platz der Könige, deren Gefolge sie
Slnd, einzunehmen und so das zweite Glied einer Kette ewiger Anbetung zu bilden.
Lfie Dornenkronen und Geschmeide dieser neubekehrten Barbaren sind zweifellos
Anspielungen auf Episoden der Passion17).“
13) Hermann Dollmayr: „H. Bosch und die Darstellung der vier letzten Dinge“. In:
Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Jhg- 1898,
bd. 1 S. 290.
M) Max J. Friedländer: Die altniederländische Malerei, Bd. 5: Geertgen von Haarlem
Und H. Bosch. Berlin 1927, S. 90.
15) Lyonel Cust: „The adoration of the kings by H.Bosch“. In: Apollo, a Journal of
the Arts, Jhg. 1928, Bd. 8, S. 5 5 ff.
16) Alvares Cabanas: „La adoración de los Santos Reyes, tríptico de Jerónimo Bosch“,
Religion y cultura, hgg. vom Augustiner-Orden im Escorial. Jhg. 1932, Bd. 5, S. 140. —
Labanas’ Würdigung des Epiphanias-Altars schließt — ganz im Sinne Josephs de
^uenza: „Der Maler Bosch, der so meisterlich das holländische Flachland darzustellen
^ußte, kam in einer Zeit zur Welt, die für die Religion voll Schwierigkeiten war. Aber ob-
wohl die Ketzerei in seiner Heimat um sich griff, vermochte er sich wie ein Diamant fest zu
behaupten, ohne das Dogma zu verletzen oder dessen Grenze zu überschreiten.“
17) Charles de Tolnay: a. a. O. S. 44.
12 Volkskunde
178
Wilhelm Fraenger
Ludwig von Baldass liefert folgende Beschreibung: „In der Hütte harrt das
phantastisch gekleidete Gefolge und verfolgt durch die Türöffnung den Vorgang-
Der Vorderste ist durch eine offene, Wunde am nackten Bein und durch die weiße
Verfärbung seiner Körperhaut als Aussätziger gekennzeichnet. Sein Turban ist mit
einem Dornengeflecht verziert, er hält ein helmartiges Gefäß mit wasserspeier-
artigen Dämonen18).“
Schließlich erblickt JAQUES COMBE in den „ungeschlacht aussehenden, wunder-
lich gekleideten Männern, die im Inneren der Hütte nach dem majestätischen Vor-
gang spähen“, eine Verkörperung der „Irrtümer und Ketzereien, die beständig am
Pfad des Gläubigen lauern, um ihn von der Wahrheit abzulenken: eines Gedankens,
der im Bewußtsein Boschs stets gegenwärtig war19).“
So weit die bisherigen Kommentare in ihren Sinngebungen: hier ewige Anbetung
und Passionssymbolik, dort Teufelsspuk und Ketzerei auch auseinander gehen,
stimmen sie darin überein, daß sie die Insassen des Stalls zumeist für das „Gefolge“
der Dreikönige halten und ihr als fremdartig empfundenes Kostüm nur als ,,phan-
tastisch“ zu bezeichnen wissen. Doch dieser Lesart widerspricht der Augenschein,
daß Bosch den rätselhaften Fremdling auf der Schwelle mit so präzisem Realismus
dingfest machte, daß zu vermuten ist, er habe alle Einzelheiten seiner Tracht mit
sachlicher Verantwortung gezeichnet. So ist ein augenfälliges Merkmal seiner rea-
listischen Beobachtung darin gegeben, daß Bosch im Fleischton seines „Vierten
Königs“ ganz deutlich die der Sonne ausgesetzte, lebhaft durchblutete und stark
gebräunte Farbe des Gesichts und Halses von der viel bleicheren Farbe des dem
Sonnenlicht entzogenen Oberkörpers und des nackten Beines unterschieden hat,
was für die Lebensechtheit der Gestalt und des Gewandes spricht.
Der Mann, der eine hochgetürmte Krone auf dem bärtigen Haupt und einen
scharlachroten, lang herabwallenden Mantel über der blanken Nacktheit seines
Körpers trägt, bildet schon kompositionell den eigentlichen Blickfang der Drei-
königsgruppe, ihre Kardinalfigur im ursprünglichen Sinn des Wortes, das vom
lateinischen Cardo — Türangel oder Drehpunkt abzuleiten ist. Sein durch zwei
goldene Geschmeide doppelt hervorgehobenes Inkarnat, seine pompöse Draperie,
der Silberglanz der Krone und des Gegenstandes, den er in der Linken hält, heben
ihn von dem dunklen Hintergrund des Stalles ebenso eindringlich ab, wie das
enthusiastische Frohlocken seiner Miene und die freudige Beschwingtheit seines
Schrittes einen dramatischen Kontrast zu den liturgisch ruhevollen und gleich-
mütigen Vordergrundfiguren bilden. Auch seine feingliedrigen Hände beseelt ein
Ausdruck inniger Ergriffenheit, wie sie den Türpfosten umarmen und behutsam
streicheln. Gerade das verzückte Leuchten seines Angesichts und sein in Hand und
Fuß sich ungeduldig äußerndes Verlangen nach dem Gotteskind machen den Tür-
hüter zur faszinierendsten Gestalt des Bildes.
Nach seinem majestätischen Ornat möchten wir ihn für einen PRIESTERKÖNIG
halten, der den Dreikönigen zumindest ebenbürtig, wenn nicht an Rang und Heilig'
18) Ludwig v. Baldass: a. a. O. S. 248.
19) Jaques Combe: a. a. O., S. 42.
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
179
keit noch überlegen ist. In Hinblick auf die messianische Idee des Epiphanias-Festes
könnte man an MELCHISEDEK, den „König der Gerechtigkeit“ und „Friedens-
fürsten“ denken, den der Ebräerbrief 7, 3 mit der geheimnisvollen Formel feiert:
»Ohne Vater, ohne Mutter, ohne Geschlecht, und hat weder Anfang der Tage, noch
Ende des Lebens, er ist aber verglichen dem Sohn Gottes, und bleibet Priester in
Ewigkeit.“ — Oder es könnte KÖNIG DAVID sein, soll doch der künftige
■Messias-König aus dessen Stamm und Stadt, dem kleinen Bethlehem, entsprossen:
»Siehe, es kommt die Zeit, daß ich dem David ein gerecht Gewächs erwecken will,
und soll ein König sein, der wohl regieren wird, und Recht und Gerechtigkeit auf
Erden ausrichten“ (Jer. 23, 5). — „Und du, Bethlehem Ephrata, die du klein bist
Unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei,
Welches Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist“ (Micha 5, 1).
Jeder von Beiden wäre für ein Epiphanias-Bild als ein zwar ungewöhnlicher, doch
glaubwürdiger Zeuge denkbar, wenn solcher Lesart die betonte Nacktheit des Tür-
hüters nicht im Wege stände, die weder auf den hochehrwürdigen MELCHISEDEK,
uoch auf den KÖNIG DAVID übertragbar ist. Wie dem auch sei: der Fremdling
kann schon deshalb kein Gefolgsmann der Dreikönige sein, weil er ein eigenes,
Jhm physiognomisch und kostümlich angemessenes Gefolge hat, mit dem er
das bemerkenswerte Vorrecht teilt, das Innere des Stalles: die Zelle des Geburts-
Uiysteriums Christi zu betreten.
Gegen die Annahme eines „Vierten Königs“ sträuben sich freilich folgende Er-
wägungen :
Erstens steht sie zu der gesamten Ikonographie des in den Niederlanden besonders
häufig dargestellten Epiphanias-Stoffs im Widerspruch.
Zweitens bestand in der Liebfrauen-Bruderschaft Hertogenboschs der alte Brauch
von Epiphanias-Spielen. Zu deren Vorbereitung hatte schon im Jahre 1441 JAN van
■^KEN, ein Oheim Boschs, für das Kostüm des Mohrenkönigs die Bemalung über-
nommen. Die früheste, noch ganz schülerhafte Tafel Boschs (im Metropolitan-
Museum zu New York) ist ein durch diese Spiele angeregtes Epiphanias-Bild. Ja er
hat selbst an diesen Aufführungen mitgewirkt! Auf dem Dreikönigsbild der Samm-
Mng Johnson-Philadelphia ist der frontal auf den Beschauer ausgerichtete Balthasar
~~~ was von JAN MOSMANS überzeugend nachgewiesen wurde20) — ein jugendliches
Selbstbildnis des Malers. Durch die Einführung eines „Vierten Königs“ hätte er
demnach eine heimatliche Überlieferung, die ihm von Kindesbeinen an vertraut war,
preisgegeben21).
20) Jan Mosmans: a. a. O., S. 42.
21) In volkstümlichen Epiphanias-Spielen und Dreikönigsliedern trat manchmal tat-
sächlich ein „Vierter König“ auf, den Goethes heiterer Protest gegen das anno 1777 er-
Essene Verbot des Sternsingens apostrophierte:
„Die heil’gen drei König sind kommen allhier,
Es sind ihrer drei und sind nicht ihrer vier,
Und wenn zu den dreien der vierte war’,
So wär’ ein heil’ger drei König mehr.“
180
Wilhelm Fraenger
Drittens erscheint es schlechthin ausgeschlossen, daß in Hertogenbosch, dessen
Johanneskathedrale zur Erzdiözese Köln gehörte, solch ein Abweichen von der
traditionellen Dreizahl möglich war. Seit Friedrich Barbarossa die bei der Eroberung
Mailands im Jahre 1162 erbeuteten Reliquien der Dreikönige seinem Kanzler, dem
Erzbischof Reinald von Dassel übereignet hatte, lagen sie in der Kölner Peters-
kirche in einem mit Juwelen übersäten Schrein bestattet: das höchste, weithin aus-
strahlende Heiltum Kölns, das die Dreikönige rheinauf, rheinab zu den beliebtesten
Yolksheiligen des Mittelalters machte22).
Wir stehen also vor dem kritischen Dilemma, daß einerseits in der Erzdiözese Köln
ein offizielles Andachlsbild, das einen „Vierten König“ einführt, ganz undenkbar
scheint, andererseits aber eine schwerlich anders zu bezeichnende Figur inmitten
unserer Altartafel steht, die bis zu dieser fragwürdigen Stelle ihre streng kirchliche
Gebundenheit erwiesen hat.
Aus dieser Klemme gibt es nur den Weg, exakter als bisher geschehen ist, die
problematische Figur in allen Einzelheiten ihrer äußeren Erscheinung zu beschrei-
ben und nachzuprüfen, ob ein sinnvoller Zusammenhang zwischen den Teilen ihrer
Tracht besteht, der es vielleicht ermöglicht, sie als Ritual-Ornat zu definieren und
dieses einem ganz bestimmten Priesterkönig zuzuschreiben, dem eine feierlich ver-
brämte Nacktheit wesensmäßig zugehört.
Die Tracht des Türhüters setzt sich aus folgenden Bestandteilen zusammen:
Erstens der KRONE, die als „Turban“ mit oder ohne ,,Federbusch“ oder als
„vogelnestartige Kopfbedeckung“ falsch bezeichnet wird. Schon die Tatsache, daß
sie über einem weißen Stirnband sitzt, bezeugt, daß sie als heilige Krone zu betrach-
ten ist. Denn dieses Stirnband soll verhüten, daß sie mit Haut und Haar des Trägers
in Berührung kommt, wie seine weiße Farbe die Erfordernis kultischer Reinheit zu
erkennen gibt. — Aus dünnem Silberblech zu einer Halbkugel gerundet, die von
So teilte 1787 Karl Friedrich Floegel im 4. Band seiner „Geschichte der komischen
Literatur“ folgenden Anfang eines Breslauer Dreikönigspieles mit:
„Die heiligen drei Könige, alle vier, alle vier,
Die stehen wohl vor der Stubentür“.
Er hat auch nicht versäumt, diese Erweiterung der Dreizahl zum Quartett durch einen Zu-
satz zu erklären: „Erstaunt, von den vier heiligen drei Königen zu hören, fragte ich, weichet
denn der vierte unter den heiligen Dreikönigen wäre, und man wies auf den sie begleitenden
Engel, der einen papiernen Stern drehte, worin ein brennendes Licht befestigt war.“ — Dem
3. Band des „Wunderhorns“ entnehmen wir die gleichartigen Anfangszeilen eines Epiphanias-
Liedes :
„Die vier heilige drei König mit ihrem Steara,
Der Casper, der Melchar, der Baltes, der Beara...“
Hier stellt sich in dem Reimpaar: „Steara“ = Stern und „Beara“ = Bär der „Vierte
König“ als der in Erbsen- oder Bohnenstroh vermummte Erbsenbär heraus, den die zu
Großneujahr: dem Abschluß der Rauhnächte und Beginn des Fastenlaufens herumziehenden
Sternsinger mit sich führten.— Mit solch naivem Mummenschanz, worin Gestalten aus dem
kirchlichen und bäuerlich-paganen Festkalender sich vermischen, läßt sich jedoch def
„Vierte König“ unsrer Tafel nicht verknüpfen.
22) Karl Meisen: Die heiligen drei Könige und ihr Festtag im volkstümlichen Glauben
und Brauch, Köln 1949.
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
181
einem goldenen Dorngeranke übersponnen ist, erweist sie schon durch ihr erlesenes
Material, mehr noch durch dessen sphärische Formung ihre Heiligkeit. Denn in der
Halbkugel stellt sich — wie in dem alten Reisesegen: „Der Himmel ist mein Hut,
die Erde ist mein Schuh“ — die Himmelskuppel dar. — Den Sinn des Dorngeranks
hat ToLNAY zutreffend als Hinweis auf die Passion gedeutet, jedoch entging ihm
der Zusammenhang, der zwischen dem Gedörn und dem im Scheitelpunkt der
Krone aufsprossenden Blütenzweig besteht.
Dort ragt ein zierliches Metallgestäng empor, das als Gehege jenes zarten Reises
dient, das der Prophet JESAIAS als Wahrzeichen des messianischen Reichs
gefeiert hatte: „Und es wird eine Rute (hebr. Zemach, griech. anatole, lat. virga
^ frisches grünes Zweiglein) aufgehen von dem Stamm Isais, und ein Zweig aus
seiner Wurzel Frucht bringen. Auf welchem wird ruhen der Geist des Herrn,
der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rats und der Stärke,
der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn“ (i i, i). So stellen die zwei Zier-
ate der Krone eine Fortsetzung der typologischen Weihgaben des Vordergrundes:
eine Offenbarung der durch die Dornenkrone der Passion bewährten Messianität des
Christkinds dar.
Hinter der Krone fällt ein Gespinst von Goldbrokat herab, das beiderseits bis zu
den Ellenbogen ihres Trägers reicht. Auch dieser Schleier ist als numinoser Gegen-
stand zu werten. Sieht man doch, daß die zwei dem Türhüter nächst stehenden Be-
gleiter mit ganz vorsichtigen Fingerspitzen seinen Rand berühren, als ob Kraft-
strahlen aus dem Schleier auf sie übergingen. Diese andächtige Betastung deutet an,
daß von der Halbkugel der Himmelssphäre der Schleier als ein pneumahaltiges, gott-
geistiges Gebilde auf den Mantel niederwallt, welch letzterer durch seine lange
Schleppe die Erdenwelt repräsentiert.
Der Priesterkönig hat die Schleppe aufgenommen und über seinen rechten Arm
gelegt, von dessen Ellenbogen sie in einem auffällig betonten Knoten niederhängt.
Nach einem urtümlichen Zauberbrauchtum, das — hier zum Guten, dort zum Bösen
angewendet — so verbreitet war, daß das lateinische religio, das griechische katddes-
•nos und das hebräische Tlähar zu religiösen oder magischen Grundbegriffen werden
konnte23), erfüllt der Knoten unseres Bildes die Funktion der Rückverknüpfung
(also im ursprünglichen Wortsinn: der re-ligio) des irdischen Bereiches mit der
Himmelssphäre. Bosch hat die Zirkulation astraler und tellurischer Kräfte dadurch
angedeutet, daß er die Ausstrahlung des Himmelsschleiers, dessen rechter Rand als
Weiteres Zeichen der Verknüpfung goldene Knöpfe trägt, bis zu dem Ellenbogen
seines Trägers, also zu der gleichen Stelle führte, wohin der Zauberknoten die lange
Schleppe in die Höhe rafft.
Stellt sich schon bei solch erster Überschau ein folgerichtiger Zusammenhang der
Fracht heraus, so wird sie durch ihr weiteres Zubehör vollends als Ritual-Ornat
Hgitimiert: Unter dem Mantel, dessen Scharlachfarbe aus den mosaischen Vor-
schriften zur Ausstattung der Stiftshütte (Exod. 25, 4. 26, 1, 31, 36. 38, 18.) und der
“) Johannes Hempel: Artikel „Knoten“ in: Die Religion in Geschichte und Gegen-
wart2, Bd. 3, Sp. 1107 f.
182
Wilhelm Fraenger
hohenpriesterlichen Amtstracht (Exod. 28. 6. 15) stammt, trägt der Türhüter eh1
florseidenes Hemd mit weiten Ärmeln, das seine Nacktheit ebenso betont wie
keusch verhüllt. Am unteren Saum wird es durch eine kleine Kugel, die an einem
Ringe hängt, herabgezogen, deren Gewicht das Aufflattern des leichten Florstofles
verhüten soll. Nach oben wird es durch zwei weiße Perlen, die an dünnen Schnüren
von dem Stirnband niederhängen, mit der Himmelskrone in einen magischen Kon-
takt gesetzt. Das durchscheinende Hemd ist diesem energetischen Rapport gemäß als
Gegenstück zu dem brokatnen Schleier: als Sichtbarmachung eines Fluidums zu
deuten, das auf den irdischen Leib einen vergeistigenden, heiligenden Einfluß übt.
Ein gleich bedeutungsvolles Zubehör des Ritual-Ornates ist die goldene Kette,
die sich von einem gleichfalls goldenen Reif am rechten Oberarm des Fremdlings
— unter dem hochgeknüpften Mantelsaum hindurch — zu seinem linken Oberarm
hinüberschlingt, wo sie (wenn auch unsichtbar, so doch zweifellos) in einem gleich-
artigen Goldreif endet. Durch diese Kette wird ihr Träger als ein „Gefangener“
seines Gottes, als dessen freiwilliger Sklave charakterisiert: als ,,kätechos“, wie sich
die Klausner des Serapis nannten, die jahrelang als freiwillige Häftlinge im Serapeum
hausten, oder als ,,catenatus“ mönchischer Observanz, der, um ein Bußgelübde zu
erfüllen oder um seine unverbrüchliche Gebundenheit an Gott zur Schau zu stellen,
den eigenen Leib in schwere Ketten schlägt. Auch an die taciteische Schilderung des
heiligen Waldes der Semnonen darf erinnert werden, vor dem sie „solche Ehrfurcht
tragen, daß niemand hineintritt, der sich nicht vorher in Fesseln hätte binden lassen, zur
Anerkennung seiner Schwäche und der göttlichen Allmacht“ (Germania, cap. 39). —-
Die Gottesknechtschaft des Türhüters wird noch dadurch angedeutet, daß er den
Türpfosten mit beiden Händen faßt, was an die Heilighaltung, die das alte Israel den
Türpfosten der Wohnstätten und Tempel angedeihen ließ, gemahnt. Man denkt
dabei an einen Satz der ,,Sprüche Salomos“ (8, 34): „Wohl dem Menschen, der
mir gehorcht, daß er warte an meiner Tür täglich, daß er warte an dem Pfosten
meiner Tür.“
Wie der Türhüter durch die goldene Fessel, die sein florseidnes Hemd und den
emporgerafften Mantelsaum umschlingt, an die rein geistige Überwelt gefesselt ist,
stellt der handbreite Gürtel, der von seinen Lenden auf die Erde fällt, eine Verbindung
zu den unteren Gewalten her. Am goldenen Zierstück seines Abschlusses hängt eine
Schelle. Auf diesen Gürtel ist ein merkwürdiges Ornament graviert: Zuunterst
sieht man eine Kugel. Auf dieser steht im Kopfstand eine nackte, archaisch stilisierte
menschliche Figur, die beide Hände auf die Kugel stützt und dabei zugleich mit den
Füßen eine zweite, völlig gleichartige Kugel in die Höhe stemmt, nach der von oben
wiederum zwei Hände greifen. Dieses ad irtfinitum fortsetzbare Ornament stellt
offenbar die seit Beginn der Welt sich abspulende Generationenkette dar. Die goldene
Schelle, die dicht überm Boden schwebt, soll die Erdfruchtbarkeit emporrufen und
wach erhalten, damit der Fortgang der Geburten nicht ins Stocken kommt24).
24) In seinen ,,Wald- und Feldkulten“ (Berlin 19042, S. 54off) führt Wilhelm MaNN-
hardt zahlreiche Belege für diese magische: „das Korn aufweckende“ Funktion der SchelR
an, wie er auch bei denWeihnachtsbräuchen (S. 5 26 ff) daraufhinweist, daß „der bescherende
hg. Christ durch ein geheimnisvolles Geklingel mit feinem Glöckchen seine Ankunft verrät
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
183
Den Gegenstand, den der Türhüter in der Linken hält, vorerst beiseite setzend,
Wenden wir uns dem letzten Teilstück des Ornates zu: der goldgefaßten, an ein
gläsernes Reliquiar erinnernden Manschette, die der Türhüter über seiner rechten
Wade trägt. Unter der Röhre ist ein Wundmal sichtbar: eine kreisrunde brandige
Stelle, aus der ein dünnes Blutgerinnsel auf den Spann und Knöchel sickert. Mit
ärztlicher Genauigkeit hat Bosch die kranke Stelle als Aussatz charakterisiert. Wie
Schon das kostbar unter Glas gesetzte Wundmal für ein heiliges Leiden spricht, so
kann das seltsame Motiv nur aus dem jüdischen Messianismus abgeleitet werden.
Dort wurde der Messias als „Chiwwara“ = der Weiße, der Aussätzige“ bezeichnet,
Was auf der Prophezeiung des Jesaias (53, 3. 4) gründet, welche in der Vulgata
Wortgetreuer als in der Lutherbibel übertragen ist25):
»Vere languores nostros ipse tulit,
dolores nostros ipse portavit:
et nos putavismus eum quasi leprosum,
et percussum a Deo et humiliatum.“
„Fürwahr, er trug unsre Krankheit,
und lud auf sich unsre Schmerzen.
Wir aber hielten ihn für den, der geplagt,
und von Gott geschlagen und gemartert
wäre.“
Blickt man von diesem untersten Symbol der Ritualtracht zu dem obersten: dem
harten Blütensproß empor, der den Messiasnamen „Zemacli“ illustriert, erkennt man,
daß der Magus auf der Schwelle von Kopf zu Fuß im Zeichen des Messias steht.
Mit dieser Feststellung wird die Figur, die man bisher nur als „wildfremden
Herrn“, „fast nackten Wilden“ und „Barbaren“ zu bezeichnen wußte, schon guten
Teils aus der Vernebelung angeblicher „Phantastik“ freigelegt und ihrer ursprüng-
lichen, der Verherrlichung des Epiphaniasfestes dienenden Bestimmung wieder zu-
geführt.
Die dreifache Krone
Den Drehpunkt zur genaueren Bestimmung unseres Priesterkönigs bildet der
Gegenstand in seiner linken Hand, dem in den bisherigen Kommentaren nicht minder
Willkürliche Deutungen wie ihrem Träger widerfahren sind: LyONEL CuST hält ihn
für einen „reichverzierten Kessel oder Krug“. BALDASS beschreibt ihn als „helm-
artiges Gefäß mit wasserspeierartigen Figuren“. WALTER SCHÜRMEYER erhöht ihn
Zur „Tiara“ König BALTHASARs, welche sein „Diener“ während des solennen
Aktes halten müsse, und er malt sich aus: BALTHASAR habe — zu der silber-
strotzenden Mozzetta noch diese Krone auf den Kopf gepflanzt — „wie ein wandeln-
des Kuppelreliquiar“ gewirkt28). * 6
und daher klinggeest (der klingende Geist) genannt wurde, und daß St. Niklas, Knecht
k-uprecht, Pelzmärte usw. mit Schellen behängen auftreten“, was sie als,,eine besondere Form
des Vegetationsdämons“ und ihre „Glocke oder Schelle als ursprüngliche Darstellung des
Wachstumsgeistes“ zu erkennen gibt.
as) Moritz Zobel: Gottes Gesalbter. Der Messias und die messianische Zeit in Talmud
und Midrasch. Berlin 1938, S. 94.
S6) Walter Schürmeyer: H.Bosch. München 1923, S. 37.
Wilhelm Fraenger
184
Zunächst auf seine Form und Machart hin betrachtet, gibt sich der Gegenstand als
Hohlform zu erkennen, als ein aus dünnem Silberblech gefertigtes Gebilde, das der
Priesterkönig am schmalen Wulst des unteren Randes hält. Dieser erweitert sich zu
einem schalenförmigen, mit einem Flachrelief geschmückten Untersatz, in den zwei
ineinandersteckende Zylinder eingelötet sind. Der äußere ist mit rautenförmig ein-
gefaßten Edelsteinen und vier plastischen Halbfiguren dekoriert, von denen drei ins
Relief des Untersatzes übergreifen, was die beiden Zonen zu einem einheitlichen
Fries zusammenfaßt. Der innere, etwas überragende Zylinder ist mit einem kunst-
voll ausgebuckelten Gewölbe überdacht, das sich in einem kurzen Hals nach oben
öffnet.
Die Tatsache, daß das hohlförmige Gebilde nach oben wie nach unten offen ist,
schließt völlig aus, daß es als Kessel oder Krug, helmartiges Gefäß oder Tiara
dienen könnte. Der von dem Priesterkönig zwanglos gehandhabte und offenbar so
leichte Gegenstand, daß er sich mit drei Fingern halten läßt, wirkt wie ein abge-
nommener Zylinderhut, dessen absonderliche Form erst dann zu einer sinnvollen
Funktion gelangt, wenn man ihn als Umhüllung der halbkugelförmigen Krone nimmt.
Diese paßt in den inneren Zylinder ebenso genau hinein, wie das sie überragende
Metallgestänge in dem kreisrunden Hals der Hohlform einen maßgerechten Durch-
laß findet. Erst wenn man die Umhüllung über die zwei anderen Bestandteile der
Krone stülpt, wird die irrtümliche in eine richtige Tiara umgewandelt.
Das Relief des Untersatzes zeigt in seinem Mittelfeld einen mit mächtigen Schwin-
gen aus schlagenden Reiher, von zwei anderen flankiert, die nur in ihren Krummhälsen
und spitzen Schnäbeln sichtbar werden. Zu ihrer Wasserzone beugen sich vom Erd-
rand drei archaisch wirkende, plump modellierte Halbfiguren, deren mittlere den
großen Reiher an der Gurgel und am Schnabel packt. Auch seine beiden Nachbarn
auf der rechten Seite strecken ihre Arme aus, um die vorbeistreifenden Reiher ein-
zufangen. Die Halbfigur der linken Seite hat Bosch so wenig durchartikuliert, daß
ihr Bewegungsausdruck unverständlich bleibt. Im ganzen jedoch ist der Vorgang
einer Jagd auf Reihervögel unverkennbar.
In welch sinnbildlicher Beziehung diese Reiherjagd zum Dorngeflecht und messia-
nischen Reis der Himmelskrone steht, wird sich in späteren Zusammenhängen
klären. Der bisher rein formale Nachweis, daß der Priesterkönig eine dreifache Krone
innehat, reicht dazu aus, den Weg zur Findung seines Namens anzubahnen.
Mit der Legende der Dreikönige verknüpft sich in der syrischen Überlieferung der
„Schatzhöhle“27) und im äthiopischen „Adamsbuch“28) die Sage, daß ihre Opfer'
gaben aus dem Paradiese stammen: Bei der Verstoßung des Stammelternpaars nahm
ADAM vom Rand des Garten Eden etwas von dessen edelsten Substanzen: Gold,
Myrrhen und Weihrauch in sein Erdenleben mit. Nach seinem Tode wurden die drei
Köstlichkeiten von SETH in der Grabhöhle Adams beigesetzt, von NOAHs Söhnen
27) Die Schatzhöhle, Aus dem syrischen Texte dreier unedirten Handschriften ins Deutsche
übersetzt von Carl Bezold, Leipzig 1883, S. 7L 19L 57.
28) Das christliche Adambuch des Morgenlandes. Aus dem Äthiopischen übersetzt von
August Dillmann. In: Jahrbücher der biblischen Wissenschaft, 5. Bd., Göttingen 1853»
S. 30, 66, 81, 103, 114, 136.
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
185
Vor Beginn der Sintflut mit dem einbalsamierten Leichnam Adams in die Arche über-
führt, danach von Sem und MELCHISEDEK in dem endgültigen Adamsgrab im
»Mittelpunkt der Erde“: dem Kalvarienberg, dem Ort der zukünftigen Kreuzi-
geborgen. Bei der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar wurden die drei
^itnelien des Paradieses als Kriegsbeute in das Chaldäerreich entführt29).
Als den Dreikönigen der Stern erschien, erforschten sie vor ihrem Aufbruch das
Orakel Nimrod-Zoroasters, das ihnen „den ganzen Weg der Heilsordnung des
Messias“ offenbarte und den Rat erteilte, als Opfergaben die ins Grenzgebirge des
Landes Nod verschleppten Heiltümer zu überbringen. „Und daraus magst du er-
sehen, o Bruder Nemesius“ — so schließt die „Schatzhöhle“ den legendarischen
Bericht — „daß sie das ganze Amt der Heilsordnung unseres Erlösers erkannten,
dämlich aus jenen Opfern, die sie holten: das Gold für den König, die Myrrhen für
^en Arzt und den Weihrauch für den Priester. Sie erfuhren, wer er sei, und erkannten,
daß er ein König, Arzt und Priester sei“ (S. 57).
Diese drei Ämter Christi gehen auf eine jüdische Überlieferung zurück, die den Ur-
menschen ADAM zu drei gleichartigen Würden: des Königtums, des Priestertums
Und des Prophetentums erhoben hatte, wofür die Haggada die Formel: die DREI
KRONEN ADAMs prägte30 31). Er galt als König, da „Gott sprach: Ich bin der
König der Oberen und ADAM ist der König der Unteren. Gott setzte ihn ins
Paradies ein und machte ihn dort zum König“ (Pesikta r. ed. Friedmann 192 a). —
Er galt als Priester, denn „ADAM war der Erstgeborene der Welt, und als er sein
Opfer darbrachte, zog er hohenpriesterliche Kleidung an“ (Num. r. IV, 8. Vgl. Gen.
r- LXIII, 13, Tanchuma ed. Buber § 12, Agadath Bereschith XLIII, 1). Er galt als
Prophet, denn „Am Tage, da Gott ADAM schuf, schrieb er ihm in sein Buch alles,
^as er von ihm wird abstammen lassen bis zur Auferstehung“ (Mid. Ps. zu 139,
16 Vgl. Baba Mezia 85 b, Lev. r. XV Anf. Responsen der Geonim, ed. Harkavy, §219,
S. io3)3i).
In der Haggada werden diese Ämter Adams als drei Einzelkronen aufgefaßt.
29) Wir teilen die zentrale Stelle des äthiopischen Adambuchs — Adams prophetisches
Testament — im Wortlaut mit: „Und Adam wandte sich zu seinem Sohne Seth und seinem
^eibe Eva und sagte zu ihnen: „Bewahret das Gold, den Weihrauch und die Myrrhen, die
Oott uns zum Zeichen [ihrer einstigen Rückkehr in das Paradies] gegeben hat. Denn in den
Lagen, da die Flut kommt, wird sie alle Geschöpfe verschlingen; und die, welche in den
Kasten gehen, sollen das Gold, den Weihrauch und die Myrrhen samt meinem Körper mit
Slch nehmen, und das Gold, der Weihrauch und die Myrrhen sollen auf meinem Körper in
'Le Erde gelegt werden. Und nach langer Zeit wird die Stadt, wo das Gold, der Weihrauch
Und die Myrrhen bei meinem Körper liegen, geplündert werden; und wann die Stadt ge-
plündert wird, wird das Gold, der Weihrauch und die Myrrhen mit der Beute fortgeführt,
aher aufbewahrt werden und keines von ihnen wird verloren gehen, — bis das Wort des
Kerrn kommen und Fleisch werden wird. Da werden Könige sie nehmen und ihm damit
huldigen“ (S. 81).
30) Hans Joachim Schoeps: Theologie und Geschichte des Judenchristentums.
Tübingen 1949, S. 102.
31) Die drei Zitate nebst Belegen entnahmen wir dem Aufsatz Benjamin Murmelsteins
»Adam, ein Beitrag zur Messiaslehre“. In: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgen-
landes, Jhg. 1928, Bd. 35, S. 242—275.
186
Wilhelm Fraenger
Bosch fügt die drei Insignien, die man in der Haggada nicht vereinigt findet, in
freier Abwandlung der Papstkrone zu einer Tiara zusammen. Mitsamt den Kenn'
malen der paradiesischen Nacktheit, des scharlachroten Priesterkönigmantels, der
Generationenkette und der Fessel ewiger Gottgebundenheit weist die Tiara ihren
Träger ADAM als erstberufenen, den Dreikönigen bevorrechteten Kronzeugen des
Epiphanias-Wunders aus, dem Gott schon zu Beginn der Welt den Heilsplan „bis
zur Auferstehung“ offenbarte.
Das Gefolge
Bevor wir die Tragweite dieser Feststellung ermessen, wenden wir uns den zwe*
Begleitern des wiederauferstandenen ADAM zu und fassen zunächst jenen alten
Mann ins Auge, der ihm in augenfälligem Parallelismus der schrägen Kopfhaltung>
des Nasenrückens, des Lippenrandes und des bärtig vorstoßenden Kinns genau ent-
spricht. In seinem furchtbar ernsten und erregten Greisenantlitz scheint das en-
thusiastische Frohlocken ADAMs bis zur Überspannung eines starräugigen Fanatis-
mus zugespitzt, weshalb vermutet werden darf, daß dieser wirrhaarige Greis es waf>
der HERMANN Dollmayr zu der abwegigen Phantasie verführte, im Innern des
Stalls von Bethlehem „Teufels- und Spukgestalten, die hinter einem armen Heiligen
her sind“, Unterschlupf zu geben.
Wir weisen seine Herkunft und dramatische Funktion aus einer der Idee des
Epiphanias-Festes angemesseneren Quelle: dem J ohannes-Evangelium nach, wo in
Kap. 8, Vers 56 folgende Worte Jesu überliefert sind, mit denen er im Tempel
von Jerusalem vor Pharisäern und Rabbinen seine Messianität bezeugte: „ABRA-
HAM, euer Vater, ward froh, daß er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und
freute sich.“
Wann Abraham, der nach rabbinischer Überlieferung ein Eingeweihter in den
Heilsplan Gottes war32), die Vision „des Tages“, will sagen: der Epiphanie des
Gottessohnes hatte, wird im Johannes-Evangelium nicht gesagt, wohl aber in der
,,Schatzhöhle“ (S. 36), wo auch der Grund zur Freude des Erzvaters angegeben ist:
„ABRAHAM brachte seinen Sohn hinauf zur Opferung, indem er dadurch den
Kreuzestod des Messias darstellte . .. Dort aber erschien dem ABRAHAM der Tag
der Erlösung ADAMs, und er sah ihn und freute sich darüber, und es wurde ihm
geoffenbart, daß der Messias statt ADAMs leiden werde“33).
Wie dieser Text der Opfergabe König MELCHIORs eine leitmotivische, bereits
auf die Erlösung ADAMs ausgerichtete Bedeutsamkeit verleiht, bestätigt er auch
unsere Benennung des priesterköniglichen Vordermannes Abrahams. Denn
32) „Jochanan B. Zakkaj sagte: Gott hat Abraham diese Welt geoffenbart, aber nicht
die kommende. Akiba dagegen sagte: er hat ihm diese und die kommende Welt geoffen-
bart.“ R. Gen. 44, 25. „Gott zeigte Abraham Israels Geschichte.“ R. Exod. 40, 3. 4. Ans
Adolf Schlatter: Der Evangelist Johannes, Stuttgart 1948, S. 220 zu Joh. 8, 56.
33) Die „Freude Abrahams“ hat Bosch dahin gesteigert, als traue er seinen Augen nicht
und sei ganz starr, etwas unglaublich Wunderbares leibhaft zu erblicken.
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
187
Welcher biblischen Gestalt außer dem „Erstgeborenen der Schöpfung“ stünde der
^ortritt vor dem obersten der Patriarchen zu34) ?
Der „Freude Abrahams“ tritt der gleich ungestüme Ausdruck eines braunhäutigen
Nubiers zur Seite, dessen plattgedrückte Nase und halb offener Mund voller Er-
wartung in die Luft zu schnuppern scheinen. Der Mann trägt eine dunkle Halb-
kugel auf seinem Haupt, die — gleich der nachbarlichen Silberkrone — durch ein
Stirnband abgesichert, also heilig ist. In Stirnbreite ist sie mit einem schwarzen
Schild versehen, der als gleichschenkliges ( ägyptisches ) Dreieck die Halbkugel
überragt. Sein Feld ist von zahlreichen Sternen übersät, wodurch die dunkle Krone
S1ch als Wahrzeichen der Nacht und ihres Sternenhimmels zu erkennen gibt.
Die Bibel liefert zur Bestimmung dieses dunklen Doppelgängers ADAMs keine
Unterlage. Doch können wir der jüdischen Überlieferung des 18. Jahrhunderts einen
*^ext entnehmen, der an den Bildgedanken Boschs so sympathetisch anklingt, daß
Vermutet werden darf, er sei auf eine kabbalistische, in eingeweihten Kreisen des
*5- Jahrhunderts schon bekannte Vorstellung zurückzuführen35). Die ausgehobene
Stelle stammt von dem großen Zaddik ISRAEL ben ELIESER, gen. BAAL-SCHEM-
(Meister des wunderkräftigen Gottesnamens) und hat in der Übertragung
Martin Bubers folgenden Wortlaut36):
»Kennst du den Herrn der Nacht, den Herrn des anderen Reiches? Wisse, immer
lst Einer, der die Zeit befragt, und Einer, der für die Zeit antwortet. Einer, der
§eben will, und Einer, der nicht annehmen kann, Dieser ist er, der Herr der Nacht,
^er dazu eingesetzt ist, das Fehle der Zeit zu künden.“
Wie ABRAHAMs Vision von der Erlösung Adams durch das Sühneleiden des
■blessias, steht auch der „Herr der Nacht“ des BAAL-SCHEM-Tow in einem messiani-
Schen Zusammenhang. Denn in der Zwiesprache des Fragenden, der eine Gabe
Mietet, und des Antwortenden, der diese Gabe nicht entgegennehmen kann, stehen
sich der seinem Epiphanias-Tag entgegenharrende Messias und sein Gottesreich
und die nachtfinstere Verkörperung des „anderen (= gottwidrigen) Reiches“ gegen-
über, d. h. der mangelhaften sublunaren Welt, in Sonderheit des abtrünnigen
Israel, dem am Entschluß zur Umkehr und an täglicher Bemühung um ein gott-
^chorsames und gott-gerechtes Leben noch zu viel fehlt, um das Erscheinen des
Messias und die Entgegennahme seiner Gnadengaben zu ermöglichen. — Auf
ünsrer Tafel scheint der „Herr der Nacht“ die Morgenluft des neuen Aeon schon zu
Wittern, wogegen ADAM mit der strahlenden Gewißheit: Der Tag ist da! das
^otteskind begrüßt.
Die drei Gesichter in der Dämmerung des Stalles sind nicht näher charakterisiert,
. 3l) Nur der Messias nimmt — nach dem Midrasch Tanchuma zu Jes. 52,13 — einen noch
öheren Rang als die Stammväter ein: „Siehe, mein Knecht ist erfolgreich, er wird empor-
f^igen, erhöht werden und sehr erhaben sein, er wird emporsteigen hoch über Abraham
inaus, erhöht werden mehr als Isaak, und sehr erhaben sein, mehr als Jakob.“ Aus Moritz
a. a. O., S. 150.
35) Dies gilt zugleich für unsre künftigen chassidischen Zitate, deren Zurückführung auf
üucllentexte aus dem 15. Jahrhundert wir der berufenen Kabbala-Forschung überlassen
Müssen.
3K) Martin Buber: Die Legende das Baal-Schem. Frankfurt a. M. 1908, S. 245.
188
Wilhelm Fraenger
so daß man sie in ihrer Anonymität belassen könnte, wenn nicht ihr Aufenthalt i№
Inneren der Hütte eine anspruchsvollere Auslegung erfordern würde. Wir halten
sie für jenes winzige Häuflein von „Gerechten“, denen JESAIAS (60, 21.22) die
Besitzergreifung des messianischen Friedensreiches verheißt: „Und dein Volk sollen
eitel Gerechte sein, und werden das Erdreich ewiglich besitzen, als die der Zweig
meiner Pflanzung und ein Werk meiner Hände sind zum Preise. Aus dem kleinsten
sollen tausend werden, und aus dem geringsten ein mächtig Volk. Ich, der Herr, will
solches zu seiner Zeit eilend zurichten.“
Schalen und Funken
Der vorderste der drei Gerechten richtet sein scharf geschnittenes Profil ge'
spannt nach links. Er will als Wegweiser zu einer seltsamen Erscheinung dienen, die
— von den Insassen des Stalles unbeachtet — in der Finsternis als Schwarm von
Funken sprüht. Sie schweben über einem bauchigen Gefäß, das sich in seinem auf'
schimmernden oberen Rand als breite Schale öffnet. Dahinter reflektiert ein zweites,
weitaus größeres Gefäß das Funkenspiel, doch kann man dessen Form nicht klar ef'
kennen. Ganz deutlich nimmt man nur zu unterst eine kleine Schale wahr, in der eiu
Löffel steckt.
Das in geheimnisvolle Dunkelheit gestellte Stilleben blieb bisher unbeachtet ufld
konnte desto unbesorgter übergangen werden, solang die geistige Bedeutsamkeit der
Insassen des Stalles nicht erschlossen war. Seit jedoch deren Vorderste als ADAid
und Erzvater ABRAHAM zutage traten, wächst ihrem stummen Beiwerk eiße
heilige Bedeutung zu. Wir sehen in dem Funkenstieben zwischen den Gefäßei1
eine messianische Allegorie verborgen, welche das kabbalistische Begriffspääi
„Schalen und Funken“ mit der Idee des Epiphanias-Festes sinnvoll kombiniert. M1*
diesen zwei Begriffen hat es folgende Bewandtnis:
Nach dem Midrasch Bereschit Rabba zu Genesis 1,5 und 1,31 hatte Gott, bevor ef
die endgültige Welt erschuf, schon viele andere entworfen und sogleich verworfeu,
da sie die Fülle der Vollkommenheit nicht zu beherbergen vermochten37). Die Käb'
bala pflegt diesen Schöpfungsakt als das ,,Zerbrechen der Ur gef äße“ und deren Bruch'
stücke als „Schalen“ zu bezeichnen. In diesen Schalen blieben von der Ausstrahlung
des Schöpfers heilige „Funken“ haften, die dadurch in gottwidrige Umschließungen
und eine leidensvolle Kerkerhaft hineingerieten. Zudem hat ADAMs Abfall die
gottebenbildliche und gute Schöpfung in eine „Welt der Schalen“ umgewandelb
worin das göttlich Gute in vielen mangelhaften oder bösen Hüllen steckt. Seitdem
besteht das Ziel der Schöpfung und die Aufgabe des Menschen in der Zurück'
gewinnung der ursprünglichen Vollkommenheit. Die „Funken“ aus den übleJ1
„Schalen“ zu befreien und ihnen zur Zurückvereinung mit dem Urlicht zu verhelfet’
ist das dem Kabbalisten zubestimmte fromme Tagewerk. Sein ganzes Tun uflh
Lassen auf die Erforschung und Erfüllung der Gebote Gottes richtend, wird ci
37) Martin Buber: Des Baal-Schem-Tow Unterweisung im Umgang mit Gott. Berhn’
Schocken-Bücherei, o. J. S. 107.
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
189
*utn Mitarbeiter an der Welterlösung, deren Vollendung dem MESSIAS Vorbehalten
bleibt.
Freilich hat Bosch mit seinen drei Gefäßen und den dazwischen aufblinkenden
Helligkeiten nur eine rebushafte Andeutung des Vorgangs bieten können, daß das
Erscheinen des Messias in der Welt das Freiwerden und Wiederaufsteigen der
’»Funken“ aus der „Gewalt der Schalen“ mit sich bringt. Doch mögen ein paar Sätze
des vorhin schon angeführten Zaddik BAAL-SCHEM-Tow bestimmte Einzelheiten
Seines Bildgedankens faßbar machen:
Wenn Bosch zu vorderst jene kleine Schale mit dem darin steckenden Löffel zeigt,
So mahnt er damit an die fromme Pflicht, bei jedem Schluck darauf bedacht zu sein,
die „Funken“, die sich — wie in jeglicher Materie — in den Speisen bergen, aus
der sie einschließenden „Schale“ zu befreien: „Achte, daß alles, was du um Gottes
Willen tust, selber Dienst Gottes sei. So das Essen: Sage nicht, es solle die Absicht
des Essens sein, daß du Kraft zum Dienst Gottes gewinnst. Wohl ist auch dies eine
gute Absicht, aber die wahre Vollendung gibt es nur, wo die Tat selber dem Himmel
geschieht, das ist, wo die heiligen Funken gehoben werden38).“
Im Sinne solcher Vorschrift, keinesfalls aber als naiv-anheimelndes Idyll, erscheint
die kleine Schale als Breinapf für das Jesuskind bereitgestellt. Wie Bosch auf seiner
spreizt, um dadurch anzudeuten, daß das Gotteskind von ewigen Heilskräften
durchdrungen sei39), so wird aus dem Zusammenhang der kleinen Schale mit den
darüber aufsteigenden Funken offenbar, daß es seit seinem ersten Bissen gar nicht
auders kann, als immerfort das Gute zu erwirken.
In einen die gesamte linke Bildhälfte durchziehenden Zusammenhang führt
Agende Ermahnung weiter: „Die heiligen Funken, die gefallen sind, als Gott Welten
38) Ebda, S. 33.
38) Wilhelm Fraenger: Andacht zum Kinde. Auslegung eines Bildes von H. Bosch.
dF Die neue Rundschau, Jhg. 1943, 6. Heft, S. 221—226. — Erweitert in: Die Hochzeit zu
Hana, S. 114—119.
190
Wilhelm Fraenger
baute und zerstörte, soll der Mensch erheben und aufwärts läutern von Gestein zu Ge-
wächs, von Gewächs zu Getier, von Getier zu redendem Wesen, läutern den heiligeI1
Funken, der von der Schalenwelt umschlossen ist. Das ist der Grundsinn des Dien'
stes jedermanns in Israel. Und wer mit der guten Kraft seines Geistes den heiligcil
Funken von Gestein zu Gewächs, von Gewächs zu Getier, von Getier zu redenden1
Wesen zu heben vermag, der führt ihn in die Freiheit, und keine Lösung Gefangenei
ist größer als diese. Wie wer einen Königssohn aus Gefangenschaft errettet und zu
seinem Vater bringt40).“
Die „Scala mysticci“, die dieser Text beschreibt, spiegelt sich in den Stickereien
der Gewandsäume des braunen Pagen und des Mohrenkönigs wider: Zuunterst
sieht man ein von einem Pfeil durchschossenes Vof'
welttier, ein ähnliches daneben, das mit seinem Gier'
schlund einen großen Fisch verschlingt: Relikte einer
untersten und — wie der Pfeil besagt — von Gott ver-
worfenen Schöpfungsstufe. — Von diesen Meeres-
Ungeheuern wird durch eine Falte im Gewand des
Mohrenpagen ein katzenhaftes Landtier abgesondert,
das einen höheren Schöpfungsstand repräsentiert. Als
unscheinbares, doch bedeutungsvolles Zeichen schwebt über dieser Pantherkatze
eine kleine Kugel. — Hier noch vereinzelt, kehrt das Kügelchen vervielfacht atn
Gewandsaum König Kaspars wieder. Dort ist es in Gestalt von Samenkörnern auf
den Boden ausgestreut, die der (teils menschgestaltigen) Vogelschar als Futter dienen«
Die Samenperlen stellen ein den kabbalistischen „Funken“ analoges Gleichnis daU
den gnostischen „Logos spermatikös“, welcher als höchster Schöpfungswille aHe
Welt durchdringt. Auf dieser mystischen Treppe, die vom dumpfen Drachenpfu^
des Meeresgrundes zum Einzelgang der wilden Pantherkatze, sodann zur fried-
fertigen Familiarität der Vögel in die Höhe steigt, sind letztere durch ihr Menschen'
antlitz schon als vernunftbegabte, den Logos in sich aufnehmende Wesen ausge'
wiesen. — Von hier aus springt die Scala mystica zur höchsten Stufe des „redenden
Wesens“, die auf dem Schulterkragen König Balthasars sich in der Weisheit Salomos
verkörpert.
Von den Erscheinungen im Inneren der Hütte bleibt noch der Esel zu besprechen,
dem auffälligerweise die traditionelle Nachbarschaft des Ochsen fehlt. Durch diese
40) Martin Buber: Des Baal-Schem-Tow Unterweisung im Umgang mit Gott, S.
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
191
Folierung wird sein selbständiger Sinn hervorgekehrt, der ihn zum „asinus porlans
mysteria“ erhöht. Er ist nach altjüdischer Anschauung nicht nur das traditionelle
Leittier des Messias, sondern in der Haggada auch mit ABRAHAM verknüpft, in-
sofern sie ihn mit dem Esel des Erzvaters identifiziert, der ihn zur Opferung seines
Sohnes auf den Berg Morija trug.
Im Abschnitt 31 des rabbinischen Lehrbuchs Pirke Rabbi Elieser steht zu 1. Mos.
Zz>5 zu lesen: „Da erhob sich Abraham früh am Morgen und sattelte seinen Esel —
ües ist derselbe Esel, auf dem Moses ritt, als er nach Ägypten zog, wie es heißt
(2- Mos. 4,20): Da nahm Moses seine Frau und seine Söhne und ließ sie auf dem
Rsel reiten. Dies ist ferner derselbe Esel, auf dem einst der Davidsproß reiten wird,
^ie es heißt (Sach. 9,9): Juble laut, Tochter Zions! Jauchze, Tochter Jerusalems!
Siehe, dein König kommt zu dir, gerecht und beschützt ist er, demütig und reitend
auf einem Esel, und zwar auf einem Füllen, dem Jungen einer Eselin41).“
Um diese doppelte Beziehung klarzustellen, hat Bosch den Esel zwischen Abraham
ünd dem Messiaskind so angeordnet, daß sein gewichtiger Kopf auf dieses ausge-
richtet, zugleich durch den gekrümmten Baumstamm, der die Hütte stützt, mit der
drunter aufgestellten Weihegabe König MELCHIORs: Isaaks Opferung ver-
bunden ist.
So schlingt sich um den priesterköniglichen ADAM, der selbst von Kopf zu Fuß
1111 Zeichen des Messias steht, ein immer dichteres Gespinst von messianischen Sinn-
bezügen und diese setzen sich bis in die ferne Landschaft fort, die unter einem leuch-
teod blauen, morgendlichen Sommerhimmel sich über lindengrüne Weiden, sanfte
^Uhöhen und lichte Haine zur hochgebauten Stadt Jerusalem erstreckt42). Sie
lst das Ziel der Reiterscharen, die von rechts und links ins Blachfeld streben, und in
der Ferne sich bereits dem Stadttor nähern, auf das ein figuraler Wegweiser, unter
dem Heilszeichen des zunehmenden Halbmonds, mit der ausgestreckten Rechten
deutet. Die Kavalkaden sind nicht — wie CARL JUSTI annimmt43) — kriegerische
beduinenhorden, sondern zurückkehrende Exulanten, die von den Königen ver-
miedener Reiche, in denen Angehörige des auserwählten Volkes lebten, als Huldi-
4l) Moritz Zobel: a. a. O. S. 83h
■j. ) Das fremdartige Stadtbild von Jerusalem hat Carl Justi (a. a. O. S. 129. bzw. Mise.
5 S. 74) vorzüglich beschrieben: „Die Physiognomie der großen Stadt führt, abweichend
Am den Gewohnheiten der Schule, weit über Flandern und Brabant, ja weit über Europa
*Uaus. Aus dem Häusermeer erheben sich große Rundbauten, aber sie haben mit dem Dom
°n Aachen und St. Gereon keine Ähnlichkeit: wunderliche Gebilde, eiförmige Kuppeln,
indische Topen, dickbauchigen Flaschen vergleichbar, Treppen-Kegel auf walzen-
0fmigem Unterbau und eine abgestumpfte Pyramide mit bedeckter Plattform. Es waren die
ahre, wo der ferne Osten sich auftat und aus dem neuen Tor des überseeischen Handels
k n*^verpens wundersame Berichte von einem uralten Kulturland die nach solcher Kunde
c§ierige alte Welt in Aufregung versetzten. Da däuchte es Bosch altfränkisch, Historien
üs Morgenland mit burgundischen Hoftrachten und brabantischen Städtebildern aus-
Ustatten, und er konstruierte sich Jerusalem nach dem Bild einer hindostanischen Stadt.“
£ ) Mise. II, S. 72. Baldass vergröbert diesen Irrtum zu der aus der Luft gegriffenen
Klärung: „Die weltlichen Kriege, versinnbildlicht durch die Reiterscharen im Mittel-
tund, gehen weiter, wie das törichte Verhalten der einzelnen Menschen“ (a. a. O., S.41).
192
Wilhelm Fraenger
gung vor dem Messias heimgesendet werden. Das Bildmotiv geht auf JESAIAS
66,20 zurück: „Und sie werden alle eure Brüder aus allen Heiden herzubringen, den1
Herrn zum Speisopfer, auf Rossen und Wagen, auf Sänften, auf Maultieren und
Dromedaren gen Jerusalem zu meinem heiligen Berge, spricht der Herr, gleich wie
die Kinder Israel Speisopfer in reinem Gefäß bringen zum Hause des Herrn.“
Die Jubelstimmung, die zum Epiphanias-Fest die „Tochter Zions“ und ihf
heiliges Land ergreift, findet in den zwei runden Hügeln ihren Widerhall, welche
gleich wohlig aufatmenden Brüsten der Natur erschimmern. In ihnen hat das syrn'
pathetische Naturgefühl, das aus dem Aufruf desJESAIAS an die heimkehrendefl
Exulanten spricht (55,12), spiegelgetreue bildnerische Form gewonnen: „Denn ihf
sollt in Freuden ausziehen, und in Frieden geleitet werden. Berge und Hügel solle0
vor euch frohlocken mit Ruhm und alle Bäume auf dem Felde mit den Händen
klatschen.“
Über dem Ganzen steht der Weihnachtsstern, der mitten im Azur als weißer Kef°
aus einer gelben Sonnenscheibe strahlt. An diese höchste Sichtbarkeit der Tafel
knüpfen wir, durch knappe Stichworte erläutert, einen letzten Satz des Zaddik
Baal-SchLM-TÖW, der den Messias als Befreier aller Funken aus der Schalen-
gewalt des Irdischen bezeugt und die geläuterte Gesamtseele der Menschheit, die
auf unsrer Tafel im Stammvater ADAM eingekörpert ist, zu einer nach Erscheinung
und Bewegungsausdruck ganz gleichartigen Gestalt beschwört44):
„Über die Sonnen, über die Erden wandelt Messias in tausend und tausend Ge-
stalten und die Sonnen und die Erden reifen ihm entgegen [die Scala mystica]. 1°
seiner oberen Form gesammelt [ der Stern als Sonnenkern ], zerstreut in unsäglich
Weite [als Logos spermatikos], hütet er allerorten das Wachsen der Seele, hebt er a°s
allen Tiefen die gefallenen Funken . . iWenn einst die Seele schlank und vollende1
mit reinen Sohlen den reinen Boden tritt, dann wird seine Stunde in seinem Herze°
aufpochen, dann wird er sich aus allen Gestalten ziehen und wird sitzen auf dei°
Throne, Herr der Himmelsflammen, die gesprossen sind aus den erlösten Funke°>
und wird niedersteigen und kommen und leben und wird der Seele sein Reich sehe0'
ken.“
Aus unserer Untersuchung, die den Inhalt des Altars auf den Zentralgedanke0
,,Epiphanias“ zurückgeführt und dadurch dessen ursprünglichen Sinngehalt erneued
hat, gehen vier Folgerungen evident hervor:
1. Von der Gesamtheit der altniederländischen Epiphanias-Tafeln, die sich mit def
Herausarbeitung des Kontrasts begnügen, der zwischen der Armseligkeit des StalleS
und den königlichen Prunkgewändern, wie in der demütigen Selbsterniedrigung det
Mächtigen vor dem unscheinbaren Gotteskind besteht, hebt das Altarwerk Boschs
sich durch die Fülle und Gedankentiefe ganz ungewöhnlicher Spekulationen ab. Übet
den Bildungsumkreis eines spätgotischen Malers gehen sie so weit hinaus, daß t°a°
gezwungen ist, ein theologisches Konzept vorauszusetzen, das noch die kleinste0
Einzelheiten des Gemäldes präparierte.
44) Martin Buber: Legende des Baal-Schem-Tow, S. 245.
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
193
2. Dieses Konzept hält sich bei den Dreikönigen und ihren Weihegaben in den
traditionellen Grenzen kirchlicher Typologie, obwohl schon hier absonderliche
Elemente, wie die „Scala mystica“ auf den Bordürenstickereien faßbar werden.
Doch mit der Einführung des „Vierten Königs“ wird der legendäre Stoff in die
Gedankenbahnen eines der abendländischen Kirche fernliegenden ADAM-Mythus,
ja noch mehr: eines spezifisch jüdischen Messianismus umgeleitet. ADAM, die
ausdrucksvollste Hauptgestalt der Königsgruppe, verkörpert einen Synkretismus,
der christliche und jüdische Überlieferungen zu verschmelzen strebt.
3. Durch diesen Synkretismus wird dem Epiphanias-Altar sein ehemaliger Zweck
und Standort zugewiesen. Denn da er das katholische, d. h. allgemeinverbindliche
Prinzip in dessen Gegenteil: ein esoterisches Prinzip verwandelt, das sich an einen
auserwählten Kreis von Eingeweihten wendet, kann nicht die Kirche sein ursprüng-
licher Bestimmungsort gewesen sein. Der Altar konnte nur von einer Jüngerschaft
Verstanden und als konfessionelles Andachtsbild empfunden werden, die jener
christlich-jüdischen Glaubensmischung sich verschrieben hatte: einer judaisierenden
Gemeinde, in deren Glaubensmittelpunkt der Urmensch ADAM stand.
4. Das Ehepaar van BRONCKHORST gehörte diesem Konventikel an, ist doch
uicht anzunehmen, daß der Ketzertheologe, der das Konzept des Altars redigierte,
dies ohne Einverständnis der auftraggebenden Familie unternommen hat. Der ehe-
tnalige Standort des Altars schränkt sich dadurch auf folgende drei Möglichkeiten
ein: Die BRONCKHORSTs können ihn als Hausaltar für sich bestellt, oder für die
Versammlungsstätte ihrer Glaubensfreunde als Lehrtafel gestiftet haben, wofür der
über einen rein privaten Andachtszweck sich weit hinausschwingende und einer
größeren Gemeinschaft zugewendete Gedankenreichtum des Altarwerks spricht.
Die dritte Möglichkeit verknüpft die beiden vorgenannten, indem sie in dem Haus
van BRONCKHORST den Versammlungsort der esoterischen Sekte sieht.
Bei solcher Sachlage entfiel bei Einführung des „Vierten Königs“ die Rücksichts-
nahme auf die Erzdiözese Köln, die nur bei einem offiziellen Andachtsbild geboten
''var, wie auch der Maler die Erinnerung an seine heimatlichen Epiphanias-Spiele
gewiß begeistert gegen die erstaunlichen Mysterien vertauschte, als deren Thauma-
furg der priesterkönigliche ADAM ihm vor Augen trat.
Durch diese Folgerungen wird die gutgemeinte „Rettung“ JOSEPHS DE SlGUENZA,
die Bosch vor der Verdächtigung als Ketzer schützen sollte, annulliert, wogegen
jene spanische Verketzerung des Malers, die nur in Bausch und Bogen von „Häre-
sie“ und „Atheismus“ sprach, sich jetzt historisch dingfest machen und zu einem
ganz bestimmten Sektennamen präzisieren läßt. Wird doch durch den zentralen
ADAM ein religionsgeschichtlicher Zusammenhang zwischen dem Epiphanias-
Altar und dem Dreitafelwerk des „Tausendjährigen Reiches“ hergestellt, das wir als
Hochbild des ADAMITISMUS nachgewiesen haben, das Bosch für die häretischen
»Homines intelligentiae“, eine adamitische Fraktion der „Brüder und Schwestern
des freien Geistes“ einige Jahre vor dem Epiphanias-Altar geschaffen hatte45). * 1
15) Das Tausendjährige Reich. Grundzüge einer Auslegung, Coburg 1947.
13 Volkskunde
194
Wilhelm Fraenger
Am Bildaufbau des „Garten Eden“, des linken Seitenflügels jenes Reichsaltars
(Tafel VII und VIII), soll dieser wichtige Zusammenhang in Hinblick auf die sinn-
bildliche Reiherjagd der Krone ADAMs noch erläutert werden:
Die Mittelachse des Gemäldes bildet in dessen oberen Teil der Lebensbrunnen,
der als halb pflanzliches, halb kristallinisches Gefüge die Quellen der vier Paradieses-
ströme in einen himmelblauen Wasserspiegel gießt. Das ganze, höchst vergeistigte
Gebilde glitzert als rosafarbenes Morgenrot und ruht auf einem Kreisrund, das den
absoluten Mittelpunkt und Konzentrationskern des Gemäldes in sich schließt. Es ist
das all-sehende „Auge Gottes“, aus dessen faszinierender Pupille eine Eule, der
klassische Weisheitsvogel, späht.
Senkrecht darunter steht als Weltschöpfer ein jugendlicher Logos-Christus (Ev.
Joh. 1,1), aus dessen Mantelfarbe gleichfalls die aufsteigende Morgenröte uns ent-
gegenscheint. Indem er seine rechte Hand zum Segensspruch erhebt (Gen. 1,28),
führt er das erste Menschenpaar zum Ehebund zusammen. In ihren Oberkörpern
senkrecht aufgerichtet, in ihren Beinen gleichfalls parallelisiert, erscheinen Mann
und Weib zu einer geometrischen Figur verklammert. Bei dem emporschauenden
ADAM ist sein zum Licht berufener Geist, bei der hinabblickenden EVA ihre der
Erde anverwandte Seele klar hervorgehoben, zugleich sind Beide durch den Strom-
kreis einer merkwürdigen Aneignungs-Magie mit ihrem Schöpfer in Kontakt gesetzt:
Wie man seit alters bei der Segensübertragung den Körperendigungen: Scheitel,
Hand und Fuß ein ganz besonderes Vermögen der Ausstrahlung und des Empfangs
von Mana-Kräften zugeschrieben hat, faßt Christus mit der linken Hand den Puls
der EVA, wodurch er sie magnetisch in die Höhe zieht. Andrerseits scheint sich
ADAM ordentlich zu strecken, um mit dem rechten Fuß des Schöpfers in Kontakt
zu kommen. Hier wird mit unterstrichenem Nachdruck ein Rapport erzeugt, welcher
in Plinblick auf den Vorgang, der sich im Vordergrund des Gartens abspielt, hoch-
bedeutsam ist.
Dort sieht man einer ei-förmigen Wassertiefe seltsame Übergangsgeschöpfe der
Natur entsteigen, die — halb dem Wasser, halb der Erde oder Luft gehörend — an
jene „Scala mystica“ auf den Bordürenstickereien des Epiphanias-Altars erinnern.
Darüber lauert, sonderbar zerkrümmt, ein dreiköpfiger Reiher, der die ins Dasein
strebenden Geschöpfe mit seinen Sensenschnäbeln auf das Festland zieht. Durch die
Verdreifachung des Kopfes ist er als allmächtiges Wesen charakterisiert, dazu durch
einen Drachenschweif und Pfauenwedel als Vetter der „Urmuhme Schlange“ aus-
gewiesen. Was hat der Wegelagerer an der Urzelle zeugerischen Lebens zu bedeuten?
Seines phantastischen Aufputzes entkleidet, entpuppt er sich als niederländische
Abwandlung des Königsreihers Ocnus, den J. J. BACH OFEN als den „in Tiergestalt
verkörperten Naturphallus“ des Nilschlammes und Deltasumpfes deutet46). Inmitten
einer überfruchtbar sprossenden, absterbenden und wieder auftauchenden Pflanzen-
welt wirkt er als Zeuger und Verschlinger, Schaffer und Raffer des Lebendigen, das
sich in einem ewigen „Kreislauf der Geburten“ dreht. So fischt er auch auf dem
46) Joh. Jakob Bachofen über die Auguralbedcutung des Königsreihers Ocnus (Ocnus,
der Seilflechter § 10) in „Gräbersymbolik der Alten“, Basel 1925®, S. 354fr.
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
195
Gemälde Boschs die neuerschaffenen Lebewesen aus dem Teich, die — kaum dem
Urwasser entstiegen — schon geschnappt und aufgefressen werden. Als Inbegriff
der kreatürlichen Vermehrung und Verzehrung verkörpert er den mit dem Leben
swillingsbrüderlich verbundenen Tod.
Der Sinnzusammenhang der oberen und unteren Szene wird durch rein anschau-
liche Mittel klargestellt: Der Reiher, der mit eingeknickten und zergrätschten Beinen
dicht am Boden kauert, mit seinem aufgebäumten dritten Hals sich gegen einen
Druck von oben wehrt, jedoch vergebens mit den ausschlagenden Flügeln sich zu
etheben und emporzuflattern strebt, stellt sich als ein vom bannkräftigen Fuß des
Schöpfers niedergehaltener und zertretener, in seiner Vollmacht auf das Irdische
beschränkter Widersacher dar. — Wenn daher ADAM seine ausgestreckten Füße
'wie einen Stempel auf den sieghaften rechten Fuß des Schöpfers drückt, partizipiert
er damit an der Gotteskraft, den Tod zu überwinden. Zur Stunde seiner Ehestiftung,
durch welche er unweigerlich dem „Kreislauf der Geburten“ eingegliedert wird,
Weiht ihn der Logos-Christus zugleich in das „ewige Leben“ ein. Durch die gott-
ebenbildliche Vollkommenheit und Schönheit seiner Körperformen, wie durch die
geistige Erwecktheit seines Blickes erweist sich ADAM auf solch höhere Berufung
vorbereitet, als deren Unterpfand der ewige Lebensbrunnen über die Dreiergruppe
in den Himmel ragt.
Von hier aus das Zentralsymbol des Epiphanias-Altars: ADAMs DREIFACHE
KRONE noch einmal ins Auge fassend, erkennt man, daß das gleiche, in drei
Stufen sich vollziehende Mysterium der Todesüberwindung die ideelle Achse der
Tiara bildet. Die unterste umfaßt im Reiher-Gleichnis die Todverfallenheit der
irdischen Existenz, wobei wir jetzt die Reiherjagd als das verzweifelte Bemühen
urtümlicher Menschen zu verstehen lernen, des todbringenden Vogels, der dort
dreiköpfig, hier dreifältig auftritt, sich zu bemächtigen und so das Leben aus dem
Bann des Todes zu befreien. — Die Mittelstufe trägt die obsiegende Gotteskraft, die
sich im „Garten Eden“ als prae-existenter, von ewig her als Weltschöpfer und
Welterlöser vorgesehener Christus offenbart, während die Dornenkrone der
Tiara den in das Menschenleben eingetretenen Christus der Passion symbolisiert, den
schon die „Messe des hg. Gregorius“ so eindrucksvoll vergegenwärtigt hatte. —
Die dritte Stufe eröffnet, wie im Lebensbrunnen, so im Blütenreis, die Aussicht auf
das messianische Friedensreich und die Erneuerung des irdischen Paradieses.
Diese Mysterienkrone auf dem Haupt, tritt ADAM als der erste, unmittelbar
von Gott berufene König, Priester und Prophet, dem Christkind wie ein Gleich-
berechtigter entgegen, der selbst die Würdezeichen des Messias trägt. An seiner
Vollkräftigen Männlichkeit haftet kein Schatten eines durch den Sündenfall ge-
brochenen Selbstbewußtseins, vielmehr wirkt er wie ein Inaugurator, dessen Amt es
ist, die bisher von ihm selbst getragenen Reichskleinodien des Paradieses dem Jesus-
kind zu übereignen, um es als messianischen „Zweiten Adam“ zu inthronisieren.
Denken wir an die strikte Antithese, in welcher der Apostel PAULUS den
»Ersten“ und den „Zweiten Adam“ kontrastiert —: „Sintemal durch einen Men-
schen der Tod, und durch einen Menschen die Auferstehung der Toten kommt,
13*
196
Wilhelm Fraenger
denn gleichwie sie in Adam alle sterben, also werden sie in Christo alle lebendig
gemacht“ (i. Kor. 15, 21,22) —, so läßt sich kein durchgreifenderer Gegensatz zu
der paulinischen Lehre denken, als die auf unserm Bild vollzogene Synthese, worin
ein längst vor der Passion und Auferstehung Christi von den Toten auferstandener
ADAM mit JESUS nachgerade identifiziert erscheint.
In diesem provokant häretischen Bildgedanken taucht in Hertogenbosch um 1495
der — wie man glauben sollte — seit tausend Jahren als Heros eines Kultes schon
verschollene „verus propheta ab initio mundi per saeculum currens“ — „der wahre,
seit Beginn der Welt die Zeitalter durchlaufende Prophet“ - erneut ans Licht47). Er ist
der für das frühe Judenchristentum spezifische Erlöser-Typus: der mit dem öl vom
Baum des Lebens mit dem ewigen Christusgeist gesalbte und sündenfrei gebliebene
ADAM, der in sechs Neuverkörperungen in HENOCH, NOAH, ABRAHAM,
ISAAK, JAKOB, MOSES in der Welt erschien, bis er in seiner siebten Inkarnation
in JESUS seine Ruhe findet. Diesen Gestaltwandel faßt Bosch auf seinem Höhe-
punkt, auf dem der ungeduldig schon die Schwelle überschreitende „verus propheta
festinat ad requiem“. — Die mit der bereits abgenommenen Kronenhülle einsetzende
Übergabe der Insignien an das Jesuskind ist demgemäß in ihrem tiefsten Sinn als
Gleichnis eines wesenhaften Überganges des ersten in den zweiten Adam zu ver-
stehen: einer „unio mystica“, die der Altar als höchsten Glanz des Epiphanias-
Festes feiert.
Dieser Befund, der das ikonographische Bosch-Problem aus dem traditionell-
katholischen in den häretischen Quellbereich des unterirdisch fortlebenden Juden-
christentums verlagert, drängt zu der Frage, wer jener anonyme Ketzertheologe
war, der neben unserm Epiphanias-Altar so doppelbödige Dreitafelwerke wie
„Das tausendjährige Reich“, den „Heuwagen“ und die „Versuchungen des hg.Anto'
nius“ inspirierte. Wir hatten ihn behelfsmäßig als „Hochmeister des freien Geistes“
eingeführt. Inzwischen wurde er nach seinem Namen wie nach seiner Herkunft für
uns archivalisch faßbar und zwar frappanter Weise fast zum gleichen Jahresdatum,
auf welches Max J. FRIEDLÄNDER den Epiphanias-Altar als „nicht viel früher als
1495 und kaum später“ anberaumte.
Es war der unter fürstlichem Gepränge am 15. Dezember 1496 in der Johannes-
Kathedrale zu Hertogenbosch getaufte Jude JAKOB van ALMAENGIEN, alias
PHILIPPS van SlNT Jan. Der Taufakt fand in Anschluß an die Huldigung der Bürger-
schaft vor ihrem neuen Landesherrn, dem 18jährigen Herzog Philipp dem Schönen
von Brabant, dem späteren König von Kastilien statt, zu welcher ihn sein Vater,
Kaiser Maximilian I., nach Hertogenbosch geleitet hatte. Der Herzog selbst und
seine Kammerherren Jan van Bergen und Cornelis van Sevenbergen haben dabei
als Taufpaten van Almaengiens fungiert, der diesem Fürsten und der Taufkirche 7
i7) PseudoclementinischeRecognitionenll, 22.—Wilhelm Bousset: Hauptprobleme der
Gnosis. Göttingen 1907, S. 172fr. — Robert Eisler: Orphisch-dionysische Mysterien-
gedanken in der christlichen Antike (Vorträge der Bibliothek Warburg 1922 — 1923. 2. Teil)-
Leipzig und Berlin 1925, S. 353fr. — Vor allem Hans Joachim Schoeps: Theologie und
Geschichte des Judenchristentums. Tübingen 1949, S. 98 fr.
Der vierte König des Madrider Epiphanias-Altars
197
2u Ehren den Namen Philipps van Sint Jan erhielt48 * * Sl). Gleichzeitig trat er der
»Illustren Liebfrauenbruderschaft“ als Mitglied bei, in deren Jahresrechnung
1496/97 wir ihn als „Meester Philips van St. Jan, wylen (weiland) een juede“ auf-
genommen finden. Doch keine Rücksicht auf den hohen Taufpaten, das Dom-
kapitel und die Bürgerschaft Hertogenboschs konnte den Proselyten daran hindern,
nach kurzer Frist zu revertieren: für jene Zeit ein beispielloser Fall eines hoch-
fahrend religiösen Eigenwillens und so die angemessene Folie des geistigen Aben-
teuers, das sich auf den Altargemälden Boschs vor uns entrollt.
In unserer Analyse des um 1488 im Auftrag Almaengiens geschaffenen Gemäldes
»Die Hochzeit zu Kana“ wurde klargestellt, daß er — bevor er sich zum Häuptling
seiner adamitischen Freigeist-Gemeinde aufgeworfen hatte, in eine Winkelloge
semitisch-gnostischer Observanz verstrickt gewesen war, die er fortan in einer
schonungslosen Sektenkonkurrenz bekämpfte. Hatte er schon auf jener Hochzeits-
tafel ihren Mysterienaltar ans Licht gezerrt, so rechnete er auf dem Lissaboner
Triptychon der ,,Versuchungen des hg. Antonius“ noch grimmiger mit diesen
Zauberjuden ab, indem er ihren Kultgötzen: ein atavistisches Frosch-Idol, mit dem
sich eine sumpfige Promiskuität verknüpfte, an den Pranger stellte.
Polemische Invektiven solcher Sektenkonkurrenz sind auch in unsern Epiphanias-
Altar eingeschliffen: In der Ruine seines linken Flügels krönt jenes Frosch-Idol den
lursturz einer Pforte, die ins Dunkel führt. Der auf dem Kopf stehende Götze
erscheint als böser Dämon dadurch charakterisiert, daß sich am Fuß der Pforte
kleine schwarze Teufel auffällig zu schaffen machen, indem sie deren Pfeiler zu
erklettern oder sich hinter ihnen zu verstecken suchen. Legt die Ruine als Pen-
dant zum Stall von Bethlehem an sich schon den Gedanken nah, sie stelle die
durch das Erscheinen Christi zum Untergang bestimmte Synagoge dar, so wird
sie durch das Teufelsblendwerk ihrer Dunkelkammer vollends als „Synagoge
Satans“ abgestempelt, was auf den Okkultismus der semitischen Winkelloge zielt.
48) Aelbertus Cuperinus hat in seiner ,,Chronieke . . . van Tsertogenbosch“ (ed. Dr.
Hermans 1848, S. 69) in dem Kapitel „Merckelieke geschiedenis der stat van den Bosch in
lyden van hartoge Philips van Brabant, Coninc van Castilien“, diesen für die Erkenntnis
ßoschs grundlegend wichtigen Vorgang überliefert. Sein Text bedarf jedoch der Präzi-
Slerung, insofern Almaengien nicht als mosaischer Gesetzesjude, sondern als spät-ebioni-
üscher Judenchrist zur Taufe ging, wie er sich auch nach seinem baldigen Abfall von der
Kirche nicht zur Synagoge, sondern zu seinem angestammten Judenchristentum zurück-
gekehrte. Wir konnten diesen Sachverhalt ikonographisch eindeutig beweisen: Der früheste
Auftrag, den Jakob van Almaengien dem jungen Bosch erteilte und der rund 20 Jahre vor
Seinem Übertritt zur Kirche liegt, ist der — auf Grund der „Sprüche Salomos“ 9, 1 ff. —
spezifisch judenchristlich konzipierte „Tisch der Weisheit“, in dessen Mittelfeld, von
Sprüchen des Deuterononiums umrahmt, Christus als Schmerzensmann (ganz ähnlich wie
auf unserer GREGORIUS-MESSE) die Pupille eines in 128 Radien ausstrahlenden Gottes-
auges bildet, deren genaue Summe auf der Zahlenspekulation des Juden Philo gründet. —
Sein letzter, nach der Reversion erteilter Auftrag war die vorhin schon erwähnte Kölner
}Veihnachststafel, wo die zum Aaronsegen ausgespreizten Fingerchen des Jesuskindes das
l^denchristliche Bekenntnis Almaengiens bezeugen, der selbst in der Gestalt des hg. Joseph
^er Gottesmutter gegenüber an der Krippe wacht.
198
Wilhelm Fraenger
Als Gegenstück ist auf dem rechten Flügelbild ein Ehepaar geschildert, das in
der Nähe eines düsteren Hohlwegs von zwei Wölfen überfallen wird. Da sich in
dem zweifarbigen Gewand der Frau die Tracht der Stifterin der Tafel wiederholt,
dazu ihr Mann in seiner stahlblauen Mantille, weinrotem Wams und hellen Hosen
gewählt und vornehm kostümiert
erscheint, darf man in ihnen zweifel-
los das Stifter-Ehepaar und in dem
dargestellten Vorgang die Veranlas-
sung zur Stiftung des Altars erblicken,
der sich als ein EX VOTO für Errettung
aus einer äußersten Gefahr erweist.
Die Wölfe sind in übertragenem
Sinn gemäß MATTH. 7,15 zu ver-
stehen: „Sehet euch vor vor den
falschen Propheten, die in Schafsklei-
dern zu euch kommen, inwendig aber
sind sie reißende Wölfe“: ein Sinn-
bezug, der durch drei aus demselben
Evangelientext entnommene Vorder-
grund-Motive klar erweisbar ist. Sie
stammen aus dem Gleichnis von dem
„breiten Weg, der zur Verdammnis“,
der „engen Pforte, die zum Leben
führt“ (7, 13.14) und aus der an-
schließenden Bilderrede vom „guten
Baum, der gute Früchte“, vom „faulen
Baum, der arge Früchte bringt“ (7,
16—18). — So riegelt eine „enge
Pforte“, an der das Lamm der hg-
AGNES neben einer Worfel, dem
Wahrzeichen des guten Hirten ruht,
das selige von dem unseligen Leben
ab, wobei als warnende Exempel ein
dürrer und ein abgehauener Baum das
schmale Felsentor flankieren. Im Sinnbild dieser „faulen Bäume“ wird nach
MATTH. 7,19: „Ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringet, wird abgehauen
und ins Feuer geworfen“, die Ausrottung der wölfischen Propheten angedroht-
Aus den dem Stifter-Ehepaar gewidmeten Motiven ziehen wir den Schluß, daß Beide,
wie der jugendliche Almaengien, sich eine zeitlang dem verruchtem Okkultismus def
„Synagoge Satans“ ausgeliefert, jedoch nach einem furchtbar harten Kampf sich
daraus losgerungen hatten, um in der alsbald hochgeführten,,Überkirche“ Almaen-
giens, welche im messianischen ADAM Synagoge und Ecclesia vereint, ihr neues
Heil zu suchen.
MITTEILUNGEN UND BERICHTE
Karl Heinz Otto — Berlin
Ethnographische Allunionstagung in der UdSSR 1956
Das Miklucho-Maklai-Institut für Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der
UdSSR führte vom 14. bis 22. Mai 1956 in Leningrad eine Tagung durch, an der die Fach-
Vertreter aus den Unionsrepubliken (Delegierte der Akademien der Wissenschaften und
ihrer Außenstellen, der Universitäten und der Museen) und als Gäste Vertreter des Faches
aus den Volksrepubliken Bulgarien, China, Korea, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei,
Ungarn, aus der Deutschen Demokratischen Republik und aus Finnland, Frankreich und
Norwegen teilnahmen. Es war die zweite Allunionstagung nach dem Kriege. Sie folgte der
Ethnographischen Tagung, die im Jahre 1951 in Moskau stattgefunden hat (vgl. T. A.
Shdanko, Советская этнография 1952, z; deutsch: Sowjetwissenschaft. Gesellschaftswiss.
Abt. 1952, 2, S. 172fr.) mit fünfjährigem Abstand und gab Rechenschaft über die Ent-
wicklung und die Ergebnisse der ethnographischen Wissenschaft in der UdSSR während
dieses Zeitraumes.
Die Thematik der Konferenz erstreckte sich auf die Arbeit aller Sektionen. Es sind dies die
folgenden: Kulturgeschichte — Ethnische Geschichte und ethnische Geographie— Heutige
Kultur und Lebensweise der Völker der UdSSR und der Volksdemokratien — Heutige
Kultur und Lebensweise in den kapitalistischen und kolonialen Ländern — Geschichte
der Urgesellschaft — Anthropologie — Folklore — Museumswesen. Der Direktor des
Instituts, Prof.Dr. S. P.Tolstow gab in seinem einleitenden Vortrag einen Gesamtüberblick
Über die geleistete Arbeit und konnte feststellen, daß der vorgesehene Forschungsplan im
allgemeinen erfolgreich erfüllt worden ist.
Es ist in diesem Bericht, der den Rahmen des Jahrbuches zu beachten hat, in welchem
er erscheint, nicht möglich, alle in dem Vortrag S. P. Tolstows über die Ergebnisse und
Perspektiven der Entwicklung der ethnographischen Wissenschaft in der UdSSR behandelten
Fragen zu berücksichtigen. Ebensowenig kann das in Anbetracht der außerordentlichen
Fülle von Fragen und Problemen für die übrigen Vorträge geschehen, die vor dem Plenum
Und während der Sektionssitzungen gehalten wurden (insgesamt sah das Programm 149 Re-
ferate vor) und die durch zahlreiche Diskussionsbeiträge ergänzt worden sind. Es kann hier
nur einiges allgemein Interessierende berichtet und der eine oder andere Komplex kurz
beleuchtet werden.
Erweiterung der ethnograpischen Arbeit in den nationalen Gebieten der Sowjetunion
durch die Einrichtung neuer wissenschaftlicher Zentren, selbständige wissenschaftliche
Arbeit in den Gebieten der nationalen Minderheiten, Vermehrung des wissenschaftlichen
Nachwuchses und der wissenschaftlichen Veröffentlichungstätigkeit, Verstärkung der Ver-
bindungen sowjetischer Ethnographen mit den Vertretern der ethnographischen Wissen-
schaft in den Volksdemokratien und im übrigen Ausland, sowie das Einschreiten gegen
Erscheinungen des Dogmatismus sind einige kennzeichnende Grundzüge in der Entwicklung
der sowjetischen Ethnographie im Laufe der letzten Jahre, die zu einer weiteren Intensivie-
rung der Forschungsarbeiten und zu neuen Erfolgen geführt haben.
Entsprechend der zentralen Aufgabe der ethnographischen Institute, die ethnischen Ver-
hältnisse der Völker der Erde zu erforschen, sind die Arbeiten an der Herausgabe des mehr-
bändigen Werkes Völker der Erde so weit fortgeschritten, daß der Teil Die Völker Afrikas
202
Karl Heinz Otto
erschienen ist, daß zwei weitere Die Völker Australiens und Ozeaniens und Die Völker
Sibiriens in nächster Zeit ausgeliefert werden. Die Bände Die Völker VOrderasiens und Die
Völker des Kaukasus befinden sich in Vorbereitung bzw. sind bereits abgeschlossen; an
weiteren ist die Arbeit aufgenommen worden. Für die Herausgabe der Bände Die Völker
des Fernen Ostens und Die Völker Mitteleuropas wird eine enge Zusammenarbeit mit den
volksdemokratischen Ländern angestrebt. Dieses Werk soll durch einen Atlas-Band ergänzt
werden, dessen Karten außer der ethnischen Zusammensetzung auch die Besiedlungsdichten
veranschaulichen werden.
Bei den Forschungen über die kolonialen und halbkolonialen Völker sieht die sowjetische
Ethnographie die wichtigste Aufgabe in der Untersuchung der gegenwärtigen Lage und der
Prozesse der nationalen Konsolidierung bei diesen Völkern. Diese Arbeiten sind für das
Studium des Zerfalls der Kolonialsysteme von besonderem Interesse. Die Referate über die
Entwicklung der Völkerschaften im Sudan (S. R. Smirnow) und in Tanganjika (R. N-
Ismogilowa), über die Zentren der ethnischen Konsolidierung der Bantu in Rhodesien
und Njassaland (L. D. Jablotschkow) (vgl. auch I. I. Potechin, Formierung der ethni-
schen Gemeinschaft der süd-afrikanischen Bantu. Moskau 1955) oder über die sozialen
Gegensätze im modernen afrikanischen Dorf (I. I. Potechin), sowie über Probleme der
nationalen Entwicklung der indianischen Bevölkerung Mexikos (I. F. CiioroschajeWa),
über die Fragen der nationalen Konsolidierung im Andengebiet Südamerikas (J. A. Su-
britzki, B. I. Scharewskaja) und bei den Maori Polynesiens (N. A. Butinow) ver-
mittelten einen Einblick in das Anliegen der sowjetischen Ethnographie, mit den Mitteln
der wissenschaftlichen Untersuchung zur Behandlung der Probleme der nationalen Be-
freiungsbewegung der Völker in den kolonialen und halbkolonialen Ländern einen Beitrag
zu leisten.
Im Institut für Ethnographie derAkad. d. Wiss. ist eine Abteilung für die Erforschung der
Sprachen dieser Völker gegründet worden, die sich zunächst insbesondere mit Afrika be-
schäftigen wird. Es ist beabsichtigt, ein Wörterbuch afrikanischer Sprachen herauszugeben.
Die Einrichtung einer amerikanistischen Abteilung ist geplant. Damit werden die Ethno-
graphen besser als bisher in die Lage versetzt, für diese Gebiete das linguistische Material
bei ethnogenetischen Forschungen auszuwerten.
Nach wie vor wurde der Ethnographie der Völker der UdSSR besondere Aufmerksamkeit
geschenkt. Als Lehrbuch befindet sich eine Vorlesung von Prof. Dr. S. A. Tokarew über
die Ethnographie der Völker der UdSSR im Druck, und über die Ethnographie der Ostslawen
wird ein Sammelwerk erscheinen.
Bei der Erforschung der Geschichte der Völker der UdSSR nehmen ethnogenetischc
Untersuchungen einen besonderen Platz ein. Das Institut für Ethnographie hat in den ver-
gangenen Jahren eine Reihe von Komplexexpeditionen durchgeführt (u. a. in das Gebiet
von Choresm, nach Kirgisien und in die baltischen Republiken), an denen außer Ethno-
graphen vor allem auch Archäologen und Anthropologen beteiligt waren. In Kürze wird
eine Reihe historisch-ethnographischer Atlanten mit einem Atlas eröffnet werden, der die
russische Bevölkerung behandelt und im wesentlichen bereits fertiggestellt ist. Diese
historisch-ethnographischen Atlanten werden für die ethnogenetischen Forschungen von
Wichtigkeit sein. Aus dem Programm der Konferenz seien dazu nur einige Vorträge an-
geführt, um einen Eindruck von der Thematik und den verschiedenen Aspekten dieser Unter-
suchungen zu vermitteln: M. J. Grünblatt sprach über die Ethnogenese der Belorussen,
G. J. Markow über die ethnische Geschichte des turkmenischen Volkes, K. L. SadychiNA
über die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung in Süd-Usbekistan. Gleiche oder ähn-
liche Themen behandelten für die Bevölkerung im Ferghana-Tal Sch.I.Inogamow, für cfic
Koibalen L. P. Potapow, für die Tuwinen A. D. Grätsch, für das mongolische Volk
L. L. Viktorowa usw. Speziell an Hand anthropologischer Materialien lieferte W.
Ginsburg einen Beitrag zu den Hauptfragen der Y'aläoanthropologie Mittelasiens in Ver-
bindung mit der Ethnogenese seiner Völker; auf Grund von Untersuchungen über d*c
materielle Kultur beschäftigten sich mit dieser Frage A. W. Smoljak für die Völker deS
unteren Amur, J. I. Marbowa für die Kirgisen, Ch. A. Moora im Lichte archäologischer
Ethnographische Allunionstagung in der UdSSR 1956
203
Quellen für die westfinnischen Völker und im Zusammenhang mit Untersuchungen über
Volkstracht W. N. Belitzer für die Mordwinen. Die russische Volkstracht und ihre
Bedeutung für die Erforschung der ethnischen Geschichte war Thema eines Vortrages vor
dem Plenum (N. I. Lebedjewa und G. S. Maslowa). Der Vortrag beruhte auf Ergeb-
mssen von Untersuchungen über einzelne Elemente der alten russischen Bauerntracht
(Mitte 19. Jahrhundert) und deren karthographischer Fixierung. Dabei kam man, um nur
C1uen Komplex herauszugreifen, u. a. zu Feststellungen über alte ethnographische Gemein-
fämkeiten. So ergab sich z. B., daß die Kleidung der Bevölkerung des Oka-Gebietes trotz
’Mer deutlichen Besonderheiten auf einer alten gemein-ostslawischen Grundlage beruht
°der daß die Nowgoroder Kleidung sich in den älteren Elementen zur ostslawischen Ge-
meinschaft gehörig erweist, aber doch, wie auch andere Dinge, ihre eigene Spezifik ent-
wickelt. Bei vielen Bevölkerungsgruppen im Süden Nordostrußlands gehen die Besonder-
heiten der Kleidung beispielsweise auf die kulturhistorischen Verbindungen der Russen zu
änderen Völkern (slawisch-finnische Beziehungen, baltische Einflüsse usw.) oder auf anders-
sptachige Bevölkerungselemente zurück, die in den Großrussen aufgegangen sind.
Eine große theoretische und praktische Bedeutung wird den Untersuchungen über die
nationale Entwicklung jener Völker der Sowjetunion beigemessen, die vor der Oktober-
Evolution noch nicht den Status einer bürgerlichen Nation erreicht hatten, nunmehr aber
2u sozialistischen Nationen wurden oder durch Zusammenschluß kleiner Stammes- und
herritorialgruppen zu größeren ethnischen Gemeinschaften zusammenwuchsen oder in
bereits herausgebildete Nationen aufgingen. Der Erforschung dieser Fragen dienten Ex-
peditionen in das Sajan-Altai-Gebict und nach Daghestan ASSR.
Die bereits in den ersten Jahren nach dem Kriege angestrebte Hinwendung auf die Er-
forschung der sozialistischen Kultur und Lebensweise der Kolchosbauernschaft ist in der
Erkenntnis, daß die Bauern nicht allein Träger der Volkskultur sind, in den letzten Jahren
besonders intensiv auf die Erforschung der Lebensweise der Arbeiter vor und nach der
Revolution erweitert worden. Größere Untersuchungen z. B. im Uralgebict haben gezeigt,
daß (Re Traditionen der Volkskultur und Volkskunst auch in der Arbeiterklasse lebendig
s>nd. Eine Reihe von Vorträgen beschäftigte sich mit den Grundaufgaben und der Methodik
der ethnographischen Untersuchungen der Lebensweise der Arbeiter (W. J. KRUPJANSKAJA,
M . W. Pimenow, A. S. Kunitzki). In der Diskussion wurde auf die Notwendigkeit von
Untersuchungen in Gebieten hingewiesen, wo große Industriezentren entstanden sind
ünd die bäuerliche Bevölkerung zu Arbeitern geworden ist. Das besondere Interesse gilt
dabei der Frage, ob und wie sich hier Sitten und Gebräuche verändern. Die Untersuchungen
über die Kolchosbauernschaft sind bisher am* weitesten fortgeschritten. Auf Grund von
Untersuchungen vor allem bei den Kasachen, Tschuwaschen, Aserbaidshanern, Karakalpaken
llnd Litauern sind zu dieser Thematik etwa zwanzig Dissertationen vorgelegt worden. Auch
Während der Tagung ist dieser Forschungskomplex in mehreren Vorträgen behandelt
Worden. Es referierten dazu u. a. P. I. Kuschner, Das Studium der Familie und ihrer
Lebensweise bei den Kolchosbauern der Völker der UdSSR; L. A. Puschkarjowa, Das
Studium der Lebensweise und der geistigen Kultur des russischen Kolchosbauerntums;
K. I. Salesski, Die Lebensweise der Familie bei den Kolchosbauern Belorußlands; L. N.
Ierentjewa, Die Erfahrungen beim Studium der Kultur und der Lebensweise des Kol-
cbosbauernlums in Litauen; I. W. Tschkonija, Die Familie und ihre Lebensweise bei den
Kolchosbauern in der Grusinischen SSR; M. I. Atakischijewa, Einige Fragen der Familie
lind ihrer Lebensweise in der Aserbaidschanischen SSR (nach Materialien der Expedition
195 5)- Andere Vorträge befaßten sich mit den ländlichen Siedlungstypen und modernen
Räuernwohnungen im mittelrussischen Gebiet (G. G. Gromow), in der Ukraine (G. J.
Stelmach), in der Grusinischen SSR (A. I. Robakidse), bei den Karakalpaken (U. Scha-
’-SKenow) usw. Die vorgetragenen Ergebnisse der Untersuchungen über das heutige
Räuernhaus in der Sowjetunion haben zur Klärung der für seine Entwicklung maßgeblich
einwirkenden Faktoren — wirtschaftliche Tätigkeit, geographische Bedingungen, wirt-
Schaftlich-kulturelle Beziehungen, ethnische Tradition usw. — beigetragen. Von besonderem
■Interesse ist die Herausarbeitung von zwei Perioden dieser Entwicklung während der
204
Karl Heinz Otto
Sowjetepoche. Die erste Periode liegt vor der Kollektivierung, die zweite ist durch die
Wirkungen des Kolchossystems gekennzeichnet. Allgemein gehen die Veränderungen seit
der Oktoberrevolution dahin, daß sich die Abhängigkeit der Behausungen von der wirt-
schaftlichen Tätigkeit der Menschen verringert, daß der Einfluß des geographischen
Milieus infolge der Verwendung neuer Baumaterialien und durch erleichterte Transport-
bedingungen an Bedeutung verliert, daß infolge der ständig sich erweiternden wirtschaftlich-
kulturellen Beziehungen zwischen den Völkern der Sowjetunion die ethnischen Bauernhaus-
traditionen sich allmählich einander angleichen und nivelliert werden. Unter Wahrung der
besten Bautraditionen der Volksarchitektur treten allmählich an die Stelle der traditionellen
ethnographischen Typen und der „sozialen“ Typen neue Formen „zonalen“ Charakters,
die mit den sozial-ökonomischen und geographischen Besonderheiten in den einzelnen
Republiken und Gebieten der Sowjetunion verbunden sind (Thesen N.N.TscheboksaRow)-
An diese Thematik grenzen Fragen der Volkskunst eng an. Die Lebensweise der Völker
widerspiegelt sich auch in der Folklore, die somit zur ethnographischen Quelle wird. Auf
der Konferenz machte W. K. Sokolowa dazu grundsätzliche Ausführungen. Das übrige
Vortragsprogramm der Sektion Folklore umfaßte ein Arbeitsgebiet, das hier durch eine
Auswahl der Referate kurz Umrissen sein mag. Es standen zur Diskussion u. a. die Prin-
zipien der folkloristisclien Expeditionsarbeit (N. P. Kolpakowa), Fragen der Epos-Theorie
in der modernen Folkloristik des Auslandes (J. M. Melatinski), Fragen der Entwicklung
des Epos unter den Bedingungen der Entstehung des Staates (M. M. Plisetzki), Unter-
suchungen über das Epos der Völker der UdSSR (W. T. Tschitscherow) und über die
russischen Legenden (T. M. Akimowa, P. D. Uchow), ferner über das Volksepos Süd-
chinas (B. B. Wachtin, R. F. Its), Spezialuntersuchungen über die ukrainische Folklore
in den Nachkriegsjahren (F. I. Lawrow), Arbeiten über die historischen Sagen und Er-
zählungen bei den Jakuten (G. I. Ergis) und über die historische Bedingtheit des Volks-
märchens (E. W. Pomeranzewa). In einigen Vorträgen kam auch die musikalische Folklore
zu Worte (u. a. G. S. Tschchikwadse über Grusinien, G. S. Wysgo über Usbekistan)-
Auf die Notwendigkeit, der Musik-Ethnographie in Zukunft besondere Aufmerksamkeit
zu widmen, wurde ebenso hingewiesen, wie andererseits auch auf die Mängel und Schwierig'
keiten, die sich durch die Tendenz der Folklore ergeben, ein Anhängsel der Literaturwissen-
schaft zu werden. Es wurde mehrfach betont, daß sich die organisatorische Trennung von
Ethnographie und Folkloristik nicht bewährt hat, und in Zukunft eine enge Zusammen-
arbeit anzustreben ist.
Diese Zusammenarbeit ist auch für die Museumsarbeit von Bedeutung, zumal auf der
Konferenz in der Sektion Museumswesen über die Schaffung eines zentralen Museums „Der
Mensch und seine Kultur“ (M. S. Plisetzki), über den Entwurf einer neuen Ausstellung
im Staatlichen Museum für die Ethnographie der Völker der UdSSR (M. W. SasonoWA,
J. G. Scheir) und über den Aufbau einer Ausstellung „Die Lebensweise und die Kultur
des ukrainischen Volkes referiert und diskutiert worden ist.
Das umfangreiche und interessante Programm aus den Bereichen der Geschichte der Ur-
gesellschaft und der Anthropologie, das im Laufe der Konferenz abgewickelt wurde, kann
hier aus obengenannten Gründen nicht behandelt werden. Es sei jedoch gesagt, daß ein Be-
rieht über die Arbeit dieser Sektionen das Bild von der außerordentlich vielseitigen und
anregenden Allunionstagung noch wesentlich vervollständigen würde, und daß auch dieser
Bericht eine erfolgreiche Arbeit in den vergangenen fünf Jahren erkennen lassen würde-
Das gilt auch für viele andere Forschungsgebiete der Ethnographie, wie z. B. für Arbeitet1
über die Entzifferung der Schrift der Maya oder der Osterinselschrift, ferner für Unter-
suchungen über die Schrift der Völker Amerikas und Afrikas usw. Hierher gehören weiter-
hin die Arbeiten am Dialektatlas der russischen Sprache, die Forschungen S. A. T°'
karews über Probleme des Ursprungs und der Frühformen der Religion und anderes
mehr, auf die nicht eingegangen werden konnte.
Natürlich gibt es neben den Erfolgen der sowjetischen Ethnographie auch Schwierig'
keiten und Schwächen, die im Rechenschaftsbericht von S. P. Tolstow sowie von Ver-
tretern der einzelnen Institute und von anderen Tagungsteilnehmern besprochen wurdet1»
Achte Jahrestagung des International Folk Music Council in Oslo
205
und die baldmöglichst behoben werden sollen. In der Diskussion wurde deutlich, daß auch
!n der Sowjetunion das Gespräch über den Gegenstand der ethnographischen Wissenschaft
,tn Fluß ist und dieses Problem noch nicht als geklärt bezeichnet werden kann. Die Kritik
befaßte sich u. a. mit den in letzter Zeit zwar erweiterten, aber doch noch unzureichenden
Verbindungen der sowjetischen Ethnographen mit den Fachvertretern in den bürgerlichen
Ländern. Dabei wurde vor allem klargestellt, daß die Erforschung der Völker der bürger-
lichen Länder Europas und Amerikas aus mangelndem Interesse für diese Fragen und
^egen fehlender Spezialfachkräfte und fehlender Möglichkeiten zur Feldforschung in der
Sowjetunion zurückgeblieben ist, und daß in dieser Beziehung ein grundlegender Um-
schwung herbeigeführt werden soll.
Gegenstand der Kritik war weiterhin der bestehende Mangel an geeigneten Lehrbüchern
der allgemeinen Ethnographie und der Ethnographie der Völker der UdSSR. Eng im Zu-
sammenhang damit steht das Verlangen, die bisher zum Teil unbefriedigende Situation der
Ethnographie an den Hochschulen in der Sowjetunion zu verbessern. Gefordert wurde die
Aufnahme ethnographischer Lehrveranstaltungen in die Studienpläne der Geographischen
Fakultäten und der Pädagogischen Institute. Auch die Lehrpläne der Historischen Fakultä-
ten sehen noch nicht überall ethnographische Vorlesungen vor. Unter Hinweis auf die oft-
mals nur oberflächlichen ethnographischen Kenntnisse der Hochschulabsolventen wurde
111 der Diskussion festgestellt, daß ohne ausreichendes ethnographisches Wissen die Kultur
uüd die kulturellen Bedürfnisse der nationalen Völkerschaften nicht richtig eingeschätzt
Werden können.
In den Diskussionen über methodologische Fragen wurde gegen Erscheinungen des
Dogmatismus nachdrücklich Stellung genommen. Um Mißerfolgen bei der Verallgemeine-
tung ethnographischer Forschungsergebnisse zu begegnen (unzulässige Schematisierung),
^urde vor allem die Erforschung der konkreten Geschichte einzelner Völker gefordert.
P. I. Kuschner und andere legten dar, welchen Gewinn es haben würde, wenn die
Laienbewegung in der Ethnographie, insbesondere in den nicht zentral gelegenen Ge-
bieten, wieder ins Leben gerufen werden könnte. Außerdem wurde es von Diskussions-
tednern für notwendig befunden, die Anleitung und die Arbeit in den Ortsmuseen zu ver-
bessern.
Die hier angeführten Beispiele kritischer Bemerkungen, die in der lebhaften und aus-
giebigen Aussprache zu den einzelnen Referaten gemacht worden sind, stellen nur eine
kleine Auswahl dar. Alle Redner waren um konstruktive Vorschläge zur weiteren Verbesse-
fung der ethnographischen Forschungsarbeit bemüht, in der Erkenntnis, daß diese Arbeit
Huch den praktischen Bedürfnissen beim Aufbau des Kommunismus in der UdSSR dient. Die
g-echenschaftslegung über die Arbeit der vergangenen fünf Jahre und die auf der Kon-
tetenz dargelegte Perspektive für die Arbeit der kommenden Jahre sind richtungweisend
die sowjetische Ethnographie. Für den ausländischen Gast bot sich eine Fülle wertvoller
Anregungen.
Erich Stockmann — Berlin
Achte Jahrestagung des International Folk Music Council in Oslo
Wenn eine Internationale Gesellschaft wie der IFMC sich die Aufgabe stellt, die Samm-
uüg unci Pflege der Volksmusik in allen Ländern der Welt zu fördern, um dadurch zur
etständigung und Freundschaft der Völker beizutragen, so darf sie der Anteilnahme und
er Unterstützung aller Nationen gewiß sein. Zur 8. Jahresversammlung des IFMC in Oslo
v°m 29. Juni bis 5. Juli 1955 hatten sich 130 Teilnehmer aus 21 Ländern zusammen-
§efunden, um gemeinsam über die Sammlung, Untersuchung, Pflege und Weiterentwick-
lu
ng der traditionellen Volksmusik zu beraten. Durch das Zusammentreffen von Wissen-
206
Erich Stockmann
schaftlern, Sammlern und Pädagogen, die sich auf die verschiedenste Weise mit den Pf°"
blemen der Volksmusik auseinandersetzen, erhielt die Tagung ihren besonderen Charakter.
Wissenschaftlern und Praktikern bot sich Gelegenheit zur Aussprache, die wohl auf keinem
anderen Gebiet der Folklore so notwendig ist wie auf diesem. Diese Verbindung macht die
IFMC-Konferenzen so wertvoll und fruchtbar. Aus der Wahl des Tagungsortes ergab sich
zwangsläufig ein Hauptthema des Fachgesprächs: die skandinavische Volksmusik von heute
unter Berücksichtigung ihrer Überlieferung und ihres Wiederauflebens. Erik Dal (Däne-
mark) gab hierzu einen aufschlußreichen Überblick, der durch Beiträge von Arne BjörN'
dal (Die Hardanger Fidel) und Patrick Shuldham-Shaw (Skandinavische Volksmusik
auf englischem Boden) vertieft wurde. Als sehr instruktiv erwiesen sich auch die Referate
zum Thema Tanzlied, dem zweiten Schwerpunkt des Fachgesprächs. Die Formen euro-
päischer Singtänze behandelte der bekannte österreichische Volkstanzforscher RichaRP
Wolfram. Über griechische und Schweizer Tanzlieder berichteten Solon Michaeli des
und W. S. Huber. Dazu gesellten sich Vorträge über Spezialprobleme aus den verschieden-
sten Arbeitsbereichen der einzelnen Forscher, von denen nur die interessanten Ausführungen
Ernst Emsheimers (Schweden) über Sänger-Wettstreite in Zentral-Asien und die K. P-
Wachsmanns (Uganda) über Harfen-Gesänge aus Uganda erwähnt seien. Eine wertvolle
Ergänzung der Referate bedeutete die Vorführung von Schallaufnahmen und Filmen.
Die Sorge um den Bestand und das Weiterleben traditioneller Volksmusik, die alle Ta-
gungsteilnehmer bewegte, fand ihren Ausdruck in einer Resolution, die hier wieder-
gegeben sei:
Being gravely concerned at the rapid disappearance of traditional songs, dances and
instrumental music which is taking place in most countries of the world as a consequence
of the sudden break in the continuity of the lives of those who have hitherto been the
bearers of the tradition.
Considering that the introduction of the elementary education, the incursions of in'
dustrialism, the break-up of community life and, above all, the spread of commercialised
mechanical music are superimposing an alien culture on traditional modes of artistic ex-
pression; and that the present decline in the traditional practice of folk music arises not
from unprejudiced choice but from the loss of confidence engendered by the unaccustomed
ways of modern life.
Being convinced that folk music has a unique value in the life of to-day as (a) being 111
itself a complete and satisfying form of artistic expression as well as a basis for further
musical development, (b) playing an important part in the scientific and historical study
of the art of music in the sociological study of mankind, and (c) forming a bond of unio11
between the peoples of all countries at all levels of culture.
Believing that, while our modern civilisation is destroying folk music, it also has th<-
power to revitalise it and to save it for posterity by means of mechanical recording and
filming, provided that the work be done forthwith in the spirit of the injunction: ,,colligltc
quae superaverunt, ne pereant.“
Have resolved to bring to the notice of governments, Unesco and other authoritatu'^
bodies the urgency and importance of preserving the folk music of their own countries-
to suggest (i) that they should take immediate steps to ensure the recording and filming’
under expert guidance, of all extant authentic folk music, and (2) that they should treat thc
preservation and encouragement of folk culture as an indispensable adjunct to any campaign
that may be undertaken against illiteracy.
Das gleichzeitig stattfindende dritte Festival des Volkstanzes und Liedes wurde für m
Teilnehmer der wissenschaftlichen. Tagung zu einem eindrucksvollen Erlebnis. Vierzehn
europäische Nationen hatten repräsentative Tanz- und Singgruppen nach Oslo gesan »
darunter erstmalig Vertretungen aus der UdSSR und der CSR. Die Vorführungen vermittc
ten ein plastisches Bild von der gegenwärtigen Situation der Volksmusik in Europa-
sonders im Volkstanz wurde der in den einzelnen Ländern sehr unterschiedliche F^n
wicklungsstand deutlich. Neben den noch ganz in der Tradition wurzelnden, gemeinscha
gebundenen Singtänzen der Färöer, den temperamentvollen Reigentänzen der Mazedom
Internationaler Musikwissenschaftlicher Kongreß Wien 1956
207
und den abwechslungsreichen Geschicklichkeitstänzen einer mährischen Gruppe, die ein
hohes Maß an Ursprünglichkeit und Echtheit auszeichnete, sah man die Ergebnisse der
"olkstanzpflege, besonders der Jugendbewegung, an Darbietungen deutscher, schwedischer,
dänischer und finnischer Gruppen. Sie unterschieden sich nur durch den Grad der Weiter-
entwicklung alter überlieferter Formen. Vom musealen Festhalten an der Tanzüberlieferung
his zu dem seiner ursprünglichen Funktion entfremdeten „Schau“-Tanz waren alle nur
denkbaren Zwischenstufen vertreten. Man konnte sich keinen wirkungsvolleren An-
schauungsunterricht für die notwendige Klärung des Problems Volksmusikpflege denken.
unterstrichen die Veranstaltungen des Volkstanzfestes die Wichtigkeit der Bemühungen
des IFMC um eine Lösung dieser Frage. Doch unabhängig von der Entscheidung „echt“
°der „unecht“ gaben die Darbietungen dem wissenschaftlichen Beobachter willkommene
Gelegenheit, den europäischen Volkstanz, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen
^°rd und Süd, Ost und West vergleichend zu studieren. Damit erwies sich das Volkstanz-
fest als eine wichtige Ergänzung des wissenschaftlichen Fachgesprächs.
Erich Stockmann — Berlin
Internationaler Musikwissenschaftlicher Kongreß Wien 1956
.. Der im Zeichen des MozART-Jahres 1956 stehende internationale Kongreß, den die
österreichische Akademie der Wissenschaften und die Gesellschaft zur Herausgabe von Denk-
mälern der Tonkunst in Österreich vom 3. bis 9. Juni in Wien veranstaltete, hatte in der Fach-
welt lebhaftes Interesse und breite Resonanz gefunden. Der Einladung waren über 300 Ver-
tfeter der Musikwissenschaft aus 27 Ländern gefolgt. Sie machten die Tagung zu einer Ver-
aüstaltung wahrhaft internationalen Charakters, die durch die erstmalige Beteiligung von
2ahlreichen Fachvertretern aus der UdSSR und den Volksdemokratien ihre besondere Be-
deutung erhielt. Allen Teilnehmern bot sich mannigfache Gelegenheit, dem Aufruf der Ver-
aüstalter folgend, „im Geist gegenseitiger Hochachtung und aufgeschlossener Verständi-
gungsbereitschaft“ über die Erörterung wissenschaftlicher Spezialproblemc hinausgehend,
°rganisatorische Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu besprechen. Alte Verbindungen,
die lange Zeit unterbrochen waren, wurden wieder aufgenommen und neue geknüpft,
^amit gestaltete sich der Wiener Kongreß zu einem verheißungsvollen Auftakt für ein in
Zukunft verstärktes und fruchtbares Zusammenwirken aller Wissenschaftler unserer
Disziplin.
Im Mittelpunkt des überaus reichhaltigen wissenschaftlichen Programms (140 Referate
Wurden gehalten) stand W. A. Mozarts Persönlichkeit und Schaffen. Um aber allen Ta-
gungsteilnehmern Gelegenheit zu geben, aus ihren Spezialgebieten zu berichten, hatten die
,/ eranstalter in der Themenwahl größte Freizügigkeit gezeigt. In kleineren Sektionen mit
J hemen aus dem Bereich der historischen und systematischen Musikforschung kam es zu
ausgesprochenen Spezialistentreffen, die wesentliche Ergebnisse zu verzeichnen hatten. So
^ütstand ein vielseitiges Bild von den musikwissenschaftlichen Leistungen der letzten Jahre,
^eider wurde die Möglichkeit, zusammenfassende Forschungsberichte über die Entwick-
uüg der Arbeiten in den einzelnen Ländern zu geben, wenig benutzt. Um so dankbarer
Iriußte man für die aufschlußreichen Ausführungen von D. Bartha (Budapest) über die
Ungarische Musikforschung des letzten Jahrzehnts sein.
An dieser Stelle interessieren nun in erster Linie die Beiträge zur Musikalischen Volks-
und Völkerkunde. Eine oft diskutierte Frage der Musikethnologic, das Inhaltsproblem der
™usik der Naturvölker, wurde von W. Graf (Wien) erneut aufgeworfen. Die Beziehungen
v°n Volks- und Kunstmusik in der Gegenwart behandelte Peter Gradenwitz (Tel-Aviv).
n überzeugender Weise konnte er strukturbestimmende Einflüsse der Volksmusik des
208 Günther Jarosch
Orients in Werken zeitgenössischer Komponisten nachweisen. Rückzugsgebieten d&
europäischen Folklore waren die aufschlußreichen Darstellungen F. Ghisis (Firenze) und
F. Quellmalz’ (Tübingen) über Alcune canzoni storiche nelle valle Valdesi del Piemonte
und Musikalisches Altgut in der Volksüberlieferung Tirols gewidmet. Die vorgeführten
Schallaufnahmen bewiesen erneut die große Beharrlichkeit mündlicher Volkstradition, unter*
strichen aber gleichzeitig die immer wieder zu erhebende Forderung, die Bergung der letzten
Reste alter Überlieferungen beschleunigt in Angriff zu nehmen. Mit einer Untersuchung
über die Volksmusikinstrumente Albaniens stellte der Referent für die vergleichende InstrU'
mentenforschung des Balkans neues Material bereit. Ein Problem von allgemeinem Interesse,
das Verhältnis von Volksmusikpflege und Wissenschaft, behandelte W. Wünsch (Gratkorn)-
Die allzusehr aus österreichischer Sicht erfolgenden Ausführungen konnten der Themen-
stellung jedoch nicht voll gerecht werden. Wichtige Erkenntnisse dagegen brachten def
Volksmusikforschung auch die in anderen Sektionen behandelten Themen. So gab H. AnglÜs
(Rom) an Hand der alten spanischen Mensurainotation praktische Winke von grundsätz-
licher Bedeutung, um den Rhythmus der monodischen Lyrik des Mittelalters besser kennen-
zulernen. Einen interessanten Beitrag zur Erforschung des Spielmannstandes liefert
W. Salmen (Freiburg). Anschaulich zeigte er die internationale Wirkungsweite fahrender
Musiker im Dienste der Herzöge von Österreich. Soziologisch bestimmt waren die Daf'
legungen K. Stephensons (Bonn) über das Studentenlied.
Wenn auch eine endgültige Einschätzung der wissenschaftlichen Bedeutung dieser Ta-
gung erst nach Erscheinen des von der österreichischen Akademie der Wissenschaften
herauszugebenden Kongreßberichtes erfolgen kann, so darf doch schon jetzt gesagt
werden, daß die Veranstaltung eine würdige Fortsetzung der Wiener Zentenarkongresse
von 1909 und 1927 darstellt.
Günther Jarosch — Berlin
Konferenz über die tschechische und die slowakische Volksdichtung
Prag, 21. bis 23. Mai 1956
Der gemeinsamen Initiative des Slawischen Instituts sowie des Instituts für Ethnograph^
und Folkloristik an der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, denen sich
noch die Slowakische Akademie der Wissenschaften anschloß, ist die Konferenz über die
mündliche tschechoslowakische Volksdichtung zu verdanken, die vom 21. bis 23. Mai 19^
in Prag stattfand.
Das besondere Anliegen der Konferenz, die Volkskundler und Literaturwissenschaftlei
vereinte, waren die engen Beziehungen zwischen Volksdichtung und Kunstdichtung von de°
ältesten Zeiten bis heute. Welch reiche Erkenntnisquellen auf diesem Gebiete noch ef'
schlossen werden müssen, kam in den großen Referaten und in manchem Diskussions-
beitrag zum Ausdruck. Aus der hier begonnenen Zusammenarbeit der Slawisten und def
Volkskundler erwuchsen Pläne von großer Bedeutung für das Fach „Slawische Volks'
künde“ an den Akademien und Universitäten.
Das zweite Ergebnis der Konferenz war die Betonung der Notwendigkeit einer
sammenarbeit in breitem internationalem Maßstab. Das kam nicht nur darin zum Ausdruck»
daß die Konferenz, an der als ausländische Gäste V. I. Öiöerov (Moskau), S. V. Nikol’sK1!
(Moskau), Gyula Ortutay (Budapest), Cvetana Vranska (Sofia), PaulNedo (Leipzig)
und Günther Jarosch (Berlin) teilnahmen, als eine Vorbereitung für den Internationale0
Slawistenkongreß bezeichnet wurde, der auf Beschluß der Belgrader Slawistentagung ÖÜ
im September 1958 in Moskau stattfinden soll, sondern auch darin, daß sich die Konfetc°z
durchaus zur historisch-vergleich enden Methode bekannte. Freilich sollen die Fehler dcr
Konferenz über die tschechische und die slowakische Volksdichtung
209
fiten, mehr vergleichenden als historischen Schule vermieden werden, die die Folklore von
!hren Trägern loslöste und lediglich die Wanderung von Motiven untersuchte, ohne die
historischen, die gesellschaftlichen, die kulturellen und die nationalen Gründe für die Ver-
änderungen zu beachten; einer Schule, die über den gemeinsamen Zügen die speziellen
nationalen Eigentümlichkeiten und die Ursachen ihrer Herausbildung übersah. Gegenüber
her Theorie, daß sich der Einfluß stets in einer Richtung vollziehe (,,Kulturgefälle“),
teilte Gyula Ortutay fest: „Jede Kultur hat viele Tore, durch die Einflüsse zu ihr
kommen und von ihr ausgehen.“
Wiederholt wurde eine Intensivierung der gegenseitigen Information gefordert. Des-
halb begrüßten es die Teilnehmer, daß Cvetana Vranska einen Überblick über Die
beschichte der Volkskundeforschung in Bulgarien gab und GÜNTHER Jarosch über Die
Situation der Volkskundeforschung in der DDR. An der Diskussion beteiligten sich V. I.
Öiöerov mit Ausführungen über Das Verhältnis von Byline und historischem Lied, S. V.
Nikol’skij über öelakovski) und die russische Heldendichtung sowie Cvetana Vranska
rtiit einem Kurzreferat Das bulgarische Hajdukenlied. Als beste Mittel zur Vertiefung der
■wissenschaftlichen Beziehungen wurden vorgeschlagen: Austausch von Arbeitsplänen und
Publikationen, Studiendelegationen und Reisen, Beratungen von Fachleuten über Spezial-
fragen sowie gegenseitige Hilfe bei der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Beifällig wurde der Vorschlag von Gyula Ortutay aufgenommen, eine Ständige Kommis-
sion für die internationale Organisation der folkloristischen Arbeit ins Leben zu rufen, deren
Mitglieder von den zuständigen wissenschaftlichen Institutionen der beteiligten Länder zu
ernennen wären.
Auch für die folkloristische Arbeit innerhalb der Tschechoslowakei ergaben sich wichtige
Zielsetzungen, zum großen Teil in Anlehnung an das Hauptreferat des ersten Tages (Jiri
Horäk : Die Aufgaben der tschechoslowakischen Folkloristik auf dem Gebiete der historischen
Volksepik), so die Ergänzung der vorhandenen Märchenkataloge, die Schaffung eines ent-
sprechenden Sagenkataloges, Sammelarbeiten im Lande, insbesondere in den Gebieten, aus
denen wenig Aufzeichnungen vorliegen (so zeigt eine unter Leitung von JlRi Horäk für
das Alois-Jirasek-Museum entworfene Karte, daß die Quellen für die „Alten tschechischen
Sagen“ nur aus wenigen Gebieten Innerböhmens stammen), und die Untersuchung der
Veränderungen, denen die Märchen unterworfen sind beim Übergang ins Genre der Ge-
schichten. Interessant ist der Versuch, in den Prosaerzählungen die Widerspiegelung der
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse festzustellen und eine synthetische
Darstellung der nationalen Geschichte auf Grund der Volkssagen in Angriff zu nehmen.
Außerdem wurde die Notwendigkeit kritischer Ausgaben der bedeutendsten Textsammlun-
gen betont. Die Anfertigung bibliographischer Verzeichnisse der über die einzelnen Formen
der Volksdichtung geschriebenen Studien wird die weitere Forschung erleichtern. Bereits
in Arbeit befindet sich ein Katalog aller Bänkelsängerlieder, unterteilt nach dem Titel,
dem Strophenanfang, den Motiven und der Technik.
Das zentrale Thema der Konferenz war die Untersuchung der Rolle, die die Volksdichtung,
insbesondere die historische Folklore, in der Literatur der nationalen Wiedergeburt um die
Wende des 18./19. Jahrhunderts spielte, und zwar bei den Tschechen (Referent: Artur
Zävodsky), bei den Slowaken (Andrej Mräz) und in der Gesamtheit der slawischen
Völker (Frank Wollmann). Während die Bedeutung der Volkssprache als Quelle der
Nationalsprache allgemein anerkannt ist, wurde die Rolle der Volksdichtung als des demo-
kratisierenden Elements der Nationalliteratur bisher viel zu wenig beachtet.
Der Klassencharakter der Volksdichtung im Kampf gegen den Feudalismus und ihre
Bolle in der Befreiungsbewegung der Völker sind weitere Aspekte der neuen Forschung.
In dieser Hinsicht boten die Referate über Das Bild des edlen Räubers in der slowakischen
Volksdichtung (Andrej MelicherMk) und (Mährische) Sagen aus dem Themenkreis um
den edlen Räuber (Alois Sivek) nicht nur zum Teil unbekanntes Material, sondern inter-
essierten vor allem durch ihre sozialkritische Betrachtungsweise.
Für die Erkenntnis der geistigen Welt des Volksmenschen bedeutete das Referat von
Jän Komorovsky: Die historische Wahrheit in der Volkssage einen wesentlichen Beitrag.
* 4 Volkskunde
210
Günter Reitz
Ein Vergleich zwischen Sage und historischer Erzählung ergibt, daß es in der Sage nicht so
sehr auf die Wiedergabe historischer Tatsachen als auf die Widerspiegelung des volkstüm-
lichen Weltbildes ankommt. So ist es zwar unhistorisch, den slowakischen Rebell JänoSIK
mit dem Ungarnkönig Matthias in Verbindung zu bringen, wie es in einigen Sagen ge-
schieht; durch die innere Wahrheit der Volkssage aber werden hier zwei Überlieferungs-
kreise um Vertreter der Gerechtigkeit vereinigt. In der Diskussion hierzu wurde darauf
verwiesen, daß wir vielfach nicht die Sage selbst, sondern nur ihr Regest kennen. Unter-
schieden wurde ferner zwischen historischer Sage und abergläubischer Erzählung, und
schließlich wurde die „Erzählung aus dem Leben“ als eine neue eigene Form der Volks-
erzählung vorgestellt.
Nicht nur die Volksdichtung selbst, sondern auch das Volk als Träger der Volksdichtung
ist Forschungsobjekt der Volkskunde. Deshalb folgte mit Recht einem Referat von Ol-
drich Sirovätka über Die Frage der Volkssage im zeitgenössischen Repertoire ein mit zahl-
reichen Beispielen gestütztes und durch Tonbandaufnahmen und Vorführung eines Films
illustriertes Referat von AntonIn Satke: Porträt eines Volkserzählers.
Wenn die einzelnen Referate auch hinsichtlich der Durchdringung des Stoffes unterschied-
liches Niveau aufwiesen und die Konferenztage zu wenig Zeit für eine systematische Dis-
kussion enthielten, kann die unter Leitung von Julius Dolansky stehende Tagung doch
durchaus als geglückt angesehen werden. Die seit einigen Jahren getrennt arbeitenden Folk-
loristen und Ethnographen fanden wieder zu gemeinsamer volkskundlicher Arbeit, und die
Zusammenarbeit mit den Literaturwissenschaftlern bietet wertvolle Ansatzpunkte für eine
günstige Weiterentwicklung der Forschung auf dem Gebiete der slawischen Volkskunde.
Günter Reitz — Dresden
Stand der volks- und heimatkundlichen Museen in Sachsen
am i. September 1956
A. Kunst-und Altertumsmuseen
1. Altenburg, Lindenau-Museum: Direktor v. d. Gabelentz. — 2. Altenburg, Mauritia-
num: Leiter Grosse. — 3. Altenburg, Schloß-Museum: Leiter Schulze. — 4. Dresden,
Abguß-Sammlung antiker Bildwerke: komm. Leiter Pietsch. — 5. Dresden, Barock-
museum, Zwinger: Direktor Dr. Rudloff-Hille. — 6. Dresden, Graphische Sammlung:
Leiter Menz. — 7. Dresden, Kunsthandwerk-Zinnsammlung: Leiter Raakebrand. —
8. Dresden, Landesmuseum für Vorgeschichte: Leiter Dr. Coblenz. — 9. Dresden,
Staatliche Kunstsammlungen: Generaldirektor Seydewitz, Direktor Dr. Rudloff-Hille. —'
1 o. Dresden, Staatliche Porzellan-Galerie: Leiter Raakebrand. — 11. Dresden, Textilsamm-
lung: Leiter Raakebrand. — 12. Dresden, Zentrale Kunstbibliothek: Leiter Flamm.—
13. Görlitz, Städtische Kunstsammlungen: Direktor Dr. Lemper. — 14. Karl-Marx-Stadt,
Grafik-Kabinett: Leiter Müller, Johanne. — 15. Karl-Marx-Stadt, Städtische Kunstsamm-
lungen : Direktor Dr. Müller. — 16. Karl-Marx-Stadt, Textil-Sammlung: Leiter Fröhlich.— /•
17. Königstein, Festung: Direktor Weber. — 18. Leipzig, Bach-Archiv: Direktor Prof.
Neumann. —19. Leipzig, Museum der Bildenden Künste: Direktor P of. Jahn.— 20. Leip-
zig, Museum des Kunsthandwerks: Direktor Dr. Bethe. — 21. Leipzig, Musikwissen-
schaftliches Instrumenten-Museum: Direktor Prof.Serauky. — 22. Leipzig, Stadtgeschicht-
liches Museum: Direktor Dr. Füssler. — 23. Meißen, Porzellan-Manufaktur: Direktor
Dr. Gröger. — 24. Pillnitz, Schloß, Staatliche Gemäldesammlung: Direktor Dr. Rudloff-
Hille. — 25. Rochsburg, Burgmuseum: Leiter Fröhlich. — 26. Stolpen, Burg: Burgwart
Schönfelder. — 27. Weesenstein, Burg: Verwalter Wohlrab.
Stand der yolks- und heimatkundlichen Museen in Sachsen
211
B. K reismuseen bzw. Städtische Museen mit Abteilungen Volkskunde, Vor-
geschichte, Stadtgeschichte und Bäuerliche Kultur
Bezirk Dresden:
i. Bautzen: Direktor Schmidt. — 2. Bernstadt: Leiter Krebs. — 3. Bischofswerda: Leiter
Müller. — 4. Crostau: Leiter Häbold. — 5. Demitz-Thumitz: Leiter Schneider. —
6. Dippoldiswalde: Leiter Weiske. —7. Dohna: Leiter Munde. — 8. Dresden, Staatl.
Puppenspielsammlung: Leiter Link. — 9. Dresden, Staatl. Mus. für Volkskunst: Direktor
Prof. Langnerj. — 10. Dresden, Städt. Sammlungen: Leiter Zapf. — 11. Ebersbach:
Leiter Ändert. — 12. Eibau: Leiter Ebert. — 13. Freital: Leiter Heinz. — 14. Großen-
hain: Leiter Eichhorn. — 15. Großröhrsdorf: Leiter Richter. — 16. Groß-Schönau:
Leiter Ritter. — 17. Heidenau: Leiter Koitzsch. — 18. Herrnhut, Heimatstuben: Leiter
Gregor. — 19. Herrnhut, Völkerkundemuseum: Leiter Becker. — 20. Kamenz: Leiter
Manke. — 21. Kirschau: Leiter Steude. — 22. Liebstadt: Leiter Jobst. — 23. Löbau: Leiter
Raschke. — 24. Lommatzsch: Leiter Grund. — 25. Meißen: Leiter Kunz. —26. Neugers-
dorf: Leiter Schmidt. — 27. Neukirch: Leiter Nierich. — 28. Neustadt: Leiter Reymann.—
29. Niedercunnersdorf: Leiter Schluckebier. — 30. Niederneuendorf: Leiter Friedland. —
31. Niesky: Leiter Kubitza. — 32. Nossen: Leiter Berger. — 33. Ostritz: Leiter Pischel.—
34. Oybin, Bergmuseum: Direktor Säuberlich. — 35. Pirna: Leiter Grumpelt. — 36.Puls-
nitz: Leiter Reinhold. 37. Rabenau: Leiter Laue. — 38. Radebeul: Leiter Lugenheim.—
39. Radeburg: Leiter Selbmann.— 40. Reichenau b. Königsbrück: Leiter Richter.—
41. Reichenbach: Leiter Marquart. — 42. Riesa: Leiter Junge. — 43. Rothenburg O. L.:
Leiter Pohlenz. — 44. Schandau, Bad: Leiter Berger. — 45. Schirgiswalde: Leiter
Swoboda.— 46. Schmölln: Leiter Jung. — 47. Sebnitz: Leiter Petraschk. — 48vSohland:
Leiter Scholze. — 49. Strehla: Leiter Müller. — 50. Waltersdorf a. d. Lausche: Leiter
Jungmichel. — 51. Wehlen: Leiter Mädler. — 52. Weißenberg: Leiter Künzel. — 53.Wils-
druff: Leiter Schmidt. — 54. Wilthen: Leiter Münnich. — 55. Zittau: Direktor Säuber-
lich.
Bezirk Karl-Marx-Stadt (Chemnitz):
1. Adorf :Rat der Stadt, Abt. Volksbildung. — 2. Annaberg-Buchholz : Leiter Breitung. —
3. Aue: Leiter Nagy. — 4. Auerbach i. V.: Leiter Maron. — 5. Augustusburg, Schloß:
Leiter Gränitz. — 6. Brambach, Radiumbad : Leiter Abt. Kultur b. Rat der Gemeinde. —
7. Brand-Erbisdorf: Leiter Schwenke. — 8. Crimmitschau: Leiter Dietrich. — 9. Ehren-
friedersdorf: Leiter Ratder Stadt, Abt. Volksbildung.— 10. Elster, Bad: Leiter Dr. Ru da.—
ii. Falkenstein i. V.: Leiter Herold. — 12. Frankenberg: Verwalter Wichmann. —
13. Frauenstein: Leiter Müller. — 14. Freiberg: Direktor Dr. Meintzschel. — 15. Geyer:
Leiter Schreiber. — 16. Glauchau : Direktor Schott. — 17. Göltzsch, Burg der Stadt Rode-
wisch: Leiter Böttcher. — 18. Hainichen: Leiter Dr. Schmidt. — 19. Hartenstein i. E.:
Leiter Thuß. — 20. Hohnstein-Ernstthal: Leiter Riedel. — 21. Karl-Marx-Stadt: Leiter
Ebert. — 22. Kriebstein, Burg: Leiter Degelbach. — 23. Lengenfeld: Leitung Rat der
Stadt Lengenfeld. — 24. Lichtenstein: Leiter Dörfel. — 25. Limbach/Oberfrohna: Leiter
Fritzsching. — 26. Lößnitz/E.: Verwalter Hunger. — 27. Marienberg: Leitung Rat der
Stadt, Abt. Volksbildung. — 28. Markneukirchen: Leiter Wild. — 29. Meerane: Leitung
Rat der Stadt, Abt. Volksbildung. — 30. Mittweida: Leiter Bohne. — 31. Mylau: Leiter
Voigt. — 32. Oberlungwitz: Leitung Rat der Stadt Oberlungwitz. — 33-Oederan: Leiter
Rentsch u. Berger. — 34. Plauen: Leiter Donnerhack. — 35- Reichenbach i. V.:
Leiter Dr. Leipold. — 36. Rochlitz: Leiter Dahnert. — 37. Schlettau: Leiter Themel. —
38. Schneeberg: Leiter Pflugbeil. — 39. Seiffen/E. : Leiter Pilz. — 40. Siebenlehn: Leiter
Hörig. — 41. Stollberg: Leitung Rat der Stadt, Abt. Kultur. — 42. Waldenburg :.Leiter
Nötzold. — 43. Werdau: Leiter Dittes.
212
Günter Reitz
Bezirk Leipzig:
i. Borna: Leiter Engelmann. — z. Brandis: Leiter Ratsch. — 3. Colditz: Leiter Albrecht. —■
4. Delitzsch: Leiter Binrot.— 5. Düben, Bad: Leiter Winkler. — 6. Eilenburg: Leiter
Hoffmann. — 7. Frohburg: Leiter Müller. — 8. Grimma: Leiter Müller.-—9. Leisnig:
Leiter Andreas. — 10. Meuselwitz: Leiter Mosig. — 11. Mutzschen: Leiter Cerson. —
12. Naunhof: Leiter Schumann. — 13. Nerchau: Leiter Koch.— 14. Oschatz: Leiter
Käseberg. — 15. Pegau: Leiter Luer. — 16. Posterstein, Krs. Schmölln: Leiter Dinger.—■
17. Roß wein: Leitung Rat der Stadt, Abt. Kultur. — 18. Rötha: Leiter Delling. —
19. Sachsendorf: Leiter Lommatzsch. — 20. Taucha: Leiter Weist. — 21. Torgau:
Leiter Walter. — 22. Trebsen: Leiter Schober. — 23. Waldheim: Leiter Kummer.—
24. Wurzen: Leiter Bergt. — 23. Zwenkau: Leiter Germer.
C. Natur künde-Museen
1. Annaberg-Buchholz: Leiter Heinze. — 2. Dresden, Math. Phys. Salon, Zwinger:
Leiter Grötsch. — 3. Dresden, Staatliches Museum für Mineralogie: Leiter Dr. Prescher.—
4. Dresden, Staatliches Museum für Tierkunde: Direktor Prof. Reichert. — 3. Freiberg:
Direktor Dr. Langer. — 6. Görlitz, Staatliches Naturkunde-Museum: Direktor Glotz. —
7. Karl-Marx-Stadt: Leiter Petersen. — 8. Leipzig, Naturkunde-Museum: Leiter Gentsch.
9. Markkleeberg, Deutsches Gartenbau-Museum: Leiter Dr. Eiaase. — 10. Meißen,
Pflanzengarten Bosel: Leiter Dr. Thielemann.— 11. Moritzburg, Museum für Vogel-
kunde und Vogelschutz: Leiter Burk. — 12. Seifhennersdorf, Natur- u. Heimatkunde-
Museum: Leiter Roscher. — 13. Syrau, Drachenhöhle: Leiter Rat der Gemeinde.—
14. Schandau, Bad, Pflanzengarten: Obergärtner Rapp. — 15. Waldenburg, Naturalien-
Kabinett: Leiter Nötzold. — 16. Zwickau: Leiter Vater.
D. Sonstige Museenund Gedächtnisstätten
1. Bautzen, Alte Wasserkunst: Direktor Dr. Schmidt. — 2. Dresden, Technisches
Museum der Elochschule für Verkehrswesen: Leiter Dr. Rehbein. — 3. Dresden-
Hosterwitz, Carl-Maria-v.-Weber-Gedächtnisstätte: Privatbesitz. — 4. Dresden-Losch-
witz, Schillerhäuschen: Privatbesitz. — 5. Dresden-Gohlis, Gohliser Windmühle:
Leitung Gemeinde. — 6. Frohnauer Eiammer: Techn. Leiter Pilz. — 7. Graupa, Richard-
Wagner-Gedächtnisstätte und Heimat-Museum: Leiter Hippe. — 8. Grimma, Göschen-
haus und Heimatstube: Leiter Sturm-Franke. — 9. Hubertusburg, Bebel-Liebknecht-
Gedächtnisstätte. — 20. Kamenz, Lessing-Museum: Direktor Dr. Ru dloff-FIille.— 11. Kre-
bes, Hermann-Vogel-Haus: Leiter Donnerhack. — 12. Leipzig, Schiller-Gedächntis-
stätte. — 13. Rammenau, Fichte-Museum: Leiter Dreßler. — 14. Wiederau, Clara-Zetkin-
Gedächtnisstätte: Verwalter Lehmann. — 15. Zwickau, Robert-Schumann-Museum:
Direktor Dr. Eismann.
E. Museen, deren Eröffnung wegen Raummangel, teilweiser Zerstörung pp-
noch nicht erfolgen konnte 1
1. Döbeln: Leitung Rat der Stadt, Abt. Kultur.— 2.Lausigk, Bad: Leitung Rat der Gemeinde,
Abt. Kultur. — 3. Mügeln: Leitung Rat der Stadt, Abt. Kultur. — 4. Schmiedeberg, Krs*
Dippoldiswalde: Leitung Rat der Gemeinde, Abt. Kultur. — 5. Schwarzenberg/E.: Lei'
tung Rat der Stadt, Abt. Kultur. (Im Aufbau.)
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
213
Lutz Röhrich — Mainz
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
Dritter Teil
§14 Paul Delarue f und die Erforschung des französischen Märchens
Eine Darstellung der neueren französischen Märchenforschung ist weitgehend gleich-
bedeutend mit einem Bericht über die Arbeiten Paul Delarues, dessen plötzlichen Tod
die vergleichende Volkskunde zu beklagen hat. Paul Delarue verstarb am 25. Juli 1956
in Ivry-sur-Seine im Alter von 67 Jahren an den Folgen einer Operation. Dem geistig aufge-
schlossenen Sohn einer Winzerfamilie aus dem Nivernais bot sich zunächst die Laufbahn
eines Lehrers an. Seit seinem 16. Lebensjahr besuchte er die Ecole Normale von Varzy, und
schon mit 19 Jahren stand er im Erzieherberuf. Es ist hier nicht der Platz, seine Verdienste
als geschätzter Pädagoge und späterer Direktor der Schule von Ivry-sur-Seine zu schildern,
denn Paul Delarue war nicht nur Lehrer. Die Tätigkeit in der Schule allein konnte ihm
nicht genügen. Seine besonderen Interessen gehörten zunächst der Botanik. Bald aber zog
ihn als einen Menschen hoher sozialer Gesinnung sein Verständnis für den einfachen
Menschen zur Volkskunde. Dabei entsprach es seinen künstlerischen Neigungen, daß er
sich zunächst dem Volkslied, später ganz dem Märchen widmete. Paul Delarue war
einer der großen Autodidakten, denen wir in der Volkskunde so viel verdanken. Noch in
späteren Jahren lernte er nicht nur Latein und Griechisch, sondern auch Deutsch und Eng-
lisch, daneben noch Italienisch und Spanisch. So verschaffte er sich die Grundlagen für
■Weitreichende vergleichende Forschungen. Seit dem Beginn der 30er Jahre verband
Delarue eine enge Freundschaft mit dem französischen Volksliedforscher Patrice
Coirault, und auch Delarues erste große Veröffentlichung entstammt dem Bereich des
Volkslieds. Es war die in sechs Lieferungen erschienene Sammlung der Volkslieder seiner
Heimatlandschaft, des Nivernais1), die Delarue aus dem Nachlaß von Achille Millien
Veröffentlichte, wozu er testamentarisch berufen worden war (s. u.). In der Folgezeit
Wandte sich Delarue immer mehr und zuletzt ausschließlich der Erforschung des Märchens
£u. Die künstlerische Gestaltung der Erzählungen, ihre Funktion im Volksleben sowie
Alters- und Herkunftsfragen interessierten ihn dabei gleichermaßen. Delarue war kein
einseitiger, nur einer Schule verpflichteter Märchenforscher. Dafür stand er dem volklichen
Leben selbst viel zu nahe. 1946 ließ er sich pensionieren, um sich nun ganz jenen Arbeiten
Widmen zu können, an denen sein Herz am meisten hing. Ohne akademische Würden, in
der Zurückgezogenheit seines abseits gelegenen Wohnsitzes in der Nähe von Paris ist er
durch seine Arbeiten zum international anerkannten Vertreter der Märchenforschung in
Frankreich aufgestiegen. Dabei blieb er auch allen Ehrungen gegenüber stets bescheiden
(er war Ritter der Ehrenlegion und Vizepräsident der Société d’Ethnographie française).
Sein immenses Wissen verbarg er hinter einer natürlichen Schlichtheit. Mit herzlicher
Hilfsbereitschaft unterstützte er alle, die sich aus Frankreich und aus dem Ausland an ihn
Wandten und für ihre vergleichende Arbeit seine Hilfe erbaten. Sein liebenswertes Wesen
Wird jedem in Erinnerung bleiben, der mit ihm zusammengetroffen ist. Freundschaftlich
Verbunden war er vor allem den deutschen Märchenforschern. Gerade die letzten Wochen
vor seinem Tod gehörten der Arbeit an einer Sammlung französischer Volksmärchen für die
deutschsprachige Sammelreihe Märchen der Völker (Erich-Röth-Verlag, Eisenach).
Mit der Sorge, niemanden seinetwegen zu stören, was seiner bescheidenen Art entsprach,
Fat Paul Delarue uns verlassen, indem er seine Angehörigen bat, erst einen Monat später 1
V
1) Recueils de chants populaires du Nivernais. Paris. I undll (1934); III (1935); IV (1936);
(1938); VI (1947)-
214
Lutz Röhrich
die Nachricht von seinem Ableben bekanntzumachen. So erfuhren wir erst vor kurzem,
daß Paul Delarue schon in St. Didier (Nièvre), seinem Geburtsort, begraben liegt. Wir
ehren sein Andenken am würdigsten durch einen Bericht über die Erforschung des französi-
schen Volksmärchens, mit der sein Name unzertrennlich verbunden bleibt.
Nach langen Vorarbeiten hatte Paul delarue im Jahre 195 3 damit begonnen, eine groß
angelegte Reihe von Sammlungen französischer Märchen herauszugeben, von der bis zu
seinem Tod ein halbes Dutzend Bände erscheinen konnten. Sie trägt den Titel Märchen
der Provinzen Frankreichs {Contes merveilleux des provinces de France) und will in erster
Linie bisher unbekannte oder ungenutzte Quellen ausschöpfen. Jeder veröffentlichte Band
ist in zwei Ausgaben erschienen: einer populären mit Illustrationen und einer zweiten mit
wissenschaftlichem Kommentar, Variantenhinweisen, Bezifferung nach Aarne-ThompsoN,
mit Berichten über den Stand der Forschung zu einzelnen Erzählungen unter Anführung der
internationalen Literatur. Es wurde vermieden, den gehörten und aufgezeichneten Text
irgendwie zu bearbeiten, d. h. der besondere Stil der mündlich überlieferten Volkserzählung
sollte in keiner Weise zu einem literarischen Stil gemacht und damit verfälscht werden. Der
Erzählung beigegeben sind genauere Angaben über Namen, Alter und Lebensverhältnisse
des Erzählers. Wo der Text in einem regionalen oder örtlichen Dialekt aufgezeichnet wurde,
ist daneben eine Übersetzung in die französische Schriftsprache abgedruckt. Wo ausnahms-
weise etwas abgeändert wurde, ist dies im Kommentar vermerkt. Der wissenschaftlich
interessierte Leser kann sich jederzeit an den Verlag wenden, um den ursprünglichen Wort-
laut zu erfahren. Es fällt auf, daß wir in diesen Bänden immer wieder Märchenvariantefl
finden, die sehr verschieden sind von den altgewohnten Fassungen der Sammlung PeR-
raults. Das kommt daher, daß Perrault von den zahllosen Fassungen, die zu seiner Zeit
in Frankreich umliefen, jeweils nur eine ausgewählt und sie nach dem Geschmack des damals
Wohlanständigen bearbeitet hat. Wie in jeder Sammlung volksecht aufgezeichneter Stücke
aus lebendigen Märchenlandschaften sind die meisten der von Delarue herausgebrachten
Erzählungen keine eigentlichen Kindermärchen: Sie wurden von Erwachsenen den Er-
wachsenen erzählt, um ihnen die Winterabende zu verkürzen, eine eintönige Arbeit zu be-
gleiten, die Freizeit der Arbeiter, der Soldaten, Matrosen und Fischer zu beleben und deren
Bedürfnisse nach Abwechslung, nach Dichtung und nach Nahrung ihrer Phantasie zu ge'
nügen. Der erste, 1953 erschienene Band bringt Märchen aus dem Nivernais und Morvan,
zwei Landschaften um die Stadt Nevers an der Loire2)- Der Sammler dieser Stücke war
Achille Millien, ein bedeutender Volkslied- und Märchensammler, der in den Jahren
zwischen 1874 und 1895 in Nivernais als freier Schriftsteller tätig war und dessen Biographie
Delarue mitteilt: A. Millien fing 1874 damit an, die Texte von Volksliedern zu sammeln-
Er fand dann einen Geiger und Komponisten J. G. Sénavaire, der ihm half, auch die
Melodien zu erfassen. So machte er nach einem jährlichen Programm seine Reisen im ganzen
Nivernais- und Morvan-Gebiet, zuerst allein für die Texte, dann zusammen mit SénavaiRE
für die musikalischen Aufzeichnungen. Bis 1895 hatte er mehr als 2600 Melodien mit den
entsprechenden Texten und mehr als 900 Varianten von Märchen, Hunderte von Sagen,
Sprichwörtern u. a. gesammelt. Einzelne Proben veröffentlichte Millien in Almanachen
und Zeitschriften, meist in der von ihm gegründeten Revue du Nivernais. Dann erlitt er je-
doch einen Schlaganfall ; seinVermögen geriet inVerfall, und von da an war er nicht mehr
imstande, die von Erzählern in Eile aufgezeichneten, häufig in der lokalen Mundart erfaßten
Texte zu entziffern. So blieb ein großer Teil der Märchensammlung Milliens unveröffent-
licht. Nach seinem Tod gelangten die gesamten Papiere nach manchen Zwischenfället1
schließlich in die Hand Paul Delarues, der sich 1933 daran machte, sie zu bearbeiten. Es
waren neben sauber geschriebenen, aber schlecht erhaltenen Heften riesige Mengen einzel-
ner Blätter und Zettel, auf Umschlägen von Prospekten, ja am Rand von Zeitungen und anf
Fetzen von Packpapier. Es gelang Delarue, diese Manuskripte zu entziffern und in ihrem
ursprünglichen Wortlaut festzuhalten.
2) Achille Millien et Paul Delarue: Contes du Nivernais et du Morvan. Paris
1953 (Editions Erasme). 236 S. u. 60 S. wissenschaftl. Anm.
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
215
Diese Sammlung stammt also aus einer Zeit, in der die mündliche Erzählüberlieferung
n°ch allgemein lebendig war. Die verschiedenen Versionen desselben Stoffes können dem
Forscher ein gutes Vergleichsmaterial bieten. Vom Rotkäppchen (Aa-Th. 333) hat Millien
allein 8 Varianten gesammelt, vom Typ Aa-Th. 425 (Amor und Psyche) 19 und sogar
20 Varianten des Märchens von dem Mädchen, deren Brüder in Tiere verwandelt wurden
(Aa-Th. 450—451; Millien-Delarue Nr. 15, S. 143 ff. mit Noten). Von mehreren durch
■Millien aufgezeichneten Varianten druckte Delarue in der Regel nur eine ab, verweist
aber auf die anderen Varianten desselben Typus’ und gibt jeweils eine gedrängte Inhaltsan-
gabe. Eine weitere Besonderheit der Sammlung ist die musikalische Notierung der ein-
geschobenen Märchenlieder und -verse. So wurde diese Veröffentlichung durchaus muster-
gültig und bildete einen vielversprechendenAnfang für die weiteren Bände der von Delarue
besorgten Reihe. Ob man allerdings die dazugehörigen Illustrationen als besonders ge-
glückt ansehen will, ist eine andere Frage.
Ebenfalls in einer wissenschaftlichen und in einer populären Ausgabe ist dann noch im
selben Jahr der zweite Band der DELARUEschen Serie erschienen. Er ist besorgt von
Geneviève Massignon und bringt Märchen aus Westfrankreich3). Der Band enthält im
ganzen 30 Märchen, die in den Jahren 1950—52, d. h. also in der unmittelbaren Gegenwart
aufgezeichnet wurden. Sie stellen allerdings nur die Auswahl eines sehr viel umfangreicheren
Materials von insgesamt 80 handschriftlichen Texten dar. Die Gewährsleute G. Massig-
Nons standen fast alle schon in den achtziger Jahren. Anlage, Aufbau und Ziel entsprechen
dem des schon beschriebenen ersten Bandes. Die Anmerkungen hat P. Delarue mit ge-
lohntem Weitblick und gleichzeitiger Sorgfalt zusammengestellt. Sie enthalten wiederum
einen Kommentar zu Alter, Verbreitung und Häufigkeit der einzelnen Stücke. Recht
mteressant ist z. B. Nr. 17, eine Hänsel- und Greief-Variante mit tödlichem Ausgang: Das
Brüderchen wird vom Riesen wirklich geschlachtet, aber aus den Knochen, die die Schwester
sammelt, von der heiligen Jungfrau zu einem Vögelchen wieder belebt.
Als Band 3 in der Reihe der Märchen aus den französischen Provinzen erschien ein Band
mit Erzählungen aus der Gascogne von Antonin Perbosc, den dessen Enkelin Suzanne
Cézerac aus dem Nachlaß geordnet und herausgegeben hat4). Der Gascogne, die sich süd-
lich von Bordeaux bis an die Pyrenäen, ostwärts bis an die Rhône erstreckt, ist die Provinz
Languedoc benachbart. An der Grenze zwischen beiden Landschaften, die sich auch durch
ihren Dialekt unterscheiden, liegt das Dorf Comberouger. Dort lebte Antonin Perbosc
(1861—1944) als Volksschullehrer. Sein ganzes Leben hat er sich mit der Sammlung von
Molksmärchen beschäftigt und zwar bei voller Wahrung der überlieferten Form. Die meisten
Stücke hat er dadurch erhalten, daß er in den Jahren 1900—1908 seine Schulkinder auf-
forderte, ihm Märchen, die sie daheim hörten, beizubringen und aufzuschreiben. Die Kinder
Waren im Alter von 10 bis 13 Jahren, und sie schrieben die Erzählungen im heimischen
Lialekt auf, so wie sie die Worte hörten. Einige der kurzen Tiergeschichten kamen von
Lindern von 6 und 7 Jahren, die sie dann den älteren diktierten. Perbosc hat an den
Handschriften der Kinder nichts geändert. Die Manuskripte liegen jetzt im Musée des Arts
et Traditions populaires inParis5 6) und sind dort für wissenschaftliche Zwecke zugänglich®).
Mur ein Teil der Sammlung war von Antonin Perbosc selbst schon veröffentlicht wor-
den7). Die vorliegende neugedruckte Ausgabe hat die Texte in die französische Schrift-
sprache übertragen. Es würde zu weit führen, die 49 Erzählungen dieses Bandes- (20 Mär-
3) Geneviève Massignon: Contes de l’Ouest. Paris 1953 (Editions Erasme).
4) Antonin Perbosc: Contes de Gascogne. Rassemblés par Suzanne Cézerac
Baris 1954 (Editions Erasme).
5) vgl. Lu tz Röhr i ch : Die französische Volkskunde. Hess. Bll. f.VkdeXLII(i95 i),S. nff.
6) unter dem Titel: Contes languedociens et gascons recueillis par Antonin Perbosc
Comparés avec les variantes des mêmes thèmes connues dans les pays de languedoc.
7) Antonin Perbosc: Contes populaires, ire série: Contes de la vallée du Lambon.
Montauban 1914, sowie: JeanHinard et Antonin Perbosc: Contes populaires, 2e série:
Contes populaires de la vallée de la Bonnette. Paris 1924.
216
Lutz Röhrich
chen, io Tiergeschichten, 13 Schwänke usw.) einzeln zu besprechen. Außer den Er-
zählungen, die auch für Kinder bestimmt und ohne den Anhang käuflich sind, enthält, wie
die anderen Bände der Reihe, die große Ausgabe noch einen volkskundlich wissenschaft-
lichen Kommentar aus der Feder P. Delarues.
Die französische MärchenforscherinARiANE DE Félice ist denLesern diesesForschungs-
berichtes schon bekannt geworden durch ihren vorzüglichen Aufsatz über die Märchener-
zähler des Korbmacherdorfes Mayun an der Loire-Mündung8). Es ist ihr gelungen, in der
Bretagne dieses weltabgelegene Dorf zu finden, wo ihr noch 1947 und 1950 mehrere Korb-
macher ihre Märchen erzählten, die sie neben der Arbeit ihren Nachbarn vorzutragen
pflegten. Diese Sammlung bildet den Inhalt eines vierten Bandes der von Paul DelarUE
herausgegebenen Reihe9). Auch er liegt in zwei Ausgaben vor, die Texte allein für ein
größeres Publikum, die andere Ausgabe mit wissenschaftlichen Anmerkungen. Die
Illustrationen sind besser als in den vorangegangenen Bänden, ansprechend und im guten
Sinne modern. Ob die Sammlung den Kindern selbst in die Hand gegeben werden soll»
darüber kann man verschiedener Meinung sein, z. B. wegen des Märchens vom Mädchen
von Gand (S. 156ÎF.), dessen Inhalt die Wette um die Treue der Ehefrau ist (Aa-Th. 882)*
Es handelt sich eben um Märchen, die unter Erwachsenen erzählt wurden. Die wissenschaft-
liche Bedeutung der Ausgabe liegt u. a. darin, daß die Einleitung der Gesamtedition An-
gaben über die Art jener Abendunterhaltungen und des Erzählens sowie über die Person der
sieben Erzähler enthält, mit allen Einzelheiten, die dem heutigen Märchenforscher wichtig
sind. Der Band wurde nach dem Repertoire der einzelnen Gewährsleute angeordnet. Die
beiden ergiebigsten Erzähler sind mit sieben und zehn Märchen vertreten, wobei der erste»
Pierre Lelièvre, seine Märchen, so wird berichtet, lediglich aus der mündlichen Über-
lieferung von Generationen anderer Erzähler übernommen hatte. „Ich hatte es nicht nötig»
sie aufzuschreiben, so wie Sie“ — sagte er zu seiner Exploratorin. Er nahm nur diejenigen
Erzählungen in sein Reportoire auf, die ihm gefielen, daher nicht die schwankhaften und
satirischen Geschichten, und er konnte beim ersten Hören sich nur einige Worte merken,
beim zweiten einige weitere, doch beim dritten oder vierten Hören konnte er meistens das
Ganze auswendig. Offenbar hatte er große Freude an seiner eigenen Erzählkunst. Von ihm
stammt die erste Erzählung der Sammlung: Das Tier mit den sieben Köpfen; sie geht übet
20 Druckseiten und ist eine Aneinanderreihung von mindestens drei verschiedenen Märchen-
typen (Aa-Th. 300, 303, 351). Die anderen Märchen sind einfachere Erzählungen nach be-
kannten Typen. Im Anhang der wissenschaftlichen Ausgabe bespricht P. Delarue in be-
kannter Weise mit seinen aus dem Vollen schöpfenden Kenntnissen die Parallelen in der ge-
samten Märchenliteratur.
Seine emsige Herausgebertätigkeit hat zuletzt noch dafür gesorgt, daß drei weitere Bände
schon im Druck sind: Die Sammlungen von Gaston Maugard: Pyrénées, François
Cadic: Basse-Bretagne, und Charles Joisten: Alpes (Dauphiné). Vorgesehen waren
noch folgende Ausgaben: M. A. Méraville: Auvergne, Ariane de Félice: Berry et
Poitou, Adelin Moulis: Pyrénées (nouvelle série), Geneviève Massignon: Basse-
Bretagne (contes de paysans), Geneviève Massignon: Basse-Bretagne (contes de tailleurs
de lin), Marcel Divanach : Basse-Bretagne (contes du vieux meunier), Achille MillieN
et Paul Delarue: Bourgogne et Morvan, Victor Smith: Haut-Languedoc et Lyonnais,
Jean Garneret: Franche-Comté, Claude Seignolle: Guyenne.
Eine Übersicht über die schon erschienenen und noch ausstehenden Sammlungen, übet
die Zugänglichkeit der Originalmanuskripte auf Mikrofilmen und allgemeine Ausführungen
über die Katalogisierung und Inventarisierung von Volkserzählungen in Frankreich %d°
Paul Delarue in einem Aufsatz in der neuen französischen Volkskunde-Zeitschrift
Arts et traditions populaires10). Alles in allem war hier ein Werk im Entstehen, das schon
8) DJbfVk, Bd. II, 1956, S. 299f.
9) Ariane de Félice: Contes de Haute-Bretagne. Paris 1954 (Editions Erasme).
10) Paul Delarue: La collecte et l’inventaire des contes populaires. Etat des travaux en
France. Arts et traditions populaires 1953, H. 2, S. 97—103.
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
217
nach den bereits vorliegenden Bänden die mustergültige Erfassung des Märchenbestandes
eines Landes und seiner Provinzen zeigt. Delarues wissenschaftlicher Nachlaß wird von
Marie-louise Teneze, der Schriftleiterin der Zeitschrift Arts ettracLitions populaires, be-
treut werden. Sie wird seine Arbeiten fortsetzen, und so dürfen wir hoffen, daß vor allem die
schöne Sammlung der Märchen der Provinzen Frankreichs im Geiste ihres Gründers eine
Weiterführung findet.
In den letzten Jahren hatte P. Delarue noch ein zweites großes Unternehmen eröffnet.
Es handelt sich um eine Veröffentlichungsreihe, die ein verbessertes französisches Seiten-
stück zu der entsprechenden deutschen Reihe der Märchen der Weltliteratur zu werden ver-
sprach und die den stolzen Titel Contes des cinq continents führt. Von dieser neuen Serie war
ein erster Band mit türkischen Märchen bereits erschienen. Er stammt von Pertev Nailx
Borotav11), dem in Frankreich lebenden türkischen Märchenforscher, dessen zusammen
mit Wolfram Eberhard in deutscher Sprache herausgegebenes Buch Typen türkischer
Volksmärchen12) in einer der nächsten Folgen dieses Forschungsberichtes besprochen wird.
Beide Sammlungen überschneiden sich zum Teil. Allerdings sind seit der deutschen Aus-
gabe noch einige neu gesammelte Stücke hinzugekommen. Der vorliegende Band enthält
22, davon 12 noch ungedruckte, Märchen mit wissenschaftlichen Anmerkungen von
P. N. Borotav in Gemeinschaft mit P. Delarue.
Als künftige Bände waren geplant: madagassische Märchen (von Jeanne de ONG-
CHamps), katalanische (von J. Amades), Märchen aus Kambodscha (S. Bernard-Thierry),
aus Kanada (L. Lacourciere), deutsche (K. Ranke), zigeunerische (C. H. Tillhagen),
irische (J. H. Delargy), flämische (M. de Meyer), M. aus den französischen Sprachinseln
in den USA (A. de Felice)13).
Eine weitere populäre, hübsch illustrierte Märchensammlung von P. Delarue14) war
nicht eigentlich als wissenschaftliches Werk gedacht, sondern für Kinder und zur Unter-
haltung zusammengestellt. Die Märchen sind zum Teil bearbeitet, manchmal mehrere Ver-
sionen zu einer einzigen vereinigt worden, was in einer wissenschaftlichen Ausgabe nicht
erlaubt wäre. Der Hrsg, hat schriftliche und mündliche Quellen herangezogen und seiner
Sammlung z. T. sehr wertvolle Anmerkungen mitgegeben. Besonders geht es ihm bei den
Aufzeichnungen aus unmittelbar mündlicher Quelle darum, das Märchen so zu erfassen,
"wie es tatsächlich erzählt wurde. Ein besonders häufiges Auftreten von eingestreuten Ver-
sen fällt auf. Inhaltlich bringt Delarue Zaubermärchen, Schwänke, Tiermärchen und
Kettenmärchen. Man findet E. Koechlins Feststellungen15) über die Wesenszüge des
deutschen und französischen Märchens überzeugend bestätigt etwa bei dem DELARUEschen
Märchen Le roi des corbeaux, das zum Zyklus der Tierbräutigammärchen gehört. Außerdem
n) Pertev Naili Borotav: Contes Turcs. Paris 1955 (EditionsErasme). (= Contes des
Cinq Continents).
12) WolframEberhard und Pertev Naili Borotav: Typen türkischer Volksmärchen.
(Akademie der Wissenschaften und der Literatur ; Veröffentlichungen der orientalischen
Kommission, Bd. 5). Wiesbaden 1953.
Vom selben Verfasser erschien als Nr. 152 der FFC: Pertev Naili Borotav: Les
histoires d’ours en Anatolie. Helsinki 1955.
13) Jeanne de Longchamps: Contes malgaches.
Joan Amades: Contes catalans.
Solange Bernard — Thierry: Contes cambodgiens.
Luc Lacourcière: Contes canadiens.
Kurt Ranke: Nouveaux contes du pays des frères Grimm.
Carl Herman Tillhagen : Contes tziganes.
J. H. Delargy: Contes irlandais.
Maurice de Meyer: Contes flamands.
Ariane de Félice: Contes des ilôts français aux USA.
14) Paul Delarue: L’Amour des trois oranges. Paris 1950.
15) vgl. DJbfVk, IL Jg., 1956, S. 299f.
218
Lutz Röhrich
fällt die schwankhafte Betonung verschiedener Märchen auf (z. B. S. 196: Von dem Bur-
schen und dem Mädchen, die sich gegenseitig aus dem Schlamm ziehen). Die kluge Else, die
Bremer Stadtmusikanten, Schildbürgermotive und Münchhauseniaden fehlen nicht.
§ 15 Weitere französische Märchensammlungen
Andere französische Märchensammlungen sollen hier nur dem Titel nach aufgeführt und
kurz charakterisiert werden: Mit einer Einleitung von Arnold van Gennep erschien die
Sammlung von Claude Seignolle: Contes populaires de la Guyenne16), die unter der Mit'
hilfe von Schulkindern zusammengetragen wurde. Für die vergleichende Forschung ist sie
unmittelbar verwendbar, da A. van Gennep in seinem Vorwort die Nummern nachAa-Th.
bezeichnet hat. Die beiden Sammlungen von Mathilde Mir17) enthalten an sich echte
Märchen, vermischt mit Sagen, allerdings zum Teil stark überarbeitet. Das gleiche gilt für
die Sammlungen von Ulysse Rouchon18) und Jean Palmade19), deren Texte literarisch
bearbeitet sind, obwohl sie volkstümliche Lokalthemen benutzen. Authentische Texte in
der Mundart zusammen mit einer Übersetzung in die französische Schriftsprache bringt die
Arbeit von R. Tricoire, wenngleich die Märchen nur einenTeil dieses Buches ausmachen20)-
Mehrere regionale Sammlungen verdanken wir Alice de La Chapelle d’Apchier 21). Ein
guter Teil davon besteht aus echten volkstümlichen Märchen oder Sagen aus der Auvergne,
die nur leider sehr erweitert und in einer verfälschten Mundart bearbeitet sind. Ähnliches
muß auch von einer anderen Sammlung aus der Auvergne gesagt werden. Marie AimeB
Meravi lle 22) hat zwar für ihre Sammlung Volksgut aufgezeichnet, es jedoch literarisch über-
arbeitet. Eine zwar kleine, aber doch mundartlich treu notierte Gruppe von Märchen hat
J.Validan (Pseudonym vonjEAN Garneret) zusammengetragen23). Es ist eine der wenigen
Regionalsammlungen, die auch die Nummern nach Aa-Th. angeben und die ihren be-
sonderen Wert durch eine im Anhang abgedruckte vergleichende Studie aus der Feder
Delarues bekommen hat. Erwähnt seien noch die Sammlungen von R. Cuzacq24) und
J. Reboul25).
Neben diesen Regionalsammlungen steht die dreibändige gesamtfranzösischer Märchen
von Henri Pourrat26). In allen drei Bänden finden sich seither ungedruckte Varianten von
Volkserzählungen, die Pourrat oder seine Gewährsleute gesammelt haben. Der Hrsg, ist
allerdings ein Schriftsteller, dem es weniger um ein volkskundliches Anliegen, als vielmehr
um eine möglichst bunte Anthologie der französischen Märchen ging. Einige hat er früheren
gedruckten Sammlungen, Liebhaberausgaben oder der Kolportageliteratur entnommen. Die
16) Claude Seignolle: Contes populaires de la Guyenne. Préface d’A. van Gennep-
2 Bde. Paris 1946.
17) Mathilde Mir: Vieilleschoses d’Augoumois. Angoulème 1946; Mathilde Mir
et Fernande Delamphe: Histoires et récits du pays occitan. Angoulème 1947.
18) Ulysse Rouchon: Contes et légendes de la Haute Loire. Moulins 1947.
19) Jean Palmadé: Contes et légendes d’Ariège. Seix (Ariège) 1948.
20) R. Tricoire: Folklore de Monséqur. Paris 1947.
21) Alice de La chapelle d’Apchier: Contes de la vieille Marianne. Parisi939, sowie;
Les soirs de la Montagnère. Paris 1942; Les nouveaux soirs de la Montagnère. Paris 1946»
Un vent souffle sur la montagne. Paris 1947.
22) Marie Aimée Méraville : Les contes du vent frivolant, Contes du pays d’Auvergne-
Paris 1946.
23) Barbizier: Almanach franc-comtois 1949, (S. 262—268, 283); 1950(3. 341—348>
368—370): Màrchen, gesammelt von J. Validan.
21) R. Cuzacq: Histoire de la Littérature gasconne des Landes. Livre III: Le folklore des
Landes. La littérature orale et populaire. Bayonne 1949.
25) J. Reboul: Contes bourdésans. Privas 1947.
26) Henri Pourrat: De trésor des contes. Bd. I. Paris 1948; II. 1949; III. 1951.
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
219
Mehrzahl der veröffentlichten Stücke wurde aus mehreren Versionen zusammengesetzt, man
benutzte ältere literarische Quellen sowie in Prosa umgesetzte Volkslieder und nahm Stücke
auf, die keinesfalls zur Volkserzählung gehören. Mit Ausnahme von ein paar Angaben im Vor-
wort des 1. Bandes wurden keine Quellen genannt. Alle Erzählungen sind in starkem Maße
literarisch überarbeitet. Doch kann der Märchenforscher trotzdem an diesen drei Bänden
uicht vorübergehen wegen des teilweise neuen Materials, das zu vergleichenden Studien
berangezogen werden muß. Allerdings kann man wegen der genannten Mängel diese Samm-
lung nur nach äußerst strenger Prüfung und mit kritischer Vorsicht benutzen. In seinem
französischen Märchenkatalog, der noch unten zu besprechen sein wird, hat P. Delarue
bei den Stücken dieser Veröffentlichung jeweils auf die Fragwürdigkeit des Quellenwertes
bingewiesen.
Außer diesen gedruckten Sammlungen gibt es noch eine Anzahl ebenso wichtiger unge-
druckter. Dabei zeigt sich, daß die Forschungslage in Frankreich nicht anders ist als in
anderen Ländern: Es gibt eine Reihe von populären, aber für die Wissenschaft nur sehr be-
dingt brauchbaren Sammlungen, während andrerseits für wissenschaftliche Märchenpubli-
kationen kein Geld vorhanden ist. Durch die handschriftlichen Aufzeichnungen der letzten
Jahre wird jedoch deutlich, daß das Volksmärchen auch in Frankreich durchaus noch lebt.
Ariane de Félice hat auf Grund einer Umfrage für das Musée des Arts et traditions
Populaires in der Vendée etwa 150 echte Märchen gesammelt, wortgetreu aufgezeichnet und
einige auf Schallplatten aufgenommen. Die Nummern nach Aa-Th. sind angegeben.
Geneviève Massignon, welche die Mundart von Südwestfrankreich untersucht (Poitou
et Santonge), hat bereits etwa 100 Märchen von Erzählern wortgetreu notiert und nach Aa-
Th. klassifiziert. Die Sammlerin ist noch weiterhin an der Arbeit, und zwar jetzt in den
Departements Vendée, Loire Inférieure und Charante. Charles Joisten sammelt im
Augenblick die Märchen im Massif du Champsaur (Hautes Alpes); auch hier handelt es
sich um wortgetreue Aufzeichnungen.
Ein Manuskript von O. Havard enthält etwa 15 Märchen, die gegen 1900 an der
unteren Loire aufgenommen wurden, die Sammlung von Jean Drouille Märchen aus
Pologne von 1944. Ein Manuskript Prosper Alfaries schließlich umfaßt ältere Samm-
lungen aus der Zeit um 1900. P. Delarue hat diese handschriftlichen Sammlungen für
seinen Katalog französischer Märchentypen (siehe unten) benutzt, und ein Teil davon wird
hoffentlich auch veröffentlicht werden können.
Durch P. Delarue sind wir auch über die Volkserzählungen der französisch sprechenden
Bevölkerung Kanadas unterrichtet worden. Eine in der Zeitschrift Arts et traditions popu-
laires veröffentlichte Bibliographie27) umfaßt 13 neue Arbeiten zur Märchenforschung,
teils Sammlungen, teils Kommentare aus den Jahren 1946 bis 1953. Eine ganze Anzahl von
Arbeiten, die sich im Manuskript an der Laval-Universität in Quebec befinden, konnten bis
jetzt noch nicht gedruckt werden. Um so wichtiger ist Delarues Bericht über diese For-
schungen, der zugleich mit einer bibliographischen Zusammenstellung der älteren fran-
zösisch-amerikanischen Märchensammlungen verbunden ist. Hier läßt sich deutlich ein
bischer Einfluß feststellen, da die eingewanderten Iren sich stark mit den Franzosen ver-
mischt haben und später deren Sprache annahmen. Auf Grund seiner umfassenden Kenntnis
der Märchenvarianten aus allen Ländern gibt Delarue eine Anzahl solcher Beispiele von
spezifisch irischen Versionen im französisch-kanadischen Erzählgut. Der angelsächsische
Einfluß dagegen ist verschwindend gering und erscheint in den aufgeführten Samm-
lungen nur in zwei Beispielen. Die meisten Erzählungen stammen aus dem französischen
Eberlieferungsgut: Die Namen der Märchenhelden sind in Kanada und den französischen
Sprachinseln der USA zum Teil die gleichen wie in den französischen Provinzen, ohne daß
man daraus den Schluß ziehen könnte, die Märchen französischen Ursprungs seien alle
schon vor 1690 nach Kanada eingewandert; vielmehr haben auch spätere Auswanderer-
gruppen und Kolonisten sowie Druckschriften aus der Heimat immer wieder neues Material
27) Paul Delarue: Collections de contes Canadiens. Arts et traditions populaires, Jg.
I953» S. 276—282.
220
Lutz Röhrich
hinzugetragen, was dann in die Volkserzählungen übergegangen ist. Daneben treffen wir
z. B. auch Einflüsse der GRiMMschen KHM und von Tausendundeine Nacht. Zum Teil
haben die kanadischen Erzählungen noch einen älteren Inhalt bewahrt als die heutigen
französischen Varianten des Mutterlandes, so daß die kanadischen Stücke zum Verständnis
mancher französischen Erzählungen helfen können. Auch über die Eigenart einzelner
begabter französisch-kanadischer Märchenerzähler gibt es bereits Mitteilungen.
Es ist zum Beschluß auf einige wenige wichtige Übersetzungen französischer Märchen
ins Deutsche hinzuweisen: Die vonWoLFHART Klee übertragenen bretonischen Märchen26)
bringen eine längst erwünschte deutsche Auswahl aus dem Material, das F. M. Luzel für
seine Contes populaires de Basse-Bretagne zusammengetragen, aus dem Bretonischen ins
Französische übersetzt und schon 1887 veröffentlicht hat28 29). Der Band stellt eine will'
kommene Ergänzung unserer Sammlungen dar, denn gerade die Bretagne ist ein reiches
Uberlieferungsgebiet und aus sprachlichen Gründen schwer erschließbar. Luzel hat
zwischen 1855 und 1885 nach dem Vorbild der Brüder Grimm gesammelt. Er war der
erste französische Märchensammler, der seine Aufzeichnungen nicht oder nur geringfügig
veränderte. Ebenso hat nun Klee nur mit ganz geringen Veränderungen und Abweichun-
gen übersetzt, die er im Nachwort noch besonders angibt und begründet. Dem Charakter
volksechter Märchensammlungen entsprechend sind auch die bretonischen Märchen
Luzels kein Kinderbuch. Hier findet sich übrigens erstmals ein besonderes Interesse für
das soziale Milieu und die Psyche des einzelnen Erzählers. Der Sammler stützt sich fast aus-
schließlich auf zwei Gewährsfrauen: Die eine hatte die Depeschen des Postamts und Vor-
ladungen der Bürgermeisterei von Plouaret auszutragen, die andere war Kunkelspinnerin
und Wallfahrerin im Auftrag, also beide Angehörige beweglicher Berufe. In mancherlei
Hinsicht sehen wir wiederum Elisabeth Koechlins Ergebnisse erneut bestätigt30)»
denn im bretonischen Märchen, das hier dem französischen sehr nahe steht, hat der Schwank
viel stärker um sich gegriffen als im deutschen. An Stelle des Bärenhäuters setzt es einfach
den Malin, d. h. den Schelm im weitesten Sinne ein. Das Zauberisch-Magische wird im
französischen Volksmärchen fast ironisiert: das Tischlein-deck-dich ist kein ernsthaft
magischer Gegenstand mehr, sondern wird hervorgezaubert mittels eines Hemdzipfels von
der Großmutter der Geliebten des Helden. Der Rationalismus des westeuropäischen Müt-
chens geht sogar so weit, daß der Übersetzer glaubte, allzu rationalistische Motivierungen
unterdrücken zu müssen, um dem deutschen Leser die Märchen noch als Märchen erscheinen
zu lassen.
Emile Souvestres Märchen von Peronic (Foyer Bréton 1944) hat der Hrsg, seiner
Auswahl der LuzELschen Märchen hinzugefügt.
Wir besitzen nun auch eine zweibändige Auswahlübersetzung der Märchen, die der im
Jahre 1900 verstorbene französische Märchensammler Jean-Francois Bladé in der
Gascogne sammelte31). Aus dieser berühmten Sammlung waren bis jetzt nur wenige
Stücke ins Deutsche übertragen worden, so einzelne in dem Band französischer Märchen,
die Ernst Tegethoff für die Märchen der Weltliteratur herausgegeben hat32), wenige in
der neuen Sammlung europäischer Volksmärchen, hrsg. von Max Lüthi33). J. F. BlaDe
gehörte zu den ersten Sammlern, die persönliche Angaben über ihre Erzähler machten,
28) Bretonische Märchen. Aus dem Französischen übertragen von Wolfhart KleE-
München 1948.
29) F. M. Luzel: Contes populaires de Basse-Bretagne. 3 Bde. Paris 1887.
30) Elisabeth Koechlin: Wesenszüge des deutschen und des frz. Volksmärchens-
Basel 1945 ; vgl. DJbfVk, II. Jg., 1956, S. 299L
31) Jean François Bladé: Contes populaires de la Gascogne. 3 Bde. Paris 1886. Aus-
wahl übersetzt von Konrad Sandkühler. Bd. I: Der Mann in allen Farben. Stuttgart
1953; Bd. II: Der Davids wagen. Stuttgart 1954.
32) MdW. Französische Volksmärchen. Übersetzt von Ernst Tegethoff, 2 Bde. Jeiia
1923.
33) Manesse Bibliothek der Weltliteratur.
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
221
meist ältere Landarbeiter und Mägde. Und auch in dieser Sammlung erfahren wir, daß das
Härchen keineswegs immer Gemeinschaftsdichtung ist: Blade berichtet in seiner Einleitung,
daß sein bester Erzähler, Vater Cazaux, ein ausgesprochen einsamer Ver Schweiger typ
War 5 er gab nur die Hälfte von dem weiter, was er wußte, und behielt die geheimnisvollsten
Geschichten für sich. Zum Erzählen führte er Blade stets hinaus in die freie Natur, setzte
sich an einen abgelegenen Ort und fing erst an zu erzählen, nachdem er sich öfters umge-
schaut und vergewissert hatte, daß kein Unbefugter ihn stören könne. Dieser Erzähler war
es auch, der als eigenes Erlebnis seine Begegnung mit „dem Grünen“, dem Herrn der
^ogel und der Luft, erzählte (I, S. i28ff.). Der Hrsg, und Übersetzer der Sammlung Kon-
rad Sandkühler, Sprachlehrer an der Waldorfschule in Stuttgart, hat sich jahrzehntelang
mit den französischen Märchen beschäftigt und ist selbst mehrfach auf den Spuren Bladäs in
der Gascogne gewandert. So sind seine Übersetzungen der schönen und eigenartigen Stücke
mcht nur philologisch treffend, sie sind nacherlebt aus der besonderen Atmosphäre dieser
südlichsten Landschaft Frankreichs und ihrer Geistesgeschichte, wie vor allem das Nachwort
der beiden Bände zeigt. Ein geplanter dritter Band steht noch aus.
Auf eine einzelne Erzählung der BLADEschen Sammlung ist Max Lüthi in einem kleinen,
aber methodisch sehr interessanten Aufsatz näher eingegangen34). Es handelt sich um jene
auffallende Erzählung, die mit dem Handlungsgeschehen des Hamletstoffes große Ähnlich-
keit aufweist35). Lüthi arbeitet alle Unterschiede der inneren Struktur zwischen Shake-
speares Hamlet-Drama und der Gascogner Volkserzählung klar heraus: dramatischer und
epischer Stil, subjektive und objektive Aussage, Beschränkung der Personen und Schwarz-
Weißzeichnung der Figuren in der Volkserzählung. Interessanter sind aber dann vor allem
die frappanten Übereinstimmungen. Trotz der vielen Anklänge dürfen wir in der Gascogner
Erzählung jedoch nicht die ins Volk abgesunkene SHAKESPEAREdichtung sehen. Lüthi
führt die Gleichheit auf das allgemeinmenschliche Urerlebnis der Vater-Rache zurück, bei
dem sich immer wieder die gleichen Gebärden und Bilder einstellen. Das würde auf eine
Annahme der Polygenese hinauslaufen. Dies scheint mir jedoch nicht ausreichend, um so
Weitgehende Übereinstimmungen eines ausgreifenden Erzählkomplexes zu erklären. Es
Wäre ja auch durchaus eine Verwandtschaft der Volkserzählung mit Shakespeares Quelle
$Axo Grammaticus denkbar, der aus der Volksüberlieferung, aus Heldensage und ge-
schichtlicher Volkssage geschöpft hat.
Die klassischen französischen Märchen von d’Aulnoy und Leprince de Beaumont
hat der Atlantis-Verlag in Zürich in einer sehr schön ausgestatteten, gut illustrierten aus-
gesprochenen Liebhaberausgabe herausgebracht36).
§ 16 Untersuchungen zur französischen Märchenforschung
Aus dem reichen Bestand alter und neuer, veröffentlichter und unveröffentlichter Samm-
lungen hat Paul Delarue einen Typenkatalog der französischen Märchen (Inventaire
Méthodique et analytique des contes populaires français) zusammengestellt, der drei Bände
Umfassen soll. Das Unternehmen — man darf es als P. Delarues Lebenswerk bezeichnen—
ist abgeschlossen, konnte aber aus finanziellen Gründen bisher noch nicht erscheinen. Es
lst nach folgendem Plan gegliedert :
I. Einleitung (Allgemeines über das französische Volksmärchen; Bibliographie mit
kritischen Bemerkungen);
34) Max Lüthi: Hamlet in der Gascogne. Neue Züricher Zeitung vom 5. Mai 1951,
ßl- 4 f-
35) J. F. Blade: a. a. O., Bd. I, S. 57fr.; Deutsche Übersetzungsausgabe v. K. Sand-
Kühler: a. a. O., Bd. I, S. 169 „Die bestrafte Königin“.
36) Klassische französische Märchen von Madame D’Aulnoy und Madame Leprince de
Eeaumont. Zürich 1946.
■iMMmMuMi
222 Lutz Röhrich
II. Verzeichnis der französischen Märchen (Zaubermärchen, Novellenmärchen und
realistische Märchen; Riesen- und Teufelsmärchen, Schwänke, Häufungsmärchen,
Tiermärchen, Legendenmärchen) ;
III. Register und Tabellen (Alphabetisches Verzeichnis der Themen und Einzelmotive;
Anordnung der Märchen nach Provinzen).
Bei der Ausbreitung seines Materials geht Delarue nach dem Aarne-ThompsoN-
sehen Typensystem vor und gibt bei seinen Varianten auch jeweils die Beziehung zu
Straparola, Basile und Grimm an. Von jeder Variante teilt er eine kurze charakterisie-
rende Inhaltsangabe mit, ausführlicher bei ungedruckten oder schwer zugänglichen Texten-
Bei jedem Märchen gibt er dessen Bausteine, Episoden, Motive und Einzelzüge an. Die
Anordnung der Variantenwiedergabe erfolgt jeweils unter Angabe der genauen Quelle
und des Schrifttums nach geographischen Gesichtspunkten von Norden nach Süden-
Delarue sucht auch die landschaftlichen Erzählunterschiede herauszuarbeiten und ihre
sozialen, geographischen und historischen Gründe zu erkennen. Das ist für die franzö-
sische Folkloristik eine ganz neue Fragestellung.
Eine erste Probe seines Kataloges hat Delarue 1949 in der Nouvelle Revue des Tradi-
tions Populaires vorgelegt37). Hier breitet er das französische Variantenmaterial zum TyP
Aa-Th. 301 (The three stolen princesses) aus, der im Französischen meist unter dem Titel
Jean de VOurs in Erscheinung tritt. Der Reichtum des zusammengetragenen Materials —'
das zeigt schon diese erste Probe seines Katalogs — ist bisher von keinem anderen fran-
zösischen Forscher auch nur erahnt, geschweige denn erarbeitet worden. So ist hier ein
Nachschlagewerk ersten Ranges geschaffen, das auch den deutschen Forschern dringend
ans Herz gelegt werden muß, zumal die KHM-Anmerkungen von Bolte und PolivKA
das französische Variantenmaterial nicht bis zu jenen schwer zugänglichen Quellen ver-
folgen konnten, die die Grundlage der von Delarue entdeckten Texte sind.
Außerdem hat P. Delarue über die Beziehungen Perraults zur mündlichen Volks-
überlieferung seinerzeit neues Material beigebracht38). Ein wichtiger Aufsatz zu diesem
Thema behandelt die Frage der letzten Überarbeitung der Texte durch Perrault selbst,
die Beziehungen Perraults zu Mlle. L’Héritier, die ebenfalls zu Perraults Samm-
lung beigesteuert hat und die Erzählungen mit einer Moral versah39). Eine weitere Mono-
graphie hat P. Delarue den französischen Blaubart-Varianten gewidmet40). Er unter-
scheidet in Frankreich drei Formen dieses Typus. Die erste entspricht Grimms KHM 4^
(Fitchers Vogel) mit einer Nebenform, zus. Aa-Th. 311. Die zweite ist die durch Perrault
bekannte Form: Aa-Th. 312. Delarue nennt sie 312 A, denn er unterscheidet drittens
eine christianisierte Form in Mittelfrankreich, die das Motiv der verbotenen Kammer nicht
kennt. Hier werden vielmehr zwei Schwestern von einem dämonischen Wesen entführt-
Dabei tritt der Teufel mit seiner Frau in menschlicher Gestalt auf. Die beiden Schwestern
sollen sterben, werden aber durch das Eingreifen der heiligen Jungfrau gerettet. Diesen
Typus nennt Delarue Aa-Th. 312 B. Er stellt nun zu den Untertypen je einen noch nicht
gedruckten Text aus der Volksüberlieferung mit dem Namen des Erzählers, des SammlefS
und des Aufzeichnungsortes: zu Aa-Th. 311 eine Variante aus Kanada in einem etwas
altertümlichen Französisch, zu Aa.-Th. 312 A einen Text aus der Vendée, aufgezeichnet im
37) Paul Delarue: Les contes populaires de France; Inventaire analytique et méthodique^
Nouvelle revue des traditions populaires, Nr. 4, sept.— oct. 1949, S. 312—341.
38) Wie bereits mitgeteilt im Bulletin folklorique d’Ile-de-France, Jg. 1951, S. 191—-20I,
221—228, 251—260, 283—291; Jg. 1952, S. 348—357; Jg. 1953, S. 511—517.
Vgl. DJbfVk, IL Jg., 1956, S. 310L
39) PaulDelarue : Les contes merveilleux de Perrault. Faits et rapprochements nouveaux-
Arts et traditions populaires, Jg. 1954, S. 1—22 und 251—274.
40) PaulDelarue: Les contes merveilleux de Perrault et la tradition populaire, ß*:
Barbe Bleue. Bulletin folklorique d’Ue-de-France, Jahrg. 1952, S. 348—357. Die Fort'
Setzung dieses Aufsatzes steht noch aus.
223
J
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
Jahre 1950, und zum Untertyp Aa-Th. 3x2 В eine Variante aus dem Tal der Nièvre
(Nivernais).
In einem weiteren Aufsatz verfolgt P. Delarue Aschenputtels Pantoffel von Perrault
bis Walt Disney41), und eine weitere monographische Behandlung widmet er dem Lügen-
märchen vom Knaben am Schwanz des Wolfes (Aa-Th. 1875)42): Ein Junge versteckt sich
111 einer Mühle, erschreckt dort eine Bande von Dieben, die eben ihre Beute teilen. Zur
Strafe wird er von der Diebsbande in ein Faß gesteckt. Als ein Wolf kommt und um das
Paß herumstreicht, packt der Knabe durch das Spundloch hindurch den Schwanz des Wolfes,
öer Wolf erschrickt und flieht mit Faß und Kind. Das Faß wird irgendwo zerschlagen, und
das Kind ist frei, während der Wolf weiter flieht. Schon Antti Aarne hatte zu dieser
Pfählung insgesamt in finnische Varianten gefunden43). Derselbe Kern der Erzählung
findet sich wieder bei Frédéric Mistral, einem provenzalischen Erzähler (1830—19x4,
Nobelpreis 1904). F. Mistral berichtet den Vorfall als eigenes Erlebnis aus seiner Kind-
beit. Dies geschieht aber nicht in der Absicht einer bewußten Lügenerzählung, sondern es
entspricht der damals weithin üblichen Erzählform der Märchen. Delarue behandelt dann
die Reihe der neueren entsprechenden Märchen, von denen keine zwei Varianten völlig
übereinstimmend sind. Der Held ist einmal ein Priester, ein anderes Mal ein Soldat. Nach
еШег anderen Version wird er nicht in ein Faß gesteckt, sondern in die Erde eingegraben,
■^obei es allerdings unlogisch erscheint, wie er sich am Schwanz des Wolfes festhalten will,
da seine Hände ja eingegraben sind. Delarue bringt dann eine Reihe von französischen
Varianten aus verschiedenen Landschaften, wo das Kernmotiv mit allerlei anderen Motiven
Verbunden ist. Gerade bei den Schwankmärchen, die nur zur Unterhaltung erfunden und
erzählt werden, ist natürlich die Verbindung mit beliebigen anderen lustigen Motiven
besonders naheliegend und leicht herzustellen. Es folgen dann eine flämische, eine russische,
^Wei deutsche Varianten, ebenfalls in der Ich-form, sowie weitere Beispiele der Verbindung
üiit anderen Erzählungsinhalten. In der Literatur taucht dieser Typ u. a. bei Fritz Reuter
auf {Die Tigerfagd in Läuschen un Rimels). Zeitlich zurück reichen die literarischen Belege
bis ins 15. Jh. Eine Variante erscheint in den altindischen ,jatakas‘, den Schilderungen von
Puddhas früheren Verkörperungen — eine Version, deren Entstehung vielleicht 1500 Jahre
Vor der der anderen uns heute bekannten liegt44). Delarue weist nach, daß die ,Eingrabe-
form‘, obwohl unlogisch (s. o.), älter als die ,Faß-form£ ist. Die Geschichte hat sich dann
Lauf der Zeit verjüngt, erneuert und dabei verbessert. In diesen Ergebnissen weicht
fier Verf. nicht unerheblich von bestimmten Leitsätzen der finnischen Schule ab, und darum
Jst sein Aufsatz methodisch wichtig.
Eine Erzählung vom Verlust der Unsterblichkeit, die Voltaire gerne und an drei ver-
schiedenen Stellen seiner gesammelten Werke jeweils wieder etwas anders nacherzählt,
Veranlaßte P. Delarue, der Quelle dieser Erzählung nachzugehen45). Es handelt sich um
fiie Geschichte von der Schlange, die dem Menschen das ihm anvertraute Geheimnis der
Unsterblichkeit stiehlt und nun selbst unsterblich wird. Die Erzählung stammt zweifellos
aus dem Orient und findet sich in verwandter Weise bekanntlich schon im babylonischen
Gilgamesch-Epos.
41) Paul Delarue: La pantoufle de Cendrillon, de Perrault à Walt Disney. Le' Monde,
7- Februar 1951, S. 7.
42) Paul Delarue: Le conte de l’enfant à la queue du loup; d’un récit de Mistral à un
conte de l’Inde andienne. Arts et traditions populaires, Jg. 1953, S. 33—58.
43) Antti Aarne: Finnische Märchenvarianten. FFC 5, 1911.
44) Deutsche Übersetzung: Jatakam, Das Buch der Erzählungen aus den früheren Existen-
*cn Buddhas. 7 Bde. Leipzig 1907—1922; sowie auch Luders: Buddhistische Märchen
aus dem alten Indien. Jena 1922, Nr. 16, S. 111 „König Tugendreich“.
45) PaulDelarue: Leserpentqui vole à l’homme le secret de l’immortalité. D’une légende
babylonienne àune historié de Voltaire. Nouvelle Revue des traditions populaires, Jg. 1950,
3, S. 262—275.
224
Lutz Röhrich
Nachdem P. Delarue die neuere wissenschaftliche Märchenforschung in Frankreich
eigentlich begründet hat, begann sich in den vergangenen Jahren um ihn eine Mitarbeiter-
gruppe zu bilden. In einer Veröffentlichung über les Caractères propres du conte populaire
français im Rahmen der „Société d’Ethnographie Française“ bespricht Delarue die
Dissertation von Ariane de Felice über das Thema: Die Technik der Volkserzählung-
Die Verf. hat die Stilistik des französischen Volksmärchens untersucht und neue Gesichts-
punkte auf Grund einer sehr großen und gut ausgewerteten Materialsammlung beigebracht.
Auf der Conférence internationale des arts et des traditions populaires in Namur (Sep-
tember 1953) hat P. Delarue einige Vorschläge zu einer internationalen Organisation der
Materialsammlung auf dem Gebiet der Volkserzählungen vorgelegt46). Er forderte eine
Vereinfachung und Intensivierung der Erzählarchive, den Austausch von Mikrofilmen,
Hilfeleistung bei der Erschließung regional-mundartlicher Texte im internationalen Ver-
kehr, eine eigene internationale Zeitschrift für Erzählforschung und anderes mehr. Jetzt ist
es an uns, diese Ziele in seinem Geiste zu verwirklichen.
Neben diesen Strömungen der neueren Forschungsmethode fristen in Frankreich noch
die letzten Ausläufer der Astralmythologie und der keltischen Mythendeutung ihr Leben.
Genannt sei immerhin die Arbeit von Hubert Pernot (Professor an der Sorbonne):
Mythes astrals et Tradition littéraire: Le Thème de Griseldis. Paris 1944. 120 S.47), sowie
FIenri Dontenville: La Mythologie française. Payot 1948. 226 S. Derselbe Autor ver-
öffentlicht seit 1950 ein Bulletin de la Société de Mythologie française.^on dieser Zeitschrift
liegen mir einige Nummern vor; aus der Reihe der Aufsatzthemen seien genannt: Les
chevaux magiques', Les Loups Garous; Fées et farfadets; Chasse sauvage; chasse Arthur; Lu
Fée de Courbière; Les fausses traditions-, Chanson populaire et chanson de geste.
46) Paul Delarue: Quelques idées sur une organisation internationale des recherches sur
le conte populaire. Vervielfältigtes Manuskript für die Conférence international des arts et
des traditions populaires. Namur, 7.—14. September 1953.
47) vgl. P. Delarues Besprechung: M.E.F. 1949, S. 23.
BUCHERSCHAU
Aleksander Jackowski — Warschau
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
Die Breite, mit der die folgende Bibliographie eine große Reihe von Titeln auch kleinerer
Veröffentlichungen aus den verschiedensten Zeitschriften umgreift, ist sonst bei unseren
Literaturübersichten nicht üblich. Doch glauben wir, die vorliegende Form verantworten
können, da sie dem Leser ein eindrucksvolles Bild der sonst wenig bekannten wissen-
schaftlichen und praktischen Volkskundearbeit im heutigen Polen, mit Einschluß der neu
entwickelten Volkskunstpflege, vermittelt. (Die Schriftleitung)
Gliederung
A. Allgemeines, Wirtschaft, Beruf, Gesellschaft...............................228
B. Regionale Arbeiten........................................................ 232
1. Lubliner Land....................................................... 232
2. Ostseegebiet...........................................................232
3. Kleinpolen.............................................................233
4. Karpatengebiet (Goralen), Schlesien................................... 233
5. Großpolen..............................................................234
6. Masowien.............................................................. 235
7. Masuren und Ermland ...................................................235
C. Siedlung, Haus, Hausrat....................................................235
1. Haus und Hof.......................................................... 235
2. Möbel und Gerät........................................................237
D. Volkskunst ................................................................238
1. Keramik................................................................239
2. Prägformen, Schnitzerei und Malerei.................................241
3. Scherenschnitte........................................................243
4. Textilien und Flechtarbeiten...........................................243
5. Kunsthandwerk und Kunstgewerbe.........................................244
E. Volkstracht.......................................................'• • • 245
F. Brauch, Glaube, Recht...................................................247
G. Volkslied, Volkstanz und Volksmusik........................................249
1. Volkslieder ...........................................................249
2. Volkstanz und Volksmusik...............................................251
H. Erzählende Volksdichtung...................................................253
I. Dialekte.................................................................253
K. Museumsarbeit..............................................................235
L. Bibliographien.............................................................257
228
Aleksander Jackowski
A. Allgemeines, Wirtschaft, Beruf, Gesellschaft
1. Abramowicz, Andrzej: Sztuka ryba-
köw i rzemieälniköw gdanskich
XI—XIII w. (Die Kunst der Danziger
Fischer und Handwerker im XI. bis
XIILJahrhundert.) Pol.Szt.lud., 1954,
Nr. 6, S. 323—353, illustr., Zeichn.,
Tabellen.
2. A. K.: Obrady etnograföw polskich (w
Krakowie w dn. 17—19 lutego 1951).
(Beratungen der polnischen Volks-
kundler vom 17. bis 19. Febr. 1951
in Kr.) Pol. Sztuka lud., 1951, Nr. 1 /2,
S. 59.
3. Antonowiczowa, Kalina: Sprawo-
zdanie z dzialalnosci Oddzialu Pol-
skiego Towarzystwa Ludoznawczego
w Toruniu w 1953 r. (In T. 1953 ge-
gebener Bericht über die Tätigkeit der
Polnischen volkskundlichen Gesell-
schaft.) Lud, Bd. 41, 1954, T. 2,
S. 1256—1258.
4. Bittneröwna, Halina: Sprawozdanie
z dzialalnosci Oddzialu Wroclaw-
skiego P. T. L. w 1953 r. (Bericht
über die Tätigkeit der Breslauer Abt.
der Polnischen volkskundlichen Ge-
sellschaft im Jahre 195 3.) Lud, Bd. 41,
1954, T. 2, S. I2JO-I2JI.
5. Blaszczyk, Stanislaw: Z dzialalnosci
etnograföw poznanskich. (Zur Tätig-
keit der P.-er Ethnographen.) Z Otchl.
Wieköw. 1953, H. 4, S. 150 bis 152.
6. Ders.: Sprawozdanie z dzialalnosci
Oddzialu Poznanskiego P. T. L. za
r. 1953. (Bericht über die Tätigkeit
d. P.-er Abteilung der Polnischen
volkskundlichen Gesellschaft für das
Jahr 1953.) Lud, Bd. 41, 1954, T. 2,
S. 1253—1254.
7. Ders.: Sprawozdanie z dzialalnosci
Muzeum Narodowego w Poznaniu
w zakresie Dzialu Kultury i Sztuki
Ludowej. (Bericht über die Tätigkeit
des Nationalmuseums in P., Abteilung
Volkskultur und -kunst.) Lud, Bd. 41,
1954, T. 2, S. 1178—1183.
8. Burszta, Jözef: WieS i karczma. Rola
karczmy w zyciu wsi panszczyznianej.
(Dorf und Schenke. Die Rolle der
Schenke im Leben des Frondorfes.)
Mit einem Vorwort von Stanislaw
Szczotek. Warszawa 1950, Ludowa
Spöldzielnia Wydawnicza, 228 S.,
4 ungez., illustr.
9. Bystron, Jan: Kultura ludowa. (Die
Volkskultur.) 2. Aufl. Warszawa 1947»
TEM, 450 S., 1 ungez.
10. Ders.: Etnografia Polski. (Ethnographie
Polens.) Poznan 1947, Czytelnik,
232 S., 3 ungez.
11. Ders.: Dynowski, Witold: Kultura
ludowa i ludoznawstwo w Polsce.
(Die Volkskultur und die Volkskunde
in Polen.) Warszawa 1948, 68 S.
12. Cehak-Holubowiczowa, Helena:
Rzemiosla plemion polskich na
Sl^sku we wczesnym äredniowieczu.
Konferencja Sl^ska Instytutu Historii
PAN Wroclaw 28. VI.—i.VII. 1953-
(Die Handwerke der polnischen Stäm-
me in Schlesien im frühen Mittelalter.
Schlesische Konferenz des Instituts
für Geschichte an der polnischen A.
d. W., W. 28. VI. —1. VII. 1953.)
Bd. 1, S. 110—113.
13. Chelminska-Swi^tkowska, Jad-
wiga: Sprawozdanie z Dzialu Zakla-
du Etnografii Uniwersytetu Lödz-
kiego 1945—1948. (Bericht über die
Tätigkeit des Instituts für Ethnogra-
phie an der Universität L.) Lud,
Bd. 39, S. 544—549.
14. Dobrowolski, K.: Studia nad pocho-
dzeniem ludnoäci pasterskiej w Kar-
patach Zachodnich. (Studien zur Her-
kunft der Hirtenbevölkerung in den
Westkarpaten.) Spraw. PAU, 1951»
Nr. 6, S. 478—486.
15. Flizak, Sebastian: Sprawozdanie z
pracy Oddzialu PTL w Mszanie Dol-
nej w r. 1953. (Bericht zur Arbeit der
Polnischen volkskundlichen Gesell-
schaft in Msz. D. im Jahre 195 3.) Lud,
Bd. 41, 1954, T. 2, S. 1245—1246.
16. Frankowski, Eugeniusz: Zagad-
nienia metodologii badan nad sztuka
ludow^. (Methodologische Probleme
bei volkskundlichen Forschungen.)
Mat. Studiöw Sztuki, 1951, Nr. 5>
S. 369—382.
17. Gajek, Jözef: Polski Atlas Etnogra-
ficzny. (Der Atlas der polnischen
Volkskunde.) Lud, Bd. 34, 1946'
S. 408—412.
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
229
*8. Ders.: Zadania Polskiego Towarzy-
stwa Ludoznawczego w okresie naj-
blizszego planu 6-ciolecia. (Die Auf-
gaben der Polnischen volkskund-
lichen Gesellschaft im nächsten 6-
Jahrplan.) Lud, Bd. 39, S. 606—611,
612—624.
*9- Ders.: Metoda retrogresywna w etno-
grafii polskiej. (Die retrogressive
Methode in der polnischen Ethno-
graphie.) Lud, T. 41, 1954, Teil 1,
S. 242—256; Teil 2, S. 1306—1307,
I377—I379-
20. (Gajekowa, Olga) O. G.: Sprawo-
zdanie XXVII Walnego Zgromadze-
nia Polskiego Towarzystwa Ludo-
znawczego w Katowicach (dn. 16—18
maja 1952). (Bericht der XXVII.
Hauptversammlung der Poln. vkdl.
Ges. in Kat. [vom 16.—18. Mai 1952].)
Pol. Sztuka lud., 1952, Nr. 3, S. 183
bis 184.
21. Dies.: Protoköl z XXVI Walnego
Zgromadzenia Polskiego Towa-
rzystwa Ludoznawczego (w Lodzi).
(Protokoll der XXVI. Hauptver-
sammlung der Poln. vkdl. Ges. [in
Lodz].) Lud, Bd. 41, 1954, S. 1219
bis 1224.
22. Dies.: Sprawozdanie z badan tereno-
wych Polskiego Towarzystwa Ludo-
znawczego. (Bericht zu den Feld-
forschungen der Poln. vkdl. Ges.)
Pol. Szt. lud., 1952, Nr. 6, S. 334
bis 335.
23. Dies.: Sprawozdanie z badan tereno-
wych Polskiego Towarzystwa Ludo-
znawczego w 1932 r. (Bericht über
die Feldforschungen der Poln. vkdl.
Ges. im Jahre 1932.) Lud, Bd. 41,
1934, S. 1239.
24. Gersten, Seweryn: Sprawozdanie z
dzialalnoäci Sudeckiego Oddzialu P.
T. L. w Jeleniej Görze w 1933 r. (Be-
richt über die Tätigkeit der Sudeten-
abteilung der Poln. vkdl. Ges. in
Hirschberg im Jahre 1953.) Lud,
Bd. 41, 1954, T. 2, S. 1246—1248.
25. Grabowski, Jözef: Zagadnieniastylu
ludowego. (Probleme des volkstüm-
lichen Stils.) Pol. Szt. lud., 1947,
Nr. 1 /2, S. 9—10; 1948, Nr. 1, S. 3—5;
Nr. 2, S. 3—3; Nr. 3, S. 3—3; Nr.
9/10, S. 3—3.
26. Hensel, Witold: Slowianszczyzna
wczesnosredniowieczna. Zarys kul-
tury materialnej. (Das Slawentum im
frühen Mittelalter. Grundzüge der
materiellen Kultur.) Poznan 1952,
Pol. Tow. Prehistor., 377 S., 4 ungez.,
illustr., Karten.
27. Instrukcje i kwestionariusze dla badaczy
kultury ludowej. (Instruktionen und
Fragebogen für Volkskundeforscher.)
Pol. Sztuka lud., 1950, Nr. 1/6, S. 88
bis 92.
28. Itman, Leszek: Przyczynek do znajo-
mosci rzemiosla bednarskiego w Pol-
sce. (Beitrag zur Kenntnis des Bött-
cherhandwerks in Polen.) Wroclaw
(1953) Polskie Towarzystwo Ludo-
znawcze, 25 S., 9 Taf., Archiwum
Etnograficzne, Nr. 8.
29. Jackowski, Aleksander: Na margi-
nesie prac Panstwowego Instytutu
Sztuki w zakresie badan nad sztukq.
ludow^ i folklorem. (Aus den Arbei-
ten des Staatlichen Kunstinstitutes auf
den Forschungsgebieten Volkskunst
und Folklore.) Pol. Szt. lud., 1952,
Nr. 3, S. 117—126.
30. Ders.: O wartosci poznawczej folkloru.
(Über den erkenntnistheoretischen
Wert der Folklore.) Pol. Szt. lud.,
1953, Nr. x, S. 9—23.
31. Jarecki, Wladyslaw: Ludowy prze-
mysl drzewny Lasowiaköw. (Das
volkstümliche holzverarbeitende Ge-
werbe bei den L.) Prace i Materialy
Etnograficzne, Bd. 10, 1952/53, H. x,
S. 1—15, mit Zeichn.
32. Kamocki, Janusz: Przegl^d kwestio-
nariuszy etnograficznych wydanych
w j§zyku polskim. (Überblick über
die in polnischer Sprache herausgege-
benen volkskundlichen Fragebogen.)
Poznan 1953, Pol. Tow. Ludo-
znawcze. Text maschinenschriftlich
vervielfältigt, mit 2 Abb., 69 S.
33. Konferencja w sprawie aktualnych za-
gadnien naukowo-badawczych i twör-
czych polskiej plastiki ludowej (w
Jadwisinie) 13—15 maja I95Ü- (Die
Konferenz über aktuelle wissenschaft-
liche Forschungsprobleme und prak-
tische Probleme der Volkskunst [in
J., 13—15. Mai 1951].) Pol. Sztuka
lud., 1951, Nr. 3, S. 67—69.
230
Aleksander Jackowski
34. Kostrzewski, Jözef: Przyczynek do
dawnosci niektörych wytworöw pol-
skiej kultury ludowej. (Beitrag zur
Geschichte einiger Erzeugnisse der
polnischen Volkskultur.) Lud, Bd. 34,
1946, S. 280—288, illustr.
35. Kowalska-Lewicka, Anna: Spra-
wozdanie z dzialalnosci Oddzialu
Krakowskiego Polskiego Towarzy-
stwa Ludoznawcz. (w r. 1948—1952).
(Bericht über die Tätigkeit der Kra-
kauer Sektion der Poln. vkdl. Ges.
[für 1948—1952].) Lud, Bd. 41, 1954,
T. 2, S. 1236—1242.
36. Dies.: Sprawozdanie z dzialalnosci
Oddzialu Krakowskiego P. T. L. za
okresod 1. VI. 1953 r. do 1. VI. 19541:.
(Bericht über die Tätigkeit der Kra-
kauer Sektion der Poln. vkdl. Ges.
für die Zeit vom 1. VI. 1953 bis 1. VI.
1954.) Lud, Bd. 41, 1954, T. 2,
S. 1242—1245.
37. Kowalski, Alfons: Sprawozdanie z
dzialalnosci Muzeum w Mi^dzyrzeczu
(z dzialu etnograficznego). (Bericht
über die Tätigkeit des Museums in
M. [ethnographische Abteilung].) Lud,
Bd. 41, 1954, T. 2, S. 1x83—1184.
38. (Krajewska, Janina): Sprawozdanie
z dzialalnosci Muzeum Ethnogra-
ficznego w Lodzi 1. V. 1946—31. XII.
1948). (Bericht über die Tätigkeit des
Ethnographischen Museums in L.
vom 1. V. 1946 bis 31. XII. 1948.)
Lud, Bd. 39, S. 448—455.
39. Dies.: Sprawozdanie z dzialalnoSci
Muzeum Etnograficznego w Lodzi do
dnia 1. IX. 1953. (Bericht über die
Tätigkeit des Ethnographischen Mu-
seums in Lodz bis zum 1. IX. 1953.)
Lud, Bd. 41, 1954, S. 1166—1171.
40. Kutrzeba,Anna: Powi^zania archeo-
logiczno-etnograficzne na przykla-
dzie badan etnograficznych w ziemi
wiSlickiej. (Die Verbindung von Ar-
chäologie und Ethnographie, am Bei-
spiel von ethnographischen For-
schungen im Gebiete von W.) Spraw.
PAU, 1952, Nr. 6, S. 419—421.
