DEUTSCHES JAHRBUCH
FÜR VOLKSKUNDE
Herausgegeben vom Institut für deutsche Volkskunde
an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
durch Wolfgang Steinitzf und Hermann Strobach
Begründet von Wilhelm Fraenger
Dreizehnter Band
Jahrgang 1967
Dr. Karl Baumgarten, Rostock — Dr. Gisela Burde-Schneidewind, Berlin — Dr. Wolf-
gang Jacobeit, Berlin (Besprechungen) — Prof. Dr. Paul Nedo, Berlin — Dr. Reinhard
Peesch, Berlin — Dr. Friedrich Sieber, Dresden — Prof. Dr. Wolfgang Steinitzf, Berlin —
Dr. Doris Stockmann, Berlin (Mitteilungen und Berichte) — Dr. Erich Stockmann, Berlin —
Dr. Hermann Strobach, Berlin (Abhandlungen) — Herta Uhlrich, Berlin (Bücherschau) —
Dr. Günther Voigt, Potsdam
Zusammenstellung und Redaktion der hauskundlichen Beiträge
Karl Baumgarten
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Deutsche Akad*ml*
d*r WlsüsnicSaften
zu Berlin
Ustltut fOr deutsch»
Volkskurid«
— Bibliothek —
Herausgeber: Institut für deutsche Volkskunde an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Schriftleitung: Prof. Dr.
Wolfgang Steinitzf und Dr.Hermann Strobach, 108 Berlin 8, Unter denLinden8; Fernsprecher: 200481. Verlag: Akademie-Ver-
lag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Str. 3—4; Fernsprecher: Sammelnummer 220441. Telex-Nr. 011773. Postscheckkonto: Berlin
35021. Das Deutsche Jahrbuch für Volkskunde erscheint jährlich. Bestellnummer dieses Bandes: 1034/XIII. VEB Druckhaus
„Maxim Gorki“, 74 Altenburg. Veröffentlicht unter der Lizenznummer 1313 des Presseamtes beim Vorsitzenden des Ministerrates
der Deutschen Demokratischen Republik. Karten 49/67 u. 594/67
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INHALTSVERZEICHNIS
Wolfgang Steinitz
I
ABHANDLUNGEN
Jenö BarabÄS, Budapest: Scheunen auf ungarischem Sprachgebiet .... i
Karl Baumgarten, Rostock: Nachbarschaftshilfe beim ländlichen Hausbau in
Mecklenburg ...................................................16
Gerhard Eitzen, Kommern: Das Bauernhaus im Kreise Lüchow-Dannenberg 27
Alexander Fenton, Edinburgh: Das Bauernhaus auf Orkney und Shetland 50
Paul Henri Stahl, Bukarest: Zum Bauernhaus der Donauebenen im 19. Jahr-
hundert ...............................................................69
Sona Svecovä, Prag: Haus- und Familienform in der Slowakei..............89
Jekabs VitolinS, Riga: Die lettischen Hirtenlieder......................213
Zenonas Jono Slaviünas, Vilnius: Zur litauischen Vokalpolyphonie . . . .223
Gottfried Habenicht, Bukarest: Die Musik der rumänischen Hirtentrompeten 244
Karel HorÄlek, Prag: Der Märchentypus AaTh 302 (302 C*) in Mittel-
und Osteuropa...........................................................260
Richard Jeräbek, Brno: Herkules, Daniel oder Samson? Ein Beitrag zur
Ikonographie sowie zum Problem der Volkstümlichkeit und ethnischen
Herkunft figürlicher Bienenstöcke ......................................288
Reginald T. Mason, Handcross: Britische Volksarchitektur..................302
JiRi Majer, Prag: Zur Entwicklung der Bergbautechnik des 16. Jahrhunderts
im Westteil des böhmischen Erzgebirges..................................313
DEUTSCHER SAGENKATALOG
Gisela Burde-Schneidewind, Berlin und Ina-Maria Greverus, Marburg/Lahn:
Vor bericht ...............................................339
Ingeborg Müller, Rostock und Lutz Röhrich, Mainz: X. Der Tod und die
Toten........................................................346
MITTEILUNGEN UND BERICHTE
Zmaga Kumer, Ljubljana: Erich Seemann zum Gedenken........................ioi
Siegfried Neumann, Rostock: In memotiam Gottfried Henßen..................102
Benjamin Rajeczky, Budapest: Nachruf auf Päl Järdänyi.....................106
Jan Mjartan, Bratislava: Andrej Melicherßikf..............................107
Siegfried Neumann, Rostock: Tagung der International Society for Folk Narrative
Research vom 1. 9. bis 4. 9. 1966 in Liblice (CSSR)......................109
Wolfgang Rudolph, Berlin: Kolloquium Balticum Ethnographicum vom ix. 9.
bis 16. 9. 1966 in Berlin und Stralsund..................................111
Reinhard Peesch, Berlin: Der Vorgang des Tradierens. Bericht über das Kolloquium
des Instituts für deutsche Volkskunde der DAW vom 17. 3. bis 18. 3. 1966 in Berlin 115
Longin Malicki, Gdansk: Ethnographische Freilichtmuseen in Polen..........117
Josef Vareka, Prag: Die Erfassung materiellen Kulturgutes in untergehenden
Dörfern..................................................................123
Lajos Vargyas, Budapest: In memoriam Zoltan Kodäly........................398
Wolfgang Suppan, Freiburg i. Br.: Karl Magnus Klier f.....................402
Hermann Strobach, Berlin: Arbeitstagung über Fragen des Typenkatalogs der
europäischen Volksballaden in Freiburg i. Br. vom 28. bis 30. 9. 1966....404
Vratislav ÖMELHAUS^Prag: Erste Internationale Konferenz der landwirtschaftlichen
Museen in Liblice (CSSR).................................................406
Doris Stockmann, Berlin: Aus der Arbeit der Study Group of Folk Music Systemati-
zation beim International Folk Music Council.............................407
Herbert Tampere, Tartu: Die Erforschung der Volksmusik in der Estnischen SSR 411
Vratislav Smelhaus, Prag: Das Braunauer Bildurbarium von 1676/77............417
Alfred Fiedler, Dresden: Hauskundliche Archivforschung in Sachsen. Erfahrungen,
Probleme, Aufgaben.......................................................419
Karl Baumgarten, Rostock und Werner Radig, Berlin: Fünf Jahre Ausschuß für
Hausforschung in der DDR.................................................425
BÜCHERSCHAU
Herta Upilrich, Berlin: Bauen und Wohnen 1959 — 1966........................128
BESPRECHUNGEN
Europa et Hungaria. Congressus Ethnographicus in Hungaria 16. —20. X. 1963
(Siegfried Kube).........................................................164
Müveltsdg ¿s Hagyomäny (Kultur und Tradition). Jahrbuch des Ethnologischen
Instituts der Lajos Kossuth-Universität Debrecen. Hg. v. Bela Gunda. Bd. 1—6.
(Eszter Kisbän)..........................................................168
Festschrift für Ivan Grafenauer (Milovan Gavazzi)...........................169
S. I. Minc — Ё. V. Pomeranceva, Русская фольклористика. Хрестоматия для
вузов (Russische Folkloristik. Chrestomathie für Hochschulen) (L. G. Barag). . . 171
Imre Katona, Historische Schichten der ungarischen Volksdichtung (Hermann
Strobach)......................................................................173
Folktales of the World. Hg. von Richard M. Dorson. Bd. 1—4 (Bengt Holbek) 174
Deutsch-französisches Gespräch im Lichte der Märchen. Hg. von Ernst Kracht
(Siegfried Neumann)............................................................177
Ulrich Benzel, Volkserzählungen aus dem oberpfälzisch-böhmischen Grenzgebiet.
(Jaroslav Kramarik) ...........................................................178
Lutz Röhrich, Märchen und Wirklichkeit. 2. erw. Aufl. (Hermann Strobach) .... 179
Fränkische Sagen — Vom 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Hg. von Josef
Dünninger (Gisela Bürde-Schneidewind)..........................................180
Volkserzählungen von der Insel Fehmarn. Ges. u. erl. von Peter Wiepert (Dies.) 180
The Frank C. Brown Collection of North Carolina Folklore. General editor Newman
Ivey White, Paull F. Baum. Bd. 1—7 (Erik Dal)..................................181
Doris Stockmann, Wilfried Fiedler, Erich Stockmann, Albanische Volksmusik
Bd. 1 Gesänge der Çamen (Alica Elschekovä).....................................183
Le théâtre populaire européen. Hg. von Leopold Schmidt (Tekla Dömötör) .... 187
Rudolf Braun, Sozialer und kultureller Wandel in einem ländlichen Industriegebiet
im 19. und 20. Jahrhundert (Friedrich Sieber)..................................189
Antje Kraus, Die Unterschichten Hamburgs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
(Wolfgang Jacobeit)............................................................19t
Heinrich Renner, Wandel der Dorfkultur (Ders.)....................................192
Elisabeth Pfeil, Die Familie im Gefüge der Großstadt (Karel Fojtik).............193
Anthony Oberschall, Empirical Social Research in Germany 1848 — 1914 (Klaus O.
W. Müller).....................................................................195
Erich Egner, Entwicklungsphasen der Hauswirtschaft (Wolfgang Jacobeit) .... 196
Herbert Ludat, Das Lebuser Stiftsregister von 1405. Teil I (Ulrich Bentzien) . . . 197
Karl Ewald Fritzsch-Manfred Bachmann, Deutsches Spielzeug (Helena Johnovä) 197
Karl Ewald Fritzsch, Die Umstellung des Bergortes Seiffen zur Spielzeugproduktion
(Heinz Sperschneider)..........................................................199
Ders., Motive des Spielzeugs nach erzgebirgischen Musterbüchern des 19. Jahr-
hunderts (Ders.) ..............................................................199
Reinhard Peesch, Holzgerät in seinen Urformen (Torsten Gebhard)...................200
Ulrich Bauche, Landtischler, Tischlerwerk und Intarsienkunst in den Vierlanden
(Siegfried Neumann)............................................................202
Georg Viktor Schulz, Studien zum Wortschatz der russischen Zimmerleute und
Bautischler (W. Fiedler — W. Rudolph)..........................................203
Christoph Simonett, Die Bauernhäuser des Kantons Graubünden. Bd. I. Wohn-
bauten (Karl Baumgarten).......................................................204
R. T. Mason, Framed buildings of the Weald (Ders.).............................206
Maria Schmidt, Das Wohnungswesen der Stadt Münster im 17. Jahrhundert (Ders.) 207
Rolf Robischon, Freilichtmuseen als kulturpolitische Aufgabe (Ders.)..............208
Ede Solymos, Dunai halâszat. Népi halâszat a magyar Dunän (Fischerei an der Donau.
Fischfang am ungarischen Flußlauf der Donau) (Jozsef Szabadfalvi)..............208
Werner Lutz, Die Geschichte des Weinbaues in Würzburg im Mittelalter und in der
Neuzeit bis 1800 (Rudolf Weinhold)...............................................210
Alexander Fenton, Early and traditional cultivating implements in Scotland (Ulrich
Bentzien)........................................................................211
Kulturanthropologie. Hg. von Wilhelm Emil Mühlmann und Ernst W. Müller
(Irmgard Seilnow)................................................................428
Laurits Bodker, International Dictionary of Regional European Ethnology and
Folklore. Volume II (Gisela Bürde-Schneidewind)..................................430
Pawel Nedo, Folklorystika. Ogölne wprowadznie (Folkloristik. Allgemeine Ein-
führung) (Oldfich Sirovätka) ....................................................431
Kenneth S. Goldstein, A Guide for Field Workers in Folklore (W. F. H. Nicolaisen) 433
Rechtsgeschichte — Rechtssprache — Rechtsarchäologie — Rechtliche Volkskunde.
Festschrift für Karl Siegfried Bader (Helmut Wilsdorf)...........................435
Heimat und Volkstum. Bremer Beiträge zur niederdeutschen Volkskunde. Zum Ge-
denken an Dr. Rudolf Frenzei (Siegfried Neumann).................................436
Dansk Folkemuseum and Frilandsmuseet — History and Activities. Axel Steensberg in
honour of his 6oth birthday Ist June 1966 (John Gardberg)........................437
Joachim Herrmann, Kultur und Kunst der Slawen in Deutschland vom 7. bis 13.
Jahrhundert (Werner Radig).......................................................439
Nârodopisné aktuality (Neues aus der Volkskunde). Hg. von Krajské stredisko lidového
umënï ve Sträznici (Bezirkszentrum für Volkskunst in Sträznice). Jg. 1 — 3 (Hermann
Strobach)........................................................................439
Proverbium. Bulletin d’informations sur les recherches parémiologiques. Publié par
J. Krzyzanowski, M. Kuusi, D. Loucatos, A. Taylor. Hefte 1—6 (Günther
Voigt)...........................................................................441
Cibinium. Studii si materiale privind muzeul tehnicii populäre din Dumbrava Sibiului
(Studien und Mitteilungen a. d. Hermannstädter Freilichtmuseum der bäuerlichen
Technik (Helmut Wilsdorf)........................................................442
Jahrbuch für musikalische Volks- und Völkerkunde. Bd. 2. Hg. von Fritz Bose
(Erich Stockmann)................................................................446
Jahrbuch für Regionalgeschichte. Hg. von der Abt. Deutsche Landesgeschichte des
Inst. f. Dt. Gesch. an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Bd. 1 (Alfred Fiedler) . . 447
Revue des Études sud-est européennes Bd. 1 — 3. Éditions de l’Académie de la Républi-
que socialiste de Roumanie, 1963—1965 (Helmut Wilsdorf) .........................448
Ingrid Kretschmer, Die thematische Karte als wissenschaftliche Aussageform der
Volkskunde (Reinhard Peesch).....................................................450
österreichischer Volkskundeatlas. 2. Lief. (Ders.) ................................451
Andrzej Maryanski, Wspôlczesne wçdrôwki ludôw. Zarys geografii migracji (Völker-
wanderungen der Gegenwart. Abriß der Migrationsgeographie) (Paul Nowotny) . 45 3
Friedrich Schnack, Die Welt der Arbeit in der Kunst (Claus Kreuzberg)............454
Heinrich Laube, Reise durch das Biedermeier (Günther Voigt)......................456
Rosemarie Weber, Westfälisches Volkstum in Leben und Werk der Dichterin Annette
von Droste-Hülshoff (Ders.)......................................................458
Joseph Klersch, Volkstum und Volksleben in Köln. Bd. 1 (Friedrich Sieber) . . . 459
Edvard Bull, Fra Papirindustrien (Aus der Papierindustrie) (J. Eenilä).............460
Ders., Fra Sagbruk og Hnvleri (Aus Sägewerken und Hobelbetrieben) (Ders.) . . . 460
Ingrid Semmingsen, Husmannsminner (Kätner-Erinnerungen) (Ders.)..................460
Edvard Bull, Renhärig Slusk (Die Eisenbahnarbeiter) (Ders.)......................460
Aage Lund, Jernbaneminner (Eisenbahner-Erinnerungen) (Ders.).....................460
Hans Lohse, 600 Jahre Schmalkalder Eisengewinnung und Eisenverarbeitung (Helmut
Wilsdorf).......................................................................465
Franz Fischer, Blaue Sensen. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Sensenschmiede-
zunft zu Kirchdorf-Micheldorf (Ders.) ..........................................466
Martin Grosser, Anleitung zu der Landwirtschaft; Abraham von Thumbshirn,
Oeconomia. Zwei frühe deutsche Landwirtschaftsschriften. Hg. v. Gertrud
Schröder-Lembke (Wolfgang Jacobeit) ............................................467
Friedrich Lütge, Die Agrarverfassung des frühen Mittelalters im mitteldeutschen
Raum, vornehmlich in der Karolingerzeit (Ulrich Bentzien).....................467
Ernst Wolfgang Buchholz, Ländliche Bevölkerung an der Schwelle des Industrie-
zeitalters (Wolfgang Jacobeit)..................................................468
Walter Achilles, Vermögensverhältnisse braunschweigischer Bauernhöfe im 17. und
18. Jahrhundert (Ders.).........................................................4^9
Romulus Vuia, Tipuri de pästorit la romini (sec. XIX — inceputul sec. XX) (Die Typen
des Hirtenwesens bei den Rumänen im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts)
(Laszlö Földes) ..............................................................47°
Attila Palädi-Koväcs, A keleti palöcok päsztorkodäsa (Das Hirtenwesen bei den
östlichen Palozen) (Ders.)......................................................472
Shmuel Avitsur, The Native Ard of Eretz-Israel (Ulrich Bentzien) ...............473
Harold Bonnett, Saga of the Steam Plough (Ders.).............................473
Ernst Klein, Die Entwicklung des Pflugs im deutschen Südwesten (Ders.) .... 473
Bernd Kratz, Zur Bezeichnung von Pflugmesser und Messerpflug in Germania und
Romania (Ders.)..................................................................473
Frantisek Sach, Proposal for the Classification of Pre-industrial Tilling Implements
(Ders.).........................................................................473
Wolfgang Rudolph, Handbuch der volkstümlichen Boote im östlichen Nieder-
deutschland (Bjarne Stoklund)...................................................47^
Harald Hvarfner, Fiskaren läget och redskapet (Wolfgang Rudolph) ................477
W. L. Leclercq, De laatste Nederlandse zeilschepen (Ders.).......................477
Alphons Silbermann, Vom Wohnen der Deutschen (Ute Mohrmann)......................478
Werner Radig, Das Bauernhaus in Brandenburg und im Mittelelbegebiet (Hermann
Weidhaas).....................................................................479
Vaclav Frolec, Die Volksarchitektur in Westbulgarien (Karl Baumgarten) .... 480
Franciszek Klonowski, Drewniane budownictwo ludowe na Mazurach i Warmii (Die
Holzbauweise in der Volksarchitektur Masurens und Ermlands) (Josef Vafeka) . . 481
Edit Fel — Tamäs Hofer, Husaren, Hirten, Heilige. Menschendarstellungen in der
ungarischen Volkskunst (Rudolf Weinhold)........................................483
Hans-Ulrich Roller, Der Nürnberger Schembartlauf (Werner Lenk)...................484
Leopold Kretzenbacher, Ringreiten, Rolandspiel und Kufenstechen (Johanna
Jaenecke-Nickel)................................................................4^7
Heinz Wilmsen, Dinslakener Schützenwesen in fünf Jahrhunderten (Dies.) .... 488
Adolf Schwammberger, Vom Brauchtum mit der Zitrone (Siegfried Kube) .... 489
Bohdan Baranowski, Pozegnanie z diablem i czarownicq, (Abschied von Teufel und
Hexe) (Siegmund Musiat)..........................................................490
Marcelle Bouteiller, Médecine populaire d’hier et d’aujourd’hui (Johanna Jae-
necke-Nickel)....................................................................490
Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in Literatur und Volksdich-
tung bis zur Gegenwart. Hg. von Lutz Röhrich (Siegfried Neumann).................491
Sagen und ihre Deutung. Hg. von Will-Erich Peuckert (Gisela Bürde-Schneide-
wind) ...........................................................................493
Schwarzwald-Sagen. Hg. von Johannes Künzig (Christiane Agricola).................495
Schlesische Sagen. Hg. von Will-Erich Peuckert (Dies.)...........................495
Soixante et onze contes racontés par des Juifs du Maroc. Hg. von Dov Noy (Marie-
Louise Tenèze)...................................................................496
Э. В. Померанцева, Судьбы русской сказки XVIII—-XX вв. (Ê. V. Pomeranceva,
Das Schicksal des russischen Märchens vom 18. —20. Jh.) (P. Bogatyrev) .... 497
Weißbär am See. Schwedische Volksmärchen. Hg. von Waldemar Liungman
(Gisela Bürde-Schneidewind)......................................................501
Das weiße, das schwarze und das feuerrote Meer. Finnische Volksmärchen. Hg. von
Robert Klein (Dies.) ............................................................501
Mathilde Hain, Rätsel (Siegfried Neumann)........................................502
Allemaal Mensen . . . Apologische Spreekwoorden. Hg. von C. Kruyskamp (Ders.) . 503
Arthur Jacob, De duivel-zeispreuken bij Guido Gezelle (Ders.)..................503
Rudolf Schenda, Italienische Volkslesestoffe im 19. Jahrhundert (Ders.)........504
A Magyar Népzene Tara (Corpus Musicae Popularis Hungaricae). Hg. von Bêla
Bartök u. Zoltän Kodäly. Bd. 5 (Doris Stockmann).................................505
György Kerényi, Szentirmay Elemér és a magyar népzene (Elemér Szentirmay und
die ungarische Volksmusik) (Janos Marôthy) ......................................508
Volksmusik Südosteuropas. Hg. von W. Wünsch (Milovan Gavazzi)....................509
Sorbischer Sprachatlas. 1. Feldwirtschaftliche Terminologie. Hg. von F. МЁтёк
(Wilfried Fiedler).............................................................511
Thüringisches Wörterbuch. Fig. von Karl Spangenberg (Helmut Schönfeld) . ... 514
Personenverzeichnis..............................................................517
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ABHANDLUNGEN
Scheunen auf ungarischem Sprachgebiet*
Von Jeno Barabäs
Gebirgskranz und Becken der Karpaten stellen das südöstliche Gebiet der euro-
päischen Scheunenzone dar, östlich und südlich davon treten Scheunen nur ver-
einzelt als Neuerung am Ende des 19. Jahrhunderts auf.* 1 Das ist durchaus verständ-
lich, denn in Süd- und Südosteuropa wurde das Getreide durch Austreten entkörnt,
zum größten Teil im Freien. Dieses technische Verfahren machte hier auf Grund der
klimatischen Bedingungen Bauten mit Dreschraum überflüssig. Der Randcharakter
dieser Scheunengegend wird noch weiter dadurch unterstrichen, daß die Formen:
Dreschen — Austreten, beziehungsweise: Scheune — offener Tretplatz auch inner-
halb Ungarns durch ziemlich scharfe Grenzlinien voneinander getrennt sind. Über-
dies schließt sich das ungarische Gebiet im Westen an die deutschen, im Norden an
die slawischen Scheunengebiete organisch an. Diese Situation gibt zweifellos dem
Ethnographen interessante Fragen auf.
Dennoch hat die ältere ungarische Forschung die Untersuchung der Scheunen oft
vernachlässigt und nicht für wichtig gehalten. Die Vertreter der ethnogenetischen
und ethnozentristischen Richtungen betrachteten sie als fremde, späte Entlehnungen
und würdigten sie daher keiner besonderen Beachtung. In der Tat sind die beiden
* Unter „Scheunen“ werden im folgenden Gebäude verstanden, die vornehmlich
der Lagerung und dem Drusch der Halmfrüchte dienen, die gelegentlich ähnlich
aussehenden, allein für die Heustapelung vorgesehenen Gebäude zählen wir nicht
hierher.
1 Über die Wirtschaftsweise im Moldaugebiet (Rumänien), wo das Getreide ausgetreten
wird und es keine Scheunen gibt, hat G. Lükó gearbeitet. Das rumänische sürä (aus einer
alten siebenbürgisch-deutschen Mundart entlehnt) bedeutet hier eher nur Schuppen. Die sich
neuerdings von Siebenbürgen her verbreitenden Scheunen werden meist grajd genannt, was
in der Umgangssprache soviel wie Stall bedeutet. Die mit diesem Namen bezeichneten
Gebäude sind aber durchweg ebenfalls keine echten Scheunen. Siehe A moldvai csángók
(Die Csángós der Moldau). Budapest 1936, 145 — 146. Auch R. Vuia erwähnt keine Scheunen
aus dem Moldaugebiet und der Walachei: A román település- és lakóházkutatás legújabb
eredményei (Die neuesten Ergebnisse der rumänischen Siedlungs- und Wohnhausforschung).
Müveltség és Hagyomány 1 — 2 (i960) 35—65. Vgl. noch hierzu G. Focsa, Das Museum des
Dorfes in Bukarest. Bukarest 1958, und K. Cs. Sebestyén, Krassó-Szorény vármegye paraszt-
háza (Das Bauernhaus des Komitats Krassó-Szorény). Kolozsvár 1944, 16. Bei den Ukra-
inern innerhalb der Karpaten heißt die Scheune curj (< ung. csur), was auf eine späte Über-
nahme deutet. H. Sztripszky — I. Bilák, Dolha és vidékének néprajza (Die Volkskunde von
Dolha und Umgebung). Néprajzi Értesíto 16 (1915) 135. Für das serbische Gebiet siehe
J. Cvijic, La péninsule balkanique. Paris 1918.
1 Volkskunde
Jeno Barabäs
ungarischen Bezeichnungen dieses Gebäudes Lehnwörter,2 die eine von ihnen
(pajta < pojeta) kommt aus dem Slawischen, die andere (csür < schiure, , Scheuer')
aus dem Deutschen, und sicher ist auch das Gebäude selbst irgendwie durch die Ver-
mittlung dieser Völker nach der Landnahme (896) zum Bestandteil der Kultur der
Ungarn geworden, die aus einem Gebiet kamen, wo die Formen Austreten — Tret-
platz herrschten. Wenn auch z. Zt. noch ein umfassendes Bild über die ungarischen
Scheunen fehlt, so hat sich doch bereits eine Reihe wertvoller Kenntnisse durch viele
architektonische Beschreibungen aus einzelnen Gegenden angesammelt.3 Andere
Studien haben sich mit den einzelnen Scheunenlandschaften beschäftigt.4 Darüber
hinaus hat die siedlungskundliche Forschung über den Standort der Scheunen,6
die Agrarforschung über ihre Funktion zahlreiche Erkenntnisse zusammengetragen.6
2 I. Kniezsa, A magyar nyelv szläv jövevenyszavai (Die slawischen Lehnwörter der un-
garischen Sprache). Budapest 1955. Bd. I/i 373 und Z. Gombocz — J. Melich, Magyar eti-
mologiai szötar (Ungarisches etymologisches Wörterbuch). Budapest 1914—1930. Bd. 1
1244—1245.
3 Wir erwähnen nur die in dieser Hinsicht wichtigsten Arbeiten: Zs. Bätky, Nähäny adat
Bänffyhunyadnak es környekänek nepies äpitkezäsöhez (Einige Angaben der Volksarchi-
tektur von Bänffyhunyad und Umgebung). Neprajzi Ertesitö 8 (1907) 50 — 70; A. Vajkai,
Veszprem megye nepi epitkezese (Die Volksarchitektur des Komitats Veszprem). Näprajzi
Ertesitö 32 (1940) 1—22, 310 — 344; J. Töth, tgy ¿pit a vasi nöp (So baut das Volk im Ge-
biet Vas). Szombathely 1938; ders. Göcsej nepi ¿piteszete (Die Volksarchitektur von
Göcsej). Budapest 1965.
4 G. Szinte, A szekely csür (Die Szäkler-Scheune). Neprajzi Ertesitö 4 (1903) 1—23;
V. Seemayer, Pajtäskertek Nemespätrön (Scheunengärten in Nemespätrö). Neprajzi
Ertesitö 26 (1934) 65 —81 und 27 (1935) 36—45 ; A. Vajkai, Adatok apajtaväzakfelällitäsänak
6s kesz pajtäk költöztetösenek mechanikäjähoz (Angaben zur Mechanik der Aufstellung
von Scheunengerüsten und der Verlegung von fertigen Scheunen). Nöprajzi Ertesitö 29
(1937) 333 — 337i S. Gönyey, Järmos csürök az erdölyi Mezösögen (Gerüstscheunen (järmos
csür) im siebenbürgischen Mezösög). Tör 6s Forma 1941, 27 — 28; Gy. Takäcs, Az utolsö
talpaspajta Somogyjädon (Die letzte Säulenscheune mit Schwelle in Somogyjad). Ethno-
graphia 64 (1953) 293 — 298; J. Barabäs, Scheunentypen in Göcsej. Acta Ethnographica 5
(1956) 83 — 101; ders., Zalai pajtäk (Scheunen im Komitat Zala). A Göcseji Muzeum jubi-
leumi emlekkönyve. Zalaegerszeg i960, 277 — 288; S. Gönyey, Kalotaszegi järmos csürök
(Jochscheunen in Kalotaszeg). Ethnographia 68 (1957) 504—511; N. Gilyän, Csürök a
szatmäri Erdöhäton (Scheunen in Erdöhät-Szatmär). Neprajzi Közlemänyek 5 (i960)
Heft 1, 52—61.
5 I. Györffy, A kertes es csürös települes (Die Siedlung mit Gärten und Scheunen).
In: Magyar falu — magyar häz (Ungarisches Dorf — ungarisches Haus) (Budapest 1943)
84—90; E. F61, Neprajzi adatok Olprhalomböl (Volkskundliche Angaben aus Ölprhalom).
prajzi Ertesitö 30 (1938) 73 — 85; S. Ebner, A mezei gabonäs- es szenäspajtäk ujabbkori be-
vändorläsa a faluba a Zselicsegben (Die gegenwärtige Einwanderung der Getreide- und Heu-
scheuern in das Dorf in Zselicseg). Neprajzi Ertesitö 21 (1929) 10; T. Hofer, Däl-Dunäntul
települäsformäinak törtenetehez (Zur Geschichte der Siedlungsformen im südlichen
Transdanubien). 66 (1955) 125 —186 Ethnographia; ders., Csürök es iställök a falun kivül
(Scheunen und Ställe außerhalb des Dorfes). Ethnographia 68 (1957) 377—424; E. Füzes,
Adatok a mecseki megosztott telcpülesekhez (Angaben zu den getrennten Siedlungen in
Mecsek). Ajanus Pannonius Muzeum ävkönyve (Jahrbuch des Janus-Pannonius-Museums),
Pecs 1956, 82 —103; J. Bärdosi, Pajtäskertek Gencsapätiban (Scheunengärten in Gensc-
apäti). Vasi Szemle 1958, 67 — 82.
6 I. Györffy, Takaräs ¿s nyomtatäs az Alföldön (Ernte und Korngewinnung in der Großen
Ungarischen Tiefebene). Neprajzi Ertesitö 20 (1928) 1—46; T. Hoffmann, Horreum — szärü
iv» f M f f n f I r r///J * I f «111V/
Scheunen auf ungarischem Sprachgebiet
3
Die Möglichkeit eines Überblicks aber bietet jetzt vor allen Dingen das Material des
Ungarischen Volkskundeatlas, das zur Zeit gerade ausgewertet wird und auf das wir
uns vor allem stützen konnten. Dies alles wird ergänzt durch mehrere, bisher noch
nicht publizierte Terrainuntersuchungen des Verfassers. So sind die realen Grund-
lagen für eine Zusammenfassung gegeben. Im folgenden wird dazu der erste Schritt
durch den Versuch einer Systematisierung der ungarischen Scheune unternommen.
I
Wie wir beim Baumaterial für das Wohnhaus eine starke Anpassung an die
natürlichen Gegebenheiten beobachten können, so gilt das auch für die Scheunen.
Bei beiden Gebäudearten sind dabei allenfalls größere oder kleinere zeitliche Ver-
schiebungen zu bemerken. Im Südwesten und in großen Teilen des Szeklergebiets
(Abb. i) ist die Blockbauweise beim Wohnhaus im wesentlichen schon um die Jahr-
hundertwende eingestellt worden, Scheunen in Blockbau aber gehören dort noch
nicht zu den Seltenheiten. Mit der Lichtung der Waldgebiete des Bakony verschwin-
det die Holzbauweise hier schon viel früher — wir treffen sie daher auch bei den
— csür? Ethnographia 70 (1959), 171—206; I. Balassa, Földmüvel6s a Hegyközben (Acker-
bau in Hegyköz). Budapest 1964. Vom historischen Gesichtspunkt wichtig ist S. Takäcs
A magyar csür (Die ungarische Scheune). In: Rajzok a török vilägböl (Skizzen aus der tür-
kischen Zeit) (Budapest 1917) Bd. 3, 213 —231.
1*
4
Jeno Barabäs
Scheunen nicht mehr an, selbst die ältesten Gebäude sind überwiegend in Stein er-
richtet. In Nordungarn, im Flußgebiet von Ipoly und Sajö, wurde die Blockbauweise
im großen und ganzen bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgegeben.
Nur in seltenen Fällen blieben einzelne Blockbauscheunen erhalten, in der Mehrzahl
jedoch haben die Scheunen Lehmwände, zum Teil mit Pfosten gestützt. Im nord-
westlichen Teil Transdanubiens schließlich stehen die alten Scheunen auf Holz-
säulen, zwischen denen sich Flechtwerk oder Bretter finden, doch wurden seit der
Jahrhundertwende die Holzständer meist durch Ziegelpfeiler ersetzt.
Nach ihrer Konstruktion können wir drei Scheunentypen unterscheiden: die
Wandscheune, die Gerüstscheune und die Säulenscheune. Bei den Wandscheunen,
die sich am stärksten von den übrigen Scheunenformen abheben, wird das gesamte
Gewicht der Dachkonstruktion von den aus Lehm, Holz oder Stein errichteten, ge-
schlossenen Wänden getragen (Taf. 1). Äußerlich mit diesem Typ zu verwechseln ist
eine ziemlich häufige Art der Säulenscheune, bei der die Zwischenräume zwischen
den Ständern mit Flechtwerk, Lehm oder Holz, neuerdings auch sogar mit Ziegeln
ausgefüllt werden, so daß eine vollkommen geschlossene Wand entsteht (Taf. 1).
Das Material, das die Zwischenräume zwischen den Ständern ausfüllt, hat jedoch
keinerlei statische Aufgabe, das Gewicht des Dachwerks wird von den Säulen mit
Hilfe der sie verbindenden horizontalen Hölzer getragen. Es ist vor allem dann
üblich, die Zwischenräume zwischen den Ständern durch eine geschlossene Wand,
meist aus Flechtwerk, zu verschließen, wenn die Säulen nicht in die Erde ein-
gegraben, sondern in starke, auf der Erde liegende Schwellen, talp, — die zugleich
die Basis des Gebäudes bilden — eingelassen werden. In den Gegenden mit Block-
bautradition finden wir dabei die Zwischenräume oft aus waagerechten Hölzern er-
richtet. Hier werden die zungenartig abgeflachten Enden der Hölzer in die vertikal
ausgehauenen Nuten der Ständer eingepaßt, so daß eine Säulenblockwand ent-
steht. Eine Säulenscheune mit Schwellen konnte somit auf zwei Wegen entstehen:
einmal durch Auflösen der ursprünglichen Blockwand, wenn der Holzmangel oder
die Zimmermannstechnik dies erforderlich beziehungsweise möglich machten — es
geschah das im Verlauf des 19. Jahrhunderts —, zum anderen dadurch, daß die
Tragesäulen nicht mehr in die Erde eingegraben, sondern auf Schwellen gestellt
wurden. Die Flechtwerkwand erscheint gleicherweise bei der Säulenscheune mit
Schwelle wie bei Säulenscheunen mit in die Erde eingegrabenen Pfosten. Dabei
wurde das Flechtwerk um senkrecht in die Zwischenräume eingefügte Hölzer ge-
flochten, unter Umständen auch noch mit Lehm beworfen. Die Schwellen-Säulen-
lösung zeigt daher offenbar Verwandtschaft mit dem „echten“ Fach werk; beide
haben die gleichen Wurzeln, wenn man sie auch gemeinhin nicht miteinander in Be-
ziehung zu bringen pflegt. Eine „echte“ Fachwerkkonstruktion ist in Ungarn auch
bei Scheunen unbekannt.7 Das Haupt-Verbreitungsgebiet der Säulenscheunen mit
Schwellen ist der südliche Teil Transdanubiens. Sie treten dort gemischt mit den
Säulenbauten ohne Schwellen auf, die überall Vorkommen. Insbesondere jedoch
treffen wir auf letztere in Transdanubien und im nordöstlichen Teil Ungarns. Auch
7 Eine einzige Ausnahme kennen wir aus Vällaj, einer von Schwaben besiedelten Ge-
meinde im Komitat Szatmdr.
Scheunen auf ungarischem Sprachgebiet
5
an diesen Säulenscheunen läßt sich stets das Streben nach einem Wandabschluß
beobachten. Selbst wenn sie an keiner Seite eine eigentliche Wand besitzen, so
werden sie doch oft zumindest mit einer vorübergehenden Verkleidung versehen.
Dazu wird das Material verwendet, das in der betreffenden Landschaft zur Verfügung
steht: Latten, Bretter, Weidenruten, Schilf oder Stroh.
Auf den ersten Blick erscheint auch die Unterscheidung von Säulenscheune und
Gerüstscheune schwierig, denn beide können ein fast bis zur Erde reichendes Dach
haben und weisen daher äußerlich große Ähnlichkeit auf. Eine nähere Untersuchung
aber zeigt deutlich die wesentlichen Abweichungen in der Konstruktion. Bei den
Säulenscheunen sind die Träger der Dachkonstruktion die in der tatsächlichen oder
fiktiven Wandfluchtebene stehenden 4-10, meist aus Holz, Erde, Steinen oder
Ziegeln bestehenden, 3-5 m hohen Säulen, die oben von horizontalen Hölzern zu-
sammengefaßt werden. Von diesen Gebäuden unterscheidet sich die Gerüstscheune
grundlegend durch zwei Eigenarten ihrer Konstruktion. Zunächst einmal stehen
ihre Trägerständer nicht in zwei, sondern in vier Reihen (Taf. 2). Trotzdem kann sie
nicht eigentlich als vierständriges Gebäude angesprochen werden, denn oft fehlt eine
äußere Ständerreihe, und an deren Stelle ist eine Wand gezogen. Bisweilen finden
wir an den Außenseiten nur eine ganz niedrige Ständerreihe mit einem Rähm; ihre
Rolle als Träger des Daches aber ist ganz minimal. Wir nennen dieses Gebäude daher
lieber Gerüstscheune, denn — und das ist der zweite der wesentlichen Unterschiede —
das Gewicht der gesamten Dachkonstruktion wird im wesentlichen von einem
im Innern des Gebäudes stuhlartig aufgestellten, 4—8 m hohen Gerüst getra-
gen.8 Das Gebäude wird also errichtet, indem zuerst die Trägersäulen des hohen Innen-
gerüstes in die Erde eingegraben oder auf Schwellen gestellt und durch horizontale
Balken verknüpft werden. Erst dann wird die äußere, niedrigere Ständerreihe ge-
richtet. Als letztes werden die Sparrenhölzer aufgebracht, deren Gewicht — wie
bereits gesagt — überwiegend von dem hohen Gerüst, nur zum geringeren Teil von
der äußeren Ständerreihe oder der Wand getragen wird. Manchmal ist zwar die sta-
tische Rolle der äußeren Ständerreihe etwas größer, aus Hofers Beschreibungen
wissen wir aber, daß die Scheune nach dem Aufstellen des Gerüsts schon als vollendet
betrachtet wird und die Wände oft erst später gebaut werden, möglicherweise erst
nach dem Abdecken; eine besondere Rolle in der Konstruktion können sie demnach
nicht spielen.9 So entsteht ein Gebäude, das sich mit seinem fast bis zur Erde reichen-
den Dach und seinen Seitenwänden von nur geringer Höhe scharf von den Wand-
und Ständerscheunen unterscheidet. Dabei überdeckt das hohe und breite Dach ein
einheitliches, lediglich durch Ständer gegliedertes Innere. Es kommt zwar oft auch
bei Wand- und Säulenscheunen vor, daß ein Teil des Gebäudes an einer Seite, an
beiden Seiten oder auch nach hinten verlängert wurde, so daß man ein ebenso tief bis
auf die Erde reichendes Dach gewann. Trotz der ähnlichen äußeren Erscheinung
unterscheiden sich diese Scheunen jedoch stets von den mit Gerüst versehenen
dadurch, daß die Verlängerungsteile hier immer eine gesonderte Einheit darstellen,
8 Hofer a. a. O. 1957. Abbildung auf der Seite 387 zeigt diese Konstruktion sehr gut.
Gönyey a. a. O. 1957, 504, Abb. 1 ist keine Gerüstscheune.
9 Hofer a. a. O. 1957, 388.
6
Jeno Barabäs
d. h. daß die Anfügung von der übrigen Scheune getrennt ist. Auch ist ihr Eingang
gesondert und von außen her zugänglich. Ihre Funktion kennzeichnet dergleichen
Verlängerungen an Wand- und Säulenscheunen als neuere Entwicklung — sie dienen
vor allem zur Aufbewahrung von Rüttstroh und Spreu. Vor der Verbreitung des
maschinellen Drusches dürfte daher für sie kein Bedarf bestanden haben, denn Rütt-
stroh und Spreu sammelten sich damals nicht in solchen Mengen an, wie später bei
der Verwendung der Dreschmaschine.
Bei den Gerüstscheunen gibt es einige besondere Konstruktionsformen. Die eine
ist die aus dem siebenbürgischen Mezöseg-Gebiet bekannte järmos csür, deren
Gerüstständer nicht vertikal stehen, sondern nach innen gebogen sind (Cruck-
Konstruktion). Die dafür erforderlichen Krummhölzer werden gewonnen, indem
starke Baumstämme so bearbeitet werden, daß ihr oberer Teil nach innen gekrümmt
ist.10 Mit dieser Konstruktion sollte vermutlich ein von Säulen freierer Innenraum
erzielt werden. Sie setzt aber einen großen Holzreichtum und eine entwickelte Zim-
mermannstechnik voraus. Die sich nach innen neigenden Cruckständer wurden auf
verschiedene Weise miteinander verknüpft bzw. mit der äußeren Ständerreihe ver-
bunden. Eine andere Variante kennen wir aus dem Gebiet am Unterlauf des Szamos-
Flusses, aus den Szatmarer Schwabendörfern, wo nicht nur vier, sondern selbst
sechs, ja sogar acht senkrechte Ständerreihen aufgestellt werden und so ein außer-
gewöhnlich breitgiebliges, großes Gebäude mit wenig geneigtem Dach entsteht.11
II
Nicht selten finden sich in Ungarn Verbindungen von Scheunen mit anderen
Gebäuden. Vor allem in Transdanubien stehen vielfach alle Gebäude einer Wohn-
parzelle in langer Reihe hintereinander unter einem Dach, vorn der Wohnteil, daran
die Vorratskammer, der Stall und schließlich die Scheune. In Westtransdanubien
wird demgegenüber die lange Gebäudereihe oft in L-Form gebrochen, und früher
waren selbst Drei- und Vierkanthöfe häufig anzutreffen. In den transdanubischen
Dörfern, in denen diese Verbindungen auftraten, waren daneben aber auch allein-
stehende, allenfalls mit dem Stall, seltener mit der Vorratskammer zusammengebaute
Scheunen bekannt, und das nicht nur bei den wohlhabenderen, sondern auch bei den
kleinen Bauern. Östlich der nord-südlichen Mittelachse Transdanubiens, also in der
Berührungszone zur scheunenlosen Gegend der Großen Ungarischen Tiefebene hin,
verschwinden zu Beginn unseres Jahrhunderts bereits die alleinstehenden Scheunen;
an ihre Stelle treten die an das Wohnhaus angeschobenen oder senkrecht zu ihm
errichteten Stall-Scheunen-Gebäude. Hier ist die Scheune nur noch Rudiment, sie
besteht lediglich aus einem einzigen Raum und hat fast nur eine Bansungsfunktion.
Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob es in dieser Übergangszone vor diesen Stapel-
10 Magyarsag neprajza (Volkskunde der Ungarn). Budapest o. J. Bd. i, 205, gibt eine
Konstruktionszeichnung nach J. Jankö, Torda, Aranyosszek, Torocko magyar (szekely)
ndpe (Das ungarische (szeklerische) Volk von Torda, Aranyosszek und Torocko). Budapest
l893-
11 Wir wissen davon aus den Gemeinden Merk und Vällaj. Das sind ebenfalls Schwaben-
dörfer.
Scheunen auf ungarischem Sprachgebiet
7
gebäuden Dreschscheunen gegeben hat.12 Auf jeden Fall aber hat das neue Gebäude
den Namen übernommen. Von den genannten Ausnahmen abgesehen, herrschte
jedoch in Ungarn das alleinstehende Scheunengebäude vor.
■Die Struktur der ungarischen Wand- und Säulenscheune wurde weitgehend
durch ihre innere Dreiteilung quer zum First bestimmt. Der mittlere Abschnitt war
die szerü, oder er hieß wie das ganze Gebäude pajta oder csür (Abb. 2). Hier war der
Eingang, und hier wurde gedroschen. An beiden Seiten lagen die Stapelräume, in
Abb. 2. Die Benennung der Scheune (auf Grund des Materials zum Ungarischen Volks-
kundeatlas) O pajta • csür — Scheunen nicht vorhanden
denen das unausgedroschene Getreide gelagert wurde. Diese Räume hießen meist
fidlt, fia, im Norden manchmal auch dg oder szakasz, in Siebenbürgen odor (< slaw.
odor). Im Süd westen nahm häufig, wenn auch nicht allgemein, der Stall einen Teil des
Stapelraumes ein. Im Gebiet der Szekler war das jedoch regelmäßig der Fall; dieser
Stall wurde hier allgemein pajta genannt. Die Bezeichnung pajta ist bei den Ungarn
Siebenbürgens weit verbreitet, sie bedeutet aber nicht eigentlich Scheune — diese
beißt hier csür —, sondern Stall, ganz gleich, ob der Stall, wie es meist der Fall war,
in die Scheune hineingebaut war oder, was seltener vorkam, von ihr gesondert
stand. Wenn es vom genetischen Standpunkt auch nicht unwesentlich ist, ob der
Stall im Scheunengebäude untergebracht war, so zeigt die heutige Verbreitung dieser
komplizierten Form doch in erster Linie einen Zusammenhang mit der wirtschaft-
12 Vajkai fiel im Komitat Veszpr£m in zahlreichen Dörfern der improvisierte Charakter
der Scheunen auf, was darauf verweist, daß es sich hier nicht um eine charakteristische
Scheunengegend handelt. Vgl. a. a. O. 1940, 325.
8
Jeno Barabäs
liehen Lage. Bei den ärmeren Bauern war, wenn sie überhaupt eine Scheune be-
saßen, der Stall häufig in den einen Stapelraum, vielleicht sogar in beide Stapelräume
eingebaut, sein Dachboden diente als Lagerraum, und nur die Tenne bildete die
eigentliche Scheune. Im oberen Gebiet der Flüsse Küküllö und Nyäräd wurde das
unausgedroschene Getreide überhaupt nicht in der Scheune, sondern davor in run-
den, um Pfähle stehenden Feimen gelagert, in den sogenannten läbas asztag,13 die im
Grunde genommen nichts anderes sind als die aus dem ostslawischen Gebiet wohl-
bekannte, auch in Nordungarn vorkommende abara oder abora. Eine andere Lösung,
einen Lagerraum für Heu oder Getreide zu gewinnen, war, über dem niedrigen pajta
(Stall) die Wand etwa zwei Meter hoch aufzuführen und so einen Lageroberraum
zu schaffen, der sich selbstverständlich auch über den Dachboden hin erstreckte.
Diese Lösung war bei den Szeklern ziemlich verbreitet.14
Größe, Gliederung, Zahl der Unterteilungen und funktionelle Merkmale werden
also im wesentlichen von der Vermögenslage des Besitzers bestimmt, und in jeder
Siedlung finden wir daher zahlreiche Variationen. Nicht selten ist auch die vier-
oder fünfteilige Scheune, deren weitere Teile aber meist Futterlager und Wagen-
remisen sind. Bei den wohlhabenderen Bauern findet man bisweilen sogar zwei
Scheunen, eine große und eine kleinere. Überwiegend dreiteilige Scheunen er-
scheinen in jenem Gebiet, in dem das Gebäude ausschließlich csür genannt wird.
Vermutlich hängt das mit ihrer Entstehung zusammen.
Bei allen oben erwähnten Varianten der Scheune führt der Eingang stets in den
Tennenteil; von hier aus öffnen sich ein oder zwei Lagerraumzugänge. Werden
Stapelräume als Stall genutzt, so sind diese vom Hof aus durch gesonderte Türen
zugänglich. Der Tennenteil kann in Transdanubien im allgemeinen nicht mit den
Wagen durchfahren werden. Die Vorderseite ist hier entweder vollkommen offen
oder sie hat ein großes Tor. Die Hinterseite jedoch ist meist völlig geschlossen, nur
selten findet sich hier eine kleine Tür. Um den Tennenteil zu vergrößern, springt
über ihm — am westlichen Rand des ungarischen Sprachgebietes — das Dach vorn
weit vor. Aus dem südlichen Teil dieses Gebietes kennen wir auch Scheunen mit
polygonalem (sechs- bis achteckigem) Grundriß.15 Die Tenne der Scheunen des nörd-
lichen Hügellandes ist vorn und hinten offen. Bei den Ungarn in Siebenbürgen
kommen beide Möglichkeiten vor, d. h. nur vorn, oder vorn und hinten offene
Wände. Der Lagerteil der Durchgangs-Wandscheunen ist gegen die Tenne hin im
allgemeinen abgeschlossen, während bei den Scheunen ohne Durchgang oft Zwi-
schenwände fehlen. War eine Trennwand errichtet, führte eine kleine Tür von der
Tenne in den Stapelraum. Andernorts werden Tenne und Stapelraum nur durch
eine halbhohe Wand voneinander getrennt, vor allem in dem Gebiet, in dem der
Holzbau vorherrscht. Wo es überhaupt keine Trennwand gibt, zeigen nur die Ober-
bodenbalken oder eventuell die auf der Erde liegenden Schwellen das Ausmaß der
Tenne an. Die Zwischenwand verschwindet vor allem im Kontaktgebiet zwischen
dem Austreten des Getreides und dem Ausdreschen in Scheunen, d. h. in Gebieten,
13 G. Szinte a. a. O. 14.
14 Diese Lösung hat sich vor allem nach der Walachei und dem Moldaugebiet verbreitet
und ist an den äußeren Hängen der Karpaten auch ziemlich oft anzutreffen.
15 J. Töth a. a. O. 1965 bringt mehrere Grundrisse und Fotografien.
1----------------------h
Gerüstschcunc. Vámoroszi, Komitat Szabolcs-Szatmár
Scheunen auf ungarischem Sprachgebiet
9
ln denen das Austreten — vielleicht zum Teil auch das Dreschen — vor der Scheune
geschieht. Der Boden der Tenne ist immer festgestampft und geglättet, denn hier
befindet sich ja im allgemeinen der Dreschplatz. Erhöhte oder mit Brettern abgelegte
kennen finden wir nicht.
Völlig anders als die innere Einteilung der in Ungarn dominierenden Wand- und
Säulenscheune ist die Gerüstscheune. Dieser Typ erscheint auf ungarischem Sprach-
gebiet in drei Gegenden: i. entlang der Flüsse Raba und Vag, d. h. in der Kleinen
Ungarischen Tiefebene, hier meist verstreut, häufiger erst im nördlichen Teil; 2. in
geringer Zahl und auf kleinerem Gebiet entlang des Ipoly-Flusses; 3. am stärksten
verbreitet entlang des Szamos-Flusses, im Südosten in das nördliche Szeklergebiet
hineinreichend, im Norden bis in die Gegend von Ushgorod. Bezeichnend für alle
Gerüstscheunen sind der Eingang an der Stirnseite und der fast quadratische Grund-
riß _ die Längsseite ist nur ein bis zwei Meter länger. Das Breiten-Längen-Verhält-
nis ist in den meisten Fällen 9:11m oder 9:10 m. Die Gerüstscheune besteht stets
aus einem ungegliederten Innenraum, der lediglich durch die beiden Ständerreihen
des Gerüsts, allenfalls durch deren Schwellen unterbrochen wird. Der hohe Teil
^wischen den Gerüstständern wird meist szerü genannt, während der außerhalb der
Ständer, im wesentlichen bereits unter dem abfallenden Dach liegende niedrigere
Teil ähnlich den bedeutend umfangreicheren Stapelräumen der Wand- oder Ständer-
scheunen als fiök bezeichnet wird. Hier kann die Tenne fast immer mit dem Wagen
befahren werden, da sich vorn und hinten ein großes Tor befindet. Auf die Balken
des Gerüsts über der Tenne wurden oft Stangen gelegt, so daß auch darauf gelagert
Werden konnte. Ein solches Innengerüst ist manchmal auch zusätzlich in die beiden
anderen Scheunentypen eingebaut, am meisten in Siebenbürgen und in der Gegend
der deutschen Dörfer. Hier treffen wir auch auf Scheunen mit Wänden vor allem aus
Lehm, mit dem Eingang an der Giebelseite und mit fast quadratischem Grundriß.
Sie sind vermutlich das Ergebnis einer späteren Entwicklung. Mit der Abnahme
des Holzmaterials wurde die Konstruktion verändert, der Grundriß der ursprüng-
lichen Form und die Stelle des Eingangs aber beibehalten. Dieser Wandel hat sich
vor allem entlang des Ipoly-Flusses vollzogen.
Wie am östlichen Rand der transdanubischen Scheunenzone finden wir dresch-
raumlose Scheunen auch am Ostrand, vor allem aber am Nordostrand der Großen
Ungarischen Tiefebene. Dort tauchen vor allem primitive Abarten der Gerüst- und
Säulenscheunen auf, abora, rakodö, pajta oder csür genannt. Es handelt sich hierbei
vermutlich um einfache Sekundärgebäude, die in Nachahmung der Bauten der be-
nachbarten Scheunengebiete entstanden sind, ohne allerdings volle Scheunen-
funktionen zu erhalten.
über die Dachkonstruktion der Gerüstscheune haben wir bereits gesprochen.
Bei der Dachkonstruktion der Wand- und der Säulenscheune treffen wir auf zwei
Lösungen, die aber — zumindest bei den heutigen Gebäuden — an keine der beiden
Wandkonstruktionslösungen gebunden sind. Wie bei Wohnhäusern sind Pfettendach
und Sparrendach anzutreffen. In großen Teilen Transdanubiens ist das Pfettendach
verbreitet. Bei ihm trägt die Firstpfette einen großen Teil des Dachgewichts, denn an
ihr hängen die Dachhölzer. Meist wird die Firstpfette durch den an beiden Enden
des Daches und in der Mitte angebrachten Scherenstuhl, die ollöläb, gehalten. In der
10
Jeno Barabäs
oberen Kreuzung der Scherenpaare ruht die Firstpfette, während die unteren Enden
der Scherenpaare in einem über der Wand quergelegenen Balken eingezapft sind.16
Diese Querbalken balancieren den auf dem Gemäuer lastenden Seitendruck aus.
Damit im Innenraum die in Wandhöhe gezogenen Balken nicht die Arbeit in der
Scheune behindern, werden sie im Westen Transdanubiens stellenweise auch weg-
gelassen.17 Diese Bauweise setzt allerdings entwickeltere statische Kenntnisse voraus,
denn hier lastet der gesamte Seitendruck nunmehr auf den Wänden. Doch selbst
wenn Spannbalken gezogen sind, ist es üblich, die Ständer der Säulenscheunen zur
Seite hin durch Kopfbänder abzusichern.18 Heute treffen wir nur noch ausnahmsweise
auf Bauten, bei denen — für die Vergangenheit dürfen wir das häufiger annehmen —
die Firstpfette von einem senkrechten, in die Erde eingegrabenen, bis zum Dach-
first reichenden, hohen Pfosten, dem dgas, gehalten wird.
Östlich der Donau finden bei Scheunen Firstpfetten keine Verwendung. Hier
werden die unteren Enden der Sparren mit Zapfen und Nägeln fest an dem auf der
Wand ruhenden oberen Balken befestigt, sie tragen damit das Gewicht des Daches.
Das Sparrenpaar wird oben, x —1,5 m vom Dachfirst entfernt, durch einen dünneren,
horizontalen Balken, dem kakasülö, verbunden, womit eine Gewähr gegen das Aus-
einanderstreben der Sparrenpaare gegeben ist.
Auf die Sparren genagelte Latten tragen die Dachhaut, die meist aus Stroh-
schauben bestand, in Ostungarn oft aus losem Stroh — bei den im 20. Jahrhundert
errichteten Gebäuden wurden jedoch bereits überwiegend Dachziegel verwendet.
In Dörfern der Gegenden mit stehenden Gewässern oder in Sumpfgebieten werden
die Scheunen vereinzelt auch mit Schilf abgedeckt. Im holzreichen Siebenbürgen
benutzten die wohlhabenderen Bauern Holzschindeln. Im Südwesten, im Nordosten
des ungarischen Sprachgebietes und im östlichen Scheunengebiet herrschen die
Walmdächer vor. Das Steilgiebeldach, das sich vermutlich im 19. Jahrhundert aus-
gebreitet hat, ist überall anzutreffen und abgesehen von den genannten Gebieten
auch sonst dominierend.
III
Der Standort der Scheune auf dem Hof innerhalb des Dorfes zeigt keine beson-
dere Variierung (Abb. 3). In den losen Haufendörfern oder den Gemeinden, die aus
Einzelsiedlungen oder Weilern zu geschlossenen Dörfern geworden sind, kann man
beobachten, daß die Scheunen im hinteren Teil des Gehöfts untergebracht sind. Das
gilt vor allem für das südwestliche Transdanubien und die Gegenden, die zum öst-
lichen Raum des ungarischen Sprachgebiets gehören. Davon abgesehen sind die
meisten der Scheunen auf den rechteckigen Hofanlagen quer, d. h. parallel zur Straße
gestellt, so daß sie den Hof nach rückwärts abschließen.19 Hinter ihnen Hegen durch-
16 Vgl. J. Töth a. a. O. 1965, Abb. 215.
17 J. Töth, Falusi epületek fejlödese a nyugati vegeken (Die Entwicklung ländlicher
Bauten an der Westgrenze). Szombathely 1940, 32 — 33.
18 J. Barabas a. a. O. 1956, 86.
19 L. Vargha, Borsod-Abaüj-Zemplen megye nöpi müemlekei (Denkmäler der Volkskunst
im Komitat Borsod-Abaüj-Zemplön). Epitös- ¿s Közlekedestudomänyi Közlemönyek
(Architektur- und Verkehrs wissenschaftliche Mitteilungen) i960, 19.