41. Dies.: Klasowe podloze zröznicowania
kultury ludowej na przykladzie wybra-
nych wsi ziemi krakowskiej. (Die
Klassengrundlagen für die Differen-
zierung der Volkskultur, am Beispiel
einiger Dörfer des Krakauer Gebietes
dargelegt.) Spraw. PAU, 1952, Nr. 6,
s- 433—434-
42. Kutrzeba-Pojnarowa, Anna: Roz-
wój etnografii i etnologii w Polsce.
(Die Entwicklung der Ethnographie
und Ethnologie in Polen.) Krakow
1948, 58 S., PAU, Serie: Historiä
nauki polskiej w monografiach Bd.
XIV.
43. Dies.: Mi§dzyuczelniane obozy etno-
graficzne na Kurpiowszczyznie uni-
wersyteckiego Studium historii kul-
tury materialnej w latach 1952—1954-
(Ethnographische Lager, die ver-
schiedene Universitäten zum Zwecke
des Studiums der Geschichte der
materiellen Kultur in den Jahren 1952
bis 1954 veranstaltet haben.) Kwart.
Hist. Kult, mater., 1955, Nr. i>
S. 224—236, illustr., Zeichn., 1 Karte-
44. Kutrzebianka, Anna: Rozwój etno-
grafii i etnologii w Polsce. (Entwick-
lung der Ethnographie und Ethno-
logie in Polen.) Kraków 1948, PAU,
58 S., 1 ungez., Historiä nauki pols-
kiej w monografiach 14.
45. Dies.: O potrzebie wspólpracy archeolo-
gów z etnografami. (Über die Not-
wendigkeit einer Zusammenarbeit von
Archäologen und Ethnographen.)
Wiedza i 2ycie, 1953, Nr. 2, S. 121
bis 124.
46. Labuda, Gerard: Kilka uwag o zada-
niach „Polskiego Atlasu Etnogra-
ficznego“. (Einige Erwägungen über
die Aufgaben des „Atlas der polni-
schen Volkskunde“.) Lud, Bd. 41»
1954, Nr. 1, S. 808—822; Nr. 2»
S. 1344—1345, 1409—1411.
47. Mlodziejowski,Jerzy: NieznanytyP
pasterskiego dzwonka owezego. (Ein
unbekannter Typ einer Schafsglocke.)
Wierchy, Jg. 22, 1953, S. 237—238.
48. Moszynski, Kazimierz: Stan i za'
dania etnografii polskiej. (Stand und
Aufgaben der polnischen Ethnogra-
phie.) Lud, Bd. 38, 1948, S. 210-—226-
49. Nasz, Adolf: Etnograficzne aspekty
badan archeologicznych w Polsce-
(Ethnographische Aspekte der ar-
chäologischen Forschungen in Polen )
Wroclaw 1951, Pol. Tow. Archeologi
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
231
S. 27—44. Abdr. Archeologia, Jg. 3,
1949.
50. Optolowicz, Janusz: Sprawozdanie
z dzialalnosci Dzialu Etnograficznego
Muzeum Lubelskiego. (Bericht über
die Tätigkeit der Ethnographischen
Abteilung des Lubliner Museums.)
Lud, Bd. 41, 1954, T. 2, S. 1188.
51. Pietkiewicz,Kazimierz: Narady ro-
bocze z artystami ludowymi. (Arbeits-
besprechungen mit Volkskünstlern.)
Pol. Sztuka lud., 1952, Nr. 4/5, S. 261
bis 262.
52. Ders. : Udzial twórców ludowych w
Naradzie Szczecinskiej. (Die Teil-
nahme von Volkskünstlern an der
Stettiner Beratung.) Pol. Sztuka lud.,
1952, Nr. 6, S. 344—346, illustr.
53. Ders.: Spoleczna rola artysty ludowego.
(Die gesellschaftliche Rolle desVolks-
künstlers.) Pol.Sztuka lud., 195 2,Nr.2,
S. 68—73, illustr.
54- Ders.: Zagadnienia sztuki ludowej.
(Probleme der Volkskunst.) Przeg.
kult., 1953, Nr. 6, S. 6.
55- Piotrowski, Stanislaw: Ludowa
twórczoéé artystyczna. (Volkskunst-
schaffen.) Warszawa 1955, Ludowa
Spóldz. Wydawn., 146 S., illustr., mit
Abb.
56. Piwocki, Ksawery: Konferencja w
sprawie plastyki ludowej w Jadwisi-
nie. (Eine Volkskunstkonferenz inj.)
Prz. artyst., 1951, Nr. 4, S. 71.
57- Powstanie, organizacja i charakter Pan-
stwowego Instytutu Badania Sztuki
Ludowej. (Entstehung, Organisation
und Charakter des Staatlichen Insti-
tuts zur Erforschung der Volkskunst.)
Pol. Szt. lud., 1947, Nr. 1/2.
58. Przeslawska, Helena: Sprawozdanie
zprac w archiwum Polskiego Towa-
rzystwa Ludoznawczego. (Bericht
über die Tätigkeit des Archivs der
Poln. vkdl. Ges.) Lud, Bd. 41, 1954,
T. 2, S. 1258—1259.
59- Reinfuss, Roman: Po I Ogólnopol-
skiej Konferencji naukowej w sprawie
badan nad sztuk^. (Nach der 1. all-
polnischen wissenschaftlichen Konfe-
renz, die sich mit Fragen der Kunst-
forschung beschäftigte.) Pol. Szt, lud.,
1950, Nr. 7/12, S. 97—99.
60. Ders.: Z obozu naukowego w Weryni.
(Zum wissenschaftlichen Lager in W.)
Pol. Sztuka lud., 1950, Nr. 7/12, S. 133
bis 142.
61. Ders.: Badania terenowe w rejonie
kielecko-sandomierskim. (Feldfor-
schungen im Gebiet K.-S.) Pol. Szt.
lud., 1952, Nr. 1, S. 35—47, illustr.
62. Ders.: Sztuka ludowa Podlasia Zachod-
niego (z badan IV obozu naukowego
PIS w Bachorzy, pow. Sokolow).
(Die Volkskunst Westpodlasiens [zu
den Forschungsarbeiten des vom
Staatlichen Kunstinstitut veranstal-
teten IV. wissenschaftlichen Lagers
in B., Kreis Sok.].) Pol. Szt. lud., 195 2,
Nr. 4/5, S. 270—287, illustr.
63. Seweryn, T.: Ludowe lowiectwo ze
zwierz^tami. (Wie das Volk mit
Tieren jagt.) Spraw. PAU, 1952, Nr.6,
S. 423—424.
64. Ders.: Mechaniczna i chemiczna ludo-
wa broh lowiecka. (Vom Volke beim
Jagen verwandte mechanische und
chemische Waffen.) Prace i Materialy
Etnograficzne, Bd. 10, 1952/53,
Heft 1, S. 78—125.
65. Sprawozdanie z badan terenowych
Polskiego Towarzystwa Ludoznaw-
czego w 1952 r. (Bericht über die
Feldforschungen der Poln. vkdl. Ges.
im Jahre 1952.) Lud, Bd. 41, 1954,
T. 2, S. 1259—1267.
66. Straszczaköwna, Zofia: Sprawo-
zdanie z prac nad Polskim Atlasem
Etnograficznym za okres 1947—19 5 3 r.
(Bericht über die Arbeiten am Polni-
schen Volkskdl. Atlas in den Jahren
1947 bis 1953.) Lud, Bd. 41, 1954»
T. 2, S. 1280—1283. 4816.
67. Suboczowa, Maria: Sprawozdanie z
pracy Oddzialu Sl^skiego P. T. L. za
1953 r. (Bericht über die Arbeit der
Schlesischen Abteilung der Poln. vkdl.
Ges. im Jahre 1953.) Lud, Bd. 41,
1954, T. 2, S. 1248—1250. 4818.
68. Swiezy, Janusz: Sprawozdanie z
dzialalnosci Oddzialu P. T. L. w
Lublinie za rok 1953. (Bericht über
die Tätigkeit der Abteilung L. der
Poln. vkdl. Ges. im Jahre 1953.) Lud,
Bd. 41, 1954. T. 2, S. 1255—1256.
4819.
232
Aleksander Jackowski
69. Taige, Helena: Sprawozdanie z dzia-
lalnosci Oddzialu Poznanskiego Pols-
kiego Towarzystwa Ludoznawczego
za lata 1949—1952. (Bericht über die
Tätigkeit der Abteilung P. der Poln.
vkdl. Ges. für die Jahre 1949—1952.)
Lud, Bd. 41, 1954, T. 2, S. 1251 bis
1252. 4820.
70. Urbanowicz, Bohdan: Konferencja
w Jadwisinie (13.—15. V. 1951).
Aktualne zagadnienia plastyki ludo-
wej. (Die Konferenz in J. [13. bis
15. V. 1951]. Aktuelle Probleme der
Volkskunst.) Pol. Sztuka lud., 1951,
Nr. 4/5, S. 146—153.
71. Wierzchon, Aurelia, Przyluska,
Zofia: Z konferencji tworcöw ludo-
wych. (Zur Konferenz der Volks-
künstler.) Pol. Szt. lud., 1953, Nr. 2,
S. 107—130.
72. Zaki,Andrzej: Pierwsze prace wyko-
paliskowe Panstwowego Instytutu
Sztuki. (Badania na starych cmenta-
rzach w D§bnie i Szaflarach pow. N.
Targ.) (Die ersten Ausgrabungsarbei-
ten des Staatl. Kunstinstituts [For-
schungsarbeiten auf alten Friedhöfen
in D. und Sz., Krs. N. T.].) Pol.
Sztuka lud., 1952, Nr. 1, S. 48—51»
illustr.
73. Zawistowicz-Adamska, Kazimie-
ra: Pomoc wzajemna i wspöldzialanie
w kulturach ludowych. (Gegenseitige
Hilfe und Zusammenarbeit in den
Volkskulturen.) Pr. i. Mat. etnogr.,
1951, S. 1—154.
74. Ders.: Sprawozdanie z dzialalnosci Od-
dzialu Lodzkiego P. T. L. (Bericht
über die Abt. L. der Poln. vkdl.
Ges.). Lud, Bd. 41, 1954, T. 2, S. 1254
bis 1255.
75. Zywirska, Maria: Podloze ludowe
kulturze görniczej. (Volkstümliche
Grundlagen der Bergmannskultur.)
Pol. Sztuka lud., 1952, Nr. 3>
S. 127—130, illustr.
B. Regionale Arbeiten
1. Lubliner Land
76. Czekanowki, Jan: Perspektywy an-
tropologiczne i etnograficzne woje-
wodztwa lubelskiego. Planowanie
przestrzenne. Region Lubelski I.
(Anthropologische und ethnographi-
sche Perspektiven der Wojewod-
schaft Lublin. Raumplanung.) Region
2. Osts
78. Bukowski, Andrzej: Regionalizm
kaszubski: ruch naukowy, literacki i
kulturalny. (Kaschubische Landes-
kunde. Die wissenschaftliche, litera-
rische und kulturelle Bewegung im
Kaschubenland.) Poznan 1950, Inst.
Zachodni VIII, 399 S., 4 Tafeln, 1 Ta-
belle.
79. Jazdzewski, Konrad: Gdansk wczes-
nosredniowieczny w swietle wykopa-
lisk. (Komentarz do wystawy pod
tym tytulem w Muzeum Pomorskim
w Gdansku.) (Das frühmittelalterliche
Danzig im Lichte von Ausgrabungen.
[Kommentar zu einer Ausstellung
unter demselben Titel im Museum
Lublin I. Warszawa 1947. Wydaw-
nictwo MinisterstwaOdbudowy,Nr.7>
Teil: Etnografia, S. 15—45, illustr.
77. Pietkiewicz, Kazimierz: Sztuka lu-
dowa Ziemi Lubelskiej. (Die Volks-
kunst des Lubliner Landes.) Pol. Szt.
lud., 1949, Nr. 9/10, S. 289—298.
gebiete
Pomorskie in G.].) Gdansk 1952»
Muz. Pomorkie, 30 S., 1 ungez-,
1 Karte, illustr., Rez. : Reinfuss R-
Rss. Pol. Sztuka lud., 1952, Nr. 6,
S. 361.
80. Kutrzeba-Pojnarowa, Anna: Etno-
grafia polskich grup ludnosciowych
na Zachodzie (Prusy i Kaszuby). (Die
Ethnographie der polnischen Bevöl-
kerungsgruppen im Westen [Preuße0
und Kabuschenland].) Krakow 1945’
Polski Zwi^zek Zachodni, 19 S.
81. L§ga, Wladyslaw: Kultura ludoWä
ziemi chelminskiej. (Die Volkskultuf
des Gebietes Ch.) Spraw. PAU, 19 5 °*
Nr. 4, S. 251—253.
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
233
82. S enkowski, Henryk: Tworczosö lu-
dowa na Kaszubach. (Das Volks-
schaffen im Kaschubenland.) Wiedza
i Zycie, 1953, Nr. 5, S. 336—339.
83. Stelmachowska, Bozena: Zdobnic-
two ludowe ziemi pyrzyckiej. (Volks-
tümliche Ornamentik im Gebiete von
P.) Pomorze Zach./Poznan 1946,
Instytut Zachodni, 47 S., illustr.
84. Znamierowska-Prüfferowa, Ma-
ria: Etnografia na Pomorzu. (Ethno-
graphie des Ostseegebietes.) Nowy
Tor, 1954, Nr. 27, S. 1, illustr.
85. Reinfuss, Roman: Z badan nadsztukq.
ludow^ w radomskiem. (Zu For-
schungen über die Volkskunst im Ge-
biete von R.) Pol. Szt. lud., 1955,
Nr. 1, S. 23—51, illustr.
3. Kleinpolen
86. Baranowski, Bohdan: Ksi§gi miejs-
kie z poludniowowschodniej Malo-
polski jako zrödlo do historii kultury
materialnej XVI—XVIII w. (Stadt-
chroniken aus dem südöstlichen
Kleinpolen als Quellen für die Ge-
schichte der materiellen Kultur im
XVI.—XVIII. Jahrh.) Kwart. Hist.
Mat., 1954, Nr. 1—2, S. 189—196.
87. Flizak, Sebastian: Materialy etno-
graficzne z okolic Mszany Dolnej.
(Ethnographische Materialien aus der
Umgebung von M. D.) Pr. Mat.
etnogr., 1948/49, S. 379—393-
88. Ders.: Materialy etnograficzne i histo-
ryczne z terenu Zagörzan. (Ethnogra-
phische und historische Materialien
aus dem Gebiete Z.) Poznan-L6dz
1952, Polskie Towarzystwo Ludo-
znawcze, 67 S., 2 ungez., Archiwum
Etnograficzne, Nr. 4.
89. Kutrzebianka, Anna: Rozwöj badan
etnograficznych ziemi Krakowskiej.
(Die Entwicklung der ethnogra-
phischen Forschungen im Krakauer
Land.) Poznan 1952, Pol. Tow. Lu-
doznawcze, S. 569—604. Abdr.: Lud,
Bd. 39.
90. Reinfuss, Roman: Pogranicze kra-
kowsko-göralskie w swietle dawnych
i najnowszych badan etnograficznych.
(Das krakauisch-goralische Grenzge-
biet im Lichte alter und neuester
volkskundlicher Forschungen.) Lud,
Bd. 36, 1946, S. 222—255.
91. Ders.: Lemkowie jako grupa etnogra-
ficzna. (Die L. als ethnographische
Gruppe.) Pr. Mat. etnogr., 1948,
S. 77—210.
92. Ders.: Badania terenowe w rejonie
kielecko-sandomierskim. (Feldfor-
schungen im Gebiete Kielce und San-
domierz.) Pol. Sztuka lud., 1952,
Nr. 1, S. 35—47, illustr.
4. Karpatengebiet (Goralen), Schlesien
93. Bronicz, Stanislaw: Klasowe pod-
loze zröznicowania kultury ludowej
na Gornym Sl^sku na przelomie XIX
i XX wieku. (Die Klassengrundlagen
für die Differenzierung der Volkskul-
tur in Oberschlesien an der Wende
des 19. und 20. Jahrhunderts.) Spraw.
PAU, 1952, Nr. 6. 432 S.
94. Dobrowolski, Tadeusz: Sztuka na
Sl^sku. (Die Kunst in Schlesien.) Kato-
wice-Wroclaw 1948, Instytut Sl^ski,
395 S.
93. Ders.: Sztuka wojewödztwa 61q,skiego.
(Die Kunst der Wojewodschaft Schle-
sien.) Katowice 1933, Muzeum Sl^skie,
152 S., 147 Zeichn., 2 Tafeln; neue
Auflage 1948.
96. Dolny Sl^sk. Praca zbiorowa pod red.
Kiryla Sosnowskiego. (Niederschle-
sien. Sammelband, hrsg. von K. S.)
2. Auf!., Poznan 1950, Inst. Zachod.,
477 S., 1 ungez.
97. Gentil-Tippenhauer, Wanda: Wy-
twörca ludowy na Podhalu. (Ein
Volkskünstler aus P.) Wierchy, Jg.
23, 1954, S. 186—194, illustr.
98. Gladysz, Mieczyslaw: Badania
sztuki ludowej (w 1946—1948) na
Sl^sku Ciesz., Gornym i Opolskim.
(1946—1948 durchgeführte Volks-
kunstforschungen in Oberschlesien
und im Teschener und Oppelner
Schlesien.) Pol. Szt. lud., 1948, Nr.
9/10, S. 61—62.
234
Aleksander Jackowski
99. Ders.: Z twörczosci plastycznej görni-
k6w äl^skich. (Zum Volkskunst-
schaffen der schlesischenBergleute.)
Pol. Szt. lud., 195 2,Nr. 3,S. 147—154.
100. Grabowski, Jözef: Skarby Podhala.
(Die Schätze P.) Warszawa 1954.
Rez. Gentil-Tippenhauer, Wanda.
Pol. Szt. lud., 1954, Nr. 6, S.381—382.
101. Kowalska-Lewicka, Anna: Etno-
graficzne badania na Podhalu. (Eth-
nographische Forschungen in P.)
Wierchy, Jg. 2i, 1952, S. 225—226.
102. Dies.: Badania etnograficzne na Pod-
halu. (Ethnographische Forschun-
gen in P.) Wierchy, Jg. 22, 1953,
S. 218—222.
103. Lig§za, Jözef: Sl^skakultura ludowa.
(Die schlesische Volkskultur.) Kato-
wice 1948, 47 S.
104. Ochmanski, Wladyslaw: Zböjnic-
two göralskie. Z dziejow walki klaso-
wej na wsi goralskiej. (Das gorali-
sche Räuberwesen. Zur Geschichte
des Klassenkampfes im Goralendorf.)
Warszawa 1950, Lud. Spöldz. Wy-
dawn. 251 S., 4 ungez., (Szczotka,
S.: Vorwort). Rez.: Reychman,
Jan. Wierchy 1950—1951, S. 275
bis 278; Bardach, J(uliusz). Prz.
hist., Bd. 43, Heft 1, S. 150—158.
105. Szczotka, Stanislaw: Materialy do
dziejow zböjnictwa göralskiego z
lat 1589—1782. (Materialien zur Ge-
schichte des goralischen Räuber-
wesens aus den Jahren 1589—1782).
Lublin 1952, Pol. Tow. Ludo-
znawcze, 190 S.
106. Zborowski, Juliusz: Z dziejow
badan etnograficznych na Podhalu.
(Zur Geschichte der ethnographi-
schen Forschungen in P.) Wierchy,
Jg- 23, 1954, S. 276—277.
5. Großpolen
107. Blaszczyk, Stanislaw: Z dzialal-
noéci etnografów poznanskich. (Zur
Tätigkeit der Posener Ethnogra-
phen.) Aus Otchlani Wieków, 1953,
Nr. 4.
108. Ch §tnik, Adam: Sztuka Kurpiowska
w okresie wielkanocnym. (Die Kur-
pier-Kunst im nördlichen Kreis.)
Pol. Szt. lud., 1948, Nr. 2, S. 6—15,
illustr.
109: Ders.: Przemysl i sztuka bursztyni-
arska nad Narwi^. (Bernsteinver-
arbeitende Industrie und Kunst am
Narew.) Poznan 1952, Pol. Tow.
Ludoznawcze., S. 355—415, illustr.
Abdr. : Lud, Bd. 39.
no. Dekowski, Jan Piotr: Badania nad
przeszlosci^ kulturalnq, opoczyn-
skich miasteczek. (Forschungen zur
kulturellen Vergangenheit der Markt-
flecken um Opoczno.) Lud, T. 41,
1954, Teil i, S. 499—510; Teil 2,
S. 1316—1317, 1384.
ui. Syska, Henryk: Nad bl^kitn^ mojij,
Narwi^. (An meinem blauen N.)
Warszawa 1952, Lud. Spóldz. Wy-
dawn, 245 S., 2 ungez.,illustr. (Mo-
nografia z zakresu historii i etnografii
Kurpiów.) (Monographie zur Ge-
schichte und Ethnographie von
Kurpie.)
1x2. Ders.: Na ziemi Kurpiöw. Zebral,
opracowal i wst§pem opatrzyl. (Im
Lande der Kurpier. Gesammelt, be-
arbeitet und mit ein. Einleitung ver-
sehen. Anthologie von Gedichten und
Prosabruchstücken, die die Ge-
schichte und Volkskunde von Kur-
pie betreffen.) Warszawa 1934, Lu-
dowa Spoldz. Wydawnicza, 165 S.,
2 ungez.
113. Ders.: Oblecialem Kurpie-Gocie-
(Meine Wanderungen durch K.-G.)
Warszawa 1935, Ludowa Spoldz.
Wydawnicza, 121 S., 2 ungez.,
1 Karte. Historyczny i etnograficzny
opis obszaru mi§dzy Pultuskiem —
Ostrowi^ Mazowieck^ i Wyszko-
wem. (Historische und ethnographi-
sche Beschreibung des Gebietes
zwischen P., O. M. und W.)
114. Ziemia Lubuska: Praca zbiorowa po^
red. Michala Szczanieckiego,
Stanislawy Zajchowskiej,oprac.
Florian Barchinski (i in.). (Das
Lebuser Land. Sammelband, hrsg-
von M. Sz. und St. Z., Bearb. F*
B. [u. a.].)
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
235
6. Masowien
115. Zywirska, Maria: Badania nad sztu-
k^ ludow^ na Kurpiach w Puszczy
Bialej. (Forschungen zur Volks-
kunst Kurpies in der P. B.) Pol. Szt.
lud., 1948, Nr. 1, S 40.
116. Ciesla-Reinfussowa, Zofia: Ma-
terialy do sztuki ludowej Mazowsza
Plockiego. (Materialien zur Volks-
kunst Masowiens bei Plock.) Pol.
Szt. lud., 1953, Nr. 1, S. 38—55.
7. Masuren und Ermland
X17. Chojnacki, Wladyslaw: Sprawy
Mazur i Warmii w korespondencji
Wojciecha K§trzyhskiego. (M. u.
E. in der Korrespondenz W. K.-s.)
Oprac. . . . Wroclaw 1952, Zakl.
Narod. im. Ossolihskich, XX, 354S.,
7 Taf.
H8. G§bik, Wladyslaw: Spoleczny sens
badan nad kultura ludowa Warmii i
Mazur. (Die gesellschaftliche Be-
deutung der Erforschung der Volks-
kultur in E. und M.) Pol. Sztuka lud.,
1952, Nr. 4/5, S. 189—197, illustr.
1x9. Grabowski, Jözef: Sztuka ludowa
Mazur i Warmii. (Die Volkskunst in
M. und E.) Pol. Szt. lud., 1948,
Nr. 4/5, S. 3—64.
X20. Kielczewska-Zalewska, Maria:
Z badan nad osadnictwempogranicza
mazursko-kurpiowskiego. (Zu den
Forschungen über die Besiedlung
des Grenzgebietes von Masuren und
Kurpie) Prz. zach., 1951, Nr. 11/12,
S. 468—478, 1 Tafel.
121. Kurlcowa, Halina: Z w§drowek po
Mazurach. (Auf Wanderungen
durch Masuren.) Por. j§z., 1931,
H. 1, S. 15—17.
122. Warmia i Mazury. Teil 1—2. Sammel-
band unter Red. von St. Zajchowska,
M. Kielczewska, — Zalewska. (E.
und M.) Poznan 1953, Instytut
Zachodni. 407 S., illustr., Karten;
378 S., 2 ungez., illustr., Noten,
Karten.
123. Znamierowska-Prüfferowa, Ma-
ria: Kultura ludowa (Region Po-
wisla), Ziemie Staropolskie, t. IV
Warmia i Mazury. (Die Volkskultur
des Weichselgebietes, Altpolen, Bd.
IV, E. und M.) Poznan 1953, In-
stytut Baltycki. S. 228—245.
C. Siedlung, Haus, Hausrat
1. Haus und Hof
124. Adamczewska, H.: Cechy narodowe
polskiego miasteczka. (Die nationa-
len Züge der polnischen Kleinstadt.)
Archit., 1950, Nr. 3/4, S. 96. 125 126
125. Blachnio, Józef: Ozdoby nadszczy-
towe na ziemi chelmiñskiej i mi-
chalowskiej. (Giebelverzierungen im
Gebiete von Ch. und M.) Grudziqdz
1954 (Text maschinenschriftlich ver-
vielfältigt), 10 S., 4 Taf.
126. Burszta, Józef: Budownictwo wiej-
skie w kluczu runowskim podNaklem
w I poíowie XVII w. (Die Dorf-
architektur in der Herrschaft Ru-
nowo bei Nakel in der 1. Hälfte des
17. Jahrhunderts.) Kwart. Hist.
Kult, mater., 1954, Nr. 1—2, S. 104
bis 139, illustr.
127. Chmarzynski, Gwido: W cieniu
drewnianych kosciolkow i klasztor-
nych murow. (Im Schatten von Holz-
kirchen und von Klostermauern.)
Niederschlesien, Sammelband Teil 1,
Poznan 1948, Instytut Zachodni,
S. 278—294.
128. Ciesla-Reinfussowa, Zofia: Dom
z wn^k^ w polskiej architekturze
ludowej. (Das Haus mit der Nische
in der polnischen Volksarchitektur.)
Pol. Szt. lud., 1952, Nr. 4/5, S. 263
bis 269.
236
Aleksander Jackowski
129. Ciolek, Gérard: Dach w polskim
budownictwie wiejskim. (Das Dach
in der polnischen Dorfbauweise.)
Pol. Szt. lud., 1948, Nr. 1, S. 12 —19.
130. Ders.: Wplyw srodowiska geogra-
ficznego na formy osadnictwa i bu-
downictwa wiej skiego w Polsce.
(Der Einfluß der geographischen
Umwelt auf die Formen der Koloni-
sation und der Bauweise des pol-
nischen Dorfes.) Lud, Bd. 39, 1949/
1951, S. 228—252.
131. Delimat, Tadeusz: Materialy do
budownictwa ludowego w powiecie
pulawskim. (Materialien zur Volks-
architektur des Kreises P.) Pr. Mat.
etnogr., 1947, S. 164—186.
132. Dobrowolska, Agnieszka: Dom
pyrzycki. (Das Haus von Pyritz.)
Biul. Hist. Szt., 1949, Nr. 1/2, S. 124
bis 128, illustr.
133. Dies.: Ludowe budownictwo miesz-
kalne Pomorza Zachodniego. (Die
Volksarchitektur von Wohnhäusern
im westpolnischen Ostseegebiet.)
Ochr. Zabyt., 1952, Nr. 4, S. 229
bis 239, illustr.
134. Dobrowolski, Tadeusz: Najstarsze
drewniane koscioly sl^skie jako
znaki zamierzchlej przeszlo^ci. (Äl-
teste Holzkirchen in Schlesien als
Zeugen einer fernen Vergangenheit.)
Katowice 1946, Instytut Sl^ski,
20 S.
135. Dubiel, Ludwik: Zabytki architek-
tury ludowej na Sl^sku. (Reste der
Volksarchitektur in Schlesien.) Swiat
i Zycie, 1953, Nr. 51.
136. Gruszczynski, Stanislaw: Urbani-
styka ludowa. (Volkstümliche Bau-
planung.) Horyz. Techn., 1952,
Nr. 4, S. 165—168.
137. Kotula, Franciszek: Malowanc
zr§by chalup w Rzeszowskim. (Be-
malte Balken in Bauernhäusern des
Gebietes von Rz.) Pol. Sztuka lud.,
1951, Nr. 1/2, S. 12—18, illustr.
138. Ders.: Slupowe chalupy w Rzeszow-
skim. (Vorlaubenhäuser im Gebiet
von Rz.). Ochr. Zabyt., 1933, Nr. 4,
S. 211—217.
139. Krassowski, Witold: Chalupa pol-
ska na przelomie XVI i XVII wieku.
(Das polnische Bauernhaus an der
Wende des XVI. und XVII. Jahr-
hunderts.) Pol. Szt. lud., 1953*
Nr. 4/5, S. 281—302.
140. Kurkowa, Zofia: W^skofrontowe
chalupy w S^decczyznie. (Bauern-
häuser mit schmaler Front im Gebiet
von S.) Pol. Sztuka lud., 195°»
Nr. 7/12, S. 126—128, illustr.
141. Musianowicz, Krystyna: Chata z
podcieniem, odkryta w osadzie pod-
grodowej w Brodnie Starym pow-
warszawski. (Eine Hütte mit offener
Galerie, die in der Unterburg in B. S.
bei Warschau entdeckt wurde.)
Spraw. PMA, Bd. 3, H. 1/4, S. 175
bis 184.
142. Müller, Wladislaw: Zagadnieniä
budownictwa ludowego i sztuki lu-
dowej w Katalogu Zabytkow Sztuki
w Polsce. (Probleme der Volksarchi-
tektur und Volkskunst im Katalog
der Kunstdenkmäler in Polen.) Pol-
Sztuka lud., 1952, Nr. 2, S. 110—112.
143. Pietkiewicz, Kazimierz: Zni-
szczenia w architekturze ludowej W
woj. pomorskim. (Kriegsschäden in
der Volksarchitektur des polnischen
Ostseegebietes.) (Kapliczki). Lud,
*947, Jg- 37, S. 487—490.
144. Reinfuss, Roman: Malowane zrgby
chalup wiejskich. (Bemalte Balken
in Dorfhäusern.) Pol. Szt. lud., 1949,
Nr. 7/8, S. 200—219.
145. Ders.: Orawski dom z wyzkq,. (Das
Haus von Orawa mit einer Ober-
stube.) Pol. Szt. lud., 1950, Nr. 1/6,
S. 36—35, illustr., Karten, Pläne.
146. Ders.: Tradycje otwartego ogniska tv
malopolskim budownictwie ludo-
wym. (Traditionen des offenen Her-
des in der kleinpolnischen Volks-
architektur.) Lud, Bd. 41, 1954,
S. 699—702.
147. Romanowna, Eugenia: Budo-#'
nictwo drewniane na Mazurach 1
Kurpiach. (Die Holzbauweise in
M. und K.) Prz. zach., 195
Nr. 11/12, S. 479—487.
148. Tloczek, Ignacy Felicjan: Pier-
wiastki narodowe w polskiej archi-
tekturze wiejskiej. (Nationale ER'
mente in der Architektur des pol'
nischen Dorfes.) Archit., 19 5 °»
Nr. 1/2, S. 24—34.
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
237
*49- Tworkowski, Stefan: Architektura
wsi. Materialy do dyskusji. (Die
Architektur des Dorfes. Diskussi-
onsmaterialien.) (Krakow) 1946,
Czytelnik, 159 S., 2 Karten,
illustr.
150. W§grzynowicz, Leopold: Szala6-
nictwo w Limanowskim Beskidzie
Wyspowym. (Der „Szallas“ in L.
B. W.) Prace i Materialy Etnogra-
ficzne, Bd. 10, 1952/53, H. 1, S. 16
bis 37, illustr., Zeichn.
151. Wolski, Krzysztof: Domy podcie-
niowe w Pruchniku. (Häuser mit
offener Galerie in P.) Ochr. Zabyt.,
1953, Nr. 4, S. 206—210.
152. W. T. G. W. : Andrzej Czarniak Paj^k
(cieéla gôralski). (A. Cz. P., ein go-
ralischer Zimmermann.) Pol. Szt.
lud., 1953, Nr. 1, S. 64.
2. Möbel und Gerät
153* CieMa-Reinfussowa, Zofia: Oku-
cia wozöw z okolic Makowa. (Wa-
genbeschläge aus der Gegend von
M.) Cz. 1. Analiza form. Cz. 2.
Analiza ornamentöw (T. 1. Form-
analyse, T. 2 Analyse der Ornamente.)
Pol. Szt. lud., 1948, Nr. 11/12, S. 27
bis 34; 1949, Nr. 1/2, S. 26—38.
*54- Dies.: Skrzynie kurpiowskie z pow.
ostrol§ckiego. (Schränke aus Kurpie
[Kreis O.].) Pol. Sztuka lud., 1951,
Nr. 4/5, S. 124—130, illustr.
155• Czajkowski, Jerzy: Ozdobne dra-
binki do kwiatow. (Verzierte Blu-
menkästen.) Pol. Szt. lud., 1955,
Nr. 2, S. 100—103, illustr.
156. Czekanowski,Jan:Z dziejow wozu
i zaprzggu. (Zur Geschichte des
Wagens und der Anschirrung.) Lud,
Bd. 39, S. 110—132.
x57- Dobrowolska, Agnieszka: Meble
ludowe zachodnio-pomorskie. (Bau-
ernmöbel aus dem westpolnischen
Ostseegebiet.) Pol. Sztuka lud.* 1950,
Nr. 1/6, S. 56—61, illustr.
158. Dubiel, Ludwik: Slqskie skrzynie
malowane. (Bunte Schränke aus
Schlesien.) Swiat i Zycie, 1955,Nr. 8.
*59. Kotula, Franciszek: Z dziejow
meblarstwa polskiego XVIII wieku,
Sokolöw, Kolbuszowa. (Zur Ge-
schichte der polnischen Möbel-
tischlerei im XVIII. Jh.) Biul. Hist.
Kult., 1949, Nr. 1/2, S. 99—123,
illustr.
*6o. Ders.: Ze studiöw nad zdobnictwem
kowalskim w okolicach Rzeszowa
„Raki“ czyli kratki). (Zu Studien
über die schmiedeeiserne Ornamen-
tik in der Gegend von Rz. [„Raki“
oder Gitter].) Pol. Sztuka lud., 1952,
Nr. 2, S. 87—91, illustr.
161. Przezdziecka, Maria: Zdobione
„duhy“ podlaskie. (Verzierte
Krummhölzer aus Podlasie.) Pol.
Szt. lud., 1953, Nr. 6, S. 377—381.
162. Reinfuss, Roman: O wozach kutych
ozdobnie. (Wagen mit schmiede-
eisernen Verzierungen.) Orli lot,
1947, Nr. 7/8.
163. Ders.: (Skrzynie zdobione z okolic
Krakowa, cz. 1): Malowane mora-
wickie skrzynie krakowskie. (Ver-
zierte Schränke aus der Gegend von
Kr., Teil 1: Bunte Krakauer Schränke
aus M.) Pol. Szt. lud., 1948, Nr. 1. —
Cz. 2: Skrzynie kaszowskie. (Schrän-
ke aus K.) 1948, Nr. 9/10. — Cz. 3:
Skrzynie czernichowskie. Skrzynie
wadowickie. Skrzynie z gwiazd^.
(Schränke aus Cz., Schränke aus W.,
Schränke mit einem Stern.) Pol. Szt.
lud., 1949, Nr. 1/2.
164. Ders.: Elementy renesansowe w pol-
skim meblarstwie ludowym. (Re-
naissance-Elemente an polnischen
Bauernmöbeln.) Pol. Szt. lud., 1953»
• Nr. 6, S. 327—334, illustr.
165. Ders.: Ludowe skrzynie malowane.
(Bunte Bauernmöbel.) Warszawa
1954, Wyd. „Sztuka“, 60 S., 2 ungez.
S., illustr., 71 Tafeln. Panstwowy
Instytut Sztuki.
166. Wröblewski, Tadeusz: Kilka uwag
o geograficznym zasi^gu wyst§po-
wania krosien poziomych i piono-
wych. Betrachtungen zur geogra-
phischen Verbreitung der Flach-
und Hoch-Webstühle.) Lud, Bd. 41,
1954,Nr. 1, S. 677—698. Rez. Nr. 2,
S. 13 3 x—1332, 1398—1400.
238
Aleksander Jackowski
D. Volkskunst
167. Abramowicz, Andrzej: Uwagi o
problematyce badan nad sztukq,
Polski wczesnoäredniowiecznej.
(Über die Problematik von For-
schungen auf dem Gebiete der früh-
mittelalterlichen Kunst Polens.)
(Glos archeologa.) Pol. Sztuka lud.,
1954, Nr. 4, S. 209—213.
168. Chmarzynski, Gwido: U granic
sztuki ludowej i historycznej. (An
der Grenze von Volkskunst und hi-
storischer Kunst.) (— Pomorze Za-
chodnie, Bd. II, 1.) Poznan 1949,
Instytut Zachodni, S. 282—298,
12 Zeichn., Zykl.: Ziemie Staropol-
skie, Bd. II, Teil x.
169. Dynowski, Witold: Historycyzm w
sztuce ludowej. (Der Historizismus
in der Volkskunst.) Pol. Szt. lud.,
1948, Nr. 9/10, S. 7—10; Nr. 11/12,
S. 3—7; 1949, Nr. 1/2, S. 3—8;
Nr. 3/4, S. 67—70; Nr. 5, S. x37 bis
139; Nr. 7/8, S. 195—199.
170. Grabowski, Jözef: Sztuka ludowa
sztuk^ ludöw. (Die Volkskunst als
Kunst der Völker.) Pol. Szt. lud.,
1948, Nr. 6, S. 3—5.
171. Homolacs, Karol: R^kodzielnictwo
jako sztuka. (Das Handwerk als
Kunst.) Szkic historyczny. Warsza-
wa 1948 — PZWS, 291 S.
172. Ders.: O wartoäci zdobnictwa ludo-
wego. (Über den Wert der Verzie-
rung in der Volkskunst.) Pol. Szt.
lud., 1949, Nr. 9/12.
173. Jackowski, Aleksander: Problem
folkloru i ludowo^ci w sztuce. (Das
Problem der Folklore und der Volks-
tümlichkeit in der Kunst.) Mat.
StudiöwSzt., 195 3,Nr. i,S. 166—208.
174. Pietkiewicz, Kazimierz: Nowe
drogi plastyki ludowej na tie wspöl-
pracy artystöw zawodowych z lu-
dowymi. (Neue Wege der Volks-
kunst auf Grund der Zusammen-
arbeit von Berufs- und Laienkünst-
lern.) Pol. Sztuka lud., 1952, Nr. 4/5,
S. 198—202, illustr.
175. Ders.: Zagadnienia opieki nad twör-
czo^ci^ ludow^.. (Probleme der Pa-
tenschaft über Volkskunstschaffen.)
Pol. Szt. lud., 1953, Nr. 2, S. 95—106.
176. Piwocki, Ksawery: Pojçcie sztuki
ludowej. (Der Begriff der Volks-
kunst.) Pol. Szt. lud., 1947, Nr. 1/2,
S. 3—8.
177. Ders.: Nowe problemy sztuki ludo-
wej. (Neue Probleme der Volks-
kunst.) Nowiny Literackie, 1947»
Nr. 3/4.
178. Ders.: Rola sztuki ludowej w dzi-
siejszej kulturze. (Die Rolle der
Volkskunst in der Kultur der Ge-
genwart.) Wieé, 1947, Nr. 23.
179. Ders.: Sztuka ludowa i narodowa-
Wstçp ref. „Nurt ludowo-narodowy
w sztuce polskiej“, wygl. na Konfe-
rencji Panstwowego Instytutu Sztuki
dn. 14. V. 1951 w Jadwisinie. (Volks-
kunst und nationale Kunst, Einlei-
tung eines Ref. „Die volkstümlich-
nationale Strömung in der polni-
schen Kunst“, das anläßlich einer
Konferenz des Staatlichen Kunst-
instituts am 14. 5. 1951 inj. gehal-
ten wurde.) Pol. Sztuka lud., 195i>
Nr. 3, S. 70—75, 1 Tafel.
180. Ders.: Sztuka ludowa w rozwoju pol-
skiej kultury plastycznej. (Die Volks-
kunst in der Entwicklung der pol-
nischen bildenden Kunst.) Prz. Kult.,
1952, Nr. 2, S. 6.
181. Ders.: Prôba definicji kilku pojçé (z
zakresu sztuki ludowej). (Versuch
einer Definierung verschiedener Be-
griffe [aus dem Gebiete der Volks-
kunst].) Pol. Szt. lud., 1953, Nr. 6,
S. 323—326.
182. Ders. : О historycznej genezie polskiej
sztuki ludowej. (Über die historische
Entstehung der polnischen Volks-
kunst.) Wroclaw 1953, Zakl. Narod.
im. Ossolinskich. VII, 1 ungez., 45’
3 ungez. S., 64 Tafeln.
183. Rez. Malinowski, Kazimierz:Biul-
Hist. Szt., 1953,Nr. 3/4, S. 120—-123-
184. Reinfuss, Roman: Organizacja
badan nad sztuk^ ludowq. (Durch-
führung von Forschungsarbeiten
auf dem Gebiete der Volkskunst.)
Mat. Studiow Sztuki, 1951, №• 5’
S. 404—421.
185. Ders.: Aktualne zagadnienia ludoweJ
plastyki. (Aktuelle Fragen der Volks-
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
239
kunst.) Pol. Szt. lud., 1953, Nr. 2,
S. 83—94.
186. Seweryn, Tadeusz: Rozdroza sztuki
ludowej. (Die Volkskunst am Schei-
dewege.) Warszawa 1948, Centralny
Instytut Kultury, 143 S., 16 Tab.
*87. Ders.: Zakres przedmiotowy sztuki
ludowej. (Der Sachbereich derVolks-
kunst.) Pol. Sztukalud., 1954, Nr. 5,
S. 259—272, illustr.
J88. Stelmachowska, Bozena: Na
drodze do teorii sztuki ludowej.
(Auf dem Wege zu einer Theorie der
Volkskunst.) Lublin 1946, 24 S., Lud,
1946, Bd. 36, S. 163—184.
*89. Telakowska, Wanda: Projektanckie
kolektywy robotnicze, chlopskie i
mlodziezowe. (Entwurfskollektive
von Arbeitern, Bauern und Jugend-
lichen.) Pol. Sztukalud., 1952,Nr. 1,
S. 7—12, illustr.
J9o. Dies.: Wl^czanie samorodnej twor-
czoäci do wzornictwa. (Die Einbe-
ziehung des volkstümlichen Schaf-
fens in die Musterentwurfslehre.)
I. К
195. Bojarska, Irena: Krakowska cera-
mika ludowa. (Krakauer volkstüm-
liche Keramik.) Pol. Szt. lud., 1949,
Nr. 5, S. 140—149, illustr.
196. Dies.: Naczynia gliniane z Brzostka.
(Tongefäße aus B.) Pol. Sztuka lud.,
1951, Nr. 6, S. 171—176, illustr.
197. Chranicki, Jan: Kilka uwag na
marginesie artykulu „Ceramika po-
morska“. (Einige Erwägungen zum
Artikel „Die pommersche Kera-
mik“.) Przezdziecka, Maria: W
zwi^zku z uwagami о artykule . . .
(In Verbindung mit Erwägungen
über den Artikel . . .) Pol. Szt. lud.,
1955, Nr. 3, S. 188—192.
*98. Cieäla-Reinfussowa, Zofia: Siwa-
ki z Bialej Podlaskiej. (Gefäße aus
grauem Ton aus В. P.) Pol. Sztuka
lud., 1954, Nr. 5,S. 273—295, illustr.
:99- Dekowski, Jan Piotr: О ostatnim
osrodku garncarstwa w Opoczyn-
skim. (Über das letzte Zentrum der
Töpferei im Gebiet von O.) Prace
i Materialy Etnograficzne, 1948/49,
Bd. 7, S. 335—338-
Prz. artyst., 1953, Nr. 2, S. 67
bis 70.
191. Dies.: Pröby wlqczenia twörczoski lu-
dowej do wzornictwa przemyslo-
wego. (Proben einer Einbeziehung
des Volkskunstschaffens in die ge-
werbliche Musterentwurfslehre.)Pol.
Szt. lud., 1953, Nr. 3, S. 135—i4x.
192. Dies.: Twörczoöe ludowa w nowym
wzornictwie. (Das Volkskunstschaf-
fen in der neuen Musterentwurfs-
lehre). Warszawa 1954» Wydaw.
„Sztuka“. 36 S., 4 ungez. S., 57 Taf.
193. Wojciechowski, Aleksander: Z
dyskusji nad poj§ciami — „sztuka
ludowa“ i ,,ludowo66 w sztuce“.
(Zur Diskussion über die Begriffe
„Volkskunst“ und „Volkstümlich-
keit in der Kunst“.) Pol. Szt. lud.,
1933, Nr. 2, S. 73—82.
194. Zwolakiewicz, Henryk: Polska
Sztuka Ludowa rok I—-V, 1947 bis
1951. (Die polnische Volkskunst,
Jahrgang I—V, 1947—1931.) Lud,
Bd. 41, 1954, S. 1079—1094.
200. Dzi^giel, Leszek: Malowane kafle
z Lezajska. (Bemalte Kacheln aus L.)
Pol. Szt. lud., 1953, Nr. 1, S. 33—37.
201. Ders.: Malowane kafle z Rybnej.
(Bemalte Kacheln aus R.) Pol.
Sztuka lud., 1954, Nr. 2, S. 109 bis
118, illustr.
202. Grabowski, Jözef: Ludowa galeria
obrazöw. Niezaspokojona w malar-
stwie fantazja twörcza ludu zna-
lazla ujäcie w kaflarstwie. (Eine
volkstümliche Bildergalerie. Die
durch die Malerei nicht befriedigte
schöpferische Phantasie des Volkes
fand einen Ausweg in der Bemalung
von Kacheln.) Probl., 193*1, Nr. 9,
S. 615—622.
203. Holubowicz, Wlodzimierz: Z
dziejöw garncarstwa na ziemiach
polskich. (Zur Geschichte der Töpfe-
rei in den polnischen Ländern.)
Otchl. Wieköw, 1947, Nr. 1/2, S. 1
bis 19, illustr.
204. Ders.: Garncarstwo wiejskie zachod-
nich terenöw Bialorusi. (Die Töpfe-
rei in den Dörfern der Westgebiete
240
Aleksander Jackowski
Weißrußlands.) Torun 1950, Tow.
Nauk., 283 S., 6 ungez. S., Rez.:
Sl^ski, Jacek. Otchl. Wiek., 1951,
H. 3/4, S. 71.
205. Jaworczak, Aleksander: Z dzie-
jöw cechu garncarskiego w Ilzy.
(Zur Geschichte der Töpfereizunft in
I. ) Prace i Materialy Etnograficzne,
1948/49, Bd. 7, S. 301—327, illustr.
206. Kostysz, Julian: Z dziejöw kra-
kowskiego garncarstwa. (Zur Ge-
schichte der Krakauer Töpferei.) Pol.
Sztuka lud., 1951, Nr. 1/2, S. 6—11,
illustr.
207. Ders.: Jan Oksitowicz, garncarz kra-
kowski i jego dzielo (piec kaflowy,
zdobiony). (J. O. — ein Krakauer
Töpfer und sein Werk [ein verzierter
Kachelofen].) Pol. Szt. lud., 1952,
Nr. 6, S. 316—334.
208. Kotula, Franciszek: Lezajski oé-
rodek ceramiczny. (Das Töpferei-
zentrum von L.). Pol. Szt. lud., 195 3,
Nr. 1, S. 26—32.
209. Ders.: Rzeszowska majolika ludowa.
(Volkstümliche Majolika aus Rz.)
Pol. Szt. lud., 1953, Nr. 4/5, S. 303
bis 319, illustr.
210. Krajewska, A. : Ceramika kaszubska
z w. XIX i pocz^tku w. XX. (Die
kaschubische Keramik im XIX. und
zu Beginn des XX. Jahrhunderts.)
Spraw. PAU, 1951,Nr. 2,S. 149—131.
21X. Krajewska, Janina: Katalog garn-
carstwa ludowego woj. rzeszow-
skiego opracowany wedlug zbiorow
i materialow archiwalnych Muzeum
Etnograficznego w Lodzi. Praca
zbiorowa pod kierunkiem. (Katalog
der Töpferei der Woj. Rz., nach den
Sammlungen und Archivmaterialien
des Ethnographischen Museums in
Lodz bearbeitet. Sammelband, hrsg.
von . . .) Lodz, Wyd. Muzeum
Etnograficznego, 81 S., 4 ungez.
S., illustr. Taf.; Rez.: R. Rein-
fuss. Pol. Szt. lud., 1953, Nr. 3,
S. 189—190.
2x2. Krzywiec, Rudolf: Podstawy tech-
nologii ceramiki. (Grundzüge der
Technologie der Keramik.) War-
szawa 1950, Panstw. Zakl. Wydawn.
Szkoln., 116 S., 23 Taf. (Skripte).
Rez.: (Reinfuss, Roman) R.
Rss. Pol. Sztuka lud., 1932, Nr. 2,
S. 113.
213. Ders.: Technologia rzemiosla garn-
carskiego. Cz. 2. Historia pieca garn-
carskiego. (Technologie des Töpfer-
handwerks. Teil 2. Die Geschichte
des Töpferofens.) Warsz. 1934. Rez.:
Reinfuss, Roman, Pol. Sztuka
lud., 1954, Nr. 4, S. 235—236.
214. Malicki, Longin: Garncarstwo 'W
Rabce-Poddziale. (Die Töpferei in
R. ) Pr. Mat. etnogr., 1948/49,8. 332
bis 334.
213. Pastuszkiewicz, Stanislaw: Cech
garncarski w Ilzy. (DieTöpferzunft in
I.) Prace i Materialy Etnograficzne,
1948/49, Bd. 7, S. 228—231, illustr.
216. Pietkiewicz, Kazimierz: Badania
w zakresie ceramiki ludowej. (For-
schungen über volkstümliche Kera-
mik.) Lud, Bd. 39, S. 549.
217. Przezdziecka, Maria: Ceramika
pomorska. (Die Keramik im polni-
schen Ostseegebiet.) Pol. Sztuka lud.,
1954, Nr. 4, S. 214—232, illustr.
218. Reinfuss, Roman: Kafle ludowe z
Brzegu na Dolnym Sl^sku. (Volks-
kundlich interessante Kacheln aus Br.
in Niederschlesien.) Pol. Szt. lud.,
1949, Nr. 9/10, S. 261—267, illustr.
219. Ders.: Brzostek — zapomniany oäro-
dek ludowego garncarstwa. (Br. —"
ein vergessenes Zentrum der Bauern-
töpferei.) Pol. Szt. lud., 1931, Nr. 6,
S. 167—170.
220. Ders.: Garncarstwo ludowe. (Die
Bauerntöpferei.) Warszawa 1955»
Wydawnictwo „Sztuka“, 96 S.,
4 ungez. S., 46 Taf., illustr. Rez-:
Seweryn, Tadeusz. Pol. Szt. lud-,
1935, Nr. 3, S. 179—180.
221. Rozycki, Marek: Z wizyt^ u mistrza
Pastuszkiewicza, seniora ilzyckich
garncarzy. (Zu Besuch bei Meister P->
dem Senior der Töpfer von !•)
Turysta, 1931, Nr. 4, S. 15, illustr.
222. Skurpski, Hieronim: KaflarsW0
mazurskie. (Die Herstellung v°n
Kacheln in Masuren.) Pol. Szt. In«*»
1935, Nr. 4, S. 223—243, illustr.
223. Stelmachowska, Bozena: Wsphh
czesna ceramika ludowa na Kaszu
bach. (Die zeitgenössische Bauern
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
241
keramik im Kaschubenland.) Pol.
Szt. lud., 1950, Nr. 7/12, S. 100
bis 106.
224. Trzepacz, Maria: Ornamentyka ce-
ramiki okresu wczesnosredniowiecz-
nego. (Die Ornamentik der Kera-
mik im frühen Mittelalter.) Pol. Szt.
lud., 1^52, Nr. 3, S. 163—169.
225. Zakowska, Maria: Stanislaw Ko-
siarski, garncarz ilzecki. (S. K., ein
Töpfer aus I.) Pol. Szt. lud., 1947,
Nr. 1/2, S. 20—31, illustr.
226. Zywirska, Maria: Garncarstwo Pu-
szczy Bialej. (Die Töpferei in der P.
B.) Prace i Materialy Etnograficzne,
1948/49, Bd. 7, S. 339—347, illustr.
2. Prägformen, Schnitzerei und Malerei
227. Banach, Andrzej: Nikifor-Matejko
maluje obrazy pami^tki z Krynicy.
(N. M. malt Erinnerungsbilder aus
K.) Pol. Szt. lud., 1955, Nr. 3, S. 131
bis 169, illustr.
228. Bazielich, Barbara: Ludowy ryt w
drzewie. (Volkstümliche Holz-
schnitte.) Probl., 1953, Nr. 8, S. 549
bis 551, illustr.
229. Cehak-Holubowiczowa, Helena:
Rzezba kultowa kolo wsi Garn-
carsko. (Religiöse Schnitzereien aus
dem Gebiet um G.) Archeol., 1950
bis 1951. (Gemeinsam mit Wl. Ho-
lubowicz.)
230. Dies.: Nowoodkryte znaki na rzez-
bach sl^zanskich. (Neuentdeckte
Zeichen an Schnitzereien.) In: Otchl.
Wiekow, 1952, Nr. 2.
231. Gentil-Tippenhauer, Wanda: He-
lena Roj-Kozlowska. Wspomnienie.
(Nachruf für H. R.-K.) Pol. Szt. lud.,
1955, Nr. 4, S. 251—254.
232. Ginett-Wojnarowiczowa, Jani-
na: Piernik raciborski. (Pfeffer-
kuchen aus R.) Pol. Szt. lud., 1948,
Nr. 11/12, S. 38—39.
233. Glapa, Adam: AntoniTwardowski—
nieznany rzezbiarz ludowy. (A. T. —
ein unbekannter Schnitzer aus dem
Volke.) Pol. Szt. lud., 1954, Nr. 4,
S. 252—253, illustr.
234. Grabowski, Jozef: Zespoly rzezb z
wyobrazeniem Bozego Grobu. (Ge-
schnitzte Darstellungen des Hl.
Grabes.) Pol. Szt. lud., 1948, S. 16
bis 24.
235. Ders.: Drzeworyt ludowy z Wietrzna.
(Volkstümliche Holzschnitte aus W.)
Pol. Szt. lud., 1948, Nr. 3, S. 34.
236. Ders.: Obrazy na szkle z Jelesni. (Bil-
der auf Glas aus J.) Pol. Szt. lud.,
1948, Nr. 9/10, S. 54—56.
'6 Volkskunde
237. Ders.: „Szkola kroänienska“ w rzez-
bie ludowej. (Die ,,Kr. Schule“ in
der volkstümlichen Schnitzerei.) Pol.
Szt. lud., 1948, Nr. 3, S. 16—29.
238. Ders.: Ludowa galeria obrazow.(Eine
volkstümliche Gemäldegalerie.)
Probl., 1951, Nr. 9, S. 615—622.
239. Ders.: PigknoprzydroznenaKurpiach
(kapliczki i krzyze). Kunst am Wege
in K. [Kapellen und Kreuze].) Dzi4
i Jutro, 1952, Nr. 43, S. 8, illustr.
240. Ders.: Na Podhalu znowu maluje na
szkle. (In P. wird wieder auf Glas
gemalt.) Probl., 1953, Nr. 4, S. 256
bis 262.
241. Ders.: Polskie malarstwo na szkle.
(Die polnische Malerei auf Glas.)
Widnokr§gi, 1955, Nr. 10, S. 89—95,
illustr.
242. Jackowski, Aleksander: Z proble-
matyki wspolczesnej amatorskiej
tworczosci plastycznej. (Zur Proble-
matik des gegenwärtigen Laien-
schaffens auf dem Gebiete der bil-
denden Kunst.) Pol. Szt. lud., 1955,
Nr. 5, S. 257—295, illustr.
243. Kolago, Wladyslawa: Lyznikipod-
halanskie. (Löffelbretter aus P.) Pol.
Szt. lud., 1948, Nr. 9/10, S. 11—32.
244. Kotula, Franciszek: Przydrozna
sztuka. (Kunst am Wege.) Wieä,
1947, Nr. 33.
245. Ders.: Klocek drzeworytowy z Woli
Zarczyckiej. (Ein Holzschnittklötz-
chen aus W. Z.) Pol. Szt. lud., 1949,
S. 241—243.
246. Kowalska-Lewicka, Anna: Jozef
Janos, rzezbiarz ludowy z Dgbnia.
(J. J., ein Schnitzer aus D.) Pol.
Sztuka lud., 1954, Nr. 3,S. 162—173,
illustr.
247. Müller, Wladyslaw: Spoleczne
podloze motywow janosikowych w
242
Aleksander Jackowski
sztuce ludowej. (Die gesellschaft-
lichen Grundlagen für die JänoSik-
motive in der Volkskunst.) Pol. Szt.
lud., 1951, Nr. 4/5, S. 119—123.
248. Piehkowska, Hanna: Dekoracja
malarska kosciola w Orawce. (Male-
reien in der Kirche von O.) Pol. Szt.
lud., 1953, Nr. 6, S. 335—347.
249. Pietkiewicz, Kazimierz: Malar-
stwoludowe na Podlasiu. (Volkstüm-
liche Malerei in P.) Lud, Bd. 39,
S. 550.
250. Piwocki, Ksawery: Sluga wierny
(drzeworyt ludowy z r. 1655 „Wize-
runek slugi wiernego“). (Der treue
Diener [ein volkstümlicher Holz-
schnitt aus dem Jahre 1655 „Bildnis
eines treuen Dieners“].) Biul. Hist.
Szt., Nr. 3/4, S. 114—117.
251. Przezdziecka, Maria: Nieznany
drzeworyt ludowy (z Jurkowa pow.
Pinczöw). (Ein unbekannter volks-
tümlicher Holzschnitt [aus J. Krs.
P.].) Pol. Szt. lud., 1953, Nr. 3, S. 153
bis 158.
252. Reinfuss, Roman: Przyczynek do
ikonografii obrazöw Janosikowych
na szkle malowanych. (Beitrag zur
Ikonographie der auf Glas gemalten
Jdnosikbildnisse.) Pol. Szt. lud.,
1949, Nr. 5, S. 150—155, Taf.
253. Ders.: Kursy malowania obrazöw na
szkle. (Lehrgänge für Glasmalerei.)
Pol. Sztuka lud., 1951, Nr. 1 /2, S. 60
bis 62, illustr.
254. Ders.: Malowanki scienne z Choty-
ziöw. (Wandmalereien aus Ch.) Pol.
Szt. lud., 1954, Nr. 1, S. 50—54.
255. Seweryn, Tadeusz: Ikonografia et-
nograficzna. (Ethnographische Iko-
nographie.) Lud, Bd. 38, S. 229 bis
276; Bd. 39, S. 291—354.
256. Ders.: Ikonografia etnograficzna.
(Ethnographische Bilderbeschrei-
bung.) Poznan 1952, Pol. Tow. Lu-
doznawcze, S. 291—354, illustr.
257. Ders.: Jözef Markowski, görnik wie-
licki. (J. M., ein Bergmann aus W.)
Pol. Sztuka lud., 1952, Nr. 3, S. 155
bis 162, illustr.
258. Ders.: Ludowa grafika staropolska.
(Altpolnische volkstümliche Gra-
phik.) Pol. Szt. lud., 1953, Nr. 4/5,
S. 201—244.
259. Ders.: Ludowa äwiecka rzezba monu-
mentalna. (Profane Monumental-
schnitzereien des Volkes.) Pol. Szt.
lud., 1955, Nr. 2, S. 67—99.
260. Ders.: Arcydziela zelazorytu ludo-
wego. (Meisterwerke volkstümlichen
Eisenschnittes.) Pol. Szt. lud., 1955»
Nr. 6.
261. Starek, Edyta: Twörczoäc Heleny
Roj-Kozlowskiej (malarki na szkle).
(Das Schaffen H. R.-K. [einer Glas-
malerin].) Pol. Sztuka lud., 1952,
Nr. 1, S. 29—34, 1 Taf., illustr.
262. Szewczyk, Zdzislaw: Konkurs na
malowanki d^browskie. (Ein Wett-
bewerb für D-er. Malereien.) Pol. Szt.
lud., 1948, Nr. 11/12, S. 42—46.
263. Vetulani, Cecylia: Pasl§ckie formy
piernikarskie. (Pfefferkuchenformen
aus P.) Pol. Szt. lud., 1953, Nr. i>
S. 56—58.
264. Walicki, Michal: O now^ interpre-
tacje poj§cia „Chrystusa Frasobli-
wego“. (Über eine neue Interpreta-
tion des Begriffes „Schmerzens-
mann“.) Pol. Sztuka lud., 1954»
Nr. 2, S. 100—103, illustr.
265. W^grzynowicz, Leopold: Zdobie-
nie serköw owczych. (Verzierungen
an Schafkäschen.) Pol. Szt. lud.,
1955, Nr. 1, S. 3—22, illustr.
266. Znamierowska-Prüfferowa, Ma-
ria: Rzezbiarze ludowi na Kuja-
wach. (Schnitzer aus dem Volke in
Kujawien.) Pol. Szt. lud., 1949*
Nr. 11/12, S. 337—343.
267. Dies.: Klara Prillowa — artystka lu-
dowa z Paluk. (K. P. — eine Volks-
künstlerin aus P.) Pol. Szt. lud-,
1954, Nr. 6, S. 354—374, illustr.
268. Zywirska, Maria: Zdobienie rzezba
w drewnie chaty kurpiowskiej, cz. I
szczyt. (Holzgeschnitzte Verzierun-
gen am Bauernhaus in K., Teil I -—
Giebel.) Pol. Szt. lud., 1949, Nr. 3/4»
S. 105—in.
269. Dies.: Twörczosc plastyczna görni-
köw. (Von Bergleuten geschaffene
Werke der bildenden Kunst.) P°^
Sztuka lud., 1951, Nr. 1/2, S. 43—49 »
Nr. 3, S. 76—77; Nr. 4/5, S. 134 k*s
x45> 5 Taf.
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
243
3. Scherenschnitte
27°- Chelminska-S wi^tko wska, Jad-
wiga: Wycinanka lowicka. (Sche-
renschnitte aus L.) Pr. i Mat. etnogr.
Bd. 8/9, S. 617—664, 7 Taf. Abdr.
Lublin, 1950, Pol. Tow. Ludoznaw-
cze, 54 S., 1 ungez. S., 6 Taf., Rez.:
(Pietkiewicz, Kazimierz) K.P.:
Pol. Sztuka lud., 1950, Nr. 1/6,
S. 86—87.
271. Glowa, Zofia: O tak zwanych ,,Wy-
cinankach miechowskich“. (Über die
sogenannten „M-er. Scherenschnit-
te“.) Pol. Sztuka lud., 1954, Nr. 4,
S. 251—252, illustr.
272. Grabowski, Jozef: Wycinanka lu-
dowa. (Der Scherenschnitt als Volks-
4. Textilien un
276. Bazielich, Barbara: Ludowy haft
¿l^ski. (Volkstümliche Stickerei in
Schlesien.) Pol. Szt. lud., 195;, Nr. 3,
S. 165—171.
277. Cichowicz, Wieslawa: Haft wiel-
kopolski i czepce wielkopolskie.
(Großpolnische Stickerei und groß-
polnische Häubchen.) Pol. Szt. lud.,
1949, Nr. 7/8, S. 236—240.
278. Cieöla-Reinfussowa, Zofia: Dy-
wany dwuosnowowe braci Sklada-
nowskich z Wyszkowa. (Doppelket-
tenteppiche der Gebrüder S. aus W.)
Pol. Szt. lud., 1954, Nr. 1, S. 36—49.
279. Frankowski, Eugeniusz: Hafty
kurpiowskie. (Stickerei aus Kurpie.)
Pol. Szt. lud., 1953, Nr. 6, S. 382
bis 383, illustr.
280. Ders.: Zlotoglowie kaszubskie. (Gold-
bestickte kaschubische Hauben.) Pol.
Szt. lud., 1954, Nr. 3, S. 148—161,
illustr.
281. Glapa, Adam: Wielkopolski haft
snutkowy. (Großpolnische Ketten-
scherenstickerei.) Pol. Szt. lud.,
1955, Nr. 4, S. 193—205, illustr.,
1 Karte.
282. Greniuk, Piotr: Druki ludowe na
plötnie w poludniowej Lubelszczyz-
nie. (V olkstümlicher Leinwand-
druck im südlichen Lubliner Gebiet.)
Pol. Szt. lud., 1949, Nr. 9/10, S. 268
bis 285.
kunst.) Warszawa 1955. Rez.: Jaz.
SL, Tyg., 1955, Nr. 38, S. 3, illustr.
273. Pietkiewicz, Kazimierz: Wyci-
nanki ludowe z okolic Swidra pod
Warszawq. (Scherenschnitte aus der
Gegend von S. bei W.) Lud, Bd. 39,
1952, S. 550.
274. Wojciechowski, Aleksander: Te-
matyka spoleczna i polityczna w
wycinance lowickiej. (Gesellschaft-
liche und politische Themen in
Scherenschnitten aus L.) Pol. Szt.
lud., 1949, Nr. 11/12.
275. Ders.: Wycinanka sannicka. (Der
Scherenschnitt von S.) Pol. Szt. lud.,
1953, Nr. 3, S. 142—148.
Flechtarbeiten
283. Kaczorowska, Blanka: Welniany
pasiak opoczyñski. (Gestreifte Woll-
stoffe aus O.) Pol. Szt. lud., 1952,
Nr. i, S. 23—28, illustr.
284. Kotula, Franciszek: Lancucki o-
árodek tkacki w XVII i XVIII wieku.
(Das Webereizentrum von L. im
17. und 18. Jahrhundert.) Kwart.
HKM, 1954, Nr. 4, S. 664—675,
illustr.
285. Krajewska, Janina: Plecionki ze
slomy. (Flechtarbeiten aus Stroh.)
Pr. Mat. etnogr., 1950—51, S. 673
bis 680.
286. Malicki, Longin: Drukowanie pió-
cien na Slqsku. (Bedrucken von
Leinwand in Schlesien.) Lud., Bd.41,
1954, S. 613—625, illustr.
287. Mulkiewicz, Olga: Parzenice gor-
czanskie.(,,Parzenice“ [eine Art Stik-
kerei an den Hosen der Goralen] aus
G.) Illustr. Dobieslaw Wal-
kno wski. Pol. Szt. lud., 1955, Nr.4,
S. 217—222.
288. Nahlik, Adam: Tkaniny gdañskie
pod wzglçdcm technicznym i arty-
stycznym. (Danziger Gewebe vom
technischen und künstlerischen
Standpunkt aus gesehen.) Pol. Szt.
lud., 1952, Nr. 2, S. 77—86, illustr.
(Na podstawie materialu wykopali-
skowego.) (Auf der Grundlage von
Ausgrabungsmaterial.)
16*
244
Aleksander Jackowski
289. Pietkiewicz, Kazimierz: „Szma-
ciaki“ mazurskie. (Masurische
„Szmaciaki“ [eine Gewebeart].) Pol.
Szt. lud., 1951, Nr. 4/5, S. 131 —133.
290. Plutynska, Eleonora: Podwójne
tkaniny, „dywany“ ziemi bialo-
stockiej i sokólskiej. (Doppelte Ge-
webe, „dywany“ aus den Gebieten
B. und S.) Problemy, 1950, Nr. 5,
S. 305—307.
291. Reinfuss, Roman: Wplywfarbiarzy
drukujqcych plotna na ludowe haf-
ciarstwo. (Der Einfluß der Blau-
drucker auf die Stickerei des Volkes.)
Pol. Szt. lud., 1948, Nr. ix/12, S. 40
bis 41, illustr.
292. Ders.: Welniane torby góralskie.
(Wollene Taschen der Goralen.) Pol.
Szt. lud., 1949, Nr. 3/4, S. 112—118.
293. Ders.: Ludowe motywy w wyrobach
dzianych. (Volkstümliche Motive in
Strickarbeiten.) Pol. Sztuka lud.,
1951, Nr. 1/2, S. 64, illustr.
294. Ders.: Polskie druki ludowe na plót-
nie. (Volkstümliche Leinwanddrucke
aus Polen.) Warszawa 1953 Pan-
stwowy InstytutWydawniczy. 256 S.,
4 ungez. S., darunter 16 Taf., 1 Karte,
illustr.
295. Ders.: Przyczynki do badan nad lu-
dowym farbiarstwem i drukar-
stwem tkanin w woj. bialostockim.
(Beiträge zur volkstümlichen Fär-
berei und zur Stoffdruckerei in der
Woj. B.) Pol. Sztuka lud., 1954,
Nr. 5, S. 315—317, illustr.
296. Staniewiczowa, Maria: Pokonkur-
sowy pokaz haftów sieradzkich.
(Ausstellung zu einem Wettbewerb
5. Kunsthandwerk
305. Ch§tnik, Adam: Przemysl i sztuka
bursztyniarska nad Narwi^. (Der
Bernstein in Industrie und Kunst-
handwerk am Narew) Lud, Bd. 39,
S. 355—415, illustr.
306. Cieéla-Reinfussowa, Zofia: Ba-
dania zdobnictwa ludowego w Kra-
kowskim, na Góralszczyznie i Dol-
nym Sl^sku. (Erforschung der volks-
kundlichen Ornamentik im Gebiet
von Krakau, bei den Goralen und in
von Stickereien aus S.) Pol. Szt. lud.,
1952, Nr. 3, S. 181.
297. Starek, Edyta: Parzenice spiskie.
(„Parzenice“ [Verzierungen an den
Goralenhosen] aus der Zips.) Pol.
Sztuka lud., 1952, Nr. 3, S. 175—180,
illustr.
298. Staronkowa, Zofia: Wskazowki do
badania tkanin ludowych. (Hinweise
für die Erforschung von volkstüm-
lichen Geweben.) Pol. Sztuka lud.,
1950, Nr. 1/2, S. 62—69.
299. Dies.: Kanafasy göralskie. (Gestreifte
Stoffe „Kanafasy“ bei den Goralen.)
Pol. Sztuka lud., 1950, Nr. 7/12,
S. 122—125, illustr.
300. Dies.: Technika tkania dywanöw
dwuosnowowych. (Technik der
Doppelkettenteppichweberei.) Pol-
Szt. lud., 1955, Nr. 4, S. 206—216,
illustr.
301. Stelmachowska, Bozena: Namar-
ginesie dyskusji о hafeie kaszubskim-
(Zur Diskussion über die kaschu-
bische Stickerei.) Pol. Szt. lud., 1955»
Nr. 3, S. 170—172.
302. Vydra, Jôzef: Nieprzemakalnoéc tka-
ninludowych. (Wasserundurchlässig-
keit bei Trachtenstoffen.) Pol. Sztuka
lud., 1950, Nr. 1/6, S. 70—73, illustr.
303. Wojciechowski, Aleksander:
Dwuosnowowe tkaniny bialostockie-
(Doppelkettengewebe aus B.) Pol-
Sztuka lud., 1950, Nr. 7/12, S. 107
bis 121, illustr.
304. Zywirska, Maria: Hafty kurpiow-
skie Puszczy Bialej. (Stickereien aus
Kurpie [Puszcza Biala].) Pol. Szt.
lud., 1948, S. 25—34.
und Kunstgewerbe
Niederschlesien.) Pol. Szt. lud., 1947»
Nr. 1 /2.
307. Gentil-Tippenhauer, Wanda: An-
drzej Opacian-Kubin. Pol. Szt. lud.,
1955, Nr. 6.
308. Reinfuss, Roman: Polskie ludoWe
kowalstwo artystyczne. (Das polni-
sche Kunstschmiedehandwerk.) P°l-
Szt. lud., 1953, Nr. 6, S. 348—376-
309. Wojciechowski, Aleksander: Za-
gadnienie rzemiosla i przemyslu ar-
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
245
tystycznego na tle stosunku do
dziedzictwa polskiej sztuki ludowej.
(Das Problem des Kunsthandwerks
und -gewerbes und sein Verhältnis
zum polnischen Volkskunsterbe.)
Pol. Sztuka lud., 1951, Nr. 4/5, S. 99
bis 117, 1 ungez. S., illustr.
310. Ders.: Metody pracy zespolowej w
polskim przemysle artystycznym.
(Methoden der kollektiven Arbeit
im polnischen Kunstgewerbe.) Pol.
Sztuka lud., 1952, Nr. 4/5, S. 205
bis 211, illustr.
311. Ders.: Przemysl wlo^cianski w Krö-
lestwie Polskim (Ankieta z 1885 r.).
(Das dörfliche Gewerbe im König-
reich Polen. [Eine Umfrage vom
Jahre 1885].) Pol. Sztuka lud., 1952,
Nr. 4/5, S. 257—262.
312. Ders.: Elementy sztuki ludowej w pol-
skim przemyäle artystycznym XIX i
XX wieku. (Elemente der Volkskunst
im polnischen Kunstgewerbe des
19. und 20. Jahrhunderts.) Wroclaw
1953, Zakl. Narod im. Ossolihskich.
108 S., 2 ungez. S., 96 Taf.
E. Volkstracht
313. Bronicz, Stanislaw: Stroj pszczyn-
ski. (Die Tracht von Psz.) Wroclaw
1954, Pol. Tow. Ludoznawcze. 80 S.,
2 Taf., illustr. Atlas Polskich Strojöw
Ludowych. Cz. 3: Sl^sk, z. 2. (Atlas
der polnischen Volkstrachten. Teil 3,
Schlesien, H. 2.)
314. Cholewa, Mieczyslaw Czcibor:
Stroje ludowe ziemi s^deckiej. Roz-
wöj stroju ludowego i jego zasi§gi
terytorialne. (Die Volkstrachten des
Gebietes S. Die Entwicklung der
Volkstracht und ihr Verbreitungs-
gebiet.) Lud, Bd. 34, 1946, S. 256
bis 279, illustr.
315. Cichowicz, Wieslawa: Wielko-
polskie czepki oczepinowe. (Hauben
aus Großpolen [Ocz.].) Pol. Szt. lud.,
1951, Nr. 6, S. 177—179.
316. Czasznicka, Zofia: Zdobione gor-
sety ludowe. (Verzierte Mieder in
der Volkstracht.) Pol. Szt. lud., 1953,
Nr. 3, S. 139—164, illustr.
317. Dekowski, Jan Piotr: Stroj piotr-
kowski. (Die Tracht von P.) Wroc-
law 1954, Pol. Tow. Ludoznawcze,
87 S., 3 ungez. S., 3 Taf., illustr.
Karten. Atlas Polskich Strojöw Lu-
dowych. Cz 4: Mazowsze i Sieradz-
kie, z. 3. (Atlas der polnischen
Volkstrachten, T. 4, M. und S.,
H.3.)
318. Dobrowolska, Agnieszka: Stroj
Jacköw jablonkowskich. (Die Tracht
der J. von Jabl.) Lublin 1947, 36 S.,
1 ungez. S., 1 Taf., 33 Illustr., Prace
i Materialy Etnograficzne, 1948/49,
Bd. 7.
319. Dies.: Ikonografia ludowej odziezy
zachodnio-slowianskiej. (Bildbe-
schreibungen westslawischer Volks-
trachten.) Pam. slow., Bd. 2, S. 33
bis 60, 7 Taf., 1 Karte.
320. Dies.: Stroj pyrzycki. Atlas Polskich
Strojöw Ludowych. (Die Tracht von
P.; Atlas der polnischen Volks-
trachten.) Wroclaw 1953, Polskie
Towarzystwo Ludoznawcze, 39 S.,
24 Zeichn., 2 Karten. Pomorze (Ost-
seegebiet).
321. Dies.: Stroj z Jamna pod Koszalinem.
(Tracht aus J. bei K.) Pol. Szt. lud.,
1933, Nr. 1, S. 52—39, illustr.
322. Gajek, Jözef: Metodyka monogra-
ficznego opracowywania strojöw lu-
dowych. (Methodik einer monogra-
phischen Bearbeitung von Volks-
trachten.) Lud, Bd. 41, 1934, S. 707
bis 803.
323. Glapa, Adam: Stroj szamotulski.
(Die Tracht von Sz.) Lublin 1951,
Pol. Tow. Ludoznawcze, 52 S.,
2 Taf., illustr. Atlas Polskich Strojöw
Ludowych. Cz. 2 Wielkopolska, z. 1.
(Atlas der polnischen Volkstrachten,
T. 2, Großpolen, H. 1.)
324. Ders.: Stroj dzierzacki. (Die Tracht
von Dz.) Poznan, 1933, Pol. Tow.
Ludoznawcze przy wspoludziale
Paöstwowego Instytutu Sztuki, 68 S.,
2 Taf., Karten, illustr. Atlas Polskich
StrojöwLudowych. Cz. 2: Wielkopol-
ska. z. 2. (Atlas der polnischen Volks-
trachten, T. 2: Großpolen, H. 2.)
323. Ders.: Ubiory chlopskie w ksi§gach
cechowych krawcöw. (Bauerntrach-
246
Aleksander Jackowski
ten in den Zunftbüchern der Schnei-
der.) Lud, Bd. 41, 1954, T. 1, S. 639
bis 646; T. 2, S. 1328—1329, 1396.
326. Janikowska, Eleonora: Stare gor-
sety krakowskie. (Alte Krakauer
Mieder.) Pol. Sztuka lud., 1951,
Nr. 1/2, S. 37—42, illustr.
327. Kaczorowska, Blanka: Pokaz za-
paski ludowej w Piotrkowie Try-
bunalskim. (Ausstellung von Trach-
tenschürzen in P. T.) Pol. Sztuka
lud., 1950, Nr. 1—6, S. 79—82, illustr.
328. Dies.: Welniany pasiak opoczynski.
(Gestreifte Wollstoffe aus O.) Pol.
Sztuka lud., 1952, Nr. 1, S. 23—28,
2 Taf., illustr.
329. Kolago, Wladyslawa: Z badan nad
strojem w powiecie b§dzinskim. (Zu
den Forschungen über die Tracht im
Kreise B.) Pol. Szt. lud., 1948, S. 36
bis 37.
330. Dies.: Ströj kolbielski (Pow. Minsk
Mazow). (Tracht von K. [Krs. M.
M.].) Pol. Szt. lud., 1949, Nr. 9/10,
S. 286—288, illustr.
331. Kotula, Franciszek: Ströj rzeszow-
ski. Atlas Polskich Strojow Ludo-
wyeh. Cz. V. Malopolska. (Tracht
von Rz., Atlas der polnischen Volks-
trachten, T. 5, Kleinpolen.) Lublin
1951. Polskie Towarzystwo Ludo-
znaweze. 45 S., 33 Zeichn., 4 Taf.,
1 Karte.
332. Ders.: Stroje ludowe w woj. rzeszow-
skim. (Volkstrachten in der Woj.
Rz.) Now. Tyg., 1952, Nr. 51.
333. Ders.: Z badan nad strojem ludowym
Rzeszowiaköw. (Zu den Forschun-
gen über die Volkstracht von Rz.)
Pol. Sztuka lud., 1952, Nr. 4/5,
S. 212—226, illustr.
334. Ders.: Poszukiwaniemetryk dla stroju
ludowego. (Auf der Suche nach
Maßen für Volkstrachten.) Rzeszöw
1954, 70 S., illustr. Muzeum w
Rzeszowie (Museum in Rz.).
333. Manugiewicz, Jan Zolna: Polski
stroj ludowy. (Die polnische Volks-
tracht.) Wiedza i Zycie, 1951, Nr. 11,
S. 930—950.
336. Milulowska, Halina: Stroj kujaw-
ski. (Die Tracht von Kujawien.)
Poznan 1953, Pol. Tow. Ludoznaw-
cze przy wspöludziale Paiistw. In-
stytutu Sztuki, 63 S., 2 ungez. S.,
2 Taf., illustr., Karten. Atlas Pols-
kich Strojow Ludowych. Cz. 2:
Wielkopolska z. 3. (Atlas der polni-
schen Volkstrachten, T. 2: Groß-
polen, H. 3.)
337. Piotrowski, Stanislaw: Wspöl-
czesne zagadnienie stroju ludowego.
(Gegenwärtige Probleme der Volks-
tracht.) Pol. Szt. lud., 1954, Nr. x,
S. 3—13. _ , .
338. Reinfuss, Roman: Stroje görall
szczawnickich. (Trachten der Gora-
len von Szcz.) Lublin 1949, Pol.
Tow. Ludoznawcze, 39 S., 1 un-
gez. S., 6 Taf. Atlas Polskich Strojow
Ludowych. Cz. 3 Malopolska, z. 18.
(Atlas der polnischen Volkstrachten.
T. 3, Kleinpolen, H. 18.)
339. Ders.: Wytwörcy ludowych ubioro'W
w Karpatach polskich. (Schöpfervon
Volkstrachten in den polnischen
Karpaten.) Pol. Sztuka lud., 1951»
Nr. 1/2, S. 19—33, illustr.
340. Ders.: Xnstrukcja w sprawie materialu
ilustracyjnego dla ,,Atlasu strojöw
ludowych“. (Mitteilung über das
Illustrationsmaterial für den „Atlas
der Volkstrachten“.) Lud, Bd. 41»
1954, T. 1, 806—807.
341. Rosen-Przeworska, Janina: 2
zagadnien renesansowego ubioru
ludowego. (Zu ProblemenderVolks-
kleidung in der Renaissance.) Pol-
Szt. lud., 1933, Nr. 4/5, S. 257 — 280.
342. Dies.: Ubiory ludowe. (Die Volks-
trachten.) Warszawa 1954, WydaW'
nietwo Zwi^zkowe CRZZ. 109 S.,
2 ungez. S., Rez.: Seweryn, Ta-
deusz, Pol. Szt. lud., 1954, Nr. 4>
S. 234—255.
343. Dies.: O ubiorze chlopskim od XIB
wieku do Renesansu. (Über die
Tracht der Bauern vom XIII. Jahr-
hundert bis zur Renaissance.) P°^
Sztuka lud., 1954, Nr. 2, S. 79—99»
illustr.
344. Dies.: Ubiör na ziemiach polskich
okresie wczesnego äredniowiecza*
(Die Tracht in den polnischen Län-
dern des frühen Mittelalters.) P°^
Szt. lud., 1954, Nr. 1, S. 14—35.
345. Seweryn, Tadeusz: Ströj dolflO'
¿l^ski. Pogörze. (Die niederschlesi-
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
247
sehe Tracht, Gebirge.) Lublin 1950,
Pol. Tow. Ludoznawcze, 35 S., 1 un-
gez. S., 2 Taf., x Karte. Atlas Pols-
kich Strojöw Ludowych. Cz. 3 Sl^sk,
z. 9. (Atlas der polnischen Volks-
trachten, T. 3, Schlesien, Heft 9.)
Rez.: Wierchy 1950—1951, S. 285
bis 286.
346. Starek, Edyta: Ströj spiski. (Die
Tracht der Zips.) Poznan 1954,
Polskie Tow. Ludoznawcze przy
wspoludziale Panstw. Instytutu
Sztuki. 73 S., 1 ungez. S., 3 Taf.,
2 Karten, illustr. Atlas Polskich
Strojöw Ludowych. Cz. 5: Malo-
polska. z. 15. (Atlas der polnischen
Volkstrachten, T. 5: Kleinpolen,
H. 15.)
347. Swi^tkowska, Jadwiga: Ströj lo-
wicki. (Die Tracht von L.) Poznan
1953, Pol. Tow. Ludoznawcze przy
wspoludziale Panstw. Instytutu
Sztuki. 64 S., 4 Taf., illustr., Karten.
Atlas polskich Strojöw Ludowych.
Cz. 4: Mazowsze i Sieradzkie z. 2.
(Atlas der polnischen Volkstrachten.
T. 4: Masowien und S., H. 2.)
348. S wiezy, Janusz: Ströj krzezonowski.
(Die Tracht von Krzcz.) Poznan
1952, Pol.Tow.Ludoznawcze, 47S.,
1 ungez. S., 3 Taf., illustr. Atlas
Polskich Strojöw Ludowych. Cz. 5
Malopolska. z. 7. (Atlas der polni-
F. Brauch, C
335. Cichon, Jan: Tradycje zniwne ludu
opolskiego. (Erntebrauchtraditionen
des Volkes umO.) Glosy znadOdry,
1954, Nr. 24, S. 1.
336. Cieöla-Reinfussowa, Zofia: O
weiqz zywej szopee krakowskiej.
(Über die noch immer lebendige
Krakauer Krippe.) Teatr. lud., 1947,
Nr. 3/4, S. 159—163.
337. Dekowski, Jan Piotr: „Klora“
wrözby z plon^cych kulek lnianych.
(,,K“. Prophezeiungen aus bren-
nenden Flachskugeln.) Pr. Mat. etno-
graf., 1947, S. 204.
338. Ders.: Swi§ty Jan. (Der hl. Johan-
nes.) Pr. Mat. etnograf., 1947, S. 206
bis 208. (Opis zwyczajöw zwi^zanych
z äw. Janem.) (Beschreibung von
sehen Volkstrachten, T. 5, Klein-
polen, H. 7.)
349. Ders.: Stroje ludowe Lubelszczyzny.
(W ogölnym zarysie.) (Volkstrachten
im Gebiet von Lublin [allgemeiner
Grundriß].) Warszawa 1934, Wy-
dawnietwo „Sztuka“, 53 S., 3 un-
gez. S., illustr., 2 Taf.
350. Szewczyk, Zdzislaw: WysZ3rwane
pantofle göralskie. (Gestickte Pan-
toffeln bei den Goralen.) Pol. Szt.
lud., 1948, Nr. 11/12, S. 37, illustr.
351. Ders.: Materialy do stroju m§skiego
görali ochotnickich. (Materialien zur
Männertracht bei denGoralen). Pracy
i Materialy Etnograficzne, Bd. 10,
1932/33, H. 1, S. 38—77, m. Zeichn.
332. Zaremba, Jan Al.: Zapaska äwi§to-
krzyska. (Eine Schürze aus S.) Pa-
mi§tnik Kielecki. Red.: J. Nowak-
Dluzewski. Kielce 1947, S. 216
bis 222.
353. Zywirska, Maria: Tiulowe czepce
kurpiowskie. (Tüllhäubchen aus K.)
Pol. Szt. lud., 1948, Nr. 9/10, S. 44
bis 53, illustr.
334. Dies.: Ströj kurpiowski Puszczy Bia-
lej. (Die Tracht von K. [P. B.].)
Atlas Polskich Strojöw Ludowych.
Mazowsze i Sieradzkie. (Atlas der
polnischen Volkstrachten. M. u. S.)
Poznan 1952, Polskie Towarzystwo
Ludoznawcze, 54 S., 35 Zeichn.,
7 Taf.
aube, Recht
Bräuchen, die mit dem hl. J. ver-
knüpft sind.)
339. Ders.: Przyczynek do wierzen i prak-
tyk magicznych w wieku XVIII.
(Beitrag zur Erforschung magischer
Glaubensvorstellungen und Prak-
tiken im 18. Jahrhundert.) Pr. Mat.
etnograf., 1947, S. 304.
360. Ders.: Zwyczaje weselne w powiecie
opoczynskim. (Hochzeitsbräuche im
Kreis O.) Pr. Mat. etnograf.,
1948/49, S. 21X—300.
361. Delekta, Jacek: Materialy do wie-
rzen i praktyk magicznych na Po-
morzu. (Materialien zu magischen
Glaubensvorstellungen und Prakti-
ken im polnischen Ostseegebiet.) Pr.
Mat. etnograf., 1947, S. 200—201.
248
Aleksander Jackowski
362. Flizak, Sebastian: Ograbek. (Uro-
czystosc dozynkowa na goralszczy-
znie nadrabskiej u Zagorzan.) (Der
O. [Ein Erntefest bei den Goralen
aus der Gegend von Z.].) Pr. Mat.
entograf., 1947, S. 201—203.
363. Gladysz, Mieczyslaw: Kraszanki
¿l^skie. (Schlesische Ostereier.) Swiat
i Zycie, 1951, Nr. 12.
364. Gladyszewa, M.: Ludowa wiedza
o gwiazdach. (Volkswissen über
Sterne.) Spraw. PAU, 1952, Nr. 4,
S. 230—232.
365. Grabowski, Jözef: Swi^tki kur-
piowskie. (Feste in K.) Dzi6 i Jutro,
1954, Nr. 1, S. 6.
366. Guttöwna, Teresa: Obrz^dy, wie-
rzenia, zwyczaje i przes^dy w&rod
rybaköw Polskiego Wybrzeza.
(Brauchtu m, Glaubens vor Stellungen,
Sitten und Aberglaube bei den Fi-
schern im polnischen Ostseegebiet.)
Pr. i. Mat. etnograf., Bd. 8/9, S. 462
bis 482.
367. Halban, L(eon): Znaczenie zwycza-
jow prawnych i ich badanie. (Die
Bedeutung der Rechtsbräuche und
ihre Erforschung.) Lud, Bd. 39,
S. 148—180.
368. Karwat, Edward: O „Katalogu ma-
gii“ Rudolfa z Rud Raciborskich.
(Über den „Katalog der Magie“ des
Rudolf von R. R.) Dawna Kult.,
1954, Nr. 2, S. 81—85, illustr.
369. Kotula, Franciszek: TeatralnosSc
zwyczajöw i obrzgdöw (Z Puszczy
Sandomierskiej.) (Der theatralische
Charakter der Sitten und Bräuche
[in der P. S.].) Pol. Sztukalud., 1952,
Nr. 6, S. 335—343, illustr.
370. Kozaköwna,Jadwiga,Szymczak,
Mieczyslaw: Obrzgdy weselne we
wsi Czechy pow. Sieradz (oraz teksty
piosenek). (Hochzeitsbräuche im
Dorfe Cz., Kreis S. [mit Liedertex-
ten].)Pr. polonist., Ser. XI,S. 35—68.
371. Oleszczuk, Aleksander: Ludowe
obrz^dyw eselne na Podlasiu. (Hoch-
zeitsbräuche des Volkes in P.) Lub-
lin 1951, Pol. Tow. Ludoznawcze,
S. 208. (Z melodiami niektörych
pieöniraz o bibliogr.) (Mit den Me-
lodien einiger Lieder sowie einer
Bibliographie.)
372. Reinfuss, Roman: Architektura
szopki krakowskiej. (Die Architek-
tur der Krakauer Krippe.) Pol. Szt.
lud., 1948, Nr. 11/12, S. 8—26.
373. Ders.: Szopka z Sieteszy w pow.
przeworskim. (Eine Krippe aus S.
im Kreise Prz.) Pol. Szt. lud., 1949»
Nr. 11/12.
374. S^gajllo-Kaczanowska, Maria:
Znaczenie ornamentu i techniki zdo-
bienia w pisankach. (Die Bedeutung
des Ornaments und der Verzierungs-
technik bei Ostereiern.) Pol. Szt. lud.,
1948, Nr. 3, S. 6—8, Zeichn.
375. Seweryn, Tadeusz: Polskie zabawki
ludowe. (Volkstümliches Spielzeug
in Polen.) Pol. Szt. lud., 1949, Nr. 6,
S. 163—179.
376. Ders.: Niszczenie dziel sztuki wyni-
kiem zabiegow magicznych. (Ver-
nichtung von Kunstwerken als Er-
gebnis von Zauberhandlungen.) Pol.
Szt. lud., 1953, Nr. 3, S. 149 — 152.
377. Sukertowa-Bierdawina, Emilia:
Wesele Mazurskie. (Die masurische
Hochzeit.) Prz. zach., 1951, Nr. 3/4»
S. 634—636.
378. Szubertowa, Maria: Obrzgdy i zwy*
czaje zwi^zane z narodzinami dziecka.
(Sitten und Gebräuche, die mit der
Geburt eines Kindes verbunden sind.)
Pr. i. Mat. etnograf., Bd. 8/9, S. 597
bis 616.
379. Dies.: Dary i äwiadczenia obrzgdowe.
(Brauchtümliche Geschenke und
Dienstleistungen.) Pr. Mat. etno-
graf., 1951, S. 581—596.
380. Wozniak, Maria: Jamnenski obyczaj
weselny. Z dziejow Pomorza Za-
chodniego. (Ein Hochzeitsbrauch
aus J. Zur Geschichte des westpolni-
sehen Ostseegebietes.) Zycie i Kult.»
1955, Nr. 39, S. 1.
381. Zawistowicz-Adamska, Kazi'
miera: Obrz§dy weselne. (Hoch-
zeitsbräuche.) Lodz Teatralna,
1948/49, Nr. 3.
382. Znamierowska-Prüfferowa.
ria: Przyczynek do magii i wierzeB
rybakow. (Beitrag zur Magie und zu
den Glaubensvorstellungen der Fi-
scher.) Pr. i. Mat. etnogr., i947>
S. 1—37.
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
249
G. Volkslied, Volks
383. Dygacz, Adolf: Zagadnienie badah
nad folklorem i kultur^ muzyczn^
Sl^ska. (Probleme der Erforschung
der Folklore und musikalischen Kul-
tur Schlesiens.) Sl4.sk liter., 1953,
Nr. 6/7, S. 220—222.
384. Sobieska, Jadwiga: Chlonnoöö mu-
zyczna naszego ludu. (Das musikali-
sche Aufnahmevermögen unseres
tanz und Volksmusik
Volkes.) Pol. Szt. lud., 1949, Nr. 7/8,
S. 226—231.
385. Wo zaczynska, Antonia: Stanbadan
w zakresie etnografii muzycznej w
Polsce. (Forschungsstand auf dem
Gebiete der musikalischen Volks-
kunde in Polen.) Lud, Bd. 37, 1947,
S. 466—470.
1. Volkslieder
386. Batko, Walerian: U zródel pieéni
ludowej. (An den Quellen des Volks-
liedes.) Wiedza i Zycie, 1946, Nr. 6,
S. 604—612.
387. Brzozowska,Urszula: Pieéni i tance
kujawskie. (Lieder und Tänze aus
K.) Krakow 1950.
388. ChorosiAski, Jan: Zycie i walka
ludu ziemi kieleckiej w pieéni. (Le-
ben und Kampf des Volkes aus dem
Gebiet von K. im Liede.) Pol. Sztuka
lud., 1952, Nr. 6, S. 301—315, illustr.
389. Ders.: Pieéni pracy ludu kieleckiego.
Zebral i oprac. (Arbeitslieder des
Volkes aus der Gegend von Kielce.
Gesamm. und bearb.) Krakow 1955,
Pol. Wydawn. Muzyczne, 281 S.,
1 ungez. S., illustr.
390. Chybiüski, Adolf: O potrzebach
polskiej etnografii muzycznej. (Zu
den Nöten der polnischen Musik-
folklore.) Pol. Szt. lud., 1947, Nr. 1/2,
S. 16—19; 1948, Nr. 1, S. 6—8.
391. Dubiel, Ludwik: Zbójnicy él^scy w
tradycji i pieéni ludowej. (Die schle-
sischen Räuber in der Überlieferung
und im Volkslied.) Swiat i Zycie,
1955, Nr. 21.
392. Dygacz, Adolf: Szlakiem opolskiej
pieéni. (Auf der Spur des Oppelner
Liedes.) Slqsk liter., 1952, Nr. 3/4,
S. 1x7—122.
393. Ders.: Pieéni górnicze na Sl^sku.
Szkice folklorystyczne. (Bergmanns-
lieder aus Schlesien. Folkloristische
Skizzen.) Sl^sk. liter., 1953, Nr. 8.
394. Ders.: Z Droniowic do Kosz§cina.
O él^skiej pieéni panszczyznianej.
(Von D. bis K. Zum Liede der schle-
sischen Leibeigenen.) Sl^sk liter.,
1953, Nr. 6/7, S. 140—157.
395. Ders., Lig§za, Jözef: Pieäni lu-
dowe Sl^ska Opolskiego. Wybrali i
oprac. (Volkslieder des Oppelner
Schlesiens. Ausgew. und bearb.)
Krakow 1954, Polskie Wydawnictwo
Muzyczne, 157 S., 1 ungez. S.,
1 Karte, illustr.
396. Fr^czkiewicz, Aleksander: Pieöni
ludowe okr§gu krakowskiego.
(Volkslieder aus der Krakauer Ge-
gend.) Por. muz., 1951, Nr. 7/8,
S. 6—9.
397. G§bik, Wladyslaw: Folklor muzycz-
ny regionu warminsko-mazur-
skiego. (Die musikalische Folklore in
Masurenu. Ermland.) Muzyka, 1931,
Nr. 3—4, S. 37—43 (Polem.).
398. Ders.: Piesni ludowe Mazur i Warmii.
Zestawil na podstawie materialöw
zebranych przez Olsztynskq, Grup§
Regionaln^ Akcji Zbierania Folk-
loru Muzycznego Panstw. Xnstytut
Sztuki. (Volkslieder aus M. und E.
Auf Grund von Materialien zusam-
mengestellt, die von der örtlichen
Allensteiner Gruppe der Aktion zur
Sammlung der mus. Folklore des
Staatlichen Kunstinstituts gesammelt
wurden.) Olsztyn, i953> Wydzial
Kultury Prez. Woj. Rady Narod.
131 S., 1 ungez. S., illustr.
399. German, Franciszek: Pieäfi ludowa
w zyciu Adama Mickiewicza. (Das
Volkslied im Leben A. M-s.) Pol.
Szt. lud., 1933, Nr. 3, S. 296—312.
400. (Jackowski, Aleksander) A. J.:
Zbieramy folklor muzyczny. (Wir
250
Aleksander Jackowski
sammeln die musikalische Folklore.)
Muzyka, 1950, Nr. 2, S. 29—49.
401. Ligçza, Józef: Muzyczny folklor
Sl^ska. (Die musikalische Folklore
Schlesiens.) Muzyka, 1951, Nr. 12,
S. 39—42.
402. Ders. : Kilka uwag o muzycznym folk-
lorze górniczym. (Einige Betrach-
tungen zur musikalischen Berg-
mannsfolklore.) Pol. Szt. lud., 1952,
Nr. 3, S. 131—133.
403. Majchrzak, Józef: Dolnoél^skie
pieéni ludowe. Zebra! i oprac. (Nie-
derschlesische Volkslieder. Gesam-
melt und bearb.) Wroclaw 1955,
Wydzial Kultury Prez. Woj. Rady
Narod. i Rozglosnia Wrocl. Pol.
Radia., 67 S.
404. Nowowiejski, F. und M.: Feliks
N ow o w i e j s k i i folklor warminsko-
mazurski. (F. N. und die e.-m. Folk-
lore.) Muzyka, 1951,Nr. 8,S. 52 — 53.
405. Piesni ludowe Warmii i Mazur. Wybral
i opracowal Marian Sobieski,
tahce opracowala Maria Sobo-
lewska. (Volkslieder aus E. und M.
Ausgewählt und bearbeitet von
M. S., die Tänze bearbeitete M. S.)
Krakow 1955, Polskie Wydawnictwo
Muzyczne. Panstwowy Instytut
Sztuki. 235 S.
406. Pozniak, Wlodzimierz: Akcja
zbierania folkloru muzycznego na
Podkarpaciu. (Die Aktion zur Samm-
lung von Erscheinungsformen der
musikalischen Folklore im Karpa-
tengebiet.) Wierchy, Jg. 23, 1954,
S. 219—224, illustr.
407. Ders.: Piosenkiz Krakowskiego. (Lie-
der aus der Gegend von K.) Podal.
Krakow 1955, Polskie Wydawnictwo
Muzyczne, 51 S., 4 ungez. S.
408. Ders.: Piosenki z Zywieckiego. (Lie-
der aus der Gegend von Z.) Krakow
1955, Polskie Wydawnictwo Muzycz-
ne. 40 S., 2 ungez. S., Nuty i teksty
piosenek ludowych. (Noten und
Texte von Volksliedern.)
409. Przyboé, Julian: Jabloneczka. Anto-
logia polskiej pieéni ludowej. (Das
Apfelbäumchen. Eine Anthologie
des polnischen Volksliedes.) War-
szawa 1953. Rez.: Blonska, Ma-
ria: Na marginesie . . . (Randbemer-
kungen über . . .). Pol. Szt. lud.,
1955, Nr. 3, S. 172—178, Taf.
410. Sadownik, Jan: Pieäni ludowe z
obszaru widel Wisly i Sanu (powiaty:
kolbuszowski, lancucki, niski, rze-
szowski, tarnobrzeski i pobrzeza).
(Volkslieder aus dem Mündungs-
dreieck Weichsel-San. [Kreise K.,
L., Rz.,T., P.].) Pol. Szt. lud., 1952,
Nr. 4/5, S. 227—251.
41 x. Sliwinska, A.: Lowiectwo w pieäni
ludowej. (Die Jägerei im Volkslied.)
Lowiec pol., 1952, Nr. 3, S. 19.
412. Sobieska, J ad wiga: Folklor muzycz-
ny w Rzeszowskim i Lubelskim.
(Z akcji zbierania folkloru muzycz-
nego w Polsce.) (Die musikalische
Folklore im Gebiet von Rz. und L.
[Zur Aktion zur Sammlung von Er-
scheinungsformen der musikalischen
Folklore].) Muzyka, 1951, Nr. 5/6,
S. 29—46.
413. Dies.: Piosenki z Wielkopolski. (Lie-
der aus Großpolen.) Krakow 1955»
Polskie Wydawnictwo Muzyczne.
414. Dies.: Piosenkiz ziemilubuskiej. (Lie-
der aus dem L. Land.) Krakow 1955»
Polskie Wydawnictwo Muzyczne.
415. Sobieski, Marian, Sobieska, Jad-
wiga: Piesn ludowa i jej problemy*
(Das Volkslied und seine Probleme.)
Poradnik muzyczny, 1947, Nr. 1/10;
1948, Nr. 1, Nr. 3, Nr. 4, Nr. 8/9,
Nr. 11; 1949, Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3.
416. Ders., dies.: Instrukcja w sprawie
zbierania polskiej pieäni i muzyki
ludowej. (Anleitung zur Sammlung
des polnischen Volksliedes und der
Volksmusik.) Muzyka, 1950, Nr. 2,
S. 30—49.
417. Ders., dies.: Wielkopolskie wiwaty.
Ksi^ga Pami^tkowa ku czci prob
A. Chybinskiego. (Die großpol'
nischen Hurrarufe. Erinnerungsbuch
zu Ehren Prof. A. Ch.-s.) Krakow
1950, Polskie Wydawnictwo Mu-
zyczne.
418. Ders., dies.: Pie6n i muzyka ludowa
Wielkopolski i Ziemi Lubuskiej W
swietle dotychczasowych badan.
(Volkslied und Volksmusik Groß"
polens und des Lebuser Landes nü
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
251
Lichte der bisherigen Forschungen.)
Pol. Sztukalud., 1950, Nr. 1/6, S. 17
bis 35, illustr., 1 Karte, Noten.
419. Ders., dies.: Diafonia w Pieninach.
(Die Zweistimmigkeit in P.) Mu-
zyka, 1952, Nr. 9/10, S. 15—29.
420. St§szewki, Jan: Piosenki z Kurpiöw.
Podal. (Lieder aus Kurpie.) Krakow
1955, Polskie Wydawnictwo Mu-
zyczne. 63 S.
421. Wallis, Stanislaw: Sl^skie pieini
görnicze. (Schlesische Bergmanns-
lieder.) Pol. Szt. lud., 1952, Nr. 3,
S. 134—146.
422. Ders.: PieänigörniczeGornego Sl^ska.
Zebral i opracowal. (Bergmanns-
lieder aus Oberschlesien. Gesammelt
u. bearb.) Krakow 1954, Polskie
Wydawnictwo Muzyczne. m S.,
illustr.
423. Wybör polskich pieäni ludowych.
Oprac. MarianSobieski. (Auswahl
polnischer Volkslieder. Bearb. von
M. S.) Bd. I und II, Krakow 1955,
Polskie Wydawnictwo Muzyczne
187 S.; 187 S. 1 ungez. S.
424. Wycisk, Artur: Niemieccy zbieracze
görnoäl^skich piesni ludowych.
(Deutsche Sammler oberschlesischer
Volkslieder.) Pol. Sztuka lud., 1954,
Nr. 4, S. 242—250.
2. Volkstanz und Volksmusik
425. Brzozowska,Urszula: Pieäniitance
kujawskie. Przedslowie napisal
Adolf Chybinski. (Lieder und Tänze
aus K. Vorwort von A. Ch.) Kra-
kow 1950, Pol. Wydawn. Muzyczne,
45 s-, 3 ungez. S.
426. Cholewa, Mieczyslaw Czcibor:
Taniec zböjnicki. (Der Räubertanz.)
Ziemia, Bd. 30,1946, Nr. 6, S. 7—10,
illustr.
427. Chorosinski, Jan: Melodie taneczne
Powisla. (Tanzmelodien des Weich-
selgebietes.) Krakow 1949, Polskie
Wydawnictwo Muzyczne. Rez.: So-
bieska, Jadwiga, Pol. Sztuka lud.,
1951, Nr. 1/2, S. 63—64.
428. Ders.: Tance göralskie. (Goralische
Tänze.) Praca Swiata, 1951, Nr. x,
S. 69—84.
429. D ers.: O piesni i muzyce ziemi kie-
leckiej. (Uber Lied und Musik im
Gebiet von K.) Por. muz., 1951,
Nr. 3, S. 5—7; Nr. 4/5, S. 7—10.
430. Chybinski, Adolf: O losach pol-
skiej muzyki ludowej. (Über die Ge-
schichte der polnischenVolksmusik.)
Odrodzenie 1945.
431. Ders.: Z zagadnien narodowej tra-
dycji w muzyce polskiej. (Zu Pro-
blemen der nationalen Tradition in
der polnischen Musik.) Mat. Stu-
diöw Sztuki, 1951, Nr. 5, S. 153
bis 163.
432. Ders.: Zagadnienia tradycji narodo-
wych muzyki polskiej. (Fragen der
nationalen Traditionen der polni-
schen Musik.) Muzyka, 1951, Nr. 1,
S. 3—7.
433. Drobner, Mieczyslaw: Elementy
ludowe i cechy narodowe w muzyce.
(Volkstümliche Elemente und natio-
nale Züge in der Musik.) Muzyka,
1954, Nr. 5/6, S. 49—58.
434. Glapa, Adam: Z doäwiadczen nad
notowaniem tancöw ludowych. (Er-
fahrungen bei der Notierung von
Volkstänzen.) Pol. Szt. lud., 1948,
Nr. 3, S. 38—40.
435. Ders., Kowalski, Alfons: Tance
wielkopolskie. (Tänze aus Groß-
polen.) Pol. Szt. lud., i948,Nr.n/i2,
S. 35—36.
436. Jazdzewski, Konrad: Najstarsze
zachowane g?sle slowianskie. (Die
älteste erhaltene slawische ,,G§äle“.)
Z Otchl. Wieköw 1950, Nr. 1/2,
S. 13—18.
437. Ders.: Kilka uwag uzupelniaj^cych o
g£slach gdanskich. (Einige ergän-
zende Erwägungen zu den Danziger
„G§sle“.) Z Otchl. Wieköw, 1950,
Nr. 5/6, S. 102—104.
438. Ders.: Uwagi dodatkowe o g§älach
gdanskich. (Ergänzende Erwägun-
gen zu den Danziger ,,G§äle“.) Z
Otchl. Wieköw, 1951, Nr. 5/6.
439- Kluk owski, Jözef: Instrumenty
kapeli ludowej. (Die Instrumente
des Volksmusikorchesters.) Seena
¿wiatl., X950, Nr. 10, S. 30—33.
252
Aleksander Jackowski
440. Kolasinski, Jerzy: Lubelska mu-
zyka ludowa. (Die Lubliner Volks-
musik.) Por. muz., 1950, Nr. 5, S. 13
bis 16.
441. Kotonski, Wlodzimierz: Uwagi o
muzyce ludowej Podhala. (Bemer-
kungen zur Volksmusik aus Pod-
hale.) Muzyka, 1953, Nr. 5/6, S. 3
bis 25; Nr. 7/8, S. 43—58; Nr. n/12,
S. 26—46; 1954, Nr. 1/2, S. 14—27.
442. Krzyzano wski, Julian: Nasz naj-
dawniejszy taniec mieszczanski
(Pie^n o szewczyku). (Unser ältester
Bürgertanz [Lied vom Schuster-
jungen].) Pol. Szt. lud., 1954, Nr. 3,
S. 296—300.
443. Kwaänicowa, Zofia: PolskieTaAce
ludowe. Mazur. Podrgcznik tanca
ludowego. (Die polnischen Volks-
tänze. Masuren. Handbuch des
Volkstanzes.) Warszawa 1953,
Spöldz. Wydawn. „Sport i Tury-
styka“. 188 S., 4Taf., illustr.,Noten.
444. Dies.: Pröba ustalenia tez i kryteriöw
oraz wytyczenie problematyki przy
ocenie rozwojowego procesu pol-
skiego tanca ludowego. (Versuch
zur Festsetzung von Thesen und
Kriterien sowie die Problematik
einer Beurteilung des Entwicklungs-
prozesses, den der polnische Volks-
tanz durchlaufen hat.) Kult, fiz.,
1953, Nr. 8, S. 583—599.
445. Lissa,Zofia,Chominski, JozefM.:
Zagadnienia folkloru w twörczoäci
wspolczesnych kompozytoröw pol-
skich. (Fragen der Folklore im
Schaffen zeitgenössischer polnischer
Komponisten). Muzyka, 195 t,
Nr. 5—6, S. 3—24.
446. Mierczynski, Stanislaw: Muzyka
Podhala. (Die Musik aus P.) Kra-
kow 1950. Rez.: M. S. Muzyka,
1951, Nr. 3/4, S. 50—51.
447. Mlodziejowski, Jerzy: Charakte-
rystyka „göralskiej“ muzyki. (Eine
Charakteristik der „goralischen“
Musik). Por. muz., 1950, Nr. 6,
S. 4—11.
448. Sob ieska, Jadwiga: O mazankach,
¿lubnych kozlach i wielkopolskiej
pieäni ludowej. (Über Geigen, Dudel-
säcke und das großpolnische Volks-
lied.) NowySwiat., 1953, Nr. 38, S. 2.
449. Sobieski, Marian: „Maryna“. (Die
„Maryna“ [Kontrabaß].) Pol. Szt.
lud., 1948, Nr. 3, S. 30—33.
450. Ders.: „Koziol“ zb^sko-lubuski. (Der
Dudelsack aus Z. und L.) Pol. Szt.
lud., 1948, S. 58—59.
451. Ders.: Ogölnopolski Festiwal muzyki
ludowej. (Das gesamtpolnische Festi-
val der Volksmusik). Pol. Szt. lud.,
1949, Nr. 6, S. 188—190.
452. Ders.: Polska muzyka ludowa. (Die
polnische Volksmusik.) Materialy
Studiöw Sztuki, 1951, S. 383—403.
453. Ders.: Oblicze tonalne polskiej mu-
zyki ludowej. (Der tonale Charakter
der polnischen Volksmusik.) Studia
muzykol. Bd. 1, 1953, S. 308—332.
454. Sobieski,Marian, Sobieska, Jad-
wiga: Zagadnienia muzyki ludowej
w Polsce. (Probleme der Volksmusik
in Polen.) Ruch muzyczny, 1948,
Nr. 2, S. 2—6.
455. Ders., dies.: Wielkopolska i Ziemia
Lubuska. (Großpolen und das Lebu-
ser Land.) Por. muz., 1950, Nr. 12,
S. 6—9; 1951, Nr. 1, S. 48; Nr. 2,
S. 6—9.
456. Ders., dies.: Szlakiem kozla lubus-
kiego. Piesni i muzyka instrumen-
talna Ziemi Lubuskiej. Zebrali i
oprac. (Auf den Spuren des Lebuser
Dudelsackes. Lieder und Instrumen-
talmusik des Lebuser Landes. Ge-
samm. und bearb.) Krakow 1954»
Polskie Wydawnictwo Muzyczne.
110 S., 2 ungez. S., illustr.
457. Smielowski, Teodor: Uroda tari-
cöw ludowych. (Die Schönheit der
Volkstänze.) Nowy Swiat, 1955»
Nr. 25, S. 1, illustr.
458. Strumillo, Tadeusz: Jeszcze o g?^'
lach gdanskich. (Noch einmal zu den
Danziger „G?äle“.) Z Otchl. Wie-
köw, 1951, S. 94—98.
459. Ders.: Muzyka podhalanska u Kol-
berga. (Die Musik aus P. bei Kol-
berg.) Muzyka, 1954, Nr. 3/4, S. 3
bis 20.
460. Szulc, Zdzislaw: G§61eczy skrzypce.
(„G^le“ oder Geige.) Pol. Szt. lud.,
1949, Nr. 7/8, S. 220—225.
461. Wozaczynska, Antonia: Muzyka
kurpiowska. (Musik aus K.) Porad-
nik muzyczny, 1950, Nr. 7/8, S. 5—8.
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
253
462. Zozula, Franciszka: Tanceludowe.
(Die Volkstänze.) Warszawa 1952
,,Nasza Ksi§garnia“, 229 S., 15 Taf.,
Illustr. und Noten, 46 S.
H. Erzählende
464. Krzyzanowski, Julian: Morfologia
1 systematyka bajki ludowej. (Mor-
phologie und Systematik des Volks-
märchens.) Spraw. Tow. Nauk.
Warsz. Wydz. 1, 1940—1945, S. 30
bis 33.
465. Ders.: Na drodze dziejów bajki ludo-
wej. (Zur Geschichte des Volks-
märchens.) Nauka i Sztuka, 1946,
Nr. 2/3, S. 271—295.
466. Ders.: Polskabajkaludowa wukladzie
systematycznym. 1 Bajka zwierz^ca.
(Das polnische Volksmärchen in
systematischer Gliederung darge-
stellt. I.DasTiermärchen.) Warszawa
1947, Tow. Nauk. Warszawskie,
90S.
467. Ders. : Bajka ludowa w ukladzie syste-
matycznym. II. Bajka magiczna.
(Das Volksmärchen in systematischer
Gliederung dargestellt. II. Das Zau-
bermärchen.) Warszawa 1947, Wyd.
Tow. Nauk. Warsz. i Seminarium
Historii Liter. Polskiej Uniwersy-
tetu Warszawskiego, 218 S.
468. Ders.: Józef Lompa jako zbieracz ba-
jek. (J. L. als Märchensammler.)
I. Dii
473. B^k, Stanislaw: Gwary ludowe na
Dolnym Sl^sku. (Dialekte in Nieder-
schlesien.) Spraw. PAU, 1950, S. 183
bis 188.
474. Ders.: Gwary ludowe na Dolnym
Sl^sku. Cz. I, Glosowania. (Die Dia-
lekte in Niederschlesien. T. 1, Laut-
lehre.) Poznan 1952, Poznanskie
Towarzystwo PrzyjaciólNauk. 129 S.,
2 ungez. S.
475. Ders.: Narzecze él^skie w dziejach
jgzyka i kultury polskiej. (Die schle-
sischen Mundarten in der Geschichte
der polnischen Sprache und Kultur.)
Kwart. opol., 1955, Nr. 2, S. in
bis 129.
463. Zygler, Tadeusz: Polskie tance lu-
dowe i ich badanie. (Die polnischen
Volkstänze und ihre Erforschung.)
Pol. Szt. lud., 1948, Nr. 1, S. 9—11.
V olksdichtung
Zaranie S4skie, 1947, Nr. 3, S. 131
bis 137.
469. Ders.: Sprawaliteratury ludowej. (Die
Sache der Volksliteratur.) Nauka i
Sztuka, 1947, Nr. 5, S. 211—215.
Rez.: Pigon, St.: Zarys najnowszej
literatury ludowej. (Grundriß der
neuesten Volksdichtung.) 1946;
Szewczyk, W.: Sl^ski trud lite-
racki. (Die literarische Arbeit in
Schlesien.) 1946.
470. Ders.: Folklorystyka w zasiggu badan
naukowo-literackich. (Die Folklo-
ristik im Bereich literaturwissen-
schaftlicher Forschungen.) Pol. Szt.
lud., 1950, Nr. 1/6, S. 14—16.
471. Pigon,Stanislaw: Glowne problemy
literatury ludowej. (Hauptprobleme
der Volksdichtung.) Krakow 1947,
21 S. Biblioteka pisarzy Ludowych.
472. Zborowski, Juliusz: W poszuki-
waniu czorsztynskiej tradycji (lite-
rackiej o Kostce Napierskim.) (Auf
der Suche nach der Chorsztyner Tra-
dition [der literarischen Trad, über
Kostka Napierski].) Pol. Sztuka lud.,
1954, Nr. 3, S. 174—177.
lekte
476. Banaczkowski, P.: Z gwary W4-
chocka. (Zum Dialekt von W.) J§z.
pol., 1954, Nr. 5, S. 389.
477. Bandtkie, Jerzy Samuel: Wiado-
moäci o j§zyku polskim w Sl^sku i o
polskich Sl^zakach (1821). Z pierwo-
druku wyd. i przedm. opatrzyl Bol.
Olszewicz i Witold Taszycki.
(Wyd. 2). (Nachrichten über die pol-
nische Sprache in Schlesien und über
die polnischen Schlesier [1821]. Nach
dem Erstdruck herausgeg. und mit
Vorwort versehen von B. O.
und W. T. [2. Auf!.].) Wroclaw
1952, Wrocl. Tow. Nauk, 58 S.,
1 Taf.
254
Aleksander Jackowski
478. Bienkowski, Wieslaw: Zagadnie-
nie kultury ludowej w pi.4miennict-
wie polskim w latach 1800—1914.
(Probleme der Volkskultur in der
polnischen Literatur der Jahre 1800
bis 1914.) Spraw. PAU, 1952, Nr. 6,
s. 435—436.
479. Czernik, Stanislaw: Poezja chlo-
pöw polskich. (Die Dichtkunst der
polnischen Bauern.) Wroclaw 1951.
Rez.: Przybo6, Julian: O poezji
ludowej. (Über die Volkspoesie.)
Zycie lit., 1952, Nr. 11, S. 5.
480. Doroszewski, Witold: Przedmiot
i metody dialektologii. (Gegenstand
und Methoden der Dialektologie.)
Por. j§z., 1953, H. 1, S. 1—8, H. 2,
S. 1—7, H. 3, S. 2—10, H. 4, S. 4
bis 12.
481. Ders.: Studia fonetyczne z kilku wsi
mazowieckich. (Phonetische Studien
aus einigen masowischen Dörfern.)
Wroclaw 1955, Zakl. im. Ossolin-
skich. 70 S., 2 ungez. S.
482. Friedrich, Henryk: Gwara kur-
piowska. Fonetyka. (Der Dialekt
von K., Phonetik.) Warszawa 1955,
Panstw. Wydawn. Naukowe.
483. Gol^b, Zbigniew: O zröznicowaniu
wewngtrznym gwary podhalanskiej.
(Über die innere Differenziertheit des
Dialektes von P.) J§z. pol., 1954,
Nr. 6, S. 85—in.
484. Gornowicz, Hubert: Gwara nad-
wislanska dialektu malborskiego.
(Die Weichselmundart des Marien-
burger Dialektes.) Jgz. pol., 1954,
Nr. 4, S. 265—272.
485. Judycka, Irmina: Z gwary war-
mihskiej i mazurkiej. Warminskie
nazwy narz§dzi rolniczych. (Zu den
Mundarten von Ermland und Ma-
suren. Die ermländischen Bezeich-
nungen der landwirtschaftlichen Ge-
räte.) Por. j§z., 195 3, H. 6, S. 21—23.
486. Dies.: Typy zapozyczen niemieckich
w gwarach Warmii i Mazur. (Typen
deutscher Entlehnungen in den
Mundarten von E. und M.) Por.
j§z., 1954, H. 8, S. 1—12.
487. Kaczmarek, Leon: Fonograf na
uslugach dialektologii i etnografii
muzycznej w Polsce. (Das Tonauf-
nahmegerät im Dienste der Mund-
artforschung und der Musikfolklore
in Polen.) Lingua posn., Bd. 4, mit
Beil., Nr. 1, S. 19—54.
488. Kara4, M.: Badania gwarowe na te-
renie dawnego powiatu wislickiego.
(Mundartenforschungen im Gebiete
des ehemaligen Weichselkreises.)
Spraw. PAU, 1952, Nr. 6, S. 42x
bis 423.
489. Mayer, Jözef: Nieznany ¿4ski slow-
nik gwarowy z 1821 roku. (Ein un-
bekanntes schlesisches Mundart-
wörterbuch vom Jahre 1821.) Zesz.
wrocl., 1952, Nr. 3, S. 89—106.
490. Mocarska, Barbara: Z gwary war-
minskiej i mazurskiej. Terminologie
uprawy i obrobki lnu. (Zur Mundart
von E. und M. Die Terminologie
des Flachsanbaus und der Flachs-
verarbeitung.) Por. j§z., 1952, H. 1,
S. 20—24.
491. Nitsch, Kazimierz: Polskie gwary
ludowe Ziem Zachodnich. (Polni-
sche Mundarten in den Westgebie-
ten.) Kraköw 1945, Hrsg. Kurs In-
formacyjny O Ziemiach Zachod-
nich. Uniwersytet Jagiellonski i Aka-
demia Görnicza.
492. Ders.: Teksty gwarowe (wielko-
polskie). (Mundarttexte [Großpo-
len].)J§z.pol., 1951, Nr. 2, S. 79—81-
493. Ders.: Teksty gwarowe. (Mundart-
texte.) Por. j§z., 1951, Nr. 2, S. 79
bis 81; Nr. 5, S. 219—222; 1952,
Nr. 2, S. 84—86.
494. Ders.: Teksty gwarowe (kaszubskie)-
(Mundarttexte [kaschubische].) J?z-
pol., 1952, Nr. 1, S. 30—33.
493. Ders.: Teksty gwarowe. (Mundart-
texte.) J?z. pol., 1931, Nr. 3, S. 127
bis 131; 1932, Nr. 1, S. 30—33.
496. Ders.: Ze slownictwa gwarowego-
(Zum Wortschatz der Mundarten.)
J?z. pol., 1952, Nr. 1, S. 34—35’
1932, Nr. 2, S. 81—84.
497. Ders.: Co wiemy naprawd? o dialek-
tach ludowych XVI w.? (Was wissen
wir tatsächlich über die Volksdi»'
lekte im 16. Jahrhundert?) J§z. poi->
1953, Nr. 4, S. 224—244.
498. Pawlowski, E.: Charakterystyk»
gwary Sromowiec Wyznych i no^')'
podzial gwar tatrzahsko-beskidzkich-
(Charakteristik der Mundart von
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
255
S. W. und eine neue Einteilung der
Tatra-Beskiden-Mundarten.) Spr. z.
C2yn. i Pos. PAU, 1950, Nr. 6,
s* 327 332-
499- Ders. : Gwara podegrod2ka. Wraz 2
próbq, wy2nac2enia poludniowo- 2a-
chodniej granicy gwar s^deckich.
(Die Mundart von P. Versuch einer
Bestimmung der Südwestgrenze der
Mundarten von S.) Wroclaw 1955,
Zaklad. im. Ossolinskich, 304 S.,
2 unge2. S., 3 Karten, illustr.
500. Pilich, Jan: „Po sluncu“ wschodzie
czyli o porach dnia w pewnej gwar2e.
(Über den Ausdruck „po sluncu“
b2w. über die Bedeutung der Tages-
2eiten in einem Dialekt.) Por. j§z.,
1951, H. 3, S. 22—24.
501. Ders.: Jak éwiat wyglundo — c2yli
0 pogod2ie w pewnej gwarze. („J. é.
w.“ — oder über das Wetter in
einem Dialekt.) Por. jgz., 1951, H. 9,
S. 28—30.
502. Pólnocno-polskie teksty gwarowe od
Kas2ub po Ma2ury. (Nordpolnische
Mundarttexte vom Kaschubenland
bis nach Masurien.) Red.: Kazi-
mierzNitsch. Krakow 1935, 74S.,
1 Karte.
503. Sobierajski, Zenon: Gwary kujaw-
skie. (Kujawische Mundarten.) Poz-
nan 1932, pozn. Tow. Przyjac. Nauk
2 ungez. S., IV, 127, x ungez. S.
304. Ders.: Jak publikowaó utwory poezji
ludowej. (Pròba ustalenia pisowni.)
(Wie soll man Erzeugnisse derVolks-
poesie veröffentlichen? [Versuch zur
K. Muse
512. Blaszczyk, Stanislaw: Sprawozda-
nie z dzialalnoóci Muzeum Narodo-
wego w PoZnaniu w zakresie Dzialu
Kultury i Sztuki Ludowej. (Bericht
über die Tätigkeit des National-
museums in Posen auf dem Gebiet
der Volkskunst und -kultur.) Lud,
Bd.41, 1934, T. 2, S. 1178—1183.
513. Cieéla-Reinfussowa, Zofia: Z
dzialalnoéci Muzeum Etnograficz-
nego w Krakowie. (Zur Tätigkeit
des volkskundlichen Museums in
K.) Zycie Nauki, 1946, Nr. 9/10,
S. 266—270 (Bericht).
Festlegung der Rechtschreibung].)
Por. j§z., 1933, H. 7, S. 19—27.
305. Stieber, Zdzislaw: Atlas jçzykowy
Lemkowszczyzny. (Der Sprachatlas
des Gebietes von L.) Spraw. Lodz.
TN, 1931, Nr. 1, Aufl. 1952, 21 S.
506. Teksty gwarowe (z Linieska Kaszub-
skiego) Zapis. Joanna Zamo-
écinska. (Mundarttexte [aus L.K.].
Aufgez. J. Z.) Jçz. pol., 1933, Nr. 3,
S. 391—393.
507. Teksty gwarowe orawskie. Zapis. Mie-
czyslaw Karaé, Alfred Zarçba.
(Mundarttexte aus O. Aufgezeich-
net von M. K. und A. Z.) Jçz. pol.,
1933, Nr. 1, S. 67—73.
308. Urbanczyk, Stanislaw: Zarys dia-
lektologii polskiej. (Grundriß der
polnischen Dialektologie.) War-
szawa 1953, Panstwowe Wydaw.
Naukowe. 4 ungez. S., 76 S., 3 un-
gez. S., 2 Karten sowie 4 Karten im
Text.
309. Wallis, Stanislaw: Slownik görno-
él^skich wyrazen ludowych. (Wör-
terbuch oberschlesischer volkstüm-
licher Ausdrücke.) Pol. Sztuka lud.,
1954, Nr. 2, S. 104—108.
310. Wojciechowski, Ryszard: Ele-
menty ludowe w „Panu Tadeuszu“.
(Volkssprachliche Elemente im ,,P.
T. “.) Pol. Szt. lud., 1953, Nr. 6.
511. W Zapusty. Z gwary warminskiej i
mazurskiej, Zapis. Anna Szyfer.
(In Z. Zum Dialekt von E. und M.
Aufgez. v. A. Sz.) Por. jçz., 1934,
H. 3, S. 33.
nsarbeit
314. Chrzanowska, Paulina: Muzeum
w Tarnowie. (Das Museum in T.)
Lud, Bd. 39, 1932, S. 444 (Be-
richt).
513. Dekowski, Jan Piotr: Muzeum re-
gionale w Tomaszowie Mazowie-
ckim. (Das Gebietsmuseum in T.
M.) Lud, Bd. 34, 1946, S. 400—401
(Bericht).
316. Ders.: Z inwentarzy muzealnych z
Muzeum Regionalnego w Toma-
szowie Mazowieckim. (Zu den Mu-
seumsbeständen des Gebiètsmuse-
ums in T. M.) Prace i Materialy
256
Aleksander Jackowski
Etnograficzne, 1948/49, Bd. 7,
S. 394—404, 3 Taf., illustr.
517. Ders.: Z Muzeum Regionalnego w
Tomaszowie Mazowieckim. (Über
das Gebietsmuseum in T. M.) Pr.
Mat. etnogr., 1948/49, S. 447—448.
518. Ders.: Muzeum w Tomaszowie Ma-
zowieckim. (Das Museum in T. M.)
Lud, Bd. 41, 1954, T. 2, S. 1195
bis 1197 (Bericht).
519. Delimat, Tadeucz: Muzeum mor-
skie w Szczecinie. (Komunikat.)
(Das Seemuseum in St. [Bericht].)
Lud, Bd. 39, S. 461—467.
520. Frankowska, Maria: Regionalne
muzea ludoznawcze w Polsce. (Die
volkskundlichen Gebietsmuseen in
Polen.) Lublin 1946, Tow. Lu-
doznawcze, S. 34, Abdr.: Lud,
Bd. 36, S. 316—347.
521. Kabat, Wh: Muzeum w Zamoäciu.
(Das Museum in Z.) Lud, Bd. 39,
S. 448.
522. Kotula, Franciszek: Muzeum
Miasta Rzeszowa. (Das Museum der
Stadt Rz.) Pr. Mat. etnogr., 1947,
S. 216, illustr. (opis i fotografie
ciekawych eksponatöw). (Beschrei-
bung und Photographien inter-
essanter Ausstellungsstücke.)
523. Ders.: Muzeum w Rzeszowie. (Dzial
etnograficzny.) (Das Museum in Rz.
[Ethnographische Abteilung].) Lud,
Bd. 39, S. 445—447.
524. Ders.: Sprawozdanie z dzialalnosci
Muzeum w Rzeszowie. (Bericht über
die Tätigkeit des Museums in Rz.)
Lud, Bd. 41, 1954, S. 1184—1188.
525. Krajewska, Janina: Muzeum Etno-
graficzne w Lodzi. Plecionki ze
slomy. (Das Ethnographische Mu-
seum in Lodz. Flechtarbeiten aus
Stroh.) Pr. i Mat.etnograf., Bd. 8—9,
S. 673—679.
526. Malicki, Longin: Dzial etnogra-
ficzny muzeum Öl^skiego w 20-lecie
zalozenia instytueji. (Die ethnogra-
phische Abteilung des Schlesischen
Museums, zum 20. Jahrestag der
Gründung der Institution.) Lud,
1948, Bd. 38, S. 434—444-
527. Manugiewicz, Jan: Muzeum Kul-
tur Ludowych (W Mlocinach). (Das
Museum für Volkskulturen [in M.].)
Lud, Bd. 41, 1954, T. 2, S. 1164 bis
1166.
528. Misiewicz, Jan: Muzeum Ziemi
Sanockiej. (Das Gebietsmuseuni
vonS.)Lud,Bd. 34,1946,S. 398— 400.
Otwarcie Muzeum Etnograficznego
w Krakowie. (Die Eröffnung des
Ethnographischen Museums in Kr.)
Pol. Sztuka lud., 1951, Nr. 4/5»
S. 159—160.
529. Pietkiewicz, Kazimierz: Stan mu-
zeöw i zbiorow etnograficznych w
Polsce. (Der Stand der Museen und
der ethnographischen Sammlungen
in Polen.) Lud, 1946, Bd. 36, S. 389
bis 396; 1947, Bd. 37, S. 409—412.
530. Reinfuss, Roman: Stan muzealiöW
etnograficznych w wojewödztwie
wroclawskim. (Der Stand der ethno-
graphischen Exponate in der Woj«
B.). Lud, Bd. 38, 1948, S. 416—431-
531. Stefanski, Stefan: Muzeum w Sa-
noku. (Das Museum in S.) Lud,
Bd. 41,195 4,T.2,S. 1193—1x94,4817-
532. Wiäniowski, Tadeusz Prus: Mu-
zeum Regionale PTTK w Myäleni-
cach. (Das Gebietsmuseum der
PTTK in M.) Wierchy, Jg. 22, 1953»
S. 236—237.
533. Zal§ska, Halina: Muzeum Pomor-
skie w Toruniu. Jego historia 1
dzialalnoäc (1861—1951). (Das P«
Museum in Thorn. Seine Geschichte
und Tätigkeit.) Torun 1952, Min«
Kultury i Sztuki, 43 S., 1 ungez. S.,
5 Taf.
534. Znamierowska-Prüfferowa, Ma-
ria: Dzial etnograficzny Muzeum
Miejskiego w Toruniu. (Die ethno-
graphische Abteilung des Stadt-
museums in Thorn.) Lud, 1948»
Bd. 38, S. 432—439; Bd. 41, S. H71
bis 1176.
535. Dies.: Muzeum etnograficzne w T°'
runiu. (Das ethnographische Mu-
seum in Thorn.) Lud, Bd. 39, S. 455
bis 561.
536. Zolna-Manugiewicz, Jan: Zada-
nia generalne Muzeum Kultur Lu-
dowych (w Mlocinach pod War
szawq). (Generelle Aufgaben <üs
Museums für Volkskulturen [in M '
bei W.].) Pol. Szt. lud., 1949,Nf- 7/18’
S. 232—235.
Das volkskundliche Schrifttum Polens seit 1945
257
L. Biblio
5 37- Ambros, Michal:Bibliografia Sl^ska,
jej stan obecny i zadania na przy-
szloéó. (Die Bibliographie Schlesiens,
ihr gegenwärtiger Stand und ihre
Aufgaben für die Zukunft.) Kato-
wice 1946. Instytut Sl^ski. 30 S.
Abdr. : Zaranie Slqskie Jg. 17.
538. Barowa, Irena: Bibliografia etno-
grafii polskiej za rok 1947. (Biblio-
graphie der poln. Ethnogr. für das
Jahr 1947.) Lud, Bd. 38, 1948, S. 483
bis 609.
5 39- Bibliografia bibliografii i nauki o
ksi^zce. Rok 1948. Zestawila Ma-
ria Dembowska. (Bibliographie
der Bibliographie und der Bücher-
kunde. Jg. 1948. Zusammengestellt
von M. D.) Warszawa 1952, Bi-
blioteka Narodowa — Instytut Bi-
bliograficzny, 72 S.
5 40. Bibliografia polskiego stroju ludowego.
(Bibliographie der polnischen Volks-
tracht.) (Lublin 1947, Pol. Tow.
Ludoznawcze) maschinenschriftlich
vervielfältigt, 17 S., 452 Pos.
541. Chmielinska, Irena: Materialy do
bibliografii polskiej sztuki ludowej.
(Material für eine Bibliographie der
polnischen Volkskunst.) (1950 bis
1952.) Pol. Szt. lud., 1952, Nr. 6,
Beilage.
542. Gajek, Józef, Malewska, Zofia:
Indeks ,,Ludu“, T. 1—39. (Index
der Zeitschrift „Lud“, Bd. 1—39.)
Lud, Bd. 40, 1932/53, S. 9—1109.
543. Gajek, Józef: Instrukcja do indekso-
wania czasopism i wazniejszych dziel
etnograficznych. (Anleitung zum In-
dizieren von Zeitschriften und wich-
tigeren ethnographischen Werken.)
Lud, Bd. 41, 1954, T. 1, S. 767—796,
T. 2, S. 1340—1341, 1404.
544. Grzegorczyk, Piotr: Plastyka lu-
dowa Polski. Zarys bibliograficzny.
(Die polnische Volkskunst [bildende
graphien
Kunst]. Bibliographischer Abriß.)
Warszawa 1950, Zaklad Graf. im.
Kasprzaka, Poznan, 39 S., (Beilage
zu Pol. Sztuka lud., 1950, Nr. 1/6.)
545. (Maciejko, Jadwiga) J. M.: Prze-
glqd publikacji z zakresu plastyki.
(Überblick über die Publikationen
auf dem Gebiet der bildenden Kunst.)
Prz. artyst., 1931, 1952.
546. Ryszkiewicz, Andrzej: Bibliogra-
fia haftów i koronek. (Bibliographie
der Stickereien und Spitzen.) War-
szawa 1949, S. 73—87. Abdruck aus
dem Buch: N. B. Rózycka, Od
éciegu do haftu. (Vom Stich zur
Stickerei.)
547. Ders. : Bibliografia tkanin. (Bibliogra-
phie der Textilien.) Warszawa 1950.
Handschriftlich: über 200 Pos.
548. Ders.: Bibliografiarzemioslaartystycz-
nego. Cz. X Tkaniny. (Bibliographie
des Kunsthandwerks. T. 1. Stoffe).
Warszawa 1951 (Stol. Zakl. Graf.).
15 S., 1 ungez. S., Beilage zu: Pol.
Sztuka lud., 1951, Nr. 3.
549. Sobieski, Marian: Bibliografia prac
i artykuìów A. Chybinskiego z
zakresu muzyki ludowej. (Biblio-
graphie der Arbeiten und Artikel
A. Ch.-s über Probleme der Volks-
musik.) Pol. Sztuka lud., 1952, Nr. 6,
S- 356—358-
550. Uzupelnienia do bibliografii slowiano-
znawstwa polskiego za lata 1944 do
1946 Ryszarda Kiersnowskiego. (Er-
gänzungen zur Bibliographie der
polnischen Slawistik für die Jahre
1944—1946 von R. K.) Pam. slow.,
Bd. 2, S. 332—334.
351. Wenzlówna, Zofia: Bibliografia
slowianoznawstwa polskiego za lata
1947—1948. (Bibliographie der pol-
nischen Slawistik für die Jahre 1947
und 1948.) Pam. slow., Bd. 2, S. 265
bis 331.
17 Volkskunde
Boy Wander — Amsterdam
Eine Übersicht der niederländischen volkskundlichen Literatur
1945-1955
Gliederung
A. Allgemeines und Vermischtes...............................................258
B. Landschaftliche Volkskunde................................................259
C. Typen, Volkscharakter.....................................................259
D. Wirtschaft, Beruf, Gesellschaft...........................................260
E. Mühlen....................................................................260
F. Siedlung..................................................................26x
G. Haus und Zubehör..........................................................261
H. Volkskunst, Technik und Arbeitsgeräte.....................................261
I. Tracht und Schmuck........................................................262
K. Nahrungswesen.............................................................262
L. Recht und Brauchtum.......................................................262
M. Volksglauben.............................................................263
N. Symbolik ................................................................263
O. Pflanze und Tier im Glauben und Brauchtum................................263
P. Volksmedizin.............................................................263
R. Volkslied, Musik, Tanz, Kinderspiel.......................................264
S. Märchen, Schwank, Sage und Legende........................................264
T. Almanach- und Zeitungswesen...............................................265
U. Sprichwort und Rätsel.....................................................265
W. Zeitschriften..............................................................265
Z. Quellenangabe..............................................................266
A. Allgemeines und Vermischtes
1. Boekenoogen, G. J.: Verspreide
geschritten. Verz. door A. A. van
Rijnbach. Leiden, Brill, 1949. VIII
+ 276 S.
2. Gessler, J.: Folkloristische termino-
logie. — Volksk. 47 (1946), 112—116.
3. Keyser, P. de: Variaties op eenzelfde
thema: Wat is Volkskunde? — Ebd.
54 (i95 3k 3°—37-
4. Ders.: Volkskunde in de branding. —
Ebd. 55 (1954), 161—170.
5. Laan, K. ter: Folklore in de Neder-
landse overleveringen. Amsterdam,
Hafkamp, 1949. 314 S.
6. Ders.: Folkloristisch woordenboek
voor Nederland en Vlaams Belgie*
’s-Gravenhage, Van Goor, 1949'
IV + 503 S.
7. Meertens, P. J.: De Nederlandse
Volkskundestudie vóór 1888. —
Volksk. 50 (1949), 22—33.
8. Ders.: Volkskundige elementen in het
werk van Jeroen Bosch. — Ebd. 54
C1 2 3 4 5953), I73—180. Zu: 120.
9. Meyer, M. de: De woorden folklore
en Volkskunde en hun geschiedenis.
Ebd. 46 (1944—45), 265—271.
Eine Übersicht der niederländischen volkskundlichen Literatur 1945 — 1955 259
10. Molen, S. J. van der: Fryske folks-
kunde en it geakundewurk. — Beaken
13 (1951), 92—96. Friesische Volks-
kunde in ihrem Verhältnis zur Heimat-
kunde.
B. Landschaftli
12. Bicker Caarten, A.: Molenleven in
Rijnland. Bijdrage tot de kennis van
het volksleven in de streek rondom
Leiden. Leiden, Sijthoff, 1946. 155 S.
13. Christiansen, ReidarTh.: De Studie
der Noorse folklore. — Volksk. 55
(1954), 97—io6.
14. Daan, J. C.: Wieringer land en leven
in de taal. Alphen a. d. Rijn, Samson,
1950. XXIV + 415 S. (=Diss. Amster-
dam).
15. Hekker, R. C.: Het boerenleven in
Oost-Nederland omstreeks 1800. —
Driem. Bl. NS 5 (1953), 40—54.
16. Ders.: Het Noordhollandse boeren-
leven in 1800. — Speelwagen 8 (1953),
108—119.
17. Katwijks volksleven. Samengest. door
de Commissie voor Volkskunde van
de vereniging „Oud-Leiden“. Leiden,
Sijthoff, 1951. 72 S. (= Oud-Leiden
serie, 1).
18. Knop, G.: Schylgeralän. Een be-
schrijving van land en volk van het
eiland Ter-Schelling. Leiden, Bur-
gersdijk&Niermans, 1946. VII +
346 S. (= Nederlands volksleven, 1).
19. Kostelijk, P. J., en B. de Kock,
Marken. Amsterdam, Bezige Bij,
1955. 62 S. Mit Abb.
20. Kouwenaar, D.: Amsterdamse volks-
gebruiken. Amsterdam, Gemeente-
11. Peeters, K. C.: Constanten in het
volksleven. — Volksk. 35 (1952),
1—10.
he Volkskunde
bestuur, 1948. 84 S. (= Heemkennis
van Amsterdam, 5).
21. Kruizinga, J. H.: Levende folklore in
Nederland en Viaanderen. Assen, To-
renlaan, 1953. 288 S.
22. Kuile Sr, J. G. ter: Twentsche eigen-
heimers. Historische schetsen van
land en volk tusschen Dinkel en
Regge. 2e geh. herz. dr. Almelo, Hila-
rius, 1947. 404 S. Die I. Aufl. er-
schien 1936.
23. Leids volksleven. Samengest. door de
Commissie voor Volkskunde van de
vereniging „Oud-Leiden“. Leiden,
Sijthoff, 1954. 108 S. (= Oud-Leiden
Serie, 3).
24. Molen, S. J. van der: Boalserter folk-
lore. — Beaken 17 (1955), 100—108.
Die Stadt Boisward in Friesland.
25. Rakers, A.: Een stukje Volkskunde en
dialect uit een achterhoek van de
Graafschap Bentheim. — Driem. Bl.
NS 2 (1950), 33—47.
26. Vis, D.: De Zaanstreek. Een beschrij-
ving van het Zaansche volksleven in
zijn historische ontwikkeling. Leiden,
Burgersdijk& Niermans, 1948. VII +
345 S. (= Nederlands volksleven, 2).
27. Vrankrijker, A. C. J. de: Naerdinck-
lant. Gooische studies over: koptien-
den, boekweit en bijen, kerken en
kloosters, weversheiligen. Den Haag,
De Kern, 1947. 180 S.
C. Typen, Volkscharakter
28. Drijfhout, H., en K. Jassies: Het
Overijsselse volkskarakter. Heiloo,
Kinheim, o. J. [1948]. 156S. (= Eigen
land en volk [2]).
29. Kalff, G.: Opkomst, bloei en ver-
dwijning van de hofnar. Amsterdam,
Poortpers, 1954. 184 S.
30. Koek, H. C.: Het volkskarakter der
Friezen. Drachten, Laverman, 1946.
24 S.
31. Meerburg, G.: Oer Fryske stivens. —
Beaken 17 (1955). 33—4^-
32. Meulen, P. van der: Wetenschapen le-
gende. — Ebd. 10 (1948), 7—9. Zu: 35.
17*
260
Boy Wander
33. Sinninghe, J. R. W. : Boeven en beze-
tenen. Amsterdam, Holdert & Co,
1949. 241 S.
34. S ta ver man, H.: Het Nederlandse
volkskarakter. ’s-Gravenhage, Van
Hoeve, o. J. [1946]. 23 S.
35. Toi s ma, F. J.: De werdoperij yn de
i6de ieu: in anthropologysk en psy-
chologysk ütsjoch op it Fryske folk.—
Beaken 9(1947), 98—113. Hierzu: 32.
D. Wirtschaft, Beruf, Gesellschaft
(Für Mühlen siehe E)
36. Bouman, P. J.: Geschiedenis van den
Zeeuwschen landbouw in de negen-
tiende en twintigste eeuw en van de
Zeeuwsche landbouw-maatschappij
1843—1943. Wageningen, H. Veen-
man, [1946]. 595 S.
37. Coo, J. de: De boer in de kunst van de
9e tot de 19c eeuw. Rotterdam, Wijt,
o. J. [1946]. 96 S.
38. Dam, J. H.: Het jachtbedrijf in Neder-
land en West-Europa. Met een voorw.
van A. G. J. Hermans. Met ill. van
de sehr. Zutphen, Thieme, [1953].
448 S.
39. Geschiedenis van de Nederlandse land-
bouw. Onder red. van Z. W. Sneller.
Groningen enz., Wolters, 1951.
40. Hekker, R. C.: Het boerenleven in
Oost-Nederland. (s. 15).
41. Ders.: Het Noordhollandse boeren-
leven. (s. 16).
42. Ders.: Het hooiberggebied. —Volksk.
51 (1950), 31—40. Zu: 43 und 45.
43. Hol, A. R.: De hooiberg en zijn ver-
spreiding. — Ebd. 47 (1946), 22—43.
Hierzu: 42 und 45.
44. Meyer, M. de: Sikkel, zichte, zeis en
pik. — Ebd. 49 (1948), 145—153.
45. Molen, S. J. van der: Over de hooi-
berg en zijn verspreiding in vroeger
tijd. — Ebd. 97—xo6. Zu: 43; hier-
zu: 42.
46. Mörtel, J. van de: De Brabantse
schuttersgilden. — Brab. Jaarb. 1
(1949), in—114.
47. Neuhaus, U., Melk: de witte levens-
bron. [Vert. uit het Duits: Des Lebens
weiße Quellen: Das Buch von der
Milch], ’s-Gravenhage, Pax, o. J*
[T955l- 185 S. Mit Abb. Hierin: De
ontwikkeling van de melkwinning in
Nederland.
48. Spahr van der Hoek, J. J.: Geschie-
denis van de Friese landbouw. Met
medewerking van O. Postma. [Leeu-
warden] o. J. [1954]. 2 dln. und 1 bij-
lage.
49. Uyttersprot, H.: Over „teuten“ en
„tödden“. — Volksk. 49 (1948), 107
bis 119.
50. Waal,M.de: Zuivel, ei en honing door
alle eeuwen. Zutphen, Thieme, o. J-
[1955]. 102 S.
E. Mühlen
51. Bicker Caarten, A.: Molenleven in
Rijnland. (s. 12).
52. Boorsma, P.: Oud-Zaansch molen-
leven. Schetsen uit het leven dergenen
wier bestaan eertijds samenhing met
dat der Zaansche windmolens. 2e bun-
del. Koog aan de Zaan, P. Out NV,
1948. 188 S. Bd. I erschien 1932.
53. Ders.: Duizend Zaanse molens. Wor-
merveer, Meyer, 1950. IX + 291 S.
54. Eldering, H. : Oer inkelde lytse moun-
len ynFryslân.—Beaken 8 (1946), 4—7*
55. Visser, H. A.: Zwaaiende wieken; over
de geschiedenis en het bedrijf van de
windmolens in Nederland. Amster-
dam, Elsevier, [1946]. VII + 210 S.
Eine Übersicht der niederländischen volkskundlichen Literatur 1945 — 195 5 261
F. Sie
56. Boeles, P. C. J. A.: De Angelsaksische
invasie. — Beaken 14 (1952), 1—8.
Hierzu: 61.
57. Brouwer, J. H.: In nij boek fan P. J or-
gensen [Über dieHerkunft der Nord-
friesen].— Ebd. 17(1955), 187—193.
58. Halbertsma, H.: Nifterlake, Fries
grensgebied? — Ebd. 11 (1949), 126
bis 131.
G. Haus ui
62. Buwalda, H. S.: De winkelheakpleat-
sen op it Bildt. — Beaken 17 (1955),
2—8.
63. Eldering, H.: Hat it primitive bouwen
him oant hjoed-de-dei ta hanthave
kinnen? — Ebd. 7 (1945), 2—12.
64. Hekker, R. C.: De ontwikkeling van
het boerenhuis in Limburg. — Publ.
Soc. hist. Limb. 78/82 (1942—46),
25—83.
65. Ders.: Het boerenhuisonderzoek in
Nederland en Monumentenzorg. —
Bull. oudh. Bond 6. S. 1 (1948), 105
bis 126.
66. Ders.: De Kamper stadserven. — Hi-
storia 13 (1948), 17—21.
67. Ders.: Het Oldamster boer’nspul. —
Groningen 30 (1948), 84—94.
68. Ders.: Oude dakbedekkingen. — Bull.
oudh. Bond 6. S. 2 (1949), 150—165.
69. Ders.: De West-Groninger boeren-
plaats. — Ebd. 4 (1951), 67—87.
70. Ders.: De Zeeuwsehofstede. —Archief
Zeeland 1951, 1—39.
lung
59. Jorgensen, P.: Zur Besiedlungs-
geschichte Nordfrieslands. — Ebd. 10
(1948), 163—180.
60. Naarding, J.: Friese immigratie in
Drente. — Ebd. 89—94.
61. Sipma, P. : Een Angelsaksische invasie
in Friesland. — Ebd. 15 (1953), 162
bis 186; Diskussion 186—192; dt.
Zusammenf. 192. Zu: 56.
1 Zubehör
71. Ders.: De Saksische hoeve in Wester-
wolde. — Driem. Bl. NS 3 (1951),
97—108; 4 (1952), 5—9.
72. Ders.: De voorgeschiedenis van de
boerderij in Oost-Nederland. — Ebd.
7 (1955>» 81—97-
73. Jong, E. S. de: De Fryske stjelp yn de
Stellingwerven. — Beaken 9 (1947),
78—82.
74. Molen, S. J. van der: Hoe oud is het
„los hoes“? Bijdrage tot de ontwikke-
lingsgeschiedenis van het Saksische
boerenhuis. — Historia 14 (1949),
162—171.
75. Oldekamp, J.: Een en ander over het
Saksische boerenhuis. — Ebd. 12
Ü947), 67—71.
76. Postma, O.: De Friese hoeve in de
zandstreken. — Vrije Fries 40 (1950),
37—67-
77. Ven, D. J. van der: De haard in ons
volksleven. [Bergen op Zoom, Haar-
denfabriekDeSchelde],o. J. [ca 1950].
64 S.
H. Volkskunst, Technik und Arbeitsgeräte
78. Boer, Jan de: Inleiding tot de kennis
van symbolische vormen en van de
mystiek der bouwkunst. Met een
woord vooraf van Jan Wils. Amster-
dam, Van Mantgem & De Does,
[1948]. 212 S. (s. für Symbolik
auch: N).
79. Graft, C. C. van de: Papieren knip-
werk. — Historia 11 (1946), 145—155.
80. Ders.: Geknipte familiewapenen. —
Ebd. 193—197.
81. Ders.: Papieren knip-en snijkunst
vroeger en nu. — Ebd. 13 (1948),
145—149.
82. Heemstra, M. J. van: Hwat is „folks-
kunst“? — Beaken 13 (1951), 89—92.
83. Hekker, R. C.: Volkskunst in Neder-
land. — Historia 14 (1949k 182—19°-
84. Ders.: De volksprent in Nederland. —
Apollo 1 (1946), n° 4, 2—24.
85. Janssens, C.: Hand-merken uit de
XVIIe eeuw. — Volksk. 52 (1951),
75—80.
86. Poldermans, J. J.: Boerengerij in Zee-
land. — Historia 12 (1947), 134—137.
87. Postma, O., Oer merken, hänmerken,
hüsmerken. — Beaken 10 (1948),
35—45-
262
Boy Wander
I. Tracht und Schmuck
88. Bosch, J.: Uit de geschiedenis van de
tas. — Historia 13 (1948), 260—264.
89. Bree,J.de: Bijdragen tot de kennis der
klederdrachten in Zeeland en haar
onderling verband van 1700 tot he-
den. — Archief Zeeland 1954, 88
bis 134; 1956, 34—81.
90. Bijleveld, W. J. J. C.: Heeren met
oorringen. — Historia 11 (1946),
133—134.
91. Heusden, E. van: Bonte kleren en
blanke kappen. Den Haag, Boek
& Periodiek, [1948]. 116 S. + 25 S.
Abb.
92. Kostelijk, P. J., en B. Kock, Marken
(s. 19).
93. Kronenburg, A.: Rond de vader-
landsche kleederdrachten. Verl, met
37 [afb. naar] foto’s. Heiloo, Kinheim,
1950. 103 S.
94. Sixma van Heemstra, F. S.: De
kledertracht van Hindelopen. Gro-
ningen, 1950. 154 S. (= Diss. Gro-
ningen).
K. Nahrungswesen
95. Kalff Jr, J.: Wat aten zij, hoe aten
zij? — Historia 11 (1946), 38—42.
96. Neuhaus, U.: Melk (s. 47).
97. Waal, M. de: Keukenkruid en specerij.
Naam, herkomst, spijzen en dranken,
volksgeneeskunst, proza en poëzie,
L. Recht un
99. Dockum, H. C. van:Van Nieuwjaars-
morgen tot Oudejaarsavond in Dren-
the. Assen, Torenlaan, 1948. 182 S.
100. Fahrenfort, J. ]., en C. C. van de
Graft: Dodenbezorging en cultuur.
Amsterdam, Ploegsma, 1947. 2 dln.
I. De dodenbezorging bij riatuur-
en half cultuur oolken der oudheid,
door J. J. Fahrenfort. 148 S. II. De
dodenbezorging bij de volken van
Europa, inzonderheid in Nederland,
door C. C. van de Graft. 96 S.
101. Graft, C. C. van de: Nederlandsche
volksgebruiken bij hoogtijdagen.
Amsterdam, Allert de Lange, 1947.
116 S. (= Heemschut-serie, 53).
102. Keyser, P. de: Verval en herleving
van volksgebruiken. — Volksk. 52
(i95 0, 49—5 3-
103. Kok, W.: Houlik en earberens by us
foarfaers. — Beaken 9(1947), 5 9—64,
67—73-
104. Mak, J. J.: Het kerstfeest. Ontstaan
en verbreiding; viering in de Mid-
de Bij bel, Grieken en Romeinen, be-
standdelen, plantlore. Zutphen, Thie-
me, o. J. [ca 1954]. 119 S.
98. Ders. : Zuivel, ei en honing door alle
eeuwen (s. 50).
d Brauchtum
deleeuwen. ’s-Gravenhage, Nijhoff,
1948- XII -j- 188 S.
105. Sinninghe, J. R. W. de: Terecht-
gestelde en gevonniste dieren in Ne-
derland.— Historia 13 (1948), 133
bis 135.
106. Smidt, J. Th. de: Rechtsgewoonten;
de gebruiken en plaatselijke gebrui-
ken waarnaar hetBurgerlijk wetboek
verwijst. (Avec résumé en Français).
Amsterdam, Noord-Holl. Uitgevers
Maatsch., 1954. (= Diss. Leiden, auch
ersch. als TI. 1 der Bijdragen en
mededelingen der Commissie voor
rechtsgewoonten van de Kon. Ned.
akademie van wetensch.).
107. Ven,D.J.vander: Het carnavalsboek
van Nederland. In elf hoofdstukken.
Met 6X11 afb. b. d. t. en 8 X i1
tekstill., melod., proclomaties, regie-
menten enz., enz., enz. 2e dr. Ingel-
door Anton van Duinkerken
[d. i. W. J. M. A. Asselbergs].
Heerlen, Winants, [1950]. 246 S. Die
1. Aufl. ersch. 1941.
Eine Übersicht der niederländischen volkskundlichen Literatur 1945 —1955 263
M. Volksglauben
1°8. Beins, J. F. A.: Misvorming en ver-
beelding. Amsterdam, Van Oor-
schot, 1948. 231 S. (=Diss. Gronin-
gen). Hierzu: 120. Rez.: P. J.Meer-
tens, Volksk. 53 (1952), 42—43.
109. Enklaar, D. Th.: De dodendans; een
cultuurhistorische Studie. Amster-
dam, L. J. Veen, 1950. 162 S.
Ho. Foncke, R.: De christelijke hoedster
der huisvrouwen: de heilige Martha.
— Volksk. 49 (1948), 63—70.
Di. Gessler, J.: De weerwolf; enkele
bibliographische aantekeningen. —
Ebd. 52 (1951), 64—67.
112. Giraldo, W.: K wellen op afstand. —
Ebd. 33 (1932), 11—25.
113. Groot, A. D. de: Sint-Nicolaas, pa-
troon van liefde. Een psychologische
Studie over de Nicolaus-figuur en
zijn vercring in vroeger eeuwen en
nu. Amsterdam, Noord-Holl. Uit-
gevers Maatsch., 1949. 228S. (= Psy-
chologische reeks, 6).
114. Landman, L.: Van heksen en katten.
— Historia 13 (1950), 46—47.
115. Mak,J. J.: Denobiskroeginmytheen
cultus. — Volksk. 49 (1948), 11—21.
116. Meyer, G. de: Overeenkomsten en
verschillen tussen middeleeuwse en
hedendaagse bedevaarten. —Volksk.
49 (1948), 123—133.
117. Rehorst, A. J.: Rembrandt’s toover-
cirkel of zijn zoogenaamde Faust-
prent. — Historia 15 (1950), 3—7.
118. Sinninghe, J. R. W.: Nederlandse
bezweringsformules uit de negen-
tiende en twintigste eeuw. —Volksk.
48 (i947), 74—79-
119. Ders.: De eerste heksenprocessen en
heksenvervolgingen in Nederland;
XVe eeuw. — Historia 15 (1950),
170—173-
N. Symbolik
120. Bax, D.: Ontcijfering van Jeroen
Bosch. ’s-Gravenhage, Staatsdruk-
keri j ,1948. XV+3 08 S., Reg. (=Diss.
Nimwegen). Verf. widerspricht der
Fraengersehen Deutung. (Das tau-
sendjährige Reich. Coburg 1947) und
Beins, Misvorming en verbeelding
(s. 108). Hierzu eine eingehende
Betrachtung: 8.
121. Ders.: Pieter Bruegel, de jongen met
het Vogelnest. — Historia 14 (1949),
55—57-
122. Boer, J. de: Inleiding tot de kennis
van symbolische vormen (s. 78).
123. Groot, C. W. de: Jan Steen; beeid en
woord. Utrecht usw., Dekker en
Van de Vegt, 1952. 234 S.
124. Rehorst, A. J.: Rembrandt’s toover-
cirkel (s. 117).
O. Pflanze und Tier im Glauben und Brauchtum
125. Blöte-Obbes, M.C.: Boom enstruik
in bos en veld. Over aard, gebruik
en folklore van onze bomen en
struiken, met inbegrip van onze ge-
kweekte vruchtbomen. Utrecht, De
Haan, 1953. VIII -}- 272 S.
126. Langeier, G. : Mozaiek van het paard.
Lochern, De Tijdstroom, [1946].
171 S.
127. Sinninghe, J. R. W.: De weergave
van de vogelgeluiden in Nederland.
— Volksk. 46 (1944—45), 313—327.
128. Ders.: Terechtgestelde en gevonniste
dieren in Nederland. — Historia 13
(1948), 133—135-
129. Waal, M. de: Keukenkruid en spe-
cerij. (s. 97).
130. Ders.: Dieren in de volksgeneeskunst.
Antwerpen, De Vlijt, o. J. [1951]-
122 S.
P. Volksmedizin
131- Stapelkamp, Chr.: „Ogenkloar“
[Chelidonium L.] in de volksgenees-
kunde. — Driem. Bl. NS 4 (1932),
45—53-
132. Waal, M. de: Dieren in de volks-
geneeskunst (s. 130).
133. Ders.: Keukenkruid en specerij (s. 9 7)
264
Boy Wander
R. Volkslied, Musik, Tanz, Kinderspiel
134. Delft, A. J. A. C. van: Spin- en we-
versliedjes oud en nieuw. Utrecht
usw., Dekker & Van de Vegt, 1952.
130 S.
135. Haan, Tj. W. R. de: Ouderwetse
avondliederen.— Historia 13 (1948),
17—21.
136. Ders.: Volk en dichterschap. Over de
verhouding tussen volkscultuur en
officiele literatuur. Assen, Van Gor-
cum, 1950. 187 S. (= Diss. Nim-
wegen).
137. Hirsch,S.: Het„härteten“ inhet oude
Volkslied. — Volksk. 47 (1946),
68—80.
138. Ders.: Volksballaden voor hun ver-
zinging. — Ebd. 49 (1948), 31—51*
139. Mak, J. J.: Middeleeuwse kerstliede-
ren. Melod. verz. door E. Brü-
ning. Utrecht usw., Spectrum, 1948.
XXVII + 245 S.
140. Ramondt, M.: Kontakten tussen ri-
tueel en kinderspel. — Volksk. 51
(1950), 145—163.
S. Märchen, Schwank, Sage und Legende
141. Beetstra, W.T.: Fryske segen. —
Beaken 8 (1946), 52—68. Zu: S. J.
van der Molen, Frysk sögeboek.
Boaisert [Boisward], Osinga, 1939
bis 1943. 4 dln.
142. Ders.: Noch eat oer de segen. —
Beaken 9 (1947), 92—96.
143. Debaene, L.: Nieuws over Uilen-
spiegel.—Volksk. 52(1951), 57—63.
144. Draak, M.: Wiersma’s Friese volks-
sprookjes. — Ebd. 50 (1949), 162
bis 167. Zu: 164.
145. Duym, W.: Een inleiding tot de sti-
listische voorhistorie van het volks-
sprookje. — Ebd. 48 (1947), 1—22.
146. Gosses,G.: Utit libben fan de segen.
— Beaken 9 (1947), 54—59-
147. Haan, Tj. W. R. de: Volk en dichter-
schap (s. 136).
148. Ders.: De Studie vanhet levende volks-
verhaal in de noordelijke Neder-
landen. —Volksk. 56 (1955), 1—11.
149. Een jaarkring in legenden. Legenden
van Oudejaarsavond, Driekonin-
gen ... St. Nicolaas, Kerstmis enz.
van 12 verschillende Europeesche
volken onder red. van A. G. van
Hamei, met medew. van H. Brug-
mans, C. F. A. van Dam, A. G.
van Hamei usw. Utrecht, De Haan,
1948. XV + 303 S.
150. Kalma, J. J.: Liturgy of parody? In
studzje oer: Der wie ris in äld, äld
wyfke. — Beaken 9(1947), 114—12 5.
151. Meyer, M. de: Oude en nieuwe
sprookjesstudie.—Volksk. 48 (1947),
65—73. Zu: E. Polain: Il était une
fois. Liège 1942.
152. Ders.: Littéraire^en mondelinge ovef-
levering in de sprookjes. — Volksk.
49 (1948), 23—30.
15 3. Molen, S. J. van der: Der waerd wol
sein . . . Fryske sêgen üt njoggen
ieuwen. Snits [Sneek], Branden-
burgh, 1952. 137 S. -f Reg.
154. Ramondt, M. : De eenhoornsagen. —
Volksk. 47 (1946), 81—85.
155. Ders.: Les contes de ma mère l’Oye
en het volkssprookje. — Ebd. 49
(1948), 1—10.
156. Ders.: Sprookjesvertellers en hun
wereld. Van primitivisme tot symbo-
lisme; vier sprookjestudiën. Gro-
ningen usw., Wolters, 1948. 190 S.
157. Ders.: De toepassing van Jung’s
mythische oertypen in mythe en
sprookje. — Volksk. 50 (194 9)’
97—106.
158. Ders.: De integratie van het sprookje-
— Ebd. 54 (1953), 55—63-
159. Schuurman, C. J.: Er was eens . ■ •
(Inleiding tot de sprookjeswereld)
en er is nog (Van symbool tot werke-
lijkheid). Arnhem 1946—1950. 2 dln-
1. Inleiding tot de sprookjeswereld
en Van symbool tot werkelijkheid.
1946. VIII + 253 S. II. De zeven
reizen van Sindbad de Zeeman. 1950.
125 S.
160. Sinninghe, J. R. W.: Nederlandse
sagengestalten. —Volksk. 48 (1947)»
113—123.
Eine Übersicht der niederländischen volkskundlichen Literatur 1945 — 1955 265
161. Ders.: Oude volksvertellingen van
Duinkerken tot de Dollard. Oister-
wijk, „Oisterwijk“, 1948. 334 S.
162. Ders.: Boeven en bezetenen (s. 33).
163. Ders.: De Brabantse sprookjes. —
Brabantia 1 (1952), 122—126.
164. Wiersma, J. P.: Friese volkssprook-
jes. Met een inl. van P. Sipma.
Utrecht, De Haan, 1948. 310 S.
Hierzu: 144.
T. Almanach- un
167. Prakke, H. J.: Kerkgang om nieuws
(De kerkespraak). Praejournalische
nieuwsvoorziening ten plattelande.
165. Wolthuis, G. W.: De verbreiding der
Faustverhalen. —Volksk. 50 (1949),
145—155. Mit Zusammenfassung in
englischer Sprache.
166. Ders.: Duivelskunsten en sprookjes-
gestalten. Studien over literatuur en
folklore. Mariken van Nieumeghen.
Amsterdam, C. de Boer, 1952. 198S.
Zeitungswesen
Met een inl. woord van K. Basch-
witz. Assen, Van Gorcum, 1955.
13 6 S. (= Publicistische publica ties, 1 ).
U. Sprichwort und Rätsel
168. Geldof, W. : Wordt het volksraadsel
vergeten? — Volksk. 48 (1947), 165
bis 172.
169. Ders.: Hoe zullen wij volksraadsels
verzamelen? — Ebd. 50 (1949), 181
bis 189.
170. Ders.: Het Zeeuwse volksraadsel.
Middelburg, G. W. den Boer, 1950.
142 S. (= Land en volk der Schelde-
monden, 3).
171. Kruyskamp,C.:Apologischespreek-
woorden. Verzameld en ingeleid.
’s-Gravenhage, Nijhoff, 1947. 95 S.
W. Zeitschriften
172. Neerlands Volksleven. Tijdschrift
van het Nederlands volkskundig ge-
nootschap, de Federatie van folk-
loristische groepen in Nederland, de
Nederlandse afdeling van het Inter-
national folk music council, de Ne-
derlandse volksdansvereniging, de
Boerenwagenclub, de stedelijke mu-
sea van Gouda, „Catharinagasthuis,“
en „De Moriaen“, de volkskunde-
kommissie „Oud-Leiden“, de volks-
kundekommissie „Haeriem“, het
Museum van oudheden voor pro-
vincie en stad Groningen, de Bond
van Westvlaamse folkloristen en de
Compagnie tot instandhouding van
oud en historisch gerij. Red. : K. ter
Laan, W. D. Scheepers, H. Cats
u. a. Wassenaar, Kerkstraat 64.
Jg. 1—...; 1950-.... Jährl. 4—6
Hefte.
173. Volkskunde. Driemaandelijks tijd-
schrift voor de Studie van het volks-
leven. Officieel orgaan van de Volks-
kunde-commissie der Kon. Ned. aka-
demie van wetenschappen. Red.:
P. J. Meertens, K. C. Peeters
u. a. Amsterdam usw., Standaard-
Boekhandel. Jg. 1—•••; 1888 ....
Mit Jg. 43 (1940) fängt die neue
Reihe an. Zu dieser Zeitschrift:
K. C. Peeters, Vijftig jaargangen
,}Volkskundece (1888—1949). —
Volksk. 50(1949), 1—11, 120—126,
168—174.
266
Boy Wander
Z. Quellenangabe
Apollo
Apollo. Maandschrift voor literatuur en
beeidende kunsten. Den Haag.
Archief Zeeland
Archief. Vroegere en latere mededelin-
gen voornamelijk in betrekking tot Zee-
land. Uitg. door het Zeeuwsch genoot-
schap der wetenschappen. Middelburg.
Beaken
It Beaken. Meidielingen fan de Fryske
akademy to Ljouwert [Leeuwarden].
Assen.
Brabantia
Brabantia. Tweemaandelijks tijdschrift
van het Provinciaal genootschap voor
kunsten en wetenschappen in Noord-
Brabant. ’s-Hertogenbosch.
Brab. Jaarb.
Brabants Jaarboek. Nieuwe reeks der
Handelingen van het Provinciaal genoot-
schap voor kunsten en wetenschappen in
Noord-Brabant. ’s-Hertogenbosch.
Bull. oudh. Bond
Bulletin van de Koninklijke Neder-
landse oudheidkundige bond. Lei-
den.
Driem. Bl.
Driemaandelijkse bladen. Tijdschrift
voor taal en volksleven in het oosten van
Nederland. Zwolle.
Groningen
Groningen. Geill. maandblad voor ge-
schiedenes, volkstaal, kunst, industrie en
landbouw van Stad en Lande. Groningen.
Historia.
Historia. Maandblad voor geschiedenis
en kunstgeschiedenis. Utrecht.
Publ. Soc. hist. Limb.
Publications de la Société histori-
que et archéologique dans le Lim-
bo u r g. Jaarboek van Limburgs geschieden
oudheidkundig genootschap. Maastricht.
Speelwagen
De Speelwagen. Geill. maandblad in
het bijz. gewijd aan de historische schoon-
heid, folklore en geschiedenis in Noord-
Holland boven het IJ. Wormerveer.
Volksk.
Volkskunde (s. 173).
Vrije Fries
De Vrije Fries. Tijdschrift uitg. door
het Friesch genootschap van geschied-,
oudheid- en taalkunde. Leeuwarden.
Festschrift für Will-Erich Peuckert zum 60. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern.
Hrsg, von Helmut Dölker. Erich-Schmidt-Verlag o. O., o. J. IX und 164 S. 8°.
Freunde und Schüler haben sich zusammengetan, um den Jubilar Will-Erich Peuckert
mit einer Festschrift zu ehren. In persönlicher Ansprache beschwört Gerhart Pohl Be-
gegnungen herauf, während Bruno Schier mit reichem landes- und volkskundlichem
Material das Bild des Waldgebirges erstehen läßt, von dem aus der Jubilar seine wissen-
schaftliche Laufbahn begann.
In einer fachlichen Epistel heiterer Artung: Schwank und Witz als Schwundstufe, führt
Kurt Ranke Anregungen Peuckerts weiter. Er geht der Umsetzung des Ernsten zum
Heiteren im Bereich der Volks- und Literaturüberlieferung nach, arbeitet Beweggründe
einer solchen Umsetzung heraus und bemüht sich um eine erste Systematisierung des Pro-
zesses. Ebenso wie Kurt Ranke bauen Richard Weber (Der Zauberer Paracelsus) und
Percy E. Schramm (Vom Kronenbrauch des Mittelalters) auf Arbeitsfeldern Peuckerts
'Weiter. Dieter Narr wirft grundsätzliche Fragen der religiösen Volkskunde auf.
Von des Jubilars Verbundenheit mit der skandinavischen Volkskunde künden die Bei-
träge inger M. Bobergs (Fr. L. Grundtvig, ein dänischer Volkskundesammler), Lily
Weiser-Aalls (Der Männerohrring in Norwegen), Sigrid Svenssons (Gustav Adolf und
die schwedische Volkskunde), Sigurd Erixons (.Zentralgeleitete und volkstümliche Baukultur).
Dem skandinavischen Umkreis schließt sich der Beitrag von Oscar Loorits (Zum Kultur-
bilde des ostbaltischen Lebensraumes) an. Die Beiträge Svenssons und Erixons lassen die
Bedeutung frühen staatlichen Interesses an der Altertumskunde des eigenen Landes und
früher staatlicher Lenkung insbesondere im Bauwesen erkennen, Hinweise, denen auch in
den deutschen Territorialstaaten gewissenhaft nachgegangen werden muß. Wayland D.
Hand, Los Angeles, spürt der Entwicklungsgeschichte der amerikanischen Cowboy-
Ballade : Wo sind die Straßen von Laredo, nach.
Eine PEUCKERT-Bibliographie und ein Verzeichnis der von ihm angeregten und geleiteten
Dissertationen zeigen den weiten Umkreis, den der Gelehrte durchschritt, und die ungeheure
Arbeitsleistung, die er bewältigte. Friedrich SiEBER-Dresden
Wörterbuch der deutschen Volkskunde. Begründet von Oswald A. Erich u. Richard
Beitl. 2. Aufl., neu bearbeitet von Richard Beitl. Stuttgart, Alfred Kröner, 1955-
X, 919 S., 40 Abb., 18 Karten (= Kröners Taschenausgaben Nr. 127).
Wir leben in einer Zeit der komprimierten Handbücher, der Zusammenfassungen, Ab-
risse und Anthologien. Der interessierte Laie, der Student, der Fachwissenschaftler, die sich
heute eine eigene Bibliothek für den Hausgebrauch neu oder wieder aufbauen wollen, ver-
fügen zumeist weder über die geldlichen Mittel noch über die räumlichen Gegebenheiten,
um sich die Literatur ihrer eigenen Interessensphäre samt der der angrenzenden Wissen-
schaftsgebiete in auch nur annähernder Vollständigkeit aufstellen zu können. Die Not-
wendigkeit der Beschränkung aber führt zur Auswahl gutgefaßter Übersichten und Nach-
schlagewerke, die dem Suchenden zunächst einmal eine fachlich einwandfreie Auskunft
geben und durch Hinweise und Literaturangaben zu weiterer Vertiefung verhelfen.
Der ALFRED-KRÖNER-Verlag hat durch seine gut ausgestatteten und neu bearbeiteten
Taschenausgaben nach dem Kriege wieder von neuem diesem Bedürfnis in breitem Ausmaß
Rechnung getragen. Daß sich unter den Neuausgaben von 1955/56 auch die zweite Auflage
270
Wörterbuch der deutschen Volkskunde
des Wörterbuches der Deutschen Volkskunde befindet, ist eine sehr erfreuliche Tatsache, für
die wir Herausgeber und Verlag Dank wissen.
Als vor zwanzig Jahren 1936 die erste Ausgabe erschien, war sie aus einer Gemeinschaft
untereinander verbundener junger Berliner Volkskundler erwachsen, die im Gegensatz zu
älteren Auffassungen nicht die einzelnen Stoffgebiete aneinanderbanden, sondern den
Menschen als Träger in den Mittelpunkt seiner gesamten volksmäßigen Ausdrucksformen
stellten. Der Geist eines solchen Wissenschaftsgedankens gab schon damals dem Buch die
bestimmende Linie. Indem er die unheilvolle Trennung von „geistiger“ und „materieller“
Volkskultur überwand, hat er sich äußerst günstig auf die vielseitige Gestaltung des Wörter-
buches ausgewirkt. Auf dem Titelblatt der ersten Auflage erschienen die Mitarbeiter BraMM
(Haus), Bretschneider (Volkssprache), Hansen (Lied, Tanz, Spiel, Bilderbogen u. a.),
Michailow (Malerei) und Schuchhardt (Textilien); und es war der 1946 viel zu früh
verstorbene Maler-Volkskundler Oswald A. Erich, der dem kleinen Lexikon die reich
illustrierten Artikel zur Volkskunst (besonders Holz, Ton, Glas, Metalle) beisteuerte und
an der Herausgabe entscheidend beteiligt war.
Das Wörterbuch, das damals einem hoch aufflammenden Bedürfnis nach volkskundlicher
Unterrichtung hervorragend entgegenkam, fand zunächst in der gesamten Presse ein äußerst
positives Echo, bis im Septemberheft 1936 der Nationalsozialistischen Monatshefte die
Kritik des Amtes Rosenberg in Worte gefaßt und bald darauf unter dem Titel „Volks-
kunde auf Flaschen gezogen“ im Völkischen Beobachter als vernichtende „Rezension“
veröffentlicht wurde. Es wurden nicht etwa in sachlicher Weise kleine Mängel des Bandes
behandelt, sondern in breitem Frontalangriff den Hrsgg. „ideologische Unklarheit“ unter-
stellt, die ihnen den Blick für die „wahren“ Wurzeln der volksmäßigen Erscheinungen ver-
dunkele. Diese Angriffe fielen in die gleiche Zeit, da der alte Kreis der Mitarbeiter zer-
bröckelte und ihre schönen Ziele in der Luft zerrannen. So spiegelt die Geschichte des
Wörterbuches ein Stück (Berliner) Geschichte unseres Faches überhaupt.
Richard Beitl hat als der überlebende Herausgeber von seiner österreichischen Heimat
aus die Neubearbeitung des Bandes übernommen und mit seinem 919 Seiten umfassenden
Taschenbuch (1. Ausgabe: 864 S.) nicht nur den umfänglich stärksten KRÖNER-Band zu-
standegebracht, sondern allen volkskundlich und kulturgeschichtlich interessierten Be-
nutzern zugleich ein äußerst gehaltvolles und aktuelles Nachschlagewerk in die Hand ge-
geben. Die Erweiterungen, die die zweite Auflage, wenn auch zum Teil auf Kosten der Ab-
bildungen (158:40), erfuhr, sind beträchtlich. Vor allem bewältigte der Hrsg. in
einer außerordentlichen Arbeitsleistung die Aufgabe, die Literaturangaben im allgemeinen
bis auf den heutigen Stand zu fördern und das Wörterbuch damit zu einem sehr nützlichen
bibliographischen Nachschlagewerk zu machen. Hierbei ist es besonders erfreulich, daß
nicht nur die gesamte west- und ostdeutsche, sondern auch die schweizerische und öster-
reichische Literatur herangezogen wurde.
Auf dem Gebiete von Sitte, Brauch und Aberglauben ist B. nun vorzüglich in seinem
Element. Er gestaltete Artikel wie z. B. Ernte, Martin, Nikolaus u. a. zu wahren kleinen
Kunstwerken, was inhaltliche Geschlossenheit und stilistische Form anbetrifft. Wer hier füt
Lehre, Schule und Jugendgemeinschaft, für die Familie oder auch für den eigenen Privat-
bedarf eine kurze, gut lesbare, aber streng fundierte Auskunft über Geschichte und Sinn-
gehalt der Jahresbräuche und -festtage sucht, dem wird dieser handliche Nachschlageband
zum unentbehrlichen und immer wieder erfreulichen Hilfsmittel werden. In gleicher Weise
ist die Sachkultur, Siedlung, Hausbau und Gerätekunde, in so zahlreichen Artikeln vertreten
wie sonst in kaum einem Handbuch, mag der Spezialist vielleicht auch das eine oder andere
Stichwort vermissen. Auf einzelnen Gebieten, wie z. B. Volkssprache, Volkskunst war es dem
Hrsg, offenbar von seinem Montafoner Wohnort aus nicht immer in gleichem Maßc
möglich, die alten Artikel bis an den heutigen Stand heranzuführen. So fände der Leser bei-
spielsweise unter dem Stichwort Volkskunst gern einen kurzen Hinweis auf die stark ge-
wandelte Bedeutung dieses Begriffes in der Volkstumspflege des östlichen Deutschland, wie
auch unter Trachtenpflege oder Volkstanz die derartigen Bestrebungen der ostdeutschen
„Volkskunstgruppen“ neben den sehr breit behandelten österreichischen Erneuerung5'
Eigen Aard Grepen uit de Vlaamse Folklore
271
Bewegungen um des objektiven Zeitbildes willen bei einer nächsten Neuauflage registriert
Werden sollten. Übrigens dürfte in einem Wörterbuch der deutschen Volkskunde auch ein
Beitrag über unsere einzige, ethnisch höchst interessante nichtdeutsche Volksgruppe:
die Sorben (Wenden) nicht fehlen.
Aber alle Ausstände berühren nur unwesentliche Kleinigkeiten. Im ganzen ist dieses
Wörterbuch so gut, wie es nach Ziel und gegebenem Format nur sein kann. Bereichert wird
die Neuauflage durch 18 von Reinhard Peesch u. a. vorzüglich nach den Atlasergeb-
nissen gezeichnete Karten, die die Beiträge über Sitte und Brauch, Siedlungsformen und
Volkssprache dankenswert erweitern.
Zum Schluß soll der Glanzartikel des Bandes hervorgehoben werden, derjenige über die
Volkskunde selbst, der auf 20 Spalten nicht nur eine ausgezeichnete Umschau über Geschichte
und Ausdehnung unseres Faches liefert, sondern darüber hinaus ein wirklich imponierendes,
regional weit gestecktes Literaturverzeichnis vermittelt, das im Verein mit den Angaben
unter Bücherkunde und Zeitschriften tatsächlich den Band als immer wieder gern benutztes
Nachschlagewerk für den interessierten Laien wie auch für den Fachmann auszeichnet.
INGEBORG WEBER-KELLERMANN-Berlin
Eigen Aard Grepen uit de Vlaamse Folklore door Dr. K. C. Peeters. Mit Voorwoord
van Prof. Dr. J. Gessler. Illustraties van H. Lievens. Antwerpen o. J., 20 Druck.
„Eigen Aard“ erschien im Mai 1946, und schon ein halbes Jahr später war die Auflage
vergriffen. Der so reißende Absatz des Buches deutet darauf hin, daß das Werk entweder
einem Bedürfnis entspricht oder eine besondere Qualität aufweist. Beides ist der Fall!
Die bisherigen Gesamtdarstellungen vlaamscher Volkskunde sind teils unvollständig,
teils überholt (z. B. A. de Corx, De Folklore in Viaanderen, Merchtem 1922, G. Celis,
De Folklore, Antwerpen 1925), oder ihnen steht, eingefügt in größerem Rahmen, nur ein
sehr beschränkter Raum zur Verfügung, wie der volkskundliche Abschnitt in dem Sammel-
band Viaanderen door de eeuwen heen dartut, der zunächst (1913) von A. de Cock,
dann in der zweiten Auflage von M. de Meyer bearbeitet wurde. Mgr. I. Schrijnen
behandelt ein weit über Flandern hinausgreifendes Gebiet in seiner Nederlandsclie Volks-
kunde (Zutphen 1930—1933, 2. Auflage), wobei allerdings das vlaamsche Gebiet mit
großer Sachkenntnis dargestellt wird. Es fehlte aber eine umfassende volkstümliche, dabei
streng wissenschaftlich fundierte Volkskunde, und diese will P. in Eigen Aard bieten.
Es ist ein starker Band geworden (543 Seiten), in dem P. schlechterdings alle
Zweige der vlaamschen Volkskunde behandelt. Trotzdem kann er nur eine bescheidene
Auswahl aus der Fülle der Erscheinungen vorführen. Flandern liegt ja an der Nahtstelle
Zwischen germanischer und romanischer Kultur, hat vielleicht außerdem noch Erinnerungen
an die eigene keltische Vorzeit bewahrt, wenn auch der Verf. heidnischen Überliefe-
rungen mit einem gewissen Recht sehr skeptisch gegenübersteht. Immer wieder liegt das
Land im Laufe der Jahrhunderte im Brennpunkt der Geschichte; besonders reich sind die
Erinnerungen an die Zeit zu Beginn der Neuzeit, und Karl V. ist für Flandern das, was für
andere Länder Karl der Große oder Friedrich Barbarossa bedeuten: der Sagenheld, an den
sich Erzählungen und Anekdoten aller Zeiten kristallisieren. Der Lebenserwerb verbindet die
Bewohner — sie waren bis vor kurzem in der Mehrzahl Bauern — fest mit dem Erdboden,
daneben aber ist Antwerpen ein Tor in die Welt, und der Handel mit den Erzeugnissen
der echt volksverwurzelten Heimindustrie, die im Mittelalter als flandrisch Tuch bis in die
äußersten Zipfel der damaligen Welt gingen und heute als Klöppelspitzen in alle Länder der
Erde verhandelt werden, gibt auch dem verträumtesten Dorf eine Beziehung in die Weite.
So ist das vlaamsche Volkstum von allen Seiten her befruchtet worden, hat aber auch
Weithin Anregungen gegeben. Dies erklärt zum Teil die Fülle der Varianten im Erzählgut
des Volkes, andererseits muß auch im Volkscharakter die Freude am Erzählen liegen, die
sich selbst in der Großstadt länger erhalten hat als wohl sonst in der Welt. So umranken das
272
Eigen Aard Grepen uit de Vlaamse Folklore
berühmte „Manneken Pis“, das seit 1452 ein Liebling der Brüsseler und aller Besucher der
Stadt ist, vier ganz verschiedene Entstehungssagen, deren Stoff zum Teil bis weit vor die
Errichtung der Figur, bis in die Jahre um 1173 zurückreicht und zahllose Varianten auf-
weist.
Der Verf. stand also vor einem embarras de richesse, und seine Aufgabe war es vor
allem, zu sichten und wieder zu sichten, um von jedem Gebiet das Notwendigste bieten zu
können. Und hier zeigt er eine wahre Meisterschaft: wohl erwogen und wissenschaftlich
geplant ist sowohl Darbietung wie Auslassung. Mit wenigen Worten wird charakterisiert,
die Einzelerscheinung in den größeren Zusammenhang gerückt und sparsam, aber treff-
sicher das Beispiel gewählt, und stets wird der Leser auf die Quellen verwiesen, die ja so
reich sprudeln, wie etwa in dem vierbändigen Werk V. de Meyeres De Vlaamsche
Vertelselschat, Antwerpen 1925—1933, das immer wieder das Erstaunen des Lesers hervor-
ruft.
Besonders beachtlich ist es, daß nicht nur das ererbte Volksgut behandelt wird, sondern
daß der Verfasser sich auch bemüht, neu entstandene volkskundliche Erscheinungen zu
beobachten. So verfolgt er folkloristische Elemente bis in den modernen Sport, ja bis in die
Politik hinein. Daß ein bedeutender Abschnitt dem Verhältnis zur Kirche gewidmet sein
muß, ist jedem selbstverständlich, der aus eigenem Erleben oder aus der flämischen Literatur
mit der naiven, um nicht zu sagen primitiven Religiosität der Flamen vertraut ist. Es ist
auffallend, wie zahlreiche humoristische Erzählungen, die anderswo rein weltlichen Inhalts
sind, hier legendenhaften Charakter angenommen haben. Während im sonstigen Nieder-
deutschland solche Erzählungen auf König Fritz und seinen Hofnarren zugespitzt sind,
werden sie in Flandern auf Onze-Lieve-Heer und Sinte Pieter umgeprägt. Natürlich wird
auch der Jahreskranz des Brauchtums hier weit stärker von kirchlichen Festen bestimmt
als im protestantischen Niederdeutschland.
Der Inhalt des Werkes gliedert sich in drei Hauptstücke; das erste davon zerfällt in zwei
Unterabteilungen. Zunächst werden das Land und seine Bewohner behandelt. Dabei wird
besonders die Einstellung des Volkes selbst zu seinem Land, seiner Geschichte und seinen
Volksgenossen in prächtigen Beispielen dargelegt. Der zweite Abschnitt berichtet dann in
geraffter Darstellung über das sachliche Volksgut, angefangen von der Siedlungsform übet
Hausbau, Gerätschaft, Volkskunst, Tracht usw. bis zum Essen und Trinken. Wer etwa
Timmermans’ „Pallieter“ gelesen hat, weiß, wie wesentlich die Back-, Koch- und Brau-
künste das vlaamsche Volksleben beeinflussen.
Das zweite Hauptstück befaßt sich mit den geistigen und seelischen Elementen des Volks-
tums. Sein erster Abschnitt behandelt die Sprache. Ähnlich wie im ersten Teil des ersten
Hauptstückes kommt es dem Verf. weniger darauf an, rein wissenschaftliche Ergeb-
nisse zu bieten, als vielmehr darauf, die Sprache vom Volke aus zu betrachten. So gibt
er nicht eine Grammatik oder Geographie der Dialekte Flanderns, sondern er läßt die Be-
wohner der verschiedenen Landstriche die Mundart ihrer Nachbarn verspotten, und wir
gewinnen so ohne wissenschaftlichen Ballast ein ungemein lebensvolles Bild von dem Reich-
tum Flanderns an noch heute springlebendigen Dialekten.
Nun folgt das Erzählgut. Über Sprichwort, Sage, Märchen, Schwank und Legende
wird Treffendes gesagt, und bei den klug gewählten Beispielen wird der Leser immer
wieder angeregt, zu den Sammlungen vorzudringen, die die ganze Fülle des Materials
zur Verfügung stellen. Besonders geglückt scheint mir die Darstellung des Volksliedes, die
wir im dritten Abschnitt des zweiten Hauptstückes finden. Vom einfachen Ruf werden wir
zum Kinder- und Wiegenlied und weiter zu all den verschiedenen Formen des Volksliedes
geführt. Die weiteren Abschnitte dieses Teiles behandeln den Volksglauben, die Volks-
medizin und die Volkswetterkunde. Das dritte und letzte Hauptstück bringt dann ¿aS
Brauchtum, gebunden im ersten Unterabschnitt zum Jahreskranz, im zweiten dagegen ge'
ordnet um den Lebenslauf des Menschen.
Eigen Aard ist in erster Linie bestimmt für den großen Kreis der Freunde heimischen
Volkstums; theoretische Fragen und vergleichende Studien finden sich nur, wo sie zur Er-
klärung der Sachlage dringend erforderlich sind. Der Wissenschaftler mag das bedauern,
Deutsches Handwerkerleben und der Aufstieg der Stadt
273
er findet aber eine gewisse Entschädigung in den sorgfältigen Anmerkungen und der klug
ausgewählten Bibliographie.
Eine Volkskunde ohne Abbildungen wäre nur ein halbes Werk. Gelegentlich trennt man
die Darstellung im Bild von der durch die Feder, indem man einen geschlossenen Bilderteil
einfügt. Eigen Aard geht den zweiten möglichen Weg, indem das Illustrierende dem Text
beigefügt, ja in ihn hineingefügt wird, indem das Bild sich von den Druckzeilen überlaufen
läßt, den Text im eigentlichen Sinne des Wortes untermalt. Neben den Dokumentarbildern,
deren Auswahl überzeugend wirkt, wird der Text belebt durch schildernde Illustrationen,
die, von H. Lievens geschaffen, entzückende Ausschnitte aus dem Volksleben in oft köst-
lichem Humor lebensvoll darstellen. Sie können in ihrer Volksverbundenheit als muster-
haft gelten. Mustergültig ist überhaupt die ganze Ausstattung des Buches. Auch deutsche
Wissenschaftler, besonders Volkskundler, sollten einmal überlegen, ob es nicht auch rein
wissenschaftlichen Werken vorteilhaft wäre, wenn gestaltende Künstler sich des Gewandes
ihrer Werke annehmen würden. Wie ein gut gekochtes Mahl wesentlich besser mundet,
wenn es in lockender Aufmachung serviert wird, so wird auch das wissenschaftliche Werk
größere Freude erregen, wenn es in ansprechendem Druck, einladendem Einband und von
Künstlerhand geschmückt dargeboten wird.
Wenn derVerf. seinem Buche wünscht, daß es der vlaamschen Folklore viele Freunde
gewinnen möge, so hat er das Ziel zweifellos erreicht. Aber darüber hinaus wird auch der
Volkskundler von Fach darin eine Fülle wertvoller Anregungen gewinnen und verwerten
können.
Wie gut gleich der erste Wurf gelungen war, ergibt sich auch daraus, daß für die zweite
Auflage überhaupt keine Änderungen vorgenommen zu werden brauchten. Nur die Ortho-
graphie wurde der inzwischen eingeführten neuen niederländischen Rechtschreibung an-
gepaßt. Paul BECKMANN-Rostock
Rumpf, Max: Deutsches Handwerkerleben und der Aufstieg der Stadt. Stuttgart, W. Kohl-
hammer, 1955. 244 Seiten, 106 Bilder.
Rumpfs Deutsches Handwerkerleben bildet die notwendige Ergänzung zu seinem 1936
erschienenen Deutschen Bauernleben und stellt neben den Bauern als Wesensmitte des
,,Gemeinen Volkes“ auf dem Lande den Handwerker als Hauptfigur der jungen, rasch auf-
blühenden deutschen Stadt. Damit rundet das Deutsche Handwerkerleben das Gesamtwerk
vom „Gemeinen Volk“ ab, das wissenschaftliche Hauptanliegen seines Lebens, wie R.
selbst das breit angelegte soziologische und volkskundliche Lebens- und Kulturgemälde
bewertet. Es ist zugleich das Vermächtnis des 1953 verstorbenen Soziologen und Volks-
kundlers an die Nachwelt.
Unter „Gemeinem Volk“ versteht R. im Anschluß an mittelalterlichen Sprachgebrauch
die Mutterschicht einer Kulturnation, die breite tragende Schicht unseres Gesamtvolkes,
die sich als ständisch geordnet erweist, die ständisch empfindet, die mittelalterlich gesinnt
und gefügt ist und die sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts als lebenskräftig behauptet
hat und erst seit dieser Zeit dahinzuschwinden beginnt.
In großen Zügen umreißt R. zunächst Ziel und Aufgabe seines Werkes. Der Handwerker
als mittelalterlich-ständische Lebensgestalt, dessen Denken stetig um Haus und Familie
kreist, verfertigt seine Ware in einem bündigen Arbeitsgang vom unbearbeiteten Rohstoff
bis zum fertigen Gebrauchsstück. Unterschiedlicher handwerklicher Betriebsweise ent-
spricht die wichtige und charakteristische Dreiteilung in Voll-, Lohn- und Störhandwerker.
Mit der Entwicklung und dem Schicksal der Stadt engstens verbunden, zeigt der Hand-
werker, anders als der äußerst stete Bauer, bereits im Mittelalter mancherlei modern an-
mutende Züge, nämlich schnell zunehmende Abhängigkeit von Urkunde und „vernünfti-
gem“ Schreib- und Rechenwerk. Im Gegensatz zum Bauern, dem „Richtmann Gemeinen
Volkes“ auf dem platten Lande, ist er seit dem hohen Mittelalter „zivilisierter Gemeiner
!8 Volkskunde
274
Deutsches Handwerkerleben und der Aufstieg der Stadt
Mann“ und „Geldmensch“ geworden. Und dennoch ist zünftiges Handwerkertum — das
ist die Hauptthese R.s — als der breite Mittelstand und kernige Hauptbestandteil der mittel-
alterlichen und nachmittelalterlichen Stadt bis 1848 echtes „Gemeines Volk“ geblieben.
Dabei wird die Darstellung handwerklichen Lebens, ein Stück Volksgeschichte, eingebettet
in die Geschichte der gesamten deutschen Nation.
Die Zeit nach 1848 bis zur Gegenwart zeigt Wandel und Zerfall mittelalterlichen Hand-
werkertums. Dieses Stück „Volksgeistesgeschichte“ greift über den bloßen Handwerker
ebenso wie über das Mittelalter hinaus, stellt Patrizier und Honoratioren als „bessere Leute“
dem Handwerker, dem Hauptbestandteil des Stadtvolkes, entgegen und untersucht das Ver-
hältnis der mittelalterlichen Stadt und seiner Bürger zur modernen Großstadt und zum
modernen Großstädter. Stärker als auf den Bauern hat in der Gegenwart die rationale
Technik auf das Handwerkertum eingewirkt: Ein Teil davon ging unter, ein anderer fügte
sich modernem Großbetrieb ein, und nur ein Kerntrupp setzt unverändert mit Meister,
Gesellen und Lehrlingen in eigener kleiner Werkstatt altüberkommene Arbeitsweise unter
weitgehender Zuhilfenahme technischer Neuerungen fort. Stets aber ist der Handwerker
mit sinnvoller bündiger Arbeit ein freier Gestalter und in seinen besten Leistungen echter
Kulturschöpfer gewesen.
In zehn Hauptstücke hat R. sein Werk aufgegliedert. Im ersten bis zum vierten Haupt-
stück wird eine gründliche Deutung handwerklichen Lebensgefüges gegeben, veranschaulicht
durch lebendige und typische Zeugnisse. Die Zunft, die bedeutsamste und kennzeichnendste
Ordnungsform des Handwerks, bindet den Handwerker, spiegelt die vielfältige Gliederung
des städtischen Gewerbes in Unterfachschaften und damit das überaus vielgestaltige und
wechselreiche Leben wider und zeigt mit seinem einengenden Zunftzwang und seiner ab-
wehrenden Familienpolitik schon früh Zeichen beginnender Erstarrung. In ständische
Ordnung eingefügt, erweist sich das Leben des alten Handwerkers nach Ansicht des Verf.s
als weitgehend beharrlich. Doch bedenklich wird das Gemeinschaftsgefüge bereits im
hohen Mittelalter erschüttert, wenn die Nahrungsdecke des Handwerks zu knapp und dünn
wird. Zwischengemeinschaftliche Spannungen, auch Spannungen zwischen Handwerk im
ganzen und den herrschenden Geschlechtern sind die Folge. Hinzu treten bei Lohnstreitig-
keiten oder Entlassungen und bei Gefährdung der sozialen Geltung Streiks und Abwan-
derungen der Gesellen, die sich außerhalb der Zunft zu Gesellenverbänden zusammenge-
schlossen haben. In dem Maße, in dem Urkundenkultur, Verschriftung und Verrechtung
auch auf den schlichtesten Zeitgenossen zunehmend Einfluß gewinnen, verändert sich trotz
Beharrung im Stand auch der Handwerker langsam. Bewegliches Handwerkerleben und die
zunehmende Kultur der Urkunde werden im vierten Hauptstück geschildert.
Diesen auf grundsätzliche Erkenntnisse zielenden Ausführungen folgt im fünften bis
siebenten Hauptstück ein lebendiger, in sich lose gefügter Bilderteil aus dem Zunft- und
Handwerkerleben. Als scharf ausgeprägte Sonderarten und Kernstücke des Handwerks er-
langen Bäcker, Fleischer und Fischer, die Hauptträger des Nahrungsgewerbes, neben dem
armseligen Leineweber beispielhafte Bedeutung für zünftiges Leben im Mittelalter und für
seine Weiterentwicklung im Maschinenzeitalter. Während sich Fleischer und Bäcker be-
haupten, erliegt der Handweber dem Ansturm der neuen Zeit fast völlig. Geselligkeit, Fest-
lichkeit und Brauch, namentlich unter Gesellen und Handwerksburschen (Gesellenmachen
und Gesellenwandern), und die zahlreichen Sinnbilder im Handwerk (Meisterkrone und
Felleisen des Gesellen, Zunftlade mit Schlüssel und Zunftschmuck auf dem Sarg eines Zunft-
bruders, Warenmarke und Siegel) sprechen eine ausdrucksvolle Sprache der Gemeinschaft
und beseelen und verlebendigen, erheben und verinnerlichen ihr Dasein.
Das achte Hauptstück faßt das Wesentlichste aus dem bisher Gesagten zusammen und
grenzt den Handwerker als echten „Gemeinen Mann“ nach oben hin gegen Patriziat und
Honoratiorentum, sogenannte „bessere Leute“, ab.
Nach einem Lob auf das Biedermeier, auf die Zeit von 1815 bis 1848, in der deutsche Hand-
werker noch einmal mit selbstverständlicher Sicherheit inmitten der Enge des Polizeistaates
Werke bester Handwerkskunst hervorbrachten, berichtet R. im neunten und zehnten Haupt-
stück vom jähen Verfall dieser Kultur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und von
Der Schäfer
275
berechtigter Hoffnung unserer Zeit auf schließliche Selbstbehauptung einzelner Gruppen
des Handwerks im 20. Jahrhundert. Zunehmende Rationalisierung charakterisiert die Ent-
wicklung der modernen Stadt und ihrer Bewohner. Der sozialen Prägekraft der modernen
Großstadt konnte sich auch der Handwerker nicht entziehen. Wendig paßte er sich den
Neuerungen an, so daß sich auch heute noch das Handwerk als echter Berufsstand erweist.
R. verzichtet darauf, die Schicksale des Handwerkers als „Gemeinen Mannes“ in streng
geschichtlicher Folge darzustellen. Bis zum Jahre 1848 sieht er im Handwerkertum im
allgemeinen eine in sich beharrende, sich treu bleibende Gruppe, die sich zur Zeit der
Renaissance und noch entschiedener im Zeitalter der Aufklärung als Unterschicht heraus-
gebildet habe.
Diese Grundauffassung, die einer kritischen Überprüfung bedarf, läßt R. die heutige
Großstadt und den Industriearbeiter zu sehr vom Gesichtspunkt des „Gemeinen Volkes“
aus beurteilen und kommt daher zwangsläufig zu einem schiefen Bild der modernen Ent-
wicklung, die doch starke positive Kräfte aufweist und mit neuen Kategorien erfaßt wer-
den müßte.
Insgesamt gesehen ist R.s Deutsches Handwerkerleben mit seinen 106 wertvollen Ab-
bildungen deutscher mittelalterlicher Städte, Zunfthäuser, Zunfttruhen, handwerklicher
Sinnbilder und Handwerkerbilder aus den Stiftungsbüchern des Nürnberger Zwölfbrüder-
hauses und aus Jost Ammans Beschreibung aller Stände eine lebendige und geraffte, auf
gründlicher Sachkenntnis beruhende Darstellung des Hauptträgers mittelalterlichen,
städtischen Volkslebens und eine Bereicherung deutschen volkskundlichen Schrifttums.
Herbert CLAUss-Dresden
Hornberger, Theodor: Der Schäfer. Landes- und volkskundliche Bedeutung eines Berufs-
standes in Süddeutschland. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1955. 246 S., 88 Fotos. Ganz-
leinen. (= Schwäbische Volkskunde, N. F. 11/12. Buch.)
Schon auf die Jahre vor Ausbruch des Krieges gehen die Vorarbeiten und Feldforschungen
Hornbergers für sein lang erwartetes Schäferbuch zurück, das der Kohlhammer-Verlag
nunmehr in einer sehr ansprechenden, gut illustrierten Ausgabe vorlegen kann.
Das Buch hat — nach den Worten seines Verfassers — ,,das letzte Ziel noch nicht er-
reicht“. Zunächst soll das Material in einem „ersten Gliederungsversuch geordnet“ der
Fachwelt unterbreitet werden. Gleichzeitig möchte es „für eine vertiefte wissenschaftliche
Arbeit Anregung und Hilfe sein“. In der Hauptsache aber soll dieses Buch dazu beitragen,
den Schäfer gerechter zu beurteilen, „als es eine romantisch schwärmerische Zuneigung oder
eine bäuerlich berechnende Abneigung“ bisher getan haben. Schließlich und endlich wendet
es sich an den Schäfer selbst, der gerade in unserer Zeit der Vollmechanisierung der Land-
wirtschaft in einem harten Daseinskampf steht.
Dies sind die wesentlichen Voraussetzungen, unter denen H. sein Werk betrachtet wissen
möchte und unter denen es auch beurteilt werden muß. So allein wird es verständlich, daß in
den Fußnoten fast nur die allgemeine Literatur Erwähnung findet, die Quellen nur spärlich
und zum Teil gar nicht genannt werden1).
Daß H. in seinen Formulierungen bisweilen das Schäferliche überbewertet, spricht lediglich
für die Hingabe an seine jahrelange Arbeit.
H. eröffnet sein erstes Kapitel Die berufsständische Gemeinschaft2) mit einer knappen
Untersuchung über Schäfertum — Hirtentum — Bauerntum, wobei er unter Hirtentum die
*) So würde man gern erfahren, wo sich z. B. das Original des Trillfinger Bruderschafts-
briefs, der im Anhang abgedruckt wird, befindet oder nach welcher Quelle der Hirtenpakt
von Oberlauterbach geschildert wird.
2) Der zweite Abschnitt des Buches Der Lebensraum hätte sich als Anfangskapitel zweifel-
los organischer in die Grundkonzeption der ganzen Darstellung eingefügt, wenn H. auch
bestimmte Gründe für den umgekehrten Weg geltend macht.
18 *
276
Der Schäfer
in rein nomadistischer Wirtschaftsform lebenden Hirtenvölker versteht. Der unserer Mei-
nung nach wesentliche Punkt einer solchen Erörterung, ob unser Schäfer und der heimische
Hirt eines Standes sind, wird leider nicht behandelt. — Die Gegensätze zwischen Schäfer
und Bauer werden, scheint uns, zu stark vom Standpunkt des Nomadentums beleuchtet.
Das Kain-Abel-Motiv in seiner ganzen Schärfe dürfte für die mitteleuropäischen oder gar
die süddeutschen Verhältnisse kaum gegeben sein.
Die Darstellung über den Schäferberuf (2. Abschn. d. 1. Kap.) enthält neben Fragen der
Ausbildung und des Berufsnachwuchses auch Untersuchungen über das Standesbewußtsein
und — sehr interessant — die schäferliche Familie. So erhellt das Ergebnis einer statistischen
Rundfrage, daß noch vor hundert Jahren 51% der süddeutschen Schäfer mit Schäfertöchtern
verheiratet waren. Heute ist diese Zahl auf 12% zurückgegangen3).
Die Darstellung über die Gemeinschaftsformen des süddeutschen Schäferstandes (3. Abschn.
d. 1. Kap.) behandelt neben den bekannten traditionellen Schäferzünften auch die „wirt-
schaftlichen Zweckverbände“ in unserer Zeit, den süddeutschen und norddeutschen Schä-
fereiverband. Bei dieser Gelegenheit nimmt H. auch einmal zum norddeutschen Schäferei-
wesen Stellung, das „durch die materiellen und finanziellen Interessen des Großgrund-
besitzes und der großen Schafzüchter“ (S. 5 8) bestimmt werde. So sei auch der norddeutsche
Schäferei verband „weitgehend ein kapitalistisches Unternehmen, in dem der kleine Schäfer
und Schafknecht nur am Rande beteiligt war und wo das geistige Kulturgut des Schäfer-
standes so gut wie keine Rolle spielte“ (ebd.). Solche Gegensätze sind doch wohl zu stark
durch die süddeutsche Brille gesehen! Was sind schließlich die schwäbischen Schäfer-
zünfte — zumindest vom Zeitpunkt ihrer ersten urkundlichen Erwähnung ab — anderes
als Zweckverbände, die doch vorwiegend zur Sicherung der wirtschaftlichen Interessen der
Landesherren ins Leben gerufen wurden? Schließlich manifestiert sich das geistige Kultur-
gut des Schäferstandes nicht allein nur im süddeutschen Schäferverbandswesen. Abgesehen
davon, daß wir auch niederdeutsche Vereinigungen, die allein von Schäfern und nicht auf
Initiative des Landesherrn gegründet wurden, kennen, sollte man doch die markante Ge-
stalt des „Bauernschäfers“ Westfalens oder der Lüneburger Heide, der wie kaum ein anderer
Vertreter seines Standes dessen „geistiges Kulturgut“ repräsentiert, nicht vergessen. Die
Gegensätze oder besser gesagt, die Verschiedenheiten zwischen den süd- und norddeutschen
Verhältnissen sind doch letztlich aus der ganz andersartigen landwirtschaftlichen Struktur
zu erklären. Man kann nicht einem kapitalistisch ausgebeuteten norddeutschen Schäfertum
ein völlig frei sich entwickelndes süddeutsches Schäfertum entgegenstellen!
In der Zusammenfassung dieses Abschnitts handelt Verfasser sehr klar und einleuchtend
über die historischen, psychologischen und organisatorisch-wirtschaftlichen Grundlagen
schäferlicher Gemeinschaftsbindungen.
Das zweite Kapitel Der Lebensraum (siehe Anmerkung 2) behandelt zunächst die Probleme
von Wohn- und Wirtschaftsraum, die sich aus den besonderen süddeutschen Verhältnissen
der Wanderschäferei ergeben. Über die soziologisch-familiären Erscheinungen und Folge-
rungen berichtet H. schon im Abschnitt über den Schäferberuf.
Nach einer Betrachtung über die süddeutschen Bodenverhältnisse und ihre Voraus-
setzungen für die Schafhaltung erörtert Verfasser ihre einzelnen Betriebs- und Wirtschafts-
formen, wobei man von der Wanderschäferei, die in Württemberg noch heute bis zu 88%
der Gesamtschafhaltung ausmacht (S. 80), noch gern etwas mehr erfahren hätte. Schließlich
ist sie ja der nördliche Ausläufer des großen mittelmeerischen Transhumanzgebiets.
Schwerpunkt des Buches ist das dritte Kapitel Das Gemeinschafts gut, in dem eingangs sehr
genau Geschichte und Verlauf der einzelnen württembergischen, oberhessischen, fränkischen,
bayrischen und thüringischen Schäferfeste geschildert werden. Es fällt schwer, bei den
modernen Fassungen dieser Feste, die ja in erster Linie aus Gründen der Fremdenwerbung
veranstaltet werden, an eine „Neigung zur Pflege gerade der schäferlichen Standeskultur£
(S. 131) zu glauben. Man möchte eher sagen, daß das Schäferliche nur noch der äußere Anlaß
3) Bei dieser Rundfrage darf jedoch nicht übersehen werden, daß von 5000 zweimal
befragten Schäfern Süddeutschlands nur 5 % eine Antwort eingeschickt haben.
Von Schippenschmieden und Schäferschippen
277
ist, einen großen Rummelplatz zu organisieren, wobei andererseits nicht abgestritten werden
soll, daß einzelne Schäferfeste durchaus als ein traditionsbewahrendes Element für brauch-
tümliche Äußerungen auch aus dem nichtschäferlichen Bereich gelten können.
Die in den verschiedenen Abschnitten sehr knapp gehaltene folgende Untersuchung
über die einzelnen Elemente der Schäferfeste vom Wettlauf über den Tanz und das Leistungs-
hüten bis zur detaillierten Schilderung des Uracher Feuerwerks enthalten eine Menge noch
Wenig bekannten Materials, sind aber doch zu allgemein behandelt. Gerade hier aber hätte
man eingehendere Erörterungen über den eigentlichen Ursprung und Anlaß der Schäferfeste
oder Auseinandersetzungen mit Mannhardts Theorien und anderen erwartet. — Ausführ-
licher hat sich H. in diesem Abschnitt lediglich mit dem Schäfertanz, seiner Erneuerung und
anderen bei den Schäferfesten üblichen Tänzen beschäftigt. So hat er z. B. die Tänze von
Markgröningen, Gunzenhausen und Urach sehr instruktiv in Tanzschrift dargestellt4).
Der letzte Abschnitt dieses dritten Kapitels behandelt Das Liedgut des Schäferstandes.
H. kann hier eine Reihe selbst aufgezeichneter Lieder, die auch für die sozialen Verhältnisse
typisch sind, mitteilen. Er kann auch neue Varianten zu der äußerst wichtigen Schäfer-
Edelmann-Ballade vorlegen.
Von der Wesensart der Schäfers ist das abschließende vierte Kapitel über schrieben. Die
Behandlung dieses Themenkreises, die H. in der Einführung als einen Schwerpunkt seiner
Gesamtdarstellung kennzeichnet, umfaßt leider nur 6 Seiten und vermag in diesem Umfang
nur wenig auszusagen. Freilich bleibt zu berücksichtigen, daß schon die Schilderungen der
Schäferfeste, die Untersuchung über die berufsständische Gemeinschaft u. a. zur Wesens-
art des Schäfers manches beigetragen haben.
Ganz vorzüglich ist das beigegebene Bildmaterial, das in seiner Vielfalt einen recht leben-
digen Gesamteindruck vom schäferlichen Alltags- und Festtagsleben in Süddeutschland gibt.
Ein Anhang enthält vornehmlich Auszüge und Gesamtabdrucke von Urkundentexten
Zur Geschichte der süddeutschen Schäferbünde und -feste5).
H., ein ausgezeichneter Kenner der süddeutschen Verhältnisse, hat ein Material vor-
gelegt, das durchaus einer „vertieften wissenschaftlichen Arbeit Anregung und Hilfe“
(S. 5) sein kann, wenn wir auch in der Deutung mancher Erscheinungen des Schäferlebens
mit ihm nicht immer einer Meinung sein können. Jeder aber, der sich einen guten Überblick
über Geschichte und Leben des süddeutschen Schäfers verschaffen will, wird gern zu diesem
äußerlich ansprechenden, sehr plastisch geschriebenen Buch greifen.
Wolfgang JACOBEIT-Berlin
Heimberger, Heiner: Von Schippenschmieden und Schäferschippen (= Bayerisches Jahr-
buch für Volkskunde 1955, S. 57—68).
Nach dem Schäferbuch Hornbergers muß noch ein kleinerer, aber gewichtiger Beitrag
Zur Schäfervolkskunde von dem sehr rührigen und gerade den etwas abseitigen Problemen
gegenüber aufgeschlossenen Adelsheimer Heimatforscher H. genannt werden.
Verf. hat sich einmal die Schäferstäbe (Fanghaken) und Schäferschippen (mit denen
man Erde nach den Schafen schleudern kann, wenn diese nicht in der Herde bleiben wollen)
vorgenommen und ist, freilich noch nicht erschöpfend, zu ersten sehr interessanten Ergeb-
nissen gekommen, die zu weiterer intensiver und systematischer Forschung anregen.
Methodologisch wichtig ist sein Quellenmaterial, das er vorwiegend aus Werken der
bildenden Kunst gewählt hat, wobei er jedoch immer wieder die gerade hier gebotene Kritik
nnd Skepsis betont.
4) Es wäre interessant gewesen, ebenfalls in Tanzschrift den Heidenheimer Tanz, der als
einziger noch von Schäfern selbst getanzt wird, mit den o. a. Tänzen, die in der Hauptsache
von Mitgliedern der Turnvereine „aufgeführt“ werden, zu vergleichen.
5) Hier vermißt man Proben aus den noch erhaltenen Schäfertagsprotokollen von Mark-
gröningen und Heidenheim, die H. ausdrücklich erwähnt.
278
Die Schiffahrt und Flößerei im Raume der oberen Donau
H. unterscheidet zunächst weithakige Schäferstäbe, die, wie er meint, auch als Vorbild für
die seit dem n. Jahrhundert erscheinenden Bischofsstäbe gedient haben können, und eng-
hakige Schäferstäbe. Der Unterschied liegt nicht nur in der äußeren Form, sondern auch in
der Funktion des Geräts. Während man mit den weithakigen Stäben die Schafe am Ober-
schenkel aus der Herde fängt, faßt man sie mit den enghakigen am Sprunggelenk. Das ur-
sprünglichere Gerät scheint uns der enghakige Fangstock zu sein, der praktisch aus jeder
Hecke geschnitten werden kann, während die Krümmung beim weithakigen Stab künstlich
geschaffen werden muß. (Über diese Herstellung gibt H. anschauliche Darstellungen.)
Andererseits können die enghakigen Fanggeräte auch aus zwei Teilen bestehen, wobei der
eigentliche Hakenteil künstlerisch geschnitzt und auf den Stab gesteckt wurde. Sind die weit-
hakigen Stöcke im wesentlichen wohl auf das Mittelmeergebiet beschränkt, zeigen die eng-
hakigen eine weit größere Verbreitung: vom Balkan bis nach Mecklenburg.
Sollten die Schäferschippen, wie H. festgestellt zu haben meint, wirklich nur in Deutsch-
land und den benachbarten westlichen Ländern vertreten sein? Sind es nicht ganz erklärliche
„Fundlücken“, die ein solches Verbreitungsbild erscheinen lassen? Man wird dieser Frage
unbedingt nachgehen müssen.
Den Anlaß zur Einführung dieses Geräts bei der Schafhaltung sieht Verf. in einer wirt-
schaftshistorischen Ursache: der Intensivierung der Landwirtschaft, die ein „weites Gehüt“
nicht mehr erlaubt und nach Mitteln suchen muß, die Herden eng zusammenzuhalten. Eine
sehr plausible Erklärung, will uns scheinen. Nur bleibt zu berücksichtigen, daß die ältesten
Belege, die H. für Schäferschippen finden kann, vom Barbara-Altar (Helsinki) des Ham-
burger Meisters Francke vor 1410 stammen. Die starke Intensivierung der Landwirt-
schaft, die bekanntermaßen zur erheblichen Reduzierung der Schafhaltung führte, setzt aber
doch erst wesentlich später ein. Andererseits zeigen jedoch die auf dem Barbara-Altar dar-
gestellten Schippen eine derartig feine, gut durchgebildete Form, daß man sie wohl ohne
Bedenken erheblich früher ansetzen darf. Somit könnte der Übergang zur Dreifelderwirt-
schaft mit einer „Intensivierung des Ackerbaus“ gleichgesetzt werden. Man muß jedoch ver-
suchen, weitere Quellen besonders aus der frühmittelalterlichen Bildkunst ausfindig zu
machen.
Sehr instruktiv sind die typologischen Reihen der verschiedenen Schippenformen.
(Schäufelchen, Löffelschippe, niederdeutsche Schapschüffel).
Einen wesentlichen Beitrag zur Frage der Wanderung von Geräteformen gibt H. in seiner
Darstellung über die Schippenschmiede. Es ist ihm gelungen, festzustellen, daß die in
Deutschland gebräuchlichen Schippenformen zumindest seit dem 19. Jahrhundert im wesent-
lichen aus vier süddeutschen Werkstätten kommen, die sich speziell nur mit der Herstellung
dieses Schäfergeräts beschäftigten. — In einem Fall hat er sogar noch das Herstellungs-
verfahren aus gebrauchten Sensenblättern von einem alten Schippenschmied erfahren
können.
So kurz und knapp H’s. Untersuchung auch gehalten ist, wirft sie doch eine Reihe von
Problemen auf, die bisher noch nicht erörtert wurden, die aber für die Volkskunde des
Schäfers von Bedeutung sind und in größerem Zusammenhang aufgegriffen werden
müssen. Wolfgang JACOBEIT-Berlin
Neweklowsky, Ernst: Die Schiffahrt und Flößerei im Raume der oberen Donau. 2 Bde.
Linz, Oberösterreichischer Landesverlag, 1952 und 1954. 1140 S., 350 Fotos, 36 Tafeln-
Ganzleinen. (= Schriftenreihe des Institutes für Landeskunde von Oberösterreich,
Nr. 5—6.)
Ein ganzes Leben unermüdlichen Sammelns und Forschens hat in zwei gewichtigen
Bänden, die N. der Fachwelt vorlegt, seinen Niederschlag gefunden. Als junger Ingenieur
schon, der an der Regulierung der Donau und ihrer Nebenflüsse mitarbeitete, lernte er aus
eigener Anschauung und Erfahrung das Leben der Schiffer und Flößer kennen und achten.
Durch keinen geringeren als Michael Haberlandt angeregt, entschloß er sich, diese
Die Schiffahrt und Flößerei im Raume der oberen Donau
279
seine Erlebnisse und Beobachtungen durch historische und volkskundliche Forschungen
Zu vertiefen und sie in einer groß angelegten Monographie niederzulegen, einer Mono-
graphie, die — das müssen wir sagen — wirklich allen Forderungen, die man an eine solche
Zu stellen hat, gerecht wird. Es ist ein erstaunlich vielseitiges Material, das uns der Verf.
bietet, und man könnte kaum sagen, auf welchem Sektor des Dargestellten noch eine Lücke
Zu finden wäre.
Daß vieles in diesem Buch den Volkskundler nicht unmittelbar angeht, schmälert in
keiner Weise seine Bedeutung als Standardwerk über die oberösterreichische Schiffahrt und
Flößerei.
In einem historischen Abriß Zur Geschichte der Donauschiffahrt wird die große Bedeutung
des Stromes als Verkehrsader eingehend geschildert und der starke Einfluß auf die mit der
Schiffahrt zusammenhängenden Gewerke unterstrichen.
Zur Berufssprache der Schiffsleute finden wir interessante Angaben im Kapitel über den
Weg der Fahrzeuge, d. h. Bezeichnungen des Wassers, des Strandes, der Felsen im Flußbett
u. v. a. Seine jahrelange Praxis bei der Strombauleitung in Linz, die Beobachtungen auf
vielen eigenen Fahrten mit der „Waidzille“ ermöglichen es N., manche falschen Begriffe,
die in der Literatur Eingang gefunden haben, richtig zu stellen.
Eine wahre Fundgrube ist das seinerzeit als Dissertation angenommene dritte Kapitel
über die Ruderschiffe auf der Donau und ihren Nebenflüssen. N. versteht es ausgezeichnet,
die verwirrende Vielzahl der Typen vom Mondseer Einbaum bis zur großen „Plätte“ und
„Hohenauerin“ übersichtlich nach Herkunft, Bauart und Verwendungszweck geordnet
darzustellen. Auch die Einzelheiten der Schiffsausrüstung, die einzelnen Schiffsteile werden
eingehend besprochen und beispielhaft auf den Tafeln abgebildet. — Dem heute im wesent-
lichen ausgestorbenen Gewerbe der „Schopper“, der Schiffsbauleute, wird eine ausführliche
Schilderung gewidmet. Der Schiffsbau an der Donau und ihren Nebenflüssen ist zuzeiten so
bedeutend gewesen, daß kaiserliche Maßnahmen zum Schutze der Wälder ergriffen werden
mußten.
Über die „nauwärts“, d. h. stromab fahrenden Schiffe und die,,gegenwärts“, d. h. stromauf
geschleppten Schiffszüge, die eine Herausbildung eigener Berufe bedingten, handelt N. im
vierten Kapitel. Hier erfahren wir auch Einzelheiten über die Tätigkeit der Schiffsbesatzun-
gen und über die Vielzahl von Funktionen der Schiffer, Reiter usw., die die meist leeren
Schiffe von Wien aus stromauf mitunter bis Regensburg schleppten. Bis in die zweite Hälfte
des 19. Jahrhunderts hinein müssen diese Schiffszüge das Landschaftsbild der Donau stark
beeinflußt haben. Noch heute finden sich in Flur-, Orts- und Häusernamen letzte Erinne-
rungen an diese Art der „Bergfahrt“. — Von einer Besprechung vieler interessanter histo-
rischer Fakten in diesem Kapitel, die für den Volkskundler aber nur von mittelbarem Inter-
esse sind, bei der Gründlichkeit des Verfassers jedoch unbedingt zum Buch gehören, wollen
wir hier absehen.
Der folgende Abschnitt über die Schiffahrt auf den oberen Donauzuflüssen ist vor allem
ein Beitrag zur Geschichte der Schiffahrt in diesen Flußgebieten. Volkskundlich interessant
ist uns hier besonders die Schilderung der Schiffer zu Laufen an der Salzach, die ein eigenes,
mit sehr alten Rechten begabtes Zunftwesen entwickelt hatten.
Der erste Band schließt mit einer Abhandlung über die Flößerei, bei der zu berücksichtigen
ist, daß sie auf der Donau nur als „Fortsetzung der Flößerei auf den Zubringern“ zu ver-
stehen ist. Dementsprechend werden die einzelnen Floßarten vor allem nach ihrer Herkunft
genau unterschieden und eingeordnet, also Iller-, Lech-, Isar-Flöße u. a. Außerordentlich
instruktiv sind wieder die Zeichnungen im Tafelteil des Bandes, die in minutiöser Genauig-
keit Einzelheiten der Bindung der Stämme, der Ruderanlage usw. zeigen.
Nach der Ruderschiffahrt und Flößerei, denen im wesentlichen der erste Band gewidmet
ist, behandelt N. im Anfangskapitel des zweiten Bandes die Kraftschiffahrt auf der Donau,
jhren Nebenflüssen und auf den oberösterreichischen Seen. Wichtig für den Volkskundler
ist hier die Tatsache, daß sich die Dampferbesatzungen aus der alten Ruder- und Floßschiff-
fahrt rekrutierten und auch die Befehlssprache und einzelne Bezeichnungen aus diesem
Bereich genommen wurden.
280
Die berühmten Märkte von Vasahely
Ein weiterer für uns sehr wichtiger Abschnitt behandelt Die Menschen. Wir empfinden es
trotz der Fülle des Dargebotenen als gewissen Mangel, daß N. den Stoff im wesentlichen nur
beschreibend darstellt und kaum auf den historischen und geistigen Untergrund der vor-
wiegend volkskundlichen Erscheinungen eingeht. — Wenn wir auch in vorhergehenden
Kapiteln schon über die Schiffsleute, ihre Funktionen, ihre Sprache usw. hörten, sind hier
Einzelheiten über ihr Zunftwesen, das damit verbundene Brauchtum und Trachtenwesen
zusammengefaßt. — Vom Soziologischen her bedeutsam scheint uns die Beteiligung der
Schiffsleute an revolutionären Erhebungen zu sein. — Die Bemerkungen über den mit der
Schiffahrt eng verbundenen Beruf der „Faßzieher“, die sehr alte Rechte besaßen und noch
heute in Linz als Faßzieherkompanie in Erscheinung treten sollen, regen zu Untersuchungen
im größeren Rahmen über diesen Stand, den wir im Norddeutschen als Stauer oder Schauer-
leute kennen, an. — Ein wenig ungeordnet ist freilich die Darstellung über Brauch und
Glaube, die aber andererseits interessante Einzelheiten auch zum allgemeinen Jahresbrauch-
tum beiträgt. — Bei der Menge der aufgezählten Sagen, die vorwiegend der Schiffahrt und
nicht der Flößerei entnommen sind, hätte man eigentlich einige vom Verf. selbst gesammelte
Varianten erwartet.
Beispielhaft geordnet breitet N. dann vor uns das vielgestaltige Quellenmaterial zur
Donauschiffahrt und Flößerei aus, das eine Sichtung der Bildwerke ergeben hat. Mit großer
Gründlichkeit hat der Verf. zunächst die Erzeugnisse der Volkskunst zusammengestellt.
Es folgt sodann eine wohl lückenlose Sammlung vom Gemälde über die Gebrauchsgraphik
bis hin zum Lichtbild.
Ähnlich gegliedert ist das letzte Kapitel Die Dichtung, das zunächst die Volksdichtung als
Quelle an einigen Liedstrophen, Epitaphen und vor allem am Nibelungenlied untersucht
und wertet und danach die Kunstdichtung bis zum modernen Roman hin behandelt.
Bei der Akribie des Verf.s überrascht es nicht, wenn allein der Anhang mit verschiedenen
Registern und Quellennachweisen über ioo Seiten umfaßt.
Man darf mit Fug und Recht von diesem Werk N.s sagen, daß es sich der bekannten
österreichischen Tradition vorzüglicher volkskundlicher Publikationen würdig anschließt.
Wolfgang JACOBEIT-Berlin
Kiss, Lajos: Väsärhelyi hires väsärok (Die berühmten Märkte von Väsähehj). Szeged,
Verlag Tiszatäji Magvetö Könyvkiado, 1956. 115 S.
Das Buch rekonstruiert die Märkte vom Ende des 19. und vom Anfang des 20. Jahrhun-
derts durch die Beschreibung der Landesmessen einer großen ungarischen Stadt der Tief-
ebene, Hödmezövasärhely, Komitat Csongräd. Die Messen oder Märkte spielen eine
bedeutende Rolle im Leben des Volkes, besonders der Bauernschaft. Sie hatten den Cha-
rakter von wahren Volksfesten. Um die letzte Jahrhundertwende befriedigte die Bauern-
schaft auf diesen Messen außer ihren materiellen Bedürfnissen auch ihre kulturellen An-
sprüche. Das Buch behandelt eingehend die Anordnung der Verkaufsstände auf dem Markt-
gelände. Die Verkäufer boten auf der Messe ihre Waren auf einem genau festgesetzten Platz
feil. K. beschreibt auf Grund der Warengattungen in zwei großen Kapiteln die Bedeutung
der Messe. Sein Kapitel über den Viehmarkt handelt vom Pferdemarkt, dem Rindermarkt,
dem Schweinemarkt und Schafmarkt. Doch die Hauptabschnitte des Buches beschäftigen
sich mit der Beschreibung des Krammarktes. Wir erhalten wichtige Angaben über die
Wirksamkeit der Wandersänger. Die Sänger trugen verschiedene Ereignisse, Geschichten
im Versmaß und Balladenstil singend vor. Der Text der Gesänge wurde auf gedruckten
Blättern verkauft. Infolge der Aufführungen der Sänger und des Verkaufes der Lieder-
bücher und Liederhefte wurde die Messe zu einer bedeutsamen Quelle und zum Ver-
breitungsort verschiedener Lieder, Märchen, Balladen und geschichtlicher Gesänge. Der
Verf. zeichnet von fast jeder charakteristischen Gestalt der Messe ein treues und genaues
Bild. Solche charakteristischen Figuren sind: der Kürschner, der Gerber, die verschiedenen
American Folksongs of Protest
281
Schneider, der Hutmacher, der Lebzelter, der Buchhändler, der Sänger usw. Auf dem Markt
erschienen Verkäufer verschiedener Nationalitäten: deutsche, italienische, bulgarische,
bosnische, rumänische. Die aus entfernten Ländern eintreffenden fremden Handelsleute
Verkauften vorzugsweise Gebrauchsgegenstände (Töpferwaren, Holzlöffel, Salzfässer)
und Galanteriewaren (Spiegel, Kämme, Tabakpfeifen usw.). Auf einem abgesonderten
Platz bildeten die Zeitvertreiber der Messe eine besondere Gruppe. Ihre charakteristischen
Gestalten sind die Komödianten und die Schwarzkünstler. Wir finden die verschiedensten
Formen der Zerstreuung: das Panorama, das Ringelspiel (Karussell), das Scheibenschießen
usw. Das eingehende Studium der Unterhaltungen und Zerstreuungen auf den Jahrmärkten
wäre sehr lehrreich vom Standpunkt des Einflusses, den dieselben auf die Volksanschauung
ausgeübt haben.
Das in belletristischem Stil geschriebene Buch ist der erste ernstere Versuch eines volks-
kundlichen Studiums der ungarischen Märkte. Zoltän UjvÄRY-Debrecen
Greenway, John : American Folksongs of Protest. Philadelphia, University of Pennsylvania
Press, 1953. 348 S.
Seit Beginn der Sammeltätigkeit auf dem Gebiet der Volksdichtung behaupteten die
Forscher bis in die jüngste Vergangenheit, sie hätten einen schwindenden Schatz vor der
Vernichtung zu bewahren, beim Sammeln täte Eile not, denn die rasch vorwärtsschreitende
Zivilisation und die technische Entwicklung würden bald alles hinwegfegen. Seit Anfang
des 19. Jahrhunderts wurde in einem fort die Sturmglocke geläutet, — und jetzt haben wir
die ergreifend schöne und reiche Sammlung G.s vor uns, eine Sammlung aus dem Kreise
der Industriearbeiterschaft eines der industriell im höchsten Maße entwickelten Länder der
Welt, der Vereinigten Staaten von Amerika, als schlagenden Beweis dafür, daß die Furcht
vor dem Niedergang unbegründet war.
Woher stammt der Irrglaube vom Absterben der Volksdichtung? Einfach daher, daß
der Begriff „Volksdichtung“ ungeklärt war und zum Teil auch heute noch ungeklärt ist.
Davon überzeugt das von G. gesammelte Material, und der Folklorist sieht sich veranlaßt,
die Richtigkeit der allgemein geltenden Kriterien zur Bestimmung der Volksdichtung
einer gründlichen Prüfung zu unterziehen.
Die Entwicklung der Volksdichtung hielt mit der Geschichte des werktätigen Volkes
Schritt und mußte sich in dem Maßstab, in dem das Volk zum Selbstbewußtsein erwachte,
folgerichtig verändern. Der Begriff Volkslied muß nunmehr unter Berücksichtigung der
Lieddichtung mit historisch-politischem Inhalt, die im Verlauf der kapitalistischen Ent-
wicklung in immer reicherem Maße laut wird, definiert werden. In dieser Hinsicht bietet
die vorzügliche Sammlung G.s eine ernstzunehmende Hilfe.
Die gegen die Unterdrückung protestierenden Lieder, die sogenannten „protest songs“,
sind die bezeichnendsten Erzeugnisse des imperialistischen Zeitalters. Sie entfalten sich im
heutigen Amerika als die markanteste Kunstgattung des neuen Volksliedes in schier unglaub-
lichem Reichtum. G. verfolgt die Geschichte der protest songs auf der Spur der amerika-
nischen industriellen Entwicklung vom ersten amerikanischen Arbeiterstreik im Jahre 1786
bis in unsere Tage. Die Lebensfähigkeit dieser Kunstgattung ist über alle Zweifel erhaben,
es wurden schon viele Tausend gesammelt, und da die Lieder vor den Augen des Sammlers
entstehen, aufblühen und absterben, um in neuer Form wiedergeboren zu werden, überall
Wo man ihrer bedarf, ist der Stoff wie ein unübersichtlicher Wald. Den Liedern liegt der
Formenschatz volkmäßiger Überlieferung zugrunde, die Verfasser sind einfache Arbeiter,
die vom Elend zu aktiven Kämpfern gestählt wurden, und sich aus ihren ererbten Liedern
Waffen schmiedeten. Man kennt manches Beispiel aus der Geschichte für die zündende
revolutionierende Wirkung einzelner Volkslieder, doch geschieht es zum erstenmal, daß
roan der Verschmelzung von Lied und Kampf der Massen in solchem Ausmaß begegnet.
Das Buch G.s bestätigt fast auf jeder Seite das Motto, unter dem es erscheint, die treffenden
282
American Folksongs of Protest
Worte Steinbecks: „The songs of the working people have always been their sharpest
Statement, and the one Statement that cannot be destroyed. You can burn books, buy
newspapers, you can guard against handbills and pamphlets, but you cannot prevent
singing.“
G. veröffentlicht in seinem Band 226 Lieder, größtenteils Balladen, eine Auswahl aus
seiner Sammlung, die Tausende umfaßt. Er strebt keine Vollständigkeit an, vielmehr möchte
er durch ausgewählte Stücke das Interesse für diesen blühenden Zweig der Volksdichtung
erwecken. Und doch ist der dicke Band nicht bloß eine Anthologie. Denn er offenbart uns
ein erschütterndes Kapitel aus der Geschichte des amerikanischen Volkes, das gerade von
den am meisten verelendeten Schichten in Liedern festgehalten wurde. G. ordnet seinen Stoff
nach Berufsgruppen und in historischer Folge. Es erhöht den wissenschaftlichen Kredit
seiner Arbeit erheblich, daß er zu den einzelnen Texten den historischen Hintergrund auf-
zeichnet und sie durch die eigenen Worte der Volksdichter oder -sänger kommentiert.
Bevor der Verfasser die einzelnen Gruppen der protest songs darlegt, erörtert er die Ent-
wicklung dieser Kunstgattung, ihre formale Charakterisierung und ihre Rolle in der amerika-
nischen Arbeiterbewegung. Die Lieder — schreibt G. — sind von dem Gefühl der Gemein-
schaft durch tränkt, ob sie nun von individuellen Verfassern oder von Gruppen gesungen
werden. Es sind Lieder der Arbeiterbewegung, weil sie in den Kämpfen der Arbeiterschaft
entstanden sind und diese begleiten; sie können ohne Kenntnis der Geschichte der amerika-
nischen Arbeiterbewegung nicht verstanden werden.
Was nun die formalen Eigentümlichkeiten der protest songs betrifft, so haben die weiter
unten einzeln behandelten, an Liedern reichen Arbeiterschichten die alten Volksliedüberliefe-
rungen des bäuerlichen Südens weiterentwickelt. Obgleich der Band schöne Stücke enthält,
die mit denen der CHiLDschen Sammlung verglichen werden können, folgen die Balladen
zum größeren Teil den konventionellen Formen der Ilistoriengesänge neuen Stils. Sehr
volkstümlich sind die Formen mit Kehrreim, bei denen G. den Strophenzuwachs im Verlauf
des kollektiven Singens an mehreren Stellen nachweist. Ebenso beliebt ist die Blues-Form,
das Kinderlied und andere leicht singbare Arten. Die Lieder weisen verschiedene Grade
schöpferischer Betätigung auf, vom einfachen Umdeuten kirchlicher Volksgesänge (wo statt
„ich“ ein,,wir“, statt „Gott“ „CIO“ gestellt wird) bis zur schöpferischen Durchformung der
Überlieferung. Beim Singen kommt dem verbreitetsten Volksinstrument, der Gitarre, auf
der Schöpfer und Vortragende sich selbst und auch den gemeinsam gesungenen Kehrreim
begleiten, besondere Bedeutung zu. Viele Angaben klären die Funktion der Lieder in der
Gemeinschaft.
Nach einer allgemeinen geschichtlichen Übersicht behandelt der Verf. die Lied-
gruppen in folgender Reihenfolge:
1. Negerlieder. Die Geschichte der amerikanischen Neger zerfällt in drei Abschnitte. Dem-
entsprechend unterscheidet G. dreierlei Typen der Protestlieder. Aus der Zeit der Sklaverei
sind davon auffallend wenig erhalten geblieben, obwohl Lieder anderer Art reichlich vor-
handen sind. Das mag an der brutalen Unterdrückung gelegen haben. In den Spirituals
erblickt der Verfasser nur selten Zeichen des verschleierten Protestes. Einige schöne Lieder
beweinen den Abschied des verkauften Familienmitglieds von seinen Lieben. Das Material
der zweiten Periode ist reichhaltiger: es enthält aus der Zeit des Bürgerkrieges schöne
Balladen von Sklavenentführungen und -befreiungen, von Rachetaten; Negerhelden wie NaT
Turner und Harriet Tubman werden besungen, obgleich ein Teil der Lieder nicht mehr
von Negern verfaßt ist. In der dritten Periode, die bis in unsere Tage reicht, nimmt die Zahl
der Lieder zu. Diese spiegeln die Enttäuschung nach der Befreiung: Was nützt dem Neger
die Freiheit, wenn er wegen seiner Hautfarbe doch nicht gleichgestellt ist? Die immer wieder-
kehrenden Themen sind: Was denn der Unterschied zwischen weiß und schwarz sei, das
Lynchgericht und die Beschränkung der Rechte. Die zahlreichen Negerarbeiterlieder aus
den beiden letzten Jahrzehnten gehören schon eher der zweiten Gruppe an.
2. Lieder der Textilarbeiter. Ihre Protestlieder reichen bis in die Zeit der Gründung der
Spinnereien zurück. In der amerikanischen Industrie wurde als erste die Textilindustrie
mechanisiert. Die Kapitalisten hatten zu diesem Zweck einen eingewanderten englischen
American Folksongs of Protest
283
Mechaniker angestellt. Von Anfang an war die grausamste Ausbeutung im Gange. Zwölf-
jährige Mädchen ließ man für einen Hungerlohn täglich zwölf Stunden arbeiten. Bereits in
einer 1830 entstandenen Ballade beklagt ein Mädchen sein Schicksal und sehnt sich in sein
Dorf zurück. Die Spinnereien wurden in der Nähe der landwirtschaftlichen Gebiete er-
richtet, weil man in den Dorfmädchen billige Arbeitskräfte fand. G. führt drei Gründe an,
warum die Protestlieder der Textilarbeiterinnen in so großer Zahl vorhanden sind: 1. die
Arbeiter gingen aus der südlichen Bauernschaft hervor, die ihre reiche Volksüberlieferung
bewahrte und imstande war, Neues zu produzieren. 2. Die Arbeiter standen mit den an
Liedern reichen Arbeitern der nahe gelegenen Bergwerke in Verbindung. 3. Bei der ein-
tönigen, allein zu verrichtenden Arbeit ergibt sich das einfache rhythmische Lied fast von
selbst. Der Abschnitt enthält viele schöne lyrische Klagelieder, noch schöner aber sind die
aus Konflikten entstandenen Lieder epischen Inhalts. Besonders erschütternd sind die
Balladen, die seit 1929 beim Streik der Textilbetriebe von Marion und Gastonia ent-
standen sind. Brutale Mordtaten waren die Antwort auf die Forderungen der Arbeiter, und
diese Ereignisse sind durch viele Lieder verewigt worden.
3. Bergmannslieder. Seitdem 1849 ein englischer Chartist in Pennsylvanien den ersten
Bergmannsverein gegründet hatte, riß die Kette der Kämpfe, die die amerikanischen Berg-
leute ausfechten mußten, nicht mehr ab, und jeder blutige Zusammenstoß mit der unter-
drückenden Macht brachte sie der einheitlichen Organisation näher. Die Lage der Bergleute
War vielleicht noch schwerer, als die anderer Arbeiter, und ihr Kampf noch härter. Daher sind
Jhre Lieder die abwechslungsreichsten; sämtliche Momente ihres schweren Lebens haben sie
m lyrische Lieder gegossen und die Ereignisse ihrer Bewegung in epischen verewigt. Auch
hier ist die Fülle der Gesänge kein Zufall. Die reichen Überlieferungen der südlichen Berg-
bewohner lebten im Kreise der Bergleute fort; von entscheidender Wirkung war hierbei
auch die kulturelle Isolierung der Bergleute und ihre einsam betriebene Arbeit. Die Unter-
nehmer hielten die Belegschaft eines Bergwerks wie Sklaven und verhinderten ihre Bildung.
Theater, Kino, Radio gab es nicht, schlechte Straßen machten die Verbindung mit den be-
nachbarten Bergwerken unmöglich, und so bestand denn die größte Zerstreuung dieser
Menschen in ihrer freien Zeit darin, sich zum Singen zu versammeln. Die Bergmannslieder
verschwinden vielleicht noch schneller als die Protestlieder anderer Gruppen, sind doch die
Konflikte so zahlreich und folgen so rasch aufeinander — kaum ist ein Lied entstanden,
wird es schon durch ein anderes ersetzt, was um so einfacher vor sich geht, als die Formen
fertig zur Verfügung stehen. G. erwähnt, daß The United Mine Workers Journal im Verlauf
eines halben Jahrhunderts außerordentlich viel Bergmannslieder veröffentlicht hat. Da
Melodien dazu nicht vorhanden und die Spuren ihrer Verbreitung nicht nachweisbar sind,
meint er, daß diese für die Folkloristik nicht in Betracht gezogen werden können; er selbst
verwendet nur an Ort und Stelle gesammeltes Material. Von den vielen Bergmannsliedern
seien hier bloß von zweien die Entstehungsumstände herausgegriffen. G. beschreibt nach
den Aufzeichnungen eines Augenzeugen die Entstehung einer Ballade, die 1933 bei dem
Bergmannsstreik in Davidson-Wilder zustande kam. Der Streik war schon seit Monaten
im Gange, die Bergbaugesellschaft ließ Streikbrecher kommen, die Lage der hungernden
Bergleute war kritisch. Unter solchen Umständen war der Aufzeichner zugegen, als ein
älterer, des Lesens und Schreibens unkundiger Kumpel mit der Gitarre in der Hand in der
Gesellschaft seiner Gefährten zu singen begann. Er erzählte von Strophe zu Strophe die
Ereignisse, und der Chor sang den Refrain mit ihm zusammen. Der Sänger riß die andern
so sehr mit, daß er auf der nächsten Massenversammlung, bevor die Rede gehalten wurde,
sein Lied vortragen mußte. — Das andere Bergmannslied schrieb eine Frau, als ihr Mann
bei dem Harlamer Streik 1931 von Detektiven gesucht wurde. Sie riß ein Blatt vom Kalender
ab und schrieb darauf: die Bergleute müßten sich organisieren, denn nur so könnten sie
für das Fortkommen ihrer Familien erfolgreich kämpfen. Dieses Lied verbreitete sich in
größerem Umkreis; es wurde zur Melodie eines alten Baptisten-Hymnus gesungen und war
auch 1946 noch, beim Streik der Filmarbeiter, beliebt.
4. Wanderarbeiterlieder. In Amerika gibt es eine Schicht, die man moderne Nomaden
nennen könnte. Dazu gehören die Gelegenheitsarbeiter, die ihr Leben auf der Wanderschaft
284
American Folksongs of Protest
von einem Staat in den anderen verbringen. Die aus dem berühmten Roman von Steinbeck
bekannten,,hobos“, ehemalige Farmer, die zu einer Art,,Landstreicher“ geworden sind,haben
eine neue Klasse gebildet; sie werden auch heute noch mit ihren Familien hin und her ver-
schlagen. Bei den geringen Arbeitsgelegenheiten betreiben sie eine primitive Sammlerwirt-
schaft wie einst die kalifornischen Indianer. Aus ihren Liedern klingt die Empörung gegen
die Heimatlosigkeit und gegen soziale Ungerechtigkeit. Doch in den Schichten der
Wanderarbeiterschaft ist auch zugleich die revolutionärste, politisch reifste Arbeiterschaft
zu finden. Ihre Organisation ist sehr stark, und sie machen ihre der politischen Aufklärung
gewidmeten Flugschriften durch Verbreitung in Liederbüchern volkstümlich. Wie G. be-
merkt, sind diese Liederbücher vom politischen Standpunkt aus nützlich. Da aber die Lieder
nach dem Rezept angefertigt wurden, eine bekannte Melodie mit revolutionären Ideen und
kämpferischen Schlagworten vollzupfropfen, sind sie nur vom propagandistischen Gesichts-
punkt gesehen wertvoll.
Es ist lohnend, von dieser Gruppe den Fall eines legendär gewordenen Liederverfassers
herauszugreifen. Joe Hill wurde wegen seiner Agitatortätigkeit auf Grund fiktiver An-
klagen hingerichtet, und obgleich er, von einigen volkstümlichen protest songs abgesehen,
die er verfaßt hatte, ein gewöhnlicher arbeitsscheuer Landstreicher war, ist er nach seinem
Tode zu einem Idol der kämpfenden Arbeiterschaft geworden.
Beachtenswert ist, wie das volkstümlichste Lied der Wanderarbeiterschaft Hallelujah!
Vm a Bum zu einem Volkslied geworden ist. Es wurde vor einem halben Jahrhundert von
einem bekannten Verfasser zur Melodie eines kirchlichen Psalmes geschrieben und ist auch
heute noch im ganzen Land in einer vom Original dermaßen losgelösten Form bekannt, daß
man fast nur noch den Kehrreim wiedererkennen kann.
5. Bauernlieder. Obgleich die Kleinbauernschaft die Schicht ist, die das klassische Volks-
lied produziert, weist ihre reiche Gesangdichtung nur außerordentlich wenig Protestlieder
auf. Das liegt daran, daß der Kleinbauer dank seines Bodenbesitzes die Unterdrückung
nicht so unmittelbar spürt wie der Werktätige eines Betriebes, und wenn er auch ein schweres
Leben hat, bewahrt er sich doch die Illusion der Unabhängigkeit. Die selbstbewußteste
Schicht unter den Kleinfarmern ist die der Kleinpächter und die der Landarbeiter-Tag-
löhner, eine Schicht, die sich nach dem Bürgerkrieg aus den verarmten weißen und schwar-
zen Kleinfarmern bildete. Von dem vorhandenen Material sind die Schnitterballaden und die,
welche Streiks und deren Helden besingen, hervorzuheben. Unter den Verfassern verdienen
ein Neger Schnitter und der Leiter einer Gewerkschaft Erwähnung.
6. Die letzte Gruppe faßt die Arbeiterlieder verschiedener Berufe zusammen. Einige Lieder
der Automobil- und Stahlarbeiter beweisen, daß die der volklichen Tradition entfremdeten
Arbeiter zwar farblosere Gesänge produzieren, aber zugleich eine bessere Organisa-
tion und reiferes politisches Selbstbewußtsein besitzen. Anders geartet sind die Matrosen-
lieder, die auf eine reiche Überlieferung zurückgreifen, von der Gattung der Protest-
lieder jedoch nicht viel aufzuweisen haben. Ihre Lieder haben keine individuelle Färbung,
sie unterscheiden sich von den Arbeiterklagen anderer Berufe nicht. Merkwürdig ist, daß
die Lieder der Dockarbeiter eher mit den Cowboyliedern verwandt sind als mit den obigen.
Dagegen vermochten die Holzfäller ihre alte Liedtradition zu bewahren und haben neben
einigen Gelegenheitsstrophen unter ihren Liedern neuen Typs manches recht wertvolle
Stück.
In einem besonderen Kapitel befaßt sich G. mit einigen hervorragenden Verfassern von
Liedern, und da die Rolle der Dichterpersönlichkeit für die Gattung des Protestliedes
charakteristisch und auch für die moderne Folkloristik beachtenswert ist, seien sie hier
erwähnt.
Es ist heute bereits allgemein bekannt, daß den individuellen Verfassern und Interpreten
in der Volksdichtung eine wichtige Rolle zukommt, daß am Anfang jeder Variantenreihe
ein Schöpfer steht, und daß die Varianten ebenfalls von mehr oder weniger schöpferischen
Personen geformt werden. Märchenerzähler sind schon bekannt, aber von den Schöpfern
der gesungenen Kunstgattungen weiß man einstweilen nicht eben viel. Außer den Bylinen-
sängern und Klageliedsängern kennt die Folkloristik höchstens Personen, die viele Lieder
American Folksongs of Protest
285
kennen und eine gute Stimme haben, schaffende Liederdichter aber sehr wenige. Die
Balladenverfasser sind ausnahmslos im Dunkel der Vergangenheit verschwunden. Wie
9"- feststellt, hat von den 305 Texten Childs im ganzen ein einziger einen bekannten Ver-
fasser. Die Kenntnis der Person, die die Gedanken der Volksmassen ausdrückt und ihnen
eine künstlerische Form gibt, ist außerordentlich wichtig (obwohl die Person schneller ver-
blaßt als ihre Schöpfung, die unter Umständen Jahrhunderte lang erhalten bleibt). Die neu-
artige amerikanische Balladendichtung ermöglicht, was in der Zeit der klassischen Volks-
dichtung unmöglich war: wir können einzelne Volksliedverfasser kennenlernen.
Wie aus den bisherigen Ausführungen erhellt, sind die Verfasser von Liedern und Balladen
begabte Personen von verschiedenem Bildungsgrad, die ihre Klassenzugehörigkeit, ihr
-A-tbeiterschicksal, ihr Kampf für die Bewegung zu Dichtern gemacht hat. Die Uberliefe-
tungen des liedreichen Südens wurden durch die Erlebnisse, die das Aufgehen in der Ar-
beiterklasse mit sich brachte und die das Leben sowohl des einzelnen wie das der Gemein-
schaft ausfüllten, auf natürlichem Wege fortentwickelt. Es gibt unter den Verfassern solche,
die weder lesen noch schreiben können, es gibt andere, die mit ihren von der Arbeit schweren
Händen kaum den Schreibstift führen können und doch ihren zum Lied geformten Schmerz
ntederschreiben; es gibt solche, die auf Massenversammlungen regelmäßig zündende Lieder
S1ngen, und auch solche, bei denen die Inspiration sogar dazu ausreicht, sämtliche Momente
aus dem Leben ihrer Gefährten zu besingen. Diese Liederdichter sind unpersönliche Wort-
führer ihrer Gemeinschaft, von der sie sich für keinen Augenblick loslösen; dieser Umstand
Unterscheidet sie vom bewußten Dichter. Solcher Art sind die von G. herausgestellten
Liederverfasser.
Ella May Wiggins kam als junges Bauernmädchen in die Textilfabrik. Ihr kurzes
Leben verlief in unbeschreiblichem Elend. Ihre Kinder starben an Entbehrung, ihr Mann
^urde zum Krüppel, sie selbst arbeitete sechzig Stunden in der Woche, um das nackte
Easein zu fristen. In der Bewegung schätzte man sie hauptsächlich wegen ihrer an-
fpornenden Lieder. Eine angeborene Fertigkeit zum Reimen und die Liedüberlieferungen
Jhres Dorfes befähigten sie, Lieder vom Arbeiterelend, vom Kampf gegen die Unterdrücker
2ü dichten. Wenn sie mit ihrer klingenden Stimme zu singen begann, spornte sie die Massen
2urn Kampf an. Besonders ihre lyrischen Lieder sind schön: The Mill Mother’s Lament ist
die Klage einer Textilarbeiterin, die ihre Kinder vernachlässigen muß, um den Unternehmern
2u dienen. Ihr Lied All Around the Jailhouse erzählt von den auf Grund falscher Anklagen
eingekerkerten Arbeitern, und The Big Fat Boss and the Workers ist eine scharfe Gegen-
überstellung von Unternehmern und Arbeitern. Wir geben einige Strophen daraus hier wieder:
The boss man wants our labor, and money to packaway,
The workers wants a union and the eight hour a day.
The boss man hates the workers, the workers hates the boss,
The boss man rides in a big fine car, and the workers has to walk.
The union is growing, the ILD is strong,
We’re going to show the bosses that we have starved too long.
Eine außerordentlich interessante Persönlichkeit ist Aunt Molly Jackson, eine drei-
^udsiebzigjährige Bergmannsfrau aus Kentucky, eine unerschrockene Kämpferin der
atUerikanischen Arbeiterbewegung. Auch sie stammt aus der liedreichen südlichen Gebirgs-
gegend, uncl ihre Begabung äußerte sich schon in ihrem vierten Lebensjahr. Instinktiv faßte
Sle Kummer und Freude in Lieder. Als Zehnjährige wurde sie zehn Tage eingesperrt. Da-
mals schrieb sie ihr erstes Protestlied. Ihr Schicksal ist tragisch. Ihre Mutter und ihren Mann
^fft die Tuberkulose hinweg. Vater, Bruder und Sohn finden in der Grube den Tod. Die
Rinder ihrer Schwester sterben Hungers wie so viele Kinder von Bergleuten im Gebiet von
LLntucky. Im Alter von vierzehn Jahren heiratet sie, erlernt die Geburtshilfe und pflegt
^etunddreißig Jahre hindurch die Bergmannsfrauen und ihre Kinder. Schon in frühen
Jahren nimmt sie an der Arbeiterbewegung teil, und als sie wegen ihrer mutigen organisatori-
Schen Arbeit aus dem Staat ausgewiesen wird, unternimmt sie eine Propagandarundfahrt im
286
American Folksongs of Protest
Interesse ihrer kämpfenden Gefährten. Sie spricht und singt in achtunddreißig Staaten und
sammelt materielle Unterstützung für die Kämpfenden. Im Staat New York singt sie vor
einundzwanzigtausend Menschen:
I was born and raised in old Kentucky;
Molly Jackson is my name.
I came up here to New York City,
And I’m truly glad I came.
I am soliciting for the poor Kentucky miners,
For their children and their wives,
Because the miners are all blacklisted
I am compelled to save their lives . . .
Das Archiv für Volkslieder der Library of Congress bewahrt zweihundertundvier Lieder
von ihr auf. G. teilt ihre besten Lieder mit und dazu ihren eigenen Kommentar. Wenn sie
im Anschluß an die Lieder ihre Erinnerungen erzählt, geht sie unbewußt in gereimte Prosa
über. Ihr Vortrag ist erschütternd. Um nur einige von den besten zu erwähnen: In einem
Lied Poor Miner’s Farewell spricht sie davon, welches Schicksal den Bergmannswaisen
bevorsteht. Die hungernden Kinder ihres verunglückten Bruders inspirierten sie dazu. Ein
anderes Lied, Dreadful Memoires, ist eine Erinnerung an den Massenhungertod der Kinder
arbeitsloser Bergleute. 1931 wird sie wegen ihrer Beteiligung am Streik eingesperrt. Aus
dem Gefängnis sendet sie ihre Botschaft: Organisiert euch für den Sieg! In diesem Jahr
organisiert sie die Bewegung in zwei Bezirken und schreibt eines ihrer volkstümlichsten
Lieder: I am a Union Woman, das sie immer, bevor sie eine Rede hält, vorsingt; hier
die erste Strophe:
I am a union woman,
As brave as I can be;
I do not like the bosses
And the bosses don’t like me . . .
Eine ihrer besten Balladen erzählt von der Ermordung eines jungen Arbeiters: Formal
adaptiert sie die Konvention der Mordtatballaden: die erste Strophe lenkt die Aufmerk-
samkeit auf den Fall, die nächsten fünf tragen die Geschichte vor, und die letzte zieht die
Konsequenz:
The thugs can kill our leaders
And cause us to shed tears,
But they cannot kill our spirit,
If they try a million years.
We have learned our lesson,
Now we all realize,
A union struggle must go on,
Till we are organized.
Zweifellos gehört Woody Guthrie zu den größten Volksdichtern der Gegenwart
und wird von den amerikanischen Folkloristen einstimmig als der beste Balladendichter
anerkannt. Doch nicht nur die Fachleute haben ihn entdeckt, sondern auch die findigen
Geschäftsleute. Man wollte ihn in Vergnügungslokalen im Kostüm auftreten lassen, aber
er wies ein solches Angebot zurück. Er singt am liebsten in Arbeiterorganisationen, und
die schönsten seiner Balladen erzählen von den Wanderarbeitern seiner Heimat. Ähnlich
wie das Leben der andern Verfasser von protest songs ist auch das Leben Guthries von
schweren Heimsuchungen gekennzeichnet; dennoch unterscheidet er sich in vielem von
den anderen. 1912 in Oklahoma geboren, verdiente er sich schon als Kind als Straßensänger
und -tänzer — er trug damals die üblichen Balladen vor — oder als Zeitungsverkäufer
sein Brot. Sein Vater und sein Onkel, obwohl sie auch Gelegenheitsarbeit übernahmen,
schlugen sich als Wandermusikanten durch, und da die Familie bald zerfiel, führte auch
Guthrie schon in jungen Jahren das Leben eines Wanderarbeiters und Gelegenheitsmusi-
American Folksongs of Protest
287
kanten. Seitdem durchwandert er Amerika mit seiner Gitarre. Bald geht es ihm gut, bald
schlecht, sein unruhiges Blut läßt ihn nicht seßhaft werden. Die Folkloreforscher haben
Vlele seiner Lieder publiziert und analysiert, seine Schallplatten haben ihn bereits berühmt
gemacht; seine Familie hat in New York eine ständige Wohnung, und er schreibt seine
Lieder auf der Schreibmaschine. Dennoch ist er im Grunde ein „hobo“ und Volksdichter
geblieben. Sein Wohnsitz in der Großstadt und die Publizität haben nichtsdestoweniger
gewisse Veränderungen in seiner Dichtung hervorgerufen. Er schreibt außerordentlich viel,
und während früher seine Themen persönlichen Erlebnissen entsprangen, inspirieren ihn
heute Zeitungsnachrichten oder Ereignisse, mit denen ihn nichts Persönliches verbindet.
Obgleich auch die auf diese Weise entstandenen Lieder künstlerisch schöner sind als
die durchschnittliche Arbeiterdichtung, sind die unter dem Eindruck erlebter Geschehnisse
geschriebenen — und solche finden sich auch heute noch unter der reichen Ernte — um vieles
besser. Bei der Analyse von Guthries Sprache und Stil hebt G. den fast beispiellosen Reich-
tum seiner Vergleiche und Metaphern hervor, zugleich auch seine große Phantasie, seine
einfachen, doch effektvollen Mittel, seine virtuosenhafte Verstechnik und die Eigenart seines
Gitarrenspiels.
Seine schönsten Lieder besingen das Leben der Landarbeiter. Wir zitieren das Pastures of
Plenty, das auch durch seinen hohen Ideengehalt ergreifend ist:
It’s a mighty hard row that my poor hands has hoed
And my poor feet has travelled a hot dusty road
Out of your dustbowl and westward we rolled,
Lord, your desert is hot and your mountains are cold.
I work in your orchards of peaches and prunes,
And I sleep on the ground ’neath the light of your moon.
On the edge of your city you’ll see us and then
We come with the dust and we go with the wind.
California, Arizona, I make all your crops,
Then it’s north up to Oregon to gather your hops;
Dig beets from your ground, cut the grapes from your vine
To set on your table your light sparkling wine.
Green Pastures of Plenty from dry desert ground,
From the Grand Coulee Dam where the waters run down;
Every state in this union us migrants has been
We’ll work in your fight and we’ll fight till we win.
It’s always we ramble, that river and I,
All along your green valley I’ll work till I die;
My land I’ll defend with my life if needs be,
’Cause my Pastures of Plenty must always be free.
. *948 schrieb Guthrie von dem Flugzeugunglück, bei dem achtundzwanzig aus Mexiko
lrüportierte Obsterntearbeiter ums Leben kamen, eine erschütternde Ballade. Bei einer
ar>deren Gelegenheit, als er den Film nach Steinbecks Grapes of the Wrath gesehen hatte,
Schrieb er für seine Brüder in Oklahoma die Geschichte der Familie Joad in Versen, damit
auch die, die keine fünfunddreißig Cents für einen Kinobesuch übrig hatten, sie kennen-
ernten. Doch nicht nur von den Wanderarbeitern, auch von den Bergleuten schrieb er.
Lines seiner Lieder aus dem Jahre 1949 ruft die Arbeiter, die im würgenden Staub der Grube
arbeiten, zum Kampf und zur Organisation auf. Sein Lied Union Maid schrieb er 1940,
als ihm auf einer Gewerkschaftsversammlung die große Zahl der Frauen auffiel; es ist eins
seiner volkstümlichsten Lieder, das 1946 während eines Streiks in Philadelphia bei der Ge-
öchtsverhandlung von angeklagten Arbeitern gesungen wurde. Bezeichnend für die Volks-
tümlichkeit dieses Liedes ist auch, daß 1947 eine Gruppe von Arbeitern, als sie einen Senator
auf der Reise erkannte, dieses Lied anstimmte, und der Senator, um ihr Vertrauen zu ge-
288
Unser Arbeiterlied
winnen, es für richtig fand, mitzusingen. Guthrie schrieb auch Lieder, die unter dem Ein-
druck sozialer Widersprüche entstanden sind; so zum Beispiel das 1940 in New York ver-
faßte, in dem er — das Leben der Reichen und Armen vor Augen — an die biblische Ge-
schichte erinnert: Wenn Jesus Christus hierher käme und seine Ideen verbreitete, würde
man ihn einsperren. Auf sinnreiche Weise adaptiert er dazu die bekannte Ballade von Jesse
James: Jesus, der brave Zimmermann, wird von den Reichen in New York getötet. Die
Lehre daraus ist, nicht Milde, sondern Kampf verhilft der Gerechtigkeit zum Sieg!
Noch manches Beispiel könnte angeführt werden, doch diese Kostproben mögen ge-
nügen, um den Charakter des neuen Yolksliedschatzes der amerikanischen Arbeiterklasse
kennenzulernen und die sich daraus ergebenden Lehren zu ziehen. Zum Schluß sei noch das
wissenschaftliche Niveau von G.s Untersuchung hervorgehoben und die großzügige Art,
in der er sein reiches Material darlegt. Der Band wird nicht nur durch eine ausführliche
Bibliographie, sondern auch durch ein Verzeichnis der Schallplattenaufnahmen und ein
Sachregister ergänzt, was zur Übersicht wesentlich beiträgt. Linda DEGH-Budapest
Karbusicky, VladimIr: Nase delnickä piseh (Unser Arbeiterlied). Praha, Orbis, 1953.
439 S., Noten, Textillustrationen u. 20 Abb. a. Taf.
Das Ziel, das sich der Verf. in seinem Werk gesetzt hat, ist der Hinweis auf die „Aufgabe
und den Wert des Arbeiterliedes für die tschechische Volkskultur“. Mögen auch noch
manche Einzelheiten der rund hundertjährigen Geschichte des tschechischen und slowa-
kischen Arbeiterliedes zu klären sein, so hat der Verf. doch alles Grundsätzliche auf diesem
bisher stiefmütterlich behandelten Gebiete gesagt. Angeregt wurde er zur Abfassung des
Werkes durch ein altes handgeschriebenes Liederbuch mit Arbeiterliedern und durch die
Bekanntschaft mit einem hochbetagten Arbeiter aus dem Vorland des Riesengebirges.
Ausgangspunkt des Werkes ist das Bauernlied aus der Zeit der Robot, das wiederum an
die hussitische Tradition anknüpft. Lieder der Weber, der Berg- und Fabrikarbeiter in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begleiten die Frühzeit der Arbeiterbewegung. Große
Bedeutung mißt der Verf. dem Bänkelgesang zu, der einmal als epischer Gesang balladen-
haften Charakters und zum anderen als Bänkellied im eigentlichen Sinne des Wortes fest-
zustellen ist. Trotz der Unkultur der meisten Bänkellieder verbreiteten sie Ereignisse aus dem
Arbeiterleben und erfreuten sich in ihrer textlichen und musikalischen Einprägsamkeit
großer Beliebtheit.
Für die Liedkultur des städtischen, besonders des Prager Proletariats, bringt der Verf.
einige Belege, die den Weg vom Volkslied zum Gesellschaftslied erkennen lassen. Es war die
Zeit der Festigung des nationalen Selbstbewußtseins und der Arbeiterkämpfe, die schließ-
lich zum ersten tschechischen Arbeiterlied führte: Piseh ceskeho delnika (1869, Worte:
Emanuel Züngel, Weise: Karel Bendl).
In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts wird der propagandistische Wert des Arbeiter-
liedes erkannt und das Lied bewußt als Agitationsmittel eingesetzt. Ferdinand LassallE
wird im tschechischen Arbeiterlied besungen und die deutsche revolutionäre Tradition
auch im tschechischen Liedschaffen wirksam. Herweghs Arbeiterlied wurde übersetzt und
auf die Weise Schleswig-Holstein oder auf eine eigene Melodie gesungen. Von anderen
deutschen Liedern, die bei den Tschechen Heimatrecht erwarben, erwähnt der Verf. GreU-
lichs Es tönt ein Ruf von Land zu Land (auf die Melodie der Wacht am Rhein) und MoSTS
Wer schafft das Gold zu Tage? (nach der Weise Zu Mantua in Banden). Lebendigen Widerhall
fanden die Pariser Kommune und die russische volkstümlerische Bewegung.
In sehr lebendiger Weise führt uns dann der Verf. durch die weiteren Etappen des tschechi-
schen Arbeiterliedes, das Anfang der 80er Jahre über einen ansehnlichen Bestand verfügte.
1887 erscheint das erste tschechische Arbeiterliederbuch in Amerika (Zpevnik ceskych
delnickfjch pisni), da eine legale Verbreitung in Österreich unmöglich war. Durch Ab-
schriften verbreitet findet das Arbeiterlied in den 70er bis 90er Jahren den Weg ins Volk
Nase delnickä pisen
289
und dringt sogar in die Kasernen. Der Verf. untersucht die Beziehungen der Arbeiterschaft
2u den seit 1870 auch in Prag existierenden Gesangsetablissements mit ihren „Couplets“,
die in den 90er Jahren Nachahmung als Agitationsmittel fanden. Streiflichter auf die Musik-
kultur der Prager Bevölkerung, insbesondere der Handwerker und Fabrikarbeiter und
kulturgeschichtliche Hinweise (z. B. auf die Prager Lokalgestalt „praisky- Pepik“) sind
eine willkommene Ergänzung.
Die Unterdrückung der Arbeiterbewegung mußte ihren Niederschlag auch im Lied finden,
und der Verf. führt als Musterbeispiel Norbert Zoulas Vezehskä (Gefängnislied) an, das
2um volkstümlichsten Arbeiterlied wurde. Da die Melodie auf das Prinz-Eugen-Lied
2urückzuführen ist, untersucht der Verf. dieselbe im Zusammenhang mit anderen tschechi-
Schen Liedern und gibt ein anschauliches Bild einer Melodieanalyse. Aus dieser Zeit stammt
auch das Lied der Arbeit (Pisen prdce), das F. J. Hlaväöek nach der deutschen Vorlage
v°n J. Zapf geschaffen hatte. Die dazugehörige Melodie von J. Scheu zeigt Einflüsse
Rutscher Liedmelodik. Die Entwicklung des Arbeiterliedes wird im weiteren Verlauf von
Idee des Vaterlandes getragen, doch gewinnen auch die Bewegung des Anarchismus
der 80er Jahre und die Beziehungen zu Amerika Boden.
Die Bedeutung des 1. Mai in der Arbeiterpoesie und im Arbeiterlied wird vom Verf. in
Zahlreichen Beispielen unterstrichen, die politische Omladina-Bewegung der 90er Jahre
lri bezug auf das Arbeiterlied untersucht und gezeigt, wie das Lied das ganze Leben des
Arbeiters umfaßt. Das Bergmannslied erlebt einen neuen Frühling, wie Beispiele aus Most
(Brüx), Kladno, Osek (Ossegg) und Ostrava (Ostrau) beweisen. Arbeitergesangvereine ent-
falten eine rege Tätigkeit, bilden ein eigenes Liedgut heraus und stehen in enger Beziehung
Zut Arbeiterbewegung.
Welche Aufgaben das Arbeiterlied im Zeitraum des Opportunismus der Sozialdemo-
kratie hatte, zeigt der Verf. im Zusammenhang mit der Gesamtsituation nach der Jahr-
hundertwende. Eine neue radikale Intelligenz, darunter S. K. Neumann und Fräna
S&ämek, bestimmt von nun an das Gesicht des Arbeiterliedes, das am besten mit der so-
genannten tschechischen Marseillaise Milion pazi („Millionen Arme“) belegt wird. Im
gleichen Zeitabschnitt wird die Internationale bei den tschechischen Arbeitern heimisch.
Eingehend beschäftigt sich der Verf. mit dem Dahinschwinden des Volksliedes und ver-
weist auf die warnende Stimme des tschechischen Dichters Jan Neruda, der 1891 in den
Närodni listy Zwei Wörtchen zur rechten Zeit vom Volkslied veröffentlichte. Der Verf., der
den „Schlager“ als „Ausdruck der kulturellen Herrschaft der Bourgeoisie“ erkennt, sagt
Weiter: „Tatsache ist, daß das Volkslied vor dem ersten Weltkrieg verfällt, daß in die Massen,
hie auch in der politischen Erziehung durch die Sozialdemokraten vernachlässigt sind, immer
hefer der Schlager und das sentimentale Lied eindringen.“
Das Soldatenlied im ersten Weltkrieg wird nur gestreift. Es hat oft balladenhaften Cha-
fakter und wird zum „getreuen Bild der Ansichten der Soldaten, die gezwungen waren, für
fremde Interessen zu kämpfen“.
Die Vorliebe der Massen für das balladenhafte Genre führte schon in den 90er Jahren
hes 19. Jahrhunderts und vor dem ersten Weltkrieg dazu, daß auch Balladen von Dichtern,
u- a. von K. J. Erben, vom Volke gesungen wurden. Der Dichter Jrfti Wolker hat dann
hen Balladen den Charakter des Protestes und Kampfes gegeben.
Das Lied hatte im Kampf um die sozialistische Republik eine gewichtige Rolle gespielt.
1918—1521 bieten die politischen Lieder ein Bild der gesellschaftlichen Auseinandersetzung.
-Tschechische Legionäre, die aus Rußland heimkehrten, gaben 1920 auf dem Dampfer
»Amerika“ Arbeiterlieder heraus.
Das Arbeiterlied in der Vormünchener Republik bekam durch die Gründung der Kom-
munistischen Partei neuen Auftrieb. S. K. Neumann und Jan Urban legten den Grund
Zu den proletarischen Massenliedern, gleichzeitig dringen aus Deutschland Lieder wie Auf,
auf zum Kampf, In Halle sind viele gefallen und Brüder, zur Sonne, zur Freiheit in die
Tschechoslowakei ein, die von den tschechischen und deutschen kommunistischen Jugend-
organisationen gemeinsam gesungen wurden. In den 30er Jahren sind es vor allem Josef
^tanislav, ViTNEjEDLY, Alois Häba und Jaroslav Jezek, die vom Musikalischen
D Volkskunde
290
Lieder der Straße
her den Typ des Agitationsliedes schufen. Ihr Vorbild hatten sie in den deutschen Massen*
liedern in der Art derer von Hanns Eisler.
Dem slowakischen Arbeiterlied ist ein eigener Abschnitt gewidmet, der im Verhältnis zum
ganzen allerdings allzu kurz geraten ist.
Mit Hinweisen auf die Lieder der politischen Gefangenen, das Liedschaffen der Arbeiter
hinsichtlich der sozialen Lage, das Soldatenlied und den Einfluß des sowjetischen Massen-
liedes wird das Buch abgeschlossen, das gerade in diesem Schlußkapitel die große Bedeutung
des tschechischen und slowakischen Arbeiterliedes als eines politischen Faktors in der Ge-
schichte der ersten tschechoslowakischen Republik von 1918 bis 1938 hervorhebt.
Josef LANSKY-Weimar
Gugitz, Gustav: Lieder der Straße. Die Bänkelsänger im josephinischen Wien. Wien,
Verlag Brüder Hollinek, 1954. VIII, 264 S., 8 Bildbeilagen. (= Buchreihe „öster-
reichische Heimat“, Band 18).
Es gehört gewiß zu den Seltenheiten der Wissenschaftsgeschichte, daß ein Gelehrter sich
zur Vollendung seines 80. Lebensjahrs ein eigenes, am gleichen Tag erschienenes Werk auf
den Geburtstagstisch legen kann. Dabei ist es nur einer der vielen Bände, die der nimmer-
müde Verf. gerade im letzten Jahrzehnt als Krone eines an sich reichen Lebenswerkes in
rascher Folge vorlegen konnte, alles höchst wertvolle Beiträge zur Kulturgeschichte und
zur Volkskunde, die die Forschung nicht mehr entbehren könnte. (Vgl. die 1954 erschienene
GuSTAV-GuGiTZ-Bibliographie. Sonderabdruck aus dem Jahrbuch der Gesellschaft für
Wiener Theaterforschung 1951—1952. Wien, Verlag A. Sexl.)
Das vorliegende Buch über den Bänkelgesang im josephinischen Wien war offenbar
schon vor mehr als dreißig Jahren, damals noch gemeinsam mit dem Freund und Mit-
arbeiter des Verf.s, E. K. Blümml, geplant und angekündigt. (Vgl. Blümml-Gugitz,
Von Leuten und Zeiten im allen Wien. Wien-Leipzig 1922, S. 407, Anm. 24.) Kleinere Bei-
träge dazu sind im Lauf der Jahre in Zeitschriften erschienen. Doch hat die lange Warte-
zeit, in der G. wie kaum ein anderer gesammelt und die Wiener Archive durchgearbeitet
hat, den alten Vorwurf nur bereichern und abrunden können.
So bringt G. viel Neues, nicht nur bibliographische und biographische Ergänzungen und
Berichtigungen zur Wiener Lokal- und Literaturgeschichte oder den Herkunftsnachweis
einzelner Lieder. Er versteht es, aus gesammelten Flugblättern und archivalischen Notizen
ein deutlicheres und lebendigeres Bild vom Bänkelgesang in der Gesamtheit seiner Er-
scheinung zu zeichnen. Während sich die ältere Volksliedforschung auf Sammlung und
Textvergleichung beschränkt hat, geht es G. darum, die Menschen jener volkstümlichen
Sphäre in den Vordergrund zu rücken, die die Lieder geschaffen, aufgenommen und weiter-
getragen haben.
Wir erfahren Einzelheiten aus Lebenslauf und Umwelt längst verschollener Lieder-
dichter, die zum Teil unter den Ärmsten der Armen, unter Exmönchen, Kirchendienern,
verkrachten Zeitungsschreibern, schlecht besoldeten Schullehrern oder Flickschustern zu
finden waren, aber auch unter den „gehobenen Ständen“ ihre Vertreter hatten, wie etwa
einen kaiserlichen Hofrat. Viele dieser Dichterlinge verfaßten — von der von Joseph II.
verliehenen Preßfreiheit begünstigt — ihre Verse im Auftrag der sogenannten Lieder-
weiber : Frauen, die die billigen Drucke, oft zum Ärger der Obrigkeit, mit mehr lauten als
melodischen Kaufrufen in den Straßen kolportierten. Sie haben die Lieder unter die Leute
gebracht, Blätter, die so oft von Hand zu Hand gingen, daß heute nur noch vereinzelte
Exemplare als Raritäten in Bibliotheken und Sammlungen zu finden, andere nur noch aus
Zeitungsankündigungen der Zeit festzustellen sind. Andrerseits haben die Liederweiber ihre
Kundschaft, Hausmägde, Wäschermädel, Handwerksburschen und anderes Volk in den zu
den Texten gehörigen Melodien unterwiesen und so diese Gattung des Volksgesangs ge-
fördert.
Volkstänze von Somogy
291
Die Bänkellieder waren in dieser Zeit gewissermaßen Zeitungsersatz. Sie versorgten ihr
Publikum mit den lokalen Neuigkeiten, die die offiziellen Blätter damals noch nicht berück-
sichtigten, berichteten im Moritatenton über Verbrechen und Hinrichtungen und von
anderen besonderen Ereignissen in der Stadt, vom Besuch des Papstes ebenso wie von der
^ißglückten Vorstellung eines „Wassertreters“ im Prater. Sie sangen Lobeshymnen auf
Kaiser und erfolgreiche Feldherren, brachten aber auch kleine kritische Szenen aus dem
Alltagsleben der Bürger, etwa die Schimpfkanonaden der Wiener Obstlerweiber, übten
Kritik an der Mode u. a. m. Sie spiegeln zugleich die großen Wandlungen, die die josephi-
uische Aufklärung mit sich brachte, spotten über Klosterwesen und Frömmelei, und liefern
Uebenher mit der Erwähnung nunmehr verpönter Amulette wie Anastasiusköpfen, Loretto-
ßäubchen, Breverln oder Lukaszetteln der Volkskunde wertvolle Zeugnisse für die Volks-
rcligiosität ihrer Zeit. Sie beteiligen sich mit ihren Reimereien auch an der allmählich
S1ch abzeichnenden sozialen Umschichtung, wenn sie gegen die zinsgierigen Hausherrn
"''Vettern, das Klagelied eines Musikanten über die wenigen Einkünfte im Fasching anstimmen
Und sich in einem Lied der notleidenden Zeugmachergesellen annehmen.
Hier zeichnen sich also deutlich die Reaktionen der unteren Volksschichten auf die Ten-
denzen der Aufklärung ab. Die Darstellung wächst damit über die lokalhistorische Milieu-
schilderung hinaus und vermittelt neue Einblicke in die Volkskunde der Aufklärungszeit
ttn allgemeinen.
Wie alle Bände der Buchreihe des verdienstvollen Wiener Verlags Hollinek ist auch
dieser vorzüglich ausgestattet und mit guten Bilddokumenten zum Thema versehen. Wie
111 allen Büchern des Verf.s erleichtern ausführliche Register ein rasches Nachschlagen.
Doch lohnt sich auf jeden Fall eine eingehende, ebenso lehrreiche wie amüsante Lektüre.
Elfriede MosER-RATH-München
^omogyi täncok (Volkstänze von Somogy). Hrsg. v. Péter Morvay und Ernö Pesovär.
Budapest, Müvelt Nép., 1954. 24 Tanzbeschreibungen, 11 Tanzstudien, 60 Kotte,
50 Tanzzeichnungen, 14 Fotos, 5 Landkarten.
Das vorliegende Buch möchte auf einem stark vernachlässigten Gebiet der ungarischen
ethnographischen Forschung eine Lücke schließen. Seit dem Jahre 1952 erst arbeitet die
ungarische Tanzforschung selbständig, wenn sie sich auch auf gewisse Vorarbeiten seitens
der reinen Ethnographie oder der reinen Choreographie stützen konnte. Nun gelang es
endlich, unter der Führung Ernö PesoväRs ein Arbeitskollektiv aus fachlich ausgebildeten
i anzethnographen zusammenzustellen, ergänzt durch einige Musikfolkloristen und Trach-
tenforscher.
Dieses Kollektiv sammelte zunächst eimal die bisherigen ungarischen Resultate der Tanz-
°rschung und ordnete Literaturangaben und handschriftliche Sammlungen in einer leicht
enutzbaren Kartei. Darauf aufbauend begann man die Forschung mit einer neuen analy-
sierenden Methode in jenem Gebiete, das auf der Landkarte am vernachlässigsten aus-
schaute, dem von Somogy, der „Schomodei“. Nun war an der Tätigkeit der genannten Ar-
eitsgruppe nicht nur die Methode neu, die Volkstänze mit der Tanzkinetographie von
-ABan verständlich aufzuschreiben, sondern auch die Planmäßigkeit, mit der von den
besten Tänzern und den besonders charakteristischen Tanztypen Filme (16 mm) aufgenommen
Wurden. Auf diese Weise gelang es, neben den Formen der Tänze auch das volkstümliche
■fänzleben einzufangen und aufzuzeichnen. So kam man zu dem Ergebnis (das sich in
Unserem Band gleich nach der allgemeinen Beschreibung des Volkstums von Somogy findet),
aß bestimmte Wirtschafts- und Lebensformen bestimmend auf die Entwicklung der Volks-
tänze einwirken. In der stark bewaldeten Gegend von Somogy gehörte vor allem die Schweine-
zucht zu den charakteristischen Wirtschaftsformen; die Hirten, die Schweinehirten, bildeten
jüte besondere soziale Schicht; und so spielten in der Grundschicht des Tanzlebens die
ütentänze (Schweinehirtentänze) die wichtigste Rolle. Am Ende des 19. Jahrhunderts nun,
292
Betrachtungen zum Märchen
nach dem Verschwinden der „wilden“ Form der Tierzucht, wurden die Hirten mehr und
mehr in die Dorfgemeinschaft mit einbezogen, wo vorher die Solö-Verbunk der Männer,
die langsamen und flotten Paartänze und die langsamen und flotten Variationen der Ring-
tänze der Mädchen lebten. Der eigene Tanzstil, die Musik, die eigenen Musikinstrumente
der Hirten: der duda und die lange Flöte (furulya), wirkten durch die Umwandlung der
Grundschritte auf den Verbunk und auf den Paar-Csärdäs ein, obwohl charakteristische
Hirteninstrumente wie der Hirtenstock allmählich aus der Mode kamen und der Siegeszug
der modernen Tänze nicht mehr aufzuhalten war.
In dem vorliegenden Buch finden wir die gesammelten Tänze nach bestimmten Tanz-
typen aufgeblättert. Nach einer ausführlichen Beschreibung der Hirtentänze folgen der
Verbunk und später die verschiedenen Variationen des Paar-Csärdäs. Ein besonderes
Kapitel ist den Mädchentänzen gewidmet und der Schlußteil den Hochzeitstänzen, die
allerdings besser nach ihrem Vorkommen im Brauchtumsverlauf als nach den Tanztypen
zu ordnen wären. Die Straßentänze der in die Kirche gehenden Hochzeitsgesellschaft, das
mit Tanzschritten begleitete Aufträgen der Eßplatten durch die Burschen, die verschiedenen
Brauttänze mit Kerzen, die Csärdäs-Variationen der Köchinnen mit auf dem Kopf gestellten
Gläsern und schließlich die Verbunken, ebenfalls mit Gläsern auf dem Kopf: all diese
Formen geben einen schönen Einblick in das Tanzleben der Gegend; ebenso wie andere
Kapitel, die sich mit der Entwicklung der Tänze über mehrere Generationen und mit der
Stellung bestimmter Tanztypen im Leben des Dorfes beschäftigten, wie mit den gemein-
schaftlichen Tanzgelegenheiten, mit Bällen, mit den Tanzsitten und -gesten, dem Benehmen
und den gesellschaftlichen Vorschriften für die Tanzenden.
Wir finden am Ende jeden Kapitels das für die Tanztypen charakteristische Musikmaterial,
die Lieder und eine Studie von Lajos Vargyas über die Tanzmusik von Somogy. Am Be-
schluß des Buches steht eine Übersicht über die Tracht einiger Dörfer und deren Entwick-
lung, die außer durch viele schöne und charakteristische Zeichnungen durch eine Reihe von
Fotos illustriert wird.
Während einer solchen Arbeit entwickelt und klärt sich die Methode der Tanzforschung
und die Problematik der verschiedenen Tanztheorien. Es ist darum sehr zu begrüßen, daß
die jungen Forscher seither einen weiteren kleinen Band: Die Tänze von Bag. Über das
Tanzleben eines Dorfes (1955) erscheinen ließen und jetzt eine neue Untersuchung vor-
bereiten: Die Tänze von Szabolcs (Szatmar), einer ebenfalls äußerst charakteristischen
ungarischen Tanzgegend. Anna Raffay-Budapest
Jan de Vries: Betrachtungen zum Märchen besonders in seinem Verhältnis zu Heldensage
und Mythos. FFC 150, Helsinki 1954, 184 S.
Ein eigenartiges, fesselndes Buch ist das letzte Werk von Jan de Vries. Ein doppeltes
Gefühl von aufrichtiger Achtung und zwangsläufigem Widerspruch wird in uns wach, wie
wir eines der geistreich-kritischen Kapitel nach dem anderen lesen. Das Buch läßt sich in
zwei große Teile gliedern, wobei die einzelnen Kapitel des ersten Teils die wichtigsten
Theorien über das Märchen besprechen, während im zweiten Teil die neueren Theorien
über die Zusammenhänge zwischen Märchen, Mythos und Heldensage erörtert werden.
Wie aus dem Nachstehenden hervorgeht, wird man V. höchstens das Fehlen der russischen
und der neueren sowjetischen theoretischen Richtung, sowie der märchentheoretischen
Bemerkungen der MALiNOWSKischen Schule vorwerfen können. Von der russischen Schule
selbst ist, wenn auch nur kurz, die Rede. Sonst hält V. in seinem neuen Werke eine kritische
Musterung über die neuen Märchentheorien; er ist dabei streng, skeptisch, manchmal (z. B.
bei der Erörterung der durch den Freu Dismus beeinflußten theoretischen Richtungen)
voll berechtigter Ironie. Beim Lesen des Buches wird immer stärker jenes wahrlich trostlose
Gefühl über uns Herr, dem schon einmal Arthur Bonus Ausdruck verliehen hat: „Folk-
tale study is like a desert journey, where the only landmarks are the bleached bones of
Betrachtungen zum Märchen
293
earlier theories1).“ Obwohl es natürlich beim Lesen ganz klar hervorgeht, daß es unter den
nacheinander geschilderten Theorien einen festen Standpunkt gibt, von dem aus V. seine
Urteile fällt, so wird man dennoch aus dem Buche in erster Linie diesen skeptischen, stark
negativen kritischen Ton heraushören. Gleichsam bei jeder theoretischen Richtung, von der
die Rede ist, könnte man refrainartig den Ausspruch wiederholen, den er im Zusammen-
hang mit einem Satze von Sydows macht: „Ich nehme diesen Theorien des neolithischen
Ursprungs des Märchens gegenüber eine durchaus skeptische Haltung ein2).“ Das Buch ist
Vor allem durch diese skeptische Haltung V.s gekennzeichnet: er verwirft auf Grund äußerst
Wertvoller kritischer Argumente der Reihe nach die verschiedenen Theorien. Hinter dieser
skeptischen, häufig auch ironischen Kritik hat aber der Leser zwei Tatsachen zu erkennen.
.le eine Tatsache besteht darin, daß die Ansichten V.s in diesem zusammenfassenden kri-
Uschen Band felsenfest auf seinen eigenen früheren theoretischen Forschungen beruhen.
° finden sich z. B. die Grundlagen seiner Unterscheidung zwischen den europäischen und
fißn indischen, indonesischen und im allgemeinen nichteuropäischen Märchen auf Grund
Jhres logischen Aufbaus schon in seiner bedeutenden Monographie: Die Märchen von klugen
Rätsellösern (FFC 73, Helsinki 1928) sowie auch in jenem anziehenden Studienband, in dem
er eine Reihe seiner Abhandlungen über das Märchen zusammenfaßt: Het sprookje (Ant-
Werpen-Brüssel, Leuven). In diesem Studienband wird übrigens schon in der Mitte
fiet Zwanziger Jahre eine ganze Reihe von Gedanken aufgeworfen, die nunmehr in den Ur-
fi^ilen der „Betrachtungen“ voll ausgereift und in endgültiger Form zum Ausdruck gelangen.
Uen Umstand, daß er die Zusammenhänge und Unterschiede zwischen Märchen, Heldensage
Und Mythos so konzis zu formulieren vermochte, hat er wohl nicht nur seinen früheren
großen Untersuchungen über die Frage der Heldensage zu verdanken, sondern auch einem
solchen religionsgeschichtlich-philologischen Werke, wie es seine. Altgermanische Religions-
Schichte I—II (Berlin und Leipzig 1935—1937) ist. Andererseits erwähnt er als Vertreter
Semes Standpunktes zwei Verfasser, und zwar gerade an jenen Stellen seines Werkes, an
denen er seine eigenen Thesen, seine eigene Meinung den verschiedenen Ansichten gegen-
überstellt. Dem einen, A. Jolles gegenüber (Einfache Formen, Halle a. d. Saale 1930)
ernpfindet er die größte Verehrung und wünscht sie auch zum Ausdruck zu bringen. Der
andere Verfasser, auf den er sich an den entscheidenden Stellen gerne beruft, ist Max
Lüthi3).
Hiermit ist auch der Platz des Buches von V. unter den heutigen Richtungen der Märchen-
Forschung kurz gekennzeichnet: er lehnt jede problematische Entstehungstheorie und ge-
schichtliche Theorie ab und erörtert die Gattung des Märchens als eine der großen einfachen,
grundlegenden Kunstgattungen (vgl. die Parallele zu den Gedanken in Einfache Formen),
Wobei ihn vor allem die Schöpfungsformen und die strukturellen Fragen interessieren. Von
größter Wichtigkeit sind seine Bemerkungen über die Bedeutung der inhaltlichen Kom-
ponenten und Motive der Kunstform des Märchens, und wir können es nur begrüßen,
^aß ihn die in den verschiedenen grundlegenden Kunstgattungen immer wieder auftauchen-
FFcrt gleichen Motive nicht zu falschen evolutionistischen Folgerungen verleiten, sondern daß
er an mehreren Stellen seines Werkes klar darauf hinweist, daß die verschiedenen Kunst-
gattungen aus den Elementen der einzelnen Motive aufgebaut sind. Er lehnt im allgemeinen
Jene Vorstellungen über die geschichtliche Entwicklung ab, nach denen die eine Kunst-
gattung aus der anderen hervorgeht, und blickt hier mit wahrhaft gesunder Skepsis auf die
Unbeweisbaren Annahmen und Theorien, selbst von so wichtigen und bedeutenden Ver-
assern wie von Sydow. Inmitten der vielerlei Richtungen bleibt V. seinen literarisch-
J) Zitiert von E. E. Kiefer: Albert Wesselski and Recent Folktale Theories. Indiana Uni-
vcrsity Publ. Folklores Series 3, Bloomington, 1947/49.
2 S‘ 69*
) Es handelt sich hier um Lüthis Werk: Das europäische Volksmärchen. Bern 1947.
°ch sei an dieser Stelle erwähnt, daß auch eine andere, hier nicht angeführte ältere Arbeit
PTHis gerade an das von V. aufgeworfene Thema anknüpft: Die Gabe im Märchen und in
e> Sage. Zürich 1934.
294
Betrachtungen zum Märchen
philologischen Methoden treu, die stets ihre sicheren Möglichkeiten zur Analyse gewähren,
auch wenn sie keine Antwort auf die seit einem Jahrhundert verlockenden Fragen der
Märchenforschung geben.
Obwohl hier nicht beabsichtigt ist, die einzelnen kritischen Kapitel des Buches, die die
verschiedenen Deutungen von den ersten großen Märchenforschern über die finnische
geographisch-historische Schule zur Ritentheorie von P. Saintyves, bis zu den verschie-
denen psychologischen Richtungen (von den Märchenmonographien der FREUDschen
Schule bis zur religionspsychologischen Theorie von Jung und Kerenyi) umfassen, jetzt
der Reihe nach zu besprechen, so sei hier dennoch auf die auffallende Kürze hingewiesen,
mit der die Auffassungen von dem Märchen als literarische Schöpfung dargelegt werden.
In diesem Abschnitt werden auch die Untersuchungen der sowjetischen Forscher über die
Persönlichkeit des Märchenerzählers, die späteren, aber ähnlichen diesbezüglichen For-
schungen von Henssen sowie das Werk von A. Jolles nebeneinander erwähnt. Um so
ausführlicher befaßt sich hingegen V. mit der Theorie von Sydows und seiner Nachfolger
über den indogermanischen Ursprung des Feenmärchens sowie mit der Theorie von
Peuckert, die die Entstehung des Märchens mit den sogen. Pflanzerkulturen und mit
dem magischen Denken verknüpft. In den folgenden zwei Abschnitten seines Werkes gibt
der Verf. eine Kritik der Theorien über die Zusammenhänge zwischen Märchen und Helden-
sage einesteils und zwischen Märchen, Heldensage und Mythos andernteils. Auch hier be-
steht seine Methode darin, daß er die verschiedenen bekannteren und bedeutenderen
Theorien (z. B. die von Fr. Panzer, dem ungarischen Forscher J. Honti, von Sven
Liljeblad u. a. bis Lord Raglan) der Reihe nach vornimmt und überzeugend auf die
logischen Fehler dieser Theorien hinweist, wie auf die Widersprüche vom Gesichtspunkt der
Anschauung, die alle der Einzwängung dieser verschiedenartigen Kunstgattungen in eine
Evolutionsfolge dienen, was selbst dann der Fall ist, wenn auch der eine oder der andere
dieser Forscher scheinbar gegen einen solchen historischen Entwicklungsgang Stellung
bezieht. V. betont nachdrücklich, daß diese drei großen grundlegenden Kunstgattungen,
der Mythos, die Heldensage und das Märchen, durch keinerlei Permutation in eine
Evolutionsreihe gestellt werden können. Mit dieser seiner Auffassung können wir an
diesem Punkte völlig einig gehen.
Diese kurze inhaltliche Übersicht über die Gliederung des Buches vermag natürlich noch
kein Bild vom Reichtum des Bandes, von der Feinheit der Argumentation V.s, von seiner
schöpferischen Analyse einzelner Märchen und Märchentypen zu vermitteln, wie er denn
z. B. auch über den so oft diskutierten und behandelten Märchentyp „Die zwei Brüder“
Bedeutendes und Neues zu sagen imstande ist. (Hier sei allerdings ganz kurz unser Zweifel
ausgesprochen, ob es wirklich so unbedingt sicher ist, daß die ägyptische Form des Zwei-
Brüder-Märchens ausschließlich eine mythische Geschichte, ein Mythologem darstellt.
Oder handelt es sich hier nicht eher um eine den Mythos ironisierende novellistische Aben-
teuererzählung, die der Gattung der novellistischen Märchen nähersteht? Wir sind der
Meinung, daß mehrere Anzeichen die letztere Annahme unterstützen, doch ist hier kein
Raum zur Darlegung unserer diesbezüglichen Ansichten.) Der Zauber des Buches jedoch
und zugleich sein größter Wert bestehen wohl gewiß darin, daß es den Leser gleichsam
zwingt, die hauptsächlichsten theoretischen Fragen der Märchenforschung aufs neue in
Gedanken durchzugehen, jene Fragen, die seit nahezu anderthalb Jahrhunderten die For-
scher beschäftigen. (Uber diese Fragen s. Stith Thompson: The Folktale. New York 1946.
367 S.) Fesselnd und mit der Kraft der Wahrheit wirken alle kritischen Bemerkungen, doch
soll hier nicht verschwiegen werden, daß all das, was von V. darüber hinaus gegeben wird,
die Ansichten von Jolles und Lüthi über die Formen des Märchens und über ihre Be-
trachtungsweise, leider sehr wenig ist. Wir glauben, daß jenes „uferlose Meer“, auf das er
sich auch beruft, die Welt der Märchen, ihre geschichtliche Entfaltung, die Stabilisierung
und ständige Neugestaltung ihrer Gattungen, wie auch die vergleichende Untersuchung
ihrer eurasischen Gruppen, heute schon mehr zu bieten vermag. Und dieses Mehr erwartet
die europäische Forschung vor allem auch von V. Vielleicht gerade deshalb fällt es
uns nicht leicht, ganz kurz auch auf einige unserer Mangelgefühle und gegenteiligen
Betrachtungen zum Märchen
295
Meinungen hinzuweisen. Natürlich wollen wir nicht gegen die Ansichten von Jolles und
EpTHi unter dem Vorwand des Buches von V. polemisieren; vielmehr soll auf einige Punkte
hingewiesen werden, die schon seit langem vertretene und unserer Meinung nach bestreit-
bare Ansichten dieses großen Forschers darstellen.
So glauben wir in erster Linie nicht an jenen Trennungsstrich, den er zwischen den nicht-
europäischen, indischen, indonesischen und den europäischen Märchen zieht. Wie bereits
efwähnt, brachte er diese Ansichten bereits auch in seinen früheren Werken zum Ausdruck.
Ef selber schwankt bei der Wahl des entsprechenden Ausdrucks, wenn er erklärt, daß die
Denkweise, die z. B. die indonesischen Märchen und die nichteuropäischen Märchen im
ahgemeinen charakterisiert, in Abweichung von unserer rationellen europäischen Denkart
a^s ,,unlogisch“ bezeichnet werden muß. Er hatte bereits öfters dargelegt, daß die europäi-
Schen Märchen einen gefestigten, logischen Aufbau besitzen, auf den Verf., gleichsam auf
den literarischen Gestalter hinweisen, während sich die Elemente der indischen, indo-
nesischen Märchen in ständigen, lockeren Kombinationen aneinanderreihen, als ob sie den
_eser in ein Labyrinth führten. Wir sind der Ansicht, daß diese Auffassung — ähnlich wie
die Theorie von L. Levy-Brühl über die „prälogische“ Denkweise — aufzugeben ist, denn
^lf könnten ja zahlreiche Beispiele aus der asiatischen Märchenwelt aufzählen, die einen
ebenso bestimmten und geschlossenen Aufbau, eine konsequente Märchenlogik haben wie
die europäischen Märchen. Insbesondere die buddhistischen Märchen mit ihrer moralischen
Tendenz weisen nicht selten eine wahrhaft trockene Logik auf. Ebensowenig kann auch
Jener vereinfachende Gegensatz anerkannt werden, wie er in der die Gegensätze zuspitzenden
-Auffassung von Sydows zum Ausdruck kommt, mit der er die Gattung des Schwankes
s°2usagen zur Gänze den semitischen Völkern schenkt. Ebenso wie die Theorie L. Levy-
■^RÜHLs über die „prälogische“ Denkweise nicht nur von der vergleichenden ethnologischen
Forschung widerlegt, sondern auch von ihrem eigenen Verfasser in den letzten Jahren seines
Eebens widerrufen wurde, ebensowenig kann man auch die Gattungen des Märchens nach
Jhrer Entstehung und nach ihren hauptsächlichen Merkmalen an die eine oder andere rassen-
aothropologische Gruppe knüpfen. Doch ebensowenig wird man auch V. in seiner
Einteilung der Märchen in logische und unlogische ethnische Gruppen folgen können.
Eiese Einteilung spiegelt eine gefährliche und unrichtige Anschauung wider! Wenn man
v°n einer Unlogik des Märchenaufbaus, der Märchenkomposition sprechen kann — da ja
diese Erscheinung Tatsache ist! —, dann wird man besser sagen müssen, daß man auch
dort einen unlogischen Aufbau findet, wo die Märchenerzählung noch lebt und sich weiter-
entwickelt, wo sie noch als mündliche Überlieferung in Erscheinung tritt. Die lebende,
schöpferische mündliche Überlieferung schafft sich nämlich immer aufs neue ihre Über-
§angsformen, sie verschlechtert und verbessert sich gleicherweise im Laufe des Vortrages, wo-
oci es sich erst in größeren historischen Zusammenhängen herausstellt, ob diese übergangs-
^cisen, schwankenden, häufig schlecht vorgetragenen Formen bloß Teile jenes geschieht-
hchen Prozesses sind, in dessen Verlauf die mündliche Überlieferung ihre geschlossenen,
künstlerischen und logischen Rahmen ausgestaltet. Wo indessen die Praxis der Märchen-
crzählung nicht mehr lebt, dort wiederholen sich die erstarrten, gleichsam versteinerten
-Märchenformen, wobei die uniformierende Wirkung des Buches (Schul- und Märchen-
ausgaben) immer stärker zur Geltung kommt. Diese Erscheinung wird in Westeuropa immer
häufiger, doch auch hier nicht überall. Auch dies zeigt, zu welchen irrigen, schädlichen An-
sichten die Vernachlässigung der prinzipiellen Gesichtspunkte des Märchenerzählens führt.
Es ist also nicht zulässig, in der Art V.’ zwischen der logischen Struktur der Schöpfungen
ücr verschiedenen Völker zu unterscheiden.
Andererseits wundert man sich, daß er bei der Erörterung der Gattungsunterschiede des
Mythos, der Heldensage und des Märchens nicht einige der scharfsichtigen Beobachtungen
^°n B. Malinowski berücksichtigt (Mytli in Primitive Psychology. London 1926).
Talinowski unterscheidet hier deutlich je nach ihrer Rolle in der Gesellschaft, nach ihrem
gesellschaftlichen Ansehen und Charakter, zwischen mythischen, legendenhaften, histo-
Eschen und märchenhaften Erzählungen. Dies ist jedenfalls ein Standpunkt, der eindeutig
arauf hinweist, daß der aus seinen gesellschaftlichen Zusammenhängen herausgerissene
296
Deutsche Sagen
Text stets weniger für uns bedeutet als die in ihren dialektischen Zusammenhängen unter-
suchten Folklore-Einheiten. Selbst wenn wir die politische Auffassung der Schule Mali-
no wskis nicht teilen, müssen wir diesen Standpunkt als richtig anerkennen. Hier sei be-
merkt, daß in letzter Zeit auch immer mehr westliche Forscher zu einer solchen Auffassung
hinneigen4).
Wie fruchtbringend die vom Gesichtspunkt der Soziologie durchgeführten Untersuchun-
gen gerade in der Forschung der Volksmärchen und Märchen sein können, wird in erster
Linie von der die besten Traditionen der russischen Folklore-Forschung fortsetzenden
sowjetischen Forschung bewiesen. Seit rund einem Jahrhundert begann man teils in der
Bylinen- und teils in der Märchenforschung die Rolle der Gemeinschaft von Märchen-
erzähler und Zuhörer in der Ausgestaltungsgeschichte der formalen und inhaltlichen
Elemente des Märchens und der ganzen Kunstgattung des Märchens zu beobachten. Hierbei
konnte ein überaus bedeutendes empirisches und theoretisches Material gewonnen werden.
Diese Arbeit, die Klärung der soziologischen Fragen des Märchens, wird auch heute in der
Sowjetunion auf Grund eingehender Sammlungen fortgesetzt. Hier sei nur erwähnt, daß die
ungarische Forschung schon zwischen den zwei Weltkriegen ebenfalls diese Methode be-
folgte und dabei auch gewisse Ergebnisse erzielen konnte. Es ist bekannt, daß zwischen den
zwei Weltkriegen auch in der deutschen Forschung eine Richtung vorhanden war, die sich
mit der Untersuchung der Zusammenhänge zwischen dem Märchen und der Gesellschaft
befaßte, und in den letzten Jahren erscheinen immer mehr Arbeiten (die Werke der irischen
Forscher, ferner die Bände von Leza Uffer, Tillhagen usw.), die darauf schließen
lassen, daß diese Forschungsmethode mehr bedeutet, als vielerseits vielleicht auf Grund
rein philologischer Überlieferungen angenommen wurde. Die Beobachtung der Gesetz-
mäßigkeiten der Märchentradition in ihren lebenden gesellschaftlichen Zusammenhängen
wirft nicht nur immer mehr Licht auf das schöpferische Gestaltungsvermögen des Märchen-
erzählers, auf die Kraft des Einflusses der zuhörenden Gemeinschaft, sondern auch auf den
geschichtlichen, inhaltlichen und formalen Entwicklungsgang des Märchens selbst, auf die
Entfaltung neuer Märchentypen und neuer Motivverbindungen. Wir sind der Ansicht, daß
der fruchtbringendste Weg zur Untersuchung der Philologie der mündlichen Überlieferung
auch heute noch diese Methode ist. Natürlich bedarf es noch der sich auf die kleinsten Einzel-
heiten erstreckenden Beobachtung sehr vieler Märchenerzähler und kleiner märchen-
hörender Gemeinschaften, um von einer Feststellung von Gesetzmäßigkeiten sprechen zu
können und dadurch auch die historischen Prozesse der Vergangenheit besser zu verstehen.
Trotzdem dürfte aber dieser Weg der gangbare, der verheißungsvolle sein. Aus diesem
Grunde bedauerten wir, daß der Verf. diese Methode auf Grund des Buches von Asadowski
nur so flüchtig erwähnt hat.
Abschließend wird man feststellen können, daß das hier besprochene Buch eine der
hervorragendsten wissenschaftsgeschichtlichen, kritischen Zusammenfassungen der letzten
Jahre ist. Wir alle dürfen dem Autor dankbar sein für seine klaren, lapidaren Fingerzeige
in dem stets dichter werdenden Gestrüpp der verschiedenen Theorien.
Gyula ORTUTAY-Budapest
Grimm, Brüder: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. Berlin, Rütten und Loening,
o. J. [1956]. 632 S. Gleiche Ausgabe: München, Winkler-Verlag, o. J. [1956]. 632 S.
Die Neuauflage der Deutschen Sagen der Gebrüder Grimm durch den Berliner und den
Münchner Verlag ist sehr verdienstvoll und besonders zu begrüßen, da das Werk seit 1905
in keiner vollständigen Ausgabe erschien. Die Hrsgg. bringen die Anordnung der dritten,
4) So z. B. trennt neuerdings Bascom die Kunstgattungen auf Grund der gesellschaft-
lichen Unterscheidung Malinowskis, s. W. R. Bascom: Four Functions of Folklore. JAF
1954, S. 335; A. J. Hallowell: Culture and Personality. AmAnthr. 1947, S. 547.
Deutsche Sagen
297
*891 von Herman Grimm besorgten Auflage. Dabei wurden dessen textliche Änderungen
Und Auslassungen nach dem Vorbild der ersten Auflage von 1816 und 1818 beseitigt.
Orthographie und Interpunktion sind sehr sorgfältig auf den modernen Stand gebracht,
^ährend die wenigen mundartlich aufgezeichneten Sagen zur Freude des Lesers in ihrer
Ursprünglichen Sprachform übernommen wurden.
Um die Sammlung „als Lesebuch dem Volke darzubieten“, nahm bereits Herman Grimm
a^e für einen wissenschaftlichen Apparat notwendigen Quellenangaben, Verweise, An-
merkungen und Zusätze der Brüder aus dem laufenden Sagentext heraus und setzte sie an
den Schluß des Buches unter die entsprechenden Nummern des Inhaltsverzeichnisses. Da-
durch sind die einzelnen Sagen in ungestörtem Ablauf als Volkslesestoff gegeben. Diese
Gliederung sowie die der vierten Auflage von R. Steig (1905), welche die Vorreden der
Brüder Grimm zum ersten und zweiten Teil sowie das Vorwort zur dritten Auflage von
Herman Grimm an den Anfang stellte, haben die beiden Verlage beibehalten. Mit dem
■Wortgetreuen, in der Gliederung jedoch mehr populären Abdruck beabsichtigen auch sie,
das Sagenbuch breiten Kreisen lesbar und zugänglich zu machen.
Bei der Anordnung der Sammlung folgten Jacob und Wilhelm Grimm zunächst „der
öPur der Natur, die nirgends steife und offenliegende Grenzen absteckt“. Sie stellten in
ortlaufender Abfolge zusammen, was den Motiven nach irgendwie zusammengehört:
■Zwergen-, Wasser-, Hexen-, Verwünschungssagen usw., unabhänig von den differenzierten
menschlichen Beziehungen innerhalb der Erzählung und unabhänig vom orts- oder land-
Schaftsmäßig und historisch bedingten Charakter der einzelnen Sage. Eine Trennung nach
diesen Beziehungen und dem Charakter der Sageninhalte nahmen sie nur nach geschichtlich
gebundenen (2. Bd.) und den mehr örtlich bestimmten Sagen (1. Bd.) vor. Die Grimms
sahen diese Anordnung jedoch nur als Provisorium und planten eine vollständige Abhand-
iüng der deutschen Sagenpoesie, worin sie „umfassende Übersichten des Ganzen, nicht bloß
nach Ort, Zeit und Inhalt, sondern noch in anderen“ versuchen wollten. Eine örtliche An-
°rdnung würde nach ihrem Urteil „gewisse landschaftliche Sagenreihen gebildet und da-
durch hin und wieder auf den Zug, den manche Sagen genommen, gewiesen haben“. Sie
erblickten jedoch ein Hemmnis im Mißverhältnis zwischen der Landschaft und den da-
maligen politischen Grenzen. Daher forderten sie eine gründliche und sorgsame Prüfung
der deutschen Mundarten, um eine Sage unabhängig von politischen Grenzen in ein Mund-
artgebiet einordnen zu können. Diese Forderung ist von der Sprachwissenschaft längst er-
füllt, und es wäre bei einer Neubearbeitung des Werkes zu wünschen, wenn das mündlich
überlieferte Erzählgut nun nach den unmittelbaren Quellen aus Thüringen, dem Harz,
Bayern, Schwaben usw. geordnet würde. Außerdem wäre im Rahmen einer landschaftlichen
Gliederung eine Trennung nach mündlicher Überlieferung und den Sagen, die bereits be-
uchenden Sammlungen, Annalen, Chroniken entnommen wurden, für die Forschungsarbeit
des Wissenschaftlers, speziell des Volkskundlers, sehr erleichternd, ebenso die Anordnung
flach der ersten Ausgabe, d. h. die Beibehaltung aller Angaben zu jeder einzelnen Sage im
kaufenden Sagentext.
Bür den nur am Lesestoff interessierten Liebhaber deutscher Sagen ist wiederum ein
■wissenschaftlicher Apparat am Schlüsse der Sammlung nicht unbedingt notwendig, dafür
Wünschte der wissenschaftlich unvoreingenommene Leser eine kurze Einführung in das
Werk der Brüder Grimm und einige erläuternde Anmerkungen zu den Sagen, wie sie sehr
instruktiv und anregend der Aufbau-Verlag in seiner Neuauflage der KHM (1955) gibt
(vgl. auch den Bericht über die Märchensammlungen aus Deutschland, Österreich und der
Schweiz seit dem Jahre 1945 von Lutz Röhrich, DJbfVk I, 1955, S. 284—286).
Den Wissenschaftler und Sagenforscher interessiert jeder kleinste Sagenbrocken, jedes
floch so kurz berichtete oder angedeutete Sagenmotiv, welches die Gebrüder Grimm für
anfschreibenswert hielten. Auch Überlieferungen ganz allgemeinen und verbreiteten Aber-
glaubens, wie z. B. „Die weiße Frau“ (Nr. 123), können von Wert sein. Für den Lesenden
abcr, der sich am Stoff unterhalten oder sein Wissen um die heimatliche Überlieferung bilden
^jll, wirken solche kurzen, häufig an keinen besonderen Ort gebundenen Stücke störend.
le fänden in einem Volkslesebuch unter gesonderter Überschrift „Abergläubische Vor-
298
Die Sagen Vorarlbergs
Stellungen“, „Verbreitete Spukmotive“ o. ä. einen besseren Platz, zumal die Brüder
Grimm selbst viele derartige Motive ein zweites Mal ihrer Mythologie zuordneten.
Die Sammler und ersten Hrsgg. empfahlen die Sagen „den Liebhabern deutscher Poesie,
Geschichte und Sprache“ und hofften, sie werden „ihnen allen, schon als lautere deutsche
Kost, willkommen sein, im festen Glauben, daß nichts mehr auferbaue und größre Freude
bei sich habe, als das Vaterländische“. Damit gehört das Werk zu den großen Leistungen
der Romantik, die, in die Tiefen volklicher Überlieferung und Tradition steigend, bei den
Deutschen Besinnung auf Heimat und Zusammengehörigkeit wecken sollten und nicht
wenig zur Bildung eines Nationalbewußtseins beitrugen. Herman Grimm würdigt 1891
diese Leistung richtig, wenn er in dem Buch den „freudigen Geist der Tage“ sieht, „in
welchen es erschien. Die dann folgenden Jahre, mit der Verdächtigung des Gefühls, dem
Deutschland doch seine Befreiung verdankte, waren noch nicht angebrochen. Unter dem
Eindrücke der in Frankreich erfochtenen Siege ward 1816 an eine beginnende Ära der
geistigen und politischen Größe des Vaterlandes geglaubt, deren Erscheinung zu verhindern
allerdings die ganze damalige Welt — man kann wohl sagen — verbündet war. Die Zeiten
des nun folgenden nationalen Niederganges wären unmöglich gewesen, hätten deutsches
geschichtliches Dasein und deutsches Gedankenleben damals schon zur Grundlage unserer
Volkserziehung gemacht werden können.“
Es will heute nicht als Zufall erscheinen, wenn Buchverlage im Westen und Osten unserer
zerrissenen Heimat den gemeinsamen Erzählschatz deutschen Volkstums gemeinsam neu
herausbringen und mit der teils populären, teils wissenschaftlichen Form den breitesten
Leser- und Interessenkreisen gerecht zu werden versuchen. Die vorliegende Ausgabe bildet
eine gute, solide Grundlage für die weitere Arbeit der Forschung. Zu begrüßen wäre es
jedoch, wenn bei einem nächsten derartigen Unternehmen der Hrsg, sich der Mühe unter-
zöge, bei einem genauen und vollständigen Abdruck der Sagen dem Werk entweder einen
eindeutig wissenschaftlichen Charakter zu verleihen oder es in Stoffdarbietung und Aufbau
als Volkslesebuch zu bestimmen. Gisela SchneiDEWiND-Berlin
Vonbun, Franz Josef: Die Sagen Vorarlbergs mit Beiträgen aus Liechtenstein. Auf Grund
der Ausgabe von Hermann Sander (1889) neu bearbeitet und herausgegeben von
Richard Beitl. Feldkirch, Monfort-Verlag, 1950. 308 S., illustr.
Beitl, Richard: Im Sagenwald. Neue Sagen aus Vorarlberg. Feldkirch, Montfort-Ver-
lag, 1953. 464 S., illustr.
Mit einiger Verspätung sei hier auf die schönen und umfangreichen Sagenbücher ver-
wiesen, die Richard Beitl seiner Heimat und im weiteren der Sagenforschung geschenkt
hat; sie gehören zum Besten, was in den letzten Jahren auf diesem Gebiet erschienen ist.
Schon mit der Neuausgabe der seit Jahrzehnten vergriffenen VoNBUNschen Sammlung hat
sich der Hrsg, ein unbedingtes Verdienst erworben. Legt man jetzt die Neuen Sagen daneben,
so ergibt sich ein sehr abgerundetes Bild einer Sagenlandschaft, nicht nur im reichen Bestand
des Erzählguts, sondern auch in den aufschlußreichen Notizen des Hrsg.s über den Verlauf
der Sammelarbeit und in seinen ausführlichen sagenkundlichen Kapiteln im Anhang.
Die Einleitung des erstgenannten Bandes beschäftigt sich vor allem mit der Persönlichkeit
Vonbuns, des Schrunser Arztes, der zur frühen Sammlergeneration um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts gehörte, mit Jacob Grimm, Wolf, Simrock und anderen Mythologen seiner
Zeit in Verbindung gestanden und von dorther unmittelbare Anregungen empfangen hatte.
Im zweiten Band berichtet B. über den Vorarlberger Historiker und Heimatforscher
Hermann Sander, der 1889 die erste, wesentlich erweiterte Neuausgabe nach dem VoN-
BUNschen Nachlaß herausgegeben hat. Aus seinem Briefwechsel erfahren wir viel über die
Gewährsleute und die Art der Aufzeichnung jüngerer Sammler. Auch B. selbst gehört
seit seiner Studentenzeit dazu; ein eigener Band selbstaufgezeichneter Sagen aus dem
Montafon steht noch aus. — Da waren also seit Vonbun mehrere Generationen am Werk.
Die Sagen Vorarlberg!
299
Zieht man das Alter der Gewährsleute Vonbuns und ihrer Quellen in Betracht, so ist es
?un möglich, den Sagenbestand Vorarlbergs für einen Zeitraum von etwa zweihundert
Jahren zu überschauen.
Uber den allgemeinen Bestand von Geister-, Hexen-, Teufels- und Schatzgräbergeschich-
^n hinaus bietet dieses Sagengut besonders viele für den Alpenbereich charakteristische
Überlieferungen, mit den landschaftsbezogenen Berichten über Vergletscherungen und
Bergstürzen, den typischen Sagen des Hirtenlebens und den gemeinalpinen Sagengestalten
Wie Fenggen, Wildleuten und Venedigermanndln. Bezeichnend für die alemannische Volks-
zugehörigkeit der Vorarlberger sind dagegen die Sagen vom „Butz“ und vom „Wuotas“,
dem wütenden, wilden Heer, das hier und in den angrenzenden Gebieten der Schweiz und
des Allgäus noch in einer Sonderform, als das teils musizierende, teils fürchterlich lärmende
>>Nachtvolk“ auftritt. Auch für die allgemein verbreiteten Motive von Alp und Trut ist
lr) den Gebieten der alten Walsersiedlungen im „Doggi“ ein nach Namen und Erscheinung
C1gener Typ zu finden, während in den Landstrichen um Rheintal, Bodensee und Bregenzer-
wald vom Schratt (Schrätteli usw.) in gleicher Eigenschaft erzählt wird.
B. hat das Sagengut nicht wie Vonbun undSANDER seinerzeit nach Motiven, sondern wohl
Um des lebendigeren Zusammenhangs und einer objektiveren Beurteilung willen, nach ihrer
landschaftlichen Herkunft aufgegliedert. Nur die wenigen in Vorarlberg aufgezeichneten
Härchen und die literarisch überlieferten geschichtlichen Sagen und Legenden hat er in ge-
sonderten Kapiteln zusammengefaßt, dazu noch im ersten Band jene Sagen, die Vonbun,
dem Geschmack seiner Zeit entsprechend, in Mundartverse gebracht hat.
Auch sonst hat sich B. über die Darbietung des Sagengutes viel Gedanken gemacht, vor
aBem über ihre sprachliche Form, die ja in den wenigsten Sammlungen so recht befriedigt.
Ganz bewußt ist er von den an sich mehrfach überarbeiteten Mundartaufzeichnungen
^onbuns abgegangen. „Alle schriftlich niedergelegte Mundart ist ein Kreuz“, schreibt er
y*üd charakterisiert damit die Probleme der phonetischen Schreibung und ihrer Lesbarkeit
111 Weiteren Kreisen der Bevölkerung und der Leserschaft jenseits der vorarlbergischen
Grenzen. Neben allen wissenschaftlichen Zielen den Weg zum breiteren Publikum zu finden,
üiuß aber letzten Endes der Zweck aller Bücher dieser Art sein. B. hat sich darum in An-
lehnung an den volkstümlichsten Dichter im alemannischen Bereich, Jeremias Gotthelf,
Ufü eine landschaftlich gefärbte Schriftsprache bemüht, die all die Ausdrücke beibehält, die
tüf den Charakter der Erzählungen wichtig oder an sich nicht auswechselbar sind, andrer-
seits aber allgemein verständlich und dabei immer lebendig bleibt. Dies ist m. E. in vorbild-
licher Weise gelungen, woran freilich nicht nur die gute Absicht, sondern vor allem das
längst anderwärts bewährte, dichterische Sprachgefühl des Hrsg.s seinen Anteil hat.
_ Die sagenkundlichen Abschnitte der beiden Bände ergänzen sich wiederum nach einem
sinnvollen Plan. Im ersten Buch hat B. die Schichten des Erzählguts nach Antike, ger-
manischer Überlieferung und christlichen Elementen voneinander abzulösen versucht (er
behandelt dabei z. B. das Motiv vom Tod des großen Pan als ursprünglich antike Uber-
leferung in Zusammenhang mit der seinerzeit von Friedrich Ranke unternommenen
hmtersuchung). Hernach schlüsselt er die wichtigsten Gestalten und Motive der Vorarl-
berger Volkssage, wie wir sie oben kurz gestreift haben, nach ihrer Entstehung und Ent-
wicklung historisch und geographisch auf. Im zweiten Buch dagegen unternimmt er eine
Psychologische Untersuchung des Sagenbestandes in bezug auf ihre erlebnismäßigen
Hintergründe wie Jenseitssorge und Totenfurcht, Bedrohung der magischen Welt, Krankheit
oder Traumoorstellungen (als das dem Menschen „Widerfahrende“) und die menschliche
Gegenwehr in Abwehrzauber, christlichem Glauben, Sühne und Erlösung (als das „Rettende“).
°viel nur in der hier gebotenen Kürze zum Umriß seiner Gedankengänge. Jedenfalls sind
^üiit dem sorgfältig gebotenen Material Betrachtungen von allgemeinerer Bedeutung
inzugefügt, die den breiteren Leserkreis mit den bisherigen Ergebnissen der Forschung
ekannt machen, gewiß aber auch manchen neuen Gedanken zur wissenschaftlichen Be-
achtung der Volkssage bieten.
Ausführliche Anmerkungen mit vergleichenden Literaturhinweisen und gute Register
Crlcichtern die Benützung des Materials und haben, entgegen der weit verbreiteten Meinung
300
Die Musen und der göttliche Ursprung des Singens
minder kenntnisreicher Hrsg, und um den Absatz besorgter Verleger ähnlicher Werke, der
Popularität der Bücher durchaus keinen Abbruch getan. Auch was Ausstattung und Illustra-
tion der Bände betrifft, ist der Verleger eigene Wege gegangen und hat offensichtlich keine
Mühe gescheut. Alles in allem: Hätten wir nur recht viele so gute Sagensammlungen! Es
wäre der Forschung damit sehr gedient. Elfriede MosER-RATH-München
Otto, Walter F.: Die Musen und der göttliche Ursprung des Singens und Sagens. Düssel-
dorf-Köln, Eugen Diederichs Verlag, 1955. 88 S.
Wenn der Verf. über die Götter Griechenlands spricht, so bedeutet das für ihn nicht zu
sagen, wie sich uns das Bild dieser Gottheiten in der antiken Überlieferung zeigt, sondern
wie die Götter selbst sich dem griechischen Geist offenbarten: denn göttliche Wesen werden
nicht erdacht, sie können nur erscheinen und sich zeigen! Und in diesen göttlichen Offen-
barungen, die den Griechen in der vorhomerischen Zeit geworden sind, können wir nach
O. ein System von Ideen entdecken, das zwar niemals in Begriffen gefaßt worden ist, das
aber für uns, wenn wir es richtig erkennen, eine Offenbarung höchster Wahrheiten darstellt.
Wenn O. nun als Einzelproblem in seinem neuen Buch die Musen behandelt, die Göt-
tinnen des Singens und Dichtens, auf welche die Dichter und Sänger hören, um diese von
ihnen gehörte „heilig tönende Verkündigung“ an die Menschen weitergeben zu können,
so muß sich für O. auch in dem Mythos von den Musen wie in allen andern griechischen
Göttermythen das Bild des Göttlichen und die Offenbarung einer Wahrheit widerspiegeln,
und diese betrifft hier das Singen und Sagen. Und dies Singen und Sagen hat „eine Be-
deutung, wie nur das wahrhaft Göttliche sie haben kann: es ist die Offenbarung des Seins
der Dinge und so mit dem Sein der Dinge eins, daß ohne den Gesang das Schöpfungswerk
nicht vollendet, die Welt nicht vollkommen wäre“. Und so enthüllt uns der Mythos von den
Musen, richtig verstanden, nichts Geringeres als eine Theorie über die Entstehung der
Sprache: „Der Mythos von der Muse besitzt ein wunderbares Wissen vom Wesen der Welt
und zugleich vom Ursprung des Singens und Sagens, also derjenigen Gabe, die den Menschen
über alle anderen Lebewesen hinaushebt und dem Göttlichen nähert: der Sprache. Und dieses
Wissen ist: daß dem menschlichen Sagen etwas vorausgeht, das empfangen und gehört
werden muß, ehe der Mund es für das Ohr vernehmbar machen kann. Und weiter: daß
diese geheimnisvoll tönende, dem menschlichen Sagen vorausgehende Stimme zum Sein der
Dinge selbst gehört, als eine göttliche Offenbarung, die es mit seinem Wesen und seiner
Herrlichkeit zutage treten läßt."
Man kann nicht sagen, daß dies eine klare Antwort ist auf die Frage, von wem denn eigent-
lich diese hohen Offenbarungen stammen. Aber auch folgende Worte scheinen nur dazu
bestimmt zu sein, die Unklarheit der Gedanken zu verhüllen: „Götter und mythische Wesen
aller Rangstufen werden nicht erdacht, sie können nur erscheinen und sich zeigen. Und sie
erscheinen mit dem Sprachgesang, der nicht aus eigenmächtigem Wollen, sondern aus dem
Wunder des Vernehmens und Empfangens geboren ist.“ (Hier fragt man wieder vergebens:
Was ist das für eine Potenz, aus der das hervorkommt, das man vernimmt und empfängt?
Der Verf. läßt uns über das Wesentliche im Zweifel; aber er sagt selbst einmal: „Das Wesent-
liche spricht man hier, wie überall, nicht aus.“) „Tanz und Musik, die der Sprache von
Anfang an zugehörig sind, lassen den Grundcharakter alles ursprünglichen Sprechens deut-
lich erkennen. Es ist die Selbstdarstellung des Menschen inmitten seiner Welt und das Offen-
barwerden dieser Welt in Einem.“
Wenn nun „die Göttin Muse nur den Griechen begegnet“ ist, von wem haben dann die
andern Völker ihre Sprache, ihr Singen und Sagen gelernt? Gilt die im Mythos niedergelegte
„Theorie“ nur für die griechische Sprache? Nein, es heißt ausdrücklich (S. 71), dieses im
Mythos niedergelegte Wissen spricht ganz allgemein vom „menschlichen Sagen“ und all-
gemein von der Sprache als „derjenigen Gabe, die den Menschen über alle Lebewesen
hinaushebt und dem Göttlichen nähert.“ Also ist die Muse doch nicht nur den Griechen
Wörterbuch der Teltower Volkssprache
301
^schienen, sondern auch den Vorfahren des Homo Heidelbergensis und Pekinensis? Der
erL äußert sich hierüber nicht.
. Es sind bald 150 Jahre her, daß man Ähnliches über eine Uroffenbarung hörte, wie sie sich
lrtl Mythos kundtue: „Was im Wissen und der Kunst in der Folgezeit sich tausendfach ent-
ölt, das ist in der Urzeit in derselben Einheit noch begriffen, in einfachen, aber großen
Aügen ist die ganze Zukunft in der Mythe aufbewahrt, in wenigen Lettern hat das Unend-
hche sich ausgesprochen, aber verborgen ist der Sinn, den diese geheimnisvollen Worte
bergen, und nicht leicht zu enträtseln die dunkle Sprache, die die Götter sprechen.“ So
Joseph Görres und ähnlich Friedrich Creuzer, der gleichzeitig schwärmte „von der
großen Gottheit des alten Pan, der ein ewiges Lied gesungen, wovon Pythagoras und
die Weisen der Vorzeit einzelne Laute gehört“. So Creuzer, der später in diesem Sinn seine
Symbolik schrieb, die dann Band für Band von Lobeck zerpflückt wurde. Hier reiht sich
auch Hölderlin ein, den O. gelegentlich als Zeugen anführt. Aber die philologische
Religionswissenschaft kann weder die Tatsache einer Uroffenbarung noch den Inhalt eines
irn Mythos steckenden geheimen Wissens noch eine griechische Gottheit als in vorhome-
rischer Zeit sich offenbarend aufweisen. Friedrich PFiSTER-Würzburg
Lademann, Willy: Wörterbuch der Teltower Volkssprache. Telschet Wöderbuek. Berlin,
Akademie-Verlag, 1956. 370 S., 1 Karte.
Mor fünfzig Jahren hat der bekannte Heimatforscher Willibald von der Schulen-
BUrg öie ersten umfangreichen Wörterverzeichnisse für das Teltower Platt veröffentlicht1).
Leider sind diese Verzeichnisse nicht frei von Irrtümern und Mängeln: die Umschrift der
Plattdeutschen Laute ist oft nicht korrekt wiedergegeben, und auch die Erläuterung der Be-
griffe ist vielfach ungenau. Um so mehr wird man es begrüßen, daß jetzt Willy Lademann
nach jahrzehntelanger Sammelarbeit ein Wörterbuch vorlegt, das die Volkssprache des ehe-
maligen Kreises Teltow in wissenschaftlich einwandfreier Weise erschließt (der alte Kreis ist
Beute aufgeteilt in die Kreise Potsdam, Zossen, Königs Wusterhausen und Luckenwalde,
Seme nördlichen Gemeinden gehören seit 1920 zu Berlin).
L. stammt aus Jühnsdorf, etwa in der Mitte des Kreises Teltow gelegen, wo schon sein
vater und sein Großvater als Lehrer tätig waren. In diesem Dorf, von dem im Anhang eine
Heine Geschichte der Grundstücke und seiner Bewohner gegeben wird, hat L. den Grund-
stock seines Materials zusammengetragen. Aber auch in vielen anderen Orten hat er Ge-
währsleute für seine Wortsammlungen gefunden, so daß auch die zum Teil erheblichen
Unterschiede der einzelnen Teltow-Mundarten berücksichtigt werden konnten. Neben den
Grundwörtern der plattdeutschen Umgangssprache bringt das Wörterbuch vor allem die
Welfältigen Bezeichnungen aus dem Bereich der bäuerlichen Welt: Pflanzen und Tiere,
Acker, Wiese und Wald, landwirtschaftliche Geräte und Arbeiten. Andere Berufssprachen
S1nd leider zu wenig berücksichtigt. Nur die Fischersprache ist durch einige Gerätebezeich-
nungen besser vertreten (Belege aus Gröben-Kietz). Aufgenommen hat L. auch die Orts-
ünd Flurnamen, Ruf- und Familiennamen in ihrer niederdeutschen Form. Im Anhang finden
Wir außerdem auf 57 Seiten ausführliche Beispiele zur Laut- und Formenlehre, zur Wort-
ildung und zur Satzlehre des Teltower Platts und auf fünf weiteren Seiten eine Gegen-
überstellung von Texten aus älterer und neuerer Zeit.
Wichtig für den Volkskundler sind vor allem die Stichwörter, die Erscheinungen von
AlltagSSHte und Festbrauch, Volksglaube und Volkswissen behandeln. Besonders für Kinder-
^PLle (aftelln, Anklatschen, Bomber spääln, fä vützich, Flitzböl, jraspeln, Pinkelinke, KcUte-
Spilder verstääken, Ssiska) und Liebesorakel (Akatsjenblatt, Fensterhörkenjehn, Holt-
X) Märkische Kräuterei aus dem Kreise Teltow. In: Brandenburgia, Bd. 3, S. 137—205.
as Hirtenwesen in einem märkischen Dorfe in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.
n: Archiv der Brandenburgia, Bd. 11 (1904).
302
Werkzeuge und Arbeitsmethoden des Holzhandwerks
schilekentrecken, Johanniskrut, Köschbömkenschüddln, Köschtackenknacken, Rinkanklimpern,
Soathörken, Tassnspääl) findet man wertvolle Beispiele. Gerade bei den volkskundlichen
Stichwörtern wird häufig auf die Aufsätze des Verf. in den Teltower Kreiskalendern der
Jahre 1926 bis 1942 verwiesen. Da diese Kalender heute schwer zugänglich sind, hätte L.
den Benutzern einen großen Dienst erwiesen, wenn er das damals veröffentlichte Material
ausführlicher in sein Wörterbuch eingearbeitet hätte. Doch soll diese kritische Bemerkung
das Verdienst L.s in keiner Weise schmälern. Wir sind ihm dankbar, daß er mit diesem
Wörterbuch ein für den Mundartforscher wie für den Volkskundler wichtiges Nachschlage-
werk geschaffen hat, das nicht nur für den ehemaligen Kreis Teltow, sondern auch für die
angrenzenden Mundarträume und für das benachbarte Berlin von großem Wert ist.
Reinhard PEEScH-Berlin
Maissen,Alfons: Werkzeuge und Arbeitsmethoden des Holzhandwerks in Romanisch-
Bünden (= Die sachlichen Grundlagen einer Berufssprache). Genève, Librairie E.
Droz; Erlenbach-Zürich, Eugen Rentsch-Verlag, 1943. LVIII, 277 S. (= Romanica
Helvetica ed. J. Jud und A. Steiger, Vol. 17).
Das mir jetzt erst zur Besprechung übergebene Buch bietet eine sehr anschauliche und
klare Darstellung der Werkzeuge und Arbeitsmethoden des Holzhandwerks in Romanisch-
Bünden. Es geht nicht von den einzelnen Handwerken aus, sondern stellt die meist von
verschiedenen Handwerkern wie Zimmermann, Tischler, Stellmacher (Wagner), Küfer
sowie von den Holzarbeitern in Wald und Hof benutzten Werkzeuge in den Mittelpunkt.
Nach einer lehrreichen Einleitung zur Geschichte des Handwerks in Graubünden wird die
Untersuchung in die Kapitel I. Holzrückungswerkzeuge, II. Äxte und Beile, III. Behauen
der Bauhölzer, IV. Die Sägen, V. Stemm- und Stechzeug, VI. Bohrer, VII. Die Hobel,
VIII. Die Werkstatteinrichtung, IX. Die Drehbank, X. Textproben gegliedert. Jedes Kapitel
(mit Ausnahme von X) gibt zunächst eine sorgfältige und meist sehr eingehende sachliche
Beschreibung. Daran schließen sich in der Regel einige Paragraphen, die die Bezeichnungen
der Werkzeuge, ihrer Teile und der damit verbundenen Handgriffe in der Mundart von
Romanisch-Bünden bieten. Diese Abschnitte verzichten fast ausnahmslos auf eine sprach-
liche Besprechung, insbesondere auf Herleitung der einzelnen Benennungen. Daher muß
die Beurteilung dieser Partien dem romanistischen Fachmann, insbesondere dem Kenner
der Graubündener Mundarten überlassen bleiben. Doch sei wenigstens darauf hingewiesen,
daß offenbar der Bestand an Entlehnungen aus dem Deutschen dabei recht beträchtlich ist,
vgl. z. B. S. 98 la ëlétsàga S. [— Surselva], la slitsàga C. [= Grischun central] „Schlitzsäge“,
S. 99 la ëwçyfzàga S. u. C. „Schweifsäge“, S. 128 löhpittel S. u. C. „Lochbeutel“ (Stecheisen
zum Lochausstemmen), S. 148 il trelabçrar, trilborar C. „Drillbohrer“ usw.
Ist M. bezüglich des Sprachlichen über die Darbietung fleißiger Sammlungen nicht hinaus-
gelangt, so sind die ausführlichen sachlichen Darlegungen des Verf.s für jede Beschäftigung
mit der Holzverarbeitung von großem Wert. Allerdings ist man überrascht, daß es in einer
Landschaft mit so urtümlicher bodenständiger Kultur so wenig Werkzeug gibt, das als
Sonderbesitz dieser Gegend anzusehen wäre.
Durchmustert man nämlich die 175 Abbildungen des Buches mit ihren Beschreibungen,
so stellt man fest, daß weit überwiegend genau die gleichen Werkzeuge und Arbeitsgänge
auch im Bereich der südlichen Ostsee heimisch sind. Das hat seinen Grund natürlich guten-
teils darin, daß die holzverarbeitenden Handwerker, wie sie oben genannt sind, im Gegen-
satz zu manchen anderen das Wandern immer sehr gepflegt haben (man denke nur an die
Hamburger Zimmerleute). Von den eigentlichen Handwerkern sind die Werkzeuge und
Geräte auch zu den im Walde arbeitenden Holzhauern und zu den bäuerlichen Selbst-
herstellern gelangt. Auch ist gerade in den holzverarbeitenden Berufen das Werkzeug nur
begrenzt selbst gefertigt; zumeist bedarf es des Schmiedes zur sachgerechten Herstellung.
Dabei haben sich offenbar gewisse, früh bereits mehr oder weniger fabrikmäßig hergestellte
Typen auch da durchgesetzt, wo man das Werkzeug vom Ortsschmied bezog oder wo etwa
Werkzeuge und Arbeitsmethoden des Holzhandwerks
303
^er Stellmacher bei diesem ihm meist gut befreundeten Fachmann sich die Eisenteile selbst
Schmiedete und dabei eigene Erfahrungen mit den freundlichen Ratschlägen des Werkstatt-
tnhabers verband.
. Um einerseits die weitgehende Einheitlichkeit des Gerätes zu zeigen, andererseits auf die
etkzeuge von mehr landschaftlichem Charakter aufmerksam zu machen, sollen hier für
le erste Hälfte der Untersuchung (Kap. I—IV) die von M. abgebildeten Werkzeuge mit
en in einer so gänzlich anderen Landschaft wie dem ehemaligen Pommern heimischen ver-
suchen1) und für die hier gleichfalls üblichen die plattdeutschen Namen vorgeführt werden.
Ua der Raum es nicht zuläßt, auf alle Abbildungen einzugehen, werden nur die heran-
gezogen, die Spezialabbildungen von Werkzeugen bieten. Die allgemeineren Darstellungen
v°n Arbeitsgängen werden also übergangen. Wo zu einem Bündener Werkzeug eine Ent-
sPtechung nicht gegeben werden kann, wird dies ausdrücklich betont, während nur aus-
nahmsweise auf in Bünden unbekannte Werkzeugformen hingewiesen werden kann. Die
den Namen hinzugesetzten Bezeichnungen der Kreise2) besagen nur, daß Namen und
ache dort sicher nachgewiesen sind, nicht, daß sie auf diesen Bezirk beschränkt sind.
. Uine einfache Stange (Knüppel od. dgl.) als „Handbaum zum Bewegen des Baumstammes“
ic b- *) erscheint in Pommern als Handspäk (Sto;Gn), Kantspäk (Sto), Duckboom (Sto),
niepboom (Sto). „Das Rücken eines Holzes auf Wellen“ (d. h. auf glatten dünneren
ammen) (Abb. 2) ist ebenso allgemein. Die Busgida und Pic genannten Formen der als
aPin bezeichneten Hacke mit langem, an der Spitze meist besonders geformtem Eisen zum
ucken und Drehen des gefällten Stammes (Abb. 5 u. 6) sind in Pommern in gleicher Form
ekannt. Im Sommer dienen sie hier zum Verziehen der Baumstämme, im Winter zum Zu-
sammenziehen von Eisschollen bei der Eisgewinnung und der Freilegung der Fahrrinne
eines Sees oder Flusses. Diese Hacke heißt deshalb in der Regel Iesbick (Sto). Während
S^rade „der sogenannte deutsche Zapin“ mit sichelartig gekrümmtem und gehöhltem Eisen
''Abb. 7) in Pommern zu fehlen scheint, ist der geradförmige „italienische Zapin“ (Abb. 9
Urtd io) als Boombick (Sto) bzw. Bickschl^p (Gn) gut bekannt und wird außer im Walde be-
sonders beim Flößen und zum Herausziehen der Stämme aus dem Wasser (wenn das Holz
C1m Sägewerk im Wasser lagert) verwandt (Sto). „Der Kehrhaken“, ein beweglicher
ferner Bügel mit spitzen Dornen an einem starken Stiel zum Drehen des Baumstammes
\Abb. 12), ist in Pommern als Kanthaken (Sto) geläufig; die ältere als „Holzwender“ oder
>> wendering“ bezeichnete Form, die mittels eines eisernen Ringes an jeder Stange (Knüppel)
oer Stiel einer Axt od. dgl. angebracht werden kann (Abb. 13), scheint bei uns nicht mehr
Vrzukommen. Von den in Abb. 14 gebotenen Formen der „Spaltaxt“, der gewöhnlichsten
°trn der Axt des Bauern, des Holzspalters und im häuslichen Betrieb heißt die von der
neide an unmittelbar dick werdende Klööwext (z. B. Rü), die beiden schlankeren Typen
°lthauerext (Rü), Schmööjecks (Gd), Buschecks (Sto), Exenbiel (Rü), Eckschenbiel (Ue),
«rza Ecks „Harzer Axt“ (Gr). Die „italienische Waldaxt“ mit ihrer breiten und beiderseits
chr spitzen Schneide (Abb. 15) und das „Schäleisen“, bei dem das Eisen schräg zum Stiel
stcht (Abb. 16)3) scheinen in dieser Form nicht bekannt zu sein, ebenso der „Gertei“, das
A-'gleich als Hiebwerkzeug dienende schwere Baummesser (Abb. 17 u. 18), das in der Form
ern handlicheren und leichteren Krummesser des Gärtners gleicht und das als Werkzeug
cr Niederwaldwirtschaft durch mittelalterliche Abbildungen schon früh bezeugt ist.
jjZimmermannsbeil“ (Abb. 19—21), „Dachdeckerbeil“ (Abb. 23) und „Küchen- oder
ausbeil“ (Abb. 24) (KQkenbiel) sind internationale Formen. Das „Hohlbeil“ (Abb. 22)
) Der Vergleich bleibt beschränkt auf die abgebildeten Werkzeuge; bloß beschriebene
Werden nicht berücksichtigt, da eine Sicherheit über die Übereinstimmung in diesen Fällen
ni^ht zu gewinnen ist.
) A = Anklam Gn = Greifenhagen Kö = Köslin Sto = Stolp
C = Cammin Gr — Grimmen La — Lauenburg Ue = Ueckermünde
Ud = Greifswald Ko = Kolberg Rü = Rügen
) Den gleichen Zweck erfüllt bei uns das Borkiesen oder Schelliesen, das aber eine andere
F°rm hat.
304
Werkzeuge und Arbeitsmethoden des Holzhandwerks
ist als Hollext, Holldechsel besonders zum Herstellen von Trögen u. dgl. üblich. Das „Küfer-
beil“ (Abb. 25) erscheint als Krummbiel auch in der Hand des Stellmachers (Sto) und heißt
daher auch Stellmucke(r)biel (Sto) oder Lierbiel (da es der Stellmacherlehrling zur Lehre [Lier]
mitbringen muß, (Gr); dagegen ist die Stoßaxt (Abb. 26), eigentlich ein Stemmbeutel mit zum
Winkel gebogener Handhabe (aus einem Stück), unbekannt. Die „Kreuzaxt“ (Abb. 27),
die auf der einen Seite eine Schneide in Längsrichtung, auf der andern eine solche in Quer-
richtung hat, so daß bei beiderseitigen Hieben ein Kreuz entsteht, heißt Dwassext (allg.)-
Sie dient zum Herstellen von Zapfenlöchern, wobei abwechselnd je mit der einen und mit
der anderen Seite geschlagen wird. Die „Fällaxt“ mit ihrer schmalen und dünnen, sich
nicht nach oben verbreiternden Schneide heißt ebenfalls Fellext (allg.). Das „Breitbeil“
(Abb. 33 u. 34) erscheint als Breitbiel (Ko; C), Blattbiel (Gd;C;Gr; Rü), Balkehujjebiel (Sa),
Schwelle(n)biel (Sto). Die „Klammern“ und „Bundhaken“ zum Festhalten des Holzes in
seiner Lage (Abb. 38 a u. b) sind als Klammhaken (Sto) und Buuklammer (Gd; Sto) gebräuch-
lich. Den „Schnurschlag“ zum Anzeichnen der Richtung des Behauens oder Sägens (Abb. 41)
nennt man Afschlack (Sto).
Die genaue Form der „Trentinersäge“ (Abb. 50) und der „Berufstrentina“ (Abb. 54),
beide mit großem festem Rahmengestell von mindestens Schulterhöhe, oft aber Uber-
mannshöhe, in dessen Mitte das dünne Sägeblatt eingespannt ist und das oben mit einer zum
Ziehen geeigneten querstehenden Flandhabe, unten dagegen mit zwei, vier oder sechs
Steckenhandgriffen versehen ist zur Bedienung durch einen, zwei oder drei Untersäger,
ist hier anscheinend unbekannt. Dagegen ist die beiden Formen sehr nahestehende „Kloben-
säge“ (mannshoher Holzrahmen mit eingespanntem Sägeblatt in der Mitte, Abb. 35), die bei
ihrer geringeren Breite ihre Handgriffe an der Seite hat, als Kloowsäg (A), Klubbsäg (A),
Kloobsäg (Gd), Kluftsäch (Gd), Klööbsäg (Rü) gebräuchlich; sie dient sowohl zum Bretter-
schneiden, als auch besonders zur Aufteilung von Stämmen oder dickeren Planken zu
Furnieren. Die „Trentinersäge, Typus B“, die aus einem gleichmäßigen (also sich nicht
nach einer Seite verbreiternden), etwa mannshohen Sägeblatt mit hölzerner Handhabe oben
und unten (aber ohne Rahmen) besteht, scheint hier unbekannt zu sein. Dagegen ist die
„Trentinersäge, Typ C“ mit nach oben stark an Breite zunehmendem mannshohem Sägeblatt
mit Handgriffen als große Zweimannsäge zum Bretterschneiden unter dem Namen Hake
(„Haken“ Ko; Kö), Bryydsäch (Gd; A), Br^rsäg (Rü) verbreitet.
Die in der Mitte breite, nach beiden Seiten kreisbogenförmig sich verjüngende und beider-
seits mit senkrechtem Handgriff versehene „Waldsäge“ (Abb. 63) dient als Karw-, Kaa(r)fsäg
(Rü; Ue; Gr; Gd; Ko; C), Schrootsäg (Rü; Sto) allgemein zum Absägen der Bäume und
Aufteilen der Stämme. Daneben ist auch die von Maissen als „Resgia da sogn Giusep“
bezeichnete „längst aus Gebrauch geratene Waldsäge unserer Väter“ mit gerader Zahnreihe
und M-förmiger Zahnung (wie sie zuerst bei Lionardo da Vinci nachweisbar ist) als
Emm-säg (Sto) oder amerikänsch Säg (Gd; Sto) noch heute vielfach üblich.
Die „Rahmensäge (Schreinersäge)“ in Abb. 68 ist die geläufige Tischlersäge und heißt
Stechsäg (Gd), Spannsäg (Sto; Gd), Handsäch (Ue; Gr; Rü), scherzhaft auch Gniedel
(Sto; zu gniedeln „reiben, mit stumpfem Werkzeug, bes. mit schlechtem Messer mühselig
schneiden“). Von ihr ist die „Faustsäge“ (Abb. 69) zur Aufteilung von Brettstücken nach
der Längsfaserrichtung nur durch die stärker auf Stoß gerichtete Zahnung verschieden; sic
heißt Trennsäg (Rü; Gd; Gr; C), Fuustsäg (Rü; Sto).
Die „Bocksäge“ mit dem hohen Sägegestell und dem einseitigen Handgriff, die das Zer-
sägen auch von größeren Blöcken bzw. Scheiten (Kloben) durch den einzelnen ermög-
lichen soll (Abb. 70), ist hier nicht bekannt. Dagegen ist die „Bogensäge“ mit einem stark
gebogenen Ast aus Hasel- oder Eichenholz als Spannvorrichtung, die zum Sägen noch
dickerer Scheite geeignet ist (Abb. 71), als Bögelsäg (Rü), Hultschrajjel (La) durchaus ge-
läufig, während wiederum die „Kinderbogensäge“ (Abb. 72), die eine Bocksäge nachahmt,
wie diese nicht bekannt ist.
Die „Gratsäge“, deren kurzes Sägeblatt bis nahe an die Zahnung in ein Holz mit Griff
eingelassen ist, begegnet in der Form von Abb. 74 (nicht Abb. 73 u. 75) unter dem gleichen
Namen (Graadsäg Rü; Grätsäg Gd; C; Sto) zum Aussägen der Nuten oder Fugen besonders
Masken in Mitteleuropa
305
V<f Türen. Die „Lochsäge“, die eine spitze und schmale, dolchartige Form des „Fuchs-
schwanzes“ darstellt (Abb. 76), hat ebenfalls den gleichen Namen Lochsäg (Gd) oder Stichsäg
' Rü; Ko; C; Sto), aber auch Spitzsäg (Ue).
Die Form des allgemein verbreiteten „Fuchsschwanzes“ (Abb. 77, Voßschwanz Rü; Gr;
t°)> nur kleiner mit sehr feinen Zähnen, hat auch die Kupiersäg (Gd; C; Sto) zum Ab-
chneiden überstehender Enden (vonMAissEN nicht genannt). Die verwandte „Rückensäge“
vvbb. 78) mit einer Stahlversteifungsleiste auf dem Sägerücken erscheint als Twischensäg
' to)> Steetsäg (— „Stoßsäge“, Sto) zum Zwischenschneiden bei zusammengesetzten Holz-
rücken.
Die maschinell betriebenen Kreissägen (Abb. 79 bis 80) sind ebenso auch in Pommern
8cbräuchlich. Die „alte hölzerne Pendelfräse“ (Abb. 81) findet sich als Pendelsäg zum Quer-
SKreiden von Brettern auch in älteren Tischlerwerkstätten (Gd; Sto; C). Dagegen ist die
»hölzerne Bandsäge mit Treterei“ (Abb. 82) hier nicht nachweisbar, aber wohl nicht, weil
es eine Graubündener Sonderform war, sondern weil dies veraltete Gerät bereits überall
utch moderneres ersetzt ist.
Was hier an den Werkzeugen von Kap. I—IV, vor allem den Äxten und Sägen gezeigt ist,
ieße sich auch von den Werkzeugen der weiteren Kapitel, insbesondere den Stemmeisen,
. ech-, Loch- und Hohlbeuteln, den Bohrern und Hobeln zeigen. Der überwiegende Teil
lst vreit verbreitet und wird in gleicher Technik angewandt. Nur wenige Formen scheinen
eindeutig landschaftlich bestimmt, was freilich sicher nur bei Vergleich auch anderer Land-
Schaften feststellbar wäre. Manches ist gewiß einstmals allgemein gewesen, ist aber in dem
einen oder andern Bereich bereits durch moderneres Werkzeug ersetzt worden.
Weil die Maschine auch bei den holzverarbeitenden Handwerkern mit Macht ihren Einzug
ah> ist die Arbeit M.s aufs wärmste zu begrüßen. Sie hält anschaulich die alte Präzisions-
rbeit mit rein handbetriebenen Werkzeugen fest und setzt damit dem alten Handwerk, das
trotz seines Wanderzwanges in die heimische Landschaft fest eingebettet war und so einen
Wchtigen Zweig des Volkstums darstellte, ein schönes Denkmal.
Hans-Friedrich RosENFELD-Greifswald
CHMidt, Leopold (Hrsg.): Masken in Mitteleuropa. Volkskundliche Beiträge zur euro-
päischen Maskenforschung. Anläßlich des 60jährigen Bestehens des Vereines für Volks-
kunde in Wien hrsg. Wien, Selbstverlag des Vereines für Volkskunde, 1955. 253 S.,
27 Bildtafeln.
Der verdienstvolle Hrsg, konnte mancherlei beziehungsreiche Anlässe an den Eingang
es vorliegenden Werkes stellen: es bildet die Festschrift zum 60. Geburtstag des Wiener
cteins für Volkskunde, dessen Entstehen aufs innigste gerade mit der Maskensammeltätig-
eit für das Wiener Volkskundemuseum (von W. Hein bis M. Haberlandt) verbunden
lst- Von hier aus knüpfen sich die Fäden zu Volksschauspiel und Theaterwesen, dessen Neu-
erblühen im Wien des Erscheinungsjahres auch das Interesse am Maskenwesen neu belebte.
Den Aufsätzen sechs weiterer namhafter Forscher stellt L. Sch. seine eigene Untersuchung
^ber die österreichische Maskenforschung der letzten fünfundzwanzig Jahre voran, deren Aus-
führlichkeit (S. 4—71) er mit dem Hinweis auf die mangelnde Erfassung der österreichischen
estände in der allgemeinen Literatur, in den Wörterbüchern und Bibliographien be-
stünden kann. Sein historischer Überblick weist den Verf. erneut als nun schon bewährten
htonisten der österreichischen Volkskunde überhaupt aus; so folgt man mit Interesse
Sciner Darstellung der verschiedenen Richtungen in der Maskenforschung, die zum Teil,
^le die von Arthur Haberlandt vertretene, unter dem Einfluß des großen Leopold von
cHRoeder von der anthropologisch-völkerkundlichen Seite herkommend, sich mit all-
gemeinen ethnologischen Fragestellungen begnügte, oder sich wie die Schweizer Forschung
Um Doffmann-Krayer (Geiger, Meuli) den antiken Quellen zuwandte. Eine besonders
20 Volkskunde
306
Masken in Mitteleuropa
eingehende Würdigung erfährt die Schule des Wiener Germanisten und Prähistorikers
Rudolf Much (Lily Weiser, Höfler, Stumpfl, Wolfram u. a.), deren Verdienste mit
aller Sorgfalt herausgestellt werden, deren Schwächen der Verf. jedoch in gleicher Weise
deutlich betont und die hypothetische Grundlage ihrer Folgerungen dem Leser vor Augen
führt. Für dieses souveräne Kapitel werden besonders viele jener Volkskundler der mitt-
leren Generation dem Autor Dank wissen, deren Studienzeit unter dem Eindruck der
großen Veröffentlichungen der MucH-Schule über Wesen und Nachwirkungen der ger-
manischen Männerbünde stand und deren Kritik- und Diskussionsfähigkeit sich an dem
dort teilweise überzeichneten geschlossenen, geistig-seelischen Bild der frühen Vorfahren
entwickelte.
Im folgenden findet sich dann eine Schilderung des österreichischen, mit dem Masken-
wesen eng verbundenen Brauchtums, wie es z. B. aus den Veröffentlichungen von DöRRER,
Klier, Zimburg (vgl. DJbfVk I, 1955, 473—475) hervorgeht und im Lehrplan der öster-
reichischen Universitäten eine entscheidende Rolle spielt. Im nächsten Kapitel behandelt
Sch. die Geschichte des Maskenwesens, wobei er einem Überblick über die österreichischen
Materialsammlungen die verschiedenen Deutungsversuche folgen läßt. Wenn diese auch
unweigerlich in Verbindung mit historischer und prähistorischer Forschung erfolgen
müssen, so ergeben sich dabei leider allzu häufig Quellen für Fehler und voreilige Ver-
allgemeinerungen; steht doch einem ehrwürdigen Alter des Maskenwesens von etwa
30000 Jahren ein konkretes Anschauungsmaterial von höchstens 300 Jahren gegenüber,
weshalb bei allen Rückschlüssen und Vergleichen äußerste Vorsicht geboten ist. Der
historische Überblick gewinnt an Reiz durch die vom Verf. entwickelte Parallelisierungs-
methode, mit der er beispielsweise das Problem der Schneckenmaskierung untersuchte
(Rhein. Jb. f. Vk. II, 1951,8. x 18ff.). — Das Kapitel über die Geschichte des Maskenwesens
ist für jeden an diesem Stoff Interessierten von ganz besonderem informatorischem Wert
wegen der klaren Analysen über die verschiedenen Deutungstheorien und wegen der hier
gebotenen erschöpfenden Literaturübersicht vor allem des alpinen Gebietes.
Maskensammlungen und Maskenschnitzer finden im nächsten Kapitel ihre Darstellung,
während der letzte Abschnitt dem Maskenbrauchtum in und um Österreich gewidmet ist.
Kann der Verf. hier für das eigentliche österreichische Gebiet eine reiche Fachliteratur
heranziehen, so darf die abschließende Behandlung der Nachbarländer Slowenien, Ungarn,
Slowakei, Polen für diesen Band zunächst nur als kursorische Übersicht betrachtet werden.
Dem instruktiven, in Stoffbeherrschung und -durchdringung gleich gewichtigen Beitrag
von Sch. folgen nun lokale Spezialuntersuchungen aus der jeweils zuständigen besten Hand.
Leopold Kretzenbacher, bekannt durch seine zahlreichen Schriften insbesondere zum
Volksschauspiel der Steiermark, läßt in seinem einschlägigen Aufsatz über Schlangenteufel
und Satan im Paradiesspiel ein typisches ostalpines „Stubenspiel“ in seiner eingängigen
volkstümlichen Formsprache höchst anschaulich vor dem Auge des Lesers abrollen. In
einem historischen Überblick entwickelt er dann die Beziehungen zwischen ikonographi-
schen Quellen und mittelalterlich religiöser Spielwelt, und wir lernen, wie im Lauf der Ge-
schichte aus den zweierlei negativen Gestalten, der Schlange und dem hörnertragenden
Höllenmenschen, im Laufe des 19. Jahrhunderts der Teufelsmaskenträger wurde, der hinter
dem Paradiesbaum dem verkümmerten Schlangenrequisit seine Stimme leiht.
Hans Moser informiert, wiederum mit sehr reichen Literaturangaben, über die Ge-
schichte der Maske in Bayern. Aus dieser soliden und in Zukunft unentbehrlichen Übersicht
sei besonders das Kapitel über das Nürnberger Schembartlaufen (S. ii9ff.) hervorgehoben,
in dem M. zu interessanten neuen Interpretationen gelangt. Für die im bajuwarischen Gebiet
auftretenden Übergangsformen vom alpinen bäuerlichen Maskenwesen zu dem ganz anders
gelagerten der Zünfte (wie es besonders im alemannischen Raume blüht), stellt gerade das
Schembartlaufen ein bedeutungsvolles Beispiel dar. Die Schembartmaskereien entstammen
nach M. einer europäischen Zeitmode, „die auf dem Wechsel von höfischen zu bürger-
patrizischen Maskenvcranstaltungen basiert“ und nicht etwa auf der agrarkultischen Brauch-
sphäre. Der Verf. wendet sich scharf gegen derartige Interpretationen in der vielfältigen
Schembartlitcratur, „ein schlagendes Beispiel für die Problematik einer Brauchforschung,
Masken in Mitteleuropa
307
ihr Untersuchungsobjekt nicht aus den zeitgeschichtlichen Zusammenhängen und nach
]urer funktionellen Bedeutung, sondern als Glied einer imaginären Entwicklungskette inter-
pretiert“, — ohne den der Erscheinung eigenen geistigen Bezirk zu berücksichtigen, nach
^ern eben „Äußerungen einer Bürgerkultur nur aus bürgerlichen und nicht aus bäuerlichen
Kulturgedanken erklärt werden können“ (S. 130).
M. hat keine Mühe gescheut, aus Archiven und Katastern die wirtschaftlichen Grund-
igen des Schembartlaufens zu erarbeiten, und charakterisiert die Angehörigen der Metzger-
Zunft, die „ire Narung hette von den Reichen“ und bei revolutionären Unruhen auf seiten
der Herren standen, als die „Manager“ des Brauches, die in realem Geschäftssinn die Aus-
weitung ihres Brauchrechtes pflegten. Die Arbeit enthält einen schönen Überblick über die
verschiedenen Maskengestalten und die gesamte einschlägige Literatur.
Karl Anton Nowotny liefert in der folgenden Untersuchung einen weiteren Beitrag
2um Nürnberger Schembartlaufen an Hand einer neu aufgefundenen Quelle, der Hand-
Schrift eines alten Wiener Schembartbuches aus dem 15. Jahrhundert.
Von Robert Wildhaber erhalten wir in bekannter philologischer Solidität, verbunden
üüt aus eigenem Erleben geschöpfter Anschaulichkeit, eine Schilderung der fastnächtlichen
^olzmasken in Walenstadt im Sarganser Land, einer der ausgeprägtesten Schweizer Masken-
landschaften. Abgesehen von der sorgfältigen Beschreibung der einzelnen „Butzi“-Arten,
•nsbesondere der Rölli, der privilegierten Masken: die Alt, die Neu und d’Gmeindslarve,
^cr Geschichte der einzelnen Schnitzer und ihrer „Kundschaft“ und der strengen Ge-
k^auchsregeln interessieren den Volkskundler an dieser Arbeit in hohem Maße Wildhabers
K'in beobachtete Angaben über das mit den Masken verbundene volkstümliche Denken und
buhlen. So sagt er z. B. über das Zeitbewußtsein bei Fragen nach dem Alter bestimmter Er-
scheinungen: „Was manchmal vor nur einigen Jahren sich vollzog, ist eben ,früher' und
putscht damit in eine nicht mehr faßbare Zeit der Vergangenheit hinein, in der Jahre und
Jahrzehnte in Eins verfließen“ (S. 193), eine Beobachtung, deren Richtigkeit ohne weiteres
ganz allgemein auf den Volksmenschen zu übertragen ist. Wenn erst einmal irgendeine
c’orm des Volkslebens: ein Trachtenstück, ein Volkslied, ein Brauchtumszug „aus der Mode
gekommen“ ist, so ist der Termin dafür nur noch sehr schwer festzustellen, da er im Bewußt-
sein der Menschen eben in dem großen Meer des „Früher“ versank.
Die letzten beiden Beiträge schließlich widmen sich zwei slawischen Nachbarvölkern:
Niko Kuret berichtet über die Maskenwelt der Slowenen und bietet eine dankenswerte
Übersicht über die Forschung der letzten Jahre, die dem Ausland kaum zur Kenntnis gelangt
ist. Seine Arbeit stellt den Versuch dar, die außerordentlich verwickelten Brauchtums-
°rrnen des slowenischen Gebietes aufzuflechten, in dem mediterrane, alpine, pannonische
|ind balkanische Elemente in einer slawischen Schicht Zusammentreffen, die seit dem 6. Jahr-
hundert die romanisierte illyro-keltische Urschicht überlagert. Auf solch vielfach geprägtem
Boden entwickelten sich nun die verschiedensten Maskenformen, die der Verf. in ihrer
geographischen Verteilung beschreibt und auf einer Verbreitungskarte (S. 203) darstellt:
VeLucije, die slowenische Narrengestalt des Köranti, Pflugumzüge von als Mädchen ver-
leideten Burschen, Blochzieher und berittene Mäskori; daneben innerhalb eines drama-
üschen Heischespieles die zweibeinige oder vierbeinige Klappergeiß. Geschnitzte und be-
inahe Holzmasken gibt es nur im slowenischen Alpengebiet, während man sich sonst meist
Kinener Gesichtslarven bedient. Das Maskenleben endet im allgemeinen mit dem zweiten
Weltkrieg.
Konnte sich K. auf zahlreiche neue Untersuchungen beziehen, so stand Adolf Mais für
Scinen Überblick über die Tiergestalten im polnischen Brauchtum fast lediglich älteres Schrift-
ium zur Verfügung. Seiner Darstellung zufolge, die er mit einer Verbreitungskarte unter-
st (S. 227), steht die Ziege in ihren verschiedenen Erscheinungsformen an der Spitze der
iergestalten vor Pferdchen und Vögeln. Als Ziege mit Widderhörnern hat sie den
uerochsen, den „tur“, verdrängt, der lediglich in der Wortbezeichnung weiterlebt. Die
Jauchtumszeiten dieser Tiergestalten, die in den Heischezügen und -spielen der Jugend
eiIle Rolle spielen, sind Weihnachten und Fastnacht.
20 *
308
Die heiligen drei Könige
M. schildert die brauchtümlichen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts und versucht, sie in das
Maskenbrauchtum der Nachbarvölker, der Slowaken, Ungarn, Wolhynier und Ukrainer,
hineinzustellen. Dieser Versuch kann ebensowenig befriedigen wie die früher erwähnte
kurze Übersicht Leopold Schmidts. Doch sind dafür weniger die Autoren verantwortlich
zu machen als die mißlichen Verhältnisse in unserer auch wissenschaftlich gespaltenen
Welt.
Die Lektüre des vorliegenden, außerordentlich anregenden und belehrenden Bandes mit
seinen sorgfältigen Personen- und Sachregistern und seinem anschaulichen Tafelteil er-
weckt im Leser den Wunsch nach Fortsetzung. Er möchte die slowakischen, die ungarischen
(heute noch lebendigen!) Maskenbräuche dargestellt sehen (wofür im Ethnographischen
Museum und in der Universität zu Budapest ein reiches Film- und Fotomaterial bereit liegt),
er wünscht sich eine größere Untersuchung über die rumänischen Weihnachtsspiele mit der
Ziege, die den geschilderten polnischen in manchen Zügen ähneln. Und schließlich drängt
sich das Zukunftsbild einer europäischen Verbreitungskarte mancher Brauchtumselemente
auf, die auf Grund von gemeinsamen Atlasfragen entstehen könnte.
Das Bemühen um die Vermittlung internationaler Forschungsergebnisse bildet das Leit-
motiv unseres Berliner Jahrbuches, das gerade mit seinen Bibliographien der volkskund-
lichen Nachkriegsliteratur aus den europäischen Ländern dem Wissenschaftler wertvolle
Hinweise bietet (vgl. im vorliegenden Band die polnische Bibliographie auf S. 227 fr.).
Die volkskundlichen Beiträge zur europäischen Maskenforschung, die Leopold Schmidt
hier in hervorragender Weise zusammengestellt hat, werden, wie der Hrsg, mitteilt, unter
seiner Leitung in weiter gesetztem Rahmen ihre Fortsetzung finden.
Ingeborg Weber KELLERMANN-Berlin
Meisen, Karl: Die heiligen drei Könige und ihr Festtag im volkstümlichen Glauben und
Brauch. Köln, Gustav-Göller-Verlag, 1949. 62 S., 18 Abb.
Die vorliegende Abhandlung fußt auf einem Vortrag, den Verf. im Jahre 1948 aus Anlaß
des Kölner Domjubiläums gehalten hat. Sie ist durch einen umfassenden wissenschaftlichen
Apparat und instruktives Bildmaterial erweitert und damit zu einer wertvollen Hand-
reichung für den Volkskundler geworden.
Während die Bedeutung der heiligen drei Könige bisher vorwiegend auf den Gebieten
der Literatur und Kunstgeschichte Beachtung fand, wird sie von M. in den volkstümlichen
Glaubens- und Brauchtumsformen nachgewiesen.
Die erste Hälfte ist der Darstellung der Zeugnisse für Glauben und Brauch gewidmet,
wobei sich deutlich zwei Gruppen voneinander abheben. Die eine, ältere, deren Erschei-
nungen sich mit den Gestalten der drei Weisen verbinden, die andere, jüngere, deren Brauch-
formen dem Festtag zugehören. Die älteren Formen charakterisiert er als Zauberhand-
lungen. Hierher gehören das Dreikönigszeichen in seiner Verwendung als apotropäisches
Mittel für Haus und Hof, Mensch und Vieh; die zahlreichen Varianten der Segens- und
Beschwörungsformeln mit den vollen Namen der drei Weisen oder ihren Anfangsbuch-
staben, die gegen Feuersgefahr, Gefährdung des Viehs und der Feldfrüchte helfen sollen, die
als Schutz vor Unwetter auf Glocken erscheinen oder zur Heilung von allerlei Krankheiten,
insbesondere von Epilepsie dienen, die auch in Diebsbeschwörungen, allgemeinen Schutz-
segen, Reisesegen und Himmelsbriefen wiederkehren. Belege für das Dreikönigszeichen auf
Dreikönigsmedaillen, Pestkreuzen und Glückssternen, für die Funktion der drei Weisen
als Helfer bei Orakeln wie als Patrone der Spielkartenfabrikanten vervollständigen das
Material, das zwar bekannt, aber hier erstmalig geschlossen dargestellt ist. Verf. bezieht in
diese eben umrissene Gruppe auch die Perchtenläufe ein, da sie ihren Höhepunkt in der
Dreikönigsnacht erreichen. Ihrem Kern nach freilich gehören sie schwerlich zum Drei-
königsbrauchtum.
Die heiligen drei Könige
309
Während die Wirksamkeit der drei Könige selbst sich über das ganze Jahr erstreckt,
tfeten die jüngeren Bräuche nur am Dreikönigstag, dem 6. Januar, auf: Die kirchlichen
Segnungen von Wasser, Salz, Weihrauch, Gold, Myrrhe, Edelsteinen, Kräutern, Kerzen
und Kreide; die betonte Verwendung von Lichtern, das Abbrennen von Feuern, das Stern-
singen, die Wahl des Bohnenkönigs, allerlei Orakel- und Speisebräuche.
Der zweite, historische Teil hat als Ausgangspunkt die entscheidende Tatsache, daß die
heiligen drei Könige nicht wie andere volkstümliche Heiligengestalten aus dem kirchlichen
Kult allmählich in Volksglauben und -brauch hineingewachsen sind. Der 6. Januar war
§ar nicht ursprünglich ihr Festtag, sondern ist das Epiphaniasfest, d. h. das Fest der Er-
Scheinung Christi. Bis heute bilden Geburt und Taufe Christi, die Anbetung der Magier
und die Hochzeit zu Kana, später dazu die Speisung der Fünftausend (vgl. Holl in Berl.
Sitz.-Ber. 1917) den Inhalt des Epiphaniasfestes. Im kirchlichen Festkalender gibt es keinen
Dreikönigstag. Der volkstümliche Name „Dreikönigstag“ zeigt jedoch, daß das Interesse
des Volkes sich den Magiern in immer stärkerem Maße zugewendet hat. Die besondere Art
der von M. im ersten Teil behandelten volkstümlichen Glaubens- und Brauchtumsformen
^eist auf eine weit ältere Grundlage des Festes zurück. Wie diese allmählich mit den drei
Königen zusammen gebracht wurden und -welche Bedeutung sie im Volksglauben erlangten,
legt er im folgenden dar. Mit der im 4. Jahrhundert einsetzenden symbolischen Inter-
pretation von Mt. 2, iff., die ihren Niederschlag in der altchristlichen Kunst findet, und
der Herübernahme des orientalischen Sternenglaubens werden aus den biblischen Weisen
Persische Magier, d. h. gelehrte, mit den Geheimnissen der Natur vertraute und des Zaubers
kundige Gestalten. Die ausgehende Antike als Epoche eines lebendigen Dämonenglaubens
bildet den Boden für das Emporwuchern von Glaubensvorstellungen, die den Magiern alle
Wirksamen Gegenkräfte zuschrieb. An mannigfachen Zeugnissen aus der altchristlichen
Kunst wie auch an heidnischen Gegenständen mit apotropäischen Zeichen, die durch christ-
liche ersetzt die gleiche Funktion behalten, zeigt M., wie die Magier in den zeitgemäßen
Zauberkreis aufgenommen und zu mächtigen Beschützern gegen allerlei dämonische Ein-
flüsse werden, nicht nur im frühchristlichen Bereich, sondern weiter im Mittelalter bis in die
Gegenwart. Darstellungen der Magierszene waren und blieben nicht nur an kirchlichen
Bauten, insbesondere an der den dämonischen Angriffen ausgesetzten Westseite der Kirchen,
sondern auch in großer Zahl an Profanbauten beliebt. Ihre Zusammenstellung durch den
Verf. wird speziell von dem Volkskundler sehr begrüßt werden.
Aus der Erkenntnis, daß der Name nicht nur Bezeichnung der Person, sondern etwas
^esenhaftes, Lebendiges ist, erklärt sich die frühe Verwendung der seit dem Jahre 845
fixierten Namen der drei Magier zu apotropäischen Zwecken, sei es in ihrer vollen Form,
Sei es in der vereinfachten des CMB-Zeichens.
Anders beurteilt M. die mit dem Festtag des 6. Januar zusammenhängenden Bräuche, die
er auf die Grundgedanken des Epiphaniasfestes zurückführt. Er hält es für unwahrscheinlich,
daß die Brauchhandlungen mit dem Dreikönigswasser auf die kirchliche Wasserweihe
Xurückgehen, wohl aber vermutet er eine Beziehung zu der durch Chrysostomus über-
lieferten Auffassung von der Heiligung des Wassers durch die Taufe Christi, die ursprüng-
lich und besonders in der Ostkirche im Vordergrund stand. Allein damit scheint uns die
brauchtümliche Verwendung des wundertätigen Dreikönigswassers nicht ausreichend ge-
klärt. Weitergeführt hätte z. B. die Heranziehung von Karl Holls Akad.-Vortrag über den
Ursprung des Epiphaniasfestes (Berl. Sitz.-Ber. 1917, 402fr.). Holl bringt hier die Schilde-
rung des Epiphanias von der altägyptischen Sitte des feierlichen Wasserschöpfens am Nil,
AK, abgesehen von der schutzkräftigen Verwendung des Wassers, im Osiriskult wurzelt.
Damit gibt Holl gleichzeitig die Lösung des Problems, wie die Hochzeit zu Kana zu einem
Bestandteil des Epihaniasfestes werden konnte.
Die Weihe des Salzes, dessen apotropäische Kraft die kirchlichen Benediktionen betonen,
erklärt Verf. aus seiner schon in der Antike gerühmten heilenden Kraft. Die erst spät er-
setzenden Weihen von Weihrauch, Gold, Myrrhe, Edelsteinen und Kreide führt er auf die
lrn Mittelalter stärker um sich greifende Verehrung der drei Weisen zurück. Er weist auch
fiärauf hin, daß Weihrauch schon im alten Ägypten und in der Antike ein beliebtes Räucher-
310
Katalog magli Rudolfa
mittel war. Hinter dem verstärkten Gebrauch von Lichtern und Feuern in den westeuro-
päischen Ländern vermutet er möglicherweise Restformen eines alten Lichterfestes der
Ostkirche.
Sternsingen und Wahl des Bohnenkönigs gehen nach M. auf die abendländische Art des
Festes zurück, die maßgeblich durch die Aufnahme der Anbetung der Magier in die römische
Liturgie geprägt wurde. Hier bekommt das Epiphaniasfest auch den Charakter des Drei-
königsfestes, hier werden aus den magi die reges. Los- und Orakeltag wird der Tag im Be-
wußtsein des Volkes, weil an ihm der Ostertermin und die Termine der übrigen beweg-
lichen Feste bekanntgegeben wurden und damit der Auffassung des Epiphaniasfestes als
Jahresanfang (vgl. Hochneujahr!) der Weg geebnet war. Losbräuche am Dreikönigstag
erklären sich also als Initialbräuche.
Die gründliche Fundierung des Aufsatzes durch die wichtigste Literatur und eine Anzahl
von wertvollen Abbildungen, deren Nutzen durch den schlechten Druck leider gemindert
wird, ergänzen M.s Forschungen. Nicht berührt wird von M. das Schwanken der Zahl der
Weisen. Zwar herrscht die Dreizahl vor, doch ist auch von vier oder sechs Magiern die
Rede. Man vergleiche dazu Rühle in Religion in Geschichte und Gegenwart, z. Aufl., i,
2012f. und neuerdings Wilhelm Fraengers Aufsatz über den vierten König im vor-
liegenden Band des Jahrbuches für deutsche Volkskunde. Die Ägyptischen Geheimnisse, den
Geistlichen Schild und das Schaltjahr hätte man gern nach Originalausgaben, nicht nur nach
ihrem Abdruck bei Losch, zitiert gefunden. Die Wiedergabe von Segen-und Beschwörungs-
formeln mußte sich natürlich in dem engen Rahmen eines Vortrages auf wenige charak-
teristische Beispiele beschränken. Durch Heranziehung der ScHöNBACHschen Segen-
sammlung in Gießen, der Bestände des WossiDLO-Archivs in Rostock und vor allem des
von Adolf Spamer aufgebauten Corpus der Segen- und Beschwörungsformeln in Berlin
(23000 Nummern) jedoch ließe sich der ganze Umfang des CMB-Motivs innerhalb des
Volksglaubens erschließen. Johanna NiCKEL-Berlin
Karwot, Edward: Katalog magii Rudolfa. Zrödlo etnograficzne XIII wieku, z przed-
mowa Jözefa Gajka (Polskie Towarzystwo Ludoznawcze. Prace Etnologiczne, tom IV),
Rudolfs Katalog der Magie. Eine ethnographische Quelle des 13. Jahrhunderts. Mit einer
Vorrede von Joseph Gajek. Wroclaw, Polnische Gesellschaft für Volkskunde, 1955.
191 S. und 8 Tafeln (= Ethnologische Arbeiten, Band IV).
Nicht jeder, der dieses Buch mit dem gesuchten Titel in die Hand nimmt, wird sofort
gewahr, daß es sich bei Rudolfs Katalog der Magie um einen guten alten Bekannten
handelt, den uns vor 50 Jahren Adolf Franz, vor 40 Jahren Joseph Klapper zugänglich
gemacht haben. Es ist die wohlbekannte Summa de confessionis discretione des rätselhaften
Frater Rudolfus, die uns hier in einen neuen Kulturrahmen gefaßt vorgelegt wird. Die
Textverhältnisse, zu deren Aufklärung Klapper das meiste getan hat, sind ziemlich merk-
würdig. Das ganze Werk, eine Einführung für junge Beichtväter, umfaßt vier Bücher:
davon hat die Pergamenthandschrift der Universitätsbibliothek Leipzig aus dem Anfang
des 14. Jahrhunderts nur die letzten drei Bücher, die Handschrift der hannoverschen Stadt-
bibliothek Nr. 7 aus dem 15. Jahrhundert nur das erste Buch. Wie es mit der nachträglich
von Klapper ermittelten Handschrift von Elbing (Elbing) des 15. Jahrhunderts steht, ist
zur Zeit nicht bekannt. Nur die Handschrift IQ 160 der Universitätsbibliothek Breslau
(Wroclaw) hat alle vier Bücher in relativ guter Überlieferung: sie ist in der zweiten Hälfte
des 13. Jahrhunderts geschrieben, wie Klapper ohne hinreichenden Grund annimmt, im
Zisterzienserstift Rudy (Räuden bei Ratibor, Oberschlesien), wo die Handschrift bis 1810
war. Von diesem Werk Rudolfs ist bisher nur das Aberglaubenverzeichnis bekannt, das in
üblicher Form beispielsweise Sünden gegen das erste Gebot des Dekalogs anführt. Von allen
bisher bekannten unterscheidet sich Rudolfs Verzeichnis durch seine systematische An-
Katalog magii Rudolfa
311
°fdnung: Geburt, Kind, Taufe, Ehe und Liebe, Glück, die einen ausgesprochen volkskund-
“chen Sinn bekundet. Klapper gab den lateinischen Text auf Grund der Breslauer und
-Leipziger Handschrift mit möglichster orthographischer Treue und einem kleinen kritischen
^Pparat der Varianten; doch blieben offensichtliche Fehler im Text, von denen man aller-
. lngs nicht weiß, ob sie der Verf. so geschrieben hat. Sehr wertvoll sind Klappers bis
Jetzt nicht überholte Prolegomena über die Handschriften, Autor und Werk sowie sein
°rigineller Kommentar mit zahlreichen Belegstellen aus schlesischen Handschriften. Kar-
^Ots Buch ist in all diesem ein ziemlich getreuer Abklatsch von Klappers Aufsatz und
Unterscheidet sich von ihm eigentlich nur in der These: Klapper sah in Frater Rudolfus
einen deutschen Zisterzienser der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts aus Mitteldeutschland,
~cr deutschen Volksglauben aufzeichnete. Klapper betonte wiederholt und mit Nach-
druck, daß es sich um deutschen Volksglauben in Schlesien handle, was der Umstand, daß
Pe Abschrift von Rudolfs Werk aus dem oberschlesischen Stift Rudy (Räuden) stammt,
uicht genügend rechtfertigt. Aber gerade dieser Zusatz hat es Karwot angetan: er ist fest
^erzeugt, daß es sich um schlesischen Volksglauben handelt, aber nicht um deutschen,
sondern um polnischen. Damit haben beide Forscher den Charakter Oberschlesiens als den
eines volklichen Mischgebietes nicht genügend berücksichtigt.
Der lateinische Text ist ein Nachdruck von Klappers Text: Karwot rechtfertigt dies
plt: dem Verschwinden der Handschrift I Q 160, die Streichung des Apparates mit seiner
Lnwichtigkeit: das ist bequem, aber unwissenschaftlich. Auch wegen Ungenauigkeiten des
^achdrucks ist Klappers Text weiterhin unentbehrlich, obwohl auch dieser bisher nicht
^achtete Fehler aufweist — dieser Umstand gestattet nicht, in I Q 160 das Autograph von
'Udolfs Werk zu sehen. So wird man z. B. zu lesen haben: Nr. 15 ori eius apponunt, manum
e^us imponunt statt ori eius imponunt, denn das Glockenseil legt man dem Säugling an den
x lund, nicht in den Mund. — Nr. 17 hat die Hs. gallinam nigram sub caldario ponunt, contra
1uam . . . coream faciunt: da um den Kessel getanzt wird, muß cs heißen circa (so Leipz. Hs.)
?uod. — Nr. 18 trufant ut omne quod amittit inveniat: mit dem Taufhemd zaubern die Frauen,
nicht das Kind — also amittitur (so IQ 160) und inveniant (so Leipz. Hs.). —Nr. 21 mulierem
Slluestrem quod faunam dicimus: zu lesen ist quam Faunam. — Nr. 26 (lapides) incendunt et
P°slmodum frigidatos iniciunt aque: da man, wie beim Steinkochen, die heißen Steine ins
wasser wirft, um sie abzukühlen, muß es heißen frigidandos.— Nr. 37 Alie sapientiores ut
Putant in hac arte diabolica: andere weisere Frauen, nämlich in dieser Teufelskunst, also
utPuta. — Nr. 38 Um unfruchtbar zu bleiben, ponunt sub se aliquos digitos — legen die Frauen
uüter sich nicht irgendwelche, sondern einige Finger, also aliquot. — Nr. 41 b Frage und du
Wlfst noch mehr in dieser Materie finden contra illam materiam invenies — es muß heißen
Clr°a (vgl. Nr. 17). —Nr. 43 Quid hoc non ydolatriam appellemus — obwohl im Mittelalter
^Uld in Ausrufen möglich ist, ist hier doch wahrscheinlicher qui (wie) zu lesen. — Karwot
flbt auch wie Klapper eine Übersetzung, die sich enger an die Verdeutschung als an den
pteinischen Text anschließt und nicht frei von Mißverständnissen und kleineren Ungenaue-
sten ist, an denen es übrigens bei Klapper auch nicht fehlt. Um eine brauchbare Unter-
es6 für weitere Arbeiten zu sein, müßte diese Übersetzung ganz neu gestaltet werden, da
Cs sich oft um wesentliche Umstimmigkeiten handelt.
Ds ist merkwürdig, wie wenig den Historikern, die mit lateinischen Texten arbeiten
Müssen, die Notwendigkeit einer philologischen Schulung oder wenigstens Mitarbeit be-
Jpßt wird. Gerade in unserem Falle gehört der ganze große Unterbau für die weittragenden
ypothesen, die auf ihm aufgebaut werden, zum Bereich des Philologen, der ja nicht nur
ext, Übersetzung und Erläuterungen gibt, sondern auch auf die Fragen nach dem Ver-
a®ser, seiner Lebenszeit und Volkszugehörigkeit, nach dem Werk, seiner literarischen Form,
Sc|üen Vorbildern und Quellen Antwort zu geben hat. Hier glaubte der Volkskundler mit
^einem Latein allein auszukommen und gab darum nicht wenig phantasievolle Antworten,
lc vor der philologischen Kritik nicht bestehen können. Übrigens machte es sich der Verf.
bequem, da er, wo es nur irgend anging, mit Klappers Material und Formulierungen,
t in wörtlicher Anlehnung, arbeitete und nur im Zielpunkt von ihm abwich, was eine Ver-
ekelung des wirklichen Tatbestandes nach sich zog. Es lohnt sich darum, diesen noch ein-
312
Das Recht in den Sagen der Schweiz
mal festzulegen. Die älteste von vier Abschriften der Summa de confessionis discretione des
Frater Rudolfus stammt aus dem Zisterzienserstift Rudy (Räuden): sie enthält auch die
Predigten, in denen sich Rudolf mit Vorliebe auf Bernhard von Clairvaux beruft;
darum nehmen Klapper-Karwot an, daß Rudolf Zisterzienser war. Auf Grund der deut-
schen Glossen kam Klapper zum Schluß, wie einst auch Franz, daß Rudolf ein Deutscher
war. Der Umstand, daß die Leipziger Hs. vom Beginn des 14. Jahrhunderts im 15. Jahr-
hundert im Besitz des Dominikaners Konrads von Nysa (Neiße) war, gab Klapper
den Gedanken ein, daß Rudolf mit engeren Banden mit Schlesien verknüpft war: Dies fand
seinen Ausdruck im Titel seines Vortrags über das Aberglaubenverzeichnis „Das älteste
Denkmal schlesischer Volkskunde“ sowie im Titel und in den Schlußworten seiner Ab-
handlung: „In Rudolfs Werk besitzen wir das älteste Denkmal deutschen Volksglaubens
in Schlesien“, woraus jeder folgern wird, daß nach Klapper Rudolfs Wirksamkeit auf
schlesischem Boden statthatte. Das ist ein Schluß, dem in dieser Ausschließlichkeit jegliche
Grundlage fehlt. Aber Karwot fing nicht nur diesen Gedanken auf, sondern gab ihm auch
feste Gestalt, indem er kurzerhand Rudolf zu einem der ersten Zisterzienser des erst 1252
gegründeten Stifts Rudy (Räuden) machte: denn obwohl er richtig betont, daß wir von
Rudolf und seiner Person nichts wissen, fährt er unbeirrt fort: „Ein Vertreter der ersten
Generation der Zisterzienser in Rudy war Frater Rudolfus.“ Diese phantastische, voll-
kommen aus der Luft gegriffene Behauptung ist der Grundstein, auf dem sich dann alles für
ihn aufbaut. Rudolf war dann nicht Deutscher, sondern Romane, da nach dem Statut der
Filien Morimunds nur Franzosen und Italiener mit Ausschluß von Polen (wie Karwot
will, auch von Deutschen) im Stift Aufnahme fanden. Weiter ergibt sich daraus die Folge-
rung, daß das Aberglaubenverzeichnis nicht deutschen Volksglauben, sondern nur ober-
schlesischen, d. h. polnischen, verzeichne. Da für polnischen Volksglauben erst das 15. Jahr-
hundert nennenswertes Material beibringt und Rudolfs Schrift aus der ersten Hälfte des
13. Jahrhunderts stammt, würde dieses Verzeichnis zu einem Dokument ersten Ranges,
zumal es das Leben der untersten Volksschicht, des vulgus, betrifft. Es hat wenig Sinn, dem
Verf. in seinen weiteren Erörterungen zu folgen, die voll und ganz auf den genannten
Voraussetzungen beruhen. Unbegreiflich ist es nur, wie leichten Herzens Karwot die
deutschen Glossen Nr. 42 Holda und Nr. 43 stetewaldiu (stetewaldin?) abtut und die dritte
Glosse crol (Haarlocke) aus den Predigten nicht einmal erwähnt. Für Karwot beweisen
die Glossen nur die Existenz von Appellativnamen für Hausgeister: Daß diese deutsch sind,
während seine Hypothese polnische Glossen fordert, beunruhigt ihn gar nicht und darüber
verliert er kein Wort. Ich wüßte auch nicht, wie er diese Unstimmigkeit zwischen Voraus-
setzung und Tatsache erklären könnte. Für jeden sind diese Glossen der offenkundigste
Beweis, daß wir es mit deutschem Volksglauben zu tun haben, und zwar — nach den Er-
mittlungen über Leben und Zeit des Frater Rudolfus — nicht mit schlesischem, sondern
mitteldeutschem der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Damit erledigt sich auch die in
großen Zügen skizzierte Phantasmagorie der „polnischen Magie“ mit ihren weitreichenden
kulturhistorischen Folgerungen, die — ich weiß nicht wie, aber Karwot sagt es uns auch
nicht — mit dem archäologischen Kulturbild der gleichen Zeit übereinstimmen sollen-
Richard GANSiNiEc-Krakau
Fehr, Hans: Das Recht in den Sagen der Schweiz. Frauenfeld, Huber & Co., Aktiengesell-
schaft, 1955. 149 S. 8°.
In der rechtshistorischen Arbeit auch die rechtliche Volksüberzeugung, den rechtlichen
Volksglauben gebührend zu würdigen, das „Volksrecht“ ebenso gründlich wie das „offizielle
Recht“, das „Juristenrecht“ zu erforschen, damit das „wirkliche Rechtsleben“ aufgedeckt
und (in künftigen Hand- und Lehrbüchern der Rechtsgeschichte) das Bild zum „Vollbilde“
gestaltet werde, dazu hat Hans Fehr, der unermüdliche Anreger und Förderer der recht-
Das Recht in den Sagen der Schweiz
313
tehen Volkskunde (oder Volksrechtskunde)1), erneut bei der Eröffnung dieses Jahrbuches2)
aufgerufen, und dem Volksrecht gilt auch seine jüngste Schrift3).
Um der Reinheit des Ergebnisses willen schöpft der Verfasser fast nur aus Volkssagen,
ganz nebenbei aus Heldensagen, gar nicht aus Kunstsagen, und weil ihm speziell am Sagen-
fechte liegt, auch nicht aus Märchen. Obwohl die Schweizer Volkssagen hauptsächlich erst
^ern späteren Mittelalter und der neueren Zeit entstammen, begegnen häufig „sehr alte
Vorstellungen“ (S. 13). Allerdings ist in den Sagen vieles nicht mehr verständlich, „vieles
teuß unerklärt bleiben“ (S. 14). Mit gewaltsamer oder gekünstelter Interpretation wäre
Fernand gedient; deswegen ist es hier richtig, sich zu bescheiden. Wieviel Fleiß in dem reiz-
v°Hen Buche steckt, bringt man sich erst ganz zu Bewußtsein, wenn man beiläufig erfährt,
ßaß fünftausend Sagen untersucht werden mußten (S. 19). Gegen dreißig Sammlungen, teils
au_s der Gesamtschweiz, teils aus einzelnen Kantonen oder Landschaften zusammengetragen,
teils in sachlicher Begrenzung nur auf Alpensagen, Sennengeschichten oder Jägersagen ge-
achtet, sind neben anderen einschlägigen Werken im Literaturverzeichnis genannt (S. 147
his 149). Über Fundstellen und wissenschaftliche Einzelheiten unterrichten die Anmerkun-
gen (S. 126—146).
In F.s Sagenbuch begibt sich der Leser in eine wenig verlockende Gesellschaft. Ist er
Jcdoch mit des Verf.s Schriften4) etwas vertraut, dann überraschen und schrecken ihn die
düsteren Wesen und Gestalten nicht mehr, die sich dort zu unheilträchtigem Zuge ver-
einigen: der Tod, Tote und Wiedergänger, das Wilde Heer und allerlei Nachtvolk, Geister
und Gespenster, Hexen und der Teufel, Zwerge und starke Männer, Fremde, denen nicht
trauen, und kaltherzige Zwingherren (Kap. 5—13, 15). Einer, der Glück hat, trifft auch
einrnal gute Geister oder helfende Zwerge (S. 61, 77). Die Herren loben die schweize-
rischen Sagen selten (S. 15, 94), obwohl sich das Volk in Zeiten der Kriegsnot „gerne von
angesehenen, einheimischen Geschlechtern leiten“ läßt (S. 15, 17). Im allgemeinen lastet
auf den Bauern die Faust der Ritter, der Vögte, der Adeligen aller Art, und der Zwing-
Iterren sind viele; sie „rauben, plündern, töten, beleidigen“, sie „drücken die Leute durch
übermäßige Steuern und harte Frondienste“ (S. 96 f.). Das volkliche Widerstandsrecht
repräsentiert sich in Wilhelm Tell (Kap. 16).
In den Schweizer Rechtssagen überwiegen also die strafrechtlichen Elemente; es kommen
»allerlei Missetäter und allerlei Verbrechen“ vor (S. 101). Ihnen und den Strafen widmet
I7- Zwei zusammenfassende Kapitel (17, 18), in denen sich besonders deutlich zeigt, daß das
Sagenrecht „weitgehend Sagenstrafrecht“ ist (S. 105). Strafrechtlichen Inhalt hat ferner das
Kapitel (4) über das Gottesurteil (Bahrprobe, blutender Knochen, Zweikampf) und über das
Gottesgericht. Strafend bedient sich Gott der Naturgewalten; er spricht durch die Hände der
Toten; er redet durch Pflanzen und Tiere, um Missetaten ans Licht zu bringen; er spricht
Urteil im Jüngsten Gericht (Ladungen in das Tal Josaphat); mitunter straft statt seiner der
Teufel. Auch in den Darlegungen über Richter und Gericht (Kap. 3) überwiegt das Straf-
techt. Wo Leute in bürgerlichem Zwiste liegen, stehen „die Streitigkeiten um Grundbesitz,
um Wald und Weide, um Brunnen und Wasserläufe, ja sogar um einzelne Bäume an der
Spitze“, daneben sind Eigentumsbeschädigungen durch weidendes, fremdes Vieh „nicht
x) Diese Bezeichnung hat Claudius Frhr. v. Schwerin vorgeschlagen in seinem Auf-
satz: Volksrechtskunde (Folklore juridique). In: Deutsche Landesreferate zum II. Inter-
nationalen Kongreß für Rechtsvergleichung im Haag 1937, hrsg. von Ernst Heymann,
Berlin u. Leipzig 1937, S. 141fr. (= Sonderheft des 11. Jg.s der Zs. f. ausländ, u. internat.
Trivatrecht).
2) Altes Strafrecht im Glauben des Volkes, DJbfVk 1/2 (1955), S. 147fr.
3) Ältere Arbeiten von Hans Fehr über das Thema Sage und Recht nennt das Literatur-
verzeichnis S. 148: Recht und Aberglauben im St. Galler Land (1919). Das Recht in den
Sagen des Berner Oberlandes (1939). Sagenforschung und Rechtsgeschichte (1948). Volk und
Recht. Volkskunde und Rechtsgeschichte (1951).
4) Verwiesen sei auch auf seinen Aufsatz: Tod und Teufel im alten Recht. Zs.f. Rechtsgesch.
1950, Germ. Abt. S. 50fr.
314
Das Recht in den Sagen der Schweiz
selten“ (S. 22f.). Die Grenzverrückungen führen wieder zur Strafe hinüber; wer an Grenz-
malen frevelt, muß als Toter umgehen, ihm ist keine Ruhe vergönnt (S. 23f., 46fr.).
Nicht Menschen allein, auch Tiere, besonders die gespensterhaften, stehen in den Sagen
„sehr häufig als Verbrecher“ da (S. 111). In Tiergestalt irren böse Menschen herum (S. 113),
„oft verwandeln sich die Hexen in Tiere“ (S. 11, 66, 114). Zwischen Hexen und Tieren gibt
es Beziehungen, wie sie Ida Naumann mit dem Begriff „Sympathietier“ gekennzeichnet
hat5). Über die seit der klassischen Untersuchung Karl v. Amiras in der Rechtsgeschichte
allgemein bekannten Tierprozesse und Tierstrafen berichten die Sagen „nur weniges“
(S. 115). Tiere wirken aber nicht ausnahmslos als Schadenstifter. Sie dienen Gott und der
Gerechtigkeit auch als Helfer (S. 36L, 108, 115, über hilfreiche Schlangen S. ii2f.).
„Um Steine, Felsstücke und große Blöcke gruppieren sich viele Sagen.“ Wenn sie auch
die Rechtswelt meist nicht berühren, so weiß F. über „wundersame Steine“ (Kap. 20) doch
manches zu berichten. Der Wortmagie widmet er einige Seiten über den „Fluch“ (Kap. 14).
Dieses gestaltreiche und vielfarbige Bild wird von zwei einleitenden und einem End-
kapitel umschlossen. Die einleitenden Kapitel bringen Grundsätzliches über die Sage und
das Recht (1) und schildern das Sagenvolk (2). Im Endkapitel (21) bemüht sich F. um die
Erkenntnis der „großen treibenden Kräfte“, die in der Rechtswelt der Sagen spürbar sind;
er gliedert: 1. Einwirken Gottes, 2. Gegenstoß der dämonischen Gewalten, 3. Wirken der
Menschen, 4. Wirken der Natur.
Das Sagenvolk lebt auf dem Lande. Von Bürgern sprechen die Sagen in der Regel nicht,
in den Städten sind sie nicht heimisch. Die Bauern der Dörfer, die Hirten auf den Weiden,
die freien Herren und die Ritter der Burgen und Schlösser bilden das Sagenvolk. Die älteren
Sagen kennen keinen „Staat“, eine „Obrigkeit“ erst die jüngeren.
Die Sagenwelt ist eine vom Sagenvolk erlebte Welt, und das Erlebnis ist eine „subjektive
Wirklichkeit“ (S. 9). Wenn (mit Platon) das rein Gedachte wahr ist, muß die Sagenwelt
„als wirklich und wahr aufgefaßt werden“ (S. 9). Die Vorstellungen vom Teufel, von leben-
den Toten, von anderen Wesen und Mächten „bestimmten das Handeln des Volkes oder
großer Volksgruppen und damit auch das Recht“ (S. 9). Es ist F. vorbehaltlos darin bei-
zustimmen, daß die Rechtsgeschichte an diesen Realitäten „nicht Vorbeigehen“ darf (S. 9).
Volksrecht ist überall urtümlich emporgedrungen. Gleichzeitig hat ein Austausch statt-
gefunden; die Sagenerzähler haben fremden Stoff aufgenommen, Sagen sind gewandert.
Immer bleiben Wanderungen und Rezeptionen jedoch etwas Sekundäres; denn gerade das
Prinzipielle, nämlich den Ursprung und das frühe bodenständige Wachsen, das jeder Ver-
pflanzung vorausgeht, vermögen sie nicht zu erklären. Mit gutem Grunde warnt F. deswegen
vor übertriebener Suche nach Rezeptionen und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Archetypen
(S. 11, 89, 126, wie auch bereits im DJbfVk, 1955, S. 149) unter Hinweis auf neuere Ar-
beiten von Walter Wili (1943), Jean Gebser (1933) und C. G. Jung (1933).
In den Sagen lebt nicht nur des Volkes rechtliche Überzeugung, sondern zugleich sein
moralisches Bewußtsein, weswegen „Geiz, Übermut, Hoffart, unsoziales Verhalten“ und
anderes, was die weltliche Ordnung ungestraft läßt, in den Sagen gleichfalls bestraft werden
(S. 12, 104). Die Sagenforschung lehrt, wie stark und wie nachhaltig rechtliche Vorgänge
das Volk beeindrucken. Für viele Verbrecher genügen diejenigen Strafen nicht, deren die
Gerichte mächtig sind. Als Wiedergänger müssen sie noch im Tode büßen (S. 44ff., 97,
io6f.). In den Sagen fanden auch Geschehnisse ihren Niederschlag, die den Gerichten ent-
gingen. Wie oft wurde ein ungerechter Richter, ein despotischer Landvogt oder ein son-
stiger Rechtsbrecher von keiner Obrigkeit zur Verantwortung gezogen! Da mußte wenig-
stens in selbstgeschaffenen oder weitererzählten Sagen die Gerechtigkeit durchdringen; die
Sagen stellten das Recht wieder her.
Die bekannte Sage von dem Grenzlauf zwischen Uri und Glarus (S. 82L) — dies sei er-
gänzt — hat sorgfältig untersucht und in eine in Nordafrika beginnende Sagenreihe ein-
geordnet Lutz Röhrich in seinem Aufsatz: Eine antike Grenzsage und ihre neuzeitlichen
5) Ida Naumann: Zum Schutzgeisterglauben. In: FIans Naumann : Primitive Gemein-
schaf tskultur. Jena 1921, S. 98 ff. Diesbezügliches bei Fehr, a. a. O., S. 114.
Ein altes deutsches Josephspiel
315
arallelen. Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft, 4. Jg., H. 2, 1949/50,
' 339ff- — „Einen auffallenden Spruch“ — schreibt F. S. 23 — „fällte ein Urner Gericht:
enn der Eigentümer sein Land nicht einzäune, müsse er das Eindringen fremder Tiere
gestatten! Von einer Schadenersatzpflicht war keine Rede.“ Ich denke dabei an Sachsen-
spiegel Ldr. II 49, § 2: „Iewelk sol ouch bewerken sinen teil des hoves; der des nicht ne
ut> schiet dar schade von, her sol ine bezzeren. Geschiet yme schade, her blift iz sunder
^:lndel6).“ Auf diese letzten Worte hätte sich das Urner Gericht berufen können. Wer seinen
. f nicht gehörig umfriedet, erhält keinen Ausgleich, wenn ihm dort Schaden zugefügt
Wlfd. Gerhard BucHDA-Jena
Ein altes deutsches Josephspiel von den zwölf Söhnen Jacobs des Patriarchen. Hrsg, von
Artur Kutscher und Mathias Insam nach der Axamer Handschrift von 1678,
ergänzt von Anton Dörrer. Emsdetten, 1954. 154 Seiten (= Die Schaubühne ...
Bd. 45).
Das unter dem oben zitierten Titel herausgegebene alte deutsche Josephspiel stammt aus
^xarns in Tirol und ist in zwei Handschriften erhalten, als deren Urheber sich am Ende des
Spielbuchs zwei Männer aus Axams bezeichnen, Joseph Maurer, ein Hufschmied, und
^ans Dollinger, offenbar Angehöriger einer in jener Gegend alteingesessenen und ver-
leiteten Familie, selbst aber nicht zu identifizieren. Die zwei Handschriften sind als Quart-
bände von den beiden jungen Schreibern in den Jahren 1677—1678 viele Wochen hindurch
ln liebevoller Arbeit nacheinander kalligraphisch hergestellt worden. In der jüngeren der
beiden Handschriften ist eine Aufführung „von einer ehrsamen Gemeinde und Nachbar-
Schaft zu Axams“ am 8. Juni 1683 bezeugt. Eine lokale Tradition bestätigt, daß das Joseph-
sPiel in Axams seit dem 17. Jahrhundert üblich gewesen und in der Regel alle zehn Jahre,
ar>scheinend zur Einlösung eines Gelübdes, aufgeführt worden ist. Es bildete offenbar nur
ein Stück innerhalb des sich immer stärker entfaltenden volkstümlichen Theaterlebens;
sÇhon 1613 ist Axams eine der in Tirol häufigen Spieltcnnen bezeugt; für 1651 haben wir
C1n Zeugnis über die Aufführung eines Spiels vom Letzten Gericht und vom Antichrist, das
am Pfingstmontag aufgeführt wurde. Diese und andere Mitteilungen, insbesondere über
^xams als Spielort, verdanken wir Anton Dörrers Beitrag zu der vorliegenden Ausgabe
des Spiels. Er hat dort auch die Geschichte der beiden Handschriften aufgehellt. Die ältere
v°n ihnen kam in den Besitz von Artur Kutscher; wie dieser in seinem theaterwissen-
s°haftlichen Vorwort selbst berichtet, wurde sie ihm 1911 zu Fulpmes imStubaital geschenkt,
als er sich dort für die Erhaltung des bodenständigen Volksthcaters einsetzte. Auf einer Ab-
Schrift dieser Handschrift von Mathias Insam, welche auch die Korrekturen späterer
Spielführer berücksichtigt, beruht der vorliegende Druck. Die beiden Handschriften haben
durchweg den gleichen Wortlaut; so konnten für den vorliegenden Druck die fehlenden
Suiten der älteren Handschrift aus der jüngeren ergänzt werden, die inzwischen dank
Dörrers Bemühungen aus fremdem Besitz wieder in die Gemeinde Axams zurückgekehtt
War.
Daß Maurer und Dollinger auch die Verfasser des Josephspiels sind, ist nicht bezeugt
’Jnd wenig wahrscheinlich; die Handschriften haben sie wohl als Spielführer, bäuerliche
^gisseure, Nachfahren der geistlichen regentes ludi der mittelalterlichen religiösen Schau-
spiele hergestellt; Verschreibungen und das Nebeneinander älterer und neuerer Sprach-
°tnien legen die Vermutung nahe, daß der vorliegende Text von einer älteren Vorlage
^geschrieben ist. Daß aber die Sprache nach Tirol weist und die Schreibweise die der Mitte
cs 17. Jahrhunderts ist, zeigt der sprachgeschichtliche Beitrag von Mathias Insam. Auch
*e Vorlage war also tirolisch. Wieweit die beiden Schreiber, Leute von guter, vielleicht
^österlicher Bildung, von ihrem Recht als Spielführer Gebrauch gemacht und die Vorlage
6) Sachsenspiegel Landrecht. Hrsg, von K. A. Eckhardt, Hannover 1933.
316
Ein altes deutsches Josephspiel
geändert haben, läßt sich nicht nachweisen. Nun ist es aber weniger wichtig, einen be-
stimmten Verfasser zu benennen, als vielmehr, das Josephspiel in seine Umwelt hinein-
zustellen und zu zeigen, wie es aus ihr erwuchs und welche Funktion es in ihr ausübte. Das
ist eine Frage, die den Volkskundeforscher wie den Theaterwissenschaftler angeht. Dazu
trägt wieder Wesentliches bei der ausgezeichnete Kenner der Tiroler Volks- und Theater-
kultur Anton Dörrer in seinem nach jeder Richtung hin reichen Beitrag zu der Ausgabe
des Volksspiels.
Axams gehörte zum Besitz des Frauenstifts Chiemsee, auf das nach Dörrers Vermutung
die Anregung zu dem Josephspiel zurückgeht, und war auf drei Seiten von dem Seelsorge-
bezirk des Prämonstratenserstifts Wilten bei Innsbruck umgeben. So geriet Axams in den
Einflußbereich der theaterfreudigen Stadt Innsbruck, die lange der Sitz eines Hofes mit
Opern- und Komödienpflege und überdies eine wichtige Niederlassung der Jesuiten war.
Von Innsbruck gingen nun Einflüsse auf die volkstümliche Spielpflege der bäuerlichen Um-
gebung aus. Dörrer sieht die Bedeutung des Stifts Wilten für die benachbarte ländliche
Spielkultur ,,in der Vervolkstümlichung der Hof- und Schuldramatik der Innsbrucker und
Haller Jesuiten, in der Überleitung der höfisch-kirchlichen, barockgeistigen Vorstellungs-
welt in traditionell bäuerlichere und heimatlichere“ (S. 26). Damit sind auch für Axams und
das vorliegende Volksschauspiel Beziehungen zur künstlerisch anspruchsvollen Spielpflege
festgestellt, wie sie Dörrer und andere Forscher an manchen anderen Stellen ermittelt
haben, Tatsachen, die immer wieder zum Bewußtsein bringen, wie vielgestaltig das Volks-
schauspiel ist. Die Wahl des Themas vom Sturz und der Erhöhung Josephs, für die Dörrer
vielleicht allzuviel Anregungen (unter ihnen auch Grimmelshausens Josephsroman) an-
nimmt, erklärt sich durch die Tatsache, daß das Thema zu den beliebtesten des 16. und
17. Jahrhunderts gehört und besonders häufig auch von den Jesuitendramatikern gewählt
wurde und daß Jesuitenaufführungen mit diesem Thema auch für Innsbruck bezeugt sind.
Mit seiner volkstümlichen Diktion, die nur hier und da Einfluß des Stils der Kunstdramen
verrät, der Beachtung der bäuerlichen Vorstellungswelt, dem Vierheber, der kunstlosen
Komposition bleibt freilich der Joseph durchaus im Rahmen der Tradition des bäuerlichen
Volksschauspiels. Das — wie die ganze Fabel — der Bibel entnommene Motiv, daß Joseph
in den sieben fetten Jahren Vorräte sammelt für die sieben mageren, wird zu einer kräftigen
bäuerlichen Moral verwendet; Verschwendungssucht, Müßiggang, Hurerei und Hochmut
gehen in den mageren Jahren leer aus, und von den Hungernden, die sich als Bittsteller an
Joseph wenden, erhält der „verdorbene Edelmann“ erst dann einen Sack Korn, nachdem er
sein Pferd verkauft hat, so buchstäblich vom hohen Roß herabgestiegen ist und wie ein
„geborener Bauer“ den Sack zu Fuß schleppt, der ihm dann freilich so schwer wird, daß er
ihn fortwirft. Ebenso erhält der reiche „Mayr“, der für sein zahlreiches Gesinde bittet, erst
dann Korn, als er ein Zeugnis der Gemeinde beibringt, daß er kein Prasser und kredit-
würdig ist, während der kleine Bauer, der „Urtyp des Bergbauern“ (Insam) im zerrissenen
Gewand mit Haue und Kratze auf der Achsel auf seine ergreifende Bitte hin ohne Anstände
Korn erhält. Auf Kaufleute und Müller als Ausbeuter sind die Bauern schlecht zu sprechen.
„Man merkt es den beiden Tirolern an. Ihr Herz schlägt für das Baucrnvolk und für die
ehrliche Arbeit des Bauern.“ (Insam, S. 17.) Aber trotz des nach Gehalt und Gestalt bäuer-
lichen Charakters des Axamer Joseph erinnern doch viele Züge an die Nähe der barocken
Spielkultur Innsbrucks. Die Anreden sind höfisch („Durchleuchtigster und edler Herr, Euer
Gnaden, Majestät“). Pharao, Putiphcr und Joseph erscheinen jeweils mit ihrem Hof. Den
König begleiten ständig zwei Diener, und er hat Hofmeister, Kanzler, Tafeldecker, Kämmer-
ling und einen Hofnarren in seinen Diensten. Der Kaufmann und ein Kriegsoberst sind zu
Pferde. Jakob und seine Söhne werden unter militärischem Geleit in die Heimat zurück-
geführt, und gelegentlich füllt sich die Spielfläche mit zahlreichen Mitwirkenden. Das Ver-
zeichnis am Ende der Handschrift (S. 141) führt 77 Spieler zu Fuß oder zu Pferde auf und die
vier Teufel, die das Heer Lucifers bilden. Es ist also sichtlich der Versuch gemacht, mit den
bescheidenen Mitteln der Bauerngemeinde Prunk zu entfalten. Dahin gehört auch die Ge-
richtsverhandlung gegen Bäcker und Schenken mit allem zugehörigen Zeremoniell. Von
Gebärden wird freilich nur das Knien des öfteren vorgeschrieben. Kostümanweisungen
Ein altes deutsches Josephspiel
317
^hlen; einiges läßt sich aus dem Text erschließen, so die „Zier“, die der König dem Joseph
8'bt, als er ihn zum „Fürsten über das ganze Land“ gesetzt hat: Kette, Ring, Seidenkleid
und Zepter (Stab). Musik leitet die Akte ein und aus, gliedert sie in Auftritte und dient hier
und da auch dazu, den von der Handlung geforderten zeitlichen Abstand zwischen zwei Auf-
tritten zu überbrücken. Allegorische Figuren fehlen freilich; es wird nur Joseph ein Schutz-
Cngel beigegeben, und die Teufel, unter ihnen Pluto, treiben ihr Wesen. Den Zauberer da-
ngen, der vor dem diebischen Müller die Säcke tanzen läßt, möchten wir seiner Herkunft
nach dem Jesuitenstück zuweisen. Vor jedem Akt zeigt der Spielführer eine Anzahl von
>,Figuren“, lebenden Bildern, vielleicht auch Schnitzfiguren, deren Tun er mit begleitenden
crsen erläutert; auf diese Weise wird die Handlung jedes Aktes berichtend vorweg-
Scnornmen. Das ist zweifellos eine Einwirkung der Figuralprozessionen mit den figürlichen
Erstellungen auf Tragebühnen (fercula), lebenden Bildern und Bilderfahnen, die sich, wie
ÖRRER des öfteren gezeigt hat, gerade in den Städten Tirols unter der Fernwirkung der
tri°nfi der italienischen Fürstenhöfe und Stadtrepubliken besonders reich entfaltet haben.
Bei den meisten Szenen sind die Angaben und Voraussetzungen so vage, daß von ihnen
eine Schlüsse auf die Anlage der Bühne zu ziehen sind. Nur so viel kann man sagen, daß
auf einer Simultanbühne gespielt ist. Immerhin sagen einige Szenen etwas mehr aus:
Syrus, der Haushofmeister, spricht S. 69 hinter dem Vorhang Verse, mit denen er auf den
^hlferuf der Sebtirä, der Frau des Putipher, reagiert; er tritt dann hinter dem Vorhang hervor
Und spricht mit Sebtirä, die ihm den Mantel zeigt, welchen Joseph in der Verführungsszene
2urückgelassen hat. Daraus geht hervor, daß diese Verführungsszene selbst (S. 65 ff.) sich
a^ch vor dem Vorhang, also auf einer Vorderbühne abgepielt hat. Sebtirä bezeichnet dies
ihr Gemach als Saal. Eine gewisse Größe muß diese Vorderbühne gehabt haben, denn unter
^ch Szenen, für die wir sie als Schauplatz vermuten, sind mehrere personenreiche. Das Vor-
andensein von Vorder- und Hinterbühne mit trennendem Vorhang wird zwar noch nicht
estätigt durch die nächste Szene, weil hier Lucifer mit zwei Teufeln den Schauplatz erst
etritt, wohl aber durch die dann folgende, die gleich mit einer Gruppe, Gottvater auf dem
*hron, zwei Engel kniend neben ihn, beginnt, die man sich gerne hinter dem Vorhang vor-
ereitet denkt, hinter dem Syrus gesprochen hat und den man nun zu Beginn dieser Szene
Zurückgezogen haben wird; im Gegensatz zu allen anderen Auftritten fehlt hier die An-
weisung, daß Gottvater eintritt, wohl dagegen, daß er abgeht (S. 78). Gottvater (solange
nicht spricht) hinter einem Vorhang verborgen, entspricht der Tradition des geistlichen
Spiels, die etwa durch Luzern bezeugt ist. Man kann sich dann die vorhergehende Teufels-
^ene auf der Vorderbühne vor dem Vorhang denken, weil Luzifer sich in einen Sessel setzt,
er als Requisit leicht auf der Vorderbühne anzubringen war. Es könnten dann auch Palast-
^enen auf der Vorderbühne gespielt worden sein, so z. B. S. 85 fr., wo sich der ägyptische
^önig „Föran“ in den Sessel setzt, und andere, in denen das nicht ausdrücklich erwähnt
Wird.