Scheunen auf ungarischem Sprachgebiet
11
Weg die Wiese und der Obst- oder Gemüsegarten. Diese Lösung ist für die nördlichen
Ußd östlichen Gebiete bezeichnend, wenn auch Ausnahmen auftreten. Doch ist sie
darüber hinaus auch im ganzen Land bekannt. Wir können sagen: wo die Scheune
csur genannt wird, ist dies ihre typische Lage. In Straßen- und Reihendörfern be-
rühren sich dabei manchmal die Scheunen mit ihren Enden geradezu und trennen
Fl« und Dorf wie eine Mauer voneinander. Diese Anordnung fällt besonders in
Abb. 3. Die Scheunentypen und ihre Plazierung (Auf Grund des Materials zum Ungarischen
Volkskundeatlas)
a) Rechteckige, mehrteilige alleinstehende Scheunen auf dem Gehöft. Aufschluß in der
Traufseite
— meist traufseitig zur Straße L beide Stellungen üblich
I meist gieblig zur Straße O Stall gewöhnlich in der Scheune
ü) n einräumige, im allgemeinen nicht alleinstehende Scheunen (keine echten Scheunen)
auf dem Gehöft
^ schuppenartige, alleinstehende Scheunen auf dem Gehöft mit der Bezeichnung csür
c) 0 Scheunen mit fast quadratischem Grundriß auf dem Gehöft. Aufschluß im Giebel
d) • in der Flur, außerhalb des Dorfes errichtete Scheunen
einigen der von den Deutschen besiedelten Dörfer auf. Als andere Möglichkeit ergibt
sich die Scheune in der Hausflucht, d. h. senkrecht zur Straße. Diese Scheunenlage
ist nirgends ausschließlich anzutreffen, wenn es auch den Anschein hat, daß sie in
den letzten 80 Jahren im Vordringen ist und vor allem in Transdanubien die Anlage
parallel zur Straße ablöst. Die Scheune bildet in solchem Falle die Fortsetzung des
Wohnhauses, oder steht in seiner Nähe als gesondertes Gebäude beziehungsweise
dem Wohnhaus gegenüber, etwas in den Hof eingerückt. Die örtlichen Gelände-
12
Jeno Barabäs
bedingungen schaffen viele Variationsmöglichkeiten für die Gestaltung des Gehöfts.
Scheunen, die dem Gehöft gegenüber auf der anderen Straßenseite Hegen, finden wir
in ungarischen Dörfern nicht.
Große Aufmerksamkeit jedoch verdient die Errichtung von Scheunen außerhalb
des Dorfes. Mit dieser Frage hat sich die ungarische Forschung vor allem in den
letzten Jahrzehnten eingehend beschäftigt.20 Das Interesse wurde durch die Tatsache
geweckt, daß diese Art der „getrennten Siedlungen“ mit der vor allem im nördlichen
Teil der Großen Ungarischen Tiefebene ziemlich verbreiteten Form verwandt ist.
Hier stehen die Stallungen — Scheunen gibt es dort nicht — auf gesonderten
Plätzen, außerhalb des Wohnbereichs blockartig im Anschluß an diesen gruppiert
auf ein oder zwei Seiten des Dorfes, seltener im Kreis um die Siedlung. Györffy
hat versucht, hierfür die östlichen, noch in die Zeit vor der Landnahme zurück-
reichenden Wurzeln an Hand nomadischer Analogien glaubhaft darzustellen. Da uns
jedoch bisher spätmittelalterliche Belege nicht zur Verfügung stehen, können wir
diese Annahme nicht als bewiesen betrachten. Weitere Forschungen sind zur Klärung
dieser Frage unbedingt erforderlich.21 Die Unterbringung der Scheunen außer-
halb des Dorfes ist auf ungarischem Gebiet vielleicht nicht so verbreitet wie die
der Ställe, obwohl neuere Forschungen immer häufiger diese Anlage auch in
Südtransdanubien und in Nordungarn aufdecken.22 Ihrer Form nach werden zwei
Varianten unterschieden. In dem einen Fall stehen die Scheunen in einem geson-
derten Gürtel in unmittelbarer Verbindung zum geschlossenen Block der Wohn-
parzellen, ähnlich den Ställen einen oder zwei Blöcke bildend. Bei der anderen
Form liegen die Scheunen, ebenfalls ein oder zwei Blöcke bildend, weiter, etwa
i —4 km, von den Wohnhäusern entfernt. Bei beiden Formen aber kommt es vor,
daß sich der Stall neben oder auch in der Scheune selbst befindet, so daß damit der
gesamte Wirtschaftshof außerhalb des Dorfes liegt.
Auf die Probleme der Entstehung dieses Systems können wir hier nicht näher
eingehen, wir wollen uns vielmehr auf einige Ausführungen zur Funktion der
abseits gelegenen Scheune beschränken. Ob sich die Scheunen in der Nähe des Dorfes
oder weiter entfernt befinden, in jedem Fall sind sie Zentren der Körnergewinnung.
Hierhin wird das Getreide transportiert, in ihnen wird es gelagert, auf ihrer Tenne
oder auf dem Platz vor der Scheune wird gedroschen, früher mit dem Dreschflegel,
in unserem Jahrhundert mit der Maschine. Hier wurden schfießlich auch das Stroh
gestapelt und das Heu gelagert. Befand sich der Stall auf der WohnparzeHe, mußten
Futter und Streu je nach Bedarf in kleineren Mengen zum Vieh hinausgebracht
werden. Lag jedoch auch der Stall auf der äußeren Parzelle, so hielt sich ein MitgHed
20 Vgl. Literatur in Anm. 5 und T. Hofer, A magyar kertes települ6s elterjedes6nek es
tipusainak kdrdesehez (Zur Frage der Verbreitung und der Typen der ungarischen geteilten
Siedlung). Müvelts£g 6s Hagyomäny 1 — 2 (i960) 331 — 350.
21 Eine kurze Zusammenfassung der Diskussion bei J. Barabas, Megosztott települes a
Visztula mellett (Die getrennte Siedlung an der Weichsel). Ethnographia 75 (1964) 228ff.
22 Die beiliegende Karte zeigt das Verbreitungsgebiet lediglich punktförmig, da sie im
wesentlichen auf den Forschungen zum Ungarischen Volkskundeatlas beruht, die sich nur
auf jedes zehnte Dorf erstreckten. Nach unserer Schätzung erhält man ein anschaulicheres
Bild von der Häufigkeit bei einer Multiplikation mit zehn.
Scheunen auf ungarischem Sprachgebiet
13
er Familie oder ein Knecht ständig dort auf, und die Milch wurde regelmäßig ins
ohnhaus getragen. Diese Trennung schuf eine charakteristische Lebensform, auf
e Wlr ebenfalls an dieser Stelle nicht näher eingehen wollen.23 Wesentlich erscheint
le Beobachtung, daß die entfernter vom Dorf errichteten Scheunen in der Gras-
n<lzone lagen. Das verweist darauf, daß sie ursprünglich vielleicht gar keine Scheu-
nen nüt Dreschtenne waren, sondern lediglich Gebäude zur Heustapelung, wie wir
Sle>ln anderer Form, häufig auf dem Gebiet der slowakischen, polnischen und rumä-
nischen Karpaten finden. Da in den ungarischen Dörfern, in der Ebene und im
flacheren Hügelland, die landwirtschaftlichen Zonen weit stärker ineinander über-
gingen, wurden diese Gebäude zu echten Scheunen, wenn in ihnen gleichzeitig auch
gedroschen wurde. Dabei erleichterte die in Ungarn herrschende Tradition, das
Getreide in der Flur auszutreten, die Errichtung der Scheune außerhalb des Dorfes.
In Transdanubien gab es in zahlreichen Dörfern zwei Stapelgebäude, die eigentliche
Getreidescheune außerhalb des Dorfes — hier wurde kein Vieh gehalten — sowie die
Deuscheuer auf der Wohnparzelle.
Die ungarische Scheune dient in erster Linie der Getreidebansung und dem
Greschen, zusätzlich auch der Aufstallung von Vieh und der Stapelung von Futter
und Heu. Seltener sind weitere Aufgaben. Zu den letzteren rechnet die Funktion als
Kornspeicher. In Westtransdanubien baute man in einigen Fällen an die Stelle des
einen Stapelraumes oder ihm zur Seite eine vollkommen abgeschlossene Getreide-
kammer. Im Osten treffen wir häufiger hierfür in der Scheune besondere Kisten
Körbe oder andere Gefäße. Daneben ist im Sommer die Scheune gelegentlich auch
Schlafplatz und Gerätelagerplatz — vor allem nach dem Dreschen werden auf der
Tenne vorübergehend Wagen, Geräte, Grünfutter und sonstiges Futter aufbewahrt.
IV
Von der Geschichte der Scheunen in Ungarn haben wir heute erst ein un-
gefähres Bild. Das Auftauchen des Wortes pajta im 14. Jahrhundert, des Wortes
c4r im 15. Jahrhundert24 läßt allenfalls die Vermutung zu, daß das Gebäude im
13.-14. Jahrhundert bereits existierte. Die Klärung wird jedoch durch den Umstand
erschwert, daß die in den lateinischsprachigen Quellen vorkommenden Bezeichnun-
gen area, \orreum, orreum sowohl freie Tenne, abgedeckte Tenne als auch Scheune
Bedeuten können.25 Es ist anzunehmen, daß es im charakteristischen Scheunengebiet
schon früher irgendeine abgedeckte Tenne gegeben haben muß. Die beiden scharf
ineinander zu unterscheidenden ungarischen Scheunentermini gestatten die An-
nahme zweier Entwicklungsprozesse. Die Tatsache, daß pajta und csür ursprünglich
gleichermaßen die Bedeutung von Stall hatten, verweist auf eine Zeit, in der die
Differenzierung der Wirtschaftsgebäude noch nicht erfolgt war. Im Verbreitungs-
gebiet des ungarischen Wortes pajta dürfte die Differenzierung organisch erfolgt
sein, im Gebiet des Terminus csür wird man demgegenüber eine Überschichtung
23
24
Bud
25
Die Arbeiten von Hofer und Füzes beleuchten die Frage eingehend.
L Szamota — Gy. Zolnai, Magyar oklevH-szötär (Ungarisches Urkunden-Lexikon).
apest 1906, 144, 739.
T. Hoffmann a. a. O.
14
Jeno Barabäs
annehmen müssen. Das scheint allein schon aus dem Grunde glaubhaft, weil hier das
Gebäude und seine Nutzung viel einheitlicher sind. Das auch hier bekannte Wort
pajta hat stets die Bedeutung von Stall; dieses Gebäude ist also nicht zur Scheune
geworden, sondern hat später seinen Platz in der Scheune erhalten.
In den Quellen des 16. Jahrhunderts wird die Scheune vor allem als am Stadtrand
stehendes Wirtschaftsgebäude des städtischen Bürgertums erwähnt. Das kann zwar
in der günstigeren Überheferung bedingt sein, die nun einmal für städtische Quellen
besteht. Es ist aber auch möglich, daß das städtische Bürgertum die fortgeschrittenere
Bautechnik vertrat, die für Lagerung und Drusch des Getreides bereits ein geson-
dertes Gebäude errichtete. Diese Gebäudedifferenzierung fand dann zusammen mit
der Bezeichnung csür überall dort durch Vermittlung des Bürgertums Verbreitung,
wo es früher ein solches Spezialgebäude noch nicht gegeben hatte. Und da im Mittel-
alter ein bedeutender Teil des städtischen Bürgertums in Ungarn Deutsche waren,
ist die Übernahme des Wortes csür durchaus verständlich. Der nichtdeutsche Ur-
sprung der Gebäudeteilbezeichnungen deutet jedoch darauf hin, daß eine Über-
schichtung stattgefunden hat, die zu einer Zusammenfassung der bereits früher ge-
trennt vorhandenen abgedeckten Tennen und Stapelräume zu einem einzigen Ge-
bäude, der Scheune, führte. Hierbei wurden die älteren Gebäudebezeichnungen, wie
szerü und odor, zu Raumbezeichnungen innerhalb der Scheune, da diese die Funk-
tionen der ursprünglich getrennten Bauten übernommen hatte.
Untersuchungen zur Struktur der Scheune vermehren ohne Frage die Zahl der
historischen Probleme. Vor allem die Gerüstscheunen verdienen hierbei besondere
Aufmerksamkeit. Es ist wohl anzunehmen, daß deren Aufschluß in der Giebelseite
mit der Konstruktion zusammenhängt und nicht mit der scheinbar sekundären
Plazierung des Gebäudes in der Dorfzeile, wie Schier meint.26 Der stets an der Giebel-
seite liegende Eingang der Gerüstscheunen dürfte auf die Wandscheunen übertragen
worden sein, was auch der Umstand bezeugt, daß die Wandscheunen mit Giebel-
eingang stets den fast quadratischen Grundriß übernehmen, der sich bei der Gerüst-
scheune organisch ergibt, bei den Wandscheunen jedoch unmotiviert ist. In ihrer
Konstruktion zeigen die Gerüstscheunen ein Bauprinzip, das sich in Gebieten mit
Holzbauweise vom Neolithikum bis in unsere Tage sehr gut verfolgen läßt. Daß es
dabei sehr unterschiedlich entwickelte Varianten gibt, soll uns nicht täuschen. Es
handelt sich um eine außergewöhnlich praktische Lösung, die sowohl in einfacheren
Formen lebensfähig ist, als auch auf Grund höherer Zimmermannstechnik viele
Gestaltungsmöglichkeiten in sich birgt. Für die einfachen Formen finden wir u. a.
Beispiele auf ostslawischem, für die entwickelteren auf niederdeutschem Gebiet.27
26 Hauslandschaften und Kulturbewegungen im östlichen Mitteleuropa. Reichenberg
1932, 389.
27 Vgl. E. E. Blomkvist, Крестьянские постройки русских, украинцев и белорусов
(Bäuerliche Bauten der Russen, Ukrainer und Weißrussen). In : Восточнославянский этно-
графический сборник (Ostslawischer ethnographischer Sammelband) Москва 1956
303-306; Труды Института Этнографии. Н.с.т. 31 (Arbeiten des Instituts für Eth-
nographie. Neue Serie 3i);D. Zelenin, Russische (ostslawische) Volkskunde. Berlin, Leipzig
1927, 268. K. Moszynski, Kultura ludowa slowian (Volkskultur der Slawen). Krakow 1929,
Bd. 1, 530 — 531; K. Baumgarten, Zimmermannswerk in Mecklenburg — Die Scheune.
Scheunen auf ungarischem Sprachgebiet
15
ungarischem Sprachgebiet kommen die Gerüstscheunen gerade in den archai-
schen Gegenden vor ; sie stellen aber auch hier nur selten die ausschließliche bauliche
Lösung dar, sondern treten stets vermischt mit Wandscheunen auf. Die entlang des
Szarnos-Flusses beobachteten komplizierten Beispiele sind das Ergebnis einer lokalen
Entwicklung, Varianten einer primitiven Konstruktion auf Grund hoher Zimmer-
u^nnstechnik. Für die Zugehörigkeit der Gerüstgebäude zu einer alteuropäischen
Schicht spricht ihr sehr spärliches Vorkommen in Gebieten, in denen sie sich nicht
2u technisch höheren Konstruktionsformen entwickelten. Dergleichen Bauten sind
vielerorts aber nicht ausschließlich auf polnischem, tschechoslowakischem und russi-
schem Gebiet bekannt.28
Es war nicht unsere Absicht, ausgehend von unseren Feststellungen zur Eigenart
und Geschichte der ungarischen Scheune auf allgemeine Entwicklungsprozesse
dieses Gebäudetyps zu schließen. Wir wollten lediglich einige Gedanken in dieser
Hinsicht aufwerfen. Eine eingehendere Behandlung der damit verbundenen Probleme
erfordert zweifellos sorgfältige Analysen in bezug auf Technik, Gliederung, Grund-
tißgestaltung, Funktion und Terminologie der jeweiligen Bauten unter Heran-
ziehung historischer Belege. Dabei können wir auf das hierfür unerläßliche archäo-
iogische Material vorerst nur hoffen. Hier war — wie gesagt — nicht mehr beab-
sichtigt, als einer solchen breitangelegten Untersuchung Forschungsergebnisse aus
dem ungarischen Bereich beizusteuern.
Berlin 1961, 177 fr.; ders., Der Zuckerhut von Pantow auf Rügen. Greifswald-Stralsunder
Jahrbuch 1’(1961/202 — 215; G. Eitzen, Der bäuerliche Scheunenbau im Lüneburger
Land. Lüneburger Blätter 5 (1954) 7I— 95*
28 T. Skarzynski, Stodoly w polskim budownictwie ludowym XIX i XX wieku (Scheu-
nen in der polnischen Volksarchitektur des 19. und 20. Jhs). Lud 47 (1961) 383 4*4>
Mruskovic, Prispevok k studiu l’udovych pol’nohospodärskych stavieb na Zähori (Beitrag
Zum Studium volkstümlicher landwirtschaftlicher Bauten in Zähorie). Slovensky Narodopis
^ (i960) 431—467; T. Hofer a. a. O. 1957.
Nachbarschaftshilfe beim ländlichen Hausbau in Mecklenburg
Von Karl Baumgarten
Das ältere Bauernhaus Mecklenburgs ist, soweit bis heute bekannt, ausschließ-
lich in Fachwerk errichtet.1 Blockbauten sind hier durch Ausgrabungen bislang
lediglich für die slawische Zeit belegt.1 2 Damit war das Haus des mecklenburgischen
Bauern bis ins 19. Jahrhundert weitgehend Werk des Zimmermanns. Doch wurden
stets eine Reihe Arbeiten beim Errichten der Gebäude auch vom Bauern selbst
ausgeführt. Hierbei fand er weitgehend Hilfe durch die übrigen Bewohner des
Dorfes. Belege für solche Nachbarschaftshilfe finden sich unter den von Richard
Wossidlo zusammengetragenen Aufzeichnungen zum mecklenburgischen Volks-
kulturgut3 wie in den Antworten zur Frage 192 c des Atlas der deutschen Volkskunde.
Ergänzungen konnten in jüngster Zeit durch Befragungen älterer Gewährsleute
sowie aus Angaben in heimatkundlicher Literatur und in Archivalien hinzuge-
wonnen werden. Insgesamt ermöglicht das vorhegende Material gewisse Aussagen
zu den Erscheinungsformen nachbarlicher Hilfe im mecklenburgischen Dorf, zur
mecklenburgischen Besonderheit solcher genossenschaftlicher Leistungen sowie zur
Deutung der offenbar für Mecklenburg bezeichnenden Variante.
Noch im vorigen Jahrhundert war der mecklenburgische Bauer bei vielen zur
Errichtung seines Hauses oder seiner Wirtschaftsgebäude erforderlichen Arbeiten
der tatkräftigen Hilfe durch seine Nachbarn sicher. Diese Unterstützung reichte
von den Vorbereitungen zum Bau bis zur Vollendung des Hauses. Sie mußte
allerdings von den Nachbarn jeweils erbeten werden.3* Ob das in bestimmter tradi-
tioneller Form geschah, ist nicht überliefert. Während z. B. von Fehmarn mitgeteilt
wird: „De Bur hett gistern Ehrndag [Vormittag] all de Plogdriewer in Dörp rund
hatt bi sin Nahwerslü: Ick schull gröten von uns Herr, wat se Morgn nich ’n Mann
mit ton Lehm schicken kunn“,4 heißt es dazu in Mecklenburg meist nur: „Nahwer-
schaft würd anseggt.“ Dabei dürfte im allgemeinen die Hilfe auch tatsächlich von
1 Schon das 19 3 9 in Ramm bei Lübtheen ausgegrabene Haus 2 — ein Hallenhaus des frühen
14. Jhs — wird als Fachwerkbau rekonstruiert werden müssen. Vgl. Fr. Engel, Die Urformen
des Niedersachsenhauses in Mecklenburg. Mecklenburgische Jahrbücher 104 (1940) 115 — 119.
2 Dazu zählen vor allem die Häuser I und II auf der Burgwallinsel Vipperow in der
Müritz. Vgl. A. Hollnagel — U. Schoknecht, Die Burgwallinsel bei Vipperow Kr. Röbel.
Jb. f. Bodendenkmalpflege in Mecklenburg 1954 (1956) 124—126.
3 Sie wurden von Richard Wossidlo durchweg mit der Kennzeichnung ch (= Cultur-
historisches): Dorf und Hausformen abgelegt.
3a In den Antworten zur ADV-Frage heißt es hierzu: „Die Nachbarn helfen auf Bit-
ten“ oder „Es hilft, wer dazu gebeten wird“ o. ä.
4 P. Wiepert, Lehmeibeer un Richelbeer. Die Heimat 34 (1924) 143.
Nachbarschaftshilfe beim ländlichen Hausbau in Mecklenburg
17
jedem „Nachbarn“ ohne Rücksicht auf verwandtschaftliche Beziehungen geleistet
worden sein. Eine Unterstützung den Verwandten gegenüber wird im Wossidlo-
Vaterial ausdrücklich nur bei Hilfe außerhalb des eigenen Dorfes genannt: „Mien
Mudder hett verteilt: De Burdöchter müßten hen nah ’t anner Dörp, nah de Ver-
wandten.“5
Als erstes wurden gemeinschaftlich die zum Bau notwendigen Materialien heran-
&efahren. „Wenn einer bugen ded, hülpen de Nahwers führen.“6 Im einzelnen ging
es dabei um den Transport der zum Fundament geeigneten Feldsteine, des von der
Forstverwaltung bereitgestellten Bauholzes sowie des in großen Mengen erforder-
lichen Lehms aus den „Leihmkuhlen“. Daneben wird in jüngerer Zeit auch die An-
fuhr von Ziegelsteinen und Kalk genannt. War das Bauholz vom Zimmermann auf
der „Zulage“ beschlagen und abgebunden, konnte zum „Richten“ des Fachwerks
geschritten werden. Dazu bedurfte es vieler Hände — und so „hülpen dei Nahwers
richten“.7 Hierbei war eine Arbeitsteilung nach der Schwere der Arbeit üblich. „De
ollen Lüd müßten holten [hölzerne] Nagels maken, die jungen müßten bi dat Richten
Felpen.“8 Noch in diesem Jahrhundert stellten die Nachbarn überdies, belegt zu-
ttündest für den Südwesten Mecklenburgs, zusätzlich Arbeitsmittel leihweise zur
Verfügung, und zwar Zugketten, die aneinandergefügt zum Auf bringen der schweren
Dachbalken erforderlich waren.9 Daß allgemein Bauern am Richten von ländlichen
Gebäuden tätig beteiligt waren, ist in Mecklenburg bereits für das 16. Jahrhundert
Felegt. So wurde z. B. in den Kämmereiabrechnungen der Stadt Rostock gegen
Ende dieses Jahrhunderts für das Dorf Stuthof u. a. folgende Ausgabe vermerkt:
3 fl 8 ß Für 2 thunnen biers tho den
buhren gegeben alß dat
Huß gerichtet wardt.10
Allerdings handelte es sich in diesem Fall wohl kaum um Nachbarschaftshilfe, sondern
eber um Fronleistungen der Bauern auf einem der städtischen Pachthöfe.
An das Richten schloß sich das Decken des Gebäudes mit Stroh. Hierfür liegen im
Wossidlo- Material Angaben über Nachbarschaftshilfe nicht vor. Lediglich eine
Unterstützung durch Lieferung eines Teiles der benötigten „Schöfe“ ist belegt. Hier
klafft offenbar eine Lücke, machen doch Antworten des ADV deutlich, daß auch das
Decken des Daches noch in einigen Dörfern Mecklenburgs zu den üblichen Nach-
Farschaftsleistungen zählte. Daß der mecklenburgische Bauer diese Arbeit bereits
Vor Jahrhunderten tatsächlich verstand,11 erweist deren Ansetzung als Fron. So
Wurde z. B. bei der Verpachtung des Hofes Bartelsdorf bei Rostock im Jahre 1685
u- a. ausdrücklich vermerkt, daß „die außbesserung der alten Dächer durch die
5 W(ossidlo) A(rchiv) — ch: Dorf- und Hausformen. Frehse, Wismar, 3. 6. 1927.
6 WA — ch: Dorf- und Hausformen. Busch, Niendorf, 1930.
7 WA — ch: Dorf- und Hausformen. Busch, Niendorf, 1930.
8 E. Wulf, Een Richtfest vor 35 Johr in Pommerau. II. In: Lieb Heimatland — Beilage
den Lübtheener Nachrichten und zur Grenzzeitung Nr. 21 v. 10. 2. 1929.
9 Mitgeteilt durch Zimmermann B. Meyer, Gr. Bengerstorf, 23. 1. 1963.
10 Akte Stuthof I B, Archiv der Stadt Rostock.
11 Noch heute verstehen einzelne Bauern Rohrdächer zu decken und wissen über die ein-
zelnen Arbeitsgänge eingehend zu berichten. 2
2 Volkskunde
18
Karl Baumgarten
Bauern verrichtet wird.“12 Damit aber darf auch das Decken des Strohdaches für
Mecklenburg als ursprünglich traditionelle Nachbarschaftshilfe angesprochen
werden.
Ganz besonders bedurfte der Bauer der Hilfe durch seine Nachbarn beim „Kleh-
men“ oder „Kleiben“ der Wände, wie man in Mecklenburg das Auswellern der Ge-
fache zu bezeichnen pflegte. Diese Arbeit war ohne genossenschaftliche Unter-
stützung schlechterdings nicht zu leisten — und tatsächlich Hegen für sie auch im
Wossidlo-Material die meisten Aussagen vor. „So’n Frugens, de ’t Klehmen ver-
stahn deden, hülpen,“13 heißt es, oder auch: „Denn kernen alle Frugens tohop un
khehmten dat Hus farig“14 und schließlich: „De Buerdöchter hebben de Wand
utleihmen müßt.“15 Auch bei dieser Arbeit waren aHgemein bestimmte Gruppierun-
gen übhch, wobei immer wieder das eigenthche Klehmen als ausgesprochene
Frauenarbeit genannt wurde. „Klehmstaken wier mihr Frugensarbeit — de Manns-
lüd müßten den Leihm trechtmaken.“16 Das erinnert ohne Frage an Darstellungen
aus dem benachbarten Lüneburger Gebiet: „Die Männer besorgten vorzugsweise
das Tünen (Zäunen): sie Heßen in die querhegenden Balken Staken oder Sieten und
durchflochten diese dicht mit auseinandergerissenen Zweigen (Twäg). Die Frauen
machten sich mit dem Lehmen oder Klewen zu schaffen: sie klappten den von den
Knechten zubereiteten und mit kurzgeschnittenem Stroh zur besseren Bindung ver-
mengten Lehm gegen das Zaunwerk und glätteten ihn.“17 Gearbeitet wurde beim
Klehmen in Zweier-Gruppen — sie ergaben sich zwangsläufig aus der Eigenart
der Arbeit. „Kleihmen deden de Frugens. Mit’n Striekbrett würd ’t glatt sträken.
Dat Ransmieten von den Leihm würd mit de Händ makt. Een stünn up de een
Siet, een uppe anner. Denn müßten se uppassen, dat ’s egal hoch kernen.“18 Dabei
sah man sicherHch wie auf der Insel Fehmarn so auch in Mecklenburg darauf, daß
die erfahrene Klehmerin auf der Außenseite des Hauses arbeitete. „De Vullbefornsen
(Erfahrensten) kamt an de Büterwand, sin Hülpsmann mütt an de binnelste Siet
gegens chmern. * ‘19
Mit dem Herrichten der „Windelböden“, der strohgewickelten, lehmbeworfenen
Decken in den Wohnräumen der Gebäude wurde der Rohausbau des Hauses ab-
geschlossen. Auch bei dieser Arbeit standen die Dorfbewohner einander zur Seite.
„Wenn se so ’n Hus bugen deden, un dat wier so wiet, dat se Winnelstaken inleggen
deden, denn hülpen ’n poor Nahwers.“20
Zur kostbaren Ausstattung des bäuerfichen Hauses in Mecklenburg zählten vor
Jahrhunderten ohne Frage vor allem die Glasfenster. Durch Archivahen sind sie hier
sicher für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts ausgewiesen. Glas aber war zu jener
12 Verpachtung Bartelsdorf 1685 (ungeordneter Bestand), Archiv der Stadt Rostock.
13 WA — ch: Dorf- und Hausformen. Thiel, Wustrow, 30. 9. 1932.
14 WA — ch: Dorf- und Hausformen. Andreis, Dierhagen, 16. 7. 1925.
15 WA — ch: Dorf- und Hausformen. Frehse, Wismar, 3. 6. 1927.
16 WA — ch: Dorf- und Hausformen. Horn, Wustrow, 30. 9. 1932.
17 E. Kück, Das alte Bauernleben der Lüneburger Heide. Leipzig 1906, 187.
18 WA — ch: Dorf- und Hausformen. Beggerow, Wredenhagen, 4. 6. 1934.
19 P. Wiepert, a. a. O. 143.
20 WA — ch: Dorf- und Hausformen. Piper, Schönberg, 3. 1. 1934.
Nachbarschaftshilfe beim ländlichen Hausbau in Mecklenburg
19
Zeit teuer — und so war das Schenken einzelner Scheiben oder gar einer ganzen
Fenstertafel für den Bauenden tatsächlich eine fühlbare Unterstützung. Dabei be-
wahrten nicht selten mit Wappen oder Darstellungen aus dem Volksleben und mit
dem Namen des Stifters bemalte Scheiben die Erinnerung an diese Schenkung.
F>och suchten mecklenburgische Behörden, soweit möglich, diesen Brauch durch
Verbote sehr bald schon auf ein Maß einzuschränken, das ihnen dem bäuerlichen
Stande angemessen erschien. Bereits 1582 heißt es dazu u. a. in der Ratzeburger
Polizeiordnung: „Weil unter guten Freunden und Nachbarn der Gebrauch, einer
dem andern Fenster zu verehren und hierbei ein Mißbrauch verspüret wird, daß
die Leute entweder den Glasern oder auch denen, so die Fenster setzen lassen, be-
schweret und übernommen werden, als wollen wir, daß man hierfür für ein schlecht
Fenster ohne Wappen oder Farben, so ungefähr [?] Ellen hoch, nicht mehr als acht
Schilling, für ein, so mit schlechtem Wappen ohn Helm und Schild 12 Schilling geben
soll. Würde aber jemand höhere und teuerbarere Fenster von Farben setzen lassen,
soll nicht der, so die Fenster geben, besondern der sie hat setzen lassen, die Ueber-
maße bezahlen.“21 Solche „Bier-Scheiben“ sind bislang allerdings in Mecklenburg
nur aus dem Küstenbereich, und zwar aus dem „Ratzeburger Land“ (um Schönberg),
dem Grevesmühlener Gebiet sowie aus dem „Hägerort“ (um Doberan) bekannt ge-
worden.22 Sie reichen hier nach den auf ihnen verzeichneten Datierungen vom 17.
Fis ins 18. Jahrhundert.
Allgemein war es üblich, die von den Nachbarn gewährte Hilfe durch eine be-
sondere Festlichkeit zu entgelten. In Mecklenburg waren diese Feiern, die man hier,
wie auch im übrigen Niederdeutschland, meist als „Bier“ bezeichnete, durchweg mit
dem Abschluß bestimmter Arbeiten verbunden.
Das begann mit der Bewirtung der am Transport der Baumaterialien beteiligten
Fuhrleute — allerdings liegt hierfür im Wossidlo-Material, da offenbar hiernach nicht
ausdrücklich gefragt wurde, lediglich eine einzige kurze Notiz aus dem Südwesten
vor.23 Ähnlich dürftig sind entsprechende Angaben zu der sich an das Richten eines
Gebäudes anschließenden Feier. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltung stand ver-
ständlicherweise der Zimmermann — in erster Linie galt sie daher als „sein“ Fest.
Nur gelegentlich sind weitere Teilnehmer genannt. In diesen Mitteilungen aber heißt
es u. a.: „To ’n Richtbier würden bloß de inladen, de bi’n Bu arbeit’t hadden“24
oder „De, de fäuhrt hadden bi den Bu — Steen orer Lehm —, dee Knechts un Dierns
würden inladt. De möken de Krön.“25 Aber auch von dem einzig den Helfern vor-
Fehaltenen „Klehmbier“ ist im Grunde kaum mehr als die Bezeichnung überliefert.
»Dierns un Knechts in Oettelin [bei Güstrow] hülpen. Weck makten den Lehm
trecht mit ne Hack, weck dreihten Strohseils. Wenn’t farig wier, würd fiert.“26 Doch
ist der Verlauf dieses „Biers“ in Mecklenburg ohne Frage ähnlich zu denken, wie es
21 Mitteilungen des Heimatbundes für das Fürstentum Ratzeburg 4 (1922) August, 13.
22 Meckl. Jahrbücher 4 (1839) 55i *9 (l854) 334, 22 (1857) 303-304; E. Brückner,
Bauernhäuser und Volkskunst im Lande Ratzeburg. In: G. Krüger, Kunst- und Geschichts-
denkmäler des Freistaates Mecklenburg-Strelitz (Neubrandenburg 1934) 402.
23 Mitgeteilt durch Lehrer Pegel, Laupin, 1899.
24 WA — C VII 16: Buhk, Grevesmühlen, 27. 6. 1928.
25 WA — C VII 16: Schoop, Warlow, 16. 4. 1922.
26 WA — ch: Dorf- und Hausformen. Kaiser, Güstrow, 28. 8. 1930.
2*
20
Karl Baumgarten
noch im vorigen Jahrhundert auf Fehmarn üblich war. „Wenn hüt abend alles to Re
ist, segg Hinnerk sin Lü Bescheed: ,Nu kamt in Lü.‘ Un denn in Döns noch feste en
op de Lamp gaten. Denn sünd uck de Jungdeerns wohrschienlich op de Nahhand,
un denn fangt de Junglüd an to danzen, un de Oln singen.“27 Über andere „Biere“
liegen aus dem 19. Jahrhundert für Mecklenburg bereits Mitteilungen nicht mehr
vor. Völlig unbekannt ist schon jene Feier, mit der dem Dorf für die Unterstützung
beim Eindecken eines Gebäudes gedankt wurde und die im Lüneburgischen noch
zuletzt als „Noten-Ber“ bezeichnet wurde.28 Auch Hinweise auf Fensterbiere fehlen
in Mecklenburg bereits — sie dürften jedoch, entsprechend den bis heute erhaltenen
Bier-Scheiben, auch hier einmal gegeben worden sein. Mit dem Auslaufen beider
nachbarlichen Hilfeleistungen, der Dachstrohlieferung nach dem Übergang zum
Rohr- bzw. Ziegeldach sowie der Fensterschenkung nach der bedeutenden Verbilli-
gung des Glases waren die mit ihnen verbundenen Festlichkeiten überflüssig ge-
worden, verschwunden und in der Folgezeit in Vergessenheit geraten.
Die von den Gewährsleuten Richard Wossidlos und der ADV-Frage gewonnenen
sowie die während der jüngsten Feldforschung aufgezeichneten Schilderungen der
gegenseitigen Unterstützung beim Hausbau im mecklenburgischen Dorf geben das
Bild des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Doch läßt sich eine Nachbarschafts-
hilfe in dieser Form hier aktenmäßig bereits bis ins 18. bzw. 17. Jahrhundert zurück-
verfolgen, da die domanialen Behörden jener Zeit bemüht waren, die Nachbarn zu
dergleichen Leistungen ausdrücklich zu verpflichten. Eine solche Zwangsnachbar-
schaftshilfe aber dürfte eine besondere mecklenburgische Variante gewesen sein.
Bereits 1698 hatte der Ratzeburger Domhof für den Bereich seines in Nordwest-
mecklenburg gelegenen Bistums eine „Brandordnung“ mit der Präambel erlassen:
„Erstlich setzen und wollen wir, daß da etwa eine Feuersbrunst durch Gottes Ver-
hängnis bei einem oder andern — welches der grundgütige Gott gnädig abwenden
wolle — entstehen möchte, daß die Untertanen insgesamt zusammentreten, den Ab-
gebrannten nicht alleine mit der Reinmachung der Hofstätte, sondern auch mit
Wiederherbeiführung des benötigten Bauholzes und möglichen Handarbeit in Kleben,
Decken und sonsten getreue Hülfe, bis die Wohnung fertig, tun sollen.“29 Für den
größten Teil Mecklenburgs wurde jedoch in dieser Hinsicht offensichtlich erst die
Schweriner Verfügung über die „Unterstützung der Hauswirthe bei ihren Bauten
vom 10. September 1767“ bestimmend, ln ihr wird im einzelnen ausgeführt:
„Auf hoher Herzogi. Cammer-Verordnung, wird hiemit denen sämtlichen Schulzen und
übrigen Hauswirthen des hiesigen Amtes, bekant gemacht und angedeutet, daß von nun an,
die, vor diesen gewesene Ordnung beym Bauen und Bessern der Gehöfte-Zimmer, wieder
eingeführet werden solle, und zwar dergestalt, daß
1. ein jeder Hauswirth seine Gebäude im Bau- und besserlichen Stande auf seine Kosten er-
halte, wozu er nichts als das nöthige Holz frey zu gewarten hat;
2. daß zum Bau ganzer Zimmer die Dachschöfe von den Dorf schäften zusammengebracht
werden, und
3. die Hauswirthe einander bey allen neuen Bauten, auch wichtigen Besserungen mit
Fuhren und Hand-Diensten helfen sollen, dahingegen ein jeder, es sey über kurz oder
lang, eben diese Hülfe zu gewarten hat.
27 P. Wiepert, a. a. O. 143. 28 E. Kück, a. a. O. 79 Anm. 1.
29 Mitteilungen des Heimatbundes für das Fürstentum Ratzeburg 13 (1931) Mai, 25.
Nachbarschaftshilfe beim ländlichen Hausbau in Mecklenburg
21
Es h
H uat S1C^ a^SO e*n iedef hiernach zu richten, insonderheit aber so viel immer möglich
ac schöfe auszuschütten, und für Strafe sich zu hüten, welche diejenigen gewiß treffen
' u ’ We^c^c bey den anzustellenden Visitationen befunden werden, daß sie ihre Gebäude
, , t tüchtig unterhalten, und keine Schöfe zu ihren und anderen Gebäuden in Vorrath
a en sollten. Schwerin den io. Sept. 1767
Herzogi. Beamte hieselbst.“ 30
Diese Anordnung, die offensichtlich zunächst nur für das Schweriner Amt Geltung
besaß, wurde wenig später, im Jahre 1769, durch die „Bestimmungen über das Bau-
wesen in den Aemtern“ auf den gesamten Bereich des mecklenburg-schwerinschen
Domaniums ausgeweitet, V/ieder wird darin als erstes des von allen Bauern stets aus-
zuschüttenden Dachstrohes gedacht und dann fortgefahren: „Wie dann auch die
Einwohner eines Dorfes oder Vogtey die Fuhren oder Hand-Dienste, ohne daß ihnen
selbige an den enquotierten Extra-Diensten zu rechnen sind, sich unter einander
gegenseitig leisten müssen. Welche Dorfschaften zu solch wechselweiser Hülfe
Zusammen zu setzen sind, das überlassen Wir . . . Ermäßigung, und wird dies
hoffentlich um so weniger Schwierigkeit finden, als ein jeder nicht mehr thut, als er
hi gleichen Fällen wieder zu erwarten hat.“31
Die in beiden Verfügungen genannten ,,Hand-Dienste sind ohne Zweifel in
erster Linie als Unterstützung des Nachbarn beim Richten, Decken und Klehmen
der Gebäude zu verstehen. Jede dieser Hilfeleistungen erforderte fraglos von dem
einzelnen Dorfbewohner nicht unbeträchtliche Handfertigkeit. Zwar hatte er diese
durch ständige Übung von Jugend an durchweg bereits erworben, doch waren
darüber hinaus die Behörden im allgemeinen noch von sich aus bemüht, ihre Bauern
und deren Angehörige nachdrücklich zum Erlernen bestimmter, bauhandwerklicher
Arbeiten zu verpflichten. So wurde z. B. für den Strelitzer Teil Mecklenburgs im
l8- Jahrhundert verfügt, kein Bauer dürfe heiraten, bevor er nicht nachgewiesen
habe, daß er decken und klehmen könne.32 Bis zu welchem Grad handwerklichen
Könnens Bauern in der Tat gelangten, mag eine Mitteilung gelegentlich einer Visita-
tion im Jahre 1748 erweisen, in der es u. a. heißt: „Die Stube ist von dem neuen
Wirth [= Bauern] schon renoviret, und hat er selber diese mehrentheils neü ver-
sohlet, Das fenster Gesims und 2 fenster Pöste neü gemachet, und alles recht düchtig
u. gut verfertiget.“33 Selbst Neubauten wurden offensichtlich von Bauern unter
nachbarlicher Hilfe erstellt, besonders in Notzeiten, wie der brandenburgische Land-
tagsrezeß von 1653 dokumentiert, nach dem es den Zimmerleuten nicht gestattet
sei, „den Bauern, so auch etwas damit umgehen können, die An- und Aufrichtung
ihrer eigenen Häuser und Zimmer zu verwehren“.34 Doch dürfte es sich dabei über-
wiegend um Nebengebäude gehandelt haben. Für eine handwerksgerechte Ab-
zimmerung größerer Wohngebäude reichte das bautechnische Können der Bauern
30 Neue vollständige Gesetz-Sammlung für die Mecklenburg-Schwerinschen Lande.
4- Bd. Parchim 1840, 32.
31 Neue vollständige Gesetz-Sammlung a. a. O. 34.
32 Mitteilungen des Heimatbundes für das Fürstentum Ratzeburg 6 (1924) Februar, 46.
33 D(omanial) A(mt) Bukow, Krempin, Hof V. M(ecklenburgisches) L(andes) H(aupt-
archiv) Rep. 92b Nr. 851.
34 G. Fischer, Die deutsche Handwerkskunde. Berlin 1943, 423.
22
Karl Baumgarten
sicherlich kaum aus, oder aber es entstanden wohl unter ihren Händen Häuser, wie
sie u. a. das Inventar der Greifswalder Universitätsdörfer von 1653 für den Ort
Wampen beschreibt: „Daß Hauß hat gar keinen schick, ist auch dergestalt
beschaffen, daß manns nicht nach gebinden rechnen kan, nur das Ers liegen darin
hat.“35
Welch große Bedeutung von seiten der Behörden solcher durch Verordnung
fixierten Pflicht-Nachbarschaftshilfe beigemessen wurde, erhellt aus der Übernahme
der Verfügungen von 1767 und 1769 in die gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit
den „regulierten“ Dorfschaften abgeschlossenen Zeitpachtkontrakte.36 Noch im
Jahre 1853 konnte daher vom Amt Boizenburg anläßlich eines Streitfalles entschieden
werden: „Die Hauswirthe. . . sind nach dem ihnen ertheilten Pachtcontracte ver-
pflichtet, sich gegenseitig bei großen Reparaturen und Neubauten mit Hand- und
Spanndiensten, so wie unentgeltlichen Lieferung von Dachstroh zu Hülfe zu
kommen.“37 Im allgemeinen wurde von den Behörden gleichzeitig die Bildung eines
besonderen „Fuhrvereins“ angeregt, dessen Aufgabe vor allem im Transport der
Baumaterialien bestehen sollte. War es jedoch zu einer solchen, durchweg mehrere
Dörfer umfassenden Genossenschaft nicht gekommen, behielt sich das Amt in diesen
Fällen stets die „Repartition“ der für einen Neubau erforderlichen Fuhrleistungen
selbst vor.38 Ein Beispiel solcher behördlicherseits vorgenommenen Fuhr-Umlage
bietet die vom Amt Boizenburg am 11. 3. 1853 ausgefertigte Aufstellung:
Verzeichniß
Numero Derjenigen rohen Holzmaterialien p.p. welche herangefahren werden
müssen, zu den Neubau des abgebranten Hauswirth Mahncke vom
Gehöft Nr. 1 zu Groß Bengerstorf, als:
Fuhren auf 1 Tag gerechnet
1. Zum Hause 6333/4 lfd fß eichen Bauholz vom Kogelschen Felde . . 15.
2. Zum Hause 1059 lfd fß Tannen — dorther..................... 20.
3. „ „ 383 3/4 — Latten — dorther...................... 8.
4. „ „ 2130 Stück Windel u. Lehmstaken 10.
5. Zur Scheune 655 lft fß tannen desgl. Bauholz vom Kogelschen
Forste........................................................... 13.
6. Zur Scheune 1345 Stück Klehmstaken dorther................... 6.
1. Von Besitz kommt an Tannen Bauholz Zum Hause 574 lfd fß Bau-
holz (rund) 14.
2. Zur Scheune 354 lfd fß dorther.............................. 8.
3. Zum Hause 163 lfd fß tannen Bauholz von Boizenburg.......... 3.
4. „ ,, 56 Tonnen Kalk von Boizenburg................... 8.
Summa — 105
35 Commissions-Visitations Protocoll aufgenommen im Jahre 1653 über den Zustand des
Amts — Eldena. Archiv der Universität Greifswald K V 6.
36 Vgl. C. W. A. Balck, Domaniale Verhältnisse in Mecklenburg-Schwerin x. Bd. Wis-
mar, Rostock und Ludwigslust 1864, 120.
37 DA Boizenburg. Gr. Bengerstorf Hof I. MLH Rep. 92 a Nr. 106 fase c 1.
38 C. W. A. Balck, a. a. O. 120.
Nachbarschaftshilfe beim ländlichen Hausbau in Mecklenburg 23
dieses obiges fahren Nachstehende Ortschaften zur Dienste—
Runde, als:
1. Groß Bengerstorf 16 Hauswirthe vom Kogelschen Felde ... 16.
2. Bennin 21 Erbpächter auch dorther........................... 14.
3. Gallin 16 Hauswirthe desgleichen............................ 15.
4. Greven 2 Erbpächter u. 9 Hauswirthe desgleichen............. 13.
5. Granzin 11 Hausleute desgl................................. 14.
6. Klein Bengerstorf holt von Besitz tannen Bauholz............ 7.
7. Tessin und Kuhlenfeld 11 Hausleute.......................... 15.
8. zu Greven sind noch 2 Fuhren nachgeblieben von Kogel, welche
tannen Bauholz von Boizenburg holen können.................. 2.
9. Karrentin 1 Erbpächter desgleichen.......................... 1.
10. Klein Bengerstorf sind von Besitz noch 6 Fuhren nachgeblieben,
und holen Kalk von Boizenburg............................... 6.
11. Groß Bengerstorf sind vom Kogelschen Felde noch 2 Fuhren nach-
geblieben und holen Kalk von Boizenburg...................... 2.
Summa = 105
Fuhren39
Diese Aufstellung enthält auf den ersten Blick gewisse Unstimmigkeiten. 16 Haus-
wirte in Gr. Bengertsdorf hatten ihr zufolge 18 Fuhren, 2 Erbpächter und 9 Haus-
wirte zu Greven sogar 13 Fuhren zu leisten, d. h. es entfielen auf den einzelnen 1,1
bzw. i>2 Fuhren. Demgegenüber waren 21 Erbpächter zu Bennin mit nur 14 Fuhren
und damit der einzelne hier lediglich mit 0,7 Fuhren angesetzt. Die Lösung dieses
Widerspruches dürfte in der dorfweise unterschiedlichen Zugviehausstattung zu
suchen sein. Eine entsprechende Aufstellung wird zweifellos dem mit der Repartition
beauftragten Beamten Vorgelegen haben. Des weiteren aber beweist die von ihm er-
stellte Umlage, daß zu solchen „Dienste-Leistungen“ keineswegs nur die zu Zeit-
pacht sitzenden Hauswirte, sondern in gleicher Weise auch die mit besserem Besitz-
recht ausgestatteten Erbpächter herangezogen wurden. Denn diese waren, wie
G- W. A. Balck zu den öffentlichen Leistungen der Erbpächter ausführt, „in den Ver-
hältnissen von Bauern, volle Mitglieder des Dorfverbandes und eo ipso allen des-
fallsigen Lasten und Pflichten nach freier amtlicher Repartition unterworfen.“40
Und so finden sich Bestimmungen über Fuhrleistungen zur Nachbarschaftshilfe
schließlich auch in den im Verlaufe des 19. Jahrhunderts mit mecklenburgischen
Bauern abgeschlossenen Erbpachtkontrakten fixiert. Das mag an einem Beispiel aus
dem früheren Klosteramt Ribnitz illustriert sein. In dem 1835 ausgefertigten „Erb-
pacht und Pacht-Contract“ des Hofes Kuhlrade IV wird dazu im Abschnitt 4 im ein-
zelnen ausgeführt: „Der Erbpächter soll bis zur Errichtung des Fuhrvereins ver-
pflichtet sein, den übrigen Erbpächtern im Dorfe bei Neubauten, die durch Un-
glücksfälle oder durch die Nothwendigkeit des Abbruches alter Gebäude erforderlich
werden, eventualiter nach dem Ermessen der Gutsherrschaft [d. h. des Klosteramts
Ribnitz] mit Fuhren zu Hülfe kommen, dagegen aber auch auf gleiche Hülfe seiner
^dithauswirthe in vorkommenden Fällen Anspruch haben.“41
39 DA Boizenburg, Gr. Bengerstorf a. a. O.
40 C. W. A. Balck, a. a. O. 15 i/x 52-
41 Dieser Erbpachtkontrakt wurde freundlicherweise von der Besitzerin des Hofes, Frau
Saß, zur Abschrift zur Verfügung gestellt.
24
Karl Baumgarten
Den Schlüssel für diese offenbar mecklenburgische Variante der Nachbarschafts-
hilfe beim ländlichen Hausbau dürfte in erster Linie die Verordnung des Jahres 1767
bieten. Dabei legt zunächst einmal der in ihr eingangs enthaltene Passus, daß „die, vor
diesem gewisene Ordnung beym Bauen und Bessern der Gehöfte-Zimmer, wieder
eingeführt werden solle“, die Vermutung nahe, daß die Nachbarschaftshilfe, wie in
anderen deutschen Landschaften, so auch im mecklenburgischen Dorf ursprünglich
von allen Einwohnern ohne behördlichen Zwang entsprechend einer verpflichtenden
Sitte geleistet wurde. Zumindest ist bislang eine der Verfügung von 1767 vorauf-
gehende Bestimmung im Schweriner Teil Mecklenburgs, auf die der genannte Passus
hätte Bezug nehmen können, nicht bekannt geworden. Auch die am 1. Juli 1702 er-
lassene „Schulzen- und Bauerordnung“,42 die bereits einige der Anordnungen des
Jahres 1767 im voraus enthält, erwähnt die Nachbarschaftshilfe noch mit keinem
Wort. Demnach wäre zunächst einmal dieser Erlaß als behördliche Sanktionierung
eines Volksbrauches zu sehen, wie sie auch sonst in jener Zeit für Mecklenburg be-
zeichnend ist. Gerade das 18. Jahrhundert scheint hier ganz besonders um eine Regle-
mentierung vieler Erscheinungen des Volkslebens bemüht.
Mit solcher Einordnung aber ist die Verfügung von 1767 als Ganzes nicht gedeutet.
Offensichtlich stehen hinter ihr drängende, aus den Gegebenheiten jener Zeit ge-
borene Realitäten. Darauf verweisen vor allem die Bestimmung, „daß ein jeder Haus-
wirth seine Gebäude im Bau- und besserlichen Stande auf seine Kosten erhalte“, so-
wie die Drohung, alle Bauern sollten „für Strafe sich hüten, welche diejenigen gewiß
treffen wird, welche bey den anzustellenden Visitationen befunden werden, daß sie
ihre Gebäude nicht tüchtig erhalten“. Damit illustriert diese Verfügung treffend eine
offenbar ständig zunehmende Passivität des mecklenburgischen Bauern, wie sie schon
1750 von dem herzoglichen Kammerdirektor Wachenhusen mit der Feststellung:
„Ein mecklenburgischer Leibeigener läßt alles mit größter Gleichgültigkeit einstür-
zen und niederfallen“,43 bezeugt worden war.44 Ein derartiges Verhalten gegenüber
den zum grundherrlichen Eigentum zählenden Hofgebäuden aber mußte in wach-
sendem Maße die ohnehin seit langem bedrängte finanzielle Lage der herzoglichen
Kammer belasten. Unter solchem Aspekt nimmt daher eine Anordnung nicht wunder,
wie sie eingangs in der Verfügung von 1769 enthalten ist, daß nämlich „alle und jede
Zimmer möglichst hingehalten, und keine Bewilligung zu neuen Bauten gesuchet
werden müssen, wenn selbige nicht der äußersten Nothwendigkeit sind.“45
In diesen Zusammenhang ist schließlich auch die Forderung, daß „die Hauswirthe
einander bey allen neuen Bauten, auch wichtigen Besserungen mit Fuhren und Hand-
Diensten helfen sollen“, zu stellen. Die aus der Leibeigenschaft geborene Stumpfheit
42 Neue vollständige Gesetz-Sammlung a. a. O.
43 Zitiert nach H. Witte, Kulturbilder aus Alt-Mecklenburg 1. Bd. Leipzig 1911, 21.
44 Zeitgenossen nennen den Bauern des 18. Jahrhunderts stumpf und gleichgültig, doch
muß vielleicht hinter solcher Passivität ein gewisser Widerstand gegenüber den damaligen
unerträglichen Verhältnissen gesehen werden. Andere Äußerungen bäuerlichen Wider-
standes waren die mangelhafte Ausführung feudaler Dienstverpflichtung, Dienstverweige-
rung, Prozesse gegen zu hohe feudale Abforderung und die Flucht. Vgl. dazu G. Heitz,
Der Zusammenhang zwischen den Bauernbewegungen und der Entwicklung des Absolutis-
mus in Mitteleuropa. Zs. f. Geschichtswiss. Sonderheft XIII, 1965, 78.
45 Neue vollständige Gesetz-Sammlung a. a. O.
Nachbarschaftshilfe beim ländlichen Hausbau in Mecklenburg
25
und Passivität hatte ohne Frage gleichzeitig auch zu einer Vernachlässigung der bis-
lang als Sitte geübten Nachbarschaftshilfe geführt. Nun aber war eine solche genos-
senschaftliche Unterstützung im Dorf gerade von seiten der Behörden ganz besonders
erwünscht, war sie doch dazu angetan, den Bau von Häusern erheblich zu verbilligen.
Allerdings erscheint ein ausgesprochenes Bemühen der herzoglichen Verwaltung um
eine derartige Kostensenkung zunächst wenig verständlich. Noch 1767 war aus-
drücklich festgelegt worden, der Bauer habe bei der Errichtung seiner Gebäude
»nichts als das nöthige Holz zu gewarthen“. Theoretisch gesehen hatte somit der
Bauer ein jegliches Bauen auf seinem Hof, soweit es nicht von ihm selbst erledigt
Werden konnte, aus eigener Tasche zu finanzieren. In der Praxis jedoch waren die
herzoglichen Ämter immer wieder genötigt, verlorene Bauzuschüsse auszuschütten,
da es den in jeder Hinsicht übermäßig belasteten Bauern anders einfach unmöglich ge-
wesen wäre, neue Bauten zu erstellen. 1774 mußte selbst die herzogliche Kammer im
Hinblick auf die bäuerliche Situation einräumen: „Dasjenige, was ein Hüfener außer
den Registerangaben oder Hofediensten zu bestreiten hat, ist so beträchtlich, daß es
auch für den besten Wirth Künste kostet, durchs Jahr zu kommen.“46 Um die Bau-
kosten zu senken, wurde daher u. a. nicht nur eine Preisfixierung für bestimmte bau-
handwerkliche Arbeiten vorgesehen, sondern auch angeordnet, „daß die Anweisung
des Bauholzes in Zeiten geschehe, und der Bauer Gelegenheit erhalte, den Sagerlohn
im Winter selbst zu verdienen.“47 In diese Bemühungen fällt offensichtlich auch das
Bestreben der Behörden, die Nachbarschaftshilfe zu aktivieren. Ohne Frage konnten
auf diese Weise vom Bauern Fuhr-, Material- und Lohnkosten zu einem beträchlichen
Teil erspart werden, woraus das einzelne Amt seinerseits eine Verringerung der bis-
lang Jahr für Jahr notwendigen Baukostenzuschüsse erwartete. Und so scheute man
selbst vor der Fixierung einer Pflicht-Nachbarschaftshilfe nicht zurück, gegenüber
deren Forderungen in der Folgezeit lediglich einzelne Bauern opponiert zu haben
scheinen, wie es z. B. für das Jahr 1853 belegt ist. Damals hatten die Hauswirte zu
Gr. Bengerstorf bei Boizenburg sich geweigert, unentgeltlich Dachstroh für den
Wiederaufbau eines abgebrannten Gehöfts zu liefern, und zwar mit der Begründung,
diese Gebäude seien gegen Feuer versichert gewesen und somit habe die Versiche-
rungsgesellschaft die entstehenden Kosten zu tragen. Die amtliche Reaktion auf die
bäuerliche „Widersetzlichkeit“ war prompt. „Der Landreiter Becker hat sich sofort
nach Groß-Bengerstorf zu begeben und den Hauswirthen anzubefehlen: an den Haus-
wirth Mancke daselbst innerhalb 3 Tagen zu gleichen Teilen das zum Decken der
2ten Hälfte seiner Scheune erforderliche Stroh zu liefern, mit dem Bedeuten, daß
widrigenfalls solches auf Kosten des Säumigen Amtswegen werde angekauft werden.
Gleichzeitig hat der Landreiter dem Schulzen und dem Hauswirth Mahncke auf-
2ugeben, von einer etwaigen Nichtbeachtung dieses Befehls Seitens der Hauswirthe
sofort dem Amte Anzeige zu machen.“48 Da eine solche Anzeige den Gehöftakten
oicht anliegt, darf wohl angenommen werden, daß dem durch den Landreiter über-
brachten Amtsbefehl umgehend Folge geleistet worden war. Von diesem Fall ab-
47 ^üiert nach H. Witte, a. a. O. 19.