Außerdem war aber noch eine Spielfläche erforderlich, die eine Entfaltung größerer Massen
^nd selbst das Erscheinen Berittener ermöglichte. So befinden sich S. 136 auf der Spielfläche
Joseph und sein Hof, Jakob und die elf Söhne, der berittene Kriegsoberst mit sechs Soldaten,
p1 e Jakob und seine Söhne begleiten sollen, und zwei Diener, die Wein bringen, 22 benannte
ersonen also und dazu der Hofstaat Josephs. Nach dem erwähnten Verzeichnis der auf-
^etenden Personen, das freilich nicht ganz klar geordnet zu sein scheint, ist sicher, daß der
riegsoberst, der Kaufmann, der Joseph von den Brüdern kauft (50—52), und der Edel-
mann, der vergeblich bei Joseph um Korn bittet, beritten waren. Auch die komische Szene,
Ir| Welcher der Hofnarr mit seinen zwölf Buben erscheint, die raufen, sich in Fechterkünsten
^ en und mit Trommeln und Pfeifen Sturm laufen (S. 131—134, 149), verlangt eine größere
^ Pielfläche. Als solche nehmen wir eine vom Standpunkt des Zuschauers ansteigende Wiese
a*mit den nötigsten Versatzstücken, z. B. dem abseits liegenden trockenen Brunnen, eine
öglichkeit, mit der auch der ortskundige Dörrer rechnet (S. 23). Hier waren alle oben
f.rWähnten Möglichkeiten gegeben. Man kann sich vorstellen, daß man bei der sehr deut-
chen Tendenz, viel zu zeigen, dann auch die Brüder auf cselbespannten Wagen in Ägypten
^scheinen ließ (angedeutet S. 121).
318
Deutsche Bauerntöpferei
So kämen wir zu einer breiten Spielfläche auf gewachsenem Boden und einer einfachen,
durch einen Vorhang geteilten Bühne. Die Geschichte des Volksschauspiels lehrt, daß wir
mit einer grundsätzlichen Anpassung des Typus der Simultanbühne an die lokalen Gegeben-
heiten rechnen müssen. Dafür böte dann auch dieses sorgfältig edierte Josephspiel ein lehr-
reiches Beispiel.
Die Herausgabe dieses Stückes lohnte auch deshalb, weil es mit der differenzierten Cha-
rakteristik Josephs und seiner Brüder, der Art, wie die Spannungsmomente der Handlung
verwertet sind, und manchen hübschen Beispielen von Humor und Komik nicht zu über-
sehende Vorzüge aufweist. Leopold MAGON-Berlin
Meyer-Heisig, Erich: Deutsche Bauerntöpferei. Geschichte und landschaftliche Gliederung.
München, Prestel-Verlag, 1955. 78 S., 5 farbige und 80 einfarbige Tafeln.
Auf dem Material und den Erkenntnissen einer Ausstellung des Germanischen National-
museums zu Nürnberg fußend, entstand dieses in Gehalt, Ausstattung und Klarheit des
deutschen Sprachgebrauchs gleicherweise vorzügliche Buch. Der Verf. hat sich damit der
verdienstvollen Aufgabe unterzogen, die seit langem fällige zusammenfassende Darstellung
einer der schönsten und reichsten Gruppen im Schatz der volkskünstlerischen Werke unserer
Keramik zu geben.
In einer Würdigung dieses Vorhabens scheint es zunächst notwendig, den sachlichen,
zeitlichen und räumlichen Bereich abzugrenzen, aus dem der Verf. sein Wissen schöpft-
Gegenstand der Untersuchung, so wird im Vorwort betont, ist „die mit Schlickermalerei
verzierte und mit Bleiglasur gedeckte sowie die mit farbigen Glasuren allein ausgestattete
Töpferware“. Dieses Geschirr, das unter den Händen städtischer und dörflicher Handwerker
entstand, finden wir seit den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts in zunehmendem Maße
im kleinbürgerlichen und besonders im bäuerlichen Haushalt. Somit sind Hersteller, Er-
zeugnisse und der Kreis der Abnehmer gekennzeichnet, dazu die Zeit des frühesten Auf-
tretens ungefähr festgelegt.
Der geschichtlichen Lagerung entsprechend wird die räumliche Ausbreitung über die
heutigen deutschen Staatsgebiete hinaus verfolgt. So sind das Elsaß, die deutschsprachige
Schweiz, Südtirol, Österreich, Siebenbürgen, Teile Böhmens und Schlesien mit einbezogen.
Zu betonen ist fernerhin, daß M.-H. in seinen Urteilen weithin vom Erzeugnis selbst aus-
geht, da die einschlägigen Urkunden und aktenmäßigen Belege — besonders die Innungs-
ordnungen der Töpfer — sich zumeist gründlich über die Eigenarten der hergestellten Ware
in Form und bunter Zier ausschweigen. Diese bedauerliche Tatsache wird jeder, der sich
ernsthaft mit dem gleichen Fragenkreis befaßt hat, bestätigen können.
Eine gedrängte Einführung macht uns mit der Technik und Geschichte des volkstümlichen
Hafnerwerkes bekannt. Als Schwerpunkt erscheint hierbei der Versuch, die unmittelbaren
Vorläufer der zur Betrachtung stehenden Töpferware festzulegen. M.-H. sieht sie, nachdem
er die mittelalterlichen Vorkommen bemalter oder bunt glasierter Gefäße, Kacheln und
Fliesen in ihrem möglichen Einfluß markierend umrissen hat, besonders in den großen
Schautellern, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts in einigen Werkstätten Schlesiens,
Oberösterreichs und des Salzkammergutes entstanden. Es handelt sich hierbei um Gefäße
mit Darstellungen religiöser und weltlicher Stoffe, zum Teil auch mit rein ornamentaler
Zier. Als farbiger Dekor dienen Zinnglasuren, einmal auf weißem Anguß auch Schlicker-
farben, die mit Bleiglasur gedeckt sind. Im letzteren Falle spricht M.-H. vom „deutschen
Stil“, während er für Bildaufbau und Technik aller Stücke italienischen Einfluß verantwort-
lich macht. Dorthin weist wohl auch die überwiegende Verwendung von Zinnglasuren.
Offen bleibt dabei zunächst die Frage, auf welchem Wege die Kenntnis dieser Techniken
nach Deutschland gelangt ist. Die unmittelbare Einwirkung des italienischen Beispiels wird
für das frühe 16. Jahrhundert angenommen. Zu dieser Zeit entstehen in Nürnberg nach
eingeführten italienischen Fayencen die ersten Arbeiten dieser Art auf deutschem Boden-
Deutsche Bauerntöpferei
3:19
An diese Stelle wäre ein genaueres Eingehen auf die möglichen habanischen Einflüsse
v°n Bedeutung gewesen. M.-H. erwähnt diese wiedertäuferischen Gemeinschaften, von
denen sich einige Gruppen auch der Töpferei widmeten, nur kurz (S. 61), und ist der Mei-
^Ung, daß sie im Grunde die durch Nürnberg vermittelte italienische Vorlage nachahmen.
AaRel Cernohorsky1) hat allerdings in seiner Beweisführung über den Ursprung der
Uabaner Fayencen darauf hingewiesen, daß um 1560 durch nach Mähren eingewanderte
italienische Anabaptisten wahrscheinlich direkte Beziehungen zur künstlerisch hochstehen-
üen Töpferei besonders Südtirols und der Umgebung von Venedig bestanden. Dazu wissen
Y*r> daß Kaiser Rudolf II. italienische Töpfer an seinen Prager Hof berief. Man sieht sich
deshalb beinahe zu dem Schlüsse genötigt, daß die unter den angeführten Umständen in
Mähren und Böhmen geschaffene Ware eine bestimmte Wirkung auf die Werke der älteren
cutschen Gefäßhafnerei ausgeübt hat. Es lohnte sich, diesen Zusammenhängen einmal
ßenauer nachzugehen, ein Unternehmen allerdings, das den Rahmen des zur Besprechung
stehenden Buches sprengen würde.
Wichtiger noch als diese Reihe von Fragen, die sich um das allgemeine Problem der
~ bernahme und der Angleichung des Fremden im Bereiche des deutschen Kunsthandwerks
^cr Renaissance gruppieren, ist M.-H. mit Recht der Vorgang des Volkläufigwerdens dieser
”'ate. Er beleuchtet diesen Schritt von den Hafnerarbeiten der großen Städte, die wohl in
<Jer Hauptsache für den adligen und den reichen bürgerlichen Auftraggeber hergestellt
murden, zum ausdruckstarken bleiglasierten Malhornwerk der kleinstädtischen und dörfi-
schen Töpfer am Beispiel der Erzeugnisse von Wanfried a. d. Werra. Das frühe Auftreten
fieser Stücke und ihr weiter Vertrieb sprechen für die unmittelbare Verarbeitung des „ge-
hobenen“ Vorbildes, aber auch von der Vorliebe, die man im Lande für die köstlich lebendige
Ur*d bilderreiche Schlickermalerei hegte.
Diese Wanfrieder Ware bildet nach vorläufigen Erkenntnissen den Auftakt für die große
. eit der volkstümlichen Hafnerarbeiten, deren kennzeichnendste Ergebnisse uns der Verf.
ln einem Gang durch die Landschaften vorführt. Eine große Anzahl zum Teil mehrfarbiger
Photographischer Aufnahmen in vollendeter Technik bereichern diesen Abschnitt und lassen
Studium zu reinem Genuß werden. Es ist nicht möglich, im Rahmen einer gedrängten
esprechung die ganze Fülle des Dargebotenen, die ihrerseits nur die Auswahl des Beispiel-
aften aus einer über 5 00 Schaustücke umfassenden Ausstellung bildet, im einzelnen zu er-
mähnen. Um einem solchen Unternehmen jedoch Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, er-
scheint es notwendig, zu einigen Problemen Stellung zu nehmen, die sich aus dem vor-
Iegenden Material ergeben. Damit soll gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit den Schluß-
Mgerungen der Arbeit und dem wertvollen Vorschlag einer grundsätzlichen Einteilung der
Ölungen des Töpferwerkes, den M.-H. in sein Buch aufgenommen hat, erfolgen.
Beginnen wir beim letzteren. Der eingangs erläuterte Begriff „volkstümliches Hafner-
merk“ umfaßt den weiten Bezirk der herangezogenen Beispiele nicht ganz. M.-H. kenn-
2eichnet die sogenannten Zittauer Teller — noch wissen wir nicht genau, wer sie schuf und
mo ihre Hersteller ansässig waren — richtig als Fayencen. Die sogenannten Egerer Schüsseln
5 3> Abb. 72) zeigen, wie drei der abgebildeten siebenbürgischen Gefäße (S. 54, Abb. 74),
Durnalerei auf weißen Zinnglasuren, stehen also der Fayence nahe. Die Erzeugnisse der
chwarzhafnerei wiederum fallen eigentlich unter die Irdenware.
Gemeinsam mit der bleiglasierten Malhornware jedoch ist diesen Gruppen ihre Herkunft
Und der Kreis der Verbraucher. Man sollte deshalb diesen in der Einleitung des Buches
. crausgcarbeiteten gesellschaftlichen Gesichtspunkt neben den technischen Voraussetzungen
ln die abschließende Definition mit einbeziehen.
p Dine weitere Schwierigkeit offenbart sich in der Auswahl des Materials. Die ursprüngliche
unktion der überwiegenden Mehrzahl aller besprochenen und dargestellten Stücke ist die
Cs Schmuckes, der künstlerischen Auszier des Wohnraumes. Einige dienen dazu als Mittler
Sitte und Brauch im Jahres- oder Lebenslauf (z. B. Erntepötte, Möschenpötte, Minne-
^astchen, Hochzeitsteller, Liekbierschüsseln). Durch diese Verwendung sind sie dem eigent-
X) K. Üernohorsky: Pocdtky Habänskych Fayansi. Opava 1931.
320
Deutsche Bauerntöpferei
liehen Gebrauchszweck entzogen und stellen mithin nur einen geringen Ausschnitt aus der
Menge des ihnen technisch verwandten Tongefäßes dar, dessen Hauptteil der täglichen Ver-
wendung, dem Aufbewahren und Darreichen der Nahrung diente. Diese Aussonderung ist
vom Verf. ganz bewußt vorgenommen worden (s. S. 9, S. 57). Außer den Krügen sind wohl
nur wenige Teller und Schüsseln dauernd als Speise- und Trinkgeräte benutzt worden.
Damit aber erfährt der Gegenstand, den begrifflich zu fassen sich M.-H. bemüht, eine
einschneidende Verengung. Gleichzeitig erhebt sich die Frage, ob das in diesem abgegrenzten
Bezirke Verbleibende für eine so umfassende Kennzeichnung, wie es der Name „Bauern-
töpferei“ nun einmal ist, seine Tragfähigkeit erweisen kann. Sollte man nicht lieber als
Bauerntöpferei alle jene Ware zusammenfassen, die bei 800—1200° C gebrannt wird, nach
dem Brande einen farbigen, porösen, nicht gesinterten Scherben zeigt und bis in das 19. Jahr-
hundert meist von Blei-, seltener Zinn-und Lehmglasuren überzogen ist2). Hersteller und
Abnehmer sind identisch mit jenen Bevölkerungsteilen, die wir in charakteristischer Be-
ziehung auch zum bleiglasierten Malhornwerk und seinen Verwandten sahen.
Die volkstümliche Hafnerware würde sich dann zwanglos als eine von dem großen Vor-
bilde der Renaissancehafnerei ins Leben gerufene Untergruppe einfügen. Ihre besonderen
Merkmale im volkskünstlerischen Ausschmuck blieben ungemindert bestehen, verdeutlicht
noch durch die vorwiegende Verwendung als häusliche Zier, mitunter auch in Sitte und
Brauch.
Freilich kann auch der Name „Bauerntöpferei“ nur als vorläufige Bezeichnung gewertet
werden. Darauf geht M.-H. selbst ein und bringt doch recht willkürlich einen einzelnen,
wenn auch in sich geschichteten Berufsstand mit einem Handwerk in Verbindung, dessen
Konsument neben der dörflichen auch die städtische Bevölkerung war. Aber es ist außer-
ordentlich schwierig, für diese bestimmte Art der Erzeugnisse einen treffenden Ausdruck zu
finden, der sie von der Irdenware, dem Steinzeug und der Fayence genau abgrenzt. Vor-
läufig wird man sich, soweit man nicht etwa wie im Sächsischen von „Weißtöpferei“ spricht,
mit der alten Bezeichnung behelfen müssen.
Im Zusammenhänge mit der zunftmäßigen Arbeit, in der wohl die Mehrzahl der volks-
tümlichen Hafnergeschirre entstanden sind, soll auf den Sonderfall der Marburger Töpferei
verwiesen werden. Die aufgelegte Ware, die in den dortigen Werkstätten entstand, ist an
sich nichts Einmaliges. Sie besitzt wenigstens im Hessischen Vorläufer, während sie im
Sächsischen sehr bald nachgeahmt worden ist. Auffallend ist ihre Formgebung — in starkem
Maße tritt das Hohlgefäß hervor — und ihre weite Verbreitung, die im Gegensatz zu dem
Vertrieb auf dem lokalen Markt steht, den die Waren der Bauerntöpferei gewöhnlich er-
fuhren. Zweifellos ist für diese Erscheinungen in erster Linie die Art der Herstellung ver-
antwortlich zu machen. M.-H. bemerkt, wohl nach den Angaben von Rumpf3), daß um
1840 rund 8 % der Marburger Einwohner ihr Brot durch Verfertigen dieser Ware verdienten,
und daß auch in den Kleinstädten und Dörfern des weiteren Umkreises das gleiche Geschirr
erzeugt wurde. Diese Tatsachen deuten auf manufakturmäßiges Arbeiten, vielleicht in Ver-
bindung mit einem Verlagswesen, hin. Es lohnte sich, diesen Dingen in einer genaueren
Studie nachzugehen. Vor allem wäre zu ergründen, inwieweit sich trotz der weitgehenden
Teilung der Arbeit die volkskünstlerische Eigenart durchgesetzt und erhalten hat. Die von
klassizistischen Beispielen angeregten Formen Marburgs findet man übrigens auch unter
dem etwa gleichzeitigen Waldenburger4), Lausitzer und Bunzlauer5) Geschirr. Die Ähnlich-
keit mag weniger durch gegenseitige Einflußnahme als durch das gemeinsame Vorbild des
Empire bewirkt worden sein. Wir haben es also im gewissen Sinne mit einer Modeerschei-
nung zu tun. Bestimmte typische Schöpfungen des Kunsthandwerks werden, weil sie all'
2) S. dazu L. Schätzer: Leitfaden der Keramik. Dresden 1951, S. 253/54, S. 349. —
H. Michel u. G. Schering: Fachkunde für Keramiker. Leipzig 1953, S. 162/63.
3) K. Rumpf: Deutsche Volkskunst Hessen. Marburg 1951, S. 67/68.
4) A. Kurzwelly: Die bäuerliche Kleinkunst. In: Sächsische Volkskunde, hrsg. von
Robert Wuttke, Dresden 1900, S. 447/48.
5) K. Strauss: Schlesische Keramik. Straßburg 1928, S. 28L
Deutsche Bauerntöpferei
321
gemein stark ansprechen, ins Volksschaffen übernommen und unter Anwendung der ihm
^genen und entsprechenden technischen und künstlerischen Ausdrucksmittel umgesetzt —
lrn Grunde der gleiche Prozeß, den M.-H. für die Entstehung der deutschen Hafnerware
belegt. Neu ist nur die Rührigkeit der Marburger Meister, die es verstehen, aus der Sache
Cln glänzendes Geschäft zu machen. Doch das dürfte der volkskünstlerischen Seite des Gan-
2en nicht gut bekommen sein, birgt doch gerade die Massenfertigung einer solchen Ware
Unabwendbar die Gefahr des Erstarrens in der mechanischen Wiederholung und schließlich
bcs geschmacklichen Absinkens in sich.
Hinsichtlich bestimmter Fragen des Dekors unserer volkstümlichen Hafnerware schließ-
bch ist M.-H. zu einigen aufschlußreichen Beobachtungen gelangt, die es verdienten, Gegen-
stand einer sehr gründlichen Auseinandersetzung zu werden.
Als eines der überraschendsten Ergebnisse seiner Studie kennzeichnet der Autor die Ein-
sicht, daß die Darstellung der menschlichen Gestalt, sowohl im religiösen wie auch im welt-
lichen Themenkreis, sich in der Hauptsache auf Niederdeutschland mit Einschluß Nieder-
bessens und das Alemannische beschränkt. Das gleiche stellt er auch für die Technik des
Ritzcns (Umrisse und Binnenzeichnung) fest. Zwei Ursachen sollen zur ersten Erscheinung
geführt haben. Die angegebene Grenzlinie deckt sich weitgehend mit jener, „die das Ver-
breitungsgebiet der bemalten Möbel von dem Gebiet der beschnitzten und allenfalls farbig
gefaßten Möbel sondert“. Die Bildfreudigkeit, die sich in weiten Teilen des Oberdeutschen
gerade am großen und kleinen Hausrat äußert, habe sich in den benannten norddeutschen
und schwäbischen Landstrichen auf das Hafnerwerk verlagert. Dazu hätten bestimmte, in
diesem Ausmaße nur ihr eigene Gegebenheiten der niederdeutschen Stube, wie umlaufende
b'nise, Geschirrborde und der Rauchhut zur Aufstellung tönerner Schaugeschirre, direkten
Anreiz gegeben, wenn sie nicht sogar dafür geschaffen wurden.
Hier bleibt lediglich das zum erläuternden Vergleich herangezogene Material für das
Alemannische fraglich: wenn dort die bemalten Möbel auch gegenüber den bayrisch-
°sterreichischen etwas abfallen6), so stehen sie diesen durch ihre farbige Auszier doch
Wesentlich näher als den nordwestdeutschen. Sicher müssen also noch andere Ursachen für
bie Abbildung des Menschen herangezogen werden.
Als besonderer Grund für den Bildreichtum und die Menge der erhaltenen niederdeut-
Schen, hessischen, alemannischen und auch siebenbürgischen Stücke wird ihre vorwiegende
Verwendung als Schmuck und Festgabe hervorgehoben. In Oberdeutschland dagegen habe
u^an das Hafnergeschirr mehr für den täglichen Gebrauch hergestellt.
Für Sachsen muß dies in gewissen Grenzen bezweifelt werden. Die sogenannten Zittauer
Heller waren sicher keine Gebrauchsware. Eine Taxordnung von 16237) erwähnt überdies
ben „Hochzeit- oder Erndte-Topf“, der im Meißnischen Kreis in drei verschiedenen Größen
hergestellt wurde. Dazu finden sich in vielen unserer Museen reich und lebendig bemalte
Teller und Schüsseln, deren guterhaltene Oberfläche darauf hindeutet, daß sie in der täg-
lichen Hauswirtschaft wohl kaum verwendet wurden.
In der Ritzung sieht M.-H. zunächst ein technisches Hilfsmittel, das das Ineinanderlaufen
ber Farben und Glasuren verhindern sollte. Daneben aber deutet er sie als Stilmerkmal, das
ber deutschen, mehr zur zeichnerischen als zur malerischen Auffassung neigenden Kunst
besonders liege.
Man sollte hier von einem technischen Hilfsmittel im doppelten Sinne sprechen und dabei
Hne Zusätzliche, aber wesentliche Aufgabe des Ritzens in Betracht ziehen: die Vorzeichnung.
Zunächst werden, und das ist bei vielen der abgebildeten Beispiele zu beobachten, die Kon-
turen in den weichen Ton eingegraben, dann erfolgt das farbige Ausmalen.
Ina übrigen findet man diese Technik nicht nur an deutschen Gefäßen. Auch die slowa-
kischen „Krügelmacher“ verwenden sie. Belege dazu sind uns in letzter Zeit aus der Um-
gebung von Trnava und aus Pukanec8) bekannt geworden. Es bedürfte noch weiterer Ver-
6) A. Spamer: Die deutsche Volkskunde. II. Leipzig 1935, S. 326.
7) Codex Augusteus, Bd. II (1723), Sp. 864.
8) Slowakische Volkskunst II, Bratislava 1954, Abb. 324, 331 ff.
Volkskunda
322
Die Eisenkunst im Lande ob der Enns
gleiche, um ein endgültiges Urteil über diese Verfahrensweise des angewandten bildnerischen
Gestaltens zu fällen.
Im ganzen gibt uns das vorliegende Werk gerade hinsichtlich landschaftlicher Sonde-
rungen innerhalb des deutschen Sprachgebietes wertvolle Forschungsanregungen, die eben
von den Eigenheiten des keramischen Dekors herzuleiten sind. Es stellt somit einen wich-
tigen Beitrag auch zur Erläuterung und Klärung der mannigfaltigen Erscheinungsformen
deutscher Volkskunst dar. Hoffen wir, daß dieses Beginnen durch vertiefende Einzelstudien,
denen das reichhaltige Schrifttumsverzeichnis des Buches ersten Anhalt zu bieten in der Lage
ist, eine ebenso gute Fortsetzung erfährt. Rudolf WEINHOLD-Leipzig
Kästner, Otfried: Die Eisenkunst im Lande ob der Enns. Linz, Oberösterreichischer
Landesverlag, 1954. 180 S., 131 Abb., 48 Kunstdrucktafeln. 8°.
Ein reiches Bilderbuch ist hiermit den Menschen des Landes ob der Enns geschenkt,
geschrieben mit Liebe und Begeisterung für das Eisen und seine Verarbeitung, das viele
Erscheinungen dieses Landes geprägt hat.
Der Verf. ist Kunsthistoriker, das vorliegende Buch ist aus seiner kunsthistorischen
Dissertation erwachsen. In zahlreichen Aufsätzen1) hat er sich mit den verschiedenen Formen
der Eisenverarbeitung auseinandergesetzt und eine sehr gründliche Sachkenntnis erworben,
die das Fundament des Buches ausmacht. Er bleibt nicht im Historischen stehen, sondern
wendet sich mit gleicher Intensität der Gegenwart zu.
Die Eisenkunst im Lande ob der Enns wird zunächst auf ihre geographischen und histo-
rischen Voraussetzungen untersucht. Dieses Kapitel beginnt mit der Lage und Ergiebigkeit
der Eisenwurzen, schildert die damit entstehenden Berufe und gibt Einblick in die sozialen
Verhältnisse. Die Wirtschaftsgeschichte dieses Erwerbszweiges schließt ab mit einem Aus-
blick in die Gegenwart; Einzelheiten über Produktion, Export, Spezifikation usw. werden
durch statistisches Material erhärtet. ■— Der Stoff dieses Abschnittes hätte in anderem Zu-
sammenhang zu einer umfassenden wirtschaftsgeographischen Abhandlung führen können.
Im Rahmen eines Vorspannes jedoch kann er auf manche Dinge, die den Volkskundler inter-
essieren würden, z. B. die Maultrommeln (S. 17L), nicht weiter eingehen.
Der Hauptteil des Buches ist den Eisenerzeugnissen des Landes gewidmet, die die Bezeich-
nung „künstlerisch“ für sich in Anspruch nehmen können. Der Rahmen ist hier sehr weit
gespannt, alle eisernen Gegenstände werden behandelt, deren Gestaltung über die reine
Zweckform hinausgeht. Es dreht sich also durchweg um Erzeugnisse der angewandten
Kunst, der Handwerkskunst, der Volkskunst und des Kunstgewerbes, um diese verschie-
denen Begriffe, deren Klärung den Rahmen des Buches sprengen würde, nebeneinander-
zustellen. Der Verf. bedient sich der Einteilung nach Stilepochen, um das vielfältige und
reichhaltige Material zu ordnen, das er sich in jahrelanger Arbeit erwandert hat.
So beginnt die Aufzählung mit dem „Helpfauer Schwert“ (ältere Eisenzeit), führt über
Waffen und Werkzeuge der Römer- und Völkerwanderungszeit zur Romanik mit den Eisen-
beschlägen der Kirchentüren. Aus der gotischen Zeit werden Einzelheiten wie Wappen-
türen, Ziernägel, Schloß, Ziehringe, Handhaben usw. auch in ihrer Ornamentik untersucht.
Die Renaissancezeit bringt Groß- und Kleingitter, der Zusammenhang zur Kalligraphie
(warum wird K. hier immer nur mit einem 1 geschrieben? Vgl. u. a. S.5 5 f.) und zum Ornament-
stich wird aufgezeigt. Diese Beziehungen verdichten sich in den folgenden Zeiten, so daß
der Verf. auch die Unterteilung der Kapitel nach Knorpel-, Knoten- und Bandlwerk gibt.
Die Großgitter des Barocks in Kirchen und Schlössern erfahren eine besonders liebevolle
Interpretation. Die charakteristischen Stilelemente des Rokoko bestimmen auch in der
Eisenkunst sakrale und profane Gegenstände, die Vielfalt der Thematik geht vom Grabkreuz
J) Das Literaturverzeichnis enthält 26 Aufsätze oder Artikel des Verfassers.
Die Eisenkunst im Lande ob der Enns
323
^ber Brunneneinfassungen bis zu Wirtshausschildern. Der Klassizismus zeigt deutlich den
Strukturwandel des nun auf die Silhouette eingestellten Gitters gegenüber dem Barock. Mit
^crn Aufkommen des Gußeisens, das hier nicht nur von seiner negativen Seite beleuchtet
J^rd, beginnt ein geschmacklicher Verfall in der Eisenkunst. Das Hinüberretten durch die
Volkskunst und die heutigen Industrieformen werden im letzten Abschnitt behandelt.
Dem Nachwort schließt sich eine Tabelle der ,,Stilmerkmale der Eisenkunst“ an. Dieser
; ersuch, die Erzeugnisse der Eisenkunst nach Form, Farbe und Aufgabe zu charakterisieren,
jst als nicht geglückt anzusprechen. Die Tendenz, geistige Erkenntnisse graphisch darzustel-
en> liegt in der heutigen Zeit. Ob dadurch aber mehr als eine nur oberflächliche Information
frreicht wird, ist fraglich. So könnte auch im vorliegenden Buch auf manche Zuordnungen
ln dieser Tabelle verzichtet werden2).
Die Erklärungen der technischen Fachausdrücke (S. 148 ff.) sind gut und notwendig. In
gründlicher kunstgeschichtlicher Methode werden die biographischen Notizen über die
Kunstschmiede vor allem aus der Barockzeit zusammengestellt (S. 150—153)- Die Bestände
der Eisenkunst in Oberösterreich sind in einem 13 Seiten umfassenden Verzeichnis zusammen-
getragen (S. 154—163), das allen Interessierten wertvolle Hinweise auf Museumsbestände,
Drabkreuze auf Dorffriedhöfen, Türbeschläge, Gitter usw. bringt. Dieser Anhang gibt einen
Einblick in die vom Verf. geleistete Arbeit, mit der er eine vorbildliche Bestandsaufnahme
für ein Gebiet und ein bestimmtes Material durchgeführt hat. Es gibt nicht viele Gebiete,
In denen Gleiches mit gleicher Gründlichkeit erfolgt ist. — Ein Index erleichtert das Auf-
firiden von Textstellen (S. 172). Ein umfängliches Literaturverzeichnis (S. 172—179) bringt
ungewöhnlicherweise österreichisches und außerösterreichisches Schrifttum getrennt.
^eben diesen durchaus positiven Bewertungen nun muß der Volkskundler im folgenden
doch einige Bedenken anmelden.
Der Text vermittelt keine wesentliche Bereicherung auf dem Gebiet der Volkskunst. Wohl
Werden die aus Eisen verfertigten Gegenstände der Volkskunst angeführt (im Kapitel Gotik,
43—49, Knotenwerk S. 88ff. und zwischen Klassizismus und Guß S. 137fr.), aber über
allgemeine, zum großen Teil überholte Formulierungen geht die Aussage nicht hinaus3). Die
ln der Einleitung angekündigten Rechtsaltertümer werden lediglich mit zwei Zeilen ab-
Sehandelt. Da das Buch eine „Eisenfibel“ sein soll, wurde auf Fußnoten verzichtet. Dieser
Verzicht macht es dem Wissenschaftler schwer, den Textteil mit Erfolg zu benutzen. Der
des Buches entspricht dem des populärwissenschaftlichen Schrifttums.
Dem Bildteil kommt eine weit stärkere Bedeutung zu als dem Text. In 86 vorzüglich auf-
§cnommenen und ausgewählten Photos werden Beispiele aus allen Bereichen der Eisen-
kunst gebracht. Gute Detailaufnahmen vermitteln einen lebendigen Eindruck von der Schön-
et, Kraft und Schmiegsamkeit der Eisenformen. Auch hier ist chronologisch vorgegangen.
Schwerter, Türbeschläge, Schlösser, Fenstergitter, Sakramentshäuschen, Grabkreuze, Gitter-
türen, Treppengeländer, Votivtiere, Türklopfer — die unendliche Vielfalt der künstlerischen
Disenerzeugnisse wird hier ausgebreitet bis zu den Arbeiten des heutigen Kunstgewerbes
ünd der Industrie. Dieser Bildteil wird ergänzt durch 131 Federzeichnungen des Verf.s, die
In den Text eingestreut sind. Hier wird vor allem der Formenreichtum, z. B. bei den
^^ditionsmustern der Gitter, verdeutlicht. Technische Einzelheiten erfahren eine bildliche
Erläuterung. Aus diesem Reichtum an bildlichen Darstellungen, durch das Abbildungs-
Vcrzeichnis S. 167—171 übersichtlich gemacht, wird nicht nur der Laie Gewinn ziehen
2) Z. B. Charakterisierung der Aufgabe der Eisenkunst im 19. Jahrhundert: „Beruhigt
's ernüchtert, intim-vornehm bis kitschig.“ Oder für den Frühbarock: „Werbend und
Schmückend an den Raumrand gerückt.“
3) S. 144; J5Arteigene Aussage in ihrer Sinnbildhaftigkeit anzudeuten, muß in kaum be-
Schrittenes Neuland führen.“
S* 89: „Bewußtseinsstufen der Zeit des Feuerzaubers verbinden sich mit dem Licht der
^erzen.“
, 45: „Wer denkt bei der Fischblase noch an den Fisch?“ (Bei der Behandlung der Sinn-
^üder in der gotischen Zeit gesagt.)
324
Schweizer Trachtenbuch
können. Der Eisenfachmann, sei es der Kunstschmied oder der Industriegestalter, wird hier
Bestätigung und Ausrichtung in seinem Bemühen um neues Formgut finden4).
Auch das vorliegende Buch lebt, wie zahlreiche österreichische Veröffentlichungen, vom
Zusammenwirken wissenschaftlicher kulturhistorischer Untersuchungen und praktischer
Pflege und Beeinflussung der gegenwärtigen Volkskunst. Hier mag einschränkend vermerkt
werden, daß diese doppelte Aufgabe sehr schwer zu bewältigen ist. Sie ist auch in diesem
Band nicht gelöst worden. Der Volkskundler wird die unwissenschaftliche Behandlung
seiner Gebiete bedauern, der Eisenfachmann vielleicht gerade durch diese aus dem Gefühl
und der Begeisterung heraus geschriebene Behandlung einen Anlauf nehmen, auch den
historischen Formen seine Aufmerksamkeit zu widmen. Das Charakteristikum des Landes
ob der Enns, das Eisen und seine künstlerische Verarbeitung jedoch, ist in dem vorliegenden
Buch gebührend herausgestellt worden. Christa PiESKE-Neustadt/Holst.
Louise Witzig: Schweizer Trachtenbuch. Zürich, 1954. 280 S., 1 Karte, viele Zeichnungen
Schwarz-weiß- und Farbphotos. 40.
Sehr verschiedenartig ist die Reaktion der Zeitgenossen auf das Problem der Trachten-
bewegung. Die weltweite Tendenz zur Gleichartigkeit aller Lebenserscheinungen läßt
gewichtige Stimmen dagegen laut werden. Dafür sprechen, außer den nicht zu unter-
schätzenden geschäftlichen Interessen wie etwa des Fremdenverkehrs, die verschiedensten
weltanschaulichen, gegen eine Gleichmacherei gerichteten Strömungen, unter denen die
nationalen am leichtesten erkennbar und benennbar sind. Es ist auffallend, daß in den
europäischen Nationen geringerer Volkszahl die allgemeine Anteilnahme an der Erhaltung
und Förderung der Trachten stärker ist als in den europäischen Großvölkern. Das beruht
offenbar auf dem gesteigerten Willen zur Selbstbehauptung. Mit der Trachtenpflege, wenn
sie nicht museal werden will, hängt notwendigerweise die Trachtenerneuerung zusammen.
Darin sind sich mit den Pflegern sogar die Gegner einig: Wenn überhaupt Tracht, dann muß
sie den heutigen Erfordernissen der Hygiene und der Bewegungsfreiheit angepaßt sein.
Das „Wie“ ist je nach der historischen oder neuzeitlichen Einstellung der Gestalter und
ihrem Können Glückssache. Der Volkskundler steht solchen Neuschöpfungen immer
kritisch gegenüber, weil sie leicht etwas aus der Retorte Destilliertes haben. Dabei darf nicht
verkannt werden, daß auch in lebendigen Trachten Beeinflussungen und Modeströmungen
wiederholt geradezu Umschwünge im Trachtenbild hervorgerufen haben.
In Louise Witzigs Schweizer Trachtenbuch begegnen wir vielen außerordentlich glück-
lichen Lösungen neben einzelnen ausgesprochen historisierenden (Baseler Stadttracht). Er-
freuliche Beispiele für Alltags- und Arbeitskleidung aus bodenständigen Formen entwickelt,
entkräften die Bedenken, es handle sich bei alledem doch nur um Kostüme für besondere
Anlässe. Auf die überraschende Vielfalt der Überlieferung und Neugestaltung näher ein-
zugehen, würde hier zu weit führen. Die ausgezeichneten, mit künstlerischem Blick ge-
sehenen Lichtbilder und Farbphotos, viele von der Verf. selbst, sind zu bewundern. Daß
die Zeichnungen nicht von jener in Schweizer volkskundlichen Büchern gewohnten glas-
klaren Deutlichkeit und künstlerischem Wert sind, sondern weniger glücklich an Mode-
zeichnungen erinnern, bleibe nicht unerwähnt. Dennoch verweilen wir gern bei der ansehn-
lichen Reihe von Gegenüberstellungen historischer Moden und ihrem Niederschlag in
Schweizer Trachten. Der Forscher wäre dankbar dafür gewesen, in ähnlicher Weise die alt-
überlieferten neben den erneuerten Formen abgebildet zu finden, doch hätte dies freilich
den Band um die Hälfte des Umfangs und Preises anschwellen lassen.
Was neben der speziellen Trachtenkunde an dem Buche interessiert, ist die kultur-
geschichtlich-soziologische Frage, wie es zur Schweizer Trachtenbewegung kam und wie
4) S. 144: „Möge sie denen, die an den herb-herrlichen Vorbildern wieder zu Form und
Gesinnung im Handwerklichen kommen wollen, eine Fibel sein, wie denen, die über die ^
Form hinaus nach dem Sinngehalt suchen.“
Schweizer Trachtenbuch
325
|hre Entwicklung verlaufen ist. Dies wird in anschaulicher Weise dargestellt. Wie fast überall
'n Mitteleuropa, setzte nach 1850 auch in der Schweiz ein „Trachtensterbet“ ein, eine
Abkehr von den überlieferten Sachgütern und eine Brauchtumsverkümmerung, beklagt
y°n den vaterländisch Gesinnten. Man begann zu sammeln. Im Jahre 1898 wurde das
Landesmuseum in Zürich errichtet, im selben Jahr gründete sich die Gesellschaft für Volks-
kunde Basel. In Heimatmuseen und Vereinen wurden regional typische Beispiele von Haus-
et und Volkskunst, Volksliedern und Brauchtum vor der gänzlichen Vernichtung bewahrt.
JuLie Heierli glaubte in ihren Volkstrachten der Schweiz (Erlenbach-Zürich i922ff.)
brachtenzeit endgültig abzuschließen. Während um 1900 nur noch bei Bergbauern und
1 enncn und in einzelnen Wein- und Obstbaugebieten Trachten lebendig waren, wurden die
Reste der abgestorbenen zu Jubiläumsfesten hervorgcholt und auf Ausstellungen zum Teil
^it Phantasiekostümen vermengt. So sah man 1896 auf der Landesausstellung in Genf neben
^ehten Sennen bei der Käsebereitung und Appenzellerinnen am Stickrahmen Sänger und
ängerinnen, die in allen Kantonstrachten vor dem im Freien aufgestellten, gemalten
R^senpanorama des Alpes suisses, das heißt im Glanze einer künstlichen Jungfrau kon-
vertierten. Die Tracht entartete zum Werbemittel für Handel und Fremdenverkehr. Als die
Kellnerinnen in Kurorten so kostümiert wurden, legten die Bäuerinnen ihre Tracht end-
gültig ab. Als Sammelpunkt der Gegenbewegung gründete sich 1906 der Schweizerische
jjeimatschutz mit dem Ziel, „die Schweiz in ihrer natürlichen und geschichtlich gewordenen
Lagenart zu schützen und weiter zu entwickeln“. Im Ernst des ersten Weltkrieges wuchs
^cr Heimatgedanke. Heimatchöre sangen die neu gesammelten alten Volkslieder in ihren
Kantonstrachten, die als Sinnbild der Heimatliebe herausgestellt und empfunden wurden,
hü Herbst 1916 fand eine eigenartige und vielleicht durch den ein wenig selbstgerechten
chweizer Charakter begünstigte Kundgebung Waadtländischer Stadtbürgerinnen bei
Lausanne statt, die einhellig beschlossen, „die Trachten der Urgroßmütter wieder zu Ehren
bringen, zu kämpfen gegen übertriebene und schlecht getragene Moden und die guten
waadtländischen Überlieferungen neu zu festigen“. Sie verpflichteten sich, die Heimattracht
an schweizerischen Feiertagen als vaterländisches Ehrenkleid zu tragen. Sing- und Studien-
gruppen wurden gegründet und dadurch die vom Absterben bedrohten Mundarten der
Welschen Schweiz lebendig erhalten. Vor allem aber gaben sie Richtlinien für die Tracht
und gegen ihren theatralischen Mißbrauch heraus. Dieses Beispiel machte tatsächlich Schule,
Ur>d nach dem Kriege entwickelten sich immer größere Organisationen bis zur Gründung
,er Schweizer Trachten- und Volkslieder-Vereinigung (1926). Damals schon setzte sich
^ne Erneuerung der „gepanzerten, überladenen und farbenscheuen“ Trachten durch,
^gleich leitete die Neuerer ein kämpferischer Geist gegen das Eindringen der tirolisch-
pyerischen „Dirndelmode“. Wie überall, war es auch in der Schweiz nicht leicht, geeignete
Handwerker zu finden, denn „Gediegenheit in Material und Ausführung war oberstes Ge-
setz“. Solange sich die Erneuerung auf die kostspieligen Festtrachten beschränkte, wurden
Iese nur von begüterten Bürgerinnen gekauft. Die Bäuerinnen verhielten sich abwartend.
"rst nach der Schaffung einfacherer, kleidsamer, praktischer Werktagstrachten wurden sie
und vor allem die Jugend dafür gewonnen. Beachtenswert ist, daß es sich bei ihnen um ganz
ncUe Gestaltungen handelte, denn nur in wenigen Tälern konnte man auf noch lebende Reste
v°n Alltagstrachten zurückgreifen. Allgemein wurden ein anliegendes ungesteiftes „Gstältli“
jAit angenähter weiter „Jüppe“ übernommen, also das, was trachtenkundliches Überein-
_°tnmen als Tragmiedcrrock bezeichnet. Nicht nur regionale Unterschiede in Farbe und
Uster, sondern auch innerhalb derselben gewisse Spielarten wurden zur Auswahl gestellt,
Urn eigener Geschmacksgestaltung Raum zu geben und sie für die Frauen verlockender zu
machen, als ein uniformartiges Einheitsgewand. Man gab ihnen Schnittmuster an die Hand
^nd förderte die Selbstanfertigung durch Trachtennähkurse. Landesfrauenverbände emp-
aMen sie den Bäuerinnen, und Landwirtschaftsschulcn führten sie als Schultracht ein. Der
größte Erfolg, der der ganzen Bewegung Gewähr für Bestand und Weiterentwicklung gab,
^ar die daraufhin einsetzende Übernahme durch die Landbevölkerung. Bald machte sich
cr Wunsch nach einer preiswerten Sonntagstracht geltend, der ebenso wie der nach Winter-
Und >,Lcid“-Trachten erfüllt wurde. Die Männer blieben unterdessen lange im Rückstand,
326
Bayerische Trachten. Volkstracht der Matyó
vor allem aus Abneigung, aufzufallen, — war doch die lebendige Männertracht bis auf
einige Inseln in der Urschweiz ausgestorben. Dort griff man bei der Erneuerung nach den
bestehenden Formen des Hirtenhemdes und der bestickten Blusen, in anderen Kantonen, be-
sonders in den welschen, wählte man überlieferte Altformen als „Stilkostüme“ und scheute
sich nicht vor farbigen Röcken, während in der deutschen Schweiz die Geschmacksrichtung
obsiegte, die entschieden von neuzeitlichen Formen ausgehen wollte. So wird dort jetzt fast
allgemein ein schwarzer Anzug mit langer Hose und kurzer Joppe mit silbernen Knöpfen,
ein schwarzseidener bestickter Leibgurt oder eine rote oder gemusterte Weste mit Silber-
knöpfen getragen, dazu ein schwarzer, rund eingedrückter Filzhut. Auch den zweiten Welt-
krieg überlebte die Trachtenbewegung, gepflegt von der Schweizer Trachtenvereinigung
mit ihrer in zwei Sprachen erscheinenden Zeitschrift Heimatleben und Costumes et Coutumes,
die den Heimatschutz im breitesten Sinne zu ihrer Aufgabe gemacht hat.
Oskar von ZABORSKY-Kötzting
Rattelmüller, P. E.: Bayerische Trachten. Rosenheim, 1955. 12 S. Text, 18 färb. Abb.,
8 Vignetten. 8°. Geleitwort von Kiem Pauli.
Wenn es eine volkskundliche Tatsache gibt, die auf der ganzen Erde bekannt ist, so ist es
der Stolz der Bayern auf ihre Trachten. In sonderbarem Gegensatz dazu steht die andere
Tatsache, daß es seit Lipovskys Bilderwerk aus dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jhs
keine groß angelegte Bayerische Trachtenkunde gibt. Der dankenswerte Grundriß KaR-
lingers (München 1918) hielt sich in sehr beschränktem Umfang. Die möglichste Voll-
ständigkeit und Deutlichkeit der Entwicklungslinien anstrebende Trachtenkunde der
Bayerischen Gaue blieb mit ihren beiden ersten Bänden: O. v. Zaborsky, Die Tracht im
Gäuboden und Die Tracht im unteren Bott- und Vilstal (München 1940 und 1941) stecken.
Es fehlt nicht am Forscherfleiß, mehrere Werke verschiedener Autoren zur Weiterführung
dieser Trachtenkunde liegen mehr oder weniger druckfertig vor. So sind wir schon
froh, wenigstens ein kleines Büchlein mit Rattelmüllers hübschen deutlichen Aqua-
rellen zu besitzen, das alle wesentlichen Trachtengebiete Bayerns darzustellen versucht.
Die jeweils nur 10—12 Zeilen Text können freilich keine ausreichenden Kommentare dazu
geben. Leider finden wir darin manches Unzutreffende, das sich besonders bei Gebieten,
über die wissenschaftliche Arbeiten schon vorliegen, hätte vermeiden lassen. Unverständlich
ist, daß statt der höchst eigenartigen Rottaler Tracht eine bis auf das Kopftuch der Frauen
völlig verstädterte Niederbayerische Allerweltskleidung vom Ende des 19. Jahrhunderts
gezeigt wird. Das schwarzseidene Flügelkopftuch wurde nicht, wie der Verf. behauptet, von
Böhmen, sondern von Oberösterreich aus in Bayern verbreitet (die da und dort vorkom-
mende Bezeichnung „Böhmtüchl“ rührt von seinem Import aus dem nordböhmischen In-
dustriegebiet her). Wir können weder in den vorhandenen Belegen, noch auf dem Aquarell
des Verfassers das von ihm im Text erwähnte Rottaler Häubchen entdecken. Nicht hellgrün,
sondern blaßblau war der Bauernrock im Gäuboden, weiße Leinenröcke wurden nur zur
Feldarbeit im 18. Jahrhundert getragen. Wir bedauern solche Fehler, die sich oft wie eine
Hydra auch von kleinen Werken aus fortpflanzen, besonders wenn keine, oder nur längst
vergriffene Facharbeiten vorliegen. Oskar von ZABORSKY-Kötzting
Györffy, Istvan: Matyó nèpviselet (Die Volkstracht der Matyó). Aus dem Nachlaß hrsgg-
von Edit Fél. Budapest, Képzórmivészeti Alap Kiadóvàllalata, 1956. 205 S.
Die Matyó leben im nördlichen Gebiet Ungarns, südlich vom Bükk-Gebirge. Die
Matyó-Volksgruppe finden wir in drei Gemeinden: Mezökövesd, Tard und Szentistvän.
Die Tracht der Matyó gestaltete sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus und
trennte sich von den benachbarten ethnischen Trachten. I. Györffy zeigt uns in seinem
posthumen Werk vor allem an Hand der Kleidungsarten von Mezökövesd die Matyó-Tracht.
Die Glasmacher im Böhmer- und Bayerwald
327
n Zwei großen Kapiteln, welche die männliche und weibliche Volkstracht behandeln, unter-
teilt er einzeln jedes Kleidungsstück. In besonderen kleinen Kapiteln beschreibt er die bei
Hochzeiten, bei Begräbnissen getragenen Kleider sowie die Arbeitskleidung. Neben der
genauen Beschreibung der einzelnen Kleidungsstücke untersucht er deren Gebrauch und
efbreitung nach dem Lebensalter in den aufeinanderfolgenden Generationen. Die Matyö-
tfacht ist außerordentlich bunt und reich geschmückt. Sie wird im allgemeinen durch die
lchte, üppige, sehr mannigfaltige und grellfarbige Stickerei charakterisiert. Die Schmückung
*eigt fast bei jedem einzelnen Stück ein verschiedenartiges Bild. Die Frauenkleider reichen
ls Zu den Fußknöcheln. Der oberhalb der Hüften eng zusammengezogene Rock weitet
^lch nach unten ganz aus. Vor den Rock binden sie eine weite Schürze. Ihren Oberkörper
edecken sie oft mit einem großen Tuch, während die Arme ganz unbedeckt bleiben. Der
rauch, daß die Frauen barhäuptig nicht auf die Gasse treten dürfen, bewirkte die Aus-
gestaltung des mannigfaltigsten Kopfschmuckes und der verschiedenartigsten Kopftücher.
le Mädchen lassen ihren Kopf unbedeckt; sie tragen ihr Haar gescheitelt nach hinten
8ekärnmt in Zöpfe geflochten. Die Frauen gebrauchen im allgemeinen Pantoffeln und die
Jänner Stiefel. Die Männer tragen weite Beinkleider aus Leinwand. Vor dieses Beinkleid
inden sie — ebenso wie die Frauen — eine Schürze. Ein charakteristisches Matyo-Klei-
unsgstück ist bei den Männern das gestickte Hemd mit langen weiten Ärmeln. Auffallend
Wegen seiner Form der hohe schmalkrempige und mit einem breiten Band geschmückte
Hut. Der Verf. widmet große Aufmerksamkeit der Entwicklung, der Ausbildung und den
Ufsachen des Verschwindens dieser kaum hundertjährigen Tracht. Die Ursache des Aus-
sterbens der Matyo-Tracht ist in der sehr kostspieligen Herstellung der einzelnen Kleidungs-
stücke zu suchen. Zum Verschwinden dieser Tracht trägt auch der starke städtische Einfluß
ei, Welcher für eine so kleine Volksgruppe rasche Folgen hat. Der Bilderreichtum des
Uches — 141 Illustrationen im Text und 56 Tafeln — zeigt die charakteristischen Merk-
el6 der Tracht eines Dorfes. Der Band wird durch die vollständige Bibliographie der
Matyö — zusammengestellt von Istvän Sändor — ergänzt. Der bewährten Györffy-
chülerin Edit Fel müssen wir sehr dankbar für die sorgfältige Herausgabe dieses
schönen Bandes sein. Zoltän UjvÄRY-Debrecen
LAU, Josef: Die Glasmacher im Böhmer- und Bayerwald in Volkskunde und Kultur-
geschichte. Erforscht im Aufträge der Bayerischen Landesstelle für Volkskunde in
München. Kallmünz über Regensburg, Verlag Michael Laßleben, 1954. 285 Seiten,
8 Abbildungen auf 6 Tafeln. (= Beiträge zur Volkstumsforschung, Bd. VIII).
Blau, der bereits 1917 mit seiner Arbeit über Böhmerwälder Hausindustrie und Volkskunst
ü°d in den folgenden Jahren mit zahlreichen kleineren und größeren Abhandlungen auf-
schlußreiche Beiträge zur Volkskunde und Kulturgeschichte des Böhmer- und Bayerwaldes
Jeferte, hat nunmehr im Aufträge der Bayerischen Landesstelle für Volkskunde in München
as Leben der Glasmacher in seiner Heimat erforscht und im vorliegenden Werke ausführ-
lch und lebendig — durch zahlreiche dokumentarische Zeugnisse aufgelockert — dar-
ßcstellt. Nicht die technische, wirtschaftliche und künstlerische Seite der Glasmacherei stellt
et.ln den Mittelpunkt seiner Arbeit, sondern sein Hauptinteresse gilt dem Menschen in
®dnen vielfältigen Beziehungen zur Naturgemeinschaft des Waldes, zur Arbeitsgemeinde
er Hütte, zur weltlichen Obrigkeit und zu Gott.
B>ie enge Verbundenheit des böhmisch-bayrischen Glasmachers mit seiner „Hütte“, wie
tT seine Werkstätte nannte, macht anfangs eine kurze Darstellung der Entwicklung der Wald-
8 ashiitten notwendig. Zu den Patterlhütten, in denen die Patterln, Perlen für Rosenkränze
uüd Zahlmittel für den Sklavenhandel, erzeugt wurden und die mit dem Verbot dieses un-
^ürdigen Menschenhandels eingingen, traten seit dem 14. Jahrhundert die Hütten für
utzenscheiben, für Tafel- und Hohlglas und für die kostbaren Spiegelgläser. Dabei war fast
erall der erste Glashüttenbetrieb ein Wanderbetrieb. Sobald der Waldreichtum im weiteren
Likreis einer Hütte erschöpft war, wurde diese tiefer in den „Urwald“ hineinverlegt, und
328
Die Glasmacher im Böhmer- und Bayerwald
in dem vom Glasmacher gerodeten und nunmehr verlassenen Gebiet setzten sich bäuerliche
Siedler fest. Damit erwies sich der Glasmacher seit seinem ersten Auftreten im urwaldähn-
lichen Grenzland zwischen Böhmen und Bayern als der eigentliche Wirtschaftspionier, der
weite Waldwüsten und Moorländer der Besiedlung erschloß. Als im Laufe der Entwicklung
das Glasgewerbe den Wald verließ und sich in der Nähe von Kohlengruben an günstigen
Verkehrswegen (Eisenbahnen) ansiedelte, wandelten sich die Waldhütten zu Glasfabriken
und die aufs engste mit der Hütte verbundenen, nach Art der Handwerker in zünftlerischen
Formen lebenden Glasmacher zu Fabrikarbeitern.
Ausführlich stellt B. im zweiten Teil seiner Arbeit die sozialen Verhältnisse der Glasmacher
und ihre bevorzugte Stellung gegenüber den benachbarten Bauern dar, von denen sie sich
durch ihre völlig andere Lebensweise, durch eigene Sitten und Bräuche deutlich abhoben
und mit denen sie im allgemeinen in einem gespannten Verhältnis lebten. Nur in Einzelfällen,
wie im Kampf der königlichen Freibauern im Grenzwalde (1613) um altererbte Freiheiten,
standen die Glasmacher den Bauern bei, so daß trotz aller Gegensätze „der Schein ihrer
Hüttenfeuer als das Morgenrot der Freiheit“ von diesen empfunden wurde (S. 72). An die
Stelle des ursprünglich patriarchalischen Verhältnisses zwischen Hüttenmeister und Hütten-
arbeitern traten mit der Weiterentwicklung der Glashütten zwangsläufig immer stärkere
Differenzierungen innerhalb der eigengesetzlichen sozialen Gruppe (S. 43—71) und damit
erhebliche Spannungen zwischen Glasgesellen und Hüttenbesitzern. Die von B. als Bei-
spiel dafür angeführte Beschwerdeschrift des Glasmachers Thomas Lenk aus dem Jahre
1767 bei der Prager Statthalterei zeigt die Gründe für die Störung des einstmals harmonischen
Verhältnisses auf (Lohndrückerei, Trucksystem und sonstige Unredlichkeiten der Hütten-
meister) ; sie war aber infolge damals noch fehlender Solidarität der Glasgesellen von vorn-
herein zur Erfolglosigkeit verurteilt. Das kurz darauf erlassene Glasmacherreglement vom
5. Oktober 1767 suchte wohl die gröbsten Auswüchse zu beseitigen, verlangte im übrigen
aber von den Glasgesellen „Subordination“. Erst als nach der Französischen Revolution und
der Erhebung des Jahres 1848 Selbsthilfeverbände entstanden und diese sich zu arbeits-
fähigen Gewerkschaften entwickelten, hörte die Rechtlosigkeit der Glasgesellen auf (S. 86).
In dem umfangreichsten, das Werk abschließenden dritten Teil Volks- und Kulturkunde
(S. 87—204) zeigt B., wie „die Hütte und ihr eigenartiges Leben einen ganz eigentümlichen
Menschenschlag hervorgebracht haben“, ein Beispiel dafür, wie Arbeit und Umwelt den
Menschen, in unserem Fall den Glasmacher, mit seinen zahlreichen Sitten und Bräuchen
formen. Arbeitsbräuche wie das streng formelhafte Einholen des Meisters zur Arbeit, das
feierliche Freisprechen des Lehrlings zum Gesellen, das Einspinnen eines Brautpaares oder
anderer Gäste mit Glasfäden, weiterhin die an Lebens- und Jahreslauf gebundenen Bräuche
wie das Schenken schön gemalter Hochzeitsfenster, das Schimmelverkaufen, das Aufstellen
von Dodermännern am 1. Mai, das Christkindelspiel oder die mannigfaltigen Äußerungen
von Aberglauben (Hüttengeist, Spirifankerl), ferner Sagenbildung und Volksdichtung sind
zwar nicht, wie B. meint, „dem Glasgewerbe wie dem Waldleben eigentümlich“ (Einleitung
S. V) — zahlreiche Parallelen in anderen Lebensbereichen etwa des Handwerkers oder Berg-
manns lassen sich aufzeigen —, haben hier aber eine eigene Färbung erhalten. Eigenes Ge-
präge zeigt auch das künstlerische Gestalten der Glasmacher bei der Formgebung und Be-
arbeitung des Glases, bes. aber auch bei den schlichten und ausdrucksstarken Hinterglasmale-
reien, „dem Volkslied in der Geschichte der Malerei“.
Weil Hütte und Glasmacherarbeit nie von Dauer waren, wurden die Glasmacher zu „Zug-
vögeln“, die — von Nahrungssorgen und Wanderlust getrieben — „jedes von besorgten
Staatsmännern aufgerichtete Hindernis keck überflogen und so den Ruhm des Glases der
böhmischen Wälder und seiner deutschen Erzeuger in alle Länder und Erdteile“ trugen
(S. 188).
B. läßt mit seinem Werke trotz gelegentlicher Breite und einzelner unbegründeter Wieder-
holungen ein lebensvolles Bild vom Glasmacher im Böhmer- und Bayerwald vor dem Leser
erstehen, das uns überzeugt, weil es auf jahrzehntelangen, eigenen Aufzeichnungen von
Berichten aus dem Munde alter Glasmacher und auf gründlichen Archivstudien beruht.
Herbert CLAUSS-Dresden
Die Spitzenklöppelei im Erzgebirge
329
•Eber, Siegfried: Die Spitzenklöppelei im Erzgebirge. Eine wirtschafts-, sozial- und
kulturgeschichtliche sowie volkskundliche Studie. Herausgegeben im Aufträge des
Zentralhauses für Volkskunst. Leipzig, VEB Friedrich Hofmeister, 1955. 120 Seiten,
29 Abbildungen.
Als im Jahre 1953 in Schneeberg im Erzgebirge, einem der geschlossensten Volkskunst-
8ebiete Deutschlands, das Haus der erzgebirgischcn Volkskunst errichtet wurde, erwuchs
.•ft Leiter dieses Institutes und seinen Mitarbeitern eine zweifache Aufgabe. Zur rein prak-
tischen Tätigkeit, die rund 2500 Erzgebirgsschnitzer, ferner die Mundartdichter und die
Zahlreichen Spitzenklöpplerinnen zu betreuen, trat die unerläßliche Forderung einer wissen-
schaftlichen Grundlegung dieser Arbeit. S. Siebers Spitzenklöppelei im Erzgebirge ist
erste der geplanten Untersuchungen zur Frage der erzgebirgischcn Volkskunst.
weitere Arbeiten dieser Art, vor allem über das Erzgebirgsschnitzen, werden in Kürze
erscheinen.
S. erörtert in elf lose aneinandergereihten Kapiteln drei wichtige Fragenkomplexe erz-
gebirgischer Spitzenklöppelei: 1. die Entwicklung des Spitzenklöppelns im Rahmen der
e,'zgebirgischen Wirtschaftsgeschichte (Kap. 1—7), 2. die soziale Lage der Klöppelnden
^ap. 8) und 3. die Bedeutung des Spitzenklöppelns als Zweig erzgebirgischer Volkskunst
(Kap. 9—n).
Oie Spitzenklöppelei hat im Erzgebirge in engem Zusammenhang mit dem raschen Rück-
gäng des Bergbaus offenbar zwischen 1550 und 1560 Fuß gefaßt, ohne daß mit Bestimmtheit
8esagt werden kann, wer sie hier eingeführt hat. Zu Unrecht wurde Barbara Uttmann
•b den letzten Jahrzehnten als Erfinderin der Spitzenklöppelei und damit als Wohltäterin des
Erzgebirges verherrlicht. Sie, die als Großverlegerin im 16. Jahrhundert 900 Klöppel-
Mädchen für sich arbeiten ließ, hat möglicherweise mit dazu beigetragen, daß die seit der
Menaissance in zahlreichen Ländern Europas (u. a. in Italien, Brabant, Flandern, Frankreich)
Bcrgestellte und hochgeschätzte Klöppelspitze auch im Erzgebirge angefertigt wurde. Sie
schuf damit vielen in ihrer Existenz bedrohten Bergmannsfamilien und vor allem sich selbst
ClBe neue Verdienstmöglichkeit.
Der Wandel der Mode in verschiedenen Jahrhunderten und die Entwicklung der Technik
•Bl 15. Jahrhundert bestimmten wesentlich das Schicksal der handgeklöppelten Spitze und
ihrer Hersteller. Während das 17. und 18. Jahrhundert mit ihren prunkvollen Moden die
Öpitzenklöppelei außerordentlich begünstigten, tat ihr die Mode der Französischen Revolu-
t,0n und der Biedermeierzeit merklichen Abbruch. Durch die Einführung der Bobinet-
Biaschine (Maschinenklöppelei) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die hand-
geklöppelte Spitze noch weiter zurückgedrängt und erlebte erst um 1900 mit dem stark ein-
setzenden Export nach Amerika einen neuen Aufschwung. Heute wird die alte Tradition
v°r allem durch die zahlreichen erzgebirgischen Klöppelschulen gepflegt.
Die Sozialgeschichte dieser Heimindustrie — das beweist S. mit zahlreichen Belegen
Br äußerst niedrige Löhne, schamloses Trucksystem und Kinderarbeit — ist ein trübes
Kapitel erzgebirgischer Wirtschaftsgeschichte.
Reiches Brauchtum und Liedgut und vereinzelte Sagen sind mit der erzgebirgischcn
^PitZenklöppelei verhaftet und ermöglichen uns wertvolle Einblicke in das Wesen der
fenschen, die Träger dieser Spitzenkunst geworden und bis heute geblieben sind. Die
-pitzenklöppelei selbst — das zeigt die Überfülle volkstümlicher Bezeichnungen für ein-
cirnischc Spitzenmustcr — ist Volkskunst. Als solche ist sie bei der Erfindung neuer
M^Bster auf die schöpferischen Kräfte der Ausübenden angewiesen und hat ,,in Herz und
Oemüt der Schaffenden tief Wurzeln geschlagen“. Erst, als sich im 19. Jahrhundert unter
Wirtschaftlichem Druck fremde Muster mehr und mehr durchsetzten, wurden diese Quellen
Clgenen Schaffens allmählich verschüttet.
gibt mit seiner Darstellung der erzgebirgischen Spitzenklöppelei auf Grund der bisher
•erschienenen Literatur eine gute Gesamtübersicht über diesen wichtigen Zweig erzgebir-
IPschen Volkskunstschaffens. Die zahlreichen Belegstellen am Ende eines jeden Kapitels
crRichtern dem Forscher tiefere Einblicke bei Spezialfragen. Zwei noch offene Wünsche des
330
Bauernwerk der Alten Welt
Lesers, nämlich den Text (etwa S. 3 5 f.) mit den dem Buch beigefügten Abbildungen (teil-
weise ohne jede Seitenzahl) zu verbinden und einzelne nicht nachprüfbare Belegstellen aus
der vorhandenen Heimatliteratur durch primäre Quellen zu ersetzen, wollen den Wert dieser
Arbeit nicht verringern. Herbert CLAUSS-Dresden
Schmidt, Leopold: Bauernwerk der Alten Welt. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung.
(= Veröffentlichungen zum Archiv für Völkerkunde, Band II, Wien 1954).
Derselbe: Bauernwerk der Alten Welt. Betrachtungen über den Stand der Erforschung des
bäuerlichen Arbeitsgerätes in Österreich. (= Archiv für Völkerkunde X, 1955, Seite 254
bis 274).
Das steigende Interesse für die Geräteforschung nicht nur in der Volkskunde, sondern
auch in den Nachbardisziplinen ließ es Leopold Schmidt geboten erscheinen, vornehmlich
aus den Beständen des österreichischen Museums für Volkskunde und des Wiener Museums
für Völkerkunde eine Ausstellung Bauernwerk der Alten Welt mit Gerätschaften aus Europa,
Asien und Afrika zu veranstalten. Es lag in seiner Absicht, einen „Überblick über das
Bauernwerk“ als „Ergebnis der Geräteforschung wie sie von den verschiedensten Fach-
richtungen her in den letzten Jahrzehnten gefördert wurde“ zu geben. Diesen Gesichtspunkt
spiegelt auch der Katalog wider, der neben der Beschreibung eines Gerätes auch die ein-
schlägige Literatur für die entsprechende Gerätegruppe verzeichnet. Der Katalog trägt so
auch bibliographischen Charakter und ist damit zum Forschungsmittel selbst geworden.
Die Fülle des in 27 Vitrinen zur Schau gestellten Materials, das zum Teil wohl un-
bearbeitet und ungenügend inventarisiert in den Depots der Museen lagerte, ließ freilich
einige Fehler in der Beschreibung der Ausstellungsstücke entstehen, was wiederum eine
heftige Kritik mancher Völkerkundler an der gesamten Ausstellung hervorrief. Immerhin
verdanken wir der daraufhin erfolgten ScHMiDTschen Entgegnung eine Reihe vortrefflicher
Hinweise und Anregungen zur gerätekundlichen Forschung, auf die im folgenden ver-
wiesen sei:
An verschiedenen Orten Österreichs hat man das Gerät der entsprechenden Landschaft
systematisch gesammelt und — beispielsweise in Graz — vorbildlich zur Schau gestellt.
Um auch den vielen Helfern draußen auf dem Lande einen Hinweis zu geben, nach welchen
Gesichtspunkten und was gesammelt werden soll, hat Hanns Koren eigens ein Merkblatt
für Gerätekunde herausgegeben.
Darüber hinaus nun schien es Sch. wichtig, die Erhebungen der einzelnen Museen zentral
zu leiten und nach Möglichkeit zu intensivieren. „Zu diesem Zweck wurde am öster-
reichischen Museum für Volkskunde das Archiv der österreichischen Volkskunde eingesetzt,
das derartige Erhebungen selbständig pflegen kann, die Ergebnisse jeweils auch museal
auszuwerten imstande ist und die Verbindung zwischen allen Quellenmöglichkeiten in die
Wege leitet.“ Indem dieses Archiv auch die Bestände aller Museen bequem erfassen kann,
läßt sich leicht ein Überblick über das im ganzen Lande vorhandene Gerät gewinnen. Bei
verschiedenen Arbeiten soll sich diese Methode schon gut bewährt haben. Ohne zentrale
Sichtungsmöglichkeit wäre manches verstreute Material kaum erreichbar.
Ein Unternehmen der nahen Zukunft soll die zentrale Sammlung der „österreichischen
Bildquellen von der Spätantike bis zum Ende der Neuzeit“, soweit sie Gerätedarstellungen
aufweisen, sein. Es erübrigt sich, die enorme Bedeutung dieser beiden volkskundlichen
Archive noch hervorzuheben. Hier entstehen nicht nur für die österreichische, sondern für
die gesamte europäische Geräteforschung Quellensammlungen, deren Einrichtung ein
bleibendes Verdienst Leopold Schmidts sein wird. Auf künftigen Kongressen wäre die
Frage zu ventilieren, ob sich an den geplanten Unternehmungen nicht auch andere Länder
mit weiteren für die Geräteforschung notwendigen Quellensammlungen beteiligen sollten.
Wolfgang JACOBEIT-Berlin
L’homme et la charrue à travers le monde
331
Haudricourt, André Georges — Delamarre, Mariel Jean-Brunhes: L’homme et
la charrue à travers le monde. Paris, Verlag Gallimard, 1955. 506S., 178 Abb., 57 Photos,
6 Verbreitungskarten. Brosch. (= Géographie humaine, Tome 25).
Das allmähliche Wiedererwachen der Erforschung des materiellen Kulturbesitzes der
ölker führte in den letzten Jahren bekanntermaßen zu Diskussionen über den metho-
'schen Weg, für den sich eine Synthese zwischen „materieller“ und „geistiger“ Volkskunde
als nötig erweist, um nicht einer zu abstrakten technologischen oder auch einer rein wirt-
schaftshistorischen Geräteforschung zu verfallen. Die Beziehung des Menschen zum Gerät,
so seine Handhabung und Funktion, seine Entwicklung und Stellung in Brauchtum und
olksglaube, seine Fabrikation durch bestimmte Handwerker, seine Rolle in der Entwick-
Ung der Produktivkräfte und damit im Fortschritt der menschlichen Gesellschaft sollte
n°twendigerweise ein Zentralpunkt der immer wieder geforderten monographischen Ge-
rateuntersuchungen sein. Eine Reihe von Arbeiten, namentlich aus der Feder österreichischer
Ur*d Schweizer Volkskundler, ist dieser Forderung nahe gekommen.
Nunmehr liegt uns das neue Buch von Haudricourt-Delamarre mit dem für die bis-
age Geräteforschung schon programmatisch zu nennenden Titel L’homme et la charrue
^°r- Programmatisch deshalb, weil sich hier der Einfluß, die Stellung des Menschen zum
erät als integrierender Bestandteil des Werkes bereits im Titel ausdrückt1).
.»L’objet tel qu’il se présente dans un musée n’est comparable qu’au squelette de l’être
^lvant ; pour le comprendre, il faut mettre autour de lui l’ensemble des gestes humaines qui
J- produisent et qui le font fonctionner“, schreibt H. in einer Studie zu seinem Werk2).
lese gestes humaines sieht er jedoch nicht allein in der unmittelbaren Benutzung des Geräts
urch den Menschen und dessen Einfluß auf die Gestaltung desselben, sondern z. B. auch in
er Wechselbeziehung zwischen der Entwicklung der Anschirrung und der des Zuggerätes.
™an dürfe ein Gerät nie allein untersuchen, sondern müsse stets bestrebt sein, den ge-
säten Arbeitskomplex, auf den es einwirke und durch den es wiederum auch Anregungen
ettlpfange, im Zusammenhang zu betrachten.
Bei einer solchen klar ausgesprochenen methodischen Einstellung wird man nicht er-
staunt sein, manches Neue und kaum Bekannte über die Entwicklung der Stangenschleife
2um Zweirädrigen Karren, die Entstehung des vierrädrigen Wagens, den Einfluß des Einzel-
ar*spanns mit Zugsträngen auf die Form der Geschirrarten und vieles andere mehr zu er-
ahren. Und in der Tat wirken alle diese Erscheinungen zusammen auf die Entwicklung des
huges, und alle wiederum sind stets abhängig von bestimmten sozialen, technischen und
üt*Vweltbedingten Voraussetzungen, also im letzten auch wieder vom Menschen.
. Es ist verständlich, daß bei dieser komplexen Betrachtungsweise die Möglichkeiten eines
einzelnen Werkes beim augenblicklichen Stand der Forschung doch wohl überschätzt
)^etden und an einigen Stellen gewisse Unklarheiten auftreten müssen. Auch die Gliederung
V^rhalb der einzelnen Kapitel wurde nicht immer ganz praktisch gewählt. Aber das sind
Mängel und Fehler, die den großen Wurf, den bahnbrechendenVersuch, die Geräteforschung
auf eine ganz neue Basis zu stellen, in keiner Weise schmälern können. Dieses Buch kann
p°ch nichts Fertiges sein. Es ist ein Anfang, ein sehr hoffnungsvoller Anfang, der große
efspektiven erkennen läßt. „Nous ne présentons pas notre ouvrage comme une ,con-
fusion1 mais comme un ,point de départ' . . . Peut-être sommes-nous parvenus aussi, de
Cette manière, à proposer certaines méthodes de recherche et quelques réflexions valables
P°ur toutes les Sciences humaines?“ (S. 464).
Bei H.-D. ist Quellenkritik die „erste“ Grundlage des Werkes; denn bereits der erste
^J^uhnitt des Vorworts beschäftigt sich mit den verschiedenen historischen Darstellungen
►p. ) Um den Unterschied auch am Beispiel deutlich zu machen, nennen wir hier nur die
ltel einiger bekannter Werke zur Pflugforschung: Entstehung und Verbreitung des Pfluges
^ ®SER 1931); Zur Verbreitung und Geschichte des Pfluges (Kothe 1948); Pflug und Ari
' 2?REN i95°)> Eiug i ralo . . . (Bratanié 1952) u. a.
' A. G. Haudricourt: Biogéographie des araires et des charrues (— Compte Rendu
^Riaire des séances de la société de biogéographie 1955, S. 77—83).
332
Der Mensch und der Pflug
von Pflügen, die in Wirklichkeit nie brauchbar gewesen sein können. „Même avec le se-
cours de toutes les puissances protectrices de l’agriculture, comment labourer un champ
avec la charrue figurée sur tel tableau, gravure ou tapisserie?“ (S. 7). In allen 21 Kapiteln
des Werkes wird immer wieder Gelegenheit genommen, auf fehlerhafte Bilddarstellungen,
falsch gedeutete und irrtümlich verstandene Textstellen hinzuweisen und davor zu warnen.
Das dritte Kapitel Problèmes de méthodes et faits technologiques ist in großen Partien nur der
Quellenkritik gewidmet. So wird auch hier zum Beispiel die sattsam bekannte Steinschar-
Hypothese behandelt und als irreal abgelehnt.
Eine wesentliche Voraussetzung gerade in der Geräteforschung ist eine saubere Termino-
logie. Verf. weisen auf die trotz der schier unübersehbaren Pflugliteratur bestehende Be-
griffsverwirrung hin, die cs teilweise nicht mehr möglich macht, einzelne Pflugtypen klar
zu definieren. „Des dissemblances fondamentales apparaissent entre ces deux instruments
si on les observe au travail“ (S. 15). Nur auf dieser Basis — und dies ist ganz unsere Mei-
nung — wird es möglich sein, klare terminologische Begriffe zu finden. ,,Se rallier à une
terminologie commune aurait déjà comme avantage une utilisation beaucoup plus précise
et sûre de nombreux travaux“ (S. 16).
Das Buch ist in vier große Abschnitte gegliedert.
Teil I (Appel à toutes les disciplines de recherches) behandelt zunächst die Unterschiede
zwischen den beiden Pflug-Grundtypen: araire und charrue3). Wenn die einzelnen Grund-
elemente beider Pflüge im wesentlichen auch die gleichen sind, werden die Unterschiede
erst bei der Beobachtung des Arbeitsganges deutlich. Sind beim araire die eigentlichen
arbeitenden Teile des Geräts symmetrisch angeordnet und liegen Zugkraft und Widerstand
dieses Pfluges in der Achsenrichtung der Deichsel, sind sie beim charrue asymmetrisch
gruppiert, was nach Meinung der Verf. wiederum einen Einfluß auf die Art der Anspannung
haben soll. Symmetrische bzw. asymmetrische Anordnung der arbeitenden Teile sind also die
fundamentalen Merkmale beider Grundtypen und nicht die äußere Form des Rahmcn-
gestells, wie Verf. gegen Leser polemisieren.
Das Kapitel L’invention de V araire hätte durch eine Auseinandersetzung mit den Theorien
Kothes zweifellos größere Bedeutung erlangt, aber — wie schon gesagt — bei einer solchen
Fülle des Materials konnten Verf. nicht allen Teilgebieten gleich gerecht werden. — Als
mögliche Vorläufer des Pfluges werden Grabstock, Spaten und Hacke genannt. Vom
Furchenstock (caschrom), den Verf. lediglich auf den Hebriden zu kennen scheinen, glauben
sie, daß ,,ce curieux instrument“ nur lokale Bedeutung habe. Sie legen sich jedoch nicht ein-
deutig auf eines der genannten Geräte als Vorläufer des Pfluges fest, sondern betonen, daß
erst eine genaue funktionelle Analyse des einzelnen Instruments erfolgen und auch die Art
der Handhabung durch den Menschen studiert werden müsse, bevor man zu letzten Schlüs-
sen gelangen könne. Ganz sicher lag es nicht in der Absicht der Verf., die Alters- und Ur-
sprungsfrage des Pfluges erschöpfend zu behandeln.
Im zweiten, dem vorwiegend historischen Teil, behandeln H.-D. Géographie et histoire
anciennes de Varaire. Sie setzen also mit der eigentlichen Untersuchung erst zu einer Zeit
ein, in der der erste Pflug (araire) bereits existiert, nämlich in Mesopotamien und Altägypten.
Von diesen ältesten Typen ausgehend werden Form, Entwicklung, Verbreitung und Funk-
tion des araire hauptsächlich in der klassischen Welt untersucht und alle Erscheinungen,
die auf ihn eingewirkt haben können, eingehend behandelt. Die Herausbildung der Viehzucht
und damit die Nutzbarmachung der tierischen Zugkraft hat zweifellos einen bedeutenden
Einfluß auf das ganze Wirtschaftssystem der alten vorderasiatischen und mittelmeerischen
Kulturen ausgeübt. In einem besonderen Kapitel werden die Wechselbeziehungen zwischen
Viehzucht und Ackerbau im Spiegel der jeweiligen Geräte besonders deutlich herausgestellt.
Auch die mit dem Pflug vergesellschafteten Werkzeuge der Bodenbearbeitung sind in diesem
Abschnitt nicht unerwähnt geblieben. — Der Rez. weiß den Verfassern besonderen Dank
für ihre Anregungen und neuen Perspektiven im Kapitel Géographie et ethnologie de la
3) araire wäre nach der deutschen Terminologie mit Rührpflug (Leser) oderWühlpflug
(Kothe), charrue mit Bodenwendepflug zu übersetzen.
Die Siedlungstypen in Deutschland
333
v°Uurc, araires et problèmes d'attelage, wenn er auch in einzelnen Fragen, z. B. der Entwick-
Ung vom Joch zum Kummet- und Sielengeschirr, mit den dargelegten Ansichten nicht ganz
0r>form gehen kann.
. L’araire contemporain; description régionale ist der Titel des dritten großen Abschnitts,
ln dem H.-D. die einzelnen Araire-Typen in ihrem gesamten Verbreitungsraum eingehend
chandeln. Auch hier werden immer wieder methodologische Fragen, die Abhängig-
st der Form und Anwendung des Geräts von jeweiligen wirtschaftlichen und politischen
. fernen, funktionellen Beziehungen und Unterschieden zu anderen Bodenbaugeräten u. a.
In den Vordergrund gestellt.
Der letzte vierte Teil des Buches ist sodann der Géographie et histoire de la charrue ge-
widmet.
Die Entstehungsgeschichte dieses Pflugtyps, auf dessen Arbeitsprinzip im letzten auch
unsere modernen voll mechanisierten Maschinenpflüge beruhen, ist noch nicht ganz auf-
gehellt. Daher auch der notwendige Appell der Verf. ,,à la technologie, la linguistique et
archéologie, à divers facteurs géographiques et sociaux et à l’iconographie“, mit besonderer
°rgfalt und klarem kritischen Urteil ihre Materialien, die zur Entwicklungsgeschichte des
charrue beitragen könnten, zu überprüfen. — In einer, wenn auch mehr aufzählenden Dar-
rel lung Signification symbolique de la charrue et les labours, croyances, rites, cérémonies,
üle dem Brauchtumsforscher sicher manches neue Material bieten wird, erweist sich noch ein-
mal die Grundkonzeption des Buches: L’homme et la charrue4).
Nan darf die Besprechung dieses ausgezeichneten Werkes nicht abschließen, ohne das
,eichhaltige Bild- und Photomaterial zu erwähnen, das — dem Rez. zumindest — zum
firoßen Teil unbekannt war und ihm wertvolle Hinweise für eigene Untersuchungen gab.
Ule Bedeutung gerade der mittelalterlichen Bilddarstellungen für die Geschichte des Pfluges
et,weist die Notwendigkeit, die entsprechenden Quellen stärker als bisher für die gesamte
Deräteforschung auszuschöpfen, ja, sie systematisch zu sammeln und archivmäßig zu er-
fassen.
Eine wsfhre Fundgrube ist der zwanzig Seiten starke bibliographische Apparat im Anhang,
üer besonders die französischen Beiträge zur Geräteforschung verzeichnet. Daß leider
namentlich in den deutschen Titeln viele Druckfehler erscheinen, sei jedoch nur am Rande
vermerkt.
Ein allerdings wesentlicher Mangel des Buches ist das Fehlen eines detaillierten Stichwort-
rÇgisters, das auch das spezifizierte Inhaltsverzeichnis nicht ersetzen kann. Ein Buch, das
j"lne solche komprimierte Fülle an Material besitzt, kann ein Register in keinem Fall ent-
behren!
>>Notre intention est d’apporter ici des matériaux nouveaux pour une géographie et une
histoire futures des populations rurales“ (S. 7), schreiben die Verf. im Vorwort zu ihrem
/*Cfk. Man darf die Ausführung ihres Vorhabens als wohlgelungen bezeichnen. Nur diesen
. eg wird die künftige Geräteforschung beschreiten dürfen, wenn auch sie ihre Bausteine
,ri das große Gebäude der Menschheitsgeschichte einfügen will.
Wolfgang JACOBEIT-Berlin
Eadig, Werner: Die Siedlungstypen in Deutschland und ihre frühgeschichtlichen Wurzeln.
Berlin, Henschel-Verlag, 1955. 183 S., iqöAbb. 8°. (= Deutsche Bauakademie, Schriften
des Forschungsinstitutes für Theorie und Geschichte der Baukunst).
Das in seiner Handlichkeit und guten Ausstattung ansprechende Buch des als Haus- und
(îcdlungsforscher verdienten KÖTZSCHKE-Schülers steht unter einer bestimmten Aufgabe,
Ulc die Bauakademie dem Verf. gestellt hat, wie bereits aus einem Geleitwort von Gerhard
j 4) Nur einige Kapitelüberschriften seien als Beispiel genannt: Fonction sociale et labour.
,,es femmes et le labourage; Charrue-symbole et procession; Les saints, patrons des laboureurs ;
^r°yances et rites: fonctions techniques et eff icacité.
334
Frilandsmuseet
S trau ss vom Forschungsinstitut für Theorie und Geschichte der Baukunst hervorgeht.
Der Versuch einer Systematisierung der Siedlungstypen entsprechend der gesellschaftlichen
Entwicklung verbunden mit der Frage nach den ersten Anfängen späterer nationaler Merk-
male, — eine Darstellung, die dem Architekten eine schöpferische Weiterentwicklung der
nationalen Tradition auch in der Siedlungsplanung der Gegenwart erleichtert. Unter die
Gesichtspunkte Heimatbild — Nationale Tradition — Neuplanung stellt auch der Verf. seine
Einleitung. Die Arbeit führt also in ein Gebiet der Volkskunde und ist auf die praktische
Auswertung der Volkskunde gerichtet.
Der erste Teil bietet eine archäologische Darstellung, die von guten Abbildungen, Aus-
grabungsplänen und Rekonstruktionsversuchen unterstützt wird. Wir verfolgen die Sied-
lungsweise von den Rastplätzen eiszeitlicher und späterer Jäger und Sammler über die
Bauernsiedlungen der vorgeschichtlichen Zeit bis zu den Siedlungen des frühen Mittel-
alters, wobei zur Ergänzung mitunter auch über die Grenzen des deutschen Gebietes hinaus-
gegriffen wird. Dem Leser wird nicht entgehen, daß das archäologische Material nicht über
die Zeiten und im Raume gleichmäßig verteilt ist. Besonders günstige Grabungsergebnisse
liegen z. B. aus dem Federseemoorgebiet in Schwaben von der mittleren Steinzeit bis zur
frühen Eisenzeit vor, in den Wurtensiedlungen Frieslands dagegen für den Ausgang der
vorgeschichtlichen Zeit bis zum frühen Mittelalter, beide Gebiete mit Schichtenfolgen, die
für die Geschichte der Wohnweise besonders aufschlußreich sind. Die Anlage befestigter
Siedlungen, das Aufkommen von Stadtburgen im Keltengebiete, das Eindringen römischer
Siedlungsformen im Rhein- und Donaulande, die Ablösung germanischer Volksburgen von
mittelalterlichen Herrenburgen, das Aufkommen von Handelsplätzen, das Auftreten sla-
wischer Wohnformen wird bei aller Knappheit geschickt gekennzeichnet. Bei Behandlung
des Mittelalters, die etwa die zweite Hälfte des Buches umfaßt, geht der Verf. von den noch
heute in ihrer mittelalterlichen Grundform erkennbaren ländlichen Siedlungstypen aus,
behandelt die städtischen Typen, hervorgegangen aus Römerstädten, aus Dörfern, aus
Handelsstützpunkten und Klöstern, aus Siedlungen bei Burgen, und schließlich Städte ohne
frühgeschichtlichen Kern, wobei das Abbildungsmaterial besonders der DDR entnommen
ist, auch in Hinblick auf die Aufbaustädte. Eine kurze allgemeine Zusammenfassung er-
leichtert die Übersicht und weist noch einmal auf das beachtliche kulturelle Erbe der Nation
hin. Umfang des Buches einerseits und Aufgabe anderseits mußten gewiß wünschenswerte
weitere Gesichtspunkte zurücktreten lassen, so vor allem den geographischen, wie der Verf.
selbst bemerkt. Ergänzende Untersuchungen zu vorgetragenen Auffassungen werden
hoffentlich folgen. Besonders zu begrüßen ist, daß die notwendige Ergänzung durch eine
entsprechende Darstellung der deutschen Haustypen, die hier nur am Rande gestreift
wurden, bereits vorgesehen ist. Die Volkskunde würde noch die Hinzuziehung der Orts-
namenforschung, der Flurforschung und anderer zur Siedlungskunde gehörender For-
schungen wünschen, doch hiermit werden bereits Gebiete berührt, die über den Rahmen
einer Veröffentlichungsreihe der Bauakademie hinausgehen. Walther ScHULZ-Halle
Uldall, Kai : Frilandsmuseet, Führer in deutscher Sprache (übersetzt von E. SchleE,
Schleswig). Kopenhagen, 1955. 68 S.
Eine der schönsten Bauernhaus-Freilichtmuseen ist die Anlage in Sorgenfri bei Kopen-
hagen. Das ist nicht verwunderlich, entstammt doch der Gedanke derartiger Museen dem
skandinavischen Raum. Uber die besondere Eigenart der Sorgenfrier Anlage sowie über die
Sorgfalt, mit der alte, für die Baugeschichte wertvolle Häuser an ihrem Standort abgebrochen
und im Museumsgelände wieder errichtet wurden, berichtete Kai Uldall, der Direktor des
„Frilandsmuseet“, bereits im August 1955 vor deutschen Haus- und Volkskundlern m
Schleswig. Nunmehr ist auch für die Hand des Besuchers dieser Anlage ein in deutsche
Sprache übersetzter Führer erschienen. Auf 46 Seiten werden in ihm die in dem Freigelände
zusammengefaßten Haustypen sowie das in ihnen gezeigte wertvolle Volksgut beschrieben
Die Architektur des ungarischen Dorfes
335
^nd Zeichnerisch dargestellt. In origineller Weise löst hierbei der Verf. die Frage der für
Cn Laien notwendigen Erläuterung von Fachausdrücken. Besondere Signaturen innerhalb
es Textes verweisen immer wieder auf den zweiten Teil des Führers, der auf 22 weiteren
eiten über 100 gute, allgemein verständliche Sachworterklärungen enthält.
Ein angehängter Lageplan erleichtert das Zurechtfinden in dem 16 ha großen Gebiet des
Museums, das den Besucher an die Eigenarten der verschiedensten Haustypen heranführt,
nicht nur der Dänemarks, sondern auch Deutschlands (Ostenfelder Haus) sowie Süd-
Schwedens.
Dieses gediegen ausgeführte Büchlein werden Wissenschaftler wie interessierte Laien
8ern in die Hand nehmen. Karl BAUMGARTEN-Rostock
A rnagyar falu epiteszete {Die Architektur des ungarischen Dorfes). Herausgeber: A. KÄROLYi,
E PerIsnyi, K. Töth, L. Vargha. Budapest, Müszaki Kiadö, 1955. 202 S.
Das unter dem obigen Titel erschienene Werk zeigt uns das Bauwesen des ungarischen
orfes vor allem vom Standpunkt der Architekten. Den Ethnographen interessiert das im
Uch enthaltene außerordentlich schöne und mannigfaltige Material an Zeichnungen und
hotographien. Diese Illustrationen bilden eine wichtige Quelle zu weiteren Forschungen.
le Illustrationssammlung wird durch drei Abhandlungen ergänzt.
dem Kapitel Siedlungen bearbeitet I. Perenyi vorzugsweise die Ergebnisse von
•Györffy und Gy. Prinz. Er unterscheidet drei Arten von Weilersiedlungen: 1. Weiler
^fine irgendein geometrisches System, 2. Straßenweiler (die Weiler reihen sich am Rande der
.aße dicht aneinander), 3. Gruppenweiler (ung. bokortanya). Die Entstehung und Ent-
wicklung dieser Formen werden aber vom Verf. nicht analysiert. I. Perenyi schreibt, daß
Ie Gruppenweiler kreisförmig, fast dorfartig zusammengedrängt erbaut sind. Der Rund-
|Appenweiler komme außerordentlich selten vor; bekannt sei nur eine einzige solche
edergruppe in der Umgebung von Nyiregyhaza. Ich möchte darauf hinweisen, daß es
Appenweiler nicht nur in der Nähe von Nyiregyhaza gibt, sondern auch in der Gegend
v°n Kalocsa, wo aus einigen solchen Gruppenweilern (ung. szalläs) in der letzten Zeit selb-
ständige Gemeinden entstanden sind. Der Autor tut recht daran, daß er die Industrie- und
^ crgmannsdörfer sowie die Entstehung der am Plattensee gelegenen Erholungsdörfer
ctvorhebt. Bei der Bestimmung der Kategorien der herkömmlichen Dorfformen folgt der
^etf. der morphologischen Klassifizierung von Gy. Prinz (Die Siedlungsformen Ungarns.
ngarische Jahrbücher, Bd. IV. Berlin-Leipzig 1924. S. 127—142, 335—352) und derhistori-
cnen Klassifizierung von I. Gyorffy {Die extensive ungarische Viehhaltung. Ungarische Jahr-
^cher, Bd. XVIII. Berlin 1938. S. 318—344)- Er weist daraufhin, daß auch noch heute im
Nördlichen Teil der Ungarischen Tiefebene die Überbleibsel der sogenannten „Gartensied-
. Ngen“ vorhanden sind. Das Wesen dieser Siedlungen besteht darin, daß im Haufendorf
Uder Landwirt zwei Gehöfte besitzt: im inneren Teil des Dorfes ist der Wohnungshof, und
Rande des Dorfes das Gehöft (ung. kert,Garten*), wo man das Vieh hält und Futter auf-
y^ahrt; hier werden auch die Ställe gebaut. Es gibt gar keinen Beweis dafür, daß, wie der
efE schreibt, in Ungarn, in Jugoslawien (!!!) in der Zeit vor der Landnahme das Reihen-
Jfmit Scheune dominierte. Die Scheune ist nicht nur mit dem Reihendorf verknüpft. Die
cheunen kommen auch in Haufendörfern und bei den Einzelsiedlungen vor. In einzelnen
. ieten vonTransdanubien hingegen stehen sie außerhalb des Dorfes (vgl. z. B. Gy.Takäcs,
letzte Sohlenbalkenscheune in Somogyjäd. Ethnographia, LXIV. 1935. S. 292—299).
jjle Dorfsiedlungen mit Scheunen sind in einzelnen Gebieten Ungarns zweifellos neueren
^Sprungs, und bei ihrer Verbreitung spielten hauptsächlich die deutschen Ansiedler des
s Jahrhunderts eine besondere Rolle (vgl. die Forschungen von J. Weidlein). Ander-
t- stehen die Scheunen in Nordungarn mit den benachbarten slawischen Gebieten in gene-
^ Аещ Zusammenhang. Unter den Höfen unterscheidet Verf. Streuhöfe, Einreiherhöfe
Zweikanter-Vierkanterhöfe, je nach der Stellung der Häuser und der Nebengebäude
336
Ccskoslovenskâ ethnografie
auf dem Gehöft. Leider erwähnt er eine der charakteristischen ungarischen Hofformen, den
Doppelhof, nicht. Das Wesentliche an dieser Hofform ist, daß das Gehöft aus zwei Teilen
besteht. Vorne an der Straße steht der Pferch. Hier hält man das Vieh, hier sieht man den
Stall. Die Wohnungsgebäude befinden sich ihrerseits weiter rückwärts. (Vgl. B. Gunda,
Doppelhöfe in Siebenbürgen und Moldau. Nep es Nyelv, I. Kolozsvar, 1941. S. 153—156,
218—222.)
L. Vargha stützt sich in dem Bauwesen betitelten Kapitel, von den Ergebnissen einiger
neuerer wichtiger archäologischer Grabungen abgesehen, auf die Werke und Forschungen
von Zs. Bätky (Eine deutsche Zusammenfassung von Zs. Bätkys Forschungen s. Das
ungarische Bauernhaus. Ungarische Jahrbücher, Bd. XVIII. Berlin 1938. S. 247—262)-
Der Verf. begründet und beweist einige seiner Ansichten nicht. Es besteht kein Grund zuf
Annahme, daß die viereckigen oder kreisförmigen, einzelligen Grubenhäuser (mit offner
Feuerstätte oder Ofen) die „an einen Platz gebundenen“ Nachkommen der Nomadenzelte,
der Jurten sind (S. 22). Der Autor schreibt, daß das ungarische Bauernhaus schon während
des Mittelalters — vor allem im Norden und im Westen — sich in die „organische und
kontinuierliche Entwicklung der mitteleuropäischen Haustypen“ eingliedert. Welcher ist
dieser mitteleuropäische Haustypus? In der Terminologie der Ethnographie kann man heute
nicht mehr von solch einem Haustypus sprechen. Die mitteleuropäischen Haustypen sind
äußerst verschiedenartig, was auch die Mannigfaltigkeit der ungarischen Haustypen beweist-
Übrigens faßt der Autor sehr nutzbringend die technischen Eigenheiten der einzelnen
(in Zs. Bätkys Studien beschriebenen) Haustypen zusammen.
Im gemeinsamen Werk enthält die Studie A. Karolyis viele nützliche Gesichtspunkte
und tiefe Gedanken. A. Kärolyi beschäftigt sich mit der Ausgestaltung des heutigen Dorf'
bildes. Sehr treffend weist er darauf hin, daß der Charakter, die Gewohnheiten und das
Familienleben des ungarischen Menschen zur Ausgestaltung des Dorfbildes beigetragef
haben. An Hand einiger schöner Beispiele macht uns der Verf. darauf aufmerksam, wie sehr
der Renaissance- und Barockstil das architektonische Bild des Dorfes beeinflußt hat. Es is£
auffallend, daß in gewissen Gegenden (z. B. in der Umgebung von Eger und Sopron) dic
barocken Formen sehr häufig sind. Der Autor spricht davon, daß die englische Neogotik
in der Architektur des ungarischen Dorfes auch Spuren hinterlassen hat. Das erklärt sich
daraus, daß in Transdanubien infolge der Ideen des großen ungarischen Staatsmannes
I. Szechenyi der hohe und der mittlere Adel neugotische Gebäude errichten ließ. VF
Wirkung dieser Gebäude zeigt sich auch an den Bauernhäusern. Es wäre wünschenswert,
daß A. Kärolyi seine wertvollen Gesichtspunkte ausführlich darlegte.
Wenn auch der Ethnograph mehreren Gesichtspunkten und Schlüssen des Buches nicht
beistimmen kann, können wir es trotzdem als ein wertvolles Quellenwerk begrüßen.
Buch ergänzt die bahnbrechenden Anregungen, welche sich an die Namen von J. PadänV'
Gulyäs, L. Miskolczy, K. Töth und anderer ungarischer Architekten knüpfen.
Bela GuNDA-Dcbrecen
C eskoslovenskä ethnografie, roenik II. Praha, Nakladatelstvi CSAV (Ceskoslovenska
akademie vëd), 1954. 430 S.
Die von der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften in Prag herausgegebeflc
und vierteljährlich erscheinende Zeitschrift Tschechoslowakische Ethnographie bringt im vot'
liegenden zweiten Jahrgang 1954 auf über 400 Seiten ein reiches Forschungsmaterial, das
nach folgenden Gesichtspunkten gegliedert ist: 1. Theoretische Probleme; 2. Tschechoslo-
wakische Ethnographie', 3. Tschechische und slowakische Folklore ; 4. Ethnographie undFolklof1
der UdSSR; 5. Slawische Ethnographie; 6. Fragen der fremdländischen Ethnograph>e’
7. Methodische Fragen; — Mitteilungen über Forschungsfahrten, eine Chronik und die GrupPc
Kritik und Bibliographie beschließen die Hefte, die durch Abbildungen bereichert sioc ■
Eine gedrängte Übersicht der wichtigsten Beiträge soll den Inhalt der auch äußerlich gc
fälligen Zeitschrift aufzeigen.
Ceskoslovenskä ethnografie
337
Der einleitende Artikel des ersten Heftes Jubileum vyznamneho badatele (Jubiläum eines
deutenden Forschers) würdigt das Lebenswerk des siebzigjährigen tschechischen For-
schungsreisenden, Indologen, Ethnographen, Anthropologen und Rcligionswissenschaft-
lers Otakar Pertold.
Sona Kovaöeviöovä behandelt in ihrem Beitrag Teoreticke problemy vyskumu a spraco-
Uania Vudoveho odevu (S. 5—11) — Theoretische Probleme der Forschungsarbeiten über Volks-
Meidung und stellte eine Reihe von Irrtümern richtig, die sich aus einer einseitigen Betrach-
tungsweise ergeben haben. Gegenüber der ästhetisch-formalistischen Einengung, in deren
^ahmen man Volkskleidung mit Volkstracht gleichsetzt, versteht K. unter Volkskleidung
>>die Kleidung des Volkes als einer in der Vergangenheit ausgebeuteten Klasse, zum Unter-
Schied von der Kleidung der herrschenden Klasse“. K. hebt weiter das große kulturelle und
Rationale Vermächtnis hervor, das in der Volkskleidung enthalten ist und in der künst-
crischen Verarbeitung heimischer Elemente im Gegensatz zu den kosmopolitischen Ideen
^er Kleidung der herrschenden Klasse besteht. Ein Studium der Volkskleidung muß die wirt-
schaftlichen Grundlagen, die soziologischen Zusammenhänge und die Verschiedenheit der
crufsarbeit berücksichtigen.
Pawel Kuschner (Knyschew) beschäftigt sich mit dem ethnographischen Studium
der gegenwärtigen dörflichen Lebensweise in der UdSSR (S. 14—25). Ausgehend von der
Klärung des Begriffes Ethnographie umreißt K. die vielfältigen Aufgaben, die sich aus den
Verschiedenen dörflichen Wohngemeinschaften in der UdSSR ergeben.
Eva Vrabcovä gibt in ihrer Arbeit Obraz V. I. Lenina a J. V. Stalina v sovetske lidove
Poesii (S. 26—5 5) — Das Bild W. I. Lenins und J. W. Stalins in der sowjetischen Volkspoesie
einen durch zahlreiche Beispiele bereicherten Überblick aus dem Volksschaffen der ver-
schiedensten in der Sowjetunion beheimateten Völker. Das Bild dieser Männer ist in
dcr sowjetischen Volkspoesie jedoch keine naturalistische „Faktographie“, kein genaues
Photographisches Porträt, sondern „die dichterische Überlieferung der sowjetischen Wirk-
lichkeit“.
Kamil Zvelebil berichtet in seiner Studie 0 vyvoji nekterych kmenu jihoindickych
58-—72, m. Abb.) — Über die Entwicklung einiger südindischer Stämme von den bisher
Weniger beachteten Stämmen der Ottar, Malaiyäli, Kallar, Maravar, Malasar, Kanikkärar
Und Kadar. Dabei konnte Z. alte Literatur der Tamilen, so das Epos Silappadikäram (2. bis
3- Jahrhundert n. Z.) verwerten.
Josef v. Scheybal begründet in seinem methodischen Beitrag 0 üloze kresby pfi näro-
pisnem vyzkumu (S. 73—89, m. Abb.) — Über die Aufgabe der Zeichnung bei der volks-
xUndlichen Forschung die Notwendigkeit der Zeichnung neben dem Plan und der Photo-
graphie, da sie einander ergänzen. So zeigt der Plan das Schema (Grund-, Aufriß, Quer-
^hnüt usw.), die Photographie aber die „Dokumentation der äußeren Form“, während die
"dchnung zwischen beiden ihren Platz hat. Sie ist eine Art Erläuterung, die die Anschaulich-
st des Planes mit der „sinnlichen Unmittelbarkeit“ des Lichtbildes verbindet.
Otakar Nahodil — VladimIr Scheufler bringen in ihrem Bericht über die ethno-
U"aphische Forschung bei den tschechischen Umsiedlern aus Wolhynien (S.90—100, m. Noten-
eisP-) reiches Material zur Kenntnis. Die jetzt im Bezirk Horsovskot^n wohnenden Re-
Patrianten sind die Nachkommen jener Landarbeiter, die in den 70er Jahren des 19. Jhs
bhrnen aus wirtschaftlichen Gründen verließen. Die drei mitgeteilten Volkslieder haben
^Auswanderung aus Böhmen und das Schicksal der Wolhynien-Tschechen in den zwei
dtkriegen zum Inhalt.
In der Chronik weist VladimIr Scheufler auf das Schaffen des Heimatforschers J. F.
^v°boda (1874—1946) hin, der als Schriftsteller, Sammler und Museumsfachmann über seine
Mährische Heimat hinaus Anerkennung fand. ,
Eas zweite Heft wird von Josef Stanislav mit dem Beitrag Zfizeni Ustavu pro ethno-
grafü a folkloristiku Ceskoslovcnske akademie ved — Die Gründung des Instituts für Ethno-
Yaphie und Folkloristik der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften eröffnet, in-
eüi es u. a. heißt: „Es genügt heute nicht, Tatsachen zu sammeln und sie der Öffentlichkeit
22 annt2umachen. Es ist vielmehr notwendig, die Tatsachen in ihrem aktuellen und ge-
^olkskunde
338
Ceskoslovenská
ethnografie
schichtlichen Zusammenhang sowie in ihrer Bedeutung für das Leben des Volkes zu stu-
dieren und zu erklären.“
Josef v. Scheybal geht es in seiner Arbeit Lidove stavby ve stfednim Pojizefi a v Pod-
jestedl (S. 113—143, m. Abb.) — Der volkstümliche Wohnbau im Gebiet der mittleren Iser
und des Jeschken darum, das Gefüge der nordböhmischen Dorfarchitektur innerhalb eines
kleinen Gebietes deutlich zu machen. Sch. hat im einzelnen die Volksarchitektur im Gebiet
der Neiße, im Kessel von Jablonne (Gabel), in der Umgebung von Osec (Oschitz) und
Öesk^ Dub (Böhm. Aicha) untersucht und kommt zu folgender Erkenntnis: „Es ist unmög-
lich, die Bauten im Isergebirge ohne Kenntnis der Volksarchitektur im böhmischen Mittel-
gebirge zu studieren und diese wird wieder ohne Kenntnis des Oberlausitzer Hausbaues
nicht genügend klar.“
Olga Hrabalovä gibt in ihrem Beitrag Nova tvorba Anezky Gorlove (S. 145—156, m<
Abb.) — Eine neue Schöpfung der Anezka Gorlovä neben dem interessanten persönlichen
Entwicklungsgang auch eine aufschlußreiche Studie über die Entfaltung der Volkskunst in
der tschechoslowakischen Volksdemokratie. Ane2ka Gorlovä kommt aus dem Grenz-
gebiet der mährischen Slowakei (Hornäcko und Dolnäcko), das an Volkslied, Volkstanz und
Volkstracht sehr reich ist, so daß ihr vielseitiges Schaffen (Lieder, Erzählungen, Kinder-
szenen) verständlich wird. Die traditionellen Holzschnittarbeiten ihres Heimatortes Borsic
und das dort besonders künstlerisch geübte Bemalen von Ostereiern führten Ane2ka
Gorlovä schließlich auch zur Malerei und Zeichenkunst.
In seiner Studie Novy arabsky pramen о vychodni a stfedni Evrope (Abü Hamid al — Anda-
lusi) (S. 157—175) — Eine neue arabische Quelle über Ost- und Mitteleuropa kommt IvaN
Hrbek zu der Feststellung, daß die mittelalterliche geographische Literatur der Araber in
der tschechischen Fachliteratur bisher nicht genügend ausgewertet worden sei, abgesehen
von den klassischen Arbeiten Lubor Niederles. Die vorliegende Arbeit setzt sich kritisch
mit einem den Orientalisten bis vor kurzem unbekannten Werke Abu Hamids Al-mu crib
'an ba'd adzü 'ib al — Magrib (Anthologie einiger Merkwürdigkeiten des Westens) ausein-
ander, dessen einzige existierende Handschrift die Bibliothek der „Real Academia de lä
Historia“ in Madrid aufbewahrt. Hrbek setzt sich in seiner Arbeit mit der Untersuchung
E. Dublers1) kritisch auseinander.
Väclav Marek beschreibt in seinem Beitrag Obydli a stavby и Laponcu (S. 176—199»
m. Abb.) — Wohnungen und Bauten bei den Lappen sehr übersichtlich Lebens- und Bauweise
dieser Halbnomaden und Rentierhirten. Die verschiedenen Typen von Zeltkonstruktionen,
die Einteilung und Einrichtung des Zeltinneren und Bemerkungen zum Leben der Lappen
ergeben ein anschauliches Bild, das in der Gegenwart immer mehr verblaßt, da die alten
Bauformen verfallen und durch neue Typen ersetzt werden.
EvaVrabcovä berichtet über die Arbeit der folkloristischen Gruppe der Ukrainischen
Expedition 1953 in die Ostslowakei und die sich daraus ergebenden Perspektiven. Besonderes
Augenmerk wurde auf das Volkslied gerichtet, so daß innerhalb von drei Wochen zwei-
hundert vollständige Liedaufzeichnungen gemacht werden konnten. Dazu kommen noch
Text- und Melodievarianten sowie hundertfünfzig Vierzeiler mit typischer Melodik. Unter den
slowakischen Liedern sind vor allem die Lieder der Auswanderer nach Amerika zu erwähnen.
Die Chronik bringt ein Referat von Jaroslav KramarIk über Die Entwicklung der
ethnographischen und folkloristischen Arbeit in der DDR und die Arbeitskonferenz deutscher
Volkskundler vom 4. bis 6. Sept. 1953 in Berlin, die von der Sektion für Völkerkunde und
deutsche Volkskunde der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin einberufen
worden war (s. DJbfVk 1/2, 1955,8. 260—269).
Das dritte Heft bringt von Olga SKALNiKOVÄ, Pfispevek ke studiu delnickeho obydh
na Kladensku (S. 219—231, m. Abb. u. Plänen) — Ein Beitrag zum Studium der Arbeiter-
wohnungen im Gebiet von Kladno. Die erforschte Gemeinde Brand^sek im Bezirk Slan^ ist
eine typische Bergarbeitergemeinde, die ein gründliches Studium der Lebensbedingungeü
x) Abü Ilámid el Granadino y su Relación de viaje por tierras Eurasiáticas. Texto árabe»
traducción e interpretación por César E. DublEr. Madrid 1953, 425 S.
Öeskoslovenska ethnografie
339
er Arbeiterklasse, des Familien- und gesellschaftlichen Lebens, der Arbeiterbewegung und
er kulturellen Erscheinungen ermöglicht. Im engeren Sinne wurden die Wohnverhältnisse
er Kladnoer Bergarbeiter in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts untersucht.
Andrej Melicheréìks Beitrag Slovenskà historickà pieseh XVI. a XVII. storocia
235—244) — Das slowakische historische Lied des 16. und 17. Jahrhunderts definiert
^*eses als ein typisches Zeitprodukt, das im Leben des slowakischen Volkes eine wichtige
kulturelle, gesellschaftliche und politische Aufgabe zu erfüllen hatte. Das Ringen um einen
Zentralistischen Staat, der Kampf gegen die selbstherrliche feudale Oligarchie spiegeln sich
ln dem slowakischen historischen Lied ebenso wider wie der starke Abwehrwille gegen die
anstürmenden Türken. Klassenkämpferische Züge sind gleichfalls nachzuweisen.
Emanuel Balas hat die Erforschung der Volkarchitektur im Gebiet von Votice und VlaSim
(S- 282—288, mit Abb.) auf einem Gebiet von ca. 550 km2 durchgeführt und wichtige Be-
Rge für die alte dörfliche Bauweise (bis 1698 zurückgehend) gesammelt. Vier wissenschaft-
lche Institutionen waren an dem Vorhaben beteiligt, und die koordinierte Forschung
^vurde durch das angewandte Karteiverfahren besonders gefördert. Auf 808 Karteikarten
^'urde das Forschungsmaterial festgehalten: 257 Beschreibungen und Situationsskizzen der
Wohnplätze, 74 bemerkenswerte Wohnbauten, 72 Lageskizzen wirtschaftlicher Anwesen,
96 Pläne, in Querschnitte. 13 Detailzeichnungen, 1205 photographische Aufnahmen.
Karel Plicka, an dessen 60. Geburtstag JlRÌ Horäk in der Chronik erinnert, ist in der
Ranzen Welt durch sein unvergängliches Prag-Buch (1940) bekannt geworden. Erstaunlich
*st die Vielseitigkeit seines Schaffens, das besonders dem slowakischen Volkslied und der
v°lkskunde gewidmet ist. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen gehören Slovenské
spevy (Slowakische Lieder), Cesky zpevnik (Tschechisches Liederbuch), Cesky rok v pohäd-
käch, pisnich, hräch a tancich, fikadlech a hàdankàch (Das tschechische Jahr in Märchen,
Liedern, Spielen und Tänzen, Sprüchen und Rätseln). Nicht vergessen darf man die bahn-
brechende Filmarbeit Plickas, denn die Filme Po horäch, po doläch (1929) und Zem spiewa
^933, der erste slowakische Tonfilm) fanden in Florenz (1930) und Venedig (1934) inter-
nationale Anerkennung.
Jaromìr Jech referiert über die Konferenz über die Volkstümlichkeit in der tschechischen
Literatur (26. u. 27. Febr. 1954 in Liblice), die viele Fragen des Volkslieds und der Folklori-
stik behandelte.
Der Verdienste Lubor Niederles gedenkt Jan Eisner im einleitenden Artikel des
Vjerten Heftes. Den Werken Slawische Altertümer, Das Leben der alten Slawen und Slawische
k eit des vor zehn Jahren verstorbenen Niederle wird nationale Bedeutung zuerkannt.
Mit dem Beitrag Parodie v ceskych a slovenskych lidovych pisnich (S. 319—336) — Die
Larodie im tschechischen und slowakischen Volkslied legt Juki Horäk ein Bruchstück seiner
ln Vorbereitung befindlichen Monographie vor, die als erste Zusammenfassung dieser
Materie in der tschechischen Literatur angesehen werden muß. An Hand von 14 Liedern,
Zum Großteil aus der Sammlung Prostonärodni ceské pisné a fikadla (Volkstümliche tschechi-
sche Lieder und Sprüche) von K. J. Erben (Prag 1864), hebt Horäk die grundlegenden
kypen der volkstümlichen Parodien auf Lieder hervor. Ihr Ziel ist im allgemeinen die
kurzweilige Unterhaltung. Daneben finden wir sozialpolitische Parodien, die in der Form
Cs Volksliedes wirtschaftliche und gesellschaftliche Mißstände angreifen.
Véra Hasalovä macht uns in ihrer Arbeit Studie Väclava Fialy k ethnografii Bojku v
z-akarpatské Ukrajiné (S. 338—364, m. Abb.) mit den Studien Vaclav Fialas zur Ethno-
&raphie der Bofken in der Karpaten-Ukraine bekannt. 1936 und 1937, als das Gebiet ad-
ministrativ der ÖSR angehörte, arbeitete der tschechische Maler Väclav Fiala in den
drfern Sirok^ Luh und Novoselic und hat in ca. 100 Zeichnungen, Aquarellen, Gra-
phiken und Skizzen die Landschaft, den Wohnbau, die Tracht, vor allem aber die Menschen
ieser Gegend einprägsam festgehalten. In der Dichtung hat Iwan Olbracht (Der Räuber
p ikola Schuhaj) diesen Landstrich geschildert. Véra Hasalovä gibt zu den Abbildungen
IaLas ausführliche volkskundliche Hinweise.
Zum siebzigsten Geburtstag des Literaturhistorikers und Volkskundlers Jikf Horäk
steuert Jan Racek einen Artikel bei, der das Verdienst Horäks als Forscher, Organisator
22*
340
Slovenski Etnograf
und Lehrer hervorhebt. Horäk gehörte bereits 1909 dem Tschechischen Arbeitsausschuß
für das Volkslied, einer Untergliederung der von dem österreichischen Ministerium für
Kultus und Unterricht eingerichteten Forschungsstelle Das Volkslied in Österreich an. Im
1953 gegründeten Institut für Ethnographie und Folkloristik hat Horäk eine führende
Stelle inne.
Die Bedeutung Josef Stefan Kubins für die Folkloristik untersucht Jaromi'rJech, von der
Bautzener Konferenz der sorbischen Volkskundler im Dezember 1953 berichtet JaroslaV
KramarIk, und über die erste ganzstaatliche Konferenz der tschechoslowakischen Ethno-
graphen und Museologen in Martin im Januar 1954 schreibt VladimIr Scheufler. Eine
Übersicht der Arbeit der sowjetischen Ethnographen im Jahre 1953 gibt J. KramarIk, eine
Besprechung des Jahrbuchs des Museums für Völkerkunde zu Leipzig, Bd. X, legt La-
dislav Holy vor, und mit einer Bibliographie der Arbeiten von Karl Marx und Friedrich
Engels zur Religion (zusammengestellt von Ivan Svitäk) wird das Jahrbuch beschlossen.
Josef LANSKY-Weimar
Slovenski Etnograf, Band 8. Ljubljana (Laibach), 1955.
Boris Orel, der uns schon lange durch seine gerätekundlichen Untersuchungen bekannt
ist, widmet über ein Drittel des achten Bandes der von ihm herausgegebenen Zeitschrift
Slovenski Etnograf Forschungsberichten aus dem Gebiet der slovenischen materiellen Volks-
kultur. Wenn Orel in einem Vorwort die Notwendigkeit solcher Forschungen für Slovenien
hervorhebt und eine Intensivierung der agrarethnographischen Arbeit fordert, können wir
dies für unseren mitteleuropäischen Bereich nur unterstreichen. Aus diesem Grunde schien
es angezeigt, unseren Leserkreis mit den Arbeiten der slovenischen Sachforscher kurz be-
kannt zu machen. Wenn das Material auch vornehmlich ihrem engeren Heimatgebiet ent-
nommen ist, dürfte doch der methodische Ansatz und die Problematik der im folgenden zu
besprechenden sechs Aufsätze von Bedeutung für die gesamte europäische Geräteforschung
sein.
Stane Gabrovec (Prazgodovinsko-arheoloSko gradivo za proucevanje rala na Slovenskem)
stellt das prähistorisch-archäologische Material Sloweniens zur Pflugforschung zusammen,
das aus Pflugscharen, Sechen, einer Grindelkette und einigen Votiv-Miniatur scharen be-
steht. Die Datierung dieser Funde ist nicht ganz einfach. Sie dürften aber der Spätlatene-
Periode angehören. Auf jeden Fall sind sie noch vorrömisch, und G. versucht nachzuweisen,
daß sie unter Beibehaltung ihrer charakteristischen Formen auch in die provinzialrömische
Kultur Noricums und Pannoniens eingegangen sind, ja, darüber hinaus von der frühslawi-
schen Kultur übernommen wurden. — Den Ursprung unserer slowenischen Schare, Seche
und der Grindelkette vermutet Verf. im ostalpinen Raum bei einer illyro-keltischen Be-
völkerung. Da diese Geräte im rein keltischen Gebiet zur Spätlatene-Zeit fehlen, können
sie keine alleinige keltische Schöpfung sein. — Schließlich glaubt G. aus der Tatsache, daß
in einem Fundzusammenhang Schar, Sech und Grindelkette festgestellt wurden, den da-
maligen Pflugtyp rekonstruieren zu können. Da die Schar nur zu einem symmetrischen
Pflug gehören kann, die Grindelkette aber ein Radvorgestell voraussetzt, kann es sich seiner
Meinung nach nur um einen Wühlpflug mit Rädern handeln.
Boris Orel selbst (Ralo na Slovenskem) hat versucht, die Arl (Wühlpflug) in bestimmten
Teilen des slowenischen Sprachgebietes durch Feldforschungen zu erfassen. Daß es ihm
gelungen ist, eine beträchtliche Zahl der verschiedensten mehr oder minder entwickelten
Arltypen festzustellen, ist ein Beweis für die Notwendigkeit und Ergiebigkeit von Feld-
forschungen in der Sachkunde. Die Herkunftsfrage der slowenischen Arlpflüge soll in einem
späteren Band des Slovenski Etnograf behandelt werden.
TonÖica Urbas (Nekaj ugotovitev o pohorskem ralu ,kavlfu) untersucht eine Arl-Variante,
die nach einer schon 50 Jahre zurückliegenden Arbeit Koprivniks charakteristisch für das
Bacherngebirge gewesen sein soll. Da man Veranlassung hatte, an der richtigen Wiedergabe
Zeitschrift für Volkskunde
341
er K.sehen Abbildung zu zweifeln, reiste U. selbst ins Bacherngebirge, um noch einiges
bber diesen Typ zu erfahren. Die alten Leute konnten im wesentlichen nur noch einzelne
* bugteile benennen und deren Funktionen erklären. Danach scheint diese Arl wohl nicht
ern böhmischen „Rochadlo“, wie K. annahm, sondern viel eher dem Mecklenburger Haken
?ü gleichen. Wenn die Untersuchung U.s auch zu keinem definitiven Ergebnis geführt hat,
lst vom methodischen Gesichtspunkt her vor allem die kritische Stellungnahme gegenüber
bem Bildmaterial älterer Autoren hervorzuheben.
Eie Egge gehört zu den bäuerlichen Gerätschaften, die bisher nur sehr ungenügend
erforscht wurden. Um so wertvoller ist der Beitrag von Fanöi Sarf (Brana na Gorenjskem)
über die Egge in Oberkrain. — S. untersucht das Gerät vor allem nach seiner Funktion und
^erwendung und kann u. a. feststellen, daß die Form mancher Eggen von der Art des
■^-ckerpflügens abhängig ist. — S. handelt auch über andere Geräte, die beim Zerkleinern
des gepflügten Erdreichs Verwendung finden: Walzen, Rechen und Schollenhämmer. —
_ur eine notwendige großräumige Untersuchung über Eggen und verwandte Geräte wird
bie Arbeit S.s ein nicht unwesentlicher Beitrag sein.
Bedeutsam für die Geschichte und Funktion der Hacke im allgemeinen ist der Aufsatz
v°n Franjo Ba§ (Karta motik na Slovenskem) über die Verbreitung der Hacken in Slo-
wenien. Aus der Vielzahl derTypen allein in seiner Heimat hat B. die 28 charakteristischsten,
v°n denen jede eine bestimmte Funktion hat, ausgewählt und kartographisch ihre Verbrei-
tung dargestellt.
Angelos Ba§ (Orodja na kmeckih gospodarstvih pod Mariborom v 18. stol.) schließlich hat
*n Hand von 34 bäuerlichen Hinterlassenschaftsinventaren aus dem 18. Jahrhundert ein
Bild der damaligen Landwirtschaft zu entwerfen versucht, indem er — sehr originell — das
Xahlenmäßige Verhältnis einzelner Geräte zueinander vergleicht. So ergibt sich z. B. aus
dem Verhältnis von Pflug zu Hacke, daß beide einen beträchtlichen Anteil an der Feld-
bestellung hatten; oder das Verhältnis vom Joch zum Kummet ist eindeutig zugunsten des
etzteren verschoben, was wiederum bedeutet, daß Pferdeanspannung vorherrschend war. —
~lese Art der Archivforschung, die Oskar Moser, Klagenfurt, in seinen gerätekundlichen
Arbeiten schon des öfteren mit gutem Erfolg angewandt hat, ist eine für die Kenntnis der
Materiellen Volkskultur eminent wichtige Quelle, die noch nicht im entferntesten aus-
§eschöpft wurde.
Es mag an dem notwendigerweise beschränkten Raum eines Zeitschriftenaufsatzes liegen,
Wenn in den besprochenen Arbeiten vorwiegend nur das Technologische zur Sprache kam.
Wir möchten aber nicht unbemerkt lassen, daß uns auch die Stellung des einzelnen Geräts
lttl Brauchtum und seine Verbindung zum arbeitenden Menschen interessiert hätte.
Wolfgang JACOBEIT-Berlin
'Vir geben unseren Lesern den Inhalt des letzten Jahrgangs der Zeitschrift des Verbandes
Vereine für Volkskunde bekannt: Zeitschrift für Volkskunde, 52. Jahrgang, hrsg. von
Elmut Dölker und Bruno Schier. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1955.
g Per Band ist Adolf Bach zum 65. Geburtstag gewidmet und enthält neben kleineren
eiträgen, Forschungs- und Tagungsberichten, Nachrichten und Besprechungen folgende
8l'ößere Aufsätze:
Bausjj^ger, Hermann: Aschenputtel. Zum Problem der Märchensymbolik
g P-Pohl, Wilhelm : Die Geschichtlichkeit des Volkstums Und der Gegenstand der Volkskunde
BuRGSTALLER’ Ernst: Über den Ausseer Flinserlfasching
p «ostaller, Ernst: Rügebräuche bei der Ernte in Oberösterreich
Eüdenthal, Herbert: Vorbemerkungen zu einer deutschen Volkscharakterkunde
ISs, Rudolf: Die religionsphänomenologische Betrachtungsweise in ihrer Bedeutung für
^le volkskundliche Forschung
342
Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie
Müller, Wilhelm: Der Kyjfhäuser — Schauplatz der großen Schlacht zwischen Armin und
Marbod?
Schier, Bruno: Der Plan eines westfälischen Freilichtmuseums
Schoof, Wilhelm: Neue Beiträge zur Entstehungsgeschichte der Grimmschen Märchen
Spiess, Karl von: Die Bedeutung der Zeitordnung in unserer Überlieferung
Weber-Kellermann, Ingeborg: Berliner Sagenbildung 1952
Wolf-Beranek, Herta: Arbeit, Sitte und Brauch der Bergleute von Graupen im Sudeten-
land
Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrar Soziologie, herausgegeben von Günther Franz.
Jahrgang i, 1953 bis Jahrgang 4, 1956. Frankfurt/Main, Verlag der Deutschen Land-
Wirtschaftsgesellschaft (DLG).
Eine Zeitschrift, die sich die Pflege der Geschichte des Bauerntums und der Landwirt-
schaft angelegen sein lassen will, kann der volkskundlichen Fragestellung nicht entraten.
Dieser Notwendigkeit hat der Hrsg, der im halbjährlichen Turnus erscheinenden, o. g. Zeit-
schrift von Anfang an Rechnung getragen, indem er nicht nur in einzelnen Beiträgen,
sondern vor allem auch in den Buchbesprechungen volkskundliche Themen zu Worte
kommen läßt.
Da die Zeitschrift in volkskundlichen Fachkreisen noch weitgehend unbekannt ist, halten
wir es für angebracht, unsere Leser wenigstens über den Inhalt der einzelnen Hefte, sofern
er im Interessengebiet unserer Disziplin liegt, zu informieren:
Jahrgang 1/1953
Heft 1:
August Skalweit: Benekendorfs Oeconornia Forensis.
Paul Honigsheim: Entstehung und Entwicklung des Interesses an Landvolk und Landwirt-
schaft seit der Aufklärung.
Heft 2:
Friedrich Walther: Karte und Agrargeschichte.
Wolfgang Metz : Waldrecht, Hägerecht und Medern — Gedanken zu einer Genesis der
Siedlerrechte.
Gertrud Schröder-Lembke: Die Hausväterliteratur als agrargeschichtliche Quelle.
G. Duncan: Die Entwicklung der Agrarsoziologie auf den britischen Inseln.
I. M. G. van der Poel: Die Pflege der Agrargeschichte in den Niederlanden.
Franz Hüter: Die agrarhistorische Forschung in Österreich seit 1945.
Jahrgang 2/1954
Heft 1:
August Skalweit: Vom Werdegang des Dorfhandwerks.
Wolfgang Jacobeit: Zur Geschichte der Pferdeanspannung.
Alfred Dieck: Über das Alter des Buchweizenanbaues in Nordwestdeutschland.
Karl A. Sinnhuber: Eine agrarhistorische Tagung in London.
Heft 2:
Wolfgang Metz: Das Problem des Capitulare de villis.
Siegfried Sudhof: Das deutsche Pelzbuch des Mittelalters und seine Einflüsse auf diß
europäische Gartenliteratur der Neuzeit.
Gertrud Schröder-Lembke : Entstehung und Verbreitung der Mehr felderwirtschaft in
Nordostdeutschland.
Karlv. Kunowski: Stellung und Behandlung des Problems „Mensch(< in der Landwirt'
Schaftswissenschaft.
Georges Duby: Die agrargeschichtliche Forschung in Frankreich seit 1940.
Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie
343
Heft i:
Jahrgang 3/1955
Hurt Mantel: Bedeutung und Aufgaben der Forstgesellschaften.
zJANs Mortensen: Zur Entstehung der Gewannflur.
h-MlL Ploss: Zum Roßarzneibuch Meister Albrants.
J °AN Thirsk: Die agrargeschichtliche Forschung in England seit 1945.
Heft 2:
^°LFgang La Baume: Das Hausrind im Altertum.
öuRchard Brentjes: Der Pflug — Ein Forschungsbericht.
^Bdmund Hatt: Das Eigentumsrecht am bebauten Grund und Boden.
Herbert Schönebaum: Bäuerliche Rechtsquellen in Obersachsen.
Heorg Weippert: Strukturwandlungen im ländlichen Lebensbereich.
Hans Linde: Neue Dorf Untersuchungen.
Jahrgang 4/1956
Heft 1;
Horst Requate: Zur Geschichte der Haustiere Schleswig-Holsteins.
Hurt Scharlau : S-Formen und umgekehrte S-Formen unter den deutschen und englischen
Landstreifenfluren.
albrecht Timm: Zur Geschichte der Erntegeräte.
Hans Wächter: Altpreußische Scheffelgrößen.
Hertrud Schröder-Lembke : Die mecklenburgische Koppelwirtschaft.
Hottlieb Klauder: Entwicklung des landwirtschaftlichen Zeitschriftenwesens.
Heft 2:
Siegfried Sudhof: Die Stellung der Landwirtschaft im System der mittelalterlichen Künste.
Karlheinz Blaschke: Soziale Gliederung und Entwicklung der sächsischen Landbevölkerung
im 16. bis 18. Jahrhundert.
Hermann Noack : Bauernglaube in der Wandlung.
Wolfgang JACOBEIT-Berlin
Forschungen zur Vor* und Frühgeschichte
Herausgegeben vom Institut für Vor- und Frühgeschichte
der Karl-Marx-Universität Leipzig
Nr. i
Leipziger Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte
Festschrift zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Friedrich Behn, Leipzig
V, 167 Seiten mit 166 Abbildungen und 12 Karten im Text und auf 38 Tafeln
1955. Gr. 8°. DM 15,20
Nr. 2
Varia Praehistorica
153 S. mit 39 Abb. i. T. und 16 Bildtafeln. 1957. Gr. 8°. DM 14,—
Die neue Schriftenreihe will eine Sammelstätte sein für die sächsische und allgemeine Vor-
geschichtsforschung und Heimatkunde. Neben Heften mit mehreren Beiträgen sind auch
Monographien vorgesehen. Für den weiteren Ausbau sind besondere Abteilungen für
Bibliographie, Bücherbesprechungen und kurze Mitteilungen wichtiger Neufunde geplant.
JOHANN AMBROSIUS BARTH/VERLAG/LEIPZIG
Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Volkskunde
der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
BAND 10
INGEBORG WEBER-KELLERMANN, BERLIN
Ludolf Parisius und seine altmärkischen Volkslieder
1957. VIII, 794 Seiten — 40 — Ganzleinen DM 39,—
In der Zeit des entscheidenden sozialen und kulturellen Wandels um die Mitte des ver-
gangenen Jahrhunderts sammelte Ludolf Parisius aus mündlicher Überlieferung altmärkische
Volkslieder. 782 handschriftliche Liedaufzeichnungen gibt dieses Werk wieder: Balladen,
Liebes- und Soldatenlieder, Lieder der Bauern und Handwerker und solche religiösen und
geselligen Inhalts.
Der Band veranschaulicht mit seinen Liederrepertoires und Charakteristiken der Gewährs-
leute das altmärkische volkstümliche Singen und Volksliedleben in seiner sozialen, ethischen
und brauchtümlichen Aussagekraft. Ein ausführlicher Kommentar liefert dem Volkslied-
forscher reiche Literaturbelege und faßt die vielen Varianten zu bestimmten Liedtypen zu-
sammen. Eine Kartenbeilage zeigt das Bild der erfaßten Ortschaften. Drei alphabetische
Register verzeichnen Liedgruppen, Liedanfänge und plattdeutsche Texte.
Bestellungen durch eine Buchhandlung erbeten
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN
Tafel III
Die Anbetung der Könige
Der Mohrenkönig
Tafel VH
Der Garten Eden
I
Tafel VIII
Der Lebensbrunnen
ABHANDLUNGEN
Adolf Spamer f
P(h)ol ende Uuodan
Zum zweiten Merseburger Spruch
Vortrag, gehalten vor dem Plenum der Deutschen Akademie der Wissenschaften
zu Berlin am 2. Juni 1949.*
P(h)ol ende Uuodan vuorun zi holza.
dû uuart demo Balderes uuolon sin vuoz birenkit.
thü biguolen Sinhtgunt, Sunna era suister;
thü biguolen Frîia, Voila era suister;
thü biguolen Uuodan, sô hê uuola conda :
sôse bênrenkî, sôse bluotrenkî,
sôse lidirenki :
bên zi bêna, bluot zi bluoda,
lid zi geliden, sôse gelîmida sîn !
Es ist lediglich ein kleines Denkmal unseres frühen Schrifttums, eine Krankheits-
^eschwörung von nicht einmal einem Dutzend Verszeilen, zu der ich einige Be-
merkungen machen möchte. Aber dieser allbekannte zweite Merseburger Zauber-
sptuch ist nicht nur der meist gedeutete und doch in manchen Fragen bis heute
m°ch wie zu Zeiten seiner Entdeckung umstrittenste Text des deutschen Altertums.
iri den Bemühungen zur Klärung seiner Probleme spiegelt sich ein gut Stück Ge-
richte unserer geisteswissenschaftlichen Forschung auf den Gebieten der Alter-
tutns- und Religionswissenschaft, der Mythologie und der psychischen Ethnologie
rier. Und zwar in jener, schnell über den deutschen Raum hinausgreifenden Weite,
nicht allein der Stoff bedingte, sondern die zugleich abgesteckt war durch jene
§roßen Etappen unseres gemeineuropäischen Forschungsganges, hinter dem das
a^gerneine Weltbild verschiedener Epochen stand. Romantische Mythendeutung
uPd Mythenschöpfung, philologisch-historische Textforschung und auch (wenn-
§Eich in minderem Maße) vergleichende Völkerpsychologie haben sich nachein-
aPder — und doch oft bis in unsere Tage hinein unklar ineinander verfließend, bis-
XVeÜen auch sich glücklich ergänzend — an der Erhellung unseres Denkmals ver-
acht.
) Das Manuskript dieses Beitrages stammt aus dem Nachlaß Adolf Spamers und war
ihm in dieser Form nicht für den Druck bestimmt. Doch halten wir seine Ausführungen
r so wesentlich, daß wir sie, abgesehen von einigen ergänzenden Literaturangaben, un-
Verändert wiedergeben.
Die Schriftleitung
348
Adolf Spamer f
Am 3. Februar 1842 hielt Jacob Grimm in unserer Akademie seine schnell
berühmt gewordene Lesung Über zwei entdeckte Gedichte aus der Zeit des deutschet1
Heidentums1), in der er jene beiden Zaubersprüche, die GEORG WAITZ ein Jahr
zuvor in einer Sammelhandschrift religiöser Texte des Domkapitels von Merseburg
(Ms. 58) aufgefunden und Grimm zur Verwertung übergeben hatte, erstmals der
engeren Fachwelt zugänglich machte. Es war Jacobs erster Vortrag nach seiner
Berufung in die Akademie (1840), doch nicht seine früheste Bekanntschaft mh
jenem Verrenkungssegen-Typus, der ihm nun in der Merseburger Handschrift mh
anscheinend sieben Namen germanisch-deutscher Gottheiten entgegentrat, von denen
zwei in dem System der nordischen Mythologie gänzlich unbekannt waren (Phol;
Sinthgunt). Hatte er doch bereits im Anhang der Erstauflage seiner Deutschen
Mythologie (Göttingen 1835) eine dänische, schon im 18. Jahrhundert aus mündlicher
Überlieferung aufgezeichnete Parallele in christlichem Gewand verwertet, an
gleicher Stelle auch (S. CXXXII) auf eine in Deutschland aufgefundene, lateinisch
geschriebene, weitläufig verwandte Variante aufmerksam gemacht, in der Petrus,
Michael und Stephanus zusammen wandelnd, den Schaden des Rosses beseitigen.
Welche Bedeutung Grimm der Entdeckung der beiden stabenden Merseburgsprüche
zumaß, offenbaren seine Worte von dem „Kleinod ..., welchem die berühmtesten
Bibliotheken nichts an die Seite zu setzen haben“. In bewunderungswerter Akribie
geht der Akademievortrag allen wesentlichen Problemen nach: der Handschriften-
heimat (für die er auf Grund sprachlicher Kriterien Thüringen annimmt), der Zeh
der Segenniederschrift (10. Jh.), der Entstehungszeit des Segens (mindestens 8. Jh>
vor der Bekehrung, der erste Spruch älter als der zweite), der sprachlichen Be-
schaffenheit (die angelsächsischen Elemente überwiegen die althochdeutschen), der
Frage, auf welchem Weg die heidnischen Segen in ein christliches Buch kamen
(GKIMM neigt dem Gedanken einer mündlichen Überlieferung zu). Vor allem aber
beschäftigte sich der Vortragende mit der Deutung jener Namen, die ihm un-
streitig germanische Götter schienen, und hier wieder in erster Linie mit Phol und
Balder und deren Namen- und Personenverhältnis. „Phol ist ein unerhörter Name,
ein Gott, in allen mythologischen Wörterbüchern bisher noch verleugnet, desto
höheren Wert empfängt er für uns, und desto mehr haben wir Mühe an ihn zu wen-
den.“ Er glaubt, daß er der gleiche Gott sei wie der Lichtgott Balder, etwa „ein unbe-
kannter Name Balders“ (S. 12), doch läßt er auch die Vermutung offen, er möge ein
(mit Loki verwandter) teuflicher Dämon sein, und verweist darauf, daß im Henne-
bergischen und in Thüringen der Teufel der böse Fal (Fahl, Fäl) genannt werde,
ja er verschweigt nicht „wenn auch noch so problematische Bezüge“ wie die von
Phol auf das mhd. valant (Teufel, teuflisches Wesen, Heide u. dgl.) oder die Deutung
des südwestdeutschen Pfahlgrabens als Phol-, d. i. Teufelsgraben. Die Existenz des
Gottes in Deutschland versucht er aus allerlei Lokalbezeichnungen (darunter wieder
Pfahlgraben — Pholgraben), dem pfälzisch-saarländischen Pfultag (Pulletag) u. dgl-
Namen zu beweisen. Zeigt sich in all solchen Hypothesen die sorgsam abwägende
1) Philologische und historische Abhandlungen der Kgl. Akademie der Wissenschaften
zu Berlin 1842.
P(h)ol ende Uuodan
349
^rt Jacob Grimms, so blüht in seiner „mythologischen Erklärung“ des Spruches
(S. 13 h) doch noch die visionäre Poesie der Romantik, die den tieferen Sinn der Be-
schwörung folgendermaßen zu deuten versucht: „Sobald des Sonnengottes Roß er-
lahmt und es seinen Umlauf zu unterbrechen genöthigt ist, läuft alles Gefahr, und
Nichts ist den gütigen Gottheiten angelegener als schleunig sie abzuwenden; Heilun-
gen und Beschwörungen vorzunehmen war ein Frauengeschäft, darum sich auch hier
Vler hehre Göttinnen des Zaubers unterfangen, obwohl vergebens; erst dem Ober-
haupt aller Götter gelingt es, ihn zu lösen.“
Die zwingende Persönlichkeit JACOB Grimms strahlt noch in der Forschung
seiner germanistischen und mythologischen Epigonen das ganze Jahrhundert — ja
Vlelfach bis zu unseren Tagen — nach, weist ihnen Gedankenwege, Stoffbegren-
2ungen und Ziele auf, läßt sie die Probleme in seinem Geist, seinerVorzeichnung
erschauen. Die Lesung des Textes bot mit Ausnahme der Namen nie besondere
Schwierigkeiten, so daß erst 1923 FERDINAND WREDE in den Sitzungsberichten der
^reußischen Akademie der Wissenschaften XIV (S. 85—90: Zu den Merseburger
Zauber sprächen) wesentlichere Korrekturen des dargestellten Geschehnisverlaufes
aAmeldete. Nach Wredes Auffassung bietet unser Spruch zwei sich folgende Händ-
igen: zuerst hätten die vier Göttinnen (Sinthgunt, Sunna, Frija, Volla) vergeblich
an dem verletzten Bein des Balderrosses herumzurenken versucht, um dann nach dem
Pchlschlag ihres Bemühens Wodan durch Phol herbeiholen zu lassen, der nun als
Wegweisender Bote des obersten Gottes auch zuerst genannt werde. Zur Stütze dieser
Hypothese faßt WREDE das birenkit, auf die Grundbedeutung des bi (gr.amphi) ver-
weisend, als imperfectiv (durativ) auf und liest biguolen, tatianische Konstruktionen
heranziehend, bald als plusquamperfectum bald als perfectum. Solchem Ver such muß
freilich die Tatsache entgegengesetzt werden, daß damit der 2. Merseburger Spruch
eine außergewöhnliche Sonderstellung einnähme, da keiner der unzähligen deutschen
und außerdeutschen Segen mit „epischen“ Eingangslegenden eine derartig kompli-
^lerte Doppelhandlung aufweist. Auch sind syntaktische, grammatikalische und
J°gische Erwägungen vom Standpunkt eines klassischen Ideals, die sich in der
Textkritik hochliterarischer Erzeugnisse bewähren, wenig am Platze gegenüber der
111 ihrer eigenen Logik und Formensprache redenden Lebenswelt der Segen und Be-
schwörungen. Und solches Bedenken gilt in erhöhtem Ausmaß dem Versuch
Friedrich Kauffmanns (Hermann Paul u. Wilhelm Braune: Beiträge z.
beschichte der deutschen Sprache u. Literatur XV, S. 207, künftig zitiert PAUL-
&RAUNE: Beiträge; Balder. 1902, S. 221), der zwei Göttinnen (Sunna und Volla)
v°m Ritt ausschließen möchte, weil er das Fehlen der Copula „und“ zwischen
Sinthgunt und Sunna, Frija und Volla (das bereits JACOB Grimm beunruhigt hatte)
ais Zeichen dafür ansah, daß sie nicht dem Gefolge Wotans angehörten. Doch hat
eine solche Vermutung, die den Segendichter in echt schulmeisterlicher Weise
Parenthetisch und zwecklos über die Verwandtschaftsverhältnisse dozieren läßt,
Wgteiflicherweise wenig Gegenliebe gefunden. Daß die letzte, in ihrer Deutung
Unfalls angezweifelte Spruchzeile, schon von GRIMM richtig gelesen war, hat
^ERDINAND Ohrt {Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens VI (1934—35),
P’ *87) durch den Verweis auf eine übereinstimmende Fassung eines christlichen
350
Adolf Spamer f
Segens des 14. Jahrhunderts erhärtet. Auch hob dieser an der gleichen Stelle
(Sp. i86f.) sicher zu Recht hervor, daß die Beschwörung der vier Frauen kein
fruchtloses, sondern ein vorbereitendes, förderndes Tun war, wie die vergleichende
Segenforschung völlig klar beweist: In dem Dreifrauensegen haben alle drei Frauen
Anteil an den Heilungen, aber die dritte vollendet das Werk. Die auf Wodans Ein-
greifen bezogenen Worte so he uuola concla lassen sich sinngemäß übersetzen mit
der es am besten verstand.
Unter solchen Umständen beschränkten sich die Diskussionen nach GRIMM fast
völlig auf die Personendeutung unseres Spruches, insbesonders Phols und Balders.
Es war der norwegische Philologe ELSEUS SOPHUS BuGGE, der die Gewißheit
JACOB Grimms, daß wir durch den Merseburger Zauberspruch „eines göttlichen
Balders in Deutschland völlig sicher“ wurden (Dt. Mythologie, 4. Aufl., S. 1030),
ins Wanken brachte, indem er in seinen 1881 erschienenen Studier over de nordiske
gade og heltensagne oprmdelse2) „balderes“ nicht als Göttername, sondern als ein auf
Wodan (oder Phol) bezogenes Appellativum (Herr) auffaßte, so wie es uns in
skandinavischen, besonders aber in angelsächsischen Quellen (bealdor), auch auf
Christus bezogen, entgegentritt. Gegenüber dieser appellativen Lösung hat be-
sonders EDWARD Schröder in seinem Aufsatz Beiisars Roß3) ernsthafte Bedenken
angemeldet, weil die appellativische Bedeutung sekundär und lediglich eine poetische
Metapher aus der Werkstatt der Berufsdichter sei. Seit jener Zeit stehen sich die An-
hänger beider Auffassungen gegenüber. Wohl hat KARL Helm das Für und Wider
zusammenfassend und der appellativischen Lösung zugeneigt (PAUL-BRAUNES Bei-
träge 6-j [1945], S. 218 — 222), betont, daß auf deutschem Boden keine sicheren
Belege für den Namen eines Gottes Balder vorhanden seien, da auch die (wohl
batavische) Weiheinschrift „uleo Macusao Baldruo Lobbono“4) in ihrer Deutung
unsicher sei, während stärkere Gründe für das Vorhandensein eines (freilich un-
mittelbar ahd. auch nicht belegten) Appellativums balder — Herr sprechen. Dagegen
verharren andere auf dem Standpunkt, daß der zweite Merseburgspruch Balder
für den deutschen Raum bezeuge. Auch Gustav Neckel gehörte, seine frühere Auf-
fassung revidierend, zu ihnen5), sowie neuerdings SIEGFRIED GUTENBRUNNER (a. a.
O., S. 63), der von dem „mit Unrecht öfters abgelehnten Zeugnis des zweiten Merse-
burger Zauberspruches“ redet. Die Bedeutung dieser Streitfrage (bei der ich persön-
lich HELMS Auffassung zuneige, zumal die einzige Funktion Balders in unserem
Segen die wäre, daß er der Reiter eines Rosses ist, dessen Fuß Schaden erleidet) liegt
auf der Hand. Müßte anderenfalls doch nicht nur das trotz aller Bemühungen
höchst undurchsichtige Balderproblem neu aufgerollt, sondern auch die Herkunfts-
frage unseres Textes unter neuen Gesichtspunkten erörtert werden.
2) Deutsch von Oskar Brenner: Studien über die Entstehung der nordischen Götter-
und Heldensagen. 1889, S. 296ff.
3) Zs. f. deutsches Altertum 35 (1891), und Anz. 17.
4) Siegfried Gutenbrunner: Die germanischen Götternamen der antiken Inschriften.
1936, S. 210, Nr. 31.
5) Kultur der alten Germanen. In: Hdb. d. Kulturgesch. 1. Abt. Potsdam 1934.
P(h)o 1 ende Uuodan
351
Gegenüber dem Balderproblem blieben die Bemühungen zur Lösung der Phol-
frage ganz im Bereich des Ratens und Glaubens. Bis heute hat Grimms Vermutung
ejner Identität von Balder und Phol zahlreiche Anhänger behalten. Phol gilt dann
als ein Abbild des zu fröhlichem Wettlauf am Morgenhimmel aufsteigenden
2 wielichtgottes 6) oder auch als „der Himmelsgott in seiner Fruchtbarkeit und
Fülle“7). Andere bezeichnen ihn, eine Mittelstellung einnehmend, als einen selb-
ständigen Gott, der sich aus einem ursprünglichen Bei- oder Doppelnamen Balders
entwickelt habe und der wohl ursprünglich der Bruder, Freund oder Diener jenes
gewesen sei (WREDE, a. a. O., S. 88), oder sie halten ihn für ein männliches Pendant
der Volla8) und einen „heroisierten König“9) als „Personifikation der Kraft und
Größe“, den „großen Friedensfürst, den Herrscher des goldenen Zeitalters“10).
Sophus BUGGE hat ihn (vermutlich veranlaßt durch den Vergleich Grimms zwi-
schen Phol Balder und Phöbus Apollo) zunächst zu einem Apollo als bösen Geist
stempeln wollen (a. a. O., 1889, S. 296fr.), worin ihm Gering, ZACHER, PAULUS
Cassel und Golther beistimmten. Später (Zusätze 1889, S. 546) erblickte er
dann in Phol den heiligen Paulus. Dagegen sahen in ihm EUGEN MOGK (in: Iioops
fteallexikon 3, 422f.) und ELARD HUGO MEYER (Myth. d. Germanen, S. 392L) eine
kleine Lokalgottheit. All diese Vermutungen und Behauptungen entbehren jeder
sachlichen Grundlage.
Den letzten Versuch, die P(h)ol-Frage einer Lösung näher zu bringen, machte
*943 Siegfried Gutenbrunner11), indem er (im Gegensatz zu Wrede, der auf
die Tatianischen Schreibungen ph für pf hinweist, eine Stabung von Pf zu v unrein
empfindet und darum zwei Eventualvorschläge, die bisherige Überlieferung korri-
gierend, brachte: ahd. wuol, mh. wul oder wol, as. wol, desgl. ae., = Verderben,
Niederlage, Seuche oder aber Hol — ahd. hol, höla, ae. heale = Leistenbruch. Ich
komme noch auf diese Vermutungen zurück, die GUTENBRUNNER im übrigen
Nieder in eine nordische Mythenspekulation einbaut, die ihn schließlich dazu führt,
daß er in Hol einen Beinamen Balders als göttlichen Vertreters der Fruchtbarkeits-
dämonen sieht. Schließlich muß noch jener P(h)ol-Deutung als „Fohlen“ gedacht
Werden, die zuerst von FRIEDRICH WÄCHTER in die Debatte geworfen, von Grimm
kurz abgelehnt wurde. WALTER PREUSLER hat diesen Gedanken 1922 erneut auf-
gegriffen12), und WALTER Steller, sich ihm anschließend, ihn in einer längeren Ab-
handlung zu stützen versucht13), die dieses Fohlen mit Odins Sleipnir sowie dem Ritt
über die Brücke Bilfrost zusammenbringt und sich in weitschweifige Erörterungen
dfier das mythische Roß als Leichen- und Sturmdämon verliert. Auch in HlNDRIN-
6) Felix Niedner. In: Zs. f. deutsches Altertum 43 (1899), S. 108.
7) Friedrich v. d. Leyen. In: Bayrischer Heimatschutz X (1912), S. 53.
8) Kauffmann: Balder. 1902, S. 221.
9) Ders. In: Paul-Braunes Beiträge XV, S. 208.
10) von Grienberger. In: Zs. f. deutsche Philologie 27 (1895), S. 433—462.
u) Der zweite Merseburger Spruch im Lichte nordischer Überlieferungen. In: Zs. f.
Rutsches Altertum 80 (1943), S. 1—5.
12) Beiträge zur Deutschkunde. Festschrift Theodor Siebs zum 60. Geburtstag, 1922,
44f.
13) Zs. f. Volkskunde II, 40 (1930) S. 61—71.
352
Adolf Spamer f
GERS Buch Weiheroß und Roßweihe (1932, S. 8) ist die Gleichung Phol = Fohlen
(Roß) eingegangen, von CARL CLEMEN14) aber abgelehnt worden. Und zwar schien
diesem jene Vermutung „nicht wahrscheinlich“, „weil dann das Roß vor Wodan
genannt werde“, während STELLER umgekehrt die Voranstellung des Pferdes mit
der zeitlichen „Priorität des dämonischen Rosses gegenüber der anthropomorphen
Erscheinungsform des Totengottes Wodan“ begründet. Ein kurzer Blick in die
Bestände unserer Segen zeigt die Haltlosigkeit all solcher Grübeleien über die Vor-
anstellung des P(h)ol in der Aufzählung der Fahrtteilnehmer, die jenem erst zu
einer erkünstelten Bedeutung verhalfen. Verkehren doch in der Welt der Beschwö-
rungen Götter, Heilbringer und schädigende Dämonen, Menschen, Tiere, Bäume,
Pflanzen und Heilmittel, ohne Vorrechte zu genießen, gleichberechtigt auf gleicher
Ebene. Aus diesem Grunde wäre auch eine Lesung „Das Roß und Wodan ritten zu
Walde“, durchaus möglich, analog dem Segen „Die Kuh und die Pogg die gingen
zusammen in den Wald“. Aber das Pferd (Fohlen) heißt ahd. weder phol noch pol,
sondern uuolo (ags. fola), wie es uns auch in der zweiten Zeile durchaus richtig als
uuolon (Dat.) entgegentritt, und selbst dem lüderlichsten Schreiber (und der Auf-
zeichner unserer Merseburgsprüche zählt nicht zu jenen) wird man schwerlich
unterschieben können, daß er ausgerechnet im ersten, nur drei Buchstaben
umfassenden Wort seines Textes sich in Pol statt uuolo verschrieben habe. Aus
diesem Grunde scheint mir die Fohlendeutung unwahrscheinlich.
Wie aber noch bis in unsere Zeit diese gegensätzlichen Auffassungen neben-
einander hergehen, zeigt ein einfacher Blick in unsere wissenschaftlichen Literatur-
geschichten: Gustav EhrisMANN15) sagt „Phol (d. i. Balder) und Wuodan ritten
in den Wald“, GEORG BÄSECKE16) erzählt,,... wie Wodan mit Balder zu Walde ritt“
und ANDREAS HEUSLER17) schildert, daß „zwei Götter Fol balder, Voll der Herr
und Wodan in den Wald ritten und Fols Roß sich das Bein verrenkte“ usw.
Abseits solcher mehr oder minder nutzlosen Versuche steht die Ausgrabung und
Sammlung neuen Segenmaterials, das die Erkenntnis fördert. Noch im gleichen Jahr,
als JACOB Grimm seinen Akademievortrag hielt, brachte die erste Auflage von
CHAMBERS Firesidestories (S. 37) eine schottische Fassung des Verrenkungssegens,
ließ SAVVAITOV in einer Moskauer Zeitschrift eine russische Parallele drucken, und
in den folgenden Jahrzehnten wächst die Zahl der Funde in ständiger Steigerung.
Als ein Jahr nach Jacobs Tod Adalbert Kuhn seine noch mit jenem besprochene
Abhandlung Indische und germanische Segenssprüche veröffentlichte18), konnte er
auf zahlreiche Verrenkungssegen aus England, Schottland, Dänemark, Norwegen,
Schweden, Rußland, Estland und Altindien verweisen. In seiner Entdeckung, daß
sich die konjurative Befehlsformel des Merseburger Zauberspruchs bereits in den in
wortreicher Kunstsprache dargebotenen Beschwörungsliedern des Atharvaveda vor-
findet, besteht der Hauptwert der KUHNschen Untersuchung. Seine Vermutung aber,
14) Altgerm. Religionsgesch. 1934, S. 60.
15) Gesch. d. deutschen Lit. bis zum Ausgang des Mittelalters. 1. Teil. 1918, S. 98.
16) Vor- und Frühgeschichte des deutschen Schrifttums. 1940, S. 69.
17) Die altgermanische Dichtung. 2. Aufl. 1941, S. 58.
18) Zs. f. vergl. Sprachforschung XIII (1864), S. 49—74; 113 —157.
P(h)ol ende Uuodan
353
daß der erzählende Eingang solcher Beschwörungsformeln sich erst auf germanischem
Loden ausgebildet habe, ist inzwischen richtiggestellt worden, indem nicht nur die
römische Magie, sondern auch Alharvaveda-Lic&zt selbst solchen Aufbau haben.
Wie sich inzwischen das Segenmaterial auch der Verrenkungsbeschwörungen
yermehrte, zeigen die umsichtigen und doch begreiflicherweise den Stoff" nicht
erschöpfenden, auf ein verhältnismäßig enges Gebiet bezogenen Zusammenstel-
lungen des Osloer Folkloristen Reidar Th. CHRISTIANSEN19), die neben 25 deut-
Schen (überwiegend norddeutschen), 11 englischen, 14 dänischen, 38 norwegischen
und 35 schwedischen Varianten, 123 estnische, 278 ostfinnische, 127 westfinnische
Und 20 schwedenfinnische Belege buchten. In den inzwischen abgelaufenen 35 Jahren
hat sich dieses Material vervielfacht.
Neben solcher Sammelarbeit aber verlieren sich bis über das Jahrhundert hinaus
nicht die Sinndeutungen dieses Verrenkungsspruchs in immer abseitigeren Irr-
gärten der Mythologie. Schon 1903 hatte ELARD HUGO Meyer20) den Vorgang
her Erzählung, sich an die Deutung JACOB Grimms in dessen Mythologie (4. Aufl.,
N 186) anlehnend, in das Bild gefaßt „Balder kommt in der Morgenfrühe eines
Jagdtages als Gott des Tageslichtes, des Morgenzwielichtes. Aber wenn die strahlende
Sonne aufgeht, erblaßt sein sanfter Glanz, der Frühschein schwindet“. Und ähnlich
glaubte FELIX NlEDNER21), daß unser Spruch als Tagesmythus „den gesamten
^erlauf eines nordischen Hochsommertages“ schildere, da er in Sinthgunt die
Norgensonne, in Volla die üppig brütende Mittagssonne, in Frija die Abendsonne zu
Sehen glaubte. Anders wieder deutet Richard M. Meyer22) die Szene: „KuHN
{!)er Schuß des wilden Jägers auf den Sonnenhirsch. Zs. f. dt. Philol. 1, S. 89 —119)
Und LOSCH (Balder und der weiße Hirsch. 1892) haben es nämlich höchst wahrschein-
lich gemacht, daß die Einleitung des Zauberspruches einen uralten Mythus enthält...
Es handelt sich also um einen uralten Sonnenmythus, der wahrscheinlich die tägliche
Überwältigung der Sonne darstellt, die im Blutmeer der Abendröte versinkt ...“
Und weiterhin: „Wichtiger ist, daß dem Roß Balder sein Fuß verrenkt wird. Ein
Vöttertier wird nicht plötzlich unwohl, es muß etwas dahinter stecken und wohl
sicher eine Bosheit des Gegenspielers.“
Als Kommentar zu solchen dichterischen Ausschweifungen der Phantasie bedarf
es kaum mehr als eines Blickes auf den uns tatsächlich überkommenen Wortlaut
Unseres Beschwörungstextes. Mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert setzte in
der christlichen Segentheorie des finnischen Kalewalaforschers KAARLE KrOHN
Und seiner Schule der Gegenschlag gegen die mythologische Deutung der Be-
sprechungsformel ein. Hatte sich doch die mythologische Betrachtungsweise
durch ihre sich immer weiter von ihren Forschungsobjekten in Raum und Zeit
f°rtfabelnden Sinndeutungen gerade die ernstesten Wissenschaftler der europäischen
Länder entfremdet. Schon mit den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts
M
19) Reidar Th. Christiansen: Die finnischen und nordischen
erseburgerspruches. Hamina 1914 = FFCommunications Nr. 18.
2°) Myth. der Germanen, S. 391 ff.
2l) Zs. f. deutsches Altertum 43 (1899), S. 110.
) Altgermanische Religionsgeschichte. 1910, S. 315.
* "Volkskunde
Varianten des zweiten
354
Adolf Spamer f
begann die vergleichende Motivforschung in exakt-nüchternen Einzeluntersuchun-
gen auf philologisch-historischer Grundlage ihre Aufstiege von Erfolg zu Erfolg-
Beschäftigte man sich auch zumeist mit der Genese volkläufiger weltlicher Erzähl-
und Bildmotive, so zogen einzelne Forscher doch auch die dem Volksglauben ver-
hafteten Stoffe ihrer Betrachtung ein. Besonders in Rußland hatte das überragende
internationale Wissen von ALEXANDER NlKOLAJEWlTSCH VESSELOVSKIJ nicht
allein der mythologischen Schule den Todesstoß versetzt, sondern sich zugleich
in erster Linie einer weitspannenden Erforschung jener zäh in den meisten Ländern
Europas fortlebenden kleinen religiösen Dokumente zugewandt, die als Legenden
und magisches Spruchgut aus vielfach apokryphen Quellen meist über Byzanz und
die Balkanstaaten Rußland im frühen Mittelalter zugewandert waren. Aber der un-
mittelbare Anstoß für Kaarle Krohns Überzeugung von der christlichen Prove-
nienz des europäischen Segengutes kam von den Schriften SOPHUS BuGGEs her, von
dessen Versuchen, die christlichen Grundlagen des Baldermythus aufzudecken, die
P(h)olfrage des Merseburgspruches zu klären. Seine Deutung des P(h)ol als Paulus
war veranlaßt durch einige norddeutsche Segen in Büchern von BARTSCH, MÜLLEN-
HOFF und SCHILLER23), in denen ein bald Pol, bald Paul genanntes Wesen mit
Krankheitsdämonen zusammen eine Rolle spielte. Es bleibt erstaunlich, daß BüGGE
nicht sofort merkte, daß es sich bei der Verschiedenheit solcher Schreibungen
lediglich um die Tatsache handelte, daß die Berichterstatter der Sprüche diese bald
in Normalniederdeutsch, bald in der dialektischen Klangfärbung ihrer engeren
Heimat niedergeschrieben hatten, so daß da, wo in den Reimen von einem Paul
(statt Pol) die Rede ist, auch der Stuhl nicht stol, sondern staul, die Schule nicht
schol, sondern schaul heißt. Jedenfalls führte BuGGE dieses Mißverständnis zu der
Vermutung, unser Merseburgspruch sei die Kombination einer christlichen und
heidnischen Fassung des Verrenkungssegens, in deren ersteren Paulus und Heliand,
in deren anderen Wolt (den er sich aus dem nordischen Ullr konstruiert) und Wodan
aufgetreten sei: eine Hypothese, zu der sich noch 1907 HENRIK SCHÜCK in
seinen Studier i Nordisk Literatur- och Religionshistoria (II, S. 215) bekennt. Hier
knüpfte nun KAARLE Krohn an, indem er ab 1901 in verschiedenen Abhand-
lungen, besonders in den Finnisch-ugrischen Forschungen, Bd. 1 (1901), Bd. 4 (1904),
Bd. 5 (1905) sowie in der ausführlichen Kritik von R. M. MEYERs Altgerm. Reli-
gionsgeschichte in den Göttingischen gelehrten Anzeigen Jg. 174(1912), S. 193 — 223,
zuerst noch verhältnismäßig vorsichtig, dann in leidenschaftlicher Einseitigkeit die
Überzeugung verficht, daß der 2. Merseburgspruch nichts anderes sei als eine christ-
liche, den Einzug des Heilands in Jerusalem schildernde Beschwörungsformel, in der
nachträglich die christlichen Namen durch solche von Heidengöttern ersetzt seien.
Darüber hinaus bestreitet er überhaupt die Existenz einer germanischen Zauber-
poesie, während er das Fortleben antiker Elemente in der christlichen Legende zu-
geben muß (Finnisch-ugrische Forschungen 5, S. 131). Indem er Sonne und Mond
23) Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche in Mecklenburg. Bd. 2, 1879 —
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein
und Lauenburg. 1845; Karl Schiller: Zum Thier-und Kräuterbuche des mecklenburgi-
schen Volkes. I., 1861.
P(h)ol ende Uuodan
355
(sunna, sinthgunt) als „poetische Gebilde der Volkspoesie“ betrachtet, Frija als die
Jungfrau Maria und Volla als deren Schwester, rekonstruiert er als Urform des
Nerseburgspruchs (ebd. S. 137): „Paul und Gott ritten zum Walde (= Kirche), da
Ward dem Füllen des Flerrn sein Fuß ausgerenkt; da besang ihn die Sonne und ihre
Sindgenossin, da besang ihn unsere Frau mit ihrer Schwester, da besang ihn Gott
selber, wie er wohl konnte.“
Die Auswirkungskraft der KROHNschen Auffassung auf die gesamte europäische
germanistisch-volkskundliche Forschung läßt sich vom ernüchterteren Heute aus
Pur als die längst fällige theoretische Abrechnung gegenüber den ins Maßlose ge-
wachsenen Ansprüchen einer mythologischen Schule verstehen, die alle metho-
dischen und kritischen Maßstäbe verloren hatte. Denn die (nur ganz beiläufig ver-
merkten) Argumente, mit denen KROHN seine These zu stützen versuchte, lassen
S1ch kaum als solche bezeichnen. Bestanden sie doch lediglich in der Feststellung,
daß die (bestgesammelten) finnischen Zaubersprüche sämtlich ein christliches
Gepräge trügen, und sich auch in den anderen nordeuropäischen Ländern die Be-
schwörungsformeln mit heidnischen Götternamen in erdrückender Minderheit
befänden: unbestreitbare Tatsachen, die ihre Selbstverständlichkeit in sich trugen,
da alle unsere Segensprüche erst nach der Christianisierung zur Aufzeichnung ge-
langten. Die entscheidende Frage aber: „Was hindert uns umgekehrt eine Umbildung
christlicher Namen zu heidnischen anzunehmen“, hat KROHN zwar gestellt (Fin-
nisch-ugrische Forschungen 5, S. 131), aber lediglich mit der Behauptung beant-
wortet: „An und für sich ist die Substituierung eines heidnischen Namens an die
Stelle eines christlichen gewiß nicht schwerer denkbar als die umgekehrte“ (ebd.
Bd. i, 1901, S. 72). Erst KROHNs Schüler V. J. MANSIKKA versucht in seinem stoff-
lichen Werk Über russische Zauberformeln mit Berücksichtigung der Blut- und Ver-
renkungssegen. Helsinki 1909, als dessen Zweck er selbst in der Einleitung den Ver-
Such angibt, KROHNs christlicher Entstehungstheorie zu größerer Verbreitung zu
verhelfen, sich zu erklären, wieso Mönche dazu gekommen sein sollen, christliche
Sprüche zu verheidnischen, nachdem er eingangs (S. V) lediglich die Behauptung
aufgestellt hatte: „Finden wir in den Sprüchen heidnische Götter, so sind sie eben
gelehrte Interpolationen derselben Geistlichen.“ Zwei Gründe für einen solchen
Btozeß scheinen ihm möglich: „Entweder um das Geheimnis und die darauf be-
ruhende Kraft der Segen durch Einschiebung von fremden Namen zu verhüllen
°der um die Erwähnung der heiligen Zaubersprüche zu vermeiden.“ So hätten die
Geistlichen im Merseburgspruch „Christus mit dem heidnischen Wuodan ebenso ge-
Schickt vertauscht, wie ihre skandinavischen Glaubensgenossen den nach seinem
Füllen — gerade vor dem Einzug in Jerusalem — fragenden Christus mit Odin“ (ebd.
b- 257). Eine dieser Motivierungen hat dann 1914 ein anderer KROHN-Schüler, der
Norweger REIDAR Th. CHRISTIANSEN übernommen und meint, es sei „recht ver-
ständlich, daß in den Segen die Namen dieser Gestalten (d. i. der heidnischen Götter)
eiPgesetzt werden, um dadurch die heiligen Gestalten vor der Entweihung zu
Schonen“24). Es bedarf kaum besonderer Erörterungen, daß solche Gedankengänge
24) Die finnischen und nordischen Varianten des zweiten Merseburgerspruches. Hamina
N14, S. 210 = FFCommunications Nr. 18.
356
Adolf Spamer f
psychologisch wie historisch wenig befriedigen. Während wir die Richtlinien, die
Gregor der Große am 16. Juni 601 dem Abt Mellitus als Missionierungsprinzipien
mitteilte, nämlich die schonende Weiterpflege der alten Bräuche unter Substitu-
ierung christlicher Ideen und Ausmerzung der Götzenbilder auch anderwärts
bestätigt finden,'ist uns kein Beispiel gegenteiligen Verhaltens bekannt. Um so
stärker bezeugt es die Suggestivkraft der KROHNschen Lehre, daß sie auch in
Deutschland einen so vorsichtigen Gelehrten wie EDWARD SCHRÖDER derart be-
eindruckte, daß er 1910 bekannte: „Ich gesteh, daß ich mich jetzt der Auffassung
K. Krohns zuzuneigen beginne, wonach alle heidnischen Zaubersprüche des
europäischen Nordens erst Umformungen frühchristlicher Vorbilder oder Substrate
sind“25). Ausgelöst war diese Umstellung SCHRÖDERS durch die Auffindung eines
in manchen Zügen verwandten Pferdekrankheitssegens, den der Wiesbadener
Archivar F. W. E. ROTH in einer Trierer Handschrift des 10. Jahrhunderts ent-
deckt und dann gemeinsam mit SCHRÖDER herausgegeben hatte, und dessen Ent-
stehung SCHRÖDER (nicht recht überzeugend) um etwa 150 Jahre zurückdatieren
wollte. So ist es kaum verwunderlich, daß schließlich Julius SCHWIETERING auch
eine christliche Deutung des ersten Merseburgspruches versuchte, bei der er die
drei „idisi“-Gruppen für die zum Grab Christi wandelnden Marien erklärte, in der
Conjuratio „insprinc haptbandun, invar vigandun!“ den Jubilus einer Oster-
hymne sah26). Auch der bedeutendste Kenner der europäischen Segenliteratur in
unseren Tagen, der dänische Theologe FERDINAND Ohrt hielt noch ein christliches
Vorbild des Merseburger Verrenkungsspruches für wahrscheinlich27), doch war
die Frage für ihn keine grundsätzliche mehr. In seinem leidenschaftslosen Prüfen aller
Einzeltexte von Fall zu Fall nimmt er das Fortbestehen einer „heimlichen Heiden-
schaft“ an und trägt sorgfältig die Segenbelege mit heidnischen Namen der skandi-
navischen Völker zusammen28). So endet mit OHRT bei aller engen persönlichen und
sachlichen Verbundenheit mit der Schule von Helsinki die Wunschbildtheorie
KAARLE Krohns, die aus dem Kampf gegen ein anderes Wunschbild erwachsen
war.
Gilt uns die christliche Segentheorie der finnischen Schule heute kaum mehr als
ein interessantes, wenn auch in der Darbietung und Verarbeitung der Einzelstoffe
zuweilen durchaus förderliches forschungsgeschichtliches Intermezzo, so bleibt ihr
ein unbestrittenes Erkenntnisverdienst: alle Segendeutung kann in erster Linie
nur von den Segen her erfolgreich sein. Das heißt, um zu unserem konkreten Merse-
burgproblem zurückzufinden und seiner Kernfrage nach dem Wesen des rätselhaften
P(h)ol: welche Möglichkeiten weisen uns die deutschen Segen überhaupt auf?
Oder noch bestimmter: welche Wesen finden wir in den episch-dramatischen Be-
schwörungen gemeinsam wandern, sprechen, handeln? Wir können diese in 4 Haupt-
gruppen einteilen:
26) Zs. f. deutsches Altertum 52 (1910), S. 180.
26) Zs. f. deutsches Altertum 55 (19x7), S. 148 —156.
27) De danske besvaergelser mod vrid og blöd. Tolkning og Forhistorie. Kebenhavn:
Danske Vidcnskabernes Selskab 1922 = Historisk filologisk Meddeelser VI, 3.
28) Trylleord fremmede og danske. Kebenhavn 1922.
P(h)ol ende Uuodan
357
i. Heilbringer und Schadengeist (Krankheit',)
Jesus und der Mord (= Schlaganfall) ritten ein Roß zusammen — Maria und der
ßrand, die gingen durch das Land — Es ging sich aus ein Alb und Albin, ein Zwarg,
und ein zwargin ... da sprach Jesus und Maria — Ach und Stich gingen einen Weg,
da begegnete ihnen Sanct Stephan — Es ging ein Gichtmann und eine Gichtfrau
über einen grünen Weg und über einen schmalen Steg, da lag am Fenster der liebe
Herr Jesus Christus — Der Friesei ging über das Land, begegnete ihm Christus der
Heiland — Der Schlag und der Mord, die gingen beid durch eine enge Pfort ...
usw. Die Mehrzahl der Belege dieses Typus gehören den sogenannten „Begegnungs-
segen“ an (Begegnungen mit Schadengeistern, Heiligen, Patienten), deren Ge-
schichte Ohrt bis in die Antike, die jüdische Kultur und letzten Endes bis zur Magie
des Zweistromlandes verfolgt hat29). Neben diesen stehen dann die reinen Aus-
Hhrtsegen eines oder mehrerer heilender und schädigender Wesen ohne ausge-
sprochene Begegnung.
2. Der Patient und der Schadengeist (Krankheit)
Die Kuh und die Pogg, die gingen zusammen in den Wald — Ich und der Fluß
(= Rheumatismus) und die Gicht, wir drei gingen zum Wasser — Snickup und
lck gingen övern Steg — Ich geh durch ein enges Gäßlein, da lauft Blut und Wasser
usw.
3. Der Patient und der Heilbringer
Unser lieber Herr Jesus Christus ging über Land, begegnet ihm ein Vieh, das
hatte den Brand — Es saß Salbe und Frau Salbe und unser Herr Jesus Christ an
einem Tisch (der Text beweist, daß die Salbe hier nicht das Heilmittel, sondern
brau Salbe selber Patient ist, da sie der Schlag drei Tage zuvor getroffen hat).
4. Das Heilmittel und der Schadengeist (Krankheit)
Die Pottasch (Flockasch, Asche) und die Flechte, die flogen wohl über das weite
Meer — Der Fensterschweiß (Fensterbeschlag) und die Flechte, die stritten sich —
Hie Speckschwarte und die Flechte, die lagen beide in Rechte — De Rose un de Wid,
üei stahn in Strid — Der Stahl und die Rose, die streiten zusammen.
Fragen wir nun nach diesem kurzen Überblick nach den Möglichkeiten, was für
ein Wesen (zunächst) der Pol-Phol sein kann? Als Antwort sagen uns die Segen-
Parallelen: Göttliches Wesen, Schadengeist bzw. Krankheit, ein Heilmittel oder der
Fatient selber. Für seine Ansetzung als göttliches Wesen fehlen alle Ansatzpunkte,
üa die früher zur Stützung einer solchen Vermutung angeführten Örtlichkeitsnamen
Slch alle zwanglos als Komposita mit Pfuhl bzw. Fohlen deuten lassen, auch der
Fatient kann nach der ganzen Handlung des Merseburgspruches nicht in Frage
kommen. So bleiben die zwei Eventualitäten: Schadengeist und personifiziertes
Heilmittel. Wollen wir aber uns nicht mit dem Raten und Glauben begnügen, so
Müssen wir uns wiederum fragen, ob uns nicht auch hier die Segen selbst Auskunft
. 2S) Uber Alter und Ursprung der Begegnungssegen. Hessische Blätter f. Volkskunde
A*XV (I936), s. 49-58.
358
Adolf Spamer f
geben können. Nun besitzen wir glücklicherweise etwa zwei Dutzend nächstver-
wandter Polsegen, eben jene, aus denen BUGGE seine unglückliche Deutung ab-
leitete. Sie gehören wieder selbst einer größeren Bespruchsgruppe an, aus der bisher
ungefähr 250 Belege gebucht sind, Kurzsegen vom Normaltyp des Vierzeilers, der
nur vereinzelt durch sekundäre Einschübe auf 6 Reimzeilen gelangt, öfters zum
Zweizeiler verkürzt wird. Doch hat es wohl seit frühester Zeit auch Zweireimersegen
gegeben. Die Verbreitung dieser Segengruppe, die OSCAR EBERMANN termino-
logisch nicht sehr schön, jedoch sachlich berechtigt als „Volkssegen“ dem „Kunst-
segen“ gegenüberstellt30), beschränkt sich im 19. Jahrhundert im wesentlichen auf
den deutschen Nordraum von Ostpreußen bis über die Niederlande. Schleswig-
Holstein kennt sie, auch England; dagegen liegen aus den skandinavischen Ländern
keine Nachrichten über sie vor. Einzelne von ihnen fanden sich auch noch in neuester
Zeit in Segenbüchlein Bayrisch-Frankens und Schwabens, wie überhaupt Zeichen
darauf hindeuten, daß der Nordraum nur ein Rückzugsgebiet darstellt. Über ihr
Alter ist wenig bekannt, doch darf man sie wohl schon in die Frühzeit der deutschen
Endreimdichtung ansetzen. Zwar kennen wir bis jetzt keine frühere Bezeugung eines
ihrer Vierzeiler als den heute noch besonders häufigen Schlier- und Drachsegen im
Tractatus de fascinatione des J. CHR. FROMMANN von 1675, aber das in einer Schlett-
städter Handschrift des 11. Jahrhunderts gefundene Fragment „Jg fant iz fersuant,
Jg herein iz ferswein“ muß das Endstück eines solchen Vierzeilers gewesen sein
(herein von rinan — berühren, oerswein von swinan — schwinden). Das Fehlen
weiterer Belege aus alter Zeit dürfte seine Erklärung darin finden, daß die gebildeten
Mönche die kurzen volkstümlichen Vierzeilersegen kaum der Buchung wert achteten.
Diese Kurzsegen sind sicher schon früh viel zersägt (und darum oft in ihrem Sinn
zerstört) worden. Auch finden sie sich im 19. Jahrhundert zuweilen nicht nur im
kindlichen Segengut, sondern sind auch in das ausgesprochene Kinderkurzlied ein-
gewandert, ja in deren Spielgesang persifliert (Deutschland und England). Der Auf-
bau der einzelnen Zeilen richtet sich (zuweilen variierend) nach einem bestimmten
Schema: in Zeile 1 wandern die Krankheit und der Heilbringer (resp. das personi-
fizierte Heilmittel) nach Z. 2, einem bestimmten Ort oder zu dem Schiedsrichter;
Z. 3 und 4 schildern dann den Endeffekt des Dramolets: das böse Wesen geht zu-
grunde, das gute gewinnt (seine Gesundheit wieder). Durch die immer wieder ver-
schiedenen Krankheiten und Heilmittel (die die Beliebtheit dieser schnadahüpferl-
haft anmutenden Kurzsegen beweisen) sind infolge der Notwendigkeit neuer Reim-
findungen die Segen in besonderem Maße Sinnzerstörungen ausgesetzt.
Innerhalb dieser Großgruppe von Segen treffen wir nun unsere Polsegen, d. h.
solche Vierzeiler, in denen ein Pol vorkommt. Doch ist deren Gebiet beschränkter:
es umfaßt Ost- und Westpreußen, Pommern, Mecklenburg und die Mark Branden-
burg bis zu einer Südgrenze auf der Linie Küstrin-Brandenburg und biegt über der
Elbe in einem Bogen bis in die Gegend von Lübeck ab. Da sich keine Anzeichen
für eine früher weitgreifendere Verbreitung feststellen lassen, ist die Möglichkeit
gegeben, daß diese Polsegen von jeher eine örtlich beschränkte Variante derVierzeiler-
30) Die Krankheitssegen mit dem Streitmotiv. Zs. f. Volkskunde 25 (1915), S. 80 — 85.
№hST
P(h)ol ende Uuodan
359
Segen waren. In dieser (teilweise leider besonders stark zerschriebenen und zer-
stochenen) Segenuntergruppe tritt Pol in zweierlei Form auf: einmal als lebende
Person, die mit verschiedenen Krankheiten wandert: der Pogge (Bläschen, Ge-
Schwulst; „Kröte“), Schwamm (Krätze?), Adel (Fingergeschwür, Panaritium),
^°se und Inschott (Einschuß, Hexenschuß); zum anderen als eine Sache, an die man
S1ch zur Heilung wendet:
Zur ersten Gruppe zählen:
De Adel un de Pol
dei güngen beid to Schol,
de Pol gewünn,
de Adel verswünn.
Zur
zweiten:
Der Adel und die Mond,
Die gingen beide zu Pohl;
Der Adel, der vergeht,
Die Mond, die besteht.
Daß Pol nichts anderes ist als die niederdeutsche Form des oberdeutschen Pfuhl,
Xvüd von keiner Seite bestritten und ergibt sich auch z. T. aus den Segen selbst,
m^nn etwa davon die Rede ist, daß eine Krankheit und ein Heilbringer zum Pol
§ehen, um in ihm (ihr Schicksal jenem gleichsam als Gottesgericht anvertrauend) zu
haden, oder wenn die den Segen begleitende Handlung darin besteht, daß man den
Banken Finger in die Arepütt (— Wundpfütze) steckt, bzw. in die „Dunggrube, wo
Nasser drin ist, hineinhält“. Aus solchen Vorschriften, besonders aber aus dem Er-
Satz des Wortes Pfuhl durch Mistpfuhl bzw. des Pol überhaupt durch Mist (z. B.
»E)ie Rose und der Mist gingen beide aufs Land ...“) ergibt sich, daß das sonst
Vlelschillernde Wort „Pfuhl“ (ein nicht unserer Gruppe angehöriger Segen nennt
^üm Beispiel eine Blutlache „en Pool Bloot“) hier ausgesprochen auf Mistjauche
bezogen und als Heilmittel gedacht ist. Als solches hat es sich dann, parallel zu vielen
anderen Beispielen, verpersönlicht.
Die Frage, ob dieser Pol wesensgleich mit dem P(h)ol des Merseburgerspruches
Ish läßt sich heute noch nicht mit Gewißheit bejahen, noch weniger aber, bei dem
fehlen aller anderen Ansatzpunkte, schlechthin verneinen. Nicht entscheidend ist
Tatsache, daß über 1000 Jahre die Verbindungskette unterbrochen ist: andere
C1spiele zeigen ähnliche, ja noch größere Verbindungslücken wie ein noch zu er-
mähnender Marzellusspruch, der gleichfalls, wenn auch etwas variiert, erst im 19. Jh.
Nieder aus dem Volksmund aufgezeichnet ist. Bedauerlicher scheint schon, daß
^lr die Mistjauchenbehandlung in den zuweilen die Segen begleitenden Heilvor-
Schriften noch nicht bei Verrenkungen und Beinbrüchen angetroffen haben. Aber
Xv° uns solche überliefert sind, weichen sie auch beständig voneinander ab, waren
auch wohl von jeher örtlich verschieden.
Doch selbst wenn die Identität des Pol-Phol im Merseburgspruch mit dem Pol
n°rddeutscher Aufzeichnungen außer jedem Zweifel stände, so sind damit noch
n,cht alle Unklarheiten über Pols Wesen und Funktionen im Rahmen der alten
36Ü
Adolf Spamer f
heidnischen Beschwörung beseitigt. Vibriert doch die Welt der Segen in einem
ständigen Gestalten- und Funktionswandel. So ist in einem schwedischen Ver-
renkungssegen Odin zum Schadengeist, zum Urheber der Krankheit geworden,
den Goda (=die Gute) bannen muß, und in einer weitverbreiteten deutschen Be-
schwörung wird geschildert, wie die Mutter Gottes Maria über Land ging, um die
Menschen zu plagen, so daß der ihr begegnende Heiland ihr die Schadenzauberkraft
zer-sprechen muß. Besonders aber wechseln in Namen wie Wesen die Heilmittel zu
jenen Erkrankungen über, gegen die man sie verwendet. So bezeichnet man mit
Adel, bzw. Atlel den Fingerwurm (Panaritium) in weiten Teilen Deutschlands,
während daneben die Grundbedeutung: Morast, fauliges Wasser außerhalb der
sympathetischen Krankheitsheilung noch weiter besteht. Und das Gleiche finden
wir beim Pol, Pfuhl, der Mistjauche, mit der der erkrankte Körperteil in Berührung
gebracht werden muß: in der Gegend um Lübeck wird das gleiche Panaritium statt
Adel Pol benannt. — So bleibt auch beim Merseburgspruch die Frage: Heildämon
oder Krankheitspersonifikation offen, wenn sich die Waage auch zugunsten der
ersteren neigt, nachdem die althochdeutschen Glossen, das althochdeutsche Wort-
gut weder bei Atel noch bei Pfüol die sekundären Krankheitsbedeutungen kennen-
Auch wenn es uns gelingen sollte, die P(h)olfrage völlig zu bereinigen, blieben
noch manche Unklarheiten aufzuhellen, die sich an die anderen Gestalten unseres
Spruches heften. Problemlos allein sind die Gestalt und das Tun Wodans. Aber wer
sind die vier sich um die Heilung bemühenden Frauen, und woher kommen sie in
unsere Welt der Beschwörung? Als „Göttin“ ist uns allein Frija bekannt, die die
spätskandinavische Skaldendichtung unter der Bezeichnung Frigg zur Gemahlin
Odins erhöht hat, während die Historia Langobardorum des PAULUS DlACONUS
eine Schwanksage berichtet, nach der die Langobarden die Frea (ags. freo = Weib)
als Frau Wodans betrachteten. Doch lernten diese sie vermutlich erst durch
die Winiler kennen. Die übliche Behauptung, daß Frija eine gemein-westgermanische
Göttin gewesen sei, stützt sich auf die Benennung des Freitags als Nachbildung des
dies Veneris, eine Bezeichnung, zu der das ahd. Wortgut drei Belege beisteuert:
einen aus Oifried (514, 3—6): friadag, und zwei aus Tatian: friietag31) und (merk-
würdigerweise) frigetag (ebd. 215, 1). Zu ihnen gesellt sich dann noch ein vriedac
in dem erst dem 13. Jahrhundert angehörigen Glossarium Hilde gar dis32). Aus der
skandinavischen und angelsächsischen Bezeichnung frijadagr statt des zu erwarten-
den friggjardagr schließt man auf die Einwanderung des Gottheitnamens aus Nieder-
deutschland. Hier lag ersichtlich auch das Zentrum ihrer Verehrung. Noch heute
zeigt die Freitag-Karte des Atlas der deutschen Volkskunde (Karte 5) die Sonder-
stellung des niederdeutschen Raums, indem sich der Freitag als Glückstag auf die
deutsche Nordzone beschränkt, im Mittelraum südlich bis zu einer ungefähren
Linie Paderborn—Bückeburg—Hannover—Braunschweig—Brandenburg aus-
gebuchtet hat, im Osten nach der Ostsee hin abgebogen und so noch durch ganz
Ostpreußen verlaufend. Daß sich die Bedeutung des Namens Frija unschwer aus
31) Tatian. Hrsgg. v. Eduard Sievers. 1892, Abschnitt 211,1.
32) Steinmeyer-Sievers III, S. 397.
P(h)ol ende Uuodan
361
as. fri (Weib, Geliebte), dem skr. priya (Gattin, Geliebte), dem got. friazwa
(Liebe) oder dem Verbum freien, das sich zunächst auf den niederdeutschen und
hessischen Raum beschränkte, ablesen läßt, ist unbestritten, bezeugt aber letzten
Lndes Frija nur als eine vage Generalbezeichnung, deren Wandermöglichkeiten
umso unbehinderter werden mußten, als die alten, engen Stammeskulte abstarben
°der sich vermischten. Die Frija, die in unserem Merseburgspruch auftritt, aber ist,
trotz GUSTAV EHRISMANN33) und seiner Vorgänger wie Nachfolger, keine Ge-
mahlin Wodans und nicht mehr noch weniger Göttin als Volla, Sunna und Sinthgunt;
auch ist sie ebensowenig „die Liebe“, keine „Venus amatoria“ (MOGK, Religions-
§e«c'hiclite, S. 115), kein Eheweib und keine Beschützerin von Haus, Flur und Vieh,
geschweige denn eine „Lichtgöttin“ (MÜLLENHOFF). Vielmehr weist sie unser Segen
ganz einfach als eines jener weiblichen, mythisch gehobenen Wesen aus, denen man
Seit ältesten Zeiten (wie den Frauen überhaupt) Heilkräfte zuschrieb. Doch ver-
hindert das nicht, daß ihre schwesterliche Koppelung mit der Volla an unserer Stelle
e*ne aus dem Namensgehalt geschöpfte Akzentuierung auf Weibtum und Frucht-
barkeit einschließt. Jedenfalls — und das ist für uns zunächst das Wichtigste —
2eigen schwedische Besprechungsformeln, daß Frija dem germanischen Segen-
repertoire angehörte. So heilt Frygge in gleicher Funktion wie im Merseburg-
Segen den flog (= Anflug — Pferdekolik), und in Varianten unseres Verrenkungs-
Segens stoßen wir einmal auf Odin und Freya (die spätisländisch-skaldische Ab-
haltung aus Frigg), das anderemal auf ein (unsicheres) Dave und Fylla, d. h. auf die
L°lla der Merseburgbeschwörung. Ein schwedischer Segen gegen Geschwüre
etsetzt die Dreifaltigkeitsnamen durch Odin, Thor und Fregga, so wie es gleichfalls
em norwegischer Augensegen (BANG, Norske Hexeformular er og magiske Opskrifter,
^t. 40; hier Frigga) tut. Auch die Wregga einer anderen schwedischen Kolikbe-
Schwörung dürfte den gleichen Namen bieten. Eine norwegische Benediktion, um
Ldück im Würfelspiel zu haben, aber ruft Frigg, Freya, Thor, Odin und Fiolnir
(Leiname von Odin) neben Enoch und Elias an (vgl. CHRISTIANSEN, a. a. O.,
b- 54—58; OHRT, Trylleord, S. 96 —102).
Lei solcher Sachlage verliert die noch von WREDE (S. 88) vertretene These, daß
Slch Volla aus einem Epitheton der Frija entwickelt habe, daß sie die Emanation
einer der Eigenschaften Friggs sei (R. M. Meyer, S. 75) ebenso unser Interesse
^le es ihre Bezüge zur Snorra Edda und den Skaldendichtungen tun, wo eine
^ulla als die vertraute Dienerin Friggs auftritt34). Lediglich eine Stelle aus den
' isur der KormakSaga (Abschn. 63; hrsg. von Th. MÖBIUS, 1886, S. 61) gewinnt
Ledeutung, in der Fylle den Trollen einen Fingerring gibt, sich also im Rahmen der
mythischen Geisterwelt bewegt. Daß die anthropomorph geschaute „Fülle“ uns
aus der römischen Kultur zugewandert ist als Nachbildung einer ahundia (frz. dame
[>ahonde), bleibt wahrscheinlich, der Weg jedoch ungewiß. Das ahd. Sprachgut
liefert uns keine weiteren Belege solcher Verpersönlichung. Eine Interlinearglosse zu
a*) Gesch. d. deutschen Literatur bis zum Ausgang d. Mittelalters. I, S. 99.
) Belege bei Firmus Jonsson: Lexicon Poeticum Antiquae Linguae Septentrionalis,
Udgave. Kebenhavn 1931, S. 157.
362
Adolf Spamer f
Notkers Psalmenübersetzung (Ps. 64, 12; Pipers Ausg. Bd. 2, S. 245) überträgt
ubertate mit dero föllun, NOTKERS Boethius (137, 15 f.) sufficientia mit dem gleichen
Wort; über die Abstraktbegriffe gelangen wir also auf diesem Wege nicht
hinaus.
Viel durchsichtiger liegen die Verhältnisse bei der Sunna (Sonne). Zwar hat man
den Hinweis Caesars (De bello gallico I, 50), daß die Germanen Sonne, Mond und
Feuer göttliche Verehrung erwiesen, ebenso bezweifelt wie einen Bericht des Hl-
ELIGIUS (7. Jh.), die Franken hätten Gebete und Schwüre an den dominus sol
gerichtet (BOUDRIOT, S. 3 5 f.). Aber solche Einwände können sich höchstens gegen
die Vermutung eines altgermanischen Gestirnkultus in Form vermenschlichter
Götterbilder richten, nicht gegen den Gestirnzauber in Brauch und Glaube, den für
die Sonne bereits Fels- und Gerätebilder der jüngeren Steinzeit, der Sonnenwagen
von Trundholm u. dgl. für die Bronzezeit bezeugen (vgl. Karl Helm, Altgerma-
nische Religionsgeschichte I, 1913, S. 173 — 187). Ob und in welchem Umfang rö-
mische Vorstellungen von einem Sonnengott, dem Sonnenwagen und Sonnenritt
über die klösterliche Schul- und Bildungslektüre in den Volksglauben eindrangen,
wird sich schwerlich mehr feststellen lassen. Glossenworte und Textglossierungen alt-
hochdeutscher Zeit übersetzen Phoebus (man vgl. NOTKERS Boethius, aber auch
ALDHELM 137, 6; 170, 16) regelmäßig mit sunna, daneben auch Titan und Sol-
Vereinzelt treffen wir auch ein sunno an (STEINMEYER-SlEVERs III, 204; IV, 103)-
Diese Übersetzungen zeigen uns, daß da, wo es der Vorlagetext ermöglichte,
an Stelle eines lateinischen männlichen Sonnengottes die weibliche Sonne tritt,
und daß die Vorstellung der reitenden Sonne immer wieder unterstrichen wird,
also wohl vor der Übernahme römischen Schriftgutes bereits bei den Germanen
lebendig war. Dagegen spricht OTFRIED nur allgemein von der sunnun fart und der
sunnun pad (1,5, 5—8; 1,17, 9 — 12). Jedenfalls ist, wie auch STEGEMANNS Belege
im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens VIII, Sp. 49 —55 erhärten, der
Gedanke der verpersönlichten Sonne auch auf deutschem Boden vom frühen
Mittelalter an bis in unsere Tage hinein mehr oder minder lebendig nachweisbar.
Wiederum sind es unsere Segenformeln, die uns zu solcher Erkenntnis wertvolle
Baustoffe liefern. Es sind Anrufungen und Beschwörungen an die Sonne, die meist
zu Sonnenaufgang gesprochen werden müssen und deren Hilfe gegen alle möglichen
Krankheiten erbitten. Eine solche Beschwörung finden wir bereits in einer Hand-
schrift des 12. Jahrhunderts (Zs. f. deutsches Altertum 23 [1879], S. 437). Noch in
der neuesten Zeit sind derlei Anrufungen gegen „Schwund, Galle, Gicht“ oder
„Gicht und Gericht“, Epilepsie u. dgl. häufig und zuweilen auch gleichzeitig an die
Sonne wie den Mond gerichtet oder beschwören gar, christlich angereichert, „bei
der heiligen Sonne und bei dem heiligen Mond und bei der heiligen Wandlung“-
Die heute noch gegen das Abnehmen bei Kindern (Schwund) und bei Schweinen ver-
breitetste Sonnenanrufung in Beschwörungsform, die im 19. Jahrhundert durch ihre
Aufnahme in die dem ALBERTUS Magnus zugeschriebene Sammlung der Egyptischen
Geheimnisse ihre Wiederauferstehung gefunden haben dürfte, beginnt: „Sei will'
kommen Sonnenschein, wo reitest du (kommst du) hergeritten..eine bei Sonnen-
und Gestirnsanrufungen sehr verbreitete Begrüßungsformel, die Adolf JaCOBA
P(h)ol ende Uuodan
363
(2.v. f% Volkskunde II 40. Jg. [1930], S. 17 — 24) etwa 2000 Jahre zurückverfolgen
'°nnte und besonders in antiken Papyri aufgedeckt hat, in deren Beschwörungen
^er Begrüßungsruf xodpe stereotyp wiederkehrt. Auch in den Bitten an den Mond aus
lüngster Zeit stoßen wir meist auf die gleiche Formel. In der Regel ist es hier
^er neue Mond, an den sich die Bittsuchenden wenden wie in dem ältesten,
v°n Nicolaus VON Dinkelsbühl (t 1433) überlieferten Beleg, der den Neumond
*Ur Geldbeschaffung beschwört. Bei seiner Anrufung gegen Krankheiten ver-
miedener Art wendet man sich (in gedanklich logischerer Weise) zuweilen auch an
^en abnehmenden Mond. Und formal nächstverwandte Segen richten Begrüßung
Und Bitte statt an Sonne und Mond an den Heiligen Sonntag bzw. den Heiligen Frei-
es* In einem norwegischen Dreifrauensegen (BANG, Nr. 246) werden jene als die
^°nne, der Mond und die Jungfrau Maria bezeichnet. So aufschlußreich derlei
^°nnen- und Mondbesprechungen aber auch sind, eine Besprechungsparallele, die
m Sonne als personifizierte Krankheitsbesprecherin auftreten läßt, ist in der uns
bisher bekannten Segenliteratur noch nicht aufgetaucht.
So wenig Kopfzerbrechen uns die Sunna macht, so ratlos stehen wir im Grunde vor
^er letzten der Besprechungsfrauen, der ersten, die den Schaden besang, vor
Slnhtgunt. Wenn die von Grimm vorgenommene Korrektur in Sinthgunt bisher
einem Zweifel begegnete, so einfach aus dem Grund, weil man sich unter dem
Crsten Bestandteil des Kompositums nichts vorstellen konnte, die kleine Buchstaben-
ürnstellung uns aber einen echt valkyrienhaft anmutenden Namen schenkte, der
nur den Fehler hat, weder unter den Valkyrien vorzukommen noch als Personen-
e2eichnung bezeugt zu sein. Zwar sind nun die beiden Bestandteile des Namens
^ar: sinlh (sind) bedeutet ahd. Weg, Richtung, Reise (in Muspilli wohl auch Kriegs-
“u8> im Gotischen sin ^s) Gang; und ahd. gunth (gund) ist Kampf, Krieg. Aber was
*°U dieser Name hier? JACOB Grimm sah in der Sinthgunt, veranlaßt durch ihre
Nennung als Schwester der Sonne sowie durch die anscheinend innere Verwandt-
est des Parallelpaares Frija und Volla (Liebe und Fülle), vorsichtig tastend ein
’handelndes Gestirn“. Seit BuGGE setzte sich dann die Lesung Mond durch, zumal
a^s dessen unmögliche Interpretation „Nachtwandlerin“ von MOGK geschickter und
glaubhafter in „Wegerkämpferin“ umgewandelt war. Doch bestünde auch bei solcher
^ eutung die Möglichkeit einer Hypostasierung, der EHRISMANN zuneigt (a. a. O.,
‘ 99)- Danach wäre also, analog dem von einer Anzahl von Forschern angesetzten
^erhältnis von Frija zu Volla aus einer Eigenschaft der Sonne die selbständige
^rsönlichkeit der Sinthgunt erwachsen. Machen auch die Segenparallelen eine
eutung Mond wahrscheinlich, so bleibt doch sicher, daß sich aus dem Namen
Slnthgunt nichts Bestimmtes herauslesen läßt.
Bleibt noch die Frage nach der (freilich nur scheinbar) merkwürdigen Schwester-
chen Bindung der beiden Paare zu klären. Wäre die Handschrift der Merseburg-
fPrüche verlorengegangen, deren Einsicht auch dem gewiegtesten Palaeographen
)eden Verdacht einer Fälschung ausschließen muß, so wäre sicher bei der Lesung
l^°nne und Mond, Liehe und Fülle, irgendwann einmal der Gedanke aufgetaucht,
klMM könne einer geschickten Mystifikation des empfindsamen späten 18. Jahr-
underts oder der Zeit der Frühromantik zum Opfer gefallen sein. Aber auch hier
364
Adolf Spamer f
hilft uns die Segenvergleichung weiter, indem sie verwandte Züge deutscher Formet
aufspürt, den Einfluß antiker Vorlagen erkennen läßt. Schwester bezeichnet in diesen
Segen keine familiäre Blutsverwandtschaft, sondern Geschwisterschaft der Art und
Tat. In solchem Sinn haben VERGIL und OviD die Parzen und Furien sorores genannt
oder — was für unsere Untersuchung wichtiger erscheint — TäCITUS und andere die
Sonne und den Mond. Durch die Klosterschulen ist dieses Sprachbild auf deutschen
Boden übertragen und späterhin auch zur Kennzeichnung abstrakter Begriffe ange'
wandt worden: „staete und mäze swester sint“ (Wolfram 12338). Diese Bedeutung
tritt uns immer wieder in den Segen sowohl bei den verpersönlichten Krankheiten
wie bei dem Drei-Heilrätinnen-Typus entgegen. Beide Gruppen gehören den älte-
sten, weitest verbreiteten Beschwörungsformeln an. Es sei nur an den Segen von den
9 (12; 7) Fieber Schwestern erinnert, der sich, wohl von Byzanz ausstrahlend, besonders
in den slawischen Ländern und bei den Völkern des Balkan festgesetzt hat, hier auch
bereits im Mittelalter in kirchliche Gebetbücher überging35), oder an jenen Schwund-
oder Abzählsegen gegen geschwollene Mandeln (Novem glandulae sorores etc.)?
den uns zuerst MARCELLUS EMPIRICUS im 4-/5. Jh. in seiner Schrift De medictt'
mentis über36) überliefert und der sich bis ins 19. Jahrhundert im deutschen Raum et'
hielt37). Und faßt hier das Schwesternbild die spezialisierten Krankheiten zusammen?
so finden wir auch in den meisten europäischen Ländern jene Beschwörungen, m
denen drei mythische Frauen sich mit dem Heil- und Glückszauber befassend als
Schwestern bezeichnet werden, so wie schon um 1020 die Dekretalien des Bischofs
BURCHARD VON WORMS von der Verehrung jener tres sorores berichten. Die Chri-
stianisierung dieser Sprüche hat dann vielfach aus ihnen drei Marien gemacht und
diese besonders in den osteuropäischen Ländern und in Schwedisch-Finnland zu drei
leiblichen Schwestern gestempelt38).
Die Ergebnisse unserer Überschau wirken sich zum Teil auch auf die noch nicht
angeschnittenen Fragen der Entstehung des 2. Merseburger Zauberspruches, seine
Lokalisierung, die Handschriftenfrage, die Persönlichkeit des Schreibers aus.
Daß unsere Ergebnisse keineswegs zu endgültigen Lösungen der zahlreichen
Probleme führen konnten, liegt in der ganzen Sachlage begründet, in dem noch
unvollkommenen Material, mit dem wir arbeiten müssen. Aber ich hoffe gezeigt
zu haben, daß wir einer solchen Lösung überhaupt nicht näher kommen, wenn wif
die Merseburger Sprüche von jenen mythologischen Rekonstruktionen der isländi-
schen Gelehrtenschule des Hofes ODDI und deren bedeutendstem Vertreter, dem
Dichtergelehrten, Altertumsforscher, Skalden und Staatsmann SNORRI StüRLUSON?
der mindestens drei Jahrhunderte nach der Niederschrift unserer Beschwörungei1
wirkte, und von der ganzen fabulösen Skaldenlyrik her enträtseln wollen, sondert1
daß allein die Kenntnis des deutschen und ausländischen Segenstoffes uns weiter
35) Mansikka a. a. O., S. 48h; Adolph Franz: Die kirchlichen Benediktionen im
Mittelalter.il, S. 483^. Ohrt. In: Hessische Blätter f. VolkskundeXXIV (1925), S. 38— 4°*
36) XV, 102; vgl. R. Heim : Incantamenta magica graeca latina. In: Jahrbücher f. classische
Philologie, 19. Suppl. bd., 1893, S. 490F
37) Felix Liebrecht: Zur Volkskunde, S. 371.
38) Mansikka a. a. O., S. 193 fr.; Forsblom Nr. 863.
P(h)ol ende Uuodan
365
r'ngen kann. Einstweilen sehen wir klarer die Fehlläufe früherer Forschungswege
und Theorien als die Stabilität neuer Ergebnisse und müssen froh sein, da und dort
üt>er Lösungsmöglichkeiten zu gewissen Wahrscheinlichkeiten zu kommen. Da-
^'r haben wir aber das Glück, noch reiche, ungehobene Segenformelbestände bergen
/Ll können, die zur Hoffnung weitgehender Klärung berechtigen. Freilich schließt
Sf)lche Sachlage auch die Möglichkeit ein, daß ein einziger neuer Segenfund wieder
das umwirft, was wir heute für mehr oder minder gesichert halten.
Friedrich Sieber — Dresden
Dem Monde kann man kein Kleid machen
Ein Beitrag zur Geschichte eines Schwankmotivs
Plutarchs Märlein vom Mondkind
In PLUTARCHS Convivium septem sapientium findet sich cap. 14 das Märlein von"1
Monde. Das Gespräch der Weisen, nach Art eines nachplatonischen Dialogs ge'
formt, ist lose gefügt und berührt viele Themen. Als sich die Gesprächspartner übe1
das Maßhalten im Trinken unterhalten, rechtfertigt Mnesiphilos Solons Abstinenz1 *
Nach der Meinung dieses Weisen sei das Ziel mehr als die zu ihm führenden Mitte--
Ziel des Trinkens sei keineswegs Weingenuß und Trunkenheit, sondern der vef'
traute Umgang und die Herzensgemeinschaft, die es bewirke. Kämen nun solch6
Männer zusammen, wie hier Periander (der Gastgeber) um sich vereinigt habe»
dann hätten Becher und Schöpfkelle keine entscheidende Bedeutung mehr, sonder11
die Musen weckten die liebreiche Gesinnung. Chersias aber gibt die Fra ge nach der11
rechten Maße nicht auf, er will sie auf den Besitz angewendet sehen. Ihm antworte1
Kleobulos, daß für die Weisen hier das Gesetz das Maß bestimme; „was aber die
Unvernünftigen anlangt, so will ich das Geschichtchen erzählen, das meine Tochte1
ihrem Bruder erzählte. Selene, sagte sie, bat einst ihre Mutter, ihr ein gutpassend(’s
Röckchen zu weben. Diese aber erwiderte: Wie soll mir das gelingen? Sehe ich didl
doch bald voll, bald abnehmend, bald zunehmend. So gibt es denn auch, mein liebe1'
Chersias, für einen unverständigen und untüchtigen Menschen kein Maß des Ve1'
mögens; denn er ist in seinen Bedürfnissen bald so, bald wieder anders wegen seiner
Begierden und der wechselnden äußeren Umstände“1).
Das Geschichtchen, das Kleobulos erzählt, ist im Sinne von WESSELSKI2) clü
Märlein. Es benutzt ein Gemeinschaftsmotiv voller Lebensrealität: das Mädche11
will von der Mutter ein Röckchen haben. Es benutzt weiterhin ein WahnmotN’
indem es das Gemeinschaftsmotiv auf Selene und Theia, ihre Mutter, übertrag1-
Das Gemeinschaftsmotiv ist in seinen allgemeinen menschlichen Voraussetzung611
weder an Zeit noch Ort noch Persönlichkeit gebunden. Das Wahnmotiv ist zd1'
gebunden. Es setzt den Glauben an eine Mondgöttin und an eine ganze Götte1'
genealogie voraus. In diesem Zusammenhänge betrachtet, gehört das Märlein zu de*11
beliebten Formenkreis der Kindheitsgeschichten göttlicher und heroischer Wese’1-
x) Wir folgen bis auf geringe Abweichungen der Übersetzung Otto Apelts: Plutard1’
Moralische Schriften. Der Philosophischen Bibliothek Band 206. Leipzig 1927, S. 162.
2) Albert Wesselski : Versuch einer Theorie des Märchens. Prager Deutsche Studie*1’
Bd. 45, Reichenberg 1931.
Nach Pauly-WissoWA3) war der Kult der Mondgöttin in Griechenland nicht
stark ausgeprägt ; nur in Arkadien fand sich ein Selene-Dienst. Er gehört zu PLUT-
ArCHs Zeit schon der Vergangenheit an. Das Märlein blüht als herbstliche Spät-
Nume auf dem Boden des zerfallenen Mythos. PLUTARCH selbst entfaltet in dem
Dialog De fade, quae orbe Lunae apparet, das tatsächliche Wissen seiner Zeit. Das
Närlein hingegen ist zur Kinderstubengeschichte geworden und dient wohl der
Scherzhaften Abwehr der Mutter, wenn ein Kind zu stürmisch nach einem neuen
Kleidchen verlangt. Denn wie Selene rasch ihre Gestalt wandelt, so tut es auch das
Schnellwüchsige Kind4).
An den erzählenden Teil schließt das Märlein eine Nutzanwendung : der Gestalt-
Handel der jungen Selene wird gleichnishaft auf die unberechenbare Unbeständigkeit
»Maßloser“ Menschen übertragen. Das ist ein rascher, etwas gewaltsamer Sprung,
^och Kleobulos will nach kurzer Illustration ohne Umschweife zur Anwendung
Seines Weisheitswortes kommen, das ihn durch die Zeiten trägt: Das Maß ist das
beste5).
öle erste unzweideutige Spur des Märleins und seiner Nutzanwendung finden
Hir in der deutschen Literatur in JOHANN FlSCHARTs Geschichtklitterung (Gargantua).
15. Kapitel erzählt er, wie der Knabe Gargantua zwei Hofleute, die Pferde-
ställe für die Unterbringung eines fürstlichen Geleites suchen, zum Narren hält. Die
beiden Hofleute erzählen im Kreise ihrer Gesellschaft, wie sie von dem Jungen
angeführt wurden, und um auszudrücken, daß einem so unberechenbaren Kerl, der
v°n tollem Einfall zu tollem Einfall springt, nicht beizukommen sei, steht am Schluß
Wendung: „So man sonst dem vnstäten Mon, kein Kleid anmachen kann6).“
bl SCHART kannte PLUTARCHS Märlein. In der ersten Bearbeitung der Geschichl-
l'titterung von 1575 ist die Wendung noch nicht vorhanden, sie findet sich erst in
der zweiten von 1582. Inzwischen hat FISCHART 1578 sein Ehezuchtbüchlein
Veröffentlicht, dessen erster und dritter Teil freie Bearbeitungen der Ehevorschriften
Nonjugialia praecepta) und der Kinderzucht (de liberis educandis) des PLUTARCH
Slnck Adolf Hauffen7) hat überzeugend nachgewiesen, daß FlSCHARTs Quelle
q ) Heal-Encyklopädie der klassischen Altertumskunde. Neue Bearbeitung. Hrsg, von
' WlssowA.. Stuttgart 1923 ff., unter Selene.
1 In anderen PLUTARCH-Handschriften erzählt die Mutter des Kleobulos das Märlcin
seinem Bruder.
'.Über das Weiterleben dieses Wortes in der antiken Literatur vgl. G. Brunco: De
pCtls VII sapientium a Demetrio Phalero collectis disputavit. In: Acta Seminarii Philologici
angensis. III. Bd. Erlangen 1884, S. 325—327. Das Märlein geht später auch in das
xT°Tus Fabulorum Aesopicarum über. C. Halm: Fabulae Aesopicae collectae. Lips. 1854,
«389, p. 188.
^ I Johann Fischarts Geschichtklitterung (Gargantua), hrsg. v. A. Alsleben. Neu-
^ke deutscher Literaturwerke des XVI. und XVII. Jhs. Halle 1891, S. 208.
g I Adolf Hauffen: Fischarts Ehezuchtbüchlcin, Plutarch und Erasmus Roterodamus.
^StÜßungsschrift zur 42. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Wien
-B. In: Symbolae Pragenses. Prag-Wien-Leipzig 1893, S. 24—41.
ets.: Die Quellen zu Fischarts Ehezuchtbüchlein. In: Zs. f. deutsche Philologie 1894.
£ , ers.: Johann Fischarts Werke, 3. Teil. In Kürschners Deutscher National-Literatur
r8. Stuttgart o. J., S. Lff.
368
Friedrich Sieber
für diese Arbeiten die lateinische PLUTARCH-Übersetzung Xylanders war8)*
Tomus I der Übersetzung XYLANDERs enthält neben den beiden genannten Ab'
handlungen auch das Convivium 9). Aus dieserQuelle hatFlSCHART auch die Kenn tnlS
des Märleins. Der gelehrte Schriftsteller, der wuchernden Beziehungsreichtutf1
liebt, gab mit dieser Wendung, in die er formelhaft den Inhalt des Märleins zü'
sammenzog, der springenden Launenhaftigkeit des Knaben Gargantua die klassische
Folie.
Die Wendung FlSCHARTs in ihrer syntaktischen Prägnanz geht in des JaN^S
GruTERUS Florilegium ethico-politicum als proverbium germanicum über: DeITl
vnstedigen Mon kann man kein kleyd anmachen. Aus FlSCHARTs ad hoc Wendung
ist ein „deutsches Sprichwort“ geworden10).
Einmal in die Blumenlese des deutschen Sprichwortschatzes aufgenommen»
blüht das Wort durch die verschiedenen Ausgaben von CHRISTOPH LehmaNNs
Florilegio politico oder politischem Blumengarten (Frankfurt ab 1630), um in dei
Ausgabe von 166211) den Bezug zu unserm Märlein bewußt herzustellen: „De°
Monden kann man kein Kleyd machen, also keinem Mondkind12)“.
Über SiMROCK13) und WANDER14) wird das „Sprichwort“ in den Sprichwort'
herbarien als gepreßte Blume weitergetragen. In den mir zugänglichen landschäft'
liehen, aus dem Volksmund geschöpften Sprichwörtersammlungen dagegen habe
ich es nicht gefunden, ein Zeichen, daß es als Eindringling hier kein Heimatrecht
erwarb.
Nur LESSING haucht dem Wort einmal Farbe und Duft ein. Er polemisiert h1
der Schrift: Leihniz von den ewigen Strafen (1773)15) gegen eine Bemerkung, die
EBERHARD in seiner Apologie des Sokrates über LEIBNIZ geäußert hatte: LeIBNÜ
habe seine Philosophie allen Parteien anzupassen versucht. LESSING lehnt das ab-
„Wie wäre das auch möglich gewesen? Wie hätte es ihm einkommen können, mlt:
einem alten Sprichwort zu reden, dem Mond ein Kleid zu machen?“
Lessings Kenntnis des „alten Sprichwortes“ stammt aus CHRISTOPH LEHMANN5
Florilegio Politico in der vierbändigen Neuausgabe von 1662, die ihm in Wolfenbüttel
zugänglich war. Er beabsichtigte, eine Sammlung altdeutscher Sprichwörter und
Apophthegmen aus Wolfenbütteler Handschriften unter dem Titel Altdeutscher
8) PLUTARCHi Chaeronensis Moralia etc. Guilielmo Xylandro Augustano intef'
prete. Basileae 1572.
fl) p. 366.
x°) Florilegii Ethico-Politici ... Pars Tertia: Procurante Jano Grutero. Frankfurt i6i2, *
Anhang Proverbia Germanica p. 15. Friedrich Seiler: Deutsche Sprich Wörter kunbe'
München 1922, bespricht S. 134 das Werk. Es enthält reichlich 1800 deutsche Sprichwörter
deren Quellen noch zu untersuchen sind. Die Quelle unseres „Sprichwortes“ ist FischaB-
n) S. 827.
12) Über die einzelnen Ausgaben und Nachdrucke vgl. Friedrich Seiler a. a. O.
13) Karl Simrock : Die deutschen Sprichwörter. Frankfurt a. M., o. J., S. 332: Dem Mon
kann man kein Kleid anmessen.
14) K.Fr. W. Wander: Deutsches Sprichwörter-Lexikon, 5 Bde. 1867 —1880. Bd. I1I,7i2‘
15) G.E.Lessings sämtliche Schriften, hrsg. v. K.Lachmann, Bd. IX. Leipzig 185 5>
S. 146ff., insbes. S. 153.
Dem Monde kann man kein Kleid machen
369
^Vitz und Verstand zusammenzustellen. Die' Anfänge der Sammlung hat C. Ch.
Redlich 16) aus dem Nachlaß veröffentlicht. Sie enthält 115 meist gereimte Sprich-
wörter; das Wort vom Monde ist nicht dabei. SEILER17) vermutet, daß LESSING
auch einmal plante, LEHMANNS Florilegium verkürzt herauszugeben, da sich in
Seinem Nachlaß18) folgendes Titelblatt fand: CHRISTOPH Lehmanns Blumengarten,
frisch ausgejätet, aufgeharkt und umzäunt von einem Liebhaber alter deutscher
Sprache und Weisheit. Erstes Beet 1770.
Während sich die Spur des Märleins bis jetzt nur in der Kurzform des „Sprich-
worts“ in der deutschen Literatur verfolgen ließ, erzählt G. C. PFEFFEL19) das
§anze Geschichtchen in poetischer Form.
Luna und die Grazie.
Miß Luna, welche sich ein Festkleid machen wollte,
Bat eine Grazie sich von Cytheren aus,
Daß sie des Stoffes Wahl und Schnitt besorgen sollte.
Sie kam und zog ihr Maaß und Musterbuch heraus.
Doch plötzlich stutzte sie. Wer kann Selenen kleiden?
Du bist bald bleich, bald roth, was soll die Farbe seyn?
Nach welchem Maaße soll ich dir den Leibrock schneiden?
Du bist bald fett, bald schlank; heut groß und morgen klein.
So sprach das lose Kind und kehrte zur Cythere
Mit Buch und Maaß zurück. Was sie gesprochen, paßt
Im sittlichen Verstand auf manche Caractère.
Ihr schwankes Bild entwirft auch selbst kein Theophrast.
PFEFFEL liebt in seinen Satiren, den Witz durch Übertragung moderner Lebens-
bezüge in antike Vorwürfe zu reizen. Die in den 90er Jahren aufkommende englische
^ode läßt ihn Selene Miß Luna benennen so wie er das Echo Miß Echo nennt20),
frücht und beschwingt wie ein antikisierend-rokokohaftes Puppenstubengeschicht-
chen erzählt er das Märlein und vergißt dabei die Nutzanwendung nicht. Der neue
^ug, den er dem Geschichtchen einfügt, nämlich die wechselnde Farbe der Miß,
^er sich auch das Kleid anpassen muß, verrät seine Quelle. PFEFFEL schöpfte nicht
aus einer der neuen PLUTARCH-Übertragungen seiner Zeit, er nutzte BLANCHETs
^a Heine de Gor21).
Gatifé, Reine de Gor, avoit toutes les vertus & tous les défauts, ou, pour mieux dire,
avoit tous les caprices qu’on peut avoir. Elle se piquoit même de philosophie, & elle
un jour au sage Zulbar : Je travaille sérieusement à me bien connoître; mais j’ai besoin
ette aidée dans une étude si digne d’une femme raisonnable. Etudiez vous-même mon
Caractère, & faites-m’en un tableau où je me reconnoisse au premier coup d’œil. Votre
16) ÜEMPELsche Lessingausgabe, Bd. 12, S. 769 — 797.
1?) a. a. O. s. Fußnote 10.
!8) Hempel, Bd. 12, S. 769, Anm. 1.
19) G.C.Pfeffel: Poetische Versuche. 6. Tl. 4. Aufl. Tübingen 1802, S. 31.
20\ „ c
) a.a.O., S. 24.
p 2l) Apologues et contes orientaux. Paris 1784, S. 4. Als „Mondkönigin“ in Liebeskind:
almblätter II, 153 (1788) übersetzt. Pfeffel benutzte Blanchet wiederholt. Vgl. M. Pohl:
A'fr Fabeln von G.C. Pfeffel und ihre Quellen. In: Straßburger Studien. Zs. f. Geschichte,
Prache u. Literatur des Elsaß. Bd. III. Straßburg 1888.
3 V°lkskunde
370
Friedrich Sieber
caractère! répondit Zulbar: mais lequel, sublime Majesté? Votre modestie vous fait-elle
donc imaginer que vous n’avez qu’un caractère? Les fleurs du printemps sont moins
nombreuses & moins variées, que les vertus dont votre âme s’embellit à chaque instant. En
les voyant, ces vertus, éclore & briller tout-à-coup, puis disparoître, puis reparoître encore;
en les voyant se mêler, s’accorder, se combattre, je puis les admirer comme un autre: mais qul
pourra jamais les décrire, ou seulement les compter? J’ai lu quelquepart, ajouta le philosophe,
que la Lune voulut un jour qu’on lui fît une robe convenable à sa taille & d’une couleur
favorable à son teint. L’Ouvrière qu’elle avoit mandée lui dit ingénuement: O Reine des
astres! vous nous charmez sous toutes les formes & dans tous les temps: mais vous êtes
tantôt grande & tantôt petite, tantôt blanche, tantôt pâle, tantôt vermeille. Quelle mesure
puis-je prendre sur une taille qui n’est jamais la même? Quelle couleur puis-je assortir à un
teint qui change d’une nuit à l’autre?
BLANCHET entwirft in kurzen treffenden Zügen das Bild einer kapriziösen vor-
nehmen Dame seiner Zeit und seines Landes (die Lokalisierung im Orient ist
leichte Verhüllung) und verwandelt das Märlein in ein funkelnd geschliffenes Werk
erzählender Kleinkunst, das moralisch und amüsant zugleich die Jugend belehren,
die Leute von Welt erfreuen und die Philosophen zur Betrachtung anregen will*
Aus BLANCHETs La Reine de Gor scheint der Kern des Märleins als sprichwörtliche
Wendung in die französische Sprache gedrungen zu sein. Wenn einer Person ein
Kleidungsstück durchaus nicht paßt, so kann der Franzose erklären: „Cela lui va
comme un manteau à la lune.“ GOTTSCHALK bringt den ersten literarischen Beleg
für die Wendung aus dem Jahre 184222).
PFEFFELs Neugestaltung des Märleins aus französischer Quelle wirkt in def
deutschen Literatur nicht nach. J. D. Falk geht in seiner Weiterbildung ganz
andere Wege23).
Mond sprach einmal zu seiner Mutter:
Macht mir ein Kleid, doch warm von Futter:
Denn die Nächte sind kalt jetzunder.
Sprach Mond’s Mutter zu ihm: Gott’s Wunder:
Wie bist du jetzt so klein, mein Sohn?
Nahm ihm ein Maß, und er lief davon.
Als aber der Mond lief und zunahm,
Und über ein Kleines wieder kam:
Da war sehr theuer guter Rath:
Der Mond schien voller, als ein Prälat:
Das Röcklein wollte nun nirgend passen:
Seine Mutter gedacht es auszulassen:
Trennt auf an den Achseln manche Naht:
Denn in solchem Stück ist sie akkurat:
Aber da riß dem Mond die Geduld:
Er maß der Mutter allein bey die Schuld,
Und sprach vor ihr: Liebe Mutter, Potz!
Jetzt ist nimmer Zeit, daß ihr flickt und fatzt:
Steht im Kalender Mondschein jetzunder,
Da muß I zum alten Erdball herunter.
Sprach seine Mutter vor ihm: Nun so lauf!
22) W.Gottschalk: Die sprichwörtlichen Redensarten der franz. Sprache. I. (1930), 4-
23) J. D. Falk: Grotesken, Satyren und Naivitäten auf das Jahr 1806. Tübingen 1806,
S. 104—107.
Dem Monde kann man kein Kleid machen
371
Und komm’ bald wieder, und geh’ hübsch aufl
Diene mit Mondschein, dem vollen klaren,
Unten am Erdball unsern alten Nachbaren,
Damit das Laternengeld sie sparen!
Denn seinen Nebenmenschen zu dienen
Ist noch niemand zu früh erschienen!
Als nun der Mond aber lief und abnahm,
Und über ein Kleines wieder kam,
Und zufrug wegen seiner Tracht,
Nachdem seine Mutter gar manche Nacht
Aufgesessen bey Sternenfunkeln;
Auch manchen Stich gethan im Dunkeln:
Da begab sich ein andrer Schwank:
Das Röcklein war ihm eben zu lang;
Denn der Vollmond war nun leider
Fast dünner geworden als ein Schneider,
Der, mit seinem Brief und Kundschaft,
Zurückkehrt von seiner Wanderschaft,
Aus dem heiligen, römischen, deutschen Reich:
So hohläugig sah er und so bleich:
Hatt’ ein Paar Backen, wie Barbierbecken;
Die Ermel hiengen ihm gleich Hopfensäcken,
Und schlotterten ihm bis auf das Knie:
Wie seine Mutter das sah: so schrie
Sie so ihn an, gar sehr verdrossen:
Treibst mit deiner Mutter so arge Possen:
So traktiert ja auf Erden kein Student,
Wie du deine Mutter am Firmament!
Bald ist’s zu kurz, bald wieder zu lang:
Kein Schneider macht dir was zu Dank!
Das ist von Kindern halt keine Manier;
Lauf! Komm mir nit wieder vor die Tür!
Und so muß nun sein Lebelang
Der arme Schelm so nackt und blank
Wie er ist, am Firmamente laufen,
Bis jemand kömmt, der ihm ein Röcklein thut kaufen.
Als Quelle der Erzählung gibt FALK an: „Aus den Fragmenten des MENANDER
^ler den kleinen Abhandlungen des PLUTARCH, ich weiß es nicht mehr recht genau.“
°n 1783 an erschien KALTWASSERs große PLUTARCH-Übersetzung, in deren
Band (1784) das Gastmahl der sieben Weisen enthalten ist24). Hier dürfte FALKs
|vüelle sein. Er stilisiert den Schwank in das Altdeutsch-Schwäbische, dessen Treu-
^tzigkeit er mit satirischem Pfeffer zu würzen weiß. Die biedere Treuherzigkeit
at es wohl JACOB Grimm angetan, der FALKS Erzählung von allen satirischen
nspielungen reinigt und in die fromme Märchensprache, die er im ersten Tasten
formen versucht, überträgt25):
lüer Mond sprach einmal zu seiner Mutter, sie möchte ihm doch ein warmes Kleid
achen, weil die Nächte so kalt wären. Sie nahm ihm das Maas, und er lief davon, wie er **)
**) Joh. Friedrich Degen: Litteratur der deutschen Übersetzungen der Griechen.
25cl- Altenburg 1798, S. 301.
) Vgl. Joseph Lefftz: Märchen der Brüder Grimm. Leipzig 1926, S. 106; 166.
3*
372
Friedrich Sieber
aber über ein Kleines wiederkam, so war er so groß geworden, daß das Röcklein nirgend
passen wollte. Die Mutter fing daher an die Nahten zu trennen, um es auszulassen, allein
dies dem Mond zu lang dauerte, so ging er wieder fort seines Weges. Die Mutter nähetc
emsig am Kleid und saß manche Nacht auf beim Sternenschein.
Als nun der Mond zurückkam und viel gelaufen hatte, so hatte er sehr abgenommen,
dünnund bleich geworden, daher ihm das Kleid viel zu weit war, und die Ermel schlotterte!1
bis auf die Knie. Da wurde die Mutter gar sehr verdroßen, daß er ihr solche Poßen spielc>
und verbot ihm, je wieder in ihr Haus zu kommen. Deswegen muß nun der arme Schelf1
nackt und blos am Himmel laufen, bis jemand kömmt, der ihm ein Röcklein thut kaufe*1-
Das Märlein „Der Mond und seine Mutter“ schickt JACOB Grimm bereits 1808
an SAVIGNY für dessen Tochter Bettine. Es geht als Nr. 106 unverändert in die
Oelenberger Handschrift über26). Vielleicht ist es der fremde Ursprung gewesen)
der die Grimm veranlaßte, bei der Schlußredaktion der KHM das Mondmärlei*1
auszuscheiden. Dafür nimmt Ludwig Aurbacher den Stoff von Falk im 2. Ted
seines Volksbiichleins (1829) erneut auf. Er kontaminiert das Märchen vom Schneidet
im Himmel mit dem Mondmärlein und gewinnt so eine eigenständige Erzählung.
Ein Schneider, der in die andere Welt wanderte, verirrte sich in den Mond. Ein solche*
Mann war dem Mond willkommen. „Es friert mich immer so sehr, sagte der Mond, zutfl^
in den kalten Winternächten; und da thät mir denn ein warmes Röcklein gar wohl.“ Del
Schneider mochte wollen oder nicht, er mußte bleiben, und er nahm sogleich das Ma^
an dem Mond. Der hatte aber einen gar großen Buckel und einen dünnen, dünnen Bauch)
und er sah schier aus, wie ein Schneider, wenn er auf dem Bock sitzt. Der Rock war i*1'
dessen bald fertig, und er stand dem Mond aufs all er netteste, trotz seiner Mißgestalt. Abc1
siehe da! nun schwoll der Kunde von Tag zu Tag, und sein Bauch wurde immer dicke*)
und der Rock immer enger. Da hatte denn der Schneider vollauf zu thun, um nachzuhelfe*1»
aufzutrennen und dranzusetzen. Zuletzt wurde der Mond ganz dick und fett und kugelrund»
und der Schneider konnte kaum so viel Tuch auftreiben, und so viel Zeit, um die ArbcJt
zu fertigen für Nacht auf Nacht. Nun endlich glaubte aber der Schneider, er werde RuhL
haben und Urlaub bekommen. Aber was geschieht? Jetzt fing der Mond an ordentlich
einzuschrumpfen von Tag zu Tag, so daß ihm das Kleid immer weiter wurde und an seine*11
Leibe schlotterte. Ja, was noch schlimmer war, er schwand jetzt, wie ein rechter Wechsel'
balg, am Rücken, während er vorn den Wanst behielt, und er sah zuletzt aus, wie ein Gaukle*)
der sich rückwärts auf den Boden niederläßt. Da gab’s denn für den armen Schneider fn*1
und fort Arbeit; immer mußte er wieder nachhelfen und auftrennen und davon nehme*1)
bis daß es recht war. Endlich, nach drei Wochen, bekam er Ruhe; denn der Mond legtc
sich jetzt schlafen, und ließ sich mehrere Tage nicht mehr sehen. Unser Schneider abe*>
welcher der vielen und langen Arbeit satt geworden, verließ insgeheim den Mond, u*1
setzte seine Wanderung fort. Ob er aber zuletzt in den Himmel gekommen, das weiß ma*1
nicht.
Fünf Persönlichkeiten — Blanchet, Pfeffel, Falk, Jacob Grimm, AüK
BACHER — haben zwischen 1784 und 1829 den alten Stoff neu geformt. Die Gestal'
tungen zeigen deutlich den Griff der persönlichen Hand und den Einfluß der trage11'
den Zeitströmung. Hauptzug des Märleins bleibt das nicht passende Kleid.
Nebenzug tritt bei BLANCHET—PFEFFEL die wechselnde Farbe desTeints, von FAlT
an die Nacktheit des Mondes auf. Gerade in diesem Nebenzuge zeigt sich der Wande
der Zeiten eindringlich; dort raffinierte Bekleidungskunst, in der Kleid und Ge'
26) Wilhelm Schoof: Neue Erfassungen Grimmscher Märchen. Hessische Blätter f
Volkskunde XLIV (Gießen 1953), S. 65fr.
Dem Monde kann man kein Kleid machen
373
S1chtsfarbe aufeinander abgestimmt sein müssen, hier der gute, arme, nackte Mond-
schelm, der nach vielfältiger Vorbereitung in der Dichtung (F. J. SCHNEIDER nennt
Hainbündler die „Pioniere der deutschen Mondscheinpoesie“)27) dabei ist,
sKh zn einem „völlig deutschen Gegenstand“28) zu entwickeln.
Blanchet hat den Nebenzug als seinem Vorwurfe gemäß frei erfunden. Ob das
auch bei Falk mit der Nacktheit des Mondes der Fall ist? Wohl liegt dieser Zug als
Möglicher Endpunkt in der Erzählung einbeschlossen, aber die bewußt unsicheren
Quellenangaben lassen es bei einem Manne, der frühe deutsche Dichtung lite-
rafisch ausmünzte, durchaus möglich erscheinen, daß ihm noch eine andere Vorlage
v°rschwebte.
Wickrams Schwank vom nackten Deutschen
Georg Wickram erzählt in seinem Rollwagenbüchlein29) den Schwank: Ein
’Ualer wüst keinen teutschen man in seiner kleidung zu malen.
Ein edelman verdingt einem maler ein saal zu malen, welcher gar ein kunstreicher
guter maler was. Des edelmans verding was, das er im allerley nationen und völcker
(tnalet) mit irer kleidung, und wie sie gon mit wehren und irer gewonlichen kriegs-
tüstung. Das alles malet er im gar artlich und künstlich, so das Juden, Dattern, Heiden,
Türcken, Griechen, Saracener, Araber, Indianer, in summa kein volck außgenummen
sunder die Teutschen. Als nun der edelman das gemäld besichtiget und im all ding gar
Wol gefallen, hat im allein gmanglet, das er die Teutschen in ir kleidung nit gesehen.
Darumb er verursacht war, den meyster zu fragen, was die ursach sey, das er die
Teutschen außgelassen hatt. Darauff der maler geantwurt, es sey im nit müglich, dann er
^dß in kein kleidung zu machen. Als aber der edelman die auch haben wellen, hat der
Uialer einen gantz nackenden mann gemacht und im ein grosse bürden tuch auff den
rucken gemacht. Hatt der edelmann gefragt, was er damit gemein, das er einen nackenden
dahin gestelt hab. Darauff er geantwurt: ,Juncker, die teutsch kleidung zu malen ist
keinem maler in der gantzen weit müglich; dann sie allen tag etwas news herfürbringen;
ftian kan schier teutsch noch welsch vor einander erkennen. Dis duch aber hab ich im
darumb auff den rucken geben, das ein yeder mag darvon nemenund im, dem nackenden
deutschen, ein kleid nach seinem gefallen machen’. Mit dieser verantwurtung was der
edelman gesettiget und must dem maler gewunnen geben.
0( Dis ist ungefarlich vor 30 jaren geschehen. Nun wolt ich gern wissen, wann yetzund
еШег einen Teutschen malen wolt, wie er doch die sach angreiffen wolt; also gar ist die
^elt entwichtert. Man sehe doch nur an den großen überschwencklichen mutwillen
und Unkosten der schantlichen und lästerlichen ploderhosen.
Der Schwank ist in der ersten Ausgabe des Rollwagenbüchleins von 1555 nicht
^halten; erst in Ausgabe C (15 57)30) tritt er auf. WlCKRAM gibt für die Erzählung
^ejne Quelle an; unlokalisiert verlegt er sie in ein ungefähres Zurück. Der Schwank
esteht aus Eingang, Schwankerzählung, Schlußbetrachtung.
Der Eingang mutet an wie frisch aus dem Leben gegriffen. Aufträge der führenden
chicht an Maler sind an der Tagesordnung. Das Interesse der Menschen an der
^ £idung wird im Laufe des 16. Jahrhunderts mächtig rege, und so führt der
ch\vank mit seinem Eingang mitten in die Lebenswirklichkeit.
27\ -r
a 1 ln: Die deutsche Dichtung der Geniezeit. Stuttgart 1952, S. 112.
2) Christian Morgenstern: Galgenlieder.
3 ) Georg Wickrams Werke. Hrsg. v. Joh. Bolte. Tübingen 1903. Bd. III, Nr. 101.
) Bolte a. a. O., S. XIX.
374
Friedrich Sieber
Die eigentliche Schwankerzählung ist zweiteilig. Der spannungsteigernden Rat'
losigkeit des Malers folgt die Lösung im kecken Künstlereinfall. Die Erzählung
atmet ungetrübten Humor. Von diesem Ton setzt sich die Schlußbetrachtung mit
ihrer sittlichen Entrüstung jäh ab.
Dieser Bruch im Gefüge der Erzählung ist zeitgeschichtlich bedingt. Der Schwank
stammt aus einer Zeit, die den gewaltigen Kostümwandel, der sich von der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts an vollzieht und der auf eine Einebnung der nationalen
europäischen Kostüme abzielt, zwar erstaunt, verwundert und mit Unbehagen,
aber noch nicht mit polternder Entrüstung betrachtet. In diesem Kostümwandel
wirkt sich Renaissancegeist aus, der aus dem wirtschaftlich und geistig internatio-
nalen Austausch neue Kräfte zieht, dessen Körpergefühl Lockerung der engen
Kleidung und Berücksichtigung des eigenen Geschmacks verlangt. Diesem Geiste
ist WlCKRAMs Schwank verbunden. Als aber von etwa 1550 an sich die Pluderhose
zu gigantischen Ausmaßen entwickelt und ANDREAS MUSCULUS31) seine donnernde
Predigt vom Hosenteufel gehalten hat (1555), gehen die jeremiadischen Anklagen
gegen die Verworfenheit der Zeit in den Zeitstil ein, und diesem Tone schließt sieb
WlCKRAM mit seiner Schlußbetrachtung an.
WlCKRAMs Schwank geht in JOACHIM WESTPHALs Wider den Hoffartsteufel •••
Eisleben 1565 32), über. An Stelle des Edelmanns tritt als Auftraggeber der türkische
Kaiser. Diese anscheinend geringfügige Änderung bedeutet eine heftige Verschäf'
fung der Anklage. Bei WlCKRAM bleibt die humorvolle Kritik eine innerdeutsche
Angelegenheit. Hier werden vor dem Feinde der Christenheit die Wankelmütigkeit
und Unbeständigkeit der Deutschen, ihre „leichtfertigen, stolzen und äffischen
Herzen“ bloßgestellt.
Johann Strauss aus Elsterberg33) übernimmt den Schwank aus West-
PHAL. Er verknüpft ihn mit einem aus ANDREAS MUSCULUS entlehnten Greuel'
märchen: „Vor kurtzen hat der Türck viel der Deudtschen gefangen / vnd diese!'
bigen / wie sie zerhackte vnnd zerlumpte Kleider gehabt / also auch am Leibe zef'
hacken vnnd zerreissen lassen. Also mus es noch solchen muthwilligen vnd leicht'
fertigen Buben ergehen / vnd sie werden jm nicht entfliehen.“ So werden die in den
Predigten üblichen Strafandrohungen in der grausigen Phantastik des „Greuel'
märchens“ als vollzogen gedacht.
Auch FISCHART kennt den Schwank aus WESTPHAL. Er hat ihm so gut gefallet
daß er ihn in der Geschichtklitterung (Gargantua) zweimal verwendet: Er schneidet
ihn in Anlehnung an RABELAIS auf die allerdings schon abklingende Modetorheit
seiner Zeit zu, die Brustlätze. Nachdem er sich ausführlich über die Brustlätze der
Nationen verbreitet hat, erzählt er, Karl der Große habe in seinem Saal die Lätze der
Nationen in Lehm, Wachs, Stein, Marmor, Metall bossieren und zum Gedächtnis
31) Andreas Musculus: Vom zuluderten, zucht vnd ehrerwegnen, pludrichten Hosen-
teufel, vermanung vnd Warnung. Hrsg, von Max Osborn. Halle 1894. Vgl. Max OsbOR^'
Die Mode in der Teufelliteratur des 16. Jhs. Berlin 1893.
32) Über Westphal vgl. Goedeke: Grundriß II2, S. 480/81. Abgedruckt ist der Hol'
fartsteufel im Theatrum Diabolorum II. Teil. Frankfurt a. M. 1587, S. 30.
33) Wider den Kleyder Pluder Pauß vnd Krauß Teuffel. Görlitz 1581. Abgedruckt h'1
Theatrum diabolorum II. Teil. Frankfurt a. M. 1587, S. 64/65.
Dem Monde kann man kein Kleid machen
375
aufstellen lassen. Soliman aber („Selim“), der türkische Kaiser, „welcher als er aller
Nationen kl ei düng het malen lassen, vnnd an den Teutschen vnd Frantzosen kam,
Wußt er nit was er denselbigen für ein latz machen solt: derhalben ließ er sie nackend
^alen, vnnd jhnen ein ballen thuch mit eien vnnd spissen außzumessen geben,
darauß möchten sie jhnen latz vnnd gsäß machen so wunderfundsam vnnd so offt
Vefänderlich wie sie jhmer wollten: Dann der Teuffel mahl oder schreib disen fund-
Schwangeren Kleidfuhrierern vnd hosenquartierern ein Formularbuch von kleidern
für, wie man wol heut denNotarij s fürkauet vnnd fürspeiet: Ja wie die Cantzelärmel der
vnformularigen vnd vnconcordirenden Welt heutGebett Formular vorschreiben“34).
Auf FlSCHART greift der Autor des Kurtzweiligen Zeitvertreibers (1666) zurück, der
ln dieser Sammlung zusammengerafften Erzählgutes die Anekdote vom türkischen
Kaiser und dem nackten Deutschen fast unverändert erzählt343). Doch tut er dies
ln einfacher Sprache ohne den FlSCHARTschen Wortschwulst. In dieser Zeit der
Hochblüte des ä la mode Unwesens konnte der Verfasser mit der Aufnahme des
alten Motivs sicherlich auf ein verständnisvolles Publikum rechnen.
Die nachgewiesenen Quellen zeigen WlCKRAMs Schwank vom nackten Deutschen
So-wohl als Ganzes wie auch in seinen Teilen als Kernstück des umlaufenden
lirzählgutes, das sich um Mode und Kleiderluxus rankt. Berichte von wirklichen
Geschehnissen, Anekdoten und Sprichwörter gehen von Mund zu Mund und von
feder zu Feder. Aus diesem Erzählgut sollen zwei Beispiele für den Eingang des
Schwankes (Auftrag an einen Maler) gegeben werden.
An einem Sonntag des Jahres 1555 predigte in Frankfurt a. O. der Diakonus der
Dberkirche, Lizentiat MELCHIOR Dreyer, gegen die Pluderhosen. Am folgenden
Sonntag erblickte die Gemeinde hoch an einem Kirchpfeiler der Kanzel gegenüber
Paar dieser Beinkleider.
Musculus, damals Generalsuperintendent der Mark Brandenburg und Pro-
fessor der Theologie in Frankfurt, verlangt strengste Untersuchung. Die Täter,
Wahrscheinlich Studenten, werden nicht entdeckt. Darauf hält MUSCULUS selbst
Seine berühmte Predigt. In dieser Predigt wird in einem der Exempel der Eingang
von WlCKRAMs Schwank vorweggenommen. Ein frommer Mann bestellte bei
einem Maler eine Tafel und bat ihn, darauf das Jüngste Gericht ernst und erschreck-
hch zu malen; besonders solle er den Teufel recht greulich machen. Der Maler malte
den Teufel in Pluderhosen. Da erschien ihm der Höllenfürst und gab ihm einen
§eWaltigen Backenstreich, weil er ihn in solchen „Luderhosen“ abkonterfeit habe35).
Das Motiv vom Maler und dem Teufel mit einer langen „Lumphose“, diesmal
auf ein Bild der Passion und Kreuzigung Christi bezogen, benutzt auch KIRCHHOF
lrtl ITendunmuth 36), ein Zeichen, daß wir es mit einem gängigen Zeitmotiv zu tun haben.
3l) Johann Fischarts Geschiehtklitterung (Gargantua), S. 176; 247. Der synoptische
Neudruck läßt die Bearbeitungen von 1575, 1582 und 1590 auch in bezug auf unsern Text
eicht erkennen. Fischart wurde zu seinen Paraphrasen über die Lätze durch sein Vorbild
aBelais angeregt, der im 8. Kap. den Hosenlatz Gargantuas beschreibt.
31a) Kurtzweiliger Zeitvertreiber. 1666, S. 162.
35) A. a. O., S. 7. Abgedruckt im Theatrum diabolorum II. Teil. Frankfurt a. M. 1587, S. 95 b.
36) H. W.Kirchhof: Wendunmuth. Hrsg, von H. Österley. Tübingen 1869. IV, 158:
°n den Landsknecht Lumphosen.
376
Friedrich Sieber
So erweisen sich Eingang und Schluß von WlCKRAMs Schwank, eingebettet in die
Literatur um Mode und Kleiderluxus, als typische Formeln des Zeitstils. Nur der
Kern des Schwankes scheint, soweit die literarischen Quellen sprechen, WlCKRAMs
Eigentum zu sein. Es ist möglich, daß dieser Schwank J. D. Falk anregte, PlUT-
ARCHs Märlein vom Mondkind zur satirischen Groteske vom nackten Monde
weiterzuspinnen. Doch sollte Plutarchs Märlein vom Monde auch WiCKRAM
irgendwie zu Ohren gekommen sein?
Bildliche Darstellungen des Schwankmotives
Im 16. Jahrhundert leben Wort und Bild in innigster Verbindung. Den Lese-
unkundigen, den das Wort nicht anspricht, spricht das Bild an, das seinerseits selbst
die Vorgänge erzählt oder drastisch zu einprägsamer Bildformel verdichtet. Für die
Untersuchung eines Erzählmo-
tivs dieses Jahrhunderts ist dar-
um Beschäftigung mit dem Bild-
gut der Zeit unerläßlich.
1542 erschien in London ein
seltsames Buch, dessen voller
Titel lautet :
The fyrst boke of the Introduction
of knowledge. The whych dothe teachc
a man to speake parte of all maner of
languages, and to know the vsage and
fashion ofall maner of countreys. And
for to know the moste parte of all
maner of coynes of money, the whych
is currant in euery région. Made by
Andrew Borde, of Physycke
Doctor. Dedycated to the right hono-
rable & gracious lady Mary doughter
of our souerayne Lorde kyng Henry
the eyght37).
Die Introduction of knowledge ist der erste europäische Reiseführer. ANDREW
Borde trat als Minderjähriger in den Karthäuserorden ein, aus dem er später nur
unter großen Schwierigkeiten wieder ausscheiden konnte. 1529 beginnt er an ver-
schiedenen kontinentalen Universitäten sein medizinisches Studium. Nach mehr-
jähriger Tätigkeit in seinem Heimatland nimmt er in den dreißiger Jahren seine
Studien wieder auf. Er studierte an den Universitäten Orléans, Poitiers, Toulouse,
Montpellier und wahrscheinlich auch in Wittenberg. Dabei hat er offensichtlich
von Staatssekretär CROMWELL den Auftrag, ihm politische Stimmungsberichte vom
Kontinent zu übersenden. (Heinrichs VIII. Bruch mit Rom erregte damals die
37) In den Neudrucken der Early English Text Society, besorgt von F. J. FurnivalR-
London 1870. Für den Hinweis auf Borde bin ich Prof. Dr. P. deKeyser, Gent, zu Dank
verpflichtet.
Dem Monde kann man kein Kleid machen
377
Eetnüter.) Vier große Reisen führte BORDE durch. Nach seinen eigenen Worten
^reiste er den ganzen Umkreis der Christenheit, ja, eine seiner Reisen führte ihn
k*s Jerusalem. Seine Erfahrungen legte er in einem Handbuch über Europa nieder,
aber die Handschrift, die er Cromwell lieh, ging verloren. Als Ersatz für diese
Handschrift schrieb er, teils inVersen, teils in Prosa, die Introduction of knowledge,
Jn der er nach einem festen Schema: die natürliche Anlage der Bewohner, das Land,
^as Geld, die Sprache, Land um Land behandelt.
Er beginnt mit seinem Heimatlande: The fyrst chapter treateth of the natural
^position of an Englyshman, and of the noble realme of England, & the money
Elat theres is vsed.
Eer derbe Schnitt über der Kapitelüberschrift (Abb. i) zeigt einen bärtigen Mann,
<aer bis auf Federbarett und einen Schamgürtel unbekleidet ist. Über dem rechten
Attn trägt er einen Ballen Tuch, in der linken Hand hält er eine gewaltige Schere hoch.
Eer Text gibt die Erklärung des Bildes:
I am an English man, and naked I stand here,
Musyng in my mynde what rayment I shal were;
For now I wyll were thys, and now I wyl were that;
Now I wyl were I cannot tel what.
All new fashyons be plesaunt to me;
I wyl haue them, whether I thryue or thee38).
Ich bin ein Engländer, und nackt steh’ ich hier
und erwäge, welches Gewand ich tragen soll;
denn bald will ich dies, bald jenes tragen,
bald weiß ich selber nicht was.
Alle neuen Moden sind mir angenehm;
haben will ich sie, gleich, ob ich dabei gedeihe.
Nach Bordes Urteil ist der Engländer der modesüchtigste Mann seiner Zeit,
läßt er auch den Neapolitaner sagen : Meine Art der Kleider will ich nicht auf-
geben; alle neuen Moden überlasse ich England39).
Eie Schnitte zu Bordes Buch, die am Anfang jedes Kapitels stehen, wurden nach
H. HoOPERs Untersuchung aus den verschiedensten Quellen, auch kontinen-
talen, genommen. Der gleiche Schnitt dient zur Darstellung von Männern ver-
miedener Länder. Einige der benutzten Holzstöcke sind viel älter als das Erschei-
nungsjahr des Buches; sie sind wurmstichig und durch Gebrauch beschädigt. Nur
den Schnitt des Engländers besteht nach HOOPERS Urteil die Möglichkeit, daß
et eigens für das Buch hergestellt wurde. Wenn dem so ist, stünde der literarische
Einfall hier vor der Bildgestaltung.
Aus Andreas Bordes Introduction entlehnt der Genfer Maler LUKAS DE
Heere (1534—1584), der 1567 — 1577 in England in der Verbannung lebte, das
^Edmotiv. In den 70er Jahren erhielt DE HEERE von seinem Gönner Admiral
EöWard Clinton, Lord Lincoln, den Auftrag, ein Théâtre de tous les Peuples
( 1 Kations de la Terre zu malen. Unter die Kostümbilder in Aquarellmalerei mischte
er auch das Bild eines nur mit einem Lendentuche bekleideten nackten Mannes, der
*) thee synonym zu thrive von ae. deon.
) a-a. O., S. 177.
378
Friedrich Sieber
wie bei BORDE Stoffballen und Schere trägt (Tafel XII, a). Das Bild wird allgemein
als eine milde Satire DE Heeres auf den von ihm sonst bewunderten Engländer
gedeutet. Aus dem derb-verwegenen Briten der Zeit Heinrichs VIII. ist im
Aquarell DE Heeres ein glatter, wenig ursprünglicher Allerweltsmann geworden40)-
DE HEERES Aquarell kann als Bestandteil einer im festen Besitz befindlichen
Handschrift keine weitere Wirkung ausüben. Aber Bordes Iniroduction, dessen
2. oder 3. Ausgabe 1562 erschien, konnte das.
1577 erschien in Nürnberg das WEIGELSche Trachtenbuch:
Habitus Praecipuorum Populorum, Tarn Virorum Quam Feminarum Singulari arte
depicti. Trachtenbuch: Darin fast allerley und der fürnembsten Nationen! die heutigs tags
bekandt sein/ Kleydungen/ beyde wie es bey Manns und Weibspersonen gebreuchlich/ mit aller*1
uleiß abgerissen sein/ sehr lustig und kurtzweilig zu sehen. Gedruckt zu Nürnberg/ bey HANS
WEIGEL Formschneider. Anno M. D. LXXVIP1).
Der Band enthält ein Titelblatt mit allegorischer Einfassung in Holzschnitt?
drei Blätter Dedikation an Pfalzgraf Ludwig vom Herausgeber, 220 Blätter
Trachtenabbildungen42), ein Schlußblatt mit der Darstellung der Predigt des
Johannes des Täufers in der Wüste.
Uns fesselt das Titelbild (Tafel IX). Der Titel, auf Vorhang geschrieben, ist von
einem oberen und unteren Bildoval umrahmt, die durch Bildleisten verbunden sind-
In der linken Bildleiste steht die Gestalt des Mars als Hinweis auf die in Kriegs-
rüstung dargestellten Männer, in der rechten die der Minerva mit Weberschiffchen,
Webbaum und Webkamm zu ihren Füßen als Hinweis auf den handwerklichen
und fraulichen Hausfleiß, durch den die Gewebe entstehen.
Das obere Bildoval, von zwei Putti im Rollwerk flankiert, ist dreiräumig und
gibt so eine dreiteilige Bühne für das Szenarium des paradiesischen Dramas. Im
fernen linken Hintergrund ermahnt Gott Vater im Strahlenkranz Adam und Eva,
nicht vom Baume zu essen. Der rechte Mittelgrund zeigt das erste Menschenpaar in
der paradiesischen Landschaft, belebt von Einhorn und anderem Getier. Adam hat
den Apfel gefaßt. Steil steigt die Schlange ringleibig und schmalköpfig unmittelbaf
aus dem Erdengrund, ohne der Stütze des Baumes zu bedürfen, sich Adam zu-
neigend. Erregtes Gespräch geht zwischen den beiden Menschen, in denen, so
unmittelbar vor dem Fall, die Scham schon rege wird.
40) Die Quelle de Heeres wurde zuerst von George Vertue in seinen Anecdotes of
Painting in England, vol. I, 1762, p. 135, erkannt. Über Lucas de Heeres schriftstellerische
und malerische Tätigkeit in England vgl. Th. M. Chotzen und A. M.E.Draak, Be'
schrijving der Britische Eilanden door Lucas de Heere. Antwerpen 1937. Thieme-BeckeK
Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, Bd. 16, hrsg. von Hans Vollmer. Leipzig
1923, S. 233, verlegt die Kostümhandschrift de Heeres in das Stadtarchiv Gent. Nach
freundlicher Mitteilung P. deKeysers liegt sie als Ms. 2466 in der Universitätsbibliothek
Gent. C. Debaive weist aus Textstellen de Heeres auf die Möglichkeit hin, das Bild ohne
speziellen Bezug auf den Engländer als Verkörperung der allgemeinen Modetorheit auf'
zufassen. Vgl. dazu Chotzen-Draak: Einl. LXXV, Anm. 3).
41) Nach Becker sind vom WElGELschen Trachtenwerk zwei Ausgaben erschienen; uns
liegt als Exemplar der Landesbibliothek Dresden die bessere vor, ein altkoloriertes Exempläi
mit den Signaturen bis J j j III.
42) Tafel 141 und 161 fehlen in unserem Exemplar.
Dem Monde kann man kein Kleid machen
379
Oer linke Vordergrund zeigt Adam und Evas Vertreibung durch den Cherubim,
^er aus den Wolken sein Schwert schwingt. Beide Menschen haben ihre Blöße mit
aüs Lammfell geschnittener Kleidung verdeckt. Ein mächtiger Baumstamm mit
knorrigem Wurzelfortsatz bildet gleichsam die Schwelle zu den paradiesischen
Gefilde^ die sie nunmehr für immer überschritten haben.
Oas untere Bildoval (Tafel XI) stellt die Vertreter der vier Erdteile dar. Asia als
"Türke und Amerika als Indianer füllen in statuarischer Frontalstellung die Bild-
mitte. Von rechts lehnt sich Afrika als Maure leicht vor mit Halbmonden und Stern
ais Emblemen im Schildfeld. Von rechts schreitet Aeuropa raschen Schrittes als
nackter Mann mit einer Stoffrolle unter dem rechten Arm und einer Schere in der
Linken Hand vordergründig in den Bildraum.
Doch die menschlichen Gestalten sind nicht die einzigen Repräsentanten ihrer Erd-
öle. Hinter Aeuropa leuchten von einem Baume rote Äpfel, hinter Asia steigt eine
Tal me auf, hinter Amerika entfaltet sich ein Ölbaum mit Fruchtbüscheln, hinter Afrika
steigt ein Stamm auf, der aber seine Krone im Ovalrund nicht mehr entfalten kann.
Das Trachtenbuch ist der bekannteste Druck des Briefmalers, Formschneiders
und Druckers HANS WEIGEL d. Ä. Der Anteil Jost Ammans, der Zeichnungen
*u den Schnitten WEIGELs geliefert haben soll, ist umstritten43). HEINRICH DOEGE
emdeckt das Zeichen Ammans auf dem ersten Blatt, den Kaiser darstellend, und auf
dem Schlußblatt, hält aber sonst den Anteil Ammans für sehr gering. JULIUS
Meyer44) schreibt auch das Titelblatt Jost Amman zu. Wir schließen uns seiner
Meinung an. Titelblatt und Schlußblatt stehen beide außerhalb der Entfaltung des
eigentlichen Kostümgutes; sie bilden mit dem Sündenfall und der Büßpredigt des
JOHANNES den didaktischen Rahmen, in den die üppigeSchau eingespannt ist, und
st<dien sich sowohl in ihrem Gedankenreichtum wie in der meisterhaften bild-
rietischen Durchführung sehr nahe.
Wenn auch aus dem groben Schnitt von Bordes Inlroduction bei WEIGEL ein
Meisterwerk der Formschneidekunst geworden ist, so ist die Beziehung der Werke
^einander offenbar. Die ominöse Schere, die nicht gleich ein zweites Mal in selbst-
wüchsigem Einfall entstehen dürfte, ist dafür Beweis. Bei den damaligen Wande-
rungen des Bildgutes mag WEIGEL-Amman der Schnitt zu Gesicht gekommen sein.
^EIGEL-Amman haben aber auch WlCKRAMs Schwank gekannt. In der Dedi-
kation an den Pfalzgrafen führt WEIGEL aus, wie sich die Pelzkleidung Adam und
k'Vas nach dem Fall je nach dem Kopf und dem inneren Sinne der Menschen in
UlRerschiedlichen Stoffen verschieden ausprägte, so daß man jede Nation an Tracht
Utld Kleidern erkennen konnte wie die Vögel an ihren Federn. Die Vermischung
at>er in den Kleidern und Trachten war immer mit leichtfertigem Wesen und Üppig-
keit verbunden. Verständige Leute haben das wohl gemerkt und sind darum für die
Erhaltung der alten Gebräuche und Trachten eingetreten. So ist es heute unver-
k°rgen, jjWas bey vnsern Zeiten in vnserm allgemeinen Vatterland / für seltzame
„ <3) Vgl. dazu Andreas Andresen: Der deutsche Peintre-Graveur. Bd. I. Leipzig 1864,
139i, und Heinrich Doege : Die Trachtenbücher des 16. Jh. In: Beiträgezur Bücherkunde
u°d Philologie. August Wilmann zum 25. März 1903 gewidmet. Leipzig 1903, S. 434/35.
) Allgemeines Künstlerlexikon. Bd. I. Leipzig 1872, Sp. 647.
380
Friedrich Sieber
wunderliche verenderungen zugleich mit dem frembden vnnd außlendischen
kleidungen erfolget seien / Ist auch kein gutes merckzeichen/ daß man noch heutigs
tags/ wenig ort außgesetzt/ nit eigentlich anzeigen, abreissen noch mahlen kan/
welches für ein beharrliche deutsche tracht oder kleidung/ so wohl bei Manns als
bey Weibßpersonen/ zu halten sey“. Die Wendung, kein Maler könne anzeigen,
abreißen noch malen, wie die deutsche Tracht beschaffen sei, zeigt deutlich die
Beziehung zu WlCKRAM. Diese Beziehung wird durch die Tatsache gefestigt, daß
SlGMUND Feyerabend, der Frankfurter Verleger Jost Ammans, 1565 einen
Nachdruck des Rollwagenbüchleins herausbringt45).
Dem Titel des WEIGELschen Trachtenbuches gemäß wird im Schnitt Ammans der
nackte Deutsche folgerichtig zum nackten Europäer und unter die Repräsentanten
der anderen Erdteile gestellt. Die Bürde Tuch, die WlCKRAMs Deutschen auf dem
Rücken hockt, trägt der Europäer wie BORDES Engländer als Stoffrolle unter dem
Arm. Das undeutliche Gebilde aber, das Aeuropa unter dem linken Arm trägt,
ist nur aus der kostümlichen Entwicklung deutbar, die sich von WlCKRAMs bis
zu WEIGELS Zeiten vollzogen hat: es ist eine Rolle mit Futterstoff, der nunmehr
für die Unterfütterung der Pluderhose und der Lätze genau so unentbehrlich ge-
worden ist wie der Überstoff. Schon MUSCULUS erzählt von dem Landsknecht,
der seine Hose mit 99 Ellen unterfüttern ließ. „Do er ist gefragt worden, warumb er
nicht hab 100 ein genomen, hat er geantwort, 99. sey ein lang wort, vnd guth lands-
knechtisch, hundert aber sey kurtz, vnd nicht so prechtig zu reden.“ So hat sich
Ammans Bildschwank der neuen kostümlichen Situation angepaßt.
Die Illustrationen in BORDE und WEIGEL sind trotz des großen Unterschiedes
im künstlerischen Können, der sie trennt, lebensvoll. DE Heeres Allerweltsmann
wirkt dagegen blaß. Eine weitere Entrückung aus der aktuellen Lebenswirklichkeit
bringt der Titel zu BARTOLOMEO GRASSls Trachtenbuch: Dei Veri Ritratti Degl’
Habiti. Di Tvtte Le Parti Del Mondo. Intagliali In Rome. Libro Primo ...In Roma
1585 (Tafel X). Adam und Eva, das Stammelternpaar des Menschengeschlechts, flan-
kieren den Titel. Beide sind nackt, tragen aufgerollte Tuchballen um Schultern
und Rumpf geschlungen, deren auslaufende Enden die Schamteile decken. Mann
wie Weib tragen eine Schere in der Hand und stehen auf einer zweiten Tuchrolle-
Schere und Stoffballen als Attribute Adams und Evas sind deutliche Hinweise, daß
der Künstler Bildgestaltungen des Schwankes kennt, sie aber nicht mehr in ihrem
aktuellen Bezüge deutet. Die europäische Modeunruhe ist durch die strenge Herr-
schaft, die das spanische Kostüm mit seiner gesamteuropäischen Geltung ausübt,
im Abklingen. So überträgt Grassi das Motiv aus dem aktuellen Lebensbezug auf
das Stammelternpaar, dessen Nötigung zur Bekleidung nach dem Fall repräsentativ für
das allgemein menschliche Bedürfnis steht. Blutvoller Lebenswirklichkeit entsprun-
gen, abstrahiert sich das Bildmotiv zunächst zu allegorischer Allgemeingültigkeit46)-
In den Bildgestaltungen bei Borde (1542), DE HEERE (nach 1570), AMMAN
(1577) und Grassi (15 85) trägt der nackte Mann Stoffballen und Schere. WlCKRAM
45) Beschrieben bei J. Bolte a.a. O, XXI als Buch G.
46) Max von Boehn bringt die chronologische Folge von Bild-und Wortsch wank heillos
durcheinander. Ältester Beleg ist ihm Grassi, aus ihm soll de Heere entlehnt haben. Von
Dem Monde kann man kein Kleid machen
381
hattet ihn in seiner Schwankerzählung (1557) nur mit der Stoffbürde aus. Überall
dort, wo das so charakteristische Attribut der Schere auftritt, ist ein direkter oder
^direkter Zusammenhang mit der Bildgestaltung bei Borde anzunehmen, selbst
^enn der Gestalter, wie es bei Amman sicher der Fall ist, auch Wickrams Schwank-
erzählung gekannt hat.
Nun gibt es aber auch Bilddarstellungen des Schwankes, auf denen der nackte
Nann wie bei WlCKRAM nur Stoffballen oder Kleidungsstücke trägt. Im städtischen
Kunstgewerbemuseum zu Leipzig befindet sich ein Bildteppich von 1571 mit
Trachtendarstellungen verschiedener Nationen und Beischriften, ein „Umlaufft“,
der als Kaminbehang gedient haben mag. Der Teppich, 2,33 m lang, 0,42 m breit,
besteht aus neun gleich breiten Teilen, auf welchen je eine erhaben gearbeitete
Trachtenfigur steht47).
Der Grund ist mit farbigen Schnuren im Netzwerk bestickt. Die Figuren sind aus
Tappe geschnitten und mit Atlas überzogen, die Kostüme werden teils durch
Applikation, teils durch Plattstich gebildet. Am Fuße zieht sich über den ganzen
Teppich die Inschrift hin: SO. SCHAV. NVN. DISE. BILTNVS. AN § WIE.
SELTZAM. ES. IN. DER. WELT. TVT. STAN § MIT. DER. KLEIDVNG.
ÖVRCH. ALLE. HANT § HELT. SICH. AVCH. NIEMANT. NACH. SEINEM.
STANT § DANN. ES. VOR. ALTERS. SO. NICHT. GEWEST. IST. WIE.
AlAN. IN. ALLEN. HISTORIEN. LIST §
Die Klage über den Verfall der Zeiten, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts sich mit allen Äußerungen über die Tracht verbindet, durchzieht auch
diese Inschrift.
Das erste Trachtenbild stellt auf gelber Seide einen nackten bärtigen Mann mit
Nlzhut und Lendenschurz dar, der Pfeil und Bogen trägt. Er wird in seiner Legende
aE „weißer Mohr“ bezeichnet, der mit seiner Waffe alle Inseln durchzogen habe.
Nit dieser Gestalt ist der Verfertiger des Teppichs offenbar das Opfer einer Lügen-
geschichte geworden, wie sie „Sprecher“, „Lotterbuben“ im wundersüchtigen
*6. Jahrhundert auch in bezug auf exotische Erlebnisse verbreiteten. LUTHER
Schildert einen solchen „Lotterbuben“, der „die leute über tisch mit lecherlichem
gcschwetz frolich machen wil.“ Er kennt auch die Lügengeschichten, mit denen sie
aufwarten: „... von eisern vögeln, die über den Rein fliegen, von schwartzem
^chnee oder von weißen moren und dergleichen, da kein reymen noch deuten oder
gKichnis ist, auf das man lachen solle“48).
Heere sei der Schwank als Wortschwank zu Westphal gekommen, v. Boehn kennt
^eder die Gestaltungen Wickrams noch Weigels. In: Die Mode, Menschen und Moden
lrn 16. Jh. München 1923, S. 92.
47) Beschreibung und Abbildung einiger Figuren des Bildteppichs bei Cornelius
^Urlixx: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des König-
rckhs Sachsen. 18. Heft: Stadt Leipzig. Dresden 1896, S. 324fr. Vgl. auch den Führer durch
das städt. Kunstgewerbemuseum zu Leipzig. Leipzig 1931, S. 23. Wir danken der Leitung
dcr Museums für die Überlassung des Bildes des nackten Deutschen.
48) Zitiert nach J. Bolte: FahrendeLeute in der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts.
ksungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Jahrgang 1928. Phil.-hist.
Nasse. Berlin 1928, S. 634.
382
Friedrich Sieber
Dem „Weißen Mohr“ schließen sich an der Ungar, der Zigeuner, der Welsche*
der nackte „schwarze Mohr“, der von sich sagt: SO. BIN. ICH. VON SCHWÄR^'
ZEN. MORE. GENOM. KEIN. KLEIDVNG. DRAG. ICH. IN. MEINEM-
LANT. VON. DER. SONNEN. HITZ. DIE. MICH. VORBRANT.
Dem schwarzen Mohren folgen der Franzose, der Schweizer (Landsknecht),
der Türke, der in der rechten ein kurzes Krummschwert und in der Linken ein
nacktes zappelndes Kind am rechten Arme festhält, wie der Würger im bethlehemi'
tischen Kindermord. Die Reihe schließt auf schwarzer Seide ein bärtiger nackter
Mann, der über dem linken Arm Kleider trägt (Tafel XII,b). Er sagt von sich:
SO. BIN. ICH. DER. HOHE. DEVTSCHE. GENAN.
ALLER. NATION. KLEIDVNG. GEFELT. MIR. WOL.
WEIS. DOCH. NICHT. WIE. ICHS. MACHEN. SOL.
MIR. DOCH. EINE. BAS. DAN. DIE. ANDER. GEFELT.
DA. MIT. ICH. EIN. ANSEHEN. HAB. ALS. EIN. HELT.
SO. WIL. ICH. HIN. ZVM. WERCKMAN. GAN.
VND. IM. DIE. SACHE. SELBER. ZEIGEN. AN.
Der nackte Deutsche brüstet sich seiner Modesucht; er will als ein Held gelten
und denkt dies mit Hilfe des Schneiders durch Nachäffung der Kleider fremder
Nationen zu erreichen. Daß der Hersteller des Teppichs diese Haltung als nationale
Würdelosigkeit geißeln will, wird durch die Legende der anderen Trachtenfiguren
deutlich. So bekennt der Welsche, daß er seine Kleidung nach dem Herkommen
seines Landes trage. Der Franzose versichert, daß er bei seiner Kleidung bleiben
wolle. Der „Schweitzer“ tut kund, daß ihm seine Kleidung gefalle. Der Ton des na-
tionalen Tadels, der bei WlCKRAM schon aufklingt, steigert sich hier zu Bitterkeit-
Da auf dem Teppich der nackte Deutsche keine Schere, sondern nur Trachten-
stücke, die ihm gefallen, trägt, da der Tadel der nationalen Würdelosigkeit die
Darstellung eng mit WlCKRAM und noch mehr mit seinen Nachfolgern verbindet,
möchten wir die Bildgestaltung des Teppichs als eine Illustration zu dieser Gruppe
von Erzählern auffassen und sie nicht in den Stammbaum von BORDE her einreihen-
Eine ähnliche kostümliche Situation, in der dem Deutschen nationale Würde-
losigkeit vorgeworfen wird, wiederholt sich, als nach dem Abklingen der spanischen
Mode französische Einflüsse in immer stärkerem Maße in Deutschland eindringen
und sich schließlich zum ä la mode Unwesen steigern. Im satirischen Abwehrkampf
gegen dieses Unwesen wird wie im Erzählgut (1666) auch in der Bilddarstellung das
alte Motiv vom nackten Deutschen wieder lebendig. Ein Flugblatt aus dem Jahre
1629 trägt den Titel: Wie ein Teutscher Monsieur will gekleid sein*Q). Der „Teutsche
Monsieur“ steht mit wallendem Haupthaar nackt in der Bildmitte, die Scham mit
einem Lendentuch umhüllt. Rechts und links von ihm stehen zwei Kavaliere, in der
Art deutscher Stutzer um 1620 gekleidet, die sich in ihrem saloppen Gewand, das
noch ausklingende Elemente des spanischen Kostüms, jedoch in provinzieller Weiter- 49
49) Abb. bei W. Flemming: Deutsche Kultur im Zeitalter des Barock. Potsdam, o. J-
(i937), S. 59, Abb. 56.
Dem Monde kann man kein Kleid machen
383
^niicrÎiicfaiSmitcn. allai,
* ÿ)ut mir noci> fcùitÿcfaüai >
P& ein £iutfcher 9Hoil hmiißdkü) fcùi. will Ww.
x Immajjinjitum Sbasir, z-Patient (3aJ)rt. O.MyvnEon Solist. T Tnajffzrait Jpuhtfcbwu: ïLçnsnçn cj/Oçr. 6. S/hnat JjV^cn,. ?• Accordanti JiartifchC 8 Mall confier! OVdmmcj. jj.Albmodo Sydbv. io. TnffuLart Dlcftcfn. n.Tmdatwn Mfwatbcr.! îz.Ntcçfsüeti Séni. i3. Tcmtir Syumfat. n-Occa/tm »Stiefeln,- u Rimanti cSporav. iSJAcamoJat ti^urtd- lzRxnüznt o^tycn. 18 Diluent > VI(udzi. ic). Intir mdys Jpßitbfcyitc-, zo Làuto Jjarmd^iciti zi otturò Stnukpff. zztitavofo Jocmßt. z-i. Torturati ôicïci.
Abb. 2.
^ldung zeigt, ein martialisches Aussehen zu geben bemühen. Ein Teil ihrer
^achtenstücke ist im oberen Bildraum aufgereiht, doch dem nackten „teutschen
°nsieur“ stehen diese Stücke nicht an. Mit dem rechten Zeigefinger weist er
ach oben und spricht:
Under diesen Trachten allen
Thut mir noch keine gefallen.
384
Friedrich Sieber
Im Bildsockel aber tut er seinen Wunschzettel kund: Wie der Teutsche Monsieui
will gekleid sein. 24 modische Dinge will er haben. Er zählt sie in welscher Be'
Zeichnung auf. Vom welschen Haar- und Bartschnitt über Hut mit Schnur un<l
Federschmuck, über alle Haupt- und Nebenkleidungsstücke des Körpers und deI
Extremitäten bis zu Fortunati Säckel geht sein Wunschtraum. Diese Dinge würdet
ihn zum modischen Kavalier machen, der er sein will.
Es ist erstaunlich, daß sich in der beginnenden modischen Unruhe, die das ä
mode Unwesen mit sich bringt, das alte Bildmotiv sofort wieder aktualisiert.
auch hier der nackte Deutsche keine Schere trägt, gehört auch dieses Stück in die
Illustrationsreihe, die an WlCKRAM anschließt, ohne daß wir damit sagen wolle11’
daß der Stecher Bildgestaltungen mit der Schere nicht gekannt haben dürfte.
Im Zeitraum von 1542 — 1629 ist die bildmäßige Gestaltung des Schwankmotiv5
für England, Holland, Deutschland und Italien zu belegen. Auf deutschem Bode*1
mischt sich in zunehmendem Maße Bitterkeit über den Sittenverfall und die national
Würdelosigkeit in die Bildlegende. Die Bildgestaltungen gehen damit den gleiche11
Weg wie die Wortgestaltungen, die im Zeitraum von 1557 — 1666 nachzuweise#
sind. So verschärft sich auf deutschem Boden der Schwank in Wort und Bild zui
Satire.
Wortschwank — Bildschwank — Plutarchs Märlein
Unsere Untersuchung des Wort- und Bildschwanks hat die weite Verbreitung deS
Motivs erwiesen. Der umfassende Kostümwandel, der vor allem die FührungsschicU
der europäischen Völker ergreift, ist der Nährboden, auf dem der Schwank über die
Länder hin wuchert. Er glossiert den Vorgang in der ihm gemäßen Form mit Gelächter
Unserem Material nach ist BORDES Introduction of Knowledge die erste den Vof'
gang glossierende Gestaltung. Wir trauen dem vielgereisten, geistreichen Manfle
wohl zu, daß der Einfall ihm entsprang, müssen aber auch die Möglichkeit i&s
Auge fassen, daß er ihn im Gespräch der BildungsSchicht irgendwo auflas — Frafl'
zosen und Deutsche sind in jener Zeit nicht weniger modesüchtig als der Eng'
länder —, ihn auf seine Nation übertrug, literarisch formte und damit der Bil^'
gestaltung den Vorwurf gab. Wir müssen diese Möglichkeit ins Auge fassen, ui*1
eine vielleicht üppig wuchernde Lebenswirklichkeit nicht durch die Aufstellung
eines Ursprungstammbaums zum dürren Schema zu verkürzen. Wir glauben an
individuelle Urheberschaft auch von Einfällen, aber bei so zeitgebundenen Stoffeil
kann der Einfall einen anderen Urheber haben als seinen ersten literarischen Ge'
stalter. Darum halten wir es in solchen Fällen für ratsam, zur Ergänzung des StarnU1'
baums Bereiche aufzuzeigen, in denen einerseits die Keime der Erzählung liegeil
können, die aber auch andererseits bei Anflug einen sofort zur Aufnahme bereite*1
Nährboden bilden.
Der europäische Zeitenwandel, der sich im 16. Jahrhundert vollzieht, wird ¿efl
Trägern der gewaltigen Bewegung an einem Begleitphänomen, dem europäische*1
Kostümwandel, in seiner Sichtbarkeit und fühlbaren Körpernähe besonders deutlich'
Das überwältigende Erlebnis drängt zur Aussprache. Geschehnisbericht, donnern^
Predigt, Anekdote, Lied, Schwank, Sprichwort, Bildgestaltung suchen es zu be
Dem Monde kann man kein Kleid machen
385
faltigen. Schöpferischer Einfall, Anknüpfung an überlieferte Ausdrucksformen,
Anstöße aus ähnlichen Motivkreisen sind dabei wirksam.
Unter diese Anstöße aus verwandten Motivkreisen möchten wir, wenigstens für
Ausbildung des Bildschwankes, die gewohnten Nacktdarstellungen Adams und
Evas zählen. Ihre Nacktheit verkörpert den Unschuldszustand der Natur, die Nackt-
st der Modenarren dagegen ist Ausdruck einer Zeitleidenschaft, an der sich der
^cWank ergötzt oder die er in seiner Verschärfung zur Satire geißelt.
Schon Amman als Gestalter des Titelblattes des WElGELschen Trachten-
^"ches hat die beiden „Nacktheiten“ in Beziehung zueinander gesetzt, indem er der
Nacktheit der Modesucht im unteren Bildoval die Nacktheit der Unschuld im
°beren Oval gegenüberstellt und beide Bilder durch Leisten verbindet.
Aber auch auf profanem Gebiet zeichnen sich Persönlichkeiten ab, die bei-
sPielhaft der Gestaltung den Weg gewiesen haben könnten. Ein solcher Mann ist
Matthäus Schwarz, Hauptbuchhalter der Zentrale der FüGGERschen Handels-
gesellschaft zu Augsburg. 1497 zu Augsburg als Sohn des Weinhändlers ULRICH
Schwarz geboren, wollte er ursprünglich Künstler werden, trat aber nach kauf-
männischer Ausbildung in Venedig 1516 in die Dienste Jacob Fuggers zu Augs-
burg. Er war ein tüchtiger Kaufmann, der auch eine Handschrift über die Buch-
haltung hinterließ. Nachdem er schon von 1510 an alle Dinge, die ihm begegneten,
aufzuzeichnen begonnen hatte, faßte er an seinem 23. Geburtstage 1520 den Ent-
Schluß, sich in allen Kleidern, die er sein Leben hindurch tragen würde, abkonter-
^en zu lassen.
Er hat diesen Entschluß durchgeführt. Bis 1560 ließ er sich 137 mal in seiner
»Pachtung vnd manier der Klaydung“ malen. In manchen Jahren legte er sich
Sechs und mehr Kleider zu, bei manchen Gelegenheiten ließ er sich zwei bis drei
Eleider auf einmal machen. Diese Torheit brachte ihn schon bei seinen Lebzeiten
^en Namen eines Kleidernarren ein.
Als er in seinem 30. Lebensjahr (1526) „faist und dick“ wird, läßt MATTHÄUS
Schwarz die Nachwelt an diesem Ereignis teilnehmen, indem er sich von „hinder-
^mrtlingen“ und von „vörwartz“ nackt malen läßt. Die ganze Figur steht vor
ScWarzem Hintergründe, der rechte Arm ist seitwärts gehoben, die linke Hand liegt
v°r der Scham, das Spielbein knickt im Kniegelenk.
El der Fülle der wechselnden Kostüme vergißt MATTHÄUS seine erste Kleidung
muht. Er läßt am Anfang der Reihe seine Eltern im Kostüm ihrer Zeit malen, die
Nutter als Hochschwangere mit hohem Leib und voller Brust. Er schreibt darunter:
”Eh was verborgen (im Mutterleibe) im 1496 ten“ (Jahre).
Einer der Söhne des Matthäus, Veit CONRAD SCHWARZ, ahmt den Einfall seines
aters nach und legt sich auch ein solches „Klaidungsbuechlein“ an. Mit „19 Jar
««Tag vnndö1^ stund“ läßt er sich im Januar 1561 zum ersten Male abkonterfeien.
s Et aufschlußreich zu sehen, wie er in seinen Beischriften dem „Zeitstil verfällt:
5>Eas wir Theutschen mit Klaidung je vnnd alwögen nie anderst gewest sein, alls
die affen ... das die wellt ye länger ye närrischer vnnd noch kain auffhören mit
^en neuen Seltzamen Gebreuchen der Klaidungen bis datto ist ...“; Töne, die
ater Schwarz noch nicht kennt. Aber trotz dieser Zugeständnisse an den Zeit-
4 Volkskunde
386
Friedrich Sieber
stil gesteht Veit Conrad :„Ye Seltsamer klaidung vann schnitt ann hosen, wammeS
vnnd schuch ainer auffbringt, ye lieber ichs trag. Ich hab sunst gemeinigklich all
schnitt an hosen, wammes, schuech vnnd cappen selbs erdicht, auch mermalls die
schuech selbs erschnitten, vnnd wie dieselben sechen, sicht man hernach.“
Schwarz Vater und Sohn, der Vater in stärkerem Maße, sind Persönlichkeiten*
in denen das neue Lebensgefühl der Renaissance mächtig rege ist. Aus diesem neuen
Persönlichkeitsgefühl läßt sich MATTHÄUS SCHWARZ als Akt malen. Naiv, ungeniert,
flicht er den Akt seinen Kostümbildern ein. Freilich bleibt seine kecke Tat im
familiären Umkreis. Aber vor seinen Freunden wird er sein „Klaidungsbuechlin‘
nicht verschlossen haben. Es ist möglich, daß die Erzählung von Mund zu Mund
ging und so in die Anstöße zu unserer Geschichte einfloß50).
Unter diesen Anstößen hat auch PLUTARCHs Märlein Platz. Im Märlein kann
man einem Wesen kein Kleid machen, weil es immer seine Gestalt wandelt, im
Schwank kann man einem Wesen kein Kleid machen, weil es immer etwas Neues
will. Beider Verhalten wächst aus ihrer Unbeständigkeit, Wankelmütigkeit (engl-
fickleness), „Maßlosigkeit“. In dieser im Innern liegenden Wurzel treffen sich das
Wesen des Märleins und das des Schwankes. Wenn ein Anstoß vom Märlein zum
Schwank ausging, muß er von diesem Kern aus erfolgt sein.
PLUTARCHs Stern ist seit der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts im stetigen Aufstieg-
Neben den Lebensbeschreibungen werden auch die moralischen Schriften, darunter
das Convivium, allgemein zugänglich51).
Andrew Borde war ein klassisch gebildeter Mann. In seiner Introductiof1
führt er ein Zwiegespräch zwischen dem „Lateiner“ und dem Engländer vor, m
dem der Engländer den Gast in seinem Lande begeistert begrüßt: Latyn, welco№e
to me52). WlCKRAM dagegen konnte kein Griechisch und nur wenig Latein; ci
war in der Hauptsache auf Übersetzungen angewiesen. Er hat PLUTARCH vef'
schiedentlich benutzt, so in den Sieben Hauptlastern531). So frei aber, wie WlCKRA^
50) Die „Klaidungsbuechlin“ des Matthäus und Veit Konrad Schwarz liegen im
Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig. Das Aktbild des M. Schwarz beschrieb
mir Herr Dr. A.Fink, dem ich auch weitere Hinweise verdanke. Das Bild der Eltern des
Matthäus ist im Braunschweiger Exemplar nicht mehr vorhanden, wohl aber in der Kopie
der Landesbibliothek Hannover. Die einzige ausführliche Beschreibung der beiden Bildcf'
handschriften gibt Elias Caspar Reicpiard: Matthäus, Veit Konrad Schwarz, nach ihre0
merkwürdigen Lebensumständen und vielfältig abwechselnden Kleidertrachten ... be-
schrieben. Magdeburg 1786. Diesem Buche sind die Zitate entnommen. Zu MATTHÄUS
Schwarz vgl. Norbert Liebe: Die Fugger und die Kunst. München 1952, S. 64. Neuer-
dings hat Heinrich Bechtel das ältere Trachtenbuch ausgiebig benutzt für seine Schrifl-
Matthäus Schwarz, Lebensbild eines Kaufmanns und seiner Welt aus der ersten HälAc
des 16. Jh. Privatdruck Frankfurt a. M. 1953. Ich verdanke Hans W. Brose, Frankfurt a. M-»
in dessen Auftrag das Lebensbild des Matthäus Schwarz geschrieben wurde, die Zu-
sendung dieser reich illustrierten Studie.
51) Lateinische Übersetzungen Plutarchs durch italienische Humanisten bei GeoR°
Voigt : Die Wiederbelebung des klassischen Altertums. 2Bde. 3. Aufl. 1893. S.F. W.HoF^'
mann: Bibliographisches Lexikon der gesamten Literatur der Griechen. Leipzig 1845»-
verzeichnet unter den lateinischen Übersetzungen der Moralia auch das Convivium mch*'
mals, darunter die berühmte aus der Offizin des Aldi, Venedig 1509.
52) a.a.O., S. 210. 53) J. Bolte a.a.O., Einl. XXVIII.
Dem Monde kann man kein Kleid machen
387
ttht dem Märlein verfahren wäre, wenn er unmittelbar aus PLUTARCH geschöpft hätte,
lst er mit literarischen Quellen nie verfahren. Seine Quelle muß darum aus dem ande-
rn großen Reservoir seiner Geschichten stammen: aus der mündlichen Erzählung.
Schon GOEDEKE stellt fest, daß WlCKRAM viele seiner Geschichten nicht
ühmittelbar den älteren literarischen Quellen entnahm, sondern daß er sie nach einer
lrn mündlichen Weiter erzählen erfolgten Umgestaltung faßte und nur aufzuzeichnen
Meinte, was er gehört hatte54).
J- BoLTE belegt diesen Sachverhalt mit Beispielen55). Zu dieser Art Geschichten
deinen wir, unsern Schwank rechnen zu dürfen. WlCKRAM schöpfte aus dem Er-
^ählgut des Volkes ebenso wie aus dem der Bildungsschicht. Eine unbändige Er-
^ähllust ist damals auch in der Bildungsschicht rege, die im weiten Ausmaße
aAtiken Erzählstoff in Fabel und Anekdote im Deutschen beheimatet. In diesen
Mächtigen Um- und Weiterbildungsprozeß literarischer Stoffe aller Art, der miind-
und schriftlich erfolgte, möchten wir die Anstöße einbetten, die etwa von
^Lutarchs Märlein für unseren Schwank ausgegangen sein mögen. Dabei wirkte
lri den Erzählern der gleiche Wille, der in vielen dieser Um- und Weiterbildungen
^er Zeit wirksam ist: der Wille zur unmittelbar auf die Lebenswirklichkeit be-
zogenen Aktualität. Fremdvorstellungen, die diesen Willen hemmten (in unserem
^alle die antiken Wahnvorstellungen vom Monde), wurden durch vertraute Züge
Flauschen Lebens ersetzt. So benutzte BORDE die Eingangsformel spätmittel-
erlicher Spiele mit der Selbstvorstellung des Akteurs und gestaltete sie witzig um,
/^CKram entfaltete den Stoff seiner Art gemäß als Geschehnisbericht erzählerisch,
ln Eingang und Schluß gleichermaßen Formelgut der Zeit verwendend. Im euro-
Päischen Erzählgut der Zeit, bei dessen Ausformung neben anderen Anstößen auch
lUtarchs Märlein wirksam gewesen sein mag, wurzeln Wort- und Bildschwank.
Trotz volkstümlicher Züge gehen weder Sprichwort, Schwank noch Märlein
a s Treibgut in den breiten Strom mündlicher Volksüberlieferung ein. Sie ver-
mochten nicht die Schranke zu überspringen, die sich damals zwischen gebildet
mad ungebildet aufzurichten begann. Der Lebenskern des Schwankes, die neuerungs-
jmchtige Modeunruhe, blieb, da wesentlich an die Führungsschicht gebunden, den
reiteren Volksschichten in ihren Auswüchsen unbekannt. Als Ludwig Aur-
^Acher seine märchenhafte Kontaminationsform schuf, war die Zeit volksläufiger
eiterbildungen literarischer Anregungen fast vorüber. So ist das fruchtbare
YL°tiv nach seinen Wanderungen durch Mund und Hand der Bildungsschicht,
ütch Predigten, Schwank- und Trachtenbücher schließlich in seinen Wort- und
Pdfixierungen erstarrt, und so müssen dort der Mond, der Engländer, der Deutsche
der Europäer bis heutigen Tags nackend gehen und auf den Schneider warten,
-Jahnen ein Röcklein tut machen56).
6*) Karl Goedeke: Schwänke des 16. Jhs. Leipzig 1879. Einl. XIX.
) a.a.O.
5e
Einl. XI.
^ ) Bibliographische Nachweise über das Märlein bei Bolte-Polivka : Anmerkungen
^ den K.H. M. der Brüder Grimm. Bd. 4. Leipzig 1930, S. 43/44. Bibliographische Nach-
^eiSe über den Schwank bei J. Bolte: Wickrams Werke. Bd. 3. Tübingen 1903, S. 390,
m*1- 101. Die Bildgestaltungen des Schwankes blieben Bolte unbekannt. Auch die Mög-
keit einer Beziehung zwischen Märleinund Schwank faßte er nicht ins Auge.
Leopold Schmidt — Wien
Der randbeschlagene Holzspaten in Ostmitteleuropa
Der Holzspaten mit dem eisernen Randbeschlag gehört zu der kleinen Zahl
leichter bäuerlicher Arbeitsgeräte, die sich heute schon geschichtlich gut verfolge*1
läßt1). Seine Vor- und Frühgeschichte ist freilich noch nicht genügend erhellt*
Seit dem io. Jahrhundert jedoch zeigen sich genügend gut datierbare Bildzeugnisse,
die ihn in seiner westeuropäischen Ausbreitung immer besser nachweisbar er-
scheinen lassen, und mit dem Hochmittelalter setzt dann der breite Strom der
deutschen Bildbelege ein. Es läßt sich wohl kaum bezweifeln, daß diese auffällig
gute Bezeugung durch Bildbelege mit der tatsächlichen Gerätverbreitung und Gerät-
geltung in Verbindung stehen muß. Was die Gerätverbreitung betrifft, so ist za
überlegen, inwiefern wir heute schon die gesellschaftliche Zuordnung derartige1
Arbeitsgeräte richtig sehen. Die verallgemeinernde Auffassung aller dieser Geräte
als „bäuerlicher Arbeitsgeräte“ verhindert den klaren Ausblick auf die soziale
und ständische Differenzierung vor allem im Mittelalter. Geräte dieser Art sind
häufig erst allmählich in das allgemein-bäuerliche Sammelbecken eingegangen;
vielenorts galten sie vorher als Spezialgeräte der einen oder anderen Arbeitsgruppe
Im besonderen ist bei den Spaten an Arbeiter des Deich- und Befestigungsbaues
einerseits und an Bergarbeiter anderseits zu denken. Beide Gruppen standen gewiß
mit dem Bodenbauer in engster Verbindung, vielfach ergaben sich auch personell
und gruppenmäßige Übereinstimmungen. Das heißt, daß einerseits der Bodenbaue1
zur Deicharbeit sein Grabgerät mitbrachte, anderseits der auch ein Ackerfeld be-
sitzende Bergmann wohl auch seinen Erzspaten als bäuerliches Bestellungsgefä1
verwenden konnte. Solche Dinge sind tausendfach vorgekommen. Sie haben abe1
nur jeweils die Verzahnung zwischen den einzelnen Gruppen gebracht, nicht etwa
die Gerätetypen selbst entstehen lassen. Gerade in Ostmitteleuropa sehen wir, daß
diese Typen von bestimmten Siedlern und Siedlergruppen mitgebracht worden
sein müssen, beziehungsweise, daß Neusiedler, Kolonisten usw. mit Geräten nach
bestimmten Vorbildern ausgestattet wurden. Nur so ist das Beibehalten gerade der
mittelalterlichen Gerätetypen in den verschiedensten, sonst kulturell oft starb
voneinander getrennten Landschaften zu verstehen. Die Geräteforschung geb1'
hier einen besonderen Weg zwischen der Bauernvolkskunde und der Arbeiter'
Volkskunde.
*) Vgl. Schmidt: Spaten-Forschungen. Zu einigen Arbeitsgeräten des frühen Acker-
baues. Archiv für Völkerkunde VIII (Wien 1953), S. 78fr.
Der randbeschlagene Holzspaten in Ostmitteleuropa
389
Eine ganz andere Frage ist die nach der Gerätegeltung, also der besonderen Ein-
schätzung des Arbeitsgerätes, die sich in Glauben und Brauch manifestiert. Für das
Mittelalter unterrichten uns darüber fast nur die Bildquellen. Man mag hier über-
^e§en, ob das gehäufte Auftreten des randbeschlagenen Spatens in Passionsbildern,
v°r allem in Bildern der Ostermorgenszene mit Christus als Gärtner, und in Dar-
stellungen der Kreuzauffindung durch die hl. Helena nicht auch wieder spezielle
Gründe gehabt haben könnte. Vom 14. bis zum 16. Jahrhundert weisen gerade die
Bilder aus diesem Motivbereich eben diesen randbeschlagenen Spaten so formelhaft
^veränderlich auf, daß man mitunter an eine bestimmte geheiligte Vorlage denken
önnte. Am ehesten könnte man sich darüber eine Reliquie vorstellen, ein Exemplar
v°tt Spaten oder doch Spatenbeschlag, das als geweihtes Überbleibsel der Passion
e2iehungsweise der Kreuzauffindung angesehen wurde. Dieser Gedanke drängt
Slch vor allem angesichts der großen Zahl von Passionsreliquien auf, die im Hoch-
Und Spätmittelalter als „arma Christi" verehrt wurden. Ihre bildliche Darstellung
§eht in erster Linie auf derartige Reliquien zurück, die zum Teil schon lange vorher
v°n den Byzantinern verehrt wurden, und die erst allmählich und auf verschiedenen
geschichtlichen Wegen im Abendland zu Bekanntheit und Verehrung gelangten2).
ch habe unter diesen „arma Christi" selbst bisher den Spaten noch nicht angetroffen,
^as nicht heißen soll, daß er nicht dennoch wenigstens an einer bestimmten Ver-
^hrungsstätte dargeboten worden wäre. Die „arma Christi", die sich direkt auf die
assion beziehen, sind uns einigermaßen bekannt, die Reliquien der Kreuzauf-
jMdung dagegen weit weniger. Sie wären aber gerade für die Spatengeschichte
esonders wichtig. Aus der Geschichte der Kreuznägel geht hervor, daß sich um
diese Reliquien aus der Zeit der hl. Helena die Legende in ganz besonderem Ausmaß
raflkte3). Man hat dabei aber bis jetzt nur eben diese Nägel selbst ins Auge gefaßt,
sie bei der Zusammenstellung der „Reichsheiltümer", der zum geheiligten
chatz des mittelalterlichen Reiches gehörenden Reliquien, von großer Bedeutung
^aren. Es gab aber zweifellos auch andere Reliquien, die anläßlich der Kreuz-
^ffindung gefunden, beziehungsweise geschaffen worden waren, oder die man damit
en in Verbindung brachte. Unter diesen kann sich ebenfalls wieder ein Spaten
°der ein Spatenbeschlag befunden haben. Einen Fingerzeig in diese Richtung dürften
^tuell die Bilddarstellungen der Kreuzauffindung durch die hl. Helena geben
v°ttnen, auf denen sich vielleicht schon seit dem 13., sicher aber seit dem Beginn des
Jahrhunderts die Geräte der Auffindung, vor allem die Spaten und Schaufeln,
^etont in den Vordergrund drängen. Ich weise hier zunächst auf ein Einzelzeugnis
*3- Jahrhunderts hin: Auf einer syrischen Miniatur ist die Auffindung des
reuzes dargestellt4)- Von den vier grabenden Männern benützen zwei die Hacke,
biu VgI- jetzt besonders Rudolf Berliner: Arma Christi. Münchner Jahrbuch der
^enden Kunst, III. Folge, Bd. VI, 1955, S. 35 ff.
qV Literatur dazu bei Schmidt: Der norische Himmelsbootfahrer. Carinthia I, 141
ar),agenfurt 1951), S. 728 ff., und Leopold Kretzenbacher: Kärntner Volkserinnerungen
jj. Reichs-Heiltümer. Zum mittelalterlichen Wallfahrtstermin des „Dreinagelfreitags“
“ambergischen Kärnten. Carinthia I, 147 (Klagenfurt 1957), S. 803 ff.
Konstantin der Großeund seine Zeit. Hrsg. Franz Jos. Dölger, Freiburg i. Br., 1913
‘ MlII. Ich bin für den Hinweis Dr. Otto Kurz, London, zu bestem Dank verpflichtet’
390
Leopold Schmidt
die anderen zwei einen bis zur Schulter reichenden Trittspaten. Die Männer stemmen
den Fuß dabei auf eine an der Seite des Spatens angebrachte Querstange. DaS
Spatenblatt selbst erscheint in der Mitte dunkel, wobei nicht auszumachen ist»
ob damit ein rundum laufender Beschlag oder aber eine Vertiefung angedeutet sein
mag. Im 15. Jahrhundert beginnen die deutschen Bildzeugnisse. Sie scheinen mit de'
Kreuzauffindungstafel des Meisters von Laufen anzufangen, die um 1430 angesetzt
wird5). Dann wäre auf den Flügel des Kreuzaltares aus der Klosterkirche von Polling
in Bayern hinzuweisen, auf dem der Meister von Polling um 1450 die Ausgrabung
des Kreuzes dargestellt hat6). Besonders markant erscheint die Spatendarstellung
auf der Elsässer Kreuzauffindungstafel von 14797), gut erkennbar auf dem Mein'
minger Altar des Nürnbergers Michael Wohlgemut von 14908), und auf öster-
reichischem Gebiet schließlich auf dem Flügelaltar der Filialkirche St. Helena auf
dem Magdalensberg in Kärnten von 15029 10): Alle diese Helenabilder der Kreuz-
auffindung weisen den randbeschlagenen Spaten als Arbeitsgerät bei der Aus-
grabung des Kreuzes auf, meist in recht betonter Art. Das scheint mir nicht zufällig
zu sein. Aber die näheren Zusammenhänge könnte wohl erst eine genaue Ikon0'
graphie der Szene erschließen.
Wesentlich erscheint dabei, daß das Moment des Grabens, der Arbeit mit deü1
Spaten, dauernd betont wurde. Was die Bilder des 15. Jahrhunderts zeigen, Wä1
bereits in der Legenda Aurea des Bischofs von Genua JäCOBUS DE VoRAGlN®
begründet, wo es von dem des Kreuzvergrabungsortes kundigen Juden JudäS
heißt: „Darnach gürtete sich Judas und hub an mit aller Kraft zu graben: und fand
zwanzig Schritt unter der Erde drei Kreuze liegen, die brachte er alsbald herauf
zu der Königin“10). Das war ein dem Spätmittelalter hochwillkommenes Motiv-
Das Ergraben des Kreuzes und der übrigen Passionsreliquien wurde zu eine111
Vorbild alles glückhaften Grabens, alles Schürfens in der Erde, und damit auch deS
Bergbaues. Nicht umsonst finden wir gerade in dieser Zeit daher auch Bergwerke»
die der hl. Helena geweiht sind. In der Bergwerksordnung von 1447/48 für die
Herrschaften Rhäzüns und St. Jörgenberg im vorderen Rheintal ist die Stiftung
einer Freitagsmesse eingetreten, „dem hl. Gotteskreuz und St. Helenen der hl-
Königin zu Lob und Ehr und auch zur Förderung unseres Glückes11)“. Das ist es
also: Unter dem Patronate der Kreuzauffindung und der hl. Helena suchte man d&s
Bergglück, eine für das spätmittelalterliche Denken sehr bezeichnende Glauben8'
beziehung. Das Fest der Kreuzauffindung am 3. Mai ist dementsprechend laflge
5) Abgebildet bei, Schmidt: Schaufel-Notiz. Zu einem europäischen Arbeitsgerät des
Spätmittelalters. Archiv für Völkerkunde IX (Wien 1954), S. 92fr.
6) Bayerisches Nationalmuseum, München, Gemälde Nr. 1368a. Den Hinweis verdanK
ich Dr. Maria Kundegraber.
7) Schmidt: Spaten-Forschungen, S. 97und Abb. Tafel I.
8) Schmidt: Spaten-Forschungen, S. 98.
9) Schmidt: Spaten-Forschungen, S. 100.
10) Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine, aus dem Lateinischen übersetzt voil
Richard Benz. Dünndruckausgabe. Heidelberg 1955, S. 355.
n) Ernst Schneider: „Heilig-Kreuz“ als Bergwerkspatrozinium. Österreichisch
Zeitschrift für Volkskunde N. S. IX (Wien 1955), S. 57fr.
Der randbeschlagene Holzspaten in Ostmitteleuropa
391
Seit ein den Bergleuten eigens zugestandener Feiertag geblieben12). Die Berchtes-
gadener Bergknappen feiern heute noch den Kreuzauffindungstag durch einen
Bittgang von Ramsau nach Kunterweg mit einem Lobamt13). Es würde sich lohnen,
die Verehrung des hl. Kreuzes und das Brauchtum des Kreuzauffindungstages in
den verschiedenen Bergbaugebieten eigens zu untersuchen. Wenn man bedenkt, daß
das bergbaufreudige Böhmen nicht weniger als zehn Kirchen besaß, die zu Ehren
der „Kreuzerfindung“ errichtet waren14), dann wird man auch den Einstrom dieser
Verehrung nach Ostmitteleuropa richtig einschätzen.
Das sind also Dinge, mit denen man bei der Verfolgung der Geschichte unseres
Brätes aus den mittelalterlichen Zeugnissen rechnen muß. Ihr Eigengewicht läßt
Slch noch nicht ganz richtig einschätzen. Immerhin muß man doch auch erwägen, daß
die größere Zahl der Bildbelege zweifellos den randbeschlagenen Spaten aufweist,
der dem Maler als Arbeitsgerät seiner Zeit und Landschaft bekannt war. Daher lohnt
es sich auch, diese Bildzeugnisse land-
Schaftlich weiter zu verfolgen und ihr
Vorkommen in Gegenden festzuhalten,
die bisher fast oder gar keine Spuren des
aiten Gerätes aufzuweisen hatten. Man
^lrd aber über diesen sachlichen Fest-
Heilungen nun doch die geistesgeschicht-
üchen Zusammenhänge nicht außer acht
^assen.
Das 13. Jahrhundert zeigt die erste
§foße Häufung der Bildbelege für den
tandbeschlagenen Spaten in Mittel-
deutschland. Die Zeugnisse beginnen mit
dem Gebetbuch der hl. Elisabeth15) und
dem Psalterium des Landgrafen Her-
mann16), also im Herzen von Thü ringen.
^ie thüringisch-sächsischen Miniatoren,
Welche die Kalender- und Passionsbilder dieser Handschriften schufen, zeigen
durchweg den hüfthohen Trittspaten mit dem eisernen Randbeschlag (Tafel XIII, a).
118 ist nun nur bedauerlich, daß wir aus Thüringen bisher so wenig vom Spatenbestand
der neueren Zeit wissen. Die benachbarten hessischen Heimatmuseen haben das
r>
efät öfter gesammelt, wir sind nun durch KARL RUMPF über den Bestand sehr gut
Abb. 1.
- l2) Schmidt: Volksschauspiel der Bergleute. Leobener Grüne Hefte, Nr. 27 (Wien 1957),
16.
l3) Rudolf Kriss: Sitte und Brauch im Berchtesgadener Land. Berchtesgadener
' r)Tskundliche Schriften, Bd. III. München-Pasing 1947, S. 110.
^ *) Otto Frh. von Reinsberg-Düringsfeld: Fest-Kalender aus Böhmen. Prag 1861,
^ 222f.
£ °) Arthur Haseloff: Eine thüringisch-sächsische Malerschule des 13. Jahrhunderts.
Haßburg i897.Taf. XVI/31 (= Studien zur dt. Kunstgesch., H. 9).
) Haseloff: ebendort, Taf. I, 4; XVI, 31 und S. 15.
392
Leopold Schmidt
informiert17). Die neuesten Geräteaufnahmen in Thüringen haben ergeben, daß sich
auch dort allenthalben der randbeschlagene Spaten noch vorgefunden hat, einzelnen
Datierungen nach zu schließen, sind solche Geräte noch um 1830 angefertigt worden-
Genaueres wird sich darüber freilich erst sagen lassen, wenn diese landschaftliche
Erhebung abgeschlossen sein wird.18)
Die Bilder des 13. Jahrhunderts zeigen sich jedenfalls mit der nächsten ost-
mitteldeutschen Landschaft, nämlich mit Obersachsen verbunden. In diese Kunst-
landschaft fällt die Handschrift von AUGUSTINUS, De civitate Dei, in der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts, aus Kloster Bosau bei Zeitz19). Der Miniator dei
sächsischen Schule hat dort Adam als Hackbauern nach der Vertreibung aus dem
Paradies dargestellt. Adam hackt, auf dem Acker knieend, mit einer gestielten
Haue, die aber anschließend ein randbeschlagenes Holzblatt aufweist. Das ist nun
eigenartig. Für gewöhnlich wird Adam in Hauengegenden mit der Haue und in
Spatengegenden mit dem Spaten dargestellt. Hier hat der Miniator wohl eine aus
dem Süden oder Südosten, am ehesten wohl aus dem byzantinischen Kunstbereich
stammende Vorlage nachgebildet, die Adam mit der Haue arbeitend aufwies, wie es
den südlichen und südöstlichen Hauenlandschaften entspricht. Der Künstler wagte
es wohl nicht, die Handlung selbst zu verändern, gab dem Gerät aber das Blatt
des ihm besser vertrauten Spatens und brachte dadurch diese randbeschlagene
Haue zuwege. Das Gerät selbst dürfte es kaum gegeben haben, zumindest ist es
bisher nicht bezeugt.
Im weiteren 13. Jahrhundert werden in Mitteldeutschland die wichtigsten weit'
liehen Bildzeugnisse für den randbeschlagenen Spaten geschaffen, nämlich die
Bauernbilder im Sachsenspiegel20). Die Dresdener Bildhandschrift des große*1
Rechtsdenkmals ist wohl um 1290 vermutlich in der Nähe von Meißen geschaffen
worden, das heißt jenes Original, von dem sich die verschiedenen Abschriften des
14. Jahrhunderts ableiten, einschließlich der großen Dresdener um 1350. Die
randbeschlagenen Spaten, welche in der Dresdener Handschrift die Bauern bei den
verschiedensten Grabetätigkeiten führen, weisen den halbrunden Blattbeschlag auf»
den man stilgeschichtlich als „romanischen“ Beschlag bezeichnen könnte. Er wäre
für das späte 13. Jahrhundert durchaus angemessen. Man wird kaum fehlgehen»
wenn man das Gerät in dieser Form und in dieser Zeit in Meißen als verwendet
anspricht. Das ostfälisch-sächsische Gebiet hat damals den halbrunden Spaten-
randbeschlag tatsächlich gekannt, die Bildzeugnisse werden durch den Bodenfun^
aus der Wüstung Hohenrode am Südharz einwandfrei bestätigt21). Diese Wüstung*
17) Karl Rumpf: Hessen. Text und Bildersammlung. Deutsche Volkskunst, Neue Folge*
0. Nr. Marburg an der Lahn 1951, S. 57.
18) Freundliche Mitteilung von Dr. Wolfgang Jacobeit, 1957.
19) Oskar Doering, und Georg Voss: Meisterwerke der Kunst aus Sachsen un
Thüringen. Magdeburg 1906. Taf. 113, Kat. Nr. 250.
20) DieDresdener Bilderhandschrift des Sachsenspiegels. Hrsg, von Karl v. Amira.I. BcL
1. Hälfte. Leipzig 1902. Taf. 25, Bild 3. Dazu Bd. II, Erläuterungen Teil I. Leipzig 1925. S. 236 *•
21) Paul Grimm: Hohenrode, eine mittelalterliche Siedlung im Südharz. (= Veröffent-
lichungen der Landesanstalt für Volkheitskunde, Bd. 11. Halle 1939), S. 39. Tafel XlX>
Abb. 2 (Spatenbeschlag aus Haus Nr. 16).
Der randbeschlagene Holzspaten in Ostmitteleuropa
393
Ne knapp vor dem letzten Krieg planmäßig ausgegraben wurde, liegt bei Grillen-
kerg, etwa zweihundert Meter über der Goldenen Aue bei Sangerhausen. Die
Nsenfunde wurden in der jüngeren Siedlung gemacht, vor allem Geräte für Acker-
Nu, Pferdezucht, Holzbearbeitung und Hausbau. Außer dem Spatenrandbeschlag
Würden als Ackerbaugeräte noch mehrere Sicheln gefunden. Der Beschlag, der
a^s „hufeisenförmig“ geschildert wird, ist 16,5 cm lang und 17,8 cm breit
(Tafel XIII, b). Der Ausgräber Paul Grimm hat ihn bereits mit Recht den Bildern
lrr* Sachsenspiegel gegenübergestellt.
Nach dem westlichen Mitteldeutschland zu entsprechen dem Fund von Hohen-
r°de vor allem die hessischen Bodenfunde, die KARL RUMPF sorgfältig geprüft
Und zusammengestellt hat.22) In die Nähe unserer Landschaft führt ein Fund aus der
pfalz Werla, wo ebenfalls noch vor dem letzten Krieg ein Bruchstück eines Rand-
beschlages nachgewiesen wurde23). Damit sind derzeit anscheinend die Belege in
diesem Bereich überblickt. Das ostfälisch-sächsische Gebiet schließt sich hier also
räumlich an das große Verbreitungsgebiet im Westen an und reicht im 13. und 14.
Jahrhundert etwa bis an die Elbe, aber kaum darüber hinaus. Meißen ist dabei,
Sehier geschichtlichen Situation entsprechend, der östlichste Vorposten. Die
Nichtige Frage, inwieweit schon bei diesem Ausgriff des hochmittelalterlichen
festlichen Spatengebietes nach Ostmitteldeutschland der Bergbau eine Rolle
gespielt hat, scheint noch nicht angeschnitten zu sein. Die Belege im ostfälisch-
°bersächsischen Gebiet, also einem bereits hochmittelalterlichen Bergbaugebiet
v°n großer Bedeutung, sollten aber nachdrücklich auf das Problem hinweisen.
Der allgemeinen Tendenz und derartigen speziellen Einwirkungen folgend,
konnten die ostdeutschen Landschaften nun im 14. und 15. Jahrhundert anschließen.
P^as ist bisher nicht beachtet worden, muß aber schon der weiteren Geräteforschung
außerhalb Deutschlands halber nun betont werden. Die Landschaften östlich der
Nbe haben im Spätmittelalter Spatenzeugnisse aufzuweisen, und zwar wiederum
Nid- und Sachzeugnisse. Sie sind einstweilen noch spärlich, deuten aber jeweils
doch schon auf die durch sie vertretene Landschaft hin. Einige Ausblicke in die
nachmittelalterlichen Perioden können den weiteren Gang der Gerätegeschichte
ln diesen Landschaften vielleicht noch etwas verdeutlichen.
So ergibt sich ein Bildzeugnis der Freskomalerei in der Dorfkirche von Toiten-
füikel in Mecklenburg24). Die mecklenburgischen Heimatmuseen konnten bisher
Nder noch nicht auf ihre diesbezüglichen Gerätebestände befragt werden, mit diesem
Nldzeugnis liegt aber nun doch wenigstens ein geschichtlicher Anhaltspunkt vor.
Gewölbemalerei in Toitenwinkel weist links neben der Krönung Mariens die
llortulanus-Szene auf, Christus steht mit dem hüfthohen Trittspaten vor Magdalena.
P^er Spaten zeigt deutlich den breiten halbrunden Randbeschlag (Tafel XVII).
“2) Karl Rumpf: Hessische „Spatenforschungen“. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte
Cs Spatens. Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde Bd. 67
(i956), S. 206ff.
23) Mitteilung Dr. Schroller bei Paul Grimm: Hohenrode, S. 39, Anm. 2.
24) Gottfried Holtz und Karlu. Wolfhard Eschenburg: Kirchen auf dem Lande.
*e Dorfkirchen von Mecklenburg. Berlin 1956, Abb. 107a.
394
Leopold Schmidt
Es ist also noch der „romanische“ Spatentypus, obgleich das Fresko schon der Gotik
angehört. Diese Retardierung könnte für die Kunst der Landschaft bezeichnend sein-
Brandenburg selbst hat meines Wissens bisher kein mittelalterliches Spaten-
denkmal aufzuweisen. Tafelgemälde, die sich hier eventuell finden dürften, sind
wohl von Mitteldeutschland her angeregt. Die Mark hat aber auch in nachmittel-
alterlicher Zeit keine eigenen randbeschlagenen Spaten besessen. Eine großangelegte
Durcharbeitung der Heimatmuseen Brandenburgs durch die Abteilung „Arbeit
und Wirtschaft“ des Instituts für deutsche Volkskunde an der Deutschen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin hat eine beträchtliche Zahl von Holzspaten ergeben,
die Eisenbeschläge aufweisen, aber durchweg keine mit Randbeschlag. Da dieser
Befund für die Geräteverhältnisse der Mark wichtig sein dürfte, seien die Sammel-
ergebnisse in Kürze hier ausgebreitet25).
Wir sehen in vierzehn kleineren Museen Brandenburgs Holzspaten mit Eisen-
beschlägen vor uns, die sich sehr deutlich in drei voneinander ganz getrennte
Gruppen aufgliedern lassen. Die erste Gruppe umfaßt die schmalen Spaten mit dem
ruderblattförmigen Holzblatt. Das Holzblatt steckt gewissermaßen in einem Eisen-
schuh, der seinerseits das untere Drittel des Gesamtblattes bildet, und mit hoch-
gezogenen „Ohren“ ungefähr im ersten Viertel des Blattes befestigt ist. Dieser
Eisenschuh hat eine schmale, gerade Kante, an die seitlich eine etwa dreieckige
Fortsetzung angewinkelt ist. Es handelt sich um einen charakteristischen Torf-
spaten, mit der „Krük“, zum Torfstechen (Höhe 106 cm, Krük n cm, Eisenteil
io cm breit). Das Gerät hat sich in Templin gefunden und wird auch im Museum
vonTemplin verwahrt (Tafel XV, a). Dem Typus nach entspricht dieser Templiner
Torfspaten den schmalblättrigen Torf- und Kleispaten im Nordseebereich, be-
sonders den „Spitspaten“ in den Marschengebieten an der Niederelbe und Unter-
weser26). — Die zweite Gruppe umfaßt blattbeschlagene Spaten mit gerader Stich-
kante. Das Blatt ist fast quadratisch oder trapezförmig, der Eisenbeschlag bedeckt
fast die Hälfte des Blattes und ist wieder mit hochgezogenen „Ohren“ am Oberteil
des Holzblattes befestigt. Die Trittkante ist eigens durch ein Eisenband bewehrt-
So sehen die Spaten der Torfgräber von Hakenberg aus, die im Museum von Fehr-
bellin verwahrt werden (Höhe 102 cm, Blatt 23 cm breit, 27 cm hoch). Ganz ähnlich
sind „di Spoade“ von Jüterbog, die im dortigen Museum verwahrt werden (Stiel
77 cm lang, Blatt 18 x28 cm) (Tafel XV, c). Aus Rangsdorf ist ein Holzspaten
mit Eisenbeschlag in das Museum von Mahlow gekommen, der infolge der Krüm-
mung seines Blattes schon etwas schaufelähnlichen Charakter aufweist. Zu dem unteren
Blattbeschlag tritt hier noch ein oberer, der vom Stiel ausgeht (Gesamtlänge 94 cm,
Spatenblatt 25 X 19 bzw. 13 cm) (Tafel XV, b). Das Museum von Wittenberge
endlich verwahrt einen Holzspaten mit Eisenbeschlag von unbekannter Herkunft*
aber doch wohl aus der Umgebung. Er gehört dem gleichen Typus wie die Spaten von
Fehrbellin und Jüterbog an, nur mit ausgesprochen trapezförmigem Blatt (Gesamt-
25) Für die Mitteilung der Bilder und zugehörigen Aufzeichnungen bin ich der Abteilung
„Arbeit und Wirtschaft“ des Instituts für deutsche Volkskunde zu Berlin, besonders Herrn
Dr. Wolfgang Jacobeit, zu herzlichem Dank verpflichtet.
26) Vgl. Schmidt: Spaten-Forschungen, S. 110.
Der randbeschlagene Holzspaten in Ostmitteleuropa 395
länge 94 cm, Spatenblatt 25 X 19 bzw. 13 cm). Hier handelt es sich um einen sehr weit
verbreiteten Typus des blattbeschlagenen Spatens, der sich landschaftlich nicht
^ordnen läßt. Italien, Südfrankreich und sogar einige Orte der Schweiz kannten
diesen Typus mit dem trapezförmigen Blatt. Besonders in der mehr schaufelartigen
Ausprägung, wie sie also unser Stück aus Mahlow aufweist, reicht der Typus aber
über ganz Nordwesteuropa bis Dänemark und Norwegen, ohne daß sich eine
genauere Herkunfts- und Alterszuweisung schon vornehmen ließe. Anscheinend
ergänzt der Typus für Gebiete der Damm- und Deichbauten den schmalblättrigen
Kleispaten, der für den engeren Nordseeraum charakteristisch ist27). — Die dritte
Kruppe der in Brandenburg vorhandenen Spaten umfaßt Holzspaten, deren Holz-
Katt mehr oder minder halbrund zugeschnitten ist, aber fast zur Gänze von einem
Bisenblatt überdeckt wird. Die Anbringung dieses Eisenblattes scheint verschieden
sein, meist handelt es sich wohl um zwei zu einem Schuh zusammengeschweißte
Blätter. Diese Formen fanden sich im Museum von Bad Freienwalde, wo ein
s°lcher Holzspaten mit Eisenbeschlag unbekannter Herkunft verwahrt wird (112 cm
Kng, Blattlänge 15 cm). Das gut gearbeitete Stück wird aber doch wohl aus der
nächsten Nähe stammen (Tafel XV, d). Ähnlich sieht der Spaten im Museum von
Blankensee aus (Stiel 76 cm, ohne Griff, Blatt 18 X 22 cm). Zu ihm paßt einiger-
maßen „de Spoa“ im Museum von Falkensee (Höhe 97 cm, Eisenbeschlag
25 X 18 cm). Auch er unbekannter Herkunft, doch zweifellos aus der Umgebung.
Kas Spatenblatt im Museum von Prieros, das aus Prieros oder dessen nächster
Umgebung stammen soll, ist ganz mit dem Eisenbeschlag überzogen, der an der
Trittkante zusammengenietet ist (Länge 25 cm, Breite 18 cm) (Tafel XVI, c). Nicht
Weniger Eisenbeschlag weisen aber auch die Spreewald-Spaten im Museum von
Kottbus auf (Inv. Nr. IV/51/524, Gesamtlänge 113 cm, Spatenblatt 30 x23 cm).
Beschlag und Trittkante sind hier aber voneinander getrennt, man sieht doch noch die
Funktion des den Blattkern bildenden Holzblattes (Tafel XVI, b). Charakteri-
stischerweise reichen bei den Spaten von Freienwalde, Blankensee, Falkensee und Prie-
r°s die Eisenbeschläge mit einer ziemlich langen Zunge beidseitig auf den Stiel hinaus,
^ährend die Spreewaldspaten seitliche Eisenzungen von der eisernen Trittkante
auf den Stiel hinausführen. Das Museum von Prenzlau endlich verwahrt das Blatt
eines Holzspatens mit Eisenbeschlag (29 cm lang), unbekannter Herkunft, aber doch
)vohl aus dem uckermärkischen Umland von Prenzlau. Das Holzblatt steckt wieder
lri1 Eisenschuh, der fast spitzoval gestaltet ist, wodurch ungefähr ein Blattfünftel
des Holzblattes ursprünglich frei geblieben sein dürfte; das Stück ist schon stark
*erstört, so daß sich diese Umstände nicht mehr ganz genau erkennen lassen. Die
£unge reichte beidseitig von der Blattmitte hoch auf den Stiel hinauf (Tafel XVI, a).
Kiese dritte Gruppe ist bisher ziemlich unbekannt geblieben. Nach den älteren
Bildzeugnissen zu schließen, haben wir es auch hier mit einem Nordseespaten zu
tUn> allerdings einem aus dem holländischen Bereich. Am nächsten verwandt er-
scheint mir einstweilen der Spaten, den Christus als Gärtner auf dem Gemälde
v°n. REMBRANDT aus dem Jahr 1638 trägt. Hier haben wir das einigermaßen spitz-
27) Schmidt: Spaten-Forschungen, S. njff.
396
Leopold Schmidt
ovale Blatt vor uns, von dem mehr als die Hälfte im Eisenschuh steckt, der mit
langer Zunge aus der Blattmitte auf den Stiel hinaufgreift28).
Faßt man die Eindrücke von diesen brandenburgischen Holzspaten mit Eisen-
beschlag zusammen, so kann man wohl sagen, daß es sich um keine mittelalter-
lichen Spaten im west-, mittel- und süddeutschen Sinn handelt. Es ist kein einzige*
randbeschlagener Spaten dabei, alle drei Typen gehören der Gruppe der blatt-
beschlagenen Spaten an. Die nächsten räumlichen Beziehungen ergeben sich wohl
bei allen drei Typen nach dem Nordwesten, insbesondere zum Nordseeraum. Die
Hauptgruppe der Klei- und Torfspaten ist wohl aus dem Nachbarland westlich
der Elbe gekommen. Der dritte Typus, der blattbeschlagene Spaten mit dem halb-
runden oder spitzovalen Blatt und seinem entsprechenden Eisenschuh weist am
ehesten auf das entsprechende niederländische Gerät des 17. Jahrhunderts hin-
Damit werden wir also wohl auf die verschiedenen Nachbesiedlungen der Mark
Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert hingewiesen. Insbesondere die nieder-
ländischen Formen werden sich wohl mit den Holländer-Ansiedlungen in der
Mark zusammenstimmen lassen. Ob gelegentlich die Raseneisenerzförderung und
-Verhüttung im Lande, vor allem in der Neumark, den reichen Blattbeschlag noch
gefördert hat, läßt sich wohl noch nicht sagen. Dazu müßte man aber anderseits
das Gerätewesen dieser alten Eisenhütten kennen, um die eventuellen Möglich-
keiten richtig einschätzen zu können.
Während also die Mark Brandenburg den mittelalterlichen randbeschlagenen
Spaten nicht zu kennen scheint, haben die weiteren ehemals ostdeutschen Land-
schaften doch das eine oder andere Zeugnis dafür aufzuweisen. Weit mehr davon
freilich entzieht sich wohl noch unserer Kenntnis.
Für Schlesien gibt es einstweilen nur ein mittelalterliches Bildzeugnis. Ich meine
die Hortulanus-Szene auf dem Breslauer Barbara-Altar von 144729). Dieser gemalte
Doppelflügelaltar stammt vielleicht von dem 1437 bis 1446 nachweisbaren Maler
Martinus Opifex, der vom Westen zugewandert sein soll. Die Darstellung ist
so typisch, daß man an die Beeinflussung des Malers durch einen zeitgenössischen
Kupferstich denken möchte. Für die örtliche Gerätegeschichte Schlesiens ist das
Bild also jedenfalls nur mit Vorsicht heranzuziehen.
Dagegen hat das frühere ostdeutsche Gebiet auch einen Bodenfund aufzuweisen,
der zweifellos für die Geltung des Gerätes auch hier wichtig ist. Es handelt sich um
die Ausgrabung von Klein-Budisch im Kreis Stuhm bei Marienwerder30). Das im
Jahr 1931 ausgegrabene Bauernhaus wurde als „preußisch“ angesprochen, auf der
alten, zur Zeit der Ausgrabung zum Teil verlassenen Dorfstelle wurden jedoch
28) Rembrandt: Tentoonstelling ter herdenking van de geboorte von Rembrandt op
15. Juli 1606. Schilderijen (Katalog). Amsterdam 1936. Nr. 34, S. 70fr., besonders Aus-
schnittabb. S. 72.
29) Heinz Braune und Erich Wiese unter Mitwirkung von Ernst Kloss: Schle-
sische Malerei und Plastik des Mittelalters. Kritischer Katalog der Ausstellung in Breslau
1926. Leipzig 1927, Nr. 180, Abb. Tafel 191.
30) Waldemar Heym: Ein Bauernhaus aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts im deut-
schen Ordensland. Mannus XXVI (Leipzig 1934), S. 354ff., auf Abb. 3 auf S. 356.
Der randbeschlagene Holzspaten in Ostmitteleuropa
397
bisensachen geborgen, die man nur als deutsch bezeichnen kann. Es handelt sich
Urn einen Steigbügel, einen Bügel von einem Eimer, einen großen Löffel, einen
bolch, ein Messer, einen Knebel, ein Mittelstück einer Herdkette und den Rest
eines Randbeschlages eines Holzspatens. Der Ausgräber schrieb ungenau von
ejnem „Spatenblatt“. Es handelt sich aber ganz deutlich um einen spitzbogigen
Seiten Randbeschlag, wir würden ihn stilgeschichtlich als „gotischen“ Spaten-
randbeschlag ansprechen (Tafel XIV, b). Der Fund wurde damals im Heimat-
museum Westpreußen in Marienwerder geborgen. Mit ihm ist jedenfalls eindeutig be-
^eugt, daß der mittelalterliche deutsche Spaten mit dem eisernen Randbeschlag
spätestens im 15. Jahrhundert auch das Ordensland an der Weichsel erreicht hatte.
Das kulturgeschichtliche Gewicht dieser wenigen Einzelzeugnisse läßt sich heute
^och nicht recht abschätzen. Man wird mit ihnen aber rechnen müssen, wenn man
die Verbreitung des Gerätes im weiteren Ostmitteleuropa überprüft und nach ihnen
Zusammenhänge beurteilen will.
Zunächst ein Blick in das nördliche Osteuropa. Finnland war bisher seinen
älteren Spatenbeständen nach noch fast unbekannt. U. T. SlRELIUS hatte nur das
mittelalterliche Wandbild aus der Kirche von Hattula bekanntgemacht, das einen
bauern zeigt, der mit dem randbeschlagenen Spaten umgräbt31). Es handelt sich
dabei um einen hüfthohen Trittspaten mit breitem halbrunden Randbeschlag,
l^as Bild wird heute um 1510 angesetzt. PEKKA MäNNINEN hat mir aber mit-
§eteilt, daß es noch mehrere verwandte Belege aus dem Mittelalter gibt32). Der
älteste und in gewissem Sinn wichtigste ist die Abbildung in dem berühmten
Kalmarer Kodex des 15. Jahrhunderts. Auch dort ist ein Bauer mit dem Spaten
dargestellt. Und für Äbo gibt es sogar eine archivalische Nachricht, im Registrum
e°desiae aboensis steht ein Beleg für den eisenbeschlagenen Spaten zum Jahre 1474.
^as sind nun, soviel ich sehe, durchweg Belege aus der schwedischen Sphäre
binnlands. Auch die Wandgemälde entsprechen offenbar den gleichzeitigen schwe-
dischen Fresken. SlGURD ERIXON hat erst vor kurzem diese schwedischen Bild-
'mugnisse des Mittelalters für den Spaten zusammengestellt und in seine große Geräte-
dbersicht eingegliedert33). Da sehen wir die gleichen hüfthohen Trittspaten mit dem
breiten halbrunden Randbeschlag wie in Hattula, so daß man kaum daran zweifeln
*ird, daß es sich hier um schwedisch-mittelalterliches Gut handelt. Der heutige
dänische Name des Gerätes sagt darüber nichts aus. Er heißt dort lapia oder
lnPio, was zu den baltischen und slawischen Bezeichnungen (russ. lopata) gehört,
die gleichzeitig „Schulterblatt“ und „Spaten“ bedeuten. — Die baltischen Länder
und Völker haben, soviel ich sehe, keine mittelalterlichen Belege aufzuweisen. Sie
3l) U. T. Sirelius: Suomen kansanomaista kultturaa. Bd. I, Helsinki 1919, Abb. 196,
^ 258.
**) Brief von Pekka Manninen, Helsinki, Dezember 1954. P- Manninen, dem ich für
Scitie Mitteilungen zu bestem Dank verpflichtet bin, arbeitet bei Prof. Kustaa Vilkuna
an einer Diss. über den Spaten in Finnland.
33) Sigurd, Erixon: Landbruket under historisk tid med särskild hänsyn tili bonde-
,rachtionen. In: Landbrug og bebyggelse. Teknisk Kultur II, Kopenhagen—Oslo — Stock-
holm x956} s. 43fr. (= Nordisk Kultur Bd. XIII).
398
Leopold Schmidt
kennen jedoch im 19. und 20. Jahrhundert allesamt durchaus unser Gerät34)-
Sprachlich wechseln sie zwischen deutschen und slawischen Benennungen, die
Letten sagen schkipele offenbar nach der niederdeutschen „Schippe“, die Litauer
sagen spatas nach dem gemeindeutschen „Spaten“ oder lopeta nach dem
slawischen lopata, dem Schulterblatt-Spaten34a).
Das litauische Spatengebiet schließt direkt an das polnische in Masowien und
Polesien an35). Der polnische lopata-Spaten war in verschiedenen Formen ver-
breitet, spitzbogige und rundbogige Formen scheinen nebeneinander gestanden
zu haben. Bodenfunde sind bisher anscheinend keine bekanntgemacht worden,
so daß die eventuelle mittelalterliche Geltung noch unklar ist. Das Auftreten des
Gerätes im westpreußischen Gebiet, also im Deutschordensland, im 15. Jahrhundert
kann allerdings aussagen, daß wir mit einer gewissen Verbreitung von dort weichsel-
aufwärts rechnen können. Im südöstlichen Polen scheint es anders zu stehen. Dort
in Galizien, in der Umgebung von Krakau, hat es den hüfthohen Trittspaten mit
dem halbrunden Randbeschlag gegeben, der allerdings nicht den mittelalterlichen
Charakter aufweist, sondern eher einen neuzeitlichen, wie ihn die österreichischen
Spaten der Gegenwart zeigen36). Es wäre also bei der Zugehörigkeit Galiziens zu
Österreich von 1772 bis 1918 durchaus möglich, daß das Gerät mit Kolonisten
aus dem engeren altösterreichischen Bereich nach Galizien gekommen wäre
(Tafel XIX, b). Es ist dabei besonders an Siedler aus dem Böhmerwald zu denken,
die aus einem Kerngebiet der Restverbreitung des randbeschlagenen Spatens
niederösterreichisches Waldviertel — oberösterreichisches Mühlviertel — südlich^
Böhmerwald) stammten37).
Diese Überlegungen führen also auch auf das Gebiet der heutigen Tschecho-
slowakei. Die älteren Bildzeugnisse haben für Böhmen bisher keine Spatenbelege
ergeben. Das am ehesten in Betracht kommende Bild, das Christus Hortulanus-
Fragment aus Kugelweit bei Budweis, das der böhmischen Tafelmalerei der Gotik
angehört, und das Christus auf den hüfthohen Spaten gestützt darstellt, ermangelt
bedauerlicherweise der unteren Hälfte, in der sich das Spatenblatt befinden müßte38)-
34) Zu der von mir (Spaten-Forschungen, S. 8 3 £.) angegebenen Literatur kommt jetzt
noch für Estland: Eesti NSVAjalugu, Bd. I, Tallinn 1955, S. 241, Abb. 3 (randbeschlagener
Spaten aus Livland).
34a) Prof. Wolfgang Steinitz verdanke ich den freundlichen Hinweis darauf, daß 3äS
lit. lopeta mit dem slaw. lopata nicht im Lehnverhältnis steht, sondern urverwandt seit1
dürfte. (Vgl. Max Vasmer: Etymologisches Russisches Wörterbuch. Heidelberg 1950 fl-
Bd. II, S. 58.) Die weitere Behandlung des Problemes Schulterblatt — Spaten könnte zweiftb
los fruchtbar hier ansetzen.
35) Kasimir Moszynski: Kultura ludowa slowian. Bd. I. Krakau 1929, S. 146, Abb-
S. 112 —114.
36) Phot. Pos. 822 „Bauer mit hüfthohem Trittspaten aus Alexandrowce, Galizien“ lfl
der Photothek des österr. Museums für Volkskunde.
37) Vgl. Walter Kuhn : Die jungen deutschen Sprachinseln in Galizien. Deutschtum
und Ausland, Heft 26/27. Münster 1930.
38) AntonIn Mat^jCek: Gotische Malerei in Böhmen. Tafelmalerei von 1350 bis
1450. Prag 1939, Abb. 257; V. Denkstein und F. Matou§: Südböhmische Gotik. P&8
1955, Abb. 175.
Der randbeschlagene Holzspaten in Ostmitteleuropa
399
^er ganzen Art des Bildes nach wie des dargestellten Geräteteiles mit dem Hand-
§riff hat es sich hier sicherlich um einen randbeschlagenen Spaten gehandelt,
d°ch fehlt, wie gesagt, dem Beleg die letzte Beweiskraft, da das Blatt selbst eben
nicht mehr zu sehen ist. Im landschaftlichen Umkreis dieses Bildes im südlichen
^öhmerwald ist jedenfalls der randbeschlagene Spaten bis zur Gegenwart lebendig
gewesen. Unsere Umfrage unter den in Österreich lebenden Leuten aus dem Böhmer-
^ald hat positive Nachrichten aus Sonnberg bei Gratzen39) wie aus Tweras40) er-
geben. Auch in Mähren und in der Slowakei hat es diese Art des Spatens bis zur
Gegenwart gegeben. Aus der mährischen Slowakei gibt es ein hübsches volks-
künstlerisches Bildzeugnis41). Es handelt sich um den Hafnermeisterkrug aus Jalubi
bei Ungarisch-Hradisch, aus dem Jahre 1803. Auf der Wandung dieses Kruges ist
lrtl Relief die Gruppe Adam und Eva unter dem Paradiesesbaum dargestellt, wobei
aber die Ureltern bereits ihre erst nach der Vertreibung aus dem Paradies aktuellen
Geräte führen, Adam den Spaten und Eva den Spinnrocken. Der Spaten aber ist,
^le sogar dieses Töpferrelief noch deutlich zeigt, als spitzbogig-randbeschlagen
gemeint (Tafel XVIII). Vermutlich hat ein graphisches Vorbild seine Spur hinter-
^assen. Aber der Töpfer wird doch wohl auch die realen Spaten seiner Gegend
gekannt haben, er hätte sonst kaum gerade diesen Typus dargestellt. — Auch in
der Slowakei selbst hat es diese Art des Spatens bis zur Gegenwart gegeben. RUDOLF
^Ednarik berichtet für die mittlere Slowakei: „In Pekelnik verwendet man noch
let2t Spaten, die mit einem Stück Eisen versehen sind und zur Auflockerung der
bk'de, hauptsächlich bei Gartenarbeiten dienen42).“ Die beigegebene Abbildung
2eigt den hüfthohen Trittspaten, dessen Holzblatt den sichelmondförmigen Be-
Schlag aufweist, ähnlich den österreichischen Spaten. Die mittlere Slowakei war
aber ganz von den deutschen Bergstädten des ehemaligen Oberungarn durchsetzt,
dle in jeder Hinsicht das charakteristisch deutsch-mittelalterliche Gerät besaßen
ütld beibehielten. Sowohl von bergmännischer wie von bäuerlicher Seite wurden
hier also diese mittelalterlichen Spaten beigebracht.
E>as ist auch bei den Spaten in Ungarn und Siebenbürgen zu bedenken. LÄSZLO
^°VÄCS hat schon vor Jahren nach ISTVAN GyÖRFFY festgestellt: „Es scheint,
8) Erhebungen im Archiv der österreichischen Volkskunde, Umfrage 1955/56 (Österr.
, useum für Volkskunde, Wien), Einsendung Franz Lenz. Vgl. dazu Schmidt: Die
eiden Spaten-Umfragen von 1952 und 1956. österr. Zeitschrift für Volkskunde, N. S.
1 (Wien 1957), S. 75fr.
£40) a. a. O., Einsendung Dr. Elisabeth Pablé, 1957. (Nach Bericht einer Tante der
lnsenderin war der randbeschlagene Spaten vor etwa 50 Jahren in Tweras bekannt).
**) österr. Museum für Volkskunde, Inv. Nr. 19. 172. Michael Habeelandt: öster-
AIchische Volkskunst. Wien 1911. Tafelband. Adolf Mais: Kunstwerk der Woche: Ein
£ eislerwerk des Töpferhandwerks. Wiener Kurier am Sonntag, 7. XI. 1953, S. 12.
^cHMidt; Bauernwerk der Alten Welt. Betrachtungen über den Stand der Erforschung
<AS bäuerlichen Arbeitsgerätes in Österreich. Archiv für Völkerkunde X (Wien 1955),
• *64 und Abb. Taf. III.
►pl2) Rudolf Bednarik: Slowakische Volkskultur. Preßburg 1943. Abb. auf S. 181,
iextS. 182.
400
Leopold Schmidt
daß man früher in ganz Ungarn solche Spaten gebrauchte“43). In der Tat haben
sich randbeschlagene Spaten in den verschiedensten Gegenden Ungarns noch in
Gebrauch gefunden. Die sorgfältige ungarische Geräteforschung hat sich der Et'
scheinung auch immer wieder angenommen und die verschiedenen Typen des
Gerätes und seine Verwendungsmöglichkeiten festgestellt. Schon 1791 hält JÄNOS
NAGYVÄn folgendes fest: „Man benutzt den Spaten zur Gartenbearbeitung. Ans
den Aufzeichnungen geht hervor, daß man früher in gebirgigen Gegenden den
Boden für Weizen auch mit dem Spaten aufarbeitete. So grub man zum Beispiel
1765 — 1786 und im Jahre 1789 im Komitat Nograd an hohen und steilen Berg'
hängen, und wenn man mit dem
Pflug nicht hinaufkommen
konnte, die Erde für die Weizem
saat auf 44).“ Das ist also rich-
tiger Spatenbau mittelalter-
licher Art. Dieser Altertümlich-
keit entsprechend hat Ungarn
auch verschiedene Spaten-
formen, und zwar neben den
symmetrischen Spaten deutsch-
mittelalterlicher Art auch asym-
metrische, also mit seitlich
gestelltem Stiel. Bela GUNDÄ
schreibt dazu: „Es gibt einige
schmale, mit einseitigem Stelz-
tritt versehene Formen. Es ist
höchst wahrscheinlich, daß
diese schmalen Spaten ur-
sprünglich nicht für die Feld-
arbeit angefertigt worden sind,
sondernW erkzeuge derSammel-
Wirtschaft waren, mit denen
man Wurzeln, Knollen aus der Erde herausgehoben hat. Vom ergologischen Ge-
sichtspunkt aus sind sie alle als unmittelbare Verwandte und Ableitungen der Grab-
Stöcke zu betrachten45).“ Derartige asymmetrische Spaten haben sich beispielsweise
in Kalotaszeg erhalten, Beispiele dafür sind im Ungarischen Volkskundemuseum
gesammelt46). KOVÄCS schrieb dazu von dem „asymmetrischen Spatenblatt, das
die Handhabung sehr erschwert“. Diese Betrachtungen haben mit der geschieht-
43) Läszlo KovÄcs: Ackergeräte in Ungarn. Ungarische Jahrbücher XVIII (Berlin
1938), S. 265/4, nach Istvan Györffy; Magyar Neprajza, Bd. II, S. 199.
44) JAnos Nagyväti: A szorgalmatos mezei gazda (Der fleißige Landwirt). Pest I791'
Bd. I, S. 126. Das Zitat bei Läszlo KovÄcs, Ungarische Jahrbücher XVIII, S. 265/5.
45) Büla Gunda: Sammelwirtschaft bei den Ungarn. Ungarische Jahrbücher XVlß
(1938), S. 312.
46) Istvan Györffy und Karoly Viski: A Magyarsäg targyi neprajza. Bd. H-
Budapest 1934, S. 185, Abb. 578 — 579.
Der randbeschlagene Holzspaten in Ostmitteleurop;
401
liehen Durchdringung des Stoffes nur wenig zu tun. Es ist nicht so wichtig, ob die
Geräteform die Handhabung des Gerätes erschwert, noch von Bedeutung, ob
diese Gestalt eine Ableitung eines europäischen Spatens von einem außereuro-
päischen Grabstock nahelegt. Heute sieht man derartige ethnologische Gedanken-
gänge innerhalb europäischer Zusammenhänge nicht mehr als maßgebend an.
bleute spricht die Gerätegeschichte, und sie richtet sich nach anderen Kriterien.
Maßgebend ist, daß diese asymmetrischen Spaten in ostungarischen Gebieten
et>enso wie in serbischen gefunden wurden, also in einem speziellen Südostbereich,
der jahrhundertelang von Mitteleuropa abgeriegelt war. LÄSZLÖKOVÄCS schreibt
gelegentlich: „In der Gegend von Kecskemet fand man ähnliche Spaten, auch in
Dörfern, die während der Türkenzeit vernichtet worden waren47).“ Diese Notiz
aus ungarischen Wüstungen wäre
v°n großer Wichtigkeit, wenn
man wüßte, worauf sie sich be-
geht. Wenn es sich um Ausgra-
bungen in derartigen Wüstungen
bandelt, dann hat man doch wohl
Uur die eisernen Randbeschläge
der Spaten finden können: Aus
*bnen geht aber kaum hervor, ob
die Spaten selbst symmetrisch
°der asymmetrisch, die Stiele
aJso randständig oder mittel-
ständig waren. Das wäre aber
entscheidend. Es sind in jüngster
£eit in Ungarn entsprechende
bunde gemacht und veröffent-
licht worden, die dem 15.—
*6* Jahrhundert zugewiesen
Werden, also wieder der von
■^OvÄcs angesprochenen Tür-
kenzeit (Tafel XIV, a). Diese von GyÖRGY SzäBÖ veröffentlichten Ausgrabungen
Slnd deutliche Spatenrandbeschläge, breiter oder schmäler, runder oder langge-
^°gener, immer aber durchaus symmetrischer Art48). Aus ihnen geht jedenfalls nicht
bervor, wie die Holzteile der Spaten ausgesehen haben mögen. Aus den deutschen
Kunden und Bildzeugnissen haben wir auf symmetrische Spaten geschlossen: Es liegt
bein Grund vor, aus den gleichgearteten ungarischen Funden nicht auch auf sym-
metrische Spaten zu schließen, solange nicht etwa ungarische Bildzeugnisse dagegen
sPtechen. Nach den deutschen Verhältnissen möchte man jedenfalls per analogiam
attnehmen, daß es sich auch in Ungarn um normale symmetrische Spaten mit mittel-
47) Läszlö Koväcs: Ackergeräte in Ungarn. Ungarische Jahrbücher XVIII, S. 265,
Abb- 1 a,b).
. 48) György Szabö: A Falusi kovacs a XV—XVI. szazadban. Folia archaeologica
id- VI (Budapest 1954), Tafel XXXV, 1-3.
3 Volkskunde
402
Leopold Schmidt
ständigem Stiel gehandelt hat. Bezeichnenderweise zeigt ja auch das einzige Bilddenk'
mal, das ich bis jetzt hierher stellen kann, diesen symmetrischen Spaten: Der hochver
diente Bischof MICHAEL HAAS hat bereits 1864 auf die Wandgemälde in der katho'
lischen Kirche zu Fekete-Ardö im Komitat Ugocsa im damaligen Oberungarn aufmerk'
sam gemacht49). Fekete-Ardö, von den dortigen Deutschen Schwarz-Ardo genannt?
heute, da in Rumänien liegend, Cornyj-Arduo, bei Szathmar ist durch diese Fresken
in die Kunstgeschichte eingegangen50). Diese Kirche von Schwarz-Ardo stammt
wohl aus dem 14. Jahrhundert, die Fresken gehören aber dem 15. Jahrhundert an.
Es handelt sich bezeichnenderweise um das Motiv der Kreuzauffindung durch die
hl. Helena. Ein Mann hält dabei das Kreuz senkrecht, ein zweiter rechts von ihm
gräbt noch, und zwar mit einem randbeschlagenen, hüfthohen Trittspaten. Das
ganz der deutschen Freskenkunst des 15. Jahrhunderts angehörende Bild weist also
den für diese Darstellung typischen Spaten auf; ich darf auf meine einleitenden
Ausführungen über das mit der Helena-Darstellung verbundene Problem zurück-
verweisen: Hier wie überall kann eine Spaten-Reliquie den Bildtypus vorgebildet
haben. Aber die Darstellung widerspricht auch nicht dem landschaftlichen Geräte-
inventar der Zeit. Im Komitat Ugocsa hat es seit dem 13. Jahrhundert schon
deutsche Siedler gegeben, und es war auch hier der Bergbau, der sie hauptsächlich
dorthin geführt hatte51). Das Kreuzauffindungsmotiv erweist sich hier geradezu
als ein ikonographisches Leitmotiv des deutsch-mittelalterlichen Bergbaues. Da
ist es noch verständlicher als in anderen Fällen, daß gerade der typische randbe-
schlagene Spaten als Grabgerät gezeigt wurde. Anderseits haben die Beschlag-
funde des 15. —16. Jahrhunderts gezeigt, daß solche Spaten in Ungarn in der Zeit
der Entstehung des Freskos von Schwarz-Ardo tatsächlich vorhanden waren-
Da greift also ein Glied ins andere.
Diese symmetrischen randbeschlagenen Spaten waren also im Spätmittelalter
durch ganz Ungarn verbreitet. Es würde aufmerksam verfolgt gehören, inwiefern
besonders die ehemaligen deutschen Siedlungen auch außerhalb der Bergbauorte
an dieser Verbreitung beteiligt waren. In Westungarn, wo solche Spaten in der
Umgebung von Steinamanger gesammelt wurden52), wird man an der deutschen Be-
teiligung bei der Geräteverbreitung kaum zweifeln können, und in Siebenbürgen
ebensowenig53). Wie die Spaten des Szeklerlandes anzuschließen sind54), erscheint
49) Michael Haas: Neu entdeckte Wandgemälde in der katholischen Kirche zu Fekete
Ardö im Ugocsaer Comitate in Oberungarn. Mitteilungen der k.k. Central-Commission
zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale Bd. IX (Wien 1864), S. 237ff., Fig. *
auf S. 240.
50) Die Literatur darüber zusammengestellt bei D£nes Radocsay: A közäpkori
Magyarorszäg falkepei. Budapest 1954, S. 136 (keine Abb.).
51) Raimund Friedrich Kaindl: Geschichte der Deutschen in den Karpatenländern.
Bd. II. Gotha 1907, S. 171h
52) Kelemen Kärpäti: Neprajzi tärgyak a Szombathelyi muzeumböl (Volkskunst-
gegenstände aus dem Museum zu Steinamanger). Neprajzi Ertesitö — Anzeiger für Volks-
kunde, 1903, S. 149, Abb. 1.
53) Györffy und Viski: A Magyarsäg tärgyi neprajza. Bd. II. S. 185, Abb. 580.
54) KovÄcs: Ackergeräte in Ungarn. Ungarische Jahrbücher XVIII, S. 265, Abb. ic-
Der randbeschlagene Holzspaten in Ostmitteleuropa
403
Vlelleicht noch nicht ganz klar. Jedenfalls handelt es sich auch bei ihnen um sym-
metrische Typen. Die Weitergabe gerade dieser Typen im ganzen Karpatenbogen,
bker die Slowakei und Oberungarn bis Siebenbürgen, läßt auch hier an den An-
schluß an das mitteleuropäische Formengut denken.
Öie asymmetrischen Formen von Kalotaszeg und ihre Gegenstücke um Krusevac
lri Serbien55) stehen also abseits von dieser Entfaltung. Versucht man sie geschicht-
^ch zu verstehen, so muß man zunächst ihre typologischen Gegenstücke suchen. Sie
^nden sich, vielleicht erstaunlicherweise, im äußersten Westeuropa. Diese südost-
eutopäischen Formen der Neuzeit entsprechen eigentlich nur den englischen Spaten
^es io. und 11. Jahrhunderts. Schon die angelsächsische Junius-Handschrift der
Uenesis des io. Jahrhunderts zeigt in der Kain- und Abelszene einen derartigen
Spaten, und alle weiteren Bildzeugnisse weisen immer wieder diesen asymmetrischen
jUittspaten mit dem eisernen Randbeschlag auf56). Der Typus scheint in den eng-
lschen Bildern bis ins 13. Jahrhundet fortzuleben57). Dann setzt auch dort die
Beugung des symmetrischen, des Spatens mit dem mittelständigen Stiel ein.
Ungarn und Serbien könnte das bedeuten, daß sich dort sporadisch Geräte-
Vpen. erhalten haben, die an sich dem frühen Hochmittelalter zuzuordnen wären.
^uch in diesem Fall wäre mit früher Verbringung durch Bergleute aus West- und
Mitteleuropa zu rechnen, da wir beispielsweise in Serbien schon seit dem 13. Jahr-
ündert deutsche Bergleute kennen. Die „Sasi“, die „sächsischen“ Bergleute,
aben für den Balkan außerordentlich viel bedeutet. Sie haben ihr Gerät und ihre
erminologie mitgebracht und, was besonders wichtig ist, auch ihren Nachfolgern
^Hd Umwohnern hinterlassen. Schon vor Jahrzehnten hat ConSTANTIN JlREÖEK
estgestellt: „Das Werkzeug der Bergleute, die Keilhauen, Schlägel, Hammer und
vielen Kleinfunde hat man noch nicht zu sammeln und zu beschreiben be-
gonnen“58). Diese Lücke der Geräteforschung scheint heute noch nicht geschlossen
sein, vielleicht wird die neuere, durch MiHAlLO J. DlNlC vertretene serbische
°tschung hier Abhilfe schaffen59).
Vielleicht sehe ich die Dinge zu stark von Mittel- und Westeuropa her, aber mir
|vdl doch scheinen, daß wir hier einen Fall der Retention durch die jahrhunderte-
nge Absperrung des Südostens durch die Türken vorliegen haben. Das Gerät,
. as in Westeuropa bis ins 13. Jahrhundert lebte, war im 15. und 16. Jahrhundert
11 Ungarn und Serbien, wohl auch in den benachbarten Ländern, noch lebendig,
überdauerte dann hinter dem Vorhang der türkischen Militärgrenze die ganze
5) Moszynski: Kultura ludowa slowian. Bd. I. Krakau 1929. S. 146, Abb. 116.
8) Schmidt: Spaten-Forschungen, S. 91.
p ) Schmidt: a. a. O., S. 92. Otto Kurz verweist mich freundlicherweise noch auf
AXl; English sculptures of the twelfth Century. London 1954. Taf. XXXV (englisches
ej? Ief des 12. Jahrhunderts, Mann mit Trittspaten, beschädigt und in Einzelheiten nicht
P ,ennbar). Dazu Vergleichsabbildungen S. 50, Fig. 32: MS. Cotton Claudius B. IV des
^g^chen Museums, 11. Jahrhundert.
Constantin Jireöek: Geschichte der Serben. Gotha 1918. Bd. II/1, S. 5Öff.
) Mihailo J. DiniÖ: Za istoriju rudarstvau srednjevekovnoj Srbiji i Bosni. I deo. Bel-
Se k Darüber resümierend: Alois Schmaus: Zur Frage der Kulturorientierung der
fberi im Mittelalter. Südost-Forschungen XV (München 1956), S. 187.
58
404
Leopold Schmidt
Neuzeit, so daß es nach der Beendigung der Türkenzeit in diesen Landschafter1
noch als lebendig angetroffen werden konnte60). In den nicht von den Türken be-
setzten Gebieten Oberungarns und Siebenbürgens hatte im 15. und 16. Jahrhundert
der mitteleuropäische symmetrische Spaten seinen Einzug gehalten. Daher also
auch dort spätmittelalterliche Bild- und Sachzeugnisse für das Gerät, aber eben 10
seiner deutschen Form, und daher dort allenthalben auch das Weiterleben dieser
Form, das sich an sich nicht vom Weiterleben der verwandten Formen in ganz Süd-
deutschland und Österreich unterscheidet, wie sich das in den letzten Jahren hat
feststellen lassen.
Daraus ergeben sich gleichzeitig auch die Folgerungen für die Spatenvorkommefl
im heutigen Jugoslawien. Es gibt hier ganz verschiedene Landschaften, die historisch
nicht zuletzt durch ihr Verhältnis zum Türkischen Reich bestimmt waren. Für
Serbien hat sich der vielleicht also frühmittelalterliche asymmetrische Spaten bereits
besprechen lassen. Seine Beziehung zum Bergbau der „Sasi“ sollte zunächst
einmal geklärt werden, um eine reale gerätegeschichtliche Diskussionsbasis zu
schaffen. Aus Kroatien sind mir bisher nur Spaten der Goldgräber von Muraköz
bekannt geworden61). FRANZ GÖNCZI hat die Arbeit dieser Leute folgendermaße11
beschrieben: „Von den zwei Wäschern hebt der eine mit einem kurzstieligen breiten,
aus Weidenholz gemachten, an der Spitze mit Eisen beschlagenen Spaten Sand
aus und legt ihn aufs obere Ende der Bretter.“ Das war also wohl der normal
Teichgräberspaten, wie er in Österreich zu allen derartigen Arbeiten verwende1
wurde. Die Goldwäscher haben ihn vielleicht aus dem Bergwerksbetrieb übef'
nommen, wo er als Erzspaten bereits hie und da bezeugt ist. Auch die Goldwäsche^1
geht ja bereits auf mittelalterlichen, „bergverwandten“ Betrieb zurück, man ha1
sich nur gerätekundlich damit noch zu wenig beschäftigt. Goldwäscher, zlaiarh
waren auch im mittelalterlichen Serbien tätig, bei Novipazar und Prizren. Ihrt
Tätigkeit war angeblich nicht sehr ergiebig62).
Die Zusammenhänge wird erst eine genauere Erforschung des älteren berg'
männischen Gerätes ergeben. Man muß gerade auf dem nördlichen Balkan imtfrt1
an derartige Möglichkeiten denken, weil zahlreiche mehr oder minder staatlich
Betriebe vor allem im alten Österreich-Ungarn solche Tradition wiederaufgenomaaeil
oder weitergeführt haben. In der Zeit des weitesten Ausgriffes der Donaumonarcb,e
60) Ein Gegenstück dazu scheint mir der prismatische spangeflochtene Säekorb in de11
Balkanländern zu sein: Arthur Haberlandt: Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Volk®
künde von Montenegro, Albanien und Serbien. Wien 1917, S. 45. (== Ergänzungsband X1
zurZeitschrift für österreichische Volkskunde). Bildquellen des 13. Jahrhunderts zeigcfl
gerade den prismatischen Säekorb auch für Westdeutschland, vgl. das Drei-Ständeblrt1
des mittelrheinischen Jungfrauenspiegels, abgebildet bei Albert Boeckler: Deutsch0
Buchmalerei vorgotischer Zeit. Blaue Bücher, o. Nr. Königstein im Taunus 1952, S. 5
(Farbtafel). Einige Hinweise darauf bereits bei Schmidt: Geschichtliche Grundlagen dc
Gerätekultur. Zu den Aufgaben der Erforschung des bäuerlichen Arbeitsgeräts, dargctail
an den Säegeräten in Kärnten. Carinthia I, 147 (Klagenfurt 1957), S. 7730".
61) Franz Gönczi: Die Kroaten in Muraköz. Ethnologische Mitteilungen aus Ungaffl’
Bd. IV. Budapest 1895, S. 209.
62) Jireöek: Geschichte der Serben. Bd. II/1, S. 56.
Der randbeschlagene Holzspaten in Ostmitteleuropa
405
lst dann auch auf solchen Gebieten und aus solchen Zusammenhängen heraus wieder
formend, ja sogar normend eingewirkt worden. Das ist ja wohl auch bei den Spaten
^er Tabakpflanzer in Dalmatien der Fall gewesen. KARL PREISSECKER hat die
dortige Arbeit folgendermaßen beschrieben: „Die Tabakkulturflächen im Gebiet
v°o Imoska werden in den Poljen mit einem einfachen Pflug gepflügt, in den Nijven,
Terrassen und Wannen mit dem geraden Stechspaten umgegraben63).“ Man denkt
dabei sogleich an die gute Schilderung des Weizenanbaues im Komitat Nograd im
ausgehenden 18. Jahrhundert, wo auch die normalen Felder gepflügt, die steilen
^erghänge aber mit dem Spaten umgestochen wurden. Diese altertümliche Arbeits-
methode ist also in Dalmatien auch auf den Tabakbau angewendet worden, und
der spätmittelalterliche randbeschlagene Spaten hat also auch dabei seine guten
^bb. 4. Eisenbeschlagener Spaten aus Wettmannstätten bei Deutschlandsberg (Unter-
steiermark). Steir. Vkdemuseum Graz. Inv. Nr. 2176
touste geleistet, wie wir aus den schönen unter Anleitung PREISSECKERs herge-
stellten Modellen des Gerätes im Wiener Tabakmuseum deutlich ersehen können64).
Tiefer in den südöstlichen Balkan hinein, hinter die ehemalige Militärgrenze
er Türken, hat das Gerät wohl kaum ausgestrahlt. Nördlich dieser Grenze, im
r°atischen und slowenischen Bereich, konnte es sich dagegen verbreiten. Hier
^lrkt wieder die direkte Ausstrahlung der österreichischen Länder. Das war bei-
spielsweise auch in der alten Unter Steiermark der Fall, von wo sich nun auch ein
eugnis des 16. Jahrhunderts ergeben hat. Im linken Seitenschiff der Johannes-
.j.63) Karl Preissecker: Ein kleiner Beitrag zur Kenntnis des Tabakbaues im Imoskaner
abakgebiete. Fachliche Mitteilungen der österreichischen Tabakregie, Bd. IV. Wien 1904,
• U.
j 4) Für die liebenswürdig gebotene Möglichkeit der genauen Besichtigung bin ich der
"Clüing des Wiener Tabakmuseums sehr zu Dank verpflichtet.
406
Leopold Schmidt
Pfarrkirche von Marburg an der Drau befindet sich nämlich der Grabstein des
am 14. April 1556 verstorbenen AndräVON Graben, des letzten dieses berühmten
Hauses65). Der Grabstein aus rotem Marmor zeigt uns sein Wappen, das in herab
discher Sprache folgendermaßen beschrieben wird: „Im roten Schilde ein silbernes?
auf den Griff gestelltes Grabscheit, mit golden beschlagenem Stichblatt66 67).“ Grab'
scheit sagte man, wie wir aus österreichischen Testamenten wissen, im 16. Jaht'
hundert wirklich zu unserem Spaten. Die heraldische Metallbezeichnung sagt aus,
dai3 das hölzerne Spatenblatt bildhaft deutlich vom eisernen Randbeschlag ab'
gehoben erscheint (Tafel XIX, a). Andrä VON Graben führte also unser Gerät in1
Wappen, was unseres Wissens bisher den ersten heraldischen Beleg für den Spaten
ergibt. Das Bildzeugnis in der Marburger Pfarrkirche bezeugt also vielleicht auch ein
wenig die Gerätegeschichte der Untersteiermark. In der Gegenwart, nämlich in1
Jahr 1918, ist jedenfalls im österreichisch verbliebenen Teil der Landschaft, in
Wettmannstätten bei Deutschlandsberg, noch eine derartige „Stichschaufel“ auf'
gesammelt worden, ein hüfthoher Trittspaten mit breitem eisernen Randbeschlag
des aus Buchenholz geschnittenen Spatenblattes67).
So erweist sich also die ostmitteleuropäische Spatenverbreitung im großen und
ganzen der kernmitteleuropäischen vorgelagert, ein weiter, breiter Streifen, der b*s
nach Weißrußland hin ausgreift, bis an das rumänische Grenzgebiet, an die untefe
Donau und bis an die Grenzen des heute jugoslawischen Küstengebietes der Adfia>
Diese Streuverbreitung in der Halbvergangenheit und Gegenwart läßt sich heute
schon einigermaßen erfassen. Ebenso wesentlich wie ihre sammlerische Erkundung
ist aber die geschichtliche Aufschließung. Da haben Sach- und Bildzeugnisse des
späten Mittelalters in der gleichen Zone dargetan, daß sie die Verbundenheit
der mitteleuropäischen Zentrallandschaft womöglich noch deutlicher aufzuweisen
vermögen. Aus diesen Bodenfunden und jenen Gemälden mit den Spatendaf'
Stellungen ergeben sich diese Rückverbindungen sehr eindeutig. Durch sie ist als°
auch die Strahlungsrichtung der ehemaligen Ausbreitung festgelegt. Der rafld'
beschlagene Spaten wird auf diese Weise zu einem Leitobjekt der Geräteforschung,
der auch in den ostmitteleuropäischen Ländern beredt für die gegebene RoHe
Mitteleuropas auszusagen vermag. Von der richtigen Einordnung typologischer
und chronologischer Art dieses einen führenden Gerätes wird wohl künftig auch s°
manches andere Urteil in der ostmitteleuropäischen Gerätegeschichte abhängen.
65) Rudolf G. Puff: Marburg in Steiermark. Bd. I. Graz 1847, S. 74.
66) Abbildung des Grabsteines in Handschrift 28, Stadl: Ehrenspiegel. Bd. IV, S. 27
im Steiermärkischen Landesarchiv. Das Wappen auch im „kleinen“ Siebmacher vom Jah*
1605, S. 44, und vom Jahr 1657, Bd. I, S. 44 (freundliche Auskunft der Direktion <RS
Steiermärkischen Landesarchives vom 5. XI. 1956).
67) In Wettmannstätten 1918 erworben. Steirisches Volkskundemuseum, Graz, 1°^'
Nr. 2176. Freundliche Vermittlung der Inventarabschrift und Zeichnung durch meine11
verehrten Freund und Kollegen Prof. Dr. Leopold Kretzenbacher.
Herbert Clauss - Dresden
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
Die Aufgabe
Die vorliegende Untersuchung will Wesen und Eigenart des Bergmannes inner-
halb eines festumgrenzten Territoriums, des Erzgebirges, vom Blickpunkt volks-
künstlerischer Gestaltung aus erfassen. Unter den Lebensbezügen nimmt die Arbeit
eine höchst bedeutsame Stellung ein. Bergmännische Arbeit hat dem Erzgebirge
lnnerhalb Deutschlands sein Sondergepräge verliehen: Der Bergbau auf Silber und
besonders auf die niederen Metalle Zinn, Wismut, Kupfer, Kobalt, Eisen und Nickel,
das damit verbundene Hüttenwesen und die Eisenhämmer bilden die Grundlage für
hie zahlreichen metallverarbeitenden Kleinbetriebe dieses Gebietes und gestalteten
has einstige Waldgebirge mit einer dünnen bäuerlichen Grundbesiedlung zu einer
vorindustriellen Landschaft mit stark vorwärtsdrängenden Kräften um.
Aus der Fülle vorhandenen Anschauungsmaterials wurden die Gegenstände aus-
gewählt, die den Bergmann unmittelbar angehen, mit seinem Leben eng ver-
mochten und für seine Einstellung zu seinem Beruf charakteristisch sind. An zwei
Sachgruppen versuchen wir, das Wesen und die Gestaltungsprinzipien berg-
männischer Volkskunst des Erzgebirges aufzuzeigen:
an Schnitz- und Bastelarbeiten und an verzierten bergmännischen Ausrüstungs-
Gegenständen: an Froschlampe, Bergbarte und Steigerhäckchen.
Bergmännische Arbeitsvorgänge in erzgebirgischen Schnitz- und Bastelarbeiten
Sozialer Hintergrund
Wie eng die bergmännische Arbeit mit sozialen Problemen des 18., 19. und
z°‘ Jahrhunderts verflochten ist und in welcher Weise diese Fragen vomVolkskünstler
Gestaltet wurden, zeigt uns eine charakteristische Photographie aus der Zeit um
*920, auf der der Freiberger Berginvalid Ernst Ferdinand Gerlach neben seinem
Selbstgefertigten kleinen Bergwerksmodell vom einstigen Turmhofschacht in Frei-
^etg steht (Tafel XX, a)1). „Ein armer Bergmann, welcher in seinem Beruf durch
l) Den gleichen Befund hat der Dresdner Maler Meno Mühlig (geh. 1823 in Eiben-
^°ck i. Erzgeb., gest. 1873 in Dresden) in der Art der Genremalerei des 19. Jhs mit einem
/gemälde festgehalten, nach dem der Verlag von C. C. Meinhold & Söhne in Dresden
<r'nc farbige Lithographie herstellte: Ein alter Bergmann in Bergmannstracht führt in einem
mterhof, durch dessen Torbogen man den Rundturm der Stadtmauer erblickt, einem inter-
essiert dreinschauenden alten Mann und einem kleinen Jungen und Mädchen sein Buckel-
408
Herbert Clauss
einen Schuß am rechten Oberarm und der Brust verunglückt ist, bittet um eine
kleine Unterstützung.“ Dieser Spruch auf ausgespannter Leinwand unterhalb der
Freiberger Silhouette, vom Bergmannsgruß „Glückauf“ und den bergmännischen
Symbolen Schlägel und Eisen überstrahlt, läßt uns mit einem Blick die sozialen
Hintergründe für dieses Zurschaustellen bergmännischer Schnitz- und Bastel-
arbeiten erkennen. Der Freiberger Bergmann Ernst Ferdinand Gerlach wurde am
ii. Dezember 1851 in Bräunsdorf bei Freiberg geboren* 2). Wie sein Vater und bereits
sein Großvater suchte auch er im Freiberger Bergbau Arbeit und Brot. Als Junge
von 9 bis 10 Jahren wird er, wie es in erzgebirgischen armen Bergmannsfamilien
allgemein üblich war, zusammen mit seinen Altersgenossen in staubiger Scheide-
stube Erz gepocht und ausgeklaubt haben, bis er das Alter erreicht hatte, um ein-
fahren zu können, um als Fördermann oder Lehrhäuer, ja schließlich als Häuer etwas
höheren Verdienst heimzubringen. Im Jahre 1883, erst 32 Jahre alt, verunglückte
er jedoch im Turmhofer Richtschachte bei Freiberg durch einen Sprengschuß und
wurde arbeitsunfähig. Wie andere frühzeitig bergfertig gewordene Bergleute und
alte Berginvaliden war er bei der kärglich bemessenen Knappschaftsrente2a) ge-
zwungen, einen neuen Erwerb zu suchen. In Beschreibungen des Erzgebirges,
seiner Menschen, Sitten und Bräuche aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
und des beginnenden 19. Jahrhunderts3) wird wiederholt bezeugt, daß „der fleißige
und speculative Bergmann“ namentlich während der Adventszeit „allerley mecha-
nische Spielereyen schnitzt, welche meistenteils lebendige Modelle des Bergbaus
sind und ihm manchen Schweißtropfen kosten“. Mit ganz eigenen Kunstgriffen und
Fertigkeiten praktiziert er ganze Bergwerksmodelle in Flaschen und ermöglicht
bergwerk auf leichtem Holzgestell vor. Die Lithographie wurde im Bergbaumuseum Frei-
berg eingesehen. Angaben über Meno Mühlig siehe in ThIeme-Becker: Allgemeines
Lexikon der bildenden Künstler, Bd. XXV, S. 215, und bei Karl Josef Friedrich:
Ludwig Richterund sein Schülerkreis. Leipzig 1936, S. 237.
2) Vgl. hierzu die Angaben und eine ganz ähnliche Aufnahme in Johannes Hagen:
Der Bergkastenmann Ernst Ferdinand Gerlach in Freiberg, Schöne Gasse 26. In: Für unsere
Heimat. Zs. des Erzgebirgsver. Dresden 3 (1920), Nr. 11. Genaue Angaben über Geburts-
und Sterbedatum des Freiberger Bergmanns Ernst Ferdinand Gerlach (*n.XII. 1851»
f 28. XI. 1924) und seiner Vorfahren bis zu den Urgroßeltern konnten durch freundliche
Mitteilung des ev.-luth. Pfarramtes Langhennersdorf bei Freiberg/Sa. und des Standesamtes
Freiberg aus den dortigen Kirchenbüchern und Sterberegistern ermittelt werden (Kirchen-
buch Langhennersdorf S. 229, Nr. 164; Standesamt Freiberg Nr. 462/1924).
2») Die Höhe des Knappschaftsgeldes richtete sich nach dem Wochenverdienst und nach
den Dienstjahren des Bergmanns. Bei 1 Taler 20 Gr. Lohn erhielt ein Bergmann nach zehn
Dienstjahren wöchentlich nur ioNgr. Knappschaftsgeld, nach zwanzig Dienstjahren
15 Ngr., nach dreißig Dienstjahren 20 Ngr.; bei 2 Talern Wochenlohn betrugen die ent-
sprechenden Knappschaftsgelder 12, 18 und 24 Ngr., lediglich ein Gnadengeld. Regulativ
für die Knappschaftskasse für die Bergreviere Freiberg vom 9. 1. 1856, abgedruckt im
Jahrbuch für den Berg-und Hüttenmann auf 1856, S. 2i2ff. (Nach freundlicher Mitteilung
von Herrn A. Börner, Freiberg.)
3) Als zusammenfassende Quellenangabe sei verwiesen auf: Johann Ernst FabR*-
Neues geographisches Magazin. Halle 1786, S. 223; D. J. Merkel: Erdbeschreibungen
von Kursachsen. Leipzig 1804. Bd. I, S. 198; Chr. G. Wild: Interessante Wanderungen
durch das Sächsische Obererzgebirge. Freiberg 1809, S. 22ff., S. 144F
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
409
^ufch einen Mechanismus, die einzelnen Arbeitsvorgänge in typischen Abläufen
v°tZuführen. Den sog. „Nürnberger Kapseln“ und Oberammergauer Klapp-
Bärchen4) ähnlich, fertigt er große hölzerne Steiger an, in deren Bauch man Berg-
^erksmaschinen, ja bisweilen „ein ganzes wohllöbliches Bergamt mit den Köpfen
nickend, Session halten sieht“. In Guckkästen stellt er mit ziemlicher Fertigkeit
»das Ein- und Ausfahren der Bergleute, das Arbeiten der Häuer, das Karrenlaufen
Br Bergjungen, Bergaufzüge“ u. dgl. anschaulich und beweglich dar. Diese
»mechanischen Spielwerke“ verkaufte er häufig, damit er Feiertagsgeld habe,
Brch sog. Landreisende, die die Rolle von Verlegern übernahmen und die Bastel-
art>eiten besonders in Gegenden vertrieben, „wo es keinen Bergbau gibt“. Noch
Bzt entstehen vor allem im Westerzgebirge ähnliche Schnitz- und Bastelarbeiten,
Be im allgemeinen heute zwar nicht mehr wirtschaftlicher Nötigung ihre Ent-
stehung verdanken, aber doch nicht völlig frei von gewerblicher Bindung sind.
W gleicher Weise wird sich auch unser verunglückter Bergmann Ernst Ferdinand
Verlach zunächst seinen Lebensunterhalt verschafft haben, bis er sich schließlich
em eigenes Bergwerk in einen rund 60 cm hohen, 45 cm breiten und 27 cm tiefen
Lasten eingebaut hatte. Mit ihm auf dem Rücken, wanderte er gleich anderen
^erginvaliden los, wenn der Sommer einzog, und war in Schulen, auf Messen und
Märkten anzutreffen. Seit 1890 war erregeimäßiger Gast auf dem Dresdner Jahr-
markt, und noch 1918 konnte man ihn hier an der Ringstraße finden, wo er auf
dichtem Holzgestell sein Bergwerk abgebuckelt und die Türen seines kleinen
Wunderwerkes geöffnet hatte und vorübergehenden Kindern und Erwachsenen mit
kindlich-naivem Gemüt die ganze innere Herrlichkeit zeigte. Schon hat er, auf
unserem Bilde nahezu 70 Jahre alt, die Rechte an der seitlich angebrachten Kurbel.
W dem Augenblick, in dem er diese langsam und stetig dreht, hämmern die Häuer
v°r Ort aufs feste Gestein, bewegen sich die Haspler entsprechend den Umdrehungen
Br Haspelhörner, fahren die Förderjungen mit ihren Hunden hin und her, steigen
■^ergleute auf Fahrten ein und aus, klopfen die Scheidejungen mit ihren Scheide-
hämmern auf erzhaltige Gesteinsbrocken, klappern im gleichen Rhythmus die fünf
■^°chstempel des Pochwerkes, von den Nasen einer Pochwelle abwechselnd an-
§ehoben, ihr lustiges Klapp-klapp-klapp-klapp-klapp und bewegen ernsthaft drein-
Schauende steife Steigermännlein befehlend und anweisend ihre Rechte. In regel-
mäßigen Zeitabständen erklingt im Treibehaus als Kontrollzeichen ordnungs-
gemäß funktionierender Kunstgezeuge das Kunstglöckel.
,4) Die „Nürnberger Kapseln“ sind „kleine Holzfigürchen aus dem 18. Jh., farbig gefaßt,
ClI1en Mönch oder eine Nonne darstellend. Sie lassen sich öffnen: Der Kopf ist abnehmbar,
nd der Rumpf läßt sich aufklappen, wobei dann wieder ein winziges Altärchen mit davor
etender Person zum Vorschein kommt“. Hergestellt wurden diese Merkwürdigkeiten
fttnutlich in Oberammergau oder Berchtesgaden, in Nürnberg wurden sie nur verlegt. Vgl.
k'erzu J. jyy Ritz: Schreinfiguren. In: Volkskundliche Gaben, John Meier zum 70. Ge-
^'tstag dargebracht. Berlin u. Leipzig 1934, S. 167. Auch die aufklappbaren sog. „Bef-
asse“ — wirkliche Walnüsse oder etwas größere Nachbildungen aus Elfenbein — mit
Wenden Bergleuten und bergmännischen Arbeitsdarstellungen gehören in diesen Zu-
Saftimenhang.
410
Herbert Clauss
„Und wenn man’s Glöckel nimmer hört,
dann ist ein groß Malheur passiert5).“
Auf vier Etagen verteilt, führt der Bergmann Gerlach die grundlegenden, ein'
fachen bergmännischen Arbeitsvorgänge vor, die ihm vertraut sind, und als B^'
Sonderheit, als Zeuge technischen Fortschrittes im bergmännischen Maschinen'
wesen, hat er eine Stangenkunst, d. h. ein Pumpwerk eingebaut: Szenen sein#
einstigen Arbeitswelt, der er trotz oder vielleicht gerade infolge seines Unglücks
noch immer innerlich verbunden ist.
Unser Freiberger Bergmann ist keine Einzelerscheinung. In zweifacher Hinsicht
führt er lediglich alte Traditionen fort. Mit seinem ambulanten Gewerbe ist er einet
der letzten; als Hersteller mechanischer bergmännischer Schnitz- und Bastelarbeiten
jedoch steht er mitten in einer langen Reihe, die nach rückwärts bis ins 18. Jahf'
hundert zurückverfolgt werden kann und bis in unsere heutige Zeit hineinreicht'
Bereits im Jahre 1824 zeigte der pensionierte Steiger Johann Gottlob Köhler aus
Freiberg zum Martini-Jahrmarkt in den „Freiberger Gemeinnützigen Nach'
richten“ unter der Überschrift „Kunstsachen für Kenner und Liebhaber“ seil1
„mit vielem Fleiß, großer Genauigkeit und Kosten verfertigtes“ Bergwerksmodell
der Fundgrube „Beschert Glück“ an. Es „enthält die verschiedenen Abbaumöglich'
keiten, führt die Grubenmauerung vor, die vorzüglich dazu dient, um Brüche und
Einstürze zu verhüten und verschafft dem Beschauer eine richtige Idee auch von
den Kunstgezeugen, welche die Grubenwasser aus den Tiefen durch Pumpwerk
herausheben“. Ein Jahr darauf preist er sein mechanisch bewegtes Bergwerk, „einzig
in seiner Art“, im Zwickauer Wochenblatt vom 1. Juni 1825 an.
Ebenso wie Berginvaliden sind „Landreisende“ bisweilen auch ohne bergmän'
nische Berufsbindung mit solch einem „Freiberger Bergwerk“, wie im 19. Jah*'
hundert diese Guckkästen selbst amtlich bezeichnet wurden, landauf — landab ge'
wandert. Wie uns ein erhaltener Gewerbeschein aus dem Jahre 1842 zeigt6), erlaubte
z. B. „die Abteilung für die Verwaltung der direkten Steuern, Domainen und Forstei1
der Kgl.-Preußischen Regierung“ dem damals 62jährigen Johann Gottfried Gold'
hahn aus Hammerbrücke in Sachsen, im Regierungsbezirk Merseburg mit Einschluß
des Grenzzollbezirkes „gegen den Steuersatz von 12 Talern ein kleines Freibergef
Bergwerk vorzuzeigen und sich des Gottlob Friedrich Troeger als Träger des
Bergwerks zu bedienen“. Wie jeder Gewerbetreibende jener Zeit war auch Goldhah*1
den geltenden Gewerbebestimmungen unterworfen. Als Auszug waren diese 111
5) A. Straube-Grünhain : Das wandernde Bergwerk. In: Verklungenes undBesungd1^
aus der Zeit des Erzbergbaues unserer Heimat. Aue-Schwarzenberg, o. J., S. 17.
6) „Gewerbeschein N0. 2249 gültig für das Jahr 1842 und nicht länger“, ausgestellt
Johann Friedrich Goldhahn in Merseburg am 4. März 1842. Das Original befindet sich i°‘
Besitz der Nachfahren Goldhahns in Hammerbrücke i. Sa., eine Fotokopie besitzt das
Bildarchiv des Instituts für Volkskunde, Forschungsstelle Dresden. Das zugehörige noc
erhaltene „Freiberger Bergwerk“ hat die Familie Goldhahn dem Heimatmuseum Falke*1'
stein i. Vogtl. als Leihgabe zur Verfügung gestellt, wo es zur Zeit zu besichtigen ist.
Der auch häufig verwendete Ausdruck „Buckelbergwerk“ erklärt sich derart, daß der Berg
mann sein Werk auf dem Rücken (mundartl. Buckel) von Ort zu Ort trug. Es wird dahcl
bisweilen auch als „Bergwerkshuck“ bezeichnet.
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
411
acht Punkten auf Seite 3 des Gewerbescheines mit scharfen Strafandrohungen für
den Übertretungsfall angeführt. An jedem Orte, wo er sein „Gewerbe“ ausüben
Sollte, mußte er sich zuvor bei der Ortsobrigkeit melden. Der Schein war „für das
Jahr 1842 und nicht länger“ gültig, mußte also jährlich erneuert werden. Wie die
Gültigkeitsvermerke auf der zweiten Seite des Gewerbescheins erkennen lassen,
^ar Goldhahn noch im März des gleichen Jahres bis nach Frankfurt a. d. Oder
§ekommen und hatte für den dortigen Regierungsbezirk gleichfalls die Erlaubnis
erlangt, sein Bergwerk zu zeigen. Wenige Monate später, im August 1842, durch-
streifte er das „Department“ Coeslin, wie eine entsprechende Eintragung vom
8- August 1842 bezeugt. Er erhöhte dabei seine Einnahmen noch um ein geringes
durch den Verkauf von Olitäten, denn sein eigentlicher Beruf war ja nach einem
draueintrag vom 3. Juni 1804 in den Sosaer Kirchenbüchern „Arzeneyhändler“7)-
Erlebnisberichte, wie die anschauliche Schilderung A. STRAUBES von dem Berg-
l!avaliden Reinhard und seiner „Bergwerkshuck“8), die von TAUTENHAHN9) zu-
sammengestellten Erklärungen der Bergkastenmänner in gebundener und un-
gebundener Sprache und die verhältnismäßig zahlreich erhaltenen Buckelbergwerke
ln sächsischen Volkskunst- und Heimatmuseen, von deren Herstellern und Be-
ssern nur in seltenen Fällen Aufzeichnungen vorliegen10), zeugen allesamt dafür,
daß diese aus wirtschaftlichem Zwang heraus entstandene Schaustellung im Erz-
gebirge weit verbreitet war. Die letzten dieser erzgebirgischen Fahrenden — selbst
7) Wortlaut des Traueintrags vom 3. Juni 1804 im Trauregister Sosa, Jahrgang 1804,
E io8f., Nr. 8: „Joh. Friedrich Goldhahn, Arzneyhändler allhier, Johann Friedrich Gold-
üahns Kutzschers bey dem H. Kaufherrn Mendel Oppenheimer in Berlin, außer der Ehe
Cfzeugter Sohn.“ G. wurde in SosaamangegebenenTermin mit Eva Christine Unger getraut.
Ger Eintrag über das Ableben des Joh. Friedr. Goldhahn im Falkensteiner Kirchenbuch
*854/100 läßt jedoch erkennen, daß sich G. später neben seiner Handelstätigkeit auch als
Bergmann betätigt hat: „Johann Friedrich Goldhahn, gest. am 20. 4. 1854 in Hammer-
drücke, Bergmann und Handelsmann . . .“ (Nach freundlicher Mitteilung des ev.-luth.
Pfarramtes Sosa i. Erzgeb. und Dr. Fr. Barthels, Falkenstein.)
8) Siehe Anm. 5.
9) Fr. Tautenhahn: Das Schnitzen im Erzgebirge. Schwarzenberg 1937, S. 53 — 56.
10) Buckelbergwerke befinden sich heute noch in zahlreichen Heimatmuseen des Erz-
gebirges u. a. in Freiberg, Brand-Erbisdorf, Annaberg, Aue, Schneeberg, Falkenstein und
]ril Staatl. Volkskunstmuseum Dresden. Wie ein Katalogeintrag des letztgenannten Museums
^nter Nr. 6691 und 6692 bezeugt, wurde am 7. Okt. 1907 dem seinerzeitigen Oskar-Seyffert-
' luseum ein solches Bergwerk in 3 Abteilungen mit Gestell geschenkt, das in Freiberg
^nem Berginvaliden Gäbler abgekauft wTorden war. Mit ihm war dieser bis zum Termin
des Verkaufs von Jahrmarkt zu Jahrmarkt gezogen. Kaufpreis und Transportunkosten
^trugen 60,— DM. 1917 und noch 1957 wurde der Bestand dieses Museums um je ein
Weiteres derartiges Exponat bereichert. Ein mechanisches Bergwerk von größerem Ausmaß
^üf 18 m2 Fläche schuf 1898 —1905 der Schneeberger Böttchermeister Leonhardt. Es ist
*c'ute Besitz des dortigen Heimatmuseums. Bergmännische Arbeitsvorgänge in Gedulds-
üaschen, sog. Eingerichte, sind weitverbreitete Museumsstücke. Auch auf Heimat- und
^eihnachtsbergen bilden bergmännische Arbeitsvorgänge häufig die Keimzelle. Vgl. hierzu
V Spamer: Deutsche Volkskunst. Band Sachsen. 2. neubearbeitete Aufl. Weimar o. J.
^*956), S. 88ff. Typisch für alle derartigen Darstellungen bergmännischer Arbeitsvorgänge
Slnd die Buckelbergwerke, an denen die Gcstaltungsprinzipien aufgezeigt werden sollen.
412
Herbert Clauss
schon wie der Berg kastenmann auf dem Keilberg bei Gottesgab im Jahre 19151X)
nicht mehr Bergleute — sind die Mitglieder der Familie Meier aus Zöblitz: Der
Vater Richard Meier, der in einer Papierfabrik verunglückt war, hatte sich ähnlich
wie vor ihm zahlreiche Berginvaliden ein Bergwerksmodell angefertigt, freilich
nicht mehr in dem bescheidenen Umfange wie seine bergmännischen Vorläufer. In
einen Möbelwagen, den er durch Eisenbahn oder Kraftwagen befördern ließ, hatte
er es hineingebaut. Bis zum Jahre 1952 führte er sein Bergwerk gegen Entgelt in
seiner Heimat und darüber hinaus auf nord- und süddeutschen Messen und Märkten
mit Ernst und geradezu feierlicher Rede vor. Seine beiden Söhne haben das Erbe
ihres Vaters übernommen. Mit ihnen wird diese Art „ambulanten Volkskunst-
gewerbes“ aussterben, eine Volkskunst, die sich in Schulen, an Ausflugsorten und
auf Volksfesten anfangs sehr bescheiden, in ihrer Endphase jedoch anspruchsvolle^
kindlich-naiven Gemütern empfahl. Neben den in marktschreierischer Weise an-
gepriesenen „optischen Panoramen“, neben einem „mechanischen Flöten-, Trom-
peten- und Janitscharenwerk“ aus dem Jahre 1820, neben einem mechanischen
Kunstwerk aus dem Jahre 1835, „die Leidensgeschichte Jesu vorstellend, mit be-
weglichen Figuren und mit Choralmusik begleitet“* 12), oder neben den Moral-
geschichten der Bänkelsänger hatten sich derartige volkskünstlerische Darstellungen
bergmännischer Arbeitsvorgänge das gesamte 19. Jahrhundert hindurch und in
Resten bis auf den heutigen Tag behaupten können.
Gestaltungsprinzipien
Ihr Vorbild haben diese volkskünstlerischen Darstellungen bergmännischer
Arbeitsvorgänge in der Wirklichkeit, etwa in der „Beschert Glück-Fundgrube“
hinter den drei Kreuzen bei Freiberg oder im früheren „Turmhofschacht“ in der
gleichen Stadt. Nachhaltiger und unmittelbarer jedoch haben sich die maßstab-
gerechten Bergwerksmodelle ausgewirkt, die als Anschauungs- und Lehrmittel
häufig an Stelle technischer Zeichnungen in deutschen und außerdeutschen Bergbau-
gebieten hergestellt wurden. Sie bildeten bereits im 17. Jahrhundert für den be-
rühmten schwedischen Mechanikus Christoph Polhammer das eigentliche HilfS'
mittel für seine Konstruktionen maschineller Anlagen in schwedischen Bergwerks-
betrieben, und eine Sammlung von ursprünglich 80 mechanischen Modellen wurde
in dem Stora Kopparbergs Museum in Falun noch im Jahre 1913 als „Polhems
mechanisches Alphabet“ aufbewahrt13). Für Sachsen bezeugt G. H. HOLLENBERG
in seiner Reisebeschreibung aus dem Jahre 178214) derartige Lehrmodelle von
Probieröfen, Pochwerken, Waschherden und Feldgestängen, die er in der Dresdnet
n) Johannes Hager: Erzgebirgische Bergkastenmänner. Der Bergkastenmann Andreas
Hahn vom Keilberg bei Oberwiesenthal im Erzgebirge. In: Für unsere Heimat. Zs. des
Erzgebirgsver. Dresden 2 (1919), Nr. 10.
12) Vgl. Freiberger Gemeinnützige Nachrichten 1820, 1824, 1829, 1835.
13) C. Vogel: Christian Polhem und seine Beziehungen zum Harzer Bergbau. In: Bei-
träge zur Gesch. der Technik u. Industrie. 5. Bd. Berlin 1913, S. 308, 315, 317.
14) G. H. Hollenberg: Bemerkungen über verschiedene Gegenstände auf einer Reisc
durch einige deutsche Provinzen in Briefen. Stendal 1782, S. 185, 213f.
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
413
Kunstkammer und in der Freiberger Bergakademie gesehen hat. Noch heute
bedient man sich an Bergbauschulen gern dieser Hilfsmittel, wie die zahlreichen
Lehrmodelle im Freiberger Bergbaumuseum zeigen. Als Sonderfall dürfte die
»modellartige Copie“ der Grube Palmbaum im Bergamt Marienberg im Erz-
gebirge zu werten sein, die der dortige Bergmeister von Trebra im 18. Jahrhundert
Kr die hohe Summe von 2000 Gulden im Maßstab 1:20 etwa, „den Zoll zur Elle
genommen“, von dem Marienberger Kunstmeister Mende anfertigen ließ und zu
Werbezwecken den holländischen Gewerken zuschickte. Als „wahrer Abdruck des
Großen ins Kleine, aufs genaueste und musterhaft gearbeitet“, wird dieses Werk
gerühmt15).
Angesichts derartiger Modelle erhebt sich die Frage nach dem Eigenwert, der
den volkskünstlerischen Darstellungen bergmännischer Arbeitsvorgänge zukommt,
bind sie lediglich ungenaue, qualitativ geringwertige Kopien jener maßstab-
gerechten Lehrmodelle oder hat man in ihnen ganz andersartige Neuschöpfungen
2:11 sehen? Besteht das Urteil des Breitenbrunner Pfarrers Ch. G. Wild aus dem
Jahre 1807 zu recht, der die kleinen Modelle eines Johanngeorgenstädter Schnitzers
Und Bastlers Unger mit folgenden Worten beurteilt: „Er (Unger) besitzt eine
Peinliche Fertigkeit im Schnitzeln, obgleich seine Figuren keinen feinen Geschmack
Erraten16).“
Eine Analyse der kleinen, anspruchslosen Schöpfungen wird uns ein objektives
Werturteil ermöglichen. Verwirrend erscheint auf den ersten Blick die Vielfalt
der Einzelmotive, die der Bergmann, dem Diktat der Wirklichkeit folgend, in
Sein kleines Schnitzwerk hereingenommen hat. Und doch tritt bei näherem Hin-
sehen und bei einem Vergleich der heute noch erhaltenen Buckelbergwerke und
Guckkästen an die Stelle der scheinbaren Wirrnis eine wohlerwogene Auswahl.
Eigener Veranlagung und innerstem Wesen entspricht es, wenn der schlichte Berg-
mann sich im wesentlichen auf die Wiedergabe einfacher Arbeitsvorgänge be-
schränkt, die für die Gewinnung, Förderung und Aufbereitung des Erzes zu hütten-
fertigen Konzentraten unbedingt notwendig sind. Besonderheiten bergmännischer
Arbeit wie das Fäusteln mit dem Schlenkerhammer oder „über den Arm“ finden
Slch in keinem dieser Bergwerksmodelle. Hüttenmännische Arbeitsvorgänge bezieht
er höchst selten, so etwa in dem Auer Buckelbergwerk, in seinen Darstellungsbereich
ein. Dagegen gibt er gern eindrucksvolle Erlebnisse wieder, auch wenn sie, wie
ctWa die Züchtigung eines Scheidejungen mit dem Vogelbolzen17), bis in seine
15) F. W. H. v. Trebra: Bergmeister — Leben und Wirken in Marienberg. Freiberg
S. 222 f.
1G) Ch. G. Wild: Interessante Wanderungen durch das sächsische Obererzgebirge. 1807,
z2f.
17) Ein Vogelbolzen ist eine Knute, ein mit Lederriemen versehener Stock zum Zu-
Schlagen. Mit dem Vogelbolzen bestrafte der Jungensteiger die Jungen, wenn sie ihre Arbeit
Vernachlässigten. In seinem Medizinischen Bericht von der Bergsucht und Hüttenkatze,
reiberg 1728, S. 15 ff. berichtet der bedeutende Freiberger Arzt und Chemiker Joh. Fried-
1<5ch Henckel von der gesundheitsschädlichen Arbeit der 8- bis 9jährigen Scheidejungen,
V°n denen 10—50 in einem kleinen, stauberfüllten Raume beisammen sitzen „und aus Leibes-
räften auf Erz, Horn und Knaur loskeilen, wenn sie ihre Schicht machen und vom Vogel-
414
Herbert Clauss
Jugendzeit zurückgehen. Wie er hierbei zu sozialkritischen Äußerungen gelangt
so zeigt er andererseits geistige Regsamkeit und einen für technische Neuerungen
aufgeschlossenen Sinn, wenn er häufig mit viel Geschick eine der lebenswichtigen
und kunstvollen Wasserhebemaschinen in sein kleines Werk mit einbaut.
Die Motivik läßt uns somit folgende Wesensmerkmale dieser volkskünstlerischen
Darstellungen erkennen: Ausgangspunkt und tragenden Grund bildet die Wirklich-
keit bergmännischer Arbeitswelt. Sie wird in ihren typischen Abläufen eingefangen
und gelegentlich durch besonders eindrucksvolle Erlebnisse aufgelockert. Ihre
vorwärtsdrängenden Kräfte finden in der Wiedergabe technischer Neuerungen im
bergmännischen Maschinenwesen ihren Niederschlag.
Gestaltung setzt Komposition voraus. In vier übereinander liegenden Etagen
hat der Freiberger Bergmann Gerlach sein Bergwerk aufgebaut, drei davon gehören
folgerichtig und der bergmännischen Wirklichkeit entsprechend der Arbeitswelt
unterTage, eine der überTage an(TafelXXI). Mit dieser klaren Einteilung in einzelne
Bildstreifen ordnet er auf einfachste Weise sein Material, d. h. seine bergmännische
Arbeitswelt, und ermöglicht dem Betrachter, eine Vorstellung an die andere zu
reihen und so bequem und leicht den dargebotenen Inhalt zu erfassen. Diese Kompo-
sition entspricht dem Vorstellungsablauf einfacher Menschen. Eine weitere Gliede-
rung in noch kleinere quadratische und rechteckige Betrachtungsfelder wird im
Gerlachschen Bergwerk durch die Fahrten, Rohre des Pumpwerkes und die vier
Balken des Förderschachtes angedeutet und hat sich in dem Brand-Erbisdorfer
Bergwerk vom Segen-Gottes-Schacht (Tafel XXI) durch senkrecht eingezogene
Zwischenwände voll und ganz durchgesetzt. Neun kleine Einzelkabinette werden
so geschaffen, ohne daß die Einheit des Ganzen zersprengt worden wäre. Dabei be-
herrscht die Waagerechte noch immer die Gesamtkomposition und stellt die Über-
tage- der Untertagewelt gegenüber. Die Gefahr einer gewissen Einförmigkeit hat
der unbekannte Bergmann eines zweiten Brand-Erbisdorfer Bergwerkes gebannt
(Tafel XXII), indem er Fahr- und Förderschacht zur beherrschenden senkrechten
Achse machte und mit Hilfe von fünf Waagerechten in völliger Symmetrie je sechs
quadratische Betrachtungsfelder mit innerlich aufeinander bezogenen Bildinhalten
beiderseits der Senkrechten schuf. Das Ergebnis dieser Komposition ist nicht öder
Schematismus; der Bergebauer hat vielmehr ein Bild innerer Festigkeit, wohl'
gefügter Ordnung und wünschenswerter Sicherheit geschaffen, wobei das stabile
Gleichgewicht noch durch den Rahmen des Gehäuses erhöht wird, dessen beide
bolzen ungekeilt bleiben wollen“. 1708 mußte ein Freiberger Bergmann 20 Gr. Strafgelder
bezahlen „in peto ungebührlicher Castigation (Züchtigung) der Scheidenjungen“ (Ober-
bergamts-Archiv Freiberg, BA Freiberg CI. A. Sect. 3, Nr. 66 „Die Berechnung der Straf-
gelder betr.“ 1708). In Schaukästen mit bergmännischen Darstellungen im Bergbaumuseum
Freiberg, im Heimatmuseum Annaberg und im Staatl. Museum zu Dresden wird diese
brutale Züchtigung wiedergegeben. Der bergmännische Schnitzer Kaltofen hat dieser
gesellschaftskritischen Aussage ebenfalls großes Interesse entgegengebracht, wie einzelne
heute noch erhaltene Skizzen und eine Reliefschnitzerei aus dem Jahre 1916 im Heimat-
museum Schneeberg mit der Züchtigung übermütiger Bergjungen durch den Jungensteigef
zeigen. Über den Bergmann und Schnitzer Kaltofen vgl. Aug. Fr. Wappler: Vom berg-
männischen Bildschnitzer Ernst Kaltofen in Dresden. Freiberg 1907.
aagerechte und Senkrechte zur Innengliederung völlig parallel einherlaufen. Ein
s°lch festes Gefüge, das innerer Spannung keineswegs entbehrt, kommt dem Streben
des Bergmanns nach einer geordneten und gesicherten Arbeitswelt und nach einem
kräftesparenden Arbeitsrhythmus ebenso entgegen, wie es dem Denkvermögen
kindlich-naiver Betrachter entspricht, die die einzelnen Bildinhalte am erfolgreichsten
Nacheinander aufnehmen.
Wohl hat die bergmännische Arbeitswelt mit ihren Schächten und Stollen zu
s°lcher Tektonik angeregt, so daß man geneigt sein könnte, ihr das wesentliche
^erdienst wohlgelungener Komposition zuzuerkennen. Dem stehen als positive
Pistung des volkstümlichen Gestalters wesentliche Denk- und Schaffensprozesse
§egenüber. Trotz mannigfacher Unregelmäßigkeiten, die mit tonnlägigen und
Erzogenen Schächten, mit ansteigenden Stollen, mit mehr oder weniger großen
besprengen gegeben waren18), hat er das architektonisch notwendige feste Gefüge
eiUes jeden Berggebäudes mit sicherem Blick erfaßt und zum kompositioneilen
Grundgesetz für seine Gestaltung erhoben. Mehr oder weniger zufällige Unregel-
mäßigkeiten bergmännischer Arbeitswelt, die in maßstabgerechten Kopien von
^hachtgebäuden selbstverständlich enthalten sein müssen, hat er als unwesentlich,
ah für das Ganze nicht charakteristisch, unberücksichtigt gelassen. So hat er, ohne
hie bergmännische Wirklichkeit zu verleugnen oder gar zu verfälschen, die berg-
männische Arbeitswelt auf die typische Form gebracht, die volksmäßigem Denken
Nrid Fühlen entspricht: durch schlichte Koordination, durch Symmetrie und Paralle-
,lt;ät hat er seiner volkskünstlerischen Darstellung bergmännischer Arbeitsvorgänge
lflnere Ruhe und Festigkeit verliehen.
Wie die Gesamtkomposition, steht bei solchen Werken schlichten Volkskunst-
Raffens auch die Gestaltung der bergmännischen Szenerie, der Feldorte (Arbeits-
steUen), Stollen und Strecken mit der jeweiligen Bewußtseinsstufe des Gestalters
m völligem Einklang. Aus kleinen Kieselsteinen, Quarzstückchen und blitzenden
ßßimerschiefern baut er den Hintergrund für seine bergmännischen Arbeits-
V°rgänge auf, oder er geht einen Schritt weiter und mischt Papierstoff mit Stärke
^er Leim und preßt daraus die verschiedenen Formen, die er obendrein mit Eisen-
^ßspänen und flimmerndem Katzensilber belegt. Wie sind nun die unmittelbare
eAvendung der Naturstoffe und die damit zusammenhängende mangelnde stoff-
Ne Umsetzung zu bewerten? Sie beruhen weniger auf technischem Unvermögen,
^°Ndern entsprechen vielmehr der Vorstellungswelt des Gestaltenden, der mit
°Lhem Gestaltungsmittel der Wirklichkeit am besten gerecht zu werden
) ®) Tonnenlägiger Schacht = geneigter Schacht überhaupt; im engeren Sinne Schacht
§ einer Neigung von 15—75 Grad (Veith: Deutsches Bergwörterbuch. Breslau 1871,
•4°°).
■Ve p Verzogener Schacht = Schacht, der den Faltungen des Gebirges entsprechend S-förmig
äuft. Das Modell des verzogenen Schachtes „Auf König David“ zu Annaberg mit einem
taufstehenden Wassergöpel befindet sich im Bergbaumuseum Freiberg.
st . ^tollen = ein bergmännischer Bau, der von der Erdoberfläche aus mit geringem An-
lö ^en *n ßas Innere des Gebirges führt und als Förderweg und zur Wetter- und Wasser-
dient (Veith, a.a. O., S. 465).
1 Gesprenge — Absatz oder Stufe in der Stollensohle (Veith, a.a. O., S. 232.)
416
Herbert Clauss
glaubt, eine Erscheinung, die sich bei ähnlich geartetem Volkskunstschaffen auch
andernorts findet, etwa bei alten, gedrechselten Bergmannsleuchtern aus dem OsterZ'
gebirge mit Bergledern aus Glanzpapier, bei Lichterengeln mit angeklebten Papier'
flügeln und bei Spielhühnchen mit eingesteckten natürlichen Schwanzfedern. Di6S6S
Sichbescheiden verleiht solch archaisch anmutenden Formen den Ausdruck inner61
Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit und spricht anerkennend für derartige Schöpfung611
ursprünglichen Volkskunstschaffens.
Ebenso sind die kleinen, zwei bis fünf Zentimeter hohen Figürchen, die <Be
einzelnen bergmännischen Arbeitsvorgänge ausführen, nur den diesem volkS'
künstlerischen Schaffen eigenen Stilgesetzen unterworfen und können auch allen1
mit dem Wertmaßstab gemessen werden, der in diesem Bereich gültig ist. Vie
Arbeitsgeräte wie Schlägel und Eisen, Erztrog und Förderkübel, Schubkarren und
Fördertruhe werden maßstabgerecht meist aus Holz, bisweilen auch aus Eis611
angefertigt; die Figürchen: Häuer, Förderleute, Bergjungen und Haspelknechte
werden aus einzelnen Teilen geschnitzt — Korpus, Arme, in besonderen Stellungeil
auch die Beine für sich — anschließend zusammengeleimt und mit dem zugehörig611
Gezäh in die Szenerie am passenden Orte eingebaut.
Die technische Primitivität dieser Schnitzereien, die im Einklang mit einer g6'
wissen Naivität des Schnitzers steht, seelische Grundhaltung und ihre entsprechen^
Ausdrucksform, bedingen knappeste Gestaltung, Verzicht auf individuelle AuS'
formung und Einschränkung eines vielfältigen Erscheinungsbildes und eines reich'
haltigen Gebärdenspiels auf jeweils typische Haltung und charakteristische B6'
wegungsabläufe.
Die Kargheit des Formenaufwandes und die erzielte Typisierung verleihen solch611
Arbeiten Ernst und Sachlichkeit, heben aber die offensichtliche Diskrepä-112
zwischen Gegebenem und Gemeintem — etwa bei einem unbeholfenen Steig61'
figürchen, das in steter Wiederholung seine Rechte hebt — nicht auf. Nur der B6'
trachter, der sich dem Gestalter wesensverwandt fühlt und sich ein unmittelbar6^
Verhältnis zu solchen Schöpfungen erhalten oder erneut erworben hat, der üb61
starke Kräfte des Hineinsehens verfügt und gleichsam den gesamten Schaffensproz6^
miterlebend wiederholt, wird die aufgezeigte Kluft überbrücken können19). „Deil
zuschauenden Kindern war es ein Erlebnis, was sie hier sehen durften“, heißt es111
einem Erinnerungsbericht über die Vorführung eines solchen Schaubergwetks
durch den alten Berginvaliden Reinhard in Grünhain im Erzgebirge. „Ihre rege
Einbildungskraft ergänzte alles, was trotz menschlicher Kraft nur unvollkomm611
dargestellt werden konnte19a).“
Wenn der Breitenbrunner Pfarrer Chr. G. Wild in seinen Interessanten Wand6'
rungen durch das sächsische Obererzgebirge im Jahre 1807 ausdrücklich auf „allerhf
Modelle des Bergbaus“ hinweist, „welche ein einfacher Mechanismus lebende
macht“19 20), dann hat er mit vollem Recht in der Mechanisierung ein wesentlich65
19) Vgl. Friedrich Sieber: Volkskunst in Sachsen. In: Bildende Kunst, Jahrschrift f°
Malerei, Plastik, Grafik, Kunsthandwerk u. Volkskunst 1957, Heft 4, S. 260—2
19a) A. Straube, a.a.O., S. 16.
20) Ch. G. Wild, a.a.O., S. 22f.
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
417
Gestaltungsmittel dieser volkskünstlerischen Darstellungen erkannt, mit dessen
man größte Lebensnähe zu erreichen glaubte. Mechanisierung, die bereits
charakterisierte Tektonisierung und Typisierung sind drei wesentliche Gestaltungs-
kräfte bei der Darstellung bergmännischer Arbeitsvorgänge im erzgebirgischen
Volkskunstschaffen. Mit einem hölzernen oder eisernen Drehling an der Seite oder
der Rückwand seines Guckkastens läßt der Bergkastenmann sein Buckelbergwerk
Vendig werden. Ein einfacher Transmissionsmechanismus, der aus einer waage-
echten Welle mit kleineren oder größeren Holzscheiben und Zahnrädern besteht,
überträgt die Bewegung durch Gurte, Riemen, Schnüre, Spiralfedern oder Winkel-
Betriebe auf Laufbänder, Rollen und Holzteller und erzeugt damit die sich immer
wiederholenden Bewegungsabläufe (Tafel XX, b). Ein solcher Mechanismus
eit einfachem Antrieb, mit klar zu überschauender Transmission und mit be-
wegtem Hauptteil entspricht in seinen Elementen den Förder- und Wasserhebe-
easchinen, die der Bergmann bewundernd als Kunstgezeuge bezeichnete und in ein-
facher Form im Kleinen nachschuf. Dabei handelt es sich keinesfalls nur um eine
Verkleinerte Kopie einer Bergbaumaschine, um eine technische Leistung, die bereits
Verkennung verdiente. Der Bastler muß darüber hinaus vielmehr die vorgezeich-
fetenVerhältnisse vereinfachen, die maschinellen Vorgänge seinem kleinen Werke
anpassen und die einzelnen Bestandteile gleichsam einschmelzen, um schließlich einen
Vollständig neuen Mechanismus erstehen zu lassen: eine schöpferische Leistung
itn Bereiche der Technik, ein Denkmal echter Volkstechnik. Bis auf den heutigen
Vag haben sich diese Mechanismen als wirksames Gestaltungsmittel in den Heimat-
und Weihnachtsbergen des Erzgebirges erhalten. Dem spekulativen Sinn erzgebirgi-
Scher Tüftler ist es zuzuschreiben, wenn die ursprüngliche schlichte Mechanik
bisweilen zu einem höchst diffizilen, nur noch vom Erbauer zu überschauenden
Wunderwerk fortentwickelt wurde, wie in dem Brünloser Weihnachtsberg des
Vumpfwirkers F. Nötzel mit einem Haupt- und sechs Nebenwerken, mit io bis
50 kg schweren Gewichtsantrieben, mit Kugelregulatoren und Windflügeln, mit
Vzenterwellen und Exzenterscheiben für zeitlich nacheinander ablaufende Be-
rgungen und mit eigenhändig beschlagenen Stiftwalzen zur Erzeugung einer
Wirkungsvollen Schallkulisse.
V/enn auch die Mechanisierung als bedeutsames Gestaltungsmittel volkskünstle-
Oscher Darstellungen nicht nur im Erzgebirge beheimatet ist, so hat sie doch in
Vser vorindustriellen Landschaft mit dem seit dem 14. Jahrhundert hier einge-
uhrten bergmännischen Maschinenwesen, mit den zahlreichen späteren maschinellen
Sterblichen Kleinbetrieben, mechanischen Webereien und Strumpfwirkereien
^ besonders fruchtbares Betätigungsfeld gefunden. Dieser volkskünstlerische
etisrnus erscheint uns heute als Nachklang mechanischer Künste des 16., 17. und
narnentlich des 18. Jahrhunderts und zugleich als ihre lebenskräftige Wiederholung
uüd Erneuerung in der volkstümlichen Gestaltung21). In ihm erkennen wir letzte
V1) Vgl. H. Clauss: Lebendige Heimat- und Weihnachtsberge des Erzgebirges. Ein
^,achklang mechanischer Künste des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. In: Der Anschnitt,
"ckschrift für Kunst und Kultur im Bergbau 8 (1956), Nr. 6, S. 9 —16.
Volkskunde
418
Herbert Clauss
Ausstrahlungen eines naturwissenschaftlichen, kausal-bestimmten Denkens, für das
„die Mechanik eine Grundlage der ganzen Philosophie ist“22).
So fruchtbar die Analyse eines Werkes auch sein mag, um Stilmerkmale und
Gestaltungskräfte zu erkennen und einen gültigen Wertmaßstab zu gewinnen, ei*1
abschließendes Gesamturteil ermöglicht uns allein eine synthetische Schau. Bel
unseren schlichten volkskünstlerischen Darstellungen bergmännischer ArbeitS'
Vorgänge in Form der Buckelbergwerke und Schaukästen weist schon der Rahme*1
des Guckkastens — und gleiches gilt für die Weihnachts- und Heimatberge des
Erzgebirges — auf die enge Zusammengehörigkeit aller Formungen hin. Wollte
man eine dieser Figuren oder Figurengruppen aus dem Gesamtzusammenhang
lösen, sie ohne bergmännische Szenerie, ohne Nachbargruppe, ohne den tektonische*1
Halt völlig isoliert betrachten, dann verlöre sie plötzlich ihren starken Ausdruck,
einem Glühwürmchen gleich, das man dem dunklen Hintergrund einer warme*1
Johannisnacht entrissen hat und ins grelle elektrische Licht stellt. Ärmlich, nichts'
sagend und bedeutungslos erscheinen nunmehr die primitiven Schnitzeleien. Los-
gelöst aus der „kompositionellen Familiarität“, die W. FRAENGER als Charakteristi-
kum volkskünstlerischen Schaffens erkannt hat23), unterliegt die Schnitzerei völlig
anderen Gesetzen: den Gesetzen plastischen Gestaltens. Der Bastler und Schnitzet,
der diesen entscheidenden Schritt tut, und viele der rund 2000 Schnitzer des Erz-
gebirges haben ihn gewagt, muß sich der vollkommen veränderten Situation bewuß1
sein. Wenigen nur ist es bisher gelungen — und damit wird die kritische Lage dcs
heutigen Erzgebirgsschnitzens schlaglichtartig erhellt —, mit sicherem Formgefühl
und plastischem Empfinden vollwertige Kleinplastiken von bergmännische*1
Arbeitsvorgängen zu schaffen. Solche Einzeldarstellungen, genrehaft in ihre*1
guten und ausdrucksstarken Beispielen, schief und abwegig, sobald der Schnitzet
während seiner Arbeit nach ähnlichen Darstellungen in der „hohen Kunst“ schielß
stehen außerhalb unserer Betrachtung. Zu ihnen befinden sich unsere volkskünstle'
rischen Gesamtdarstellungen bergmännischer Arbeitsvorgänge, bei denen d*c
Einzelformung mit innerer Notwendigkeit in die Gemeinschaft aller Forme*1
einbezogen ist, in einem klaren Gegensatz. Der Schnitzer und Bastler diesef
schlichten Gestaltungen hat ohne künstlerische Absichten sein kleines Bergwerk
zusammengebaut. Gedrängt durch wirtschaftliche Not, ermuntert durch einer*
allgemein menschlichen Nachahmungs- und Spieltrieb, schuf er ein Spiegelbßu
seiner Arbeitswelt in seiner Sprache, seinen Denkvoraussetzungen entsprechend*
Sein Wollen war von rein sachlichen Erwägungen bestimmt. Er beschränkte sid1
auf die ihm gemäßen Gestaltungsmittel. Mit ihrer Hilfe gelang es ihm — ob bewuß1
oder unbewußt, kann bei der Beurteilung des Ergebnisses nicht ausschlaggebend
sein — der Gefahr einer naturalistischen Kopie zu entgehen und ein eigenwertigeS>
kleines Kunstwerk zu schaffen: realistisch in seinem Ausgangspunkt und End'
22) Mit diesem Ausspruch begründete der berühmte schwedische Mechanicus Christ*3*1
Polhem v. Polhammer i. J. 1607 seinen Vorschlag, in Stockholm ein ,,laboratorium №<-
chanicum“ einzurichten (C. Vogel, a.a. O., S. 315).
23) Wilh. Fraenger: Deutsche Vorlagen zu russischen Volksbilderbogen des 18.
hunderts. In: Jahrbuch für historische Volkskunde. II. Bd. Berlin 1926, S. 168.
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
419
ergebnis, typisch als Ganzes und in seinen Einzelformen klar, übersichtlich und in
S1ch gefestigt durch sichere Tektonisierung, lebenswahr und lebendig durch zeit-
bedingte Mechanisierung.
Mit solchen Werken schlichter und naiver Denkweise hat der erzgebirgische
^etgmann Menschen gleicher Wesensart angesprochen, hat ihnen von seinen Mühen
und Nöten berichtet und seiner bergmännischen Arbeitswelt — und das dürfte
^°hl das menschlich größte Verdienst sein — eine Heimat in den Herzen weiter
^olkskreise geschaffen.
Darstellung bergmännischer Arbeitsvorgänge
auf Ausrüstungsstücken des erzgebirgischen Bergmannes
In freier Darstellung, durch kompositionelle Familiarität innerlich und äußerlich
^einander gebunden und aufeinander abgestimmt, hat der erzgebirgische Berg-
^nn mit seinen kleinen Mechanismen seine Arbeitswelt räumlich-plastisch ge-
faltet. In enger Bindung an bergmännische Ausrüstungsgegenstände — gleichsam
a0 Gegenstück und Ergänzung zu den von jeder unmittelbaren Anwendung freien
Bastelarbeiten — finden wir bergmännische Arbeitsvorgänge häufig auch an berg-
männischem Geleucht, auf Barten und Berghäckchen in schlichter,volkstümlichem
Banken entsprechenderWeise rein flächenhaft-graphisch wiedergegeben. Nunmehr
s°Hen diese Darstellungen auf Ausrüstungsgegenständen des Bergmanns, die zu
Seüier Tracht gehören und ihm schon aus diesem Grunde besonders nahe stehen,
auf ihre Aussagekraft über Gestaltungsprinzipien bergmännischer Volkskunst
Solchermaßen wie über Wesensmerkmale ihrer Träger untersucht werden.
Wesen und Funktion von Geleucht, Barte und Berghäckchen
Für den großen bergmännischen Aufzug vom Jahre 1719 im Plauenschen Grunde,
^et nach dem Plane Augusts des Starken die Festlichkeiten bei der Vermählung des
Sachsischen Kurprinzen mit der Kaiserstochter Maria Josepha wirkungsvoll
Schließen sollte, hatte das Oberbergamt Freiberg Grubenlicht und Bergbarte
mv. Berghäckel als unerläßliche Bestandteile bergmännischer Tracht festgelegt
^d damit eine bereits bestehende ältere Tradition fortgeführt24).
Mit dieser Funktion als Trachtenteile und Paradestücke wird zwar nicht das
msprüngliche Wesen von bergmännischem Geleucht, von Bergbarte und Berg-
ackchen gekennzeichnet, wohl aber erklärt die vorgenommene Erhöhung dieser
^Ogenstände ihre reiche Gestaltung und Auszier, die sich beim bergmännischen
eOucht seit dem 16., bei Bergbarte und Berghäckchen seit dem 17. Jahrhundert
Vetfolgen lassen.
öle Grubenlichter, die der Bergmann zu Beginn des 18. Jahrhunderts zur
£ Wellung seiner unterirdischen Arbeitsstätte tatsächlich verwendete, waren aus
Farsamkeitsgründen bisweilen so klein, daß sie sich zu einer Parade nicht eigneten.
aufig gebrauchte der Freiberger Bergarbeiter „ein kurtz Heller-Licht“, das er 2 *
des
2l) Vgl. hierzu Karl-Ewald Fritzsch u. Friedrich Sieber: Bergmännische Trachten
l8- Jahrhunderts im Erzgebirge und im Mansfeldischen. Berlin 1957, S. 25 ff.
420
Herbert Clauss
„entweder zwischen die Finger, vermittels eines Lettens, als eine Dülle“ steckt
oder beim Ein- und Ausfahren auf dem „Schachthüttel oder in der Grubenblende
führte. Steiger und Häuer dagegen besaßen nach dem Bericht des Freiberger Rats-
herrn und Bergverwandten Johann CASPAR ZEISIG aus dem Jahre 1730 meistens
„eine Licht-Lampe, worein sie Unschlitt zum Leuchten tun“. Mit dem zugehörige11
„Leuchtstein, einem breiten Blechlein putzten oder schoben sie den Tochtfort“25)-
Ursprung und Entwicklung dieser „Licht-Lampe“, die nach ihrer Form seit dem
beginnenden 19. Jahrhundert im Erzgebirge als „Froschlampe“ bezeichnet wird,
hat Fr. BRENDEL überzeugend in einer Abhandlung Über das alte bergmännische
Geleucht dargestellt26). Die Froschlampe besteht aus einer meist metallenen Schale?
dem Topf oder der Pfanne, die vorn eine Schnauze für den Docht hat und über d*e
sich ein Bügel mit beweglichem Gehänge wölbt (Tafel XXIII, a). Ein Schildchen
verdeckt fast immer die Nahtstelle von Bügel und Gehänge. Als späte Auswirkung
eines durch die Renaissance angeregten Kunstschaffens werden in Sachsen sek
dem ausgehenden 16. Jahrhundert derartige Froschlampen, wohl zumeist in ihre*
Funktion als Paradestücke, vielfältig verziert. Am äußeren Lampenrand, am Leucht'
stein und Schildchen hat man wiederholt Schlägel und Eisen, zum heraldische11
Zeichen gekreuzt, verschlungene Blattornamente, religiöse und bisweilen auch
bergmännische Arbeitsszenen eingeritzt oder eingeätzt.
Die Bergbarte (Zeichnung 1) „ist fast wie ein Beil, nur daß es dünner und obe*1
mit einer langen Spitze versehen ist“. Daran befindet sich „ein Helm, meist mlt
Pein zierlich ausgelegt; dieses tragen die Bergleute zur Zierath“27), und zwar bel
Bergaufzügen gewöhnlich links geschultert. Besonders prunkvoll ausgestattet,
diente sie beim Bergaufzug im Plauenschen Grunde im Jahre 1719 auch höchsten
Bergbeamten als Befehls Symbol.
Aus zwei Teilen besteht die Bergmannsbarte des 17. und 18. Jahrhunders: am
einem 60—70 cm langen Helm (Stiel) und einem 20 — 25 cm hohen, links-asyö1'
metrischen Blatt. Dieses, meist aus Eisen und nur selten aus Zinn oder Messing
geschmiedet, läuft nach oben in eine Spitze aus, die zum Schutze gegen Verletzung^
häufig von einer aufgesetzten Eichel bekrönt wird. Kleeblatt-, bisweilen auch her2'
und kreuzförmige oder runde Durchbrechungen mit gekreuztem Schlägel un^
Eisen in der Blattmitte und drei bis fünf kreisrunde kleine Bohrungen in zv^e1
Blattecken und gelegentliche Schmiedezeichen finden sich als typische Merkmale
auf dem Bartenblatte. Der Helm (Stiel) mit kreisrundem oder ovalem Qüet'
schnitt ist am unteren Ende, dem Fuße, verdickt. Er besteht bei den Holzbarteü
in seiner gesamten Länge nur aus Holz, ist bei den sogenannten Einlagebarm*1
durch Hirschhorn- oder Knocheneinlagen bereichert worden oder setzt sich ""
25) Minerophilus: Bergwerkslexikon. Chemnitz 1730, Sp. 314 u. 418.
26) Friedmar Brendel: Über das alte bergmännische Geleucht. Eine kulturgeschicb^
lich-volkskundliche Untersuchung. In: Freiberger Forschungshefte Du (Bergbau u°
Bergleute). Berlin 1955, S. 119 — 146.
27) Abraham v. Schönberg: Ausführliche Berginformation. Leipzig 1693. AnhanS'
Bergmännische Redensarten, S. 14.