48 Neue vollständige Gesetz-Sammlung a. a. O.
8 DA. Boitzenburg. Gr. Bengerstorf a. a. O.
26
Karl Baumgarten
gesehen aber wurde im allgemeinen, wie die Aufzeichnungen Richard Wossidlos, die
Antworten auf die ADV-Frage sowie die Explorationen während der jüngsten Feld-
forschung bekunden, die Nachbarschafshilfe trotz des behördlichen Zwanges von
den Bauern als selbstverständliche Verpflichtung zu genossenschaftlicher Unter-
stützung empfunden. Und das überwiegend selbst noch in den ersten Jahrzehnten
des 20. Jahrhunderts, als man sich der entsprechenden amtlichen Verfügungen be-
reits nicht mehr erinnerte. Noch immer war, wie die Beantwortung der ADV-Frage
aus weist, in rund 63% aller Bauernsiedlungen eine Nachbarschaftshilfe uneinge-
schränkt üblich.49 Nur ca. 23% dieser Siedlungen kannten lediglich eine Nachbar-
schaftshilfe im engeren Sinne, wobei als Nachbarn die Bewohner der angrenzenden
und gegenüberliegenden Gehöfte, bzw. die Besitzer der angrenzenden Felder ver-
standen wurden. In den restlichen Dörfern schließlich war die Verpflichtung zur Un-
terstützung, die in nahezu allen Antworten bereits als „freiwillig“ bezeichnet wurde,
auf gute Freunde, Bekannte oder Verwandte übergegangen, aber auch,wie in wenigen
Fällen betont wird, in letzter Zeit schon aufgegeben worden.
Dieser Entwicklung ging seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine inhaltliche Re-
duzierung der Nachbarschaftshilfe parallel. Waren in älterer Zeit fast alle Arbeiten
beim Errichten eines Gebäudes mit genossenschaftlicher Unterstützung durchgeführt
worden, konzentrierte sich diese Verpflichtung in zunehmenden Maße auf reine
Fuhrhilfe. Schon nimmt in den Antworten zur ADV-Frage der Transport des Bau-
materials ca. 88% aller aufgeführten Nachbarschaftsleistungen ein. Es folgt die Hilfe
beim Richten — durchweg allerdings nur noch der Dachwerke — mit rund 9%. Die
restlichen 3% verteilen sich auf das Decken der Dächer oder das Klehmen alter
Wände. Hinter dieser Entwicklung steht der Wandel in der ländlichen Bauweise, der
Übergang zum Massivbau. Das Errichten neuer Gebäude erforderte nunmehr Fertig-
keiten, die im allgemeinen beim Bauern nicht mehr erwartet werden konnten. Damit
aber reduzierte sich der tätige Anteil des Nachbarn zwangsläufig auf den Transport
der Materialien und auf die Ausführung weniger Hilfsarbeiten.
Und so verwundert es schließlich nicht, daß sich der Bauer im mecklenburgischen
Dorf gegenwärtig fast nur noch an eine Nachbarschaftshilfe in solch reduzierter
Form zu erinnern vermag: „Wi hadden ’n Fuhrkreis, denn müßten se all führen,
wenn een afbrennen ded.“50
49 In einigen Dörfern des mecklenburgischen Nord Westens war nach den Antworten auf
die ADV-Frage selbst noch die genossenschaftliche Unterstützung durch die Bauern meh-
rerer Ortschaften üblich.
50 WA — ch: Dorf- und Hausformen, Heinke, Doberan, 10. 9. 1929.
Das Bauernhaus im Kreise Lüchow-Dannenberg
Von Gerhard Eitzen
Der Kreis Lüchow-Dannenberg bildet den nordöstlichen Zipfel des Landes
. ersachsen. Lr erstreckt sich von den Höhen der bewaldeten osthannoverschen
lesrnoräne bis in das Urstromtal der Elbe und entspricht in großen Zügen dem früh-
mittelalterlichen Gau Drewani (d. h. Holzbewohner). Später wurde dieser Land-
strich als Teil des ehemaligen Fürstentums Lüneburg als Lüneburger Wendland be-
^Llc^neb bis sich schließlich in neuerer Zeit die Bezeichnung Hannoversches
Cndland durchsetzte.
Ufolge der slawischen Herkunft größerer Bevölkerungsteile hat sich die Forschung dieser
egend schon sehr früh mit besonderer Aufmerksamkeit zugewandt und sich zunächst mit
er Sprache der Einheimischen befaßt. So ließ sich 1690 Gottfried Wilhelm Leibniz durch
, en Lüchower Amtmann Mithof über die Sprache der Lüneburger Wenden berichten, die
ereits damals weitgehend vom Plattdeutschen verdrängt und nur noch in Resten greifbar
par- Der Wustrower Pastor Christian Hennig von Jessen (um 1700) und der Bauer Johann
arum Schulze aus Süthen (1678 — 1734) haben sich um die Aufzeichnung wendischer
. Pfachreste besondere Verdienste erworben. Im Jahre 1711 gab Johann Georg Eccard
ln Hannover seine Historia Studii Etymologici Linguae Germanicae heraus, ein Werk, das
außer einem wendischen Hochzeitslied auch ein Vocabular wendischer Wörter enthält, das
au Johann Pfeffinger zurückgeht, der damals Lehrer an der Ritterakademie in Lüneburg
^r- Diese Überreste und die zahlreichen Orts- und Flurnamen slawischer Herkunft sind
Wiederholt Gegenstand der Forschung gewesen.1
Später als die wendische Sprache fanden die siedlungsgeographischen Merkmale, ins-
besondere die als Runddörfer angelegten Ortschaften, Beachtung. Die Reihe der siedlungs-
§^°gtaphischen Arbeiten wurde 1856 durch Jacobi begonnen, später wurde das Gebiet von
eitzen besonders beachtet, und 1931 folgte A. Krenzlins Untersuchung der Kulturland-
c ap des Hannoverschen Wendlandes. In den letzten Jahren erschienen wieder zwei ein-
jC. ^gige Arbeiten, in denen die Rundlinge im Mittelpunkt der Darstellung stehen2. Schulz-
P^pkow vertritt die Auffassung, daß die Rundlinge nicht bis in die Zeit der frühmittelalter-
V- ^n Landnahme zurückreichen, sondern erst durch spätmittelalterliche Hofteilungen aus
_J^hofrunden und gebogenen Dorf Zeilen hervorgegangen sind. Meibeyer, dessen Er-
Mucke, Bibliographie der Literatur über die Lüneburger Wenden. Zs. d. Hist, Ver. f.
tedersachsen 1908, 175 ff.
2 Trautmann, Die elb- und ostseeslawischen Ortsnamen I u. II. Berlin 1948/49.
Jacobi, Slawen- und Teutschthum in cultur- und agrarhistorischen Studien zur An-
pC. auung gebracht, besonders in Lüneburg und Altenburg. Archiv f. Gesch. u. Verf. d.
^Urstenthums Lüneburg VI. Band 1. Abt. Celle 1856. A. Meitzen, Siedlung und Agrar-
gCSen dcr Westgermanen und Ostgermanen, der Kelten, Finnen, Römer und Slawen.
Cr ln x^95- A. Krenzlin, Die Kulturlandschaft des hannoverschen Wendlandes. Stuttgart
93i. W. Schulz-Lüchow, Primäre und sekundäre Siedlungsformen in der Niederen Geest
i^., arjnoverschen Wendlandes. Bad Godesberg 1963. W. Meibeyer, Die Rundlingsdörfer
°stlichen Niedersachsen. Braunschweig 1964.
hebungen sich auch über die anderen Landschaften des östlichen Niedersachsens erstrecken,
nimmt dagegen an, daß die Rundlinge mit der ihnen eigentümlichen „riegenschlagförmig‘l
aufgeteilten Flur auf einen einmaligen Gründungsakt zurückgehen. Das Volksleben des
Hannoverschen Wendlandes wurde bereits 1862 von Hennings geschildert. Damit hat sich
auch unlängst Schwebe befaßt, dem es jedoch nicht in allen Teilen seiner Arbeit gelang, wend-
ländische Bräuche von einst weiter verbreiteten Gepflogenheiten zu trennen3.
Ebenso wie in der Siedlungsgeographie und in der Volkskunde erhebt sich auch
für die Hausforschung die Frage, ob und in welchem Maße hausbauliche Merkmale
auf den slawischen Bevölkerungsanteil zurückzuführen sind. Ein Blick auf die ein-
heimische Bauweise läßt zwar ohne weiteres erkennen, daß das Hannoversche Wend-
land seit Jahrhunderten zum Bereich des niederdeutschen Hallenhauses gehört, und
daß Reste und Spuren von hausbaulichen Merkmalen, wie sie weiter östlich in sla-
wisch besiedelten Landschaften üblich sind, hier nicht auftreten. Dennoch bietet der
ländliche Hausbau des Wendlandes ein eigentümliches Bild, das sich deutlich von dem
benachbarter Landstriche abhebt. Das fällt besonders auf, wenn man sich von Westen
her dem Wendland nähert und zuerst die Dörfer des Drawehns, der westlich von
Lüchow gelegenen Geest, erreicht. Hier sind nicht nur zahlreiche Runddörfer zu
finden, sondern auch die für diese Gegend charakteristischen, steilgiebeligen Häuser,
die sich durch eigentümliche Fachwerkgestaltungen auszeichnen. Zunächst sollen an
Hand einiger Beispiele die wichtigsten Formen des Bauernhauses im Kreise Lüchow-
Dannenberg dargestellt werden. Der dabei gewonnene Überblick soll es ermöglichen,
die hausbaulichen Eigenarten dieses Gebietes herauszustellen. Ein derartiger Versuch
wird naturgemäß nicht in jeder Hinsicht befriedigen, weil die dafür notwendigen Ver-
gleiche mit benachbarten Landschaften in diesem Rahmen nur durch wenige Hin-
weise gegeben werden können.
Der auffallende Formenreichtum, der sich bereits bei flüchtiger Betrachtung in der
äußeren Erscheinung der Häuser offenbart, zeigt sich auch in der Raumeinteilung.
Die verschiedenen Formen, die uns dabei entgegentreten, lassen sich jedoch — wenn
man nur die älteren Häuser berücksichtigt — fast ausnahmslos auf das Flettdeelenhaus
(Taf. 3) zurückführen, das als klassische Hallenhausform in weiten Teilen des aus-
gedehnten Hallenhausbereiches vorherrscht. Reine Flettdeelenhäuser sind vor allem
unter den älteren Bauten im nördlichen Teil des Kreises zu finden.
1. Zweiständer-Flettdeelenhaus in Jameln
Zu den Flettdeelenhäusern gehört unser erstes Beispiel aus Jameln (Abb. 1). Dem
Aufbau nach handelt es sich um ein Zweiständerhaus, bei dem das tragende Innen-
gerüst aus zwei Ständerreihen besteht. Die Ständer stehen auf Schwellen, werden in
halber Höhe durch die Hillenriegel und oben durch Rähme der Länge nach ver-
bunden. Die Winkelsicherung wird von langen Streben bewirkt, die im Bereich der
Deele paarweise gegenläufig zwischen die Ständer eingefügt sind und die Hillen-
riegel überqueren. Der Querverband besteht aus aufgelegten Balken, die auf ihren
überstehenden Enden die Sparren tragen und deshalb als Dachbalken bezeichnet
werden. Zur Versteifung des Querverbandes dienen zwischen Ständer und Balken
3 K. Hennings, Das Hannoversche Wendland oder der Gau Drawehn. Teil 1 —4. Dannen-
berg 1898; J. Schwebe, Volksglaube und Volksbrauch im Hannoverschen Wendland.
Köln-Graz i960.
Das Bauernhaus im Kreise Lüchow-Dannenberg
29
eingesetzte Kopfbänder. Dem breiten, vom Innengefüge gebildeten Mittelschiff sind
beiderseits die Abseiten angeschlossen. Die niedrigen Seitenwände sind durch die
s°genannten Einzüge mit dem Innengefüge verbunden, die gleichzeitig die Zwischen-
decken der Abseiten tragen. An der Deele sind die Einzüge mit vorstehenden Enden
ubet die Hillenriegel gekämmt, im Wohnteil dagegen mit Ständern oder Riegeln
vetzapft. Am Flett, dem quer durch das Haus reichenden Herdraum, wird auf beiden
Seiten ein Ständer durch einen besonders starken Riegel abgefangen, der als Luchtholz
°der Luchtriegel zu bezeichnen ist. Auf diese Weise entstehen die Luchten, die mit
Türen und Fenstern versehenen seitlichen Teile des Fletts.
Abb.
*• Dettdeelenhaus Jameln (Zweiständer). Anfang 17. Jh. Alle Ansichten und Schnitte
der Abb. 1 bis 7 1 ¡200, alle Grundrisse 1:40c)
I
%
y*<
30
Gerhard Eitzen
Dem Flett schließt sich das Stubenende an, das in der Hauskunde zumeist als
Kammerfach bezeichnet wird. Für das östliche Niedersachsen ist jedoch die Bezeich-
nung Stubenende vorzuziehen, die im volkstümlichen Sprachgebrauch bis ins frühe
18. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. Außerdem ist die Stube der größte und
bedeutendste Raum des Stubenendes. In dem hier geschilderten Jameiner Haus um-
faßt das Stubenende zwei Fache und enthielt ursprünglich in der Mitte, zwischen den
Hauptständern, nur die geräumige Stube, in der vermutlich auch die Wandbetten für
die Familie des Bauern angeordnet waren. Daneben befanden sich, den Abseiten ent-
sprechend, zwei Kammern. Im Bereich des Stubenendes ist das Hauptgefüge höher
als im übrigen Hause; denn über den unteren Räumen befindet sich hier ein Zwi-
schengeschoß, das früher als Speicher diente und am Wohngiebel mit einer Außentür
versehen war, die über eine Leiter erreicht werden konnte. Der erhöhte Dachboden
über dem Stubenende, der sich vom übrigen Bodenraum her wie eine Bühne aus-
nimmt, wird von der älteren Generation heute noch als Pomös bezeichnet. Es han-
delt sich dabei offenbar um ein Wort slawischer Herkunft, das mit dem russischen
Pomost = Brücke zusammenhängt. Da der bühnenartige Aufsprung im Dachboden
an das zweigeschossige Stubenende gebunden ist, das wiederum eine verhältnismäßig
junge Errungenschaft ist, muß das Wort Pomös vorher eine andere Bedeutung ge-
habt haben. Dabei ist an eine Rauchbühne im Wohnteil des deckenlosen mittelalter-
lichen Hauses zu denken, unter der sich die Feuerstätte befand. Mit dem fort-
schreitenden Ausbau des Hausinneren mag das Wort auf eine ähnliche Sache
übertragen und dabei auf den Dachboden zurückgedrängt worden sein.
Nachdem bereits im Zusammenhang mit dem Aufbau auf die Funktion einzelner
Räumlichkeiten hingewiesen wurde, können wir uns nun darauf beschränken, die
wesentlichen Züge der Raumeinteilung herauszustellen. Der Wirtschaftsteil, der die
Deele mit den seitlichen Stallungen für das Großvieh einschließt, umfaßt wie bei
vielen anderen älteren Häusern unseres Gebietes nur drei Fache und steht damit um
ein Fach hinter dem Wohnteil (Stube und Flett) zurück; das Flett, das sich ohne
Trennwand der Deele anschließt, umfaßt zwei Fache und ist zusammen mit den seit-
lichen Luchten breiter als die Deele. Auffällig ist die Größe der Stube. Sie erhellt, daß
die Stube im Wendland bereits um 1600 neben dem Flett ein bedeutender Wohnraum
war. Leider ist über ihre ursprüngliche Einrichtung nichts mehr in Erfahrung zu
bringen. Ebensowenig wissen wir über die ursprünglichen Feuerstätten. Vermutlich
brannte das offene Herdfeuer im Flett unter einem sogenannten Feuerrähm, das als
Funkenschirm diente. Der Stubenofen war wahrscheinlich von Ziegeln aufgemauert
und wurde sicher vom Flett her beschickt. Derartige Öfen waren um 1950 noch ver-
einzelt erhalten, wie z. B. in Jameln in einem vor wenigen Jahren abgetragenen Hause.
In dem hier dargestellten Hause wurde die Stube später in zwei Wohnräume auf-
geteilt. Im Flett wurden zwei überwölbte Wandherde angelegt. Das überhöhte
Stubenende mit dem Speicherraum im Obergeschoß zeigt an, daß die Funktion des
selbständigen Speichergebäudes bereits um 1600 auf das Haus übergegangen war.
Schließlich ist noch auf die Merkmale der Fachwerkgestaltung hinzuweisen, die
uns in den Stand setzen, das Haus zu datieren und damit auch die aufgezeigten haus-
geschichtlichen Erscheinungen zeitlich zu bestimmen. Als Schauseite ist der dem
Dorf platz zugewandte Wirtschaftsgiebel angelegt. Der obere Teil des Giebels kragt
Das Bauernhaus im Kreise Lüchow-Dannenberg
31
Hilfe von Stichbalken vor, die innen mit Brustzapfen im ersten Deelenbalken
stecken. Die dazwischen eingesetzten Füllhölzer sind mit Schiffskehlen und Ein-
kerbungen versehen, wie sie spätestens in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts
angewandt wurden. Das Stichgebälk, eine am Bürgerhaus entwickelte Errungen-
schaft des Fachwerkbaues, tritt im nordöstlichen Niedersachsen zuerst kurz vor
l6°o an bäuerlichen Bauten auf. Demzufolge dürfte das Jameiner Haus aus dem
Hüben 17. Jahrhundert stammen. Die beiden Stalltüren weisen noch stichbogen-
förmige Sturzriegel auf, wie sie in dieser Verwendung an später erbauten Häusern
kaum noch zu finden sind. Dagegen sind derartige Sturzriegel über den zumeist
paarweise angeordneten Lichtöffnungen nur mit Vorbehalt zur Altersbestimmung
heranzuziehen, da sie an diesen Stellen bis ins 18. Jahrhundert in Übung blieben.
Bemerkenswert ist der bis in die Giebelspitze hineinreichende Mittelständer, der als
Spitzsäule zu bezeichnen ist. Er weist keinerlei Spuren eines Giebelpfahls auf, wie er
für die nach 1700 erbauten Steilgiebel kennzeichnend ist, und bekundet, daß hier die
Giebelzier von vornherein aus gekreuzten Windbrettern bestand. Das Fachwerk des
Wohngiebels ist ziemlich weitmaschig und weist eine überwiegend funktionelle
Fachwerkteilung auf, die nur durch Fußstreben und -bänder belebt wird.
2. Zweiständer-Flettdeelenhaus in Prisser
Im frühen 17. Jahrhundert dürfte auch unser nächstes Beispiel, ein vor wenigen
Jahren abgebrochenes Haus aus Prisser westlich von Dannenberg, erbaut worden
sein (Abb. 2). Infolge seines ziemlich flachen, tief herabreichenden Daches
machte es einen sehr altertümlichen Eindruck, der im Innern durch entsprechende
Merkmale des Gefüges noch verstärkt wurde. Die Deelenständer wurden der Länge
nach durch ein angeblattetes Hillenholz verbunden. Angeblattet waren auch die
fischen den Deelenständern angebrachten Streben. Diese Verbindung ist für unser
Gebiet sonst nicht mehr nachzuweisen und zeigt an, daß wir es mit einem der ältesten
Bekannten Häuser dieser Gegend zu tun haben. Das Stichgebälk im vorderen Deelen-
fach, über dem der obere Giebel vorkragt, bekundet, daß das Haus jedoch nur um
Wenige Jahre in das 16. Jahrhundert zurückgegangen sein kann, wahrscheinlich aber
erst im frühen 17. Jahrhundert errichtet wurde.
Die Deele umfaßte den größeren Häusern entsprechend vier Fache. An der linken
Seite wurde das Rindvieh aufgestellt. Hier waren noch die bogig ausgeschnittenen
Riegel erhalten in denen die senkrechten Stallbäume steckten, an denen die Tiere an-
gebunden wurden. Auf der anderen Seite hatten die Pferde ihren Platz, die ihr Futter
ln Krippen und Raufen erhielten. Beide Stallungen waren sowohl am Giebel als auch
an der Traufseite mit einer Außentür versehen.
Das Flett das sich wie üblich ohne Trennwand an die Deele anschloß, umfaßte
zwei Fache. Rechts wurde durch einen starken Luchtriegel eine breite Lucht gebildet,
v°n der aus eine Tür ins Freie führte. Auf der anderen Seite des Flettes befand sich
außer einer schmalen Lucht eine kleine Kammer, beide nahmen je ein Fach der
Abseite ein. Das Stubenende war wie in dem zuvor behandelten Haus zweigeschossig
ausgebildet, jedoch abweichend davon konstruiert. Auf den Riegeln der Feuerwand
ruhten die firstparallel verlegten Stuben- und Kammerbalken, die am Giebel wie ein
Stichgebälk vorkragten und die Setzschwelle für das Obergeschoß trugen. Die
Abb. 2. Flettdeelenhaus Prisser (Zweiständer). Anfang 17. Jh., abgebr. um i960
Das Bauernhaus im Kreise Lüchow-Dannenberg
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Gerhard Eitzen
oberen Deckenbalken ruhten innen auf einem Bock, der auf dem Balken der Feuer-
wand stand und ziemlich behelfsmäßig anmutete. Derartige Konstruktionen von
Stubenenden sind weiter westlich im Lüneburgischen vom ausgehenden 16. Jahr-
hundert an durchaus üblich. Ursprünglich erstreckte sich das Stubenende nicht über
die ganze Hausbreite, vielmehr fehlte an der nordwestlichen Hausecke die Abseite, so
daß im Erdgeschoß außer der großen Stube nur auf einer Seite Platz für eine Kammer
verblieb. Derartige Anlagen sind im Wendland noch mehrfach nachzuweisen, so
z. B. an zwei Häusern des 17. Jahrhunderts in Pannecke (eins davon ist bereits vor
mehreren Jahrzehnten abgerissen worden), an einem Hause von 1695 in Klein-Guß-
born und an einem 1750 erbauten Hause in Breese im Bruche. Östlich von unserem
Gebiet ist ein solches Haus von 1695 aus Deutsch, Kreis Osterburg, bekannt ge-
worden.4 Ähnliche Anlagen begegnen uns sonst erst bedeutend weiter westlich im
Kreise Grafschaft Bentheim und im westlichen Münsterland. Da die dortigen Hallen-
häuser jedoch ganz anderen hausgeschichtlichen Vorgängen ausgesetzt waren, können
sie hier außer acht bleiben.
Die „unvollständigen“ Stubenenden der wendländischen Hallenhäuser scheinen
zunächst darauf hinzudeuten, daß das Stubenende hier als relativ späte Errungen-
schaft angesehen werden kann und demzufolge bei manchen Häusern noch nicht die
gesamte Hausbreite erreicht hat. Dagegen spricht jedoch, daß derartige Stubenenden
keineswegs auf die älteste erhaltene Bauschicht beschränkt sind, sondern — falls der
heutige Bestand kein falsches Bild vermittelt — vor allem um 1700 auftraten. Das läßt
vermuten, daß wir es mit einer Zweckform zu tun haben, bei der durch die fehlende
Abseite die Stube mit einer zweiten Außenwand und damit auch an zwei Wänden mit
Fenstern versehen werden konnte. Weiter westlich, in der Lüneburger Heide und im
Braunschweigischen, bestand für eine solche Maßnahme kein Anlaß, denn dort wurde
die Stube seit alters an einer Hausecke angeordnet. Dementsprechend erstreckt sich
dort das Stubenende stets über die ganze Breite des Hauses.
In diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, daß derartige Häuser bereits von
Meitzen dargestellt wurden, der nachdrücklich auf den „Vorplatz“ hingewiesen hat,
„der durch Abschneiden einer Ecke des Hauses gewonnen ist“.5 Seine Ansicht eines
wendländischen Runddorfes vermittelt jedoch irreführende Vorstellungen, indem sie
ein Haus mit Ecklaube und freistehender Ecksäule wiedergibt, wie es in dieser Form
im Wendlande völlig unbekannt ist. Diese Darstellung geht auf die unhaltbare Auf-
fassung zurück, daß die „abgeschnittene Hausecke“ als Rest einer Vorhalle anzusehen
ist, an der die Wenden „durch die norddeutsche Ebene bis in das hannövrische Wend-
land festgehalten“ haben. Außerdem sind die rückwärtigen Wohngiebel durchweg
schlicht gehalten und weisen nur ganz vereinzelt die lebhafte Fachwerkgliederung auf,
die auf der von Meitzen wiedergegebenen Zeichnung dargestellt ist.
Wir kommen nun auf unser Beispiel aus Prisser zurück, dessen Betrachtung mit zu-
sammenfassenden Bemerkungen über die Raumeinteilung abgeschlossen werden soll.
Während das zuvor beschriebene Haus in Jameln noch zwei breite Luchten aufweist,
war hier nur eine breite Lucht vorhanden, die an der Nordseite des Hauses lag und
4 E. Wolfrom, Das Bauernhaus im Magdeburger Land. Magdeburg 1937.
6 Meitzen, a. a. O. Band 2, 483 u. 3, 314.
Das Bauernhaus im Kreise Lüchow-Dannenberg
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ftüt einem Ausgang versehen war, durch den man auf den Hof und weiter zum Brun-
en und in den Garten gelangte. Diese Merkmale kennzeichnen die Lucht als Wasch-
und Spülplatz. In der schmalen, nach Süden gelegenen Lucht gab es keine Außentür.
Hier wird man wohl in der warmen Jahreszeit die Mahlzeiten eingenommen haben.
Hauptwohnraum war in diesem Hause offenbar von vornherein die Stube. Im Ver-
lauf späterer Umbauten wurde das Stubenende um die ursprünglich fehlende Abseite
erweitert und die große Stube in zwei Räume aufgeteilt. Bis zuletzt war der ein-
gezeichnete überwölbte Wandherd erhalten, der jedoch jünger als das Haus gewesen
sein dürfte.
3. Zweiständer-Flettdeelenhaus mit hinterem Ausgang in Damnatz
von 1650
Eines der altertümlichsten Häuser des Kreises stand bis vor kurzem auf dem Hof
Hr. 17 in Damnatz in der Dannenberger Elbmarsch (Abb. 3). Auf dem Tor-
bogen war außer einer Spruchinschrift auch das Baujahr 1650 überliefert. Das Ge-
füge erstreckte sich einheitlich durch das ganze Haus, so daß an beiden Giebeln der
Aufbau mit den beiden tragenden Hauptständerreihen deutlich sichtbar war. Un-
gewöhnlich aufwändig war die Versteifung des Querverbandes. Außer den üblichen
Hopfbändern waren in den Giebeln und Querwänden natürlich gekrümmte Streben,
sogenannte Sturmbänder, eingefügt. In der Längsrichtung wurden die Deelen-
ständer an jeder Seite nur durch eine lange Strebe ausgesteift. Auf beide Giebel-
balken war ein Drempel gesetzt, so daß ein Dach mit halben Walmen zustande kam.
Her Wirtschaftsteil mit der Deele und den seitlich daran angeschlossenen Stallungen
ütnfaßte drei Fache. Das Flett nahm zwei ziemlich schmale Fache ein. Hier war auf
beiden Seiten ein kräftiger Luchtriegel eingefügt, der von einem mit Kopf bändern
versehenen Ständer abgestützt wurde. Dadurch wurde ein Teil der Luchten für ein
Wandbett abgetrennt.
Das Stubenende war auf ein Fach beschränkt. Die Stube lag wie üblich zwischen
den Hauptständerreihen. Hier war außerdem noch ein Gang angelegt, durch den man
vom Flett aus durch eine am Wohngiebel angebrachte Tür ins Freie gelangen konnte.
Die leicht zum Giebel ansteigende Stubendecke bestand aus breiten, dicken Bohlen,
die auf den Riegeln der Feuerwand und des Wohngiebels ruhten und auch von außen
sichtbar waren. Die Fugen dieser Decke waren mit Leisten abgedichtet. Der Zwi-
schenboden des Stubenendes diente als Speicher. Seine Decke bestand ebenfalls aus
Eichenbohlen und stieg vom Balken der Feuerwand bis zum Drempel des Giebels an.
Das Dachwerk wies mehrere altertümliche Merkmale auf, so waren die Windrispen
öut Weidenruten unter die Sparren gebunden. Zwischen den einzelnen Gespärren
Ovaren die Latten auf zwei Fuß Breite durch Weidenruten miteinander verflochten.
Durch dieses Flechtwerk sollte offenbar der Winddruck gleichmäßig auf alle Latten
Verteilt werden.
Von der alten Einrichtung des Hauses, das seit Jahren nicht mehr bewohnt wurde,
V^ar nichts mehr erhalten. Im Flett waren lediglich die Spuren des Wandherdes zu
erkennen, neben dem sich das Feuerloch für den Stubenofen befand.
Von dem sonst üblichen Typ des Flettdeelenhauses unterschied sich dieses Haus
cWch den hinteren Ausgang, durch den sich die in den Luchten angeordneten Seiten-
3*
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Gerhard Eitzen
türen erübrigten. Derartige Häuser sind im Norden des Kreises noch mehrfach
nachzuweisen. Ein solches Haus, das wohl noch in die erste Hälfte des 17. Jahrhun-
derts zurückging, stand bis um 1950 in Predöhlsau (früher Predöhl). Später zugebaut,
aber noch deutlich zu erkennen, ist der hintere Ausgang an dem 1704/06 erbauten
Hause Predöhl in Dambeck. Alle bisher bekannt gewordenen Flettdeelenhäuser mit
hinterem Ausgang stehen bzw. standen im Norden des Kreises. Wenn sie hier auch
der älteren Bauschicht angehören, so bildeten sie offenbar neben den hier allgemein
üblichen Flettdeelenhäusern mit Seitentüren stets eine Minderheit. Durch den hinteren
Ausgang erinnern diese Häuser zunächst an die altertümlichen Durchgangshäuser,
die für verschiedene Randzonen des Hallenhausbereiches nachzuweisen sind und
deren Merkmal ein längs durch das Haus reichendes Mittelschiff ist. Der Bestand
läßt jedoch erkennen, daß das Stubenende, das den Durchgangshäusern fehlt, in
unserem Gebiet bereits im frühen 17. Jahrhundert ein fester Bestandteil des Hauses
war und damals sicher schon eine längere Entwicklung hinter sich hatte. Das örtlich
beschränkte Vorkommen des hinteren Ausgangs weist in eine andere Richtung. Ein
Blick in das benachbarte, nördlich der Elbe gelegene Gebiet macht uns mit Hallen-
häusern bekannt, die an Stelle des hinteren Ausgangs eine Ausfahrt besitzen, durch die
man mit den entladenen Erntewagen aus dem Hause fahren kann.6 Derartige Durch-
fahrtshäuser kamen anscheinend im 16. Jahrhundert in mehreren nord- und ost-
elbischen Landstrichen auf. Für das nördlich angrenzende Gebiet sind als Beispiele
zu nennen ein 1651 erbautes Haus in Laupin und ein ungefähr gleichalteriges Haus
in Stuck (beide Kreis Ludwigslust).7 In Roseburg, Kreis Herzogtum Lauenburg,
steht eine Kate aus dem 17. Jahrhundert, die wie die genannten Häuser der Dannen-
berger Marsch einen hinteren Ausgang besaß, der nachträglich zugemauert wurde.8
In Anbetracht anderer hausbaulicher Übereinstimmungen zwischen der Dannen-
berger Marsch und dem nördlich angrenzenden Teil Mecklenburgs, die schon nach
außen hin in zahlreichen gleichartigen Giebelfachwerken deutlich zu erkennen sind,
darf auch ein Zusammenhang zwischen dem hinteren Ausgang unserer Häuser und
der hinteren Ausfahrt, wie sie nördlich der Elbe auftritt, vermutet werden. Offenbar
handelt es sich bei den hinteren Ausgängen nicht um Rudimente eines hier früher übli-
chen Durchgangshauses, sondern um eine zweckbedingte Einrichtung, die vor allem
an schmalen, langgestreckten Hofplätzen angebracht war und auf Vorbilder in nörd-
lich benachbarten Landschaften zurückgeht. In diesem Zusammenhang mag noch
an die zuvor behandelte Form des Flettdeelenhauses erinnert werden, bei der eine
Abseite des Stubenendes fehlte. In diesen Häusern befand sich die Tür des Fletts
regelmäßig in der Ecke zwischen Stube und Lucht, so daß man auch hier von einem
hinteren Ausgang sprechen kann. Ein besonderer, durch das Stubenende führender
Gang ist dabei freilich zu entbehren.
6 G. Eitzen, Durchfahrtshäuser in Holstein und Lauenburg. Nordelbingen 31 (1962)
7 — 33*
7 Die Angaben über das Haus in Stuck sind Herrn Dr. K. Baumgarten, Rostock, zu ver-
danken.
8 G. Eitzen, Ein lauenburgisches Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert. Lauenburgische
Heimat N. F. 43 (1963) 32 — 39.
Das Bauernhaus im Kreise Lüchow-Dannenberg
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Abb. 4. Durchgangshaus Damnatz 9 (Zweiständer). 1650, abgebr. 1956
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Gerhard Eitzen
4. Zweiständer-Durchgangshaus in Damnatz von 1650
Während wir es bei den bisherigen Beispielen mit Flettdeelenhäusern und daraus
abzuleitenden Varianten zu tun hatten, soll nun ein Haus betrachtet werden, das
ursprünglich eine wesentlich andere Raumeinteilung aufwies und erst nachträglich
durch den Anbau eines Stubenendes zum Flettdeelenhaus umgestaltet wurde. Es
stand auf dem Hofe Damnatz Nr. 9 und wurde 1956 wegen angeblicher Baufälligkeit
abgerissen (Abb. 4 und Taf. 4). Nachdem es zuerst 1947 aufgezeichnet und 1950
darüber berichtet wurde, konnten beim Abbruch noch ergänzende Untersuchungen
erfolgen, so daß der auf den beigefügten Zeichnungen dargestellte Altzustand nun-
mehr gesichert ist.
Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Bauten, bei denen der hallenartigen
Flettdeele ein abgeschlossenes Stubenende angefügt ist, wurde hier das Hausinnere
fast ganz von einer Halle beansprucht, die sich der Länge nach durch das Haus er-
streckte. Derartige Häuser werden in der Hauskunde als Durchgangshäuser be-
zeichnet, weil man sie der Länge nach durchgehen kann, ohne dabei auf Querwände
zu stoßen.
Der Wirtschaftsteil bestand wie zumeist aus drei Fachen. In der nördlichen, rechts
von der Einfahrt gelegenen Abseite befand sich der Kuhstall. Hier waren die aus-
gekehlten Fußriegel und die abgefasten Nackenriegel mitsamt den dazwischen ein-
gesetzten Stallbäumen noch vollständig erhalten. Auf der anderen Seite hatten die
Pferde ihren Platz. Unmittelbar davor, gleich neben der Einfahrt, stand ein schrank-
artiges Kastenbett, dessen Pfosten oben knaufartig ausliefen. Offenbar schlief hier
früher der Knecht, dem die Betreuung der Pferde oblag.
Der Wohnteil bestand aus zwei Fachen. An der Nordseite war eine Lucht angelegt,
die jedoch nur anderthalb Fache beanspruchte, so daß neben dem Kuhstall noch
Platz für ein eingebautes Wandbett verblieb. Der Lucht gegenüber, an der südwest-
lichen Hausecke, lag die Stube. Sie war breiter als die Abseite und ragte dement-
sprechend noch in das Mittelschiff hinein. Daneben befand sich eine kleine, auf die
Abseite beschränkte Kammer. Über die ursprüngliche Feuerstätte, die vermutlich
in der Nähe des Wohngiebels zwischen der Stube und der Lucht lag, war infolge
nachträglicher Veränderungen nichts mehr in Erfahrung zu bringen. Wahrscheinlich gab
es noch eine dritte, der Stube zugeordnete Bettstatt für den Hausherrn und seine Frau.
Ebenso altertümlich wie die Raumeinteilung muteten Gestalt und Fachwerk an.
Das Gefüge einschließlich beider Giebel war mit aufgelegten Dachbalken ab-
gezimmert. Giebel- und Querwände wurden durch natürlich gekrümmte Sturm-
bänder ausgesteift. Längs der Deele waren die langen, von Ständer zu Ständer reichen-
den Streben eingebunden. Das äußere Fachwerk bestand aus sehr weiten, den inneren
Fachen entsprechenden Gefachen. An beiden Giebeln reichten die Walme bis auf die
Dachbalken herab. Derartig tief herabgezogene Walmdächer kommen heute an
Häusern unseres Gebietes nicht mehr vor. Trotz der altertümlich anmutenden Raum-
einteilung war das Haus laut Inschrift auf dem Torbogen erst 1650 erbaut worden,
also gleichzeitig mit dem zuvor beschriebenen Damnatzer Flettdeelenhaus. Seine
entwicklungsgeschichtliche Stellung und seine Bedeutung für die Hauskunde
sind schwer zu bestimmen, da es als Durchgangshaus unter den hier sonst üblichen
Flettdeelenhäusern allein steht.
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Gerhard Eitzen
Durchgangshäuser konnten bisher in mehreren Teilen des Hallenhausbereiches
nachgewiesen werden, und zwar durchweg in Randzonen, in denen der Hausbau
hinter der allgemeinen Entwicklung zurückgeblieben war oder die von einer konser-
vativen Bevölkerung bewohnt wurden. Für Niedersachsen sind die ehemalige Graf-
schaft Bentheim, das Emsland und Schaumburg-Lippe zu nennen. Nördlich der Elbe
sind solche Häuser im Ostseeküstengebiet zwischen Lübeck und Kiel in älterer Zeit
üblich gewesen. Für Mecklenburg sind wir durch K. Baumgarten gut über diesen
Hallenhaustyp unterrichtet.9 Das Verbreitungsbild läßt keinen Zusammenhang
zwischen den dortigen Durchgangshäusern und unserem Beispiel aus Damnatz er-
kennen. Hier erhebt sich die Frage, ob wir es mit dem letzten bekannten Vertreter
einer einst auch im Wendland üblichen Hausform zu tun haben, oder ob es sich um
eine Einzelerscheinung handelt, die nur zufällig dem Typ des Durchgangshauses ent-
spricht. Das Baujahr 1650 läßt die Vermutung zu, daß man kurz nach dem 30jährigen
Kriege zunächst nur eine verhältnismäßig bescheidene Behausung gebaut hat, in der
die Wohnung zunächst zugunsten der unbedingt erforderlichen Wirtschaftsräume
zurückstehen mußte. Dabei kann die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß
es damals noch ältere Durchgangshäuser gab, die als Vorbild gedient haben könnten.
Ein Vergleich mit den um dieselbe Zeit erbauten Flettdeelenhäusern erhellt, daß das
Damnatzer Durchgangshaus bis auf eine kleine Kammer alle in den Flettdeelenhäusern
üblichen Räumlichkeiten enthielt. Dabei hat freilich der Herdraum eine gewisse
Einengung erfahren. In diesem Zusammenhang kann noch auf ein um 1300 erbautes
Haus hingewiesen werden, dessen Spuren von Engel bei einer Wüstungsgrabung in
Ramm, Kreis Ludwigslust, freigelegt wurden und das im Grundriß eine gewisse
Ähnlichkeit mit dem Damnatzer Durchgangshaus aufweist. In diesem Hause folgte
nach Engel dem dreischiffigen Wirtschaftsteil ein Wohnteil, der durch eine Teillängs-
wand in zwei Abteilungen aufgegliedert war.10 Offenbar fehlten dem Hause jedoch
so wesentliche Teile wie die Stube und die Lucht, so daß ein unmittelbarer entwick-
lungsgeschichtlicher Zusammenhang mit dem Damnatzer Durchgangshaus aus-
geschlossen werden kann.
Schließlich sollen kurz die nachträglichen Veränderungen des Hauses erörtert werden.
Einen Umbau bekundete folgende Inschrift, die über der Tür der Lucht angebracht war:
„Dis ist ein Wirtshaus. Wer Bihr und Brantewein mag der kom herein WI. S. H. Anno 1747
den 10 Junius“. Damals wurde die nördliche Seiten wand erneuert und anscheinend auch
das Stubenende angebaut, das wie üblich über der Stube und den Kammern einen Speicher-
boden enthielt. Nach diesem Anbau wurde die ursprüngliche Stube aufgegeben. Ihre Deelen-
wand wurde entfernt, so daß eine zweite Lucht zustande kam, die ebenfalls mit einer Außen-
tür versehen wurde. Auf diese Weise war das Durchgangshaus in ein Flettdeelenhaus um-
gewandelt worden. Das malerische und altertümliche Aussehen, das der Wirtschaftsgiebel
zuletzt zur Schau trug, ging zum Teil von dem einseitigen Vorstall aus, der rechts neben der
Einfahrt unter einem tief herabgezogenen Dach lag und für die Schweine bestimmt war. Er
war jedoch laut Inschrift erst 1842 angebaut worden.
9 K. Baumgarten, Rügens „Zuckerhüte“.DJbfVk 5 (1959) 74 — 86; ders., Das Bauernhaus
in Mecklenburg. Berlin 1965.
10 F. Engel, Die Urformen des Niedersachsenhauses in Mecklenburg. Jb. des Ver. f.
meckl. Gesch. u. Altertumskunde 104 (1940) 105 — 158.
Das Bauernhaus im Kreise Lüchow-Dannenberg
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5. Dreiständer-Flettdeelenhaus in Püggen
Alle bisher behandelten Bauten gehörten ihrem Aufbau nach zur Gruppe der Zwei-
ständerhäuser, bei denen ein aus zwei Ständerreihen bestehendes Innengerüst
Balken- und Dachlast trägt und das Dach beiderseits über die Abseiten herab-
geschleppt ist. Bei der jüngeren Form des Hallenhauses reichen dagegen auch die
Ständer an den Seitenwänden bis zu den Dachbalken hinauf, die mithin von vier
Ständerreihen getragen werden. Eine vermittelnde Stellung zwischen den älteren
Zweiständerbauten und den jüngeren Vierständerbauten nehmen die Dreiständer-
Bauten ein, die durch ihre asymmetrische Gestalt auffallen (s. Taf. 5). Während an
einer Seite das Dach bis auf die Abseite herabreicht, wird es an der anderen Seite
von einer hohen Seitenwand getragen. Als erstes Beispiel dieser Hausform ist hier
ein Dreiständerhaus aus Püggen dargestellt, das gegenwärtig in unserem Gebiet der
älteste bekannte Vertreter dieser Bauweise sein dürfte (Abb. 5).
Abb. 6. Flettdeelenhaus Dünsche (Dreiständer). 1734
42
Gerhard Eitzen
Sein inneres Gefüge entspricht im wesentlichen dem der oben dargestellten Zwei-
ständerhäuser. Das weitmaschige Fachwerk der hohen Seitenwand wird von äußerst
kräftigen, natürlich gekrümmten Sturmbändern verstrebt. Der dem Dorfplatz zu-
gewandte Wirtschaftsgiebel weist dagegen als Schauseite ein ziemlich enges Fachwerk
auf, das durch eine Stichbalkenvorkragung gegliedert und durch Kopf- und Fuß-
bänder angereichert ist. Der rückwärtige, steil hochgezogene Wohngiebel ist sehr
schlicht gehalten. Das zweifachige Stubenende zeichnet sich durch einen Aufsprung
an der hohen Seitenwand deutlich ab. Im ganzen umfaßt das Haus sieben Fache,
davon gehören drei zum Wirtschaftsteil und je zwei zum Flett und zum Stubenende.
Auf einer Seite des Flettes bemerken wir einen über zwei Fache reichenden Lucht-
riegel, auf dem der durch Fußbänder verstrebte, abgefangene Ständer steht. Die Lucht
selbst umfaßt jedoch nur anderthalb Fache. Daneben ist ein Gang angelegt, durch
den man die seitliche Ausgangstür erreicht. Auf diese Weise wird die lästige Zugluft
von der Lucht ferngehalten. Diese zweckmäßige Maßnahme ist vor allem in nord-
westlichen Hallenhauslandschaften, insbesondere im Emsland, im nördlichen Olden-
burg, im Elb-Weserwinkel und im westlichen Schleswig-Holstein üblich. Im öst-
lichen Niedersachsen ist diese Einrichtung jedoch sonst unbekannt. Hier sind die
seitlichen Ausgänge durchweg in den Luchten angeordnet. Das Püggener Haus be-
kundet, daß der Baumeister (oder der Bauherr) imstande war, die überkommene
Raumordnung in sinnvoller Weise abzuwandeln. Die naheliegende Frage, ob man
dazu durch Vorbilder angeregt worden ist oder ob es sich um eine selbständig ge-
fundene Lösung handelt, muß jedoch offen bleiben. Die andere Lucht ist nur schmal
und nimmt ebenso wie die benachbarte Kammer nur ein Fach der Abseite ein. Das
Stubenende war ursprünglich wie üblich in zwei Kammern und eine dazwischen
liegende Stube gegliedert. Später, vermutlich um 1800, wurde der Wohnteil im Innern
völlig verändert. Um diese Zeit hatte sich eine neue Raumordnung durchgesetzt, die
weiter unten anhand eines Hauses aus Mammoissel näher erörtert werden soll. Im Zuge
dieses Umbaues rückte die Stube an eine Seite des Stubenendes, in dessen Mitte eine
geschlossene Küche mit hinterem Ausgang angelegt wurde. Dadurch büßte das Flett
mit den Luchten seine ursprünglichen Funktionen ein. Die alte Feuerstelle wurde
aufgegeben und die Luchten wurden in abgeschlossene Kammern umgewandelt, so
daß nunmehr eine bis zum Stubenende reichende Deele entstand. In den letzten
Jahren wurde das seit längerer Zeit nicht mehr bewohnte Haus durch den Einbau
einer modernen Stallung völlig verändert. Die Inschrift auf dem bis dahin erhaltenen
Torsturz war so stark verwittert, daß das Baujahr nicht mehr mit Sicherheit ent-
ziffert werden konnte. Anscheinend lautete die Jahreszahl 1627 oder 1632. Ein
anderes, unlängst ebenfalls umgebautes Dreiständerhaus in Püggen stammt laut
Inschrift aus dem Jahre 1656.11
6. Dreiständer-Flettdeelenhaus in Dünsche von 1734
Die meisten Dreiständerhäuser unseres Gebietes wurden in der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts erbaut. Dazu gehört auch das hier dargestellte Haus in Dünsche,
das sich durch ein besonders reiches Giebelfachwerk auszeichnet (Abb. 6). Der
11 G. Eitzen, Das Bauernhaus im Lüneburger Wendland. Lüneburger Blätter 2 (1951)
87 — 104.
Das Bauernhaus im Kreise Lüchow-Dannenberg
Wirtschaftsgiebel ist in Höhe der Dachbalken durch ein Stichgebälk und in Höhe der
Kehlbalken durch eine auf Knaggen ruhende Vorkragung in drei Flächen auf-
geteilt, die durch Riegel in jeweils vier Gefachzonen gegliedert sind. Beide Setz-
schwellen sind ebenso wie der Torbogen mit flach ausgegründeten Spruchinschriften
versehen. Der Torbogen trägt außerdem die Namen des Bauherrn und seiner Frau.
Das Datum des Aufrichtens, der 7. Mai 1734, ist auf den Torständern angebracht.
Eingekerbte Sechssterne bemerken wir auf den Zwickeln und im Scheitel des Tor-
bogens und schließlich auch in der Giebelspitze neben dem Schaft des gedrehten
Giebelpfahls, dessen Basis auf angenagelten Knaggen ruht. Das Fachwerk ist durch
Zahlreiche Schräghölzer so weit angereichert, daß kaum noch ein einfaches, recht-
eckiges Gefach übriggeblieben ist. Die beiden unteren Gefachzonen werden von
Sturmbändern durchquert, die den Haupt- und Torständern zugeordnet sind. In der
darüberliegenden Gefachzone sind durch kleine Schräghölzer rautenförmige Ge-
44
Gerhard Eitzen
fache gebildet, die sich in den oberen Gefachzonen noch mehrfach wiederholen.
Außerdem werden die Ständer zumeist unten von Fußbändern und oben von Kopf-
bändern begleitet. Das Profil der angenagelten Knaggen weist zwischen zwei Wülsten
drei Viertelstäbe auf. Deutlicher als diese Beschreibung läßt die beigefügte Ansicht
den Aufwand erkennen, mit dem hier eine schmuckhafte und repräsentative Ge-
staltung der dem Dorfplatz zugekehrten Schauseite angestrebt wurde. Gleichzeitig
ist aber auch festzustellen, daß man sich dabei bedenklich von einer ausgewogenen
und werkgerechten Fachwerkbauweise entfernt hat. Wirken die Giebel von Drei-
ständerhäusern schon infolge ihres asymmetrischen Umrisses unausgeglichen, so wird
hier durch die zahlreichen Schräghölzer noch eine gewisse Unruhe herbeigeführt.
Während bei werkgerechten Fachwerkbauten Schräghölzer zunächst nur als Winkel-
sicherung eingesetzt und darüber hinaus nur beschränkt zur Belebung vorkragender
Brüstungen herangezogen wurden, ist die Häufung verschiedener Schräghölzer, wie
sie an zahlreichen, im 18. Jahrhundert entstandenen Giebeln des Wendlandes zu be-
obachten ist, als oberflächliche Spielerei zu bewerten. Ihr liegt ein stark ausgeprägtes
Schmuckbedürfnis zugrunde, bei dem sicher auch ein gewisses Geltungsbedürfnis
eine Rolle gespielt haben dürfte. Entwicklungsgeschichtlich gesehen haben wir es
dabei mit einem Ersatz für die der Renaissance entlehnten Auszierungen zu tun, die
im Wendland jedoch nur spärlich zu finden sind und hier anscheinend nie größere
Bedeutung erlangen konnten.
Das Fachwerk der anderen Außenwände ist wie üblich ganz schlicht gehalten und
weist nur wenige, konstruktiv notwendige Streben auf. Im Gegensatz zum Püggener
Dreiständerhaus zeichnet sich das zweigeschossige Stubenende an der hohen Seiten-
wand nicht nach außen hin ab, vielmehr wurde der Aufsprung vermieden, in dem das
Dach durchgehend bis auf die Höhe des Deelengefüges herabgezogen wurde.
Durch das Gefüge wird das Hausinnere in acht Fache gegliedert. Die Deele mit
den seitlichen Stallungen beansprucht vier Fache. Während die Langstreben in den
Häusern des 17. Jahrhunderts an beiden Enden in die Deelenständer eingebunden
waren, reichen sie hier wie lange Kopfbänder bis zu den Rähmen hinauf. Im Flett
sind auf beiden Seiten starke Luchtriegel vorhanden, die sich über zwei Fache er-
strecken und imstande wären, breite Luchten zu bilden. Trotz dieser ausgeprägten
Luchtkonstruktion ist die östliche Lucht durch den Einbau einer Kammer zu einer
schmalen Nische zusammengeschrumpft, die nur ein Fach beansprucht. Diese
Kammer ist jedoch nicht, wie man zunächst vermuten wird, erst nachträglich,
sondern von vornherein mit eingebaut worden. Daraus ergibt sich, daß die Zimme-
rung mit starken Luchtriegeln hier noch angewandt wurde, nachdem sie ihre Be-
stimmung bereits eingebüßt hatte. Entsprechende Vorgänge konnten bisher nur an
einigen älteren Hallenhäusern im Braunschweigischen beobachtet werden.12 Die
andere, nach Westen gelegene Lucht wurde durch eine Kammer auf anderthalb
Fache eingeengt. Das Stubenende nimmt die übrigen zwei Fache ein. Es enthält über
der Stube und den Kammern einen geräumigen Zwischenboden, über dem der als
Pomös bezeichnete Teil des Dachbodens liegt. Hier war das Dach im Gegensatz
12 G. Eitzen, Ein Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert in Wendeburg. Braunschweigische
Heimat 42 (1956) 106 —110.
Das Bauernhaus im Kreise Lüchow-Dannenberg
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2um steilen Wirtschaftsgiebel früher bis zur Hälfte abgewalmt. Leider ist das Stuben-
ende im Erdgeschoß wiederholt umgebaut worden, so daß über seinen Altzustand
kaum noch etwas gesagt werden kann. Es steht lediglich fest, daß die große Stube
ursprünglich inmitten der Kammern lag.
An dieser Stelle soll noch kurz die hausgeschichtliche Stellung erörtert werden, die
das Dreiständerhaus im Wendland einnimmt. Seiner Gestalt nach steht es zwischen
dem älteren Zweiständerhaus und dem jüngeren Vierständerhaus. Trotzdem ist es
nicht als Übergangsform, sondern als Ausgleichsform anzusprechen, denn beim
Bau eines Dreiständerhauses ist auch die Kenntnis des Vierständerhauses voraus-
zusetzen. Offenbar wollte man im Dreiständerhaus die Vorteile der älteren und der
jüngeren Bauweise vereinigen. Mit dem Übergang zum Vierständerbau erzielte man
eine bedeutende Vergrößerung des Bodenraums, die der einhäusigen Erntebergung
zugute kam. Dagegen konnte man beim Zweiständerhaus das Dach an den Seiten
so tief herabziehen, daß die Seitenwände vor Witterungsschäden geschützt werden.
Beim Dreiständerhaus ist der Gewinn an Bodenraum zwar geringer als beim Vier-
ständerbau, aber man kann das Dach wenigstens noch an einer Seite tief genug ab-
schleppen, die nach Möglichkeit der Wetterseite zugekehrt wird. Da die Ausrichtung
der Häuser in den Rundlingen weitgehend durch den Dorfgrundriß vorgeschrieben
wird, kann dieser Vorteil in unserem Gebiet jedoch nur beschränkt ausgewertet
Werden. Trotzdem hat das Dreiständerhaus im Wendland verhältnismäßig früh Auf-
nahme gefunden und vermochte sich dann ziemlich lange zu behaupten. Seine An-
wendung erstreckt sich über eine Zeitspanne von rund anderthalb Jahrhunderten.
Die ältesten Beispiele sind im oberen Drawehn westlich von Lüchow nachzuweisen
(Püggen). Im frühen 18. Jahrhundert erbaute Dreiständerhäuser sind fast in allen
Teilen des Landes zu finden. Im Norden des Kreises treten sie jedoch nur vereinzelt
auf, wie z. B. in Dambeck 1704/06 und in Grippel 1706.13 Daneben wurden jedoch
auch weiterhin Zweiständerhäuser gebaut. Nach 1760 ging man zum Vierständerhaus
über, das zuerst im Süden des Landes Aufnahme fand und hier heute in den meisten
Dörfern den weitaus größten Teil des Altbaubestandes ausmacht.
7. Vierständer-Deelenhaus in Mammoissel von 1801
Als Beispiel für einen Vierständer sei ein Haus aus Mammoissel dargestellt, das
sich nicht nur im Aufbau, sondern auch in der Raumeinteilung beträchtlich von allen
bisher behandelten Bauten unterscheidet (Abb. 7, Taf. 6). Im Aufbau hebt sich der
Wohnteil mit drei Fachen deutlich von dem siebenfachigen Deelenteil ab. Im
Bereich der Deele ruhen die aufgekämmten Fichtenbalken auf den beiden Seiten-
wänden und innen auf den Deelenwänden, also auf vier Ständerreihen. In dem über-
höhten, zweigeschossigen Wohnteil reichen die Balken dagegen nicht bis an die
Seitenwände, vielmehr laufen sie hier im Dachraum aus und werden von drei
Längswänden bzw. Unterzügen getragen. Der Abstand zwischen den einzelnen Stän-
dern ist bedeutend geringer als in den älteren Häusern und beträgt nur rund 1,60 m.
Betritt man durch das Einfahrtstor die Deele, dann bietet sich ein ganz anderes
Bild, als wir es von den älteren Flettdeelenhäusern her kennen. Zur Deele hin geöffnete
13 Eitzen, a. a. O. Anm. 11.
46
Gerhard Eitzen
Stallungen und Zwischenböden sind nur auf einer Seite zu bemerken, wo das Rind-
vieh untergebracht wird. An der anderen Seite ist das Seitenschiff vollkommen von
der Deele abgetrennt. Hier befinden sich außer dem Pferdestall noch zwei Kammern.
Darüber liegen ebenfalls abgeschlossene Bühnen. Die Stelle der Lucht wird von
einem schmalen Gang eingenommen, durch den man zur seitlichen Ausgangstür ge-
langt. Daneben liegen der halb eingetiefte Keller und die darüber angeordnete
Kammer. Am Ende der Deele führen zwei Türen in den Wohnteil, und zwar gelangt
man durch eine Tür in die Stube, die an der Südostecke des Hauses liegt und dem-
entsprechend mit zwei Außenwänden versehen ist. Diese Wände sind im Gegensatz
zur Ständerbauweise des übrigen Hauses als Stockwerkbau mit sichtbaren Decken-
balken abgezimmert, so daß die Stube auch von außen her als besonderes „Zimmer“
zu erkennen ist. Neben der Stubentür befinden sich ein Wandschränkchen und ein
Fenster, durch das man von der Stube aus die Deele übersehen kann. Von der Stube
führt eine Stiege auf die unterkellerte Kammer, von der aus der Stubenboden zu
erreichen ist. Durch die andere am Ende der Deele angeordnete Tür kommt man
in die Küche, die auch am rückwärtigen Giebel mit einer Tür versehen ist, die auf den
hinter dem Hause gelegenen Hof mit den Nebengebäuden und dem Brunnen führt.
Auch in der Küche ermöglicht es ein kleines Guckfenster, die Deele zu überblicken.
Der nicht mehr erhaltene Herd hatte seinen Platz am hinteren Giebel, von hier aus
konnte auch der Stubenofen geheizt werden. Der ursprüngliche Rauchfang und der
Rauchabzug wurden durch einen modernen Schornstein ersetzt. Das von der Stube
aus besteigbare eingebaute Wandbett ragt wie eine große Kiste in die Küche hinein.
Daneben ist die Tür angeordnet, die beide Räume miteinander verbindet. Neben der
Küche lag noch eine Vorratskammer. Hier wurde das Haus nachträglich erweitert,
um zusätzliche Wohnräume zu gewinnen.