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
421
bei
den Röhrenbarten — aus einer Anzahl von Hirschhorn- und Knochenröhren
^sammen, die auf einen dünnen Holzkern aufgezogen wurden
Das Berghäckel (Zeichnung z) be-
treibt Abraham von Schönberg in
^et gleichen Berginformation vom Jahre
als „eine Art Berg-Parthen mit
ehiem langen Stiel, dessen man sich statt
eines Stabes bedienen kann“28). Auf einen
größeren Formenreichtum des Berg-
häckels weist der Freiberger MlNERO-
PKILUS hin, wenn er es als „eine Art
v°n Berg-Parthe“ oder als „ein kleines,
spttzig und schmales Beil mit einem
langen Stiel“ bezeichnet, der zierlich mit
aHerhand Bergfiguren von Elfenbein
ausgelegt ist29). Zugeordnet wird das
^etghäckel, das man nach dieser Funktion gern
aUch als Steigerhäckel bezeichnet, dem Auf-
slchtspersonal vom Range des Untersteigers ab
aüfwärts30).
Diesen Beschreibungen von Bergbarte und /p'Ai*
^etghäckchen aus dem 17. und 18. Jahrhundert
eütspricht der reiche Bestand an einfachen und
Verzierten erzgebirgischen Bergbarten und Stei-
§erhäckchen in erzgebirgischen Museen und
riVatbesitz31) aus dem 17. und 18. Jahrhundert, fe’.Vr
einer Zeit barocker Prunkentfaltung, die
°RCHERS im Hinblick auf denbesonderen Gegen- **)
**) Abraham v. Schönberg, a.a. O., S. 13.
) Minerophilus, a.a.O., Sp. 30.
) Swen Rinmann: Bergwerkslexikon. Leipzig
I8,°8. I., S. 634.
^ ) Der Untersuchung liegen die Bartenaufnahmen
.§ruiide, die im Rahmen der Inventarisation des In-
*uts für Volkskunde, Forschungsstelle Dresden, in
§ebirgischen Museen, besonders im Bergbau-
§ Uscum Freiberg und teilweise auch bei privaten
j^mlern jn systematischer Weise durch Dr. Kube,
^ testen, hergestellt wurden. Der reiche Bestand an
Vierten Barten und Steigerhäckchen im Bergbau-
p lseum Bochum konnte durch das freundliche
j^tgegenkommen des Direktors dieses Museums,
p.f‘ ^inkelmann, gleichfalls berücksichtigt werden,
die Fotos von den in Bochum vorhandenen
und Häckchen, die Dr. Winkelmann für
vorliegende Arbeit zur Verfügung stellte, sei
Zeichnung 1
422
Herbert Clauss
stand wohl mit Recht als das eigentliche „Bartenzeitalter“ kennzeichnet. Die Aus-
zier — reicher und vielgestaltiger als am bergmännischen Geleucht — wurde je nach
Eigenart der Barte und desBerghäckchens entweder in das EIolz des Helmes oder auf
besondere Hirschhorn-, Elfenbein- oder Knocheneinlagen oder auf Hirschhorn- oder
Knochenröhren eingeritzt32). Ätzzeichnungen finden sich auch bisweilen auf derfl
Bartenblatt und auf der Krücke des Steigerhäckchens, die im ausgehenden 18. und
im 19. Jahrhundert häufig aus einer bestimmten Legierung gegossen wurde und in
diesem Falle zumeist reliefartige Darstellungen bergmännischer Arbeitsvorgänge auf-
weist. Wenn auch die Frage nach Ursprung und Herkunft des Steigerhäckchens und
der Bergbarte, die bisweilen vom Freiberger Bergmann noch im 18. Jahrhundert als
Waffe gewertet wurde, bisher noch nicht eindeutig beantwortet werden konnte und
schließlich nur auf Grund genauer waffenkundlicher und typologischer Unter-
suchungen zu entscheiden ist, so ist doch die Funktion der beiden Gegenstände als
Rechtssymbol und Paradestück im 17. und 18. Jahrhundert, d. h. für den Zeitraum*
aus dem unsere Belegstücke im wesentlichen stammen und der daher für unsere
Untersuchung in Frage kommt, eindeutig erwiesen.
Thematik
Mit Recht weisen Sammler und Liebhaber von Gegenständen, die für den berg-
männischen Berufsstand charakteristisch sind und ihm Eigenart oder doch typische
Tönung verdanken, auf die besondere Schönheit verzierter Grubenlichter, Bartei1
und Steigerhäckchen hin. Bereits die sinnvolle Zusammenstellung verschiedener
Motive aus bedeutsamen Lebensbereichen des Bergmanns schafft jene anregende
Atmosphäre bergmännischer Lebenswelt, der sich der Betrachter solcher Dat'
Stellungen nicht zu entziehen vermag. Nicht allein darüber berichten die Ritz- und
Ätzzeichnungen auf Froschlampen, Barten und Häckchen, wie der Bergmann zU
seinem himmlischen Bergfürsten steht oder stehen sollte, wie er sich in den Berg'
ihm herzlich gedankt. Die Bartenaufnahme im sächsischen Gebiet wird laufend fortgesetzt-
Das vollständige Material wird Dr. Kube, Dresden, in einer umfassenden Arbeit auswertet1-
Bisher erschienen über Bergmannsbarten und Steigerhäckchen folgende Arbeiten: PAft
Müller: Zierbarten in Privatbesitz. In: Freiberger Forschungshefte D 11 1955, a.a.O»
S. 147 —167, mit zahlreichen Abb.; René Géroudet: Notes sur les haches de mineufs
Saxons. In: Armes Anciennes. Revue consacrée à l’étude des armes anciennes. Genève 195 F
vol. I, N0. 5, p. 103 —108.
An älterer Bartenliteratur sei verwiesen auf Borchers: Über Bergbarten. Ein Bei trag
zur Volks- und Heimatkunde des Erzgebirges. Mitteilungen des Freiberger AltertuiUS'
Vereins (Abgek. MFA) Heft 47, S. 20 — 32; Ders.: Ursprung und Zweck der Bergbatte>
MFA, Heft 51, S. 62—66,und Heft 54, S. 18—26; s. auch MFA, Heft 44, S. 96, 129 —131 u°
Heft 45, S. 131; ferner Riess: Über den Ursprung der Bergbarte, MFA, Heft 51, S. 9^z2'
Über schwedische und norwegische Steigerhäckchen unterrichtet: Sune Ambrosia^'
Bergmannsbarten und Bergmannshäckel im Norden. In: Mit Hammer und Fackel. Ja^f
buch der St. Georgs-Gilde, S. 21—49. (Der Aufsatz lag mir in Übersetzung vor, die U1-
Freydank, Halle, freundlichst zur Verfügung stellte.) Erich Haenel : Kostbare Waöc
aus der Dresdner Rüstkammer. Leipzig 1923, Tafel 71 und 72. .
32) Danach unterscheidet man nach Borchers’ Terminologie (MFA, Heft 47, S. 2V
3 Hauptarten von Barten: 1. Verzierte Holzbarten, 2. Einlagebarten, 3. Röhrenbarten.
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
423
staat mit kurfürstlicher Spitze und einem reich gegliederten, streng abgestuften
Leamtenapparat einzufügen hat oder welchen Bindungen an geldgebende Gewerken
er unterliegt, sondern bestimmend und beherrschend treten auf diesen volkskünstle-
rischen Darstellungen bergmännische Arbeitsvorgänge in den Vordergrund, ein
Charakteristikum nicht nur bergmännischer Volkskunst, sondern bergmännischer
Lebensweise überhaupt.
Wie die zahlreichen Belege auf Barten und Häckchen zeigen, interessieren den
Bergmann als Bartenträger im besonderen Maße die fragwürdige, geheimnisvolle
holle des Rutengängers, seine eigene schwere Arbeit mit Schlägel und Eisen und
che technische Neuerung, durch Sprengen müheloser als früher des harten Gesteins
Herr zu werden33). Gleiches Interesse bringt er der Förderung und Fahrung auf
Haspel und Fahrtenleiter, dem lebenswichtigen Grubenausbau und nicht zuletzt
cHr in Schriften und Liedern vielgepriesenen Treibearbeit des Schmelzens entgegen,
heren Höhepunkt das Erscheinen des Silberblicks ist. Diese typischen Arbeits-
gänge stellte der Bartenkünstler immer wieder dar.
Gestaltungsprinzipien
So vielgestaltig die Motive auf Barten und Steigerhäckchen auch sein mögen, so
Verschieden die einzelnen „Handschriften“ tatsächlich sind, ebenso eindeutig
^'erden all die verschiedenartigen und verschiedenwertigen Darstellungen berg-
männischer Arbeitsvorgänge von gemeinsamen, immer wiederkehrenden Gestal-
Nngsprinzipien beherrscht. Für die folgenden Ausführungen macht es sich nötig,
das Material selbst in seinen charakteristischen Beispielen auszubreiten und vor-
^uführen. Auf dem sechsten Feld eines Steigerhäckchens34) hat z. B. der „Barten-
Lünstler“ links und rechts vom Holmrücken, der gleichsam als Achse dient, zwei
^einander zuarbeitende Bergleute eingeätzt (Zeichnung 3). Mit Schlägel und
Hisen, jenen einfachsten und urtümlichen bergmännischen Gezähstücken, arbeiten
Sle am gleichen Gesteinspfeiler, der flächenhaft mit schrägen und senkrechten
Whraflüren wiedergegeben ist. Das Charakteristische der Schlägel- und Eisenarbeit,
^nächst mit einer Furche oder — bergmännisch gesprochen — mit einer „Brunne“
eHn festen Gesteinszusammenhang zu lösen und anschließend nach oben und unten
*e Schicht oder den Stoß abzubauen, hat der sachverständige Zeichner durch die
Herbe auf dem rechten und durch die stehengebliebene, halbhohe Gesteinswand
dem linken Bildchen richtig erfaßt und völlig realistisch dargestellt. Um des
°rnpositionell notwendigen Gleichklangs und um strenger Symmetrie willen
!3) 1644 wurde die Sprengarbeit im sächsischen Erzbergbau eingeführt. Vgl. hierzu:
■ ^aader d. J.: Beitrag zur Geschichte der Sprengarbeit in Sachsen. In: Bergmännisches
“^ürnal, 2. Bd., 12. Stck. 1790, S. 541; O. Hoppe: Beiträge zur Gesch. d. Erfindungen I.
Lusthal 1880, S. 6yf.; Ed. Heydenreich: Die Einführung der bergmännischen Schieß-
‘^bcit durch Pulver in Sachsen. In: Neues Archiv für sächsische Geschichte und Alter tu ms-
ü,£de. 8. Bd. (1887), S. 151—183.
j 4) Steigerhäckchen Nr. 22, Feld 6, links und rechts, ohne Jahr, Bergbaumuseum Freiberg,
folgenden wird die Nummer der Barte bzw. des Steigerhäckchens angegeben, die sie im
1 darchiv des Instituts für Volkskunde, Forschungsstelle Dresden, trägt. Hinzugefügt
3rd ferner das Herstellungsjahr und der augenblickliche Standort des Gegenstandes.
424
Herbert Clauss
erscheint der Bergmann auf der linken Seite des Häckchens wohl in Abweichung
vom wirklichen Befund als Linkshänder. Beherrscht werden die Zeichnungen von
einem ausgesprochenen Willen zur flächenhaften Darstellung mit einem Neben-
einander der einzelnen Örtlichkeiten und mit eindeutiger Seitenansicht der Figuren
eine Erscheinung, die für die weitaus größte Anzahl der Bartenzeichnungen cha-
rakteristisch ist. Dabei werden von der eigentlichen bergbaulichen Umgebung?
vom Arbeitsort und dem dahinführenden Stollen, unter Berücksichtigung reale*
Verhältnisse mit sparsamsten Mitteln nur die typischen Züge wiedergegeben, so daß
die Darstellung jede individuelle Färbung verliert und als völlig unpersönlicher?
mmmimM
Zeichnung 3 a
Zeichnung 3b
typisch bergmännischer Arbeitsort erscheint. Solch sachlich richtige, in knappste*
Form wiedergegebene, lediglich auf zwei Dimensionen gestellte Darstellung m**
spiegelgleicher Wiederholung und Symmetrie entspricht dem assoziativen Vo*'
Stellungsablauf einfacher Menschen und macht uns die Beliebtheit solch schlichte*
Zeichnungen in Bergmannskreisen des 17. und 18. Jahrhunderts verständlich-
Aber gerade die Konzentration und Vereinfachung auf typische letzte Formen, di£
Knappheit und Kargheit des Formenaufwandes, die Ernst, Strenge und herbe
Geschlossenheit ausströmen, setzen einen schöpferischen Prozeß voraus, de*
letzten Endes jedem Kunstwerk mit starker Aussagekraft vorangeht und vom Be'
trachter nachschaffend wiederholt werden muß, will er mehr als bloße Kritzd'
Zeichnungen in den volkskünstlerischen Darstellungen erkennen.
Erst seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts werden die Stilprinzipiefl
volkskünstlerischer Bartenkunst durch überwuchernde bloße Dekorationslust uflc^
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
425
§enrehafte Darstellungen Schritt für Schritt aufgegeben, und damit büßen die
Darstellungen ihre ursprüngliche Ausdrucksstärke ein.
Dieselbe Zuordnung zweier Bilder auf gleicher Ebene — von anderer und sicherer
Hand — finden wir auf einem Berghäckchen35) aus dem Jahre 1700 (Zeichnung 4).
Rechts arbeiten zwei Bergleute wiederum mit Schlägel und Eisen auf treppenförmig
at>gestuftem Gestein, auf sogenanntem Strossenbau, während auf dem Pendant ein
Fördermann das Erz mit einem Bergtrog in einen Kübel am Haspelseil schüttet und
ein zweiter Bergmann auf einer Leiter (bergmännisch: Fahrt) nach oben steigt.
Zu den gleichen Gestaltungsprinzipien, die wir auf den vorangegangenen Zeich-
Zeichnung 4a
Zungen erkannten, tritt hier mit der nach oben weisenden Diagonale ein neues
^Hebendes Moment hinzu. Auf beiden Bildern wird trotz verschiedener Arbeits-
v°tgänge durch gleiche Komposition eine Blickrichtung nach oben erzwungen,
für zahlreiche Bartenzeichnungen charakteristisch ist. Das naheliegende und
§ern angewandte Mittel, die aufwärtsstrebende Tendenz zu veranschaulichen, ist
Leiter, die in der christlichen Allegorie vom Bergbau als Jakobs- oder himmlische
Reiter gedeutet wird.
Auf dem zweiten Feld desselben Berghäckchens befinden sich ebenfalls je zwei
F^sonen in symmetrischer Zuordnung auf jedem Bild (Zeichnung 5): links ist ein
Wünschelrutengänger am Werk, rechts ein mutender und schürfender Bergmann.
^Hden ist mit dem geldgebenden Gewerken (links) und dem hohen Bergoffizianten,
35) Steigerhäckchen Nr. 21, Feld 6, links und rechts, 1700, Bergbaumuseum Freiberg.
42G
Herbert Clauss
wahrscheinlich dem Bergmeister (rechts), eine Gegenfigur zugesellt worden. Damit
wird jede der beiden Darstellungen durch wirtschaftliche und berggesetzliche
Zutaten bereichert. Als neues Gestaltungsmittel treten zwei erklärende Reimsprüche
hinzu, durch die die beiden Bilder verbunden werden. Auf die Mitteilung: „Die
Wünschei-Ruthe schlagt allhier“ antwortet gleichsam der mit der Keilhaue arbeitende
Neufänger: „Ich muht und schürff in der Revier.“ Erklärende Reimsprüche als
Bindemittel zweier Barten- oder Häckchenzeichnungen auf gleicher Ebene werden
häufig und gern vom Bartenkünstler verwendet.
Weitere Aufschlüsse über die Gestaltungsprinzipien des Bartenzeichners ver-
mittelt uns ein Vergleich von Bildrahmen und Bildinhalt auf verschiedenen Barten
und Häckchen. Realer Arbeitswelt mit einem Bergmann vor Ort und einem Förder-
mann mit Schubkarre unter einer Bergfirste mit rhythmisch geschwungener S-
förmiger Begrenzungslinie entspricht der zugehörige Rahmen des Bildes auf einer
Röhrenbarte aus dem Jahre 171636 37) (Zeichnung 6). Mit den zahlreichen blühenden
Kristallen und Bergklüften, durch kleine, spitz auslaufende Striche und breit ein-
geätzte Linien wiedergegeben, erweckt die Rahmenzeichnung in Übereinstimmung
mit der ähnlich ausgestatteten Bergfirste die Fiktion einer realen bergmännischen
Landschaft und steht so in enger Beziehung zum Bildinhalt. Eine weitgehende
Wandlung der realen Verhältnisse ins Dekorative ist auf einem Steigerhäckchen3')
36) Barte Nr. 21, Feld 7, rechts, 1716, Bergbaumuseum Freiberg.
37) Steigerhäckchen Nr. 8, Feld 6, rechts, ohne Jahr, Bergbaumuseum Freiberg.
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
427
Zeichnung 9 Zeichnung ioa
Zeichnung 8
Zeichnung io b
428
Herbert Clauss
(Zeichnung 7) eingetreten, auf dem der Rahmen zu einem Band umgebildet wurde,
das sich — spätgotischen Vorhangfenstern ähnlich — um die gleiche, noch völlig
reale Arbeitsszene schlingt. Die Kristallspitzen an den Schräg- und Längsseiten
haben ihre ursprüngliche Bedeutung aufgegeben und schmücken zusammen
vier Kreuzen den im übrigen leeren Rahmen. Der Zusammenhang zwischen Bild'
inhalt und Rahmen ist dabei völlig gelöst, so daß der mit Schlägel und Eisen arbei-
tende Bergmann seinen realen Arbeitsort verloren hat und sinnlos auf den rechten
bandförmigen Rand der Umrandung hämmert. Noch weiter in der Umbildung der
bergmännischen Umwelt ist der Bartenzeichner einer Barte aus dem Jahre 1718
gegangen38) (Zeichnung 8). Vor einem Pferdegöpel mit dahinter liegender Kaue
steht ein Bergmann, der mit seiner Rechten nach dem Wolkenhimmel zeigt, in dem
sich eine Stadtmauer mit drei Tortürmen befindet, eine Szene, die eine allegorische
Deutung ahnen läßt, die aber ohne zugehörige Worterklärung und entsprechendes
Gegenbild — auf der Barte ist als beziehungsloses Pendant ein Schmelzer vor einem
Treibeherd abgebildet — sich nicht völlig erklären läßt. Erst der spätere Vergleich
mit einem zugrundeliegenden Vorbild kann hier letzte Deutung vermitteln. Diesen
Wolkenvorhang — auf der Übertageszene noch wirklichkeitsnah — verwendet
der Zeichner auf der gleichen Barte ohne jede reale Grundlage lediglich als Schmuck
und Auszier noch fünfmal: viermal für bergmännische Arbeitsvorgänge unter Tage
und einmal für eine zweite Übertageszene mit einem Rutengänger und Gewerken
(Zeichnung 9). Dabei wird der Wunsch nach dekorativer Ausgestaltung der Barte
durch hinzugefügte Kreuzchen oder Sternchen unter dem viergelappten Wolken-
Vorhang besonders deutlich.
Auch die Worterklärung, die der Bartenzeichner gern über eine Arbeitsszene
setzt, wird in den gleichen Umwandlungsprozeß hineingezogen. Während die
Sprüche auf Zeichnung 5 in ihrer ursprünglichen Reimform erhalten sind:
„Die Wünschei-Ruthe schlagt allhier
Ich muht und schürff in der Revier“,
kannte der Zeichner eines Steigerhäckchens 39) (Zeichnung 10) den genauen Wortlaut
seiner Erklärung nicht mehr. Vom ursprünglichen Reimpaar:
„Der Bergmann folgt des Steigers Wort (linke Arbeitsszene)
Es bricht gut Erz vor diesem Ort“ (rechte Szene)
war ihm nur noch der erste Vers genau erinnerlich, den zweiten rekonstruierte er zu:
„ Hie bricht recht gut Örz.“
Die so bereits brüchig gewordene Worterklärung wird nunmehr im wesent-
lichen nur noch als Auszier verwendet und auf den Bildrahmen verteilt. Bisweilen
bricht auf Gegenständen der Volkskunst, auf denen die Sprüche oder Liedanfänge
38) Barte Nr. 19, Feld 8, rechts (Zeichnung 8) und Feld 4, links (Zeichnung 9), 17t8’
Bergbau museum Freiberg.
39) Steigerhäckchen Nr. 3, Feld 4, links und rechts, ohne Jahr, Bergbaumuseum Freiberg-
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
429
ln doppelter Funktion — als Mitteilung und Auszier — angebracht sind, der Rede-
fluß dann plötzlich ab, wenn der auszuschmückende Raum gefüllt ist40).
Dieses Gestaltungsmittels bedient sich in gleicher Weise auch der Bartenzeichner,
^enn er — wie auf einer Barte aus dem Jahre 1730 — plötzlich abreißende Lied- oder
Spruchteile als schmückende Umrandung um Arbeitsdarstellungen schlingt,
etwa:
„Die weil wir alzu / gleiche der Arme (2. Feld rechts)
Sowohl als der / Reiche davon ihre“ (2. Feld links)41).
Die unverständlichen Worte auf Feld 2 erklären sich erst im Zusammenhang mit
den Versen auf dem darunter liegenden Feld 3 derselben Barte:
„Wenn Gott thut Ertz bescheren dun (= und) (3. Feld links)
Uns damit verehren, so freut sich jedermann“ (3. Feld rechts).
10) So ist z. B. eine Garnweife als Minnegabe im Schloßbergmuseum Karl-Marx-Stadt
'Uit mehreren primitiven Ritzzeichnungen und dem Anfang eines Bergmannsliedes ver-
^ktt, das plötzlich abbricht. Der Liedtext lautet: Das Bergwerk in der Erd hat Gott der
chOpfer wert mit mancherlei Aletallen ... Hier endet die Eintragung. Über Herkunft und
Überlieferung dieses Liedes vgl. Gerh. Heilfurth: Das Bergmannslied. Wesen, Leben,
unktion. Kassel u. Basel 1954, S. 597. Die Garnweife wurde zum erstenmal bei Friedrich
1eBer: Volkskunst in Sachsen, a. a. O., S. 261 abgebildet.
41) Barte Nr. 32, Feld 2, links und rechts, 1730, Bergbaumuseum Freiberg. Vgl. die Be-
stechung dieser Barte bei Borchers, MFA, Heft 54, S. 19.
430
Herbert Clauss
Der Text auf Feld 2 ist die Fortsetzung dieser begonnenen Liedstrophe — denn
es handelt sich hierbei um die zweite Strophe des Bergreihens „Das Bergwerk wölb1
wir preisen“412) — die nach dem Wort „ihre“ plötzlich aus Raummangel abbricht
und deren vollständige Fassung sinnvoll lautet:
„Die weil wir alzu gleiche, der Arme
Sowohl als der Reiche, davon ihre Nahrung han.“
Als letzte Konsequenz solcher Bestrebungen könnten keilförmige Einkerbungen
auf dem hölzernen Holm einer Barte* 42) (Zeichnung 11) gewertet werden, die Über-
bleibseln ehemaliger Schriftzeichen ähneln und sich auf der gleichen Barte ein
Feld tiefer wieder zum schmückenden Zickzackornament mit zwischenliegenden
eingeschnittenen Dreiecken zusammengefunden haben43) (Zeichnung 12).
Die gleiche Neigung und Kraft zu dekorativer Umformung ursprünglich
durchaus realer Gegebenheiten, die sich in der Volkskunst nicht selten findet,
ergreift bisweilen auch den Bildinhalt bergmännischer Arbeitsszenen auf Barten
und Steigerhäckchen. Durch eine trennende horizontale und eine Symmetne
41a) Abdruck des Liedes „Das Bergwerk wollen wir preisen“ in Matthäus WieseRs
Geistlichem Brunnquell. Hof 1668, S. 413, Nr. 16, darnach in Wiesers Seelenschatz (Bergk'
Reihen). Schneeberg 1716, S. 17, Nr. 12 und später u. a. in Chr. G. Grundigs Geistlichen1
Bergbau. Schneeberg 1750, S. 31, Nr. 27. Vgl. hierzu G. Heilfurth, a. a. O., S. 598.
42) Barte Nr. 49, Feld 6, links, ohne Jahr, Bergbaumuseum Freiberg.
43) Barte Nr. 49, Feld 7, rechts, ohne Jahr, Bergbaumuseum Freiberg.
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
431
schaffende vertikale Achse hat der Bartenzeichner44) (Zeichnung 13) unter einem
bergmännischen Arbeitsvorgang ein modisch gekleidetes Brautpaar dargestellt.
Ein Dreisproß, mit seinem mittleren Blatt das Oval ausfüllend, das durch die Arme
der beiden Brautleute gebildet wird, beschirmt als glückverheißendes und Unheil
Wehrendes Zeichen die Brautleute. Die beiden Bergleute darüber arbeiten mit
Schlägel und Eisen — ein gern und häufig verwendetes Motiv auf Barten und Häck-
chen — an einem Gesteinspfeiler, den sie in seinem oberen Teil bis auf wenige
Stöße bereits abgebaut haben. Das Gegenstück zu diesem Bilde auf gleicher Ebene
des Bartenholmes45) (Zeichnung 14) wiederholt die Brautszene unterm Dreisproß.
Eie einzige Änderung besteht darin, daß an die Stelle des modisch gekleideten
Eerrn ein Bergmann mit Bergleder getreten ist. Die darüber befindliche Arbeits-
s^ene ist dagegen viel weitgehender verwandelt worden. Den Gesteinspfeiler haben
die Häuer hier durchstoßen, den Durchbruch, ein bedeutsames und oft lebens-
wichtiges Ereignis im bergmännischen Arbeitsleben, haben sie geschafft. Aus dem
stehengebliebenen Grundpfeiler, zu einem schildartigen Gebilde umgewandelt,
dackern vier Flämmchen46) auf und deuten auf reiche Ausbeute hin. Die Firste aber
lst in Anlehnung an den Dreisproß der Brautszenen zum gleichen Glückszeichen
geworden. Gleichgute Wünsche, wie sie auf dieser Barte — vermutlich einem
Eochzeitsgeschenk — in bildlicher Darstellung ausgesprochen werden, enthält ein
bergmännisches Hochzeitslied CHRISTOPH Gottlob Grundigs aus dem Jahre 1750,
das mit dem glückverheißenden Bergmannsgruß „Glückauf!“ beginnt47):
Glück auf! du neues Ehe-Paar! die Gott verbunden,
die ihr gefunden ein edles Geschick.
Es ist geschehn, was er versehn;
Glück auf! zum Bauen, bald sollt ihr schauen
Ausbeut und Lohn.
Angesichts solcher Wandlungen, mit Symbolgehalt durchtränkt, stehen die
beiden ehemals hämmernden Häuer staunend und untätig nur noch als raumfüllende
Figuren rechts und links von der vertikalen Achse. Die letzte Konsequenz dieses
v°lkskünstlerischen Prinzips des „Hinaussehens“, wie OSWALD O. Erich dieses
Einüberführen inhaltlicher Vorstellungen ins rein Dekorative nennt48), hat der
U) Barte Nr. 33, Feld 2, rechts, 1725, Bergbaumuseum Freiberg.
lj) Barte Nr. 33, Feld 2, links, 1725, Bergbaumuseum Freiberg.
46) Flammende Feuer als Anzeichen reicher Erzvorkommen sind uns wiederholt als
estandteil bergmännischer Glaubensvorstellungen bezeugt. 1738 begründet z. B. das
crgamt Eibenstock dem Vorgesetzten Oberbergamt Freiberg gegenüber sein Gesuch um
cWilUgung von Schürfgeldern u. a. auch damit, daß der dortige Knappschaftsälteste und
tciger Christoph Rau, Sohn des ehemaligen Lehnträgers auf Hilfe-Gottes-Fundgrube
e°rg Rau, auf den Feldern seines Vaters „brennende Erdfeuer“ gesehen hätte, so daß sich
Er Schürfarbeiten lohnen müßten (Ratsarchiv Eibenstock, Auszüge Findeisen, S. 1324a).
. 4?) M. Chr. Gottlob Grundig: Geistlicher Bergbau. Schneeberg (1750), S. 172, Nr. 157.
Ud- hierzu G. Heilfurth: Das Bergmannslied. Wesen, Leben, Funktion. Kassel u.
I954’ S- I54, IÖ3, 3°3’ 339, 6?4'
~ ) Oswald O. Erich: Ein Gestaltungsprinzip der Volkskunst. In: Volkswerk 1942, •
• I04—
432
Herbert Clauss
Zeichner auf der gleichen Barte ein Feld tiefer49) (Zeichnung 15) vollzogen-
Einem Vexierbild gleich, hat er eine der beiden Gestalten in ihrem unteren Teil №
Blattformen umgewandelt. Lediglich die Umrißlinien des Kopfes und versteck1
auch die beiden Arme deuten auf die ursprüngliche Form hin.
Dem Willen zur dekorativen Umgestaltung realer Bildinhalte liegt der Wunsch
zugrunde, Barte und Steigerhäckchen als Paradestücke und Standeszeichen so reich
wie nur möglich zu schmücken und sie damit über tägliche Arbeitsgeräte zu erhebe*1
und zu erhöhen.
Zeichnung 15
Zeichnung 16a
Zeichnung 16b
Vorlage, christliche Bergbauallegorie und Eigenwertigkeit der
Bartenbilder
Die ähnliche Gestaltung gleicher Arbeitsvorgänge auf verschiedenen BarteO
und Steigerhäckchen durch verschiedene Elfenbeingraveure und Handwerksmeiste*
deutet auf gemeinsame Vorlagen hin. In dieser Vermutung bestärken uns zWel
allegorische Darstellungen des Schmelzprozesses auf dem schon oben erwähntet1
Steigerhäckchen aus dem Jahre 170050) (Zeichnung 16). Inmitten von sechs Feldern»
auf denen zu oberst zwei betende Bergleute rechts und links neben dem KruziflX>
darunter ein Wünschelrutengänger, ein schürfender Bergmann, ein Scheidejunge>
ein Fördermann und zutiefst zwei Häuer vor Ort wiedergegeben werden, hat de*
49) Barte Nr. 33, Feld 3, links, 1725, Bergbaumuseum Freiberg.
50) Steigerhäckchen Nr. 21, Feld 3, rechts und links, 1700, Bergbaumuseum Freiberg'
Vgl. hierzu Anm. 35 und 36 und Zeichnungen 4 u. 5.
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
433
Kartenzeichner die Arbeit am Treibeherd dargestellt. Dabei tritt Johannes der Täufer
a^s „Vorläufer“51), d. h. als Zubereiter des Treibeherdes und Christus im Strahlen-
kränze als Schmelzer in Erscheinung, der soeben das Blicksilber mit langer Zange
dem Treibeherd entnommen hat. Seine Bildabsichten unterstreicht der Barten-
künstler durch ein Reimpaar, dessen ersten Vers er über die Johannes-, den zweiten
kber die Schlußszene des Treibeprozesses einätzt:
„Johannes hat den Heerd gemacht,
Das Treiben Jesus hat vollbracht.“
Diese beiden Zeichnungen vermögen uns in beispielhafter Weise über Vorlagen
Bartenauszier, über eigenschöpferische Tätigkeit des Bartenzeichners und über
kügenwertigkeit der Bartenbilder zu orientieren. Die Arbeit des Bergmanns, der
das Erz zutage fördert, findet im Schmelzprozeß des Hüttenmannes ihre notwendige
Ergänzung und Krönung. Erst das enge Zusammenwirken von Berg- und Hütten-
^ann sichert den Enderfolg jeder bergmännischen Unternehmung, die Gewinnung
des Metalls, in unserem Falle — bedingt durch örtliche Freiberger Verhältnisse
uhd allegorische Ausdeutung — des Edelmetalls Silber. Das Silberschmelzen im
Umfassenden Sinne besteht aus mehreren Einzelprozessen: Der Probierer stellt
irn Probierofen den Metallgehalt des Erzes fest. Im Schmelzofen wird das Silber
Zusammen mit leicht schmelzbaren Zusätzen, sogenannten Schmelzflüssen, aus
Seiner bisherigen Verbindung gelöst und in die Form des Werksilbers oder Werks,
lri eine Bleisilberverbindung, überführt. Im Treibeherd, der aus dem eigentlichen
kierd mit einem Flammenloch und einer beweglichen Haube, dem Treibehut, besteht,
heibt der Schmelzer anschließend das Silber aus dem Werk aus: In der Flammen-
kitze oxydiert das Blei leicht zu Bleioxyd, der sogenannten Glätte, während das
Silber nicht verändert wird. Die feurige Glätte fließt entweder ab oder wird von der
klerdmasse aufgesogen, und das Edelmetall bleibt als Blicksilber zurück. An-
Schließend wird dieses noch im Brenngadem oder Brennofen von letzten Zusätzen
§ereinigt und zu Münzsilber feingebrannt.
Als entscheidende Phase des Silberschmelzens erscheint dem Bartenkünstler, wie
uie vorliegenden Belege erweisen, das Treiben. Dessen Höhepunkt ist der viel-
8epriesene, überwältigend schöne Augenblick, in dem sich das letzte Oxyd-
käutchen unter lebhaftem Farbenspiel auf der Metalloberfläche trennt und das reine
Silber als Silberblick aufblinkt: „Wenn nun die pley vom Silber also durchs fewer
^üd gebleß abgeschieden oder abgetrieben sein, so will das silber plicken oder
Auter werden, vnd krieget feine schwartze blümlein oder wölcklein, wenn diese
Vergehen oder verschwinden, so blickt vnd leuchtet das weiße vnd durchfewert
Silber herfür, wie die Sonne, wenn sie auß einer schwartzen oder trüben wolcken
kerfür gehet vnd blicket52).“ Auf die Darstellung dieses Treibeprozesses, dessen
5l) Vorläufer ist terminus technicus und nicht als Vorgänger im rein zeitlichen Sinne
<lufzufassen. Nach Minerophilus, a.a. O., Sp. 697 bedeutet das Verb „vorlauffen“ = „Ertz,
°rschläge, Zusatz und Schlacken vor den Schmeltz-Ofen, zu Fertigung der Schicht
clllschaffen“.
6a) Johann Mathesius: Sarepta. Ausgabe von 1571 (erste Ausgabe 1562), S. 149b.
1 ^°lkskunde
434
Herbert Clauss
Höhepunkt häufig genug poetisch verklärt wurde, hat sich die volkskünstlerische
Darstellung des gesamten Schmelzprozesses im allgemeinen konzentriert53).
Dabei ist in unserem Beispiel zur wirklichkeitsgetreuen Wiedergabe des Treibe-
Vorganges eine christlich-allegorische Ausdeutung hinzugetreten, die durch die
von Schmelzern unterschiedliche Arbeitskleidung des Vorläufers und Schmelzers,
vor allem aber durch Strahlenkranz und Spruch offenkundig wird. Zugrunde liegen
der christlichen Allegorie vom geistlichen Bergwerk die Bergpredigten des Joachims-
thaler Pfarrers MATHESIUS, die er im Jahre 1562 in seiner Sarepta sammelte und
herausgab. In der 13. Bergpredigt vom Schmelzen, Abtreiben und Silberbrennen
zeigt Mati-IESIUS, ausgehend von Maleachi 3,2 und Jeremias 9,7, daß „der Herr
Christus auch ein schmeltzer gewesen sey“ und daß „Johannes der Täuffer jm
furgelauffen sey, wie denn ein jeder schmeltzer seinen furlauffer haben muß, der
im handlanget vnd hilfft“. Im Verlaufe seiner breit angelegten Predigt deutet er die
einzelnen realen Vorgänge des Hüttenprozesses in allegorischer Weise und setzt
das „gemattet blei“ (= altes, verbrauchtes und daher zum Treiben untaugliches
Blei) bösen Zuhörern gleich, die das Wort Gottes nicht annehmen wollen, während
er den „vernewerten willen durchs wasser (Taufe), wort und geist einem frischen
bley“ vergleicht. Zum Schluß bekundet MATHESIUS nochmals nachdrücklich seinen
Willen zur Lenkung der ihm anbefohlenen Bergleute und sein ernsthaftes Bemühen,
sie für das reine Wort Gottes, d. h. für die neue evangelische Lehre zu gewinnen •'
„Behaltet lieben freunde diesen Hütten Text, vnd wenn jr vorm ofen oder treibherd
stehet, so erinnert euch dieser Predigt mit seligen gedancken vnd jnnerlich seuffzen,.-
damit ewer hertzen frisch bley werde, das da silber willig, gerne (d. h. begierig) und
mit freuden annehme ... Das hilff euch vnd mir der eingeborne son Gottes, unser
lieber Herr u, Heiland Jesus Christus, der ewige vnd einige schmeltzer in der Hütten
seiner Christenheit ...54)“
Der bildhafte Niederschlag christlicher Allegorie, die die bergmännische Arbeits-
welt zu ihrem eigentlichen Thema erhebt oder sie doch als wirkungsvolles Art'
schauungsmittel mit einbeschließt55), liegt uns in mehreren Werken des 17. und
18. Jahrhunderts vor56). Unter ihnen ist für unsere Untersuchung die „Evangelische
53) Gelegentlich wie auf Barte Nr. 28, Feld 5 rechts, ohne Jahr, Bergbaumuseum Freiberg,
wird auch der Probierer am Probierofen mit dem dazugehörigen Spruch: „Probir feinRejn
das ertz und stein“ wiedergegeben.
54) Mathesius, a.a.O., 8.147a, 148b und 160a. In der 11. Predigt S. 121a deutet
Mathesius Lukas 7 und Johannes 1 auf Christus, „den rechten schmeltzer und weschef
und Johannes als „seinen fürlauffer“.
55) Über die christliche Allegorie vom geistlichen Bergwerk, ihre Weiterentwicklung und
Wandlungen seit Mathesius wird Dr. Vogel, Dresden, demnächst eine abgeschlossen
Forschungsarbeit vorlegen. Ihm verdanke ich bei meiner Untersuchung wertvolle Hinweis^
56) Dem Bartenkünstler stand für seine Darstellungen ein reiches Bildmaterial in Bergbau-
büchern des 16. und 17. Jahrhunderts, auf Karten und Rissen, auf Ausbeutmünzen un
Stadtsiegeln, auf Ausbeutbögen und gedruckten Bergordnungen zur Verfügung. Untei
den zahlreichen Stichen und Holzschnitten jener Zeit verdienen jedoch die Stahlstiche be-
sondere Beachtung, die bergmännische Arbeitswelt in kleinen nebeneinander gestellt011
Einzeldarstellungen wiedergeben. Solche Gestaltungen kamen dem Bartenkünstler weit'
gehend entgegen, da der Bildumfang auf Barten und Häckchen ebenfalls beschränkt wa
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
435
Ausbeute ... aus der Allerältesten, Edelsten und Reichesten Fundgrube Heiliger
Göttlicher Schrift“ des Freiberger Schichtmeistersohnes und späteren Tuttendorfer
Pfarrers Johann Gottfried Hoffmann aus dem Jahre 1689 als unmittelbare Vor-
ige für zahlreiche volkskünstlerische Darstellungen berg- und hüttenmännischer
Arbeitsvorgänge auf Barten und Berghäckchen am bedeutsamsten57). Die für unsere
Aufgabenstellung wichtige Quelle blieb bisher unbenutzt. Das Werk erscheint
fälschlicherweise neben JOH. GOTTFRIED HOFFMANNs anderen Werken, neben den
bergmännischen Gedanken aus dem Jahre 1705 und vor allem neben seinem weit-
Verbreiteten, zu wiederholten Malen gedruckten Geistlichen Grubenlicht aus dem
Jahre 1676 (Neudruck 1704 und „später mehrmals“) nach der Beurteilung
Christoph Gottlob Grundigs als zweitrangig, während es in Wirklichkeit
Wenfalls wie HOFFMANNs übrige Arbeiten unter den Bergleuten beliebt und weit
Verbreitet gewesen sein muß. GRUNDIG, der das Buch nur sehr ungenau kannte,
Schreibt über dieses Werk: „Wie diese Aufschrift (Titel) sich zum Buche schicke,
k-ann man nicht errathen. Es sind wohl mehr oder weniger denn 300 als Müntzen
gestochene Sinnbilder, in welchen der Verfasser alle ersinnlichen Dinge, ja fast
aPe Elemente, besonders das Bergwerk, ohne alle Erklärung, und blos mit darunter
§esetzten schlechten (= schlichten) Reimen redend gemacht hat58).“ Den Zusammen-
hang zwischen Buchtitel, Vorwort und den „vielen Kupffer-Bildern“ erhellt
J°H. Gottfried HOFFMANN selbst. Er hat die Stiche, wie er im Titel und Vorwort
^tteilt, „nach Anleitung derer gewöhnlichen Heil. Sonntags- und vornehmsten
Pest-Evangelien“ anfertigen lassen und „solche Ausbeut-Thaler seinen Zuhörern,
Ü
Prb
t>;
efartige, aus mehreren Kleinbildern bestehende Stiche waren mehreren bergmännischen
auungs-, Bet- und Liederbüchern mit christlichen Bergmannsallegorien vorangeheftet.
as >,noch itzo (1750) beliebte Geistliche Bergwerk“ des Zellerfelder Predigers Eichholtz
dem Jahre 1655, worin „an dem löblichen Bergwerck ... das gantze Christenthumb und
a e Artikul Christlicher Religion ... vorgestellet seyen“ (Grundig, a.a.O.), enthält auf
yerü Titel- und einem weiteren Blatt 14 Kleindarstellungen berg- und hüttenmännischer
0rgänge mit kurzen sachlichen Überschriften auf Spruchbändern, die das Bildchen über-
wölben: „Mit der Ruthe gehen. Marscheiden. Ein Zug ... Pochwerck ... Treibofen“ usw.
und Überschriften sind frei von jeder Allegorie, im Gegensatz zu den einzelnen Medi-
ationen des Erbauungsbuches, die die christlich-allegorische Deutung des Bergbaus nach
Mathesius „Sarepta“ aus dem Jahre 1562 in systematisierender Weise fortführen. Einen
phritt weiter ging der berühmte Freiberger Rektor und spätere Prediger an der Nikolai-
lfche in der Hauptstadt erzgebirgischen Bergbaus Andreas Beyer mit seiner Bildbeigabe
11 seinem „Christlichen Bergmann“, den er im Jahre 1681 in Leipzig herausgab. Die
acht Kleindarstellungen berg- und hüttenmännischer Arbeitsvorgänge band er durch
keimte Bilderklärungen äußerlich aneinander und stellte sie unter eine, in christliche Berg-
^ünsallegorie hinüberführende zusammenfassende These: „Christlicher Bergmann
^e*8Üicher Schmelzer“.
k J Joh. Gottfried Hoffmann wurde 1641 in Freiberg als Schichtmeistersohn ge-
^°reri> wurde später Pfarrer in Tuttendorf bei Freiberg und starb 1690 daselbst. Drei Lieder
Cfden ihm außer seinen Erbauungsschriften zu geschrieben. Vgl. Gerh. Heilfurth: Das
J^gebirgische Bergmannslied. Schwarzenberg 1936, S. 34,und Johann Heinrich Zedlers
s f°ßes Universallexikon, 13. Bd., Leipzig und Halle 1735, Sp. 450, wo seine Erbauungs-
Cgiften aufgeführt sind.
) Chr. Gottlob Grundig, a. a. O. in der einleitenden „Probe einer geistlichen berg-
Aschen Bibliothek“ III. Abt., Nr. 15.
7*
436
Herbert Clauss
als Christlichen Gewercken, erst mündlich, jetzt schrifftlich, zu guten AndenckeA
ausgetheilet“. So entspricht jeder der 66 Sonn- und Festtags-Perikopen ein ganz'
seitiger Stich mit sechs allegorischen Bildern in Münzform, von denen je z^e1
zusammengehören und durch darüber gesetzte vierhebige Reimverse auch äuße*'
lieh verbunden werden59). Von den 396 kleinen Kupferstichen, über deren Zeichn^
sich zur Zeit nur Vermutungen aus sprechen lassen, sind 234 allgemeiner A*b
und nur 162 beziehen den Bergbau als Mittel allegorischer Ausdeutung mehr odet
weniger in den Bildinhalt ein. Unter diesen 162 „Ausbeuttalern“ findet sich als
drittes Bildpaar zur 43. Perikope auch die Vorlage für die allegorische Darstellung
des Treibeprozesses auf dem Steigerhäckchen aus dem Jahre 1700 mit Johannes
als Vorläufer und Christus als Schmelzer (Zeichnung 17, vgl. damit Zeichnung i^)'
Überraschend ist die weitgehende Übereinstimmung der eingravierten Häckche*1'
Zeichnung und des Kupferstiches. Die oben herausgestellten charakteristische*1
Gestaltungsprinzipien für volkskünstlerische Darstellungen bergmännischer Arbeit'
Vorgänge auf Barten und Steigerhäckchen — flächenhafte Darstellung, Zurück'
führen individueller Bildinhalte auf eine typische Formung, Symmetrie und Parallel1'
tät der Einzelformen und Verbindung zweier Bilder auf gleicher Ebene durch elia
59) Der Durchmesser dieser Bilder in Münzform beträgt mit Bildrahmen 5,5 cm, oh0L
Rahmen 4,5 cm. Sicher ist dieses Werk Johann Gottfried Hoffmanns nicht die einzig
Quelle für Barten- und Häckchenzeichnungen. Sie übermittelt uns aber grundlegende
kenntnisse zur Frage: Bartenzeichnung und benutzte Vorlage.
Unter den Persönlichkeiten, denen Hoffmann sein Werk widmet, ist auch Andfc9c
Warnitz als berühmter Maler aus Danzig angeführt. Seit dem Ende der 1650er Jahre
er in Freiberg und erhielt hier 1660 ehrenhalber das Bürgerrecht, wurde 1681 Ratsmitg11Cj
und war mehrfach für den Rat und das Bergamt als Maler tätig. Er erteilte ferner Mal- u°
Zeichenunterricht in Freiberg. Es ist zu erwägen, ob er oder Schüler von ihm als ZeichC
und Stecher der HoFFMANNschen Kupfer in Frage kommen. Vgl. Thieme-Becker: &
gemeines Lexikon der bildenden Künstler. Bd. XXXV, S. 165, wo auf MFA, Heft 36, S. 2'’
100; Heft 38, S. 104; Heft 40, S. 19 und weitere Literatur verwiesen ist.
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
437
Vlerhebiges Reimpaar — finden sich auf der Kupferstichvorlage bereits vorgebildet
ürid sind damit dem Kupferstichzeichner zugute zu rechnen. Gewandung, Strahlen-
kranz und Wortlaut der Bilderklärung sind vorlagengetreu übernommen worden.
Besteht nach dieser Erkenntnis das einzige Verdienst des Häckchenzeichners —
Und von diesem Beispiel aus verallgemeinert, des Bartenzeichners schlechthin —
tatsächlich lediglich in der Übertragung der graphischen Vorlage auf ein anderes
Material?
Daß die Barten- und Häckchenzeichner in Wirklichkeit nicht nur eine rein
technische Leistung vollbrachten, ergibt bereits ein genauer Vergleich der Vorlage
der Häckchenzeichnung und darüber hinaus mit einer Anzahl von Darstellungen
des gleichen Motivs auf drei anderen Barten.
In Anpassung an das langgestreckte, rechteckige Bildformat60) auf dem Holm hat
det Häckchenzeichner ohne Verfälschung des Sachverhaltes die Vorlage in Einzel-
heiten verändert. Den Wassertrog auf dem Kupferstich, der das Wasser zum Ab-
kühlen des Blicksilbers liefert, ließ er als störendes und entbehrliches Requisit weg,
aeichnete dafür aber den Treibhut, der im Kreisrund der Vorlage zur Hälfte ver-
deckt ist, voll aus. Die Schrift nahm er zur Füllung des freibleibenden oberen Raumes
ah füllendes Schmuckmittel in das Bildfeld herein. Die Johannesfigur, die sich auf
der Vorlage der Kreislinie anpaßt und leicht nach vorn gebeugt ist, streckt der
htäckchenzeichner und erreicht auf diese Weise dieselbe Rahmenparallelität der
Vorlage.
Üen gleichen Vorgang gibt ein zweiter Bartenzeichner auf einer Röhrenbarte61)
11111 gröberen Strichen wieder. Dabei aber führt er die Gewänder von Jesus und
J°hannes noch weiter ins Flächenhafte als das Vorbild und bringt die Bild-
erklärung mit einer unwesentlichen Wortumstellung auf zwei Ringen ober-
uüd unterhalb des Bildes an. Den dadurch frei werdenden Bildraum füllt er mit
dekorativen Wolkenvorhängen aus. Er behält jedoch wie der Zeichner des Steiger-
ackchens aus dem Jahre 1700 die allegorische Ausdeutung des Schmelzvorganges
bei.
üamit aber bricht ein dritter Bartenzeichner. Auf drei Bildern auf den untersten
^üken Feldern einer Barte aus dem Jahre 171862) schildert er, wie ein Vorläufer die
JeWandung des Herdes mit Kalkmergel ausstampft (Zeichnung 18), darauf nach
v°Hzogenem Treibeprozeß das Blicksilber aus der Spur heraushebt (Zeichnung 19)63)
|üd dieses schließlich mit einer langen Zange zur weiteren Bearbeitung wegträgt
Dehnung 20). Die allegorischen Sprüche läßt er weg und bekundet bereits
amit eindeutig seinen Willen zur rein weltlichen Ausdeutung des Arbeitsvor-
ganges. In der Bildanordnung, nach der der Schmelzvorgang eine Reihe rein
kj I Las Bildformat auf Häckchen- und Bartenholmen liegt im allgemeinen zwischen 2,5 cm
6j3,5 cm Breite und 5 cm bis 7,5 cm, vereinzelt bis 13, 14, ja 16 cm Höhe,
gjl Barte Nr. 35, Feld 4 links und rechts, o. J., Bergbaumuseum Freiberg.
8 ' Barte Nr. 19, Feld 6, 7, 8 links, 1718, Bergbaumuseum Freiberg.
e I Dieser Zeichnung liegt bei Hoffmann auf dem Kupferstich zur 39. Perikope eine
sprechende Vorlage mit dem Spruch: „Der Silberblick körnt an das Liecht“ zugrunde.
er Bartenzeichner hat jedoch die Vorlage ins Spiegelbild umgesetzt.
438
Herbert Clauss
bergmännischer Szenen beschließt, in der Arbeitstracht des Hüttenmannes m1*
vorgebundener Schürze hält sich der Bartenzeichner an die tatsächlichen Vef'
hältnisse, und in der Auszier der ovalen Medaillons mit blühenden Kristallen afl
Stelle himmlischer Wolkenvorhänge deutet er gleichfalls auf den engen reale*1
Zusammenhang hüttenmännischer und bergmännischer Arbeit hin. Diese Säkular*'
sation oder Zurückeroberung geistlicher Besitztümer in den weltlichen Bereich,
dem sie ursprünglich angehörten, ist dem Willen des Bartenzeichners in gleichen1
Maße zuzuschreiben wie dem des Konsumenten dieser Erzeugnisse, dem Bergman11
als Bartenträger.
Dieser Grundhaltung des Produzenten und Konsumenten entspricht auch die
Unbefangenheit, mit der der gleiche Bartenzeichner über allegorische Requisite*1
zu rein dekorativen Zwecken außerhalb der allegorischen Sphäre verfügt. Wie
bereits oben bei der Verwendung des vierlappigen Wolkenvorhangs als Auszier
(s. S. 427) erkannten, stammt dieser aus einem Bartenbildchen einer Röhrenbafte
aus dem Jahre 1718, auf dem er einen Pferdegöpel, eine Kaue und einen zugehörig^
Bergmann überwölbt, der mit der Rechten nach oben weist. Diese Szene, losgelöst
aus einem vermuteten ursprünglichen Zusammenhang, konnte zunächst ni°^
gedeutet werden. Sie findet erst durch einen Vergleich mit dem zugehörigen Vorb11
unter den Kupferstichen in JOH. GOTTFRIED HOFFMANNS Evangelischer Ausbe'lie
ihre Erklärung (Zeichnung 21 und zum Vergleich Zeichnung 8). Als letzte &ct
sechs „Ausbeutmünzen“ zur 10. Perikope gehörig, erweist sich dieser Stich wenigei
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
439
durch das nebenstehende Pendant mit einem Bergmann, der am Haspelseil einfahren
V/bl, als vielmehr durch die beiden Reimverse als christliche Bergmannsallegorie:
„Das Berg-Seil führt mich ein und auß (linker Kupferstich)
Dort ist ein ewig Außbeut-Hauß“ (rechter Kupferstich).
Hinter dem beliebten Volkskunstmotiv einer Stadtmauer mit drei Tortürmen,
auf unserer Zeichnung inmitten eines wolkenreichen Himmels von göttlicher
^nadensonne überstrahlt, verbirgt sich das himmlische Jerusalem, das auch in der
erZgebirgischen Weihnachtskunst häufig die Bekrönung der Weihnachtsberge
bildet64). Diesen inneren Zusammenhang der Vorlage löst unser Bartenzeichner in
Zeichnung 2ia
ähnlicher Weise wie bei der Darstellung des Schmelzvorganges. Er läßt das zu-
gehörige linke Bildchen der Vorlage, das nur in losem Zusammenhang mit dem
ejgentlichen Thema des göttlichen Ausbeuthauses steht, ebenso wie die allegori-
Slerenden Sprüche weg und benutzt den Wolkenvorhang — wie oben gezeigt wurde
(S.427) — als willkommenes Dekorationsmittel in völlig freier Weise. Ähnlich frei
Verfügt der Zeichner der Bilder auf dem Steigerhäckchen von 1700 über die Vorlage,
Venn sie den Absichten seiner Auftragsgeber widerspricht. Es handelt sich dabei
^ den gleichen Zeichner, der sich bei der Wiedergabe des allegorisch ausgewerteten
reibeprozesses sehr eng an das Vorbild gehalten hatte65). Den beiden Bildern eines
^ laspelknechtes bei seiner schweren Arbeit mit der Bilderklärung: Herr hilf mir von
hem tiefen Schacht (Zeichnung 22) und eines Scheidejungen mit dem Spruch:
»Die Edel Ertz erkennen wollen“ (Zeichnung 23)66) liegt je ein Kupferstich mit
Sicher Erklärung aus der 22. und 62. Perikope des HOFFMANNschen Werkes
^ Vgl. Adolf Spamer: Deutsche Volkskunst: Sachsen. 2. Auflage. Weimar (1956),
88ff.
Steigerhäckchen Nr. 21. Vgl. Anm. 35 u. 36 und Zeichnung 4, 5 und 16.
) Steigerhäckchen Nr. 21, Feld 4, links und rechts, 1700, Bergbaumuseum Freiberg.
440
Herbert Clauss
zugrunde. Der linke Kupferstich auf Zeichnung 24 mit einem Fördermann hinter
läßt den Wunsch: „Herr hilff mir von dem tieffen Schacht“ (rechts) voll verständlich
erscheinen. Die Klage eines Bergmannes auf einem Berghäckchen zu verewigen»
höhergestellten Bergoffizianten sein. So wurde kurzerhand vom Häckchenzeichner
dieses Motiv ausgelassen und durch das des Scheidejungen ersetzt, zu dem das Vor-
bild sich auf der 62. Perikope des HOFFMANNschen Werkes befindet (Zeichnung 25)-
Auf diese Weise stehen zwei Bilder, losgelöst aus dem ursprünglichen Zusammen'
hang der Vorlagen, in völlig neuer Anordnung auf dem 4. Feld des Steigerhäckchens
einander gegenüber. Des gern verwendeten Gestaltungsmittels symmetrische1'
Anordnung mehrerer Figuren bedient sich der Häckchenzeichner dabei in def
Weise, daß er mit Rücksicht auf seinen Auftraggeber — einen Steiger oder Berg'
offizianten — dem Haspelknecht und Scheidejungen noch den Bergoffizianten und
Jungensteiger zuordnet.
Diese stilkritische Untersuchung erhellt das Verhältnis des Barten- und Häckchen'
Zeichners zu seinem Vorbild. Es ist nicht auf eine eindeutige Formel zu bringet
sondern ist mehrdeutig. Sicher ist, daß in den Bartenzeichnungen häufig nicht frc)C
Schöpfungen Freiberger oder erzgebirgischer Elfenbeinschnitzer und -graveure»
voll beladener Bergtruhe und dem Spruche: „Der Hund das Leben sauer macht4
konnte aber keineswegs im Sinne des Auftraggebers, des Steigers oder eines noch
Zeichnung 22
Zeichnung 23
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
441
Kackchenzeichner und gestaltet sie mehr oder weniger um. In der sachlichen Durch-
dringung der Vorbilder, in der Erkenntnis und Anwendung allgemein volks-
künstlerischer Gestaltungsprinzipien und in der Umsetzung der Vorlage auf ein
anderes Bildformat und Material liegt die positive Leistung des Barten- und Häck-
cnenzeichners. Wie er dabei mit seiner Vorlage verfährt, hängt nicht allein von
technischen Fähigkeiten und seiner persönlichen Einstellung ab, sondern wird in
Zahlreichen Fällen vom bergmännischen Auftraggeber wesentlich mit bestimmt.
Mit dieser Erkenntnis wird auch die Bedeutung der Frage nach der Person des
volkskünstlerisch gestaltenden Barten- und Häckchenzeichners in das rechte Licht
Serückt. Nur wenige von ihnen kennen
mit Namen. Es sind dies die Frei-
berger Goldschmiede und Meister in
der Silbertreibe- und Emaillierkunst
■^avid Winkler (1617 — 1685) und Samuel
Klemm (1644 — 1678), die 1629 und
1 ^75 — 1677 sogenannte Prunkbarten für
die Kurfürsten Johann Georg I und II.
Verstellten67). Schon bei der kostbaren
Keinitzschen Barte aus dem Jahre 1784
S1nd wir auf bloße Vermutungen, ein un-
bekannter Freiberger Goldschmied müsse
der Verfertiger sein, angewiesen68). Sicher-
heit haben die kostbaren Prunkbarten
aüch die Arbeit der übrigen Barten-
Zeichnung 25
67) Konrad Knebel: Die Freiberger Goldschmiede in geschichtlicher Folge von 1361 bis
^Ur Aufhebung ihrer Innung. MFA, Heft 31, S. 5of., 55, 60.
68) Konrad Knebel: Leihgaben für das Altertumsmuseum aus dem Königl. Bergamte.
MFA, Heft 44, S. 129f.
442
Herbert Clauss
künstler angeregt und befruchtet. Deren Namen jedoch kennen wir nicht. W
haben sie wohl kaum unter erzgebirgischen Schnitzern und Bastlern zu suchen,
wie BORCHERS annimmt69), sondern vielmehr in den Kreisen tüchtiger Handwerks-
meister und Gesellen. Nur in seltenen Fällen wird, wie einfachste Kritzelzeichnungen
auf Holzbarten aus dem Jahre 1734 (Zeichnung 26) und gelegentlich auf Bein-
einlagen und Röhrenknochen vermuten lassen, der Bergmann selbst sein Paradestück
verziert haben. Als Auftraggeber und Käufer vorliegender Barten und Häckchen bat
er j edoch zumeist die Barten- und Häckchen-
kunst wesentlich beeinflußt, so daß diese
auch dann, wenn sie nicht aus der Hand des
Bergmanns unmittelbar hervorgegangen
ist, dennoch ein wertvolles Spiegelbild
bergmännischer Welt mit ihren vielfältigen
Lebensbezügen darstellt.
Bergmännische Arbeit unter glück-
verheißenden Zeichen und Sprüchen
Welche Vorrangstellung bei der Frage
„Produzent und Konsument angewandter
Volkskunst“ dem Verbraucher zuzu-
messen ist, wird besonders bei Gebrauchs-
gegenständen jeder Art mit symbolischen
Zeichen und Sprüchen deutlich. So wichtig
es in Einzelfällen auch sein mag, Hersteller
und Produktionsverhältnisse zu kennen,
bedeutungsvoller erscheint uns bei unserer
Untersuchung bergmännischer Arbeits-
vorgänge in volkskünstlerischer Darstel-
lung die Tatsache, daß der Bergmannsstand
ebenso wie die übrigen Berufsstände zuweilen sein Gezähe zur Abwehr widriger
Einflüsse und zur Segensbeschwörung mit besonderen Zeichen versah oder ver-
sehen ließ, daß er seine Arbeit, die wie kaum ein zweiter Arbeitszweig von Gefahr
und Glück umwittert und auf Ploffnung gegründet ist, unter Glückszeichen und
Segenssprüche stellte und damit — durch die Führungsschicht teilweise gefördert —
zum Träger und Erhalter alten Brauchtums und Volksglaubens Wurde. Wieweit der-
artige Glaubensvorstellungen Allgemeingut des gesamten Bergmannsstandes
waren, das zu prüfen, bleibt einer Gesamtuntersuchung bergmännischer Glaubens-
weit Vorbehalten. Eine solche Arbeit wird auch der Frage im einzelnen nachzugehen
haben, ob die Schutz- und Heilszeichen im 17. und 18. Jahrhundert noch tatsächlich
geglaubt wurden, ob sie nur noch ornamentale Funktion hatten oder ob und in
welcher Weise sie innerhalb dieses abgegrenzten Bereiches bald nach der einen,
bald nach der anderen Seite hin tendierten. Die vorliegende Untersuchung wih
69) Borchers: Über Bergbarten. MFA, Heft 47, S. 24.
Bergmännische Arbeitsvorgänge in volkskünstlerischer Gestaltung
443
lediglich an Hand einer Anzahl von Quellenbelegen aus dem 17. und 18. Jahrhundert
e*ne Seite des vielschichtigen Komplexes anstrahlen.
Eines der Walenbücher mit geheimnisvollen Beschreibungen ergiebiger Fund-
stätten rät dem Bergmann, der nach Gold- und Silbererzen sucht, „etliche Charak-
tetes ... auf das Gezeug, damit er arbeitet, zu schreiben und also in der Furcht
Gottes zu arbeiten“70). Auch JOHANNES JOACHIM BECHER, der in seiner Närrischen
Weißheit und Weisen Narrheit aus dem Jahre 1706 ganz im Sinne der Aufklärung
Tlchimisterei und Wünschelrutengehen bekämpft, „wil die heimliche Kraft etlicher
Charakteren, Worte und Talismanen doch nicht verwerffen“71).
Es ist somit nicht verwunderlich, wenn hier und da auch der Bergmann sich be-
stimmter Zeichen bedient, um den Verlauf seiner Arbeit günstig zu beeinflussen.
^Et Vorliebe verwandte er zur Abwehr von Gefahren das Kreuz, im Volksglauben
und in der Volkskunst eines der ältesten Schutzzeichen. Ihm verlieh er typisch
bergmännische Tönung, indem er seine urtümlichen und wichtigsten Gezähstücke
Schlägel und Eisen dazu benutzte. Wir verzichten in diesem Zusammenhang auf den
Nachweis erstmaligen Auftauchens von gekreuztem Schlägel und Eisen und auf die
Darstellung des Funktionswandels, den dieses bergmännische Symbol im Laufe der
Jahrhunderte durchgemacht hat. Schlagiichtartig nur lassen wir seine Verwendung
tttit einer Anzahl sprechender Beispiele aufleuchten. Daß es auf Steigerhäckchen
und Barten regelmäßig zu finden ist und hier bisweilen durch gekreuzte Barten
Selbst ergänzt wird72), ist ebenso verständlich wie sein Platz am Schild und Lampen-
rande der Froschlampe, dem lebensnotwendigsten bergmännischen Gezäh. Schlicht
ünd einfach hat ein unbekannter Freiberger Kupferschmied das gekreuzte Schlägel
und Eisen auf dem Schild einer Froschlampe unter der Jahreszahl 1593 angebracht
Tafel XXIV, a (Tafel XXIII, a). In barocker Fülle tritt es uns im Jahre 1657
aü gleicher Stelle entgegen. Dreifiedrige Lebensruten sprießen dabei zusätzlich
rechts und links aus den Ecken hervor und unterstreichen und verstärken — so
Wird der Besitzer des Geleuchts geglaubt haben — die Funktion des Schutzzeichens
(Tafel XXIV, b)73).
Was hier lediglich angedeutet ist, hat der Bergmann Casparus Heberle auf dem
Schild seiner Froschlampe aus dem Jahre 1680 um ein Vielfaches vermehrt (Tafel
XXIII, b). Über die gekreuzten Schlägel und Eisen legte er den Holm eines dritten
70) Eduard Heydenreich: Geschichte und Poesie des Freiberger Berg- und Hütten-
wesens. Freiberg 1892, S. 141.
71) D. Joh. Joachim Becher: „Närrische Weißheit und Weise Narrheit“. 1706,
172 — 174.
72) So z. B. auf einer reich verzierten Röhrenbarte ohne Jahresangabe im Museum für
bergmännische Volkskunst in Schneeberg im Erzgebirge.
73) In ähnlicher Weise zieren gekreuzte Schlägel und Eisen oder gekreuzte Barten
Eolm und Fußplatte von Barten und Steigerhäckchen, so z. B. auf einer Barte aus dem
Jahre 1715 im Bergbaumuseum Freiberg oder auf einer reich geschmückten Barte im Museum
Air bergmännische Volkskunst in Schneeberg i. Erzgeb. Vgl. zum folgenden Fr. Brendel,
a,a. 0„ S. 140fr. Die angeführten Froschlampen befinden sich im Bergbaumuseum Frei-
berg.
444
Herbert Clauss
Gezähes, wahrscheinlich eines Krähls74) oder Stecheisens, so wie wir es in ver-
schiedenen Wappenschildern meist von Zinnbergorten finden75). Damit verwandelt
er das alte Schutzzeichen zum Glück verheißenden Sechsstern. Seine Absicht deutet
er auch mit den beiden weiteren kleinen Sechssternen rechts und links von Schlägel
und Eisen an. Zwei Lebensbäume mit je drei Früchten — Eicheln oder Granatäpfel
als Symbole üppiger Fruchtbarkeit — neigen sich aus der oberen linken und rechten
Ecke auf Schlägel und Eisen herab, und das Schutzzeichen eines Rhombus bekrönt das
gekreuzte Gezäh. Diese reiche Auszier voller Sinngehalt, einer latenten Glaubens-
weit zugehörig, soll, das ist der Wunsch des Bergmanns Casparus Heberle, ihn
schützen und seine schwere und gefahrvolle Arbeit zu einem glücklichen und er-
folgreichen Ende bringen. „Mit Frid und Freit far ich ein“ versichert er mit einem
Schriftsatz auf dem äußeren Lampenrand. „Ter lipe Gott wirt stets bei uns sein“,
fügt er hoffend hinzu.
Anschaulich und einzigartig in Schlichtheit der Darstellung spiegelt eine primitive
Ritzzeichnung am äußeren Rand einer Froschlampe aus dem Jahre 1688 die gleiche
Gesinnung und denselben Wunsch eines erzgebirgischen Bergmanns nach Schutz
in gefahrvoller Tiefe und nach Erfolg seiner schweren Bergmannsarbeit wider
(Tafel XXIII, c). Unter gekreuztem Schlägel und Eisen, aus deren seitlichen
und oberen Winkeln je ein Dreisproß glückverheißend hervordringt, arbeiten zwei
Bergleute: der eine haut mit Schlägel und Eisen eine Strosse los — der andere
zerschlägt mit dem zweihändigen Ritzfäustel einen großen Gesteinsbrocken, um
das anhaftende Erz zu lösen. Bergmännisches Hoffen und Wünschen bedient sich
hierbei außerchristlicher Schutzzeichen und drückt sich mit einfachsten volks-
künstlerischen Mitteln anschaulich aus. Selbst wenn die christliche Glaubenswelt
in Spruch und Bild das Feld beherrscht, hält die reale bergmännische Arbeit, ab-
hängig von Glück und Zufall, die Erinnerung an Vorstellungen wach, die tief im
Volksglauben wurzeln. So entspricht das Verspaar auf dem äußeren Rande einer
Froschlampe aus dem Jahre 1677,
„Einen Bergmann dem Gott liebt und ehrett
Dem ist Gelick von Gott Peij scherrt (beschert)“,
den bildlichen Darstellungen auf zwei ovalen Medaillons links und rechts der
Lampenschnauze: links kniet ein betender Bergmann vor einem Altar, eine Dar-
stellung, die sich mit dem betenden Bergmann vorm Kruzifix auf dem zugehörigen
Leichtstein wiederholt; rechts arbeitet ein Schlägelgeselle in gleicher Haltung mit
Schlägel und Eisen vor Ort, hinter dem sich mächtig und festgebaut die Kirche
erhebt. „Ich trau“ — „ich pau“ verkünden die Spruchbänder über beiden Berg-
leuten. Als Ergänzung zum obigen Spruch, einer Rückversicherung nahekommend,
hat der Besitzer der reich verzierten Paradelampe noch einen zweiten Spruch ein-
ätzen lassen: „Auf Gott unnd Gut Gelick huf ich all Augenblick.“
74) Krahl, Krähl, Krall, auch Krail m. ist eine Art Rechen mit stumpfen, mehrere Zoll
langen Zinken, um gewonnene Mineralmassen (Haufwerk) vorläufig zu sortieren und in
flache Fördergefäße einzufüllen. Veith: Deutsches Bergwörterbuch. Breslau 1871, S. 29O-
75) Diese drei Gezähstücke zeigt z. B. das Schlaggenwalder Wappen aus dem Jahre 159^’
■HHI
mJm
4. Zusammenfassung
Der Bergmann und der in seinem Auftrag arbeitende Handwerksmeister schufen
ln ihren Arbeiten keine einmaligen und individuell geprägten Kunstwerke, sondern
lediglich Gebrauchsgegenstände: mit seinem Buckelbergwerk bestritt er als Invalid
seinen Lebensunterhalt: mit bestimmten sinnhaften Zeichen an Barten und Gezäh
Ersuchte er seine Arbeit günstig zu beeinflussen: vielfältig verziert dienten diese
Geräte — dadurch in ihrer Funktion erhöht — zur Repräsentation und Dokumen-
tation berufsständischer Zugehörigkeit.
Wenn auch soziale Not und rein rationale Erwägungen, die auf Verdienst und
Gewinn ausgerichtet waren, das Verhalten des Berginvaliden entscheidend be-
stimmten, so lagen ihm gleichfalls starke innere Bindungen an seinen einstigen
beruf zugrunde. Trotz Unglück und Invalidität war er ihm noch verpflichtet. Mit
bergmännischer Tracht, die er bei seinen Wanderfahrten stets trug, bekundete er
auch rein äußerlich die innere Berufsverbundenheit. Erst als an seine Stelle Berufs-
fremde traten und als gar das „Bergwerk“ durch ein anderes Modell — etwa das
einer Mühle — ersetzt wurde, zerfielen diese Bindungen.
Der Berufsverbundenheit entspricht bergmännisches Standesbewußtsein, das in
den reich verzierten Barten und Steigerhäckchen eine wirksame Stütze und einen
bedeutsamen Ausdruck findet und besonders zu Zeiten abnehmender Rentabilität
durch die Führungsschicht gefördert wurde.
Selbst noch in tiefere seelische Bereiche leuchten die volkskünstlerischen Ge-
staltungen bergmännischer Arbeitsvorgänge. Sie zeigen, unbestimmt und unscharf
^War in den Konturen, die enge Verflechtung kirchlicher und „abergläubischer“
Vorstellungen. Dabei spielen Lenkung und Leitung des Bergmanns durch die Ober-
schicht gerade in diesem Bezirk eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Die enge Bindung dieser Volkskunst an die bergmännische Arbeitswelt und deren
brauchtum hat mit dem endgültigen Niedergang des erzgebirgischen Bergbaues im
ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert und mit dem damit zusammenhängenden
^urücktreten repräsentativer Bergaufzüge auch das Schicksal von Froschlampe,
bergbarte und Steigerhäckchen als Paradestücke und Rechts Symbole bestimmt.
Die Froschlampe wurde schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die
^eckmäßigere Blende, ein hölzernes Gehäuse mit Kerze oder Rüböllämpchen,
uod im 20. Jahrhundert durch Karbid-, Azetylen- und elektrische Lampe verdrängt,
barte und Steigerhäckchen erlebten ihre Blüte im 17. und 18. Jahrhundert, in einer
^eit barocker Schmuckfreudigkeit. Doch bereits im beginnenden 18. Jahrhundert
^ar die Barte in ihrer ursprünglichen Gestaltung mit festem Eisenblatt und erst
recht die reich verzierte Ausführung aus wirtschaftlichen Gründen nur noch bei
Verhältnismäßig wenigen Bergleuten zu finden. Zum Saturnusfest im Jahre 1719,
bem großen bergmännischen Aufzug im Plauenschen Grunde bei Dresden, wurde
s^e in zahlreichen Fällen durch eine billige Attrappe ersetzt. Ihr widerfuhr damit
dasselbe, was der Froschlampe noch nachträglich 200 Jahre später beim Bergaufzug
750-Jahrfeier Freibergs im Jahre 1938 gleichfalls beschieden war. Seit dem aus-
übenden 19. Jahrhundert sind ursprüngliche und verzierte Froschlampen, Berg-
446
Herbert Clauss
barten und Steigerhäckchen — ihrer ehemaligen Funktion beraubt — nur noch
Sammlergegenstände und finden sich vereinzelt in Privatbesitz, zum größten Teil
aber in Museen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, bergmännisches Kulturerbe
zu erhalten und zu pflegen.
Die plastisch-räumlichen Darstellungen bergmännischer Arbeitsvorgänge jedoch,
wie sie uns seit dem 18. Jahrhundert in den Buckelbergwerken, Geduldsflaschen
und ähnlichen Gestaltungen entgegentreten, haben sich in der erzgebirgischen
Volkskunst bis auf den heutigen Tag in immer neuen Ausformungen lebendig
erhalten. Sie bilden noch heute in den zahlreichen kleinen „Bergein“, in den größeren
Weihnachts- und Heimatbergen und Pyramiden des Erzgebirges häufig den Haupt'
inhalt oder doch zumeist das Fundament, auf dem der übrige Bau eines solchen
Berges errichtet wird. Sie sind zum Quellbereich einer Volkskunst geworden, der
noch heute die Menschen des Erzgebirges tief innerlich verbunden sind und die
sich während der Advents- und Weihnachtszeit besonders reich und innig entfaltet.
Lajos Vargyas — Budapest
Das Musikleben im ungarischen Dorf
und die Methoden seiner Erforschung
öie Erforschung der Volksmusik erfolgt auf zwei Wegen: durch diachronische
ünd synchronische Untersuchung. Die erste unterwirft die musikalischen Er-
scheinungen einer bestimmten Kultur der vergleichenden Forschung, um ihre
§eschichtliche Entwicklung aufzuhellen. Die zweite untersucht die Volksmusik im
^hnzheitszusammenhang des gegenwärtigen Lebens. Diese verschiedene Ziel-
setzung der Methode wirkt sich auf die Sammlung der Volksmusik aus. Für die dia-
chronische Betrachtung, die eine Typologisierung, den Vergleich mit dem Material
^et Musikgeschichte und dem der Nachbarvölker durchführt, ist die Kenntnis der
gesamten Volksmusik eines Sprachgebietes nur in großen Zügen nötig. Die syn-
chronische Betrachtungsweise erfordert dagegen eine detaillierte Kenntnis eines
^egrenzten Gebietes, nach Möglichkeit einer einzelnen Gemeinde. Ihr Ziel ist es,
eine Phase der geschichtlichen Entwicklung zu erforschen und die das Volksmusik-
^eben bestimmenden Faktoren zu erkennen. Die historische Forschung sucht Ant-
worten auf die Fragen: was geschah in der Volksmusik im Laufe der Zeiten, welche
Einflüsse der Kunstmusik sind zu verzeichnen, wieviel Stilschichten können unter-
Schieden werden und woher stammen sie, wie abwechslungsreich ist die Flora, die
s|ch um einen Melodiestock, einen Melodietypus gruppiert usw. Die Frage, wie
Slch die Entwicklung vollzog und welche Kräfte dabei wirksam waren, kann nur
btirch eine sich auf das ganze Volksleben richtende synchronische Untersuchung
beantwortet werden. Ohne ihre Beantwortung muß unser Wissen von der Volks-
musik unvollständig bleiben.
Nachdem die geschichtliche Erforschung der ungarischen Volksmusik schon
einige zusammenfassende Ergebnisse aufweisen kann1), wurde es notwendig, mit
eitier differenzierteren Fragestellung die synchronische Untersuchung des Materials
beginnen, d. h. monographische Studien einzelner Dörfer durchzuführen. Die
^robleme dieser Forschung wurden 1937 von KODÄLY behandelt2).
l) Ihre Zusammenfassung siehe Z. Kodäly: A magyar nepzene. Budapest 1937.
2‘ fl. 1943. (Auch in Magyarsag Neprajza Bd. IV.: A zene). 3. Aufl. mit Melodiesammlung
Vl L. Vargyas 1952. Deutsche Ausgabe: „Die ungarische Volksmusik.“ Budapest 1936.
. ) Im Vorwort der ersten Ausgabe des obigen Werkes. Dieses Vorwort fehlt in „Magyarsag
^Ptajza“. Einige Punkte dieser Problematik erscheinen aber schon in seiner 1924 er-
Schienenen Sammlung: „Nagyszalontai gyüjtes.“
448
Lajos Vargyas
Bald erschienen auch die ersten einschlägigen Arbeiten: Das Musikleben des
Dorfes Äj von LAJOS Vargyas, Budapest 1941, und Die weltliche Musik der Ungarn
von Kide von PAUL JÄRDÄNYI, Kolozsvär 1943.
Die Grundlage solcher Studien bildet die Sammlung des gesamten Liedbestandes
einzelner Ortschaften, ohne Rücksicht auf Herkunft und Wert der Melodien. D&
Sammler will wissen, was an Volksliedern, Kunstliedern, Schlagern, SchulliedeU1
usw. im Dorfe lebendig ist, wie tief ein jedes von ihnen im Musikleben des Dorfes
eingewurzelt ist, wieviel Personen sie kennen, wann sie gesungen werden usW
Außer dieser Sammelarbeit muß er jeder Erscheinung des dörflichen Musiklebens
im einzelnen nachgehen, die instinktiven, unwillkürlichen Äußerungen der Leute
beobachten, um ihren musikalischen Geschmack, ihr Bewußtsein zu erforschen-
Auf diese Weise wird er so wichtige Phänomene wie den Vorgang der Variierung
erkennen können, aus denen sich Leben und Bedeutung des Liedes und der Musik
in der dörflichen Gesellschaft ablesen läßt.
Die zwei genannten Werke versuchten, die obigen Aufgaben an zwei weit aus-
einander liegenden Punkten des ungarischen Sprachgebietes durchzuführen. De1
eine ist ein 400 Seelen zählendes Dorf am nördlichen Rand des Sprachgebietes,
das zwischen 1918 und 1939 und seit 1945 zur Tschechoslowakei gehört. Dieses
Leben zwischen zwei Staaten und die Tatsache, daß ein Großteil der Ein wohne1
eine Lebensperiode in Amerika verbrachte, beeinflußte in vieler Hinsicht die gesell'
schaftliche Entwicklung des Dorfes. Dazu kommt die Wirkung der umgebendet1
Nationalitäten. Äj liegt am Rande der ungarischen Tiefebene, im Norden begrenz1
von den Bergen des slowakischen Sprachgebietes, in denen sich auch deutsche
Bergstädtchen befinden. So konnten auch kulturelle Berührungen der National1'
täten beobachtet werden. In Äj haben sich starke Zivilisationseinflüsse mit noch
lebensfrischen Erscheinungen der Volkskultur gemischt. So waren z. B. die Trachte11
schon vollständig verschwunden: Städtische Mäntel, sogar Ledermäntel waren zu
sehen; gleichzeitig aber hätten sich die Mädchen geschämt, Handschuhe anzuziehen-
Einerseits hatten die Bauern die Sämaschine im Gebrauch, daneben sah ich aber ofl
auch die Handmühle zum Maisschroten. Achtklassige Schulbildung, Welterfahren'
heit und Zivilisationsentwicklung taten dem Aberglauben keinen Abbruch.
Die andere Ortschaft (Kide) liegt in Siebenbürgen und gehört seit 1945 (wie auch
schon von 1918 — 1939) zu Rumänien. Sie zeigt einen stärkeren Einfluß von Zivil1'
sation und städtischem Wesen als Äj. Die Bewohner leben vorwiegend vom Gartet1'
bau, dessen Erzeugnisse auf Märkten feilgeboten werden. Die Wohlhabenden, dlß
mit der Stadt in reger Verbindung stehen, pflegten zur Zeit der Sammlung
Volksüberlieferungen im allgemeinen nicht mehr.
Nach dem Vorbild dieser beiden Studien3) wurden weitere Forschungen in An
griff genommen. So sammelt Attila Peczely seit Jahren das Liedmaterial einer
großen Agrarstadt in der Ebene. In einem kleinen Dorfe Transdanubiens (Kisk°
3) Wir müssen bemerken, daß beide mit nur einigen, den Text illustrierenden Melod,e
beispielen erschienen sind; die vollständigen Sammlungen sind bis heute nicht hetauS
gegeben worden. — Noch vor den genannten Arbeiten erschien Georg KereN"^1s
Das Musikleben im ungarischen Dorf
449
märom) hat er die gleiche Arbeit durchgeführt. Diese beiden Unternehmen gingen
aUerdings über das Zusammentragen des Liedmaterials nicht hinaus, doch würden
Sle die bisher erschienenen gut ergänzen. Kürzlich hat IstvÄN Halmos die Sammel-
arbeit für eine Monographie über das kleine ostungarische Dorf Kersemjen beendet.
Knter den Ungarn Rumäniens führen die Mitarbeiter der Klausenburger Abteilung
des Folklore-Instituts ähnliche Forschungen durch, und zwar ebenfalls nach dem
v°n JÄRDÄNYI und VARGYAS gegebenen Beispiel. So wurde die Sammlung in
Kalotaszeg, im Dorfe Körösfo, schon zu Ende geführt. Ihre Auswertung steht
v°t dem Abschluß. In Trunk, einem Csängö-Dorfe an der Moldau ist die
Sammlung noch in vollem Gange.
Diese monographischen Studien, die einzelnen Dörfern mit unterschiedlichen
Kulturstufen aus den verschiedensten Gebieten gewidmet sind, werden neben der
Prüfung allgemeiner volkskundlicher Fragen einen tieferen Einblick in den Ent-
wicklungsstand der Volksmusikkultur des ungarischen Sprachgebiets gewähren als
die große ungarische Volksliedsammlung, die aus den einzelnen Ortschaften nur ein
kleines Auswahlmaterial, nicht aber den gesamten Liedschatz enthält. Richtete sich
doch die Aufmerksamkeit der Sammler in erster Linie auf die Probleme des un-
garischen Gesamtmaterials. Ihr Ziel war das Aufsuchen seltener, wertvoller,
anderswo nicht bekannter Lieder, nicht aber die Feststellung der Dichte überall
etklingender, auch minderwertiger Stücke, noch weniger die Feststellung des Ver-
hältnisses von Kunstmusikeinfluß und Volksmusik an einem geographischen
Punkte. Die Dorfmonographien zeigen den Stand der Entwicklung und die
kulturellen Strömungen viel klarer. Natürlich ergänzen sich die Ergebnisse der
Korfmonographien und die der allgemeinen großen Volksliedsammlung, welche
*War weniger ins Detail geht, sich aber doch auf das ganze Sprachgebiet gleich-
mäßig erstreckt. Beide zusammen werden die Karte der ungarischen Volksmusik-
kultur zeichnen.
Die monographische Forschung erfordert lange Beobachtung. Der Sammler
muß längere Zeit mit den Menschen Zusammenleben, um Auskunft über ihr Leben
Und ihr Verhältnis zur Musik zu erhalten. Nur auf diese Weise kann er Antwort
auf die vielumstrittene volkskundliche Frage nach dem Wesen des Volks-
Schaffens und dessen Lebensbedingungen erwarten, über die bisher — in Ermange-
lung konkreter Untersuchungen — nur Vermutungen ausgesprochen wurden,
kune der wichtigsten ist die Frage des Variierungsprozesses, über den ich folgende
Beobachtungen machen konnte.
Die musikalischen Änderungen können auf zwei Ursachen zurückgeführt werden:
etstens auf das „Zer-singen“ im weitesten Sinne, zweitens auf die Veränderungs-
neigung des instinktmäßigen Geschmacks der Sänger. Die erste bringt mehr und
größere Änderungen hervor als die zweite, die sich auf einen wesentlich engeren
ftikel: Musikkultur in Kemse in einer soziographischen Arbeit: „Ein versunkenes
u°tf in Transdanubien“, 1926, jedoch ohne Berücksichtigung der oben für eine solche
ntersuchung genannten Zielsetzungen.
^ °lkskunde
450
Lajos Vargyas
Kreis beschränkt. Andererseits werden wir sehen, daß die Ursachen des Verfalls —
das nur beiläufige Merken, die nicht genaue Wiedergabe oder das Vergessen des
Gegebenen — der instinktmäßigen Variierung viele Möglichkeiten eröffnen. Be-
trachten wir das Wirken dieser beiden Ursachen an konkreten Beispielen:
Unzählige Male hatte ich Gelegenheit, von den Dörflern die Prahlerei zu hören:
„einmal gehört, schon gemerkt“. Dieser ständig wiederkehrende, fast stereotype
Satz enthält nicht nur eine Aussage über die Qualität des musikalischen Gedächt-
nisses, sondern wirft gleichzeitig ein bezeichnendes Licht auf die Lerngelegenheiten-
Wenn wir der Herkunft der Melodien nachspüren, hören wir oft die Antwort, daß
man sie auf Märkten, in der Schenke, auf dem Wege oder von durchreisenden Frem-
den gelernt habe, also bei Gelegenheiten, wo keine Zeit für die Nachfrage oder gründ-
liche Einübung blieb: einmal oder einige Male gehörte Melodien mußte man samt
Text behalten. Selbstverständlich kann solch ein Ergreifen niemals genau sein. Es
bleiben nur die großen Linien im Gedächtnis; die Ausfüllung des Details — oder
seine Neugestaltung — bleibt Sache des Übernehmenden. Es ist freilich möglich, daß
die „Verfallsform“ schon von vornherein besser ist als die des „Originals“, oder
aber sie wird später „besser“. Theoretisch wird doch der „Verfall“ als die Ursache
der Änderung angenommen: tatsächlich hat nur das beiläufige Merken die
Änderung herbeigeführt. Einmal hatte ich Gelegenheit, solch eine Variierung selbst
mitzuerleben. Ein Bursche, von dem ich die obige Prahlerei auch hörte, sagte nach
einem Liede seines Vaters, daß er es noch nie gehört habe. Ich war neugierig, wie ef
es „ergriffen“ hätte und ließ es ihn gleich nachsingen. Es war ihm wirklich gelungen*
den Aufbau des Liedes zu erfassen (was eigentlich nicht besonders schwer fiel, da es
aus einer Liedzeile bestand in AA5AöA Form), dazu die Richtung der Melodielinie*
die Kadenzen und den Text fast Wort für Wort. Abweichungen, unsicheres Singet
waren nur bei den „Ausfülltönen“ zu bemerken, aber auch deren Lösung war
nicht so schlecht, daß sie nicht hätte für eine Variante angesehen werden können-
Freilich gelingt das „Ergreifen“ nicht immer so gut. Einige Mädchen sangen mit
das folgende Lied vor, das sie während der Feldarbeit von einem Wachtposten gehört
hatten (Beispiel i). Wir kennen auch das hiesige „Original“ dieses allgemein be-
kannten Liedes, da die Mädchen es später von den im Dorfe stationierten Soldaten
lernten (siehe die Variante im Beispiel i). So eine zufällige, unbefriedigende Melodie-
linie fordert offenbar den Veränderungstrieb heraus, und wenn es keine Möglichkeit
zum nachträglichen Lernen der „Originalform“ gibt, wird sie auch nicht lange in
dieser Gestalt bestehen bleiben. Sie wird kleinere, geschickte Änderungen erfahren*
bis sie eine endgültigere Form annimmt, in der wir keine größeren Unterschiede
zur früheren entdecken wie in den folgenden beiden Lösungen (Beispiel 2).
Die eine finden wir zufällig und ungeschickt (sie tauchte wirklich zufälligerweise
in unserem Dorf auf), die andere gilt hier und anderswo als eine „ständige“ Fort11
unseres Liedes.
Um aber diese Änderungen richtig einschätzen zu können, müssen wir wissen»
daß der heutzutage in den ungarischen Dörfern herrschende „neue Stil“ aus syßa'
bischen Liedern in gebundenem Rhythmus besteht, welche in viel beständigere1
Form im allgemeinen Bewußtsein leben als die alten melismatischen, verzierten
Das Musikleben im ungarischen Dorf
451
parlando-rubato-Melodien. Von dem von Strophe zu Strophe wechselnden Vortrag
dieser letzteren gibt uns KODÄLYs bekannter Aufsatz4), in dem er das Phonogramm
einer kleinen vierzeiligen sechssilbigen parlando-rubato-Melodie mit 38 Strophen
111 genauer Notation wiedergibt, ein treffliches Bild. Außer dem ständigen Wechsel
des rubato-Rhythmus und der ständigen Neugruppierung der Ziernoten ändern sich
stellenweise auch die Haupttöne und das Ganze bietet mit seiner Variierung, die der
textlichen Aussage und den Gesetzen der musikalischen Abwechslung folgte, einen
kunstvollen Aufbau. Unser nächstes Beispiel zeigt die Varianten verschiedener Per-
sonen aus demselben Dorfe (Beispiel 3) und sogar noch die Varianten aus drei
Dörfern der engeren Umgebung (Beispiel 4).
Wie wir sehen, bleibt die Identität der Melodie auch noch zwischen sehr weiten
Aariantengrenzen bestehen.
Betrachten wir nun ein Volkslied von heute mit all seinen „gleichwertigen“,
Jnnerhalb derselben Altersklasse auftretenden Varianten (Beispiel 5).
Ihre Möglichkeiten sind schon viel beschränkter, aber sie bestehen ohne Zweifel,
k^enn der Sammler während der Aufzeichnung an Ort und Stelle diese Abweichun-
£en vernimmt und fragt: was nun das richtige sei, bekommt er in der Regel die
Antwort: „es ist ganz gleich“, oder „so ist es auch gut“. Die hier verzeichneten
Abweichungen (Var. 5 a 1, 2,6—8) treten auch im Vortrage desselben Sängers, sogar
lrti Gruppengesang der Jugend auf. Sie stören also gar nicht das „gemeinsame Bild“,
kas die Angehörigen einer Altersklasse, einer Spinnbande, von dem Lied haben.
(Sie haben einst dessen einmalige Form gelernt und sich im gemeinsamen Singen
arigeeignet, danach bildet sich das für sie wahre Bild des Liedes in ihrem Bewußt-
en, an dem sie meistens noch im hohen Alter gegenüber anderen Varianten fest-
kalten.) Besonders solche Varianten werden nicht als störend empfunden, die ge-
Wsse skalenartige Gänge durch Änderung einiger Töne zu pentatonischen Wen-
dungen umbilden, ohne dabei wesentliche Modifikationen herbeizuführen. Wir
treffen dieses Vorgehen so oft, daß wir beide Erscheinungsformen als gleichwertig
^nehmen müssen (Beispiel 6). Diese gleichwertigen Varianten erklingen gleich-
zeitig auch im gemeinsamen Gesang, wodurch die Sänger sich keineswegs gestört
kihlen, vielmehr hören sie es gern, wenn durch das Zusammentreffen der Stimmen
Konsonanzen entstehen. „Finden Sie es nicht schön, wenn viele auf vielerlei
Vw . . .
Weise singen?“ „Wissen Sie, Tante Fielen, es geht dann so schön, wenn viele singen,
uttd ein jeder es anders macht“ und ähnlich konnte ich ihre eigene Meinung hören
(stehe Beispiel 5). Mädchen singen besonders gern „schärfer“ — „so sehr nach oben“
"^as ein wichtiger Faktor beim Zustandekommen von Terzvarianten ist (Beispiel 7).
^Ur in diesen zufälligen, gelegentlichen Zusammenklängen, die natürlich nicht
bändig an den gleichen Stellen auftreten, meldet sich die Mehrstimmigkeit des
^garischen Volksliedes. In der Regel verschwindet sie auch bei den späteren
^tophen wieder, wenn eine schöne oder starke Stimme die Führung übernimmt
und der Gesang früher oder später zu voller Einheit zusammenschmilzt. Diese
. 4) jjKelemen Kömies balladaja“. Egy dallam 38 valtozatban (Die Ballade von Baumeister
Willens. 38 Varianten einer Melodie). Zenei Szemle 1926.
452
Lajos Vargyas
Beispiele aus der neueren, gebundenen Liedwelt werfen Licht auf Beobachtungen?
die Sammler über das gemeinsame Singen stark verzierter alter Melodien in einigen
Rückzugsgebieten machten. So berichtet z. B. SÄNDOR VERESS5), daß bei den
Moldauer Csangös auch die jungen Mädchen parlando-rubato-Melodien gemeinsam
singen, wobei sie die Verzierungen Note für Note wie aus einem Munde vortragen-
Das müssen wir freilich mit der Korrektur unserer obigen Beispiele hinnehmen:
die mit einzelnen Tönen auftretenden gelegentlichen Abweichungen stören den
allgemeinen einheitlichen Lauf der Melodie und die Sänger nicht, obwohl sie in
diesem Fall bedeutender sein und öfter Vorkommen können, da es sich um un-
gebundene, mehr improvisierte Melodien handelt; auch kann die Musikalität
einzelner guter Sänger führender in den Vordergrund treten, da im alten Stil wesent-
lich weniger Elemente bindend festgesetzt waren als im heutigen Volkslied. Dte
gleichzeitigen Varianten des alten Stils sind selbstverständlich noch wenigef
konsonant; sie sind vielmehr momentan auftauchende und an wesentlichen Punkten
wieder verschwindende heterophone Bildungen, welche die Sänger ebensowenig
alterieren wie jene, die in der Tanzmusik viel schärfer auftreten, Spieler und Höret
jedoch unberührt lassen.5a)
All diese mehrfach feststellbaren Freiheiten bedeuten keineswegs, daß das Lied
im Bewußtsein des Sängers keine festen Konturen besitzt und die ÄnderungS'
möglichkeiten unendlich sind. Im heutigen Stile konnten wir auch die Grenzen der
Wandelbarkeit feststellen. Als einer meiner Sänger das folgende Beispiel hörte,
rief er entrüstet aus: „Wer hat denn das umgetauft?“ (Beispiel 8). Es stellte sich
heraus, daß die „richtige“, d. h. die ihm bekannte Form des Liedes diejenige der
Variante war. Es ist schon nicht „ganz gleich“, wenn ein Hauptpfeiler der Melodie,
die Zeilenkadenz, nach der die Melodielinie hinstrebt, geändert wird: ihre Vef'
änderung ist einschneidender und bedeutet mehr als die verschiedenen, mehr oder
weniger starken Abweichungen auf dem Wege zu ihr.
Derartige „Einsprüche“ gegen Veränderungen kamen ebenso häufig vor, wie die
gegenteiligen „so ist es auch gut“. Es kann also festgestellt werden, daß die freie
Melodiegestaltung ihre Grenzen hat, daß ein bestimmtes Bild der Melodie im Be'
wußtsein der Sänger lebt, welches jedoch seine festen oder weniger festen Element
besitzt. Diese letzteren gestatten mehrere gleichwertige Lösungen, und so herrscht
auch in der Singpraxis der Jugend in engen Grenzen eine gewisse Freiheit. In deil
Liedern der Alten sind die Unterschiede dagegen weit größer; aber wenn Wesefls'
elemente des im Bewußtsein lebenden Liedbildes geändert werden, dann wird dflS
ebenfalls bemerkt und dagegen Einspruch erhoben. Wenn aber nach der Umgestal-
tung in den beiden Fassungen keine verwandten, leicht erkennbaren, charakte-
ristischen Wendungen Vorkommen und auch der Text nicht beibehalten wird,
so gilt die Variante als neues Lied.
Das wird am besten durch Fälle „eigener Kompositionen“ bewiesen. Ein übet'
durchschnittlich musikalischer Bursche, Gründer und Primas der Dorfmusik
5) SÄndor Veress: Nepzenei gyüjtes a moldvai csängök közt. Ethnographia 1931, *33'
(Volksmusikforschung unter den Csangö’s der Moldau.)
5a) SieheL. LajTha: Körispataki gyüjtes; Sammlung von Körispatak. Budapest 1955*
Das Musikleben im ungarischen Dorf
453
kapelle, spielte die folgende, wie er sagte, von ihm „fundierte“ Melodie vor (Bei-
spiel 9 a). Sie ist nichts anderes, als die Umbildung des folgenden, allgemein be-
kannten volkstümlichen Liedes (Beispiel 9 b). Der Bursche selbst wußte auch, daß
Sle aus letzterem hervorgegangen war: „das könnte auch als Csardas genommen
Werden“ dachte er, und spielte es in straffem Tanzrhythmus, und zwar so, daß er den
durch Wiederholungen hervorgehobenen zweiten Teil nach dem Schema AA5 auch
voranstellte. So entstand das „neue Lied“. Er hat kein neues Material dazugegeben,
hur Bestandteile umgetauscht und die Form nach bekannter Formel modifiziert.
der Primas sein Stück auch bei Tanzunterhaltungen ziemlich oft spielte, dürfen
Vdr annehmen, daß es in die Tradition aufgenommen wurde.
Die Tatsache, daß ein Lied nach einer gewissen, durchaus nicht beträchtlichen
Änderung als „neu“ gilt, beweist ebenfalls, daß im Bewußtsein der Sänger ein
bestimmtes Bild des Liedes lebt und die Idendität des Bildes von ziemlich eng
gezogenen Grenzen abhängig ist.
In den meisten Fällen aber bemerken die Sänger gar nicht, daß sie die Melodie
Verändert haben. Die „einmal gehörten“ Weisen werden, wenn sie in der Fremde
etlernt sind (und die „wahre“ Gestalt auch nicht festgestellt werden kann), mitsamt
ihren Veränderungen als die „echte Form“ weitergegeben. Ebenso verhält es sich
auch bei der Weitergabe von seiten der Alten, wobei die aus dem stockenden Ge-
dächtnis fließenden Änderungen ebenfalls nicht bewußt sind. Die Gedächtnis-
lücken werden mit Hilfe der innervierten, vererbten Stilwendungen ausgefüllt
h^w. mit analogen Wendungen aus stilgleichen bekannten Liedern. Jedenfalls ge-
lten im Laufe der Variierung die traditionellen Stilmerkmale in den Vordergrund,
hlöge hier ein Zersingefall als Beispiel dienen, bei dem wir die instinktive Gestal-
tüngsfähigkeit eines 16jährigen Mädchens beobachten können. Sie sang das Lied,
Vde Beispiel 10a zeigt. Sie wußte sehr wohl, daß dies nicht die richtige Form
V^ar, aber vergeblich suchte sie nach der ursprünglichen Weise, einem bekannten,
vielleicht volkstümlichen Kunstlied (Beispiel 10b). Später fand ich auch das Lied,
dessen Analogie in diesem Fall mitgespielt hatte (Beispiel 10c).
Oft handelt es sich nicht um eine unmittelbare Analogie, sondern um die all-
§emeine Analogie der Stilwendungen von Hunderten von Liedern, deren häufigstes
b-tgebnis eben die hier registrierte Änderung ist: aus Liedern mit do-Endung
Werden Lieder, welche auf sol enden (Umsingen von Dur nach Mixolydisch wie
auch oft von la nach mi und verwandten Modi, im allgemeinen wie in den mittel-
aÜerlichen Hypo-Modi). Da im Gedächtnis der Alten die allgemeinen Wendungen
^er Stiltradition sich fester halten als die Note für Note genaue Gestalt der einzelnen
Nieder, bietet ihre Traditionsübergabe ständige Möglichkeit zu mehr oder weniger
starker Neuformung.
Ähnliche Gelegenheit zum Eingriff in die einheitliche Form bietet die Adaptierung
^et Melodie zu neuen Texten (oft auch auf Strophen anderer Silbenzahl). In solchen
ällen wird es nötig, an gewissen Stellen in die Melodieführung einzugreifen. Ich
atte Gelegenheit, diesen Vorgang bei einer alten Frau, Kirchenvorsängerin mit
^lelen Wallfahrtsliedern und einer Unmenge von Flugblättern der verschiedensten
°lksgesänge, zu studieren. Sie sang auf dieselbe Melodie unendlich viele Texte,
454
Lajos Vargyas
oft von ganz anderem Bau. Wenn Text und Melodie nicht zusammenpaßten,
sang sie an den kritischen Stellen gewisse unklare Formeln, verwischte Linien-
Dieses Vorgehen, gepaart mit persönlicher Gewandtheit und mit Hilfe der Stil'
Überlieferung wird die Ursache vieler guter neuer Varianten sein. Wenn aber die
Neuformung der kritischen Stelle weniger gut gelingt, so feilen die Übernehmer
nach eigenem Geschmack weiter daran, oder die spätere Singpraxis ändert sie nach
und nach mit kleinen „ganz gleich“-Varianten, aber doch auf eine wirkungsvolle
Gestalt hin. In diesem Fall hat die erste Person in dem Prozeß nur die Rolle des
Auflösers der früheren Form inne.
Nach meinen Erfahrungen in Äj beschränkt sich die Art der Variierung, in welcher
der Geschmack als Ausgangspunkt dient, auf einen viel engeren Kreis, obwohl auch
sie häufig auftrat. Mehr oder weniger ausgebildeten Geschmack konnten wir bei
einer besonders musikalischen Sängerin in der Behandlung des „punktierten
Rhythmus“ der neueren Lieder feststellen.
Seine Anwendung folgt im allgemeinen der Quantität der Silben, das ist aber
keine streng bindende Regel; auch alternative Lösungen sind möglich oder aber
der Sänger setzt sich einfach darüber hinweg. Sänger mit entwickelterem Ge-
schmack strebten sichtlich nach Abwechslung, nach rhythmischen Wirkungen,
oft auf Kosten des Textes (Beispiel n). Die den Quantitätsverhältnissen ent-
sprechenden Formeln sind oben gezeigt. Individuelle Singtechnik kann ebenfalls
beteiligt sein. So sang eine Frau mit massiv klingender Altstimme langsam,
gut gebunden und mit ausgehaltenen Tönen, was die volle Stimme gut zur
Geltung brachte; sie wandte die Punktierung bei den gleichmäßig durchlaufenden
Vierteln nur an wirklich dazu herausfordernden Textstellen an, dann aber schart
rhythmisiert, was im langsamen Vortrag sich besonders gut ausnahm (Beispiel i a)-
Das sind nur Rhythmus-Varianten, die mehr als Eigenarten des Vortrags als der
Variantenbildung aufgefaßt werden können. Eine Änderung größeren Ausmaßes
bedeutet der Umtausch der oben erwähnten „gleichwertigen Melodiewendungen‘ •
Einige Sänger fühlen sich zu pentatonischen Lösungen besonders hingezogen, ohne
daß sie sich im geringsten des Unterschieds bewußt wären. Ein Mädchen, von dem
das obige Punktierungsbeispiel stammt, sang das folgende allgemein bekannte Lied
so (Beispiel 13). Wie wir sehen, wandte sie im Laufe der Strophenreihe und der
Wiederholungen immer mehr pentatonische Formeln an, so daß die im wesentlichen
siebenstufige, äolische Melodie in der letzten Strophe schon pentatonisches Gepräge
gewann. Dieses Mädchen pflegte im allgemeinen so zu singen.
Es kommt auch vor, daß diese Neigung bewußt wird. Eine alte Frau sang mir
einmal mit ihrer Schwiegertochter ein Lied vor, sie mit skalenmäßigem Schind’
die junge mit pentatonischem Sprung (Beispiel 14). Zu meiner großen Überraschung
sagte auf einmal die Alte: „Mir kommt es schöner vor, wie du singst!“ Worauf dlC
Junge mit Verwunderung fragte: „Singe ich denn nicht so, wie Sie?“ „Nein,
Ende gehst du nach oben, ich gehe jedoch nach unten.“ In der Frage der Jungeil
zeigt sich die allgemeine Auffassung: die beiden Fassungen sind gleichwertig. Die
meisten Sänger merken auch gar nicht, daß sie abweichend singen. Die Alte abei
gehörte zu jenen, die die ihnen zur Verfügung stehenden gebräuchlichen Formen
Das Musikleben im ungarischen Dorf
455
fticht bloß mechanisch handhaben, sondern sich mit ihnen in Verbindung fühlen,
dabei wählen und ändern. Solches Verhalten ist bezeichnenderweise mit entwickelter
Musikalität verbunden, welche sich auch sonst bemerkbar macht. Das oben er-
mähnte Mädchen z. B. rief einmal dem Zither spielenden Bruder zu, als dieser auf
Seinem diatonischen Instrument ein Lied unrichtig anfing: „Du hast nicht gut an-
§efangen, es muß eins höher!“ (Auf dieser Zither fehlen die chromatischen Halbtöne
uud deshalb müssen die in verschiedenen Modi stehenden Lieder — dorisch,
fUtxolydisch usw. — auf verschiedenen Stufen anfangen.)
Ein anderer Fall „persönlicher Handhabung des traditionell Gegebenen“ ist,
menn jemand seinem Geschmack oder sogar der augenblicklichen Laune in der
^ariierung freien Lauf läßt. So sagte eine temperamentvolle Frau — die beste
Sängerin in ihrer Altersklasse — über sich selbst: „Oh, auf wie vielerlei Art wußte ich
singen! Oh, wie man gegen mich los zog!“ Beide Teile dieser Äußerung sind
Gteressant und bezeichnend. Das auf vielerlei Art Wissen ist freilich mehr ein auf
Vlelerlei Art Wollen: „So sehr nach oben“ zu singen, immer höher strebende
Varianten zu suchen, die wohlbekannten Lieder durch immer neue Lösungen
Mteressant zu machen, dazu immer neue Texte zu wählen, mit einem Wort: immer
ändern. (Es muß allerdings bemerkt werden, daß auch ihre Variationen nicht
uber die Grenzen der „gleichwertigen Lösungen“ hinausgingen.)
Der andere Teil der Äußerung zeigt die Reaktion der Gemeinschaft: die Tendenz
*ur „Gemeinform“, welche gemeinschaftliches Singen erst ermöglicht. Ich selber
mar Zeuge, als man sie verbesserte, zum Schweigen brachte („es ist nicht so“, „du
mehst hier aus“ usw.) und ihre ständige Änderungslust tadelte. Hier meldet sich
das Gleichgewicht von Persönlichkeit und Gemeinschaft (wie auch das die Lehre
aus dem Musikleben des Dorfes sein wird). Dieses Gleichgewicht kommt schon
dadurch zustande, daß sich die „Persönlichkeiten“ voneinander unterscheiden und
vielen Dingen einander sogar entgegengesetzt sind. Außer dieser veränderungs-
sflchtigen Frau traf ich einen alten Mann, der sich an das in seiner Jugend gelernte
Volkslied ebenso genau erinnerte wie an die in Amerika gelernten Kunstlieder,
die er alle Ton für Ton gleichförmig vortrug, ja sogar auf ihrer „unveränderten“
E°rm bestand: „Ich weiß, daß andere dies anders singen, aber ich hörte es von
Ernö KirÄLY (die Schallplattenaufnahme eines ehemals berühmten Schlager-
sängers), und so halte ich mich daran.“
Eine solche Bewußtheit, gepaart mit entwickeltem musikalischem Gedächtnis,
schon eher die Wirkung der Zivilisation erkennen. Sie ist vor allem bei älteren
Männern, die lange Zeit in Amerika lebten, zu beobachten und nur ausnahmsweise
aüch bei jüngeren.
Hinsichtlich des Geschmacks waren ebenfalls große Verschiedenheiten vorhanden.
Ein Bursche z. B., der vielerorts an Belustigungen teilzunehmen pflegte, hatte in
^eMem Gedächtnis eine Menge Kunstlieder aufgespeichert und schätzte nur solche.
Es gab aber auch Mädchen — eine ganze Spinnstube (d. h. Altersklasse) —, die
riUr ein einziges „Hallgatö“ (sentimentales, volkstümliches Kunstlied) kannten,
a^ch dieses nicht gut. Sie wurden ausschließlich durch das Volkslied beeindruckt.
Einige verschlossenere Naturen unter ihnen, die aber sehr musikalisch waren,
456
Lajos Vargyas
unterschieden die Lieder nach ihrer Schönheit. Sie suchten das Schöne, während
oberflächlichere Naturen, die sich in den Vordergrund drängten, immer wieder nur
nach „Neuem“ verlangten. All dies spielt im Leben des Dorfes irgendwie eine Rolle»
hält sich aber auch gegenseitig in ständigem Gleichgewicht. Der allgemeine Durch-
schnitt reagiert auf alles nur in beschränktem Maße. Das Dorf bot mit der unver-
änderlichen Aufrechterhaltung des Gemeinstils, mit der Aufnahmebereitschaft für
ständig neue Impulse, ein Bild des gesunden Gleichgewichts zwischen Individuum
und Gemeinschaft.
Die Erfahrungen, die wir während unserer Forschungsarbeit auf dem Gebiete
der Variierung sammelten, können folgendermaßen zusammengefaßt werden:
Für das Volkslied unserer Zeit lebt, trotz aller Fluktuation, trotz geringerer oder
größerer Abweichungen, im Bewußtsein der Sänger ein bestimmtes Bild des
Liedes. Es ist dies nicht etwas Unberührbares. Geringfügige Änderungen sind
stets möglich. Sie gehen jedoch nicht über eine gewisse Grenze hinaus. Diese
Grenze ist bei dem einen enger, beim anderen weiter bemessen, aber in jedem FaUe
vorhanden. Von einzelnen, besonders veränderungsfreudigen Persönlichkeiten
abgesehen, pflegte man im allgemeinen nicht nach eigenem Belieben und Geschmack
über diese Grenze hinaus Änderungen vorzunehmen. Bei der Weitergabe aber kann
sich das Lied verändern: das Lernen aus dem Stegreif, die mangelhafte Erinnerung
älterer Sänger bei der Weitergabe an die Jugend und noch manche anderen Um-
stände können Ursache der Änderung sein. Für die Gestaltung der neuen Variante
öffnet sich in solchen Fällen dem Geschmack und der individuellen Geschicklich-
keit ein weites Feld. Doch bewegt sich die Umgestaltung überwiegend in den
Bahnen der ererbten Stilüberlieferung. In der ganzen Sprachgemeinschaft besteht
das Leben des Liedes aus fortwährender Veränderung und Umgestaltung. In diesem
ewigen Wandel schafft die Spinnstube, durch die gemeinsame Singpraxis bedingt»
für einige Zeit eine konstante Form. Diese ist für die betreffende Altersklasse
„gültig“: so wie sie das Lied erstmalig gelernt hat, so wird es bei gemeinsamer Ver-
wendung festgehalten. Fällt diese Bindung fort, zerstreut sich die Spinngemeinscha11
und hört das gemeinsame Singen auf, so wird die Melodie von neuem für die Mög-
lichkeit der Veränderung frei6).
Geschieht die Abänderung an dem im Bewußtsein lebenden Melodiebilde nicht
ungewollt, sondern bewußt und beabsichtigt, so wird dies als „Komposition
angesehen, auch dann, wenn keine neue, persönliche „Schöpfung“, also neues
Material vorliegt. Ob dies gleichzeitig zu bedeuten hat, daß wir in derVolksmush'
mit größeren „selbständigen Kompositionen“ nicht rechnen können, wissen W1
vorläufig nicht. Soviel ist aber sicher, daß auch die neueren funktionalen Unter-
suchungen auf musikalischem Gebiet keine größere individuelle schöpferisch<-
Tätigkeit ans Licht gebracht haben als BartÖK, der auf Grund seiner Sammeh
6) Diese Erfahrungen weichen von denen anderer Zweige der Folklore, besonders
Märchenforschung ab. Doch kann auch dort das Gleichgewicht zwischen Persönlich^1'
und Gemeinschaft beobachtet werden. Siehe darüber eine ähnliche Monographie über
Leben des Märchens in einem Dorfe von Agnes Koväcs: Kalotaszegi nepmesek (Märchd1
von Kalotaszeg) I—II. Budapest 1943.
Das Musikleben im ungarischen Dorf
457
erfahrungen schon 1925 feststellte: „Daß die Bauern als Individuen zur Schaffung
ganz neuer Melodien fähig wären, muß bezweifelt werden. Wir haben dafür keine
Angabe, auch spricht die Art, in der sich der Musikinstinkt des Bauern äußert,
nicht dafür. Doch haben die Bauern — sogar als Individuen — nicht nur die Fähig-
keit, sondern auch eine starke Neigung, ihnen zur Verfügung stehende gegebene
niusikalische Elemente umzuformen. Solche Umformungen sind schon das eigene
^erk der Bauern als Masse . ..7)“.
Die beiden bisher erschienenen Monographien haben zahlenmäßig ungefähr
ein gleiches Ergebnis zu verzeichnen: in zwei bis drei Monaten konnten in jedem
der betreffenden Dörfer ungefähr 1200 Lieder gesammelt werden. Das traditions-
kedingtere, ältere Material von Äj gliedert sich wie folgt: etwa 600 Volkslieder
(darunter 50« alte fünfstufige, ungefähr 200 andersartige alte Melodien, rund 400
teueren Stils) und etwa 600 fremde sowie Kunstlieder (wenige Schlager, einige
slowakische und Zigeunerlieder sowie ungefähr 30 kirchliche Volksgesänge mit
eingerechnet).
Von diesem Liedmaterial hatte der eine oder andere hervorragende Sänger bis zu
5oo Nummern in seinem Gedächtnis aufgespeichert. Ein solches Liedwissen ist
aber nur ausnahmsweise zu finden, meist bei ganz alten Sängern durch Anhäufung
von Kunstliedern. Das durchschnittliche Liedrepertoire der Jugend besteht aus
200—300 Liedern; überwiegend sind es Volkslieder neueren Stils, zu denen noch
einige Kunstlieder, meist Tschardasche kommen. Dies ist der lebendige Liederschatz
des Dorfes, wie er bei Singgelegenheiten, in Spinnstuben, bei Belustigungen zu
kören ist. Die Gliederung des Materials aus Kide zeigt — zum Nachteil des Volks-
liedes — eine schlechtere Proportion. Dieses Dorf ist viel zivilisierter, und von
einem wirklichen Leben der Volksmusik kann dort nicht mehr gesprochen werden,
dagegen zeigt das Material von Dörfern mit lebendiger Überlieferung, wie z. B.
Afagyszalonta, ungefähr das gleiche Bild wie Äj. KODÄLY hat dort, den Spuren
früherer lokaler Sammler nachgehend, im Jahre 1917 wenn auch keine mono-
graphischen Forschungen, so doch mehrwöchige gründliche Sammelarbeiten
betrieben; allerdings sammelte er nur Volkslieder, aber diese in ausgiebigem Maße.
Auch dort konnten ungefähr 400 Lieder neuen Stils und ungefähr 40 — 50 alte
kfelodien gesammelt werden.
Der gewaltige Melodienreichtum weist auf die bedeutende Rolle hin, die das
frfrd im Leben des Dorfes spielt. Dies wurde auch durch unmittelbare Beobachtung
Destätigt. Singen zu können, der Gesang, ist bei den Leuten eine angesehene, wichtige
Angelegenheit. Die Eltern sind stolz, wenn sich das Kind als guter Sänger entpuppt
uud schämen sich, wenn das Gegenteil der Fall ist. „Ich hörte es noch nicht singen“,
Sagen sie von einem Kinde mit schlechtem Gehör. Der jüngere Bruder einer
alten Frau beklagte sich einmal, daß seine Kinder nicht singen können, was immer
er auch mit ihnen versuche. Daraufhin nahm sich die Alte die Kinder der Reihe
Uach vor und unterwies sie. Der Bruder war glücklich, als er sah, wie gut das
Gingen ging. „Der Bub wird’s schon können“, „So muß man Kinder lehren,
7) Bartok: Das ungarische Volkslied. Berlin-Leipzig 1925, S. 3—4.
458
Lajos Vargyas
Bruder!“ rühmte sich die Alte und fügte hinzu: „Aus ihrem winzigen Mündchen
kam diese wunderbare Stimme, es war wirklich rührend !“
An Sonntagnachmittagen (Sonnabend Abend) setzen sich die Mädchen vor das
Haus und veranstalten mit ihren Freundinnen in Gruppen ein wahres Wettsingen-
Die verschiedenen Gruppen beginnen abwechselnd mit einem Lied, in das dann die
übrigen einstimmen. In diesem Wettbewerb muß man stimmlich und auch in der
Liederkenntnis seinen Mann stehen können. Besonders stolz ist man, wenn man ein
Lied anstimmen kann, das den anderen unbekannt ist, so daß sie nicht mitsingen
können! Frauen brüsten sich damit, daß ihr Töchterchen und deren Kameradinnen
aus der „kleinen Spinnstube“ „die Großen geschlagen“ hätten.
Der sonntägliche Spaziergang zwischen den Dörfern, die Heimkehr von der
Arbeit mit dem Bauernwagen oder zu Fuß, geschieht immer mit Gesang. Vom
Mähen heimkehrend, pflegten sich die Mädchen bei einer Biegung des Talwegs im
Kreise niederzusetzen und zu singen, daß „der Hang nur so schallte!“
Ich hatte Gelegenheit, die geradezu gesellschaftsbildende Rolle des Singens zu
beobachten. Im überlieferungsmäßigen Leben des Dorfes ist es ziemlich streng fest-
gelegt, wer zu wem und wann er auf Besuch gehen darf. Die öffentlichen Unter-
haltungsmöglichkeiten der Jugend, die Spinnstube und die Tanzveranstaltungen
sind natürlich freie Treffgelegenheiten. Bei solchen Anlässen ist das Singen die
hauptsächlichste Unterhaltung, so daß sich beides in den Augen der Leute vermischt-
Einmal, da sich die Mädchen zu ungewohnter Zeit zusammenfanden, um mir für
die Aufnahme zu singen, kam ein Bursche herein, der seine Freierabsichten noch
nicht verraten wollte und deshalb umständlich zu erklären versuchte, daß er mit
einigen Freunden draußen das Singen vernommen hätte und sie sich mit dem Aufruf
„Burschen, hier singt man, hier gehen wir hinein!“ zum Eintreten entschlossen
hätten.
Da der Gesang mit dem gesellschaftlichen Leben der Jugend so eng verbunden ist,
wird er den älteren Jahrgängen durch die öffentliche Etikette quasi verboten.
Der große Melodienreichtum findet seine unmittelbare Erklärung in jenem
ständigen, bewußten, ja gierigen Verlangen nach neuen Liedern, wie es im Kreise
der Jugend beobachtet werden kann. Sie benutzen nicht nur jede Gelegenheit,
ihr Liedwissen zu vermehren, sondern dringen fortwährend in Eltern und Bekannte,
ihnen neue Lieder beizubringen. So hörten wir von Fällen, daß Eltern, nachdem sie
sich schon zur Ruhe begeben, noch im Bett ihren Kindern vorzusingen pflegten-
Ältere Frauen lehrten die Mädchen neue Lieder beim Kartoffelgraben, ja sogar beim
Waschen der Schafe am Bache, wo sie in der Kälte fast erfroren. Ein solcher Unter-
richt geht oft Hand in Hand mit einem völlig ernst genommenen Üben. Ein kleines
Mädchen belauschte einmal zwei Gesellen, die in der Scheune ein niedergeschriebe-
nes Lied einstudierten, und sie lernte es auch. (Auf dem Papier ist natürlich immef
nur der Text festgehalten.) Das neue Lied, mit dem man sich in der Spinnstube
vor den Kameraden brüsten kann, macht den höchsten Stolz der Jugend aus. So
hörten wir, daß sie sich, wenn es anders nicht geht, in der Weise behelfen, daß sie
Texte aus Kalendern oder Liederbüchern abschreiben, diese einer irgendwo
passenden Melodie angleichen, sie mit ein, zwei Kameraden oder Freundinnen
Das Musikleben im ungarischen Dorf
459
eListudieren und sie dann in der Spinnstube oder bei anderen Zusammenkünften
»vortragen“.
Ja, auch materielle Opfer werden dem Liederlernen gebracht. Männer in mittleren
Jahren erzählten, daß sie als junge Burschen von einem singenden Bettler ein
Kunstlied vernommen hätten und sich dieses von ihm gegen eine bestimmte Menge
Bohnen, Mehl usw. lehren ließen. Den Text dieses Liedes schrieben sie sogar nieder,
doch zur Zeit der Sammlung konnte keiner mehr alle Verse auswendig Vorsingen.
Wo neue Lieder so hoch im Kurs stehen, kann es mit der Bewertung der alten
nicht weit her sein. Tatsächlich hörten wir mehrere Male, wenn bei der Sammel-
arbeit irgendein altes Lied zum Vorschein kam: „dies haben wir schon längst hinter
den Kamin gesteckt“, „damit haben wir schon längst die Hinterwand des Kamins
ausgetüncht“. Das eine oder andere Lied bleibt nicht lange „neu“ und wird durch
ein neueres bald verdrängt. Man kann von einer wahren Mode sprechen, wie sie
bei den Schlagern der bürgerlichen Welt vorherrscht. Daher kommt es, daß der
Liedvorrat der einzelnen Altersklassen teilweise verschieden ist. Zum Teil deckt
sich das Repertoire der jüngeren mit dem der im Lebensalter vorangehenden
»Bande“, zum Teil aber haben die Jüngeren schon ganz neue Lieder. Frauen und
Männer in den 30-, 40er Jahren kannten Lieder, die in der Spinnstube der 16jährigen
Mädchen bereits unbekannt waren. Die dauernde Verschiebung zwischen den
Altersklassen wird nur durch den Umstand durchkreuzt, daß die Älteren ständig
Uln Lieder gebeten werden. Doch auch das kann die bestehenden Unterschiede
nicht verwischen.
Die unaufhörliche und rasche Auswechslung der Lieder, das gierige Liederlernen,
greift über die Sprachgrenze hinaus. Äj liegt an der Grenze des ungarischen,
slowakischen und deutschen Berührungsgebietes. Hier lebt die Mode der
neuen ungarischen Lieder ungeachtet der national-volklichen Unterschiede
(auch im tschechoslowakischen Staatsgebiet, also auch ohne Unterstützung der
°ffiziellen Autorität von Staatssprache und staatlichen kulturpolitischen Faktoren),
üavon zeugen Fälle wie die, daß Ungarn aus Äj von Mecenzefer Deutschen oder
balucskaer Slowaken neue ungarische Lieder lernten, oder daß ein in der Stadt
Bienendes slowakisches Mädchen aus Äj von einem ebendort dienenden slowakischen
Atädchen aus Falucska ein ungarisches Lied erlernte und dieses als neues Lied ins
üorf mitbrachte. Ein interessanter Fall des Kulturaustausches unter den Nationali-
sten war jener, da ein slowakisches Mädchen, aus Äj in die Spinnstube des Heimat-
°ttes Falucska zurückkehrend, ihren Kameradinnen den Text der Äjer ungarischen
Lieder übersetzte und ihnen diese beibrachte. Das kleine Bergdörfchen Falucska
konnte zwischen 1939 und 1945 — vom slowakischen Sprachgebiet losgerissen —
nur über das Ungarntum mit der Welt Kontakt nehmen. Nach ihrem eigenen Be-
kenntnis haben sie in der Zeit, da sie von den übrigen Slowaken ganz abgeschnitten
^aren und zu neuen slowakischen Liedern nicht gelangen konnten, zahlreiche
Ungarische Lieder gelernt, deren ungarische Texte die meisten nicht verstanden,
deshalb sich die Übersetzung als notwendig erwies.
Auch dieser Fall beweist, daß die von größeren Sprachgebieten getrennten
kleineren Einheiten zu kultureller Selbstversorgung gezwungen sind, bzw. daß sie
460
Lajos Vargyas
ihre Bedürfnisse mit neuen Mitteln zu befriedigen suchen. Die Lage des tschecho-
slowakischen Ungarntums mochte die gleiche gewesen sein, als man sie vom große11
ungarischen Sprachgebiet trennte. Zwar handelte es sich hier um ein größeres
Randgebiet und nicht um ein isoliertes Dorf, aber doch wesentlich kleiner als die
vollständige ungarische Gemeinschaft, zu der sie bisher gehört hatten. Daß sich
jedoch auch in ihrem Liedmaterial eine relative Verarmung einstellte, ersieht man aus
der Tatsache, daß sie, als die Grenzen 2 — 3 Jahre lang aufgehoben wurden, fast
ausschließlich die neuen ungarischen Lieder lernten, vor allem von den bei ihnen
stationierten ungarischen Soldaten. Offensichtlich wird der Zusammenhang auch
dadurch, daß sie vorher die Alten nach neuen Liedern ausgehorcht hatten. Im
allgemeinen machten die ungarischen Volksmusikforscher die Erfahrung, daß die
neuen Volkslieder zum größten Teil nahezu in jedem Dorfe vorhanden sind — wie
auch in Äj schon zur Zeit der Sammlung im Winter 1940/41 —, daß also die ganze
Ernte des Sprachgebiets durch den lebhaften Blutumlauf überall hingelangt und
jeder einzelne Punkt in der Lage ist, den ganzen ungarischen Liedschatz zu ge-
brauchen. Fallen einzelne Teile aus diesem gemeinsamen Blutkreis heraus, so sind sie
von der Nahrungsquelle abgeschnitten, wie dies die Erfahrungen bei den Ajer
Ungarn und den Falucskaer Slowaken zeigten.
Man bedenke aber, daß BARTÖK bei den Rumänen des Komitats Ugocsa lediglich
den improvisierten hora lunga-Liedtyp vorfand, im wesentlichen also eine einzige
Melodie, daneben noch einige aus ziemlich primitiven Motiven bestehende instrumen-
tale Melodien. Beide Typen von besonders archaischem Gepräge und über weite Ge-
biete verbreitet, haben sich seit vielen Jahrhunderten bei den Rumänen unverändert
erhalten. Auch einzelne Melodien des ungarischen alten Stils erhielten sich un-
verändert seit der Zeit vor der Landnahme bis zu den heute bereits im Aussterben
befindlichen Alten. Es liegt also auf der Hand, daß der im Volksleben zu beobach-
tende stetige „Modewechsel“ innerhalb ein und desselben Stils und einer und
derselben Altersklasse keine allgemeine Eigentümlichkeit der Volkskultur, sondern
eine neuere Entwicklung darstellt, und zwar eine Entwicklungsstufe, auf weichet
die überlieferten Formen noch weiter leben, wobei aber die bürgerlichen Einwif'
kungen nicht minder stark sind. Auch jener Umstand spricht für die neue Entwick-
lungsstufe, daß selbst das Lernen von den Alten nicht imstande ist, die alten Melodien
zu erneuern, obwohl gerade durch das „Liederlernen“ von den Alten ziemlich
viele alte Texte erneuert werden. In der Melodik besteht nämlich ein schärfet
Gegensatz zwischen neuem und altem Stil, der besonders durch den großen Unter-
schied in der Singweise verschärft wird: dem Rubato steht der tanzmäßige Gesang
gegenüber. Hier bietet sich etwas Neues, Modernes, das die musikalische Vor-
stellung der Jugend völlig beherrscht, und wodurch die Rückkehr zu einem älteren
Zustand bereits ausgeschlossen wird. Beim Text bestehen solche Gegensätze nicht-
Freilich wäre es falsch, den Wechsel der Mode, den Anspruch auf das „Neue‘
zu übertreiben und nicht auch die entgegengesetzten Tendenzen in Betracht zn
ziehen. Schon das Wetteifern um das Neue führt ständig zu einer Erneuerung deS
„Alten“. Aber auch ein Festhalten an bestimmten Werten ist zu beobachten, ^aS
ebenfalls ein der Mode entgegengesetzter Faktor ist.
461
Das Musikleben im ungarischen Dorf
Als das Liedrepertoire der Mädchen nahezu erschöpft war und sie auf alte Lieder
^urückzugreifen begannen, hörte ich mehrmals: „Diese sind nicht so neu, aber
sehr schön. “ Mehr als solche bewußten Äußerungen besagt die instinktive Praxis.
£he besonders lebensfähigen, gelungenen Lieder entgehen dem Schicksal, durch den
odewechsel zum Tode verurteilt zu werden. Und wenn sie auch nicht so häufig
wie die allerneuesten im gemeinsamen Gesang gesungen werden, so singt man sie
doch immer wieder, denn ein Ball oder die langen Abende in der Spinnstube können
Hit den modernen Liedern allein nicht ausgefüllt werden. Von den alten werden immer
die beliebtesten vorgenommen. Diese tragen die Sänger auch ganz anders vor als die
übrigen Durchschnittslieder. Mit einer solchen Frische und Lust werden sie ange-
stammt, daß schon darin ein sicheres, unbeeinflußtes spontanes Gefallen zum Ausdruck
kommt. Ein noch greifbareres Zeichen dafür, daß das eine oder andere beliebte Lied
gefällt, sind die vielen Strophen — manchmal 20—25 — 3 die ihm unterlegt werden.
Die verschiedenen erneuerten, gelernten und niedergeschriebenen Texte verwendet
Han immer zur beliebtesten Melodie mit ähnlicher Strophenformel, so daß einzelne
adgemein beliebte Melodien oft mit den buntesten Textkonglomeraten erscheinen —
bei jeder Altersklasse anders, selbst in ein und demselben Dorfe. Heute ist es
bereits klar, daß die mehrstrophigen Texte unserer alten Textsammlungen im
Wesentlichen solche gelegentlichen Verknüpfungen verschiedener einstrophiger
Lieder sind, die die gemeinsame Melodie momentan zusammengefaßt hat. Diese
Arten „zusammenknüpfender“, textsammelnder Melodien sind es, die immer von
feuern auferstehen bzw. eigentlich nie ganz aus der Praxis verschwinden. Auf diese
Weise führt der Modewechsel die notwendige Selektion aus.
Diese instinktiven, jedoch objektiv feststellbaren Zeichen des Gefallens helfen
His, die bewußt zugestandene Wertung zu kontrollieren, da die Geschmacks-
etscheinungen in dieser von bürgerlichen Einflüssen stark durchsetzten Gesellschaft
bereits ungewöhnlich kompliziert sind. Zum Beispiel genießt die „Herren“-Kultur
ein solches Ansehen, daß die Sänger ihrem bewußten Selbst gegenüber am auf-
richtigsten sind, wenn sie das „Hallgatö“ (eine Art sentimentales rubato Kunstlied)
ünter allen Liedern am höchsten bewerten. Es zeigt sich aber keine so große Über-
einstimmung mehr, wenn wir ihre instinktiven Kundgebungen ins Auge fassen,
iti der Praxis kommt das, was sie bewußt — im guten Glauben — eingestehen,
kaum zur Geltung. Das Liederbüchlein eines 28jährigen Mannes enthielt lauter
»Hallgatö“. Auf meine Frage, ob er diese so sehr liebe, war seine Antwort:
»Sie sind halt die schönsten!“ Trotzdem konnte er die niedergeschriebenen Melodien
nut schlecht und recht — und zwar nur aus dem Buche — Vorsingen, viele über-
haupt nicht. Das gleiche konnte ich bei den meisten konstatieren. Bezeichnender-
weise gehörte es während der Sammelarbeit zu den größten Seltenheiten, daß sich
che Sänger selbst mit einem Lied aus einem solchen Liederbuch meldeten. Die älteren
brauen, ja auch die ältesten Töchter kannten solche kaum, kamen sie damit, so
blieben sie meist stecken. Auf diesem Gebiet zeigt sich die auffallendste Abweichung
^wischen den MÜHLMANN sehen8) „intentionalen“ und „funktionalen“ Angaben.
8) Wilhelm Mühlmann: Methodik der Völkerkunde. Stuttgart 1938, S. 108 —133.
462
Lajos Vargyas
Während unbewußte Kundgebungen und auch die Textanpassung (Unterlegung)
immer das Primat des Volksliedes bewiesen, zeigten die mannigfaltigen formalen,
tonartlichen und textlichen Verzerrungen des Kunstliedes auch die andere Seite:
wie sehr diese Lieder dem Volke eigentlich fremd sind und sein Stilempfinden und
oft auch sein Auffassungsvermögen überschreiten.
Nur in scheinbarem Widerspruch dazu steht die Masse von Kunstmusik, die im
Dorfe auffindbar ist. Dieses Liedmaterial war aber am musikalischen Leben des
Dorfes niemals beteiligt. Meist waren die Kunstlieder im fortgeschrittenen Alte*
zusammengetragen (die meisten in Amerika, wo die Ungarn miteinander einen
intensiven gesellschaftlichen Verkehr unterhielten). Dieser aufgespeicherte Lied-
schätz der Alten stellt nur noch ein individuelles Liedwissen, eine Sonderheit dar,
die sich von der Gemeinschaft stark abhebt. Dieser Melodievorrat ist dem Anschein
nach ziemlich groß, denn jeder kennt meist andere, und umgekehrt ist das eine
oder andere Lied nur bei wenigen bekannt. Die Volkslieder hingegen kennt meist
ein jeder oder viele, zumindest ein, zwei Altersklassen. Das Liedmaterial des Dorfes
zeigt also im allgemeinen das gleiche Bild wie der Wortvorrat unserer Sprache-
Der vollständige Wortschatz stellt ein gewaltiges Material dar, das besonders viele
Lehnwörter enthält. Der Wortschatz der täglichen Sprache ist aber schon wesentlich
kleiner. Überwiegend werden Wörter finnisch-ugrischen Ursprungs verwendet-
Auch das Leben unseres Dorfes ist vom heute blühenden neuen Volksliedstil mit
ungefähr 300 Liedern beherrscht, hat also trotz mannigfaltiger fremder Einwirkung
die Tradition bewahrt. Zwar kann man auch „gesunkenes Kulturgut“ finden. Es
unterscheidet sich aber scharf von der Volkskultur und unterliegt dieser in de£
lebendigen Praxis.
Die Ursache dieser Trennung liegt zum größten Teil in dem qualitativen Unter-
schied der zwei Arten von Kulturprodukten: die höhere Kultur gelangt lediglich
mit ihrer Ausschußware ins Dorf, so daß hier das Ausscheiden der Kunstmusik'
elemente zugleich auch eine qualitative Selektion bedeutet.
Wie kommt es innerhalb der Volkskultur zu einer qualitativen Auswahl? Besteht
diese Gesellschaft vielleicht in der Mehrzahl aus Menschen mit besonders ver-
feinertem Geschmack? Ganz und gar nicht. Im untersuchten Dorf fanden wir auch
nur Menschen mit durchschnittlichen Fähigkeiten, von denen selbst die Besten
keineswegs das Maß des musikalischen, tiefempfindenden, im übrigen aber nicht
besonders talentierten Menschen überschritten. Der Prozentsatz solcher Menschen
war hier um nichts größer als anderswo. Aber hier vollzieht sich die Auswahl der
Werte unbewußt und kollektiv, gleichsam nur als Ergebnis der unbewußt wirkenden
Kräfte des traditionsmäßigen Lebens. Der erste und bedeutendste Ausscheidung5'
filter für fremde Einwirkungen ist die Tatsache, daß sich die alte Überlieferung vof
allem in der Jugend fortvererbt, in Jahrgängen, die gerade dem Kindesalter ent-
wachsen sind und nichts anderes kennen als das vor ihren Augen und Ohren waltende
traditionsgebundene Leben. Ihre ganze Ambition besteht darin, das alte Liedgut
zu übernehmen und weiterzuführen. So ist inmitten der zahlreichen Einflüsse def
Zivilisation ein Fortbestehen ohne wesentliche Abänderung zu beobachten. Von
fremden Einflüssen gelangt nur eine geringe, filtrierte Menge in dieses Leben: W-s
Das Musikleben im ungarischen Dorf
463
^er Jugend durch die Unterweisung der Alten, durch Burschen und Soldaten, die
aus den Städten heimkehren, und von anderen übermittelt wird. Diese quantitativ
überaus geringe Einwirkung unterliegt bis zu einem gewissen Grade auch einer
Qualitativen Selektion: Lieder, die aus verschiedenen Gründen von mehreren Per-
s°nen als die wertvollsten angesehen werden, nimmt man auf. Die weitere Auswahl
trifft die Mode. Der rasche Modewechsel fegt alles aus dem Wege, was nicht durch
t!efes Erlebnis bei der Mehrzahl bewahrt wird. Der hauptsächlichste Richtungs-
Weiser des sich aus dem vielfältigen Geschmack vieler Menschen zusammensetzen-
ben Gemeingeschmacks ist aber die ererbte Stilüberlieferung, die in Jahr-
hunderten durch die ganze Sprachgemeinschaft geschliffen wurde, also ein gemein-
Schaftliches Phänomen darstellt. Diese Erscheinung macht sich in geschlosseneren,
atchaischen Kulturen noch stärker bemerkbar. Wir denken hier an die Feststellungen
^ARTOKs, daß gewisse Nachbarvölker die neuen ungarischen Volkslieder mit
Marken „Verzerrungen“, d. h. der eigenen Stiltradition angepaßt, übernommen
haben und einzelne, wie die Rumänen, überhaupt nicht.
Eie Musik der ungarischen Dörfer ist das Produkt einer in verschiedener Hin-
Slcht modernen, oftmals erneuerten Kultur. Neuartige, bürgerliche Formen machen
Slch in ihr bemerkbar, wie das Spiel von Fabrikinstrumenten, jährliche Singspiel-
Erträge, sogar von Zeit zu Zeit die Organisierung eines gemischten Chors. Trotz-
hern ist der traditionelle Stil noch lebendig genug, um den Geschmack der Leute
E bestimmen und beim Erleben von Kunstwerten als Stütze zu dienen. Diese
Kunst ist aber beschränkt und nach Form und Umfang ziemlich anspruchslos,
hhe kleinen Kreise der eine höhere Kultur tragenden sozialen Schichten genießen
Ja eine unvergleichbar entwickeltere Kunst, freilich um den Preis, daß der Durch-
Schnitt nie zum wahren Kunsterlebnis kommt, während der Kunst der kollektiven
Kolkskultur jeder teilhaftig wird.
Die hierher führende Entwicklung tritt uns aus der Untersuchung von Dörfern
verschiedener Entwicklungsstufen klar entgegen. Ein Dorf wie Kide steht eine
Stufe höher in der sozialen Entwicklung als z. B. Äj. Dementsprechend treten
lri^ seiner Kultur die bürgerlichen Faktoren stärker hervor. Von dort berichtet
JKrdÄNYI, im Gegensatz zu Äj, von einem Rückgang in der Zahl der Lieder von
Kunstwert, auch von einem Absinken des Kunstempfindens und der Sangeslust
überhaupt.
Ursprünglichere Zustände als in Äj können wir in den sogenannten „Volks-
bütistinseln“ wie Särköz, Kalotaszeg, die Matyö und einige Palöcdörfer feststellen,
Wo feiner Kunstsinn, entwickeltes Selbstbewußtsein und eine Sprachkultur von
hohem Niveau sich mit reich geschmückter Tracht gepaart finden. In diesen
^Kbieten entstand diese neue Kultur vor 50—80 Jahren, als Elemente temperierter
bürgerlicher Kultur auf die in voller Blüte stehende Bauernkultur einwirkten. Der
stufenweise Anstieg des Musik-Kunstlebens führt dann über die Zustände in Äj zu
Kide und von dort zu den städtischen Kleinbürgern und Proletariern.
fahrend der Fortschritt der Zivilisation, die Zunahme der Erkenntnisse, die
Kutwicklung des Menschenbewußtseins einen unumkehrbaren Vorgang bedeuten,
het sich ständig verdichtet, zeigt das Kunstleben, der Kunstsinn, die Kunstsättigung
464
Lajos Vargyas
einer Gesellschaft eine von dieser gleichmäßigen Entwicklung unabhängige
Wellenlinie.
Mit diesen skizzenhaften Erörterungen suchten wir auf neuartige Methoden dei
Untersuchung unseres Dorfmusiklebens und die dabei gewonnenen Lehren hin*
zuweisen. Ein ausführliches Bild vom Musikleben der untersuchten Dörfer und von
den dort erzielbaren Resultaten zu geben, lag nicht in unserer Absicht. Wir wolle11
auch gestehen, daß diese Untersuchungen eher als vielversprechende Anregungen mh
noch nicht abgeschlossenen Ergebnissen angesehen werden müssen. Es steht aut
diesem Gebiet den ungarischen Fachmännern noch eine gründlich zusammen
gestimmte, wohlorganisierte Fortsetzung bevor, bei der die Untersuchungspunkte
unter Berücksichtigung der geographischen, gesellschaftlichen und kulturelle11
Unterschiede festgesetzt werden. Zudem bedarf die Forschungsmethode selbst noch
theoretischer Vertiefung. Mit dem Gesagten wollten wir lediglich auf die Möglich'
keiten solcher Untersuchungen aufmerksam machen.
Das Musikleben im ungarischen Dorf
465
©
Tempo giusto
— K \ |» (■
Mi-kormen-tem Ro-ma-nia fe-ie, meg a fak /s sir-tak Rez-gSnyar-fahullat-ja le-ye-let,
az is en-gem si - rat Si-rass,si-rass rez-gonyar-fa bo-ruf-ja ba-bamggo/T-gevaTId-ra
J A
sugdmeg ne-ki be-le afü-le-be, faj\ faj, fäja su'-vem er - te
Variante
r r-5'
ö £ - sik e-tot-fern az e - so
rJfer.ia r r » 1b . f*-p-
J Volkskunde
466
Lajos Vargyas
7
8
(2MP1
Das Musikleben im ungarischen Dorf
467
Te^mpo giusto
Két tö/gy-fa kij-zé le-sü-tött a hold-vi-lag A sze-re-tom ab-ba fé-sii- // ma-gät
Gön -dör ha -jàt szaz-fe - té fuj - ja a széi Azi ls kö-szö-nöm hogy i - dà - ig sze - rei-té! !
1a 1b 1C Az-lam-botn),
, iq gqrk:
f.| j r 1=7-4*: r r | 1 u.s.w
M-U-JLd—I—p—I 4Lrt r —j p 4—t l=^=r—^
■■
468
Lajos Vargyas
Tempo giusto
His ku-tya nagy ku-tya nem a-gat hi - à - ha Tor-na hi-res va-ros,
Off ia-Kik a babam Tor-na va-ro - sa - ba
Aj-ja! is ha
tà - ros Off ia-kìk a ba-bàm, Hi-vei ie-szek pà -ros
Tempo giusto
' His ku-tya nagy ku-tya nem. u - gat hi - <? - ba
Van ne-kem sze-re-tom Nà-nàs và-ro - sa - ba .
Sze-ged hi-res và-ros Tà-pé vai ha-
£
JL-JCJ Lf
£
fa - ros Off ia-kik a ba-bàm, Ki-vei ie-szek pà-ros
c) Tempo giusto ,
t~-f r r f , l-f r B >•! i l-~- j-| r f4f-
r f> rf r-[ rrrr^fi
Ts-te van,es-te van, ei-mù/t ki-ienc ó - ra
1---------------- 2-
Be van a ba-bàm rà-csoskiska-pu-ja
Mig a ba-bàm ra-csoskiska-pu-jàt
zar- va
zàr-ja. Ad-dig a sze-re-td-je szàz-szoris be-megy raj -fa
(JJ.)
(J. J>)
J J
Kek pant-H-ka a ha-ris-nyam ko-tS-je Gya-va ie-geny, ki-nekninessze
J.)___________ (J- _ P. r
re-to-je Gya va le-geny, ki-nek kef-to, ha-rom nines, ki-nek pi-ros
(f J.) fJ i)
bar-na sze - re to-je nines
■BUPPM
■■UHI
Das Musikleben im ungarischen Dorf
469
Tempo giusto
DD. OJ.) 2=92
(J'J.)
A bar-ka- i nat to - ron - ba ki - Jen - cet ü - fött az ó - ra
wr;.r e r~j r Tn » J ■■ !'4 iL
Az én ked-ves kis an-gya-lom most is kintaii a ka - pu - ba .
J
En is ar-ra men-tem et.
(m
(-fJ-) DD
(J'J.)
szi - vem szo - mo - ro - dott et.
(J’J.)
De so-katmeg- csó-koi- ta - !ak, ró-zsàm,hogyfe-lejt - se - lek eI
Tempo giusto * 1
¥ l'u (d) Il
Tüz-roi pat-tant bar-na kis-lany va-gyok én, Ki - nek esók ke/i, boz-zamjòj-jò'n,
1---------------, .2-
a-dok én ! Ad-tam is én szà-zat is egy ie-gény-nek,
3-
A /eg-szeb-bet
m
và-lasz-tom sze - re-tom-nek
fcfe
Z.Str.
Gerda Grober-Glück — Greifswald
Heidelbeerlieder aus Thüringen
Thüringer der Waldgebiete mögen sich noch der Heideibeerverkäufer erinnern,
die ihren Handwagen durch die Straßen zogen und mit dem Ruf „Heedeibeeren,
kauft Heedeibeeren“ ihre Ware anboten. Vielleicht entsinnt sich auch der eine oder
andere eines Liedes, das er selbst beim Heideibeerpflücken als Kind gesungen hat;
Versehen wie „Roll, roll, roll, mein Topf ist voll“ mögen da bei den meisten aus
der Erinnerung auftauchen. Weniger bekannt aber ist es, daß dieser Zweizeiler nuf
eine kümmerliche städtische Restform mannigfaltigster Lieder, ja ganzer Beeren'
gesänge darstellt, die in den Dörfern der Heidelbeergebiete lebendig sind1). Den1
Folgenden liegt eine Sammlung von Liedern zugrunde in einem Raum, der etW®
durch die Städte Kahla, Stadtroda, Münchenbernsdorf, Greiz, Plauen, Schleiz,
Ziegenrück, Pößneck begrenzt wird. Die Fülle der Lieder — jedes Dorf kennt eines
oder zwei — ergab das Auftreten verschiedener fester Motive, die meist nicht vef'
streut im ganzen Gebiet Vorkommen, sondern einzelnen Landschaftsteilen zu-
gehören und sich untereinander abgrenzen lassen* 2). Es wäre jedoch falsch zu
meinen, daß innerhalb eines Motivgebiets ein Lied wie das andere laute; es ist im
Gegenteil so, daß durch die vielfachen Veränderungen — Zusätze, Einsetzen andere1
Wörter oder ganzer Zeilen — immer nur wenige Dörfer einander völlig darin
gleichen.
Vergegenwärtigen wir uns einmal die Lage, aus der heraus die Heidelbeerliede*
entstehen! Die Kinder eines Dorfes ziehen in Grüppchen zusammen los, Krüge
oder Eimer an der Hand und ein kleines Töpfchen zum ersten Einbeeren umge'
bunden. Der Sammelfleck des Tages wird ausgemacht, und, dort angekommen, vef'
teilen sie sich so, daß jeder einen genügend großen Spielraum hat, aber doch de*1
anderen zumindestens durch Rufen erreichen kann. Und dann setzt das eifnge
Beerenpflücken ein, wobei jeder danach trachtet, möglichst schnell sein Gefäß
zu bekommen, und sich wohl auch von Zeit zu Zeit vergewissert, daß der Nachba1
ihn nicht überflügelt hat. Denn am Abend, wenn die Kinder einander zum gerne1*1'
samen Heimweg zusammengerufen haben, ist diese gegenseitige Kontrolle
*) Zahlreiche Liederbeispiele führt bereits Hugo Hepding an in seinem grundlegend11
Aufsatz: Die Heidelbeere im Volksbrauch. Hess. Bll. f. Vk. 22 (1923), 1 — 58.
2) Uber die genaue Verbreitung vgl. meine Arbeit: Der Tbüringisch-VogtländisU1 L
Sprachraum. Jena, Fischer-Verlag, 1938, S. 77h, Karte 28.
Heidelbeerlieder aus Thüringen
471
nichtigste Ereignis, und wehe dem Faulpelz oder dem Ungeschickten, der dabei
^urücksteht: er bekommt den Spott der anderen zu fühlen. Beim Heimweg dann
nird in Gelöstheit nach der vorangegangenen Arbeit mancher Spaß getrieben, der
^erlauf des Sammelns besprochen und das ausgemalt, was einen daheim erwartet.
Alles dies spiegelt sich in den Heidelbeerliedern wider. Betrachten wir die
i'Iauptmotive unseres Gebiets! Wie nicht anders zu erwarten, spielt der Gedanke
»voller oder leerer Topf“ darin die Hauptrolle. In der einfachsten Form lautet er
etwa:
Beer, Beer, Beer,
mein Topf ist leer.
Roll, roll, roll, (auch: hüll . . ., bull . . ., dull. . ., null . . .)
mein Topf ist voll.
(verstreut im ganzen Gebiet)
Oder: Heidelbeer, mein Topf ist leer,
wenn er nur erst voller wär.
(Schwarzbach, Tautendorf u. a.)
Oder: Heidelbeer, mein Topf ist leer,
mein Kropf ist voll,
dull, dull, dull, mein Topf ist voll.
(Oberbodnitz)
Eine schon kompliziertere Form nimmt der gleiche Gedanke in den Liedern an,
die einen Bestimmten aus der Schar herausgreifen, der seinen Topf nicht voll hat.
im Gebiet östlich der Linie Schleiz—Auma—Weida heißt der Sünder die „faule
talähre“. Das Lied lautet:
Roll, roll, roll,
mein Topf ist voll,
voller schwarzer Beere.
Und wer sein Topf nicht voller hat,
das ist ’ne faule Mähre.
Die faule Mähre geht hintennach
und trägt ’n leeren Topf enach.3)
Ist hier Faulheit der Grund, warum der Topf nicht vollgebeert wurde, so in
einer anderen Motivgruppe Gefräßigkeit:
Roll, roll, roll,
wir haben alle voll,
wie der kleine Dickkopf nicht,
der noch drin im Holze sitzt
und die Beeren aus dem Topfe frißt,
tautet die Hauptform des Motivs, das westlich der oben angegebenen Linie im
ganzen Gebiet ziemlich häufig auftritt.
3) Bei H. Hepding, a. a. O., S. 52 mit z. T. wörtlicher Übereinstimmung als Beispiel
aus Sachsen.
472
Gerda Grober-Glück
Daß „kleiner Dickkopf“ eine besonders schonende Bezeichnung ist, zeigt eine
Variante aus Grobengereuth:
Roll, roll, roll,
wir haben alle voll,
bloß der letzte Dickarsch (auch: Leerarsch, Kahlarsch) nicht,
der auf’m Berge saß
und die Beeren aus dem Topf herausfraß.
Beide Motive sind Necklieder, entstanden aus dem Vergleichen nach vollbrach-
tem Sammeln. Oft wird am Schluß der Gemeinte namentlich genannt und mit
Fingern auf ihn gezeigt, oder es fühlt sich ganz allgemein der letzte der Reihe beim
Heimmarsch betroffen, und es setzt ein allgemeines Vorrennen ein, weil keiner den
Schluß machen will.
Zu einer ganzen kleinen Erzählung ausgesponnen wird das Lied von der Mutter,
die den gefräßigen oder faulen Sammler bestraft:
Ich ging mal in die Beer,
da kam ich wieder leer.
Da nahm die Mutter die Ofengabel
und schlug mich auf mein Beerbeerschnabel4)
lautet die Grundform, die östlich Auma—Schleiz das Motiv von der „faulen Mähre“
fortsetzt, im übrigen Gebiet aber allein vorkommt. Doch bleiben viele Dörfer dabei
nicht stehen, sondern erzählen humorvoll weiter. Um nur einige Weiterdichtungen
anzuführen:
— Da schreit ich immer Beer, Beer, Beer,
da war mein Topf noch immer leer.
Da kroch ich in ein Mauseloch,
da kriegt ich eins aufs Arschloch.
Da kroch ich immer weiter ’nein,
da hieß sie mich beim Teufel sein.
Oder: — Mutter, hau mich nicht so sehr,
ich bring dir ’n ganzen Topf voll Beer.
Oder: — Da schreit mir alle Beer, Beer, Beer.
Ach, wenn ich doch in meiner lieben Heide wär.
Oder, in furchtbarem Zornesausbruch:
— Beerbeerschnabel war ganz zuschanden.
Ihr verdammten Weiberbanden.
Wendet sich schon bei diesem letzten Motiv der Gedanke an das, was einem
nach der Heimkehr erwartet, so noch mehr in einer Motivgruppe, die man nach
ihrem Thema „Heimweglieder“ nennen kann. Sie tragen weniger erzählenden
Charakter wie die vorhergehenden, insbesondere das Lied von der strafenden
Mutter, sondern mehr lyrisch-stimmungsmäßigen.
4) Die Verbindung von „Ofengabel“ und „Beerenschnabel“ wird bei H. HepdiNG
a. a. O., S. 53 für Franken und Oberhessen erwähnt.
473
Heidelbeerlieder aus Thüringen
Heim, heim, heim geht der Weg.
Hoch, hoch, hoch geht der Steg.
Nieder, nieder, nieder geht die Sonne.
Wann werde ich heimkehren?
Was wird meine Mutter kochen?
Klöße, Fleisch und Gickerhahn
und ’ne saure Ditsche dran. (Untergneus)
Oder: Hoch, hoch, hoch ist der Staub,
Nieder, nieder, nieder ist die Sonne.
Wann wollen wir heimkommen?
Heute nicht und morgen nicht
und die ganze Woche nicht.
Was wird meine Mutter usw. (Lichtenau)
Vor allem die Anfänge wirken sehr poetisch und klingen nicht so naiv-kindlich
^ie alles andere. Aber der handfeste Realismus bricht siegreich durch!
Übrigens ist durch kleine Abänderungen auch das Allerweltsmotiv vom „vollen
oder leeren Topf“ in einigen Orten zu einem Heimweglied umgestaltet:
Beer, Beer, Beer,
heute kommen wir leer.
Roll, roll, roll,
morgen kommen wir voll . . .
singen die Kinder in Arnshaugk, wenn sie vom Beeren zurück ins Dorf kommen.
Gern werden in den Heidelbeerliedern auch Fehden zwischen den Dörfern aus-
getragen5)- So bringen die Bewohner von Straßberg ihren Haß auf die Beerensamm-
ierscharen Plauens zum Ausdruck:
Roll, roll, roll,
mein Topf ist leer,
keine schwarzen Beer gibt’s mehr.
Die Plauenschen ham se weggefressen,
mir ham keine Beern zu essen.
Oder die Volkmannsdorfer werden wegen ihrer Armut von den Crispendorfern
verspottet:
Volkmannsdorfer Blasenscheißer,
haben die zehnten keine Häuser,
müssen sich im Holz rumbuckeln,
müssen schwarze Beer zamzupfen.
, 5) Zur Ortsneckerei in Heidelbeerliedern bringt Hepding mehrere Beispiele: a. a. O.,
S- 55; Hess. Bll. f. Vk. 24 (1925), S. 129. Vgl. auch F. M. Böhme: Deutsches Kinderlied
Und Kinderspiel. Leipzig 1867, S. 193, Nr. 951.
474
Gerda Grober-Glück
Die Mädchen werden verspottet in dem Motiv:
Roll, roll, roll, Beer, Beer, Beer.
Wenn das Mädchen meine wär,
wollt ich sie verkaufen
und das Geld versaufen. (Kahla und Umgegend)
Zur Frage der Entstehung solcher Heidelbeerlieder hat Rudolf Bilz in seiner
Abhandlung Die Kuckucksterz6) einen anthropologisch tiefschürfenden Beitrag ge-
leistet. BlLZ geht von modernen Pilz- und Beerensammlergemeinschaften aus und
stellt fest, daß heute ebenso wie bei den Sammlerscharen der Altsteinzeit der Ver-
ständigungsruf, der den verlorengegangenen Blickkontakt ersetzt, spontan die kleine
Terz wählt. Die ganze Sammlerschar stellt einen Klangkörper dar, dessen stets in
Frage gestelltes Fließgleichgewicht mit der Rufterz gekoppelt ist. BlLZ sieht diese
begründet in einer der Urängste der Menschheit, nämlich der Angst, den Anschluß
an die Horde zu verlieren, was Verlust des Lebens bedeuten konnte. — Diesen Aus-
führungen zufolge ist also in dem als Terz auftretenden Verständigungsruf die
Keimzelle zu sehen, aus der heraus sich die Heidelbeerlieder entwickelten. Schon die
bisher besprochenen Texte zeigen, welches Gewicht dem Ruf zukommt, der meist
den Anfang des Liedes bestimmt. Ganz deutlich wird die Bedeutung des Rufs au
einem in Magersdorf festgestellten Lied:
Heidelbeeren, Heidelbeeren!
Wer will mir das Ding verwehren,
daß ich rufe Heidelbeeren.
Hier ist der Ruf „Heidelbeeren“ nicht nur Ausgangspunkt, sondern auch Inhalt
des Liedes. In der Folge hat sich andersartiger Inhalt an den Ruf ankristallisiert,
bis sich die Lieder fast völlig vom Ruf lösen konnten, wie insbesondere der unten
(S. 477) angeführte Beerengesang zeigt. Als Zwischenstufe auf diesem Weg wäre
das in Volksmannsdorf festgestellte Lied anzusehen:
Heidelbe er,
mein Bauch ist leer,
alles steht voll schwarzer Beer.
Hier stehen Ruf und Inhalt noch in engstem Zusammenhang.
Der Rufcharakter kann noch durch besondere Klangelemente unterstrichen
werden. Allein auf solcher Klangwirkung beruht z. B. das Lied:
Beerii, Beerii,
sei alle noch grii (= grün).
Beeroo, Beeroo,
sei alle noch doo (= da). (Bernsgrün) * 96
S.
6) Festschrift fur Victor von Weizsacker: Arzt im Irrsal der Zeit. Gottingen 19^’
96 — 118.
Heidelbeerlieder aus Thüringen
475
Der Inhalt hat hier sekundäre Bedeutung. — Auch ganz neue Klangwörter
können gebildet werden, die man meist als Zusatz zum eigentlichen Lied ertönen
läßt, z. B.: „giira, giira, guch“ und „lauu-, lauu-, lauu, liuu, lauu“. Hinzuweisen ist
in. diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des Halls und Widerhalls bei den
Horninstrumenten — besonders beim Alphorn — und bei den Jodlern, die ja in
Waldreicher, gebirgiger Gegend beheimatet sind. Die Kinder genießen bei solchen
Rufen das Echo des Waldes. Daß dies bei Kindern ein beliebtes und unermüdlich
wiederholtes Spiel ist, ist aus dafür gebildeten Wortpaaren wie „Was essen die
Studenten? — Enten“ genugsam bekannt. R. BlLZ führt diese kindliche Echolalie
auf die gleiche Wurzel: die Rufterz zurück und sieht in ihr eine abgeschwächte
Form jener Urangst der Menschheit vor dem Getrenntsein von der Gemeinschaft7).
Die von BiLZ getroffene Feststellung, daß der Verständigungsruf in der Terz
erfolgte, kann von meinem Material aus, das sich im wesentlichen auf Textaufnahme
beschränkt, nicht gestützt werden. Die Heidelbeerlieder in H. J. MOSERS Tönenden
Volksaltertümern8) ergeben in mechanischer Auszählung der Tonstufen:
Heidelbeerlied aus Franken (Breitengüßbach):
13 Primen 6 Sekunden 7 Terzen 2 Quarten
Heidelbeerlied aus Sachsen: 15 Sekunden 4 Terzen
Feerensammlerlied aus Schwaben: 24 Primen 3 Sekunden 13 Terzen 2 Quinten
Das „Waldbeerliedchen (Eichhornruf)“ in F. M. BÖHMEs Sammlung9) enthält
17 Primen 17 Sekunden 10 Terzen 3 Quarten 2 Quinten
Die Terz ist also demnach neben Prime und Sekunde das Hauptintervall. Wesent-
lich ist, daß vor allem die eigentlichen Rufe im Lied fast stets in der Terz auf-
Veten10). — Von den oben erwähnten Klangwörtern, die als selbständiger Zusatz
ertönen, erklingt nach meinen Feststellungen lauu — liuu in der Terz, wobei für
den U-Laut die höhere Tonstufe gewählt wird, eine Tatsache, die der besonders
Weiten Tragkraft des U-Lautes11) entspricht. — Hall und Echo, die ursprünglich
die Kontaktrufe erleichtern, gewinnen allmählich selbständige ästhetische Qualität
ünd wortinhaltliche Füllung.
Für die Entwicklung des Heidelbeerliedes aus der Keimzelle des Verständigungs-
rufes kommt zweifellos den in den angeführten Beispielen so häufigem „roll, roll,
roll“ besondere Bedeutung zu. Das Abrollen der Beeren von der Staude in die
Hand und aus der Hand in den Eimer ist der Kernvorgang der Sammeltätigkeit und
7) a.a. O., S. 115.
) Berlin-Schöneberg, 1935, S. ioof.
9) a. a. O., S. 192, Nr. 946.
10) Der Beerensammlerruf des Salzkammergutes (Moser a.a.O., S. 101) hat dagegen mit
4 Primen, 1 Quinte und 1 Dezime Jodlercharakter.
X1) Bilz a.a.O., S. 102.
476
Gerda Grober-Glück
zugleich die Quelle der Sammlerfreude, jenem atavistischen Wohlgefallen am Sam-
meln an sich, das, gleichsam losgelöst vom Zwecke der Lebenserhaltung, hier im
Anblick der rollenden Beeren Selbstdarstellung und Genügen findet und mit Nach-
druck gegen Faulheit und Gefräßigkeit abgesetzt wird. So müssen auch die Bib
düngen „hüll, null, bull, dull“ als lautmalerische Wiedergabe des Geräusches der in
den Krug rollenden Beeren verstanden werden. — Dieses dreimalige „roll, roll,
roll“ sagt aber noch mehr aus. Wenn es z. B. heißt:
„Da schrei ich immer roll, roll, roll,
da wird mein Topf immer weiter voll“ (s. u. S. 477),
so wird deutlich, daß der Ruf hier wie eine Beschwörungsformel angewandt wird,
die die Beeren in den Topf locken soll. Das bereits zitierte Motiv:
„Beer, Beer, Beer, mein Topf ist leer.
Roll, roll, roll, mein Topf ist voll“
vermag diese Annahme zu bekräftigen. Die Eingangszeile stellt gewissermaßen
einen Anruf des sammelnden Kindes an die Beeren dar, in seinen leeren Topt
hineinzuspazieren; ihm folgt das magisch-zwingende „Roll, roll, roll“, das dem
Gefäß zum Gefülltwerden verhilft. In dem von H. HEPDING angeführten Zweizeiler
„Beeroll, Beeroll,
’s Häfele wird heut gar net voll“12)
sind die beiden Beschwörungsrufe „Beer, Beer, Beer“ und „roll, roll, roll“ eine
Verschmelzung eingegangen. Gerade HEPDINGs Hauptanliegen ist es, die zauberi-
schen Grundlagen vieler Bräuche beim Beerensammeln darzulegen13); der hier
vermutete Wortzauber fügt sich seinen Erkenntnissen zwanglos ein. Im heutigen
Bewußtsein ist allerdings der magische Charakter dieser Formeln verblaßt: das
Gewicht der Aussage hat sich auf die reale Tatsache des vollen oder leeren Topfes
verlagert.
Für die weitere Ausformung der Heidelbeerlieder zu ihrer heutigen Gestalt sind
vor allem die Gegebenheiten des Sammelgeschehens von Bedeutung, wie sie oben
(S. 47 of.) skizziert wurden: die sich vom Inhaltlichen her ergebenden Assoziationen
werden mit oder ohne Reim aneinandergereiht. Der Reimtrieb, die naive Freude
am Reimen an sich, kann aber — wie in anderen Kurzformen der Volksdichtung, so
auch hier — primär bestimmende Funktion annehmen, so z. B., wenn es darum
geht, die ursprünglich so gewichtigten Worte „roll“ und „Beer“ zu bereimen.14)
Neben Verständigungsruf und damit gekoppelter Echolalie ist als EntstehungS'
Ursache der Heidelbeerlieder die naive kindliche Freude an Reimereien und ge'
reimten Darstellungen eines Sachverhalts zu nennen, die etwa auch bei Marien-
käfersprüchen, Abzählversen und ähnlichen Kurzdichtungen eine Rolle spielt:
der Fortgang des Liedes ist hier oft weniger bestimmt durch inhaltliche Assoziationen
12) a. a. O.., S. 17.
13) s. bes. seine Ausführungen a. a. O., S. 51, 57.
14) Vgl. Georg Schläger: Der Reimtrieb als Wortschöpfer. In: Zs. für Deutschkunde
35 (1921), S. 289-299.
Heidelbeerlieder aus Thüringen
477
als durch den Reimtrieb, so wie etwa beim Schluß des Abzählverschens „zedra,
^edra, wu, und ’naus bist du“ das „wu“ nur des „du“ wegen da ist. Solch ein
Reimwort liegt z. B. vor bei dem häufigen „roll, roll, roll“, das bezeichnenderweise
auch durch andere Wörter ersetzt werden kann.
Der Entstehung von Liedern förderlich ist auch der gemeinsame Heimmarsch.
Ganz abgesehen davon, daß — wie in den Heimwegliedern — der Weg selbst zum
Inhalt des Liedes werden kann, regt der oft lange Marsch zu zeitverkürzendem
Singen an.
Dabei macht sich die durch die körperlichen Strapazen des Umherschweifens und
Rückens verständliche Ermüdung im Wiederholen immer des gleichen Liedes be-
merkbar. Man denke nur daran, wie in der Schulzeit ermüdende Märsche durch
Rieder wie „Zwölf kleine Negerlein“ oder „Sechs Paar lederne Strümpf“ „erträg-
licher“ gestaltet wurden. Daneben ist aber noch eine zweite, interessantere Form
repetierenden Einprägens möglich: alle bekannten Lieder werden hintereinander-
''■veggc^ngen, wobei sie so aneinandergereiht werden, daß ein Lied an das andere
Inhaltlich einigermaßen anschließt bzw. mit ihm verknüpft wird. Mit anderen
Worten: auf dem Heimweg entstehen die langen Beerengesänge.
Um nur ein Beispiel, einen Beerengesang aus Lichtenau, anzuführen:
Itze kum die Beerenkinner,
mir hum alle voll,
wie der leere Dickarsch nicht,
das gar niemand nicht (oder: Name) ist.
Wenn wir heimkommen,
nimmt unsere Mutter die Ofengabel
und schlägt uns auf den Beerschnabel.
Da schrei ich nur immer roll, roll, roll,
da wird mein Topf immer weiter voll.
Da schrei ich immer Beer, Beer, Beer,
da wird unser Topf immer weiter leer.
Voll Heidelbeer, voll Preißelbeer,
die wachsen auf der Heide.
Das sind die Molbser (Molbitzer) Madeln.
Oßwalds ihre ist auch dabei,
das soll die allerschönste sein.
Hoch, hoch, hoch ist der Staub.
Nieder, nieder, nieder ist die Sonne.
Wann wollen wir heimkommen?
Heute nicht und morgen nicht
und die ganze Woche nicht.
Was wird meine Mutter gekocht haben?
Klöße, Fleisch und Gickerhahn
und ’ne saure Ditsche dran.
478
Gerda Grober-Glück
Bemerkenswert ist, daß das Ganze von dem, der mir’s vortrug, als eine Einheit
empfunden wurde. Solche Beerengesänge sind auch — dank des noch wenig be-
lasteten Gedächtnisses der Dörfler — gar nicht so selten und werden von ihnen mit
besonders stolzer Freude aufgesagt.
Zusammenfassend stellen wir fest:
Der Inhalt der Heidelbeerlieder entspringt aus der lebendigen Situation, in def
voller oder leerer Topf die Hauptrolle spielt. Derber Spaß und Spott sind dabei
charakteristisch. Lyrische Elemente treten auf, erzählende überwiegen aber weitaus-
Die Verankerung von Volksdichtung in der Gemeinschaft und ihrer gegebenen
konkreten Lage ergab sich eindeutig: Rufverständigung im Walde war als Ent'
stehungsursache für einzelne Lieder nachzuweisen und ist für die Heidelbeerliedef
überhaupt als Zellkern anzusehen; der gemeinsame Heimweg führt zur Bildung der
Beerengesänge.
Vladimir Propp — Leningrad
Vladimir Ivanovic Cicerov zum Gedächtnis
Am ii. Mai starb Professor Vladimir IvanoviÖ ClÖEROV (Tschitscherow) in
Moskau eines plötzlichen Todes. Noch nicht 50 Jahre alt, stand er in der Vollkraft
seines Schaffens. Ein Schüler und Freund der Brüder SoKOLOV, war er als ihr Nach-
folger ständig bemüht, die Methoden der volkskundlichen Forschung weiter-
Subilden und zu heben. Sein eigentliches Gebiet war die russische Volksdichtung.
Wertvolle Studien über die rituelle Agrarpoesie, über das historische Lied, über
das russische Epos sichern ihm einen dauernden Namen. In den letzten Jahren
beschäftigte er sich viel mit dem Studium des russischen Arbeiterliedes und hat
eine grundlegende Arbeit über die Jahre 1890—1907 veröffentlicht.
Große Verdienste hat er sich durch mannigfache wissenschaftliche und populäre
Publikationen erworben. Flervorzuheben ist die große Ausgabe Onezskie bxjliny
(Bylinen aus dem Onegagebiet), die die Aufzeichnungen der von den Brüdern
SOKOLOV in den Jahren 1926 bis 1928 geleiteten Nordexpedition enthält und ein
Muster wissenschaftlicher Edition darstellt.
In diesem Zusammenhang sind auch seine methodischen Hilfswerke und An-
leitungen für Sammler zu nennen. Als Sammler hatte er eine besondere Liebe und
e*n besonderes Interesse für die Rezitatoren und Sänger aus der Bauernschaft. Seine
diesbezüglichen teilweise noch unveröffentlichten Arbeiten gehören zum besten,
Vas auf diesem Gebiet geleistet worden ist.
ClÖEROV war ein tatkräftiger und erfolgreicher Lehrer und Organisator. Er
batte den Lehrstuhl für Volksdichtung an der Moskauer Universität und hat
Mehrere Hochschulprogramme verfaßt. Zugleich war er stellvertretender Redakteur
der Izveslija (Nachrichten) der Akademie der Wissenschaften der UdSSR (Ab-
teilung für russische Literatur und Sprache) sowie Mitglied des Redaktions-
kollegiums der Zeitschrift Sovetskaja Etnografia. Als Leiter der Abteilung für
Volksdichtung des Moskauer Gorki-Instituts für Weltliteratur hat er den Grund-
stein zu einer Herausgabe der Epen der Völker der UdSSR gelegt. Der Reichtum
atl Epen der Völker des hohen Nordens, Sibiriens, Mittelasiens, des Kaukasus ist
Ungeheuer, doch mangelt es an gediegenen wissenschaftlichen Ausgaben und Über-
Setzungen. Diese vorzubereiten betrachtete ClÖEROV als eine der Hauptaufgaben
ber gegenwärtigen Sowjet-Folkloristik und übernahm ihre wissenschaftliche
Leitung. Hierher gehört auch eine Reihe seiner theoretischen Schriften über
epische Poesie.
*° Volkskunde
482
Bericht über die Konferenz der Geräteforscher
Immer hilfsbereit und liebenswürdig, ein treuer Berater für alle, die seiner be-
durften, so steht er im Andenken derer, die ihn kannten. In den letzten Jahren gab
es kaum ein größeres Unternehmen auf dem Gebiet der Folkloristik, an dem
ClÖEROV als Leiter oder tätiges Mitglied nicht teilgenommen hätte. Besonders
nah lag ihm das Studium der Volkskunde als ein Mittel der Annäherung und Ver-
ständigung der Völker untereinander. Er war ein gern gesehener Gast in slawischen
Ländern. Ein bevorstehender Besuch in Berlin ist durch seinen Tod vereitelt worden.
Wolfgang Jacobeit — Berlin
Bericht über die Konferenz der Geräteforscher in KJagenfurt
vom 17. bis 21. September 1956
Im Laufe der letzten Jahre ist die in der Volkskunde bisher so vernachlässigte Geräte-
forschung durch verschiedene Tagungen und Konferenzen mit Vertretern aus ganz Europa
sehr gefördert worden. Genannt sei nur die Internationale Pflugforscherkonferenz in Kopen-
hagen 1954 und die Tagung für Agrarethnographie in Berlin 1955. Im vergangenen Jahr
nun hatte der auch durch seine gerätekundlichen Arbeiten hervorgetretene Wiener
Universitätsprofessor Leopold Schmidt die von ihm geleitete ständige Sektion für
„Historische Volks- und Völkerkunde“ auf dem 4. Österreichischen Historikertag, der vorn
17. bis 21. September in Kärntens Landeshauptstadt Klagenfurt stattfand, ganz unter das
Thema Bäuerliche Arheitsgeräte-Forschung gestellt. Ging es in Kopenhagen allein um die
Erforschung eines einzigen Gerätes, nämlich des Pfluges, und zeigte der Berliner Kongreh
die Fülle der Problemeauf, die von Gerätekundlernund Agrarethnographen noch angegangen
werden müssen, so erarbeiteten die Forscher des Klagenfurter Treffens, in der Haupt-
sache die Vertreter des Gastlandes selbst, sehr klar methodologische Grundlagen einer
künftigen gerätekundlichen Arbeit und wiesen vor allem auf die Notwendigkeit der histo-
rischen Vertiefung und damit auf die große Bedeutung des archivalischen Quellenmaterials
hin.
Leopold Schmidt (Wien) berichtete in seinem Referät: Der Stand der bäuerlichen
Arbeitsgeräte-Forschung in Österreich über die praktische Arbeit des von ihm geleiteten
Österreichischen Museums für Volkskunde zur Erfassung der mittelalterlichen Bildquellen,
die, wie er in seinen letzten Arbeiten immer wieder zeigte, von großer Bedeutung für die
Geräteforschung sind. Daneben wird in Wien der Geräteaufnahme in den Museen nv1c
auch der Anleitung zum Sammeln von Gerät auf dem Land besonderer Wert beigemessen-
Hanns Koren (Graz) referierte über Jochformen und Jochnamen in Innerösterreich-
Sein Vortrag war in der Hauptsache ein Beispiel der notwendigen Einheit zwischen gegen-
wärtiger Feldforschungund historischer Bestandsaufnahme von Bildquellen der verschieden-
sten Art, von Inventaren und Kamerallisten. Ähnliche Untersuchungen, die selbstverständ-
lich nur für ein zunächst geographisch begrenztes Gebiet durchgeführt werden können,
wären für alle unsere Arbeitsgeräte vonnöten. Körens Vortrag, der gerade infolge de*
methodischen Synthese zwischen dem gegenwärtigen Erscheinungsbild und dessen
historischer Vertiefung so eindringlich war, zeigte klar, daß erst durch die systematisch
Erfassung eines Geräts in seiner historischen Ganzheit die Geräteforschung an einem völllfl
neuen Abschnitt steht.
Bericht über die Konferenz der Geräteforscher
483
Hatte Koren an einem Beispiel den Wert der historischen Durchdringung in der Geräte-
kunde erläutert und aufgezeigt, so behandelte Oskar Moser (Klagenfurt) Das bäuerliche
Arbeitsgerät in den historisch-archivalischen Quellen Kärntens allgemein. Moser hat sich
!n bewundernswerter Kleinarbeit der Mühe unterzogen, die bäuerlichen Haus- und
Hofinventare in der Propsteiherrschaft Wieting (Nordostkärnten) nach dem Vorkommen
von bäuerlichem Arbeitsgerät zu mustern. Er hat dabei nicht weniger als 970 Inventare
durchgearbeitet und kann nun das historische Material für eine Fülle von Geräten der Haus-
Hof- und Feldwirtschaft vorlegen. Es kam ihm in seinem Vortrag darauf an, dar zu stellen,
1,1 welcher Art man das Ergebnis einer solchen Inventaraufnahme, die er für die Zeit von
1560 —1810 durchgeführt hat, und die noch durch Urbare, Rechnungsbücher, Gerichts-
akten usw. ergänzt werden müßte, der Forschung zugänglich machen kann. Auch Moser
Tat nachdrücklich für ein vorhergehendes Studium am Objekt selbst ein, bevor man an die
Quellendokumentation herangehe.
Franz Kollreider (Lienz) gab in seinem Referat Historische Arbeitsgerät-Forschung
ln Osttirol im wesentlichen einen Überblick über die Bestände des von ihm in Schloß Bruck
geleiteten Gerätemuseums.
Boris Orel (Ljubljana/Laibach) berichtete vor allem über den Stand der Erforschung des
bäuerlichen Arbeitsgerätes in Slowenien, was insofern von Wichtigkeit war, als die
slowenische Arbeitsgeräteforschung eigentlich erst 1945 einsetzt, aber von diesem
Zeitpunkt an durch die Slowenische Akademie der Wissenschaften in Ljubljana volle
Unterstützung erfährt. Wichtig scheint uns vor allem die Bemerkung des Referenten,
daß sich in Slowenien auch die Historiker immer mehr mit agrartechnischen Grundfragen
beschäftigen und so wertvolle Arbeit für die weitere Erforschung der materiellen Volks-
kultur leisten.
An Stelle der leider fehlenden öffentlichen Diskussion gab es im Laufe der Tagung reichlich
Gelegenheit zu eingehenden Gesprächen über die in den Referaten dargelegten Gedanken.
Es wurde sehr begrüßt, daß das Institut für deutsche Volkskunde in Berlin als einzige
deutsche Institution den ersten Schritt zu einer Dokumentation des deutschen Geräte-
^aterials mit seiner fotografischen Erfassung in den Museen unserer Republik getan hat.
Mit dieser Aktion, so betonten die in Klagenfurt versammelten Fachvertreter mehrfach,
^erde endlich eine Lücke geschlossen, die man — zwischen der Materialfülle Skandinaviens
knd Österreichs bzw. des europäischen Südostraumes — stets als sehr störend empfunden
habe.
Für den deutschen Volkskundler ist es von besonderem Reiz, in einem ethnographisch
s° engräumigen und doch vielschichtigen Gebiet wie Kärnten Dinge noch in Funktion zu
Sehen, die er zum größten Teil nur aus der Literatur kennt, wozu eine vorzüglich organi-
Slerte ganztägige Exkursion durch Unterkärnten Gelegenheit gab.
Das außerordentliche Entgegenkommen des Herrn Landeshauptmanns ermöglichte es
hen beiden Vertretern der DDR, einen fast zweitägigen Aufenthalt in St. Oswald ob Klein-
kifchheim zu nehmen, und gab ihnen Gelegenheit zu eigenen Feldforschungen in den
b°rtigen „Ringhöfen“, die zum Teil schon seit dem 17. Jh. bestehen und erst in unseren
bagen modernisiert — oder auch abgerissen und durch Ziegelbauten ersetzt werden, wenn
bie Hofstelle nicht sogar einfach aufgelassen wird, die Gebäude allmählich verfallen und der
ehernalige Besitzer in die Stadt zieht1).
Auf der Rückfahrt fand sich Gelegenheit, das außerordentlich reicheTschechoslowakische
kandwirtschaftsmuseum in Kacina bei Kutnä Hora zu besichtigen. Das Museum, ein
l) Es sei hier Gelegenheit genommen, auf die Ausführungen von I. Weber-Keller-
ktANN in der Besprechung von Oswin Moros Buch St. Oswald ob Kleinkirchheim
(DLZ 75/1954, Sp. 782fr.) hinzuweisen, in der sie anregte,eineUntersuchungüber St. Oswald,
*e Moro so vorbildlich angelegt hat, bis in unsere Tage fortzuführen. Tatsächlich wäre
eine seltene Gelegenheit gegeben, die Geschichte eines einst blühenden Dorfes bis zu
Seinem kaum mehr aufzuhaltenden Verfall in unseren Tagen zu schreiben.
484
Fragebogen zur Geräteforschung in Albanien
großzügig angelegtes Herrenhaus des frühen 19. Jhs, ist für die Menge des Materials dennoch
zu klein, da hier nicht nur die bäuerlichen Arbeitsgeräte Aufstellung gefunden haben,
sondern die gesamte Entwicklung der tschechoslowakischen Landwirtschaft und Viehzucht
bis zum heutigen Stand der Kollektivwirtschaften zur Schau gestellt wird. Nehmen wir allein
die Zahl der in Kacina gesammelten Pflüge — es sind etwa 200, die vornehmlich Museums-
leiter Sach zusammengetragen hat, — so gibt es wohl kaum eine Sammlung in Europa, die
einen ähnlichen Reichtum aufzuweisen hat.
Auch im Institut für Volkskunde an der Tschechoslowakischen Akademie der Wissen-
schaften in Prag ist J. Kramarik bemüht, die historische Vertiefung der Geräte-
forschung immer weiter auszubauen, indem ganz systematisch die mittelalterlichen Bild-
quellen (Bibeldrucke, Stundenbücher, Kalender usw.) erfaßt und archivmäßig nutzbar
gemacht werden. — Den Hausforscher wird interessieren, daß KRAMARiK ein sehr umfang-
reiches Archiv über den tschechoslowakischen Haus- und Gehöftbau angelegt hat.
Abschließend sei bemerkt, daß die Klagenfurter Tagung nicht nur eine Fülle von An-
regungen für die Arbeit unseres Instituts brachte, sondern vor allem auch die Möglichkeit
gab, neue Verbindungen zu knüpfen, die zu einer immer erfolgreicheren Zusammen-
arbeit unter den europäischen Geräteforschern führen möge.
Wolfgang Jacobeit — Berlin
Fragebogen zur Geräteforschung in Albanien
Das archäologisch-ethnographische Museum am Albanischen Institut der Wissenschaften
zu Tirana (Leitung Rrok Zojzi) hat seit dem Jahre 1951 an die Lehrerschaft des Landes
eine Anzahl von Fragebogen versandt, die vorwiegend der Erfassung des bäuerlich^
Gerätematerials dienen sollen.
Das Institut für dt. Vkde. hat bisher Fragebogen für folgende Geräte zur Einsicht-
nahme erhalten:
Pflüge (Arl-Typ)
Pflugschare
Eggen
Hacken
Spaten
Gabeln
Beile
Butterfässer
Hau srat
Schäferstöcke
Mu sikinstru mente
Hirtenhütten und Schafpferche.
Die einzelnen Fragebogen sind so angelegt, daß der Bearbeiter zu dem jeweils abgebildetcf
Gerät mehrere Rubriken auszufüllen hat, die Angaben über die Hersteller, das Brauch tut11
und die Benennung des Geräts und seiner Teile enthalten sollen. Gewünscht werden auch
Skizzen, wenn die Geräteform bei den Bauern von den Zeichnungen im Fragebogen ab'
weicht.
Gewiß hat der Fragebogen des Albanischen Instituts der Wissenschaften einige MängA
besonders hinsichtlich der Wiedergabe der Geräteabbildungen. Es dürfte aber für dlC
Geräteforscher nicht uninteressant sein zu erfahren, daß auch in diesem Teil Europa
an der Dokumentation und Erfassung des bäuerlichen Gerätematerials gearbeitet wird.
Wolfgang Jacobeit — Berlin
Ein Fragebogen zur Schäfervolkskunde in Deutschland
Der im Folgenden zu erläuternde Fragebogen zu einer deutschen Schäfervolkskunde ist
ln seiner Grundkonzeption schon einige Jahre alt. Er ergab sich aus der Notwendigkeit,
bei einer geplanten Monographie über den deutschen Schäfer auf ein sowohl geographisch
ausgedehntes als auch sachlich möglichst umfangreiches Material zurückgreifenzu können.
Ls hat sich im Verlaufe der Untersuchung nämlich sehr bald gezeigt, daß allein der in der
Literatur erfaßbare Stoff bei weitem nicht zu einer monographischen Darstellung ausreichen
^dirde, daß andererseits in kleineren und nur eingeweihten Fleimatforschern bekannten
Schriften und Zeitungsbeilagen, in unveröffentlichten Dorfchroniken, Pfarrei- und Ge-
meindeakten vieles zusammengetragen ist, was die Forschung noch nicht kannte. Flinzu
kam, daß bei der geschilderten Quellenlagc manches erwartet werden konnte, was sich noch
im Wissen einzelner Leute auf dem Lande und bei Schäfern selbst erhalten hatte.
Diesen für die geplante Monographie unerläßlichen Stoff zu erfassen, gab es kein bessere
borschungsmittel als den Fragebogen, zumal wir unsere Untersuchung nicht allein au
Deutschland beschränken können, sondern auch auf das gesamte Mitteleuropa ausdehnen
müssen glaubten; denn zu vielfältig sind die Beziehungen, die das deutsche Schäfertum
mit dem seiner Nachbarn verbinden.
Der Fragebogen wurde außer geringfügigen Abänderungen in der Form, wie er unten
aufgeführt ist, zunächst an die Heimatmuseen und volksku ndlichen Institute in der Deutschen
Bundesrepublik, an die Zentralmuseen in Frankreich, Holland, Belgien, Dänemark, der
Schweizund Österreich und später auch an die Museenund die Mitarbeiter an den einzelnen
Wörterbüchern im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik versandt. Binnen
kurzem ist eine Verschickung unseres Fragebogens in die Kerngebiete des Schäfereiwesens,
Uach Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und den Balkanstaaten vorgesehen.
Entgegen den kritischen Zweifeln einiger Fragebogenspezialisten hat die Enquête bisher
cin außerordentlich günstiges Echo gefunden. Der Präsident des Regierungsbezirkes
Lüneburg z. B. hat die gestellten Fragen an sämtliche Lehrer seines Verwaltungsgebietes
Urteilen lassen. Ähnlich verfuhren der Landrat des Kreises Merzig/Saar, der Direktor
Bes Museums in Wolfenbüttel und der Oberbürgermeister von Neustadt an der Saale.
Den genannten Flerren an dieser Stelle für ihre Mühewaltung öffentlich Dank sagen zu
dürfen, ist mir eine angenehme Pflicht. Darüber hinaus wurde der Fragebogen an folgenden
Orten veröffentlicht: Deutsche Schäferzeitung 1951, Heimatblätter für Stadt und Kreis
Lauterbach 16/1951, Les cahiers HauUMarnais 32/1953, Internationales Korrespondenz-
konti für Volkskunde 3—4/1953. Die Volkskundliche Kommission für Westfalen in Münstcr
Lihrte auf der Grundlage unseres Bogens eine eigene Befragung durch, deren Ergebnisse
sie in der Broschüre Über Schäfer und Schafzucht 1954 vorlegte. R. Nelli, Conservateur
Bu Musée de Carcassonne, hat seine Antworten unter dem Titel Le berger dans les pays
d Aude in der Zeitschrift Folklore-Aude 1952 zusammengefaßt.
Von rund 1000 ausgeschickten Fragebogen sind bisher etwa 500 Antworten eingegangen,
die zum überwiegenden Teil ein sehr brauchbares Material bieten.
Nun zum Schäferfragebogen selbst, der, den jeweiligen Bearbeiter unmittelbar an-
sprechend, folgenden Inhalt hat:
1. Welche Form der Schafhaltung war und ist in Ihrer Fleimat noch gebräuchlich?
2. Kannte man in Ihrer Heimat für jede Viehart einen besonderen Hirten?
3- Gibt es gewisse Rangunterschiede zwischen den Schäfern und den übrigen Hirten?
'Welche Gründe werden gegebenenfalls dafür genannt?
486
Fragebogen zur Schäfervolkskunde
4. In welchem hauptsächlichen Beschäftigungsverhältnis standen in Ihrer Heimat die
Schäfer?
5. Unter welchen Umständen rechnete man den Schäfer zum Gesinde? Konnte er direktes
Mitglied der bäuerlichen Familie sein?
6. Zählte man den Schäfer zu den sogenannten „Unehrlichen“ oder „Ehrlosen“? Welche
Gründe werden für sein unehrliches Gewerbe angeführt? Galt vielleicht nur eine bestimmte
Kategorie von ihnen, zum Beispiel der Lohnschäfer, als unehrlich? Kennt man das Sprich-
wort „Schäfer und Schinder sind Geschwisterkinder“ oder ähnliche Varianten? Sind Ihnen
Archivalien oder auch Sagen bekannt, die auf die Unehrlichkeit der Schäfer, vielleicht auch
der übrigen Hirten, Bezug haben oder überhaupt die soziale Stellung des Schäfers innerhalb
der Gemeinschaft erkennen lassen? Kennen Sie besondere Namen, Spottverse oder Sprich-
wörter über den Schäfer?
7. Welche Stellung nimmt er im Volksglauben und im dörflichen Brauchtum ein? Hat er
oder der Hirt außer dem Hutamt noch andere Funktionen? Besitzt er besondere Hand-
fertigkeiten?
8. Kennen Sie Schäfer- und Hirtenzünfte, -innungen, -bruderschaften, -bünde oder
-vereine? Wie alt sind sie, welche Umstände führten zu ihrer Entstehung? Gibt es arebiva-
lisches Quellenmaterial bzw. Sagen und Legenden über ihre Gründung und Bedeutung?
Sind gegebenenfalls noch Zunftsiegel, Zunftfahnen oder Zunftbücher erhalten? Gab es
bestimmte Aufnahmebedingungen? Sind noch gewisse Erkennungszeichen, die ehemals
unter den zünftigen Schäfern getragen wurden, erhalten? Welche Zielsetzung hatten die
Schäfer- und Hirtenzünfte?
9. Gibt es noch Schäfer- und Hirtenfeste bzw. entsprechende Zusammenkünfte? Sind
Archivalien und Sagen, die über ihr Alter Auskunft geben können, bekannt? Wie weit
waren diese Feste zunftmäßig bedingt? An welchem Tage und aus welchem Anlaß wurden
sie gefeiert? Wie war der Ablauf eines solchen Festes? War die Teilnahme ausschließlich
den Schäfern bzw. Hirten und ihren Angehörigen Vorbehalten? Kannte man „Schäfer-
könige“?
10. Welche spezielle Tracht tragen bzw. trugen die Schäfer in Ihrer Heimat?
11. Aus welchen Stücken setzt sich das vom Schäfer benötigte Gerät zusammen? Gibt
es darunter Formen, die für Ihre Heimat besonders typisch sind? Werden noch einfache
Hakenstöcke zum Einfangen der Tiere aus der Herde verwendet? Welche Form haben
die Schäferschippen? Wie werden sie genannt? Wer stellt sie her? Sind Ihnen mittelalterliche
Bildquellen bekannt, die Schäfergeräte zeigen?
12. Bitte um Hinweis auf Literatur und Quellenmaterial sowie Adressen von Personen,
die sich bereits mit den Eigenheiten des Schäferstandes beschäftigt haben.
Dieser Fragebogen, der die Anlage der geplanten Monographie unschwer erkennen läßt,
ist — zumal bei der Komprimierung der Fragen — vielleicht ein wenig zu umfangreich
und setzt bei demjenigen, der ihn beantworten soll, entweder Kenntnisse voraus oder
fordert doch relativ viel Zeit, wenn er das Material zusammensuchen muß. Daraus er-
wäch st natürlich die Gefahr, daß unsere Enquête unbeantwortet bleiben oder nur ungenügend
bearbeitet werden könnte. Solche Befürchtungen erwiesen sich jedoch, wie schon
oben gesagt, kaum als begründet. Im allgemeinen hat man sich wirklich der Mühe unter'
zogen, die einzelnen Fragen gründlich und präzis zu beantworten. Dafür sei allen Einsendern
auch an dieser Stelle herzlich gedankt.
Zu den einzelnen Fragen wollen wir nachfolgend kurz Stellung nehmen und sie erläutern1) •
Zu 1. : Neben einer Darstellung der natürlichen Voraussetzungen, wie Bodenverhältnisse»
Klima usw. muß die Grundlage einer Untersuchung über den Schäfer eine eingehende
x) Die notwendigen Erläuterungen für den einzelnen Bearbeiter sind in der Praxis den
jeweiligen Fragepunkten stichwortartig beigefügt und haben sich in dieser Form als aus
reichend erwiesen.
487
Fragebogen zur Schäfervolkskunde
Erörterung der einzelnen Wirtschaftsformen sein. In diesem Sinne will die Frage i verstanden
"Werden. Aus ihrer Beantwortung soll hervorgehen, welche Art der Schafhaltung — sei
es Stand- oder Wanderschäferei — in der Heimat des Befragten vorherrschend war oder
r'och ist, wobei es wünschenswert wäre, wenn noch die speziellen Ausprägungen der
Standschäferei, wie Guts-, Genossenschafts- oder Einzelschafhaltung angeführt würden. —
Es sei vermerkt, daß gerade der Wanderschäferei als Ausläufer der mittelmeerischen Trans-
humanz ganz besondere Bedeutung zukommt.
Zu 2. und 3. : Im Sinne der SpAMERschen Forderung, „Gruppengeistigkeiten“ heraus-
zuarbeiten und zu erkennen2), und der auch vonHANNS Koren3) eindringlich dargestellten
Notwendigkeit, die Erforschung „echter Gemeinschaften“ als Hauptgegenstand der
volkskundlichen Arbeit zu betrachten, wird zu untersuchen sein, ob der Schäferstand den
Hirten schlechthin zuzurechnen ist oder aber eigene, echte Gemeinschaftsformen besitzt,
die ihn aus der Allgemeinheit der Hirten herausheben. — Eine detaillierte Beantwortung
der Frage 2, d. h. welche Typen von Hirten (z. B. Kuh-, Pferde-, Gänsehirt u. a.) es in den
jeweiligen Gebieten gegeben hat, ist für unsere Problemstellung wichtig.
Zu 4. und 5. : Vielfältig ist das Erscheinungsbild der einzelnen Schäfertypen, die man am
ehesten nach ihrem Beschäftigungsverhältnis unterscheiden kann, also nach Lohn-, Menge-,
Pachtschäfern u. a. Eine Beantwortung nach diesem Gesichtspunkt wird gewünscht. —
Frage 5 leitet bereits zu 6. und 7. über, in denen Stoff zum vorwiegend soziologischen
Problem gesammelt werden soll, das in der Erscheinung des Schäfers als Angehörigem eines
unehrlichen Gewerbes begründet ist. Trotz dieses „Makels“, der seinem Stand anhaftet,
spielt er innerhalb der Gemeinschaft eine nicht unbedeutende Rolle als Menschen- und
Vieharzt, Weissager, Zauber kundiger usw. In der Beantwortung gerade dieses Komplexes
hat die Enquête ein außerordentlich vielseitiges und wertvolles Material ergeben.
Zu 8. und 9.: dürfte sich eine Erläuterung erübrigen, da die detaillierte Fragestellung
unschwer die Problematik einer Darstellung über Schäferbünde und -feste erkennen läßt
und somit die Beantwortung erleichtert.
Zu 10. : Zur schäferlichen Tracht rechnet man gemeinhin nicht nur die tägliche Kleidung,
sondern auch gewisse Stücke der Ausrüstung, etwa den Ranzen und das Bandelier. In dieser
Richtung möchten wir unsere Frage nach der Tracht erweitert wissen.
Zu 11.: Hier dagegen ist vom Schäfergerät die Rede, d. h. von den Gerätschaften, die der
Schäfer zur Ausübung seines Hutamtes gebraucht. An erster Stelle stehen also die Haken-
stöcke oder Hakenstäbe und die Schäferschippen, von denen wir — möglichst mit Foto
oder Skizze — gern die Form des eigentlichen Hakens bzw. der Schippe und ihre mund-
artliche Bezeichnung wüßten. Zum Schäfergerät gehören daneben aber auch gewisse
Operationsinstrumente für die Behandlung bei plötzlich auftretenden Schafkrankheiten,
Wüchsen für Tabaksud gegen die Schafräude, Geräte zur Milch Verarbeitung u. a. Neben
hotos oder Skizzen sind auch Angaben von Maßen oder über das Material, aus dem das
jeweilige Gerät gefertigt wurde, von Wichtigkeit.
Zu 12. : Gerade diese letzte Frage hat uns den Weg zu einer Reihe von Personen eröffnet —
namentlich zu Schäfern —, die wir sonst kaum erreicht hätten. Auch das vielfältige und
Zahlreiche Schrifttum der Heimatforschung wurde uns so leichter erschlossen. Wir legen
also ganz besonders Wert auf die Beantwortung gerade dieser letzten Frage.
Unseren Schäferfragebogen erstmalig öffentlich erläutern und über das bisherige Er-
gebnis der Enquête berichten zu dürfen, war uns ein besonderes Anliegen. Erwarten wir
Roch gerade aus dem Leserkreis des Deutschen Jahrbuches für Volkskunde neben einer
kritischen Stellungnahme, die zur Verbesserung der Fragemethode führen mag, auch eine
rege Mitarbeit an einer Volkskunde des Schäfers.
2) Vgl. Wesen, Wege und Ziele der Volkskunde. Leipzig 1928.
3) Volkskunde in der Gegenwart. Graz 1952.
Erich Stockmann — Berlin
Tagung für Volksmusikforschung in Freiburg
Vom 20.—24. Juli 1956 fand in Freiburg i. Br. die erste Arbeitstagung einer neube-
gründeten wissenschaftlichen Kommission des International Folk Music Council statt. Damit
bot sich den Wissenschaftlern unter den Mitgliedern dieser weltumspannenden Gesellschaft
erstmalig Gelegenheit, ihre besonderen Forsdhungsanliegen in einem kleinen Kreise von
Experten mit der erforderlichen Muße und Gründlichkeit zu eiörtern. Unabhängig von den
Jahresversammlungen des IFMC, auf denen man sich in erster Linie mit Fragen der Samm-
lung und Pflege von Volksmusik auseinandersetzt, sollen in Zukunft die grundlegenden
Aufgaben der Forschung auf besonderen Tagungen von diesem Fachgremium behandelt
werden. Der Einladung zur Zusammenarbeit und Aussprache auf internationaler Ebene
waren 30 Fachvertreter aus 14 Ländern gefolgt. Sie fanden im Deutschen Volksliedarchiv,
das die Durchführung der Tagung übernommen hatte, gastliche Aufnahme. Zur Diskussion
standen die Methoden der vergleichenden Melodienforschung. Damit hatte man ein Thema
ausgewählt, das in den letzten Jahren immer mehr in den Mittelpunkt der Forschung rückte
und stärkste Beachtung verdient. Die Grundlage der Erörterungen bildete ein Referat des
Vorsitzenden der Kommission, Walter Wiora (Freiburg), das den Teilnehmern vorher
zugeschickt worden war. Seine konzentrierten Ausführungen faßten die wichtigsten Auf-
gaben und Probleme der noch im Aufbau befindlichen vergleichenden Methode in über-
sichtlicher Ordnung zusammen. Wiora richtete den Blick auf Kernfragen des geschichtlichen
Lebens der Melodien, ihr Werden und Vergehen, die Abwandlung und Umwandlung der
Weisen im Volke. Weiterhin regte er die systematische Klärung von Grundbegriffen wie
Melodiegestalt und Melodietypus an, untersuchte die Methoden, um Ähnlichkeit und Ver-
wandtschaft zwischen Melodien festzu stellen, und stellte die den Werdegang der melodischen
Formen bestimmenden Kräfte heraus. Dieses von Wiora im Rohbau fertiggestellte Ge-
bäude der vergleichenden Melodienforschung, das für die textliche Seite eine fundierte Er-
gänzung durch Erich Seemann (Freiburg) erfuhr, wurde in der lebhaften Diskussion
auf die Tragfähigkeit der Grundpfeiler und die Möglichkeiten des Weiterausbaues geprüft-
Mancher wichtige Baustein konnte von den Mitgliedern der Kommission aus ihrer Spezial-
kenntnis det Volksmusik einzelner Länder hinzugefügt werden.
Die übrigen Vorträge setzten sich in erster Linie mit der systematischen Ordnung von
Volksweisen als einer Voraussetzung für die vergleichende Betrachtung auseinander. So
referierte Vinko Zganec (Zagreb) klar und präzis über Die Anordnung von Volksmelodien
in Archiven und Ausgaben auf Grund seines kroatischen Materials. Einen Einblick in die
Arbeitsweise der schottischen Forschung hinsichtlich Aufbereitung und Ordnung von Melodien
vermittelte Francis Collinson (Edinburgh). Bertrand Bronson (Berkeley) berichtete
über seine Methode, ein umfangreiches Material mit Flilfe des in der Wirtschaft gebräuch-
lichen Hollerith-Systems schnell und übersichtlich analytisch zu erfassen. Felix HoeR'
Burger (Regensburg) behandelte Grundsätze der systematischen Ordnung von Volkstänzen-
Der österreichische Musikethnologe Walter Graf (Wien) befaßte sich mit Quellenkritik
und Beziehungsforschung. Als sehr instruktiv erwiesen sich die Ausführungen von MariUs
Schneider (Köln) über Rhythmische und melodische Wandlungen einer spanischen Romnn-
zenmelodie. Nils Schiorring (Kopenhagen) bot dänische Beispiele für das geschichtlich'6
Leben alter Melodien und Heinrich Möller (Naumburg) untersuchte die Verwendung
und Umbildung von Volksweisen in der Kunstmusik. Erfreulich ist, daß alle Referate unß
Diskussionsbeiträge in einem Sammelband publiziert werden sollen.
Eine Reihe von öffentlichen Veranstaltungen, die der Vorführung von Schallaufnahmen
europäischer Volksmusik gewidmet waren, bereicherte das Tagungsprogramm. So boten
Johannes Künzig (Freiburg), Claudie Marcel-Dubois (Paris), Valens VoduseR
(Ljubljana), Vinko Zganec (Zagreb) und Erich Stockmann (Berlin) .4ufnahmen deutscher,
Fragebogen zu weihnachtlichen Umzugsspielen 489
französischer, slowenischer, kroatischer und albanischer Volksmusik. Zusammenfassend
kann man sagen, daß die wissenschaftliche Kommission des IFMC unter der tatkräftigen
Leitung ihres Vorsitzenden einen wesentlichen Beitrag zur Festigung der wissenschaftlichen
Grundlagen unserer Disziplin lieferte. Sicher wird sie auch in Zukunft gute und nütz-
liche Arbeit leisten.
Gyula Ortutay - Budapest
Fragebogen zur Sammlung von weihnachtlichen Umzugsspielen
Der bekannte ungarische Volkskundler Gy. Ortutay, der
sich mit seiner Mitarbeiterin Thekla Dömötör in be-
sonderem Maße der Erforschung des Volksschauspiels
widmet, hat zur Sammlung der weihnachtlichen dramatischen
Spiele in Ungarn einen umfänglichen Fragebogen ausge-
arbeitet, und in der Zs. Ethnographia 67 (1956) S. 91-98 ver-
öffentlicht, den wir in stark gekürzter Form nachfolgend Zum
Abdruck bringen und zur Diskussion stellen. Er baut dabei
in erster Linie auf einer Arbeit von J. FaragÖ auf: Betleheme-
zök es käntälök Pusztakamaräson. (Darsteller und Sänger von
Weihnachtsspielen in Pusztakamaräs.) Kolozsvar-Clu j 19471).
Der Fragebogen, der sich bereits im praktischen Gebrauch
vielfach bewährt hat, scheint uns methodisch wichtig zu sein
und interessante Aufschlüsse zu geben für die Arbeits-
bereiche und funktionalen Arbeitsweisen der ungarischen
Volkskunde.
(Die Schriftleitung)
Eine Bemerkung im Voraus: Ich bin kein übertriebener Freund der Fragebogenmethode.
Sie verlockt Zur Bequemlichkeit und erweckt, insbesondere im Anfänger auf dem Gebiete
^es Sammelns, falsche Vorstellungen darüber, daß man mit einzelnen Fragen bereits das
^hema erschöpfen könne. Gerade auf einem Gebiet wie dem des Volksschauspiels kann nicht
lediglich nach einem festgelegten Schema vorgegangen werden. Es ist unsere Pflicht, sowohl
fiie gesetzmäßigen als auch die zufälligen Merkmale mit Aufmerksamkeit zu beobachten,
denn wir können nie im vorhinein wissen, ob nicht ein im Augenblick entstandener Scherz,
e*ne Improvisation vielleicht als ständiger Teil des Textes in die feste Überlieferung mit
aufgenommen wird. Solche Erscheinungen können mit dem Fragebogen allein nicht erfaßt
Werden.
Nach diesen Einschränkungen seien nun die Grundzüge zusammengefaßt, auf die bei der
^ammlung von Weihnachtsspielen zu achten ist. Die sich hier ergebenden Gesichtspunkte
können dann mutatis mutandis im allgemeinen beim Sammeln dramatischer Bräuche an-
§eWandt werden. Eine Überschau über die Forschungsgeschichte dramatischer Volks-
ktäuche zeigt sehr deutlich die Mängel älterer Aufzeichnungen, bei denen man zunächst
nür vom Text ausging und späterhin flüchtige Notierungen über Melodien, Kostüme,
Requisiten, Tänze und Gesten hinzufügte. Neuere Untersuchungen, wie vor allem die schon
1) Ferner weist Ortutay hin auf Sean O’ Suilleabhain : A Handbook of Irish Folklore.
Oxford 1942, S. 351L, wo sich einige Fragen zu den dramatischen Weihnachtssitten be-
finden.
490
Fragebogen zu weihnachtlichen Umzugsspielen
erwähnte von Faragö, haben bereits die Aufmerksamkeit auf einen bedeutend weitere0
Kreis von Gesichtspunkten gelenkt, den wir im folgenden Schema umschreiben und cf'
ganzen möchten.
1. Notierung des genauen Textes, wenn die Spielgruppe einen ständigen, schriftlich fest'
gehaltenen, von Truppe zu Truppe weitergegebenen Text besitzt. Gleichzeitig ist aber der
dramatische Brauch selbst an Ort und Stelle während seiner lebenden Ausübung aufz°'
zeichnen. Am besten ist es, den betreffenden Text mehrere Jahre hindurch stets bei def
tatsächlichen Abhaltung des Festes, und wenn es sich um einen Umzug von Haus zu
Haus handelt, bei mehreren Familien neu zu notieren, wobei man am besten auf einer Kopie
des Grundtextes die abweichenden Stellen einträgt. Auf diese Weise wird es möglich sein zu
beobachten, wo und warum am eingelernten Text geändert wird.
2. Die Notierung der Melodien. Auch hier ist eine mehrmalige Notierung angezeigb
selbst wenn hier eine Variabilität weniger häufig vorkommt.
3. Notierung der zum Spiel gehörigen Gesten. Es gibt traditionelle Gesten, die z. B. zur
Charakterisierung des Husaren, des alten Hirten oder des Engels gehören. Wenn mehrer6
Darsteller abwechselnd dieselbe Rolle spielen, so ist zu notieren, ob in ihrem Spiel, in ihre°
Improvisationen Abweichungen Vorkommen, oder ob sie bestrebt sind, einen gewisse0
„Stil“ einzuhalten. Es ist auch auf jene Bewegungen zu achten, mit denen gewisse scherz-
hafte Wirkungen erzielt werden sollen. Sowohl hier als auch bei denTänzen ist zu beobachte0;
wie sich die Darsteller im gegebenen kleinen Raume bewegen und ob dieser auf die Ge-
staltung ihrer Bewegungs- und Tanzformen einen Einfluß ausübt. (Sowohl hier wie bei der
Notierung der Tänze wäre die Anwendung einer Tanzschrift angebracht.)
4. Die Charakterisierung der Darsteller des dramatischen Spieles: Alter, typische Rolle; o°
ein Darsteller, der längere Zeit hindurch Mitglied der gleichen Spielgruppe ist, die Roll6
wechselt (z. B. als Engel mit hoher Stimme beginnt und später den König oder einen alteil
Hirten darstellt); welches der Umstand ist, der den Rollentausch bestimmt.
5. Genaue Beschreibung der Kostüme und der Requisiten des dramatischen Spiels. A°'
fertigung der Kostüme und Requisiten: aus abgetragenen Kleidungsstücken der FamiHc-
Erhält sie die Gruppe von früheren Spielgemeinschaften? Stellen die Schauspieler die Kleidet
selbst her? Gibt es im Dorfe eine Person, die sich auf alles mögliche versteht, die die Kleidet
näht und die Requisiten herstellt? (Vielleicht die Trachtennäherin?) Besteht zwischen de°
einzelnen Gruppen auch ein im Kostüm in Erscheinung tretender wirtschaftlicher, gesell'
schaftlicher Unterschied (abgetragene oder neu angefertigte Kostüme)? Hat jeder Darstellcl
sein eigenes Kostüm, oder sind sie Gemeinbesitz der Truppe? Ist die Anfertigung dct
Kostüme mit Geld oder anderen Ausgaben für die Spielgemeinschaft verbunden, und Wc
werden diese Ausgaben vergütet oder untereinander verteilt? Ist die Lösung dieser Fragcil
brauchtümlich festgelegt, oder ändert sie sich von Fall zu Fall?
6. Wie erfolgt und erfolgte überlieferungsgemäß die Aufstellung einer Weihnachtsspieltrupp0?
Welche gesellschaftlichen Faktoren beeinflußten die Zusammensetzung einer TrupP6^
Welche Alters- und Geschlechtsgemeinschaften sind vertreten? Gibt es gemischte Grupp60'
Rekrutiert sich die Truppe aus der Jugend eines ganzen Dorfes oder nur eines Dorfteil1-1'
(unteres oder oberes Dorfende)? Wie beeinflussen Freundschaft, Verwandtschaft, Bekan°1'
schaft die Zusammensetzung der Gruppe? Kommt es vor, daß jemand von einer TrupPc
zu einer anderen übergeht? Wird die Zusammensetzung der Truppe von ethnischen Ge
sichtspunkten bestimmt (in Dörfern oder Gebieten, in denen verschiedene Nationalität60
zusammen wohnen)? Ist die Spielgemeinschaft die gleiche oder z. T. die gleiche wie im Vo*
jahr? Wie viele Jahre bleiben die Mitglieder der Truppe beisammen? Gibt es auch Truppcf1’
die zusammenbleiben, bis ihre Mitglieder erwachsen sind? Geschieht dies Überlieferung5
gemäß oder nur ausnahmsweise? Bis zu welchem Alter bleibt die Gruppe zusammen? Ziet°
sich die Teilnahme an derartigen Spielen nur bis zum Eintritt ins Burschenalter? Erfolf?
die Entstehung einer neuen Gruppe traditionell so, daß einige Personen aus der Splc
Fragebogen zu weihnachtlichen Umzugsspielen
491
Gemeinschaft des Vorjahres MLglieder der neuen Truppe (eventuell in anderen Rollen)
bleiben und die dramatische Überlieferung weitergeben?
Ist die Truppe eine provisorische, eine Gelegenheitsgemeinschaft, die nur für die Zeit
des Einstudierens und der Vorstellung des Spieles beisammen bleibt, oder handelt es sich
11 m eine ständige Gemeinschaftsgruppierung innerhalb des Dorfes? Besteht z. B. während
des Einstu dierens ein obligatorisches Zusammenwohnen, oder gibt es gewisse moralische
Verpflichtungen (Trinkverbot, Fluchverbot), deren Verletzung eventuell den Ausschluß
°der eine andere Strafe nach sich zieht? Werden derartige Regeln schriftlich festgelegt, oder
beruhen sie lediglich auf den ungeschriebenen Gesetzen der Tradition?
7. Wie erfolgt die Rollenoerteilung? (Zum Beispiel bei einer männlichen Spielgemeinschaft
die Wahl eines Burschen mit hoher Stimme und einem Mädchengesicht für die Rolle des
Engels.) Wird das Alter, dasTimbre der Stimme, die Wortgewandtheit in Betracht gezogen,
°der entscheidet lediglich das gesellschaftliche Ansehen im Dorf oder innerhalb der Truppe?
Wer ist der Leiter der Truppe? Der Gewandteste, der beste Schauspieler oder der Älteste,
der Stärkste? Wird vor der Verteilung der Rollen eine „Prüfung“, eine Probe zum Entscheid
über die Eignung abgehalten? Gibt es für das Verhalten innerhalb der Gruppe bestimmte,
brauchtümlich überlieferte Regeln und gültige Vorschriften, die während des Beisammen-
seins der Truppe das Verhältnis der Mitglieder zueinander, die Beziehungen zwischen dem
Leiter und den Mitgliedern und die während der Spiel Vorbereitungen und Spielnach-
wirkungen auftauchenden Gemeinschaftsprobleme regeln (z. B. Übernahme und Verteilung
der Heischegaben)?
8. Wie geht das Einstudieren des Spieles vor sich? Gibt es ein „Textbuch“, das bereits
Mehreren Generationen gedient hat? Ist kein solches Textbuch vorhanden, wie lernt dann
die Truppe die einzelnen Rollen, und wie stimmt sie die Rollen so aufeinander ab, daß eine
einheitliche Vorstellung zustande kommt? Lernen alle von den älteren Mitgliedern der
Gruppe? Lernt jeder gesondert von seinen Eltern, von den alten Mitgliedern, vom Lehrer,
Vom Pfarrer, Jugendgruppenleiter usw.? Diese verschiedenen Methoden des Einstudierens
sind, auch für die zurückliegenden Jahrzehnte, mit besonderer Sorgfalt zu beobachten, teils,
Weil sie eine der Möglichkeiten zur Erforschung der Weitergabe der bäuerlichen münd-
lichen Tradition bilden und teils, weil sich auf Grund solcher Fragen ermitteln lassen wird,
ob man es mit einer alten, traditionellen Spielform oder einer sekundären organisierten
Wiederbelebung zu tun hat. Natürlich ist es notwendig, beide geschichtlichen Typen zu
notieren.
9. Nachdem die Rollenwahl erfolgt ist und die Darsteller ihre Rollen zu lernen begonnen
haben, stellt sich nun die Frage, worin der traditionelle Gemeinschaftscharakter ihrer Zu-
sammenarbeit in Erscheinung tritt. Gibt es einen Leiter und wenn ja, wird er gewählt, oder
steigt jemand im Laufe der Arbeit zum Leiter empor, der dann die Gesellschaft zusammen-
hält? Oder leitet z. B. eine Person das Einstudieren des Schauspiels, eine andere wieder das
bammeln und die Aufteilung der Geschenke? Werden gemeinsame Proben abgehalten?
Wenn keine Zusammenkünfte mit Probencharakter stattfinden, wie wird dann ein gutes
2usammenspiel erreicht? Lediglich durch die Wiederholung des Spieles von Haus zu Haus?
Wenn Proben abgehalten werden, wieviel? Wo? Werden diese von einer älteren Person aus
dem Dorfe (Eltern, älteres Truppenmitglied, Lehrer) überwacht? Greift diese in die Aus-
gestaltung des Spiel-, Tanz- und Gesangstils ein? Ist sie für die Wahrung der Tradition
besorgt? Oder gestaltet die Truppe die traditionellen und durch neue Einfälle erweiterbaren
Teile ihres Spieles völlig selbständig aus? Zeigt sich ein Streben nach Neuerungen (im Text,
in der Melodie, in den Kostümen), oder hält man sich streng an die Tradition? Es würde sich
lohnen, auch solche „Proben“ ausführlich zu beschreiben.
10. Es sind auch die äußeren Umstände der Vorführung sorgfältig zu beobachten.
a) In welchem Zeitraum ist die Vorführung des Weihnachtsspieles üblich und möglich
(Angabe des frühesten und spätesten Zeitpunktes)? Ist die Vorführung jeden Tag innerhalb
dieses Zeitabschnittes möglich oder nur an bestimmten Tagen? Zu welcher Tageszeit wird
492
Fragebogen zu weihnachtlichen Umzugsspielen
das Spiel vorgeführt? Wieviel Zeit ist im allgemeinen für eine Vorstellung in einem Haus
vorgesehen? Beeinflußt die vorgesehene Zeit die Vorführung des Spieles, bestimmt sie seine
Länge (wenn z. B. die Truppe eilt, an einem Abend mehrere Häuser aufsuchen will u. ä.)?
b) Wenn es in einem Dorfe mehrere Spielgruppen gibt, teilen dann diese das Dorf bzw-
die benachbarten Dörfer nach irgendwelchen Gesichtspunkten unter sich auf? Wetteifer^
sie, um die gleichen Häuser vor einander zu erreichen? Gibt es deswegen Streit und Schläge'
rei, oder werden die Bereiche durch eine feste Ordnung abgegrenzt? Spielen bei der Auswald
der Häuser gesellschaftliche Motive (es werden nur die reicheren Häuser aufgesucht; cüe
aus ärmeren Spielern bestehende Truppe besucht nur die Häuser von ebenfalls armen
Bauern), ethnische Motive (man besucht keine Dörfer oder Häuser anderer Nationalitäten)
oder lokal-geographische Motive (man besucht nur den oberen bzw. unteren Teil des
Dorfes) mit? Gibt es noch außer dem Erwerb von Geld und Lebensmitteln andere leitende
Grundsätze, die den Besuch der Gruppe bei den einzelnen Häusern bestimmen? Wenn es sich
nicht um Heischezüge handelt, ist dies traditionell oder erst das Ergebnis einer neueren
Entwicklung? Werden einzelne Häuser wegen einer Beleidigung, einer Feindschaft oder
eines ähnlichen Grundes unbesucht gelassen? Ist es für die Bewohner des betreffenden Hauses
eine Schande, wenn sie von der Gruppe nicht aufgesucht werden, oder achtet die Dorf-
gemeinschaft nicht darauf? Wenn auch die benachbarten Dörfer besucht werden, gibt es
dann bestimmte traditionelle Regeln, nach denen dies geschieht? Wie groß ist der Umkreis,
innerhalb dessen die Besuche anderer Dörfer noch erfolgen? Übt dies einen Einfluß auf die
vorgeführten Spiele aus (z. B. Aufnahme von fremden Wörtern, Formeln, Melodien in die
Vorführung, erhöhte Anwendung von auf Wirkung abzielenden Mitteln usw.)? Nehmen
die Dörfer der Umgebung ihrerseits als Wirkung solcher Besuche neue Formen, neue Motive
auf, oder bilden sich dort daraufhin eigene Spielgruppen? Welche interethnischen, vermitteln-
den Wirkungen werden durch solche Dorfbesuche auf anderen Gebieten der volkstümlichefl
Äußerungen gezeitigt?
c) Wie stellen sich die Spieler in den einzelnen Häusern vor? Gibt es stereotype BegrüßungS'
formein und ebensolche Antworten der Hausleute vor Beginn des Spieles? Einen aus festen
Redewendungen bestehenden Dialog, ein scherzhaftes Gespräch zwischen den Hausleuten
und den Darstellern oder stehende andächtig-religiöse Formeln?
d) Es ist auch zu beschreiben, wie sich die. Zuschauer während der Vorstellung verhalten,
die Bewohner des Hauses und eventuell auch die dort versammelten Verwandten und
Nachbarn. Sind sie während der Vorstellung still? Wie verleihen sie ihrem Beifall oder ihrem
Mißfallen Ausdruck, machen sie Zwischenrufe, geben diese Zwischenrufe Anlaß zu Impro-
visationen? Darf man der Hörerschaft zuliebe vom traditionellen Texte abweichen? Welche
Teile des Spieles gestatten am ehesten eine Improvisation? Es ist auch in Erfahrung zn
bringen, warum im Dorfe die Weihnachtsspiele beliebt sind, wie sie ästhetisch beurteilt
werden: wessen Gesang, wessen Spiel den Hörern gefällt und auf Grund welcher Kriterien-
Welche Teile (religiöse, scherzhafte) finden mehr Gefallen? Was ist der Grund, wenn das
Spiel nicht gefällt? Wird das Abweichen vom Traditionellen, die auf die Hausleute gemünzte
Improvisation gerne aufgenommen?
e) Es ist auch der räumliche Plan der Vorstellung festzuhalten: wo nehmen die Zuschauer,
die Hausleute Platz? Wo befindet sich der Spielraum? Übt die Verschiedenheit des Spiel'
raumes einen Einfluß auf die Vorstellung aus?
f) Wie verabschiedet sich die Truppe nach Beendigung des Spieles? Gibt es hier stereotyp0
Dialoge, Schicklichkeitsformeln? Verweilen die Spieler nach der Vorstellung noch eine
kurze Zeit im Haus oder gehen sie nach dem Abschied und dem Erhalt von Geschenken
schnell weiter? Machen die Hausleute nach der Vorstellung lobende oder kritische Be-
merkungen, wie drücken sie ihren Beifall aus? Auch hier ist, ebenso wie bei den übrige11
Fragen, zwischen traditionellen und neueren improvisierten Formen zu unterscheiden.
Fragebogen zu weihnachtlichen Umzugsspielen 493
Ferner ist Zu beschreiben, wie die Truppe in den Nachbardörfern empfangen wird. Gibt es
M gewissen Fällen ein Recht, eine Tradition, derzufolge die Truppe abgewiesen oder aus
dem Dorf ausgewiesen werden kann (z. B. wenn sich die Spieler unordentlich aufführen
°der betrunken sind)? Kommt es vor, daß es Familien gibt, die nicht gewillt sind, die
Weihnachtsspieler anzuhören? Beruht dies auf einer Tradition, läßt dies die Dorfsitte zu?
11, Was bekommt die Weihnachtsspielgruppe nach der Vorstellung gemäß dem traditio-
nellen oder neueren Brauch: Lebensmittel, Wein, Geld? Was erwartet die Truppe in erster
Linie, was ist sie vor allem zu erhalten bestrebt? Hier ist die Frage zu untersuchen, was
heute und früher die Ziele waren, die die Weihnachtsspieltruppe zusammenbrachten:
hie Bindung an den kultischen, religiösen Brauch oder aber der Erwerb von Geld und
Lebensmitteln? Oder hatte das Weihnachtsspiel mehr den Charakter eines Gesellschafts-
Zieles? Gibt es eine feste Übereinkunft zwischen den Mitgliedern der Truppe über die
Aufteilung des Geldes bzw. des Weines und der Lebensmittel? Oder werden die Lebens-
Mittel und der Wein von der Truppe nach der Vorstellung fröhlich gemeinsam verzehrt?
Wird das Geld an die Mitglieder der Truppe verteilt oder zu einer mit Essen und Trinken
Verbundenen Belustigung verwendet? Erfolgt die Verteilung der Einnahmen jeden Abend
°der erst nach Abschluß der Spielsaison? Übt die Aussicht auf bessere Gaben einen Einfluß
darauf aus, wer im Dorfe oder in den Nachbardörfern aufgesucht wird? Werden diejenigen,
hie wenig oder gar nichts geben, verhöhnt? Gibt es bestimmte „Rügespiele“ oder „Rüge-
sprüche“? Gibt cs traditionelle Formeln der Übergabe und Übernahme der Geschenke?
Stehlen die Weihnachtsspieler aus der Speisekammer, vom Dachboden, aus dem Keller
Lebensmittel? In welchem Ausmaß? Ist dies erlaubt, wird es gelobt, oder wird das Mitglied,
has solches tun würde, ausgeschlossen? Enthüllen die Hausleute eine solche Tat, sind sie
vor einer solchen Möglichkeit auf der Hut, oder dulden sie sie als zum Spiel gehörig?
12. Bleibt nach Abschluß der Weihnachtsspielzeit die Spieltruppe auf irgendeine Weise
M den nächsten ein oder zwei Jahren zusammen? Bildet sich eine Form von gemeinschaft-
Lcher Beziehung zwischen ihren Mitgliedern aus?
Ergänzend wären noch folgende Fragen zu behandeln: Steht die Kirche hinter dem
Weihnachtsspiel? Was ist die offizielle (amtliche) Auffassung über das Weihnachtsspiel?
Veranstalten der Lehrer, der Pfarrer neben dem traditionellen Volksweihnachtsspiel eigene
Weihnachtsspiele? Üben die beiden Texte, die beiden Vortragsweisen eine Wirkung auf-
einander aus?
Abschließend sei betont: nicht nur das Sammeln der Texte und Melodien und die Be-
antwortung der vorstehenden Fragen sind wichtig, sondern entscheidend ist die Beobachtung
des Lebens der Spielgruppe, von ihrer Gründung an und über ihre Proben bis zum Mit-
etleben womöglich mehrerer Aufführungen im Dorfe.
Im Zusammenhang mit jedem einzelnen Problem ist hinter der Erscheinungsform nach
einer etwaigen älteren Tradition zu forschen. Es ist also auch die Meinung der nicht mehr
aktiven, nur mehr zuhörenden Alten in Erfahrung zu bringen und zu erfragen, wie das
Spiel in älterer Zeit verlief, nach welchem Grundsatz früher die Gruppe aufgestellt wurde
usw. Auch die Meinungen der einzelnen Mitglieder der Truppe sowie die des ganzen En-
sembles sind wichtig. Man befrage dazu mehrere Personen der Zuhörerschaft über die
Weihnachtsspieler, höre ihre vergleichenden Ansichten über die vorherigen Jahre an, über
das Spiel der einstigen und der heutigen Darsteller.
Lutz Röhrich — Mainz
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
Vierter Teil: Schweden und Dänemark, USA und Kanada
Unter Mitwirkung von Waldemar Liungman — Stockholm, Laurids Bodker —
Kopenhagen und Warren E. Roberts — Bloomington
§ 17. Die Märchenforschung in Schweden
Einzelne besonders wichtige Veröffentlichungen der schwedischen Märchenforschuflg
wie z. B. C.W.v.Sydows Buch: Vära Folksagor1) und der Band mit C.W.v.SydoWs
ausgewählten Schriften2) sind bereits in der letzten Folge unseres Forschungsberichtes
bei den Gesamtdarstellungen referiert worden3). Inzwischen hat Waldemar Liungman
in einem dreibändigen Werk Schwedens sämtliche Volksmärchen herausgegeben4). Diese
Veröffentlichung trägt ihren anspruchsvollen Titel nicht Zu Unrecht: Die beiden ersten
Bände von je ca. 600 Seiten bringen eine Textsammlung von rund 500 verschiedenen Märchen
mit einer Übersicht, die den Bezug zu Aarne-Thompsons Typenverzeichnis klärt. Aus-
wahl und Anordnung sind nach wissenschaftlichen Grundsätzen getroffen worden: Jeder
der ungefähr 500 in Schweden vorhandenen Märchentypen ist durch ein repräsentatives
Beispiel vertreten. W. Liungman ist aber nicht nur ein ausgezeichneter Herausgeber und
Kommentator, sondern auch ein hervorragender Sammler, dessen Sammlung sich in der
Göteborger Stadtbibliothek befindet. Der erste Band seiner Märchenausgabe enthält aus-
schließlich von ihm selbst gesammelte Stücke; der zweite bringt eine Erweiterung diese»
Materials durch Märchen, die in erster Linie von den volkskundlichen Archiven in Göteborg»
Lund, Upsala, Stockholm und Härnösand gesammelt wurden5). Andere Stücke stammen
aus entlegenen gedruckten Quellen wie Provinzzeitungen, Kalendern, alten Drucken usW-
Mundartliche Texte sind — was der ausländische Leser begrüßt — in die Hochsprache
übergeführt. Die vorsichtige Retuschierung, die der Herausgeber an den erzählergetreuen
Texten vornehmen mußte, vermindert in keiner Weise den wissenschaftlichen Wert der
Sammlung. Veröffentlichungen wie Liungmans Edition, in der er den Märchenreichtum
Schwedens als ein geschlossenes Ganzes erfaßt, sind für uns heute besonders wichtig, weil sie
die systematische Aufarbeitung des gesamten Märchenbestandes eines einzelnen Volkes
bieten.
Der dritte Band, der auch selbständig unter dem Titel Varifrän kommer vära sagort
(Woher kommen unsere Volksmärchen?) erschienen ist, bringt wissenschaftliche Kommen-
tare und monographische Abhandlungen zu den Texten der vorangegangenen Bände. 1°
einzelnen kurzen Abschnitten — geordnet nach den Nummern des Typenverzeichnisses "
werden Ursprung, Herkunft und Verbreitungsgeschichte der in Schweden vorkommendefl
Märchentypen beschrieben. Ein Quellenverzeichnis von ca. 60 Seiten Umfang und einc
4) C. W.v. Sydow: Vära Folksagor. Stockholm 1941. (= Natur och Kultur, Bd. 146).
2) C. W.v. Sydow: Selected Papers on Folklore. Kopenhagen 1948.
3) DJbfVk II (1956), S. 282ff.
4) Waldemar Liungman : Sveriges Samtliga Folksagor i ord och bild. Bd. 1. Djursbolm
und Stockholm 1949; Bd. 2. 1950; Bd. 3. Varifran kommer vara sagor? 1952. Eine deutsche
Teilausgabe dieser Märchensammlung erscheint demnächst in der Schriftenreihe des 1°-'
stituts für deutsche Volkskunde an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlm-
5) Für Liungmans Bestandsaufnahme der schwedischen volkskundlichen Arch*vC
kamen vor allem in Betracht: Västsvenska Folkminnesarkivet i Göteborg, Folklivsarkivct
Lund, Landsmäls- och Folkminnesarkivet i Uppsala.
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
495
tabellarische Übersicht über die verschiedenen Stellen in der gedruckten Literatur und in den
Archiven Schwedens, wo die Varianten der einzelnen Märchen zu finden sind, ergänzen
^en Band. Es handelt sich also um einen Märchenkatalog nach Art der FFC. In einigen
Fällen sind 50 bis 60 Varianten zu einem einzigen Märchentypus notiert. Die Tabellen geben
gleichzeitig einen Überblick über den Inhalt jedes einzelnen veröffentlichten Märchenwerkes
'Me auch der Erzählerarchive. Damit ist auch die Märchenfülle der schwedischen Gustav-
^dolfs-Akademie (s. u.) nach dem AARNE-THOMPSONschen Typenverzeichnis katalogisiert
Worden wie auch alle anderen bisher unkatalogisierten schwedischen Sammlungen, gedruckte
ünd ungedruckte, mit Ausnahme eines kleinen Teiles des in Upsala liegenden Archiv-
Materials. Dieses Verzeichnis ist fast der wichtigste Teil der ganzen Veröffentlichung: Wir
haben mit ihm ein Gesamtregister aller bisher bekannt gewordenen schwedischen Märchen-
Mifzeichnungen, nachdem das finnland-schwedische Material schon O. FIackman zu-
sammengetragen hatte6).
Eine gute Ergänzung des Werkes von W. Liungman ist eine Sammlung von Zigeuner-
Märchen in Schweden, die C. H. Tillhagen, Assistent am Nordiska Museet in Stockholm,
'Mter dem Titel Taikon berättar7) herausgegeben hat. Eine deutsche Übersetzung dieses
Werkes erschien im Artemisverlag8). In Schweden gibt es ungefähr 550 Zigeuner, die einen
Staat im Staate bilden mit eigenen Sitten, eigener Sprache, eigener Gerichtsbarkeit usw.
Johann Dimitri Taikon, verstorben 1950, war eine Art Stammesvater der schwedischen
Zigeuner — ein Mann, der sich sehr für die Bildung der Zigeuner und für eine Zigeuner-
Schule eingesetzt hat. Jeder kannte ihn in Schweden, mindestens dem Namen nach. Er ist
durch ganz Europa als Kesselflicker, Schausteller und Musikant gezogen. Vornehmlich aber
^ar Taikon ein Meister des Märchenerzählens. C. H. Tillhagen hat neben Sagen,
federn, Sprichwörtern und Rätseln allein 250 Märchen von Taikon aufgezeichnet. In
eMer reizend-lebendigen Einleitung erzählt der Zigeuner von sich selbst und seinen Erleb-
nissen als Kesselflicker. Der echte volkstümliche Erzählerton ist auch in der Übersetzung gut
Mstgehalten; häufige direkte Reden machen die Märchen höchst anschaulich. In dieser
Priginalgetreuen Wiedergabe der Texte liegt der Hauptwert der Sammlung. Viel schwieriger
lst der inhaltliche Wert der TAiKONschen Märchen zu beurteilen, da man noch immer nicht
§enau sagen kann, ob die Märchen eigenes Gut der Zigeuner sind, oder ob sie es von ihren
Uastvölkern übernommen haben. Vieles steht wohl den russischen und den Balkan-Märchen
nahe. Aber da die Zigeuner ein Volk von Analphabeten sind, ist das Studium der mündlichen
Tradition gerade bei ihnen besonders interessant. Motivisch ist der Band nicht so reichhaltig
'Me die von Walter Aichele besorgten Zigeunermärchen in den Märchen der Welt-
literatur, aber dafür bringt er die Märchen eines einzigen Erzählers, die in der ursprünglichen
Stilform festgehalten sind. List und Humor, zentrale Züge im Zigeunermärchen, finden wir
Mich bei Taikon besonders stark ausgebildet. Entzückend in dieser Hinsicht ist die Ge-
Schichte von der Überlistung der großen Schlange, oder auch das Märchen von dem
Lauern, der sein Weib dem Teufel verkaufte, es aber doch behielt und dazu noch die ihm
vom Teufel gestellten Reichtümer. Auch einige Sagen sind abgedruckt, z. B. die Erzählung
v°n dem Mädchen und seinem toten Bräutigam (Lenore), die Geschichte von dem Jungen,
^er sich beim Tod Brot lieh, oder die Geschichte vom Zigeuner, dessen Frau nur nachts lebte.
Im Nachwort dieser sowohl inhaltlich als auch ausstattungsmäßig besonders hübschen
ammlung gibt Tillhagen genaue Auskunft über ihr Zustandekommen und seine Er-
Mhrungen mit Zigeunern. In zweieinhalb Jahren hat er von Taikon etwa 10500 Quart-
Seiten Aufzeichnungen über alle Lebensumstände der Zigeuner und einen Zettelkatalog
Mit 8000 Aufzeichnungen über ihre Sprache notiert. Es ist zu hoffen, daß Tillhagen die
Möglichkeit haben wird, sein wichtiges Material auch weiterhin zu publizieren.
6) Oskar Hackman: Katalog der Märchen der finnländischen Schweden. FFC 6, 1911.
7) Carl Hermann Tillhagen: Taikon berättar. Stockholm 1946.
8) Carl Hermann Tillhagen: Taikon erzählt. Zigeunermärchen und -geschichten.
^Mrich 1948; vgl. auch Dora E. Yates : A Book of Gypsy Folk-Tales. London 1948.
496
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
Jöran Sahlgren hat 1946fr. einen Neudruck der längst vergriffenen Svenska Folkböck^'
von P. O.Bäckström, eine Sammelarbeit über frühe schwedische Volksdrucke, heraus*
gegeben. Diese Edition, von der bisher fünf Bände erschienen sind, ist jedoch in jeder Be'
Ziehung verbessert und erweitert, außerdem illustriert. Leider sind der Kosten wegen dic
für den Forscher wertvollen und sehr reichhaltigen Anmerkungen Bäckströms nicht
aufgenommen worden. Man kann die Neuausgabe dieser Volksbücher als eine Fortsetzung
der Svenska Sagor och Sägner, herausgegeben von der Gustav-Adolfs-Akademie, betrachtet
von denen seither die Bände 1 — 5 und 8—9 erschienen sind (1937—1945)9). Sie enthalten
eine Auswahl der älteren schwedischen Märchensammlungen, wie der von G.O.Hylt^'
Cavallius, Djurklou, Sederström usw., alle gewissenhaft und wörtlich ediert-
Sahlgrens Ausgabe ist so allgemein bekannt geworden, daß hier nicht weiter darauf ein*
gegangen zu werden braucht. An weiteren Märchensammlungen ist sodann P.A. SÄVES
Gotländische Märchensammlung zu nennen, die kurz vor der Veröffentlichung steht. Nu1'
populäre Zwecke verfolgt ein kleines in Deutschland erschienenes Büchlein schwedischst
Märchen10). Obwohl es sich um echte Stücke aus der mündlichen Überlieferung handelt,
wird unsere Kenntnis schwedischer Varianten nur gering bereichert, da nur bereits vielfach
aufgezeichnete Versionen aufgenommen wurden (z. B. männliches Aschenputtel; Lars, mein
Knecht).
Die schwedische Zeitschrift Folkminnen och Folktankar hat ihr Erscheinen leider ei*1'
gestellt. VonC. W. von Sydow 1914 inLund gegründet, verlegte sie zehnJahre später ihreRe"
daktion nach Göteborg, wo EI. Celander undW. Liungman in die Schriftleitung eintraten.
1945 wurde dann die Redaktion nach Upsala verlegt. Dort wird die Zeitschrift nunmehr
unter dem Namen Arv von Dag Strömbäck unter der Protektion der Gustav-Adolfs'
Akademie herausgegeben. In dem ersten Heft von Arv (1945, S. 1—81) findet sich ein
Aufsatz des Hrsgs über die Stellung der Brüder Grimm zur Märchenforschung unter dem
Titel: Bröderna Grimm och folkminnesforskingens vetenskapliga grundläggning. Derselbe
Verf. hat auch das Sammelwerk Die sieben weisen Meister im Donum Grapeanumn) be-
handelt. Dag Strömbäck berichtet in dieser Zeitschrift über die Sammlungen und Arbeiten
seines volkskundlichen Institutes in Upsala12). Reidar Th. Christiansen behandelt im
8. Jahrgang das Problem der Verwandtschaft irischer und skandinavischer Überlieferungen,
das nur gar zu gern mit dem vagen Begriff „keltischer Einfluß“ abgetan wird, ohne daß me
historischen Bezüge berücksichtigt werden13). Über Märchenerzähler von den Hebriden-
insein aus alter und neuer Zeit haben wir einen Aufsatz von Calum Maclean14), def
zum Schluß seiner Arbeit eine Aufstellung des dort gefundenen Materials gibt, geordnet
nach Aarne-Thompson. Den Weg einer spezifisch-norwegischen Form des Frau-FIobc"
Märchens auf seinem Weg bis nach Jamaika verfolgt Warren E. Roberts in einer kurzen
Studie15).
9) Svenska Sagor och Sägner. Hrsgg. von Hermann Geijer, Sven Liljeblad und
Karl Hampus Dahlstedt. Bd. 1 — 5 und 8—9. Kungl. Gustav-Adolfs-Akademien,
Stockholm 1937 —1945 i vgl. Sven Liljeblad: Swedish Folk Tale Collections. "Tbc
Gustavus Adolphus Academy Edition of Folk-Tales, Folk-Liv. Bd. II, 1938, S. 77—102.
10) Schwedische Volksmärchen. Ausgewählt, verdeutscht und eingeleitet von ANb1
•Carlsson. Wiesbaden o. J. (1953).
n) Uppsala 1945, S. 408.
12) Dag Strömbäck: The Uppsala Institute for philology and folklore. Arv 8 (i952^’
s. 130-139- k
13) Reidar Th. Christiansen: Til sporsmalet om forholdet mellem irsk og nordis
tradisjon. Arv 8 (1952), S. 1—41.
14) Calum Maclean: Hebridean storytellers. Arv 8 (1952), S. 120 —129.
15) Warren E. Roberts: A Norwegian Fairy Tale in Jamaica? Arv 10 (i9J^’
:S. 109 —113.
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
497
In der jetzt nicht mehr erscheinenden Folkkultur begegnen wir 1942 einem Aufsatz
über Aarne-Thompson 433 B (Der Königssohn in Schlangengestalt) von Anna Bir-
gitta Waldemarson-Rooth16), 1945 einer Abhandlung der gleichen Verfasserin über
einen schwedischen Schillingsdruck mit dem Schwankmärchen vom Erzengel Gabriel17).
Schließlich hat Waldemar Liungman das Bata-Märchen unter dem Titel Sagan om Bata
°ch Anubis och den orientalisk-europeiska undersagans Ursprung18) herausgegeben. Das Buch
ist vergriffen; derselbe Text findet sich jedoch in Bäckahästen, Zeitschrift für Volksdichtungs-
forschung und Volkspsychologie19), deren Hrsg. Liungman war. Unter weiteren Aufsätzen
in dieser Zeitschrift ist ferner Siegfrid-sagan och ekotypteorien (Die Siegfriedsage und die
Oikotyplehre) mit Karte und Resumé (behandelt auch Aarne-Thompson 519: die starke
Frau) zu erwähnen. In gewissem Zusammenhang mit den Märchenproblemen steht auch
ein Aufsatz von Axel-Nilsson; Jachin et Booz dans la crypte du dome de Lund (über
die bekannte Finn-Sage mit französischer Zusammenfassung)20), der eine Polemik von
Otto Rydbeck21), ebenfalls mit frz. Resumé, hervorrief.
Die bekannte schwedische Zeitschrift Rig widmet sich wie bisher hauptsächlich der
tnatericllen Kultur; 1941 brachte sie jedoch einen Aufsatz Zur Methodik der Volksmärchen-
forschung von Waldemar Liungman22). Liungman wendet sich hier scharf gegen die
finnische Schule und ihre modernen Fortsetzer. Er greift als ein Beispiel für dabei mögliche
Ifrtümer Sydows Untersuchung des Märchens vom Mädchen, das Gold spinnen sollte
(Aa.-Th. 500 und Grimm Nr. 55 : Rumpelstilzchen) heraus23). Sydow hat den Ursprungs-
ort nach Schweden verlegt, da die erschlossene Ursprungsform den schwedischen Varianten
am nächsten steht. Gegenüber der finnischen Methode befürwortet Liungman ein Ver-
fahren, durch das man mit Buchstabenbezeichnung der verschiedenen Züge und Über-
tragung der Buchstabengruppen auf eine Karte die Wanderungsrichtungen beurteilen
kann, wobei der Ursprungsort vor und ohne Hilfe der Ursprungsform gewonnen werden
soll. Unter Benutzung dieser Methode kommt Liungman zu dem Resultat: Das Märchen
ist um die Mitte des 16. Jhs in Deutschland in der Gegend am Mittelrhein im Zusammen-
hang mit der Erfindung des Tretrockens aufgenommen. Er glaubt, daß die Ursprungsform
daher in der Nähe der GRiMMschen Version gestanden habe.
Liungmans Ausführungen haben zu einer heftigen Erwiderung C.W.v. Sydows ge-
führt24), der sich hier zum Sprecher der sonst auch von ihm stark kritisierten finnischen
hlethode macht. An Liungmans methodischem Vorschlag, den er als „Ballonbündel-
^ethode“ abtut, beanstandet er, daß er auch nur mit einem besonders angegebenen Schlüssel
üshar sei. Für das Rumpelstilzchenmärchen berichtigt Sydow selbst die Ergebnisse seiner
Jugendarbeit; danach muß bei diesem Typus am Anfang nicht eine Märchenform, sondern
eine Sage gestanden haben. Aus der Namensform des Dämons schließt Sydow jetzt auf die
16) Folkkultur 2 (Lund 1942), S. 176fr.
17) Anna Birgitta Rooth: Ett skillingstryck och dess källa. Folkkultur 5 (Lund
*945)5 S- 66 — 83.
18) Djursholm 1946. 116 S. mit Karten.
19) Djursholm. Jahrgg. 1945 — 1946; erscheint nicht mehr.
20) Rig 1948, S. 97-13°-
21) Rig 1949, S. 14—20.
aa) Waldemar Liungman: Till folksagoforskningens metodik. Rig 24 (1941),
kleft II, S. 89 —108, Karten, dt. Zusammenfassung; vgl. z;u Aarne-Thompson 500 und zu
dem Namen des Unholds auch Lutz Röhrich: Der Dämon und sein Name. Paul und
Faunes Beiträge zur Geschichte der dt. Sprache und Lit. Bd. 73, Heft 3, S. 456—468.
23) C.W.v.Sydow: Tvä spinnsagor. En Studie i jämförande folksagoforskning. Stock-
holm 1909.
24) C.W.v. Sydow: Finsk metod och modern sagoforskning. Rig 26(1943), Heft 1,
S-t-a3.
11 Volkskunde
498
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
Herkunft des skandinavischen Märchens von den britischen Insein. Gegen LiungmaNS
Auffassung führt er an, daß ganz allgemein neue Geräte in das Märchen Eingang gefunden
und ältere verdrängt hätten und das Tretrad deshalb kein Alterskriterium darstclle. Auch
sei in älteren Varianten der Spinnmärchen die Spindel erwähnt.
Zu Sydows Bemerkungen nimmt Liungman 1943 in Folkminnen och Folktanka1'
Stellung.
In einem Aufsatz Märchenforschung und Philologie, der 1948 in der Universitas erschien2'1);
entwickelte Sydow seine Gedanken im Rahmen einer Geschichte der Märchenforschung
seit den Brüdern Grimm. Zu seiner Erbtheorie macht er hier noch drei wichtige Vorbehalte:
1. Märchen können in jeder beliebigen Zeit gedichtet werden. Eine Reihe von Märchen
werden daher kein indogermanisches Erbe, sondern weit jünger sein. 2. Das Problem der
Entlehnung darf nicht einseitig gesehen werden. Es gibt Fälle, bei denen der Entlehnung
starker Widerstand entgegengebracht wird. Dafür ein Beispiel: Die beiden Märchen, aus
denen das altägyptische Zweibrüdermärchen zusammengesetzt ist, gibt es noch heute als
selbständige Volksmärchen. Es finden sich andererseits aber auch Beispiele der Entlehnung
von ganz fremden Völkern: Das Märchen von den Tierschwiegersöhnen und ihrer magisch
beschafften Speise (Aa.-Th. 552 B) ist über die dänische und norwegische Überlieferung
von den Eskimos entlehnt worden; es ist also sicher kein indogermanisches Erbe. 3. Inl
indogermanischen Märchenschatz gibt es auch Märchen von nicht ursprünglich indo-
germanischer Herkunft, z. B. das von den drei Zitronen (Aa.-Th. 408), das im wesentlichen
nördlich der Alpen fehlt. Sydow bespricht dann die Theorien von Benfey, B^DiEifi
K. Krohn und A. Aarne in klaren, sehr temperamentvoll vorgetragenen und vielleicht
manchmal etwas überspitzten Formulierungen. Vor allem Benfeys Theorie widmet
Sydow eine ausführliche Kritik. Er setzt eine ganze Reihe europäischer Märchen viel
früher an als die Entstehung des Buddhismus und als die Verbindungen zwischen Indien
und Europa. Dabei greift Sydow wiederum das von ihm schon verschiedentlich behandelte
Märchen von der magischen Flucht vor dem Unhold (Aa.-Th. 313) heraus, das auch auße’"-
halb des indogermanischen Bereiches angetroffen wird und dessen Verbreitung ihm mit dem
Bereich der Großsteingrabkultur zusammenzufallen scheint. Ja, er bezeichnet es geradezu
als ein „Großsteingrabmärchen“. Vielleicht sieht Sydow hier manches als zu selbstver-
ständlich an, was erst bewiesen werden müßte. Für die weitere Forschung wünscht er jedod1
mit Recht nicht nur eine Untersuchung von Märchentypen, sondern von ganzen Märchen-
gruppen, wie es seine Schüler Liljeblad und Rooti-i durchgeführt haben, und eine nod1
stärkere Beachtung der mündlichen Überlieferung.
Eine der eingehendsten Untersuchungen der neueren Märchenforschung verdanken
wir dem schwedischen Forscher Jan-Öjvind Swahn, der eine umfangreiche Mono-
graphie über den Typus von Amor und Psyche vorgelegt hat25 26)- Diese Erzählungen handeln
von der ehelichen Verbindung einer Frau mit einem nicht-menschlichen oder halbmensck'
lich-männlichen Wesen. Uber der Verbindung liegt ein Verbot, das die Frau Übertritt-
Dadurch verschwindet der Ehegemahl, den die Frau nun wieder suchen muß. In etw'ä
zehnjähriger hingebungsvoller Arbeit hat Swahn ungefähr 1100 (!) Aufzeichnungen dieses
Märchens aus der Volksüberlieferung auf der ganzen Welt Zusammengetragen. Die Arbo1
steht in einer Reihe anderer schwedischer Monographien, die mit einer modifizierten
finnischen Methode arbeiten27). Das Problem der Ordnung und Klassifizierung dieses
riesigen Materials, mit dem sich der größte Teil der Untersuchung befaßt, ist jedoch gelöst
worden: DieStoffülle wurde relativ einfach gegliedert, wenn auch die chronologische Reihet1'
25) C.W.v. Sydow: Märchenforschung und Philologie. Universitas 1948, Heft 9’
S. 107 — 158. ,
26) Jan-Öjvind Swahn: The Tale of Cupid and Psyche. (Aa.-Th. 425 and 428). Lun
(C. W. K. Gleerup) 1955. 496 S. mit Kartenbeilagen.
27) Z. B. Anna Birgitta Rooth: The Cinderella Cycle. Lund 1951; vgl. schon Djbf»
II (1956), S. 287 — 289.
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
499
folge bei den einzelnen Sprachbezirken nicht besonders günstig ist und eine geographisch-
regionale Anordnung übersichtlicher gewesen wäre. Natürlich wird in einer solchen
statistischen Darstellung das Märchen als Erzählkunstwerk etwas lieblos behandelt: es sind
keine Erzähltexte abgedruckt. Der Leser kann jedoch die Untersuchung erst dann
verstehen, wenn er sie mit den betr. Texten ergänzt. Dann allerdings bekommt er zu m ersten-
mal in der Geschichte der Amor-und-Psyche-Forschung ein relativ klares Bild von der
Erscheinungsweise dieses Typus in der Volksüberlieferung.
Obwohl Swahn in seiner Einleitung an den veralteten und nicht mehr zuverlässigen
Methoden der finnischen Schule Kritik übt, unterscheidet sich jedoch seine „monographische
Methode“ nicht allzusehr von ihnen. Gewiß sagt der Verf. in der Einleitung, es sei unsinnig
behaupten, daß jedes Motiv nur in Beziehung zu einem bestimmten Typus habe ent-
stehen können (S. iof.); trotzdem behandelt er die Motivkomplexe der Untertypen so, als
°b dies der Fall wäre. Sodann lehnt der Verf. die Möglichkeit ab, eine,Urform' des Märchens
feststellen zu können: „And this is due in my opinion not to the insufficienty of the method
or the material, but to the fact that such an archetype never existed“ (S. 4x8). Dennoch
gelangt er zu der Schlußfolgerung, daß es eine „älteste Form“ gebe, die in einem gewissen
(indogermanischen) Gebiet entstanden sei. Wie der Verf. im einzelnen zu diesen Ergebnissen
gelangt, entspricht durchaus den besten Traditionen der finnischen Schule.
Eine der schwierigsten Aufgaben, die die monographische Behandlung des Amor-und-
Esyche-Märchens stellte, lag in der Einteilung seines Variantenbestandes in verschiedene
Gruppen und Untertypen. 163 Varianten ließen sich nicht in ein Schema einzwängen
Und wurden deshalb unter der Rubrik „Subtypus X (indeterminate Variants)“ untergebracht
(S. 348). Alle anderenVarianten hat der Verf. in 15 Untertypen aufgeteilt, die er mit denBuch-
staben „A“ bis „O“ gekennzeichnet hat, so daß das Alphabet für die Gruppierungswünsche
künftiger Forscher noch genügend Spielraum läßt. Für die Einteilung der Untertypen ist
Uach Swahn vor allem ein Punkt des Märchenverlaufs bestimmend: Das übertretene Ver-
bot. Die diesem Ereignis folgenden Episoden, die zur Wiedervereinigung des Paares führen,
seien dann für die Fixierung der voneinander abweichenden Untertypen entscheidend. In
Wirklichkeit läßt sich der Märchenbestand allerdings nicht so einfach aufteilen, und nur die
Fülle der Varianten mag es dem Forscher erlauben, dieses Material so vereinfachend
darzulegen. Immerhin ist die Einteilung von Aa.-Th. 425 in so viele differenzierte Unter-
typen für die Amor-und-Psyche-Forschung neu und zu begrüßen, denn die bisherige Ein-
teilung28) reicht angesichts des neu hinzu kommenden Variantenmaterials keinesfalls mehr
aus.
Die wichtigsten Untertypen seien hier kurz charakterisiert. Der Erzählkomplex des
Entertyps A, zu dem allein 137 Aufzeichnungengehören, entspricht ungefähr der berühmten
Erzählung von Apuleius. Die Möglichkeit einer Abstammung von Apuleius’ Erzählung
Ehnt Swahn deshalb ab, weil dort das Motiv der Hochzeitsfackel fehle, das zwar im Aufbau
des Märchens keine wesentliche Rolle spielt, aber in fast allen Aufzeichnungen von Indo-
nesien bis nach Skandinavien vorkommt und zweifellos auch in dem Volksmärchen vor-
band n war, das Apuleius vorlag und von ihm literarisch umstilisiert wurde. Swahn sieht
diesem Untertypus A die älteste Form des Amor-und-Psyche-Märchens, ein Resultat,
das wir auf Grund seiner außerordentlich sorgfältigen Forschungen wohl akzeptieren dürfen.
Zum Untertypus B gehören jene 341 Varianten, in denen die Heldin drei Nächte von
der falschen Braut erkauft (vgl. z. B. Grimm, KFIM 88: Das singende, springende Löwen-
eckerchen). Durch seine monographische Methode versucht Swahn, den Ursprungsort 2
2S) Es seien hier nur die wichtigsten erwähnt: Felix Liebrecht: Amor und Psyche —
^■eus und Semele — Purüravas und Urvagl. Zs. f. vgl. Sprachforschung 18 (1869),
b- 56ff. Andrew Lang: Apuleius, The most pleasant and delectable tale of the mar-
rEge of Cupid and Psyche. London 1887. Ernst Tegethoff: Studien zum Märchentypus
v°n Amor und Psyche. Bonn u. Leipzig 1922. Inger M. Boberg: The Tale of Cupid and
Psyche. Classica et Mediaevalia, Bd. I, 1938, S. 177ff.
500
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
dieses Untertyps festzustellen, den er in eine nördliche und eine südliche Gruppe unterteilt-
Die nördliche Form der Suchwanderung sei die jüngste, weil hier das Motiv des Glasberges
vorkommt und das der eisernen Schuhe fehlt. Hier beruhen jedoch die Schlußfolgernngen
Swahns über den Untertypus B auf einer Vermutung, und wir dürfen sie nur mit Vorbehalt
annehmen. Nach des Verf’s These wäre der Untertypus B wahrscheinlich bei den Bretoneo
entstanden. Von diesem Raum hätte sich das Märchen dann nach drei Richtungen hio
ausgebreitet: 1. in den Norden über die keltischen Inseln bis nach Skandinavien; 2. nach
Osten hin über Deutschland bis zu den slawischen Völkern; 3. südwärts über die romanischen
Länder bis nach Griechenland und in die Türkei.
Als Untertypus C bezeichnet der Verf. jene Motivabfolge, die meist La Belle et la bete
nach dem literarischen Werk von Marie de Beaumonx genannt wird. Dieses Kunst-
märchen, das 1757 geschrieben wurde, ist in viele Sprachen übersetzt und weltberühmt
geworden. Swahn gelangt zu der Schlußfolgerung, daß alle Varianten der Volksüber-
lieferung von dem Kunstmärchen abzuleiten seien. Er beweist zumindest, daß die meisten
aufgezeichneten Volksvarianten durch die Literatur zu erklären sind. Seine Behauptung
jedoch, daß es sich in allen Fällen um ein Produkt der Literatur handeln müsse, läßt sich
nicht mit absoluter Sicherheit nachweisen. Auch im Untertypus O (Vertauschung der
Rollen des Mannes und der Frau), der am häufigsten von Männern erzählt worden sei
(S. 347), besteht die Möglichkeit, daß er seinen Ursprung in der Literatur gehabt haben
kann, und zwar in dem Partenopeus de Blois, einem französischen Gedicht des 12. Jhs
(S. 383). _ _
Nach einer Untersuchung des Typus Aa.-Th. 428, den Aarne in seinem Verzeichnis
der Märchentypen „Der Wolf“ nannte, schlägt Swahn vor, ihn aus dem Verzeichnis der
Märchentypen zu entfernen, da es sich nur um ein Fragment des Typus Aa.-Th. 425 handele-
Bei seinem Versuch, die „Urheimat“ des Märchens festzu stellen, wird Swahn plötzlich
zum Vertreter der Oikotypenthese seines Lehrers Sydow, und er versucht dementsprechend1
nachzu weisen, daß das Märchen nur unter den indogermanischen Sprach gruppen als uraltes
Erbgut zu Hause sei. Deshalb werden z. B. die türkischen Varianten nur als Ableger de*
griechischen erklärt (S. 424). Hier sind seine Argumente nicht überzeugend, denn W1
wissen heute, daß die Märchenwanderung trotz der Oikotypenlehre selbst vor einschneiden-
den Sprach- und Rassengrenzen nicht haltgemacht hat.
Leider behandelt Swahn nicht die Entstehung der einzelnen Motive des Märchens,
sondern sucht sich auf die „more tangible matters“ Zu beschränken: „Tale research will bc
no less fascinating when dealing with the folk-epic motifs than when tracing survivals from
ancient times“ (S. 411). Trotzdem macht er einige Bemerkungen zum Tierbräutigam-Motiv-
,,We must seek the origin of the motif ... (in) ... the legendary traditions of marriage bet-
ween animals and humans which exist among practically all races“ (S. 232L). Für alle diese
Fragen verweist er aber dann auf das alte Werk von MacCulloch: The Childhood °i
Fiction29). Dieses Werk, das „the best survey of these motifs“ sei (S. 233), besagt, daß däS
Motiv seinen Ursprung im Totemismus habe, aber die Möglichkeit eines realistischeren
Ursprungs in tatsächlichem sexuellem Verkehr zwischen Tieren und „Rassen einer niedrige’1
Art“ auch nicht auszuschließen sei. Seltsamerweise hat Swahn diese unsinnige These nicf1
abgelehnt. Hierfür hätte er sich auf neuere Arbeiten stützen sollen als auf die veraltete
Untersuchung von MacCulloch30).
Obwohl seine Abhandlung nicht aller Kritik standhalten wird, hat Swahn doch ri111
seiner gründlichen Untersuchung der monographischen Märchenforschung einen große11
Dienst geleistet, für den wir ihm dankbar sind.
29) J.A.MacCulloch: The Childhood of Fiction. A Study of Folktales and Primitiv11
Thought. London 1905.
30) Vgl. Lutz Röhrich: Mensch und Tier im Märchen. SAV 49 (1953), S. 165 — *93’
Carl-Martin Edsman: The Story of the Bear Wife in Nordic Tradition. Ethnos 19j’
S. 36-56.
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
501
§ 18. Die Märchenforschung in Dänemark31)
In Dänemark hat die Märchenforschung immer im Schatten der alles beherrschenden
Uolksliedforschung gestanden, die mehr als hundert Jahre lang das Interesseund die Arbeits-
kraft der tüchtigsten Folkloristen an sich gezogen hat. Freilich war Axel Olrik einer
der Mitbegründer der Forschervereinigung der Folklore Fellows, und die ersten beiden
Nummern in der Serie der FF Communications haben auch speziell dänische Gebiete be-
handelt32). Aber dieser vielversprechende Anfang zeitigte keine dauerhaften Resultate,
abgesehen von der interessanten Untersuchung des Iranisten Arthur Christensen über
Motif et thème33 *). Es ist offenbar bezeichnend für die wissenschaftliche Lage in Dänemark,
daß man in der berühmten Serie weder ein Register über die dänischen Märchen, geordnet
nach dem internationalen System Aarne und Thompsons, noch eine Monographie von
emem dänischen Forscher findet. Auch an anderer Stelle wird man keine epochemachenden
Beiträge von dänischen Folkloristen antreffen, die auf diesem Gebiet eine merkwürdig zurück-
haltende Stellung einnehmen im Vergleich mit ihren Kollegen in Finnland, Norwegen und
Schweden. Diese mangelnde Aktivität beruht gewiß auf der Tatsache, daß an den dänischen
Universitäten seit 1917 kein fester Lehrstuhl für Volksdichtung mehr eingerichtet war. Dies
hat der Volksliedforschung keinen Schaden zu gefügt, weil deren Arbeit schon vor dieser
Zeit in einen festen Rahmen eingefügt war, vor allem durch die Arbeit an den Danmarks
garnie Folkeviser. Dagegen hat der Märchenwissenschaft in Dänemark eine solche Grund-
legung, die nur an einer Universität zustande kommen kann, gefehlt. Die Folge ist nun,
daß die dänischen Folkloristen in der Regel Epigonen sind, wo es sich um Methoden und
theoretische Resultate handelt, aber gute Herausgeber und Kommentatoren, wo es um
exakte philologische Arbeit geht. Das Fehlen eines volkskundlichen Universitätsunter-
tichtes hat andererseits auch verhindert, daß die dänische Wissenschaft in einer bestimmten
»Schule“ erstarrte. Verstreut in Zeitschriften und Textausgaben wird man jedoch Zeugnisse
dafür finden, daß die Märchenforschung auch in Dänemark lebendig ist.
Der Anfang sei gemacht mit dem Iranisten Arthur Christensen, den deutsche Leser
auch von seiner Ausgabe der Märchen aus Iran31) kennen. Sein dänisches Hauptwerk ist
Molboernes vise Gerninger35), eine Ausgabe der ältesten gedruckten dänischen Schildbürger-
geschichten. Jede Geschichte der 94 Stücke umfassenden Sammlung ist mit einem Kommen-
tar versehen, der Typen und Motivnummern enthält. Außerdem wird dabei jeweils eine
Übersicht über den gesamten verwandten Stoff gegeben, die zuweilen zu einer kleinen
Monographie anschwillt. Diese Kommentare, die in dem Buche mehr Seiten als der Text-
abschnitt selbst füllen, übertreffen sogar A. Wesselskis bekannten Anmerkungsapparat
tn der Ausgabe des Hodscha Nasreddin (Weimar 1911). A. Christensen kennt sowohl die
europäische Volksüberlieferung als auch das persisch-arabische Material aus erster Hand.
Zwei Jahre später hat Christensen eine Sammlung dänischer Schwänke veröffentlicht36),
31) Vgl. auch L. Hammerich (Hrsg.): Beretning om det n.nordiske folkelivs-og
folkemindeforskermode i Odense, 18 — 21. Juni 1952. Kobenhavn 1954. Auf dieser Tagung
unterbreitete L. Bodker eine Diskussionsthese über Probleme der Märchenforschung
(Folkeeventyrenes forskningsproblemer). Der Druck dieses Vortrags steht noch bevor,
und die Abhandlung ist daher in der vorliegenden Übersicht noch nicht berücksichtigt.
32) Axel Olrik: Dansk Folkmindesamling (DFS). The National Collection of Folklore
Copenhagen. FFC 1, 1910. Astrid Lunding: The System of Tales in the Folklore
Collection of Copenhagen. FFC 2, 1910.
33) Arthur Christensen: Motif et thème. Plan d’un dictionnaire des motifs de contes
Populaires, de légendes et de fables. FFC 59, Helsinki 1925.
3<) Arthur Christensen: Märchen aus Iran. MdW. Jena 1939.
35) Arthur Christensen: Molboernes vise Gerninger. Kebenhavn 1939. DFm (Dan-
^arks Folkeminder), Nr. 47.
3#) Arthur Christensen: Dumme Folk. Danske Skæmteæventyr i international Be-
^ysning. Kobenhavn 1941. DFm, Nr. 50.
502
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
die Text und Kommentar zu den Typen Aa.-Th. 1313, 1321, 1382, 1383, 1384, 1385, 1406,
1540, 1620, 1739 und J 2321 enthält. In diesem Werk umfaßt der Text 18, Kommentar und
Bibliographie 65 Seiten. Beide Editionen sind mit einer Einleitung versehen; besonders
wichtig ist die des ersten Werkes, wo Christensen über seine grundsätzlichen An-
schauungen Rechenschaft ablegt. Er meint37), daß das „Urmärchen“ in der totemistischen
Zeit entstanden sei und daß es von dem Verhältnis zwischen Menschen und Tieren, die als
denkende und redende Wesen dargestellt sind, handle. Die Erzählungen aus dieser Epoche
haben keine nutzbare Anwendung, keine Moral und keine Pointe. Später entsteht ein kom-
pliziertes gesellschaftliches Leben mit Privateigentum, Arbeitsteilung, Erwerbsdifferen-
zierung, es bilden sich Staaten mit Aristokratie und Monarchie, Rechtsordnungen mit
religiöser Sanktion usw. Hier entwickeln sich die „Urmärchen“ zur Unterhaltungsdichtung
fort, formen sich in feste Motive in feste Typen, erhalten Moral oder Pointe als Illustration der
gesellschaftlichen Lehren und der Lebensweisheit, oder sie können zu einer Art religiösen
oder moralischen Propagandastoffes werden. In dieser Periode wird die Tierfabel ein Aus-
druck des seelischen Wesens der Menschen und ein Widerschein von der Lebensweisheit def
staatlichen und volkhaften Gemeinschaft in künstlerischer Form. Hier entfalten die Geschich-
ten von menschlichen Helden ihre volle Blüte: Der kämpfende Held und der Starke werden
zum Gegenstand der epischen Behandlung. Später, wenn die lokalen naturgeprägten Götter
von Universalgöttern und Weltreligionen zurückgedrängt werden, entstehen der religiöse
Legendenheld, der Heilige und der Märtyrer. Aber die gesellschaftlichen Verhältnisse der
Götter- und Heldenzeit, die festen Staatsbildungen mit ihrer ranggeteilten Hierarchie, mit
Privatreichtum und Privatmacht, die durch Mißbrauch, Handel und Kampf erworben waren,
führen unvermeidlich zu Willkür und Unterdrückung. Aus dem Drange der Unterdrückten
zur Selbstbehauptung entsteht mit der Zeit ein neuer Heldentyp: der schlaue Held. Die Intelli-
genz ist der Schutz des Schwachen gegen den Starken. Klugheit, Schlauheit, Falschheit und
List über die rohe Gewalt und Macht sind die Eigenschaften, die diesen Heldentyp populät
machen unter Unterdrückten, die die große Mehrheit darstellen. Ein gemeinschaftliche!'
Grundzug in Heldenepos, Heiligenlegende und Schlauheitsmärchen ist die Bewunderung
für die mit außerordentlichen Fähigkeiten ausgestattete Persönlichkeit. Der volkhafte
Scherz geißelt die Dummheit, jedenfalls die Dummheit, die man nicht selbst begehen möchte-
Die Törichtengeschichten werden das Gegenstück zu den Schlauheitsgeschichten. Diese
Törichtengeschichten rubriziert Christensen in bestimmte Kategorien, die gründliche!
behandelt sind in Motif et theme. Im großen und ganzen unterscheidet er zwischen zwei
thematischen Hauptgruppen: 1. Unwissenheit und mangelnde Kenntnis der Naturgesetze,
der Naturerscheinungen; 2. falsche Überlegungen, Erwägungen ohne Realgrundlagen,
falsche Schlüsse, Übersehen von Schwierigkeiten, eingebildete Schwierigkeiten, Luft'
Schlösser, falsche Analogien, verkehrte Berechnungen, Mißverhältnis zwischen Ziel und
Mitteln usw.
Neben diesen beiden Themengruppen gibt es noch eine dritte, die den „klugen Toren
umfaßt, hinter dessen augenscheinlich vernunftwidrigen Worten und verrückten Hand-
lungen sich hinterlistige Wahrheiten, derber Spott, manchmal tiefsinnige Weisheit verberge0-
Diese Geschichten sind im Laufe derZeit mit ganz- oder halblegendären Figuren verknüpft
worden, wie mit dem arabisch-iranischen Djoha, mit dem türkischen Nasreddin Chodschaun0
mit dem deutschen Till Eulenspiegel. Für das volkstümliche Bewußtsein ist es jedoch schwef,
diese für eine oberflächliche Betrachtung verwandten Typen richtig zu unterscheiden u°
voneinander abzugrenzen, und daher sind diese Helden oft zu einer eigenartigen Mischung
von weisen Narren, schlauen Tagedieben und geläuterten Toren geworden. Eine vieftc
Gruppe ist die der sogenannten Münchhausiaden: während der Tor stets den kürzeren zieh!,
wenn er gegen die Naturgesetze angehen will, führt Münchhausen sein naturwidriges Vof'
haben mit glänzendem Erfolg durch.
37) Molboernes vise Gerninger. A. a. O., S. uff.
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
503
Christensen charakterisiert die Geschichten dieser Gruppen als ein-episodische Er-
zählungen, die sich auf eine einzige Pointe beschränken und sich auch um diese eine Pointe
aufbaumäßig konzentrieren. Findet man dagegen mehr-episodische Erzählungen, so handelt
es sich immer um irgendwie abhängige Bildungen, die jedoch, methodisch gesehen, eine
große Bedeutung haben bei der Bestimmung der Wege, auf denen das Erzählgut von Land
Zu Land wandert. Hinter vielen Geschichten findet Christensen die ewigmenschliche
Dummheit, also eine Art Elementargedanken, und diese Ubiquität beleuchtet er durch eine
Reihe moderner Törichtengeschichten. Zum Schluß gibt er eine umfangreiche und lehr-
reiche Darstellung der Törichtenliteratur im Orient, in Griechenland und in Westeuropa.
Diese Übersicht enthält viele Aufschlüsse über die verschiedenen lokalen Volksgruppen,
die in Ortsneckereien und Schwänken bei ihren Nachbarn als „Schildbürger“ gelten.
Christian Elling hat in einem kleinen Aufsatz einige der größten Spaßmacher der
Weltgeschichte behandelt, u. a. den Münchhausen und den Marchese del Grillo38).
Elling weist dabei darauf hin, daß Rochus Friedrich Graf Lynar, der 1752—65
dänischer Statthalter in Oldenburg war und später auf seinem Gut Lübbenau lebte, wahr-
scheinlich persönliche Verbindungen zu dem Baron von Münchhausen oder zu seinem
nächsten Kreise gehabt hat und dadurch in seinem Buch Der Sonderling (Hannover 1761)
drei Münchhausengeschichten hat erzählen können, die sonst erst durch das Vademecum
für lustige Leute VIII (1781) und durch Gottfried A. Bürgers Münchhausen-Ausgabe
von 1788 bekannt geworden sind39 *). Während die historische Persönlichkeit Münchhausens
einigermaßen geklärt ist, hat man den analogen Marchese del Grillo noch nicht identi-
fizieren können. Elling weist jedoch daraufhin, daß die Begebenheiten in dem Viertel des
Palazzo del Grillo stattfinden, dessen merkwürdige und ausschweifende bauliche Eigentüm-
lichkeiten von dem Bauherrn Marchese Bernandino del Grillo (gestorben etwa 1750)
herrühren. Dieser Mann mit den bizzarenBauphantasien wird vielleicht mit dem Marchese
del Grillo der Anekdoten identisch sein.
Weiterhin machen wir auf eine Arbeit aufmerksam, die ebenfalls internationales Gemeingut
behandelt, nämlich auf Laurits Bodkers Ausgabe von Christen Nielssen: De gamle
Vijses Exempler oc Hoffsprocki0). Dieses Werk ist eine ältere Übersetzung (1618) von
Anthonius v. PFORRS Buch der Beispiele der alten Weisen und ist also das letzte Glied in
der langen Reihe von übersetzten und bearbeiteten Werken, die auf das indische Pantscha-
tantra zurückgeführt werden können. In der Einleitung gibt Bodker eine kurze Übersicht
über die verschiedenen Theorien der Urform und Heimat dieses Werkes, ohne jedoch zu diesen
Theorien persönlich Stellung zu nehmen. Als Folklorist ist er eher daran interessiert, etwas
Ordnung in das Stoffgewirr zu bringen, das sich im Laufe der Zeit um die 82 Geschichten
der deutsch-dänischen Version gebildet hat. Das Primärmaterial ist in einem Notenapparat
Zusammengestellt, der daher nur einen Teil des umfangreichen Stoffes enthält, der schon
von Benfey, Chauvin, Oesterley, Hertel u. a. gesammelt worden ist. Bbdker
beschränkt sich ausschließlich auf die Geschichten, die auf das Pantschatantra zurückgehen,
Lnd glaubt nach weisen zu können, daß dieses Werk zwar für die mittelalterliche europäische
Literatur Bedeutung gehabt, jedoch nur in geringem Maße die europäische Volksüber-
heferung beeinflußt hat.
38) Christian Elling: Om Baron Münchhausen og Marchese del Grillo. Festskrift
til L. L. Hammerich. Kubenhavn 1952, S. 105 ff.
39) Die drei Geschichten sind: 1. Die Jagd bei Nacht mit einer Laterne auf dem Körper
fies Hundes. 2. Die Erlegung von 20 Vögeln, die in gerader Linie auf einem Ast sitzen, mit
ünem Schuß (Aa.-Th. 1894). 3. Ein Hund jagt einen Hasen. Beides sind Weibchen und beide
V’c.rfen während dieser Verfolgung Junge. Nun verfolgen die jungen Hunde die kleinen
Häschen.
4°) Christen Nielssen: De Gamle Vijses Exempler oc Hoffsprock (1618). Hrsgg. von
L. Bodker. I. Einleitung und Text. Kobenhavn 1951; II. Noten und Register. Koben-
bavn 1953.
504
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
Aus der lebendigen Volksüberlieferung ist in letzter Zeit nur eine kleine Sammlung
von 16 Märchen und Tiergeschichten aus Bornholm veröffentlicht worden41). Sie sind in
der Mundart, verbunden mit einer reichsdänischen Übersetzung, herausgegeben. Die meisten
Stücke dieser Sammlung wurden in den dreißiger Jahren von Frau Charlotte Kofoed
(geb. 1860) erzählt, und die Einleitung bringt einen Kontext zu ihren Erzählungen, der
eine sehr interessante Schilderung des dörflichen Erzählermilieus im Nyker Kirchspiel
gibt. Die Erzählerin ist die Mutter einer großen Familie, die in demselben Kirchspiel
geboren ist und immer eifrig bestrebt war, ihren Erzählvorrat zu vergrößern: ,,... Jede
neue Magd und jeder neue Knecht auf dem Hofe wurden ausgefragt, wenn sich die Gelegen-
heit dazu bot, und wenn man auf Besuch war oder Gäste hatte, wäre es merkwürdig ge-
wesen, wenn Mutter kein neues Märchen oder kein neues Lied kennengelernt hätte. Ihre
Liebe und ihr Interesse hatte meine Mutter schon aus ihrem Elternhaus mitbekommen, wo
ihre eigene Mutter in gleicher Weise die Erzählertradition in Ehren gehalten hatte.“ Hier
liegt also ein interessantes Beispiel von Erzähltradition in derselben Familie bei Großmutter,
Mutter und Tochter vor mit einem aktiven Bemühen um eine Bestandserweiterung. Aus
diesem Familienrepertoire hat Frau Kofoed Varianten u. a. folgender Märchentypen er-
zählt: Aa.-Th. 130/2033, 314B, 400, 425, 461, 480, 501, 570, 1541/1384, 2022A und 2032.
Eine andere Erzählerin, Frau Christiane Bjarning, hat die Erzähltradition über die Insel
Bornholm hinaus fortgeführt, indem sie in Kopenhagen u. a. Aa.-Th. 1386/1653 erzählt hat,
Erzählungen, die sie in ihrer Kindheit auf Südost-Bornholm gehört hatte.
Die Märchensammlung von J.P.Kuhre wird mit einem philologischen Kommentar
von Aage Rohmann eingeleitet und mit einem großen Anmerkungsapparat von Hans
Ellekilde abgeschlossen, der sowohl über die gesamte bornholmsche Märchenliteratur
Rechenschaft ablegt, als auch die Texte der Sammlung durch Hinweise auf Aarne-Thomp-
sons Typennummern und auf gedruckte Varianten kommentiert. In diesem Kommentar
finden wir auch H. Ellekildes Bekenntnis zur These von den Märchen als Erbgut:
„Sie gehören zum wertvollsten Gemeingut der indoeuropäischen Völker, zur indoeuro-
päischen volkhaften Märchendichtung, die auch auf Bornholm von altersher vererbt ist
durch den mündlichen Uberlieferungsweg, oder die nach Bornholm gewandert ist von den
benachbarten Volksgruppen“ (S. 128). Diese Ansicht stimmt in etwa mit der gleichzeitig
von C. W.v. Sydow vertretenen überein; die beiden Forscher sind also auf verschiedenen
Wegen zum selben Ergebnis gekommen. Allerdings werden die Thesen H. Ellekildes
durch eine nationalromantische Auffassung erheblich getrübt42).
Die historisch-geographische Methode wird in Dänemark durch Inger M. Bobere
vertreten, die in einer Untersuchung über Cupid and Psyche (Aa.-Th. 425) die Methode der
finnischen Schule anwendet43) und versucht, eine Synthese zwischen der historisch-geo-
graphischen Methode, der „Erbtheorie“ C. W.v.Sydows und Liungmans volkskund-
licher Kulturkreislehre zu schaffen. Inzwischen ist die Amor-und-Psyche-Forschung durch
die Monographie J. ö. Swahns (s. o.) ein gutes Stück weiter vorangeschritten, so daß
I. M. Bobergs Resultate hier nicht im einzelnen referiert zu werden brauchen. Wichtig
bleiben jedoch ihre allgemeinen Ausführungen über Entstehung und Ursprung des Zauber-
märchens: „Die Mehrzahl der sogenannten Wundermärchen ... haben schon in den
frühesten Formen, die wir kennen, einen so kunstvollen Bau, daß sie wohl aus einer relativ
hochentwickelten Kultur stammen müssen. So scheint es kaum denkbar, daß sie in einer s°
primitiven Kultur entstanden sein können, wie die der Germanen in der fraglichen Zeit»
d. h. etwa ums Jahr 1000 v. Chr., noch war. Tatsächlich kann die Heimat der meisten
Märchen kaum irgendwo anders vermutet werden als in den antiken Kulturen zwischen
41) J.P.Kuhre: Borrinjholmska Sansäger. Bornholmske Folkeseventyr og Dyrefablci-
Kobenhavn 1938. DFm, Nr. 45.
42) Hans Ellekilde: Vore danske Folkeasventyr. Kobenhavn 1928. DFm Nr. 35, S. ip
43) Inger M. Boberg: The tale of Cupid and Psyche. Classica et Mediaevalia I, Copen'
hague 1938, S. i77ff., vgl. oben S. 501.
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
505
dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer. Hier liegen die einzigen Gebiete, die in dieser
Epoche zugleich eine hohe Kultur aufweisen und deren geographische Lage eine Wande-
tung der Wunder mär chen möglich erscheinen läßt. Nun tragen jedoch die semitischen
barchen, wie sie uns bekannt sind, besondere Kennzeichen, mit denen sie sich in der Regel
scharf von den indoeuropäischen Märchen unterscheiden. So sollten wir vielleicht vorzugs-
weise an solche Völker denken, wie an die Urbewohner Babyloniens, die Sumerer (ca. 1950
v- Chr.) oder an die erst kürzlich entdeckte Kultur von Ras-Shamra im alten Phönizien
(ca. 2000 —1100 v. Chr.), d. h. an diesen Raum, in dem babylonische, hethitische, myce-
üische und endlich auch ägyptische Kulturströmungen vermutlich ineinandergeflossen
sind und einen eigenständigen Mutterboden der Volksdichtung hervorgebracht haben.“
I. M. Boberg, die u. a. einen Vortrag über den Märchenstil Hans Christian Ander-
sens44) veröffentlicht hat, hat auch die Rätseltradition in verschiedenen Märchentypen
behandelt'45), insbesondere im Anschluß an verschiedene Untersuchungen von Jan de
Vries46). Typologisch interessant ist es, daß sie in diesem Aufsatz eine Gruppe von Rätsel-
geschichten als einen Untertyp des Typus von Amor und Psyche (Aa.-Th. 425) darstellt.
A. Stender-Petersen veröffentlichte 1945 eine Untersuchung über eine Geschichte in
der Orvar-Odds Saga (Typ M 341. 2. 5. Prophecy: death by horse’s head). In der Einleitung
*u dieser Untersuchung47) belebt er aufs neue die alte Theorie von Bédier über „la forme
abstraite et nécessaire“. A. Stender-Petersen ist der Meinung, daß jede Sage oder jedes
Märchen aus einem konstanten Motiv komplex besteht, woran variable Motive angeschlossen
Werden können, die aber auf den Handlungsverlauf des Motivkomplexes selbst keinen
Einfluß haben48). In einem späteren Aufsatz behandelt er dasselbe Problem, indem er hier
jedoch richtiger von dynamischen und labilen Elementen spricht, wovon die ersteren in
einem funktionellen Verhältnis zueinander stehen, die anderen dagegen nur in einem ein-
fachen Additionsverhältnis49).
In Erwiderung des ersten Artikels von A. Stender-Petersen veröffentlichte L. Bodker
1945 eine kleine Untersuchung über die Frau, die ihre Nase verlor (Aa.-Th. 1417)50). Diese
Geschichte findet man in allen wichtigen Pantschatantra-Texten und in den verschiedenen
Versionen der Vetälapancavimsati sowie in der europäischen Mittelalterliteratur. B0DKER
^erfolgt diese Erzählung von Indien her nach Europa Schritt für Schritt und kommt so Zu
dem Ergebnis, daß kulturgeographische Faktoren für Form und Inhalt der Geschichte eine
beträchtliche Rolle spielen. Dieses Resultat ist gewiß nicht epochemachend, da es auch den
Ergebnissen anderer Monographien entspricht; Bodker geht aber einen Schritt weiter
und behauptet, daß gerade diese kulturgeographischen Faktoren zur Folge haben, daß man
den Archetypus eines Märchens nicht rekonstruieren kann, weil man nicht imstande ist,
diese Lokalzüge zu entfernen und somit nicht zum Kern des Märchens Vordringen kann.
Er betrachtet das Märchen als einen lebendigen Organismus, der nicht in die abstrakte Formel
einer „Urform“ hineingepreßt werden darf. Das Märchen fügt sich vielmehr nach Form
und Inhalt harmonisch in das lokale Kulturmilieu ein. Der lokale Traditionsträger formt den
empfangenen Stoff bewußt oder unbewußt nach seinen eigenen Intentionen und nach seinem
eigenen Milieu um.
44) Inger M. Boberg: H. C. Andersens ffEventyrstil. Anderseniana 2: II, 3, 1953.
45) Inger M. Boberg: Gàdetraditioner i 0st og Vest. 0st og Vest, Festskrift til Arthur
Christensen. 1945, S. 192ff.
46) Jan de Vries: Die Märchen von klugen Rätsellösern. Eine vergleichende Unter-
suchung. Helsinki 1928. FFC 73.
47) A. Stender-Petersen: 0rvarod og Kejser Mikael den 3. af Byzans. 0st og Vest,
Afhandlinger tilegnede Arthur Christensen. Kobenhavn 1945, S. 181IT.
48) Vgl. das dänische Zitat in W.E.Peuckert-O. Lauffer: Volkskunde. Bern 1951,
S- D9E
49) A. Stender-Petersen: Quemadmodum efficiatur ut abundare uideantur, quea
deerunt. Festskrift til L.L.Hammerich. Kobenhavn 1952, S. 23off.
50) L. Bodker: Kvinden der mistede sin Nsese. Lund 1945. Folkkultur. 5, S. 24ff
506
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
Diese Gesichtspunkte, die im wesentlichen auf C. W.v. Sydows bekannte Anschauungen
zurückgehen, bilden auch die Grundlage für eine Untersuchung von Lis Thärup-Ander-
sen, die eine tabellarische Übersicht über sämtliche Varianten der Erzählung vom Fischfang
des Fuchses (Aa.-Th. 2) gegeben hat51). Auf Grund eines umfangreichen Materials kritisiert
L. Thärup-Andersen eine Reihe älterer Theorien über Form und Heimat dieser Ge-
schichte und kommt zu dem Ergebnis, daß man keine Grundform rekonstruieren und daß
man noch nicht einmal mit Sicherheit feststellen kann, ob die Geschichte von Reineke Fuchs
von der Literatur in die Volkstradition gewandert ist oder umgekehrt.
Um einen Eindruck von der Variabilität einer Lokaltradition zu geben, hat L. BodkeR
vor kurzem eine Übersicht über die dänischen Varianten des Schwankmärchens Die lange
Lüge (Aa.-Th. 852) veröffentlicht52). Diese Erzählungen bestehen aus einer Reihe von
Lügen-Episoden , die einander parallel und parataktisch folgen und die mit einem konstanten
Replikmotiv abgeschlossen werden. Dieser lose Rahmen gibt dem einzelnen Erzähler reich-
lich Gelegenheit, je nach Gutdünken mit dem Stoff zu verfahren, indem er — ohne das
Grundthema der Geschichte zu ändern — Umtauschen, auslassen oder die einzelnen Lügen-
episoden ändern kann. Solche Tendenzen führen wohl ganz allgemein zur Entstehung ver-
schiedener Versionen oder Redaktionen eines Erzähltypus. Den Prozeß kann man z. B. auch
verfolgen in der Erzählung von dem Mann, der Luftschlösser baut, es aber an der nötigen
Vorsicht zu deren Verwirklichung mangeln läßt (Typ J 2061. 1. 2)53). Dieser Typus wurde
von J. Evald Tang Kristensen behandelt, der als Ausgangspunkt für seine Unter-
suchung eine gereimte Version aus einer schriftlichen Quelle etwa aus dem Jahre 1790 fand.
Ganz ähnliche Tendenzen zur Veränderung der Texte trifft man auch bei den ver-
schiedenen Redakteuren und Bearbeitern klassisch-antiker Fabeln. Dieses wichtige Probien1
ist von Eric Jacobsen behandelt worden, der eine interessante Darstellung der Verände-
rung „Schlange“ zu „Storch“ gegeben hat, wie sie in der antiken Fabel von den Fröschen
begegnet, die einen König haben wollen und schließlich eine Schlange bzw. eben einen
Storch zum König bekommen, der sie auffrißt (Typ J 643, i)54). Jacobsen hat eine große
Zahl von veröffentlichten und unveröffentlichten Fabeltexten bearbeitet und kommt zu dem
Ergebnis, daß in den klassisch-antiken Texten immer die Schlange (hydrus) vorkommt,
ebenfalls in den meisten Romulus- und YsoPET-Texten, wie auch bei Marie de
France. Den Storch dagegen findet man in einer verkürzten Prosaversion eines An-
onymus des 13. Jhs. Ysopet de Lyon ist unparteiisch: „Ou soit serpent, ou soü
cyoigne, / Des Rainnes vai mal la besoigne.“ Ulrich Boners Edelstein (1461) und
Nackams De Naturis Rerum haben ebenfalls den Storch. Jacobsen ist der Meinung»
daß diese Änderung (oder Tendenz zur Änderung) von dem bewußten Versuche der Be-
arbeiter herrührt, den antik-klassischen Stoff dem nordeuropäischen Kulturmilieu an-
zupassen, wo der Storch der Froschfresser par excellence ist. Nach Erfindung der Buch-
druckerkunst wird der Markt von den Anonymus- und RoMULUS-Editionen beherrscht
mit der antiken Schlange; in Steinhöwels deutscher Übersetzung dagegen, die einen außer-
ordentlichen Einfluß auf die spätere Fabeltradition ausübt, findet Jacobsen eine entschei-
dende Änderung: „Tune misit illis ydrum, hoc est magnum colubrum“ wird übersetzt:
„Do gab er inen den storken . . .“, und Jacobsen behauptet, daß Steinhöwel dabei über-
legt und mit Vorbedacht gehandelt haben muß. Die Interessenten für diese Probleme seien
auf Jacobsens Darstellung verwiesen, die auch die Illustrationen der Fabeln berück-
sichtigt.
51) Lis ThArup-Andersen: Fiskefangstfabeln i den skriftlige Literatur og folke-
literaturen. Danske Studier 1954, II, S. 127ff.
52) L. Bodker: Den lange logn. Danske Studier 1954, II, S. 1096".
53) Johs Evald Tang Kristensen: Den i Tankerne rige Mand eller Kone. Festskrift
til H. P. Hansen. Kobenhaven 1949, S. 270ff.
54) Eric Jacobsen: The Fable is inverted, or Donne’s Aesop. Classica et Mediaeval'21
13, 1952, S. iff.
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
507
Bei dieser Gelegenheit muß auch eine kleinere Arbeit von Holger Rasmussen erwähnt
'Werden, der zwei Kacheltische aus dem 18. Jh. mit Kacheln aus englischem Steingut be-
schreibt, auf denen Illustrationen von AESOPsc'hen Fabeln dargestellt sind55). Die Kacheln
enthalten im ganzen 30 Abbildungen, die in diesem Aufsatz sämtlich photographisch
reproduziert und interpretiert sind. Meist hängen sie mit der englischen AESop-Ausgabe
Fahles of Aesop and Others (London 1772) zusammen.
§ 19. Die Märchenforschung in denVereinigten Staaten und Kanada
In den Vereinigten Staaten56) unterscheidet man innerhalb des von uns als „Volkskunde“
bezeichneten Fachgebietes 1. ,Anthropologen‘, die ihr Arbeitsgebiet im wesentlichen auf
die Volkskultur der nordamerikanischen Indianer beschränken, und 2. Folkloristen, die sich
mit der Volkskunde der nicht-indianischen Bevölkerung beschäftigen. Während der ersten
vier Jahrzehnte unseres Jahrhunderts haben die Forscher der zweiten Gruppe, abgesehen
von wenigen Ausnahmen wie Archer Taylor und Stith Thompson, das Hauptgewicht
ihrer Bemühungen auf das Volkslied gelegt, besonders auf die Volksballade. Dies läßt sich
Zum Teil dadurch erklären, daß viele Folkloristen von der englischen Literaturwissenschaft
herkamen. Die Ballade war nicht nur volkskundlich, sondern vor allem literarhistorisch
interessant. Hinzu kamen die vielfältigen Anregungen, die von dem großen Balladen-
forscher F. J. Child ausgegangen waren. Während der letzten zehn Jahre ist in den USA
und in Kanada jedoch ein wachsendes Interesse am Volksmärchen zu beobachten, das sich
in einer Anzahl wichtiger Publikationen zu erkennen gibt. Ein weiterer Beweis für das
steigende Interesse am Märchen ist der Beschluß der Modern Language Association im
Jahre 1954, eine Kommission für die Volkserzählung einzusetzen, entsprechend den schon
seit einiger Zeit bestehenden Volkslied-und Sprich wort-Kommissionen. Auch die Ameri-
can Folklore Society gründete 1954 eine Märchenkommission. Diese Gründungen gehen
Hand in Hand mit einem vermehrten Allgemeininteresse am Volksmärchen, das sich in einer
Flut halb- oder auch pseudowissenschaftlicher Neuerscheinungen kundtut („Folktale- und
Folklore-Treasuries“ u. ä.). Unser Bericht, der einen kurzen Überblick über die Märchen-
forschung in den USA und Kanada während der letzten 10 Jahre geben will, beschränkt sich
bewußt auf jene Märchen, die im Typenverzeichnis von Aarne-Thompson zu finden sind,
und schließt Sagen, Heldensagen usw. aus. Ebenso werden die Arbeiten über die nord-
amerikanischen Indianermärchen hier nicht berücksichtigt.
Allgemeine Untersuchungen. An erster Stelle ist das bekannte Werk von Stith
Thompson zu nennen, The Folktale, das im Jahre 1946 erschien (2. Aufl.1951). Es wurde
schon anläßlich der Gesamtdarstellungen im DJbfVk besprochen57). Weniger bekannt ist der
Bericht über vier volkskundliche Tagungen Four Symposia on Folklore58), der eine wört-
liche Nachschrift der Diskussionen enthält, die im Sommer 1950 in der Indiana-Universität
in Bloomington unter Beteiligung amerikanischer und europäischer Volkskundler statt-
fanden. Von besonderem Interesse für den Märchenforscher sind die Beiträge von Walter
Anderson, R. Th. Christiansen, Sean O’Suilleabhainu. a. zu den Themen ,Sammel-
tnethoden*, ,Archivarbeit*, ,die historisch-geographische Methode*.
55) Holger Rasmussen: dEsops Fabier pä Fliseborde. Danske Museer I. Kobenhavn
1950, S. 5iff.; vgl. auch Lutz Röhrich: Fabel. In: Die Religion in Geschichte u. Gegen-
wart. Bd. II. 1957.
56) Vgl. zur allgemeinen Information: Folklore Research in North America. Journal of
American Folklore LX (1947), S. 35off.; Charles Haywood: A Bibliography of North
American Folklore and Folksong. New York 1951; außerdem den Forschungsbericht von
E. Rath: Volkskunde in den Vereinigten Staaten im europäischen Blickfeld, österr.
2s. f. Vk. 57 (1954), S. 59fr. u. Lutz Röhrich: Journal of American Folklore. Sonderheft
HSA der Universitas 4 (1949), S. 853ff.
57) Vgl. DJbfVk II (1956), S. 277ff.
58) Four Symposia on Folklore. Bloomington, Indiana 1953.
508
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
Unter der Redaktion von Maria Leach und mit Hilfe eines anonymen Mitarbeiterstabes
erschien ein zweibändiges Nachschlagewerk: Funk and WagnalVs Standard Dictionary of
Folklore, Mythology and Legend59 60), das jedoch im großen und ganzen recht unzulänglich
gearbeitet ist und aus dem lediglich einige kurze Einzelartikel fachkundiger Verf. maß-
gebend erscheinen. Zur allgemeinen Theorie des Märchens sind weiterhin zwei Beiträge
erwähnenswert: einmal die Abhandlung von Emma E. Kiefer: Albert Wesselski and Receni
Folktale Theories50). Sie geht aus von den umstrittenen Thesen A. Wesselskis61) und
bringt dann eine Auseinandersetzung mit F. v. d. Leyen, K. Krohn, M. Haavio, C. W.
v. Sydow und J. de Vries. Die Untersuchung ist deshalb nützlich, weil sie das weit ver-
streute Schrifttum zu diesem Thema zusammenfaßt und die verschiedenen Ansichten unserer
Märchenforscher klar zum Ausdruck bringt. — Als zweite Arbeit ist ein wesentlich kürzerer
Beitrag zum gleichen Thema zu nennen: Um Grundsätzliches in der Märchenforschung von
Ernst A. Philippson62). — Mehrere Arbeiten, z. B. über The Great Team of English
Folklorists63 64 65 66 67) und The Eclipse of Solar Mythology51) behandeln die Geschichte der Volks-
kunde in England. Dabei sind selbstverständlich auch die Märchentheorien von A. Lang
und anderen wiederholt berücksichtigt worden. — Drei Bücher von allgemeinem Interesse
wurden von Richard M. Dorson veröffentlicht: Jonathan Draws the Long Bow55)
bringt amerikanische Volksmärchen aus älteren schriftlichen Quellen, wie z. B. aus Alma-
nachen, lokalen Geschichtschroniken usw. Bioodstoppers and Bearwalkers55) und Negro
Folktales in Michigan5,1), Märchensammlungen aus Michigan, beschreiben auch ausführlich
die Erfahrungen des Sammlers und die Persönlichkeiten der Gewährsleute.
Auffallend groß ist weiterhin das Interesse der amerikanischen Psychologen und Psycho-
analytiker für das Märchen. W. H. Desmonde interpretiert das bekannte englische Märchen
Jack and the Beanstalk (Aa.-Th. 328) und setzt es in Beziehung zu phallischen Symbolen68 69)»
während Erich Fromm in seiner Untersuchung The Forgotten Language59) im Rot-
käppchenmärchen (Aa.-Th. 333) Nachbildungen von Menstruationsvorstellungen findet70 71)-
Die hier vertretenen Auffassungen sind mehr oder weniger überspannt. Eine wichtige
Abhandlung jedoch, die den Wert der verschiedenen pyschologischen Versuche auf dem
Gebiet der Volkskunde und des Märchens realistisch einschätzt, ist die von Weston lA
Barre über Volkskunde und Psychologie11). Von zwei weiteren Arbeiten soll hier wenigstens
59) Funk and Wagnall’s Standard Dictionary of Folklore, Mythology and Legend. Edited
by Maria Leach, 2 Bde. New York 1949 — 50.
60) Emma E. Kiefer: Albert Wesselski and Recent Folktale Theories. Bloomington,
Indiana 1947.
61) Albert Wesselski: Versuch einer Theorie des Märchens. Reichenberg 1931’
(Prager deutsche Studien, Nr. 45); vgl. schon Walter Anderson: Zu Albert Wesselskis
Angriffen auf die finnische folkloristische Forschungsmethode. Tartu 1935. (Acta et Commen-
tationes Universitatis Tartuensis, Bd. 38,3).
62) Ernst A. Philippson: Um Grundsätzliches in der Märchenforschung. Monatshefte
für deutschen Unterricht XXXVII (1945), S. 135 —150.
63) Journal of American Folklore LXIV (1951), S. 1 —10.
64) Journal of American Folkore LXVIII (1953), S. 393 ff.
65) Richard M. Dorson: Jonathan Draws the Long Bow. Cambridge, Mass. 1946.
66) Richard M. Dorson: Bioodstoppers and Bearwalkers. Cambridge, Mass. 1952.
67) Richard M. Dorson: Negro Folktales in Michigan. Cambridge, Mass. 1956.
68) W. H. Desmonde: Jack and the Beanstalk. American Imago VIII (1931), S. 287#)
69) Erich Fromm: The Forgotten Language. New York 1931.
70) Zu psychologischen Deutungsversuchen des Rotkäppchenmärchens siehe schon
M. Rumpf: Rotkäppchen. Eine vergleichende Märchenuntersuchung. Diss. Göttingen,
1931; vgl. DJbfVk II (1956), S. 311L
71) Weston la Barre: Folklore and Psychology. Journal of American Folklore
LXI (1948), S. 382 — 390; vgl. Lutz Röhrich: Märchen und Wirklichkeit. Wiesbaden 195^»
S. 6ff.
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
der Titel erwähnt werden: John Hennig: The Brothers Grimm and T. C. Croher72) und
Dorothea Berger: Die Volksmärchen der Deutschen von Musäus, ein Meisterwerk der
deutschen Rokokodichtung73).
Monographien über einzelne Märchen. Seit dem Jahre 1945 sind in den Ver-
einigten Staaten zwei größere Abhandlungen über einzelne Märchen abgeschlossen
Worden. Stith Thompsons The Star Husband Tale7i) untersucht ein nordamerikanisches
Indianermärchen. Obwohl es sich um eine Eingeborenenerzählung handelt, ist Thompsons
Abhandlung auch für den europäischen Folkloristen methodisch interessant. Hier wird
nämlich die geographisch-historische Methode bei einem Märchen angewandt, auf das
schriftliche Versionen keinen Einfluß gehabt haben können, weil es nur als rein mündliche
Erzählung umläuft. Die zweite Monographie mit dem Titel Aarne-Thompson’ s Type 480
in World Tradition. A Comparative Folktale Study ist eine noch nicht gedruckte Disser-
tation von Warren E. Roberts75). Eine überarbeitete Form dieser Untersuchung,
die mehr als 900 (I) Varianten des Typs KHM24 (Frau Holle) enthält, wird jedoch
bald im Druck erscheinen. — Verschiedene kürzere Märchenuntersuchungen sind ebenfalls
in unserer Berichtszeit herausgegeben: W. M. Hudson bringt einige Varianten und Be-
tnerkungen zum Motiv E 235, 4, 1, das mit der GRiMMschen Erzählung Der Mann vom
Galgen (Aa-Th. 366) verwandt ist76). Eine Variante des Typus Aa.-Th. 910B (Die guten
Ratschläge der Schlange), die in einem irischen Manuskript des 12. Jhs gefunden wurde,
wird von Robert T. Meyer besprochen77). R. S. Boggs gibt in einem kurzen
Artikel vergleichende Bemerkungen zum Typ Aa.-Th. 1278 The Bell Falls into the Sea78).
W. D. Paden zeigt in einer Untersuchung, daß der Typus Aa.-Th. 1352, die Erzählung vom
Teufel, der über die Keuschheit einer Frau wacht, der Kunstdichtung angehört und keine
lebendige mündliche Überlieferung gebildet hat79). Zweiundzwanzig amerikanische Va-
rianten des Märchens von den zwei Dieben (Aa.-Th. 1791) werden in einer Abhandlung
von Hazel Harrod aufgeführt80). F. P. Magoun jr. behandelt die Beziehung zwischen
Motiv J 1662, Grimm KHM 75 (Der Fuchs und die Katze) zu dem mittelenglischen'Ge-
dicht The Owl and the Nightingale81). A. P. Hudson bespricht einige englische und
amerikanische Varianten des Motivs B 241, 2,3 The King of the Cats82).
Märchenverzeichnisse. Die Hauptleistung der amerikanischen Märchenforschung
Während des letzten Jahrzehnts besteht in der Zusammenstellung neuer Typen- und Motiv-
kataloge. Die größte Publikation auf diesem Gebiet ist Stith Thompsons Neubearbeitung
seines früheren Werkes Motif-Index of Folk-Literature83). Der erste Band der Neubearbeitung
72) Modern Language Review XL! (1946), S. 44—54.
73) Publications of the Modern Language Association LXIX (1954), S. 1200—1212.
74) Stith Thompson: The Star Husband Tale. Studia Septentrionalia IV (1953), S. 93
bis 163.
75) Indiana University 1953.
76) Publications of the Texas Folklore Society XXV (1953), S. 183 — 194.
77) Robert T. Meyer: The Middle Irish Odyssey: Folktale, Fiction or Saga. Modern
Philology L (1952), s- 73 —78-
78) R. S. Boggs: In: Romance Presented to William Morton Dey . . ., hrsgg. von U. T.
Holmes jr. u. a. Chapel Hill, North Carolina. 1950, S. 43—47.
79) Journal of American Folklore LVIII (1945), S. 35—47.
80) Hazel Harrod: A Tale of Two Thieves. Publications of the Texas Folkore Society
XXII (1949), S. 207—214.
81) California Folklore Quarterly IV (1945), S. 390—392.
82) Southern Folklore Quarterly XVII (1953), S. 225—231.
83) Stith Thompson: Motif-Index of Folk-Literature. A Classification of Narrative
Elements in Folktales, Ballads, Myths, Fables, Mediaeval Romances, Exempla, Fabliaux,
Jest-Books and Local Legends. Revised and enlarged edition. Kopenhagen 1955ff.
510
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
erschien 1955, der zweite 1956, der dritte 1957 und die anderen werden in kurzer Zeit
nachfolgen. Die wesentlich erweiterte Auflage des Motif-Index verdankt ihr Material zu
einem großen Teil den regionalen Katalogen, die von Schülern Stith Thompsons aus-
gearbeitet worden sind. Einige dieser Verzeichnisse, die auch für die Erforschung des
europäischen Märchens wichtig waren, sind Dissertationen, die leider noch nicht im Druck
erschienen, jedoch auf Mikrofilm zugänglich sind. Ernest W. Baughmans Ver gleichende
Studie über die englischen und amerikanischen Märchen8*) bringt einen ausführlichen Katalog
von Typen und Motiven, der sowohl den größten Teil der englischen und anglo-amerika-
nischen Märchen enthält, die bis zum Jahre 1950 im Druck erschienen waren, als auch ein
recht beträchtliches bisher unveröffentlichtes Material. Außerdem wurden die amerika-
nischen Negermärchen mit einbezogen. So hat Baughman eine ganz erstaunlich große Zahl
der internationalen Märchentypen in der englischen und angloamerikanischen Überlieferung
auffinden können. Eine große Zahl international verbreiteter' Märchen sind sodann in dem
Katalog westindischer Erzähltypen und -rnotive von Helen L. Flowers verzeichnet84 85)-
DieVerf. fügt ihrem Katalog außerdem eine Gruppe von Negermärchen aus denVereinigten
Staaten bei. — Eine weitere Veröffentlichung der Indiana-University, Hiroko Ikedas
Typen- und Motiv-Index der japanischen Volksdichtung86), bietet dem europäischen Volks-
kundler einen ausgezeichneten Führer durch die ausgedehnten japanischen Sammlungen der
letzten Jahre. Ikeda führt im ganzen 205 internationale Märchentypen auf, einige davon
mit mehr als hundert Varianten. Manche Märchen, die in Japan bekannt sind, stehen den
europäischen Typen sehr nahe, andere dagegen weichen stark ab und zeigen eine unab-
hängige Entwicklung. Der Verf. hat auch einige chinesische und koreanische Varianten der
Typen beigebracht. Eine weitere katalogisierende Dissertation trägt den Titel: Motif-IndeX
of Portuguese Tales; sie ist 1955 von Q. E. Martinez an der Universität von North Carolina
fertiggestellt worden. Andere ungedruckte Dissertationen sind die von Bacil Kirtley:
A Motif-Index of Polynesian, Melanesian and Micronesian Narratives87) und die von DoV
Neümann: Motif-Index of Talmudic-Midrashic Liter ature88).
Außer den ungedruckten Dissertationen gibt es noch eine ganze Anzahl von gedruckten
Märchenverzeichnissen der letzten zehn Jahre. Die Zusammenstellung eines Motiv-Index
der frühen irischen Literatur von Том Реете Cross ist das Ergebnis jahrelanger hin-
gebungsvoller Arbeit. Sie ist erschienen in der Veröffentlichungsreihe der Indiana-Universi-
tät89). In derselben Reihe wurden ebenfalls im Jahre 1952 die Studien zur Volkskunde da'
Tscheremissen von T. A. SebeOK veröffentlicht90). Dieses Werk enthält einen Typen- und
Motivindex der Tscheremissenmärcben, der von Anton NyergeS ausgearbeitet wurde-
Ein Typen- und Motiv-Index der Märchen aus Indien, bearbeitet von Stith Thompson
und Jonas Balys, befindet sich im Druck und steht unmittelbar vor der Veröffentlichung-
Anglo-amerikanische und anglo-kanadische Sammlungen. In den letzten
Jahren sind einige wichtige Sammlungen erschienen, die zeigen, daß ein gut Teil der in
Nordamerika bekannten internationalen Märchentypen letztlich britischen Ursprungs sein
84) Ernest W. Baughman : A Comparative Study of the Folktales of England and North
America. Indiana University 1953.
85) Helen L. Flowers: A Classification of the Folktales of the West Indies by TypcS
and Motifs. Indiana University 1952.
8e) Hiroko Ikeda: A Type- and Motif-Index of Japanese Folkliterature. Indiana Uni'
versity 1955.
87) Indiana University 1955.
88) Indiana University 1954; vgl. Dov Noy: Hebrew General Index Synopsis of Tale-
Typus and Folk-Literature Motives. Hebrew University Jerusalem 1955.
8Э) Том Реете Cross; Motif-Index of Early Irish Literature. Indiana University 1952'
(= Folklore Series, Nr. 7).
90) T. A. Sebeok: Studies in Cheremis Folklore. Bd. 1. Indiana University 1952. (= Folk-
lore Series, Nr. 6).
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
511
touß. Diese Märchen wurden zum größten Teil in den abgelegenen und gebirgigen Gegenden
der Vereinigten Staaten gesammelt und stellen wohl den letzten Rest einer einst blühenden
Märchentradition dar. Die Volksliedsammler haben früher angenommen, daß Balladen
nur in dem südlichen Apachengebirge gesungen würden, aber inzwischen sind sie aus
allen Teilen der Vereinigten Staaten bekannt. Darum können auch über die Märchenreste
ln den USA noch keine Thesen aufgestellt werden, denn es ist durchaus möglich, daß noch
überall im Land Märchen bekannt sind. Es wurde bisher nur nicht systematisch gesammelt. —
Kalifornische Märchen enthält die Sammlung von Burton Lowrimore91). Sein Gewährs-
mann hörte die Erzählungen in Arkansas. Herbert N. HalperTs Dissertation Folktales
and Legends from the New Jersey Pines92 93 *) enthält außer den Texten selbst eine ausgezeichnete
Einleitung und gute Anmerkungen zu den einzelnen Stücken. Leider ist sie noch nicht im
Öruck erschienen. Die Erzählungen in Richard Chases Grandjather Tales") wurden im
Süden des Apachengebirges gesammelt. Bedauerlicherweise sind sie nicht wortgetreu
Wiedergegeben, denn Chase hat sie für jugendliche Leser bearbeitet und ausgeschmückt.
Aber die Anmerkungen von Herbert N. HalperT gerade zu dieser Sammlung sind sehr
dienlich. Vance Randolph ließ viele seiner Märchen, die über mehrere Jahre hin zum
größten Teil im Ozarkgebirge gesammelt wurden, in verschiedenen volkskundlichen
Zeitschriften erscheinen. Der größte Teil hat auch in seine beiden Bücher Eingang gefunden.
Sie tragen die Titel: Who Blowed Up thè Church House? and Othcr Ozark Folktales9i) und
The DeviVs pretly Daughter and other Ozark Folktales95). Die Märchen dieser beiden Bände
sind zum größten Teil erzählergetreu aufgenommen und wiedergegeben, und die sehr guten
Anmerkungen stammen wiederum von Herbert N. Halpert. Das ausgezeichnete Werk
Von Leonard Roberts: South from Hell-fer-Sartin96) enthält manch schönes Märchen aus
den Kentuckybergen. Roberts benutzte beim Sammeln dieser Stücke ein Tonbandgerät,
Und die meisten Texte konnte er deshalb wortgetreu wiedergeben. Marie Campbell
(Indiana-Universität) bringt in ihrer Dissertation ebenfalls zahlreiche Märchen aus Kentucky.
Leider wurden in unserer Berichtszeit nur wenige anglo-kanadische Märchen veröffentlicht.
Lediglich in den nachstehenden Sammlungen finden sich einige Varianten der internationalen
Märchentypen: Helen Creigthon: Folklore of Victoria Beach, Nova Scoda97); Helen
Creigthon: Folklore of Lunenberg County, Nova Scotia98); Herbert N. Halpert:
Tali Tales and other Yearns from Calgary, Alberta99); W. J. Wintemberg: Folklore of
Waterloo County, Ontario100).
Französisch-amerikanische und französisch-kanadische Märchen. Eine
gedrängte Übersicht über die französisch-kanadische Volkskunde bringt die Encyclopedia
°f Literature aus der Feder von Joseph M. Carrière101). Speziell über die französischen
Märchen in Louisiana handelt Calvin Claudel: The Folktales of Louisiana and their
91) Burton Lowrimore: Six California Tales. California Folklore Quarterly IV (1945)»
S- 154 157-
92) Herbert* Halpert: Folktales and Legends from the New Jersey Pines. Diss.
Indiana University 1947.
93) Richard Chase: Grandfather Tales. Boston 1948.
9l) Vance Randolph: Who Blowed Up the Church House? and Other Ozark Folktales.
New York 1952.
95) Vance Randolph: The Devil’s Pretty Daughter and Other Ozark Folktales. New
Nork 1955.
96) Leonard Roberts: South from Hell-fer-Sartin. Lexington, Kentucky, 1955.
97) Journal of American Folklore LXIII (1950), S. 131 —146.
98) Ottawa 1950.
") California Folklore Quarterly IV (1945), S. 29—49.
10°) Ottawa 1950.
101) Joseph M. Carrière: Canadian and Louisiana Folklore. In: Encyclopedia of
Literature, hrsg. von J. Shipley. New York 1946.
512
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
Background102). Eine noch ausstehende Arbeit von C. Claudel will dieses Thema aus-
führlicher in Angriff nehmen, das der Verf. auf regionaler Ebene schon in seiner noch
ungedruckten Dissertation behandelt hat103 104). Französische Märchen aus Kanada finden sich
außerdem in folgenden Veröffentlichungen: (Schwester) Marie-Ursula: Cioilization
Traditionelle de Laoalois101). Die Sammlung enthält Sagen und 27 Märchen. Die Arbeit voü
Marcel Rioux über die kanadischen Volksmärchen105 106) bringt nur ungefähr den achtel
Teil einer viel umfangreicheren handschriftlichen Sammlung. Ferner sind zu nennen:
Marie-Rose Turcot: Contes populaires Canadiens100); Carmen Roy: Contes populaires
de la Gaspésie107 108). Französische Märchen aus Louisiana wurden außerdem von C. Claudel
herau sgegeben10s).
Spanisch-amerikanische Märchen. In seiner Abhandlung über spanische und
spanisch-amerikanische Volksmärchen untersucht Aurelio M. Espinosa die Märchen-
einflüsse Spaniens auf die neue Welt109). Besonders nützlich ist die beigegebene Tabelle rnh
den Nummern spanischer und spanisch-amerikanischer Varianten der verschiedenen
Märchentypen. Eine Dissertation von Stanley L. Robe A Dialect and Folkloristic Study
of Texts recorded in Los Altos of Jalisco, Mexico, ist 1949 an der Universität von North
Carolina abgeschlossen worden. Die einzige größere Sammlung spanisch-amerikanischer
Märchen aus den letzten zehn Jahren ist die von Aurora Lea110). Sie enthält 25 Märchen,
von denen einige schon früher von der Sammlerin veröffentlicht worden waren. Märchen
aus New Mexiko sind von R. S. Boggs111) und von Pooler112) gesammelt und heraus-
gegeben. Märchen spanischen Ursprungs aus Louisiana wurden von C. Claudel113)
und MacCurdy114) herausgebracht. PÉREZÜeB einige Märchen aus Texas115)und PeppleE
einige mexikanische Märchen aus Michigan erscheinen116). Einige Erzählungen wurden
von Campa herausgegeben117), aber die Texte sind dabei ganz offensichtlich umgestaltet.
Sammlungen von anderen europäischen Volksgruppen in den Vereinigten
Staaten. Für den Märchensammler in den Vereinigten Staaten und Kanada eröffnet sich
eines der fruchtbarsten Arbeitsgebiete unter den verschiedenen fremdsprachlichen Minder-
heiten. Zweifellos werden in diesen Gruppen noch heute Märchen erzählt, und oft ist es
sogar möglich, von einer solchen Sprachinsel Märchen zu sammeln, die nie in der Heimat
der betreffenden Gruppe aufgezeichnet wurden. Leider fehlt, abgesehen von den französisch-
102) Calvin Claudel: The Folktales of Louisiana and their Background. Southerf1
Folklore Quarterly XIX (1955), S. 164—170.
103) Calvin Claudel: A Study of Louisiana French Folktales in Avoyelles Parish. Diss-
University of North Carolina 1947.
104) (Sister) Marie-Ursula: Civilization Traditionelle de Lavalois. Quebec 1951.
105) Marcel Rioux: Contes Populaires Canadiens. Journal of American Folklore
LXIII (1950), S. 199 — 230.
106) Les Archives de Folklore I (1946), S. 153 —172.
107) Les Archives de Folklore IV (1949), S. 105 —127.
108) Southern Folklore Quarterly IX (1945), S. 191—208; XII (1948), S. 151 —165.
109) Aurelio M. Espinosa: Spanish and Spanish-American Folktales. Journal 01
American Folklore XLIV (1951), S. 151 —162; vgl. Aurelio M. Espinosa: Cuentes
Populares Espanoles. 3 Bde. Madrid 1946 — 1947.
110) Aurora Lea: Literary Folklore of theHispanic Southwest, San Antonio. Texas 1953'
m) New Mexico Folklore Record II (1947—1948), S. 20—23.
112) New Mexico Folklore Record III (1948 — 1949), S. 21—25; und in: Western Folkloic
X (1951), S. 63-71.
113) Journal of American Folklore LVIII (1945), S. 208 — 224.
114) Southern Folklore Quarterly XIII (1948), S. 180 — 191.
115) Publications of the Texas Folklore Society XXIV (1951), S. 71 — 127.
116) Michigan History XXXI (1947), S. 444—451.
117) Western Folklore VI (1947), S. 322 — 334.
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
513
amerikanischen und den spanisch-amerikanischen Märchen, eine systematische Forschung
und Sammlung. Immerhin sei auf folgende Sammlungen verwiesen: Deutsche Märchen:
Thomas R. Brendle und William S. Troxell: Pennsylvania German Folk Tales,
Legends, Once-Upon-a-Time-Stories etc.118); finnische Märchen: R. M.Dorson : Bioodstoppers
and Bearwalkers119). Es sind ferner litauische120), schottisch-gälische121), baskische122),
slowenische123), italienische124), griechische125 126), türkische128 129), jiddische127) und japanische128)
Volksmärchen von Auswanderergruppen in Amerika erschienen.
Nordamerikanische Negermärchen. Seit dem Jahre 1945 wurden auch sehr viele
Volkserzählungen der amerikanischen Neger veröffentlicht, aber der größte Teil davon sind
Sagen, Spukgeschichten, Anekdoten und ähnliche Erzählungen. Einige wichtige Abhand-
lungen von Richard M. Dorson in verschiedenen volkskundlichen Zeitschriften bringen
Varianten der internationalen Märchentypen. Glücklicherweise ist der größte Teil dieser
Märchen auch in R. M. Dorsons neuem Werk über die Negermärchen in Michigan199) ent-
halten. Dieses Buch ist für den Volkskundler nicht nur seiner Texte wegen wichtig, die
erzählergetreu wiedergegeben werden und einen echten mündlichen Stil zeigen, sondern
auch wegen der ausgezeichneten Beschreibung der Gewährsleute und des Milieus, in dem
die Märchen erzählt wurden. Wertvoll sind auch die vergleichenden Anmerkungen, die für
jede Nummer gegeben werden. Mehrere Negermärchen gab auch M. M. Bryant heraus130).
J. Ma son Brewers Aufsatz über Neger Volkskunde in Nordamerika131) bringt ebenfalls eine
knappe Erörterung des Märchenschatzes, ergänzt durch eine kurze Bibliographie.
Dieser Bericht wäre unvollständig, wollte man nicht auch das Vorkommen europäischer
Erzählungen bei den nordamerikanischen Indianern erwähnen. Es gibt einige Sammlungen,
die sich vor allem dieser Stücke (vorwiegend französischen Ursprungs) angenommen haben,
2. B. F. G. Speck: The Banished Wife and the Maid without Hands132); F. G. Speck und
H. Beck: Old-World Tales among the Mohawks133 134 135) und J. J. Honigman: European and
Other Tales from the Western Woods Cree13i).
Erzählarchive nach dem Vorbild der großen europäischen Institutionen stecken
in den Vereinigten Staaten noch in den Kinderschuhen. Das einzige größere Archiv,
das sich in der Kongreßbibliothek (Library of Congress) in Washington befindet, widmet
sich fast ausschließlich dem Volkslied. Allerdings gibt es vielversprechende Ansätze in
verschiedenen regionalen Archiven. Das System der Klassifizierung, das in drei solchen
regionalen Archiven zur Erfassung des Märchenmaterials benutzt wird, ist in den letzten
Jahren veröffentlicht und mehrfach diskutiert worden. Vor allem in drei Arbeiten: Utah
Humanities Research Foundation, Bibliography of the Archives133)', R. M. Dorson: The
118) New York 1944.
119) Richard M. Dorson: Bioodstoppers and Bearwalkers, S. 135 —139.
120) SouthernFolkloreQuarterly XII (1948), S. 259 —265; Nemunasi950, Nr. 1, S.22 —25.
121) Scottish Gaelic Studies VI (1949), S. 176 —188.
122) Western Folklore VIII (1949), S. 25 — 52, 131 —145.
123) Floosier Folklore VI (1947), S. 121 —132.
124) Richard M. Dorson: a. a. O., S. 284.
125) Journal of American Folklore LX (1947), S. 163 —167.
126) New York Folklore Quartlery VII (1951), S. 125 —130.
127) New York Folklore Quarterly II (1946), S. 5 9 ff.
128) Journal of American Folklore LIX (1946), S. 289 — 308.
129) Richard M. Dorson: Negro Folktales in Michigan. Cambridge, Mass. 1956.
130) SouthernFolkloreQuarterly XII (1948), S. 197 — 204, 279 — 291.
131) J. Mason Brewer: Negro Folklore in North America. New Mexico Folklore
Record VI (1946), S. 51 — 58.
132) New York Folklore Quarterly III (1947), S. 312 —319.
133) Journal of American Folklore LXIII (1950), S. 258 — 308.
134) Journal of American Folklore LXVI (1953), S. 309 — 331.
135) Bulletin of the University of Utah, Bd. XXXVIII, Nr. 9.
12 Volkskunde
514
Die Märchenforschung seit dem Jahre 1945
Michigan State University Folklore Archives136) und Thelma James: Report on Wayne
University Archives137). In Kanada befinden sich zwei größere Archive. Das eine ist kurz
beschrieben worden von F. J. Alcock in seiner Abhandlung Folklore Studies at the National
Museum of Canada138). Das Mitteilungsblatt der Laval-Universität in Quebec enthält einen
kurzen Bericht über das handschriftliche volkskundliche Archivmaterial bei dieser Universi-
tät139).
1.36) Midwest Folklore V (1955), S. 51 — 59.
137) Midwest Folklore V (1955), S. 62—64.
138) Journal of American Folklore LXVII (1954), S. 99 — 101.
139) Les Archives de Folklore, Laval University, Quebec, Nr. 7.
Berichtigung
In dem Bericht über den „Stand der volks- und heimatkundlichen Museen in
Sachsen am 1. September 1956“ von GÜNTER REITZ — Dresden, DJbfVK III
(1957), Seite 210—212, ist uns ein Einordnungsfehler unterlaufen, den wir nach-
folgend berichtigen:
Das Stadtmuseum Bautzen gehört in die Kategorie der Kunstmuseen. An-
schrift: Bautzen, Platz der Roten Armee 1. Direktion: Dr. Eva Schmidt.
BESPRECHUNGEN
12*
Internationale Volkskundliche Bibliographie. Années 1950 et 1951 avec supplément d’années
antérieures. Rédigé par Robert Wildhaber. Bâle, Imprimerie G. Krebs, Librairie-
Editeur S. A., 1955.
Bereits ein Jahr nach dem Erscheinen der Internationalen Volkskundlichen Bibliographie
für die Jahre 1948 und 1949 wurde 1955 ein neuer Band vorgelegt, der das Schrifttum von
1950 und 1951 umgreift. Schon für denjenigen, der auch nur über geringe Vorstellungen
Von bibliographischer Arbeit verfügt, mag das erstaunlich sein; aber der Kreis von Menschen,
der vertrauter mit diesem Gebiet ist und das Ausmaß an Mühsal und entsagungsvoller Klein-
arbeit kennt, zollt dem Hrsg, uneingeschränkte Bewunderung, Zumal das vorliegende Buch
seinen Umfang im Vergleich zum zuvor erschienenen um ein Drittel vergrößert hat.
Die Erweiterung des mit gewohnter Sorgfalt und Gründlichkeit edierten Bandes um
über 2000 Titel beweist, daß die internationale Erfassung des volkskundlichen Schrifttums
bedeutende Fortschritte gemacht hat; — so fehlen für den europäischen Raum nur noch
Rumänien und Albanien; aber auch sie haben für die späteren Bände ihre Beteiligung an-
gezeigt. Vielleicht ist es interessant zu erwähnen, daß an der Erweiterung des Bandes be-
sonderen Anteil die Kapitel I (Gesamt-Volkskunde), VI (Technik), X (Soziales), XII (Volks-
glauben) und XVIII (Märchen, Erzählung, Sage, Schwank, Legende) haben.
Welches sind nun die besonderen Merkmale dieser Edition? Um mit den formalen, zuerst
ins Auge springenden Neuerungen zu beginnen, sind Änderungen im Einleilungsschema zu
erwähnen, das dadurch größere Einheitlichkeit erhält, ohne jedoch so weit umgebaut zu
sein, daß dem Benutzer alter Bände die Übersicht erschwert wird. So ist das ehemalige
„slawische Sprachgebiet“ in den Kapiteln ID 11 —13, XAix —13, XVI 11 —13 in drei
Gruppen — das ostslawische, das westslawische und das südslawische — aufgegliedert worden
analog der Einteilung der germanischen und romanischen Sprachgebiete. Zugleich ist
aber auch damit dem erhöhten Anteil slawischer Titel Rechnung getragen worden. Weiter ist
die Einführung der Kursivschrift zu bemerken für die Kennzeichnung von Zeitschriften,
Festschriften und Sammelbänden; sie soll im folgenden Band auch für die Autorennamen
verwendet werden.
Tiefer wirkende Neuerungen als diese mehr äußeren sind der Fortfall von Rezensionen
und die größtmögliche Einschränkung der Titel in dem Abschnitt Namen. Man kann natür-
lich das Schrifttum in den einschlägigen Literaturnachweisen finden, aber abgesehen von
der Mehrarbeit, die dies bedeutet, gewährt die Namenkunde dem Volkskundler oft wichtige
Aufschlüsse, so daß es zu bedauern wäre, sie schließlich hier nicht mehr geführt zu sehen.
Bereits in dem vorliegenden Band ist der erste Schritt zur Auflösung dieses Kapitels voll-
zogen worden, indem die Tier- und Pflanzennamen nicht mehr hier, sondern unter XVI B
und XVI C zu finden sind. Der einzelne Mitarbeiter hat nunmehr eine noch stärkere Ver-
pflichtung, besonders sorgfältig die auf die Volkskunde bezogenen Titel herauszufinden und
zu prüfen. Der Verzicht auf Rezensionen, die nur dann berücksichtigt werden sollen, wenn
sie entscheidend neue Gesichtspunkte zu einem Werk, seien sie negativer oder positiver Art,
beitragen, ist außerordentlich zu bedauern und bedeutet für den Benutzer eine große Mehr-
arbeit, da es für Rezensionen kein Nachschlagewerk mehr gibt, denn die Bibliographie der
Rezensionen und Referate innerhalb der Internationalen Bibliographie der Zeitschriften-
literatur ist leider nur bis zum Jahre 1943 geführt.
Die beiden letzten Änderungen stehen in engem Zusammenhang mit dem künftig zu
beachtenden Grundsatz der Auslese, der in erster Linie ein Gebot aus Ersparnisgründen ist.
Um die Finanzierung der Bibliographie auch künftig zu sichern, ist eine Beschränkung auf
518
Neue Beiträge zur anhaitischen Volkskunde
die wesentlichen Veröffentlichungen notwendig. Sollen regionale Bibliographien möglichst
umfassend alle einschlägigen Titel in sich aufnehmen, so darf jedoch die Internationale
Volkskundliche Bibliographie nur eine nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten vor-
genommene, wenn auch sehr breite, Auswahl dar stell en.
Wenn sich das äußere Bild der Bibliographie von Band zu Band vervollkommnet hat
allein durch die unermüdliche Arbeit des Hrsg.s, so sollen die im Anschluß an das Vorwort
gegebenen Richtlinien schon vom Sammelzettel des Mitarbeiters an die erstrebte Klarheit
und Einheitlichkeit in der Zitierung der Titel gewährleisten helfen und dem Herausgeber eine
wesentliche Arbeitsersparnis bringen. Die strikte Befolgung der Arbeitsanweisungen, die
mit ausführlichen Beispielen begleitet sind, lassen hoffen, daß die rasche Folge der Bände
beibehalten werden kann, um den Volkskundler über die jeweils neueste Literatur seines
Forschungsgebietes so schnell zu informieren, wie es kaum bei einer anderen Bibliographie
der Fall ist. Herta UHLRiCH-Berlin
Alfred Wirth: Neue Beiträge zur anhaitischen Volkskunde. Heft 2. Auf Grund der Er-
gebnisse der Fragebogen 4 und 5 zum Atlas der deutschen Volkskunde. Leipzig,
VEB Friedrich Hofmeister, 1956. 189 S.
Alfred Wirth, dem wir schon viele wertvolle Arbeiten zur Volkskunde Mitteldeutsch-
lands verdanken (vgl. seine Bibliographie in unserem Jahrbuch II [1956], S. zzyfi.),
beschenkt uns nach seinem achtzigsten Geburtstag mit einem neuen Buch zur Volkskunde
seiner Heimat. Als Leiter der Landesstelle Anhalt des Atlas der deutschen Volkskunde hatte
W. im Jahre 1929 die Mitarbeiter für das große Sammelunternehmen geworben und dann
bis 1935 sich unermüdlich für das Gelingen dieses Werkes eingesetzt. Das dichte Belegnetz
der anhaitischen Kreise auf den Atlaskarten bezeugt auch heute noch am besten den großen
Erfolg seiner Bemühungen. Er beschränkte seine Tätigkeit jedoch keineswegs auf die
organisatorische Arbeit der Mitarbeiterwerbung, des Fragebogenversands und des Frage-
bogenrücklaufs, sondern er wertete das gesammelte Material, das ihm in den Kopien der
Fragebogen zur Verfügung stand, gewissenhaft aus, um allen Heimatfreunden wieder das
zur Verfügung zu stellen, was einst die Heimat der Wissenschaft gegeben hatte. So entstand
sein kleines Werk Neue Beiträge zur Anhaitischen Volkskunde (= Schriftenreihe des Köthener
Heimatmuseums, Heft 14, Köthen-Anhalt 1933), in dem die Ergebnisse der ersten drei
Atlas-Fragebogen in übersichtlicher Form dargestellt wurden. Das anhaitische Material
aus den Fragebogen 4 und 5 liegt nun in Heft 2 der Neuen Beiträge vor.
Die Fragebogen des Atlas der deutschen Volkskunde zielen auf die verschiedensten Sach-
verhalte des Volkslebens, manche jedoch nur in einer Nebenfrage kurz berührend, andere
in ausführlicher Breite erschöpfend. So ist es durchaus zu verstehen, daß W.s Buch zu
einzelnen Themen nur wenig Neues bringt, während zu anderen Sachgebieten ein reicheres
Material vorgelegt werden kann. Der erste Teil des Buches, der den Untertitel Sitte, Brauch
und Glauben führt, behandelt einzelne Jahresfeste (Frauenfeste, Fastnachts-und Pfingsttanz,
Osterfeuer), einige wichtige Stufen des menschlichen Lebens (Hochzeit, Schwangerschaft und
Geburt, Krankheit, Tod und Begräbnis), Hausbau (Beginn des Baus, Richtefest, Einzug ins
neue Haus), Tischsitten, Brot und Gebäck, Heil- und Zaubermittel, Angang und Traum,
Vorzeichen (besonders bei Hochzeit, Geburt, Tod, Unwetter) und Geisterglauben (Kobold,
Teufel, Hexe). Der besonderen Eigenart des letzten Atlas-Fragebogens entsprechend,
der nach den Wünschen und Prinzipien Adolf Spamers ausgearbeitet wurde, wird meist
nur wenig über die brauchtümliche Handlung gesagt. Im Vordergrund steht bei fast allen
erwähnten Themen die Meinung des Volkes zu den Erscheinungen des Volkslebens, die iß
Sprichwort, Redensart und Redewendung zum Ausdruck kommt.
Der zweite Teil mit dem Untertitel Volkssprache, Humor und Spott bringt den Aufsatz
Der Mensch in der Anhalter Mundart, der zum Teil bereits veröffentlicht wurde (in der
SPAMER-Festschrift Beiträge zur sprachlichen Volksüberlieferung, Berlin 1953, S. 165 —177)’
Von größtem Interesse für den Heimatfreund sind die gereimten Orts- und Landschafts-
Slovansk^ närodopis
519
neckereien, die in aller Ausführlichkeit wiedergegeben sind, die W. aber wohl, wie wir
vermuten, aus eigener Forschung beigesteuert hat. Besonders reichhaltig und wertvoll
sind die Abschnitte, in denen die Kinderreime über den Regen (im ersten Teil), über die
Vor- und Familiennamen, über die Berufe und über das andere Geschlecht ausgebreitet
werden. Ein kleiner Anmerkungsapparat, in dem kurze Sacherläuterungen und Hinweise auf
andere Arbeiten zur anhaitischen Volkskunde gegeben werden, und ein Sachregister er-
schließen die Vielfalt des gebotenen Materials.
Eine Gliederung und Darstellung des Stoffes nach kulturgeographischen Gesichts-
punkten, wie wir sie für die ehemaligen Landesstellen Niedersachsen und Pommern aus
den Händen von Wilhelm Pessler und Karl Kaiser besitzen, konnte W. nicht geben.
Das ehemalige Land Anhalt erstreckt sich in einem schmalen Streifen vom Harz bis zu den
Ausläufern des Fläming. Allein diese geographische Lage erschwert schon eine Bearbeitung
des Stoffes unter dem Gesichtspunkt der räumlichen Gliederung. Außerdem bildet Anhalt —
kulturgeographisch gesehen — eine Kontaktzone zwischen niederdeutschen und mittel-
deutschen Kulturräumen, die darzustellen ein weites Ausgreifen nach Norden und Süden
erfordert hätte. So beschränkt sich W. auf die gewissenhafte Wiedergabe der Atlasantworten,
die auch für den Wissenschaftler von höchstem Nutzen ist, da jeder Beleg durch die Angabe
des Herkunftsortes einwandfrei gekennzeichnet ist. Volkskundler und Mundartforscher
werden deshalb diese Arbeit ebenso begrüßen wie der Heimatfreund, für den das Buch
wohl in erster Linie gedacht ist. Reinhard PEESCH-Berlin
Pavel Josef SafarIk: Slovansky närodopis (Slawische Ethnographie). Hrsgg. von Hana
Hynkovä unter Mitwirkung von Josef Hursky und Lubo§ Rehäöek. Prag, Verlag
der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, 1955. 289 S., mit der Karte
Slovansky zemevid, 6 Karten, einem Porträt des Autors und 4 Abb., 8°.
Das Institut für Ethnographie und Folkloristik der Tschechoslowakischen Akademie der
Wissenschaften legt als 2. Band seiner Reihe Klassiker der Wissenschaft in einer ansprechend
ausgestatteten Neuausgabe Pavel Josef SafaiHks (1795—1861) Slawische Ethnographie
vor, die sich auf die dritte Ausgabe des Werkes (1849) stützt; die erste Ausgabe erschien
1842. S. gehört zu den bedeutendsten Slawisten des 19. Jhs und konnte mit seinen Werken
einen weit über die Grenzen der slawischen Welt geltenden Ruf erlangen. Auf dem Gebiete
der Sprachwissenschaft und Literaturgeschichte leistete er Hervorragendes, seine 1826 in
Ofen erschienene Geschichte der slawischen Sprachen und Literaturen nach allen Mundarten
wurde sehr günstig aufgenommen und gab eine gelungene literarische Umschau über die
Slawenwelt. Mit den Slowanske starozitnosti, 1837, {Slawische Altertümer) schuf er die Grund-
lage für eine wissenschaftliche slawische Altertumskunde; das Werk erschien auch in deut-
scher Sprache in einer Übersetzung Mosigs von Aehrenfeld (Mosak Klosopolski)
1843/44. — Slovansky närodopis (1842), die Slawische Ethnographie, legte den Grundstein
für den Ausbau dieses Wissenschaftszweiges bei den Slawen. Einen guten Überblick
über Lebenund Werk von S. in deutscher Sprache vermittelt J. Jireöeks Aufsatz in der
Oesterreichischen Revue ■ (3. Jg., 8. Bd., 1865, S. 1 —73 ; vgl. auch V. Jagiö, Istorija slavjanskoj
filologii, St. Petersburg 1910 und J. Jakubec, Dejiny literatury ceske II, Prag 1934).
Slovansky närodopis verdankt seine Entstehung dem Plan, zu den Slawischen Alter-
tümern eine ergänzende Karte der Wohnsitze und Ausbreitung des Slawentums zur Lebens-
zeit des Autors zu veröffentlichen. Um dieses schwierige Unternehmen zu verwirklichen,
sammelte S. schon während seines Wirkens als Pädagoge in Novi Sad (Neusatz) reiches
Material. Der Gedanke, eine solche Karte zu schaffen, war eigentlich ein Beweis für die
Wirksamkeit der KoLLÄRschen Idee von der slawischen Wechselseitigkeit (vgl. auch
J. Michälek, Slovensk^ närodopis 4, 1956, 330). Die Erläuterungen zur Karte, dem
Slovanski) zemevid, ergaben jedoch ein eigenes Buch, die Slawische Ethnographie.
Das Werk gliedert sich in zwei Hauptteile. Die Einleitung bietet eine Einteilung der
Völker; der erste (umfangreichere) Teil befaßt sich mit slawischen, der zweite mit einigen
520
Slawische Ethnographie
nichtslawischen Völkern. Der Verf. gliedert die slawischen Völker in eine südöstliche und
westliche Gruppe. S. behandelt die slawischen Sprachen und Dialekte nach einer eigenen
Terminologie und weicht von der Einteilung seiner Vorgänger (so von Josef DobrovskVs)
erheblich ab. Jedem slawischen Volk ist ein besonderes Kapitel gewidmet mit genauen
Angaben über Wohnsitze, Anzahl, Staatszugehörigkeit und Konfession der Bevölkerung.
Dabei wird ein umfangreiches topographisches Material vorgeführt, das bei der Neuausgabe
von Hana Hynkovä sorgfältig in zahlreichen Anmerkungen auf den jetzigen Stand
gebracht wurde. 2. enthält jedes Kapitel eine kurze Charakteristik der Sprache nach ihren
verschiedenen Merkmalen; es werden auch Abgrenzungen und Besonderheiten der einzelnen
Dialekte angeführt. S. legt hier besonderen Nachdruck auf die Volkssprache, die er be-
sonders schätzt. Er möchte ein populäres Buch veröffentlichen, ein Buch, das den einfachen
Mann über die Slawen belehren soll. 3. wird das Wichtigste über die Literatur des betreffen-
den Volkes zusammengefaßt. Am Ende dieses Abschnittes erwähnt ¡3. die damals vor-
liegenden maßgebenden Volksliedersammlungen, so fürs Russische die Sammlungen
D. N. Kaöins und I. P. Sacharovs, fürs Ukrainische die Lieder Sammlungen von N. A.
Certelev, M. A. Maksymovyö, Waclaw z Oleska (Zaleski), I. Sreznevskij, 2.
Pauli u. a., fürs Weißrussische die Sammlungen von L. Golebowski und A. Rypinski.
Im Abschnitt über die Serben, deren Schrifttumund Volksdichtung der Verf. während seines
Aufenthaltes in Novi Sad besonders eingehend studierte, werden Vuk KaradZiö und
MiLUTiNOVid als Freunde und Sammler der serbischen Volkspoesie hervorgehoben;
fürs Slowenische werden S. Vraz und E. Korytko mit ihren Sammlungen genannt. Die
Polen sind vertreten durch K. W. Wojcicki und I. Konopka, die Tschechen durch
F. L. Öelakovsky und K. J. Erben, Mähren durch Su§il, die Slowaken durch J. Kollär
und die eigenen Sammlungen des Verf. s. Die philologischen Kommentare stammen von
L. Rehäöek. S. 29 wird in der Anm. 97 angegeben: „Novikov, Sbornik pesen; Moskva
1780.“ Es wäre hier angebracht gewesen, den Titel genauer anzugeben. Es handelt sich
nämlich um N. I. Novikovs Neuausgabe der Lieder Sammlung M. D. Öulkovs, die 1780/81
unter dem Titel Novoe i polnoe sobranie rossijskich pesen ... in Moskau erschien (vgl. P. G.
Bogatyrev: Russkoe narodnoe poeticeskoe tvorcestvo, Moskau 1954, S. 53).
Zweifellos sind die Abschnitte 1 —3 für den Volkskundler von besonderem Wert. Es wird
hier ein zuverlässiges demographisches Material, das von ¡3. kritisch gesichtet und mit größter
Mühe zusammengetragen wurde, vorgelegt. So wird die Zahl der Sorben mit 142000
(98000 Ober-, 44000 Niedersorben) angesetzt, während J. E. Schmaler (Smoler) für die
gleiche Zeit von insgesamt 164000 Sorben spricht (vgl. E. Tschernik: Die Entwicklung
der sorbischen Revöikerung. Berlin 1954, S. 35). Von Bedeutung für die Volkskunde ist auch
die Erwähnung der einzelnen wichtigen Volksliedersammlungen jener Zeit. Schon während
seiner Studienzeit am Lyzeum in Kefcmarok (Käsmark) in der Slowakei (1810 — 15, später,
1815 —19, studierte er in Jena) sammelte ¡3. selbst Volkslieder; 1823 und 1827 gab er Zu-
sammen mit seinen Freunden die Pisne svetske Udu slovenskeho v Uhfich (Weltliche Lieder des
slowakischen Volkes in Ungarn) heraus. In Käsmark interessierte er sich auch für die sla-
wischen Minderheiten in Deutschland, besonders für die Lausitzer Sorben (vgl. dazu den
Aufsatz von K. Paul. In: Öas. pro mod. fil. 17, 1931, S. 177 — 82, 311 —16) und lernte die
Schriften von Knauth und Anton kennen. In seiner Slawischen Ethnographie druckte er
im Anhang als Proben für die einzelnen behandelten slawischen Sprachen Volkslieder aus
den oben angeführten Sammlungen ab, also Texte in der Volkssprache. Diese Volks-
lieder erschienen ¡3. am geeignetsten, dem Leser eine Vorstellung von den slawischen Sprachen
zu vermitteln. Fürs Sorbische wird z. B. aus der bekannten Sammlung von Haupt-Schma-
ler das Lied Dobri) vecor macerkal Dze je vasa dzövcicka? abgedruckt; der Polaben gedenkt
er mit dem Liede Kati mes ninka bejt?, das dem Buche Johann Georg Eccards, Hisloria
studii linguae Germanicae (Hannover 1711), S. 269 — 71, entnommen ist. — Auch die anderen
Beilagen zur Slawischen Ethnographie sind wertvoll und bieten z. B. eine statistische Tabelle
der Slawen (insgesamt 78691000) und einige Ortsnamenverzeichnisse aus den Sprach-
inseln (den bulgarischen in Bessarabien, den deutschen Dörfern in Böhmen, Galizien, Ruß-
land), interessante Angaben für die Geschichte der Nationalitätenverhältnisse.
Die Robot in Oberösterreich
521
Bei der Neuausgabe des Werkes wurde von einem kritischen Kommentar abgesehen,
der erhebliche Editionsschwierigkeiten verursacht hätte. Dafür wurden dem Werke drei
Studien beigefügt: Hana Hynkovä handelt über die Bedeutung der Slawischen Ethno-
graphie (S. 183 — 197), LuboS Rehäöek betrachtet das Werk aus philologischer Sicht
(S. 198 — 217), und Josef HÖrsky bespricht ausführlich die Entstehung und Aufgabe der
slawischenVölkerkarte(57oransA:i)zemepid) (S. 218—288). Die Ausgabe arbeitet S.sBedeutung
für die damalige slawische Welt heraus und sucht einige Grundpositionen für eine zu-
künftige marxistische Analyse seines Schaffens zu gewinnen, wofür sie sein fortschrittliches
^erhalten zur polnischen Revolution von 1830 und seine kritische Haltung gegenüber dem
Zarenstaat betont. Die Bedeutung des Werkes für die Geschichte der Ethnographie selbst
ist indes etwas zu kurz gekommen. Ein Vergleich mit Lubor Niederles Werk Slovansky
svet, zemepi.sny a statislicky obraz soucasneho slovanstva (1909, Die slawische Welt, eine statisti-
Sche und geographische Darstellung des gegenwärtigen Slawentums) und evt. auch mit den
heutigen demographischen Verhältnissen wäre sehr reizvoll gewesen. Auch der Begriff näro-
dopis, geschaffen in der Zeit der nationalen Wiedergeburt zu Beginn des vorigen Jhs, hätte in
Seiner inhaltlichen Entwicklung erläutert werden müssen. S. gebraucht natürlich den Begriff
nicht im heutigen Sinne, bietet mehr statistische und philologische Erläuterungen und läßt
Angaben über das Brauchtum usw. beiseite (vgl. auch Jakubec, Dejiny II 526h). Niederle
fußt auf S., wie auch seine Slovanski starozitnosti auf S.s gleichnamigem Buch.
Der Beitrag Lubos Rehäöeks analysiert Safari'ks Ansichten über die slawischen
Sprachen und stellt eine wichtige Vorarbeit zu einer noch ausstehenden modernen Mono-
graphie über den Philologen S. dar. J. Hurskys umfangreiche Studie schildert das Werden
üer Völkerkarte (Zemevid). Für die Darstellung der Wohnsitze der Lausitzer Sorben fertigte
der Verf. z. B. 8 Konzepte an; Material lieferten neben J. P. Jordan (der im 1. Bande seiner
Jahrbücher /. slaw. Literatur 1843 über S.s Werk berichtete) auch andere Sorben. Mit An-
urkennung beurteilte der berufene deutsche Geograph H. Kiepert das Kartenwerk; wir
erfahren aus einem unveröffentlichten, hier zit. Briefe, daß S. den jungen Kiepert in
Berlin aufsuchte. Dem Ruf auf den Lehrstuhl für slawische Philologie an der Berliner
Bniversität folgte S. nicht, arbeitete aber ein detailliertes Stu dienprogramm au s (vgl. H. Rösel :
öle Anfänge der Slawistik in Deutschland. Wiss. Annalen 5, 1956, S. 6nff.).
Die erneute Veröffentlichung von Safari'ks Slawischer Ethnographie gibt uns den Anlaß,
die Beziehungen der deutschen Wissenschaft zu diesem hervorragenden slawischen Ge-
ehrten zu erforschen. Deutsche Gelehrte haben ihm wohl in manchem Falle Auskünfte
gegeben und Material vermittelt (gerade für seinen Abschnitt über die Deutschen). Eine
flerausgabe von Dokumenten zur Geschichte der Slawistik in Deutschland, die H. Rösel
besorgt (Veröff. d. Inst. f. Slawistik der Deutschen Akad. d. Wiss., hrsgg. von H. H. Biel-
^'Eldt 1957), wird S.s Verbindungen mit Deutschland näher beleuchten helfen. Auch die
Slawische Ethnographie kann uns zu neuen Untersuchungen auf dem weiten Gebiete der
deutsch-slawischen Wechselseitigkeit anregen. Ernst EicHLER-Leipzig
Georg Grüll: Die Robot in Oberösterreich. Linz 1952. 307 S., 10 Tafeln. (= Bd. 1 der For-
Schungen zur Geschichte Oberösterreichs. Hrsgg. vom Oberösterreichischen Landesarchiv).
Obwohl die Robotverpflichtung in Österreich vor 110 Jahren ihr Ende fand, stößt man
auch heute noch im bäuerlichen Stande auf die Erinnerung an eine verhaßte Einrichtung.
Tirol und Vorarlberg, das heißt also in den westlichen österreichischen Bundesländern,
^ar der Robotdienst schon lange fast völlig vergessen, von einigen Verpflichtungen zu
Gemeinschaftswerken wie Damm- und Murenverbau u. ä. abgesehen. Doch waren diese
beiden österreichischen Länder ,,in einer weitgehend günstigeren Lage als alle übrigen“,
^ie sah es also dort aus? Was uns G.s Forschungen darüber erbrachten, erhellt ein Leidens-
kapitel des Bauernstandes, das allzu gerne unter dem Motto von der „guten alten Zeit“
übersehen oder zumindest in seinem tatsächlichen Umfang nicht erfaßt und eingeschätzt
Vird.
522
Die Robot in Oberösterreich
In Ob er Österreich bestand vor der Bauernbefreiung im Jahre 1848 (die mit der Reichs-
tagsrede des aus Böhmen stammenden Bauernsohnes Hans rudlich am 28. VII. 1848 ein-
gefordert wurde) eine Robotverpflichtung von 14 Tagen im Jahre, wobei der Tagesdienst je
nach Verpflichtung mit oder ohne Gespann, doppeltem oder einfachem — in der Regel
von 7 Uhr früh bis Sonnenuntergang bei einer zweistündigen Mittagspause bemessen wurde.
Den Robotern wurden dabei 1—2 Brote als Mahl gereicht, doch daneben durch die Grund-
herren noch ein Robotgeld eingefordert, das oft sehr willkürlich bemessen war. So sehr sich
die Oberösterreicher gegen diese Lasten wehrten, befanden sie sich noch gegenüber den
anderen östlichen österreichischen Bundesländern in einer vielfach besseren Lage. So forderten
die Grundherren in Niederösterreich zwei Tage Robot in der Woche, zusammen also in1
Jahre 104 Robottage. Und auch in Altbayern wurden immerhin 24 Tage Robotdienst gegen-
über den 14 Tagen in Oberösterreich gefordert. In der Steiermark mußten die Bauern
3 Tage Robot in der Woche, hiermit 165 Robottage im Jahre leisten! Im Bereiche der
böhmischen Krone aber waren die Bauern stellenweise sogar die ganze Woche (mit Aus-
nahme des Sonntags) zum Dienst verpflichtet, d. h. sie mußten einen kräftigen Mann, mit
oder ohne Gespann, zum Gutsdienst entsenden. Die bäuerliche Arbeit auf dem eigenen
Gute mußte dann wohl oft von den Frauen und Kindern allein geleistet werden, und es mag
gar häufig auch der Sonntag zur knechtlichen Arbeit verwendet worden sein. Unter diesen
Umständen ließ sich wohl kein bäuerlicher Wohlstand erwarten. In der Tat befanden sich die
reichen und immer mehr florierenden Gutsherrschaften gegenüber den immer mehr ab-
wirtschaftenden Bauerngütern in einem krassen Gegensatz, der nicht selten zum auffallend-
sten Charakteristikum der Kulturlandschaft wurde, besonders in den böhmischen Ländern-
In den österreichischen Ländern milderten sich die Verhältnisse entsprechend der ver-
minderten Robotverpflichtung, die in Oberösterreich, wie erwähnt, am geringsten war-
Sie in ihrer Ursache und Entwicklung darzustellen, wurde das Hauptziel G.s, dem
übrigens eine ganze Reihe wertvoller Studien und Veröffentlichungen zur Öberösterreichi-
schen Landesgeschichte verdanken. Indem aber G. im vorliegenden Falle die Öberöster-
reichischen Robotverhältnisse in ihrem Werdegang darstellte, schuf er zugleich die Vor-
aussetzung für eine Gesamtbetrachtung dieser wirtschaftsgeschichtlich, aber auch sozio-
logisch-volkskundlich wichtigen Erscheinung aus einer noch nicht allzuweit entfernte11
Vergangenheit.
Der Name Robot ist slawischen Ursprungs. In deutschen Urkunden des Mittelalters
begegnen wir hierfür der Bezeichnung Scharwerk. Zu ihm waren ursprünglich — liil
Gegensatz zu den Herren und Freien — nur die Unfreien verpflichtet. In dieser Gestalt
reichte die Robotverpflichtung wohl in tiefe Zeiten zurück. Nach ihr mußten die Unfrei^11
ein bestimmtes Maß von bäuerlichen Hilfsdiensten leisten. Zu diesem wurden allmählich
auch die spätmittelalterlichen Kolonisten gedrängt, wodurch sich die Zahl der Robotet
umfassend vermehrte. Immerhin war ihre Gesamtleistung unbedeutend. Dies wurde 111
jenem Momente anders, als mit dem Untergang des alten Feudalwesens die Grundhett'
schäften in Gutsherr schäften umgewandtelt wurden und damit der Arbeitskräftebedarf dcf
Herren gewaltig und geradezu plötzlich anwuchs. Nun wurde die Robot ohne jeden Rechts-
grund gesteigert. Der. bekannte 1. Fall ungerechter Robot in Oberösterreich fällt in das Jahc
1483. Die anbrechende Türkengefahr zwang auch die Regierung aus Gründen der Landes'
Verteidigung des weiteren zu erhöhten Robotleistungen der Bauern im Umkreis der Städte
und Burgen. Nun hieß es alsbald, der Herr könne die Robotforderung beliebig „mehren odet
mindern“. Auf diesem Wege schlich sich im 16. Jh. neben der Manuelleistung die Ge ld
leistung — das sog. Robotgeld — ein, das denn auch häufig der letzte Anlaß zur Auslösung
der immer wieder aufflackernden Bauernaufstände — auch in Oberösterreich — wurde-
Der stets mißglückte Ausgang der Revolutionen aber führte in der Regel nur eine Verhärtung
der Robotverhältnisse herbei. Nur Oberösterreich konnte sich unter seinen Nachbarn dlC
durch das kaiserliche Patent von 1557 erfolgte Beschränkung der Robotdienste durch djC
späteren Jahrhunderte mit wenigen Ausnahmen bewahren, obwohl jene Beschränkung
damals auch für dieses Land eine Vermehrung der Frontage bedeutet hatte. So hatte dies1’
Pflicht hart genug — wirtschaftlich und vor allem auch seelisch — auf den freiheitsdurstigc’1
Gemeinwerk im Wallis
523
Bauern gelastet und ihr Denken und Handeln mehr beeinflußt, als ihre Nachfahren noch
heute ahnen, und wie es sich durch die ausgezeichnete Darstellung G.s beweisen läßt.
Karl ILG-Innsbruck
Arnold Niederer: Gemeinwerk imWallis. Bäuerliche Gemeinschaftsarbeit in Vergangen-
heitund Gegenwart. Basel, Schweiz. Ges. f. Volksk., 1956. 91 S., 4 Bildtafeln, 3 Karten.
(= Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde, Bd. 37).
Aus der Schriftenreihe der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde liegt ein Buch
vor, das — wie schon so manches andere dieser Reihe — zwar auf die Erforschung einer
kleineren Landschaft gerichtet ist, aber doch einen größeren Leserkreis verdient. Gegen-
stand des Buches ist die brauchmäßig geregelte Gemeinschaftsarbeit im bäuerlichen Leben,
ein Thema, das wohl in theoretischen Erörterungen der Volkskunde oft genannt wird,
nur selten aber einen sachkundigen Bearbeiter findet. Die Grundlage allen menschlichen
Zusammenlebens ist die Arbeit, sagt der Verf. an einer Stelle und gibt damit seiner Dar-
stellung den entscheidenden Akzent, der dieses Thema vor anderen, oft behandelten Stoffen
als wichtig und Wesentlich für die Volkskunde heraushebt.
Der Verf. hat ein umfangreiches Material aus gedruckten und ungedruckten Quellen,
aus einer speziellen schriftlichen Enquête in sämtlichen 170 Walliser Gemeinden und aus
einer mündlichen Befragung (vor allem im Oberwallis) herangezogen, um ein anschauliches
Bild der alten bäuerlichen Gemeinschaftsarbeit zu zeichnen. Unter Gemeinwerk (manœuvre
im französisch sprechenden Teil des Kantons) versteht man im Wallis die von einem Arbeits-
kollektiv ganz oder teilweise unentgeltlich geleistete Arbeit zugunsten eines Einzelnen,
einer privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Bedingt durch die topo-
graphischen Gegebenheiten der alpinen Landschaft haben sich hier verschiedene Formen
der Gemeinschaftsarbeit entwickelt. Wohl die älteste und ursprünglichste Form ist das
Gemeinwerk der Geteilschaften. Das sind kleinere oder größere Verbände von Bauern zu
speziellen, meistens genau abgegrenzten Wirtschaftszwecken, wie Alp-, Weg-, Brunnen-
oder Bewässerungsgeteilschaften, also Nutzungsgemeinschaften, in denen jeder Geteile
am Ertrag der genossenschaftlichen Arbeit unmittelbar interessiert ist. Auf dem Prinzip
des gemeinsamen Nutzens und der gleichartigen wirtschaftlichen Interessen beruht auch das
Gemeinwerk der älteren Bauernzünfte und der jüngeren Burgergemeinden, die eigene Güter
besitzen (Äcker, Wiesen, Reben, Wald) und diese in Gemeinarbeit bewirtschaften, die zum
Teil aber auch andere der Gesamtheit zugute kommende Arbeiten durch die Angehörigen
der Burgergemeinde ausführen lassen (Straßen, Wasserleitungen, öffentliche Bauten). Das
Gemeinwerk der Geteilschaften und der Burgergemeinden dient schließlich auch anderen
gesellschaftlichen Organisationen (Schützenzünfte, Musikgesellschaften, Gesangvereine,
religiöse Bruderschaften) zum Vorbild, die eigenen Grundbesitz — meist handelt es sich
hier u m Rebengärten — von ihren Mitgliedern bearbeiten lassen. Eine wesentlich andere Form
des Gemeinwerks ist die brauchtümlich übliche Hilfe für den Einzelnen, der in Not geraten
ist oder der eine bestimmte Arbeit nicht allein bewältigen kann: Hilfeleistung bei Natur-
katastrophen, Wanderungen mit dem Vieh in den verschneiten Alpen, Bittarbeit bei der
Bestellung des Ackers, bei der Ernte und beim Hausbau. Der soziale Charakter dieses Ge-
mcinwerks, das auf der Gewißheit beruht, daß jedermann nötigenfalls auf ebensolche
Hilfe rechnen kann, wird besonders deutlich in der Bittarbeit für Kranke und Arme.
Ausführlich behandelt der Verf. die verschiedenen Formen dieser Gemeinschaftsarbeit
ünd das Brauchtum, das mit ihr verbunden ist, vom Aufgebot zur Arbeit bis zum traditio-
nellen Gemeintrunk, der meist den Abschluß und gesellschaftlichen Höhepunkt des
Gemeinwerks bildet. Die Ursachen für den Niedergang und Verfall des Gemeinwerks in den
Htzten Jahrzehnten sieht der Verf. richtig in der ökonomischen Entwicklung des Wallis.
Mit der Erschließung durch den Verkehr, mit der Errichtung von größeren Industrien,
mit der Einbeziehung des Kantons in größere kapitalistische Wirtschaftsräume werden auch
'die gesellschaftlichen Verhältnisse verändert. Der moderne Walliser Arbeiter-Bauer, der
524
Asszonyok a nagycsaladban
seiner Fabrikarbeit nachgeht und daneben mit seiner Frau und seinen Kindern ein kleines
Gut bewirtschaftet, bewertet die Arbeit heute anders, als es seine Vorfahren vor hundert
oder noch vor fünfzig Jahren getan haben. Und da auch die wirtschaftliche Notwendigkeit
für das Gemeinwerk zum größten Teil heute nicht mehr gegeben ist, so wird die genossen-
schaftliche Arbeit vielfach durch Lohnarbeit ersetzt oder ganz aufgegeben.
Es ist ein Verdienst des Verf.s, die tiefgreifende Wirkung der ökonomischen Entwicklung
auf die Volkskultur beachtet und dargestellt zu haben. Wir sind ihm besonders dankbar, daß
er sich dieser Aufgabe unterzogen hat, ohne sich von romantischen Ideen leiten zu lassen,
und möchten wünschen, daß sein Buch recht viele Arbeiten in dieser Richtung anregen
möge. Reinhard PEESCH-Berlin
Judit Morvay-Szolnoky: Asszonyok a nagycsaladban (Die Frauen in der Großfamilie).
Budapest 1956. 258 S., 160.
Judit MoRVAYsBuch beschäftigt sich mit einer Frage, der in der ungarischen Volkskunde
bisher verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, mit dem Problem der
Großfamilie. Mit seinen gründlichen und wertvollen Beobachtungen auf dem Gebiet des
die Grundlage des ungarischen Familienrechts und Ehelebens bildenden Ehe- und Erb-
schaftsrechtes hat es die volkskundliche Wissenschaft mit einer so umfangreichen Material-
Sammlung bereichert, wie wir sie in früher erschienenen ungarischen volkskundlichen
Arbeiten über diese Frage kaum finden können.
Das Buch behandelt die Lebensweise eines enger begrenzten Gebietes, einer der am Fuße
der Matra ansässigen Volksgruppen, der sogenannten Matra-Palozen, und zwar in einem
Zeitraum von 50 bis 80 Jahren, der im wesentlichen die zweite Hälfte des vorigen Jhs
umfaßt, eines in Bezug auf die Kapitalisierung der kleinbäuerlichen Wirtschaft besonders
bedeutenden Halbjahrhunderts. Am Matragebirge begann diese Umwälzung vergleichsweise
spät. Die landwirtschaftliche Abgeschlossenheit der Dörfer und der für die landwirtschaft-
liche Nutzung wenig geeignete Boden hemmten diese Bewegung, die damals bereits allent-
halben im Lande in Gang gekommen war. Das Buch schildert die Lebensweise derjenigen
Schicht der Dorf bau ernschaft, die von Leibeigenen mit Parzellenbesitz abstammte; nur
flüchtig wird das Leben der Kätner, der Besitzer von nur 1 bis 2 Joch und der Zuge-
wanderten erwähnt. Das System der Großfamilie drückte dem Leben der ein kleines
Grundstück besitzenden Leibeigenen sein Siegel auf.
Die Arbeit unterrichtet über das Leben der Großfamilie in allen seinen Einzelheiten,
ganz besonders ausführlich aber über die vernachlässigte Stellung der in der Großfamilic
lebenden Frauen. Die gesellschaftliche Lage der Frauen in der Großfamilie stellt neben der
zurückgebliebenen wirtschaftlichen Situation in besonderem Maße einen Gradmesser für
jenes niedrige soziale Niveau dar, das die in den Rahmen des Feudalismus zurückgedrängten
Palozendörfer noch vor wenigen Jahrzehnten so sehr kennzeichnete.
Das Haupt der Großfamilie ist der Gazda. Er wird nicht gewählt, sondern er folgt auf
Grund des Seniorats. Nach seinem Tode folgt der älteste Bruder, seltener der älteste Sohn-
Er ist der Verwalter des Familienvermögens und zugleich das geistige und moralische
Haupt der Familie. Nach dem Gazda folgt die Gazdasszony. Sie ist entweder die Gattin des
Gazda oder, wenn diese nicht mehr lebt, die Frau seines nachfolgenden Bruders. Die
Macht des Gazda kommt unbeschränkt zur Geltung; wenn einer seinem Befehl nicht ge-
horcht, so kann er ihm den Laufpaß geben, und der Davongejagte hat keinen Anteil mehr am
Familienvermögen. Etwa in den 70er Jahren des vorigen Jhs traten im Leben der Groß-
familie einige Veränderungen ein, die Zunächst einmal die Gazdasszony aus ihrer unter-
geordneten sozialen Lage heraushoben. Von dieser Zeit an wurde sie Verwalterin der
geringeren Geldbeträge, die aus dem Verkauf der in der inneren Wirtschaft gewonnenen
Produkte wie Geflügel, Milch, Eier usw. anfielen. Dem gesamten Leben der weiblichen Mit-
glieder der Familie drückte die Tatsache ihren Stempel auf, daß sie, während die männlichen
Familienmitglieder zur gemeinsamen Familie der Brüder und Vettern gehörten und durch
Die Frauen in der Großfamilie
525
ihre Arbeit ein eigenes Vermögen sammelten, weder in ihrer Mädchenzeit noch als Frauen
ein Vermögen besaßen, folglich im Grunde für ihren Lebensunterhalt arbeiteten. Ihre ganze
Mitgift bestand aus einem geringwertigen Bett und den Kleidungsstücken, die sie bei der
Vermählung erhielten. Nur darüber konnten sie frei verfügen; wenn der Mann starb, ver-
blieben sie der Frau und gingen sogar nach ihrem Tode auf deren Familie zurück; ihre
Kinder hatten jedoch daran Teil. Die Witwe siedelte, wenn sie ohne Kinder geblieben war,
Jns Haus ihres Vaters über und wurde wieder vermählt; wenn sie aber Kinder hatte, blieb sie
Weiter in der Familie des Gatten, und man richtete es womöglich so ein, daß jemand aus der
Familie sie wieder zur Frau nahm. Meist vermählte sie sich mit dem jüngeren Bruder ihres
Mannes, dem sogenannten „kleineren Herrn“. Für die rückständige soziale Lage der Frauen
War kennzeichnend, daß sie schon in der Kindheit anders als die Knaben behandelt wurden.
Bereits bei der Geburt freute sich niemand über ein Mädchen; ,,es geht gleich weg und
arbeitet anderswo“, meinte man von ihm. Deshalb war auch die Erziehung der Mädchen
ausschließlich Sache der Frau. Ihr fiel es zu, sie zu kleiden, ihre Aussteuer zu beschaffen,
sogar ihnen nach der Hochzeit mit ihren Kindern zu helfen. Ein Knabe dagegen mehrte
das Vermögen der Familie und arbeitete in ihrer Gemeinschaft. Deshalb sorgte nach dem
Tode der Eltern auch die väterliche Familie für seinen Unterhalt, während die Erziehung
des Mädchens in solchem Falle der Großmutter mütterlicherseits zufiel. Mit diesem Ver-
hältnis hängt zusammen, daß sich die Frau, nachdem sie in eine neue Familie gekommen war,
meist auch weiter zur Familie ihres Vaters gehörig fühlte. Zur Unterscheidung von den
übrigen Mitgliedern der Großfamilie trug sie den Mädchennamen. Falls sie in Not geriet,
unterstützte sie hauptsächlich die Verwandtschaft der Mutter.
Die durch die Bande des Blutes bestimmte gesellschaftliche Organisationsform kam auch
irn Verhalten der auf verschiedenen Grundstücken lebenden und wirtschaftenden, aber
durch gemeinsame Abstammung ebenfalls zur Verwandtschaft gehörigen „Sippen“ zum
Ausdruck. Ein Unrecht, das einem Mitglied der Sippe geschehen war, fühlte die ganze
Sippe als das ihrige, und der Betroffene konnte auf die Hilfe der Verwandten rechnen. Nicht
nur in Angelegenheiten, die sie untereinander regelten, sondern auch vor Gericht und
gegenüber der Dorfverwaltung traten sie füreinander ein. Im Bewußtsein der Ältesten
lebte auch noch der Gedanke, daß die Sippen mit gleichen Familiennamen, aber verschiedenen
Beinamen einst einen Stamm bildeten. Die unter einem Dach wohnenden und eine gemein-
same Wirtschaft betreibenden Großfamilien waren auch nach den mit der Vermögensteilung
Verbundenen Umzügen bestrebt, einander nahe zu bleiben. Diese Zusammengehörigkeit
erweist sich auch im äußeren Siedlungsbild als bestimmender Faktor.
Die ungarische Volkskunde hat die einheimische Großfamilien- und Sippenorgani-
sation, die ohne Zweifel noch zahlreiche Züge unserer früheren Stammesorganisation
bewahrt haben kann, bisher vergleichsweise mangelhaft erforscht. Es ist ein Verdienst des
Buches, daß es unsere Kenntnisse über die ungarische Großfamilienorganisation um zahl-
reiche neue Merkmale bereichert hat. Jedoch wird es noch nicht genügend klar, welches
das wichtigste Unterscheidungsmoment zwischen Sippe und Stamm ist. Das Buch wirft
die Frage nicht bestimmt genug auf, worin sich außer im gemeinsamen Namen und in der
Gruppensiedlung die Zusammengehörigkeit eines solchen Stammes äußert: ob man für-
einander verantwortlich ist, ob eine Vermögens- oder Rechtsgemeinschaft besteht, ob man
einander bei der gemeinsamen Arbeit hilft, ob ein Eheverbot gilt, ob die Verehrung der
gemeinsamen Ahnen erhalten geblieben ist. — Alles Fragen, auf die wir erst durch neuere
Forschungen Antwort erwarten dürfen.
Trotz alledem sind wir der Meinung, daß dies Buch auch jetzt schon in zahlreichen
Funkten für die gesamteuropäische Forschung von Bedeutung sein kann. Von der durch
die Verf. beschriebenen Großfamilie haben wir auch an zahlreichen anderen Punkten des
Früheren ungarischen Sprachgebiets Kenntnis. So kommt sie — nach der bisher erschienenen
Literatur — noch in Kalotaszeg (Siebenbürgen), bei den Banffihunyadern, bei den Matyoken
von Borsod, bei den Ungarn in Slavonien und in örseg (Komitat Vas) vor. Es handelt sich
dabei ausnahmslos um — vom Standpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung aus gesehen —
Zurückgebliebene Gebiete. Darunter finden sich nicht wenige verhältnismäßig unfruchtbare
526
Isien Työ — Der Väter Arbeit
Gebirgsgegenden, neben dem hier behandelten Mätraalj z. B. auch örseg (Komitat Vas)-
Der minderwertige Ackerboden und der schlechte Bodenertrag sind Faktoren, die ohne
Zweifel eine Rolle bei der Bewahrung der Form einer ungeteilten Großfamilie spielen.Wie
mancherorts in Europa wurde hauptsächlich auch in solchen Teilen Ungarns diese klassische
Form der Hausgemeinschaft konserviert, wo, durch die Naturgegebenheiten bedingt, be-
stimmte ökonomische Beweggründe die gemeinsame Bewirtschaftung geradezu unerläßlich
erscheinen ließen. So ist beispielsweise für die beiden erwähnten Gegenden die Brandfeld-
wirtschaft kennzeichnend. Neben diesen bestimmenden Faktoren müssen wir auch die
Tatsache ernsthaft in Erwägung ziehen, daß das kulturelle Gesamtbild der weiter oben auf-
gezählten Gebiete ähnlich dem der Palozen am Matragebirge einen stark archaisch geprägten
und vom gesamtstaatlichen abweichenden, in seinen Wurzeln noch stark im Mittelalter ver-
hafteten Stand bis in unsere Tage bewahrt hat.
M.s Buch kann jedoch nicht nur zur Klärung des europäischen Fragenkomplexes der
Großfamilie wertvolles Material beisteuern, sondern es vermag auch dadurch, daß es von
dem im Rahmen des späten Feudalismus lebenden ungarischen Dorf ein getreues Bild
vermittelt, bei der Rekonstruierung der damals in West-und Mitteleuropa bereits im Nieder-
gang befindlichen früheren bäuerlichen Lebensform, die von der Elbe an nach Osten hin
dank einer eigenständigen neuzeitlichen Entwicklung so lange bestehen blieb, gute Dienste
zu leisten. Dadurch, daß das Werk sich nicht mit der Schilderung des elenden Lebens der
Frauen in der Familie zufrieden gibt, sondern gelegentlich der Darstellung der Arbeits-
teilung in der Familie auch ausführlich auf das Aufeinanderangewiesensein der Arbeit des
Mannes und der Arbeit der Frau hinweist, charakterisiert es diese im Schwinden begriffene
Lebensform als Ganzes. Bei all dem werden dem Leser einige Grundzüge des Feudalismus
verdeutlicht, wie z.B. die Enge der bäuerlichen Wirtschaft und die damit zusammenhängende
Vorratssammlung, die noch vor wenigen Jahrhunderten in ganz Europa einer der Gründe
für das Hungerdasein der in feudalen Verhältnissen lebenden Bauernschaft war. So er-
hebt das Buch mit nicht geringerem Recht Anspruch auf das Interesse des Geschichts-
forschers als auf das des Volkskundlers.
Die Verf. macht das vor uns entstandene Bild auch dadurch besonders lebendig, daß sie
zur Illustration ihrer Gedanken ein reiches Material aus den Äußerungen der Volkserzähler
gibt. Dadurch wird ihre Darstellung nicht nur glaubwürdiger, sondern auch die Lesbarkeit
des Buches wesentlich erleichtert. Märta BELfiNYESY-Budapest
Kustaa Vilkuna — Eino Mäkinen : Isien Työ. Veden ja maan viljaa arkityön kau-
neulta (Der Väter Arbeit). Helsinki, Helsingissä Kustannusosakeyhtiö Otava, 1953. 344
Die Erkenntnis, daß in unserer schnellebigen Epoche das einfache Arbeits- und Alltags-
leben des werktätigen Menschen in immer stärkerem Maße von der Technisierung und
Rationalisierung ergriffen und auf eine ganz neue Basis gestellt wird, hat in manchen volks-
kundlichen Fachkreisen zu der Überlegung geführt, daß es allerhöchste Zeit sei, die Zeug'
nisse der alten Arbeitsweise, der seit Generationen überkommenen täglichen Verrichtungen
in Haus und Hof für die Nachwelt dokumentarisch in Film und Bild festzuhalten. Einig0
solcher äußerst verdienstvollen Unternehmungen haben sich darauf beschränkt oder be-
schränken müssen, ihr Aufnahmematerial in wissenschaftlichen Archiven zu sammeln*
Anderen aber ist es gelungen, die gesammelten Schätze einer einstigen, reichen materiellen
Volkskultur einem größeren Publikum vorzuführen. Wir nennen nur die beiden herrlichen
Bände von Paul Scheuermeier, Bauernwerk in Italien, der italienischen und rätoroma-
nischen Schweiz, 1943/56, die das gesamte Arbeitsleben der Bevölkerung dieser Land-
schaften im Stand der 30er Jahre mit Foto und Zeichnung belegt [vgl. DJbfVk 1 (195 5)»
S. 486 fr.].
Auch in Finnland hat man diese Notwendigkeit der Dokumentation rechtzeitig erkannt*
Vilkuna und Mäkinen gaben 1943 die erste Auflage des vorliegenden Bandes heraus,
dem nach 10 Jahren eine stark erweiterte 2. Auflage folgen konnte.
Studia Memoriae Bélae Bartók Sacra
Die Bildvorlagen zu diesem Werk, das mehr als die beiden Bände Scheuermeiers auf
die Bildwirkung ausgericbtet ist, stammen aus den Jahren 1936—1941 und sind z. T. aus
Volkskundlichen Dokumentarfilmen herausgeschnitten worden1).
In 41 Abteilungen bietet das in jeder Weise repräsentative Werk einen Überblick über die
Velfältigen bäuerlichen, aber auch handwerklichen Verrichtungen, belegt die täglichen
Arbeiten der Frau in Haus und Hof und schildert sehr instruktiv Szenen aus dem Leben
der Fischer, der Jäger oder der Köhler, um nur einige wenige Beispiele zu nennen: ein
großartiger Querschnitt durch das tägliche Arbeitsleben des finnischen Volkes.
Der starke Eindruck, den das Buch beim Betrachter hinterläßt, rührt vor allem wohl
daher, daß der Mensch überall im Vordergrund steht. Es gibt kaum ein Bild, das museal
wirkte oder das ein Gerät losgelöst von seiner Funktion zeigte. Auf fast allen Fotos sieht
üian den Bauern, den Fischer, den Handwerker usw. mit seinen Werkzeugen hantieren
und arbeiten.
Man möchte wünschen, daß dieses vorzügliche Doku mentations werk auch in anderen
Ländern Europas die Volkskundler anregte, ähnliche Bände zusammenzustellen.
Wolfgang JACOBEIT-Berlin
Studia Memoriae Belae Barlök Sacra. Adiuvantibus Z. Kodäly et L. Lajtha curant
B. Rajeczky et L. Vargyas. Aedes Academiae Scientiarum Hungaricae Buda-
pestini MCMLVI. 544 S.
Zum 75. Geburtstag Bela Bartöks legt die Ungarisöhe Ethnographische Gesellschaft
eine umfangreiche Gedenkschrift vor. Sie enthält 26 Beiträge namhafter Musikethnologen
aus 11 Ländern, die die verschiedensten Themen der musikalischen Volks-und Völkerkunde
behandeln. Den größten Raum nehmen Arbeiten zur Volksmusik Osteuropas ein, von denen
£\vei sich mit dem Wirken Bartöks selbst befassen. So berichtet Jozef Kresänek über
bartöks Sammlung slowakischer Volkslieder, deren Ausgabe in 3 Bänden vorbereitet wird.
K. gibt eine kurze Analyse des 1. Bandes, der über 700 Melodien aus der Süd-Slowakei ent-
halten wird, und führt einige Beispiele an. Wie in der Slowakei, in der BarTök schon 1906
Seine Sammeltätigkeit aufnahm, wurde er auch drei Jahre später in Rumänien zum Anreger
ünd Lehrer für eine Reihe von Wissenschaftlern und Komponisten. Zu ihnen gehört
Sabin V. Drägoi, der jetzige Leiter des Instituts für Folklore in Bukarest. Sein aufschluß-
sicher Bericht Musical folklore research in Rumänin and Bela Bartöks contribution to it
^ird ergänzt durch eine interessante Gegenüberstellung von Schallaufnahmen der gleichen
Sänger, die 1914 von BartÖK und 1954 von Mitarbeitern des rumänischen Instituts auf-
genommen wurden. Von der regen Tätigkeit der rumänischen Volksmusikforscher zeugen
drei weitere Untersuchungen. JÄNOS Jagamas’ Beiträge zur Dialektfrage der ungarischen
Volksmusik in Rumänien versuchen, das siebenbürgische Gebiet — von BartÖK als vierter
»Dialekt“ der ungarischen Volksmusik bezeichnet — auf Grund neueren Materials weiter zu
Unterteilen. Emilia ComiSel beleuchtet La ballade populaire roumaine. Über Herstellung,
Verwendung, Tonvorrat und Spielweise der fast ausschließlich von Hirten gespielten Flöte
'Vilincä berichtet der beste Kenner rumänischer Volksmusikinstrumente Tiberiu
Alexandru. Den einzigen Beitrag zur Volkstanzforschung liefert Raina Kacarova-
Uukudova. Sie verfolgt Verbreitung und Varianten eines bulgarischen Volkstanzes und
kommt u. a. zu dem Ergebnis, daß von den drei Elementen des Volkstanzes, Choreographie,
btelodie und Text, die Tanzform die wenigsten Veränderungen erfährt. Besondere Be-
Vhtung verdienen die Ausführungen Lajos Vargyas’ über Die Wirkung des Dudelsacks *)
*) Einen guten Einblick in die hervorragende Qualität des finnischen volkskundlichen
Lilms vermittelte N. Valonen auf der Berliner Tagung für Agrarethnographie 1955 mit
der Vorführung eines Streifens über die Brandrodung.
528
Studia Memoriae Bélae Bartók Sacra
auf die ungarische Volkstanzmusik. An Hand von zahlreichen Beispielen kann er nachweisen»
wie sich aus ursprünglicher Instrumentalmusik gesungene Tanzweisen entwickeln. Uber die
Ergebnisse von KuHAÖund Kuba hinausgehend bietet Bozidar Sirola eine zusammen-
fassende Darstellung der Volksmusik der Kroaten.
Nur zwei Autoren befassen sich mit westeuropäischer Volksmusik: Margaret FaA
Shaw veröffentlicht aus ihrer Sammlung 17 Gaelic Folksongs from South Uest, und MaüD
Karpeles würdigt Cecil Sharp, Collector of English Folk Music. Die Beziehungen zwischen
Volks- und Kunstmusik stehen im Mittelpunkt einiger weiterer Untersuchungen. So bringt
Benjamin Rajeczky Parallelen spätgregorianischer Verzierungen im ungarischen Volks-
lied; Vinko Zganec, Die Elemente der jugoslawischen Folklore-Tonleitern im serbischen
liturgischen Gesänge, zeigt, wie stark die Volksmusik den serbischen Kirchengesang 1°
tonaler Hinsicht beeinflußte; Samuel Baud-Bovy glaubt, daß La strophe de distiques rimés
dans la chanson grecque ihren Ursprung im französischen Lied des ausgehenden Mittelalters
hat und rückschließend über dessen modale und rhythmische Beschaffenheit Aufschluß zu
erhalten sei. In diesen Zusammenhang gehören auch zwei Studien, die sich nur vergleichs-
weise mit Fragen der Volksmusik befassen. Viktor Beljaevs instruktive Arbeit übet
Early Russian Polyphony im geistlichen Gesang dürfte aber für die Erforschung volks-
tümlichen mehrstimmigen Singens große Bedeutung haben. Pentatonismes chez Debussy
behandelt Constantin Brailoiu erschöpfend an Hand von 182 Beispielen.
Von grundsätzlicher Bedeutung sind die kurzen, aber gewichtigen Ausführungen ZoltaN
Kodälys, des Nestors der ungarischen Volksmusikforschung. Sie betreffen Eine Vor-
bedingung der vergleichenden Liedforschung, nach musikalischen Gesichtspunkten geordnete
Sammlungen. Er schlägt vor, daß ,,jedes Sprachgebiet seinen einheitlichen, vollständige^
,Catalogue raisonné' sämtlicher gedruckten, eventuell auch handschriftlichen Sammlungen
redigieren sollte, der volle Aufklärung über jedes einzelne Lied gibt“ (S. 8). Nur auf diese
Weise könnte man zu internationalen Typensammlungen kommen, wie sie die Märchen-
forschung mit Aarne-Thompsons Katalog und Thompsons Motiv-Index schon aufzu'
weisen habe. Kodäly selbst hat mit der von ihm herausgegebenen, großen ungarischen
Volksliedgesamtausgabe, über deren Editionsverfahren György Kerényi (System °i
Publishing the Collection of Hungarian Folksongs: Corpus Musicae Popularis Hungaricae)
Auskunft gibt, einen Teil der umrissenen Aufgaben schon in Angriff genommen.
Nur wenige Abhandlungen befassen sich mit Fragen außereuropäischer Musik. Unter
ihnen verdient Paul Collaers sorgfältige Studie Musique caraïbe et maya besondere
Aufmerksamkeit. Laurence Picken analysiert Twelve Ritual Mélodies of the T’ang
Dynasty, von denen er annimmt, daß sie aus einer älteren Volksmusikschicht stammen-
Werner Danckert untersucht Melodiestile der finnisch-ugrischen Hirtenvölker. Stimmung
und Spielhaltung zweier brasilianischer Volksmusikinstrumente spanischer Herkunft be-
schreibt Luis-Heitor CorrÊa de Azevedo: La guitare archaïque au Brésil. Beispiel
für die Funktionsgebundenheit außereuropäischer Instrumente gibt Jaap Kunst in seiner0
Fragment of an essay on Music and Sociology.
Eine besondere Gruppe von Beiträgen behandelt Probleme der tonalen Struktur, Ton-
Systeme und Skalen. Von größter Bedeutung sind Walter Wioras Ausführungen: AUer
als die Pentatonik über die zwei- bis vierstufigen Tonarten in Alt-Europa und bei Natur'
Völkern. Sie umreißen mit Hilfe einer souveränen Materialkenntnis Fragen und Probleme»
die im Zusammenhang mit diesen viel verkannten und fehlgedeuteten Erscheinungen vo°
Wichtigkeit sind. Dagegen erscheinen die spekulativen Betrachtungen Lajos Bärdos übet
Natürliche Tonsysteme merklich blaß. Bêla Avasi zeigt, wie Tonsysteme aus Intervall'
Permutationen entstehen können. Praktische Hinweise für The Determining of Scales an
Solmisation in Hungarian Musical Folklore gibt PÂL Järdänyi.
Es ist zu begrüßen, daß die Hrsg, mit diesem Band von der in den letzten Jahren geübte0
Praxis, nur in ungarischer Sprache zu publizieren, abweichen. Damit wird dieser wichtig0
Sammelband neuerer Volksmusikforschung einem breiten Kreis interessierter Leser zu
gänglich gemacht.
Erich STOCKMANN-Berlm
Das Wienhäuser Liederbuch u. a.
529
Urnst Klüsen: Der Stammescharakter in den Weisen neuerer deutscher Volkslieder. Bad
Godesberg, Voggenreiter Verlag, 1953. 79 S.
Die besonderen Eigenarten der deutschen Stämme im Volkslied nachzuweisen, ist eine oft
an die Volksmusikforschung gestellte Forderung. Wenn man bisher in dieser Frage über
erste Ansätze nicht hinausgekommen ist, so müssen die Gründe dafür in großen metho-
dischen Schwierigkeiten und der ungenügenden Aufbereitung des Materials gesucht werden.
Uni so mehr ist der vorliegende Versuch K.s, auf diesem Gebiet einen Schritt weiter-
zukommen, zu begrüßen, zumal er von einem Autor unternommen wird, der mit seiner
Arbeit über das Volkslied in einem niederrheinischen Dorf einen Baustein zu diesem um-
fassenderen Thema lieferte. Leider sieht sich der Leser in seinen Erwartungen enttäuscht.
Die Vielschichtigkeit des Problems, die vor wenigen Jahren Walter Salmen in einer
äußerst anregenden Studie über das westfälische Volkslied (Rhein. Jb. f. Vk. 1952, S. 135 ff.)
aufgezeigt hat, wird vom Verf. nicht erkannt. Die dort gegebenen wesentlichen Hinweise
Zur Lösung bleiben unberücksichtigt, wie überhaupt die wissenschaftliche Fachliteratur nur
ungenügend herangezogen wird.
Ausgangspunkt der Untersuchung bilden 50 zumeist im 19. Jh. entstandene Lieder, die der
Verf. in seiner Heimat am Niederrhein fand. Durch den Vergleich mit ihren in anderen
deutschen Landschaften aufgezeichneten Varianten hofft er die charakteristischen landschaft-
lichen Unterschiede in Melodik, Rhythmus, Harmonik und Form herausfinden zu können.
Selbst wenn man von der begründeten Forderung, den gesamten Liedschatz einer Land-
schaft für die Betrachtung heranzuziehen, abgeht, erweist sich die Materialbasis des Verf.s
entschieden als zu schmal und auch als zu wenig geeignet, um wirklich fundierte und glaub-
würdige Ergebnisse zu erzielen. Zudem erscheint es äußerst bedenklich, daß das „schriftlich
fixierte Lied“ ohne jede quellenkritische Beleuchtung die alleinige Grundlage der Unter-
suchung bildet. Weiß man doch, wie dieVolksweisen in den letzten 150 Jahren von musika-
lisch meist wenig geschulten Aufzeichnern als genormte und verbesserte Fassungen notiert
Wurden. Da sich nach Ansicht des Verf.s die sekundären Teilmomente des Volksgesanges
(Vortragsart, Stimmklang, Tempo u. a.) „der Beobachtung entziehen“ (S. 17), blieben sie
unberücksichtigt. Vom Studium gerade dieser zwar schwerfaßbaren, an Hand von Schall-
aufnahmen aber jeder Zeit zu eruierenden Eigenheiten des Gesanges dürfen wir für die
Landschaftstypologie jedoch wesentliche Aufschlüsse erwarten. So hätten systematische
Vergleiche von Schallaufnahmen der untersuchten Lieder, die in den verschiedenen Land-
schaften noch heute gesungen werden, sicher zu besseren Teilresultaten geführt, als sie der
Verf. aufweisen kann.
Das anspruchsvolle Thema wartet weiterhin auf seine Lösung.
Erich STOCKMANN-Berlin
Das Wienhäuser Liederbuch. Hrsgg. von Heinrich Sievers. Wolfenbüttel, Mosel er Verlag,
1954. Bd. 1: Faksimile; Bd. 2: Vorwort, Kritischer Bericht und Übertragungen. 64 S.
Das Liederbuch der Anna von Köln. Eingeleitet und hrsgg. von Walter Salmen und Jo-
hannes Koepp. Düsseldorf, Musikverlag L. Schwann, 1954. 66 S. (— Denkmäler
rheinischer Musik, Bd. 4).
Es ist erfreulich festzustellen, daß die Publikation älterer Liederbücher in den letzten
Jahren verstärkt wieder aufgenommen wurde. Die vorliegenden Ausgaben erschließen zwei
Wertvolle Qu eilen, die für die Kenntnis des vorreformatorischen geistlichen und auch welt-
lichen Liedes von größter Bedeutung sind. Es handelt sich um handschriftliche Liederbücher,
die in den weiblichen Klöstern und Schwesternhäusern des I5-Jhs für den privaten Ge-
brauch zusammengestellt wurden. Sie enthalten in erster Linie das Liedgut der Devotio
>noderna, jener von den Niederlanden ausgehenden religiösen Strömungen, die u. a. durch
°tdensähnliche Gemeinschaften wie die „Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben“
im niederrheinischen und niedersächsischen Raume starken Widerhall fanden. Doch stehen
>3 Volkskunde
530
Die Zwiefachen
neben den empfindsamen verinnerlichten Liedern der Jesusliebe und Marienverehrung,
neben Weihnachts- und Ostergesängen, die zum großen Teil weltliche Vorlagen erkennen
lassen, auch urwüchsige niederdeutsche Volkslieder. Die vielschichtigen und inhaltsreichen
Hss. vermitteln uns gleichermaßen den Liedschatz der Stadt und des Dorfes. Von den
82 Liedern der um 1500 zusammengeschriebenen Kölner Quelle sind 25 mit Melodien ver-
sehen, während das eine Generation früher (um 1460) anzusetzende Wienhäuser Liederbuch
60 Nummern mit 15 Melodien aufweist.
Die Hrsg, haben ihre Editionsaufgaben auf unterschiedliche Weise zu erfüllen versucht.
Sehr zu begrüßen ist die faksimilierte Wiedergabe des Wienhäuser Liederbuches, wie über-
haupt die geschmackvolle Ausstattung dieser Ausgabe keine Wünsche offen läßt. Leider
enthält sie nur die Umschrift der Melodien und nicht auch die der Texte. Wenn sich der
Benutzer ein vollständiges Bild von dieser spät-mittelalterlichen Quelle verschaffen will,
muß er die von Paul Alpers im Niederdeutschen Jahrbuch besorgte Text-
ausgabe heranziehen. Die Melodien werden von Sievers „in freiem Rhythmus ohne Takt-
einteilung“, so wie sie in der Quelle stehen, wiedergegeben. Er verzichtet (wie früher Zahn,
Bäumker u. a.) auf jede rhythmische Deutung und läßt damit eine wesentliche Aufgabe
des Hrsg.s, die sinnvolle Herausstellung der rhythmischen Struktur, unerfüllt. Sie hätte
allerdings erst nach einem sorgfältigen Vergleich mit allen erreichbaren Aufzeichnungen des
15.und 16. Jhs durchgeführt werden können. Umfangreichere vergleichende Studien wären
auch dem Kommentar zu den Melodien zugute gekommen. Einige falsche Feststellungen
hinsichtlich Alter, Verbreitung und Struktur der Melodien, die auf Grund ungenügender
Heranziehung des Quellenmaterials entstanden, hätten leicht vermieden werden können.
Verdienstvoll ist dagegen eine ausführliche Darstellung der spätmittelalterlichen Musik-
geschichte Niedersachsens, zu deren Aufhellung Sievers einige gewichtige Beiträge liefern
kann, nicht zuletzt durch die Auffindung und Herausgabe des Wienhäuser Liederbuches
selbst.
Das Liederbuch der Anna von Köln hat in Salmen (Melodien) und Koepp (Texte) zwei
bewährte Hrsg, gefunden, die durch ihre Zusammenarbeit erstmalig eine kritische Gesamt-
ausgabe dieser bedeutenden Quelle ermöglichten. Das angewandte Editionsverfahren ver-
bindet „objektive Genauigkeit mit verstehendem Einfühlen“. So versucht Salmen bei der
Übertragung der Melodien „jeder stilwidrigen Schematisierung aus dem Wege zu gehen,
vielmehr an Hand aller erreichbaren Konkordanzen und Parallelen eine demlntentionat der
Quelle entsprechende Wiedergabe zu finden“ (S. 5). Dank einer beneidenswerten Kenntnis
des spätmittelalterlichen Liedgutes gelingt es ihm nicht nur, die den Melodien eigene Ge-
stalt zu erspüren und in überzeugender Weise darzustellen, sondern auch ihre Verbreitung
und Zugehörigkeit zu bestimmten Typen im Kommentar aufzuzeigen. Zusammen mit der
sorgfältigen textkritischen Bearbeitung und Kommentierung des allzu früh verstorbenen
Johannes Koepp muß die Edition der Quelle als vorbildlich angesehen werden. Ein kurzes,
aber gehaltvolles Vorwort, zu dem als Ergänzung eine Untersuchung Salmens über die
Beziehungen der Liedquelle zu den Niederlanden im Kongreß-Bericht Utrecht 1952 heran-
zuziehen ist, informiert den Benutzer über die wissenswerten Daten der Hs. und zeichnet ein
treffendes Bild der kulturellen Situation, in der das Liederbuch entstand.
Erich SxocKMANN-Berlin
Felix HoerburgeR: Die Zwiefachen. Gestaltung und Umgestaltung der Tanzmelodien iw
nördlichen Altbayern. Berlin, Akademie-Verlag, 1956. 96 S., Tabellen und Skizzen,
synoptische Tafeln, Melodien. (=Veröff. d. Inst. f. dt. Vk., Bd. 9.)
Die seit längerem in Fachkreisen erwartete Arbeit Felix Hoerburgers über die Zwie-
fachen liegt nunmehr als Publikation des Akademie-Verlages vor. Der Autor stellt sich die
„zwiefache“ Aufgabe, sowohl die Tanzform an sich in Form einer monographischen Studie
darzustellen, wobei notwendigermaßen das vorangegangene Werk von Victor Junn
(Die taktwechselnden Volkstänze. Leipzig 1938) kritisch gesichtet wird, als auch das Varianten-
Begegnungen und Wirkungen
531
Material hinsichtlich seiner formgestaltenden Prinzipien zu analysieren. Hoerburger kann
sich auf reiches Qu ellenmaterial stützen. Sammlungen vor 1938 (Junk-Nowy), sowie eigene
Erhebungen des Autors in den Jahren 1948 —1954 im nördlichen Bayrischen Wald und in
den an Mittelfranken angrenzenden Verbreitungsgebieten des Zwiefachen befähigen
den Verf., sein Thema aus völlig neuer Sicht in Angriff zu nehmen. Einleitende Begriffs-
klärungen zu grundsätzlichen Fragen des „mehrfachen“ Tanzens in Verbindung zur Musik
und die Richtigstellung eines Trugschlusses von Junk, der scheinbare genetische Zusammen-
hänge zwischen der Prinz Eugen-Weise und den Zwiefachen zum Anlaß unrichtiger Be-
trachtungen über die Früh- und Vorgeschichte des Zwiefachen nahm, führen in die Proble-
matik der Zwiefachen-Forschung ein. Die Fixierung der „Typenzwiefachen“ in symmetri-
scher Gestalt, Präzisierung ihrer vier Klangmodelle und deren sekundärer Strukturprinzipien
in variablen Taktzusammenstellungen ist der Ausgangspunkt der Untersuchung über
Gestaltungsmerkmale. Die ganzheitliche Umgestaltung in Improvisationsmelodien mit
melodischen, harmonischen und rhythmischen Varianten unter Bewahrung des Typen-
modelles, — die asymmetrische Gestaltung mit ihrer durch die Tanzpraxis gegebenen for-
malen Freizügigkeit und schließlich die einzeiheitliche Gestaltung als mehr oder weniger
■willkürliche Wechsel- und Kontaminationsform sind Gegenstand eingehender Unter-
suchungen und klärender Schlußfolgerungen. Zahlreiche Beispiele helfen den theoretisch
schwer zugänglichen Stoff sinnfällig zu erläutern. Das Verhältnis von Musik und Tanz, dem,
Wie der Autor bereits früher nachwies, nicht Untrennbares, Urgegebenes zugrunde
Hegt, wird in Verbindung mit dem Zwiefachen erneut dargelegt. Dem Entstehungsprozeß
des Zwiefachen geht der Verf. durch Aufdeckung der Beziehungen zwischen gleich-
taktigen und taktwechselnden Weisen nach. Das Verbreitungsgebiet des Zwiefachen wird
auf Grund eingehender Feldarbeit des Autors klar umrissen, wobei die landläufige Ansicht
(Zoder), der bayrische Zwiefache sei ausschließlich in den „Zentren“ Cham—Hallertau—
Hersburg heimisch, als nicht erschöpfend nachgewiesen wird. H. zeigt hier, daß
der Zwiefache nicht nur in der „klassischen Form“ der genannten Zone auftritt. Auch im
Chiemgau, Wasserburg am Inn nördlich von Passau usw., ja sogar in Städten, wie Weiden,
Amberg, Nabburg, Schwandorf, Regensburg wird der Zwiefache gepflegt. Das erweiterte
Verbreitungsbild der Zwiefachen ermöglicht dem Verf. interessante landschaftstypo-
logische Untersuchungen. Die häufig aufgeworfene Frage „tschechisch oder deutsch“,
die von Junk vorschnell und einseitig beantwortet wurde, beurteilt nun H. völlig objek-
tiv, indem er fiktive Nationaleigenarten wie oberpfälzische „Eckigkeit“ und slawische
„Weiche“ als solche nachweist. — Die Beziehungen der Zwiefachen untereinander, ihre
Verwandlung, Verwandtschaft und Verquickung ist außerordentlich vielfältig. Es versteht
sich daher, daß die systematische Ordnung der Zwiefachenmelodien auf Schwierigkeiten
stößt, die auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht gelöst werden sollen, sondern nur
andeutungsweise aufgezeigt werden. Einer künftigen Gesamtausgabe der taktwech sein den
Tänze soll die Aufgabe Vorbehalten bleiben, ein musikalisches Ordnungsprinzip zu finden,
Surnal es scheint, als ob noch unbekanntes, nicht inventarisiertes Material neue Gesichtspunkte
in dieser Frage bedingen könnte. — Das Buch Hoerburgers darf als bisher wertvollster
wissenschaftlicher Beitrag zur Zwiefachenforschung bewertet werden.
Jan RAUPP-Bautzen
Hermann Kaiser: Begegnungen und Wirkungen. Festgabe für Rudolf Mirbx und das
deutsche Laienspiel. Kasselund Basel, Bärenreiter-Verlag, 1956. 168 S.
Diese Festgabe, Rudolf Mirbt zum 60. Geburtstag von einem Freundeskreis dargebracht,
für den Hermann Kaiser als verantwortlicher Redakteur zeichnet, — im Vorwort vom
Herausgeber als ein „notwendiges Buch des deutschen Laienspiels“ bezeichnet, ist —
obwohl es aus mancherlei Ursachen heraus verunglückt erscheinen muß — allen Freunden
des deutschen Laienspieles eindringlich als Lektüre zu empfehlen um sehr vielerund schöner
Harlegungen willen, die teils zu Rudolf Mirbt und seinem bisherigen Lebenswerk, teils
>3*
532
Begegnungen und Wirkungen
zu der heutigen Situation des Laienspiels in der deutschen Bundesrepublik (und in Öster-
reich) gegeben werden1). Diese zunächst uneingeschränkte Empfehlung des Buches stellen
wir an den Anfang, daß unsere Bedenken nicht davon abhalten sollen, nach ihm zu greifen.
Beim ersten Durchblättern des stattlichen Heftes mit seinen nicht weniger als 32 Einzel-
beiträgen über alle möglichen Fragen des Laienspielkreises um Rudolf Mirbx und die
Situation des deutschen Laienspiels überkam den Referenten ein Unbehagen, das aus-
ging zunächst vom Titel. Begegnungen und Wirkungen ist ein zu unpräziser Allerwelts-
titel, der eine Unsicherheit in dem andeutet, was gewollt ist. Diese Unsicherheit verstärkt
der Untertitel Festgabe für Rudolf Mirbt und das deutsche Laienspiel. Man glaube nicht, daß
hier herumgenörgelt wird, — aber es geht um das Wesen, wenn wir sagen: diese Festgabe
gilt Rudolf Mirbx, — er nämlich wird 60 Jahre alt —, er nämlich feiert ein Jubiläum —
mitnichten aber das „deutsche Laienspiel“. Diese sprachlichen Versager im Titel verraten
den Bruch zwischen zwei durchaus mit einander zu vereinbarenden Aufgaben, die hier nur
nicht klar genug auseinandergehalten sind: einmal Mirbx — ein andermal deutsches
Laienspiel —, diese beiden Aufgaben lassen sich nicht „mixen“, — die Rolle RUDOLF
Mirbxs läßt sich nur klar sehen, wenn zuvor die Geschichte des deutschen Laienspiels klar
und eindeutig gesehen wird.
Es steht noch anderes am Anfang, was den Kenner der Geschichte des deutschen Laien-
spiels und des Beitrages, den der Jubilar geleistet hat, verwirrt: zunächst das im Buche dem
Titel gegenüber eingefügte Bild Rudolf Mirbxs: eine Zufallsaufnahme aus einer Spiel-
probe! — Wieviel eindringlicher als dies Zufallsbild, das etwas korrigiert wird durch den
Scherenschnitt gegenüber S. 168, schildern die Wortberichte den „Führer“ des Münchnef
Spielkreises der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, wie er in der „zünftigen Kluft“ der „Jugend-
bewegten“ jener Tage auf einer Wiese steht und sich den Menschen zu wendet und ruft:
„Hallo, Leut, — hört mal!“
Diese Beiträge des Buches lassen uns Mirbx als eine unvergeßliche Gestalt jener Jahre nach
dem Zusammenbruch im 1. Weltkrieg erscheinen, und dies wahre und echte Bild solhe
nicht durch eine Zufallsaufnahme, in welcher die Bügelfalte der Hose und die Mimik in einem
zerstörenden Widerspruch stehen, ins Blitzlicht des Problematischen gerückt werden.
Noch ein Drittes stellt der Referent von Anfang an fest: dem Buch ist eine Liste det
Gratulanten vorangestellt, in der ich sehr viele belanglose Namen finde und gewichtigc
Namen vermisse. Dies „Zufällige“ zieht sich durch das Ganze, so daß Mirbxs Ge-
stalt weder jenen, die ihn seit seinem Eintreten in dies Spiel der Kräfte kennen, noch gäf
jenen, die ihn erst durch dies Buch kennenlernen sollen, — noch die Geschichte des Laien-
spieles selbst so klar verdeutlicht erscheint, wie es wünschenswert wäre, — vielleicht wif3
das zu Mirbxs 70. oder 75. Geburtstag nachgeholt, und diese Besprechung sei dafür schon
ein Gratulantenbeitrag!
Es ist nicht möglich, im Rahmen einer solchen Buchbesprechung auf die einzelnem
Zum Teil sehr interessanten und wertvollen Einzelbeiträge einzugehen — es sind deren zn
viele —. Gerade darin liegt ja die Fehlkonstruktion des Buches, daß keine zusammenfassend0
Schau weder der Gestalt und des Werkes von Rudolf Mirbx noch der Laienspielbewegung
gegeben wird. Wir müssen deshalb darauf verzichten, auf Einzelbeiträge einzugehen un<J
möchten nur für die Korrektur des Ganzen einiges beitragen:
Da ist zunächst das Laienspiel, und zunächst muß das gesehen werden ohneRudoli
Mirbx. Wir müßten zurückgreifen auf so gewichtige Bücher, wie sie zu Beginn der Laien-
spielgeschichte erschienen sind: etwa Jugend und Bühne im Auftrag des Zentral-Institutes
für Erziehung und Unterricht, herausgegeben von Ludwig Pallax und Hans Lebepf
(1924) im Anschluß an eine allererste „Tagung Jugendund Bühne“, die am 15. —17. 9.
in Frankfurt am Main stattgefunden hat, und in der schon die ganze Problematik: Laienspm >
Schulspiel, Dilettanten-Theater, Berufsbühne aufgerissen wurde, über die, wie dieses Fest *
x) Eine Besprechung vom Standpunkt des Laienspiels in der DDR folgt in einem 3er
nächsten Jahrbuchbände. (Die Schriftleitung)
Begegnungen und Wirkungen
533
gabenbuch an den inzwischen 60 Jahre alt gewordenen Rudolf Mirbt beweist, die Kreise,
die sich heu te, nach 30 Jahrenum das Laienspiel bemühen, nicht hinausgekommen sind. —
Nein, nicht nur das, — sie haben nach dem 2. Weltkrieg diese Ausgangsposition, wie sie
bereits nach dem 1. Weltkrieg gegeben war, noch nicht wieder erreicht, wie sehr eindringlich
die Beiträge von Erich Reisch, Freiburg i. Br. (Zur Stellung des Laienspiels in musischer
Bildung und Kultur), von Ivo Braak, Flensburg (Das Spiel im Bildungsplan der Pädago-
gischen Hochschule mit seinem lehrreichen und zugleich verwirrenden Verzeichnis der dort
behandelten Stücke) und wie die Berichte aus dem heutigen Österreich zeigen mit Angaben
über „Laienspiele“, die, nach Goethes Faust, nach Shakespeares Lustspielen und
Claudels Verkündigung greifend, sich vergreifen. Schon dort im Aufmarsch der ersten
Kampfkräfte im Buch von Pallat und Lebede steht auch Rudolf Mirbt und erklärt:
„Es ist ein Irrtum, im Laienspiel den Zweck einer Erneuerung des Theaters zu sehen. Der
Laienspieler spielt nicht die Geste des Schauspielers, nicht die Geste des Dilettanten: er
sucht die ihm eigene Gebärde!“ Das ist Rudolf Mirbt von Anfang an, und so ist er ge-
blieben, sich bis heute unerbittlich treugeblieben. Aber man sollte nicht nur davon
sprechen, daß der Laienspieler nicht nur seine eigene Gebärde, sondern auch nur seine
eigenen Stücke spielt und sich nicht dorthin verirrt, wo andere Gebärden und andere Stücke
und andere Gesetze gelten. Die nach dem 1. Weltkrieg auftretenden Spannungen zwischen
Laienspiel—Dilettantentheater—Schulspiel—Berufstheater sind nicht ausgetragen, sondern
bis insHeute vermixt durch die Jahrzehnte geschleppt worden. — Daß Verbände und behörd-
liche Stellen sich dieser Lebensfragen angenommen haben, hat uns nur äußerlich in eine
Verbreiterung der Arbeit, die Arbeit selbst aber in eine Stagnation und Verarmung gebracht,
die immer ein „mahnendes Gewissen“ erforderte, als das man Rudolf Mirbt ansprach.
Man hat das Laienspiel in die überalterten Vorstellungswelten einer „musischen Bildung“
und einer Kulturschau eingesperrt, die einer untergehenden Welt angehört. Es ist das Laien-
spiel in der Romantik der Jugendbewegung zu Beginn des Jahrhunderts verharrt, und es hat
nicht begriffen, daß es zu Beginn des Jahrhunderts und auch nach dem 1. Weltkrieg, —
siehe auch das zweite Buch jener Jahre: Gemeinschaftsbühne und Jugendbewegung (von
C. W. Gerst im Bühnenvolksbundverlag) — ein Tor einer neuen Zeit mit aufreißen wollte.
Das Tor ist inzwischen längst wieder zugefallen und wird wohl noch einmal von neuem
aufzustoßen sein! Wer wird das wagen? Nun, — Rudolf Mirbt — die „Jungen“, die
inzwischen viel zu alt geworden sind, oder die „Alten“, die jung geblieben sind und jenen
Kampfauftrag von Anbeginn her noch im Blute haben? So werden wir Rudolf Mirbt in
der Tat noch einige Jahrzehnte wünschen, daß ein weiterer Geburtstag dann das wesenhafte
Buch bringt von einer Gesamtschau des Laienspiels und seiner Sendung.
Nur auf eines sei noch hingewiesen: Rudolf Mirbts oben zitiertes Wort: „Es ist ein
Irrtum, im Laienspiel den Zweck einer Erneuerung des Theaters zu sehen“, ist natürlich so,
wie er es damals (1924) geschrieben hat, durchaus richtig. Aber es gilt auch zu sagen, daß
alle theatralischen Welten sich in einem einheitlichen Fluß der Entwicklung befinden und
daß die Veränderungen, die sich im „Laienspiel“ ergeben, ihre Entsprechungen haben in
Veränderungen der großen Berufsbühne! Das Laienspiel — bleiben wir beim Lebenssektor
Rudolf Mirbts — begann mit Ausgrabungen alter Volksspiele (siehe Rudolf Mirbts
Reihen der Münchner Laienspiele und die spätereReihe im Bärenreiter-Verlag). Greifen wir
— um das Problem nur klar zu sehen — das Teilspiel heraus. Rudolf Mirbt war damals
(s. S. 158) 1920/21 „Prokurist des Patmosverlages in München“; der Begründer dieses Ver-
lages war ich und Mirbt mein „Prokurist“. Hinter dem Verlag und meiner Verlagsgründung
stand damals der „Patmoskreis“, — aus dem Patmosverlag wurde der Bühnenvolksbund-
Verlag, der durch Jahre hindurch die Schicksale dieser geistigen Bewegungen in Deutsch-
land mitbestimmte; bis die politische Entwicklung 1933 die ganze christliche Bühnen-
bewegung erschlug; — zu diesem Kreis gehörten Leute wie Eugen Rosenstock und
V'erner Pischt, die Erneuerer der Volksbildungsbewegung in Deutschland nach 1919, —
evangelische Kreise um Hans und Rudolf Ehrenberg und jüdische Kreise um Franz
Rosenzweig und Martin Buber. Nicht nur die Bühnenerneuerungsbewegung der Zeit
nach dem 1. Weltkrieg, auch die Volksbildungsbewegungen jener Zeit in ihrem ungeheuren
534
Schweizerbuch der alten Bewegungsspiele
Aufbruch wurden von einer infernalen spießigen kleinbürgerlichen Kulturpolitik in Deutsch-
land eingestampft. Man frage, was aus all diesen Männern und Bewegungen in Deutschland
geworden ist, und man sieht auch in Rudolf Mirbts Lebensablauf die Leidensphasen
dieser Kulturkämpfe. Zurück zum Theater: Dies Tellspiel, damals von Leopold Stahl-
Heidelberg in seiner Schweizer Urfassung ausgegraben, von mir an Rudolf MirbT,
meinen „Prokuristen“, nach München weitergereicht, wurde die Grundlage der Neufassung
eines Laienspiels im MiRBTschen Sinne! Seine tiefe und auch breite Wirkung ist bekannt.
Es ist aber eines übersehen worden, was jedoch unsere Zukunft in Laienspiel und Berufs-
bühne entscheidet: daß diese mittelalterlichen Fassungen nur Keimformen in einem geistes-
biologischen Prozeß sind, der durch die Jahrhunderte geht und der das geistige Schicksal
der Völker bestimmt. All diese Ur- und Keimspiele: die Keimspiele der mittelalterlichen
Totentänze und Jedermannspiele, — des Theophilusspiels als Urform der Faustdichtungen
sind, obwohl sich nach dem i. Weltkrieg ein Schicksal anbahnte, das eine Weiterentwicklung
der Motive erhoffen ließe, stecken geblieben. Stecken geblieben ist das Laienspiel, und stek-
ken geblieben ist die Berufsbühne hier bei uns in der Bundesrepublik, — die Berufsbühne
mit ihren antiquierten Sommerfestspielen mit Hugo von Hofmannsthals Jedermann und
Calderons umgeschriebenem, nur umgeschriebenem, aber nicht weiterentwickeltem
Welttheater, — und auf all dem lasten nun noch seit 1945 die geistigen Überflutungen der
deutschen bundesrepublikanischen Kultur durch den Kolonialwillen der USA, — so daß wir
wie ein sterbendes Kolonialvolk keine eigene Kultur mehr haben. Rudolf Mirbts Forderung
nach der eigenen Gebärde des Laienspielers schließt die weitere, von ihm nicht mehr aus-
gesprochene, aber für das deutsche Volksleben entscheidende Forderung in sich : nicht nur
die eigene Gebärde des Spielers, sondern auch der eigenen Dichtung eines Volksund einer
jetzt erst gegenwärtigen Zeit! Das „Laienspiel“ kann nicht, wie es nach dem für Rudolf
Mirbt vorgelegten Gedenkbuch erscheint, eine Angelegenheit sein, die für sich und in
einem isolierten Raum des Lebens gehalten und hier gepflegt werden könnte. Sein Schicksal
ist gebunden an den Durchbruch einer neuen Zeit, die sich überall äußern wird, und die alle
Formen unseres Lebens erfassen wird, — wenn der Durchbruch, der nach 1919 schon ein-
mal geschehen war, wieder kommt. Das Gedenkbuch für Rudolf Mirbt zeigt nur die
heutige Situation und auch sie nur in einem Sektor ihres Lebenskreises und zeigt, daß die
Stunde des nochmaligen großen Aufbruches noch nicht wieder gekommen ist. Aber es
leistet uns gute Dienste, wo wir uns im Wissen um seine „Beschränkung“ seiner bedienen.
Leo Weismantel - Obersinn, Kr. Gemünden
J. B. Masüger: Schweizerbuch der alten Bewegungsspiele. Illustriert von Hans BosshardT.
Zürich, Artemis Verlag, (1955). 467 S.
Mit patriotischem Enthusiasmus hat der Autor in jahrelanger Arbeit das gesamte alte
Spielgut der Schweiz gesammelt, das er jetzt in einem umfangreichen Bande veröffent-
licht, um auf diesem Wege zur Erhaltung und Neubelebung der überlieferten Schweizer-
spiele anzuregen. Von den einfachsten Hüpf- und Kugelspielen der Kinder bis zu den
Kraftproben und sportlichen Zweikämpfen der Männer werden sämtliche Arten des Be-
wegungsspiels und des traditionellen sportlichen Wettkampfs beschrieben, wobei auch die
an bestimmte Brauchtermine und Festtage gebundenen, spielhaften Tätigkeiten der Jugend
wie das Klappern in der Karzeit oder das Scheibenschlagen am Fastnachtsfeuer ihren Platz
im Gesamtwerk finden. Der Tendenz des Buches entsprechend werden die charakteristischen
Schweizerspiele — z. B. das Schwingen, das Mailspiel, die Mazza, das Hornussen, das
Fahnenschwingen — in aller Ausführlichkeit mit vielen lokalen Varianten und Abarten
dargestellt (sehr instruktiv ist z. B. die Tabelle auf S. 23of. mit einer Darstellung der lokalen
Spielgeräte für das Hornussen), während andere Spiele sich mit weniger Raum begnügen
müssen.
Verständlich, aber trotzdem bedauerlich ist es, daß M. hier als ehemaliger Turnlehrer seift
Augenmerk vor allem auf die sportlich-technische Seite des Volksspiels gerichtet, den
Sagen, Märchen und Schwänke des Jülicher Landes
553
volkskundlichen Zusammenhang (wie z. B. das mit vielen Spielen verbundene Vereinsleben
in der Schweiz) dagegen sehr vernachlässigt hat. Trotz dieser und anderer kleiner Mängel
ist uns das Buch als ein ausführliches Quellenwerk zur schweizerischen Volkskunde sehr
willkommen. Reinhard PEESCH-Berlin
Sagen, Märchen und Schwänke des Jülicher Landes. Aus dem Nachlaß Heinrich Hoff-
manns, hrsgg. und durch eigene Aufzeichnungen vermehrt von Gottfried Henssen.
Bonn, Ludwig Röhrscheid-Verlag, 1955. 328 S., 8 Bildtaf., 1 Karte, 8°.