Besondere Aufmerksamkeit verdient der dem Dorfplatz zugewandte Giebel mit
dem großen Einfahrtstor. Hier erinnert nichts mehr an die noch bis an das aus-
gehende 18. Jahrhundert üblichen Giebel mit dem unruhigen, durch zahlreiche
Schräghölzer belebten Fachwerk. Die alte Dreiteilung ist zwar geblieben, sie wird
jedoch nicht mehr durch Stichgebälk und Knaggenvorkragung, sondern durch
breite Balken bewirkt, die mit einem flachen Stabprofil nur noch wenige Zentimeter
vorspringen und mit ausgegründeten Inschriften versehen sind. Ständer und Riegel
bilden ein äußerst engmaschiges, regelmäßiges Netz aus vielen kleinen Gefachen. An
Schräghölzern sind, von den Sparren abgesehen, nur zwei kleine Kopfbänder an den
äußeren Ständern übriggeblieben. Unterhalb des Giebelpfahles sind kleine Licht-
öffnungen ausgespart. Während die übrigen Hauswände noch nach alter Gepflogen-
heit aus gezäunten Lehmtafeln bestehen, wurden die Gefache des Wirtschaftsgiebels
von vornherein mit Backsteinen ausgemauert. Diese Neuerung blieb zunächst auf den
Giebel beschränkt, da Backsteine nicht nur teuerer, sondern auch weniger wärme-
haltend als Lehmwände sind.
Die Beschreibung des Mammoisseler Hauses hat uns mit mehreren Neuerungen
bekannt gemacht, auf die nun zusammenfassend hingewiesen werden soll. Mit dem
Übergang zum Vierständerbau büßte das innere Gerüst seine Funktion als Träger
von Balken- und Dachlast weitgehend ein, so daß dafür nicht mehr besonders starke
Hölzer verwendet werden mußten. Infolgedessen ging man dazu über, Außen- und
Das Bauernhaus im Kreise Lüchow-Dannenberg
47
Innenwände einheitlich zu verzimmern und die Abstände zwischen den einzelnen
Gebinden erheblich zu verringern. Gleichzeitig wurden offenbar infolge zunehmender
Verknappung von Eichenholz die Holzstärken schwächer bemessen und für die
langen Hölzer im Hausinneren, wie Rähme, Balken und Sparren, Nadelholz ver-
wandt. Hier ist anzumerken, daß im Osten des Kreises bereits gegen 1700 mehrfach
„tannene“ Balken und Sparren verarbeitet wurden. Vom ausgehenden 18. Jahrhun-
dert an wurden die Balken zumeist nicht mehr flach aufgelegt und durch Ständer-
zapfen gesichert, sondern Balken und Rähme wurden miteinander verkämmt. Um
diese Zeit wurde auch die vorher übliche Verstrebung der Deelenständer aufgegeben
und die Winkelsicherung allgemein den von den Schwellen aufsteigenden Sturm-
bändern übertragen.
Mit mehreren Änderungen in der Raumeinteilung und mit der Einführung eines
Rauchabzuges wurde der traditionelle Baugedanke des Hallenhauses im wesentlichen
aufgegeben. Zwar hat man das Rindvieh auch in den nach 1800 erbauten Häusern
noch von der Deele aus gefüttert, im übrigen trennte man die Seitenschiffe jedoch
völlig von der Deele ab. Das gilt auch für den Pferdestall, der nach 1800 auf manchen
Höfen nicht mehr im Hause, sondern in der Scheune eingerichtet wurde. Die Funk-
tionen des Fletts wurden zum größten Teil von der Küche übernommen, die als
geschlossener Raum innerhalb des Stubenendes angelegt wurde. Infolgedessen konn-
ten auch die Luchten aufgegeben werden. An ihre Stelle trat ein schmaler seitlicher
Ausgang. Damit war aus der bewohnten, hallenartigen Flettdeele eine „kalte“ Deele
geworden, die den Verkehr zu den übrigen Räumlichkeiten vermittelte und auf der
nur noch wenige Arbeiten wie das Entladen der Erntewagen, das Dreschen und die
Fütterung des Rindviehs ausgeführt wurden. Diese jüngere Prägung des Hallen-
hauses ist im Gegensatz zu den älteren Flettdeelenhäusern als Deelenhaus zu bezeich-
nen. In diesen Häusern hat das Stubenende durch die Eingliederung der Küche an
Bedeutung gewonnen, so daß dafür die Benennung Wohnende angebracht ist.
Es versteht sich, daß diese Umwandlung nicht so unvermittelt und durchgreifend
vor sich ging, wie es hier durch die Beschränkung auf einzelne Beispiele erscheinen
mag. So kamen im Süden des Kreises bereits um 1750 die ersten Deelenhäuser auf.
Außerdem ist dieser Übergang keineswegs an das Vierständerhaus gebunden, viel-
mehr sind Deelenhausgrundrisse auch in jüngeren Zweiständer- und Dreiständer-
häusern zu finden, wie z. B. in einem 1787 erbauten Zweiständerhaus in Salderatzen.14
Hier sind außer der Tür im Wohngiebel noch zwei seitliche Ausgänge vorhanden,
so daß die Deele einen T-förmigen Grundriß aufweist, der an die ältere Flettdeele
erinnert, obwohl die Küche hier von vornherein im Wohnende angelegt wurde. Im
Norden des Kreises blieb man dagegen zunächst noch beim Flettdeelenhaus, das
man im vorigen Jahrhundert durch die Trennung von Flett und Deele modernen
Wohnansprüchen anzupassen suchte. Dabei behielt die Feuerstelle ihren alten Platz.
Die geschlossene Küche kam hier durch die Aufteilung des Flettes in Flur und
Küche zustande.
*
Die oben dargestellten Bauten stammen aus einer Zeitspanne von zwei Jahrhun-
derten. Fünf von insgesamt sieben dieser Häuser gehören oder gehörten der ersten
14 Eitzen, a. a. O. Anm. n.
48 Gerhard Eitzen
Hälfte des 17. Jahrhunderts an, so daß das 18. und 19. Jahrhundert nur mit je einem
Gebäude vertreten sind. Unsere Beispiele bieten daher keinen repräsentativen Quer-
schnitt durch den gegenwärtigen Bestand an traditionellen Bauten. Während dieser
Bestand in den meisten Dörfern zum größten Teil aus dem vorigen Jahrhundert
stammt, liegt das Schwergewicht unserer Darlegungen auf dem 17. Jahrhundert.
Diese eindeutige Bevorzugung der älteren Bauten schien aus mehreren Gründen an-
gebracht zu sein. Zunächst ist die Aufnahme und Untersuchung der ältesten greif-
baren Bauschicht ein dringendes Anliegen der Hausforschung, weil diese Schicht
besonders gefährdet ist. So sind von den fünf bis 16 5 o erbauten, hier dargestellten
Häusern in den letzten Jahren drei abgebrochen und eins völlig umgebaut worden,
so daß die vorliegende Untersuchung heute in dieser Form nicht mehr durchgeführt
werden könnte. Zum andern ergeben die ältesten bekannten Häuser die unerläßliche
Ausgangsbasis für die Erkenntnis hausgeschichtlicher Zusammenhänge und die
Beurteilung der jüngeren Hausformen.
Im Hinblick auf unsere Fragestellung, ob die dem Wendland eigentümliche Bau-
weise mit der slawischen Besiedlung in Zusammenhang gebracht werden kann,
ergibt sich, daß die einheimische Bauweise wesentlich durch Neuerungen geprägt
wurde, die relativ spät von Süden her ins Land kamen. Am besten läßt sich das
anhand des Überganges vom Flettdeelenhaus zum Deelenhaus verfolgen. Die hinter
der Stube angeordnete Küche ist zuerst in mitteldeutschen Hausformen zu beobach-
ten, wo sie von Franken bis hinauf in das nördliche Harzvorland vorkommt.15 Von
hier wurde sie im 17. Jahrhundert auf das niederdeutsche Hallenhaus übertragen und
gelangte schließlich von der Mitte des 18. Jahrhunderts an auch in den Süden des
Kreises Lüchow-Dannenberg. Ähnlich liegen die Verhältnisse in der Entwicklung
des Zweiständerhauses zum Dreiständer- und Vier Ständer haus, die zuerst am süd-
lichen Grenzsaum des Hallenhauses vorgenommen wurde. Aufkommen und Aus-
breitung der jüngeren Formen bekunden, daß diese ebenfalls von Süden her ins Land
kamen. Auffallend rasch wurde der Dreiständerbau aufgenommen, dessen älteste
Vertreter im Wendland kaum jünger als ihre Vorbilder in den südwestlich davon
gelegenen Hallenhausgebieten sind. Wiederum ist festzustellen, daß der Norden bei
der Aufnahme dieser Neuerungen zurückhaltender als der Süden des Landes war.
Das zeigt sich auch in der Verbreitung von Halbwalm und Steilgiebel. Dabei ist
freilich einzuräumen, daß im gegenwärtigen Baubestand — also seit 1600 — keine
Ausbreitung des Steilgiebels nach Norden hin zu verzeichnen ist. So wies bereits das
um 1600 erbaute Haus in Prisser vor den Toren Dannenbergs einen steilen Giebel
auf, während die später erbauten Häuser des Dorfes durchweg mit abgewalmten
Dächern versehen wurden. Häufig treten in der Übergangszone beide Giebelformen
zusammen an einem Haus auf, wobei der Steilgiebel fast ausnahmslos dem Dorfplatz
15 R. Helm, Das Bauernhaus im Gebiet der freien Reichsstadt Nürnberg. Berlin 1940.
E. Wieser, Grundrißwandlungen des Bauernhauses im Landkreis Uffenheim. Bayer. Jb.
f. Vk. 1962, 176 — 200.
G. Eitzen, Das Bauernhaus im nördlichen Harzvorland. Niedersachsen 1957, 175 —179;
ders., Zur Geschichte des Bauernhauses im nördlichen Harzvorland. In: Bericht über die
Tagung des Arbeitskreises für dt. Hausforschung in Braunschweig 1965 (Münster/Westf.
1 966) 183 — 216.
w*
1«»-. f> a m tun jrf/f
Tafel 3
Zweiständriges Hallenhaus mit Steilgiebel, Ende 17. Jahrhundert
Zadrau, Kr. Lüchow-Dannenberg
Zweiständriges Hallenhaus mit Kröpelwalm, 1965
Kl. Gußborn, Kr. Lüchow-Dannenberg
r
Tafel 4„
Zweiständriges Hallenhaus mit Walmgiebel, 1650
(Giebelabseite 1848), abgebrochen 1956 Damnatz, Kr. Lüchow-Dannenberg
Dasselbe Bauernhaus im Abbruch, 1966
Tafel 5
Vierständriges Hallenhaus mit Steilgiebel, Ende 18. Jahrhundert
Mammoissel, Kr. Lüchow-Dannenberg
Tafel 6
Dasselbe Bauernhaus von 1801, rückwärtiger Giebel mit Küchentür
rechts spätere Erweiterung
Das Bauernhaus im Kreise Lüchow-Dannenberg
49
zugeordnet ist. Das Verbreitungsbild — Steilgiebel im Süden und Halbwalm im
Norden — fügt sich in die obigen Feststellungen ein und bekundet darüber hinaus,
daß bereits vor 1600 Neuerungen von Süden her eingedrungen waren. Dabei ist
zu bemerken, daß der Steilgiebel sicher zu den Neuerungen gehört, die aus dem
mitteldeutschen Hausformenkreis stammen. Auf die als Firstzierden dienenden
Giebelpfähle ist seit Jahrzehnten mehrfach hingewiesen worden. Sie werden in der
heimatkundlichen Literatur oft als „Wendenknüppel“ bezeichnet und dadurch als
vermeintliche Volkstumskennzeichen in einen Gegensatz zu den angeblich „nieder-
sächsischen“ Pferdeköpfen gebracht. Wie haltlos solche Auffassungen sind, geht
allein schon daraus hervor, daß die aus dem 17. Jahrhundert stammenden Steil-
giebel noch durchweg mit gekreuzten Windbrettern versehen sind, während der
Giebelpfahl erst im 18. Jahrhundert üblich wurde. Die schmuckhafte Anreicherung
der Giebel mit Schräghölzern, die bereits um 1660 einsetzte und im 18. Jahrhundert
ihren Höhepunkt erreichte, verleiht den betreffenden Häusern zwar ein eigentüm-
liches Gepräge; die dabei verwendeten Motive, wie die einfache und die durch-
kreuzte Raute, das Mal- oder Andreaskreuz und der halbe oder ganze „Wilde Mann“,
sind jedoch keineswegs im Wendland zuerst auf gekommen, vielmehr sind sie in
mittel- und oberdeutschen Landstrichen bedeutend früher nachzuweisen und sicher
mit anderen Neuerungen von Süden her ins Land gelangt. Das hiermit angeschnittene
Thema „Volkskunst am Bauernhaus“, dem sich gerade im Wendland ein dankbares
Feld bietet, kann in diesem Rahmen nicht weiter erörtert werden. So müssen wir uns
hier auf die Feststellung beschränken, daß das lebhafte und formenreiche Bild, das
vor allem die Bauernhäuser im Süden des Kreises bis hinauf nach Dannenberg
bieten, auf Neuerungen und Anregungen zurückzuführen ist, die von außerhalb
bezogen und hier bereitwillig aufgenommen und verarbeitet wurden.
Während die Entwicklung des ländlichen Hausbaues in den meisten Hallenhaus-
landschaften überwiegend von der Tradition bestimmt wurde und daher zumeist
in ruhigen Bahnen verlief, bekunden die Hausformen des Wendlandes und ihre
mannigfaltigen Abwandlungen, daß man hier beim Hausbau nicht in überlieferten
Ordnungen verharrte, sondern stets zur Abwandlung bekannter Formen und zur
Aufnahme von Neuerungen bereit war. Das gilt vor allem für den Süden des Kreises.
Nördlich von Dannenberg, in der Elbmarsch und auf der hohen Geest westlich der
Göhrde, war man Neuerungen gegenüber zurückhaltender. Hier blieben die Bezie-
hungen zu den westlich und nördlich angrenzenden Landschaften stärker als die von
Süden her kommenden Einflüsse. Mit den wenigen hier dargestellten Beispielen
konnten nur die wichtigsten Formen des Bauernhauses und ihre Entwicklung im
Verlauf von zwei Jahrhunderten umrissen werden. Wenn diese Häuser auch Woh-
nung, Stall und Bergeraum unter ihrem Dach vereinigen, so handelt es sich doch
nicht um Einheitshäuser im engeren Sinn, sondern um Haupthäuser von Gehöften,
die außerdem noch Nebengebäude, wie Scheunen und Backhäuser, manchmal auch
Torhäuser, Ställe und Altenteilerwohnungen aufweisen. Die Untersuchung und Dar-
stellung dieser mannigfaltigen und formenreichen Baulichkeiten, die das Bild des länd-
lichen Hausbaues wesentlich mitbestimmen, muß späteren Darstellungen Vor-
behalten bleiben. 4
4 Volkskunde
Das Bauernhaus auf Orkney und Shetland1
Von Alexander Fenton
Unseren Ausführungen zum Bauernhaus auf Orkney und Shetland liegen ver-
schiedene Quellen zugrunde. Als erstes wurden von uns Publikationen wie A. Rous-
sel, Norse Building Customs in the Scottish lsles, 1934, sowie J. S. Cloustons bedeu-
tende Aufsätze über die alten Häuser auf Orkney herangezogen.1 2 Verwendet wurden
weiter eine Reihe kleinerer Arbeiten, die vor allem in den Books and Anieles on
Vernacular Architecture, List N0. 7, Scotland, March 1964 der Vernacular Architec-
ture Group gesammelt sind.3 4
Zum anderen wurden Informationen durch Feldforschungen auf den nord-
schottischen Inseln gewonnen. Wenn diese auch bislang nur in beschränktem Umfang
durchgeführt werden konnten, so war es dennoch bereits möglich, interessante
funktionale Beziehungen zwischen Haus- und Lebensformen zu beobachten. Der-
gleichen Untersuchungen sind vor allem auf Orkney dringlich, da dort vielleicht
noch eine größere Zahl von Fläusern aus der Zeit vor 1750 anzutreffen ist als in
irgendeiner anderen Landschaft Schottlands.
Weiter liegen für diese Inseln eine Reihe archäologischer Untersuchungen vor. Sie
betreffen vor allem den Jarlshof auf Süd-Mainland (Shetland). Über die Bedeutung
dieser für die Forschungen zur nordischen Kulturtradition auf Orkney und Shetland
wichtigen Anlage besitzen wir Veröffentlichungen von J. R. C. Plamilton.4 Sie
datieren die erste Phase der nordischen Besiedlung auf ungefähr 800 — 850 nach der
Zeitwende. Außer im Jarlshof wurden wikingische Wohngebäude in Underhoull
auf Shetland5 sowie in Birsay6 und Aikerness7 auf Orkney entdeckt. Weitere Häuser
1 Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des umfangreichen Manuskripts „Funktionale
Beziehungen in der Volksarchitektur der Nördlichen Inseln“, das uns Alexander Fenton
für das Jahrbuch zur Verfügung stellte.
2 Veröffentlicht in Proceedings of the Orkney Antiquarian Society 1922 — 1923 I, 11 —19,
39-47; 1923-1924 II, 7-14.
3 Zu erhalten von dem Secretary, Vernacular Architecture Group, 17 Queen’s Road,
Aberystwyth, Cardiganshire, Wales.
4 Excavations at Jarlshof, Shetland, Edinburgh 1956.
5 Ausgegraben durch A. Small, Universität Aberdeen. Bisher unveröffentlicht.
6 The Royal Commission on the Ancient Monuments of Scotland, Inventory of Orkney,
Edinburgh, 1946. 11,8; C. A. Ralegh Radford, The Early Christian and Norse Settle-
ments at Birsay, Orkney. Edinburgh 1959; S. Cruden, Excavations at Birsay, Orkney. In:
A. Small, The Fourth Viking Congress (Edinburgh 1965) 26 — 31.
7 Unveröffentlicht, lediglich kurz berichtet in J. S. Richardson, The Broch of Gurness,
H. M. S. O. 1963 und in The Royal Commission on the Ancient Monuments of Scotland,
Inventory of Orkney II (Edinburgh 1946) 75—79.
Das Bauernhaus auf Orkney und Shetland
51
dieser Zeit wurden in Schottland nur noch an zwei Orten gefunden, und zwar in
Freswick (Caithness)8 und in Drimore Machair (Süd-Uist)9. Da Orkney und Shet-
land nicht vor dem 15. Jahrhundert in schottische Hände übergingen, besteht durch-
aus die Möglichkeit, daß hier an Gebäuden des gegenwärtigen Bestandes noch Merk-
male nordischer Bauweise aufgefunden werden können, zumal heute im Dialekt der
Inseln einzelne nordische Bezeichnungen noch immer lebendig sind.
Schließlich sammelten wir Material mit Hilfe des vom Nationalmuseum für die
Altertümer von Schottland und von der Edinburgher Universität 1961 gemeinsam
veröffentlichten Fragebogens The Recording of Crofts10 and Houses. Dieser Frage-
bogen war so gefaßt, daß durch ihn nicht nur Angaben über die Form und den
Grundriß der Häuser, sondern auch über die soziale und wirtschaftliche Funktion
des Hofes und seiner Gebäude gewonnen werden konnten. Im einzelnen wurde
erfragt:
1. das Wohnhaus mit besonderer Berücksichtigung der Möbel, Schlafgelegen-
heiten, Kochanlagen und Heizeinrichtungen,
2. der byre11 und das Milchhaus, die Bedeutung der Viehhaltung und die dabei
übliche Arbeitsteilung, nach Geschlechtern,
3. die weiteren Stallgebäude,
4. die Scheune als Mittelpunkt der gemeinschaftlichen Alltagsarbeit,
5. die Mühlen,
6—8. die Errichtung von Gebäuden, das Dachdecken, die Herstellung des Fuß-
bodens, die Fenster und Türen usw.,
9. zusätzliche Mitteilungen, alte Bilder, Tagebücher, bäuerliche Rechnungsbücher
usw.
Besonderer Wert wurde dabei stets auf die Angabe der mundartlichen Bezeichnun-
gen für Gebäudeteile, Möbel, Werkzeuge und Techniken gelegt. Sie erscheinen uns
vor allem wichtig als Hinweise auf die sich auf den nordschottischen Inseln ver-
schränkenden und überdeckenden Elemente nordischer und schottischer Kultur.
Die Shetland- und Orkney-Inseln sind der nördlichste Teil Groß-Britanniens. Ver-
gegenwärtigt man sich ihre Lage, ist man überrascht: Shetland liegt so weit nördlich
■wie das Kap Farewell auf Grönland oder Helsinki in Finnland, Orkney wie die Bristol Bay
in Alaska. Dabei ist Lerwick auf Shetland nur 200 Meilen von Bergen in Norwegen ent-
fernt, eine Strecke, die bei günstigem Wind in zwei Tagen und zwei Nächten gesegelt
Werden konnte. Beide Inseln bildeten daher für die Wikinger wichtige Sprungsteine in
8 A. O. Curie, A Viking Settlement at Freswick, Caithness. Proceedings of the Society
°f Antiquaries of Scotland 1938 —1939« LXXIII, 71 —100; V. G. Childe, Another Late
Viking House at Freswick, Caithness. Proceedings a. a. O. LXXVII (1942 — 1943)
5-17.
9 Ausgegraben durch A. Maclaren im Aufträge der Royal Commission on the Ancient
■Monuments of Scotland. Bisher unveröffentlicht.
10 Ein croft ist ein kleiner Hof, der im Jahr nicht mehr als 50 Pfund Rente bezahlt, der
emen festumrissenen gesetzlichen Status besitzt und sich in einer der sieben „Crofting“-
Grafschaften Schottlands befindet (Shetland, Orkney, Caithness, Sutherland, Ross und Cro-
üiarty, Inverness, Argyll).
11 Byre ist die ausgesprochen schottische Bezeichnung für den Kuhstall.
4*
52
Alexander Fenton
Richtung Britannien und gaben ihnen Siedlungsplätze, die oft zumindest ebenso günstig
und sicherlich weniger dicht bevölkert waren als die Gebiete, aus denen sie kamen. Noch
lange, nachdem die Inseln bereits schottisch geworden waren, bestanden Handelsverbin-
dungen zu Norwegen. Vor allem „timber for their houses, ready framed, and dale (deal)
boards“12 wurden von dort herübergebracht.
Shetland besteht aus 1x7 Inseln und Orkney aus 49.13 Von diesen waren zur Zeit der Volks-
zählung von 1861 87 bzw. 22 unbewohnt. Diese Zahlen haben sich bis heute auf 98 bzw. 23
erhöht. Gleichzeitig ist die Bevölkerung auf Shetland von 31670 (1861) auf 17812 (1961),
auf Orkney von 32395 auf 18743 zurückgegangen14 — Hand in Hand damit erfolgte ein
beträchtlicher Schwund an bebauter Fläche (Abb. 1). Trotz der zahlenmäßig annähernd
gleichen Bevölkerung bestehen jedoch zwischen beiden Inselgruppen beträchtliche Unter-
schiede. Sie werden durch nachfolgende Tabelle15 illustriert:
Gesamtfläche Jahr
Pflugland Í932
in der Landwirtschaft tätig 1931
in der Fischerei tätig 1931
Verhältnis Kühe: Schafe 1880
Durchschnittsgröße eines Hofes 1930
Shetland
352,319 acres
3>4%
2663 Personen
938 Personen
1:4
8,2 acres
Orkney
240,847 acres
37,3%
4611 Personen
234 Personen
1:1,2
33,1 acres
Unterschiede zwischen Shetland und Orkney betreffen somit in erster Linie deren wirt-
schaftliche Verhältnisse. Für Shetland sind in dieser Hinsicht Fischerei und Schafhaltung,
für Orkney die Ackerwirtschaft von besonderer Bedeutung.
Bis ins 18. Jahrhundert waren die Höfe sowohl auf Shetland als auch auf Orkney im
allgemeinen in größere oder kleinere Weiler zusammengefaßt, je nach der Landschaft in
engerer oder loserer Verbindung. Gemeinschaftliches Pflug- und Wiesenland waren durch
Mauern oder Wälle aus Torf oder Steinen vom Moorland getrennt. Das Vieh, die Gänse
eingeschlossen, weidete während des Sommers außerhalb der Wälle auf dem Grasland oder
scattald. Im Herbst, nachdem die Ernte eingebracht war, wurden die Wälle geöffnet und die
ganze Flur, sowohl außerhalb als auch innerhalb der Umwallungen, verwandelte sich von
nun ab den Winter hindurch in gemeinschaftliches Weideland. Das Pflugland wurde im
run-rig-System bestellt, d. h. ein jeder Bauer besaß in ihm im Gemenge mit seinem Nachbarn
eine Anzahl Streifen und Stücke, die jährlich neu ausgelost wurden. In einigen Teilen von
Shetland, z. B. auf Yell, Fetlar und Brough auf Bressay, gibt es noch heute das run-rig-
System, allerdings in veränderter Form. Es ist „fest“ geworden, d. h. die Stücke und
Streifen werden nicht mehr periodisch gewechselt. Da jedoch die Anteile im Gemenge ver-
blieben sind, wird eine Einfriedigung des individuellen Besitztums hier erst möglich,
wenn durch die „Crofters’ Commission“ eine Reorganisation der Flur durch Zusammen-
legung der einzelnen Streifen erfolgt ist.
Das scattald war für die ländliche Wirtschaft keineswegs nur als Weideplatz wichtig. Von
ihm gewann der Bauer vor allem auch den Torf, der ihm in vielfältiger Weise, bei der Er-
richtung der Wälle um die Felder, der Giebel und Wände seiner Gebäude, als Deckmaterial
für die Dächer, als Streu für das Vieh und sogar als Sitze und Bänke in seinem Hause, von
Nutzen war. Daneben besaß das scattald auch Bedeutung als Siedlungsland. Auf ihm waren,
vor allem im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, von den Bodeneigentümern, den
lairds, Einzelhöfe errichtet. Diese outsets, durchweg von nur geringem Landbesitz,
waren vornehmlich in Shetland als Höfe für Fischer gedacht, und da etwa zu gleicher Zeit
12 R. Monteith, Description of Orkney and Zetland 1633. Edinburgh 1845, I4> 24-
13 Dazu zählen auf Orkney u. a. die Inseln Mainland, Hoy, Stroma, Süd- und Nord-
Ronaldsay, Roussay, Shapinsay, Stronsay, Sanday, Eday, Westray und Papa Westray, auf
Shetland u.a. die Inseln Mainland, Foula, Bressay, Whalsay, Yell, Unst, Fetlar und Fair Isle.
14 A. C. O’Dell/K. Walton, The Highlands and Islands of Scotland. 1962, 296 — 299.
15 Die Tabelle basiert auf statistischen Angaben aus A. C. O’Dell/K. Walten, a. a. O.
Das Bauernhaus auf Orkney und Shetland
53
auch eine starke Zersplitterung auf den älteren Höfen einsetzte — wo es früher üblich ge-
wesen war, die Ackerstücke mit vier nebeneinandergehenden Tieren zu pflügen, reichten
nunmehr drei bis vier Arbeiter aus, das Land mit dem Spaten umzugraben — ,16 ist es nicht
verwunderlich, daß, abgesehen von den Gebäuden der lairds, die Bauernhäuser und bäuer-
lichen Wirtschaftsgebäude auf Shetland und Orkney im allgemeinen klein sind. Das ist
ein Merkmal der Volksarchitektur beider Inselgruppen.
1 MILE
Abb. i. Der Schwund des Ackerlandes auf der Insel Fetlar
Gutes Baumaterial war vornehmlich auf Orkney ausreichend vorhanden, kleine Stein-
brüche waren hier häufig. Steine zum Decken und Schiefer wurden z. B. vom Vinquin Hill
und von den Sandwick Fish Beds geholt. Rote und gelbe Sandsteine von den Edaybeds
fanden weithin bei der Herstellung der Fenster Verwendung. Bauern, die ihre Gebäude
selbst errichteten, gewannen ihr Material aus den Steinlagern an der Küste. Mit Keilen wur-
den die Blöcke in entsprechende Größe aufgeteilt — die glatten Bruchflächen gestatteten
ein Bauen ohne Mörtel. Derartige Steinwände stehen über Jahrhunderte, denn das Material
ist dauerhaft und fest. Bereits die neolithischen Erbauer von Skara Brae auf Mainland kannten
und schätzten offenbar die Qualität dieser Steine.
I
Im allgemeinen sind die alten Häuser der Inseln geschickt in die nahezu baumlose
Landschaft eingefügt, um vor den Unbilden des Wetters Schutz zu finden. Oft
Wurden sie in einen Hügel hineingebaut, so daß im 17. Jahrhundert ein Reisender
16 A. Fenton, Early and Traditional Cultivating Implements in Scotland. Proceedings of
the Society of Antiquaries of Scotland XCVI (1962/1963) 307fr.
54
Alexander Fenton
von ihnen berichten konnte: “Their houses are all built vnder grounde, havinge the
roofe onely aboue which is covered with hather; and in the middle there is a barrel or
such like thinge to lett forth the smoke the hearth lijnge in the midst of the roome
abought which they have broad benches to lie on, but of late yeeres the better sorte
have faire greate houses of stone”.17 Selbst bis ins 19. Jahrhundert sagte man den
ländlichen Arbeitern oder den cottars auf den nördlichen Orkney-Inseln nach, daß
sie für ihre Häuser südliche Lagen in ansteigendem Boden bevorzugten.18 Ähnliche
Erscheinungen trifft man auf Shetland. So ist z. B. die Rückseite des 1830 errichteten
Hauses zu Holsigarth auf Middle Yell bis drei und vier Fuß tief in einen Hügelabhang
hineingebaut.
Das Bild der Höfe variiert entsprechend dem Alter der Anlage, der Größe des
Betriebes sowie der sozialen Stellung des Bauern. Auf Fetlar z. B., wo die Besitzun-
gen sehr klein sind, liegen Wohnhaus, Kuhstall und Scheune vielfach hintereinander.
Doch kommen auch Gebäude parallel nebeneinander, im Winkel zueinander oder
auch unregelmäßig verstreut vor. Die Höfe zeigen hier somit Formen, wie sie auch
auf den Färöer-Inseln anzutreffen sind.19
In den Höfen des frühen 19. Jahrhunderts finden sich das Wohnhaus, die Scheune
und der Kuhstall aneinandergereiht. Dabei bestehen zwischen ihnen innere Verbin-
dungen — von diesen ist die Tür zwischen Wohnhaus und Scheune im allgemeinen
ziemlich niedrig. Außerdem besitzt jedes dieser Gebäude eine eigene Außentür. Dem-
gegenüber waren auf dem Jarlshof im ersten Stadium lediglich Kuhstall und Wohn-
haus miteinander verbunden. Die daran befindliche Scheune und Darre dürften nach-
wikingische Anfügungen sein. Selbst das Kuhstall-Wohnhaus in Winksetter, das von
Clouston in das frühe 15. Jahrhundert datiert wird,20 ist noch ohne Scheune und
Darre, und auch andere frühe Gebäude, wie etwa Benzieclett, sind ebenfalls nur
Kuhstall-Wohnhäuser. Die weitere Anreihung von Scheunen und anderen Neben-
gebäuden scheint daher auf eine spätmittelalterliche Ausbreitung der long-house-
Tradition zurückzugehen, die sich dann als so kräftig erwies, daß insbesondere auf
den kleinen Höfen selbst in jüngerer Zeit wie im übrigen Schottland noch immer oft
Wohnhaus, Stall und Scheune aneinandergereiht wurden. Von den älteren Formen
dieser Art unterscheiden sie sich jedoch vor allem dadurch, daß bei ihnen die inneren
Verbindungen fehlen (Abb. 2). Von diesem Gebäudekomplex verstreut abgesetzt
fanden sich zu allen Zeiten kleinere Bauten, wie der skeo (ein Nahrungsspeicher), der
Pferdestall, in dem die Stuten und Fohlen während der Schneestürme untergebracht
wurden, der Schafstall, Schweinestall und der Gänsestall. In den reicheren Gebieten
auf Orkney und im Süd-Mainland auf Shetland werden auch diese dem Hauptgebäude
stärker zugeordnet. Ein Beispiel dafür bietet der Hof Orphir, auf dem das zwei-
räumige Wohnhaus, der Kuhstall, ein weiterer Stall, die Scheune und eine runde
17 Richard James, 1592 — 1638, Description of Shetland, Orkney etc. Hg. von W. Mac-
Gillivray in: Orkney Miscellany 1953, I, 50.
is W. T. Denison, Remarks on the Agricultural Classes in the North Isles of Orkney. In :
Report of Her Majesty’s Commissioners of Enquiry into the Condition of the Crofters and
Cottars in the Highlands and Islands of Scotland, 1884, 274—275.
19 G. Landt, Description of the Feroe Islands. London 1810, 381 — 382.
20 J. S. Clouston, a. a. O. 14.
Das Bauernhaus auf Orkney und Shetland
55
Darre aneinandergesetzt sind (Abb. 3). Doch kommen auch andere Lösungen vor.
So ist auf dem 1732 erbauten Hof Kirbister auf Nord-Mainland (Orkney) das Wohn-
haus von der Nebengebäudereihe deutlich abgesetzt, während in Tueaberry — im
gleichen Gebiet — Wohnhaus, Scheune, Kuhstall und weitere Nebengebäude in
geringem Abstand parallel zueinander errichtet wurden. Im ganzen aber scheint
nach den Angaben von Clousten und Roussell auf Orkney die Neigung zur Reihen-
bildung größer gewesen zu sein als auf Shetland. Schließlich dürfte nach diesen Auto-
ren bereits die Erweiterung des Wohnhauses um den Kuhstall, der durch Wand und
Tür abgetrennt ist, ein Stadium in der Entwicklung vom einfachen Wohnen inner-
halb eines Kuhhauses gewesen sein.
Abb. 2. Ein Haus des 19. und 20. Jahrhunderts mit Kuhstall und Scheune ohne innere
Verbindung. Nach J. J. Laurenson
II
Zwar gibt es eine große Anzahl literarischer Hinweise auf das primitive Wohnen
innerhalb eines Kuhhauses (byre), doch ist es gegenwärtig bereits schwer, wenn nicht
gar unmöglich, noch ein unverändertes Gebäude dieser Art anzutreffen. Auf Fair-Isle
2. B. bestanden die Siedlungen bis zur Separation der Fluren in den Jahren 1870 bis
1880 ausschließlich aus byre-Wohnungen mit zentraler Feuerstelle und einer für Tieren
und Menschen gemeinsamen Tür,21 während in anderen Gebieten, so im Pfarrgebiet
von Walls auf Shetland oder auf der Insel Foula, zu dieser Zeit byre und Wohngebäude
gewöhnlich bereits nebeneinander lagen, doch so, daß der Wohnraum nur durch
den Kuhstall hindurch betreten werden konnte (Taf. 7). Damals fanden sich auch
hin und wieder Scheunen als Wetterschutz quer vor die Tür kleinerer Bauernhäuser
gesetzt.22 Kurz vor 1900 wurden für den gleichen Zweck besondere hölzerne Wind-
fänge üblich. Sie waren gewöhnlich aus stumpf aneinandergefügten Brettern zu-
sammengenagelt, mit Leisten oder geteertem Sackleinen über den Stößen. Eine Tür
21 J. T. Reid, Art Rambles in Shetland. Edinburgh 1869, 51.
22 A Visit to Shetland. 1844. In: Chamber’s Miscellany of Useful and Entertaining
Tracts VIII (1846) 29.
cn
05
Abb. 3. Ein Bauernhaus in Orphir auf Orkney
I Darre, 2 Ecke für getrocknetes Korn, 3 Tür der Darre, 4 Feuerloch, 5 Scheune, 6 Dreschdiele, 7 Kornecke, 8 Stall, 9 — 10 Krippen,
II ben-Ende, 12 Mehlbehälter, 13 neuk-Bett, 14 Schrankbett, 15 Kartoffelecke, 16 but-Ende, 17 neu/c-Bett, 18 Bank, 19 Gänsenester,
20 Wasserbank, 21 Rückenstein, 22 Herd, 23 Aschehaufen,24 Torfecke, 25 Rauchloch, 26 Hühnerstange, 27 Platz für Kälber oder
Schafe, 28 Kuhstall, 29 Stall, 30 Abflußrinne, 31 Zwischengang, 32 Kuhstall, 33 Kammer für Gesinde, 34 Speicher, 35 Herdstange,
36 Rauchlochbrett
Das Bauernhaus auf Orkney und Shetland
57
befand sich auf jeder Seite des Windfangs, damit sie je nach Windrichtung geöffnet
werden konnten. Wo vordem die Wassereimer im Freien auf einem Borte gestanden
hatten, wurden sie jetzt auf einer Bank im Windfang untergebracht. War dieser Vor-
bau geräumig genug, arbeitete man auch in ihm, butterte oder wusch darin Kleider.
Gebäude des 19. Jahrhunderts sind gewöhnlich an ihrer symmetrischen Anordnung
zu erkennen. Der Typ, der auf allen Inseln wie im Mainland von Schottland zu
dieser Zeit sich entwickelte, war das zweiteilige Haus, mit dem but- und- feen-Ende,
einem schmalen closet, einem Schlafraum, dazwischen und Bodenräumen darüber.
Ein Beispiel dieser Art ist u. a. das 1870 errichtete Haus in Barkland auf den Fair-Isles.
Hier trennen Wände aus Holz das doset, das vom ¿ui-Ende oder von der Küche her
betreten wird, von den übrigen Räumen. Der Außentür gegenüber verläuft längs
durch das Haus ein kurzer Durchgang, der trance; von ihm werden sowohl der but-
Raum als auch der ben-Raum, die beide mit je einem Giebelschornstein versehen
sind, aufgeschlossen. In manchen Häusern, allerdings nicht in Barkland, fand im
trance ein besonderer Schrank Aufstellung, in dem Milchgefäße und Gegenstände
des täglichen Gebrauchs untergebracht wurden.
Ältere Häuser dieses Typs hatten nur eine einzige hölzerne Trennwand, die das
Gebäude in 2 Räume teilte, und zwar so, daß das ¿ui-Ende fast 2/3 der ganzen Haus-
länge einnahm. War diese Trennwand, die zunächst meist aus Torf bestand, nur so
hoch wie die Seitenwände, d. h. war der Bodenraum nicht mit unterteilt, wurde sie
allgemein cat-wd genannt. Der Raum, der auf diese Weise vom Herdraum abgeschert
war, diente in früherer Zeit als Speisekammer, aber auch als Schlafraum, in dem nach
Hibbert einige primitive Betten aus Stroh und Brettern standen, wobei dieser Autor
noch überdies anmerkt, daß dergleichen ältere Hausformen auf Quendale (Shetland)
weniger üblich waren.23
Vielfach traten an die Stelle der hölzernen Trennwände Schrankbetten. War dabei
zwischen diesen ein schmaler Raum ausgespart, diente er als Milchraum und Speise-
kammer (Abb. 4). In anderen Gebäuden, so im Hause Tankerness auf Orkney von
1870, stießen die trennenden Schrankbetten unmittelbar mit ihren Rückseiten an-
einander, so daß ein Mittelraum fehlte. Die Betten waren hier ursprünglich hell und
unbemalt, jetzt aber sind sie schon wie das übrige Kiefernholzmobiliar vom Torf-
rauch geschwärzt. Im allgemeinen maßen diese Häuser des 19. Jahrhunderts etwa
28 Fuß in der Länge und 8 —15 Fuß in der Breite. Ihre Seitenwände waren
4—6 Fuß hoch und von Steinen mit Kalk- oder Lehmmörtel errichtet und oft
mit Mörtel abgeputzt. Das ben-Ende war der Festraum des Hauses, in ihm
fanden Taufen und Hochzeiten statt, in ihm empfing man Gäste, und hier wurde
auch der Tote aufgebahrt. Dementsprechend war dieser Raum hergerichtet: Er
besaß eine Dielung von Brettern, oft eine geputzte Decke und manchmal auch weiß
getünchte Wände. Anders das ¿uf-Ende, als alltäglicher Wohn- und Kochraum war
es weit einfacher gehalten und besaß u. a. lediglich einen Fußboden aus Erde oder
Steinfliesen.24
23 S. Hibbert, Description o£ the Shetland Islands. Edinburgh 1822, 115.
24 A Visit to Shetland 1844. A. a. O. 28 — 29; J- R- Tudor, The Orkneys and Shetland.
London 1883, 157; C. Ployen, Reminiscences of a Voyage to Shetland, Orkney and Scotland
in the Summer of 1839. Lerwick 1894, 201.
JJhKt If/MA 'iMhljfL
58
Alexander Fenton
Besitzen Wohngebäude auf Orkney und Shetland innere Steingiebel mit originaler
Feuerwand, wie z. B. das Appiehouse auf Stennes,25 ist eine solche Anordnung wohl
meist nicht als Variation des but- und- ¿en-Typs, sondern wahrscheinlich oft als
Erinnerung an eine nordische Hausform mit firehouse oder Halle sowie dem
sellar, der dem altnordischen salr ent-
spricht, zu sehen. Clouston hat noch
vier Häuser mit dieser möglicherweise
nordischen Raumaufteilung gefunden,
und zwar in Winksetter und Furso auf
Harray, in Nether Benzieclett auf Sand-
wick sowie das Meiklehouse von Hund-
land auf Birsay. Jedes dieser Gebäude
besitzt den charakteristischen langen
sellar mit einer seitlichen Kammer, der
ale-hurry. Diese Form, die bereits der
Jarlshof kannte, wird daneben auch auf
Island, besonders in Pjörsärdalur ange-
troffen; sie wird daher meist als Pjörsär-
dalur-Typ bezeichnet. Auf Grund tephro-
chronologischer Feststellungen, d. h. auf
Grund von Untersuchungen der Ablage-
rungen vulkanischer Aschen, konnten sie
dort ins ix. Jahrhundert datiert werden.26
Ähnliche Bauten sind auch von Grön-
land bekannt.27
Die von Clouston genannten Gebäude
sind eingeschossig. Doch läßt ein Zap-
fenloch im Gebälk des Feuerhauses von
Nether Benzieclett annehmen, daß sich
darüber ursprünglich ein Oberstock be-
fand und daß die Wände später nied-
riger gemacht wurden. Das Gebäude
selbst ist im Grunde dreiteilig (Abb. 5),
ein Kuhstall, ein Feuerhaus und ein sellar
sind in ihm aneinandergereiht. Hierzu treten vom Feuerhaus aus ein abseitiges
neuk(e,ck)-bed sowie vom sellar aus eine ale-hurry. Leider kann die originale An-
ordnung der Türen heute nicht mehr ermittelt werden, da der größte Teil
der Südwand und des Westgiebels vor ungefähr 100 Jahren erneuert wurde.
Doch nimmt Roussel an, daß die äußere Kuhstalltiir eine spätere Ergänzung ist und
daß ursprünglich das Vieh seinen Stall durch das Feuerhaus erreichte. Und in der
Abb. 4. St. Mary auf Mainland (Orkney),
ein but- und ben-Typ
1 Feuerstätten, 2 Schrankbetten, 3 Wind-
fang (später angefügt), 4 closet.
Nach Dietrichson und Meyer
25 Diese Eigenart besaß das Haus allerdings erst in seiner 3. Entwicklungsphase.
26 Vgl. u. a. K. Eldjarn, Two Medieval Farm Sites in Iceland and some Remarks on
Tephrochronology. In: A. Small, Fourth Viking Congress (1965) ioff.; M. Stenberger,
Forntida Gärdar i Island. Kopenhagen 1943, 40 ff.
27 T. Erlingsson, Ruins of the Saga Time. London 1899, 7.
Das Bauernhaus auf Orkney und Shetland
59
Tat hat er bemerkt, daß die Tür zwischen Feuerhaus und Stall an ihren Seiten
schwach gerundet ist — sie ist unten schmaler als in der Mitte und damit der Form
einer Kuh angepaßt.28 Clouston hält dieses Haus für das älteste noch bewohnte auf
Orkney. Die übrigen drei ähneln ihm, auch sie gehören dem sellar-Typ mit der ab-
seitigen ale-hurry an. Alle vier besitzen als Merkmal ihres Alters Wände von fast vier
Fuß Dicke.
Gebäude des 18. Jahrhunderts nähern sich in ihren Merkmalen bereits dem but-
und- 6erc-Typ. Ein Beispiel dafür bietet Kirbister aufHarray. 1723 erbaut, hat dieses
Haus noch einen größeren sellar und ein Feuerhaus, letzteres aber schon mit einer
0 i £ 3 4 3 6 7 # » 10 M.
Abb. 5. Das Haus Nether Benzieclett, Scabray. Nach A. Roussell
zentralen Feuerstelle und ein neuk-bed in den dicken Wänden. Udallers, die bäuer-
lichen Eigentümer auf Orkney und Shetland, pflegten dergleichen Gebäuden oft
einen weiteren Raum, den chaumer, anzufügen, um in ihm gesonderte Schlafgelegen-
heiten für das Gesinde zu erhalten. War dann, wie vielfach jetzt üblich, der sellar
unterteilt, gewannen solche Häuser damit einen vierräumigen Grundriß.
Alle diese Gebäude waren einstöckig, doch gab es neben ihnen in älterer Zeit
bereits Häuser, in denen die Hälfte des Gebäudes aufgestockt war. Sie ähnelten
damit Formen, wie sie auch für Norwegen und andere Gebiete Skandinaviens nach-
gewiesen sind. Zu nennen wären hier vor allem das Clouston-Haus in Netherbigging
auf Stennes oder die Halle von Cursetter. Von diesen erhielt das letztere später
einen vollständigen zweiten Stock. Der ältere Teilstock oder loft lag über der Halle
und war so groß wie diese. Den Zugang zu ihm bildete eine innere Steintreppe. Die
lokale Überlieferung hält dieses Gebäude für einen Herrensitz aus dem 17. Jahrhun-
dert — Clouston datiert es wie auch das Haus in Netherbigging ins 16. Jahrhundert.
Doch ist damit keineswegs der Beginn der loft-Tradition auf den nordschottischen
Inseln fixiert, dergleichen Aufstockungen sind durch die Orkneyinge-Sage bereits
für das 11. Jahrhundert mitgeteilt — sie sind demnach weit älter als die von Clouston
aufgefundenen Beispiele.
28 Roussell, a. a. O. 83.
60
Alexander Fenton
III
Zwischen Orkney und Shetland bestehen hinsichtlich des zur Verfügung stehen-
den Baumaterials gewisse Unterschiede. Sie haben dazu geführt, daß auf Shetland
primitivere Techniken länger bewahrt wurden. So ist es dort z. B. auch heute noch
möglich, Gebäude anzutreffen, deren Wände ganz oder teilweise aus Torf errichtet
sind (Taf. 7).
Auch die weitverbreitete Technik, Wände in Schalenbauweise mit einem Kern
von Torf oder Erde herzustellen, überlebte auf den nordschottischen Inseln die
nordische Siedlung von Jarlshof. Sie findet sich vor allem bei mittelalterlichen Bauern-
häusern verwendet, deren Grundmauern noch bis ins späte 13. oder frühe 14. Jahr-
hundert zurückgehen. Doch ist sie selbst bei einigen Gebäuden des 19. Jahrhunderts
anzutreffen. Dabei wurden zunächst aus geeigneten Steinen eine äußere und eine
innere Schicht, in gewissen Abständen durch besondere Binder miteinander ver-
ankert, erstellt. Den Raum zwischen beiden füllte man sodann mit Steinschutt und
trockener Erde und fugte schließlich die innere Schicht mit Lehm aus, dem manch-
mal als Bindemittel Ponny-Mist zugefügt wurde.29 Beim Decken des Daches sah
man darauf, daß es auf der Mitte der Wand fußte und daß das Regenwasser zwischen
den Schichten hinuni ersickerte. Die Oberkante der äußeren Schicht blieb frei, so
daß man auf ihr stehend Reparaturen am Dach vornehmen konnte. Das gleiche gibt es
auf den Hebriden, in Südwest-Norwegen und auf Island.
Die Dächer der nordischen Häuser von Jarlshof, Underhoull und Birsay wurden
von einem ein- oder zweiteiligen Säulengerüst getragen. Es gibt heute auf Orkney
und Shetland keine Hinweise mehr auf eine längere Tradition dieser Bauweise.
Ähnlich erscheint es mit der Cruck-Konstruktion, die man auf Grund der engen
Beziehungen von Orkney zu Sutherland und Caithness, wo Gebäude mit dieser Ver-
zimmerung üblich waren, anzutreffen erwartet. So mag ein noch im Haus von
Quina im Pfarrbezirk Stennes in situ befindliches Sprengwerk, dessen tragende
Hölzer ungefähr 18 Zoll unterhalb der Mauerkrone eingefügt sind, als späte Stufe
der Cruckverzimmerung angesprochen werden. Sie würde damit jener Konstruk-
tion entsprechen, wie sie auch in Teilen von Irland, Wales und Yorkshire fest-
gestellt ist.30 Sollte das zutreffen, würde tatsächlich auf einen Einfluß von Caithness
oder Sutherland zu schließen sein. Es gibt auf den nordschottischen Inseln zweifellos
keine eigenständige Cruck-Tradition, auch auf den äußeren Hebriden, den Färöer-
Inseln, Island und Grönland fehlt sie. Und selbst die wenigen und unsicheren Bei-
spiele dieser Konstruktion in Dänemark, Norwegen und Schweden31 sprechen gegen
die Möglichkeit eines skandinavischen Ursprungs.
Das übliche Dach auf Orkney und Shetland dagegen ist das Sparrendach. Auf
diesen meist baumlosen Inseln fertigte man die Sparren aus Treibholz, das an die
Küste gespült wurde. War es roh, beschlug man es mit der Axt, um ihm ein besseres
29 M. Smith, Shetland Croft Houses and their Equipment. In: The Shetland Folk Book
(1964) IV, 1.
30 D. McCourt, The Cruck Truss in Ireland and its West-European Connections.
Folk Liv XXVIII-XXIX (1964/65) 70.
31 J. T. Smith, Cruck Construction: A Survey of the Problems. Medieval Archaeo-
logy VIII (1964) 199 ff.
Das Bauernhaus auf Orkney und Shetland
61
Aussehen zu geben. Treten in einem Dach gesägte Sparren auf, ist das ein Hinweis,
daß diese dem Bauern von seinem Grundherrn, dem laird, geliefert wurden. Im
übrigen ging der Aufbau eines Dachwerks wie folgt vor sich: Zunächst wurde ein
leichtes Gerüst auf den Mauern aufgerichtet, um die richtige Sparrenlänge zu er-
halten. Das so gewonnene Muster wurde daraufhin flach auf die Erde gelegt und an
ihm das einzelne Dachholz abgemessen. Schließlich wurden die Sparrenpaare mit-
einander verblattet und verbohrt und die Kehlbalken dem Spann angeblattet.
In der Regel fußen die Sparren auf der abgeschrägten Mauerkrone und werden
gegen Abrutschen durch drei oder vier Zoll aus der Wand vorspringende Stein-
platten, die aisens, gesichert. Den Längsschub im Dachwerk fangen besondere
langbands ab, im allgemeinen sind davon auf jeder Seite zwei vorhanden, doch
kommen auf Shetland auch mehrere in einem Dachwerk vor. Die Herstellung der
Dachhaut war sehr umständlich. Als Unterlage dienten etweder 20—30 Zoll große
Torf stücke, die den Latten aufgelegt wurden, oder, vor allem auf Orkney, eine
dichte Matte aus von langband zu langband geschlungenen Strohseilen, den simmons.
Die Öffnungen zwischen dem unteren langband und der Oberkante der Wand ver-
schlossen dünne Fliesensteine. Auf diese Unterlage von Torf oder Strohseilen wurde
sodann lockeres Stroh gebracht, das durch über den First hinweg gezogene weitere
Strohseile, Fischernetze, in jüngerer Zeit auch durch Drahtnetze heruntergedrückt
wird. Dabei wurden den Strohseilen an ihren unteren Enden längliche Steine, auf
Orkney als bendlin stones, auf Shetland als link oder loop stanes bezeichnet, ein-
geknüpft, um die Seile in ihrer Lage zu halten (Taf. 8). Dem gleichen Zweck diente
ein oft vom Strohdachdecker verwendetes horizontales Strohseil, in das die vertikalen
gespleißt oder gebunden sind.
Vor allem auf Orkney sind daneben reine Steindächer anzutreffen, die sich von
den Strohdächern gemeinhin durch ihre flachere Neigung abheben. Wie alt der-
gleichen Dächer als allgemeine Erscheinung hier sind, ist unbekannt. Jedenfalls
schließt Clouston aus der Erwähnung eines stane roof für ein Haus auf Stennes in
einer Urkunde von 165 3, daß diese Deckung damals noch selten war.32 Vornehmlich
im 18. Jahrhundert fand das Steindach dann stärker Eingang. Sandwick und Strom-
ness hatten 1700 lediglich 5 hartgedeckte Häuser, um 1794 jedoch bereits 130. Dabei
wurde hier ein in der Pfarrei gefundener, zwar nicht sehr gut aussehender, aber
wetterbeständiger Schiefer verwendet. Auf Cross, Burness und Nord-Ronaldsay
jedoch führte man zu diesem Zweck Schiefer aus Easdale in Argyll (Westschottland)
ein. Daneben findet sich auf den Dächern aber auch der an vielen Orten der Inseln
anstehende flagstone.
Wie bei den Wänden werden auf Shetland auch beim Dach noch ältere Materialien
angetroffen. Neben den charakteristischen Strohdächern sind selbst reine Torf-
dächer hier noch nicht verschwunden (Taf. 8). Sie werden für diese Inselgruppe
bereits im 17. Jahrhundert mitgeteilt und als Dächer beschrieben, die mit divots
(Soden) gedeckt und von Strohseilen überspannt waren und jedes Jahr um All-
hallow-tide, d. h. im November, erneuert wurden.33
32 J. Clouston, a. a. O. 18.
33 R. Monteith, a. a. O. 24.
62
Alexander Fenton
In den einfachen Häusern auf Orkney und Shetland waren Wandfenster kaum vor-
handen oder nur in einem Raum zu finden. Erst nach Ablösung der Fenstersteuer im
Jahre 1851 wurden sie zahlreicher. Bis dahin besaßen das ben-Ende gewöhnlich ein
Wandfenster in der Größe von 2 6 X 20 Zoll sowie das ¿ui-Ende ein bis zwei Fenster
im Dach in Abmessungen 12 x 16 Zoll. Weder das Wandfenster noch die Dach-
fenster konnten geöffnet werden. Daneben ließen das Rauchloch und andere Öff-
nungen im Dach gewisses Licht ins Innere. Die eigentlichen Fenster bestanden früher
meist aus einem Rahmen, über das eine Blase oder ein ungegerbtes Schaffell, von dem
man die Wolle entfernt hatte, gespannt war.34 Im Nationalmuseum für die Alter-
tümer von Schottland befindet sich ein Stein, der ungefähr 1882 aus einem zerstörten
Haus nahe Boddam auf Shetland in die Sammlungen übernommen wurde. Dieser
Stein besitzt zwei kleine quadratische Öffnungen, die ursprünglich mit Glas aus-
gefüllt waren. Nach dem beigegebenen Bericht gehörte das Haus dem but- und- ben-
Typ an. Der Eingang in das Haus führte nur durch den Kuhstall. Das Gebäude hatte
keine Wandfenster; die einzige Lichtquelle war dieses Dachfenster, das direkt über
der Wandoberkante eingefügt war.35
Die Außentüren der älteren Häuser auf Orkney waren ohne Verwendung eiserner
Nägel gefertigt. Sie bestanden aus Brettern, die von Querleisten mit Holzpflöcken
zusammengehalten wurden und besaßen im allgemeinen eine Größe von 5 Fuß Höhe
und 2 Fuß 3 Zoff — 2 Fuß 6 Zoff Breite. Die Holzpflöcke, deren Köpfe auf der
Außenseite der Tür prismatisch geschnitten wurden, waren auf der Innenseite ver-
keilt. Vielfach diente nur eine hölzerne Klinke als Verschluß der Tür — sie konnte
mit Hilfe eines Bandes aus gegerbtem Fell oder aus mit Alaun behandelter Haut,
das durch ein Loch in der Tür lief, gehoben werden. Daneben gab es mehr oder min-
der kunstvoll gearbeitete Holzschlösser, die durch besondere hölzerne Schlüssel ge-
öffnet wurden. Das Nationalmuseum für die Altertümer von Schottland hat zwei
solcher Schlösser aus Nord Ronaldsay in Besitz, eine Schenkung aus den Jahren
183336 und 1863.
IV
Bezeichnend für ältere Bauernhäuser der Orkney- und Shetlandinseln war der
zentrale Herd (Taf. 9). Er war, wie seit dem späten 11. und frühen 12. Jahrhundert
üblich, meist von quadratischer Form, bestand durchweg aus einer Anzahl in den
Erdboden eingebetteter Steine, die mit Lehm übergesetzt waren, und maß im
Durchschnitt 4—6 Fuß.37 Gewöhnlich besaß er, vermutlich um den Zug zu ver-
bessern, einen stone back (Taf. 10). Dieser konnte aus einem einzigen niedrigen Stein,
aber auch aus einem 4—5 Fuß hohen, 4—6 Fuß breiten und bis zu i1/2 Fuß dicken
Mauerstück bestehen.38 Einige dieser Rücken hatten unten ein Loch von 1 Fuß im
Quadrat, vor das ein großes, sandiges Torf stück gelegt wurde, das man anfeuchtete.
Davor befand sich das Feuer aus festen Torfstücken, umgeben von schwerem
34 New Statistical Account XV (1845) 139.
35 Proceedings of the Society of Antiquaries of Scotland XVII (1882/83) 295—296.
36 In Schnittzeichnung veröffentlicht durch J. R. Tudor, a. a. O. 76.
37 M. Smith, a. a. O. 4.
38 J. Firth, Reminiscences of an Orkney Parish Stromness 1920, 9.
Das Bauernhaus auf Orkney und Shetland
63
Rasentorf. An jedem Morgen wurde die Asche des alten Feuers durch das Loch ge-
stoßen und ein frisches Rückentorfstück aufgestellt.39
Auf Shetland gehörte manchmal zum zentralen Herd auch die leepie. Darunter
verstand man ein bis zu 3 Fuß tiefes, 6 Fuß langes und 4 Fuß breites Loch im Fuß-
boden hinter dem Rückenstein, in das Abfall aller Art hineingeworfen wurde. Wenn
Firth schreibt, daß die Asche, nachdem sie durch das Loch im Rückenstein hindurch-
gestoßen war, hinter dem Stein zunächst von nassen und sandigen Torfstücken um-
geben belassen wurde, so entstand durch das spätere, immer wiederholte Auf-
schaufeln der Asche zweifellos im Erdboden eine Vertiefung, auf die offenbar die
leepie zurückzuführen ist.
Ein weiteres Merkmal des zentralen Herds war eine starke Holzstange über dem
Feuer, der pan-tree (Orkney) oder crook bauk (Shetland), von dem eine eiserne
Kette oder ein Strohseil mit einem Haken für Töpfe, Pfannen u. dgl. herabhing. War
in einem Gebäude ein pan-tree nicht vorhanden, wurde das Seil bzw. die Kette
einfach an den Sparren befestigt.
Zwar kannte der zentrale Herd keinen Schornstein, doch war gewöhnlich im
Dach, des Regeneinfalls wegen nicht genau über dem Feuer, eine quadratische,
ungefähr zwei Fuß große Öffnung, durch die der Rauch entwich. Sie wurde durch
ein Brett verschlossen, das mit Hilfe einer langen Stange gegen den Wind gestellt
werden konnte, um das Abziehen des Rauches zu erleichtern (vgl. Abb. 3). Be-
merkenswert sind die Bezeichnungen für diese ebenfalls auf den Färöern40 41 anzu-
treffende Vorrichtung: Hora für das Rauchdach, skylin für das bewegliche Brett.
Beide Termini entsprechen dem Altnordischen Ijöri und skyla und dürften damit
Beweis sowohl für das Alter als auch für die Herkunft dieser Art des Rauchabzuges
sein. Auf Shetland sind anstelle des einfachen Bretts über dem Rauchherd vielfach
zwei dachförmig zusammengefügte Bretter anzutreffen, doch sind diese nicht immer
beweglich. Auf Fetlar schließlich setzte man zu gleichem Zweck auf niedrigen Ge-
bäuden an die Windseite des Rauchlochs oft Torfstücke und nannte dies skyle da
lum n.
Vom zentralen Herd mit Rauchloch und Rückenstein führten zwei Wege zum
Schornstein, und zwar über die Versetzung des Herdes an einen Giebel oder über
die Eingliederung des Rückens in eine Querwand, die das Feuerhaus unterteilte. In
beiden Fällen lag der Herd nun zunächst an einer Wand, d. h. das Ergebnis war
immer eine Giebelfeuerstätte (Abb. 6). Manchmal besaßen auch diese Herde noch
einen Rückenstein, teilweise wahrscheinlich aus traditioneller Erinnerung heraus,
teilweise aber auch aus Zweckmäßigkeitsgründen, war es doch bei Wänden aus Torf
stets notwendig, den Giebel vor der Hitze des Feuers durch einen Rückenstein zu
schützen. Rückensteine bei Steingiebeln können daher auch Hinweise auf ein älteres
Bauen mit Torf sein. Auf keinen Fall aber hatten alle früheren Giebelherde Rücken-
steine, selbst dann nicht, wenn das Feuer auf einer flachen Platte brannte.
Für den Schornstein über dem Giebelherd kannte man drei Formen auf Orkney
und Shetland. Der erste, ein Vorgelegeschornstein, stand auf zwei ca. 34/2 Fuß hohen,
39 J. Firth, a. a. O. 9.
40 New Statistical Account XV (1845) 139.
41 G. Landt a. a. O. 383.
64 Alexander Fenton
oben durch einen längeren Stein, den lintel, verbundenen Wangen. Doch wurde
in vielen Fällen ein solcher Schornstein nicht bis zum Dach hinausgeführt — er
endete oft bereits kurz oberhalb der Küchendecke und entließ den Herdrauch in
den loft. Schornsteine dieser Art wurden als faase (falscher) chimney bezeichnet, sie
scheinen kurz nach 1850 entwickelt worden zu sein (Abb. 7).
Abb. 6. Ein Giebelherd mit Rückenstein auf Shetland. Nach einer Photographie in Scotlands
Magazine, December 1952
Die zweite Form war der hölzerne Schornstein, auf Shetland als widdie (hölzerner)
funnel bekannt (Taf. xo). Er bestand an seinem unteren Ende aus einer Art um-
gekehrtem, am Giebel befestigten Trichter. Da er auf dem First stets ein wenig von
der Giebelspitze entfernt sitzt, ist das Vorhandensein dieses in Schottland weit
verbreiteten Schornsteins bereits äußerlich am Gebäude an seiner Stellung auf dem
Dach festzustellen.
Schließlich gab es noch den in die Dicke der Giebelwand eingebauten Schornstein.
Er wurde allgemein üblich in Häusern des 19. Jahrhunderts. Dabei findet sich ge-
wöhnlich als Entlastung über dem ersten lintel in der Giebelwand noch ein zweiter,
der safer, eingelassen. Bisweilen erscheint darüber noch ein dritter und sogar ein
Eine Mühle mit Strohdach, Strohseilen und link-slones. Walls, Shetland
(Photo: A. Henshall 1956)
Ein Ochsenstall mit pflockbefestigter Torfdeckung. Mückle Roe, Shetland
(Photo: A. Fenton 1961)
Tafel 9
Ein zentraler Herd. Foula, Shetland (Photo: H. B. Curven 1902)
Tafel io
Ein zentraler Herd mit Rückenstein. Kirbister, Orkney
(Photo: A. Fenton 1961)
Ein hölzerner Schornstein in einem Bauernhaus auf Shetland (Photo: I. Valentine)
Das Bauernhaus auf Orkney und Shetland
65
vierter (Abb. 8), so daß in manchen Fällen, wie im Hause Banks auf Foula, die Herd-
wand auf diese Weise ein gewisses gefälliges Aussehen gewinnt, zumal wenn, wie
auch für Nordost-Schottland bekannt, die Feuerstätte jeden Tag, zumindest aber
jeden zweiten Tag neu geweißt wurde.
Abb. 7. Ein Schornstein in einem Haus in Collafirth, Shetland. Nach L. G. Johnson
Den letzten Schritt in der Entwicklung des Herdes bezeichnete die um 1900 er-
folgte Übernahme der gußeisernen Sparöfen. Allgemein gebräuchlich waren darunter
zwei von der Firma Smith & Wellstood hergestellte und als Enchantress und Victoress
bezeichnete Formen.
V
Zu den wichtigsten Einrichtungsgegenständen eines Wohngebäudes zählten die
Schlafgelegenheiten. Am Beginn ihrer Entwicklung auf den nordschottischen
Inseln steht ohne Zweifel der von Denison beschriebene Bettraum eines Hauses
auf Nord-Ronaldsay. Dieser bestand aus einem durch aufrecht stehende Steine abge-
grenzten „Trog“, der mit Stroh und Heidekrautausgefüllt war42. Hier bestehen offen-
bar mehr Beziehungen zu der neolithischen Siedlung von Skara Brae als zu den
Schlafgelegenheiten in den nordischen Häusern.
In den Häusern der Wikinger Zeit dienten die erhöhten Sitze beiderseits des Herds
sowohl zum Schlafen als auch zum Sitzen. Möglicherweise sind von ihnen die
Bänke aus Torf, die ein Reisender 1834 rund um das Feuer in dem Haus eines Grob-
schmieds nahe Vailey Sound auf Shetland fand,43 oder die langen hölzernen Bänke
42 w. -p p)enison a. a. O. 274—275.
43 E. Charlton, Journal. In: Old-Lore Miscellany (1935 — 1946) 61—62.
5 Volkskunde
66
Alexander Fenton
an einer oder an beiden Seiten des Herdes, die bis in unser Jahrhundert regelmäßig
zum Mobiliar auf den nordschottischen Inseln gehörten, herzuleiten. Letztere
werden auch von Hibbert gelegentlich eines Besuches von Aithness beschrieben. Er
gelangte durch den Kuhstall in „a spacious room with a central fire, clay floor, and
soot covered walls, with two long forms for the servants of each sex, and a high
and separate chair for the mistress of the house.“44
Ältere Formen der Schlafgelegenheiten waren auch die eingebauten Betten. Sie
werden gewöhnlich als neuk (Eck) beds bezeichnet. Bekannt sind zwei Arten. Von
ihnen befindet sich die erstere in der Dicke der Wand. Wenn sie in Kirbister auf
Nord-Mainland noch in einem 1723 errichteten Hause angetroflen wird, so beweist
dies, daß die Tradition dieser Bettform zu jener Zeit noch durchaus lebendig war. In
Kirbister wurden im übrigen dergleichen neuk beds noch bis in jüngste Zeit benutzt,
zwar nicht gerade für den Bauern, wohl aber als Schlafgelegenheit für den Hirten-
jungen.45 Die zweite Art der neuk beds befindet sich in einer herausgebauten Abseite
oder töfa, wie sie auf Nord-Ronaldsay genannt wird. Beispiele dafür sind bekannt
von Benzieclett auf Sandwick, Thickbigging auf Firth, Tueaberry auf Birsay und
Conglabist auf Nord-Ronaldsay. Beide Arten der neuk beds besaßen stets an ihrer
Vorderseite zwei aufrechtstehende hohe Steine, die zwischen sich einen Spalt von
der Breite einer Tür als Eingang ließen.
Nach Denison begannen gegen Ende des 18. Jahrhunderts close wooden beds die
älteren Formen der Schlafgelegenheiten zu verdrängen. Diese Schrankbetten, ganz
gleich, ob sie frei standen oder der Raumtrennung dienten, waren seit jener Zeit auf
allen Inseln üblich. Sie hatten an ihrer Vorderseite Türen zum Schieben, in die Herzen,
Kleeblätter oder Rhomben eingeschnitten waren, oder auch nur dicke Tuchvorhänge.
44 S. Hibbert, a. a. O. 538, 545.
45 The Scotsman. 9. Oktober 1936, 20.
Das Bauernhaus auf Orkney und Shetland
67
Als Füllung für die Matratzen benutzte man Stroh, Häcksel oder eine als marlak
bezeichnete Art Seegras (Zosterina marina), von der behauptet wurde, sie sei gut
gegen Flöhe.46 Außer zum Schlafen — Schrankbetten sind z. T. heute noch in Ge-
brauch — verwendete man dergleichen Betten auch zum Bleichen der wollenen Um-
schlagetücher. Zu diesem Zweck wurden die Tücher in die Betten hineingehängt
und dann mit Schwefel geräuchert.
In bezug auf die übrige Einrichtung der alten Bauernhäuser, für die vor allem für
Orkney ausgezeichnete Berichte von James Omond und John Firth vorliegen,
müssen wir uns auf eine Auswahl beschränken. So befand sich z. B. über der but-
Tür oder entlang der inneren Giebelseite eine besondere Stange. Auf dieser hallan
hatten die Hennen ihren Platz. Bisweilen waren es auch zwei mit Strohseilen um-
wickelte Stangen. In der Wand des but-Endes wurden oft eine Reihe Nischen an-
getroffen, in denen Gänse auf ihren Eiern saßen und brüteten. Zwischen Tür und
Herdrücken war der outbye — im Gegensatz zum inbye um das Feuer —, ein Teil des
¿mi-Endes, in dem Kälber und Lämmer, gelegentlich auch einmal ein Zugochse, oder
eine Sau mit ihrem Wurf untergebracht wurden. Noch heute besitzt die Küche des
Appiehouse auf Stennes Mauerringe, an denen die Kälber angebunden waren. Ein
paar Steine, aufrecht an der Seitenwand aufgestellt, trennten eine Torfecke für den
täglichen Brennmaterialbedarf ab — hier lag auch der peat-kishie, der Torf korb.
Schließlich war noch eine weitere Ecke für Kartoffeln ausgespart.
Da der Orkneystein leicht spaltete und sich daher zur Herstellung von Platten
eignete, waren eine Reihe Möbelstücke aus ihm gefertigt. Dazu zählten Bänke,
Tische und auch Borte zum Aufsetzen von Wassereimern usw. Im 19. Jahrhundert
wurden diese allgemein durch hölzerne Einrichtungsgegenstände abgelöst. Darunter
fanden sich nach Firth u. a. strohgeflochtene, mit Rückenlehne versehene Stühle für
den Bauern und die Bäuerin, niedrige runde Schemel, ebenfalls meist mit Strohsitz,
ein eiförmiger Korb aus Stroh oder Binsen für die aus Stierhorn gefertigten Löffel,
ein Klapptisch und eine oder mehrere Truhen, die auch als Sitzgelegenheiten dienten.
Der Bäuerin standen für ihre Arbeit überdies noch besondere Möbelstücke zur Ver-
fügung, und zwar eine Art Küchenschrank aus einem hölzernen Rahmen mit ein-
gelegten Steinplatten zum Abstellen von Schüsseln, Dosen, Töpfen und sonstigen
Koch- und Eßgeräten sowie ein hölzernes Tellerbort für besondere Schüsseln und
Teller. Letzteres war an der Wand über dem Küchenschrank angebracht bzw. hing,
am Dach befestigt, darüber. Es scheint daher, als ob beide später zu dem Möbel ver-
einigt wurden, das volkstümlich heute als Dutch dresser bezeichnet wird. In dem
6en-Ende schließlich waren Schrankbetten, ein Kleiderschrank und ein Mehlbehälter
untergebracht. War die Familie groß, konnten auch im frui-Ende Betten aufgestellt
sein.
Allgemein aber muß gesagt werden, daß alle diese Einrichtungsgegenstände in
älterer Zeit wertmäßig gegenüber dem lebenden Inventar und der Ernte gering ge-
achtet wurden. Das geht einwandfrei aus den Testamentsverzeichnissen des 16. und
17. Jahrhunderts hervor, in denen stets die gesamte Einrichtung unter nur einer einzi-
46 T. Edmondston, Glossary of the Shetland and Orkney Dialect. Edinburgh 1866;
U. Venables, Life in Shetland. Edinburgh 1956, 7, 40.
5*
68
Alexander Fenton
gen Eintragung zusammengefaßt ist. Lediglich bei Nachlassen der lairds, der Kauf-
und Handelsleute wurde sie spezialisiert aufgeführt.
Die vorstehenden Ausführungen dürften die Bedeutung von Untersuchungen auf
Orkney und Shetland für die Lösung allgemeiner Probleme der materiellen Kultur
erwiesen haben. Studien zu der für diese Inseln charakteristischen Mischung von
schottischen und nordischen Formen, die hier zu einer einheitlichen Kultur ver-
schmolzen wurden, berühren Fragen interethnischer Beziehungen. Eine detaillierte
Erforschung der dortigen Wohn- und Nebengebäude, der Möbel und Einrichtungen,
der Methoden der Bodenbearbeitung und der Viehhaltung usw., verglichen mit den
Ergebnissen archivalischer Forschung, wird ohne Zweifel wertvolle Beiträge für
eine Ethnologie des nördlichen Europas liefern. Der dargebotene Überblick über das
bäuerliche Wohnhaus auf Orkney und Shetland mag überdies unterstreichen, was
allein in dieser Hinsicht noch zu tun bleibt.
Zum Bauernhaus der Donauebenen im 19. Jahrhundert
Von Paul Henri Stahl
Beiderseits der mittleren und unteren Donau, des Flusses, der seit alters eine wesent-
liche Bedeutung im Leben der Völker Mittel- und Osteuropas gehabt hat, dehnen
sich weite Ebenen. Sie gehören den Ländern Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien und
Ungarn an. Die Höhen der Karpaten und des Balkangebirges, die das Bett der Donau
zwischen den felsigen Ufern des Eisernen Tores einengen, trennen die Donauebenen
in einen östlichen, rumänisch-bulgarischen sowie in einen westlichen, ungarisch-
rumänisch-jugoslawischen Teil (Abb. 1). Ethnisch sind die Bewohner dieser Gebiete
den Rumänen, Bulgaren, Serben und Magyaren zuzurechnen. Neben ihnen erschei-
nen als Minderheiten Türken und Tataren — insbesondere in Rumänien und Bulga-
rien — sowie Deutsche — vor allem im Banat.
Die vorbezeichnete Landschaft ist somit von beträchtlicher Größe und umfaßt, wie
gezeigt, Völker sehr verschiedenen Ursprungs. Wie aber waren während des 19. Jahr-
hunderts in diesem ethnisch so uneinheitlichen Gebiet Aussehen und Entwicklung
der dortigen Hausformen sowie die Bezeichnungen der darin befindlichen Räume?
Bislang wurden diese Fragen nicht behandelt — es liegen lediglich Arbeiten über
jeweils eines dieser Völker und dessen Architektur vor, doch dürften diese Dokumen-
tationen insgesamt heute bereits ausreichen, zusammenfassende Studien vorzulegen.
Wir werden demzufolge bemüht sein, zunächst die bäuerlichen Wohnungen in den
Donauebenen zu beschreiben und anschließend deren Eigenarten zu vergleichen.
Zwar wird es beim gegenwärtigen Stand der Forschung noch nicht möglich sein,
die Phänomene völlig zu erklären, doch hoffen wir durch unsere Ausführungen
mitzuhelfen, die Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Beim Ausbreiten des Materials
beginnen wir mit den rumänischen Verhältnissen, die uns durch eigene Untersuchun-
gen am vertrautesten sind.
I
Die Flachlandzone Rumäniens ist geographisch gesehen nicht gleichförmig. Im
Osten, unweit der Mündung der Donau in das Schwarze Meer, setzt zunächst der
Bugeac die ukrainische Steppe fort. Südlich davon, auf der rechten Seite des Flusses,
befindet sich die rumänische Dobrudscha mit dem stark verwitterten, teilweise von
Wäldern bedeckten Mäcin-Gebirge im Norden. Weitere Wälder finden sich im Süden
— sie bedeckten früher auch den nordwestlichen Teil Bulgariens —, während der mitt-
lere Teil dieses Gebietes heute eine entwaldete Zone darstellt. Nur wenige Wasser-
läufe von geringer Größe entwässern das Mäcin-Gebirge. Südlich der Moldau und
im ganzen Bärägan ist das Tiefland unbewaldet. Insbesondere der Bärägan erinnert
70
Paul Henri Stahl
in seiner landschaftlichen Erscheinung noch an die östliche Steppe. Auch hier sind
außer einigen Flüssen, die in den südlichen Karpaten entspringen, vor allem in den
Dürremonaten nur spärliche Wasserläufe anzutreffen. Im Gegensatz dazu sind die
Mitte und der Westen der Tiefebene Munteniens sowie der größte Teil der Tief-
ebene Olteniens auf dem linken Ufer der Donau sehr wasserreich. Insbesondere die
Landschaft Munteniens kennzeichnen eine Reihe Seen und träge dahinfließende
Wasserläufe.
Während sich in den unbewaldeten steppenähnlichen Gebieten der Ebenen die
älteren Siedlungen vornehmlich entlang der Donau und ihrer wenigen Nebenflüsse
zusammendrängen, boten insbesondere der Süden Olteniens sowie die Mitte und der
Westen Munteniens dem Menschen überall gute Lebensmöglichkeiten, so daß hier
heute alte Traditionen weit zurückverfolgt werden können. Auf diese günstige
Siedlungssituation in den letzteren Gebieten deutet auch die Bezeichnung Vlasca für
Mittelrumänien, die von den Slawen geprägt wurde und erkennen läßt, daß die
Slawen zur Zeit ihrer Ankunft in diesem Gebiet bereits eine dichte Bevölkerung an-
trafen. In den steppenartigen Gegenden jedoch konnte sich die Bevölkerung erst im
19. Jahrhundert zahlreicher niederlassen, nachdem die moderne Technik des Brunnen-
Zum Bauernhaus der Donauebenen im 19. Jahrhundert
71
bohrens entwickelt war und damit das oft sehr tief gelegene Grundwasser erreicht
werden konnte. Für die Besiedlung des Bärägan und der Dobrudscha sowie für die
stärkere Vermehrung der Bevölkerung in den restlichen muntenischen und olteni-
schen Gebieten war insbesondere der Rückgang der politischen und militärischen
Macht der Türkei von Bedeutung. Im 19. Jahrhundert enden damit die Raubzüge
der Tataren aus dem Osten und der Türken aus den Rajas, d. h. aus den am linken
Donauufer gelegenen Städten, in deren Nähe die rumänischen Dörfer infolge der
Verheerungen völlig entvölkert waren. Gleichzeitig gewann der Handel des Abend-
landes nach dem Frieden von Adrianopolis (1829) neue Möglichkeiten, unter anderem
auch durch die Einbeziehung der rumänischen Getreideausfuhr, die nun nicht mehr
wie früher Monopol der Türken war. Wie in anderen Gebieten Europas führte
diese Entwicklung auch in den bislang schwach bevölkerten Gegenden Rumäniens
zu neuen Siedlungsbewegungen. Der Bärägan und die Dobrudscha wurden in
raschem Tempo von den Gebirgsgegenden, z. T. sogar von Transsilvanien her, be-
setzt. Die Mitte und der Westen Munteniens sowie der Süden Olteniens erlebten
eine starke Vermehrung ihrer Bevölkerung. Das führte zu starkem Raubbau an
den dortigen Wäldern, nicht nur aus den sich damit zwangsläufig ergebenden Bau-
notwendigkeiten, sondern auch als Folge neuen profitwirtschaftlichen Denkens.
Das Ergebnis war hier, vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, eine
fast waldlose Ebene. Diese Entwicklung fand in der Abwandlung des Baumaterials
der Gebäude ihren bezeichnenden Niederschlag; sie wird insbesondere in einem Ver-
gleich der von Leonida Colescu1 während des beginnenden 20. Jahrhunderts ge-
wonnenen Untersuchungsergebnisse mit Feststellungen aus der Mitte des 19. Jahr-
hunderts1 2 * (alle Angaben in %) greifbar.
Bezirk Ziegel 19. Jh. 20. Jh. Steine 19. Jh. Holz 20. Jh. 19. Jh. 20. Jh. Lehm usw. 19. Jh. 20. Jh.
Bräila 0,4 6,7 — 0,1 88,6 2,5 11,0 90,2
Jalomita 0,8 5,8 — 12,1 2,6 87,1 9°,8
Ilfov U7 13,6 — 2,5 2,1 95,8 83,9
Vlasca o,5 6,1 — 92,4 3,6 7A 89,6
Teleorman 0,4 6,4 — — 33,4 37,8 66,2 55A
Romanati 4,2 37,3 — — 64,4 45,2 3I,4 W,o
Dolj 6,2 25,8 — — 63,2 47,9 30,6 25,3
Diese Tabelle ist sehr aufschlußreich. Einwandfrei ablesbar ist die Dominanz der
Holzarchitektur in großen Teilen der Ebene noch während des vorigen Jahrhunderts,
was ohne Frage auf das Vorhandensein größerer zusammenhängender Waldbestände
1 Statistica clädirilor si a locuin^elor din Romania. íntocmita pe baza recensämintului
general al populatiunii din 19. Decembrie 1912 — 1 Ianuarie 1913 (Statistik der Gebäude
und Wohnungen Rumäniens. Zusammengestellt auf Grund der allgemeinen Volkszählung
vom 19. Dezember 1912 bis zum 1. Januar 1913). Bucuresti 1920.
2 Dionisie Pop Martian veröffentlicht in Anale statistice si economice (Statistische und
ökonomische Annalen) Jg. 1861 eine Statistik der Baumaterialien.
72
Paul Henri Stahl
deutet — das wird überdies durch die große Anzahl hölzerner Bauernkirchen in
einigen Bezirken Munteniens um 18103 (in Jalomita 34,3%, in Ilfov 61,7%, in
Vlasca 80% und in Teleorman 83,7%) bekräftigt. Andererseits herrscht in den
steppenartigen östlichen Bereichen schon früh der Lehmbau vor. Schließlich werden
in der Tabelle auch die einzelnen Stadien der Gesamtentwicklung deutlich — sie
führt vom Holzbau über den Lehmbau zum Ziegelbau. Das erhellen vornehmlich
die Angaben zu den westlichen Bezirken Romanati und Dolj. Diese Gebiete verloren
in dem genannten Zeitraum nicht nur viel von ihrer Holzarchitektur, auch die Zahl
ihrer Lehmhäuser sank z. T. beträchtlich ab.
In der Tabelle fehlen die Angaben zu den Bezirken der Dobrudscha. Von dort
liegen nur Feststellungen aus dem beginnenden 20. Jahrhundert vor, da diese Gebiete
im 19. Jahrhundert noch zum Türkischen Reich gehörten. Wie die nachfolgende Auf-
stellung beweist, erhärten ihre Angaben das zuvor Gesagte.
Bezirk Ziegel Steine Holz Lehm usw.
Tulcea 1,2 2,0 13,6 M 00
Constanta 3,4 18,1 1,3 70,0
Covurlui z,9 — 2,0 94,4
Das Haus der rumänischen Ebene ist in der Vergangenheit somit vornehmlich
ein Lehm- oder Holzbau — in dieser Form bildet das Haus die Brücke von der
karpatischen zur balkanischen Holzarchitektur. Sein Dach, ein Walmdach, ist auf-
fallend flach und von geringerer Höhe als die Wand. Das unterscheidet diese Gebäude
wesentlich von denen anderer rumänischen Landschaften, in denen das Dach höher,
zumindest aber ebenso hoch wie die Wand ist. Allgemein war das Dach der Ebene
während des 19. Jahrhunderts mit Stroh, Binsen oder Rohr gedeckt — Blech und
Dachziegel breiten sich erst gegen Ende dieses Jahrhunderts aus. Lediglich in der
Dobrudscha werden schon früh vielfach Hohlziegel als Bedachung angetroffen, sie
sind hier Beweis für die engen Beziehungen zur Balkanhalbinsel und zur mittelmeeri-
schen Welt während der türkischen Besetzung.
Wie wir bei unseren Feldforschungen feststellen konnten,4 sind die Häuser des süd-
lichen Rumänien (Abb. 2, Taf. 11) durch eine auffallend identische, weder durch
unterschiedliche Bevölkerung noch durch die Eigenart des Baumaterials beeinflußte
3 Paul Henri Stahl, Vechi case si biserici de lemn din Muntenia (Alte Holzhäuser und
-kirchen aus Muntenien). Studii si cercetäri de istoria artei 1963, Nr. 2.
4 Sowohl für die rumänische Architektur als auch für diejenige aus den anderen Regionen
werden wir nur einige Arbeiten, die uns für die Behauptungen unserer Studien bedeutend
erscheinen, erwähnen. Für die Bauernhäuser aus dem Süden Rumäniens nennen wir folgende
Arbeiten: Wilhelm Jänecke, Das rumänische Bauern- und Bojarenhaus. Bucuresti 1918;
Florea Stanculescu, Adrian Gheorghiu, Paul H. Stahl, Paul Petrescu, Arhitectura popularä
romäneascä. Dobrogea (Die rumänische Volksarchitektur. Dobrudscha). Bucuresti 1957;
dies., Arhitectura popularä romäneascä. Regiunea Ploiesti (Die rumänische Volksarchitek-
tur. Region Ploiesti). Bucuresti 1957; dies., Arhitectura popularä romäneascä. Regiunea
Bucuresti (Die rumänische Volksarchitektur. Region Bukarest). Bucuresti 1959; Paul
H. Stahl, Planurile caselor romänesti täränesti (Die Pläne rumänischer Bauernhäuser).
Sibiu 1958.
Zum Bauernhaus der Donauebenen im 19. Jahrhundert
73
Entwicklung gekennzeichnet. Sie verläuft allgemein wie folgt: der Ausgang ist
das Einraumhaus — der einzige Raum birgt den Herd, eine offene, ebenerdig ge-
legene Feuerstelle, über der sich ein breiter Rauchfang befindet und der den Rauch
des Herdes über das Dach hinausleitet.5 Dieser Raum dient gleichzeitig dem Schlafen,
Abb. 2. Haus aus Fierbintii de Sus (Muntenien). Nach Grigore Jonescu
der Vorbereitung des Essens, der Arbeit sowie der Aufbewahrung von Nahrungs-
mitteln und Gerät. Für das Gerät wird später ein Sonderraum ausgebaut, vor allem,
als nach dem Aufhören der ständigen Raubzüge die kulturellen Ansprüche wuchsen
— man fügte dem Einraum eine zusätzliche, als celar, kiler, seltener als cämarä
bezeichnete Kammer hinzu. Man betritt sie vom Herdraum her, der zunächst noch,
vor allem während der kalten Jahreszeit, Schlafstelle ist. Bald jedoch wird der ständig
im Raum befindliche Rauch lästig — die Kammer wird als Schlafplatz verwendet.
Mehr und mehr gewinnt in der Folgezeit die Kammer die Funktionen der Stube —
5 Eine eingehendere Beschreibung der Anlage des Herdes im Süden Rumäniens in:
Tancred Bänäteanu, Types d’âtres dans les villages roumains d’une des régions marécageuses
du Danube. Ethnographica 2 (Brno i960).
74
Paul Henri Stahl
sie erhält einen Ofen —, so daß schließlich wiederum als Kammer ein weiterer Raum
angefügt wird. Das Haus ist nunmehr dreiräumig geworden. Es enthält einen mitt-
leren Herdraum, in dem sich jetzt vorwiegend nur noch die zum Kochen benötigten
Geräte sowie wenige Schemel als Sitzgelegenheit befinden, ein meist rechts davon ge-
legenes Wohnzimmer, in dem die besten Möbel und die Textilien untergebracht
werden, sowie eine links des Herdraumes befindliche, anfangs nur kleine Kammer
ohne Ofen, die manchmal sogar fensterlos geblieben ist. Je mehr der Wohlstand
wächst, wird das Wohnzimmer — insbesondere seit hier auch die Ikonen Aufstellung
gefunden haben —, zum Repräsentationsraum, der fast nie benutzt wird und ledig-
lich den Gästen Vorbehalten bleibt. Gleichzeitig entwickelt sich die linke Kammer
zum Schlaf raum und schließlich zum alltäglichen Wohnzimmer. Von diesem Zeit-
punkt ab sind beide Zimmer heizbar. Da man jedoch noch immer eine Kammer
benötigte, wurde sie nun seitlich oder hinter dem Hause unter einer Verlängerung
des Daches angebaut (Taf. n). Ihre weitere Entwicklung während des 20. Jahrhun-
derts ist hier nicht mehr von Interesse.6
Der Herd im Mittelraum befindet sich an der hinteren Wand und nimmt häufig ein
Drittel des gesamten Raumes ein. Der Rauchfang über dem Herd — hogeag genannt
— ist aus luftgetrockneten Ziegeln, lehmverschmierten Ruten oder gebrannten
Ziegeln gefertigt — er führt durch den Dachboden zum Dach hinaus. Von der Raum-
decke ab verengt er sich und wird an seinem oberen Ende gewöhnlich durch ein
kleines, gewölbtes Ziegeldach mit zwei oder vier Seitenöffnungen abgedeckt, um
den Herd vor Regenwasser zu schützen. In Gebäuden mit seitlichem Wohnzimmer
kann sich die Feuerstelle auch in einer Ecke des Mittelraumes befinden, der als la foc,
d. h. am Feuer bezeichnet wird. Er unterscheidet sich immer wesentlich von dem
Eingangsraum in anderen rumänischen Gebieten, wo er tinda — Vorraum genannt
wird und stets nur ursprünglich unbewohnter Eingang ist. Die Öfen der Seiten-
zimmer des Flachlandhauses sind Hinterlader, sie werden vom mittleren Herd aus
durch die Wand hindurch geheizt. Im allgemeinen sind sie viereckig, selten nur
finden sich Öfen, die an die Rundöfen der Bojarenlandhäuser erinnern.7 So wird
von einer einzigen Feuerstelle das gesamte Haus beheizt. Die Heizeinrichtungen der
Seitenräume heißen sobä, d. h. Ofen; aber auch der Raum, in dem sich der Ofen be-
findet, wird als sobä oder la sobä, d. h. am Ofen, bezeichnet.
Neben dem vorbezeichneten, ebenerdigen Haus wurde in der ganzen Donauebene früher
nur noch der bordei angetroffen. Hierbei handelt es sich um eine archaische Hütte, die in den
Erdboden eingetieft ist und bei der sich nur das Dach darüber erhebt.8 Als Allgemeinerschei-
nung verschwindet diese Gebäudeform im 19. Jahrhundert, doch gestatten Beschreibungen
aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts die Etappen der Entwicklung dieses Typs zu rekon-
struieren. Auch hier steht am Beginn der Einraum, dessen Wände im östlichen Teil der
Ebene durch den bloßen Bodenlehm gebildet wurden, den man brannte und auf diese Weise
6 Die Entwicklung dieser Grundrisse ist beschrieben in Paul H. Stahl, Planurile caselor
romänesti täranesti (Die Pläne rumänischer Bauernhäuser) 2 7 ff.
7 Wilhelm Jänecke a. a. O. zeigt eine Reihe solcher Öfen.
8 Für die Verbreitung und die Entwicklung der Erdhütte vgl. Gheorghe Focsa, Elemente
decorative in arhitectura popularä din sudul regiunii Craiova (Dekorative Elemente in der
Volksarchitektur des südlichen Teils der Region Craiova). Studii si cercetäri de istoria artei
1955, Nr. 3—4 und 1956, Nr. 1 — 2 und Paul H. Stahl. Planurile .... 22ff.
Zum Bauernhaus der Donauebenen im 19. Jahrhundert
75
wasserdicht machte, der im wesentlichen zu jener Zeit noch waldreichen Teil jedoch mit
Eichenholzpaneel versehen wurde. Damit entspricht dieses Haus völlig dem Gebäude,
das durch Ausgrabungen für die frühen Epochen Rumäniens nachgewiesen werden kann.
Der Raum selbst enthält auf dem Lehmboden den niedrigen Herd, über dem ein breiter
Rauchfang den Rauch sammelt und aus dem Stroh-Erde-Dach hinausführt. Es fehlt ein
Backofen, was zu allgemeinem Gebrauch des test, der Backglocke, geführt hat.
Abgesehen von einem früh hinzugefügten, schräg in die Hütte hinunterleitenden Ein-
gangsraum erscheint wie bei den ebenerdigen Häusern als neuer Raum zunächst die Kammer.
Sie entsteht aus Aushöhlungen in den Wänden des Herdraumes, in denen Nahrungsmittel
und Gerät untergebracht wurden. Seltener wird die Kammer hinten an dem Herdraum,
gegenüber dem Eingang, angefügt, meist ist sie rechts davon gelegen. Auch die weitere
Entwicklung entspricht der des ebenerdigen Hauses, d. h. die Kammer wird in einen heiz-
baren Raum, in dem man schläft, umgewandelt und der Grundriß nach links hin um eine
zusätzliche Kammer erweitert. Doch wird diese Kammer seltener zum Wohnraum um-
gestaltet. In allen Fällen aber verbleibt der Herd im Mittelraum, während die übrigen Wohn-
räume stets durch Hinterladeröfen beheizt werden (Taf. 12). Als Brennmaterial finden hierbei
dünnes Reisig oder trockenes Gras, in Gebieten, in denen Wälder selten sind oder sogar
fehlen, getrockneter Tierdung, rumänisch tezec, Verwendung. Auch die Raumbezeichnun-
gen in den Erdhütten gleichen den zuvor aufgezeigten. So heißen der Mittelraum ebenfalls
la foc, die Heizeinrichtung und die heizbaren Wohnräume sobä, oder la sobä. Dient der Seiten-
raum lediglich als Kammer, wird er als celar oder als kiler bezeichnet. Abgesehen von gering-
fügigen Unterschieden, die sich aus der bautechnischen Eigenart der Erdhütten ergeben,
zeigen somit die Entwicklungsetappen wie die Raumbezeichnungen dieser Gebäude volle
Übereinstimmung mit denen der ebenerdigen Häuser.9
Auch die Gebäude der türkischen Minderheit in der Dobrudscha kennen diese Grund-
risse.10 11 Hier bestanden die traditionell errichteten Häuser meist aus zwei Räumen. Der erste,
der Herdraum, wurde aiat genannt, dort befand sich auch der übliche Rauchfang mit dem
Schornstein. Der Seitenraum, Schlaf- und Wohnraum, enthielt die guten Möbel und die
Haustextilien und wurde stets musterhaft rein gehalten sowie mittels eines Hinterladerofens
vom aiat her geheizt. Als besondere Eigentümlichkeit ist hier noch das Bad zu erwähnen,
eine Vertiefung neben dem Ofen, wo das Wasser auf die sich Waschenden geschüttet wurde
und von wo aus es durch eine besondere Öffnung in der Rückwand des Hauses hinausfließen
konnte — das Bad neben dem Ofen gestattete dessen Benutzung selbst während des kalten
Winters. Enthalten die Gebäude drei Räume, zeigen sie die gleiche Aufteilung wie die drei-
teiligen rumänischen Häuser.
Selbst die tatarische Minderheit,11 weniger zahlreich und erst in jüngerer Zeit in der
Dobrudscha angesiedelt, kennt die gleichen Grundrisse bei ihren alten Gebäuden. Vorherr-
schend ist das zweiräumige Haus mit einem Vorraum, der durch einen Hinterladerofen,
pesi genannt, geheizt wird — diese aus dem Ukrainischen entlehnte Ofenbezeichnung erinnert
an die Zeit, als die Tataren noch mit den Slawen zusammen in der Ukraine lebten —, sowie
mit dem aiat, dem Herdraum mit dem üblichen Schlot (hodjeahlic). Doch unterscheiden sich
türkische und tatarische Gebäude von den rumänischen äußerlich bereits in der Dachgestal-
tung. Ihnen fehlen die Walme, ihre aus Stroh oder Hohlziegeln gefertigten Dächer besitzen
Steilgiebel — die Wände der Gebäude sind überwiegend aus Lehm errichtet.
Bei den Türken, insbesondere aber bei den Tataren, fanden sich daneben Gebäude, in
denen mehrere Wohnungen mit gleichem Grundriß aneinandergereiht waren. Sie waren
9 Diese Verwandtschaft zwischen den Grundrissen der Erdhütten und der Häuser wird
auch von A. Vincenz in seiner Arbeit Tipuri de case täränesti din Oltenia (Typen von Bauern-
häusern aus Oltenien), Arhivele Olteniei (Die Archive Olteniens) Craiova 1931, hervor-
gehoben.
10 Paul Petrescu, Paul H. Stahl, Inriurirea vietii sociale asupra arhitecturii täränesti
dobrogene (Einflüsse des sozialen Lebens auf die ländliche Architektur der Dobrudscha).
Studii si cercetäri de istoria artei 1957, Nr. 1 — 2.
11 Siehe Fußnote 10.
76
Paul Henri Stahl
Eigentum einzelner Gruppen, bei denen noch gewisse Reliktformen der Großfamilie be-
wahrt wurden. In ihrer Einstöckigkeit weichen diese interessanten Langhäuser überdies von
den Stadthäusern der reichen Türken ab, die entsprechend balkanischer Gepflogenheit in
die Höhe gebaut sind und von deren Heizeinrichtungen bereits in der Mitte des vorigen Jahr-
hunderts Camille Allard12 berichtet: „Quelques-uns présentent leur foyer dans la salle même,
d’autres s’allument en dehors, et le courant d’air chaud ainsi que la fumée traversant tout un
système de colonnes creuses, échauffent l’appartement pour revenir ensuite au-dessus du
foyer et s’échapper par une cheminée verticale. Les vitres sont ordinairement scellées dans
le mur même.“
Der Westen der rumänischen Donaulandschaft grenzt an die Ebenen Ungarns
und Jugoslawiens, er umfaßt im Süden Teile des Banats, im Norden Teile Crisanas
und damit zwei Gebiete Transsilvaniens mit besonderer geschichtlicher Vergangen-
heit. Hier ist die Erforschung der Volksarchitektur komplizierter, weil die alten
lokalen Ausprägungen dort früh verschwanden.
Erfassungen der Baumaterialien der städtischen und dörflichen Gebäude13 aus
dem Ende des 19. Jahrhunderts zeigen hier folgendes Bild (in %):
Bezirk Ziegel/Steine luftgetrockn. Ziegel Holz
Totontal 6,67 91,91 1,42
Timis 10,27 66,75 22,98
Arad 7,16 44,77 48,17
Bihor 4,3° 53,69 41,02
Satumare 4,37 37,50 58,23
Diese Angaben erweisen noch für das Ende des 19. Jahrhunderts die weite Ver-
breitung der Holzbauweise, und das, obwohl zu jener Zeit, wie im Süden Rumäniens,
die Ebenen bereits größtenteils abgeholzt und Wälder nur noch am Fuß der Gebirge
anzutreffen waren. Auf diese Weise war in den Bezirken Arad, Bihor und Satumare
jeweils ein früh entwaldeter Teil, in dem Lehm oder Ziegel als Baumaterial ver-
wendet wurden, sowie ein waldreicher Gebirgsbereich, im dem noch immer die
Holzarchitektur überwog, zu unterscheiden. Dabei ist hier das Verschwinden der
Holzbauweise mit einem interessanten Wandel der Raumverteilung gekoppelt.14
Zusammen mit dem Wald zieht sich die alte transsilvanisch-rumänische Volksarchitek-
tur, die in ihrer Raumordnung der allgemein rumänischen gleicht, ins Gebirge zurück.
Mit der Übernahme neuer Baumaterialien erscheinen in der Ebene jetzt Grundrisse,
die denen aus den westlichen Bereichen, d. h. denen der Ebenen Ungarns und Nord-
serbiens ähneln. Im Banat ist diese Entwicklung noch schwieriger zu verfolgen,
hier wirken sich sowohl die wiederholten Kolonisationen durch die österreichische
Verwaltung — vor allem die Ansiedlung der Schwaben — als auch der Einfluß
der städtischen Architektur umgestaltend aus. Auch hier weichen die älteren Wohn-
12 Mission médiale dans la Tatarie Dobroutcha. Paris 1857, 34.
13 Magyar statisztikai kôzlemények. Az 1891 év elején végrehajtott népszamlalâs ered-
ményei. Épület statisztika (Ungarische Statistische Mitteilungen. Ergebnisse der zu Beginn
des Jahres 1891 durchgeführten Volkszählung. Baustatistik). Budapest 1893.
14 Petre Vancu, Monografia comunei Mäderat (Monographie der Gemeinde Mäderat)
beschreibt diese Veränderung der Wohnung.
Zum Bauernhaus der Donauebenen im 19. Jahrhundert
77
formen in die Täler der Gebirge, in die interkarpatischen Senken aus, wo sie dann
ebenfalls verschwinden, weil auch der dortige Rumäne sich daran gewöhnt, die
neuen Formen zu übernehmen. Und so kommt es auch hier wie in der gesamten
Donauebene schließlich zu den relativ jungen Erscheinungen des 19. Jahrhunderts.
Der erste Raum des Banater Hauses heißt allgemein cuinä,15 in ihm steht wiederum
der Herd. Zu ihm treten ein oder zwei Seitenräume, die als Wohnzimmer genutzt
und die wie üblich durch Hinterladeröfen geheizt werden. Sowohl die Öfen als auch
die Räume selbst werden als sobä bezeichnet, und zwar nach ihrer Lage zur Straße
oder zum Hof soba din fata (der vordere Ofen) bzw. sobä din spate (der hintere
Ofen) oder entsprechend ihrer Größe als soba mare (der große Ofen) und als
soba micä (der kleine Ofen). In letzterem Falle wird der größere Raum gewöhnlich
als „gutes“ Zimmer, der kleinere als Alltagswohnraum verwendet.
Im Unterschied zum Süden Rumäniens dient dem Funkenfang über dem Herd
zunächst ein rundes, lehmüberschmiertes Rutengeflecht — es befindet sich etwa in
Höhe der Zimmerdecke (auch wenn diese fehlt) und entspricht einer ähnlichen Vor-
richtung im Norden und Osten bei den Rumänen aus der Hunedoara.16 Aus diesem
Geflecht heraus leitet dann der eigentliche Rauchfang den Rauch zum Dach hinaus.
Als weitere Feuerstätte findet sich in manchen Häusern innerhalb des Wohnraumes
ein Backofen. Auch er wird vom Herdraum her geheizt und dient allgemein sowohl
zum Vorbereiten als auch zum Erwärmen der Speisen. Zwar findet man einen Back-
ofen gewöhnlich auch in den rumänischen Häusern anderer Gebiete, dort aber ist er
stets Vorderlader und hat damit seine Feueröffnung im Wohnraum selbst.
Auch die Bevölkerung deutscher Abstammung17 im Banat, die Schwaben, kennt
bei ihren Gebäuden die gleichen dreiteiligen Grundrisse, nur bewahrte sie für die
einzelnen Räume die deutschen Bezeichnungen, und zwar Küche für den Mittelraum,
Stube bzw. Kammer für die Seitenräume sowie Herd, Ofen und Backofen für die ver-
schiedenen Feuerstätten.
Das Dach des Hauses im Banat und in der Crisana unterscheidet sich wesentlich
von dem der sonstigen rumänischen Gebiete (Taf. 1 z). Zunehmend verbreitete sich
in beiden Landschaften der Steilgiebel und der Kröpelwalm — sie müssen als städti-
scher und deutscher Einfluß angesprochen werden. Immer stärker verdrängt wird
das typisch rumänische Dach,18 das Walmdach, es zieht sich vor dem vorrückenden
Steilgiebel und Kröpelwalm weiter und weiter in abgelegene Gebirgsgegenden
zurück.
Auch das westliche Rumänien kannte, vor allem in tiefer gelegenen Landschaften der
Ebene, die Erdhütte, doch ist diese hier zomonifä genannte Behausung bereits frühzeitig
verschwunden — schon im 18. Jahrhundert findet man sie im Banat nur noch selten. Von
15 Dieser Name in der Form cunie dringt in einigen seltenen Fällen auch in Oltenien ein,
wo aber die Benennungen la ogeac oder la foc vorherrschen (A. Vincenz, a. a. O.).
16 Vgl. R. Vuia, Le village roumain de Transsylvanie et de Banat. Bucuresti 1937.
17 Siehe Hans Hager, Die Lebensform der Banater Schwaben. Sitten und Gebräuche. In:
Banat. Das Deutschtum im rumänischen Banat. Dresden 1926.
18 Paul H. Stahl, Casa täräneasca la romäni in sec. XlX-lea (Das Bauernhaus bei den
Rumänen im 19. Jahrhundert). AnuarulMuzeului etnografic alTransilvaniei pe anii 1959 pinä
1961 (Jahrbuch des ethnographischen Museums Transsilvaniens für die Jahre 1959 —1961).
Cluj 1963.
78
Paul Henri Stahl
ihr sind allerdings die späteren, im Zuge der Wiederbesiedlung der Theißebene errichteten,
zeitweilig als Unterkünfte von Hirten und Landarbeitern benutzten Erdhütten zu unter-
scheiden — als ausgesprochene Rudimentärerscheinungen interessieren diese in unserem
Zusammenhang nicht.
II
Nordost-Bulgarien besitzt eine Landschaft mit Bevölkerung türkischer Abstam-
mung. Ethnisch ist diese interessante Gruppe mit der der rumänischen Dobrudscha
verwandt. Wieder zeigen ihre Wohngebäude, wie auch die der dortigen Gagausen
(eine vielfach untersuchte, wahrscheinlich aus schon im Mittelalter zum Christen-
tum bekehrten Türken bestehende Bevölkerungsgruppe) die für die rumänische
Dobrudscha bereits gekennzeichnete Aufteilung. Auch die Entwicklung ist die
gleiche: an den ursprünglich einzigen Raum, den Herdraum, fügte man einen sobä
genannten Seitenraum mit Hinterladerofen an. Wird ein weiterer Seitenraum an-
gehängt, entsteht der immer erneut festgestellte symmetrische Grundriß. Doch er-
scheinen daneben bisweilen spezielle Ausbildungen. In ihnen werden die Seiten-
räume zweifluchtig aufgeteilt, von diesen wiederum enthalten die Vorderräume einen
Herd — ihre Rauchfänge stützen sich auf die mittlere Trennwand —, die rückwärti-
gen Räume einen Hinterladerofen. Auf diese Weise besitzen solche Häuser zwei,
manchmal sogar mit der Feuerstelle im Mittelraum drei voneinander getrennte
Herdanlagen. Außerdem v erden bisweilen Doppelhäuser, zwei im Grundriß ähn-
liche, unter einem Dach zusammengezogene Gebäude, angetroffen. Diese ähneln den
Langhäusern der Türken und Tataren in der rumänischen Dobrudscha. Schließlich
macht Vasil Marinov,19 der sich eingehend mit dem Leben in den türkischen Dörfern
beschäftigt hat, auch noch auf Erdhütten in diesem Gebiet aufmerksam, die jedoch in
unserem Jahrhundert als Wohnungen bereits aufgegeben sind und nur noch als
Unterkünfte für Tiere dienen.
Ähnliche Wohnformen verwendet auch die bulgarische Bevölkerung dieser
Landschaft, der bulgarischen Dobrudscha. So weist GeorgiKozuharow20 auf Grund-
risse von zweiräumigen Erdhütten hin, die die gleiche Aufteilung kennen: den
Herd im ersten Raum, den Hinterladerofen im zweiten, als Wohnstube genutzten
Raum. Für die ebenerdigen Häuser ist dieselbe Entwicklung charakteristisch: vom
Herdeinraum zum zwei- oder dreiräumigen Grundriß (Abb. 3), doch findet sich
daneben auch bei den Bulgaren die zweifluchtige Aufteilung der Seitenräume mit
dem Herd auf der einen, dem Hinterladerofen auf der anderen Seite der mittleren
Trennwand. Im Außenbild erscheinen wiederum verschiedene balkanische Merkmale,
darunter die je nach der Zahl der Seitenräume voneinander differierende Form des
Flurgangs sowie das gewöhnlich mit Hohlziegeln gedeckte sehr flache Dach über den
aus gebrannten oder luftgetrockneten Ziegeln oder aus Wellerwerk erstellten Wän-
den.
19 Принос към изучването на бита и културата на турците и гагаузитев североиз-
тогна България (Beitrag zur Untersuchung der Lebensweise und Kultur der Türken und
Gagausen in Nordostbulgarien). Sofia 1956. Die Arbeit enthält auch eine reiche, dieses
Gebiet betreffende Bibliographie.
20 Добруджанската къща (Комплексна научна добруджанска експедиция през 1954
година) (Das Dobrudscha-Haus [Komplexe wissenschaftliche Dobrudscha-Expedition des
Jahres 1954]). Sofia 1956.
Zum Bauernhaus der Donauebenen im 19. Jahrhundert
79
Die gleiche Raumordnung des Hauses setzt sich durch die gesamte bulgarische
Donauebene21 bis an die Grenze von Jugoslawien fort. Sie findet sich hier sowohl
bei den Bulgaren selbst, die die Mehrzahl der Bevölkerung darstellen, als auch in den
wenigen rumänischen Dörfern in der Nähe des Timok- und des Lom-Tales. Überall
wird auch der mit Hinterladerofen geheizte Raum als soba bezeichnet, in den kleinen
bescheidenen wie in den mehrere Stockwerke umfassenden Gebäuden — das Haus
kann auf diese Weise somit gleichzeitig mehrere soba, d. h. Wohnzimmer, enthalten.
Stefana Georgieva Stojkova22 hat die Einrichtung der bulgarischen Feuerstätte
eingehend beschrieben. Immer wieder verzeichnet sie die gleiche Abfolge: den Herd,
ogniste genannt, im ersten Raum, den Hinterlader, als pecica bezeichnet, bisweilen
dazu noch einen Backofen im zweiten Raum. Die Kennzeichnung dieses zweiten
Raumes ist fast immer wieder soba, doch scheint dieser Terminus in der Nähe des
Balkangebirges trotz Beibehaltung des gleichen Heizungssystems seltener zu werden.
Beispiele hierfür sind bekannt geworden aus der Nähe von Russe, Vratta, Gabrovo,
r
Silistra, Kazanlik, Trjavna, Lovec, Samokov, Arbanasi. Im südlichen Bulgarien
verschwindet dann neben dem kennzeichnenden Namen für den Wohnraum auch
der Hinterlader, wenn auch der Herd mit dem großen Rauchfang noch im mittleren
Raum verbleibt.
Dem rumänischen Oltenien und dem westlichen Muntenien gegenüber wurden auch auf
der bulgarischen Seite der Donauebene in großer Zahl Erdhütten angetroffen. Sie wurden
insbesondere von Guncio Guncev23 erforscht und von ihm in vier Gruppen unterteilt. Die
Gruppen des Lom-Tales, die der Umgebung von Nikopol sowie die als kridnavska be-
zeichneten, alle nahe der Donau gelegen, sowie eine vierte, von der Donau entferntere, um
Pleven herum befindliche, die sich von den zuvor genannten nicht nur durch eine andere
21 Hristo Vakarelski, Etnografia Bulgarii (Ethnographie Bulgariens). Wroclaw 1965;
Georgi Kozuharov, Тарагаселска къща в северозападнаБългария (Комплекснанаучна
експедиция в северозападна България през 1956 (Das alte Bauernhaus in Nordwest-
bulgarien [Komplexe wissenschaftliche Expedition nach Nordwestbulgarien des Jahres
1956]). Sofia 1958; Paul Petrescu, Observation on folk art in Timoc. Revue des Études
sud-est européennes 1963, Nr. 3—4.
22 Огнището в български бит (Die Feuerstelle im bulgarischen Volksleben). Sofia 1956.
23 УземнигЬ къщи в Дунавска България (Die Erdhütten im bulgarischen Donaugebiet).
Sofia 1934. Die Arbeit enthält auch eine Bibliographie zu diesem Problem.
80 Paul Henri Stahl
Raumordnung ihrer Gebäude, sondern auch durch das Fehlen des Hinterladerofens und des
Terminus soba für den Wohnraum. Im Lom-Tal hat die Nachbarschaft einiger rumänischer
Dörfer Veranlassung gegeben, der Erdhütte hier die Bezeichnung bordei beizulegen, während
im übrigen Bulgarien derartige Bauten zemnic genannt werden.
Im Norden Serbiens,24 besonders in Voivodina, d. h. in der Fortsetzung der
rumänischen Banatebene, verschwinden sowohl die Merkmale des balkanischen
Walmdaches als auch die Eigenarten der für Westrumänien und Ungarn üblichen Steil-
giebel. Vielmehr erinnert die Giebelgestaltung in ihrem mittels Verputz gewonnenen
Dekor nunmehr an städtische Barockmuster, wie sie in Österreich während des
18. und 19. Jahrhunderts verbreitet waren. Dabei sind diese Architekturformen hier
an kein Ethnikum gebunden, sie finden sich sowohl bei der serbischen Bevölkerung
Abb. 4. Haus aus Raica (Nord-Serbien). Nach Branislav Kojiß
als auch bei den deutschen und rumänischen Minderheiten sowie bei der slawischen
Hera-Gruppe. Die innere Ordnung der Gebäude entspricht der der bislang be-
schriebenen. Wieder betritt man das Haus durch den ersten Raum, die kucia, in
dem der Herd seinen Platz hat und in dem das Essen bereitet wird. Von ihm gelangt
man in einen zweiten, den soba genannten Wohnraum mit dem Hinterlader, dem
peci. Einige dieser Öfen sind aus viereckigen oder runden Kacheln gefertigt, ähnlich
denen, wie sie in städtischen Wohnungen angetroffen werden. Im allgemeinen domi-
niert der rechteckige Querschnitt der Öfen, doch begegnet man auch solchen mit
rundem Querschnitt, wie sie in Ungarn üblich sind. Ist ein dritter Raum vorhanden,
ist er zunächst klet, d. h. Kammer, wird aber nicht selten später ebenfalls heizbare,
bewohnte soba (Abb. 4).
Die Wände der Gebäude sind aus Lehm oder gebrannten Ziegeln, die Dächer mit
Rohr, Hohlziegeln oder anderen Dachziegeln gedeckt. Wohl spielten bei der Ver-
24 Aleksander Deroko, ПокуЬанство у CTapoj cpncKoj сел>ачко] куЬи (Hausgerät in
einem alten serbischen Bauernhaus). Zbornikradova,Beograd 1951 —1952; ders., фолклорна
архитектура у Лугославир! (Volksarchitektur in Jugoslawien). Beograd 1964; Branislav
Kojic, Old lay architecture in Serbia. Jugoslavia 1957, Nr. 13; ders., Seoska arhitektura
(Ländliche Architektur). In: The Hera in Banat. Novisad 1958; Herbert Michaelis, Beiträge
zur Kulturgeschichte des Südbanats und Nord-Serbiens. Berlin 1940.
Bauernhaus mit Vordach und hinterem Anbau. Gurbanesti, Valea Motistei,
Muntenien
Tafel
Bauernhaus mit Vorlaube. Vasolati. Muntenien
Tafel 12
Dorfstraße mit charakteristischer Frontgestaltung. Liubcova4 Banat
Herd mit Hinterladeröffnung im Mittelraum einer Erdhütte
Dräghiceni, Süd-Oltenien (Museum des Dorfes, Bukarest)
Zum Bauernhaus der Donauebenen im 19. Jahrhundert
81
Wendung der verschiedenen Materialien sowohl der Zeitpunkt der Errichtung als
auch die finanziellen Möglichkeiten der Bauern eine bedeutende Rolle, sie beeinfluß-
ten jedoch nicht die Grundform des auf gezeigten Raumsystems.
In ihrem äußeren Erscheinungsbild unterscheiden sich die Gebäude Nordserbiens
wesentlich von denen Südserbiens.25 Wie bereits gesagt, zeigen die ersteren in ihren
Giebeln zahlreiche Schmuckelemente der in den Städten Mittel- und Westeuropas
entwickelten Barockkunst. Demgegenüber finden sich an den Häusern des gebirgigen
Südens archaische Elemente bewahrt — hier wird auch noch das traditionelle Walm-
dach angetroffen. Es erweist sich somit ebenso wie in Rumänien auch in Serbien
oder Bulgarien und Ungarn, daß solche Differenzen nicht auf unterschiedliche
Ethnika zurückzuführen sind, sondern, wie weiter unten gezeigt werden wird, durch
unterschiedliche historische Prozesse bestimmt werden, denen das gleiche Volk in
seinen einzelnen Landschaften unterworfen war. Dabei muß andererseits allerdings
betont werden, daß trotzdem innerhalb der Architektur jedes dieser Völker stets
eigene Merkmale erkennbar bleiben, die uns jedoch in unserem Zusammenhang
nicht interessieren.