Im Jülicher Lande ist H. zu Hause, und zwar nicht nur vom Volkskundestandpunkt aus,
sondern im eigentlichen Sinne des Wortes. Denn das Jülicher Land ist seine Heimat, wo er
aufwuchs in engster Verbundenheit mit Volksart und Erzählgut, ist doch sein eigener Groß-
vater einer seiner fruchtbarsten Gewährsmänner. Man hat deshalb bei diesem neuen Werke
das Gefühl, daß es mit besonderer Liebe und genauester Kenntnis geschaffen worden ist,
was vor allem dem Mundartlichen zugute gekommen ist, das in keiner anderen Sammlung
H.s so überzeugend echt klingt wie hier.
Die Grundlage des Buches wird durch den Nachlaß des Dürener Lehrers Heinrich
LIoffmann gebildet, der schon 1911 und 1914 Sagen aus Gebieten des Jülicher Landes
herausgegeben hat. H., der durch Zufall dessen binterlassene Manuskripte fand, erweiterte
das darin gefundene Erzählgut durch Überlieferungen aus der eigenen Familie und durch
eigene Sammelreisen. Die Tätigkeit Hoffmanns umfaßt die Zeit von 1898 bis 1918, H.s
Aufzeichnungen stammen meist aus der Zeit nach 1934. Trotzdem sei die Lebendigkeit des
HoFFMANNschen Erzählgutes — es sind vorwiegend Sagen — nur zuweilen verblaßt,
meint H. Er hat zu dem Übernommenen hauptsächlich Märchen und Schwänke hinzu-
gefügt. Im Nachlaß fanden sich rund 2500 Erzählungen; wieviele der Bearbeiter hinzu-
gefunden hat, wird nicht angegeben. Von den 494 Nummern, die das Buch als Auswahl des
Erzählgutes bringt, sind schätzungsweise 60 von H. selbst gesammelt; ihr Stil unterscheidet
sich kaum von dem älteren Sammelgut Hoffmanns.
H. bietet die Erzählungen in seiner bewährten Weise. Eine Einführung in die Geographie,
Geschichte und Wirtschaft des behandelten Gebietes, eine Charakteristik der Bewohnerund,
soweit möglich, eine Schilderung der Gewährsleute und ihrer Umwelt (in diesem Falle war
das nur beschränkt möglich, da Hoffmann nur gelegentlich dazu Notizen gemacht hat)
erschließt dem Leser gleich das Verständnis für mancherlei Besonderheiten. So haben die
überaus reichen Funde aus der Römerzeit mitgeholfen am Gestalten der Sagen (gutgewählte
Abbildungen tragen sehr zum Verständnis bei). Die vielen bedeutenden geschichtlichen Er-
eignisse, die das Land betroffen haben, machen die Vorliebe für historische und lokale Sagen
verständlich, wobei dann allerdings der offenbar große Reichtum an Wilde-Jagd-Sagen auf-
fällt.
Außerordentlich interessant sind Sagen jüngeren Datums, z. B. die um den Schinder-
hannes, und Erlebnisberichte; sie tragen wesentlich zur Erkenntnis bei, wie sich aus Erleb-
nissen, aus Anekdoten Sagen formen können.
Daß die Kunst, Märchen zu erzählen, auch im Jülicher Land recht selten geworden ist,
2eigt die Tatsache, daß wir unter den fast 300 Nummern nur 9 Märchen finden, die zum Teil
allerdings von köstlicher Urwüchsigkeit sind. An Legenden scheint, wie das ganze Rheinland,
auch das Jülicher Gebiet reich zu sein. Großen Wert legt der Verf. mit Recht auf die
Schwänke. Sie bieten reiche kulturgeschichtliche und volkstümliche Erkenntnisse.
Dem Buche H.s ist eine recht weite Verbreitung zu wünschen: es wendet sich bewußt
auch an den interessierten Laien, ohne den Wissenschaftler zu vernachlässigen. Ein Wunsch
sei gestattet: Eine Auswahl wie hier gibt keine Möglichkeit, die Häufigkeit der Motive
£u erkennen. Es wäre erwünscht, wenn in kurzen Stichworten, wie es schon Wisser tat,
Art und Zahl der nicht veröffentlichten Motive (vielleicht im Zusammenhang mit dem
Typenverzeichnis), die Häufigkeit der einzelnen Themen und die Zahl der Varianten an-
536
Sorbische Volksmärchen
gegeben würde. Für Arbeiten über die Verbreitung und die Wanderungen bestimmter
Motivgruppen sind solche Angaben sehr förderlich.
Daß ein Bericht über die Bedeutung Hoffmanns, daß reichhaltige Anmerkungen und ein
Wörterverzeichnis beigefügt sind, rundet die Arbeit erfreulich ab.
Paul BECKMANN-Rostock
Paul Nedo: Sorbische Volksmärchen. Systematische Quellenausgabe m. Einführung und
Anmerkungen. Bautzen, Domowina-Verlag, 1956. 447 S. (= Schriftenreihe des Instituts
für sorbische Volksforschung, Band 4).
Der Hrsg, hat zunächst das sehr verstreut vorliegende sorbische Märchenmaterial aus den
verstecktesten Winkeln aufgespürt, es alsdann kritisch gesichtet und für den vorliegenden
Band ausgewählt. Er hat dabei nach Möglichkeit alle Fehlerquellen eliminiert, wie sie ja
leicht bei der Märchenliteratur der Lausitzer zu erwarten waren, die seit Jahrhunderten von
Deutschen umgeben und mit ihnen durch zahlreiche Bande geschäftlicher und verwandt-
schaftlicher Art verknüpft sind. Nach dieser umsichtig durchgeführten Vorprüfung blieben
immerhin 86 Stücke übrig, die er als eigenständig ansehen konnte und die in ihrer Gesamt-
heit dem Leser einen guten Eindruck von dem Märchenreichtum jener kleinen slawischen
Volksgruppe an der oberen und mittleren Spree geben. In ihrer Mannigfaltigkeit umfassen
sie Tiermärchen, Zaubermärchen, legenden- und novellenartige Stoffe, sowie Geschichten
vom geprellten Teufel. Sie werden hier im sorbischen Original mit nachfolgender deutscher
Übersetzung gebracht.
Sehr verdienstvoll ist die einführende Übersicht über die Geschichte der sorbischen
Märchensammlung und -forschung. Der Anhang enthält zu den vorkommenden Märchen-
typen von Aarne-Thompson ausführliche Nachweise, die neben den Parallelen bei deut-
schen Nachbargruppen verwandte Stoffe aus dem Tschechischen, Slowakischen und Pol-
nischen heranziehen und die einem jeden Märchenforscher willkommen sind. So kann das
Werk als eine wesentliche Bereicherung der wissenschaftlichen Märchenliteratur angesehen
werden, und es ist nur schade, daß der Hrsg, keine der von ihm aufgefundenen und mit dem
Tonbandgerät aufgenommenen neuen Varianten in einem Anhang den älteren Texten an-
gefügt hat. Gottfried HENSSEN-Marburg
Paul Schlosser: Bachern-Sagen. Volksüberlieferungen aus der alten Untersteiermark.Wicn,
Selbstverlag des österreichischen Museums für Volkskunde, 1956. X, 98 S., 4Abb. im
Text. (=Veröffentlichungen des österreichischen Museums für Volkskunde, Band IX)-
Nach den Veröffentlichungen von Anton Schultes Die Nachbarschaft der Deutschen
und Slawen an der March und Leopold Schmidt Burgenländische Beiträge zur Volks-
kunde bringt nun das österr. Museum für Volkskunde in seiner Reihe einen weiteren Band
unter der gleichen Zielsetzung heraus: Der Band Bachern-Sagen ist Ruf und Aufforderung
zur gemeinsamen volkskundlichen Arbeit diesseits und jenseits deutscher Sprachgrenzen-
Diesen Ruf, der in der Einleitung Schlossers immer wieder ertönt, verstärkt Leopold
Schmidt, der Hrsg, der Reihe, in seinem ausführlichen Vorwort zum vorliegenden Bande
zu einer Forderung an die österreichische Wissenschaft, sich mit der Volkskunde der Grenz-
und Nachbargebiete mehr als bisher zu beschäftigen.
Der bekannte Forscher und Folklorist der Untersteiermark, Paul Schlosser (f 195^)’
legt mit diesen Sagen bereits den zweiten Sammelband untersteirischer VolkserzählungeR
aus dem seit 1918 zu Jugoslawien gehörenden Bachern-Gebiet vor. (Vgl. Paul Schlosser-
Der Sagenkreis der Postela. Ein Blick ins Bachernreich. Marburg a. d. Drau 1912.) Die jetzt
erscheinenden 101 Nummern sind eine Ergänzung der 1912 gedruckten 500 Nummern um-
wurden vom Hrsg, zwischen 1910 und 1918 in eigener Sammeltätigkeit aufgenommen. Wie
im ersten großen Band sind auch hier die einzelnen Erzählungen in die deutsche Sprache
übersetzt, denn die seit dem 12. Jh. in das Bachern-Gebiet, dem südöstlichsten Ausläufer
der Zentralalpen, zuwandernden Deutschen sind sprachlich in der slawischen Bevölkerung
aufgegangen. Groß ist noch die Zahl der deutschen Orts-, Flur- und Familiennamen, vom
Hrsg, in der Einleitung ausführlich dargestellt. Dennoch wäre gerade unter dem Gesichts-
punkt der geforderten Zusammenarbeit, hier speziell der österreichischen und jugo-
slawischen Forschung, eine zweisprachige Ausgabe wünschenswert gewesen, wie sie z. B.
von den sorbischen Volkskundlern angefertigt wurde [u. a. von Haupt-Schmaler:
Volkslieder der Sorben in der Ober- und Niederlausitz. Anast. Neudruck. Berlin, Akademie-
Verlag,1953. (= Veröffentlichungen der Kommission für Volkskunde, Bd. 3) und vonPAUL
Nedo: Sorbische Volksmärchen. Systematische Quellenausgabe mit Einführung und An-
merkungen. Bautzen, Domowina-Verlag, 1956. (= Schriftenreihe des Instituts für sorbische
Volksforschung, Bd. 4)]. Die Bachem-Sagen bleiben durch die deutscheFassung zwar schlicht
und verständlich im Ausdruck, doch entspricht der Wortschatz einer Literatursprache und
vermittelt so kein eindeutiges Bild von der Kraft und Farbe des Heimatdialektes. Sch.
hat allerdings die slowenische Volksdichtung vergleichsweise herangezogen und die Er-
gebnisse größtenteils in den Anmerkungen verarbeitet.
Der Sammler und Hrsg, stellt den Sagentexten eine sehr instruktive Einleitung mit der
Besiedlungsgeschichte des untersteirischen Bachernlandes voran und führt den Leser in
zwei weiteren kurzen Kapiteln (Land und Leute und Der Höhenweg) zu einer wirklichen
Kunde vom Volke des Bachern. Die geographische Beschreibung vermittelt die rechte
Einstimmung in die Waldlandschaft und formt eine feste Vorstellung von der Umwelt der
Deutschen im Grenzland der Bergslowenen. Der Sammler durchwandert die Heimat der
Sagenerzähler, verweilt längere Zeit an bedeutenden, von der Sage umkleideten Orten, wie
bei der Burg Poschtela, und kehrt zur kurzen Rast bei den alteingesessenen Gewährsleuten
ein. Erst jetzt ist der Blick des Lesers geschärft für das Typische und das Charakteristische
der folgenden Volkserzählungen, die sich nach der Darstellung der Geschichte und der
materiellen Kultur ihrer Erzähler und Träger organisch als deren geistige Äußerung dar-
bieten.
Die Gliederung der Texte wird entsprechend der großen Ausgabe von 1912 und ähnlich
dem Vorbild der GRiMMschen Sagensammlung nach den traditionellen Motivgruppen
vorgenommen: Den Sagen des Gespenster- und Totenglaubens, den natur- und landschafts-
gebundenen folgen Sagen von Zauber, von Hexen und Teufeln, darauf historische Sagen und
zum Schluß einige Legenden, Märchen und Schwänke in Auswahl.
Die Spuksagen und die Sagen vom Wilden Jäger schließen sich in den bekannten Motiven
eng an den Kern des entsprechenden deutschen Sagengutes. Sie werden interessant durch
eine enge Verbindung mit der nächsten Umgebung, deren Natur sehr liebevoll geschildert
ist, und durch eine unmittelbare Beziehung zum Erlebnis, das der Gewährsmann meist
selbst gehabt haben will.
Der Bachernwald war früher fast ausschließlich Herrschaftsbesitz. „Die schweren Strafen,
die in alter Zeit auf Wild- und Waldfrevel standen, haben es mit sich gebracht, daß die bäuer-
lichen Untertanen den Dominikalwald scheu gemieden haben. Er gewann für sie etwas
Geheimnisvolles, wenn nicht Unheimliches und wurde zum Revier der Geister und Ge-
spenster ihrer Sagenüberlieferung“ (S. 9). Das Wald- und Seengebiet bietet besonders
reiche Entfaltungsmöglichkeiten für die Sagentypen vom wilden Jäger, von Waldwesen,
See- und Waldgeistern. Häufig sind sie dem armen, aber arbeitsamen Siedler helfend- und
wohlgesinnt und bestrafen Geiz, Hochmut und Unterdrückung der Herren. Als typisches
Beispiel für das Zusammenwirken der geographischen und geschichtlichen Faktoren bei der
Sagenbildung kann Nr. 36 gelten: Der Schwarze See am Bachern.
Ähnliche Sagen, die wie diese eine sozialkritische Aussage enthalten, finden sich verstreut
unter den Motiv-Überschriften und entwerfen — zusammengesetzt—Teile einesBildes von der
gesellschaftlichen Schichtung des Bachernlandes in den Jahrzehnten und Jahrhunderten
vor dem 1. Weltkrieg (vgl. z. B. die Nrn 36, 37, 45, 47, 65, 73 [92]).
Die Kapitel IX und X, Legenden, Märchen und Schwänke, wünscht sich der Leser entweder
umfangreicher oder in einem gesonderten vollständigen Band. In dieser kleinen Auswahl
beeinträchtigen sie den geschlossenen Charakter des Sagenbuches.
538
Wo das Erz in Fülle blinkt
Dank der gründlichen Arbeit des österreichischen Museums für Volkskunde wurde das
Buch mit einem vorzüglichen Anmerkungsapparat versehen, woraus neben einem ausführ-
lichen Orts-, Personen- und Sachregister besonders die Quellen-, Literatur- und Brauchtums-
verzeichnisse zu den einzelnen Nummern hervorgehoben werdenmüssen. Elfriede MoseR-
Rath hat die Anmerkungen Sch.s wesentlich ergänzt und die vergleichenden Hinweise auf
die deutsche und internationale Erzählforschung auf einen modernen Stand gebracht.
Gisela ScHNEiDEWiND-Berlin
Wo das Erz in Fülle blinkt. Bergmannssagen, bearbeitet und hrsgg. v. Harry Trommer.
Holzschnitt-Illustrationen: Kurt Dietze. Leipzig, VEB Hofmeister-Verlag, 1956.
439 S-> 8°-
T. stellt in seiner Sammlung zahlreiche Bergmannssagen aus bekannten, breiteren Kreisen
jedoch nicht leicht zugänglichen Quellen zusammen. Er hat sich dabei eng an die Original-
fassung gehalten und ermöglicht durch jeweilige Quellenangabe und ein zusammen-
fassendes Quellenverzeichnis am Ende des Buches Vergleich und Nachprüfung. Lediglich
bei zwei Sagen (S. 3 5 ff. und 237fr.) ist die Herkunft unklar. In Verkennung des Wesens der
Volkssage jedoch reiht T. in die Auswahl von Bergmannssagen eine Anzahl „alter Berg-
mannslieder und Bergmannsballaden sowie auf der Volkssage beruhende Kunstdichtungen
in gebundener und ungebundener Form“ (S. 7) ein, die teilweise ungewöhnlich breit dar-
gestellt (z. B. S. 28off.), zum anderen innerlich unwahr (so S. 344fr.) sind. Selbst die meister-
hafte Erzählung E. T. A.HoffmanNs Die Bergwerke zu Falun (S. 357fr.) hat in einer Sagen-
sammlung nicht den passenden Platz. Ebenso erscheint es fraglich, ob die von T. ohne
Begründung in seine Sammlung mit aufgenommenen Schatzsagen in den Umkreis von
Bergmannssagen gehören.
Der Bergbauunkundige wird die Worterklärungen am Ende des Buches (S. 424fr.) als
willkommenes Hilfsmittel zum Verständnis zahlreicher, heute nicht mehr allgemein ge-
läufiger Bermannsausdrücke begrüßen. Als Lücke dagegen wird das Fehlen einer sach-
kundigen Erläuterung der Bergmannssagen empfunden, ohne die eine ernsthafte Sagen-
sammlung, selbst wenn sie nicht „rein wissenschaftlichen Zwecken dienen will“ (S. 8),
heute nicht mehr auskommt. Erst diese notwendige Arbeit, die der Auslegung der Sagen
die richtigen Wege zeigt, könnte auch die im Anhang beigefügten chronikalischen Berichte
mit dem Ganzen eng verknüpfen und ihnen damit die innere Berechtigung verleihen. Das
Äußere der Sammlung und die Holzschnitt-Illustrationen von Kurt Dietze sind an-
sprechend. Herbert CLAUSS-Dresden
Mathilde Hain: Sprichwort und Rätsel. In: Deutsche Philologie im Aufriß, hrsgg. von
Wolfgang Stammler. Berlin/Bielefeld/München, Erich Schmidt-Verlag, (1956).
29. und 30. Lieferung, Sp. 1903 — 1928.
Für das Gebiet der Kleindichtung, insbesondere des Sprichwortes, konnte die Wahl
kaum auf eine geeignetere Mitarbeiterin fallen als auf M. H., die mit ihrer Dorfuntersuchung
Sprichwort und Volkssprache (Gießen 1951) erstmalig der unmittelbaren Beziehung zwischen
Sprachform und Mensch nachgegangen und daher in der Lage ist, dem germanistischen
Leser des vorliegenden Handbuches die Augen auch für die volkskundlichen Gesichts-
punkte bei der Behandlung ihres Themas zu öffnen.
Im ersten Abschnitt wird das Sprichwort behandelt mit seinen Sammlungen, die von der
Fecunda Ratis des Egbert von Lüttich (1032) bis zu Samuel Singers großangelegten
Sprichwörtern des Mittelalters (1944—47) reichen. Zeigen diese Zusammenstellungen
meist eine gewisse, je nach dem Verfasser und seiner Epoche variierende Wertungstendenz
[hier darf man ergänzend zu der angeführten Literatur auf G. Voigts Aufsatz zu Wanders
Politischem Sprichwörterbrevier hinweisen: DJbfVk II (1956), S. 80—90], so beschränkte
sich die wissenschaftliche Sprichwortliteratur (Seiler, Jolles u. a.) bisher ausschließlich
Sprichwort und Rätsel
539
auf dessen sprachliche Gestalt. Erst die Verf. hat es verstanden, in ihrer oben erwähnten
Gießener Arbeit das Sprichwort in seiner lebendigen Funktion, an seinem ihm zugehörigen
Platz inmitten der spontanen Rede und als Ausdruck einer bestimmten Situation zu er-
fassen. Wir dürfen, ohne hier näher auf diese volkskundliche Betrachtung des Sprichwortes
einzugehen, auf R. Peeschs ausführliche Rezension zu dem genannten Werk der Verf. in
unserem DJbfVk i (1955), S. 469b verweisen.
Eine historische Betrachtung des Sprichwortes erfolgt dann an den Beispielen des volks-
tümlichen Rechtes, der volkstümlichen Predigt und der lehrhaften Erzählung, also eines Teil-
gebietes volkstümlichen Lesestoffes.
Wie sehr das Sprichwort dem lebendigen Sprachzusammenhang verhaftet ist und nur
als Motor einer Erzählung oder einer Wechselrede seinen richtigen Wert erhält, veran-
schaulicht H. in dem Absatz über das Beispielsprichwort. Von der Tierfabel des 16. Jhs
bis zum englischen „Wellerism“, einer aus Dickens’ Pickwickiern abgeleiteten Wort-
bildung, ist diese Redeweise literarisch zu verfolgen, mit der eine im Volksmund sehr beliebte,
wörtlich doppelsinnige Interpretation alter Spruch Weisheit zum Zwecke der Pointierung
einer Erzählung gemeint ist: „Alles mit Maß, sagte der Schneider: da schlug er seine Frau
mit der Elle tot.“ Auf die gemein-mittelalterliche Herkunft der deutschen und europäischen
Beispielsprichwörter weist Archer Taylor in seinen großen Untersuchungen über das
Sprichwort hin: The Proverb (1931) und Index to tlie Proverb (FFC 113, 1934).
Im letzten Teil behandelt H. Spirichwort und bildende Kunst, insbesondere im Zusammen-
hang mit Pieter Bruegels Sprichwortgemälde von 1539.
Dem Abriß über das Sprichwort folgt ein solcher über das Rätsel, ein oft bearbeitetes
Gebiet, weshalb sich die Verf. hier vor allem auf andere Monographien über diese Gattung
der Kleindichtung stützen kann (wie u. a. auf Robert Petsch: Das deutsche Volksrätsel,
Straßburg 1917» oder die Arbeit der Rez. in der SpAMER-Festschrift, Berlin 1953, S. 106
—120). In klarer geraffter Zusammenfassung wird die Geschichte des Rätsels und seiner
Erforschung dargestellt und die historisch-geographische Methode der großen Rätsel-
spezialisten Aarne und Taylor hervorgehoben (vgl. die folgende Rezension).
Reichen auch die literarisch überlieferten Rätselsammlungen von Reinmar von Zweter
(13. Jh.) über die Weimarer Oktavhandschrift (14. Jh.), das Straßburger Rätselbuch (1505),
seine barocken Nachfolger, die Räterbüchlein des 17. Jhs, bis zu den Rockenbüchlein, so
haben doch diese Zusammenstellungen von klösterlichen und weltlichen Scherzrätseln,
Wissens- und Scharfsinnsfragen das echte Volksrätsel nicht wesentlich oder nur auf Um-
wegen beeinflußt. Die wirklich volkstümlichen Rätsel, vor allem der Spinnstubengemein-
schaften, entzogen sich wegen ihres oft stark erotischen, ja obszönen Charakters lange Zeit
der schriftlichen Fixierung, bis im 19. Jh. die Sammelleidenschaft für volkstümliche Quellen
sich auch auf das Rätsel ausdehnte (vgl. insbesondere Richard Wossidlos Mecklenburgische
Volksrätsel, Wismar 1897).
Als sehr traditionskräftig erweist sich das biblische Rätsel, begonnen von dem vielfältig
behandelten Rätselkampf der Königin von Saba mit König Salomon über die eingeritzten
Adam- und Eva-Rätsel an den hessischen Bauernhäusern bis zu den (von der Verf. nicht
erwähnten) seit Jahrzehnten äußerst beliebten biblischen, parodistischen Scherzfragen.
H. lockert diesen Teil ihrer Darstellung wesentlich durch Hinweise auf die Funktion
des Rätsels im Hochzeitsbrauchtum auf, beim Frage- und Antwortspiel zur Lösung der
Braut aus ihrer Familie, worin die aus dem Traugemundslied und dem mittelalterlichen
Kranzsingen überlieferten Rätselfragen neues Leben gewinnen. Sie macht damit deutlich,
daß die literarisch überschaubare Geschichte des Rätsels keineswegs seine wirkliche Tradition
erfaßt, die in lückenloser Kontinuität ihr unbeachtetes Leben im Volke führte, heute vor
allem bei den Gesellschaftsspielen der Kinder und Jugendlichen.
Im Schlußabsatz über das Wesen des Rätsels referiert die Verf. die verschiedenen Theorien
über den sakral-kultischen oder intellektuellen Ursprung der Rätselfiagen und weist auf
André Jolles hin, der die „einfache Form“ des Rätsels in Zusammenhang mit der Mythe
sieht, wie auf Will-Erich Peuckerts ethnologische Exkursion über das Rätsel als kul-
tische Wissensfrage bei den Initiationsriten der „Geheimbünde“. Auch H. möchte dem-
540
A Collection of Irish Riddles
gegenüber, wie J. Huizinga in seinem Homo ludens (Amsterdam 1939) überzeugend ent-
wickelte, die ,,Spielqualität der Bildersprache“ in den Vordergrund stellen, die uralte
menschlische Freude an Scherz und spielerischer Erprobung der Geisteskräfte.
Für den Rebus, die Bilderschrift, bleibt leider in der vorliegenden Darstellung kein Raum,
obgleich diese Form mit ihren Ausläufern in die Scharade und in die Volkskunst auf Bauern-
tellern, Andachtsbildern, Pfefferkuchenherzen und Ostereiern in einer volkskundlichen
Untersuchung über das Rätsel nicht fehlen sollte (s. dazu vor allem Adolf Spamer, Bilder-
schrift. In: Sachwb. d. Dtschkde., Lpz./Bln. 1930, S. i5iff.).
Die Ergiebigkeit einer weltweiten Rätselsammeltätigkeit für die vergleichende Forschung
liegt auf der Hand. Bereits Herder meinte, hätten wir genügend Proben des kindlichen
Witzes der Völker, „ihres sich übenden Scharfsinns in Sprichwörtern, Scherzen und
Rätseln ..., wir hätten damit die eigensten Gänge ihres Geistes“.
INGEBORG WEBER-KELLERMANN-Berlin
Vernam Hüll and Archer Taylor: A Collection of Irish Riddles. Berkeley and Los
Angeles 1955. 129 S. (= University of California, Folklore Studies: 6).
Archer Taylor ist mit seinen Publikationen seit langem bemüht, die mehr oder weniger
gelegentlichen Rätselsammlungen einzelner Länder allmählich zu einem umfassenden
Corpus des internationalen Bestandes an Volksrätseln abzurunden1). Zu einem Standard-
werk solcher Bestrebungen konnte er sein 1951 erschienenes umfängliches Buch English
Riddles from Oral Tradition gestalten, das als eine vollendete Darstellung des volkstümlichen
Rätsels der englisch sprechenden Völker zu betrachten ist. Mit 1749 Rätseln und ihren Vari-
anten, einem klar gegliederten analytischen Register und vor allem einem 200 S. umfassen-
den Anmerkungsteil (S. 691 — 898) geht es jedoch über den Rahmen einer Rätselsammlung
weit hinaus und wird durch die Heranziehung von Parallelen aus allen Teilen der Erde zu
einem wahren Handbuch völkervergleichender Forschung auf diesem Gebiet der Klein-
dichtung. T. hat der Folklore damit ein Nachschlagewerk geschenkt, das mit seinen klaren
Abhandlungen zur Geschichte und Verbreitung der einzelnen Rätseltypen für alle folgenden
Rätselpublikationen als vorzüglich benutzbares „Typenverzeichnis“ unentbehrlich sein
wird.
Dieser Weg wurde auch bei der vorliegenden irischen Rätselsammlung beschritten, deren
irische Texte Vernam Hüll ins Englische übersetzte und A. T. anordnete und kommen-
tierte. Die Texte (nur die irischen werden hier genannt, während die in Irland umlaufenden
englischen Rätsel in dem vorerwähnten TAYLORschen Standardwerk Platz fanden) wurden
ausschließlich gedruckten Quellen entnommen, und zwar vor allem dem Journal der Irischen
Gesellschaft für Folklore Bealoideas. Auch der vorliegende Band will in erster Linie der
vergleichenden Forschung dienen und hat darum in seinen Anmerkungen (S. 91 —109),
abgesehen von der Zitierung der betr. Nr. in T.s großem englischen Rätselwerk, vor allem
auf die Beziehungen zu den schottischen, gaelischen, walisischen und bretonischen Parallelen
hingewiesen, um so gewisse keltische Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Zur Erreichung
dieses Ziels verhelfen die sorgfältigen Anmerkungen T.s, mit denen er z. B. charakteristische
Eigentümlichkeiten des irischen Rätsels in den Rahmenelementen, den Eingangsformcln
u. ä. feststellen kann.
Bedeutsamer noch als solche Unterschiede im einzelnen würden sich bei einem weit ge-
griffenen internationalen Vergleichsmaterial freilich die Gemeinsamkeiten im großen aus-
nehmen, die eine oftmals übereinstimmende geistig-seelische Grundhaltung der sozial
verschieden gruppierten volkstümlichen Rätselgemeinschaften verraten dürften (z. B.
J) A Bibliography of riddles. FFC 126, Helsinki 1939; The Literary Riddle before 1600.
Berkeley u. Los Angeles 1948; English Riddles from Oral Tradition. Berkeley u. Los Angeles
1951; An annotated Collection of Mongolian Riddles. Philadelphia 1954 [vgl. DjbfVk II
(1956), S. 435ff.].
Schriftsprache und Mundarten
541
Bauernrätsel, Fischerrätsel usw.)- Da den hier abgedruckten Rätseln nie ein Hinweis auf den
Gewährsmann, sondern lediglich auf die literarische Quelle beigefügt ist, könnte man
solche Rückschlüsse allerdings nur aus dem Rätselmilieu und den RätselstofFen ziehen.
Die Anordnung der Sammlung entspricht der bei T. üblichen und ist dem System von
R. Lehmann-Nitsche entliehen: Die Rätsel folgen sich nach dem Thema des Rätsel-
vergleichs (Mensch, Tier usw.), während auf S. 115 —128 ein alphabetisches Verzeichnis
der Rätsellösungen die Suche erleichtert. Dieses nun schon bewährte Ordnungsprinzip, so
gut es sein mag, kann jedoch nicht restlos befriedigen, nicht nur, weil sich die Rätselstoffe
überhaupt, sich überschneidend und ineinanderfließend, einer strengen Systematisierung
gern entziehen und zahlreiche Verweisungen erfordern; sie scheinen in der vorliegenden
Fassung im ganzen einen selbständigen Charakter zu erhalten, als festgelegte und einander
völlig gleichwertige literarische Produkte, wobei der Volkskundler die Einbeziehung ihres
jeweiligen Lebenskreises vermißt, aus dem heraus sie ja erst als charakterisierende Aussage
einer bestimmten Menschengruppe verständlich werden. Doch boten die bisherigen Rätsel-
sammlungen leider kaum ausreichende Unterlagen für derartige Zuordnungen.
Den Verf.n darf man jedenfalls für diese übersichtliche, gehaltvolle und gut benutzbare
irische Rätselausgabe sehr dankbar sein. Ingeborg WEBER-KELLERMANN-Berlin
Walter Henzen: Schriftsprache und Mundarten. Ein Überblick über ihr Verhältnis und
ihre Zwischenstufen im Deutschen. 2. neu bearbeitete Auflage. Bern 1954. 303 S.,
16 Abb.
Die zweite Auflage des stattlichen Buches erschien 15 Jahre nach der ersten, in neuer
Bearbeitung. Die dazwischenliegende Zeit mit dem zweiten Weltkrieg hat für den Verf.
wenig an neuen Ergebnissen erbracht. Die Bevölkerungsumschichtung, die in der Kriegs-
und besonders Nachkriegszeit eintrat und deren letzte Zuckungen bis heute spürbar sind,
ist in ihren sprachlichen Auswirkungen noch gar nicht zu überblicken und wissenschaftlich
ganzheitlich zu erfassen. Nur in lokalbegrenzter Beobachtung gibt es hier und da eine Nach-
richt über das sprachliche Verhalten der Umsiedler. Daher hat der Verf. auf verfrühte Mut-
maßungen über diese Vorgänge verzichtet. Anders ist der wissenschaftliche Zuwachs
für die Ziele seiner Untersuchungen. Unter ihnen hebt er als ertragreich besonders Adolf
Bach, Geschichte der deutschen Sprache, Heidelberg 1949, und die neu bearbeitete 2. Aufl.
desselben Verf.s, Deutsche Mundartforschung, Heidelberg 1950, hervor1). Die sonst vom
Verf. ausgewertete Literatur umfaßt die Namen von rund 460 Autoren. Darunter sind nicht
wenige, die mit mehreren Arbeiten vertreten sind. Diese Zählung der Rez. soll nicht nur die
Umsicht und Belesenheit des Verf.s beleuchten, sondern vor allen Dingen die Reichweite
seines Themas Schriftsprache und Mundarten. Nach der Beobachtung der Rez. gibt es
auf dem Gebiet der Mundartenkunde Zur Zeit keinen Gegenstand, der mehr erörtert wäre.
Die rd. 460 Autoren sind Wissenschaftler. Neben ihnen steht eine Vielzahl, ja eine Unmenge
von Verfassern, die in populären Zeitschriften und in Tageszeitungen, in Heimatbüchern
und Kreiskalendern usw. unermüdlich und unerschöpflich ihre Ansichten und Beobachtungen
zum Verhältnis zwischen Schriftsprache und Mundart behandeln. Aber außerdem ist dieses
Verhältnis auch Gesprächsstoff breitester, ja eigentlich aller Volkskreise und nicht zuletzt
aller Lehrer, weil jeder Sprecher in irgendeiner Form des täglichen Lebens von der Pro-
blematik des Themas betroffen ist.
Es ist daher keine leichte Aufgabe, der sich der Verf. mit seinem Buch unterzogenhat; aber
es ist auch keine leichte Aufgabe, es gründlich zu lesen. Es bringt keine festen Formeln zur
Definition von Wörtern wie Schriftsprache, Hochsprache, Gemeinsprache, Umgangssprache,
Volkssprache, Mundart, Dialekt, mit denen sich das erste Kapitel au seinander setzt. Aber dieses
Kapitel zeigt das lebendige und überaus komplizierte Ringen geistiger, psychischer und
gesellschaftlicher Kräfte im gesamtdeutschen Sprachbereich. Wie weit dieses Ringen schon
l) Vgl. DJbfVk 1 (1955), S. 467.
542
Feste angepackt
in älteren Geschichtsperioden vorhanden ist, erörtert das zweite Kapitel über das geschicht-
liche Verhältnis der Schriftsprache zu den Mundarten. Wie weit es sich heute gründet auf die
aus alter Zeit überlieferten mundartlichen Verschiedenheiten und der Einwirkung der
„höheren“ Sprache auf diese, ist Gegenstand des dritten Kapitels. Ein Anhang bietet
schließlich noch eine Zusammenstellung der wichtigsten Mundartzüge aus der Lautlehre,
der Deklination und Konjugation, der Stilistik, der Wortbildung und des Wortschatzes.
Die 16 Abbildungen zur Sprachgeographie zeigen neben Wiedergaben bereits bekannter
Sprachlandschaftsbilder auch eigene Darstellungen des Verf.s und sind in erfreulicher
technischer Sauberkeit gezeichnet. 12 Textproben aus mittelalterlicher und neuerer Zeit,
mit einigen Erläuterungen in gedrängter Kürze beschließen das überaus anregende, viel-
seitige, flüssig geschriebene Buch. Anneliese BRETSCHNEiDER-Potsdam
Albert Zirkler: Feste angepackt! Schaffende Menschen im Spiegel der sächsischen
Mundartdichtung. Leipzig, VEB Friedrich Hofmeister, o. J. (1956). 184 S.
Albert Zirkler hat hiermit als guter Kenner sächsischer Mundartdichtung seinen
bisherigen Sammlungen einen weiteren Band hinzu gefügt. Begleitet von stilgerechten,
wirkungsvollen Illustrationen Johannes Lebecks kommen Mundartdichter der Ober-
lausitz, des Elbsandsteingebirges, des Obersächsischen, des Erzgebirges und des Vogt-
lands zu Gehör aus dem Zeitraum von 1800 bis heute. In Gedichten und in Erzählungen, die
meist aus einem größeren Zusammenhang genommen sind — auch das dramatische Schaffen
ist vertreten mit dem zweiten Akt von Emil Rosenows Komödie Kater Lampe —, wird
uns der Volksmensch in seiner Arbeit und seiner Arbeitseinstellung vor Augen geführt.
Gliederungsprinzip sind dabei die für diese Landschaft charakteristischen Berufe. So ist
der Bogen weit gespannt: vom Bauern, Holzmacher und Bergmann über Handwerk und
Hausindustrie, vertreten durch Schmied, Weber, Klöpplerin und Spielzeugmacher, bis zum
Fabrikarbeiter und Handelsmann; auch die Musikanten sind nicht vergessen. — Erläute-
rung der Mundartschreibung und ein Verzeichnis der Mundartdichter (Friedrich Emil
Krauss wurde übersehen!) sind beigefügt.
Während die neben der Mundartdichtung aufgenommenen Volksdichtungen wie
Tschumperliedeln, Drescherverse, Wetterregeln, Sprichwörter und Volkslieder geglückt
die Arbeitsbilder abrunden und unterbauen, gibt nicht jede der aufgenommenen Dich-
tungen im Rahmen des jeweiligen Berufsbildes einen besonderen, neuen Ton; gelegentliche
Streichungen könnten dem abhelfen. Hervorgehoben werden muß der verhältnismäßig
große Anteil gegenwärtiger Mundartdichter in allerdings unterschiedlich gelungenen
Beiträgen.
Doch können diese kleinen Mängel nicht die nachhaltige Wirkung des Buches beein-
trächtigen. Die Liebe des Volksmenschen zu seiner Arbeit, die er mit allen Kräften seines
Menschseins umgreift, seine Ausdauer und Geduld, seine Ohnmacht in sozial oft
kaum mehr ertragbarer Lage wird zum Erlebnis, das zum Eintreten für diesen Menschen
und seine Lebensbedingungen aufruft. Es ist Albert Zirkler gelungen, den bisherigen
Themen mundartlicher Sammlungen einen neuen, tragenden Akkord hinzuzufügen.
Gerda GROBER-GLÜCK-Greifswald
Josef Dünninger: Brauchtum. In: Deutsche Philologie im Aufriß, hrsgg. von Wolf-
gang Stammler. Berlin/Bielefeld/München, Erich-Schmidt-Verlag, (1956). 30. Liefe-
rung, Sp.2007—2064.
Wer sich wie der Verf. der großen Aufgabe unterzieht, auf knapp 60 Seiten eine für
weite Wissenschaftskreise lesbare Zusammenfassung über ein bestimmtes Forschungs-
gebiet zu liefern, wird auf der einen Seite mit vollem Recht den Dank seiner Leser finden,
die hier eine mit reichen Literaturangaben sorgfältig unterbaute Darstellung des behandelten
Brauchtum
543
Stoffbereiches als Nachschlagetext erhalten. Zum anderen aber muß er von Anfang an der
Kritik seiner Fachkollegen gewärtig sein, der er sich in jedem Falle aussetzt, wie immer er die
Sache auch anpackt. Diese Kritik wird, besonders bei einem so gründlich und kenntnis-
reich gearbeiteten Aufriß wie dem vorliegenden, lediglich aus dem Bestreben erwachsen,
für das behandelte, dem Rez. am Herzen liegende volkskundliche Teilgebiet die Aufmerk-
samkeit auch noch auf andere Blickpunkte als die des Verf.s zu richten, die unwillkürlich
durch ihre Veröffentlichung an derartiger Stelle eine gewisse Allgemeinverbindlichkeit zu
erhalten scheinen. Angeregt durch die Lektüre seien darum referierend weitere Anregungen
geboten, die auch wiederum den weiten Umkreis des Geländes keineswegs zur Gänze ins
Auge fassen können.
Die Disposition des Aufsatzes nennt als i. Kapitel die Wesensbestimmung des Begriffes
Brauchtum, deren Besprechung wir jedoch der besseren Verständlichkeit halber an den
Schluß unserer Rezension stellen wollen.
Im 2. Absatz gibt D. eine lehrreiche und erschöpfende Übersicht über Forschungs-
geschichte und Forschungsmethoden, womit nicht nur die Brauchtumsforschung, sondern
auf weiten Strecken die Entwicklung der volkskundlichen Wissenschaft überhaupt ihre
Darstellung erfährt. Über das Schrifttum des Humanismus und der Aufklärung gelangt der
Verf. in die für die Volkskunde höchst bedeutsame Geistesgeschichte des 19. Jhs und arbeitet
speziell für das Brauchtum als die drei grundlegenden Methoden die hochmythologische
Interpretation Jacob Grimms, die dämonologischen Forschungen Wilhelm Mannhardts
und schließlich die Entwicklungstheorien der völkerpsychologischen Schule mit Wundt,
Lü:vy-Brühl, Bastian u. a. heraus. Deren mehr oder weniger einseitigen Blickrichtungen
stellt er die Forschungen der jüngsten Zeit gegenüber, die, befruchtet durch die Erkennt-
nisse der modernen Tiefenpsychologie (Jung) und Völkerkunde (Jensen) zu einer Zu-
sammenschau der Phänomene gelangten. Als Frucht der gleichzeitigen Anwendung philo-
logisch-historischer (kulturmorphologischer), soziologischer, psychologischer und geo-
graphischer Methoden reifte die Erkenntnis, daß auch die Bräuche nur in ihrer jeweiligen
geschichtlichen Situation und Funktion verbindlich gedeutet und darüber hinaus in ihrer
unveränderlich lebendigen Kraft an allen geschichtlichen Orten erfaßt werden können.
Eine klare Übersicht über Grundelemente, Formen und Gestaltungsprinzipien im 3. Ab-
schnitt bereichert der Verf. durch ausführliche Hinweise auf die Entwicklungsphasen des
Brauchtums, auf Wachstum und Verfall, auf seinen Formwandel inmitten gewandelter
Umweltsituationen. Hier sei ergänzend auf die methodisch außerordentlich weiterführenden
Gedankengänge Friedrich Siebers hingewiesen (Aspekte der Brauchtumsforschung. In:
Wissenschaftliche Annalen 1956, H. 6, S. 497—503), der folgendermaßen formuliert:
,,Im allgemeinen kann man die Entwicklung eines Brauches, der auf alten Glaubensvor-
stellungen beruht, in drei Erscheinungsformen fassen, wenn er sein ganzes Brauchleben bis
Zu Ende durchlaufen hat: Er erscheint als Glaubensform, als Spielform, als Veranstaltungs-
form.“ Sieber schafft damit sehr gut anwendbare und klärende Begriffe und führt den
Brauch auf die Ebene zurück, auf der er in der volkskundlichen Forschung seinen Platz
einzu nehmen hat: als gestaltende und gestaltete Funktion innerhalb einer Trägergemeinschaft.
Diese für D. allerdings „mehr sekundäre Frage nach den Brauchtumsträgern“ behandelt
er im 4. Abschnitt unter dem Thema Soziologie, welchem bisher arg vernachlässigten
Gebiet er dankenswerterweise einen sehr breiten Platz einräumt. An zahlreichen Beispielen
wird der soziale Charakter von Brauchformen dargestellt, „Brauchtum als soziologisches
Phänomen ..., im Rahmen der Vollzugsgemeinschaft und der Überlieferungsgemeinschaft“.
Die Bedeutsamkeit der Bräuche für die Erkenntnis der Sozialbeziehungen, des sozialen
Rechtsempfindens, der Alters- und Geschlechtsverbände, der Arbeitsgemeinschaften usw.
erscheint für den Leser, soweit es in einer solchen Zusammenfassung möglich ist, in neuer
Beleuchtung. Auch hier sei ergänzend auf den schon erwähnten Aufsatz Friedrich
Siebers hingewiesen, in dem er vom Volkskundler für die Arbeitsbräuche größere Auf-
merksamkeit fordert; allzuleicht sähe der Brauchtumsforscher nur die festlichen Er-
scheinungen des Jahreslaufes und Lebenskreises und übersähe die bedeutsame Beziehung
544
Brauchtum
zwischen Arbeit und Brauchtum, für deren Durchdringung allerdings eine gründliche
Kenntnis des alten Arbeitslebens vonnöten sei.
Das Kapitel Soziologie, dem noch eine kurze Übersicht über die Wichtigkeit der Aus-
wertung geschichtlicher Quellen folgt, ist zweifellos das Kernstück der vorliegenden Zu-
sammenfassung. Anregend und weitblickend geschrieben, bietet es dennoch manche
Angriffsfläche und umgeht zentrale Gebiete sozialer Fragestellungen, die z. B. gerade der
oft zitierte Meuli angeschnitten hat: die Frage, wie sich soziale Proteste ganzer Gruppen in
brauchtümlichen Handlungen Ausdruck schufen, wie alte Inhalte bestimmter Brauchvor-
gänge (maskierte Umzüge) durch die Geistigkeit der tragenden Gruppe eine völlige, nur
aus den örtlichen Sozialverhältnissen heraus erklärbare Umdeutung erfuhren und damit zu
echten Zeugnissen der Volksgeschichte werden.
D. differenziert drei soziologische Fragestellungen, von denen erst als dritte die nach den
Brauchtumsträgern genannt wird. Als zweite nennt er „Formgebungen sozialer Erlebnis-
bereiche“, während er im ersten Fragenkomplex darstellen möchte, wo „Brauchtum grund-
sätzlich ... als soziale Form und Funktion erscheint“. Ein etwas schwer zu entwirrendes
Knäuel von Begriffen, zumal wenn man zum ersten Kapitel, den Wesensbestimmungen zurück-
blättert. Bei der Darstellung der Merkmale, die das Wesen des Brauchtums ausmachen, be-
zeichnet es der Verf., ehe er seinen Überlieferungscharakter betont, als „soziales Tun“,
ordnet also hier den ganzen Brauchtumskomplex en bloc in den sozialen Form- und Funk-
tionsbereicb hinein. Hinzu kommt, daß ein „soziales Tun“ etwas anderes ist als ein „Handeln
in einer Gemeinschaft von Menschen“ (Geiger-Weiss). Nicht alle Gemeinschaften
müssen notwendig soziale Gemeinschaften sein, wobei an die Traditionskreise der Advents-
kerzenanzünder, der Weihnachtsbaumschmücker, der Silvesterpfannkuchenesser usw.
erinnert sei, die sich gar nicht untereinander zu kennen brauchen und durchaus Einzelne
sein können, ohne daß damit der brauchtümliche Charakter ihres Tuns in Zweifel gesetzt
werden darf.
Wenn in dem vorliegenden weitgespannten STAMMLERschen Handbuch zur deutschen
Philologie die Volkskunde in all ihren Einzelgebieten ausführlich zu Worte kommt, werden
die Referenten sich ihrer Aufgabe voll bewußt sein, dem fachfremden Wissenschaftler eine
verbindliche und bündige Auskunft über das jeweilige Gebiet zu vermitteln. Zumal die
ersten Seiten eines solchen Beitrages, in unserem Falle das Kapitel Wesensbestimmung,
werden im Leser die Neugier auf klare und klärende Definitionen erwecken, die ihm das
Wesen eines solchen zentralen Gebietes wie „Brauchtum“ wissenschaftlich bestimmen
mögen, eines Gebietes, dem im allgemeinen sicher weit lebhaftere erlebnis- und gefühls-
mäßige Interessen entgegengebracht werden als manchem anderen Randgebietsthema dieses
Sammelwerkes. Hören wir nun, was D. dem Leser zu Beginn seines Beitrages als Wesens-
bestimmung seines Leitbegriffes „Brauchtum“ zu bieten hat:
„Brauchtum, so mag es als Formulierung vorweggenommen sein, ist ein Grund-
phänomen des menschlichen Gemeinschaftslebens, eine Urtatsache, wo Menschen als
Gruppe, als Kollektivum erscheinen. Es ist da und hat immer eine bedeutende Funktion,
wo uns Völker in ihrer Frühzeit begegnen; es begegnet uns, wo Völker in Spätkulturen sich
aufzulösen und zu vergehen scheinen; es ist da, wird in zäher Tradition festgehalten, aber
auch in immer neuen Formen wieder ausgebildet. Es wäre darum falsch, Brauchtum nur
in den altüberlieferten Traditionen zu suchen und es nur von seinen frühzeitlichen Ur-
sprüngen her interpretieren zu wollen. Es ist eine geschichtliche und gegenwärtige Er-
scheinung zugleich.“
Stellen wir diesen Zeilen, die ja durchaus wichtige und interessante Leitsätze bringe11
und denen auf weiten Spalten in ausführlicher Fortsetzung für den Kenner der Materie
dann die notwendigen Grundgedanken folgen, die von R. Weiss in seiner Volkskunde der
Schweiz (S. 155) wiederholte GEiGERsche Definition (P. Geiger, Deutsches Volkstum
in Sitte und Brauch, 1936, S. 3) gegenüber:
„Da das Wesen eines Volkes durch Gemeinschaft und Tradition bestimmt ist, läßt sich
Brauch definieren als eine Art zu handeln, die durch Überlieferung in einer Gemeinschaft
von Menschen als richtig oder verpflichtend empfunden wird.“ Dieser Satz enthält 10
—
| m M11__
Brauchtum
545
klaren Worten einen Maßstab, den man an bestimmte Erscheinungen des Gemeinschafts-
lebens anlegen kann; er liefert methodisch anwendbare Begriffe.
Im folgenden nun geht D. zunächst auf seinUntersuchungsobjekt ein, den Gemeinschafts-
menschen in seiner geistig-seelischen Vielschichtigkeit, den „Volksmenschen“ (vgl. Adolf
Spamer, Wesen und Aufgaben der Volkskunde. In: Die deutsche Volkskunde, 1934, Bd. 1,
S. 4), obgleich dieser Begriff nirgends angewandt und lediglich Jensen (1951) zitiert wird.
Am Schluß des Abschnittes und nach Erwähnung der Wortgeschichte fordert der Verf.
eine klare Scheidung von Sitte und Brauch (Spalte 20x0): „Brauch liegt in der Sphäre des
kultischen oder festlichen Handelns, ist ein erhöhendes Tun und Handeln, eine Ausdrucks-
form ... Sitte ist soziales Gebot ... Was Sitte und Brauch verbindet, ist, daß Sitte zur Aus-
übung des Brauches verpflichtet. Sitte ist in diesem Sinne die Voraussetzung des Brauches,
das, was ihn fordert... Die Traditionskraft des Brauchtums hat ihre Voraussetzung in
solchem Gebot der Sitte.“
D. stützt sich mit diesen Ausführungen nach seinen eigenen Worten auf Festlegungen
der Soziologie und glaubt, damit der Volkskunde einen „wesentlich methodischen Mittel-
punkt und Grundbegriff ihrer Forschungsarbeit“ zu liefern. Er bezieht hier eine sehr ein-
deutige Stellung auf einem alten Diskussionsfeld der Brauchtumsforschung. Das Wortpaar
,,Sitte und Brauch“ hat von jeher zur Erläuterung wesensmäßiger Unterschiede gereizt
von Wilhelm Wundx über Ihering (Sitte als Sicherheitspolizei des Sittlichen) zu Sartori
(Volkssitte und Kunstsitte), um nur einige Namen zu nennen. Alle dargebrachten Lösungen
konnten nicht befriedigen, und auch die vom Verf. aufgeführten Merkmale, die den Brauch
in das Gebiet des reinen Vollzuges, des bloßen überlieferungshörigen Handelns verweisen,
der Sitte dagegen die Rolle des sozialen geistigen und ethischen Antriebs zuschreiben,
stimmen den Leser ein wenig skeptisch. Steht tatsächlich hinter jedem „Brauch“ eine „Sitte“?
Hier schwingt offenbar für den Verf. wieder jenes verwandte Wortk'iangbild „Sittlichkeit“
herein, das aber doch zur „Sitte“ in wesentlichem Gegensatz steht: bezieht sich diese auf
einen bestimmten Raum (was in einem Dorf „Sitte“ ist, kann schon im Nachbardorf ver-
lacht werden), so umgreift jene allgemein menschliche Maßstäbe ethischen Handelns. Auch
in den angeführten Beispielen D.s (vor Tisch beten, festliches Mahl am Beschluß einer
Gemeinschaftsarbeit) leuchtet jener moralisch gefärbte Schwesterbegriff auf, der an anders
gewählten Beispielen ins Wanken geriete. Denken wir ihn uns z. B. folgendermaßen an-
gewandt: „Die Traditionskraft des Brauchtums“ des Fensterlns „hat ihre Voraussetzung
in solchem Gebot der Sitte“.
Wir folgen dem Verf. so weit, daß wir „Sitte“ weitergespannt als „Brauch“ erkennen,
als Verpflichtung des einzelnen und schützende Regelung im zwischenmenschlichen Um-
gang. Doch halten wir trotz seiner Differenzierungen eine strenge Begriffsscheidung weder
für methodisch durchführbar noch für notwendig. Denn natürlich ist auch der Umkreis
der Sitte nicht damit ausgeschritten, daß man ihn nur in seinem Verhältnis zum Brauch sieht.
Bei der Zuordnung bestimmter Erscheinungen zu dem einen oder anderen Gebiet wird man
allzuleicht auf verschwimmende Grenzen stoßen, die sich schnell zu breiten Übergängen
ausweiten.
Eine Wesensbestimmung des Begriffes Brauchtum wäre vielleicht weniger durch seine
Abgrenzung zum Begriff der Sitte zu gewinnen, als durch die Herausarbeitung seiner Be-
sonderheit im Vergleich zu den verwandten Grenzgebieten: zu Volksrecht, Volksglaube,
aber auch zu Mode und Gewohnheit. Dann hätten wir sorgfältig das zu betretende Gelände
abgesteckt, dessen Charakterisierung durch die Kenntnis der angrenzenden Parzellen schon
Wesentlich erleichtert wäre. Führte uns die Einengung des Begriffes zu einer Klarsicht seines
eigentlichen Gehaltes, so dürften wir vom so gewonnenen sicheren Terrain aus nunmehr
in die Weite schauen und „Sitte und Brauch“ erkennen als das zentrale Gebiet der Volks-
kunde: Ausstrahlend auf Sage und Lied, in denen längst vergangene Brauchhandlungen
ihren Niederschlag finden, und aufnehmend all jene Gebiete der „Volkskunst“ und „.materi-
ellen Volkskultur“, die ohne ihre Einbettung im Funktionsbereicb von Sitte und Brauch
2u sinnleeren Formhüllen absinken.
*4 Volkskunde
546
Attische Feste
Die methodische Erfassung des Forschungsgebietes „Sitte und Brauch“ wurde durch
die reiche Darstellung des Verf.s wesentlich weitergeführt. Daß auch dieser Aufriß jedoch
noch kein endgültiges Rezept bieten kann, daß die Kenntnis vom Gruppenmenschen und
seinen brauchtümlich bestimmten Kollektivhandlungen noch manches Rätsel bis zu seiner
Lösung aufgeben wird, bildet ja auch wiederum den Reiz unserer Wissenschaft.
Schließlich sei noch ein Faktum kritisch angemerkt: D. beendet seinen ersten Abschnitt
mit einer kurzen Literaturübersicht über die wichtigsten zusammenfassenden Brauchtums-
darstellungen vom HWdA über Sartori, Geiger, Fehrle, Koren bis zu Gugitz.
Spamer fehlt, wie überhaupt dieser Name in der ganzen Untersuchung D.s an keiner
einzigen Stelle genannt wird. Was den Verf. zu einer solchen Maßnahme veranlaßt hat, ist
der Rez. unverständlich, die neben anderem den Beitrag von Spamer über Sitte und Brauch
in Pesslers Hdb. d. dt. Volkskunde Bd. 2, S. 33—236, für die umfassendste vertiefte
Darstellung der deutschen Bräuche in ihrem geschichtlichen Entwicklungsgang zu halten
sich nicht versagen kann. Ingeborg WEBER-KELLERMANN-Berlin
Ludwig DeubneR: Attische Feste. Berlin, Akademie-Verlag, (1956). 266 Seiten, 40 Taf.
D.s Buch, erschienen 1932, fand bei bedeutenden Kennern der altgriechischen Religion1)
Anerkennung und Zustimmung. Nach nahezu 25 Jahren entschloß sich die Deutsche
Akademie der Wissenschaften zu Berlin zu einem unveränderten Nachdruck, um die
Nachfrage nach diesem vortrefflichen Arbeitsinstrument zu befriedigen. Nicht als ob D.s
Forschungsergebnisse unanfechtbar seien und unangefochten geblieben wären. Eine solche
Evidenz der Forschungsergebnisse ist bei der trümmerhaften und durch zahllose Abschriften
entstellten literarischen Überlieferung, der Vieldeutigkeit des archäologischen Materials,
der Knappheit der inschriftlichen Angaben, nicht zu erzielen. Was aber dieses Buch auf
noch nicht absehbare Zeit unentbehrlich macht, ist sowohl die Fülle des herangezogenen
Stoffes als auch die Gründlichkeit und keiner Schwierigkeit ausweichende Folgerichtigkeit
seiner Durchdringung.
Die Feste sind unter der oder den Gottheiten abgehandelt, denen sie gelten, angefangen
mit Athena, endend mit den mythischen Heroen und den heroisierten Toten. Zwei weitere
Kapitel betreffen das „Konfirmations“fest der Apaturien und die späten Feste zu Ehren der
vergöttlichten lebenden Herrscher, die, da sie keine religiöse, sondern nur politische Be-
deutung haben, anhangweise abgetan werden konnten. In zwei Beilagen wird bestimmtes,
im Hauptteil viel benutztes archäologisches Material detailliert. Es folgen Register, Ver-
zeichnis der Tafeln und einige Nachträge. Den Beschluß bilden ein Jahreskalender, in den
alle Feste, soweit sie vom Autor zeitlich festgelegt wurden, eingetragen sind, und die zahl-
reichen Tafeln, die infolge des Klischeeabzuges die Schärfe der 1. Auflage nicht erreichen.
Wer sich um die ins einzelne gehende Rekonstruktion dieses oder jenes attischen Festes
bemüht, sei auf die obengenannten Besprechungen und M.P.Nilssons Geschichte der
griechischen Religion I2 (1955), II (1950), die im Rahmen der Handbücher der Altertums-
wissenschaft erschienen ist, verwiesen. Dort wird er weitere Literatur finden. Um dem-
jenigen, der mit der altgriechischen Religion nicht vertraut ist, insbesondere dem Studieren-
den der modernen Volkskunde, anzuzeigen, was er in D.s Buch an Brauchtum findet,
das mutatis mutandis zu allen Zeiten und allen Orten der Erde wiederkehrt, sei ein kurzer
Hinweis auf die Arten der Feste, wie sie sich nach dem Grade ihrer volkskundlichen Be-
deutung gruppieren lassen, gegeben.
Da sind an erster Stelle diejenigen Zu nennen, die der Fruchtbarkeit und Gesundheit von
Natur und Mensch gelten. Sie verteilen sich auf verschiedene Gottheiten je nach dem Aspekt
ihrer Begehungen. Im Kult der Demeter und der Kore als der Herrinnen der agrarischen
Fruchtbarkeit begleitet eine Reihe von Festen das Wachstum des Getreides von der Aus-
x) H. J. Rose: Journal ofHellenic Studies 53 (1933), S. 146ff.; M. P. Nilsson: Deutsche
Literaturzeitung 1933, Spalte 19690".; A. D. Nock: Gnomon 10 (1934), S. 29off.
Attische Feste
547
saat bis zur Ernte. Dem Gotte des Weinbaus, Dionysos, gelten das herbstliche Kelterfest
und die „Faßöffnung“ im Frühling; hier, im Frühling, wird er darüber hinaus als Gott der
natürlichen Vegetation überhaupt bei seinem Einzug in Athen gefeiert. Selbstverständlich,
daß auch der eigentlich „politischen“ Göttin Athena als der speziellen Beschützerin der
Stadt Athen und somit auch ihrer Felder und Fluren einige Feste dieser Art geweiht waren.
Apollon dem Gott der physischen und psychischen Reinheit zu Ehren, werden gewisse,
das Übel vertreibende, das Gute bewirkende Bräuche vollzogen. Vom Vegetativen losgelöst
und mehr aufs Menschliche bezogen erscheinen, entsprechend dem Wesen der Gottheiten
in charakteristischer Verschiedenheit, hier die Mysterien der Demeter, den Menschen mit der
innerlichen Freude erlangter ewiger Glückseligkeit erfüllend, dort der Übermut und bis zur
Ekstase reichende Überschwang der Feste des Dionysos. Als zweite Festgruppe seien die den
Stationen des menschlichen Lebens, Geburt, Kinderzeit, Eintritt in den Kreis der Erwachsenen,
Hochzeit, Tod, geltenden Feste zusammengefaßt; als dritte die den mittelalterlichen Zunft-
festen vergleichbaren Feiern der Handwerker, der Ärzte, der Hetären, insbesondere die
gymnastischen und musischen Veranstaltungen der Schuljugend; als vierte schließlich die
nationalen Gedenktage. Diese letzte Gruppe wucherte von Beginn der hellenistischen Zeit
an sehr stark, wo sie zur Schmeichelei der jeweiligen politischen Größe ausartete; ihr Pomp
steht in krassem Gegensatz zur Leere an religiösem und volkskundlichem Gehalt. Zu
beachten ist, daß all diese Feste einerseits teils als Begehungen des Gesamtstaates voll-
zogen werden, teils Angelegenheiten engerer Gruppen, wie Vereinen mannigfachen
Charakters oder Geschlechts- und Familienverbänden sind; daß sie andrerseits teils in der
Hauptstadt teils in den ländlichen Bezirken stattfanden; Augenmerke, die von nicht
geringem volkskundlichen Belang sind, jedoch bei der nach anderen Gesichtspunkten
erfolgten Anlage des Buches leicht übersehen werden.
Die griechischen Götter sind verschwunden. Die ihnen gefeierten Feste haben sie mit ins
Grab genommen. Die vielen Riten jedoch, älter als die Ausbildung der Göttergestalten
und ihrer Feste, leben als Brau chtu m im niederen Volksglauben z. T. bis auf den heutigen
Tag fort. Aus der Menge der Riten seien genannt: der „Maibaum“ (slpcauovT]), die Zoten-
reißerei (aiCT^poXoYta), der Kleidertausch zwischen den Geschlechtern, das Schirmtragen,
Schaukeln (aiwpa), Sackhüpfen (acrxcoXiaagoi;), Wettrinken, Beschenken der Kinder am
„Kinderfeste“, Austreiben des „Sündenbockes (tpappaxoq), vor allem die so großartigen
und zukunftsträchtigen chorischenund szenischen Aufführungen an den Festen des Dionysos
u. a. m.
Der Volkskundler wird D.s Buch manche Parallele zu noch heute gültigem Brauchtum
entnehmen können. Er wird aber auch seinerseits, ausgerüstet mit Analogien vieler Räume
und Zeiten, trotz vieler auf diesem Gebiet geleisteten Arbeit2) noch etliche Beiträge zur
Erhellung des attischen Festkalenders und des antiken Volksglaubens überhaupt leisten
können. In zweifacher Hinsicht kann das erfolgen:
1. Bereits M. P. Nilsson hatte in seiner Besprechung daraufhingewiesen, daß, um ein
Volles Verständnis der attischen Feste zu gewinnen, es nötig sei, die gleichgearteten nicht-
attischen Feste heranzuziehen und bedauert, daß D., wiewohl er sich diesem Gesichtspunkt
keineswegs verschloß, dennoch keine Gesamtdarstellung der griechischen Feste gegeben
habe3). Man kann hinzufügen: auch volkskundliche Parallelen werden diesen und jenen
Zug antiken Festgeschehens aufhellen.
2. Man darf nicht vergessen, daß das Material aus einem tausendjährigen Zeitraum bei-
gebracht ist. Die Griechen des 5. Jhs vor Christus empfanden religiös anders als die des
5. Jhs nach Christus. Wie leicht sich im Verlaufe so langer Zeit die Feste verändern können,
2) Zur volkskundlichen Forschungsrichtung im Studium der antiken Religion vgl.
M. P. Nilsson: Geschichte der griechischen Religion I2. (1955), S. 3.
3) M. P. Nilsson selbst hat sich dadurch, daß lange vor D. die attischen Feste von
August Mommsen behandelt worden waren, auf die nichtattischen in seinem Buche:
Griechische Feste von religiöser Bedeutung mit Ausschluß der attischen, (1906), beschränkt.
548
Joachim von Fiore
teils durch gegenseitige Beeinflussung, teils dadurch, daß Riten unverständlich und in
der Art ihrer Begehungen sinnlos werden, daß sie ganz verschwinden und neu entstehen
können, wird der Volkskundler bestätigen, der etwa auf die Geschichte deutschen Brauch-
tums seit Bestehen einer deutschen Nation blickt. Aus D.s Buch gewinnt man den Eindruck,
als ob die Feste den gesamten Zeitraum der Antike hindurch sich nicht verändert haben.
Wenn dann andererseits Widersprüche der Zeugnisse konstatiert werden, so empfiehlt
sich zunächst eher die Frage, ob sie nicht verschiedenen Zeiten entstammen und eine Ver-
änderung bekunden, als daß man sie um jeden Preis miteinander in Übereinstimmung zu
bringen sucht. Günter DuNST-Berlin
Alfons Rosenberg: Joachim von Fiore — Das Reich des Heiligen Geistes. Münch en-
Planegg, Otto Wilhelm Barth-Verlag, 1955. 154 Seiten.
Die Wissenschaft ist auf Joachim von Fiore, den Calabresischen Abt, den Dante als
Propheten in den Himmel versetzte, immer gründlicher eingegangen, seitdem Denifle 1885
auf die Handschriften zurückgriff und die exakte Joachim]orschung begründete. Seine Hoch-
schätzung besonders in kirchengeschichtlichen Lehrbüchern und Untersuchungen ist von
Jahrzehnt zu Jahrzehnt gestiegen. Man kennt ihn als großen Führer des Symbolismus im
12. Jh. und des anschließenden Spiritualismus. Wesentlich auf ihn geht der Traum vom
Engelpapst zurück, der in dem mit dem Jahre 1260 anbrechenden Reich des Geistes die
Führung der Kirche und der Welt übernehmen wird. Die Franziskanerspiritualen haben den
Heiligen von Assisi als den von Joachim geweissagten dux ausgegeben. Da der Einfluß
des geheimnisvollen Mannes über Böhme, Lessing, Schelling und Baader bis in die
Gegenwart reicht, ist die Vorlage des ansprechend ausgestatteten Büchleins über ihn, das
mit einer breiten Leserschaft zu rechnen scheint, wohl zu begreifen.
Mehr als die Hälfte des Buches wird durch Texte aus den echten Schriften beansprucht,
in der Übersetzung von R. Birchler. Wir halten die Auswahl für geschickt; sie vermittelt
gute Eindrücke von der Inspiriertheit Joachims, von seiner Zeitenlehre, vom Jahr des
Heils 1260, von der Eigenart der typologisch-allegorischen Exegese, von der Zahlenmystik,
vom Antichristgedanken, von den symbolischen Bildern des Figurenbuches u. a.
Das einleitende Kapitel von R., interessant geschrieben, ist geeignet, vom Leser mit
Spannung aufgenommen zu werden. Was über Joachims Leben, seine Schriften und seine
geistesgeschichtlichen Nachwirkungen gesagt ist, dürfte vor der Kritik bestehen, desgleichen
die lebensvollen Ausführungen zur typologischen Exegese (concordantia wird mit „symme-
trischer innerer Bezogenheit“ wiedergegeben), zum Organismusdenken in der Dreireichß-
lehre, über die Eigenart des Figurenbuches und über das Wesen der Kontemplation. Der füt
die Deutung mittelalterlicher Kunstwerke und für die historische Volkskunde Interessierte
kommt allerdings nicht voll auf seine Kosten, weil der Schritt von der typologischen Schrift-
auslegung zur bildenden Kunst nur unvollkommen getan wird, — der Verf. weist nur auf
die Biblia pauperum hin. Wie nahe lag es, auch auf die Altarkunst und die Wand- und
Gewölbemalereien des 13. —15. Jhs einzugehen! So ist, um ein mir naheliegendes Beispiel
zu nennen, der Hochaltar in der Zisterzienserkirche zu Doberan (Joachim war und blieb,
trotz seiner Ordensneugründung, ein Zisterzienser!) nur mit Hilfe der typologischen Schrift-
auslegung deutbar. Und wenn wir weiter bei Joachim lesen, daß das Reich des heiliget1
Geistes (ab 1260) keine Priesterherrschaft mehr kennen wird, weil der Laie mündig wurde,
und daß darum Altar und Kirchenschiff nicht mehr getrennt sein würden, so sähe man gef11
von da aus dem Problem des Lettners und der Erniedrigung des Altarraumes in hoch- und
spätmittelalterlichen Kirchen nachgegangen. Wie sein großer Antipode Pseudoisidor, so
dürfte auch Joachim auf die bauliche Konzeption des Kircheninnern der Folgezeit ein-
gewirkt haben.
Von den pia desideria zu ernsteren Bedenken! Ein erstes gilt der Wertung Joachims
als Prophet-, R. vergleicht ihn ausdrücklich mit den alttestamentlichen Propheten. In Wirk-
lichkeit ist Joachim Apokalyptiker, der eine von ihm entwickelte Zeitenlehre schematisch
St. Radegundis in Groß-Höflein
549
auf die Schrift anwendet und dadurch die Geheimnisse der Zukunft zu enträtseln glaubt.
Richtig hat ihn Alois Dempf gedeutet als inspirierten Scholastiker, als Schematiker, der
das Neue aus symbolischen Entsprechungen zu erschließen sucht und der darum „nicht ein
wirklich Inspirierter und Prophet“ war (Sacrurn Imperium. Ausgabe 1954, S. 271). Die
Deutung R.s hat weitreichende Folgen: während Apokalyptik zeitbedingt und relativ ist,
gehören Prophetismus und überzeitliche Gültigkeit zusammen. So bemüht sich R., der
zeitbedingten typologischen Exegese bleibende Wahrheitsbedeutung zuzuerkennen und
den historischen Nachweis zu führen, daß tatsächlich um 1260 die von Joachim geweissagte
gewaltige Revolution des Geistes Europa erfaßt habe, — er redet von der Geburtsstundc des
modernen Menschen! Zugegeben, daß es so wäre, — was hätte sie schon mit dem dritten
Reich des Geistes nach der Lehre Joachims zu tun! Man sage ehrlich, daß Joachim ein
Kind seiner Zeit war und daß seine Nachwirkungen zu Ideologien führten, die unterhalb
der prophetischen Anspruchsgrenze untergebracht werden müssen. Mit der Überbewertung
hängt das Bestreben R.s zusammen, seinen Helden innerhalb seiner Zeit als einsamen
Gipfelpunkt erscheinen zu lassen. Gewiß — es werden Hildegard von Bingen, Anselm
von Havelberg, Rupert von Deutz erwähnt. Aber die große Nähe, in der sie zu
Joachim stehen, wird schwerlich den Lesern deutlich werden. Endlich ist die Heranziehung
der Astrologie, die vom Verf. als ernstzunehmende wissenschaftliche Möglichkeit ausgegeben
wird (er hat ihr früher ein eigenes Buch gewidmet) und der Kabbala zur Deutung Joachims
strikt abzulehnen. Hier handelt es sich um reine Hypothesen, die der Kritik kaum stand-
halten dürften und denen die Leser nicht widerspruchslos zum Opfer fallen möchten.
Es wäre gut, wenn der ernsthafte Leser auch zu der Literatur griffe, die R. dankenswerter-
weise am Ende seines Buches aufführt. Gottfried HoLTZ-Rostock
Leopold Schmidt: St. Radegundis in Groß-Höflein. Zur frühmittelalterlichen Verehrung
der heiligen Frankenkönigin im Burgenland und in Ostniederösterreich. Eisenstadt 1956.
68 S. (= Burgenländische Forschungen, hrsgg.‘v. Landesarchivu. Landesmuseum, H. 32).
Sch. ist einer der bekanntesten Vertreter einer nach dem Vorbilde des großen Weg-
bereiters Adolf Spamer mit psychologischen Vorstellungsverknüpfungen zu inneren
Sinnzusammenhängen gelangenden historischen Volkskunde. Wenn gerade er sich dazu
entschlossen hat, die allzulange schon ruhende Auseinandersetzung um noch offene Fragen,
die als solche bei der länger aussetzenden Beschäftigung mit der Geschichte, der Legende
und vor allem der Verehrung der hl. Radegundis stehen bleiben mußten, nunmehr wieder
in Gang zu bringen, so darf man von vornherein erwarten, daß er zum mindesten mit
wesentlichen Anregungen durchsetzte Lösungsversuche in Vorschlag zu bringen hat. Mit
solchen gehaltvollen Anregungen hat er dann auch in der Tat — in erster Linie sogar —
in seiner jüngsten Radegundisschrift aufzuwarten.
Sch. legt darin keineswegs nur — wie nach ihren Herausgabekennzeichen und mehr noch
nach ihrem Titel eigentlich zu vermuten gewesen wäre — eine reine thematisch kultland-
schaftsgebundene, lokalgeschichtlich-heimatkundlich ausgerichtete Spezialstudie vor. Die
allein schon die weitergreifende geistesgeschichtliche Spannweite der ganzen Arbeit aus-
weisenden Überschriften der beiden Schlußkapitel VI und VII: Probleme der Radegundis-
verehrung in karolingischer Zeit; Die hl. Radegundis als thüringische Königstochter und ihre
Verflechtung in die entsprechenden altgermanischen Zusammenhänge lassen deutlich erkennen,
daß in Wirklichkeit weit mehr Zu bieten beabsichtigt war und wohin der Verf. letzten
Endes in seiner Zielsetzung hinaus will.
Um die im Laufe der zum nicht geringen Teil auf neuen Wegen kühn vorstoßenden
Untersuchung von Sch. gebotenen wichtigsten Arbeitsergebnisse richtig würdigen zu
können, erscheint es angebracht, auch von den sich ergebenden und teilweise noch nicht
wegräumbaren Schwierigkeiten einmal zu reden. Da ist gleich ganz allgemein eine nicht
gerade ermutigende Feststellung zu treffen: es gibt wohl kaum eine andere Heiligengcstalt,
die trotz ihres gut greifbaren geschichtlichen Seins dennoch im nachlebenden Bilde sowohl
550
St. Radegundis in Groß-Höflein
nach der mythischen Ausstrahlung auf die Glaubensvorstellungen vergangener Genera-
tionen hin, als auch vom zeitlich und örtlich begrenzbaren Geltungsbereich der Verehrung
her so konturlos verschwimmt, wie die hl. Radegundis. Allerdings hat merkwürdigerweise
ein für den Radegundiskult so wichtiges Belegstück, wie die Radegundis-zwölf-Wundertafel
in Gars am Inn (1469 auf Veranlassung von Probst Johann III. Stockhammer zusammen-
gestellt, genau zweihundert Jahre später unter Probst Athanasius Peitlhauser neu
angefertigt) im Fach Schrifttum so gut wie überhaupt keine Beachtung gefunden. (Auch Sch.
erwähnt sie nicht; s. dagegen E. Richter: Die alten Votivtafeln. Wasserburger Heimat-
kalender 24 (1950), S. 51.) Wieder hundert Jahre später, also im 18. Jh., beginnt die Er-
innerung an die einstige segenausstrahlende Wirksamkeit der hl. Radegundis langsam
zu verblassen und ihr Kult seine Zugkraft zu verlieren. In Zusammenstellungen von
Lebensgeschichten aller Heiligen in kalendarischer Ordnung, wie — um nur aus dem
alten österreichischen und französischen Verehrungsbereich je eine zu nennen — der
bekannten von Gottfried Uhlich (Prag u. Wien 1782), von Abt Messanguy (aus
dem Französischen übersetzt, Würzburg 1789), wird dieses einstige thüringische Königs-
kind, die nachmalige Frankenkönigin und spätere Nonne aus dem 6. Jh., die dann zur
Heiligen wurde, nicht einmal einer Erwähnung für wert befunden. In J. Braun: Tracht
und Attribute der Heiligen in der deutschen Kunst (Stuttgart 1943) fand sie auch keine
Aufnahme. Auf diesen unbefriedigenden Zustand vor dem Erscheinen von Sch.s Schrift
wirft ein weiteres bezeichnendes Licht die Tatsache, daß im Handwörterbuch des deutschen
Aberglaubens, Bd. VII, Sp. 489, der hl. Radegundis durch Paul Sartori nur eine zu-
sammengedrängte Würdigung auf allerbescheidenstem Raum mit nur ganzen acht, von ein
paar Literatu rangaben begleiteten Zeilen zuteil wurde.
Der Nachweis einer frühen Blütezeit des Radegundiskultes ist allerdings nicht leicht zu
erbringen. Die Wesensergründung der Begleitumstände, welche zur Schilderhebung der Titel-
heiligen in der ihr erstandenen, durch sechs Orte bestimmten Kultlandschaft im burgen-
ländisch-niederösterreichischen Grenzsaum führten, erschien gleich von vornherein durch
belastende ungewöhnliche Problematik erschwert. Sch. hat zur Erhellung des Vorge-
fundenen Dunkels — wie er selbst sagt — alles aufgeboten, „was man dafür eben heran-
ziehen kann, was man glaubt, bewältigen zu können“. Da die wenigen im Sinne der histo-
rischenVolkskunde geforderten und tatsächlich belegmäßig aufzeigbaren Spuren einer mit
der Siedlungsgeschichte der karolingischen Ostmark von Sch. in Verbindung gebrachten
Radegundisverehrung allein nicht allzu starke Beweiskraft besitzen, wird es nötig, den
reinsten Indizienbeweis zu führen.
Ein wichtiges Verdachtsmoment ergibt sich aus dem Umstand des Nebeneinanderauf-
tretens der drei großen Frankenheiligen Martin (Tours), Radegundis (Poitiers) und
Ägidius (St. Gilles) als Kirchenpatrone just in dem abgesteckten Bezirk der Radegundis-
verehrung, so daß der Verf. glaubt, von einer fränkischenPatrozinienlandschaft sprechen zu
können. Ferner sieht er einen engen Zusammenhang zwischen der Einführung des Rade-
gundiskults und dem führenden bayerischen Geschlecht der Huosier, das den Verwalter
der karolingischen Ostmark, den Grafen Radbod (zwischen 830 und 855) stellte. Nicht
wenige Angehörige dieses Fürstengeschlechts tragen Namen, die mit dem Glied rat- (rad-)
gebunden erscheinen, so Rat-pod, Frida-ruf, Wie-rat. „Diese Auf-Sippe der Huosi hat sich
vielleicht“, wie Sch. geistvoll argumentiert, „ich möchte eher sagen: wahrscheinlich in einer
Namensgemeinschaft mit der Heiligen gefühlt“. Was der Verf. weiterhin über den ger-
manischen Namensglauben, sein Hineinspielen bei der Auswahl der Frauen für die Stammes-
fürsten und Könige, bei der Bildung von Personen- und Ortsnamen, in Nutzanwendung
auch auf die Wahl von Patrozinien und schließlich speziell über Bedeutungsgehalt und Sinn-
haftigkeit der Auf-Namen in überraschender Verknüpfung mit seiner Indizienbeweis-
führung vorzutragen hat, verdient stärkste Beachtung, obgleich sicher Vorbehalte dagegen
von religionshistorischer Seite aus erwartet werden können.
Das Zusammenwachsen des Radegundiskults mit aus der Legende nicht erklärbarem
Quell- und Steinkult, das Hineinspielen sagenhafter Züge in Volksglaubensvorstellungen,
lassen nach den Ausführungen des Verf.s erkennen, daß mit der Einführung dieser ger-
St. Radegundis in Groß-Höflein
551
manischen Heiligen aus Missionierungsgründen trotzdem weiter sprudelnde ältere ger-
manische Überlieferungsströme nicht zum Versanden zu bringen, höchstens in ein reguliertes
Bett umzuleiten waren. Wenn in dem Quellheiligtum der hl. Radegundis von Werfenau
einst wirklich Eisenopfer sollen dargebracht worden sein, mag man hier vielleicht an einen
Legendenzug denken, wie er in der Verbesserten Legende der Heiligen. . . von P. Dionysius
von Lützenburg und P. Martin von Cochem (München und Mindelheim 1748, die von
Sch. nicht herangezogen wurde) mitgeteilt wird (S. 748): „In der Fasten bande sie einen
eysernen Ring um ihren Hals, einen um die Armben, und einen um ihren Leib, so fest zu,
daß sie in das Fleisch hinein trungen . . .“ Wie weit hier nun wieder echte germanische
Überlieferung aus der Heimat der Heiligen bewußt oder unbewußt mitsprechen mag, soll
nicht weiter untersucht werden. Es sei nur an Tacitus, Germania, 31, erinnert, wo von dem
Brauch der Chatten die Rede ist: ein eiserner Armring als Fessel fiel erst, wenn dieLösung durch
Erlegung eines Feindes erwirkt worden war. Bei der Hineinstellung der Heiligen in solche
germanischen Zusammenhänge wäre zu berücksichtigen, daß nicht, wie Sch. annimmt,
Radegundis aus einer völlig heidnischen thüringischen Umwelt kam und ihr Sinn sich
unvermittelt und unvorbereitet am Hofe ihres Gemahls, des Frankenkönigs Chlotachar,
christlicher Lebensart zu beugen hatte. Zum mindesten erlebte sie in ihrer Jugend am Hofe
ihres Onkels Herminafrid in Weimar Heidnisches neben Christlichem in Geltung, wenn
nicht gar im Doppelglauben gepaart, da ihre Tante Amalaberga, die Nichte des Ostgoten-
königs Theoderich, arianische Christin war. In einem Frauengrab der Zeit in Weimar
wurde sogar ein mit dem Monogramm Christi ausgezierter Silberlöffel mit der Aufschrift
BASENAE gefunden!
Nachdem Sch. noch einen Überblick über die restlichen Radegundisheiligtümer in
Österreich und in Bayern gegeben hat, verleiht er der Meinung Ausdruck, daß wohl im
Gebiet des alten geistlichen Fürstentums Salzburg „anscheinend“ keine Verehrungsstätten
unserer Heiligen nachzuweisen wären. Hier ist nun eine Korrektur in seiner Arbeit un-
vermeidlich. Der unter Oberbayern geführte, einstige bedeutende Verehrungsort Gars am
Inn (heute Kreis Wasserburg a. Inn) stand damals nicht „im Bereich der Diözese Freising“.
Schon die erste Zelle des Klosters Gars gehörte seit der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts zum
Bistum Salzburg und blieb es bis 1816! Auch ist 807 Kloster Gars noch kein „Augustiner-
Chorherrenstift“; es kann sich damals bei den Mönchen nur um Benediktiner, vielleicht
auch Säkularkanoniker gehandelt haben. Frühestens 1122 zogen die Augustinerchorherren
in Gars ein. Das ist nun insofern von Bedeutung, als nach der Überlieferung der Augustiner
die hl. Radegundis in dem von ihr gestifteten Kloster die Regel des hl. Augustin ein-
führte und nach dieser Auffassung nicht als Benediktinerin, sondern als Augustinernonne
587 starb. Fest steht weiterhin, daß erst nach dem Einzug der Augustinerchorherren in Gars
in einer Schenkungsurkunde von 1128 erstmalig die Bezeichnung „ad Beatae Mariae et St.
Radegundis“ aufscheint. Rez. zieht nun nicht, wie P. Peter Schmalzl (Pfarr- und Kloster-
kirche Gars am Inn, Gars 1950, S. 4) aus dieser verhältnismäßig späten ersten Beurkundung
(Radegundis als Sekundarpatronin) den feststehenden Schluß, daß erst mit den Augustinern
in dieser Zeit die Verehrung der hl. Radegundis ihren Anfang genommen habe. Der
Ähnlichkeiten in denVerhältnissen im GarserVerehrungsbereich — siedlungsgeschichtlich,
missionsgeschichtlich usw. — verglichen mit den gleichgerichteten in der ostniederöster-
reichisch-burgenländischen Radegundiskultlandschaft sind zu viele und zu große, daß man
Wünschen möchte, mit der ScHMiDTschen Methode der Beweisführung hier noch einmal
alles bisher Erforschte über das rein historisch Festlegbare hinaus zu überprüfen. Auch in
Gars wird aus baulichen Frühzeiten, ähnlich wie in Weigelsdorf, ein rätselumwittertes
Flachbildwerk vorgezeigt, das wie jenes fraglos mit dem Aussagewert einer steinernen
Predigt für des Lesens unkundige Neuchristen der Bekehrungsbildnerei zuzurechnen ist.
Missionierung tat hier wie dort not. Es ist angenommen worden, daß Karl der Große,
der nach seinem Siege über das Sachsenvolk Sachsen und Thüringer umsiedelte, solche auch
nach Gars und Umgebung verpflanzt hat, „weshalb in den Urkunden von Gars und Au so
oft die Namen Sacco, Saxo, Sachse erscheinen und Ortsnamen wie Sachsenstätt zu finden
sind“ (P. Peter Schmalzl: Garser Heimatbuch. Wasserburg a. Inn 1955, S. 20). Koch-
552
Eisenopfer
Sternfeld (in: Bayer. Annalen 1834, S. 2051 u. 2073 — 74) ist sogar der Ansicht, daß
die Möglinger, die mächtigen Grafen und Gönner der Klöster Gars und Au, ausgewanderte
Sachsen waren. Es erhebt sich hier nun die Frage: sollte nicht ein beziehungsvoller Zu-
sammenhang zwischen dieser Umsiedlungsaktion in karolingischer Zeit und der Auf-
stellung des Patroziniums der aus thüringischem Königsgeschlecht stammenden hl. Rade-
gundis durch die fränkischen Herren zur erfolgversprechenderen Durchmissionierung des
Garser Gebietsabschnitts bestehen?! Von weiteren Indizien in dieser Richtung soll hier
nicht mehr die Rede sein. Jedenfalls erweist sich — von dieser Blickrichtung aus zur Um-
wertung abgestandener Ansichten durch Sch.s Arbeitsweise und Thesen angeregt — noch
einmal die Bedeutung seiner RADEGUNDlSschrift für die volkskundlich-geistesgeschichtliche
Erfassung einer frühmittelalterlichen Heiligenverehrung.
Erwin Richter-Wasserburg a. Inn
Rudolf Kriss / Lenz Kriss-Rettenbeck: Eisenopfer. München 1957. 75 S., davon 45 S.
Katalog u. Register, 31 Tafeln, 2 Karten, 40. (= Beiträge zur Volkstumsforschung,
hrsgg. v. d. Bayer. Landesstelle f. Vk., Sonderreihe: Volksglaube Europas, Bd. 1).
Der urtümlich gestaltete eiserneBeter auf demUmschlag läßt die tiefgelagerteVorstellungs-
welt dieses bis in unsere Zeit heraufreichenden Opferbrauchtums ahnen. Die zahlreichen
künstlerisch wie sachlich hervorragend guten Lichtbilder von Lis Römmelt auf den Tafeln
zeigen die Vielgestaltigkeit handwerklicher Formgebung, die dem Wallfahrer die Opfer-
gaben lieferte. Der Verf. ist auch den entferntesten Spuren, weit um das baju warische Zentral-
gebiet, nachgegangen und legt die Ergebnisse seiner Forschungen und die Fülle der Belege
aus seinen Sammlungen vor.
Das Brauchtum der Spende eiserner Votivgestalten ist heute auf Bayern, das alemannische
Gebiet einschließlich der Schweiz, auf das Elsaß und auf Österreich beschränkt. Vor der
Reformation erstreckte sich sein Gebiet auch auf ganz Franken. Ausstrahlungen reichten bis
nach Sachsen und inselhaft bis nach Oberitalien. Ob das Vorkommen in Belgien von einer
Übertragung aus dem Elsaß oder aus der Zeit der politischen Abhängigkeit von Österreich
herrührt, ist noch ungeklärt. Neben dem rezenten Hauptgebiet in Altbayern gibt es noch ein
enges, aber dichtes in Steiermark und Kärnten. In Bayern ist es vorwiegend der hl. Leon-
hard, im Südosten außer ihm noch andere Heilige, denen Eisenvotive dargebracht werden.
Es handelt sich um Identifikationsopfer. „Infolge der engen Beziehungen, die überall
im Volksglauben zwischen Bild und Wirklichkeit bestehen, erwartet der Darbringer der
Gabe, daß ihm, vermöge jener Verbindung zum geopferten Objekt, das im Heilsraum auf-
gestellt des Segens teilhaftig wird, geholfen werde.“ Ursprünglich wurden die Opferfiguren
jedesmal neu beim Dorfschmied bestellt. Sie häuften sich in den Kirchen im Laufe der Zeit
so, daß man sich ihrer oft durch Vergraben entledigte. So ging man,, wohl unter kirchlicher
Anleitung“ dazu über, die schon vorhandenen Votive jeweils zum Opfern gegen Entgelt
auszuleihen und um den Altar zu tragen, ein Brauch, der heute noch vorkommt. Ursprüng-
lich legte man Wert auf die volle Viehzahl der eigenen Herde, später begnügte man sich oft
mit nur einem Tier von jeder Gattung, und es sind auch noch weitere Schwundstufen zu
verzeichnen.
Die handwerkliche Entwicklung der Herstellung geht von plump geschmiedeten Eisen-
klötzen, aus denen die Extremitäten durch Spaltung herausgearbeitet sind, zu leichterer
Ausführung. Bei ihr werden an dem flachen Eisenstück, das Körper und Kopf andeutet, die
Beine in verschiedenartiger Weise befestigt. Endstadium ist der aus Blech ausgeschnittene
Umriß. In allen diesen Herstellungsarten gibt es Figuren von Vieh, Menschen und einzelnen
Gliedmaßen. Unter dem vielerlei Getier des Bauernhofes fallen die eisernen (oft acht-
beinigen) Bienen von Kohlheim bei Neuern im Böhmerwald auf. Die in Altbayern und auch
im Elsaß ziemlich verbreiteten Kröten dienen als Symbol für die Gebärmutter.
Die ältesten Funde aus Pflaumloch in Württ., die bis ins 11. Jh. zurückreichen, weisen nur
Menschengestalten auf und kennzeichnen den hl. Leonhard für die damalige Zeit als
Volkskunst in Bildern
553
Gefangenenbefreier, während er später vorwiegend als Viehpatron verehrt wurde. Aus der
Tatsache, daß die bayerischen Kolonisten der Tredici Communi nordöstlich von Verona bei
ihrer Ansiedlung um die Mitte des 12. Jhs den Leonhardkult zugleich mit der Sitte des Eisen-
opfers mitgebracht hatten, kann geschlossen werden, daß dieser Brauch damals in Bayern
schon fest eingewurzelt war. K. nimmt 100 Jahre vorherige Brauchübung an. Da jedoch der
Kult des hl. Leonhard in Süddeutschland in seinen allerersten Anfängen seit dem 11. Jh.
besteht und kein innerer Zusammenhang zwischen ihm und dem Eisenopfer nachgewiesen
werden kann, erscheint in den Eisenopfern die Übertragung eines älteren Brauchtums auf
den damals neu enEleiligen möglich. „Mithin muß dieFrage, ob die fränkischen, bayerischen,
alemannischen Stämme etwa ähnliche, den Eisenopfern vorangehende Votive schon vor
ihrer Bekehrung, evt. sogar schon vor der Völkerwanderung gekannt, oder ob sie sie erst
nachher von der alteingesessenen Bevölkerung übernommen haben, weiterhin zur Diskussion
gestellt werden.“ Der Verf. bringt die einstige Sitte, sich in die Gefangenschaft des hl.
Leonhard zu begeben, und zum Zeichen dafür einen eisernen Ring um den Leib zu tragen,
der später geopfert wurde, in Zusammenhang mit dem bekannten Bericht im 31. Kap. der
Germania des Tacitus über die Chatten. Aus dem Fehlen der ältesten Herstellungsart der
Votive im Bayerischen Wald und in Böhmen wird der Schluß gezogen, daß der Brauch erst
in späterer Zeit aus Zentralbayern dorthin gewandert sei.
Neben der eingehenden Aufzählung der einzelnen Wallfahrtsorte mit Angaben über die
dort vorkommenden Votive und das örtliche Brauchtum finden wir ein umfangreiches
Ortsverzeichnis, den Katalog über die eisernen Votivgegenstände der Sammlung Kriss und
verschiedenartig aufgegliederte Register. Der Berichterstatter las verständlicherweise zuerst
die Angaben zu den beiden ihm räumlich zunächstliegenden Wallfahrtsorten. Dabei erwies
es sich, daß beide nicht stimmten: Die Vierzehnnothelferkapelle in Sackenried ist als Leon-
hardswallfahrt verzeichnet und Schönau bei Viechtach als hl. Kreuzkirche, obwohl die Wall-
fahrt dorthin zum hl. Blut erfolgt, was auch die dort vorhandenen Votivtafeln beweisen.
Wenn schon eine so eingehende Monographie über die Eisenopfer geschaffen wurde, so
hätte man gewünscht, Beziehungslinien zu den Sammlungsstücken in den Bayerischen Mu-
seen aufgezeigt zu finden. Leider beschränkt sich die Arbeit im wesentlichen auf die Samm-
lung Kriss. Trotz dieser Anmerkungen ist sie als grundlegende Darstellung eines Sonder-
gebiets religiöser Volkskunde wärmstens zu begrüßen.
Oskar von ZABORSKY-Kötzting
Karel Sourek: Volkskunst in Bildern. Die Natur, der Mensch, die Arbeit. Die Religion, die
Farbe. Prag, Artia, 1956. 349 S., 271 Abb., 55 Farbtafeln. 40.
Wenn ein Buch über die Volkskunst irgendeines Landes, irgendeiner Zeit oder irgend-
eines Fachgebietes gut und sorgfältig gedruckt, mit großen, deutlichen Photographien und
womöglich mit Farbtafeln versehen ist, so wird es bereits einnehmend wirken, und man wird
unwillkürlich entzückt und begeistert sein von der mehr oder weniger unbekannten Fülle
und Pracht des Gebotenen. Man wird geneigt sein, den Text hintanzusetzen, und man wird
ihm das eine oder andere durchgehen lassen, das man bei einem unbebilderten Aufsatz mit
vermehrter Kritik nicht unbesehen hätte gut sein lassen. Die Stellung des Rez. wird nur noch
schwieriger, wenn Druck und Abbildungsmaterial — wie im vorliegenden Buch — tech-
nisch so einwandfrei und künstlerisch so schön sind, daß man nur voller Lob das Buch be-
wundern kann. Das enthebt uns natürlich keineswegs der Frage, was denn dargestellt sei
und wie das Dargestellte geordnet und eingereiht sei. Wir wollen damit nicht etwa eine
Diskussion über den Begriff Volkskunst entfachen, doch zeigt uns schon ein Blick auf die
Unterteilungen im Titel, daß wir es hier offenbar nicht mit einer Ordnung zu tun haben, wie
sie der eigentliche Fach-Volkskundler vornehmen würde. DerVerf., der 1949 verstorbene
TschecheKAREL Sourek, war denn auch nicht Volkskundler, sondern Malerund Graphiker,
ein Theoretiker und Organisator des tschechischen Kunstlebens, ein ausübender Künstler
selber. Von jeher haben ja auch immer wieder Künstler sich zu den volkskünstlerischen
554
Volkskunst in Bildern
Äußerungen der Vorgeschichte, der Primitivvölker, der europäischen Bauern- und Hirten-
kulturen hingezogen gefühlt; oft haben sie mit feinster Einfühlungs- und Nachempfindungs-
gabe die Augen ihrer Mitmenschen für diese herrlichen Schätze ursprünglich-unbekümmerter
Schönheit geöffnet; denken wir etwa, wie Max Picard kurz nach dem Ende des Ersten
Weltkrieges mit seiner Expressionistischen Bauernmalerei ein neues Verständnis für die
Hinterglasmalerei weckte. Wie schon in Picards Buch in keinem Fall die nüchternen Fragen
nach Herkunft, Beziehung, Zusammenhang, Technik, Sinn und Funktion gestellt wurden —
und damit natürlich vom volkskundlichen Standpunkt aus manches etwas befremdlich
eingeschätzt wurde —, so ist es, allerdings sehr cum grano salis, auch in Soureks Buch.
Dies gilt wenigstens insoweit, als für ihn z. B. die Farbe und das Zeichen in erster Linie
künstlerische Wertung erfahren und nicht eine apotropäische Sinndeutung (natürlich weiß
3., daß eineQuelle für Äußerungen der Volkskunst der magische, zauberische, amulettwertige
Charakter ihrer Produkte ist, aber seine Anordnung und Betrachtung stellt sie nun in den
Gesichtskreis des Künsders). Aber ob etwa ein Volkskunstwerk aus zwingender Not-
wendigkeit, aus Materialerfordernis und Gerätehandhabung, aus Beeinflussung oder aus
Beharrung an traditionellen Motiven und Ornamenten heraus zustande gekommen sein mag,
das steht nur am Rande in seiner Betrachtungsweise. Ist man sich darüber klar, so wird man
sich nun mit um so größerem Genüsse vom Künstler 3. in seine Volkskunst einführen lassen
und wird nun dafür Dinge sehen und Feinheiten erkennen, auf die man vorher nicht ge-
achtet hätte und die man nun dankbar von ihm lernt. Hierin liegt der unbestrittene Reiz und
Vorzug des Buches. Dazu kommt natürlich, daß 3. eine geradezu unglaubliche Kenntnis des
Materials aus Böhmen, Mähren und der Slowakei besaß. In einer Ausstellung slowakischer
Kunst in Prag lenkte er bereits die Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen auf überraschende
Parallelen zwischen der Volkskunst und der damaligen Kunst der Gegenwart. Nur ein
Maler und Künstler konnte so wie er die Verwendung von Licht und Schatten, von Farbe
und Linie in der bäuerlichen Plastik und Malerei sehen. Volkskunst beruht nach ihm auf
Gefühl, während im Gegensatz hierzu der Kunststil eher eine Sache des Intellekts ist.
In einer ersten Abteilung, Natur betitelt, lernen wir eine Reihe prachtvoller Gegenstände
kennen, die irgendwie zu Riten des Jahreslaufes Bezug haben: Opfergaben aus Eisen und
Wachs (ich zweifle, daß die Abb. 3 und 5 „Kienspanträger“ sein sollen; zwar ließe sich
bei Abb. 3 noch eine Klemmvorrichtung für den Span denken, aber die Größenmaße
scheinen sie mir doch eher den Eisenvotiven zuzuordnen); Masken, eine herrliche Sammlung
von „Schnabelgeißen“ (Abb. 12 — 17; Abb. 16 für den Luciatag), Strohpuppen zum „Tod-
austreiben“ (hochinteressant, wie auf Abb. 27 die ambivalenten Schneckenhäuschen und
Eierschalen mit der Figur des „Todes“ verbunden sind). — Die folgende Gruppe heißt der
Mensch: vor allem kommen hier die Liebesgaben zur Geltung (ganz besonders Ostereier und
Mangelbretter), dann das brauchtumsmäßige Inventar an Hochzeitsobjekten: Hochzeits-
kuchen, Hochzeitsleuchter, Brautkronen. Den Abschluß bilden die Objekte der Tracht
und die Textilien überhaupt, welche dem Verf. Anlaß bieten zu einigen Erörterungen über
die Ornamente. — Die nächste Gruppe, die Arbeit, bringt alle landwirtschaftlichen Geräte,
das Handwerkszeug, das Hausinventar: Möbel und Gefäße. Wir finden hier ganz schlichte,
unverzierte Holzlöffel, Quirle und Siebkellen, welche allein durch ihre Formgerechtigkeit
wirken. Daneben aber gibt es reich verzierte Schellenbögen, mit vollendeter Selbstverständ-
lichkeit geschnitzte Henkel des Schöpfbechers, Bienenkörbe inForm eines Teufelskopfes mit
herausgestreckter Zunge, welche als Anflugstelle dient; eine besonders prächtige Sache ist die
„Baba“, die Gehschule für Kinder, mit ihren drei krummen, geschwungenen Standbeinen;
ihre Augen sind aus Glas und auf ihrem Kopf trägt sie ein Glöcklein mit herum. — Im
Abschnitt über die Religion sind vor allem die herrlichen Abbildungen über die Hinterglas-
malereien herauszuheben. Die Bauernheiligen Florian und Wendelin (dieser mit einer
wunderschönen Schäferschippe) spielen naturgemäß eine bedeutsame Rolle. Erstaunlich
sind auch die ausdrucksstarken Pietä-Darstellungen. — Unter dem letzten Kapitel, das er
Farbe benennt, faßt §. unter anderem die Erzeugnisse der Töpferkunst zusammen, dann die
Volkskunst der Kleinstadt mit den Zünften, und schließlich geht er noch auf das Problem
von neuen Arten der Volkskunst ein. Wir spüren es dieser ganzen Gruppe an, wie hier das
Bunte Möbel der Oberlausitz — Bauernmöbel aus württembergisch Franken 555
Spielerische, Zersetzende, die Auflösung in „unbäuerliche“ Formen erfolgt, so daß hier
gelegentlich die Echtheit des Gefühlsausdrucks bezweifelt werden darf. Das an und für sich
sehr schöne Hausnummernschild mit einem Schutzengel ist der Ausdruck für die bieder-
ehrbare Frömmigkeit des Kleinstädters im 18. Jh. (Abb. 234). Reizvoll hübsch ist
auch der Vexierkrug mit einer über den Rand lugenden Eidechse als Henkel (Abb. 242).
Problematisch, wie überall, sind die Belege zu Gestaltungsversuchen neuer Volkskunst.
Robert Wildhaber — Basel
Friedrich Sieber: Bunte Möbel der Oberlausitz. Berlin, Akademie-Verlag, 1955. 58 Seiten
Text u. 22 Abb., z. T. farbig, 1 Karte. (—Veröff. d. Inst. f. dt. Vk. Bd. 6).
Wer selbst, wie Rez., schon eine Übersicht über das bemalte Bauernmöbel im ganzen
deutschen Sprachgebiet versucht hat, der weiß, auf welch unsicherer Basis solche wissen-
schaftlichen Gesamtdarstellungen stehen, da die landschaftlichen Einzelforschungen noch
keineswegs ausreichend vorhanden sind. Um so mehr begrüßt man eine Arbeit wie die vor-
liegende, die mit großer Sorgfalt eine bekannte Gruppe schöner sächsischer Bauernmöbel
lokalisiert, wissenschaftlich beschreibt und einordnet. Es handelt sich um rund 50 Stück in
der Landschaft zwischen Zittau und Löbau, die unverkennbar die Züge einer Werkstatt
aufweisen. Sie stand in Herrnhut, wie vom Verf. mittelbar, aber sehr einleuchtend bewiesen
wird. Herrnhut wurde bekanntlich als Exulantensiedlung 1722 gegründet. Es entfaltete sich
dort sehr rasch ein auf blühendes Handwerk, wozu auch die Schreinerei gehörte. Mit einem
Schrank von 1726 treten nun sehr deutlich neue Schmuckelemente auf, darunter unter anderem
auch der religiöse Spruch. Offensichtlich wird damit der Beginn der Herrnhuter Werkstatt
dokumentiert, die ein Teil der Gewerbe des Brüderhauses ist, einem hochinteressanten
Gemeinschaftsunternehmen auf religiöser Basis, „deren Insassen unter der fachlichen und
weltanschaulichen Leitung eines Meisters zu hoher kollektiver Leistung befähigt sind“.
Daneben gab es noch einige Werkstätten im Ort. Ein erregendes Moment ist es nun, daß in
der gleichen Brüderhaus-Werkstätte offensichtlich Kunstmöbel und volkstümliche Möbel
nebeneinander hergestellt wurden. Diese Tatsache ist geeignet, spezifische Schöpfungs-
vorgänge der Volkskunst zu erhellen. Der Verf. übersieht dieses Problem nicht, wie er denn
überhaupt seinen Gegenstand von allen möglichen Gesichtspunkten her gründlich unter-
sucht. Sorgfältig sind auch die Verzeichnisse gearbeitet, vor allem das Bestandsverzeichnis.
Genügend Abbildungen, darunter eine Anzahl farbiger Tafeln, geben die nötige Anschauung.
DasBuch bildet eine wertvolleBereicherung der deutschen volkstümlichen Möbelforschung.
Josef Maria Ritz-München
Karl Hillenbrand: Bemalte Bauernmöbel aus württembergisch Franken. Stuttgart,
Silberburg Verlag, 1956. 22 S., 23 Taf. 8°.
Der Verf. behandelt den Möbelbestand von württembergisch Franken mit dem Kerngebiet
der Hohenlohener Ebene am Mittellauf der Flüsse Kocher, Jagst und Tauber. Dieses Land
ist heute noch Bauernland; bemalte Truhen gehören zum Hausrat.
Am Anfang des 18. Jhs tritt das bemalte Möbel in dieser Landschaft auf und findet in dem
Schreiner J. M. Rössler aus Untermunkheim (1791—1849) seinen besten Vertreter. Er
schuf eine Fülle bemalter Schränke, für die figürliche Darstellungen in der Tracht der Land-
schaft besonders charakteristisch sind. Die Bildbeigaben der von ihm geschaffenen Möbel-
stücke erweisen Rössler als einen Volkskünstler, der unbekümmert mit altüberlieferten
Motiven, Stilelementen und Gebilden eigener Erfindung die Flächen füllt. Wir hätten gern
mehr über sein Leben erfahren. — Bemalte Möbel sind hier wie anderswo kostbares volks-
künstlerisches Gut, und es sollten endlich Mittel und Wege gefunden werden, die immer
rascher schwindenden Bestände zu erhalten und vor der völligen Vernichtung zu bewahren.
Möchte das liebenswürdige, gut ausgestattete Büchlein dazu beitragen, die noch vor-
handenen Schätze sorgsam zu hüten! Friedrich SiEBER-Dresden
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Die Lausitz. Sorbische Trachten
Wolf Lücking: Die Lausitz. Sorbische Trachten. Text von Paul Nedo. Bd. II der Reihe
Trachtenleben in Deutschland. Hrsgg. vom Institut f. dt. Volkskunde. Berlin, Akademie-
Verlag, 1956, 132 S., 118 Abb., 4 Farbtaf., 1 Karte. 40.
Das Problem der fotografischen Aufnahme von Trachtenträgern birgt mehr Schwierig-
keiten, als der Unkundige annehmen möchte. Vielleicht liegt es daran, daß die Trachten aus
einer Zeit stammen, die das Momentane des Schnappschusses nicht kannte, dessen Reiz
gerade die rasch erfaßte Zufälligkeit und die frappante Situation ist. Zufälligkeiten und
außergewöhnliche Situationen widersprechen aber der form- und brauch gebundenen
Haltung, die den Trachtenträger vom kostümierten Städter unterscheidet. Will man der
Tracht im Bilde gerecht werden, so muß man sie in ihrem Bereich lassen, dessen ländliche
Stille und Ungestörtheit ihr Leben bedingt. Jede Beziehungsetzung zu Andersartigem läßt
sie als unzeitgemäß erscheinen und betont die Schwäche ihrer Lebenskraft. Gewiß gehört
auch die Feststellung dieser Tatsachen zur Volkskunde, aber so schwerwiegend das Problem,
so schwierig ist seine bildtechnische. Lösung, wenn man es unternimmt, solchen langfristig
wirkenden dynamischen Vorgängen eine schlagend verständliche, zugleich aber auch bild-
mäßig befriedigende Form zu geben.
Zum anderen fragte man in der Zeit, als die Trachten noch allgemein waren, wenig nach
dem Innenleben oder nach den seelischen Eigenarten des Einzelmenschen. Etwas verall-
gemeinernd ausgedrückt: jeder Mensch gehörte zu seinem Typus, den ihm sein Stand auf-
drückte, was besonders an Charakterisierungen wie „der Schneider“, „der Leineweber“
deutlich wird. Auch die ältere Bühne kannte „die Unschuld vom Lande“, „den Bauern“,
„die Bäuerin“. (Charakterisierungen entsprechender Art sind noch heute im Bühnenjargon
gang und gäbe.) Etwas von dieser Typenhaftigkeit gehört zu Bildern von Leuten in Tracht.
Die Gegenprobe bieten Aufnahmen mit betont psychologischem Ausdruck. Um ihn herum
wirkt die Tracht wie eine Verkleidung. Das richtige Maß von naiver Selbstgenügsamkeit,
Klarheit der Formen und Töne zu finden, ohne in rückschauende Romantik zu verfallen,
ist die Aufgabe.
Wolf Lücking hat sie in den meisten seiner großformatigen Bilder in so unmittelbarer
Weise gelöst, daß man ihnen nicht die Mühe anmerkt, das wochenlange Heranpirschen an
den Gegenstand, bis der „Schuß“ dann auch richtig saß. Einzelne meist in kleinem Format
danebengesetzte Bildchen, auf denen eine Halskrause vom Winde verweht wird, oder eine
Braut blitzende Augen seitlich nach jemand auf dem Foto nicht Sichtbarem wirft, fallen
als Zufallseffekte ab. Sie bestimmen aber keineswegs den Eindruck des Buches. Mit künstleri-
schem Blick hat der Lichtbildner gleichsam etwas vom vegetativen Sein der Lausitzer
Menschen erfaßt. Man glaubt in vielen dieser mit überlegenem fotografischen Können
gestalteten Bildern mehr als das Wesen eines Einzelmenschen in seiner Tracht erkennen
zu können. Diese Intensität der Wirkung beruht z. T. auch auf den großzügig aufgeteilten
Bildkompositionen. Daß der originellen Bild- und Textverteilung da und dort etwas
von der Übersichtlichkeit der Beschriftungen geopfert werden mußte, ist verständlich.
Auch sind nicht alle im Text genannten Trachtenstücke dem „trockenen“ wissenschaft-
lichen Auge genügend deutlich erkennbar. Die künstlerischen wie die optisch vermittelten
Wesenswerte in L.s Buch lassen dies aber kaum ins Gewicht fallen.
Die Einführung in das Trachtenleben der Lausitz konnte man wohl keinem besseren
Autor als Paul Nedo anvertrauen, der zugleich mit seiner engeren Verbindung mit der
sorbischen Volksgruppe die sachlichen Kenntnisse von ihrer Tracht besitzt. Trotzdem seien
einige Berichtigungen erlaubt: Der Hupatz der Braut von Burg ist kein „Mützchen“,
sondern eine ähnliche Bandumwicklung des Kopfes wie in Bluno und (mit Pappeunterlage)
in Schleife. Er hat mit der breit ausladenden zweispitzigen Mütze nur insofern Gemeinsam-
keit, als diese außerhalb von Burg für Bräute und Brautjungfern ebenfalls dicht mit Band-
lagen besteckt wurde. Im übrigen war sie vor dem Sieg der Lapa, des steif gebundenen Kopf-
tuches, die Haube vieler Dörfer des Spreewaldes. Der große Radkragen war Kennzeichen
von Burg, nicht etwa nur der Bräute. Der im Nacken waagerecht abgeschnittene Kragen
wurde (auch von Bräuten) im weiten Umkreis davon zur zweispitzigen Mütze getragen.
■■■nWIM
Die Trachten des ehemaligen Kreises Jüterbog-Luckenwalde
557
Die Hinweise auf solche heute nur noch Wenigen bekannte Einzelheiten wollen aber
keineswegs das Verdienst desVerf.s schmälern, der in lebendigem Stil den Stoff verständlich
gemacht hat, was angesichts seiner Aufspaltung in so viele landschaftliche Teilgebiete gewiß
nicht leicht zu meistern war. Oskar von ZABORSKY-Kötzting
Elisabeth Kunsdorff: Die Trachten des ehemaligen Kreises Jüterbog-Luckenwalde.
Farbige Zeichnungen von Ursula Berger. Hrsgg. im Aufträge des Zentralhauses für
Volkskunst in Leipzig. Leipzig, VEB Friedrich Hofmeister, 1956. 58 S., 4 Farbtaf. und
20 Fotos.
Eine fast fünfzehnjährige fleißige Sammel- und Forschertätigkeit ging der Veröffentlichung
dieser Abhandlung voraus. Der Verf. gelang es, in wenigen Jahren vierzehn vollständige
Trachten au s dem Gebiet des ehemaligen Kreises Jüterbog-Luckenwaldezu sammenzubringen.
Schon aus der Schilderung ihrer Arbeitsmethoden, mit der sie ihr Büchlein einleitet, geht
hervor, mit wieviel Liebe, Sorgfalt und Ausdauer sie zu Werke gehen mußte, um die oft
letzten vorhandenen Trachtenreste in alten Truhen und auf Dachböden aufzustöbern und
vor dem endgültigen Untergang zu retten. Diese vierzehn Trachten dienten ihr als haupt-
sächlichste Grundlage ihrer Arbeit. Glücklicherweise hatte sie den damals (vor 1945) noch
keineswegs allzu verbreiteten Einfall, die Trachten im Farblichtbild festzuhalten. Nach dem
Totalverlust der Trachten im Heimatmuseum zu Jüterbog im Jahre 1945 bildeten diese
Farbaufnahmen die Arbeitsgrundlage der Verf. und dienten auch Ursula Berger als
Vorlage für ihre recht gelungenen Aquarelle.
Bis zum Erscheinen des vorliegenden Büchleins gab es noch keine größeren selbständigen
Arbeiten über die Trachten auf dem Fläming. Heinrich Kühnes Arbeit1) befaßt sich vor-
wiegend mit dem südlichen Flämingvorland. Auch die inzwischen im DJbfVk in
Fortsetzungen erschienene Studie Die Trachten der ehemaligen Mark Brandenburg, in der
Oskar von Zaborsky u. a. die Trachten des Hohen und Niederen Fläming behandelt,
mindern die K.sche Arbeit nicht in ihrer Bedeutung.
Nach einem knappen historischen, geographischen und wirtschaftlichen Überblick über
das bearbeitete Landschaftsgebiet schildert die Verf. sehr übersichtlich die einzelnen Trachten
in historischer Reihenfolge. Die Gliederung der Landschaft in das flachwellige, südöstliche
Vorland des Niederen Fläming (Ländchen Bärwalde und Dörfer um Dahme), in das bergig-
hügelige Land des eigentlichen Niederen Fläming und in die Luckenwalder Niederung
(Nuthe-und Nieplitzniederung) spiegelt sich nach ihrer Feststellung in einer entsprechenden
Unterschiedlichkeit der Trachten in diesen drei Bereichen wider. Eine am Ende des Textes
beigefügte Kartenskizze veranschaulicht die einzelnen Verbreitungsgebiete. Allerdings
wünschte man sich ein paar erläuternde Textabbildungen (Fotos oder Strichzeichnungen),
um Einzelheiten der Trachtenteile deutlicher zu machen.
Sehr erfreulich ist die namentliche Anführung von zahlreichen Gewährsleuten für alle
wesentlichen Aussagen, durchaus sichere Quellen; denn die meisten der Genannten sind
bodenständige Trachtenträger, Trachtenschneider, Haubenplätterinnen, Mützenfrauen,
gewissenhafte Heimatforscher, Lehrer und Pfarrer. Daß der Verf. eine weiterreichende
Übersicht über die Trachtenforschung abgeht und Spezialkenntnisse im Textil-Handwerk-
lichen fehlen, tut der Arbeit keinen wesentlichen Abbruch. Dafür macht sie das Eingehen
auf die mit der Herstellung und dem Tragen der Trachten eng verbundenen, überaus
mannigfaltigen Sitten und Bräuche zu einem sehr brauchbaren und interessanten Büchlein.
So enthält die Arbeit u. a. genaue Angaben über die ,,Kleiderordnung“, die jedem Trachten-
träger genau vorschrieb, was zu welcher Gelegenheit getragen werden durfte und was nicht,
eine zwar ungeschriebene Ordnung, die jedoch streng gehandhabt wurde.
Walter FiNK-Jüterbog
x) Flämingstrachten. Wittenberg 1953.
HHIH
558
Fachwerkbauten in Nordhausen — Baukunst in Brandenburg
Hermann Weidhaas: Fachwerkbauten in Nordhausen. Berlin, Henschelverlag, 195 5•
120 Seiten, 66 Abb., 8 Taf. (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für Theorie
und Geschichte der Baukunst, Deutsche Bauakademie).
W. leitete eine geschichtliche Bauuntersuchung an einer Gruppe von Fachwerkbauten,
die von seinen vier jungen Mitarbeitern vorbildlich aufgenommen wurden. Damit begnügte
sich der Verf. keineswegs, sondern analysierte die jeweiligen Befunde in äußerst eindring-
licher Weise. Darüber hinaus stellte er das Ganze in den historischen Zusammenhang der
gesellschaftlichen Entwicklung, wofür gerade Nordhausen ein treffliches Beispiel bildet.
Ferner versucht W. schon hier, der allgemeinen Geschichte des Fachwerkbaus neue
methodische Gesichtspunkte abzugewinnen. — Die Einzeluntersuchungen bezogen sich
auf a) das Frauenberger Kloster, b) die Hofwand des Hauses Altendorfer Kirchgasse 3,
c) das Haus Domstraße 12, d) das Torhaus des ehern. Spendekirchhofes, e) die Gebäude-
gruppe Barfüßerstraße 6.
Der relativen Zeitfolge der einzelnen Bauteile läßt der Verf. einen ebenso kühnen wie
fesselnden Versuch zeitlicher Ansetzungen folgen: Während die Keller I und II als roma-
nisch, die Keller III und IV als noch romanisch und frühgotisch zu bestimmen sind, datiert
W. den Kernbau mit den Hüll wänden, die Steinkammer sowie die Keller V—VII an das
Ende des 13. Jhs! Nach einer Urkunde von 1336 läßt sich auf dem Grundstück Barfüßer-
straße 6 ein Stadthaus des Feudalgeschlechtes der Barts nachweisen, das wahrscheinlich als
Familiengehöft bereits seit dem Anfang des 13. Jhs von den Barts bewohnt wurde (übrigens
bis 1501). Es entspricht den Feudalgehöften in der Ritterstraße und anderwärts im Stadtkern
Nordhausens. W.s’ Datierung des Kernbaus in das Ende des 13. Jhs stützt sich weiterhin
auf den Umstand, daß die Hüllwandkonstruktion altertümlicher ist als die des 1320 ent-
standenen sog. Schaeferschen Hauses in Marburg. Die Reihe der sieben Anbauten be-
ginnt in noch hoch gotischer Zeit mit dem hufeisenförmigen Anbau; der 3. Anbau in Gestalt
des großen Giebelhauses an der Blasiistraße steht etwa an der Schwelle des 15. zum 16. Jh.,
an der man auch den Übergang des ursprünglichen Feudalbaues in bürgerlichen Besitz
zu suchen hat. Der letzte und 7. Anbau läßt sich durch die Ziffer 1678 auf einem Sturzriegel
als einzige inschriftliche Jahreszahl absolut datieren.
Eine solche Analyse ist ein gutes Beispiel für die Deutungsmöglichkeiten in der Bau-
geschichte des Stadthauses überhaupt. Wie sehr auch der Kernbau des Hauses in der Bar-
füßerstraße 6 feudalen Charakter trug und ein Hauptstück des Bartenhofes war, so wird doch
ebenso an ihm klar, wie sich der Übergang des historischen Schwergewichtes von der Feudal-
klasse jener Zeit zum Bürgertum in Nordhausen vollzog, wenn hier auch, scheint es, später
als in anderen Städten Deutschlands. — Es bleibt das Verdienst des Verf.s, mit seinen
Schülern Polenz, Herold, Albrecht und dem Graphiker Pretzsch, einen beachtlichen
Beitrag zur Geschichte des Fach werkbau es geliefert zu haben. Das Forschungsinstitut für
Theorie und Geschichte der Baukunst in der Deutschen Bauakademie ließ diese gründliche
und wohlausgestattete Veröffentlichung durch H. MÜTHER betreuen. G. Strauss schließt
als Hrsg, sein Vorwort mit folgendem Wunsch: Wir hoffen, daß auch das Beispiel Nord-
hausen dazu anregt, überall dort, wo durch Aufbaumaßnahmen historische Substanz berührt
wird, dem Anspruch der Geschichtsforschung in ähnlicher Weise zu genügen.
Werner RADiG-Berlin
Hans Müther: Baukunst in Brandenburg bis zum beginnenden 19. Jh. Dresden, Sachsen-
verlag, 1955. 180 S., 165 Abb. u. Pläne. (— Schriften des Instituts für Theorie und
Geschichte der Baukunst, Deutsche Bauakademie).
Eine Besprechung dieses Buches im volkskundlichen Bereich ist um so mehr gerecht-
fertigt, als es der Verf. verstanden hat, die siedlungskundlichen und kulturgeschichtlichen
Erscheinungen in seine baugeschichtlichen und kunsthistorischen Betrachtungen einzu-
beziehen. Letztere haben freilich das Primat, denn nach dem Vorwort des Hrsg.s G. Strauss
soll eine Darstellung der regionalen Bauentwicklung mit den nationalen Traditionen
Das kleine Mühlenbuch
559
unserer Architektur geboten werden. So gebt der Verf. von der Landschaft und den länd-
lichen Siedlungsformen aus, die in ihren Haupttypen gezeigt werden. Dies gilt besonders
für die Volksbauweise, die drei verschiedene Haustypen mit entsprechenden Verbreitungs-
gebieten aufzuweisen hat. In den Nordwesten der brandenburgischen Landschaft reicht
noch die südlichste Ausbreitung des „niedersächsischen“ Bauernhauses (Mödlich b. Lenzen);
in der Ostprignitz und der Uckermark wie im Havelland und in der Zauche wurde eine
Abart des niederdeutschen Bauernhauses (Prenden b. Eberswalde) gebaut, während der
Südosten die Volksbauweise der „wendisch-lausitzischen“ Bevölkerung (Döbbrick b.
Cottbus) besitzt. Hier ist vor allem die Blockbauweise mit dem Umgebinde häufig anzu-
treffen. In der Mark Brandenburg hat sich die sog. mitteldeutsche Gehöftbildung weithin
ausgebreitet, mit ihr auch das Fachwerk als eine Baugewohnheit, die den niederdeutschen
Typen sehr früh eigentümlich war. Neue Hausforschungen werden die Terminologie und
die sehr differenzierten Verbreitungserscheinungen noch mehr zu verfeinern haben, als
dies in der kurzen Übersicht möglich war.
Nach einem Blick auf die Wehrkirchen geht M. zu den städtischen Siedlungen und dem
Städtebau überhaupt über. Ein treffliches Beispiel einer Stadtgründung im Anschluß an eine
Burg mit Burgsiedlung ist Wittstock a. d. Dosse. In der Mark sind nur wenige Städte aus
Dörfern hervorgegangen, so Seelow, Wilsnack, Neustadt und Vetschau. Planmäßige Stadt-
gründungen ohne einen „vorstädtischen“ Kern sind wohl Bernau, Gransee und Guben.
Übrigens ist im vorliegenden Werk die Doppelstadt Berlin-Cölln nicht oder nur dann mit-
behandelt, wenn besondere Bezüge dazu Anlaß gaben (Verf. hat dafür eine besondere
Arbeit vorgesehen und geliefert: Berlins Bautradition. Berlin 1956). Seine ganze Konzen-
tration widmet der Band den Bürgerhäusern, wofür z. B. Perleberg, Brandenburg und Cott-
bus beste Beispiele bieten. Von Prenzlau, Brandenburg und Havelberg werden natürlich
die gotischen Kultbauten in Plänen und neuen Fotos vorgelegt, aber auch Lehnin und Chorin
sind mit Details vertreten. Dem eben geschilderten Kapitel (Feudalzeit bis zu den Anfängen
des Kapitalismus) folgt die Zeit vom beginnenden Absolutismus bis zum Anfang des
19. Jhs. Stadtpläne (Eberswalde, Schwedt a. d. Oder, Templin, Neuruppin, Potsdam,
Frankfurt a. d. O.), städtebauliche Maßnahmen, Bürgerhäuser und gesellschaftliche Bauten
nehmen einen breiten Raum ein. Herrenhäuser und Schlösser wie in Potsdam zeigen
die Ausdrucksformen jener Zeit. Einige Bauten Schinkels schließen die stattliche Über-
schau, die eine typisch brandenburgische sein mußte, ab, wobei sich schon Anfänge des
Eklektizismus abzeichnen und schöpferische Züge, die aus heimatlichen Traditionen ge-
nährt waren, allmählich versiegen. Werner RADIG-Berlin
Hermann Gleisberg: Das kleine Mühlenbuch. Dresden, Sachsenverlag, 1956. 100S., 24 Taf.
Das kleine Mühlenbuch, in der deutschen Heimatbücherei erschienen, behandelt die alte
deutsche Mühle des Feudalismus und blickt nur selten und kurz auf die ältere römische oder
gar orientalische einerseits oder die moderne Großmühle andererseits hin. Sein Verf., der
Leiter der Grimmaer Großmühle und des dortigen Mühlenmuseums, ist sehr kenntnisreich
und könnte auch über die nichtdeutschen Mühlen viel schreiben. Er hat hier dankens-
werterweise in einem kleinen und doch umfassenden populären Büchlein einen reichen
Inhalt ausgebreitet, schreibt anregend und hilft dem Leser mit zahlreichen Abbildungen,
davon 21, meist nach mittelalterlichen Quellen, imTextund weiteren auf 24 Tafeln, darunter
auch Photographien noch stehender Mühlen. G. hat jedes seiner Kapitel historisch an-
gelegt und am Ende Literaturbinweise gegeben.
In fünf Kapiteln behandelt er 1. die Wassermühlen, die ober- und unterschlächtigen,
2. die Wind- und Bockmühlen, 3. die feudale Rechtsordnung mit Zitaten aus alten Weis-
tümern über Pacht- und Anstellungsverhältnisse, Asylrecht, Mühlenfrieden, Mühlenbann
usw. etwa vom 5. Jh. bis zu Hinweisen auf die freie Handelsmüllerei des 19. Jhs, 4. das
„Brauchtum“, das Wandern der Müllerburschen, Innungsleben, Ausbildung der Lehrlinge
usw., und 5. den Ruf des Müllers im Volksmund: Lieder, Geschichten usw., die durchweg
560
Research on Ploughing Implements
den Müller als Dieb anklagen. Er versuchte, zweimal seinen Anteil vom Mehl zu nehmen
oder das Maß zu fälschen. Die Bauern, gezwungen bei dem Müller ihres Feudalherren
mahlen zu lassen (82), sahen sich übervorteilt. Freilich wurden die Müller durch die Aus-
beutung ihrer Herren zu solchem Betrug getrieben (88). Aber daß diese Volksstimmen Aus-
druck einer Opposition der armen Bauern gegen die reicheren, weniger hart arbeitenden
Müller sind, läßt sich nicht hinweginterpretieren. Der Verf. urteilt hier ein wenig romantisch.
Daß der Haß sich im 18. Jh. etwas gelegt hat (89), läßt sich nicht leicht belegen. Gewisse
Äußerungen zugunsten des Müllers gab es auch schon früher (80), sie gehören eben einer
anderen parteilichen Richtung an. Walter RuBEN-Berlin
Research on Ploughing Implements. The Conference in Copenhagen June ist-5th 1954.
Publications from the International Secretariat for Research on the History of Agri-
cultural Implements National Museum, Copenhagen. Kopenhagen 1956.
Auf dem internationalen Kongreß der anthropologischen und ethnologischen Wissen-
schaften in Wien 1952 war innerhalb der Sektion Europa die Schaffung eines ethnographischen
Atlasses unter internationaler Zusammenarbeit erörtert worden. Die Durchführung einer
derartig umfangreichen Aufgabe sollte vorerst probeweise an den Pfluggeräten versucht
werden. Die Diskussion darüber wurde vor der International Commission for Arts and
Folklore in Namur 1953 weitergeführt. Ein Bericht darüber aus der Feder von Sigurd
Erixon findet sich auf Seite 76 — 78 dieses Bandes. Das Ergebnis von Namur war die
Pflugforscher-Tagung im Juni 1954 in Kopenhagen, der ein reger Gedankenaustausch
zwischen namhaften Pflugforschern vorausgegangen war; er ist gleichfalls in diesem Bericht
zum Abdruck gekommen. Über die Gliederung des Materials, seine kartographische Er-
fassung u. a. m. äußerte sich Steensberg (Seite 11 — 26), Brataniö (Seite 26 — 38),
Payne (Seite 38—41) und Kothe (Seite 41—42). Auf Grund dieser vorbereitenden Aus-
sprache konnte Steensberg ein Arbeitsprogramm zum Sammeln von Informationen
für einen internationalen Atlas der Pfluggeräte vorlegen (Seite 42—45), dem Bratanic
(Seite 45—63) einen ausführlichen Kommentar beisteuert.
Den Hauptteil des vorliegenden Berichts bilden die Verhandlungen, welche die Ansicht
der einzelnen Teilnehmer zur geplanten Bestandsaufnahme der Pfluggeräte wiedergeben,
zum anderen eine Reihe bemerkenswerter Vorträge. Aus der umfangreichen, in den skandi-
navischen Ländern bereits sehr weit gediehenen Arbeit auf dem Gebiet der Pflugforschung
berichten NiiloValonen (Helsingfors), der auf die bereits in Finnland geschaffenen 18 Ver-
breitungskarten hinweisen kann, und Sigurd Erixon (Stockholm), der über die sehr
umfangreiche Bestandsaufnahme des Atlas’ der schwedischen Volkskultur sprach. FrantiseK
Sach (Prag) behandelte in seinem Beitrag Development of the Plough and Czech Ruchadlo
speziell den Brachlandpflug und ging dabei auf die Entwicklungsgeschichte des Pfluges in
der ÖSR ein. Über indische Pflugtypen referierte R. P. ChaTTopadhya. Leopold Schmidt
(Wien) betonte in seinem Vortrag Antike und mittelalterliche Pflugscharen in Österreich die
Wichtigkeit der Einbeziehung archäologischer Funde. Ragnar Jirlow (Vesteras,
Schweden) lenkte die Aufmerksamkeit auf einen frühzeitlichen Pflugtyp im Südwesten
Schwedens. Burchard Brentjes (Halle) referierte über Das Problem des Verwendungs-
zweckes der Schuhleistenkeile des Neolithikums. Zur Systematik der Pflugtypen lieferte Robert
Aitken einen grundlegenden Beitrag, der die Notwendigkeit, aber auch die Schwierigkeit
der Ausrichtung einer Bestandsaufnahme auf internationaler Ebene deutlich werden ließ.
Mit der Schaffung des International Secretariat for Research on the History of Agricultural
Implements, das dank der Unterstützung der dänischen Fachwissenschaftler eine permanente
Einrichtung mit einer Fachbibliothek und einem wissenschaftlichen Archiv sein wird, fand
diese Konferenz ihren Abschluß. Sie ist für die weitere Forschung ein verheißungsvoller
Auftakt. DieTagung für Agrarethnographie inBerlin(Herbst 1955)1), zu der das Museum für *)
*) Die Referate dieser Tagung erscheinen als Bd. 13 der Veröff. d. Inst. f. dt. Vk., Berlin.
Zehn Jahre Erforschung der materiellen Volkskultur
561
Völkerkunde zu Leipzig eine Sonderausstellung Feldgeräte zur Bodenbearbeitung, Materialien
zur Entwicklungsgeschichte des Feldbaues beisteuerte, waren in der Deutschen Demokratischen
Republik die ersten erfolgversprechenden Auswirkungen. Hans DAMM-Leipzig
Istvän Tälasi: Az anyagi kultüra neprajzi vizsgälatänak tiz eve (1945 —1955) (Zehn
Jahre Erforschung der materiellen Volkskultur). In: Ethnographia LXVI (1955), S. 5fr.
Als die ungarischen Volkskundler nach 1945 begannen, die wissenschaftliche Arbeit
wieder zu organisieren, konnten sie einerseits wohl an eine gute, alte Tradition anknüpfen;
andererseits aber stellte sie die gesellschaftliche Entwicklung vor neue Aufgaben und Not-
wendigkeiten.
Über die Pläne und Vorhaben, die von den ungarischen Fachvertretern auf dem Sektor
der materiellen Volkskunde in dem Jahrzehnt von 1945 bis 1955 in Angriff genommen
wurden, unterrichtet uns nunmehr ein Bericht aus der Feder Istvän TAlasis, des Lehr-
stuhlinhabers für materielle Volkskunde an der Universität Budapest.
Kennzeichen der modernen ungarischen Volkskunde ist die Gemeinschaftsarbeit. So hat
sich eine Arbeitsgruppe zur Aufgabe gesetzt, alle Zweige der ungarischen materiellen Volks-
kultur zu untersuchen. Beim Umfang dieses Arbeitsgebiets müssen wir uns freilich darauf
beschränken, nur die Schwerpunkte der Forschung zu erwähnen:
Grundsätzlich hervorzuheben ist bei allen Arbeiten, daß neben der Feldforschung das
Studium in den Archiven und die Erfassung des historischen Bildquellenmaterials gleich-
berechtigt und gleichbedeutend nebeneinanderstehen. Die Forschungsorganisation ist so
aufgebaut, daß die Sammelarbeit nicht nur den zentralen wissenschaftlichen Stellen, sondern
auch den regionalen und örtlichen Institutionen zugute kommt. Hierdurch wurde zum
Beispiel ganz besonders der Aufbau des Museumswesens gefördert.
Selbstverständlich steht die Erforschung der bäuerlichen Wirtschaft noch im Vorder-
grund, wobei man wiederum der Geschichte der Gerätschaften besondere Bedeutung bei-
mißt. Aber auch sie werden nicht isoliert betrachtet, sondern in die großen volkskundlichen,
wirtschaftshistorischen und technologischen Zusammenhänge gestellt.
So ist man etwa bei Untersuchungen über bestimmte Geräte zu neuen Betrachtungen und
Ergebnissen über das Ernten gekommen. — Da sich die ungarischen Ethnographen das
Studium aller Zweige der materiellen Volkskultur zur Aufgabe gesetzt haben, wundert
es nicht, wenn wir erfahren, daß sie sich auch mit dem Anbau der Hackfrüchte oder dem
Gartenbau beschäftigen. Gerade diese Studien haben dazu beigetragen, das ethnographische
Bild vom Arbeitsleben des Bauern zu vertiefen und abzurunden.
Selbstverständlich ist man beim Bauerntum nicht stehengeblieben, sondern hat zum
Beispiel auch gewissen Schichten des Landarbeitertums einzelne Studien gewidmet.
Mit dem Hirtenwesen, das seit Jahrzehnten zu den am besten untersuchten Gebieten der
ungarischen Ethnographie gehört, beschäftigen sich mehrere Forscher. Im Vordergrund
scheinen Untersuchungen über die soziale Lage und die Organisation des Hirtentums zu
stehen. — In diesem Zusammenhang müssen auch Arbeiten über Abrichtung, Aufzucht
und Nutzung des Viehs genannt werden, die bereits zu recht aufschlußreichen Ergebnissen
geführt haben.
Besondere Beachtung haben die ungarischen Volkskundler der Wirtschaft in Siedlungen
und Dörfern gewidmet, die in ausgedehnten Sumpf- und Waldgebieten lagen. Dadurch,
daß man an Hand von Archivalien nachzuweisen vermochte, daß auch die Produkte ihrer
Sammelwirtschaft mit in die Zinsbücher der Grundherren aufgenommen waren, wurde
gleichzeitig erwiesen, daß sie durchaus nicht von der Umwelt abgeschnitten waren, wie
man häufig lesen konnte.
Im Rahmen der Erforschung der nur aneignenden Wirtschaftsweise wurden auch das
Jagd- und Fischereiwesen beachtet. Wie bei allen anderen Untersuchungen werden auch
hier die Forschungsergebnisse aus anderen Ländern mit herangezogen.
15 Volkskunde
562
Geschichtliche Grundlagen der Gerätekultur
Untersuchungen monographischen Charakters werden auch auf dem Gebiet der Volks-
ernährung und Nahrungsbereitung angestellt. Um sich ein Bild von den Veränderungen
in der volkstümlichen Ernährungsweise zu machen, haben einige Forscher die Ernährungs-
bedingungen eines Dorfes untersucht, wobei sie nicht nur die Gerichte und die Technik
der Kochkunst, sondern auch das dazu gehörige Brauchtum berücksichtigten.
Beachtenswert scheint uns der Grundsatz der ungarischen Hausforscher, die bei ihren
Untersuchungen das Haus als Schauplatz des Familienlebens und der häuslichen Ver-
richtungen betrachtet wissen wollen. Unter diesem Blickpunkt kommt natürlich auch der
Erforschung des Haus- und Herdgeräts besondere Bedeutung zu.
Abschließend müssen wir erwähnen, daß sich die ungarischen Fachvertreter im Rahmen
ihres Arbeitsprogramms auch mit verschiedenen handwerklichen Berufen, z. B. dem der
Schmiede, Seiler, Seifensieder, Müller, Knopfmacher usw. beschäftigen.
Wir haben, wie schon gesagt, bei unserer Berichterstattung vornehmlich nur die Schwer-
punkte der einzelnen Forschungsunternehmen berücksichtigt, glauben aber dennoch,
einen Einblick in die großzügige Konzeption der ungarischen Ethnographie gegeben zu
haben, von der eine Reihe wertvoller Publikationen zu erwarten sein wird.
Wolfgang jAcoBEix-Berlin
Leopold Schmidt: Geschichtliche Grundlagen der Gerätekultur. Zu den Aufgaben der Er-
forschung des bäuerlichen Arbeitsgeräts, dargetan an den Säegeräten in Kärnten. (In:
Carinthia I 147 (1957), FI. 3/4).
Die vorliegende Arbeit des bekannten Geräteforschers Leopold Schmidt hat sich zur
Aufgabe gesetzt, zu ganz grundsätzlichen Fragen der Methodik unserer Disziplin Stellung
zu nehmen. Darüber hinaus wird am Beispiel des Säeschaffs sehr instruktiv gezeigt, wie
Sch. und sein „Archiv der österreichischen Volkskunde“ Geräteuntersuchungen ansetzen
und durchführen.
„Die etwas zu einseitige Erforschung der Anbaugeräte Pflug und Arl habe es ... längere
Zeit verhindert, daß den übrigen Anbaugeräten eine auch nur annähernd ähnliche Aufmerk-
samkeit geschenkt worden wäre“ (S. 775). Mit dieser Feststellung beleuchtet Verf. scblag-
lichtartig den Stand der Geräteforschung, die es in der Tat durch die begrenzte Blickrichtung
auf den Pflug versäumt hat, viele andere Arbeitsgeräte des Bauern in ihre Untersuchungen
mit einzubeziehen. In etwa entspricht diese von Sch. so treffend geschilderte Situation
der deutschen volkskundlichen Arbeit überhaupt, die erst in jüngster Zeit ganz bewußt
aus den alten, wenn auch gut eingefahrenen Gleisen der Erforschung des Bauerntums aus-
schert und sich anderen, mindest so wichtigen Untersuchungsobjekten zuwendet.
Sch., der, wie bekannt, mit einer Reihe von Untersuchungen u. a. über die schneiden-
den Erntegeräte, den Spaten, die Schaufel hervorgetreten ist, liefert uns nun mit der vor-
liegenden Darstellung über das Säeschaff gewissermaßen eine Vorstudie zu einer sicher
noch zu erwartenden größeren Arbeit über die Säegeräte im allgemeinen: Er geht aus von
einer Schilderung Oswin Moros über den Vorgang des Säens im Kärntner Nockgebiet.
Der Bauer wirft aus dem umgebundenen Säetuch das Saatgut über den Acker. Hinter ihm
trägt seine Frau das Saschäff, das sie je nach Bedarf aus dem Sasäck, der das gesamte
Saatgut enthält, nachfüllt. Wenn der Bauer sein Säetuch leergeworfen hat, füllt es die Frau
aus dem Säeschaff wieder auf.
Diese zunächst recht umständlich erscheinende Art des Säevorgangs hat Sch. ver-
anlaßt, der Geschichte, Funktion und Verbreitung dieses merkwürdig zwischengeschalteten
Säeschaffs nachzugehen. Da das Gerät selbst in der Forschung kaum bekannt ist, auch noch
nicht sytematisch erfaßt wurde, waren elementare Vorarbeiten zu seiner Darstellung von-
nöten.
Zwei wichtige Gesichtspunkte gilt es dabei zu beachten: a) die Herkunft und b) die Ver-
breitung des Geräts. Über Punkt a) gewinnen wir Hinweise durch die Bild- und Schrift-
Geschichtliche Grundlagen der Gerätekultur 563
quellen, aus denen wir gleichzeitig auch Angaben über die „absolute Chronologie“ schöpfen
können. Ist das Material aber so wenig ergiebig, daß die Altersfrage nicht schlüssig gelöst
werden kann — wie es beispielsweise noch beim Säeschaff der Fall ist —, muß der Forscher
den Umweg über die „relative Chronologie“ beschreiten, d. h. er sucht im Brauchtum nach
Verwendung seines Geräts. Denn tatsächlich ist es ja doch so, daß ein Gerät, das zum Beispiel
in Brauchtumszügen mitgeführt wird, immer das ältere sein wird. Sch. vermag auch für
das Säeschaff entsprechende Hinweise zu geben.
Sind die unter a) genannten Voraussetzungen nicht befriedigend zu erfüllen, wird man
über die Verbreitung b) nähere Aufschlüsse erwarten dürfen.
Hier hat Sch. nun festgestellt, daß, wenn auch weniger ein Säeschaff, aber doch ein
Säekorb in ganz Europa bekannt ist. Allerdings wird er nicht „zwischengeschaltet“ — wie
wir es aus Moros Schilderung kennengelernt haben — sondern er ersetzt das Säetuch, d. h. es
wird unmittelbar aus ihm gesät. Nach dem Ergebnis dieser Umfrage in ganz Europa hat
Verf. nunmehr für den Ausgangsraum seiner Untersuchung, Kärnten, die Verbreitung von
Säeschaff und Säekorb festgehalten, aus der sich zwei recht scharf nach beiden Geräten
getrennte Gebiete ergeben haben.
Welchen Aussagewert besitzt diese Verbreitung in Kärnten für die Geschichte der beiden
Säegeräte? So gut wie keinen, müssen wir sagen. Denn — und das ist das besondere Ver-
dienst Sch.s darauf ausdrücklich hingewiesen zu haben — der Untersuchungsraum
Kärnten ist für eine Geräteuntersuchung zu klein. Diese Tatsache benutzt Verf. dazu,
grundsätzlich zur Methode zu erklären, daß Untersuchungen in zu eng begrenzten Räumen
zu Fehlschlüssen führen müssen. Der einzig gangbare Weg kann nur der sein, von einem
Gebiet größerer Verbreitung zur lokalen Verbreitung überzugehen. Dieser Grundsatz
sollte nach den Worten Sch.s auch für die mannigfachen volkskundlichen Atlasunter-
suchungen gelten, von denen der Schweizer Volkskundeatlas als einziger beabsichtigt,
einen breiten Grenzsaum rings um das gesamte Untersuchungsgebiet mitzuerfassen, um die
von außen wirkenden Einflüsse besser und klarer erkennen zu können. „Die landschaftliche
Spezial dar Stellung wird ... durch die großräumige Typenfeststellung wesentlich bedingt.
Wenn man sich über dieses Grundprinzip nicht im klaren ist, kann es sehr leicht zur Lokal-
interpretation kommen, und diese ergibt, wie alle Parallelfälle beweisen, immer wieder
Fehlschlüsse“ (S. 793f.). Für das Säeschaff angewendet, bedeutet das: „Wie es keine Dar-
stellung der Verbreitung des Säeschaffes in Kärnten geben kann, ohne Kenntnis der Ver-
breitung des Säeschaffes in seinem ganzen Ausbreitungsraum, so gibt es auch keine Dar-
stellung der Herkunft, der Geschichte des Säeschaffes in Kärnten ohne Kenntnis der all-
gemeinen Geschichte dieses Gerätes“ (S. 796).
Noch sind die Untersuchungen nicht so weit gediehen, daß sie Endgültiges über Ver-
breitung, Geschichte und Funktion des Säeschaffs aussagen könnten. Sch. kann vorerst
nur andeuten, welche Wege einzuschlagen wären, um zu Ergebnissen zu gelangen. Sicher
dürfte bisher nur sein, daß das Säeschaff — zumal in der merkwürdigen Art der Verwendung,
wie sie uns von Moro für das Kärntener Nockgebiet geschildert wird — einer „Wirtschafts-
form der Untertänigkeit“, also dem Mittelalter, entsprechen muß. Tatsächlich findet sich
auch ein Bildbeleg um 1500 aus Frankreich, auf dem einem Sämann mit umgebundenem
Säetuch das Saatgut aus dem Alaß, einem Schaff, zugemessen wird, das selbst wiederum
aus einem Sack gefüllt wird. Wenn auch im engeren Verbreitungsraum des Säeschaffs in der
Mehrzahl der Fälle aus dem Schaff unmittelbar gesät wird, dürfte doch das Zumessen einer
bestimmten Menge Saatgut die primäre Funktion des Geräts gewesen sein. Denn die Säe-
schaffe im Gebiet des einstigen, recht straff regierten Erzbistums Salzburg sind sich alle
sehr ähnlich und haben fast den gleichen Rauminhalt.
Wenn die Arbeit über das Säeschaff auch noch im Stadium der Voruntersuchung steht,
müssen wir dem Verf. doch dankbar sein für die klare methodische Einstellung
Zu den Dingen, die von einem Berufenen zur rechten Zeit eingenommen wurde. Im eng-
begrenzten Raum kann und soll man Material sammeln. Wirkliche Zusammenhänge und
Wertungen können sich aber nur in einem sowohl sachlich als auch geographisch 'weit-
gespannten Rahmen ergeben. Wolfgang JACOBEIT-Berlin
i5*
564
Zur Sachvolkskunde des Burgenlandes
Leopold Schmidt — Norbert Riedl: Die Johann-R.-Bünker-Sammlung zur Sach-
volkskunde des Burgenlandes. Eisenstadt 1955. Brosch. (= Wissenschaftliche Arbeiten aus
dem Burgenland, Heft 6).
Franz Kollreider: Katalog zum Museum bäuerlicher Arbeitsgeräte in Schloß Bruck.
Lienz. (In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde XI (1957), Heft 1).
Die Anregung und Förderung, welche die europäische Geräteforschung und Sachvolks-
kunde durch Leopold Schmidt, den verdienten Leiter des Österreichischen Museums
für Volkskunde in Wien, seit Jahren erfahren hat, findet neuerdings in weiteren Unter-
nehmungen, die das gerätekundliche Quellenmaterial Österreichs der Forschung erschließen
sollen, sichtbaren Ausdruck.
Die Ausstellung Bauernwerk der AltenWeit (Wieni954), über die wir im DJbfVk III (1957),
S. 330-333, berichten konnten, hatte wieder einmal erwiesen, wieviel ungehobene Schätze
in den Depots der Museen schlummern und von der Forschung noch nicht ausgewertet
wurden. Diese Erkenntnis hat Sch. zweifellos bestimmt, zusammen mit dem Direktor
des Burgenländischen Landesmuseums, Norbert Riedl, einen vorzüglich ausgestatteten
Katalog der Gerätesammlung Johann R. Bünkers herauszugeben.
In seinen Arbeiten maßgeblich von Michael Haberlandt und Rudolf Meringer
beeinflußt, gilt Johann R. Bünker nach den Worten Sch.s als „eigentlicher Begründer
der Burgenländischen Sachvolkskunde“. Als Kustos am Museum in Ödenburg sammelte B.
vor allem Ethnographica der westungarischen Landschaften, die er, da das Österreichische
Museum für Volkskunde noch nicht bestand und es auch politisch noch kein Burgenland
gab, zum großen Teil der Ethnographischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in
Wien überantwortete. Hätte B. in seinen Publikationen selbst nicht viele der von ihm gesam-
melten Geräte abgebildet und beschrieben, wären seine Leistungen für die Geräteforschung
kaum bekannt geworden; denn all die Dinge, die er der Ethnographischen Abteilung des
Wiener Naturhistorischen Museums gab, haben nie den Weg in die Öffentlichkeit gefunden,
auch dann nicht, „als 1926 die Ethnographische Abteilung als Museum für Völkerkunde ver-
selbständigt wurde“. Die BüNKERsche Sammlung „wurde einfach als Depotbestand weiter-
behalten, kam selbstverständlich nie zur Ausstellung, da es sich um europäisches, ja öster-
reichisches Material handelte und wurde auch nicht bearbeitet“.
Es ist auch hier wieder der Initiative Sch.s zu danken, diese Sammlung aus dem Dunkel
der Depots des Völkerkundlichen Museums in Wien ans Licht der Öffentlichkeit gebracht
zu haben. Als Dauerleihgabe ist sie heute im Österreichischen Museum für Volkskunde
der Forschung wieder zugänglich gemacht worden1).
Dieser „verborgene Schatz der burgenländischen Sachvolkskunde“ wird nun auch dem
Fachmann außerhalb Österreichs durch einen Katalog, in dem mehr als ein Drittel der
Exponate abgebildet ist, nahegebracht. — Die einzelnen Geräte sind genauestens be-
schrieben und verzeichnen neben dem Herkunftsort und den jeweiligen Inventarnummern
die wichtigsten Vermessungsdaten. Auch einige Literatu rangaben sind für einzelne Geräte
mit angeführt worden. Sehr glücklich scheint uns der Gedanke der Herausgeber, Gegen-
stücke zu den BÜNKERschen Sammlungsgegenständen aus dem Burgenländischen Landes-
museum mit in den Katalog aufzunehmen. — Bei den Abbildungen ist man von den sonst
gebräuchlichen Fotos abgekommen und hat stattdessen Federzeichnungen von Liesl
Freiinger-Wohlfarth gewählt, die das Typische eines Geräts plastischer auszudrücken
vermögen.
Wir haben noch ein zweites Museumsinventar zu erwähnen, das in Österreich heraus-
gekommen ist und sich ganz deutlich den Katalog Leopold Schmidts zur Bauernwerk-
ausstellung 1954 als Vorbild genommen hat: Franz Kollreider führt uns an Hand eines
sehr sinnvoll nach Funktionsgruppen gegliederten Inventars durch das von ihm geleitete
Museum bäuerlicher Arbeitsgeräte in Schloß Bruck bei Lienz. Dieses spezielle Geräte-
-1) Wir haben die Geschichte der BÜNKERschen Sammlung so ausführlich gebracht, weil
sie uns symptomatisch für das Schicksal auch mancher deutschen Sammlung zu sein scheint.
museum besteht praktisch erst seit 1955. Der Gedanke, eine solche Sammlung zu schaffen,
erwuchs wohl erst nach 1945, doch lag er ganz in der Konsequenz der jahrzehntelangen
wirtschaftshistorischen und volkskundlichen Feldforschungen Hermann Wopfners in
Tirol, der zusammen mit seinen Schülern schon einige Gerätschaften auf dem Dachboden
des Tiroler Volkskundemuseums deponiert hatte. Die eigentliche Sammelarbeit „aller vor-
maschinellen Arbeitsgeräte eines Osttiroler Bauernhofes“ wurde während der Bauperiode
des Gerätemuseums in den Jahren 1952/54 durchgeführt und die einzelnen Gegenstände
jeweils sofort aufgestellt2).
Wie beim Inventar der BÜNKERschen Sammlung sind auch in K.s Katalog die einzelnen
Gegenstände beschrieben, vermessen und mit Inventar nummern versehen. Ebenfalls
wurden auch „Gegenstücke“ mit aufgenommen. Der bibliographische Apparat ist ähnlich
wie beim Bauernwerkskatalog Sch.s stärker ausgebaut. Der starke Abbildungsteil
gliedert sich in Fotos aus dem Museum selbst und in Federzeichnungen einzelner Geräte.
Über die sonst sehr zu begrüßende Aufgliederung des Inventars in Funktionsgruppen
wäre vielleicht für weitere Museumskataloge anzuregen, die Gruppen noch enger zu fassen.
Denn nur sehr bedingt lassen sich Joche in die Gruppe der Ackergeräte einreihen. Auf
keinen Fall aber gehören Mühlen, Mühlenzubehör oder gar ein Brotrehm zu den „Drusch-
geräten“.
Wenn wir abschließend beide Sammlungskataloge in größerem Zusammenhang be-
trachten wollen, müssen wir sie als neues Quellenmaterial zur Sach Volkskunde wärmstens
begrüßen. Wir möchten wünschen, daß diese neue Initiative Leopold Schmidts nicht nur
in Österreich, sondern auch in anderen Ländern Europas aufgegriffen werde. Denn was
uns heute in der Geräteforschung, die immer stärker im gesamteuropäischen Rahmen arbeitet,
vor allem not tut, ist gutes, sachkundliches Quellenmaterial, das in der Art und Weise, wie
es für die BÜNKERscbc Sammlung und das Gerätemuseum auf Schloß Bruck zusammen-
gefaßt und dargestellt wurde, leicht erschlossen werden kann3).
Wolfgang JACOBEIT-Berlin
Der 43. Jahrgang (1956) der tschechischen volkskundlichen Zeitschrift Ceskff lid über-
rascht den Leser mit einer Fülle wertvoller Arbeiten aus fast allen Gebieten der Volkskunde.
Ein umfangreicher Berichts- und Rezensionsteil vervollständigt die in repräsentativer
Ausstattung herausgegebene Publikation.
Wir wollen nur einige der umfangreicheren Aufsätze erwähnen: Einen Beitrag zur
Geschichte der tschechoslowakischen Volkskunde und der Zeitschrift Cesky lid bringt
Jän Mjartan fJozef Uudovit Holuby a ,,Cesky lid“, — J. L. Holuby und die Zeitschrift
„Cesky lid“). Über das folkloristische Werk des tschechischen Dialektologen und Volks-
kundlers FrantiSek BartoS schreibt J. Vyslouzil (Nad folkloristickym dilem Frantiska
Barlose). Probleme der Volksliteratur behandeln u. a. folgende Arbeiten: KramarIk:
Die tschechische antifeudale Sage (Ceskä povest antifeudalni), O. Sirovätka: Sagen der
heutigen Volksüberlieferung im Gebiet von Boskovice (Povesti v soucasnem lidovem podäni na
2) Nach den dem Katalog beigegebenen Fotos, die Ausschnitte aus einzelnen Abteilungen
des Museums zeigen, möchten wir annehmen, daß beim Aufbau nicht immer die organischen
und funktionellen Zusammenhänge gewahrt wurden, wie sie für ein solches Spezialmuseum
notwendig sind. So zeigt z. B. Abb. 2 auf Taf. III Eggen, Sicheln, Joche und ein Setzholz.
Auch scheinen uns Häcksellade, Kumpfe, Sensen und Harke nichts mit Traggeräten zu tun
Zu haben (Abb. 1, Taf. V).
3) In diesem Zusammenhang dürfen wir darauf hinweisen, daß das Institut für deutsche
Volkskunde eine systematische Erfassung des gesamten bäuerlichen Arbeitsgeräts in allen
Museen der Deutschen Demokratischen Republik durchführt und ein entsprechendes Foto-
archiv anlegt. Die Gebiete Brandenburg und Thüringen sind bereits aufgenommen worden.
Einen ausführlichen Bericht über diese Aktion bringen wir im nächsten Bande unseres
Jahrbuchs.
"' .Aö*'
566
Cesky lid
Boskovicku), P. Nedo Sorbische Volksmärchen (Luzicko—srbske lidove pohädky). In einem
Aufsatz anläßlich des ioo. Todestages von L’udovit Stur untersucht A. MelicherMk
das Verhältnis des großen slowakischen Publizisten und Wissenschaftlers zur slawischen
Volksdichtung (L’udovit Stur a l’udovä slovesnost’ Slovanov). V. Brett und O. SkalnIkovä
berichten über einen neuen Fund von Arbeiterliedern (Novy nälez delnickych pisni) und
O. Sirovätka behandelt die Bildung von Volkserzählungen um Josef HybeS, einen
Vorkämpfer des Sozialismus in der Tschechoslowakei im Industriegebiet von Rosice-Osla-
vany (Obraz Josefa Ilybese v lidove tradici na Rosicko-Oslavansku). Die Volkslieder der Töpfer
aus Künstelt in Mähren bilden den Gegenstand einer Untersuchung von V. Prazäk (Hrncifske
lidove pisrie z Kunslätu na Morave). Fragen des Volkstanzes und der Tanzschrift stellen
Z. JelInkovä (K problernatice Choreograf ickeho zäpisu tocivych tancu — Zur Problematik
der Tanzschrift bei Drehtänzen) und V. Vycpäleic in einem Überblick über die Tanzfamilie
„Skolackä“ dar. Von einem verhältnismäßig jungen Brauch und seiner Entwicklung be-
richtet Dagmar Rychnovä in ihrem Beitrag Weiberbälle in Rohoznä (Rohozenske babske
bäly). Daß die tschechischen Volkskundler besonderen Wert auf die Träger der Volks-
kultur und ihre Darstellung in Monographien legen, zeigen Studien wie die von J. Jech:
Venceslav Metelka, ein volkstümlicher Chronist aus dem Riesengebirge, ein Kapitel zur
Geschichte der Folkloristik und Folklore (Krkonossky pistnäk Venceslav Metelka. Kapitola
z dejin folkloristiky a folkloru), F. Kutnar: Frantisek Safränek, ein Chronist und Zeichner
aus dem Volke (Lidovy kronikäf ci kreslif Frantisek Safränek), K. Vetterl: Aus dem
Leben und der Arbeit der nordmährischen Sammlerin Anezka Sulovä (Ze zivota a präce
severomoravske sberatelky Anezky Sulove) und K. Klusäk: Beta Cambalovä, eine Stickerin
aus dem Volke (Lidovä vysivacka Beta Cambalovä). Einen Beitrag zur Beschreibung der
Tracht des Gebietes Podluzi in Ostmähren liefert L. Onderkovä-Dostälovä mit ihrem
Aufsatz Die Kindertracht in Podluzi (Detsky krof na Podluzi)-, und über die „Halena“, einen
mährisch-slowakischen Bauernmantel, handelt J. Bene§ in Haleny im Gebiet von Ungarisch-
Brod (Haleny na Uherskobrodsku). Aus dem bildnerischen Schaffen des tschechischen Volkes
bringt uns A. Ruziökovä-Häjkovä die südtschechische Mischenplastik des i8.una I9-Jhs
nahe (Jihoceskä vyklenkovä plastika 18. a 19. stoleti).
Der materiellen Volkskunde sind viele Arbeiten des Jahrgangs gewidmet. So be-
schäftigt sich D. Stränskä in zwei längeren Artikeln Schöpfer volkstümlicher Kunst
(Tvurci. lidoveho umeni) mit Bauernmöbeln aus Südwestmähren und dem Isergebirge. Einen
Beitrag zum Studium der volkstümlichen Bauten im Gebiet Vsacko (Pfispevek ke studin
lidovych stciveb na Vsacku) gibt J. St’astny. Zur Entwicklung der Pilsener Porzellan-
manufaktur schreibt V. Mentberger Plzenskä porculänka, während B. Stiess mit seiner
Arbeit Der Streit um Fichtenbach (Spor o Fichtenbach) eine Studie zur Geschichte der west-
böhmischen Glasindustrie liefert. Landschaftlich das gleiche Gebiet behandelt F. Vanöfe
in seinen Bemerkungen zur häuslichen Spitzenklöpplerei im ehemaligen Grenzgebiet tschechischer
und deutscher Besiedlung in der Gegend von Taus und Bischofteinitz (Poznämky o domäckem
krajkäfstvi na byvalem pomezi ceskelio a nemeckeho osidleni Domazlicka a Horsovolynska)■
Einen Beitrag Zur Geschichte des Weinbaus in Mähren liefert K. Fojtik (K dejinäm
vinarstvi na Morave).
Verhältnismäßig breiter Raum ist in diesem Jahrgang der Bergmannsvolkskunde
gewidmet: (E. HandiakovÄ: Das Leben der Kuttenberger Häuer und seine Widerspiegelung
im Titelblatt des Kanzionals des Buchmalers Matthias — Zivot kutnoliorskych havifü a fehfi
odraz v titulnim listu kancionälu Matouse iluminätora — E. HorovÄ: Bergmannskapelle11
im Gebiet von Oslavany — Hornicke kapely na Oslavansku — und M. Jaro§: Die Produk-
tionsverhältnisse im Kuttenberger Bergbau um die Mitte des 16. Jahrhunderts. (Vyrobn1
pomery v kutnohorskem hornietvi v polovine 16. stoleti). Zum Volksrecht finden wir einen
Aufsatz Auf den Feldrain bezogene Rechtsvorschriften und -gebräuche im Leben des tsche-
chischen Volkes im 17. und 18. Jahrhundert von J. Klabouch und V. Prochäzka (Pfedpisy
a obyceje mezniho präva v zivole ceskeho venkovskeho lidu v 17. a 18. stoleti). L. Kunz bringt
einen Artikel über tschechische volkskundliche Museen mit einer Liste der wichtigsten
olkskundemuseen Europas (Za ceskä närodopisnä musea). Wilfried FiEDLER-Berlm
Personen- und Sachverzeichnis
Bearbeitet von Reinhard Peesch—Berlin
I. Personen
(Die Mitarbeiter-Namen sind kursiv gedruckt)
Aarne, A. 223
Aichele, W. 495
Aigner, L. 31
Aitken, R. 560
Aken, J. v. 179
Akimowa, T. M. 204
Albert, St. 31
Albertus Magnus 362
Alcock, F. J. 514
Alexandra, T. 527
Alfarie, P. 219
Almaengien, J. v. 196 fr.
Amman, J. 379fF-
Andersen, H. Chr. 505
Anderson, W. 507
Angles, H. 208
Aristophanes 151
Assing, L. 154
Atakischijewa, M. I. 203
Auerbach I47f.
Augustinus 392
Au Inoy, de 221
Aurbacher, L. 372, 387
Avasi, B. 528
Axel-Nilsson 497
Azevedo, L.-H. C. de 5 28
Baal-Schemtow 187, 189,192
Bachmayr, I. 147
Bachofen J. J. 194
Bäckström, P. O. 496
Balas, E. 339
Baldass, L. v. 178, 183
Balys, J. 510
Barre, W. la 508
Bärdos, L. 528
Bartha, D. 207
Bartök, B. 31, 457, 463, 527
Bas, A. 341
Bas, F. 341
Bäsecke, G. 352
Baud-Bovy, S. 528
Baughman, E. W. 510
Baumgarten, K.: Rez. 334h
Baumgartner 152, 156
Beaumont, L. de 221
Beaumont, M. de 500
Becher, J. J. 443
Beck, H. 513
Beckmann, P.: Rez. 271fr.,
535 f-
Bednarik, R. 399
Beitl, R. 269fr., 298fr.
BeUnyesy, M.: Rez. 524 fr.
Belitzer, W. N. 203
Beljaev, V. 528
Bcrendsohn, W. A. 12
Berger, D. 509
Berger, U. 557
Bilz, R. 474 t.
Björndal, A. 206
Bladé, J. F. 220 F.
Blanchet 369 ff.
Blau, J. 327F
Boberg, I. M. 269, 504h
Böckel, O. 31
Bodker, L. 494, 503, 505 h
Boggs, R. S. 509, 512
Böhme, F. M. 475
Boite, J. 387
Borchers 421, 442
Borde, A. 376f., 380fr.
Borotav, P. N. 217
Bosch, H. 169fr.
Boschhuysen 173
Bosshardt, H. 534
Braak, I. 533
Brailoiu, C. 528
Bramm, O. 270
Bratanic, B. 560
Breacchetti, M. 26
Brendel, F. 420
Brendle, Th. R. 513
Brentjes, B. 560
Bretschneider, A.: Rez. 541 f.,
270
Brewer, J. M. 513
Brockhaus 150
Bronckhorst i72f., 193
Bronson, В. 488
Bryant, M. M. 513
Buber, М. 187, 533
Buchda, G.: Rez. 312fr.
Bugge, E. S. 350h, 354, 363
Bünker, J. R. 564
Burchard von Worms 364
Burger, A. 64, 68, 73, 107
Bürger, G. A. 503
Butinow, N. A. 202
Cabanas, A. 177
Cadic, F. 216
Caesar 362
Calderon 534
Campbell, M. 511
Carrière, J. M. 511
Casembroot, J. de 169
Celander, H. 496
Cézerac, S. 215
Chamber 352
568
Personen- und Sachverzeichnis
Chapelle d’Apchier, A. de la
218
Chase, R. 511
Chattopadhya, R. P. 560
Child, F. J. 507
Choroschajewa, I. F. 202
Christensen, A. 501 ff.
Christiansen, R. Th. 353,
355, 496, 507
Claudel, C. 511F
Clauss, H.: Bergmännische
Arbeitsvorgänge in volks-
künstlerischer Gestaltung
40701. Rez. 273ff., 327fr.,
538
Clemen, C. 352
Coirault, P. 213
Collaer, P. 528
Collinson, F. 488
Combe, J. 178
Comisel, E. 527
Cotta, G. v. 164
Creighton, H. 5x1
Cromwell 376 F
Cross, T. P. 510
Curdy, M. 512
Cust, L. 177, 183
Cuzacq, R. 218
Dal, E. 206
Damm, H.: Rez. 5 60 F
Danckert, W. 528
Dégh, L.: Rez. 281 ff.
Delamarre, M. J. B. 141,
33iff.
Delarue, P. 213 fr.
Desmonde, W. H. 508
Deubner, L. 546 fr.
Dietze, K. 538
Dinic, M. J. 403
Disney, W. 223
Divanach, M. 216
Doege, H. 379
Dolansky, J. 2x0
Dollmayr, H. 176, 186
Domokos, P. 32
Dontenville, H. 224
Dörr er, A. 315 fr.
Dorson, R. M. 508, 513
Drägoi, S. V. 527
Dreyer, M. 375
Drouille, J. 219
Dünninger, J. 542fr.
Dunst, G.: Rez. 546fr.
Eberhard, W. 217
Eberhard 368
Ebermann, O. 358
Eckardt, L. 148, 165
Egmont, Graf 169
Ehrenberg, H. 533
Ehrenberg, R. 533
Ehrismann, G. 358, 361, 363
Fichier, E.: Rez. 519fr.
Eisner, J. 339
Eligius 362
Ellekilde, H. 504
Elling, Chr. 503
Emsheimer, E. 206
Engelbrecht, Th. H. 136
Erben, K. J. 339
Ergis, G. I. 204
Erich, O. A. 269fr., 431
Erixon, S. 269, 397, 560
Espinöso, A. M. 512
Falk, J. D. 370fr.
Fehr, Fl. 312 fr.
Félice, A. de 216, 219, 224
Feuerbach 149
Feyerabend, S. 380
Fiedler, W.: Rez. 565 F
Fink, W.: Rez. 557
Fischart, J. 367, 374F
Flowers, H. L. 510
Fraenger, W.: Der vierte
König des Madrider Epi-
phanias-Altars von Hiero-
nymus Bosch 169 fr., 418
Freiligrath, F. 150
Freud, S. 12
Friedländer, M. J. 177, 196
Fromm, E. 508
Frommann, J. Chr. 358
Fugger, J. 385
Gabrovec, St. 340
Gajek, J. 310
Gansiniec, R.: Rez. 310 fr.
Garneret, J. 216, 218
Geisberg, H. 559F
Gennep, A. v. 218
Gerrits, E. 22.
Gessler, J. 271fr.
Ghisis, F. 208
Ginsburg, W. W. 202
Goedecke, K. 387
Goethe 150
Gönczi, F. 404
Gorki 28.
Görres 147
Gotthelf, J. 145, 147F, 166
Gottschalk, W. 370
Graben, A. v. 406
Gradenwitz, P. 207
Graf, W. 207, 488
Grassi, B. 380
Grätsch, A. D. 202
Greenway, J. 28iff.
Gregor, Papst 170fr., 356
Grillo, B. del 503
Grimm, Brüder 296fr., 496
Grimm, J. 16, 348fr., 371 f.
Grimm, P. 393
Grimm, W. 11
Grober-Glück, G.: Heidelbeer-
lieder aus Thüringen
470 fr. Rez. 542
Gromow, G. G. 203
Groth, P. 12, 17
Grudde, H. 27
Grül, G. 521fr.
Grünblatt, M. J. 202
Grundig, Chr. G. 431, 435
Gruterus, J. 368
Gugitz, G. 290f.
Gunda, B.: Rez. 335F, 400
Gutenbrunner, S. 350F
Gutzkow 153
Györffy, I. 326F, 399
Haas, M. 402
Haavio, M. 508
Haberlandt, M. 564
Hackman, O. 495
Hain, M. 538fr.
Haimos, I. 449
Halpert, H. N. 511
Hand, W. D. 269
Hansen, W. 270
Harrod, H. 509
Hasalova, V. 339
Haudricourt, A. G. 141,
331fr.
Hauffen, A. 367
Haupt, L. 47, 67, 104
Havard, O. 219
Heere, L. de 377F, 380
Hegi, J. S. 154
Heimberger, H. 277 f.
Helm, K. 350
Personen- und Sachverzeichnis
569
Hennig, J. 509
Henssen, G.: Rez. 536. 22,
26, 5 3 5 f.
Henzen, W. 541h
Hepding, H. 476
Hettner, H. 146, 148 fr.
Heusler, A. 13, 17, 352
Hillenbrand, K. 555
Hindringer 35 if.
Hoerburger, F. 488, 5306
Hoffmann, H. 535h
Hoffmann, J. G. 435, 438
Hoffmannsthal, H. v. 534
Hollenberg, G. H. 412
Holtz, G.: Rez. 548 h
Hoty, L. 340
Honigman, J. J. 513
Hooper, W. H. 377
Hoorn, Graf 169
Horak, J. 209, 339
Hornberger, Th. 275 ff.
Hrabalova, O. 338
Hrbek, I. 338
Huber, W. S. 206
Hudson, A. P. 509
Hudson, W. M. 509
Hull, V. 540T
Huppertz, B. 135
ikeda, H. 510
Ilg, K.: Rez. 521 ff.
Inogamow, Sch. I. 202
Insam, M. 315 ff.
Ismogilowa, R. N. 202
Israel ben Elies er 187
Its, R. F. 204
Jablotschkow, L. D. 202
Jackowski, A.: Das volks-
kundliche Schrifttum Po-
lens seit 1945 227 ff.
Jacobeit, W.: Jochgeschirr-
und Spanntiergrenze 119 ff.
Bericht über die Konferenz
der Geräteforscher 482 fr.
Fragebogen zur Geräte-
forschung in Albanien 484.
Ein Fragebogen zur Schä-
fervolkskunde in Deutsch-
land 485 ff. Rez. 275 ff.,
33off., 3406, 5266, 561 ff.
Jacobsen, E. 506
Jacoby, A. 362
Jagamas, J. 527
James, Th. 5x4
Jârdânyi, P. 448, 463, 528
Jarosch, G.: Konferenz über
die tschechische und die
slowakischeVolksdichtung
208 ff.
Jech, J. 339f.
Jirecek, C. 403
Jirlow, R. 560
Joachim v. Fiore 548t'.
Joisten, Ch. 216, 219
Jolies, A. 12, 21
Justi, C. 176, 191
Kacarosa-Kukudova R. 527
Kahlo, G. 18, 23
Kaiser, H. 5 3 x ff.
Kaltwasser 371
Karbusickÿ, V. 288ff.
Kârolyi, A. 335 f.
Karpeles, M. 528
Karwot, E. 310fr.
Kästner, O. 322 fr.
Kauffmann, Fr. 249
Keller, G. 145 ff.
Kerényi, G. 528
Kiefer, E. E. 508
Kirchhof, H.. W. 375
Kirtley, B. 510
Kiss, L. 32, 280L
Klee, W. 220
Klüsen, E. 529
Kodâly, 2. 31L, 38 f., 447,
45i, 457, 527L
Koechlin, E. 217, 220
KoePP, J- 5296
Kollreider, F. 483, 5646
Kolpakowa, N. P. 204
Komorovskÿ, J. 209
Koren, H. 482
Kothe, H. 560
Kovacevicovâ, S. 337
Koväcs, L. 399 ff.
Kramarik, J. 338, 340, 484
Kresänek, J. 527
Kretschmer, A. 67 f.
Kretzenbacher, L. 306
Krieger, J. 95
Kriss, R. 552F
Kriss-Rettenbeck, L. 552L
Kristensen, J. E. T. 506
Krohn, K. 353ff., 508
Krüger, F. 93, 109
Krupjanskaja, W. J. 203
Kuhn, A. 352
Kuhre, J. P. 504
Kunitzki, A. S. 203
Kunsdorff, E. 557
Kunst, J. 528
Künzig, J. 488
Kuret, N. 307
Kuschner, P.I. 203, 205, 337
Kutscher, A. 315 ff.
Lademann, W. 301 f.
Lajtha, L. 527
Lang, A. 508
Lansky, J.: Rez. 288ff.,
3 36 ff.
Lawrow, F. I. 204
Lea, A. 512
Leach, M. 508
Lebede, H. 532L
Lebedjewa, N. I. 203
Lehmann, Chr. 368L
Lehmann-Nitsche, R. 541
Leibniz 368
Lelièvre, P. 216
Leser, P. 119,141
Lessing 3686
Lewicki, J. 95
Leyen, F. v. d. 508
Liljeblad, S. 498
Lincoln, Lord 377
Liszt 152
Liungman, W. 494 ff., 504
Loorits, O. 269
Loudon, J. C. 124
Lowrimore, B. 511
Lücking, W. 5 5 6 f.
Lugowoi, N. 48, 67
Luther, M. 381
Lüthi, M. 14, 220 f.
Luzel, F. M. 220
Lynar, Graf 503
Mac Culloch, J. A. 500
Maclean, C. 496
Magon, L.: Rez. 315 fr.
Magoun, F. P. 509
Mais, A. 307
Maissen, A. 302 fr.
Mäkinen, E. 526L
Manninen, P. 397
Mansikka, V. J. 355
Marbowa, J. I. 202
Marcel-Dubois, Cl. 488
570
Personen- und Sachverzeichnis
Marcellus Empiricus 364
Marek, V. 338
Marie-Ursula 512
Markow, G. J. 202
Martinez, Q. E. 510
Maslowa, G. S. 203
Massignon, G. 215 f., 219
Masüger, J. B. 534h
Mathesius, J. 434
Maugard, G. 2x6
Meisen, K. 308 ff.
Meitzen, A. 138
Melatinski, J. M. 204
Melichercik, A. 209, 339
Méraville, M. A. 216, 218
Meringer, R. 564
Meyer, E. H. 139, 351, 353
Meyer, J. 379
Meyer, R. M. 353h
Meyer, R. T. 509
Meyer-Heisig, E. 3 x 8 ff.
Michaelides, S. 206
Michailow, N. 270
Millien, A. 213 ff.
Minerophilus 421
Mir, M. 218
Mirbt, R. 531 ff.
Mistral, F. 223
Mogk, E. 363
Möller, H. 488
Moora, Ch. A. 202
Morel, K. 153
Morvay, P. 291h
Morvay-Szolnoky, J. 524fr.
Mosenthal 148
Moser, H. 306
Moser, EI. J. 475
Moser, O. 483
Moser-Rath, E.: Rez. 290f.,
298 fr.
Mosmans, J. 179
Moulis, A. 216
Mozart 207
Mrâz, A. 209
Mühlmann, W. 461
Müller, E. 47E, 53, 55 h,
63 ff.
Musculus, A. 374E, 580
Müther, H. 5 5 8 f.
Nagyvati, J. 400
Nahodil, O. 337
Narr, D. 269
Neckel, G. 350
Nedo, P. 208, 536, 5 56f.
Neumann, D. 510
Neweklowsky, E. 278 fr.
Nickel, ./.: Rez. 308fr.
Nicolaus von Dinkelsbühl
363
Niederer, A. 523f.
Niederle, L. 339
Niedner, F. 353
Nielssen, Chr. 503
Nikol’skij, S. V. 208 f.
Nowotny, K. A. 307
Nyerges, A. 5x0
Ohrt, F. 349, 356
Olrik, A. 501
Opifex, M. 396
Orel, B. 340, 483
Ortutay, G.: Fragebogen zur
Sammlung von weihnacht-
lichen Umzugsspielen
489fr. Rez. 292 fr. 208 f.
O’Suilleabhain, S. 507
Otfried 362
Ott, A. 154
Otto, K.H.: Ethnographische
Allunionstagung in der
UdSSR 201 ff.
Otto, W. F. 300 f.
Ovid 364
Paden, W. D. 509
Pallat, L. 552E
Palleske, E. 149,153
Palmadé, J. 218
Panzer, F. i2f.
Paulus Diaconus 360
Payne 560
Péczely, A. 448
Peesch, R.: Rez. 3oif., 5i8f.,
523h, 534E
Peeters, K. C. 271fr.
Peppier 512
Perbosc, A. 2x5
Perényi, I. 3 3 5 f.
Pérez 512
Pernot, H. 224
Perrault, Ch. 21, 214, 222 f.
Pertold, O. 337
Pesovár, E. 291 f.
Pessler, W. 130E, 136
Petersen 154
Peuckert, W. E. 14, 269
Pfeffel, G. C. 369 f.
Pfister, F.: Rez. 300f.
Pforr, A. v. 503
Philipp II. 169
Philippson, E. A. 508
Picken, L. 528
Pieske, Chr.: Rez. 322fr.
Pimenow, W. W. 203
Pischt, W. 533
Platen 151
Plicka, K. 339
Plisetzki, M. M. 204
Plisetzki, M. S. 204
Plutarch 366 fr.
Polhammer, Chr. 412
Pomeranzewa, E. W. 204
Pooler 512
Potapow, L. P. 202
Potechin, 1.1. 202
Pourrat, H. 218
Preissecker, K. 405
Premier, W. 351
Propp, VVladimir Ivano-
vic Cicerow zum Gedächt-
nis 48 if.
Puschkarjowa, L. A. 203
Quellmalz, F. 208
Quevedo, F. de 169
Rabelais 374
Racek, J. 339
Radig, W.: Rez. 558E, 335f.
Raffay, A.: Rez. 291 f.
Rajeczky, B.: Typen unga-
rischer Klagelieder 3xff.
527E
Randolph, V. 511
Ranke, F. ix
Ranke, K. 269
Rasmussen, H. 507
Rattelmüller, P. E. 326
Raupp, J.: Rez. 5 30f.
Reboul, J. 218
Redlich, C. Ch. 369
Reisch, E. 533
Reitz, G.: Stand der volks-
und heimatkundlichen
Museen in Sachsen 21 off.
Rembrandt 395
Reuter, F. 223
Rhamm, K. X38, 140
Richter, E.: Rez. 5 49 ff.
Riedl, N. 564t.
Riklin, F. 12
Rioux, M. 512
Ritz, J. M.: Rez. 555
Robakidse, A. I. 203
Robe, St. L. 512
Roberts, L. 511
Roberts, W. E. 494, 496, 509
Rodenberg 149
Rohmann, A. 504
Röhrich, L.: Die Märchen-
forschung seit dem Jahre
1945 213 ff., 494ft.
Rosenberg, A. 548 f.
Rosenfeld, H. F.: Rez. 302ff.
Rosenstock, E. 533
Rosenzweig, F. 533
Roth, F. W. E. 356
Rouchon, U. 218
Roy, C. 512
Ruben, W.: Rez. 559Ü
Rumpf, K. 391, 393
Rumpf, M. 273 ff.
Rydbeck, O. 497
Sach, F. 484, 560
Sachs, H. 24 f.
Sadychina, K. L. 202
Safarik, P. J. 519ft-
Sahlgren, J. 496
Salesski, À. I. 203
Salmen, W. 208, 529 h
Sandkühler, K. 221
Sarf, F. 341
Sasonowa, M. W. 204
Satke, A. 210
Save, P. A. 496
Savigny 372
Savvaitov 352
Saxo Grammaticus 221
Schalekenow, U. 203
Scharewskaja, B. I. 202
Scheir, J. G. 204
Scheufier, V. 337, 340
Scheybal, J. v. 337h
Schiller 15 5 f., 164, 168
Schiorring, N. 488
Schlee, E. 334
Schlosser, P. 536 fF.
Schmaler, J. E. 47, 67, 104
Schmidt, L.: Der randbe-
schlagene Holzspaten in
Ostmitteleuropa 3 8 8 ff.
145, 305 ff., 330, 482,
549ft., 560, 5620".
Schneider, F. J. 373
Personen- und Sachverzeichnis
Schneider, M. 488
Schneidewind,G.: Rez. 296ff.,
536fr.
Schönberg, A. v. 421
Schott, S. 154
Schramm, P. E. 269
Schröder, E. 350, 356
Schuchhardt, W. 270
Schück, H. 354
Schulz, W.: Rez. 333f.
Schürmeyer, W. 183
Schwarz, M. 3 8 5 f.
Schwarz, V. C. 385 f.
Schwietering, J. 356
Sebeok, T. A. 510
Seemann, E. 488
Seignolle, C. 216, 218
Seiler, F. 369
Senavaire, j. G. 214
Shakespeare 149, 221
Shaw, M. F. 528
Shuldham-Shaw, P. 206
Sieber, FWünsche und
Wunschbilder im späten
deutschen Zaubermärchen
x 1 ff. Dem Monde kann
man kein Kleid machen
366fl'. Rez. 269, 555
Sieber, S. 329f.
Sievers, H. 5 29 h
Siguenza, J. de 169F, 176,
193
Sirelius, U. T. 397
Sirola, B. 528
Sirovatka, O. 210
Sivek, A. 209
Skalnikova, O. 338
Smirnow, S. R. 202
Smith, V. 216
Smoljak, A. W. 202
Snorri Sturluson 364
Sokolowa, W. K. 204
Sourek, K. 553ff.
Souvestre, E. 220
Spamer, A.: P(h)ol ende
Uuodan 347 ff.
Speck, F. G. 513
Stahl, L. 534
Stammler, W. 538ff.
Stanislav, J. 337
Steensberg, A. 560
Steiger, R. 157
Steinhöwel 506.
Steinmetz, H. 127, 136
571
Steller, W. 35if.
Stelmach, G. J. 203
Stender-Petersen, A. 505
Stephenson, K. 208
Stockmann, E.: Jahrestagung
des International Folk
Music Council 205 ff. In-
ternationaler Musikwissen-
schaftlicher Kongreß 207 f.
Tagung für Volksmusik-
forschung 488 f. Rez. 5 27 ff.
Straube, A. 411
Strauss aus Elsterberg, J.
374-
Strömbäck, D. 496.
Subritzki, J. A. 202
Sulzer, E. 150
Svensson, S. 269
Swahn, J. Ö. 498 ft'.
Sydow, C. W. v. 14, 494,
496ff., 504, 506, 508
Szabo, G. 401
Szabolcsi, B. 38
Tacitus 364
Taikon, J. D. 495
Tälasi, I. 561 f.
Tautenhahn, F. 41 x
Taylor, A. 507, 540I'.
Tegethoff, E. 13, 220
Teneze, M. L. 217
Terentjewa, L. N. 203
Thärup-Andersen, L. 506
Thompsen, St. 507, 509E
Tillhagen, C. H. 495
Tokarew, S. A. 202, 204
Tolnay, Ch. de 177, 181
Tolstow, S. P. 201, 204
Töth, K. 335f.
Tricoire, R. 218
Trommer, H. 538
Troxell, W. S. 513
Tschchikwadse, G. S. 204
Tscheboksarow, N. N. 204
Tschitscherow, W T. 204,
208 f., 481 f.
Tschkonija, I. W. 203
Turcot, M.-R. 512
Uchow, P. D. 204
Uhlrich, H.: Rez. 517h
Ufväry, Z.: Rez. 280F, 326E
Uldall, K. 334E
Urbas, T. 340
572
Personen- und Sachverzeichnis
Validan, J. 218
Valonen, N. 560
Vargha, L. 335h
Vargyas, L.: Das Musik-
leben im ungarischen Dorf
447ff- 39f-> 527
Veress, S. 452
Vergil 364
Vesselovskij, A. N. 354
Vieweg 150, 162
Vikar, B. 31
Viktorowa, L. L. 202
Vilkuna, K. 526 h
Vischer, F. Th. 164
Vodusek, V. 488
Voltaire 223
Vonbun, F. J. 298 ff.
Voragine, J. de 390
Vrabcovä, E. 337h
Vranska, C. 208 f.
Vries, J. de 292ff., 505, 508
Wachsmann, К. P. 206
Wächter, F. 351
Wachtin, В. B. 204
Wagner, R. 15 if.
Waitz, G. 348 II.
Aaronsegen 189
Abenteuermärchen 18 ff.
Abraham 186 ff.
Abzählsegen 364
Adam 184!?., 392. — und
Eva 378h, 385, 399
Adamitismus 184 ff.
Agnes 172h, 198
Albanien: Arbeitsgerät 484
Altartisch 171
Altersklassen 457 fr.
Ambulantes Gewerbe 408 ff.
Amerika: Märchen 219h,
507fr. Volkslied 281 ff.
Amor und Psyche 498fr.,
5°4f.
Aneignungsmagie 194
Anhalt: Brauchtum, Sprache
5 x 8 f.
Antike 3oof., 546 fr.
Arbeit 521fr., 526L
Waldemarson-Rooth, A. B.
49 7 ff
Wander, B.: Eine Übersicht
der niederländischen volks-
kundlichen Literatur 1945
bis 1955 258fr.
Weber, R. 269
Weber-Kellermann, / .-.Volks-
theater und Nationalfest-
spiel bei Gottfried Keller
145 fr. Rez. 269fr., 305 fr.,
538fr., 542fr.
Weidhaas, H. 558
Weigel, H. 378 fr.
Weinhold, K. 138
Weinhold, R.: Rez. 3x8fr.
Weiser-Aal, L. 269
Weismantel, L.: Rez. 531fr.
Welan, J. E. 49, 73
Werth, E. X19, 139
Wesendonck, M. 163
Wesselski, A. 366, 501, 508
Westphal, J. 374
Wickram 373f., 376, 379fr.
Wieland 150
Wieselgren, P. 14
Wild, Ch. G. 413, 416
II. Sachen
Arbeiterlied 282fr.
Arbeitsgerät 119fr., 302fr.,
330fr., 388fr., 407fr., 482fr.
560fr. -methoden 302 fr.
-tiere 119fr. -tracht (der
Frauen) 64 f. (der Männer)
113. -Vorgänge 407fr.
Arma Christi 389
Attika: Feste 546fr.
Auge Gottes 194
Aussatz 183
Auswandererklage 3 2 f.
Baden: Revolution 146
baden 359
Balder 350fr.
Balthasar 174, 183
Bänkelsang 290 f.
Barte 419 fr.
Bartmode 115
Bastelarbeiten 407fr.
Wildhaber, R.: Rez. 553 ff.
307, 51 7f.
Wintemberg, W. J. 511
Wiora, W. 488, 528
Wirth, A. 518L
Witzig, L. 324 fr.
Wohlgemut, M. 390
Wolfram, R. 206
Wollmann, F. 209
Wopfner, H. 565
Wrede, F. 349, 361
Wundt, W. 12
Wünsch, W. 208
Wysgo, G. S. 204
Xylander 368
Zaborsky, O. v.: Die Trach-
ten der ehemaligen Mark
Brandenburg 47 fr. Rez.
324fr., 552L, 556L
Zavodskjf, A. 209
Zeisig, J. C. 420
Zganec, V. 488h, 528
Zirkler, A. 542
Zvelebil, K. 337
Bauer 156, Bauernlied 284.
-künde 561fr. -töpferei
318 ff".
bäuerliche Wirtschaftsfor-
men 142 fr.
Bayern: Arbeitsgerät 3 90 f.
Heiligenkult 549 fr. Maske
306L Volkstracht 326
Beerensammellied 470 fr.
Begegnungssegen 357
Begräbnisspiel 38
Beinbekleidung 64
Bergbarte 419 fr. -bau 407 fr.
-glück 390. -häckchen
419fr. -invalide 408fr.
Bergmann 388fr., 407fr., 538
Bergmannslied 283
Bergwerksmodell 407 fr.
Besen 160
Bildschwank 376fr.
Bildteppich 381
Personen- und Sachverzeichnis
573
Bildungsschicht 463.
-schranke 387
blau (Trauertracht) 93
Blaudruck 56
Blütenzweig 181
Böhmen: Arbeitsgerät 391,
398f-
Böhmer- und Bayerwald:
Glasmacher 327h
Brandenburg : Arbeitsgerät
394 fr. Baukunst 558h
Tracht 47 fr. Volkssprache
301 f.
Brasilien: Guitarre 528
Brauchtum 308ff., 542fr.
Brautführertracht 79 h
Brautgeschenk 1x6. -gewin-
nung 19h -kauf ii 6. -klage
32, 36. -paar 431. -tracht
48, 56, 72 ff., 92, 94. -Wer-
bung 20
Bräutigamstracht 79h, 115h
Braut)ungfertracht 72 ff., 92
Brautmutterklage 32, 34, 36
Brusttuch 49, 55h
Buckelbergwerk 41 iff.
Bulgarien: Volkstanz 527
Eharadrius 1740.
China: Musik 528
christliche Allegorien 434ff.
— Ethik 21, 23. — Gestal-
ten s. Agnes, Balthasar,
Christus, Helena, Johan-
nes, Joseph, Kaspar, Ma-
ria, Melchior, Paulus, Pe-
trus
Christus 172 h, 185, 195 h,
433, 436E
Dalmatien: Arbeitsgerät 405
Dänemark : Freilichtmuseum
334h Märchenforschung
501 ff.
David 179
Deutsche, der nackte —
373ff.
Donauschiffahrt 278 fr.
Dorfforschung 447 fr.
Dorfspott 473
Drama 145 fr.
Dreikönige 169fr., 308fr.
Dreisproß 431, 444
Dudelsack 174, 527h
Echo, Echolalie 475 f.
Eisen (Bergmannsgerät)
423 fr.
Eisengerät 322 fr. -Opfer 552h
Eleasar 175
Elsaß: Arbeitsgerät 390
England: Arbeitsgerät 403.
Märchenforschung 510.
Volkslied 528
Epiphanias-Altar 169 fr.
Erzgebirge : Spitzenklöppe-
lei 329h Volkskunst 4070'.
Esel 190 h
Ethnographie 201 ff., 519fr.
Eucharistie 170 fr.
Eule 194
Eulenspiegel 502
Eva 194; s. auch Adam und
Eva
Evangelienbuch 171
Exulanten 191h
Familie 524 fr.
Familienerziehung 457.
-tradition 504
Farbe s. blau, grün, schar-
lachrot, schwarz, weiß
Fasching 156
Fastnacht 56, 159fr. -feuer
161 f.
Festbrauchtum 145 fr., 546 fr.
Festzug 152
feudalistische Gesellschafts-
ordnung 21
Feuer i6if.
Filiallicht 171
finnische Schule 497fr., 504
Finnland: Arbeitsgerät 397.
Arbeitsleben 5 36f.
Fischer 156. -fest 154
Fläming: Tracht 49, 557
Flandern: Volksleben 271fr.
Flößerei 278 fr.
Flöte 527
Formel im Märchen 29
Fragebogen 484fr., 489fr.
Franken: Arbeitsgerät 390.
Möbel 555
Frankreich : Märchenfor-
schung 213 fr.
Französisch-Amerika (und
Kanada): Märchenfor-
schung 5iif.
Frau 524 fr.
Frauengestalten 3Öof.
Freiberg: Bergakademie 413.
Bergbaumuseum 413.
Bergwerk 410
Freitag 360, 363
Frija 349, 3Öof.
Frondienst 521fr.
Frosch-Idol 197
Froschlampe 420, 443 h
Fruchtbarkeit 182
Frühlingsfest i6if.
Funken, heilige i88f.
Fußbekleidung 64
Gälisches Volkslied 528
Garten Eden 184, 194h
Geleucht 419 h
Gemeinschaftsarbeit 523 h
Geräteforschung 388fr.,
482fr., 560fr.; s. auch Ar-
beitsgerät
Gesangverein 151
Gesellschaftskritik 25h
Gestirnzauber 362
Glasmacher 327h
Glaubensfabulat 26 £.
Glocke 182
Glückstag 360. -Zeichen
442 fr.
Gold 184 h
Gott 24 f.
graben 390
Griechenland: antike Feste
546fr. Volkslied 528
Greuelmärchen 374
Grubenlicht 419 h
grün (Trauertracht) 52 h, 105
Guckkasten 418
Gürtel (Symbolkleid) 182
Haartracht (d. Frauen) 105 ff.
(d. Männer) 115 f.
Hacke 389
Halbmond 191
Halstuch 55
Handwerker 273 ff. -zunft 154
Häresie 169 fr.
Haube 66 ff.
Haue 392
Haus 5 5 8 f. -bau 335h For-
schung 486
Haustiere 119 fr.
Heidelbeerlied 470 fr.
574
Personen- und Sachverzeichnis
Heilbringer 357. -mittel 357.
-segen 347 fr. -Zeichen
442 ff.
Heiligenkult 549 fr.
Heimatspiel 145 fr.
Heischebrauch 159t.
Pleldendichtung 13. -sage
292 fr.
Helena 389f., 402
Hemd (Frauenkl.) 47 fr.
(Männerkl.) ii2f. (symb.
Kleid) 182
Henoch 196
Hessen: Arbeitsgerät 391,
393
Himmelskuppel 181. -rich-
tung 171
himmlische Leiter 425
Hirt 117, 156, 174
Hochzeitsbittertracht 116
Hochzeitslied 431
Holzhandwerk 302fr. -spaten
388fr.
Hose 109, ui, 113
Hostie 170
Hut 109, 113
Hüttenmann 433
Indianer: Märchen 513
Indien: Märchen 5x0
International Folk Musik
Council 205fr., 488L
Internationale Volkskund-
liche Bibliographie 517!.
Invalide 408 fr.
Irland: Märchen 510
— Rätsel 540!.
Isaak 174, 196
Jacke 57 fr.
Jäger 156
Jakob 196
Jakobsleiter 425
Japan: Märschenforschung
510
Jasobeam 175
Jerusalem 191, 439
Jesaias 181, 188, 192
Joch 119 fr., 482
Johannes 433, 436L
Joseph 173
Josephspiel 315 fr.
Judenchristentum 193 fr.
Jugendsingen 458 fr.
Jugoslawien: Arbeitsgerät
404. Sagen 536fr. Volks-
musik 528
Kabbala 188
Kalvarienberg 185
Kanada: Märchen 219L,
510L
Karaiben: Musik 528
Kärnten: Arbeitsgerät 390
Kaspar 175
Kerze 171
Kette (Symbolschmuck) 182,
186
Ketzerkunst 1690'.
Kindererziehung 45 7. -lied
358. -reim 470fr., -spiel
38> 534
Kirchengeschichte 548t'.
kirchliche Symbolik 171
Klagelied 31fr.
Klassenbewußtsein 26 f.
-gesellschaft 17, 24fr.
Kleid, Kleidung 366 fr.
Knoten 181
Köln: Dreikönigsschrein 180
Kommunion 170L
Komödie 150 f.
Königin von Saba 174
Kopftuch 54, 56, 66, 95 fr.
Kostümwandel 384 fr.
Krankheit 359
Krankheitsbeschwörung
347ff.
Kranz d. Bräutigams 115
Kreuz 443 f.
Kreuzauffindung 389fr., 402
Kroatien: Arbeitsgerät 404f.
Volksmusik 528
Krone x8o£, 183fr., 195
Kuckucksterz 474 f.
Kulturaustausch, genera-
tionsweiser — 457 fr.; in-
terethnischer — 45 9 f.; so-
zialer — 45 9 ff.
Kulturkreislehre 504
Kummet 120, 141
Laienspiel 5 31 ff.
Lamm 173, 198
Landesfarben 158
Lausitz: Möbel 555, Tracht
47ff., 556L
Lautmalerei 475 f.
Lebensbaum 444. -brunnen
194. -rute 443
Legenda Aurea 390
Leonhard 552L
Lettland: Arbeitsgerät 398
Letzter 472
Liebesmärchen 20
Liechtenstein: Sage 298fr.
Litauen: Arbeitsgerät 398
Logos Christus 194L
Logos spermatikös 190, 192
Lügengeschichte 381, 502L,
506
Luna 369
Lustspiel i5of.
Mädchenspott 474
magische Formel 476
— Partizipation 195
Mähren: Arbeitsgerät 399
Männer tracht 109 ff.
Manoah 175
Märchen uff., 213fr., 292fr.,
535fr.
-forschung 494 fr.
Maria 173
Märlein 366 fr.
Markt 280L
Marschlied 477
Marzellusspruch 359
Maske 305 fr.
Maskierung 159!.
Mechanisches Modell 412,
— Spielwerk 409
Mechanisierung als Gestal-
tungsmittel 416 fr.
Mecklenburg : Arbeitsgerät
393. Haken 140
Melanesien: Märchen 510
Melchior 173 f., 186, 191
Melchisedek 179, 185
Merseburger Zauberspruch
347ff.
Messeritual 170L, 173
Messias 183 fr.
Mieder 48 f., 53 fr.
Miklucho-Maklai-Institut
für Ethnographie 201
Mikronesien: Märchen 510
Mistjauche 359
Möbel 555
Personen- und Sachverzeichnis
575
Mode, ä la mode Unwesen
373#.
Mond 359, 362#., 366#.
Moses 196
Mühle 559h
Münchhausen 502 f.
Mundart 541 f. -dichtung
542
Musen з<х>£
Museum 210#., 334h, 483h,
564 h
Musikinstrumente 528
Mutter Gottes 360
Mütze (d. Frauen 66 ff. (d.
Männer) 113#.
Myrrhe i84f.
Mythos 292#., 300f.
Nacktheit 182, 186, (— als
Schwank- u. Bildmotiv)
37°ff.
Nationalfestspiel 145#.
Necklied 471 ff.
Neger: Lied 282. Märchen
5IO> 54
neun 172
Niederlande: Bibliographie
258#.
Niederlausitz: Tracht 47#.
Noah 184, 196
Norden 171
Oberlausitz: Tracht 47#.
Obersachen: Arbeitsgerät
392. Möbel 555. Mund-
artdichtung 542. Museen
2Ioff.
Odin 355, 360
Opferbrauchtum 552L
Österreich: Arbeitsgerät 330,
562#. Bänkelsang 290#
Eisengerät 322#. Fron-
dienst 5 21 ff. Gerätefor-
schung 482 f. Heiligen-
kult 549#. Maske 305f.
Aluseen 564L Sage 298 fr.
Schiffahrt 278 ff. Volks-
schauspiel 315 ff.
Paradies 184г., 194, 378h,
392. -spiel 306
Passionsbild 389. -geschichte
171L -reliquien 389F
Patinnentracht 8if.
Paulus 195
Pelzmütze 109
Pensylvania-Deutsche :
Märchen 513
Petrus 172 F
Pferd 119#.
Pferdegöpel 428
Pflug 137#., 331 ff., 560
Pluderhose 373 fr.
Polen: Arbeitsgerät 398.
Bibliographie 227 ff.
Brauchtum 307. Tracht 95
Polkajacke 62 f.
Polynesien: Märchen 510
Pommern Holzhandwerk
303 fr.
Portugal: Märchen 510
Posse 150L
Pritsche 160
Psychologie, Psychoanalyse
12, 28, 508
Radegundis 549ff.
Rätsel 538fr.
Recht 312#.
Reichsheiltümer 389
Reiher 184, 194L
Reim 470 ff.
Rekrutenklage 32, 36
Reliquien 389h, 402
Revolution (1848) 146
Rheinland : Volkslied 529
Rhombus 444
Rind 119#.
Ritualornat 180 ff.
Robot 521 ff.
Rock (Frauenkl.) 49, 52,
(Männerkl.) 108 ff.
Rollwagenbüchlein 373
Ruf 474#.
Rumänien: Arbeitsgerät 402.
Ballade 527. Volkslied
460. Volksmusik 527
Rüpelspiel 164
Rußland: geistlicher Gesang
528
Rutengänger 423, 425 fr.
Sachsenspiegel 392
Säegerät 562 F
Sage 296#., 312#., 535#.
Salomo 174
Samma 175
Sängerfest 155, 165 f.
Scala mystica 190, 192F, 194
Schadengeist 357
Schäfer 114, 275#., 485 fr.
-schippe 277f.
Schale 188
scharlachrot (kultische Far-
be) 181F, 186
Schärpe d. Bräutigams 115 F
Schelle 182
Schembartlaufen 307
Schiffahrt 278 fr.
Schildbürger 503
Schlägel 423#.
Schleier 79 f., (symb. Kleid)
181
Schlesien: Arbeitsgerät 396
Schmied 277 f.
Schmuck 56
Schneider 372
Schnitzarbeiten 407 fr.
Schuhe 64
Schürze 49, 56F
Schützenfest 165
Schutzzeichen 442 fr.
Schwank 26F, 366fr., 535fr.
schwarz (Brauttracht) 48, 57,
(Trauertracht) 52, 56, 60,
64, 104
Schweden: Arbeitsgerät 397,
Märchenforschung 494 fr.
Schweiz: Gemeinschafts-
arbeit 523 f. Flolzhand-
werk 302#. Maske 307.
Sage 3x2fr. Spiel 534F
Volkstheater 145 ff. Volks-
tracht 324 fr.
Schwundsegen 364
Sechseläuten 154
Sechsstern 444
Sechszeilersegen 358
Segen 347 fr.
Selene 366F, 369
Sem 185
Serbien: Arbeitsgerät 403F
Seth 184
Siebenbürgen: Arbeitsgerät
3 99,402,404. Volkslied 448
Siedlung 333fr.
Silberschmelzen 433 fr.
Simson 175
Sinthgunt 349, 361, 363
Sitte 545 f.
576
Personen- und Sachverzeichnis
Slawen: Ethnographie 5x9fF.
s. auch die einzelnen Völker
Slawistik 201 fF., 208 fF., 5 x9fF.
Slowakei: Arbeitsgerät 399.
Volkslied 459f., 527
Slowenien: Arbeitsgerät 405.
Geräteforschung 483.
Maske 307. Slovenski Et-
nograf 340f.
Sonne 362 fr.
Sonntag 363
Sorben: Märchen 536.
Tracht 47 fF., 5 5 6 f.
Soziologie 543 fF.
Spanisch-Amerika:
Märchenforschung 5x2
Spaten 388fF.
Spiel 534L
Spielkarten 157
Spinnstube 45 8 fF.
Spitzenklöppelei 329 h
Spottlied 471 fF.
Sprache 541 f.
Spreewald: Tracht 47ff.
Sprichwort 368ff, 538ff.
Stadt-Volkskunde 273 fr.
Standesunterschiede 20 f.
Stecheisen 444
Steiermark: Arbeitsgerät
405 f. Sagen 536fr.
Stickerei 56
Stiefel 109, 114
Stilüberlieferung 463
Strafe im Märchen 2if.
Strauß d. Bräutigams 115
Strohhut 66
Strümpfe (d. Männer) 114
Sunna 349, 361 f.
Synagoge 197L
Talmud-Literatur 510
Tanzmelodie 53of.
Taufzeugentracht 8if.
Teilspiel 156fr., 533f.
Teltow: Volkssprache 301 f.
Teufel 375
Thüringen: Arbeitsgerät
3 91 f., Kinderreim 4 7 o ff
Tiara 171, 183fr., 195
Tier klage 32
Tod 24L, 195
Töpferei 318fr.
Törichtengeschichten 502
Totenklage 31 ff
Tracht s. Volkstracht
Trachtenbuch 378fr.
Tränentuch 116
Transsubstanziation i7of.
Trauertuch 90, 103 fr.
Tschechoslowakei: Arbeits-
gerät 398 f. Ceskosloven-
ska ethnografie 336fr.
Cesky lid 565 f. Geräte-
forschung 483 f. Konfe-
renz über Volksdichtung
208ff. Volkskunst 553fr.
Volkslied 288ff.
Tscheremissen: Märchen 510
Turnen 151, 166
Türpfosten 182
UdSSR: Ethnographische
Allunionstagung 201 ff.
Umzugsspiel 489 fr.
Ungarn: Arbeitsgerät 399fr.
Großfamilie 524 fr. Klage-
lied 31 ff. Markt 28of.
Sachkultur 561 f. Siedlung
335f. Umzugsspiel 489fr.
Volkslied 447 fr. Volks-
musik 527L Volkstanz
291 f. Volkstracht 326L
Unterhaltung, Singen als U.
458
Vereinigte Staaten: Märchen-
forschung 507 fr.
Vereinswesen 151, 154F, 165
Viehauftrieb i5Öf.
Vierzeilers egen 358
Vogel Charadrius 174 fr.
Völkerpsychologie 12
Volksbildung 533
Volksbrauch 308fr., 542fr.
Volksbuch 496
Volksdichtung 208 ff. s. auch
Märchen, Posse, Rätsel,
Sage, Schwank, Sprich-
wort, Volkslied
Volksglaube 308 fr.
Volkskunst 407fr., 553fr.
Volkslied 3iff, 28iff., 447fr.,
527fr.
Volksmusik 205 fr., 447fr.,
488 f., 527L
Volksschauspiel 315 fr.
Volkssprache 301fr., 518L
Volkstanz 29if., 527, 530L
Volkstheater 145 ff.
Volkstracht 47fr., 324fr., 445
Volla 349, 361
Voralberg: Sage 298 fr.
Votivgaben 552L
Wandlung 171
Weihnachtsberg 417, 439
-spiel 489fr. -stern 192
Weihrauch 184 f.
weiß (Kirchgangstracht)
55£, 66, (Trauertracht) 56,
60, 64, 66, 103 fr., (Zeichen
d. Ehrbarkeit) 57, (Zei-
chen kultischer Reinheit)
180
Werkzeug 302fr.
Weste 109, 112
Westfalen: Volkserzählung
535 f-
Westindien: Märchen 510
Westpreußen: Arbeitsgerät
396L
Wettsingen 458
Wien: Bänkelsang 290L
Wirtschaft 561 f.
Wodan 349, 352, 355, 360
Wolf 198
Worfel 174, 198
Wörterbuch d. dt. Volks-
kunde 269fr. — d. Tel-
tower Volkssprache 301 f.
Wortzauber 476
Wundermärchen 504L
Wundmal 183
Wunsch, -bild, -intention im
Märchen iiff.
Wünschelrute 426 fr.
Zahl s. zwei, drei, vier,
sechs, neun
Zaub er mär chen 11 ff., 5 04 f.
Zaubermittel 18
Zeitschrift f. Agrargeschichte
u. Agrarsoziologie 342f.-f.
Volkskunde 341 f.
Zigeuner: Märchen 495
Zuggeschirr 119fr.
Zugtiere 119fr.
Zunft 154, 273 fr.
Zürich: Volksleben 1516,
154L
Zweizeilersegen 358
Zylinderhut 109, 115
PRÆCÎPVORV M POP V-
L O R V Л?Т А М_ V ì R О R V M QV Д М
jemsrurwn Singulari ane depicti.
Сапп ra)í aliala) tmb Hx furi
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Tafel IX
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VERI RITRATTI DECE HALITE
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MONDO*INTAGLIATI IN RAME
PER OPRA Dì
BARTOLOMEO GRASSI ROMANO,
LIBRO P RI MO ,
ALL ILL"°ET rTmONS-ì IENRICO CAE'KNC).
I N R O M A .... ... M D L X X X V .
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Tafel X
Tafel XI
Tafel Xll
Tafel XIII
Bergwerksmodell Segen Gottes — Schacht bei Freiberg
mm
Tafel XXI
Tafel XXIII
a. Freiberger Froschlampe
b. Schild einer Froschlampe aus dem Jahre 1680
c. Bergmännische Arbeitsszene unter gekreuztem Schlägel und Eisen
Außenrand einer Froschlampe aus dem Jahre 1688
■
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