Auch Serbien kannte früher Erdhütten26 sowie in den Löß gegrabene Behausungen,27
die teilweise bis ins 20. Jahrhundert benutzt wurden. Wie in Rumänien und Bulgarien ähneln
auch diese in ihrer Raumordnung den ebenerdigen Häusern — sie sind meist zweiräumig
und umfassen einen Eingangsraum mit dem Herd, diekuhnia, sowie den eigentlichen Wohn-
raum mit dem Hinterlader, die soba.
Eine auffallende Uniformität weisen die Wohngebäude der Donauebene Ungarns28
auf. Dank vieler Publikationen ist ihre Gestaltung gut bekannt, und wir können uns
daher auf wenige Angaben beschränken. Allgemein unterscheiden sich diese Gebäude
wesentlich von denen der ungarischen Minderheiten in den rumänischen Berg- und
Gebirgsgegenden. Wie in den bereits beschriebenen Gebieten finden sich auch in der
ungarischen Ebene neben den ebenerdigen Häusern Erdhütten, manchmal gehen
die letzteren den ersteren vorauf. In allen scheint auch jene Raumform zu dominieren,
die uns bislang immer wieder entgegentrat. Nur die Bezeichnungen differieren zu
einem Teil. So heißt der erste Raum mit dem Herd und dem oft umfangreichen
Rauchfang hier konyha, was soviel wie Küche bedeutet, doch wird der zweite, ge-
wöhnlich durch einen runden Hinterladerofen beheizte Raum ebenfalls als sobä
(ung. szoba) bezeichnet (Abb. 5). Ist der dritte Raum nicht heizbar und dient er der
25 Branislav Kojic, Old lay a. a. O.
26 Eine alte interessante Beschreibung ist von Mr. le Comte Louis Ferd. de Marsigli,
Description du Danube Bd. I (La Haye 1744) 25 veröffentlicht.
27 Raiko Nikoliö, Stanovi u lesu u Voivodini (Wohnungen im Wald in der Voivodina).
Zbornika, Novisad 1956.
28 A magyar neprajza (Die ungarische Volkskunde). Budapest 1941; Istvan Györffy
Magyar falu, magyar häz (Ungarisches Dorf, ungarisches Haus). Budapest 1943; Imre
Perenyi, Läszlö Vargha, Antal Karolyi, A magyar falu epiteszete (Die ungarische Dorf-
architektur). Budapest 1955; A Fertövidäk näpänek ¿pitäszete (Die Volksarchitektur von
Fertövidäk). Budapest 1937; Läszlö Miskolcz, Läszlö Vargha, A Nagykunsäg videk nepenek
epitäszete (Die Volksarchitektur des Gebietes Nagykunsäg). Budapest 1943; Läszlö
Vargha, A magyar paraszthäz alakuläsa, vältozäsa ¿s fejlodese tanulsägai mai epiteszetünk
szämära (Die Lehren der Entstehung, Wandlung und Entwicklung des ungarischen Bauern-
hauses für unsere heutige Architektur). Budapest 1957.
6 Volkskunde
82
Paul Henri Stahl
Lagerung von Nahrungsmitteln und Geräten, so trägt er den Namen karnra. Aus
Ziegeln oder Lehm errichtet, mit Rohr oder Dachsteinen gedeckt, weisen diese
Gebäude der ungarischen Ebene an ihren Steilgiebeln ganz besonders alle jene
Elemente auf, die für die städtische Barockarchitektur Mitteleuropas so charakteri-
stisch sind.29 Zu nennen sind darunter vor allem Vorbauten mit Säulen und Arkaden,
Inschriften oder Putzverzierungen.
Abb. 5. Haus aus Kunmadaras (Nordost-Ungarn). Nach Laszlö Vargha
Die ungarischen Erdhütten schließlich, die putri,30 weichen, falls es sich nicht
um temporäre Wohnungen handelt, in ihren Grundrissen nicht von dem üblichen
Schema ab — sie sind, wie dergleichen Bauten meist, zweiräumig und besitzen neben
dem Wohnraum mit dem Hinterladerofen den Eingangsraum mit dem rauchfang-
überdeckten Herd.
29 Laszlö Vargha, Törteneti stilusok a magyar nöpi epiteszeteben (Az epitöipari ¿s köz-
leked^si müszaki egyetem tudomänyos közlemenyei) (Historische Stile in der ungarischen
Volksarchitektur. [Wissenschaftliche Mitteilungen der technischen Universität für Bau-
wesen und Verkehr]). Budapest 1964.
30 A magyar neprajza (Die ungarische Volkskunde). Budapest 1941; Istvän Györffy,
a. a. O.; für die Temporärwohnungen vgl. Marietta Boross, Adatok a czanyi felesdinnydsek
¿s kultüräjanak alakuläsähoz (Angaben über die Gestaltung der Lebensweise und Kultur
der Csänyer Melonen-Halbpächter). Ethnographia 70 (1959) Nr. 4. Eine Reihe wertvoller
Informationen haben wir von Dr. Laszlö Vargha erhalten, wofür wir ihm dankbar sind.
Zum Bauernhaus der Donauebenen im 19. Jahrhundert
83
III
Versuchen wir nunmehr die Ergebnisse unserer voraufgehenden Darstellung
zusammenzufassen, so sind es im wesentlichen folgende:
Alle in den Donauebenen anzutreffenden Gebäude des 19. Jahrhunderts weisen in ihrer
Raumordnung auffällige Übereinstimmungen auf (Abb. 6).
a) Der erste Raum des Hauses, der ursprüngliche Einraum, birgt stets den Herd. Im
19. und selbst noch im 20. Jahrhundert befindet sich über dem Herd ein breiter Rauchfang,
welcher den Rauch über das Dach hinausleitet.
b) Der zweite Raum, welcher zunächst der Unterbringung der Lebensmittel und ver-
schiedener Geräte dient, wird im Laufe der Zeit zu einem durch Hinterladerofen beheizten
Wohnzimmer.
c) Wird ein dritter Raum angefügt, so wird auch dieser zunächst als „kühle Kammer“
genutzt, doch wird auch er im allgemeinen später zur Wohnstube, und zwar zum alltäg-
lichen Wohnraum, während das erste Wohnzimmer vor allem den Gästen Vorbehalten
bleibt. In dieser letzten Entwicklungsphase ist das Haus somit dreiräumig, es besitzt einen
mittleren Herdraum sowie zwei seitliche Zimmer, die man vom Mittelraum her betritt.
d) Das Herd Vorgelege, welches sich im hinteren Teil des Mittelraumes befindet, bildet
in manchen Fällen einen nahezu selbständigen Raum, der von einem breiten, zunächst aus
lehmbeworfenen Ruten oder aus luftgetrockneten Ziegeln, später aus gebrannten Ziegeln
errichteten Rauchfang gänzlich überdeckt ist. In diesem Raum, dessen Fußboden manchmal
mit Ziegelsteinen ausgelegt sein kann, wird gekocht. Hier ist seitlich unten eine Öffnung für
die Beheizung des Hinterladerofens, weiter oben eine zweite Öffnung, durch die der Rauch
aus dem Ofen zurück in den Rauchfang geführt wird. Sind in dem Hause zwei Öfen vorhan-
den, finden sich die genannten Öffnungen an t fiden Seiten des Herdraumes.
e) Die Bezeichnungen der einzelnen Räume sind sehr interessant. So heißt der erste Raum
bei den Südrumänen la foc, was besagt, daß in diesem Raum Feuer gemacht wird; bei den
Bulgaren kästi, was soviel wie Haus bedeutet und jedem Erstraum in Bulgarien beigelegt
wird; bei den Rumänen der westlichen Ebene cuinä, was den Raum als Küche kennzeichnet;
bei den Serben kucia, was wiederum allgemein Haus bedeutet; bei den Schwaben Küche,
was die Funktion dieses Raumes trifft; sowie bei den Ungarn konyha, was ebenfalls den
Küchencharakter dieses Raumes umreißt. Der zweite Raum, der heizbare Wohnraum,
trägt bei Rumänen, Bulgaren, Ungarn, Serben und Türken dieselbe Bezeichnung, er wird
überall soba genannt, lediglich bei den Schwaben heißt er Stube. Bei den Rumänen bedeutet
sobä auch Heizofen. Dient der dritte Raum nur als Kammer, wird er bei den Rumänen als
celar oder kiler, seltener als cämarä, bei den Bulgaren und Serben als kiler, bei den Ungarn
als kamra bezeichnet. Ist dieser Raum jedoch Wohnraum, heißt er ebenfalls bei allen Völkern
der Donauebene, ausgenommen bei den Schwaben, durchweg sobä.
f) Das Baumaterial des 19. Jahrhunderts ist der Lehm, sowohl in der Form der einfachen
Lehmwand oder der gewellerten Wand als auch als Wand aus gebrannten Ziegeln. Bis in
die erste Hälfte dieses Jahrhunderts, als die Wälder noch größere Ausdehnung besaßen, be-
stand auch in den später abgeholzten Gebieten eine Holzarchitektur — das betrifft ins-
besondere Rumänien in seinem südlichen und westlichen Teil. Das Zurückweichen der Wäl-
der ist mit dem Übergang zu den beschriebenen Gebäudeformen gekoppelt.
Überall geht die Erdhütte den ebenerdigen Wohngebäuden voraus oder findet sich
zu gleicher Zeit neben ihnen.31 Raumordnungen und Benennungen sind die gleichen,
31 Zum Studium über die Erdhütten aus diesem Gebiet vgl. man auch Werner Butler,
Pits and Pit-dwellings in South-East Europe. Antiquity, Gloucester, March 1936.
6*
84
Paul Henri Stahl
wenn auch auf Grund der unterschiedlichen Bautechnik gewisse Differenzen be-
stehen.
Allerdings werden einzelne der aufgezeigten Raumeigenarten außerhalb der
Donauebene ebenfalls angetroffen. So war z. B. früher auch im südlichen Gebirgs-
land Rumäniens ein mehrräumiges Haus anzutreffen — in ihm war aber nur ein einzi-
ger Raum heizbar und jeder hinzugefügte Nebenraum mit einem eigenen Außen-
eingang versehen. Von dem Zeitpunkt an jedoch, an dem man für den Seitenraum
den Hinterladerofen übernahm, erhielten nunmehr auch Herdraum und Wohnraum
eine innere Verbindungstür.32 Doch gilt diese Entwicklung nur für Nordoltenien und
JL
Abb. 6. Die Entwicklung des Bauernhauses der Donauebenen im 19. Jahrhundert
1 = Herdraum 2 = Kammer 3 = Wohnzimmer mit Hinterladerofen
das Gebirge des Banats, d. h. für die näher zur Donauebene hin gelegenen Gegenden,
wobei noch zu vermerken ist, daß trotz dieser Raumveränderung in Nordoltenien
das traditionelle Walmdach beibehalten wurde. Ähnliches trifft für das im Blockbau
errichtete, mit Walmdach versehene Haus Bosniens33 zu, das in jüngerer Zeit eben-
falls aus einem Raum mit Herd, dem kä$ti, und einem Wohnraum mit Hinterlader,
der soba, besteht.
32 Paul H. Stahl, Planurile ... 3 5 ff.
33 Rudolf Meringer, Das deutsche Haus und sein Hausrat. Leipzig 1906, 27 und 98;
Nikola F. Pavkovic, Kuca, pokucstvo i privredne zgrade (Haus, Mobiliar und zusätzliche
Gebäude). Glasnik zemaljskog muzeja u Sarajevu, Etnologija 1962, beschreibt solche
Wohnungen — in diesem Werk befindet sich auch eine Bibliographie dieses Problems.
Zum Bauernhaus der Donauebenen im 19. Jahrhundert
85
Selbst die Bezeichnung soba für den Wohnraum ist in ganz Ungarn, Jugoslawien
und Bulgarien gebräuchlich. Zachari Dimitrov definiert sie daher auch wie folgt:
„Chambre avec cheminée où poêle que l’on allume ordinairement du côté de kachti.“ 34
Demgegenüber wird dieser Raum in Rumänien nur im Banat, in Crisana, in Süd-
oltenien — teilweise aber auch im Norden dieses Gebietes in den Bezirken Mehedin^i
und Gorj —, in Südmuntenien und in der Dobrudscha soba genannt. Doch wird
dieser Terminus in ganz Rumänien verwendet, um eine Heizungseinrichtung zu
bezeichnen, ganz gleich, ob es sich dabei um einen Vorderlader- oder einen Hinter-
laderofen handelt. Wahrscheinlich ist weiter, daß diese Bezeichnung in Bukarest be-
reits gegen Ende des 17. Jahrhunderts für die Öfen der Bojarenhäuser aufkam, zu
einer Zeit also, als in den Bauernhäusern solche Heizungseinrichtungen noch un-
bekannt waren.35 36 Wenn auch dieses Wort bei den Türken in der Dobrudscha in dieser
Bedeutung nicht anzutreffen ist, gelangte es dennoch in die Türkei selbst. So wird
im Nouveau dictionnaire turc-françaiss6 auf Seite 822 das Wort soba mit poêle
übersetzt. Weiter wird im Türkce Sözlük37 auf Seite 527 der Terminus soba als Heiz-
oder Kochapparat verstanden. Und schließlich stellt Radloff38 fest, daß in der os-
manisch-türkischen Sprache soba sowohl den Ofen (im Zimmer wie auch den Back-
ofen), einen Raum mit einem Ofen als auch — auf der Krim — die Badestube zu
bedeuten vermag.
Wie aber sind nun die von uns herausgestellten Übereinstimmungen in der Volks-
architektur der Donauebenen zu erklären? Eine eindeutige Antwort zu geben, ist
ohne Zweifel schwer, doch lassen sich fraglos einige Faktoren herausstellen, wie sie
uns u. a. von den Ergebnissen der Geschichte, der Soziologie und der Anthropo-
geographie an die Hand gegeben werden.
a) Als bedeutsam für die Identität einiger der aufgezeigten Elemente müssen Ent-
lehnungen auf Grund interethnischer Beziehungen zwischen den Völkern entlang
der Donau angesprochen werden. Hierbei spielt dieser Wasserweg vor allem seit dem
1829 geschlossenen Frieden von Adrianopolis in wirtschaftlicher Hinsicht eine
nicht geringe Rolle. Als Binnenwasserweg verband er nunmehr den Südosten mit dem
Westen Europas, wobei als Exportartikel vor allem Getreide gefragt war. Die Folge
war ein rascher Umbruch in den bislang einzig den Hirten vorbehaltenen Land-
strichen. In zunehmendem Maße wurde der Boden nun ackerbaulich genutzt, die
reine Viehhaltung zurückgedrängt. So entstanden vor allem in Westrumänien Wirt-
schaften, die an die für die ungarische Pußta charakteristischen tanyos erinnern, an
jene Einzelhöfe, die ihr Entstehen der grundlegenden Veränderung des dörflichen
Lebens in den früher von den Türken besetzten Gebieten verdanken. Kein Wunder
34 Дърворезбената украса в къщата на Руси Чорбаджи (Holzgeschnitzte Verzierun-
gen im Hause von Rusi Corbadfci). Sofia 1956, 87.
35 So sagt Anton Maria del Chiaro Fiorentino, Istoria delle moderne rivoluzioni della
Valachia, con la descrizione de paese, natura, costumi, riti, e religione de gli abitanti, 1718,
31 : „Ha ogni camera la sua stufa che in Valaco appelasi soba. . .“.
36 2. Aufl. Istanbul 1935.
37 Istanbul 1945.
38 Versuch eines Wörterbuchs der Turk-Dialekte Bd. IV, 559. Petersburg 1911.
86
Paul Henri Stahl
also, daß der von Österreich im 19. Jahrhundert auf der Donau betriebene Handel
mit der Türkei, Bulgarien und Rumänien bedeutend war.39
b) In der Donauebene haben während der letzten Jahrhunderte bedeutende demo-
graphische Bewegungen stattgefunden. Sie sind auf verschiedene Anlässe zurück-
zuführen. So flohen Teile der serbischen Bevölkerung vor der türkischen Besetzung
nördlich über die Donau, und rumänische Gruppen setzten sich nach Süden, nach
Bulgarien und Jugoslawien ab, um den schweren Lebensbedingungen in ihrer
Heimat zu entgehen. Andererseits suchten immer wieder Bulgaren Siedlungsmöglich-
keiten jenseits der Donau im südlichen Rumänien. Schließlich eröffnete der Sieg der
Österreicher über die Türken in der Donauebene weithin eine Siedlungsbewegung,
an der sich neben Kolonisten aus dem Westen, vor allem Deutsche, auch serbische,
ungarische und rumänische Bauern aus der näheren Umgebung beteiligten.40 Alles
dies aber dürfte ohne Frage zur Vereinheitlichung und zur Verbreitung gewisser
Bauelemente beigetragen haben. Doch soll dabei nicht übergangen werden, daß sich
die Konvergenz der sofra-Erscheinung unter Umständen auch auf der Grundlage
einer lokalen Entwicklung ergeben haben könnte. Sowohl in Erdhütten als auch bei
ebenerdigen Häusern begegnet man Backöfen, die außerhalb des Gebäudes in die
Erde gegraben oder in einem Seitenraum aufgestellt waren und vom Herdraum her
beheizt wurden.41 Es wäre demnach denkbar, daß über dergleichen Backöfen der
Flinterladerofen entwickelt worden wäre, doch darf nicht vergessen werden, daß
auch in anderen europäischen Landschaften ähnliche Verbindungen zwischen Back-
ofen und Herdraum bestanden, ohne daß es hier weder zur Ausbildung der soba-
Einrichtung noch zu einer ähnlich gemeinsamen Bezeichnung dieser Vorrichtung
kam. Als Beispiele dafür wären u. a. der Norden der Slowakei, Ungarns und Rumäniens,
die transkarpatische Ukraine, Polen und selbst die baltischen Länder zu nennen.
c) Als bedeutender Faktor für die Ausbildung der Gemeinsamkeiten erscheint
uns weiter die Existenz zweier großer übernationaler Reiche in der Donauebene, des
türkischen wie des österreichischen. Sie dürften die Ausbreitung bestimmter Elemente
durch Schaffung gleichgearteter Lebensbedingungen außerordentlich begünstigt
haben. Hierbei spielte stets die Imitation städtischer bzw. herrschaftlicher Erscheinun-
gen eine besondere Rolle. So waren den Türken in Bulgarien und Jugoslawien
Heizungseinrichtungen bekannt, die in den Städten der Ebene sowohl bei den
Bojaren als auch bei den reicheren Kaufleuten anzutreffen waren. Dabei ist auf inter-
essante Grundrißbildungen im nördlichen Bulgarien und Jugoslawien in den als
„orientalisch“ bezeichneten Häusern42 hinzuweisen. Sie enthalten eine zentrale
39 Die Beschreibung F. Kanitz’, La Bulgarie danubienne et le Balkan. Études de voyage
1860 — 1880, Paris 1882, ist in dieser Hinsicht wichtig.
40 Francise Grisellini, Istoria Banatului Timisan (Geschichte des Temes-Gebiets im Banat).
Bucuresti 1926. Dt. Übers, von Nie. Bolocan.
41 Klara K. Csilléry, Historische Schichten in der Wohnkultur der ungarischen Bauern
(in: Europa et Hungaria, Budapest 1963) behandelt einige Probleme der Entwicklung der
ungarischen bäuerlichen Inneneinrichtung.
42 Paul Henri Stahl, Les vieilles maisons à étage de Roumanie. Les facteurs balkaniques
Revue des Études sud-est européennes. Bucuresti 1964, Nr. 3—4. Hier findet sich auch eine
Bibliographie zu diesem Problem.
Zum Bauernhaus der Donauebenen im 19. Jahrhundert
87
Halle mit Herd und Seitenräume mit Hinterladeröfen, die von Dienern in der Halle
beheizt wurden — es war daher nicht notwendig, daß die Diener die einzelnen
Wohnräume betraten. Derartige Hallen konnten bis zu vier Seitenräume besitzen,
wobei dann zwischen diesen Räumen schmale Flure mit eigenen Heizungsanlagen
lagen, so daß ein Gebäude mit kreuzförmigem Grundriß enstand. Häusern dieser Art
sind in Bulgarien Georgi Kozuharov,43 in Jugoslawien Alexander Deroko44 nach-
gegangen. Sie fanden Einflüsse dieser Bauweise in der Volksarchitektur ihrer Heimat
wieder, Hallen mit einem, zwei oder seltener mit drei Seitenräumen, d. h. als Anlagen,
die je nach dem finanziellen Vermögen des einzelnen Bauern nur gewisse Bruchteile
der Ausgangsform umfaßten (Abb. 7). Ähnlich wurden auch die charakteristischen
Heizungssäulen der Bojarenhäuser in die rumänischen und bulgarischen Dörfer über-
nommen. Doch blieben daneben gerade im Bereich der türkischen Herrschaft auch
einzelne traditionelle Elemente bewahrt, weil sie hier von der städtischen Architektur
ebenfalls gepflegt wurden. Zu denken ist dabei vor allem an das Walmdach. Ganz
anders im Herrschaftsbereich Österreichs und seiner umfangreichen Kolonisations-
bestrebungen. Dort war der westeuropäische Einfluß weit stärker. Hier wurde auch
eine große Anzahl schwäbischer Siedler angetroffen, deren Gebäude ähnliche Merk-
male aufwiesen. Und so ergaben sich hier Auswirkungen in den Architekturformen
der Giebel, im Zurückdrängen des Walmes oder in der Übernahme des Kachelofens.
Hinzu kommt die Auswirkung einer behördlich entwickelten und vorgeschriebenen
Architektur. Über sie orientiert bereits während des 18. Jahrhunderts Francise Grisel-
lini,45 die von ihm publizierten Risse stellen Gebäude dar mit großem zentralen, an die
Hinterseite gerückten Herd und mit seitlichem, vom Mittelraum her beheizten Wohn-
und Schlafraum.
____________
43 Das Entwicklungsschema dieser Grundrisse befindet sich in Към въпроса за произ-
хода и развитието на среднородопската къща (Zur Frage der Herkunft und Entwicklung
des Mittelrhodopenhauses). Известия на Института по градоустройство и архитектура
при БАН (Nachrichten des Instituts für Städtebau und Architektur bei der (Bulgarischen
Akademie der Wissenschaften). Sofia 1955, Nr. 7 — 8. Eine Reihe interessanter Zeichnungen
wurde von demselben Verfasser in: Вългарски къщи от епохатанавъзраждане (Bulgarische
Häuser aus der Zeit der [bulgarischen nationalen] Renaissance) Sofia 1955, veröffentlicht.
44 In Folklorna arhitektura u Jugoslaviji (Volksarchitektur in Jugoslawien), Beograd
1964, sind sowohl das Entwicklungsschema dieser Grundrisse als auch eine Reihe Zeich-
nungen städtischer Häuser aus verschiedenen Gebieten veröffentlicht.
45 Siehe Anm. 40.
88 Paul Henri Stahl
Der wirtschaftliche Aufschwung im Bereich der Donauebene während des 19. Jahr-
hunderts, immer wiederkehrende Bevölkerungsbewegungen in diesem Gebiet sowie
die Existenz zweier übernationaler, nivellierender Reiche, vor allem des die ganze
Region umfassenden türkischen Reiches im 16. und 17. Jahrhundert, werden somit
wohl als die bedeutsamsten Faktoren für die Similität der Raumordnungen und
Raumbezeichnungen im bäuerlichen Hause des 19. Jahrhunderts in der Donauebene
angesprochen werden dürfen.
Haus- und Familienform in der Slowakei
Von SONA SvECOVÄ
In den letzten Jahrzehnten ist in der Hausforschung das Interesse für funktionale
Probleme gewachsen. Damit rückten auch die Fragen nach dem Einfluß der Fami-
lienform auf die Gestaltung des Wohnens und der Volksarchitektur in den Vorder-
grund. Beziehungen dieser Art beanspruchten vor allem dort Aufmerksamkeit, wo bis
in die jüngste Vergangenheit die Großfamilie anzutreffen war. Da in der Regel die
erweiterte Familie mehr Mitglieder aufwies als die Einzelfamilie, war man geneigt,
entsprechende Anpassungen der Volksarchitektur in baulicher und funktionaler Hin-
sicht anzunehmen. Wieweit diese Bedürfnisse tatsächlich die Gestaltung der Bau-
formen bestimmten, soll die folgende Untersuchung zeigen. Dabei wird das Problem
von zwei Seiten beleuchtet werden, von der sozialen Seite, d. h. von der Familien-
struktur her, und von der kulturellen Seite, d. h. vom Wohnmilieu her. Grundlage
der Untersuchung sind Ergebnisse eigener wie fremder Feldforschung über einen
zurückliegenden Zeitraum von 60 bis 70 Jahren, eine Begrenzung, die durch das
Alter der befragten Gewährsleute gegeben ist. Allgemein beschränken sich die Beob-
achtungen innerhalb der ländlichen Gebiete der Slowakei auf die kleinbäuerliche Be-
völkerung, die in der Vergangenheit nicht nur die Mehrheit darstellt, sondern auch
Schöpfer und Träger der gesellschaftlichen und kulturellen Eigenart der Nation
war.
I
Um den Einfluß der Familienformen auf Wohnen und Bauen in der Slowakei zu
umreißen, müssen zunächst deren Struktur und Größe dargestellt werden. Dabei
kann die nur aus Eltern und ledigen Kindern bestehende Einzelfamilie als allgemein-
bekannte Form übergangen werden. Lediglich Aufbau und Zusammensetzung der er-
weiterten Familien, wie sie noch in der jüngsten Vergangenheit im slowakischen
Dorf anzutreffen war, bedürfen eingehender Erläuterung.
Die Formen der erweiterten Familie in der Slowakei werden meist als „patriarcha-
lische Großfamilie“ bezeichnet, womit einerseits die Beziehungen innerhalb der Fa-
milie (patriarchalisch), andererseits deren Zusammensetzung (Großfamilie) charak-
terisiert wird. Sie umfaßte die Familie der Söhne (= Eltern) und deren Eltern
(= Großeltern) — in ihr bildeten somit Großeltern, Eltern und Kinder eine Einheit.
Doch muß betont werden, daß in ihr stets nur ein Großelternpaar vorhanden war,
daß somit die Familie sich jeweils in der nächsten Generation neu auf teilte, konnte sie
doch nicht bis ins Unendliche wachsen. In dieser speziellen Form trat die erweiterte
Familie den Forschern, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit deren Aus-
90
Sona Svecovà
prägung befaßten, in den ländlichen Gegenden entgegen.1 Allerdings zeigte sich in-
folge Verarmung der bäuerlichen Bevölkerung bereits zunehmend die Tendenz, in der
erweiterten Familie eine möglichst kleine Anzahl verheirateter Söhne zu belassen.
Doch blieb davon der rechtliche Anspruch eines jeden Sohnes, in der Familie der
Eltern zu bleiben und das unteilbare, gemeinsame Eigentum zu nutzen, bis in die
ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts hinein unberührt.
Starben die Großeltern, war das keineswegs Anlaß für deren verheiratete Söhne,
sich sogleich zu trennen, vielmehr konnten sie durchaus für eine bestimmte Zeit
weiterhin in der gemeinsamen Familie verbleiben. Diese Form der Großfamilie, in
der ein Großelternpaar nicht vorhanden ist, wird gewöhnlich als Brüderfamilie oder
Familie der nicht getrennten Brüder bezeichnet.1 2 Eine Trennung erfolgte jedoch
spätestens, sobald Enkel in diese Gemeinschaft hineingeboren wurden. Diese regel-
mäßige Wiederholung der Familienteilung von Generation zu Generation, einer der
charakteristischen Existenzprinzipien der Großfamilie, gewährleistete eine relative
Stabilität ihrer Struktur. Im allgemeinen überstieg somit die Mitgliederzahl einer er-
weiterten Familie während des 19. Jahrhunderts in der Slowakei im Durchschnitt
nicht zwanzig Personen.3
Allerdings waren im slowakischen Dorf Großfamilien mit einer Mitgliederzahl
von 15—20 Personen keineswegs die Regel. Weit häufiger waren Familien, in de-
nen nur 1—2 verheiratete Söhne verblieben und die somit weniger Köpfe zählten.
Hinzu trat der ständige Zerfall der Großfamilien in Einzelfamilien urd deren
erneutes Anwachsen zur Großfamilie. Innerhalb einer Gemeinde konnten daher zu
einem bestimmten Zeitpunkt niemals nur Großfamilien angetroffen werden, auch
dann nicht, wenn man von den Familien der Dorfarmut absieht, die Großfamilien
überhaupt nicht bildete, weil ihr die entsprechenden materiellen Grundlagen fehlten,
1 Die Großfamilie als Familie der Eltern und ihrer nicht getrennten Söhne behandeln
in der zweiten Hälfte und gegen Ende des vorigen Jhs mit Material aus verschiedenen Gebie-
ten der Slowakei J. L. Piö, Rodovy byt na Slovensku a v uhersk£ Rusi (Stammeswohnung
in der Slowakei und im ungarischen Rußland). Casopis Musea Kralovstvi öeskeho LII, 1878;
Boäena Nemcovä, Putoväni po Slovensku (Reisen durch die Slowakei). I, 1929, II, 1930, in
einer Sammlung von Artikeln aus den Jahren 1858 und 1859; Dusan Jurkoviö, Ciömanskd
gazdovstvo (Das Gut von Ciömany). Närodopisnä vystava ceskoslovanska. Hlavni katalog
a prüvodce (Tschechoslawische volkskundliche Ausstellung. Hauptkatalog und Ausstellungs-
führer). Prag 1895.
2 Die Brüderfamilie, bzw. die Familie der nicht getrennten Brüder, die beim Tode
der Eltern entsteht, charakterisiert J. L. Piö als eine besondere Form der Großfamilie. Er
grenzt sogar die Gebiete in der Slowakei ein, in der die Familie der ungetrennten Brüder
vorkommt, d. h. wo sich die Geschwister nach dem Tode der Eltern nicht trennen (a. a. O.
193)-
3 Auf Grund von Terrainuntersuchungen sowie an Hand der Literatur können wir die
Zahl der Familienmitglieder einer Großfamilie auf maximal zwanzig schätzen. Liegen Be-
richte über eine größere Zahl von Mitgliedern vor, ergibt sich bei näherer Überprüfung der
Quelle, daß es sich dabei nicht um eine Familiengemeinschaft, sondern um eine Wohn-
gemeinschaft verwandter, aber getrennter Familien handelt. Die meisten Angaben über die
Zahl von Mitgliedern der Wohngemeinschaft, die irrtümlich als Familiengemeinschaft
interpretiert wird, bringt Otakar Nahodil, K otazce dejin rodinndho spoleöensjivi na Slo-
vensku (Zur Frage der Geschichte der Familiengemeinschaft in der Slowakei). Cesky Lid 6
(1951) 74. Vgl. auch Anmerkung 13.
Haus- und Familienform in der Slowakei
91
um die Familien der Söhne an die väterliche Familie zu binden. Auch die Durch-
schnittszahlen für die Bewohner eines Hauses aus dem Jahre 1900 beweisen, daß zu
jener Zeit im slowakischen Dorf keineswegs ausschließlich Großfamilien vorhanden
waren. So betrug beispielsweise die durchschnittliche Bewohnerzahl eines Hauses
und damit die durchschnittliche Mitgliederzahl einer Familie in der mittelslowa-
kischen Gemeinde Detva 8,57,4 im südslowakischen Martos 4,83,5 in Öabradsky
Vrbovec 5,92.6 Ähnliche Angaben über Familien mit durchschnittlich 6—6,5 Per-
sonen liegen aus ostslowakischen Dörfern vor, in denen Großfamilien untersucht
wurden.7 Diese und weitere Beispiele aus den Gemeinden, für die wir Beschreibungen
der Großfamilien aus annähernd dieser Zeit besitzen, sind somit Beweise für eine
geringere Mitgliederzahl der meisten Familien, wobei allerdings offenbleiben muß,
ob es sich im konkreten Falle um Einzelfamilien oder Großfamilien handelte.
II
Ohne die Mannigfaltigkeit der Grundrißbildungen zu ignorieren, darf als Grund-
form des ländlichen Wohnhauses in der Slowakei zu Beginn unseres Jahrhunderts
das dreiräumige Gebäude, das aus einer warmen und hellen Stube, einem kalten und
dunklen Flur und einer ebenfalls kalten und dunklen Kammer bestand, angesprochen
werden.8 Alle drei Räume sind meist axial hintereinander angeordnet (Abb. 1, Taf. 13).
4 Die Großfamilie in dieser mittelslowakischen Gemeinde beschreibt J. Pohl in seiner
Studie Zádruha na území detvanském na Slovensku (Die Hausgemeinschaft auf dem Gebiet
von Detva in der Slowakei). Sborník éeskoslovenské spoleönosti zemépisné III, 1924.
B Über die Großfamilie der südslowakischen Gemeinde Martos haben wir eine genaue
Beschreibung von Edit Fél, A nagycsalád és jogszokásai Martoson (Die Großfamilie und
ihre Rechtsbräuche in Martos). Budapest, Társadalomtudomány, 1943.^
6 Aus dem südlichen Teil der mittleren Slowakei, aus der Gemeinde Cabradsky Vrbovok,
wird ein kurzer Bericht über die Zahl der Tischgenossen gegeben von Jan Húsek, K otázce
zádruhy na Slovensku (Zur Frage der Hausgemeinschaft in der Slowakei). Sborník öesko-
slovenské spoleönosti zemépisné XXXI, 1925.
7 Eine Beschreibung der Großfamilie in der Ostslowakei bringt Otakar Nahodil in K
otázce o velkorodiné a jejím rozkladu u vychodoslovenskych Ukrajincü (Zur Frage der
Großfamilie und ihrer Auflösung bei den ostslowakischen Ukrainern). Ceskoslovenská
Ethnografie I, 1953, K problému rozkladu velkorodiny u vychodoslovenskych Ukrajincü-
(Zum Problem der Auflösung der Großfamilie bei den ostslowakischen Ukrainern). Uni-
versitas Carolina, Philosophica 1, 1955 und in anderen Beiträgen. In der letzten Zeit be-
schäftigte sich mit der ostslowakischen Großfamilie Nadezda Surkalová (Diplomarbeit im
Archiv der philosophischen Fakultät der Karls-Universität).
8 Die einzige — sehr übersichtliche — Synthese der Grundrißformen in der Tschecho-
slowakei liefert Vilém Prafcák in seiner Studie K problematice základních púdorysních typü
lidovych staveb v Ceskoslovensku (Zur Problematik der grundlegenden Grundrißtypen
bei Volksbauten in der Tschechoslowakei). Ceskoslovenská Etnografie 6, 1958. Aus einer
Karte bei Prazák ist ersichtlich, daß die vorherrschende Grundrißform in der Slowakei das
dreiräumige Haus mit Stube, Flur und Kammer darstellt. Weitere wichtige Arbeiten zu
diesem Thema: Westslowakei: Stefan Mruskovic, K niektorym problémom vyvoja l’udo-
vého domu a byvania v oblasti Záhorskej niziny (Zu einigen Problemen der Entwicklung
des Volkshauses im Gebiet der Záhorská nífcina). L’udové stavitel’stvo a byvanie na Slo-
vensku. Sborník stúdii (Volksarchitektur und Wohnen in der Slowakei. Sammlung von
Studien). Bratislava 1963. Südslowakei: Ján Mjartan, Novsie prispevky k vyskumu juho-
slovenského domu (Neuere Beiträge zur Erforschung des südslowakischen Hauses). Sloven-
92
Sona Svecovä
Für die Frage der Beziehungen zwischen Familien- und Bauformen sind gewisse Ab-
weichungen von diesem Typ, z. B. eine Reduzierung der Räume (Zweiraumhaus mit
Stube und Flur) oder eine Addition weiterer Räume (Vier- oder Fünfraumhäuser mit
Stube, Küche, Stube, Kammer usw.) unwesentlich, solange diese Räume nur von
einer Familie genutzt werden. Irrelevant ist in dieser Hinsicht auch die Zuordnung
der Räume, ob Flur-Stube-Kammer oder Stube-Flur-Kammer usw. Wesentlich ist
demgegenüber die Tatsache, daß überwiegend die gesamte Familie nur über einen
Abb. i. Grundrisse vom Kammer-Typ in der Slowakei: a) Westslowakei (Kosariska Nr. 6),
b) Mittelslowakei (Ciömany-Vrchovany), c) Ostslowakei (Trnava am Laborec Nr. 6)
I Stube II Flur III Kammer
warmen (d. h. heizbaren) und hellen Raum verfügt, in dem man aß, durchweg auch
kochte, schlief (vor allem im Winter), in dem man arbeitete und feierte.
Dabei ist zu betonen, daß für die Slowakei bislang kein Fall bekannt ist, in dem ein
direkter Einfluß der Familienform auf die Grundrißbildung nachzuweisen ist. Unter-
schiedliche Strukturen der Familien bedingen offensichtlich keine Abweichungen vom
Typus des dreiräumigen Hauses. Differenzen waren allenfalls in den Ausmaßen der
Räume greifbar, doch sind diese ohne Belang — sie betreffen nicht das Wesen des
sky Narodopis VIII, i960. Mittelslowakei: Viliam Prazak, Problem vzniku jednoposchodo-
v6ho domu v Ciömanoch (Das Problem der Entstehung des eingeschossigen Hauses in
Ciömany). Närodopisny Sbornik 2, 1941; Pavol Stano, L’udov6 stavitel’stvo v Rejdovej
(Volksarchitektur in Rejdova). Slovensky Narodopis 2, 1957. Nordslowakei: Drahomira
Stranska, Lidovä stavby na spisske Magure (Volksbauten in der Spisska Magura [Zipser
Gebirge]), Carpatica 1936. Ostslowakei: Vladimir Siöynskij, Drevend stavitelstvi na
„Makovici“ (Holzbauweise an der „Makovica“ [Berg in der Ostslowakei]). Närodopisny
vestnik öeskoslovansky 29, 1937.
Haus- und Familienform in der Slowakei
93
Typus, zumal auch auffällige Abweichungen in den Größen der einzelnen Häuser
keineswegs eine häufige Erscheinung darstellen. Mit anderen Worten: es lassen sich
in der Slowakei keine Gebäudeformen belegen, die ausgesprochene Wohnungen ent-
weder der Großfamilien oder der Einzelfamilien repräsentierten — Beziehungen
zwischen Familienstruktur und Wohnen bestanden einzig in der differenzierten
Funktion der Räume.
Den Hauptwohnraum der Familie bildete die heizbare und helle Stube; sie war in
unveränderter Funktion Wohnzentrum für die Großfamilie wie für die Einzelfamilie.
Mit ihren gewöhnlichen Abmessungen von 5 x 6 oder 6 x 6 m reichte sie ohne Frage
raummäßig vollkommen aus sowohl für das Einnehmen der Mahlzeiten als auch für
das Verrichten häuslicher Arbeiten selbst bei einer Maximalzahl von 6 — 10 Er-
wachsenen — die Kinder pflegten nicht mit den Erwachsenen am Tische zu essen.
Ein Raumproblem entstand für eine zahlreiche Mitglieder umfassende Großfamilie
erst im Hinblick auf das Schlafen. Reichte hierfür der Platz in der Stube nicht aus,
schliefen darin in der Regel nur die alten Familienmitglieder sowie die Mütter mit
Kleinkindern, letztere zumeist das ganze Jahr. Für die übrigen Mitglieder der Familie
gab es verschiedene Möglichkeiten. Eine Lösung bildete der jahreszeitliche Wechsel.
Während des Sommers schliefen hierbei diese Familienmitglieder auf dem Dach-
boden, im Stalle, in der Scheune oder auch außerhalb des Dorfes an bestimmten
Arbeitszentren — letzteres war vor allem in vielen Gebirgsdörfern der Slowakei
üblich beim Pferchen der Brachfelder, beim Hüten des Viehes oder bei der Bestellung
der Äcker.9 Nur im Winter, zur Zeit der stärksten Fröste, schlief die gesamte Familie
in der Stube.10 Als zusätzliche Nachtlager dienten dann der Ofen, die Bänke und wei-
tere hierfür geeignete Einrichtungsgegenstände (Abb. 2 a).
Eine zweite Lösung war das Schlafen in Kammern. Wo die Kammer nicht Über-
nachtungsraum war, diente sie der Kleiderablage sowie der Aufbewahrung von Gerät
und Nahrungsmitteln. Da beide Funktionen auf die Dauer schwerlich miteinander
zu verbinden waren, entwickelten sich Gebiete unterschiedlicher Kammernutzung,
d. h. Bereiche, in denen die Kammer das ganze Jahr über als Schlaf raum diente —
hier kam es zur Ausbildung einer zusätzlichen Vorratskammer — sowie Bereiche, in
denen nur ausnahmsweise einmal in der Kammer geschlafen wurde — dort fehlte im
allgemeinen eine weitere Kammer. War die Kammer Schlafraum, wurden darin zu-
meist solche Familienmitglieder untergebracht, deren Alter- und Gesundheits-
9 Das wirtschaftliche Zentrum der Familien in entfernten Teilen des Grundstücks bildete
später oft die Grundlage für eine dauernde Ansiedlung einiger Familienmitglieder in der
ursprünglichen Saisonwohnung. Dazu: Alena Plessingerovä, Baöoväni na papradskych
kopanicich (Sennerei in den Poprader kopanice). Cesky Lid 6, 1951; Rudolf Bednarik,
K stüdiu cholvarkov na Kysuciach (Zur Untersuchung der cholvarki [Vorwerke] in
Kysuce). Sbornik slovensk6ho närodndho müzea LVII, 1963; Etnografia 4; Josef Vafeka,
Koliby zvane kram ve svetle poslednich vyzkumü (Die „kram“ genannten Sennhütten im
Lichte der letzten Forschungen). Slovensky Närodopis IX, 1961; Tamas Hofer, Csürök 6s
iställok a falun kivül (Scheunen und Ställe außerhalb des Dorfes). Ethnographia LXVIII,
19 5 7-
10 Eine Ausnahme bildet die Angabe J. Pohls (a. a. O. 227, Anm. 9), nach der ein Bauer
aus Detva sein ganzes Leben nie in der Stube geschlafen hatte und sich auch bei strengstem
Frost nur in die Scheune zurückzog.
94
Sona Svecovâ
zustand auch im Winter keinen warmen Übernachtungsraum erforderten. Die Kammer
war hierfür mit Betten ausgestattet. Unterschiede gab es lediglich in der Hinsicht, daß
in einzelnen Gebieten mehrere Familienmitglieder bzw. Ehepaare gemeinsam in einer
geräumigen Kammer schliefen, in anderen wiederum für jedes Ehepaar eine separate
kleinere Kammer üblich war.11 In jedem Fall aber blieb die Kammer der dritte Raum
des Wohntraktes, ganz gleich, ob eine größere oder mehrere kleinere — teilweise im
Dachraum — vorhanden waren. Mit anderen Worten: Die Modifikation der Raum-
funktion führte nicht zur Änderung der ursprünglichen Grundrißbildung des Hauses.
Wohnzentrum war stets die warme und helle Stube, Flur und Kammer waren immer
dunkel und kühl und in überkommener Weise zueinander gelegen.
Die Tatsache, daß in der Slowakei kein ausgesprochener Gebäudetyp für die
Großfamilie ausgebildet wurde, dürfte an sich kaum verwundern, trat doch die
Abb. 2. Schlafen in der Stube: a) Jahreszeitliches Schlafen im Winter (Ostslowakei, Ge-
meinde Krajné Cierne), b) Schlafen getrennter Familien in einer Stube (Mittelslowakei,
Gemeinde Ciömany)
Großfamilie hier niemals in einer Zusammensetzung auf, die die Möglichkeiten
einer Modifikation der Raumfunktionen überschritt. Zum anderen war die Groß-
familie — wie gezeigt — weder in bestimmten Familien noch in einer gewissen Gegend
Dauererscheinung. Sie bildete stets nur eine Phase während einer Generation der
jeweiligen Familie. Es liegt auf der Hand, daß dafür kein besonderer Haustyp aus-
gebildet wurde.
III
Wie bereits betont, erfolgte in jeder Generation eine Aufteilung der Großfamilie.
Dieser Vorgang fand, wie ebenfalls bereits gezeigt, baulich keinen Niederschlag,
lediglich in der Nutzung der Räume waren Auswirkungen spürbar. So wurden nach
11 Die Nutzung der Kammer als Schlafraum zeigt Dusan Jurkoviö, Slovenské gazdovstvi
ze stolice trencanské (Eine slowakische Bauernwirtschaft aus dem Trentschiner Comitat).
Nârodopisnâ vÿstava ceskoslovanskä (Die tschecho-slo wakische volkskundliche Ausstellung).
Prag 1895, 120. Zu den unterteilten Kammern vgl. Viliam Praèâk, Problém vzniku. a. a. O.
49 ; Vilém Pra£âk, Die sozialen Zustände als Grund für Formenänderungen im Bereich der
materiellen Kultur. Folk Liv 1938, 343; Drahomira Strânskâ, Zvÿsené stavby ve Valasské
Bêlé a Cavoji (Erhöhte Bauten in Valasskä Bela und Cavoj). Slovenskÿ Närodopis 1963,
91 ff.
Haus- und Familienform in der Slowakei
95
der Aufteilung Schlafkammern wieder zu Vorratskammern, bei späterem Anwachsen
der Familie erneut zu Schlaf Stätten. Bedeutungsvoll jedoch war demgegenüber die
Teilung der Familie mit gleichzeitiger Auflösung des Familienbesitzes. Dabei ist die
Tatsache wichtig, daß nach dem Gewohnheitsrecht in solchem Falle alle Geschwister
— bis zum Anfang unseres Jahrhunderts nur alle Söhne — einen Anspruch auf einen
realen Teil des Vermögens (sowohl des Extravillaneums als auch des Intravillaneums)
und damit auch auf einen Teil von Haus und Hof hatten.12 Auf diese Weise ver-
kleinerte sich das Vermögen bis zu einem Maße, das kaum noch das Existenzmini-
mum sicherte, was wiederum zu einem beträchtlichen Absinken des kulturellen Nive-
aus führte. Diese Eigentumsverhältnisse aber bilden in vielen Gegenden der Slowakei
den Schlüssel zum Verständnis für das Herausbilden besonderer Formen des Wohnens
und Bauens.
Bestand die Möglichkeit, das Intravillaneum der Gemeinde zu erweitern, die Höfe
in kleinere, aber selbständige Komplexe aufzuteilen oder sich für dauernd in einer
Saisonunterkunft im Extravillaneum der Gemeinde anzusiedeln, suchten stets einige
der an der Vermögensauflösung Beteiligten auf diese Weise ihrer Familie einen eige-
nen Wohnsitz zu sichern. In solchen Fällen bestand für sie immer die Chance, ihre
Wohnungen in den Grenzen ihrer finanziellen und technischen Möglichkeiten in
kultureller Hinsicht zu vervollkommnen. Dergleichen Verbesserungen betrafen seit
dem Anfang unseres Jahrhunderts vor allem die Vergrößerung und Erweiterung
der Gebäude durch heizbare und helle Räume. Waren jedoch die oben auf gezeigten
Möglichkeiten, einen selbständigen Wohnsitz zu gewinnen, nicht gegeben, blieb
nur die ständig weitergehende Unterteilung des überkommenen Hofes und Hauses.
Verständlicherweise führt das in der Entwicklung der Wohnkultur zu Stagnation
und Rückgang, zumal das Anwachsen der Teilhaber an einem Bruchstück der
Vermögensgrundlage im allgemeinen mit einer Pauperisierung der Familie gekoppelt
war. Doch ist es irrig — wie es wiederholt von ethnographischer Seite geschah13 —,
die aus solcher Wohnsitzgemeinschaft resultierenden Wohn- und Bauformen als
„Stammes-“, „Gemeinschafts-“ oder „Großfamilienformen“ zu bezeichnen. Sie sind
12 Vgl. Miklös Matthyasovszky, Törzsörökldsi jog es törzsöröklesi szokas (Erbschafts-
recht und Erbschaftsbrauch). Budapest 1904, 399; Jänos Baross, Az örökldsi jog k£rd6sei
(Fragen des Erbrechts). Budapest 1901, 42.
13 Zädruznf dom (Wohngemeinschaftshaus), pospolnf dom (Gemeinsames Haus), zädruzna
forma byvania (gemeinschaftliche Form des Wohnens) verwenden einige Autoren, um damit
das Zusammenleben getrennter Familien zu charakterisieren. Abgesehen davon, daß ältere
Forscher fälschlich den Terminus zädruha auf die Bezeichnung der slowakischen Groß-
familie übertrugen, ist auch die Charakteristik des gemeinschaftlichen Wohnens als Wohnen
in der Großfamilie nicht zutreffend, wenn es sich dabei um getrennte Familien handelt.
Angaben von „19 Personen, die in vier Familien leben“, von 7 —15 Personen mit 2 — 3
Familien, von einer Familiengemeinschaft, die bis zu 40 Mitgliedern zählt und aus sechs bis
sieben Familien besteht usw., sind eindeutig als Hinweise auf Wohnsitzgemeinschaft ge-
trennter Familien zu betrachten, zumal die einzelne Familie völlig selbständig hinsichtlich
ihres Vermögens, ihres Konsums und ihrer Organisation ist, ja, die Familien oft nicht einmal
verwandt sind (Vgl. Otakar Nahodil, K otäzce dejin ... 74, über eine vierzigköpfige Familie.
Der von ihm zitierte J. Pohl gibt jedoch an, daß diese vierzigköpfige Familie aus drei ge-
trennten Familien bestand).
96 SONA ÖVECOVÄ
vielmehr einzig als Ergebnis der aus der Vermögensteilung erwachsenden Prozesse
anzusprechen.
Stand für die Verselbständigung des Wohnsitzes einer Familie lediglich der väter-
liche Hof zur Verfügung, konnte dies auf verschiedene Weise geschehen. So ent-
standen auf unregelmäßigen Hofanlagen allmählich mehrere Wohngebäude, wobei
aus Kommunikationsgründen eine Unterteilung des Hof raumes durch Zäune all-
gemein unterblieb (Abb. 3). Anders bei regelmäßigen Hofanlagen. Hier wurden
breite Höfe häufig der Länge nach in mehrere enge aufgeteilt. In solchen Fällen
kehrten die Wohngebäude dem Nachbarn in der Regel den Rücken zu (Abb. 3 b).
War jedoch der Hof für eine solche vollkommene Trennung nicht breit genug, dann
stellte man entweder das neue Haus dem alten gegenüber — der Hof zwischen den
b c
M
Abb. 3. Bebauung der Höfe: a) Unregelmäßige Form. Mittelslowakei, Gemeinde Ciömany
(Teil der Katasterkarte von 1868), b) Regelmäßige Form, jedes Haus mit eigenem Hof.
Westslowakei, Gemeinde Boleräz (Teil der Katasterkarte von 1871), c) Gemeinsame Höfe in
einer Reihe hintereinander. Mittelslowakei, Gemeinde Hubova (Teil der Kataster karte von
1860)
parallel gelegenen Gebäuden blieb damit gemeinsam (Abb. 3 c) — oder man errichtete
auf allzu engen bzw. maximal bebauten Höfen Häuser mit mehreren Wohnungen.
Die Langhäuser sind durch das Aneinanderreihen mehrerer Wohntrakte in Richtung des
Firstes gekennzeichnet. In der Regel besitzt jede ihrer Einzelwohnungen den dreiräumigen
Grundriß bzw. daraus weiterentwickelte Formen. Doch kam es auch vor, daß der für das
angefügte Wohnhaus zur Verfügung stehende Raum für eine solche vollständige Ausbildung
des Grundtyps nicht ausreichte. So finden sich in Langhäusern oft Wohnungen, die nur
Stube und Flur umfassen, in Ausnahmefällen selbst Wohnungen, die nur aus einer Stube
mit direktem Eingang vom Hof her bestehen (Abb. 4, Taf. 13). Dabei bezeichnet in Lang-
häusern eine solche Verringerung der Wohnräume nicht etwa eine archaische Vorform, sie
ist vielmehr als Reduktion des dreiteiligen Grundrisses infolge der aufgezeigten Wirtschafts-
und Eigentumsverhältnisse zu verstehen.
Die durchschnittliche Anzahl der in einem Langhaus vereinigten Wohnungen ist nicht
bekannt, nach den bisherigen Ermittlungen finden sich darin jedoch zwei bis maximal acht
Wohnungen aneinandergereiht.14 Die Verbreitung solcher Häuser ist in der Slowakei
schwer abzugrenzen. Allgemein werden sie vornehmlich in den Ebenen angetroffen, weniger
14 Die Zahl von acht Wohnungen, die ein Langhaus bilden, führt Bronislav Varsik,
Po stopäch zadruzn£ho zivotavokoli Topolßianok [Auf den Spuren des Lebens in der Wohn-
gemeinschaft der Umgebung von Topolcianky. Sbornik Matice Slovenskej VIII (1929), 81.
Tafel 13
Dreiteiliges Bauernhaus mit angebautem Stall. Hrochot’, Mittelslowakei
(Archiv: ÜEF-NSC)
Tafel 14
Doppelhaus mit vier Wohnungen. Neben dem Haus ein Gebäude
mit 4 Speicherkammern. Stola, Zips (Archiv: ÜEF—NSC)
Gemauertes Doppelhaus mit zwei Wohnungen. Ruzbachy, Zips
(Archiv: ÜEF-NSC)
97
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Haus- und Familienform in der Slowakei
in den Bergen, wo ihre Errichtung auf gewisse Schwierigkeiten stößt.16 So scheinen der-
artige Gebäude vor allem charakteristisch für den Südwesten und Süden der Slowakei. Doch
gibt es andererseits kaum eine Gemeinde, in der nicht zumindest ein Langhaus, wenn auch
nur in der kleinsten Form, vorhanden wäre.
Doppelhäuser stellen demgegenüber Gebäude dar, in denen zwei Wohntrakte mit dem
Rücken aneinander gebaut sind. Sie vereinen demnach stets nur zwei Wohnungen quer zum
First unter einem Dache. Sollen weitere Wohnungen angebaut werden, kann das wiederum
wie bei Langhäusern — lediglich in axialer Richtung geschehen. Die Grundrißbildung der
Doppelhäuser weicht ebenfalls nicht von der des traditionellen Dreiraumhauses ab, ab-
gesehen von der Verdoppelung. Varianten betreffen vor allem die Ausbildung des Flures,
er kann beiden Wohnungen gemeinsam sein — in solchen Fällen ist er zumeist auch mit zwei
Abb. 4. Langhaus mit zwei Wohnungen. Westslowakei (Borsky Peter Nr. 421)
I Stube II Flur III Kammer
Herden ausgestattet —, oder es besitzt ein jeder Wohntrakt seinen eigenen Flur und damit
seinen eigenen Eingang. Andere Varianten erwachsen aus unterschiedlicher Gestaltung des
hinteren Traktes der Wohnung durch Anbauten, die weiteren Familien als Wohnung dienen
(Abb. 5, Taf. 14).
In der Slowakei gibt es zwei Typen ländlicher Häuser mit mehreren Wohnungen,
die infolge der Eigentumsteilung unter den Bedingungen einer maximalen Bebautheit
des Hofes entwickelt wurden: die Langhäuser und die Doppelhäuser.
Das Vorkommen der Doppelhäuser in der Slowakei ist im allgemeinen auf das
Gebiet der Zips beschränkt. Zwar trifft man diese Gebäude nicht in jedem Zipser
Dorf an, doch kommen sie in anderen Gebieten nur selten als Wohnungen getrennter
Familien vor.
Langhäuser und Doppelhäuser sind als bestimmte Kombinationsformen des tra-
ditionellen Grundrisses Widerspiegelung der besonderen Eigentumsverhältnisse der
verarmten bäuerlichen Bevölkerung in der Slowakei. Eine solche Feststellung be-
deutet jedoch nicht, daß dergleichen Gebäude auch in anderen Landschaften auf gleiche
Entstehungsursachen zurückzuführen sein müssen. Nur für die Slowakei konnte bis-
16 Die Langhäuser charakterisiert ViEm Prazäk, Die sozialen Zustände . . . 345 und 356,
als typisch für das slowakische Tiefland.
7 Volkskunde
98
Sona Svecovä
her eindeutig erwiesen werden, daß das Auftreten von Lang- und Doppelhäusern
nicht aus der Existenz einer Wirtschaftsgemeinschaft wie der Zadruga oder einer
Großfamilie erklärt werden kann.16
IV
Viele Gebiete der Slowakei kannten jedoch noch andere Lösungen der Wohnungs-
probleme geteilter Familien. Wir denken dabei an alle jene Fälle, in denen für die ge-
teilten Familien nicht die Möglichkeit bestand, das elterliche Haus zu verlassen. Wenn
in solchem Falle nur eine Familie eine neue Wohnung benötigte, wurde in der Regel
der dritte Raum, die Kammer, als weitere Stube eingerichtet und der zweiten Familie
als Wohnraum zugewiesen. Dabei konnte der Flur entweder von beiden Familien
— ähnlich wie in Doppelhäusern — gemeinsam benutzt oder aber einer, meist der
hinteren Wohnung zugeschlagen werden — die Bewohner der vorderen Wohnung
mußten sich nunmehr einen neuen Eingang schaffen.
Abb. 5. Doppelhäuser in der Nordslowakei. Links Stola Nr. 50/51, rechts Jakubany
Nr. 301/302
I Stube II Flur III Kammer
16 Mit Wohngemeinschaftscharakter bezeichnet Jozef Vydra das Wohnen in den Doppel-
häusern, die offensichtlich für mehrere getrennte Familien errichtet worden sind: L’udova
architektüra na Slovensku (Volksarchitektur in der Slowakei). Bratislava 1958, 84 und 140,
sowie die Zeichnung Nr. 5, die die Grundrisse der Doppelhäuser zeigt.
Haus- und Familienform in der Slowakei
99
Schließlich gab es noch jene Lösung, bei der die getrennten Familien überhaupt
nicht aus der Stube auszogen, sondern darin bei selbständiger Wirtschaftsführung
weiter zusammen wohnten. Damit war die äußerste Grenze der ständigen Verringe-
rungen des zur Verfügung stehenden Wohnraumes erreicht. Handelte es sich dabei
lediglich um zwei Anteilbesitzer, wurde der Stubenraum der Länge nach in eine
rechte und eine linke Seite geteilt, waren drei Anteilbesitzer vorhanden, wurde nach
Ecken unterschieden usw. Einrichtungen wie Ofen, eventuell Herd oder auch Tisch
pflegten von allen Anteilbesitzern gemeinsam benutzt zu werden. In der Praxis sah
das dann etwa so aus: Jede Familie hatte in ihrem Stubenteil zumindest ein Bett. So-
weit möglich, richtete sie sich dort weitgehend selbständig ein — so beleuchtete jede
Familie am Abend ihre Ecke mit eigener Lampe. Am Ofen bzw. am Herd kochten
alle Frauen, jedoch nur für ihre Familie, am Tisch aßen alle, aber nicht gemeinsam.
Es liegt auf der Hand, daß ein so enges Zusammenwohnen selbständiger Familien
immer wieder zu Konflikten führte, um so eher, je mehr Gegenstände in gemeinsamer
Nutzung waren. Das führte oft zu weitergehender Trennung. So stellten manche
Familien in ihren Stubenteil einen eigenen Tisch. Solche Stuben enthalten zuweilen
bis zu drei Tischen. In der Südwestslowakei vor allem waren die Familien darüber
hinaus bemüht, ihren Stubenteil durch ein Möbelstück, z. B. einen Schrank oder
einen Vorhang abzugrenzen.
Die maximale Zahl der Familien, die eine Stube bewohnen konnte, wurde durch
das äußerste Minimum des notwendigen Anteils bestimmt, d. h. der Anteil mußte
wenigstens den Platz für die Aufstellung eines Bettes garantieren. Am häufigsten
wohnten daher in einer Stube nicht mehr als 2—3 Familien (Abb. 2 b). Doch wurden
selbst bis zu 7 Familien in einer Stube angetroffen, die darin kochten, aßen, im Win-
ter sich darin auf hielten und zum Teil auch dort schliefen — für die restlichen
Familienmitglieder mußten allerdings weitere Schlafgelegenheiten in Kammern
usw. bereitgestellt werden.
Das Zusammenwohnen mehrerer Einzelfamilien in einem einzigen Raum war in
den rückständigen Agrargebieten der Slowakei weithin üblich. Es kam hier stets bei
Familien und in Gemeinden vor, in denen die volle Verselbständigung eines Wohnsitzes
der Familie nicht möglich war, weil man auf einem engen Hof nicht mehr bauen
konnte oder die Mittel zum Ankauf neuer Grundstücke oder einfach zum Bau eines
weiteren Hauses fehlten. So bezeichnet bereits ein Bericht aus dem Ende des vorigen
Jahrhunderts das Wohnen mehrerer Familien in einer Stube als eine recht verbreitete
Erscheinung.17
Verständlicherweise bedingte ein solches Wohnen ein beträchtliches Absinken der
Wohnkultur. Niemals konnten geteilte Familien den zur Verfügung stehenden Raum
ähnlich zweckmäßig verwenden wie eine erweiterte Familie, die auf Grund ihrer ein-
heitlichen Organisation mit den Räumen besser den Bedürfnissen ihrer Mitglieder
entsprechend zu verfahren vermochte. Diese Regression der Wohnkultur spürten
offensichtlich auch die Bewohner selbst, wenn sie das gemeinsame Wohnen in der
17 Vgl. J. L. Pi6, a. a. O. 347. Den Umstand, daß für die Slowakei das Wohnen mehrerer
Familien in einem Hause kennzeichnend ist, hat auch der deutsche Forscher Anton Dachler
im Zusammenhang mit der deutschen Bevölkerung bemerkt. (A. Dachler, Das Bauernhaus
in Österreich-Ungarn. Dresden 1906, 44).
7*
100 SoNA SvECOVÄ
Stube als Provisorium betrachteten. Doch brachten es die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse immer wieder mit sich, daß diese provisorische Lösung für bestimmte Ge-
nerationen die definitive blieb. Oft hatte erst die zweite, nicht selten auch erst die
dritte Generation die Möglichkeit, die gemeinsame Wohnung zu verlassen, indem sie
die Mittel erwarb, ein eigenes Wohnhaus zu errichten oder infolge des sich ständig
fortsetzenden Differenzierungsprozesses gezwungen war, aus der Gemeinde zu ver-
ziehen. Führte doch der aus der von Generation zu Generation wachsenden Mit-
gliederzahl resultierende Differenzierungsprozeß letztlich zu Wohnraumanteilen wie
1/9, 1/10 oder gar 1/18 eines Hauses, die die Wohnkapazität der Stube weit über-
stiegen und schließlich nur noch Ausdruck des Eigentumsanteils einer bestimmten
Familie waren. In der Praxis wurde eine derartige Situation dadurch gemeistert, daß
eine der Familien die Anteile von drei oder vier Familien bewohnte, diesen Miete
entrichtete oder deren Anteile im Laufe der Zeit auszahlte. Nur auf diese Weise
war es möglich, der ständigen Differenzierung des Eigentums zu begegnen und damit
die Voraussetzung für ein gemeinsames Wohnen getrennter Familien zu schaffen.
Die Bedeutung der wirtschaftlichen Verhältnisse als der wesentlichsten Ursache
für die Wohnungsnot im slowakischen Dorf am Ende des vorigen und zu Beginn des
jetzigen Jahrhunderts erhellt aus dem Ablösungsprozeß der dargestellten Wohn-
formen in der jüngsten Vergangenheit. Überall dort, wo zuvor die Familien ge-
zwungen waren, gemeinsam auf einem Hof oder in einem Hause zu wohnen, ver-
schwanden diese Wohnformen, sobald die Überreste der früheren Bindungen an die
Gemeinde, an den Hof und das Haus des väterlichen Erbes beseitigt wurden und die
bäuerlichen Familien zu erhöhter Warenproduktion übergehen konnten, die den
Familienmitgliedern nicht nur einen ausreichenden Lebensunterhalt, sondern auch
ein höheres Kulturniveau garantierte. Es ist nicht möglich, das Jahr oder auch nur das
Jahrzehnt zu nennen, in dem ein bestimmtes Gebiet oder eine bestimmte Gemeinde
endgültig das Erbe der Vergangenheit überwand. Sicher aber ist, daß in den vierziger
und fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts nur noch selten Beispiele für die dar-
gestellten Wohnformen zu finden waren, wenn auch als deren Zeugen Langhäuser
und Doppelhäuser noch heute in vielen Dörfern stehen. Charakteristisch für die letz-
ten Jahrzehnte jedoch sind die Neubauten, die vornehmlich am Rand des engeren
Intravillaneums errichtet werden und in ihrer Eigenart städtischem Vorbild ent-
sprechen.
MITTEILUNGEN UND BERICHTE
Erich Seemann zum Gedenken
1888—1966
Im Winter 1955 führte mich eine längere Studienreise nach Freiburg. Auf dem Bahnsteig
des Freiburger Bahnhofs erwartete mich ein hochgewachsener älterer Herr mit einem Tan-
nenzweig als Erkennungszeichen in der Hand. So lernte ich Prof. Dr. Erich Seemann, den
Leiter des Deutschen Volksliedarchivs, kennen. In den darauffolgenden Wochen meines
Freiburger Aufenthaltes entwickelten sich unsere wissenschaftlichen Beziehungen zu einer
schönen, einzigartigen Freundschaft, die über ein Jahrzehnt dauerte und für mich ein kost-
bares Erlebnis wurde. Welches Glück es bedeutete, diesen vornehmen Menschen und großen
Gelehrten persönlich zu kennen und mit ihm verkehren zu dürfen, an Gesprächen, gemein-
samen Spaziergängen oder Stunden im Musikzimmer seines schönen Heimes teilhaben zu
können, hat sein Tod denen, die ihn kannten, schmerzlich bewußt gemacht.
Alle, die auf dem Gebiet der Volksliedforschung arbeiten, schätzten in Erich Seemann
einen der besten Kenner des deutschen und auch des europäischen Volksliedes. Sein volks-
kundliches Interesse und seine künstlerischen Neigungen erwachten bereits in früher Jugend.
Im Jahre 1888 in Stuttgart als Sohn eines bekannten Kunstmalers geboren, bekam er das feine
Kunstverständnis sozusagen in die Wiege gelegt. Als er 1908 die Universität München be-
zog, wählte er Germanistik, Volkskunde und Nordistik als Studienfächer. 1912 promovierte
er mit einer Untersuchung zur Geschichte der Tierfabel im Mittelalter. Nach dem ersten
Weltkrieg durchwanderte er seine schwäbische Heimat, um das Material für eine wissen-
schaftliche Ausgabe schwäbischer Volkslieder zu sammeln. Diese Arbeit wurde für sein
weiteres Leben entscheidend. Sie brachte ihn mit John Meier, dem Gründer des Volkslied-
archivs in Freiburg, in Verbindung. Im Jahre 1926 wurde er sein Assistent und widmete sich
von nun an der Volksliedforschung. Er hatte großen Anteil an allen wichtigen Unterneh-
mungen des Archivs, am Aufbau der Forschungsmittel und Kataloge und gewann durch
seine zahlreichen Abhandlungen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der Volkslied-
forschung. Sein bewunderungswürdiges Sprachtalent, das sich außer an den romanischen,
nordischen und slawischen Sprachen, auch am Lettischen, Litauischen und Neugriechischen
erprobte, ermöglichte es ihm, die Lieder fast aller europäischen Völker im Original zu stu-
dieren.
Mit besonderem Interesse widmete sich Erich Seemann dem slawischen Volkslied. Schon
bei Untersuchung der Gottscheer Balladen hatte er stets die slowenischen Varianten mit in
Betracht gezogen und sich mit der Frage der deutsch-slawischen Wechselbeziehungen im
Volkslied beschäftigt. Er scheute sich nicht, zugunsten des slawischen Volksliedes zu ent-
scheiden, sobald er im Material die Beweise dafür vorfand, obwohl am Anfang seiner Tätig-
keit in der deutschen Volksliedforschung andere Meinungen vertreten wurden. Dieser Sinn
für Objektivität und die unbedingte Wahrheitsliebe des echten Wissenschaftlers trugen ihm
bei seinen slawischen Kollegen besondere Wertschätzung ein.
Im Jahre 1935, als das Deutsche Volksliedarchiv den ersten Band der Ausgabe Deutsche
Volkslieder mit ihren Melodien veröffentlichte, begann Seemanns systematische Erforschung
deutscher Balladen. Er wurde nicht nur Mitherausgeber des Werkes, sondern steuerte selbst
zahlreiche Textuntersuchungen bei. Bis zu seinem Tode stieg deren Zahl auf 41. Weitere
Abhandlungen publizierte er vor allem im Jahrbuch für Volksliedforschung, dessen Mit-
begründer er war. Dort veröffentlichte er auch die meisten seiner Rezensionen. Andere Ar-
tikel Seemanns erschienen im Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte (von Merker-
102
Siegfried Neumann
Stammler, 2. Auf!.), in Deutsche Philologie im Aufriß und im Handwörterbuch des deutschen
Aberglaubens, um nur einiges hier anzuführen. Unter den rund 30 Stichworten bzw. Stich-
wortkomplexen, die Seemann für das Handwörterbuch bearbeitete, befinden sich übrigens
zahlreiche Volksmusikinstrumente und andere Erscheinungen der Volksmusikpraxis, bei
deren Ausarbeitung ihm seine musikalischen Kenntnisse zustatten kamen. In den letzten
Jahren erschienen Untersuchungen Seemanns über Volksliedthemen zunehmend auch in
ausländischen Zeitschriften und Publikationen.1
Nach John Meiers Tod im Jahre 1953 übernahm Erich Seemann die Leitung des Deut-
schen Volksliedarchivs und versah dieses Amt zehn Jahre lang, ehe er 1963 in den verdienten
Ruhestand trat. Viele Jahre hindurch war er im Vorstand des Verbandes deutscher Vereine
für Volkskunde tätig und nahm als Referent an zahlreichen volkskundlichen Kongressen,
auch außerhalb Deutschlands, teil. Er war korrespondierendes Mitglied des Vereins für
Volkskunde in Wien, und die Deutsche Gesellschaft für Volkskunde wie auch die Grie-
chische Volkskundliche Gesellschaft in Athen ernannten ihn zu ihrem Ehrenmitglied.
Obwohl zeitlebens von nicht sehr robuster Gesundheit, war Erich Seemann ein eifriger,
unermüdlicher Arbeiter. Die bereits erwähnte umfangreiche Bibliographie in der Fest-
schrift zu seinem 75. Geburtstag ist ein deutlicher Beweis dafür. Bis in seine letzten Lebens-
tage hinein war er rastlos tätig; der Tod rief ihn buchstäblich vom Schreibtisch ab. Von den
Arbeiten und Plänen, die ihn zuletzt beschäftigten, seien nur zwei erwähnt: die Anthologie
europäischer Balladen (gemeinsam mit Dag Strömbäck und Bengt R. Johnsson) und die vier-
bändige Gesamtausgabe der Volkslieder aus der ehemaligen deutschen Sprachinsel Gott-
schee in Jugoslawien.
Für Erich Seemann war das Volkslied nicht nur Gegenstand wissenschaftlicher Unter-
suchungen, er liebte es um seines künstlerischen Wertes willen, wie er alles schätzte, was
schön und in seiner Art vollkommen war. So fand er sein ganzes Leben hindurch stets Zeit
für gute Musik; auch besaß er ein inniges Verhältnis zur Natur. Zu dieser Seite seines Wesens
gehört unveräußerlich seine warme Menschlichkeit, von der sich alle, die mit ihm in Be-
rührung kamen, angezogen fühlten. So war er vielen europäischen Volksliedforschern mehr
als ein immer hilfsbereiter Fachkollege. Seine harmonische Persönlichkeit und menschliche
Wärme trugen ihm über die auf seiner fachlichen Integrität basierende Anerkennung als
Wissenschaftler hinaus persönliche Wertschätzung und echte Freundschaft ein. Fachgenossen
und Freunde betrauern in Erich Seemann einen bedeutenden Gelehrten und einen außer-
gewöhnlichen Menschen.
Zmaga Kumer, Ljubljana
In memoriam Gottfried Henßen
1889—1966
Am 25. Januar 1966 ist mit Professor Dr. Gottfried Henßen einer der profiliertesten Ver-
treter jener Forschergeneration verstorben, mit deren Namen die Leistung und das An-
sehen der deutschen Folkloristik in den letzten vier Jahrzehnten verknüpft sind. Henßens
Interesse galt vornehmlich den klassischen Gattungen der Volksprosa — Märchen, Sage,
Legende, Schwank —, und auf diesem Forschungsgebiet erwarb er sich sowohl als erfolg-
reicher Sammler und wegweisender Methodiker wie als Theoretiker und Wissenschafts-
organisator internationalen Ruf. Der Weg und die Entwicklung der Erzählforschung in
Deutschland seit den dreißiger Jahren sind ohne den von ihm geleisteten Beitrag nur schwer
vorstellbar.
1 Vgl. dazu im einzelnen das Verzeichnis von Seemanns Schriften, zusammengestellt von
Rolf Wilh. Brednich: Jb. f. Vldf. 9 (1964) 171 —180.
In memoriam Gottfried Henßen
103
Dabei waren Henßen nur relativ wenige Jahre vergönnt, in denen er sich uneingeschränkt
seiner Lebensaufgabe widmen konnte. Er wurde am io. Juni 1889 als Sohn eines Kaufmanns
in Jülich geboren, studierte von 1909 bis I9i4an den Universitäten Tübingen, Berlin und Bonn
Germanistik, Französisch, Geschichte, Geographie sowie Volkskunde und ging nach der
Rückkehr aus dem ersten Weltkrieg in den Schuldienst nach Elberfeld. Hier wurde der
junge Studienrat, seit seiner Kindheit mit der heimischen Erzählüberlieferung vertraut, An-
fang der zwanziger Jahre zu selbständiger volkskundlicher Forschung angeregt. Die be-
grenzte Freizeit nutzend, die ihm sein Beruf ließ, begann er ab 1925 zunächst im nahege-
legenen Bergischen Land systematisch Volkserzählungen aufzuschreiben. Aus diesen Auf-
zeichnungen erschien — in Ergänzung zu Otto Schells Anthologie Bergische Sagen (1897,
2. verm. Aufl. 1922) — seine erste Sammlung Neue Sagen aus Berg und Mark (Elberfeld
1927), die, traditionellen Editionsprinzipien folgend, überwiegend hochdeutsche Über-
setzungen der aufgezeichneten Texte enthielt. Gleichzeitig entstand auf der Materialbasis
vornehmlich dieser beiden Sammlungen als erste volkskundliche Untersuchung seine
Dissertation Zur Geschichte der bergischen Volkssage1 (Elberfeld 1928), mit der er bei Fried-
rich von der Leyen in Köln promovierte.
Um diese Zeit war Henßen das Sammeln bereits zur Leidenschaft geworden. So unter-
nahm er ab 1927 auch größere Sammelreisen ins übrige Rheinland und besonders ins katho-
lische Münsterland, die — bis 1935 regelmäßig in den Ferien wiederholt — unerwartet reiche
Ausbeute erbrachten. Erste Proben daraus teilte er mehrere Jahre hindurch in der Zeitschrift
des Vereins für rheinische und westfälische Volkskunde mit, deren Schriftführung er 1929
übernahm und bis 1933 innehatte. Diese Proben, die stets den authentischen Text der fast
ausnahmslos mundartlichen Aufzeichnungen boten und jeweils kurz kommentiert waren,
sollten einen Eindruck von Art und Vielfalt des von ihm gesammelten Materials vermitteln.1 2
Henßen ging es jedoch nicht nur darum, das noch vorhandene Erzählgut in seinen einzelnen
Gattungen möglichst vollständig zu erfassen, sondern auch um das Leben der Volkser-
zählung in der zeitgenössischen mündlichen Überlieferung, um die Erzählgemeinschaften
und die Gelegenheiten des Erzählens sowie um die Erzähler und ihre Darstellungskunst. Die
Ergebnisse dieser Forschungen veröffentlichte er in seiner großen Edition Volk erzählt.
Münsterländische Sagen, Märchen und Schwänke (Münster 1935) sowie in den beiden an
treffenden Beobachtungen reichen Untersuchungen Rheinische Volksüberlieferung in Sage,
Märchen und Schwank (Düsseldorf 1934) und Volkstümliche Erzählkunst (Wuppertal-Elber-
feld 1936).3 Hier — am stärksten in der letztgenannten Schrift — stellte Henßen anschaulich
die Bedeutung der begabten Volkserzähler für die Erzählüberlieferung heraus und wandte
sich mit Nachdruck gegen die Negierung der schöpferischen Leistungen des Volkes durch
Hans Naumann4 und seine Anhänger: „DieForschung . . . muß sich endlich von gewissen
Schlagworten freimachen, die von vornherein die Arbeit in ganz bestimmte Richtungen
festlegen; sie muß erkennen, daß . . . schöpferische Menschen in allen Schichten der Be-
völkerung wirken und hier wie dort die eigentlichen Träger, Fortsetzer und Erneuerer der
Kultur sind. Nicht Gemeinschaft allein, auch nicht das Einzelglied allein, sondern Gemein-
schaft und Einzelglieder müssen in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung erfaßt und erkannt
werden.“5 Mit der Verwirklichung dieser Forderung unternahm Henßen einen Vorstoß in
methodisches Neuland, und neben dem Wirken der „Schwietering-Schule“6 ist es vor allem
1 Eine Ergänzung dazu bildete der Aufsatz : Die Erdgeister in der bergischen Volksüber-
lieferung. In: Festschrift für Otto Schell (Elberfeld 1928) 60—68.
2 Bergische Märchen. Zs. f. rhein.-westfäl. Vk. 25 (1928) 41 — 52; Till Eulenspiegel in
westfälischen Volkserzählungen. Ebda 27 (1930) 97 —in; Tiermärchen, Tierstimmen und
Volksglauben über Tiere aus dem Münsterlande. Ebda 28 (1931) 29—42; Legenden aus dem
Münsterlande. Ebda 29 (1932) 37 — 30; Predigtparodien. Ebda 96 — 105.
3 Vorher erschienen in Zs. f. rhein-westfäl. Vk. 32 (1935) 3 — 35.
4 Hans Naumann, Primitive Gemeinschaftskultur. Jena 1921.
5 Zs. f. rhein.-westfäl. Vk. 32 (1935) 33, vgl. Anm. 3.
6 Vgl. besonders Otto Brinkmann, Das Erzählen in einer Dorfgemeinschaft. Münster
193 3 -
104
Siegfried Neumann
der Wirkung seiner Arbeiten zu danken, daß das Prinzip, Erzähler und Hörer als Träger
der Volksüberlieferung in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen, Eingang in die deut-
sche Erzählforschung fand.7 8 Dabei ist besonders auf Volk erzählt8 hinzuweisen: Die Ein-
führung in diese Sammlung, die lautgetreue Darbietung der aufgezeichneten Geschichten
(mit allen Zufälligkeiten der Wiedergabe durch den jeweiligen Erzähler) und die Art der
Anmerkungen zu den Texten, der sog. „wissenschaftliche Apparat“, haben Schule gemacht.
In seiner Dokumentation des lebendigen Erzählens in einer Landschaft während eines
kurzen Aufnahmezeitraums ist das Buch eine bisher in Deutschland noch nicht wieder er-
reichte Leistung geblieben.9 Sie ist um so höher zu bewerten, als Henßen daneben10 11 — trotz
der mehrfachen Beanspruchung durch Beruf, Zeitschrift und Sammelreisen — auch noch
andere Anthologien herausbrachte: Volksmärchen aus Rheinland und Westfalen (Elberfeld
1932) und Sang und Sage am Rhein11 (Essen 1935), deren Texte — offenbar auf Wunsch der
Verlage — zum Teil wieder Übersetzungen aus der Mundart ins Hochdeutsche waren, so-
wie Der deutsche Volksschwank (Leipzig 1934).
Die wissenschaftliche Anerkennung ließ nicht auf sich warten. 1936 wurde Henßen von
Adolf Spamer nach Berlin geholt und mit dem Aufbau eines Zentralarchivs der deutschen
Volkserzählung betraut, dessen Finanzierung die Deutsche Forschungsgemeinschaft über-
nahm. Seine Aufgabe bestand darin, Volkserzählungen aller Art sowie Nachrichten über
Erzähler und das Leben der Erzählungen aus dem gesamten deutschen Sprachgebiet zu
sammeln und für wissenschaftliche Arbeiten bereitzustellen. In dieser Arbeit ging Henßen
auf. Er organisierte die Abschrift der bestehenden regionalen Sammlungen von Heinrich
Hoffmann, Wilhelm Wisser, Richard Wossidlo u. a. und führte selbst neue Sammelreisen ins
Rheinland, nach Mecklenburg und nach Niedersachsen durch, wobei er sich als erster deut-
scher Erzählforscher auch des Magnetophons bediente. Gleichzeitig setzte er seine Editio-
nen von Volkserzählgut fort: Schelme und Narren im Volksmund. Schwänke und Schnurren
(München 1938) und In de Uhlenflucht. Plattdeutsche Schwänke und Märchen aus Westfalen
(Münster 1939).12 — Während dieser Zeit wuchs Henßen, der sich jetzt ganz seinen wissen-
schaftlichen Anliegen widmen konnte, in die Rolle eines Spiritus rector der deutschen Er-
zählforschung hinein.13 Als das Zentralarchiv jedoch gegen seinen Willen dem nazistischen
„Ahnenerbe“ angegliedert wurde, ging er zurück in den Schuldienst.
Nach dem Kriege war Henßens größte Sorge zunächst die Rettung der ausgelagerten Be-
stände des Zentralarchivs, die er nach eigenem Bericht gerade noch vordem Abtransport in die
USA bewahren konnte. Das wertvolle Archivmaterial und die aus dem Nachlaß Johannes
Boltes entstandene Spezialbibliothek zur Erzählforschung fanden in der Universität Mar-
burg, von der Henßen 1948 einen Lehrauftrag für Volkskunde erhielt, ein neues Domizil.
7 Ob Henßen von der bahnbrechenden Arbeit des sowjetischen Forschers Mark Asa-
dowski, Eine sibirische Märchenerzählerin, Helsinki 1926 (FFC 68), beeinflußt worden war,
ist nicht zu ermitteln. Etwa gleichzeitig mit Henßen — und nach eigener Aussage unabhängig
von ihm — schlug Matthias Zender den gleichen Weg ein; vgl. dessen Volksmärchen und
Schwänke der Westeifel. Bonn 1935.
8 Rez. DJbfVk 2 (1956) 427L (Beckmann).
9 Vgl. etwa Wilhelm Bodens, Sage, Märchen und Schwank am Niederrhein. Bonn 1936;
Heinrich Dittmaier, Sagen, Märchen und Schwänke von der unteren Sieg. Bonn 1950, oder
Gustav Grüner, Waldeckische Volkserzählungen. Marburg 1964.
10 Für die Weite seiner Interessen in dieser Zeit zeugt sein Aufsatz Finnische Volksrätsel.
ZfVk 43 (1933, ersch. 1935) 47 — 81.
11 Als Bd. 2 des gemeinsam mit Adam Wrede herausgegebenen Werkes: Volk am ewigen
Strom.
12 Von Henßens verschiedenen populären Editionen dieser Jahre sei nur der Band Deut-
sche Volksmärchen, Stuttgart 1938, erwähnt. Aus der Zeit nach dem Kriege wäre zu nennen:
Die güldene Kette. Schönste Volksmärchen. Aus dem Märchenschatz der europäischen
Völker ausgewählt. Gütersloh 1957.
13 Vgl. seinen Aufsatz Stand und Aufgaben der deutschen Erzählforschung. In: Volks-
kundliche Gaben. Festschrift Richard Wossidlo (Neumünster 1939) 133 — 137-
105
In memoriam Gottfried Henßen
Hier bot sich die Möglichkeit, die Sammlung des deutschen Erzählguts planmäßig fort-
zusetzen; sie erreichte bis 1963 rund 70000 Belege — in jeweils zwei Exemplaren nach Land-
schaften und Motiven geordnet. Daneben entfaltete Henßen, 1951 zum Honorarprofessor
ernannt, eine umfangreiche Lehr-, Forschungs- und Herausgebertätigkeit. Sein anregendes
Wirken als akademischer Lehrer wird wohl am deutlichsten durch die Tatsache dokumentiert,
daß in Marburg unter seiner Leitung über 20 volkskundliche Dissertationen entstanden, die
zum Teil in den von ihm gewiesenen Bahnen neugesammeltes Erzählgut bereitstellten und
behandelten. Henßens eigene Forschungen galten neben einzelnen Erzählstoffen14 und
interethnischen Problemen15 vorrangig grundsätzlichen Fragen seines Fachgebietes: In
seinen programmatischen Aufsätzen Sammlung und Auswertung volkstümlichen Erzählguts,16 17 18
Zur Methodik der Erzählforschung17 und Erzählformen in volkskundlicher Sicht19 findet sich
eine systematische Darstellung der von ihm vertretenen „biologischen“ Forschungsrichtung,
die er gegen alle Angriffe verteidigte. Besonders aber lag ihm daran, die Ende der dreißiger
Jahre unterbrochenen Arbeiten zum Abschluß zu bringen. Zu ihnen gehören neben der frü-
here Ergebnisse zusammenfassenden Untersuchung Wesenszüge der westfälischen Volks-
erzählung19 vor allem verschiedene regionale Materialsammlungen, die er jetzt zum Druck
brachte. Die erste dieser ausführlich kommentierten, in Anlage und Ausführung sämtlich dem
Vorbild Volk erzählt nachgestalteten Editionen, Überlieferung und Persönlichkeit. Die Er-
zählungen und Lieder des Egbert Gerrits (Münster 1951),20 stellte wieder ein Novum in der
deutschen Erzählforschung dar: Niemand in Deutschland hatte sich vor Henßen so eingehend
mit einem einzelnen Erzähler beschäftigt und aus dieser Sicht so aufschlußreiche Ergebnisse
über das Leben der Volkserzählung, die bereits in dem überlegt gewählten Buchtitel an-
klingen, gewonnen. Die beiden folgenden Bände, Sagen, Märchen und Schwänke des Jüli-
cher Landes (Bonn 195 5)21 und Mecklenburger erzählen. Märchen, Schwänke und Schnurren
(Berlin 1957)22 boten neben Aufzeichnungen Henßens vor allem Sammelgut von Hoffmann
und Wossidlo dar, das der Herausgeber ins Zentralarchiv übernommen hatte. Dabei ging die
Anregung zur Herausgabe der mecklenburgischen Märchensammlung vom Berliner Aka-
demie-Institut für deutsche Volkskunde aus, in dessen Veröffentlichungsreihe der Band er-
schien und mit dessen Erzählforschern Henßen aufgeschlossen zusammenarbeitete und
freundschaftlichen Kontakt hielt. Ebenso wirkte Henßen an der Reihe „Märchen aus
deutschen Landschaften“ mit und steuerte u. a. die Bände Bergische Sagen und Märchen
(Münster 1961)23 und Volkserzählungen aus dem westlichen Niedersachsen (Münster 1963)24
bei; sie zeigen allerdings weitgehend den Charakter einer Nachlese. Das wichtigste während
der Marburger Zeit von Henßen auf gezeichnete Material ging in seine Sammlung Ungar-
deutsche Volksüberlieferungen. Erzählungen und, Lieder (Marburg 1959) ein; sie hebt sich
durch ihre sachlich-wissenschaftliche Einführung wohltuend von ähnlichen Publikationen
14 Was mir von Gott ist zugedacht, das wird mir wohl ins Haus gebracht. Zum Form-
wandel einer Schatzsage. ZfVk 53 (1956/57) 157 —163; Das Singemärchen vom klagenden
Lied in der ungardeutschen Volksüberlieferung. HessBllfVk 49/50 (1958) 83 — 90; Knoist
un sine dre Sühne (KHM Nr. 138). In: Märchen, Mythos, Dichtung. Festschrift zum
90. Geburtstag Friedrich von der Leyens (München 1963) 35—37.
15 Deutsche Schreckmärchen und ihre europäischen Anverwandten. ZfVk 50 (1953)
84—97; Deutsch-niederländische Sagenzusammenhänge. Rhein.-westfäl. Zs. f. Vk. 1 (1954)
91 —102.
16 HessBllfVk 43 (1952) 5 — 29.
17 Rhein.-westfäl. Zs. f. Vk. 2 (1955) 183 — 189.
18 HessBllfVk 48 (1957) 76 — 85.
19 Rhein.-westfäl. Zs. f. Vk. 5 (1958) 75—103.
20 Rez. DJbfVk 1 (1955) 464h (Weber-Kellermann).
21 Rez. DJbfVk 3 (1957) 553£. (Beckmann).
22 Rez. DJbfVk 5 (1959) 213 —216 (Beckmann).
23 Rez. DJbfVk 8 (1962) 244L (Neumann).
24 Rez. DJbfVk xo (1964) 393f. (Neumann).
106
Benjamin Rajeczky
in Westdeutschland ab,25 denen statt dessen ein Vorwort mit politisch-revanchistischer Ten-
denz vorangestellt ist.26 Diese Sammlung, in der Henßen mit dem von Ungarn nach Würt-
temberg gekommenen Anton Krukenfeiner noch einmal einen Meistererzähler vom Format
Gerrits’ vorstellte, erschien in den Schriften des Volkskunde-Archivs Marburg, der von ihm
begründeten und mit Überlieferung und Persönlichkeit vielversprechend eröffneten, bis 1964
auf zehn Bände angewachsenen Publikationsreihe.
Überhaupt war es Henßen wie kaum einem Sammler in Deutschland vor ihm vergönnt,
den reichen von ihm geborgenen Schatz an Volkserzählungen wieder hinaus ins Volk dringen
zu sehen. Die meisten seiner zahlreichen Sammlungen haben in schneller Folge mehrere Auf-
lagen erlebt und die jüngere Erzählforschergeneration zu fruchtbarer Fortsetzung seines
Lebenswerkes angeregt. Das von ihm geschaffene große Erzählarchiv in Marburg ist zum
unentbehrlichen Arbeitsinstrument der internationalen Erzählforschung geworden. Und die
von ihm erarbeiteten Forschungsgrundsätze gehören heute zum Allgemeingut der Folklo-
ristik. Henßen selbst, dessen Gesundheit durch das Übermaß seiner Arbeitsleistung auf-
gezehrt wurde, zog sich nach Aufgabe seiner Mitarbeit an der Universität völlig aus der
Öffentlichkeit zurück. Aber erst der Tod des Sechsundsiebzigjährigen, beschleunigt durch
den Verlust der Lebensgefährtin, setzte seiner Arbeit ein Ende. — Sein Werk sichert dem
volksverbundenen Gelehrten und gütigen Menschen Gottfried Henßen ein ehrendes Ge-
denken.
Siegfried Neumann, Rostock
Nachruf auf Pal Jardanyi
1920—1966
Jung an Jahren, auf der Höhe seiner künstlerischen und wissenschaftlichen Schaffens-
kraft, wurde Dr. Paul Jardanyi, Kossuth-Preissträger und Sektionschef des Instituts für
Volksmusikforschung an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, von einer kurzen,
schmerzvollen Krankheit dahingerafft.
Als Schüler Kodälys (Komposition), Györffys und Viskis (Volkskunde) war Jardanyi der
bestgebildete junge Komponist und Volksmusikforscher der Nachkriegszeit, seinem Ideal,
Bartök, in scharfer Analyse und unermüdlicher Kleinarbeit sehr ähnlich, seinem Volke und
Vaterlande mit der ganzen Kraft seiner warmen, liebevollen Menschlichkeit treu zugetan.
Als anerkannter Systematiker schuf Jardanyi die Melodieordnung des Magyar Nöpzene
Tara (Corpus Musicae Popularis Hungaricae). Dies gilt insonderheit vom 7. Bande ab; von
den früheren ist ihm der musikalische Aufbau der Bände 1 (Kinderspiele), 4 (Paarlieder) und
5 (Klagelieder) zu danken. Mit dieser seiner Arbeit sicherte er der großen ungarischen Volks-
liedausgabe den Ruhm der größtangelegten, nach innermusikalischen Prinzipien bestdurch-
dachten Publikation unserer Tage.
Mit seiner volkskundlichen Erstlingsarbeit, der Monographie des Dorfes Kide A kidei
magyarsäg vilägi zeneje (Die weltliche Musik der Ungarn von Kide, Kolozsvär 1943), erntete
er unter den ungarischen Ethnographen volle Anerkennung. Die Grundlagen seiner Volks-
liedsystematik erschienen im Jahre 1964 (Ungarische Volksliedtypen x — 2, Budapest—Mainz
25 Das gilt auch von demTitel Deutsche Volkserzählungen aus dem Osten (Münster 1963),
vorher — lediglich für einen Kreis von Märchenfreunden — erschienen unter dem Titel Von
Königen, Hexen und allerlei Spuk. Märchen und legendenartige Geschichten aus den
Sammlungen des Zentralarchivs der deutschen Volkserzählung (Münster 1959).
26 Vgl. dazu Rudolf Weinhold und Claus Kreuzberg, Arbeitstagung zur volkskundlichen
„Ostforschung“ in Westdeutschland. DJbfVk 9 (1963) 322 — 328.
Andrej Melicheröik f
107
1964) und in den Studia Musicologia 1965 (Experiences and Results in Systematizing Hun-
garian Folk-Songs).1
Die ungarische Volksmusikforschung verliert mit Pal Järdanyi einen ihrer fähigsten Ver-
treter, in den noch große Hoffnungen gesetzt waren. Das gleiche gilt für den Komponisten
Järdanyi, der — aus der Mitte seines Schaffens herausgerissen — eine nicht zu schließende
Lücke hinterläßt.
Benjamin Rajeczky, Budapest
Andrej Melichercik f
1917—1966
Andrej Melicheröik — am 16. Januar 1917 in Parnica (Orava) geboren — hatte ur-
sprünglich nach Absolvierung der Volksschule in seinem Geburtsort und des Gymnasiums
in Dolny Kubin die Absicht, Lehrer zu werden; doch zeigte sich schon in den ersten Se-
mestern seines Studiums an der Comenius-Universität Bratislava, an der er ab 1935 die Fächer
Slowakisch und Deutsch belegt hatte, seine starke Neigung zur Volkskunde. In erster Linie
interessierten ihn die Vorlesungen Bogatyrevs (Volkskunde), Wollmanns (Slawische Li-
teraturen und Traditionen), Ryääneks (Slawistik) und Mukarovskys (Ästhetik). Bereits im
Jahre 1939 erschien seine erste volkskundliche Studie Niekol’ko pozndmok k Vudovemu
stavitel'sWu na dolnej Orave (Einige Bemerkungen zur Volksarchitektur an der unteren Ora-
va) in Närodopisny sbornfk 1 (1939) 42, und er war nun endgültig entschlossen, die Lauf-
bahn eines Mittelschulprofessors aufzugeben, wenngleich er nach dem Studium, zwischen
1939 und 1941, aus Existenzgründen gezwungen war, am Gymnasium in Bratislava und 2ili-
na zu unterrichten. Doch bereitete er sich weiter auf seine zukünftige wissenschaftliche Tätig-
keit in der Volkskunde vor, die ihn als Schüler Bogatyrevs und Anhänger seiner funktionell-
strukturalistischen Schule auswies.
Im Jahre 1941 legte er seine Doktordissertation Funkcne premeny spevu v dnesnej dedine
(Funktionelle Veränderungen des Gesangs im zeitgenössischen Dorf) vor. Ein Teil daraus
wurde in Närodopisny sbornfk 2 (1941) 116 unter dem Titel Funkend premeny v dnesnom
dedinskom speve (Funktionelle Veränderungen im zeitgenössischen dörflichen Gesang) ver-
öffentlicht. Wie man aus der Bibliographie seiner Arbeiten ersehen kann, kehrte er auch in
späteren Untersuchungen immer wieder zum Volksgesang zurück. Nach dem Doktor-
examen wurde er Fachassistent für Volkskunde an der Comenius-Universität, und in dieser
Funktion verblieb er bis zum Jahre 1945. In dieser Zeit führte ihn ein längeres Auslands-
studium nach Leipzig, wo er sich mit den einzelnen Richtungen und methodologischen
Fragen der Volkskunde gründlich vertraut machte. Eine Frucht dieser Studien war seine
bemerkenswerte methodologische Arbeit Teöria ndrodopisu (Theorie der Volkskunde), die
in Buchform im Jahre 1945 erschien und mit der er sich im Jahre 1947 an der Philosophi-
schen Fakultät der Comenius-Universität habilitierte.
Am 1. September 1945 übernahm er als Referent die Volkskundliche Abteilung der Matica
slovenskä in Martin. 1948 wurde er ihr Sekretär. Gleichzeitig hielt er als Privatdozent Vor-
lesungen in Bratislava. Im Jahre 1949 ernannte ihn das Präsidium der Slowakischen Akademie
der Wissenschaften und Künste zum Vorsitzenden der Volkskundlichen Sektion und be-
traute ihn mit der Organisierung eines volkskundlichen Instituts an der Akademie. Im
Frühjahr 1949 besuchte er mich in 2ilina und forderte mich zur Mitarbeit auf. Mit dem
1. September 1949 begann unsere Zusammenarbeit in diesem Institut, als dessen Direktor
1 Zur Bibliographie seiner Arbeiten bis 1957 vgl. Die Musik in Geschichte und Gegen-
wart Bd. 6, 1761 ff.
108
Jan Mjartan
Melichercik im Jahre 1950 berufen wurde. Nachdem das Institut für verschiedene Sach-
gebiete Mitarbeiter gewonnen hatte, war er bestrebt, dieses neue Kollektiv in seiner Arbeit
zu vereinheitlichen und methodisch anzuleiten. Da die Mitarbeiter des Instituts aus den ver-
schiedensten volkskundlichen Schulen und Richtungen kamen, drei verschiedenen Gene-
rationen angehörten und eine ganz unterschiedliche wissenschaftliche Ausbildung erfahren
hatten, wurden systematische methodologische und ideologische Schulungen und gründ-
liche Diskussionen durchgeführt, auf denen alle volkskundlichen Richtungen — darunter
auch die funktionell-strukturalistische — einer Kritik unterzogen und die Methoden der
sowjetischen Volkskunde erläutert wurden. Diese Arbeit, die mit ihr verbundenen Referate
und Diskussionen leitete im wesentlichen Andrej Melicheröik. Einen ersten Beweis für
ihren Erfolg lieferten die Jahrgänge 9, 10 und 11 des Ndrodopisnij sborntk: während im
9. Jg- (I95°) noch externe Verfasser vorherrschten und der gesamte 10. Jg. (1951) Über-
setzungen ausgewählter Studien aus der sowjetischen Volkskunde gewidmet war, wurde der
11. Jg. (1952) bereits von Studien slowakischer Volkskundler bestritten.
Aus dieser Zeit stammen mehrere Studien Melicherciks über die Bedeutung der sowje-
tischen Volkskunde, über den Beitrag der tschechoslowakischen Ethnographie zum Aufbau
des Sozialismus u. a. In dieser Zeit widmete er sich auch einer intensiven Erforschung und
Neubewertung der progressiven Komponenten in der Geschichte unserer Volkskultur. Als
eine solche Komponente betrachtet er in erster Linie die außerordentlich lebendige und in
der ganzen Slowakei verbreitete Janosik-Tradition. Mit Hilfe des Volkskundlichen Instituts
der Slowakischen Akademie der Wissenschaften und mit Unterstützung von Volkskunde-
studenten der Comenius-Universität organisierte und leitete er umfassende Feldforschungen
über diese Tradition. Die Ergebnisse verarbeitete und publizierte er in seiner Studie Jdnosi-
kovskä tradicia na Slovensku (Die Janosik-Tradition in der Slowakei, Bratislava 1952), die
in mehreren Auflagen (auch in tschechischer Sprache) erschien. Im Zusammenhang damit
veröffentlichte er auch mehrere Detailstudien über die Traditionen des antifeudalen Kampfes
des slowakischen Volkes.
Im Jahre 1952 verließ er die Akademie und ging als Dozent an die Comenius-Universität,
an der er bis dahin nur als Gastdozent gewirkt hatte. Im Jahre 1957 wurde er zum Staat-
lichen Dozenten ernannt, im Jahre 1963 zum ordentlichen Professor für Volkskunde. Mit
dem Volkskundlichen Institut blieb er weiterhin verbunden; als Mitglied des Wissenschaft-
lichen Rats des Instituts, des Redaktionsausschusses der Zeitschrift Slovenski/ Ndrodopis,
der Fachkommission für Ethnographie und Folkloristik bei der Tschechoslowakischen Aka-
demie der Wissenschaften und der Kommission gleichen Namens bei der Slowakischen Aka-
demie der Wissenschaften, als Mitglied des Kollegiums für Geschichte der Slowakischen
Akademie, als stellvertretender Vorsitzender der Slowakischen Volkskundlichen Gesell-
schaft usw. usw. Er beteiligte sich an allen Forschungs- und Publikations vor haben des
Instituts, beurteilte und redigierte Manuskripte, bildete Aspiranten aus und prüfte sie, be-
urteilte Dissertationen usw.; auf seine Mitarbeit und Hilfe konnten wir uns immer verlassen.
In der Zeit seiner Universitätstätigkeit spezialisierte er sich immer mehr auf Fragen der
Folkloristik. In diesen Bereich fällt eine Anzahl Studien verschiedenen Umfangs, die in un-
seren Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurden. Gemeinsam mit E. Pauliny be-
reitete er Zätureckys Slovenske prlslovia (Slowakische Sprichwörter) zum Druck vor; meh-
rere Studien widmete er P. Dobäinsk^ im Zusammenhang mit der Neuherausgabe seiner
Prostondrodne slovenske povesti (Sagen des einfachen slowakischen Volkes), L’. Stur, den
Zpievanky (Liedern) von J. Kollar usw. Eine Synthese seiner folkloristischen Arbeiten bil-
det das Buch Slovenski) folklör. Chrestomatia (Slowakische Folklore. Chrestomathie), das
1959 erschien (vgl. Rez. DJbfVk 7, 1961, 317 —321).
Besonders erwähnt werden muß eine ähnlich der Janosik-Untersuchung angelegte
Aktion, die der Erforschung der Partisanen-Folklore aus der Zeit des Slowakischen National-
aufstandes und der Partisanenkämpfe gewidmet war. Die Untersuchungen erstreckten sich
auf alle Gebiete der Slowakei. Mit der Bearbeitung der dabei gesammelten Materialien und
ihrer Vorbereitung zu einer zusammenfassenden Publikation hatte Melicheröik bereits be-
gonnen. Einige Detailstudien wurden im voraus publiziert: Povstanie v üstnom podani
slovenskeho Vudu (Der Aufstand in der mündlichen Überlieferung des slowakischen Volkes),
Tagung der International Society for Folk Narrative Research 1966
109
Predvoj 6 (1962) Nr. 34, 8; Boj proti fasizmu za Slovenskeho närodneho povstania v üstnom
podani slovenskeho Vudu (Der Kampf gegen den Faschismus während des Slowakischen
Nationalaufstandes in der mündlichen Überlieferung des Slowakischen Volkes), Slovensky
narodopis 9 (1961) 358. Ein weiterer Plan sah die detaillierte Untersuchung seiner Heimat,
des Orava-Gebietes vor. Diese beiden Aufgaben konnte er leider nicht mehr verwirklichen.
Im Mai dieses Jahres fuhr er mit seinen Studenten ins Orava-Gebiet und dort erfaßte ihn die
tödliche Krankheit. Er starb am 31. Mai 1966 im Krankenhaus in Ruzomberok.
Aus dem Orava-Gebiet stammte er, über dieses Gebiet schrieb er seine ersten wissenschaft-
lichen Publikationen, und dort fand sein Wirken auch ein Ende. Sein wissenschaftliches Werk
hat jedoch gesamtslowakische Bedeutung erlangt; er hat sich mit seinen Arbeiten für alle
Zeiten nicht nur in die Geschichte der slowakischen Volkskunde, sondern auch in die Ge-
schichte unserer Wissenschaft überhaupt eingeschrieben.
Jan Mjartan, Bratislava
Tagung der International Society for Folk Narrative Research
vom 1. 9. bis 4. 9. 1966 in Liblice (CSSR)
Von Siegfried Neumann
Diese erste Arbeitstagung der ISFNR nach dem IV. Internationalen Kongreß der Volks-
erzählungsforscher in Athen (1964),1 deren Vorbereitung und Durchführung in den Händen
des Instituts für Ethnographie und Folkloristik an der Tschechoslowakischen Akademie der
Wissenschaften lag, hatte ein wichtiges Generalthema: Die Kategorien der Volksprosa. Wie
richtig es war, diese Problematik auf die Tagesordnung zu setzen, bewies die unerwartet rege
internationale Beteiligung. Die Veranstalter hatten lediglich an ein Kolloquium mit nur
wenigen Referaten und einer begrenzten Teilnehmerzahl gedacht. In seiner Eröffnungs-
ansprache vor über 70 Fachkollegen aus 18 europäischen Staaten, den U SA und Indien konnte
der Präsident der ISFNR, Kurt Ranke (Göttingen), jedoch feststellen, daß die Zusammen-
kunft den Rahmen eines wissenschaftlichen Kongresses bekommen habe. Auf dem Pro-
gramm standen 24 Vorträge und Referate, die teils grundsätzliche Kategorienprobleme der
Volksprosa, teils einzelne Erzählgattungen und Zwischenformen behandelten. Da geplant
ist, die eingereichten Manuskripte in Kürze in der Zeitschrift Fabula zu publizieren, soll hier
nur eine kurze Übersicht über die wichtigsten angeschnittenen Fragen gegeben und ein
Fazit der Tagung gezogen werden.
Die im Deutschen geläufige Gattungseinteilung in Märchen, Sage, Legende, Schwank,
auf deren Diskussion sich die Vortragenden vor allem konzentrierten, steht seit Jahrzehnten
im heftigen Für und Wider des internationalen Meinungsstreits. So gingen auch hier die
Ansichten weit auseinander. Während K. Ranke seine These bekräftigte, daß es sich bei
diesen Gattungen der Volksprosa um Urformen menschlicher Aussage handle, von denen
jede ihre bestimmte Funktion habe, und das Gattungsproblem deshalb ein anthropologisches
Problem sei, vertrat Kirill Öistov (Leningrad) — der infolge einer Erkrankung nicht hatte
kommen können — in seinem von Erna Pomeranceva (Moskau) verlesenen Beitrag den
Standpunkt, daß die einzelnen Gattungen keine unveränderlichen Gegebenheiten seien,
sondern unter den wechselnden kulturellen, sozialen und ethnischen Bedingungen ihres Da-
seins von sehr differenten gesellschaftlichen Aussagebedürfnissen geprägt würden. Zu dem
gleichen Ergebnis gelangten Viera Gasparikovä (Bratislava), Oldrich Sirovätka (Brno) und
Karel Dvorak (Prag), die Beziehungen zwischen einzelnen Gattungen der Volksdichtung
1 Vgl. den Bericht von Gisela Bürde-Schneidewind in DJbfVk 11 (1965) 324!.
110
Siegfried Neumann
untersuchten, Siegfried Neumann (Rostock), der den Prozeß der Gattungsdifferenzierung
innerhalb der komischen Volksprosa verfolgte, und Dagmar Klimova (Prag), die auf Grund
eigener Beobachtungen im Terrain 13 (!) strukturell verschiedene Darbietungsformen der
Sage schilderte. Dabei ging es jeweils um Fragen der Verfestigung, Spezifik und Abgrenzbar-
keil der Gattungen, die sich — wie die Referenten nach wiesen — zum Teil nicht mehr mit
den bisherigen Begriffsbestimmungen fassen lassen.
Es lag deshalb nahe, auf dieser Arbeitstagung einmal grundsätzlich den Zusammenhängen
zwischen Kategorie und Funktion nachzugehen — eine Aufgabe, der sich Brynjulf Alver (Oslo)
unterzog — und die weitgehend vom Funktionellen her bestimmte Variabilität und Stabili-
tät in den einzelnen Gattungen der Volksprosa einander gegenüberzustellen — was Jaromir
Jech (Prag) unternahm, der sich dabei auf seine reichen Erfahrungen als Sammler stützen
konnte. Aber nicht nur jede Gattung befindet sich in ständiger Veränderung und erlebt
Zeiten der Blüte und des Verfalls, sondern auch der einzelne Stoff entwickelt sich in der
Überlieferung, wie besonders Max Lüthi (Zürich) am Beispiel von Urform und Zielform in
Sage und Märchen demonstrierte. So geschah es im Grunde mit einer gewissen Folge-
richtigkeit, wenn Fritz Harkort (Göttingen) in seinem Referat vorschlug, die wirklich stabi-
len Elemente der einzelnen Gattungen zu bestimmen und eine neue Gattungseinteilung über-
haupt auszuarbeiten.
Demgegenüber wurde jedoch in den meisten Vorträgen versucht, von den bisherigen
Gattungsbegriffen auszugehen und sie zu präzisieren. Dabei konzentrierten sich die Be-
mühungen vor allem auf das heterogene Gebilde Sage, zu deren genauerer Bestimmung
Wichtiges beigetragen wurde, so unter den bereits erwähnten Referenten besonders von
K. Öistov, D. Klimova und O. Sirovätka. Wie die Fülle des gesammelten Sagenmaterials
sinnvoll geordnet werden kann, zeigten instruktive Berichte von Tony Brill (Bukarest) über
den Typenkatalog der rumänischen Sagen und von Lutz Röhrich (Mainz) über den auf der
Grundlage eines regionalen Entwurfs von Ingeborg Müller (Rostock) entstandenen deutschen
Totensagenkatalog. Mit Formproblemen des Märchens befaßten sich besonders Mihai
Pop (Bukarest), Agnes Koväcs (Budapest) und Vladislav Stanovsky (Prag). Der Legende
galten kenntnisreiche Beiträge von Julian Krzyzanowski (Warschau) und Jiri Horäk (Prag).
Und das Wesen des Schwanks war Gegenstand eines Vortrags von Hermann Bausinger
(Tübingen), der ein Schema der Strukturtypen dieser Gattung vorlegte.
Auch in den Diskussionen kristallisierte sich im Verlauf der Tagung immer deutlicher
die Ansicht heraus, daß es kein sinnvolles Unterfangen wäre, in der Bestimmung der Gattun-
gen völlig neu zu beginnen. Welche Schwierigkeiten die begriffliche Fixierung von Erzähl-
formen bereitet, zeigte Libuse Pourovä (Prag) am Beispiel der von den Erzählforschern bis-
her vernachlässigten Alltagsgeschichten. Es gilt jedoch — darüber war man sich einig —,
die bisherigen Gattungsbestimmungen entsprechend den heutigen Erkenntnissen zu modi-
fizieren und zu ergänzen. Das trifft besonders für die sogenannten .„Ubergangsgattungen“ zu,
für die präzisere Begriffe geschaffen werden sollen. Dabei wird die Funktion des Erzählten
stärker als bisher zu beachten sein. Hauptkriterien jeder Klassifizierung, soll sie methodisch
möglich und im Ergebnis anwendbar sein, müssen nach allgemeiner Auffassung jedoch die
Strukturen und Inhalte der Volksprosa bleiben. Problematisch sind freilich die Überschnei-
dungen in der Gattungseinteilung der Volksprosa in den verschiedenen Ländern und
Sprachen. Hier ist im Interesse der internationalen Verständigungsmöglichkeit und Zu-
sammenarbeit sowohl im Sachlichen wie Terminologischen dringend eine Übereinkunft
notwendig, die Tagesordnungspunkt einer späteren Tagung der ISFNR sein könnte. Die
jetzige Tagung in Schloß Liblice bei Prag, die mit einer interessanten Exkursion nach
Nordostböhmen ausklang, lieferte den Beweis, wie fruchtbar der internationale wissenschaft-
liche Gedankenaustausch über ein weltweit aktuelles Problem an ungestörtem Ort sein kann.
Den Gastgebern gebührt der aufrichtige Dank aller Teilnehmer.
Kolloquium Balticum Ethnographicum
vom ii. 9. bis 16. 9. 1966 in Berlin und Stralsund
Von Wolfgang Rudolph
Das Institut für deutsche Volkskunde an der Deutschen Akademie der Wissenschaften
zu Berlin begann 1956 mit einer breit angelegten Inventarisation im vorpommersch-meck-
lenburgischen Küstengebiet. Als deren Ergebnisse sind bereits mehrere Monographien
publiziert worden bzw. stehen kurz vor ihrer Veröffentlichung. Nachdem nun auch der
erste Band des neu begründeten Dokumentationswerkes zur Geschichte der materiellen
Volkskultur (Handbuch der volkstümlichen Boote im östlichen Niederdeutschland) erschienen
war, lud das Institut zu einem Kolloquium Balticum Ethnographicum nach Berlin und
Stralsund ein, um den Fachgelehrten in den Ostsee-Ländern Gelegenheit zu einem wissen-
schaftlichen Meinungsaustausch über die auf diesem Gebiet geleistete Arbeit zu geben.
Thema des Kolloquiums war die materielle Volkskultur der Ostsee-Küstenlandschaft im
Wandel des 19. Jhs. Es sollten vornehmlich Probleme der Herausbildung von speziellen
Handwerksberufen des Küstenbereiches diskutiert werden, ferner Fragen der Seßhaftigkeit
und Mobilität der Küstenbevölkerung sowie der Wandlung ihrer Siedlungsformen und
Siedlungsstrukturen. Das 19. Jh. wurde gewählt, weil in dieser Periode der Grund gelegt
wird für die Erscheinungsformen der Volkskultur in der Gegenwart.
In seiner Eröffnungsansprache wies Akademiemitglied Wolf gang Steinitz, Direktor des
Instituts für deutsche Volkskunde, darauf hin, daß der Gedanke, ein solches internationales
Forum für den wissenschaftlichen Meinungsaustausch der interessierten Fachleute im Ost-
seeraum zu schaffen, bereits vor einigen Jahren an verschiedenen Instituten entstanden sei.
Als eine Art Vorläufer kann das 1965 abgehaltene Symposium Die Bauerngesellschaft im
Ostseeraum um 1600 in Visby auf Gotland betrachtet werden. Es sei erfreulich, daß der
Vorschlag des Berliner Akademie-Instituts, das Kolloquium mit dieser Veranstaltung
zu beginnen, so gute Resonanz gefunden habe, so daß Fachvertreter aus allen Ostsee-
Anliegerstaaten der Einladung Folge leisteten, darunter namhafte Vertreter der Akademie
der Wissenschaft zu Moskau (L. N. Terentjewa), Tallinn (Ants Viires), Riga (Heinrich
Strods), Vilnjus (Vacius Milius) und der Finnischen Akademie der Wissenschaften (Kustaa
Vilkuna), sowie des Nordischen Museums, des Freilichtmuseums Skansen und des Staat-
lichen Seehistorischen Museums zu Stockholm (Gösta Berg, John Granlund, Olof Hasslöf),
ebenso des Dänischen Nationalmuseums (Oie Crumlin, Bjarne Stoklund). Von den Landes-
museen des benachbarten nordwestdeutschen Küstengebietes waren Vertreter aus Hamburg-
Altona (Jürgen Meyer), Bremen (Siegfried Fliedner) und Schleswig (Arnold Lühning)
gekommen.
In seinem Eröffnungsvortrag Bäume und Wege der handwerklichen Tradierung im
Bereich der ,Seestädte“’ im 19. Jahrhundert führte Reinhard Peesch ein in die volkskundliche
Problematik der ostniederdeutschen Küstenlandschaft, und zwar an Hand des in der bis-
herigen deutschen ethnographischen Forschung wenig behandelten Themas der Stadt-Land-
Beziehungen. Peesch suchte den Anteil des Handwerks an der Entstehung und Verbreitung
von Erscheinungen der materiellen Volkskultur im 19. Jh. zu erfassen und abzugrenzen.
Als volkskundlich bedeutsam erweist sich die führende Rolle der großen vorpommersch-
mecklenburgischen Seestädte, die handwerkliche Berufsbildungszentren auch für das
platte Land waren. Mit Beispielen aus dem volkstümlichen Hausbau stellte Peesch zwei
Komponenten der Entwicklung fest: 1. die technologisch-konstruktive, deren Tradierung
ganz in den Händen des Handwerks lag. Die Verbreitung neuer Arbeitstechniken und kon-
struktiver Novationen folgte mithin den Räumen und Wegen der handwerklichen Institu-
tionen im Bereich der alten Hansestädte des wendischen Quartiers; 2. die phänologische
Komponente der Erscheinungsform, des „Stils“ beim Bauernhaus. Hier sind die Elemente
sichtbar, die der Bauer als Bauherr, auch bei handwerklicher Ausführung, selbst bestimmte.
Solche Formen und Neuerungen des Stils entwickeln sich in kleinumgrenzten Räumen des
112
Wolfgang Rudolph
direkten Verkehrs und persönlichen Kontaktes, die die bäuerliche Lebenswelt ausmachen,
zu den bekannten Regionalvarianten des Niederdeutschen Hallenhauses. Das damit ge-
wonnene kulturgeographische Bild darf jedoch nicht verallgemeinert werden, da es Bereiche
der materiellen Volkskultur gibt, in denen ganz andere Wege der Tradierung auftreten.
Peesch wies das an einem Beispiel des ostniederdeutschen Bootsbaues nach, wo bei bestimm-
ten Fahrzeugformen (z. B. beim Heuer) die Verbreitung durch den Fischer als Erfahrungs-
träger hinsichtlich Benutzung und Verwendungsweise auf ganz anderen Bahnen als bei der
gleichzeitigen Verbreitung durch den Bootsbauer verläuft. An Hand dieses Vortrags verwies
R. Peesch auf die methodischen Prinzipien, die die Forschungsarbeit in der Gruppe „Arbeit
und Gerät“ des Instituts für deutsche Volkskunde bestimmen, deren Hauptaufgabe in der
Dokumentation der volkstümlichen Geräte in der DDR besteht. Als erstes Ergebnis legte
er das Handbuch der Boote — beispielhaft für den hier beschrittenen Weg der volkskund-
lichen Dokumentation und systematischen Klassifikation — den Fachkollegen vor.
Auch der zweite Vortrag des Kolloquiums beschäftigte sich mit einem Hauptproblem
der Volkskunde des Ostseeküstengebietes. Akademiemitglied Kustaa Vilkuna (Helsinki)
erläuterte Formen und Organisation einer alten saisonmäßigen Fischersiedlung an der Küste
des Bottnischen Meerbusens. Die nur 5 ha große Inselklippe Kalla war früher lediglich zur
Zeit des Laich-Strömlingsfanges bewohnt, und zwar (im 19. Jh.) zeitweise von über 100
dreiköpfigen Bootspartien. Auf der Klippe herrschte, schriftlich nachweisbar ab 1620, eine
demokratische Selbstverwaltung. Die „Klippenversammlung“ wählte den „Klippenältesten“
und 6 Schöffen, die gemeinsam Legislative und Exekutive ausübten, d. h. entsprechend dem
(im Archival erhaltenen) „Gesetzbuch der Klippe“ das Klippengeld einforderten und ver-
walteten, die Hafenordnung aufrechthielten, neuen Bootspartien ihre (allein durch den
Nachweis getätigter Arbeit erworbenen) Lande-, Wohn- und Netztrockenplätze zuteilten
und den Strafvollzug wahrnahmen, z. B. die Verweisung von der Insel. Erst die Motori-
sierung der Fischerboote beendete um 1930 den vielleicht tausendjährigen Saisonbetrieb
in dieser „Fitte“. Vilkunas Ausführungen erhellten Erscheinungen des sozialen Volkslebens
an jenen für die frühe Kulturgeschichte im Ostseeraum charakteristischen Saisonfischerei-
plätzen, deren Tradition andernorts, wie etwa auf Rügen, seit langem verschollen ist und nur
noch in den alten Ortsnamen bewahrt blieb.
Arved Luts (Tartu) machte mit verschiedenen Formen der oft sehr engen Verkehrs-
beziehungen bekannt, die im 19. Jh. zwischen der Küstenbevölkerung Estlands und Südfinn-
lands bestanden haben und hauptsächlich aus Fischerei, ortsnaher Küstenschiffahrt und
Schmuggel über See resultierten. L. N. Terent’eva (Moskau) erläuterte an Hand einer
reichen Bilddokumentation Siedlungstypen und ländliche Wohnweisen der lettischen Küsten-
fischereiplätze in Abhängigkeit von den politischen und sozialökonomischen Verhältnissen.
Nach einem Überblick über den Bestand im 19. Jh. ging sie besonders auf die bemerkens-
werten Veränderungen der jüngsten Periode ein. Mit diesem Beispiel demonstrierte sie die
neue Methodik volkskundlicher Forschung am Moskauer Akademie-Institut. Jadwiga
Kucharska (Lodz) trug Ergebnisse ihrer soziologisch orientierten Feldforschung im kaschu-
bischen Fischerdorf Karwia vor: vornehmlich über den im Zeitraum von 20 Jahren wahr-
nehmbar gewordenen Wechsel in den gegenseitigen Beziehungen der verschiedenen orts-
ansässigen Berufsgruppen. N. V. Slygina (Moskau) berichtete über den zu Beginn des
20. Jhs vollendeten Assimilationsprozeß zwischen der wotisch-izorischen Küstenbevölkerung
an der Newamündung und der russischen Stadtbevölkerung von Petersburg/Leningrad.
Ants Viires (Tallinn) legte die Rolle der Hausindustrie und des Wandergewerbes für die
Lebensweise auf den estnischen Inseln Dagö und Ösel dar. Die festen Formen des jahreszeit-
lichen Rhythmus im Wandergewerbebetrieb (Zimmerleute, Maurer, Drainagearbeiter,
Kartoffelroderinnen) sind von größerem volkskundlichen Interesse als die Besonderheiten
der insularen Hausindustrie (vorhandwerklicher Steinbruch, Teerbrennerei, Bau von Booten,
Schlitten und Wagen). Wolfgang Rudolph (Berlin) behandelte Fragen des Strukturwandels
im Bootsbau der Darßer Wasserdörfer und der Rostocker Fischervorstädte. An Hand charak-
teristischer Lebensläufe aus einigen im 19. Jh. sehr bekannten Bootsbauergeschlechtern
ließ sich eine Veränderung im sozialen Status nachweisen: vom nichtständigen Saisonbetrieb
dörflichen Gepräges zum permanenten Handwerk in konsequenter Arbeitsteilung nach
Kolloquium Balticum Ethnographicum
113
städtischem Vorbild, und zwar im Zeitraum zwischen 1880 und 1910. Dem gesellschaftlichen
Strukturwandel entsprachen konstruktive Formveränderungen der hergestellten Fahrzeuge
sowie wesentliche Veränderungen der handwerklichen Fertigungsbreite, womit u. a. das Ver-
schwinden lokaler Übergangsformen zwischen Einbaum und Plankenboot verbunden war.
Bjarne Stoklund (Kopenhagen) beschäftigte sich mit den Problemen der Mehrberuflichkeit
und Gesellschaftsstruktur auf der Kattegatinsel Laesa. Stark ausgebildet war in dem seit
Jahrhunderten von der Seefahrt geprägten Inselleben die geschlechtliche Arbeitsteilung:
die Abgrenzung der Tätigkeitsbereiche des Mannes (Schiffahrt, Fischerei, Strandungs-
wesen, Arbeit in der Zimmer- und Schmiedewerkstatt) von denen der Frau (Hauswirt-
schaft, Ackerbau, Land-Fuhrwesen). Die dominierende Stellung der Frau im „landseitigen“
Bereich könnte zur insularen Norm der Vererbung des Hofes in weiblicher Linie geführt
haben. Olof Hasslöfs (Stockholm) Vortrag Agrare und maritime Siedlung bildete gewisser-
maßen ein kritisches Resühmee der auf dem Kolloquium dargebotenen Beiträge zur volks-
kundlichen Problematik der Sozialbeziehungen. Ausgehend von der Feststellung weit-
reichender und historisch tief begründeter Unterschiede zwischen den für die Ostseeküsten-
landschaften belangvollen beiden Siedlungstypen wertete er den unterschiedlichen Stand
ihrer ethnographischen Erforschung. Die reiche Erfahrung lebenslanger Feldforscher-
tätigkeit erlaubte Hasslöf ein leidenschaftliches Plädoyer für die Korrektur des klassischen,
aber zu einfarbigen Kathederbildes von der Bauernkultur als „eigentlicher Normalkultur“
Skandinaviens. Dazu bedürfe es bei den eben erst anlaufenden maritim-ethnographischen
Untersuchungen nicht zuletzt der engen Zusammenarbeit aller im Ostseeraum auf diesem
Gebiet tätigen Volkskundler.
Mehrere Vorträge waren wichtigen Themen der Geräteforschung gewidmet.
Als Ergebnis einer Studienreise nach Nordfinnland berichtete Dietrich Treide (Leipzig) über
die Konstruktion der Fangwehre und über die Arbeitsorganisation der traditionellen statio-
nären Lachsfischerei im Torniofluß. S. Cimermanis (Riga) erläuterte Lettische Binnenfischereige-
räte als Gegenstände interethnischer baltischer Forschung und vermochte alte Kulturbeziehungen
zwischen Letten, Esten und Weißrussen nachzuweisen. Longin Malicki (Gdansk) informierte
über einen neuerworbenen Sammlungsbestand von Störspießen im Muzeum Pomorza zu
Gdansk. Heinrich Strods (Riga) sprach über die Rolle der deutschen Ackerbaugeräte im Über-
gang zur industriellen Landwirtschaft Lettlands und periodisierte die kleinhandwerkliche
Fertigung von Pflügen und Eggen im 19. Jh. Ulrich Bentzien (Rostock) verglich am Beispiel
des mecklenburgischen Hakens die ökonomisch-kameralistische Literatur des 18./19. Jhs und
bäuerliche Inventarien im Archival. Er wies dieser Literaturkategorie nur geringen Quellen-
wert und beschränkten Wirkungsgrad zu. Erst bäuerlich-handwerkliche Novationen be-
wirkten um 1800 die „Renaissance“ des Hakens. Vacius Milius (Vilnjus) referierte über
den Stand der Erforschung handwerklicher Novationen in der Volkskultur Litauens, sowie
über den Anteil, den Vertreter anderer Völker (Deutsche, Letten, Russen, Juden, Tataren)
am litauischen Dorfhandwerk besaßen. Zum Abschluß demonstrierte Arnold Lühning
(Schleswig) mit drei Filmen über verschiedene ländliche Tauwerk-Fertigungstechniken
eindrucksvoll die im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum geübte volkskundliche
Dokumentationsmethodik: aussterbende Arbeitstechniken von Hauswerk, Hausindustrie
und Dorfhandwerk mit Hilfe wissenschaftlicher Verfilmung zu erfassen und der forschenden
Auswertung zu erschließen.
Für den Mittwoch hatte das Berliner Staatliche Museum für Volkskunde (Direktor:
Ulrich Steinmann) zu einem Empfang mit anschließender Besichtigung der Sonderaus-
stellung Gebrauchsgerät in urtümlichen Arbeitstechniken eingeladen. Diese eigens in Hinblick
auf das Kolloquium Balticum Ethnographicum von Renate Münch und Erika Karaseck
gestaltete Ausstellung wies fast durchweg Neuerwerbungen aus den Gerätesammlungen
der Jahre 1964—1966 auf, deren Beschaffung die Mitglieder der Gruppe „Arbeit und Gerät“
des Instituts für deutsche Volkskunde besorgt hatten: zumeist hölzerne Gerätschaften, die
entweder für den Eigenbedarf der Dorfbewohner im Hauswerk hergestellt oder für gewerb-
liche Verwendung innerhalb größerer Absatzräume von der dörflichen Hausindustrie (Korb-
und Strohflechter, Reusenmacher, Besenbinder, Holzschuhmacher, Muldenhauer) ge-
fertigt wurden, und zwar in urtümlichen, aber größtenteils noch bis in unsere Gegenwart
8 Volkskunde
114
Wolfgang Rudolph
hinein lebendigen Arbeitstechniken. Die besondere Beachtung der Fachgenossen fanden
die wuchtigen einteiligen bzw. unter Verwendung eindrucksvoller Naturformen hergestell-
ten Stücke, wie Gabelschleife (von Rügen), Grützstampfe (von Usedom), Wassertrog,
Usedomer Angelbock, Darßer Schlitten, Rostocker Bodenschalenkahn, Einbaum vom
Odertal. Die Mitglieder der skandinavischen „Maritimethnologischen Arbeitsgruppe“
(Olof Hasslöf, Ingemar Atterman, Oie Crumlin) sowie die norddeutschen schiffahrtskund-
lichen Museumsmitarbeiter (Siegfried Fliedner, Bremen und Jürgen Meyer, Hamburg-
Altona) besichtigten mit besonderem Interesse den von Wolf gang Rudolph gesammelten,
aus 9 Fahrzeugen bestehenden Bootsbestand des Museums für Volkskunde.
Die letzten zwei Tage des Kolloquiums waren einer Exkursion nach Stralsund und zur
Insel Rügen Vorbehalten. Nachdem die ganze Altstadt der kultur- wie baugeschichtlich
gleicherweise bedeutsamen 700jährigen vorpommerschen Hanse- und Hafenstadt Stralsund
durch Regierungsbeschluß unter Denkmalschutz gestellt und mit einer großzügigen Sanie-
rung der eindrucksvollen profanen und geistlichen Altbauten begonnen worden war,
konnten die Teilnehmer des Kolloquiums die ersten sehenswerten Ergebnisse dieser im
niederdeutschen Gebiet einzigartigen denkmalpflegerischen Maßnahmen in Augenschein
nehmen. Denkmalschutz und Fachberatung bei der Altstadtsanierung gehören zu den neuen
Aufgaben des (1858 gegründeten) Kulturhistorischen Museums Stralsund (Direktor:
K. Nitschke), das den Fachkollegen bereits seit Jahrzehnten als Zentrum intensiver volks-
kundlich-musealer Sammeltätigkeit im Ostseeküstenbezirk bekannt ist. Käthe Rieck, die
verdienstvolle emeritierte Direktorin, machte die Gäste mit den Leistungen der Stralsunder
Denkmalspflege bekannt und stellte innerhalb des Museums die Volkskundeabteilung vor,
deren hauskundlicher Teil eben eine von Karl Baumgarten (Rostock) betreute Neuordnung
erfahren hatte. Käthe Rieck berichtete ferner über die seit 1958 laufende und in engem Zu-
sammenwirken mit der Gruppe „Arbeit und Gerät“ des Instituts für deutsche Volkskunde
durchgeführte systematische Sammelaktion zur Erfassung derjenigen Gerätschaften, die
speziell für die Küsten-Volkskultur in Vorpommern und Mecklenburg charakteristisch
sind. In einigen Jahren soll mit diesen Neuerwerbungen, unter denen sich hauptsächlich
Großgeräte wie Zug- und Schleppnetze, Reusen, Schlitten und Boote befinden, ein neuer
Ausstellungstrakt in der gotischen Katharinenhalle eröffnet werden, die zur Schwedenzeit
Stralsunds als Zeughaus gedient hat.
Am Freitag lernten die Tagungsteilnehmer das volkstümliche Zimmermannswerk sowie
die Entwicklung der ländlichen Wohnweise während der letzten drei Jahrhunderte auf
der Insel Ummanz kennen. Dort machte Karl Baumgarten, Leiter der Wossidlo-Forschungs-
stelle Rostock des Instituts für deutsche Volkskunde, die Teilnehmer mit typischen Fischer-
Wohnhäusern bekannt, mit einer aus dem 17. Jh. stammenden Pfarrhofscheune und mit
bemerkenswerten Architektur-Sonderformen der Fachwerkdorfkirche von Ummanz-
Waase, die durch das Triptychon aus Antwerpener Schule (um 1520) bekannt ist. Über die
alte Inselhauptstadt Bergen, deren romanische, vermutlich als Pfalz der slawischen Landes-
fürsten angelegte Marienkirche besichtigt wurde, ging es weiter zur Nordspitze Rügens,
nach Arkona, wo Wolfgang Rudolph kurz auf die überlokale Bedeutung dieser spätslawi-
schen Tempelburg hinwies. Die 1921 von Schuchhardt durchgeführte Burggrabung wfird
1969 von seiten der Deutschen Akademie der Wissenschaften als Siedlungsgrabung neu
aufgenommen. Es schloß sich eine Wanderung zum nahen, unter Denkmalschutz stehenden
Fischerdorf Vitt an, dessen Topographie sich seit dem 17. Jh. unverändert erhalten hat und
für das eine 800jährige Kontinuität gesichert ist: anfangs als periodisch besiedelter Arbeits-
platz des Fitten-Typs während der Heringsfangsaison, später als ständig besiedelte Anlage mit
charakteristischer Gemeinschaftsfischerei. Hier unter dem Kreideufer von Kap Arkona
erfuhr Prof. Vilkunas Vortrag eine nachträgliche und nachhaltige Verdichtung zum Land-
schafts- und Geschichts-Erlebnis, das von allen Tagungsteilnehmern als Höhepunkt an-
gesehen wurde. Den Abschluß der Exkursion bildete ein Abstecher nach Stubbenkammer.
Dort, auf den 120 m hohen, in herbstlich gefärbten Buchenwald gebetteten Kreidefelsen,
nahmen Gäste und Gastgeber Abschied von der Landschaft der südlichen Ostseeküste, mit
deren Volkskultur und Kulturgeschichte sich das Kolloquium Balticum Ethnographicum
ergebnisreich beschäftigt hatte.
Der Vorgang des Tradierens
Bericht über das Kolloquium des Instituts für deutsche Volkskunde der DAW
vom 17. bis 18.3. 1966 in Berlin
Von Reinhard Peesch
Vor zwei Jahren begann das Institut in einem internen Kolloquium (24.-25. 3. 1964)
mit der Erörterung theoretischer Probleme. Ausgangspunkt war ein Referat von H. Stro-
bach zum Thema Der marxistische Volksbegriff und seine Bedeutung für die Bestimmung
des Forschungsgegenstandes der Volkskunde. Auf Grund der Vorarbeiten auf dem Gebiet des
Volkslieds von W. Steinitz und eigener Studien behandelte er vor allem das Problem,
ein Kriterium zu finden, das für alle Erscheinungen der Volkskultur als ein charakteristisches
und spezifisches Merkmal gelten könne. Sein durch Beispiele begründeter Vorschlag,
dieses Kriterium im Vorgang des Tradierens in der Volkskultur, wie er in der Volksdich-
tung mit dem Begriff „Folklorisierung“ umschrieben wird, zu sehen, fand damals freilich
nicht die Zustimmung der auf dem Gebiet der materiellen Kultur tätigen Mitarbeiter.
Doch wurde der Wert solcher Diskussionen von allen Seiten anerkannt und ihre Fort-
setzung gewünscht.
Gelegenheit hierzu bot ein Kolloquium, das ein Jahr später folgte (2. 2. 1965) und das den
Problemen der Gegenwartsvolkskunde gewidmet war. In ausführlichem Vortrag legte P. Nedo
seine Konzeption zu diesem Thema vor, die er in folgende vier Abschnitte gliederte: die
Aufgaben der Volkskunde, besonders in Übereinstimmung mit den allgemeinen Aufgaben
der historischen Wissenschaften; der Gegenstand der Volkskunde in der Erforschung der
Gegenwart; die neuen Methoden einer Gegenwartsvolkskunde; die Möglichkeiten zur
Realisierung der volkskundlichen Aufgaben für diese Periode. Ergänzend berichtete W. Jaco-
beit über den Plan für eine Forschungsarbeit des Instituts (Die Entwicklung des Zuckerrüben-
anbaus in der Magdeburger Börde in ihren Auswirkungen auf die bäuerliche Lebenswelt),
die in Zusammenarbeit mit Vertretern anderer Wissenschaften durchgeführt wird. In der
Diskussion, an der sich neben den Institutsmitarbeitern als Gäste auch E. und J. Barabäs,
Budapest, sowie I. Sellnow, Berlin, beteiligten, wurde von verschiedenen Seiten betont, daß
die Volkskunde für die Gegenwart nur Teilprobleme behandeln könne. Für die praktische
Arbeit auch in dieser Periode sei es aber unerläßlich, den Gegenstand der Wissenschaft noch
genauer zu bestimmen und gegenüber den Nachbarwissenschaften, besonders der Soziologie,
besser abzugrenzen.
Nach den Erfahrungen der beiden Kolloquien schien es angebracht, dieses Mal die Dis-
kussion auf ein theoretisches Teilproblem einzuschränken. Der Vorgang des Tradierens wurde
gewählt, weil er ein zentrales Problem bildet, von dem aus der Ansatz für ein einheitliches
System der Volkskunde gewonnen werden könnte. Zur Einführung wurden allen Teil-
nehmern, unter ihnen als Gäste die Dozenten für Volkskunde der Humboldt-Universität
Berlin, die leitenden Mitarbeiter des Museums für Volkskunst Dresden und des Museums
für Volkskunde Berlin und zeitweilig J. Jech aus Prag, die Referate Zur Tradierung von
Gerät und Arbeitserfahrung von R. Peesch1 und Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten der
Variabilität von H. Strobach1 2 in Auszügen zugänglich gemacht. Auf dem Kolloquium selbst
wurden, nachdem W. Steinitz und H. Strobach zur Eröffnung einen kurzen Rückblick über
unsere bisherigen Bemühungen zur Klärung theoretischer Fragen gegeben hatten, von
Institutsmitarbeitern einige schriftlich vorbereitete Diskussionsbeiträge vorgetragen.
G. Bürde-Schneidewind behandelte Formen der Tradierung in der deutschen Volkssage;
1 Unter dem Titel Das Gerät in der Arbeitswelt des Fischers in DJbfVk 12 (1966) 26 — 36.
2 Erschienen in Sovetskaja Etnografija 3 (1966) 133 —138 (russisch) und Jb. f. Volkslied-
forschung 11 (1966) 1—9.
8*
116
Reinhard Peesch
K. Baumgarten sprach über Tradierungsschichten im mecklenburgischen Hausbau ;3 F. Sie-
ber definierte einige Grundbegriffe (vorstrukturell, Innovation, Varianten ersten und zwei-
ten Grades, Survival u. a.) am Beispiel der Tradierungsprozesse im Brauchtyp des Todaus-
tragens;4 W. Jacobeit referierte ausführlich über Tradition und Novation unter Berück-
sichtigung neuerer Arbeiten.
Da die Referate auf recht unterschiedlicher Grundlage angelegt waren und ihre Er-
gebnisse zum Teil differierten, schien es angebracht, als Ausgangsbasis für die Diskussion
am zweiten Tag das gestellte Problem nochmals kurz zu beleuchten. Zu diesem Zweck ent-
wickelte R. Peesch eine schematische Darstellung, in der er am ergologischen Beispiel zwei
Thesen behandelte. Die erste, in der Waagerechten dargestellt, besagt: ,Das Gerät in der
Volkskultur ist als Objektivation gesellschaftlicher Arbeitserfahrung und individueller
Leistung zu verstehen4. Nachdem hiermit der Gegenstand des TradierungsVorgangs be-
stimmt ist, besagt die zweite These, die in der Senkrechten dargestellt wird: ,Die Tradierung
der materiellen Volkskultur erfolgt als mündlich-gedächtnismäßiges Bewahren und Ver-
mitteln der gesellschaftlichen Arbeitserfahrung4. Die in diesem Zusammenhang auf tretenden
Kategorien wurden erläutert und ihre Relationen dargelegt. Dieses Schema (s. Tafel), das in
seinen Grundzügen als richtig akzeptiert wurde, löste eine lebhafte Diskussion aus, in der
unter verschiedenen Gesichtspunkten vor allem der dynamische Charakter des Vorgangs
hervorgehoben wurde. Eine wichtige Rolle spiele dabei die Funktionsgerechtigkeit (F. Sie-
ber). Solange eine Sache als funktionsgerecht empfunden wird, ändere sich nichts. Wird
durch irgendwelche Einflüsse und Umstände dieses Verhältnis gestört, kann eine Änderung
eintreten. Sie kann variiert oder sogar durch eine Neuerung ersetzt werden. Kommt die
Gruppe selbst dazu, so ist das eine Novation im Binnenraum des Tradierungsvorgangs. Aber
Anstöße zur Neuerung können auch von außen herangetragen werden. Solche von außen
hereinkommenden Novationen können so stark sein, daß sie den ganzen Tradierungsvor-
gang ins Wanken bringen. Insbesondere sei auch die Arbeitserfahrung nicht als etwas Starres
und Unveränderliches aufzufassen; sie ist vielmehr ein Prozeß, für den ständiger Austausch
und Wechsel charakteristisch sind (S. Kube). Als Faktor, der in dieser Richtung ständig wirk-
sam sei, müsse auch die objektivierte Sache selbst genannt werden (S. Neumann, C. Kreuz-
berg). Alles, was produziert wird, wirkt auf die Arbeitserfahrung zurück. Variationen und
Novationen im Bereich der Objektivation fließen in die Arbeitserfahrung ein, die auf diese
Weise entscheidend verändert werden kann. Mit dem Vorgang des Tradierens wird nun
außerdem das Phänomen der Erziehung angeschnitten, dem dann in diesem System eine
bedeutungsvolle Rolle zufällt (A. Fiedler). Auch für die Volksdichtung sei das Schema an-
wendbar, wenn man andere Termini einsetzt (J. Jech). Man spricht hier von Tradition und
individueller Leistung. Beide Begriffe bilden jedoch eine Einheit wie die zwei Seiten einer
Münze. Auf einer Seite stehen die beharrenden Kräfte, auf der anderen die veränderlichen.
Beide gehören zusammen. Und im wechselseitigen Verhältnis beider Faktoren sei das Wesen
der Volksdichtung zu bestimmen.
Die Diskussion wandte sich dann der Frage zu, welche Bedeutung der Schriftlichkeit in
diesem Prozeß zukomme. Es sei anzuzweifeln, ob man den Tradierungs Vorgang generell als
mündlich-gedächtnismäßig charakterisieren könne, da in vielen Berufen (z. B. bei Töpfern
und Glasbläsern) handschriftliche Hefte und Merkzettel für Einzelheiten der Arbeits-
verfahren schon in früher Zeit nachweisbar sind (R. Weinhold), wie auch aus ganz früher
Kulturepoche Keilschrifttexte zur Technologie verschiedener Arbeiten bekannt sind (Wils-
dorf). Dagegen müsse festgestellt werden, daß schriftliche Aufzeichnungen z. B. beim Volks-
lied (hs. Liederbücher der Sänger) die mündliche Überlieferung nicht wesentlich beein-
flussen (D. Stockmann). Schriftlichkeit an sich sei jedoch nicht das entscheidende Kriterium
in dieser Frage, sondern ihr Anteil an diesem Prozeß (W. Steinitz). Im Handwerk, in
Deutschland besonders früh in den Bauhütten, dienten Schrift und Zeichen dazu, um be-
stimmte technologische Kenntnisse, die gedächtnismäßig nicht mehr bewältigt werden
3 Veröffentlicht in DJbfVk 12 (1966) 365 — 367.
4 Vgl. hierzu F. Sieber, Deutsch-westslawische Beziehungen in Frühlingsbräuchen. Im
Druck.
Der Vorgang des Tradierens
Schematisch dargestellt am Beispiel des Geräts in der Volkskultur
Von Reinhard Peesch
Gesellschaftliche Arbeitserfahrung (Wissen) Individuelle Leistung
über die Rohstoffe über die über die über die und ihre Eigenschaften Arbeitstechniken äußere Erscheinung Verwendungsweise (fixiert in Arbeits- des Geräts (fixiert in und die gesellschaftliöhe regeln usw.) Maßverhältnissen, Geltung des Geräts künstlerischen Form- + Begabung, Handfertigkeit usw. mit der Potenz zur Variation und zur Novation
prinzipien usw.)
mit den mundartlichen Bezeichnungen und Redewendungen
Die Tradierung
erfolgt als mündlich-gedächtnismäßiges Bewahren und
Vermitteln der gesellschaftlichen Arbeitserfahrung
Die mündlich-gedächtnismäßige Tradierung erlischt,
wenn die literarisch vermittelte, wissenschaftlich-
technische Ausbildung an ihre Stelle tritt
Obje ktivation
Das Gerät in vielfacher Wieder-
holung der gleichen Form
oder der variierten Form
(Variation) oder der völlig neuen
Form (Novation)
Ethnographische Freilichtmuseen in Polen
117
konnten, für die eigene praktische Arbeit festzuhalten. Hierdurch werden jedoch nur Teil-
bereiche der gesellschaftlichen Arbeitserfahrung berührt. Deshalb bleibt die Tradierung im
wesentlichen mündlich. Dasselbe gilt vom Volkslied, wo handschriftliche Liederbücher
früher nur als Gedächtnisstütze benutzt oder sogar nur als Erinnerungsbücher angelegt
wurden, und sinngemäß von anderen folkloristischen Gattungen. Diese Art der Schrift-
lichkeit beeinträchtigt die schöpferische Variation in der Volkskultur in keiner Weise, denn
sie beabsichtigt ja keine unveränderliche Fixierung. Sie kann im Gegenteil anregend und be-
reichernd sein. In neuerer Zeit wächst der Anteil der Schriftlichkeit so an, daß die mündliche
Tradierung hierdurch ganz ersetzt wird. Sie wird in der materiellen Kultur zum alleinigen
Träger und Vermittler wissenschaftlicher Kenntnisse und im sprachlich-künstlerischen Be-
reich zum Träger und Vermittler literarisch fixierter Stoffe. Diese Formen sind dann nicht
mehr Gegenstand der Volkskunde. Für die Volkskunde ist es deshalb wichtig, Art, Umfang
und Bedeutung der Schriftlichkeit in der Volkskultur zu untersuchen.
Eine Zusammenfassung für diesen Teil der Diskussion gab F. Sieber: Das Schema mit
den Ergänzungen, die sich in der Diskussion zu einzelnen Zügen ergeben haben, zeige alle
Möglichkeiten der Wechselbeziehungen im ungebrochenen Tradierungsprozeß, der sowohl
den Vorgang der Objektivation als kollektiv-individuelle Leistung als auch die ständige Be-
reicherung durch Novationen einschließt.
Im zweiten Teil der Diskussion ging H. Strobach auf die Referate des Vortags ein. Dort
seien vor allem Kategorien und Begriffe gebraucht worden, die nicht nur in der Volkskunde
Geltung haben, sondern in allen kulturhistorischen Wissenschaften. Sie könnten deshalb
nicht zur Bestimmung des Gegenstandes unserer Wissenschaft angewendet werden, ins-
besondere nicht zur Abgrenzung gegenüber den anderen Wissenschaften. Als ein Kriterium,
das für die Volkskultur als spezifisch anzusehen ist, habe man bisher nur die mündlich-
gedächtnismäßige Tradierungsweise gefunden. Und will man von hier aus unseren Gegen-
stand eingrenzen, so muß man sagen: es ist der Kulturbereich, für den das mündlich-kollek-
tive Tradieren eine wesentliche Konstituante bildet. In der Diskussion dazu wurden die
gegensätzlichen Standpunkte wiederholt, insbesondere die Einwendungen gegen den Be-
griff des „Mündlichen“ in dieser Definition, ohne daß Übereinstimmung erzielt werden
konnte. Der Vorschlag, eine Klärung dieses Problems durch eine Reihe weiterer Unter-
suchungen auf verschiedenen volkskundlichen Teilgebieten und an unterschiedlichen Stoffen
herbeizuführen, fand allgemeine Zustimmung. Hier liegen die Aufgaben für eine Fortsetzung
des Kolloquiums, das in freimütiger Polemik ein wichtiges Teilproblem behandelte und da-
mit einen positiven Beitrag zur Theorie der Volkskunde leistete.
Ethnographische Freilichtmuseen in Polen
Von Longin Malicki
Zur Geschichte
Der gegen Ende des 19. Jhs in Skandinavien entstandene und verwirklichte Gedanke,
Denkmäler der Volksarchitektur durch Überführung in Freilichtmuseen zu bewahren, hat
in Polen bereits früh Widerhall gefunden. So waren schon die Begründer des Tatra-Museums
in Zakopane, Prof. J. Baranowski und A. Scholtze, im Jahre 1888 bemüht, ein typisches
Goralenhaus mit voller Ausstattung in die Nähe des Museumsgeländes zu versetzen, doch
gelang es damals noch nicht, das Projekt zu verwirklichen.
Erst zu Beginn des 20. Jhs führten die energischen Bemühungen einiger Sammler, die
sich für diese Idee begeisterten, zur Errichtung zweier Freilichtmuseen in Polen. Dabei darf
freilich nicht vergessen werden, daß Polen zu jener Zeit noch dreigeteilt war, wodurch vor
allem kulturelle Vorhaben stark behindert wurden.
118
Longin Malicki
Eine dieser beiden Anlagen entstand im nördlichen Polen, im kaschubischen Gebiet. Dort
kaufte im Jahre 1906 der Lehrer und Liebhaber-Ethnograph Izydor Gulgowski in dem
Bauern- und Fischerdorf Wdzydze bei Koscierzyna, Woiwodschaft Gdansk, ein aus dem
18. Jahrhundert stammendes Vorlaubenhaus und stattete es mit originalen Geräten der
schon damals schwindenden Volkskultur aus. Dieses Objekt befand sich in einer bewaldeten,
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ETHNOGRAPHISCHE FREILICHTMUSEEN IN POLEN
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IM ORGANISATIONSSTADIUM B IM BAU
A VORSCHLAG
landschaftlich reizvollen Umgebung. Es war die Absicht des Begründers, der Anlage später
noch eine bereits ausgewählte Scheune und einen Stall hinzuzufügen, um auf diese Weise
ein ganzes Gehöft zu schaffen. Außerdem dachte er daran, auch eine Dorfkapelle und eine
kleine hölzerne Kirche dorthin zu versetzen. Die Realisierung dieser Vorhaben verhinderten
zunächst der x. Weltkrieg und die darauf folgenden finanziellen Schwierigkeiten sowie
schließlich der Tod des Begründers. Im Jahre 1929 wurde dieser Denkmalshof an den Staat
verkauft — leider vernichtete ein Brand im Jahre 1932 das historische Bauernhaus. Frau Gul-
gowski ließ daraufhin 1936 eine Kopie errichten und stattete es erneut mit echten Einrich-
Ethnographische Freilichtmuseen in Polen
119
tungsgegenständen aus. Nach dem 2. Weltkrieg, im Jahre 1948, schenkte die Eigentümerin
dieses Gebäude dem Staat; seitdem wird es vom Muzeum Pomorskie in Gdansk betreut
(Taf. 15). In den Jahren 1953/54 wurde die Anlage um ein zweites Baudenkmal, ein Fischer-
haus, erweitert. Beide Objekte sind mit originalem Mobiliar aus dem 19. Jh. ausgestattet.
Da dieses Museum sich an einer ausgesprochenen Touristenstraße befindet, wird es während
des Sommers von vielen Fremden besucht.
Die weitere Anlage gründete der Ethnograph Dr. Adam Ch§tnik in Nowogröd am Na-
rew, Woiwodschaft Bialystok. Bereits seit 1909 hatte er mit großem Eifer Material für dieses
Unternehmen gesammelt, doch verbrannten während des x. Weltkrieges sämtliche aus-
gelagerten Stücke. Dieser Schlag aber entmutigte ihn nicht; erneut begann er, mit seiner
Frau Zofia Material zusammenzutragen, so daß er schließlich 1927 die auf einer bewaldeten
Anhöhe befindliche Anlage der Öffentlichkeit übergeben konnte. Vorhanden waren hier
mehrere Wohn- und Wirtschaftsgebäude mit dem entsprechenden Inventar. Darüber hinaus
war dieser Park mit Objekten der Bienenzucht sowie mit Werken bildnerischen Volks-
schaffens ausgestattet. Leider wurde das gesamte Museumsdorf schon in den ersten Tagen
des 2. Weltkrieges vernichtet. Gegenwärtig jedoch wird die Anlage durch die Initiative des
Begründers erneut aufgebaut — sie weist heute bereits wieder 7 Gebäude mit allem Mobiliar,
Wirtschaftsgeräten und Erzeugnissen der Volkskunst sowie eine schöne Sammlung von
Klotzbeuten auf. Verwaltungsmäßig ist der Nowogröder Park dem Museum in Lomza
unterstellt.
Diese beiden Anlagen waren zwar nicht groß, sie spielten jedoch in ihrem Bereich eine
bedeutende kulturelle Rolle — als die ältesten in Polen werden sie noch heute in der Öffent-
lichkeit sehr geschätzt.
Auch in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, d. h. in den Jahren 1919 —1939, war
man in anderen Gebieten bemüht, ähnliche Museen zu schaffen. Zu nennen sind das
Ethnographische Museum in Krakow sowie das Komitet Budowy Osiedla Muzealnego
(Kommission zur Errichtung einer Museumssiedlung), die versuchten, in Las Wolski bei
Krakow ein größeres Freilichtmuseum zu errichten. Pläne und Kostenanschläge wurden aus-
gearbeitet und in den Jahren 1927/30 bereits zwei Bauernhäuser angekauft. Die zu dieser
Zeit schwierigen ökonomischen Bedingungen verhinderten jedoch die Verwirklichung des
Vorhabens.
Ein ähnliches Schicksal erlitten die Bestrebungen der Mag. Jadwiga Swi^tkowska. Sie
beabsichtigte, in dem ethnographisch außerordentlich interessanten Gebiet von Lowicz,
und zwar in der Gemeinde Zlaköw, in den 30er Jahren ein „Skansen“ zu schaffen. Gegen-
wärtig ist in Lowicz ein kleiner Ethnographischer Park (Park Etnograficzny przy Mu-
zeum w Lowiczu) im Aufbau, in dem bereits zwei Bauernhöfe aufgestellt werden konnten.
Gute Aussichten auf Verwirklichung hatte demgegenüber das Projekt eines Museums in
Katowice, das vom dortigen „Muzeum Öl^skie“ 1930 Stadtpark begonnen wurde — hier
war die finanzielle Grundlage von Anbeginn an gesichert. Dieses Freilichtmuseum sollte alle
charakteristischen Architekturformen der schlesischen Holzbauweise aufzeigen. Kurz vor
dem Ausbruch des 2. Weltkrieges wurden dorthin eine Holzkirche mit Glockenturm aus
dem Jahre 1510 und ein Speicher aus dem 17. Jh. überführt. Wiederum verhinderte der Krieg
die Vollendung des Vorhabens, doch konnten wenigstens die bereits aufgestellten Gebäude
bis heute gerettet werden.
Bemerkt sei schließlich, daß auch der Gedanke eines Zentralen Freilichtmuseums in die-
ser Zeit seine Anhänger hatte. Zu ihnen zählte vor allem Oskar Sosnowski, Professor am
Polytechnikum in Warschau, der sich intensiv mit der Skansen-Idee beschäftigte. In seiner
Anlage sollten nicht nur eine Anzahl Denkmäler dörflicher und kleinstädtischer Architek-
tur gezeigt, sondern auch dokumentarisch belegte Bauten rekonstruiert werden. Als Stand-
ort für diesen Park war Mlociny bei Warschau vorgesehen; mit der Bearbeitung dieses
Planes war seit 1924 der Architekt Dr. Gérard Ciolek betraut.
Schon bald nach der Beendigung des 2. Weltkrieges, der Polen ungeheuere Verluste ab-
forderte, erwies sich, daß der Skansen-Gedanke in Polen noch lebendig war. Bemühungen,
Freilichtmuseen zu schaffen, waren jetzt um so begründeter, als das polnische Dorf nunmehr
grundlegende gesellschaftliche und ökonomische Wandlungen durchmachte.
120
Longin Malicki
Nachdem die masurischen Gebiete wieder an Polen zurückgekommen waren, konnte auch
das Dorfmuseum in Olsztynek, Krs. Oströda, Woiwodschaft Olsztyn, übernommen wer-
den. Diese Anlage war 1909 im Zoologischen Garten in Königsberg nach Plänen von Dr.
Richard Dethlefsen gegründet und 1940 von dort in das masurische Gebiet, in das damalige
Hohenstein, verlegt worden. Auf einem ca. 3 5 ha großen hügeligen Gelände sind hier vor-
nehmlich Kopien von Volksbauten aus Litauen, Ermland, den Masuren sowie aus dem
Weichselgebiet errichtet worden. Seitdem die Kriegsbeschädigungen behoben sind, wird
dieses Museum planmäßig erweitert und durch originale Bauten aus den Masuren und dem
Ermland ergänzt. Gegenwärtig besitzt es 14 Objekte, doch ist ein Ausbau auf insgesamt
50 Objekte geplant — darunter drei vollständige Gehöfte und drei Windmühlen. Damit wird
diese Anlage in Zukunft zum Typ der größeren regionalen ethnographischen Parks zählen.
Zur Zeit untersteht sie dem Muzeum Mazurskie in Olsztyn. Um ihren weiteren Ausbau hat
sich insbesondere der Ethnograph Dr. Franciszek Klonowski in Olsztyn verdient gemacht.
Auch in Wola Justowska bei Krakow nahm man die Vorkriegspläne zur Errichtung eines
Freilichtmuseums wieder auf. 1949 wurden hierher eine aus dem 16. Jh. stammende Dorf-
kirche aus Südpolen, ein Haus mit Laube sowie ein weiteres Holzhaus umgesetzt. Leider
stagniert seitdem der weitere Ausbau.
In gewissem Sinne rechnen zu den Freilichtmuseen auch eine Holzkirche in Rabka, Woi-
wodschaft Krakow, in dem ein umfangreiches ethnographisches Material untergebracht ist,
sowie eine Gruppe historischer Goralenbauten in Zakopane, Woiwodschaft Krakow, die be-
reits vom Museum erworben sind, aber noch von den früheren Eigentümern bewohnt
werden. Ein in den 50er Jahren in Angriff genommener und wichtiger Ethnographischer
Park der Landschaft Podhale ist leider bis heute über die Planung nicht hinausgekommen.
Für Südpolen ist weiter das zwar nicht sehr große, aber gut geleitete Freilichtmuseum der
Landschaft Orawa in Zubrzyca Görna, Krs. Nowy Targ, Woiwodschaft Krakow zu nennen.
Den Grundstock dieses Museums bildet ein dem Staat 1937 geschenkter Bauernhof, dem
nach dem Kriege eine Reihe anderer für dieses Gebiet typischer Gebäude hinzugefügt wurde.
Gegenwärtig befinden sich hier 11 Objekte. Verwaltet wird die Anlage von der Polnischen
Heimatkundlichen Gesellschaft, Kostenträger ist der Konservator der Woiwodschaft.
Das erste größere ethnographische Freilichtmuseum in Südost-Polen entstand im Jahre
1955 in Sanok, Woiwodschaft Rzeszöw, unter der Leitung seines Direktors Aleksander
Rybicki. Dieser Park mit der Bezeichnung Muzeum Budownictwa Ludowego w Sanoku (Mu-
seum der Volksarchitektur in Sanok) entstand in einer Gegend, in der sich infolge der Kriegs-
ereignisse das Bild und die Struktur des Dorfes grundlegend veränderten. Er ist auf dem
rechten Ufer des San gelegen und umfaßt bei einer Größe von 20 ha bisher 10 Original-
objekte (Taf. 16). Zum Erfassungsbereich dieser Anlage zählen die neun Kreise der Woiwod-
schaft Rzeszöw. Es ist daher vorgesehen, seinen Umfang auf 38 ha zu erweitern und ca.
60 Bauten aufzustellen. Ethnographen, Architekten, Kunsthistoriker und Konservatoren
sind gleicherweise an diesem Projekt beteiligt. Verwaltungsmäßig ist dieses Museum voll-
kommen selbständig, es untersteht direkt der Kulturabteilung des Woiwodschaftsrates. Es
verfügt auch über ein eigenes Statut und eine eigene Finanzführung, über Zimmermanns-,
Tischler- und Konservatorenwerkstätten, die entsprechenden wissenschaftlichen Kräfte
sowie über eine Zeitschrift (JBiuletyn Informacyjny). Neben der eigentlichen Museumsarbeit
werden von den dortigen Kräften auch Konservierungs- und Reparaturarbeiten an Bau-
denkmälern im Terrain durchgeführt. Schließlich ist es auch Aufgabe dieses Museums, Me-
thoden für die Errichtung polnischer Freilichtmuseen zu erarbeiten.
In Nordpolen wurde 1958 ebenfalls mit dem Aufbau eines Freilichtmuseums im slowin-
zischen Gebiet begonnen. 1963 konnte in Kluki, im Kreise Slupsk, Woiwodschaft Ko-
szalin ein Denkmalshof eröffnet werden, der ein Wohnhaus aus dem 19. Jh. sowie drei Wirt-
schaftsgebäude in situ umfaßt und in anschaulicher Weise das Leben auf einem dörflichen
Fischerhof zeigt (Taf. 16). Die Schaffung dieser kleinen Museumsanlage geht zurück auf die
Initiative von Prof. Dr. M. Znamierowska-Prüfferowa. Das Objekt ist dem Museum des
mittleren polnischen Ostseegebietes in Slupsk unterstellt und erfüllt, in einem reizvollen
Landschaftsschutzgebiet gelegen, eine wichtige wissenschaftliche und pädagogische Auf-
gabe.
Tafel 15
Slowinzisches Gehöft. Denkmalshof Kluki, Kr. Slupsk (Koszalin)
Vorlaubenhaus in Blockbauweise. Denkmalshof Wdzvdze, Kr. Koscierzyna (Gdansk)
Tafel 16
Wassermühle in Blockbauweise. Freilichtmuseum Sanok (Rzeszöw)
Kirche in Blockbauweise, 1750. Freilichtmuseum Sanok (Rzeszöw)
Ethnographische Freilichtmuseen in Polen
121
Über die bereits bestehenden bzw. im Aufbau befindlichen Freilichtmuseen hinaus ist eine
Reihe weiterer projektiert. Dazu zählt als erstes das „Museum des oberschlesischen Dorfes“
in Chorzöw, Woiwodschaft Katowice. Es ist beabsichtigt, hier auf einer Fläche von 20 ha
über 60 Objekte der volkstümlichen Holzbauweise aufzustellen. Die Dokumentations-
arbeiten für diese Anlage laufen seit 1961 — bis heute wurde hier ein hölzerner Gutsspeicher
wieder errichtet. Das gesamte Vorhaben wird vom Park der Erholung und Kultur sowie vom
Ministerium für Kultur und Kunst finanziert.
Ein weiterer Park, Das Museum des Dorfes im Gebiet von Opole, wird in Bierkowice bei
Opole auf einer Fläche von 10 ha errichtet werden. Diese ebenfalls selbständige Anlage
wurde 1961 ins Leben gerufen und ist ebenfalls für ca. 60 Objekte vorgesehen. Die Planung,
Inventarisierung sowie die Vorbereitungsarbeiten zur Überführung der Gebäude sind be-
reits weit vorangekommen.
Als kleinere Anlage ist ein ethnographischer Park mit einer Fläche von 4 ha beim Ethno-
graphischen Museum in Torun im Aufbau und als Erweiterung der dortigen Ausstellungen
gedacht.
Fortgeschrittener ist auch schon die Planung am Museum des Dorfes für das Gebiet Lub-
lin in Lublin. Diese Anlage steht unter der Leitung des Museums Lublin. Vorgesehen ist der
Aufbau von etwa 60 Objekten auf einer Fläche von 15 ha. Ähnlich steht es um die Vorarbeiten
zum Ethnographischen Park in Lodz, der im dortigen Erholungspark errichtet werden soll,
und um die Anlage in Mi§dzyrzecz, Woiwodschaft Zielona Göra (Westpolen). Ferner gibt es
Pläne über Freilichtmuseen in Gdansk-Oliwa, Poznan, Kielce sowie in Pultusk nördlich von
Warschau. Sie alle sollen helfen, die zur Zeit noch vorhandenen Lücken in dem bereits be-
stehenden bzw. in Vorbereitung befindlichen Netz der polnischen Freilichtmuseen zu
schließen.
Zur Problematik
Die vorausgegangenen Ausführungen dürften gezeigt haben, daß die Schaffung von Frei-
lichtmuseen in Polen sich noch relativ im Anfangsstadium befindet. Gründe dafür waren zu-
nächst die Teilung Polens, später die Zerstörungen beider Weltkriege, die unser Land ganz be-
sonders verheerten. So ist Polen erst jetzt in der Lage, größere, wissenschaftlichen An-
sprüchen genügende Freilichtmuseen zu schaffen. Die in unserer Zeit in raschem Tempo
schwindende dörfliche Volksarchitektur erweckt in steigendem Maße das Interesse sowohl
der Fachleute als auch der Heimatfreunde und der Vertreter von Staat und Gesellschaft.
Kein Wunder also, daß der Skansen-Gedanke heute in Polen sehr populär ist. Dabei er-
scheinen als Organisatoren solcher Anlagen die Museen, die Konservatoren sowie die Ge-
bietsverwaltungen und gesellschaftlichen Institutionen. In jüngster Zeit beschäftigten sich
auch einzelne Referate in den Ministerien mit den vielfältigen Problemen, die mit der Er-
richtung von Freilichtmuseen verbunden sind. Zu ihrer Lösung wurden unter der Obhut
des Amtes für Museen und Denkmalschutz einige gesamtpolnische Konferenzen in Warschau
und in größeren Freilichtmuseen durchgeführt. Dabei geht es in erster Linie darum, die
Planung guter ethnographischer Parks zu koordinieren. So entstand beim Amt für Museen
und Denkmalschutz im Ministerium für Kultur und Kunst eine Kommission für ethno-
graphische Parks und Holzbauten. Als erstes hat diese Kommission eine wichtige Publi-
kation unter dem Titel Memorial w sprawie ochrony budownictwa drewnianego w Polsce —
Program organizacji parköw etnograficznych (Denkschrift zum Schutz der Holzbauweise in
Polen — Programm zur Schaffung ethnographischer Parks) veröffentlicht, in der zum ersten-
mal die verschiedenen Vorhaben und Ansichten zu diesem Problem zusammengefaßt sind.
Sie wird zweifellos bei der Gewinnung theoretischer Grundlagen für die Errichtung von
Freilichtmuseen von Nutzen sein.
Die Fachleute sind sich darin einig, daß es im Interesse der Erhaltung und des Schutzes
von Denkmälern der volkstümlichen Holzbauweise zunächst einmal erforderlich ist, die
noch vorhandenen Objekte zu inventarisieren und zu klassifizieren sowie die notwendigen
Konservierungsmaßnahmen zu veranlassen. Die bisherigen Nachweise reichen nicht aus, da
sie nur einen Teil der noch vorhandenen Gebäude erfassen. Auch das Problem des Schutzes
der wertvollsten Denkmäler unserer Volksarchitektur muß neu durchdacht werden. Da in
Mil™
122 Longin Malicki
situ belassene Volksarchitektur nur geringe Aussichten auf Erhaltung hat, ist man heute all-
gemein der Ansicht, daß die beste Lösung in der Überführung charakteristischer Bauten in
Freilichtmuseen und deren Ausstattung mit entsprechendem Mobiliar und Gerät besteht.
Dabei sollte aber nicht nur an eine Bewahrung für die Nachwelt gedacht werden, sondern
ebenso auch an die Gewinnung wissenschaftlicher Ergebnisse für die Bedürfnisse der Ge-
genwart, für gesellschaftliche und pädagogische Aufgaben. Man ist weiter der Meinung, daß
in einem ethnographisch so differenzierten Land wie Polen den genannten Aufgaben am
besten regionale Freilichtmuseen gerecht werden, die eine Größe von ca. 50 ha besitzen und
jeweils die Eigenart mehrerer Gebiete zur Darstellung bringen sollten.
Ein besonderes Problem stellt die Lokalisierung der zukünftigen ethnographischen Parks
dar. Nach übereinstimmender Meinung des Architekten Marian Pokropek sowie des Ethno-
graphen Wladyslaw Jez-Jarecki sollte der Lokalisierung eine Einteilung des Landes in be-
stimmte geographisch-administrative Bereiche unter Berücksichtigung historisch-kultureller
Gegebenheiten zugrunde gelegt werden. Eine Abgrenzung nach ethnographischen Ge-
sichtspunkten ist nicht möglich, da eine Einteilung in ethnographische Regionen bisher
nicht vorliegt. Das Gebiet Polens soll in folgende fünf Bereiche aufgeteilt werden:
1. Pomorze, Ermland und Masuren (Woiwodschaft Szczecin, Koszalin, Gdansk, Olsztyn),
mit einem in Gdansk projektierten und einem in Olsztyn zu erweiternden ethnographi-
schen Park.
2. Großpolen und Kujawien (Woiwodschaften Zielona Göra, Poznan, Bydgoszcz, Lodz),
mit den bereits bestehenden Anlagen in Mi^dzyrzecz und in Lodz sowie einer projek-
tierten in Poznan.
3. Masowien und Podlasie (Woiwodschaften Warszawa und Bialystok), mit einem in Pul-
tusk projektierten und dem zu erweiterndem Freilichtmuseum in Nowogröd.
4. Schlesien (Woiwodschaften Wroclaw, Opole, Katowice), mit den in Opole und Chorzöw
schon bestehenden Parks.
5. Kleinpolen (Woiwodschaften Kielce, Krakow, Rzeszöw, Lublin), mit den bei Kielce und
in Zakopane projektierten und den in Lublin und Sanok bereits errichteten Anlagen.
Die meisten der vorstehend als projektiert auf geführten großen Freilichtmuseen befinden
sich schon im Aufbau. Bei der Errichtung der restlichen sind noch verschiedene Schwierig-
keiten zu überwinden. Außerdem müssen die bereits bestehenden Denkmalshöfe in Kluki
und Wdzydze erhalten sowie die im Aufbau befindlichen kleineren Anlagen in Torun, Lowicz,
Zubrzyca Görna vollendet werden. Zu unterstützen ist auch das interessante Experiment
der Zentrale für Volks- und Kunstgewerbe in Polen, in weiteren Gebieten „Regionale Arbeits-
stuben“ in historischen Bauernstuben zu errichten und zwar in Istebna (Schlesische Beskiden),
Tatary (Woiwodschaft Bialystok) sowie in Zlaköw Borowy (Kreis Lowicz), und dabei deren
traditionelle Inneneinrichtung zu bewahren. Den Grundstock der polnischen Freilicht-
museen jedoch sollen — wie bereits gesagt — die mittelgroßen, selbständigen „ethnogra-
phischen Parks“ bilden, die sich als wirtschaftlich vorteilhafte Unternehmen erwiesen
haben. Daneben sind kleinere ergänzende Objekte in vielbesuchten Gegenden durchaus
wünschenswert. Ein großer, zentraler Park müßte einen Umfang bis zu 200 ha besitzen, er
würde damit außerordentlich kostspielig und für den Besucher viel zu unübersichtlich sein.
Die organisatorische Selbständigkeit der Freilichtmuseen scheint uns unbedingt notwendig,
da deren Aufgaben wesentlich von denen anderer Museen unterschieden sind. Um alle
Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, die der Entwicklung solcher Anlagen noch im
Wege stehen, ist es jedoch wichtig, entsprechende juristisch-administrative Vorschriften zu
erlassen, spezialisierte Fachkräfte auszubilden und für das ganze Land gleicherweise gültige
Richtlinien festzulegen. So wird es möglich sein, uns in Zukunft bei der Errichtung von Frei-
lichtmuseen vor Fehlern zu bewahren und einen schnellen sowie zweckentsprechenden Auf-
bau von ethnographischen Parks sowie die Erhaltung von Denkmalshöfen in Polen zu er-
reichen.
Die Erfassung materiellen Kulturgutes
in untergehenden Dörfern
Von Josef Vareka
Das Schwinden traditioneller Volkskultur in der Gegenwart ist eine allgemeine und gesetz-
mäßige Erscheinung, die unter den verschiedenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und
geographischen Bedingungen mit unterschiedlicher Intensität verläuft. Auch diesem Prozeß
gilt die Aufmerksamkeit der Ethnographen — er ist Gegenstand ihrer Studien.
Die teilweise oder vollständige Liquidierung von Gemeinden und Siedlungen — ja selbst
von Städten —, die in der CSSR nach dem 2. Weltkrieg vor allem im Bau von Wasserkraft-
werken und in dem gesteigerten Braunkohlengewinn durch Tagebau begründet ist, bewirkt,
abgesehen von den dabei auftretenden technischen, ökonomischen, städtebaulichen und an-
deren Problemen, auch ein plötzliches Abreißen von Traditionen, was u. a. im allgemeinen
zur Vernichtung der materiellen Kulturgüter in den bedrohten Orten führt. Der Zwang, die
alte Wohnung verlassen zu müssen, schafft überdies für die Betroffenen oft Konfliktsitu-
ationen, von denen wiederum eine Reihe volkskundlich gesehen interessant und bedeutsam
sind. Während die Menschen ihre gesellschaftliche und geistige Kultur aus dem urpsrüng-
lichen Milieu in die neue Heimstätte mitnehmen — auch wenn diese mit der Zeit dem Einfluß
des neuen Milieus unterliegt, sich ihm anpasst und sich verändert —, müssen sie materielle
Zeugnisse ihrer früheren Lebensweise zum größten Teil am alten Ort belassen. Dabei sind
nicht nur das unbewegliche Eigentum — das Haus und die Wirtschaftsgebäude —, sondern
durchweg auch zahlreiche bewegliche Gegenstände — von der Wohnungseinrichtung bis zu
kleinen häuslichen Geräten — zum Untergang verurteilt, da letztere in der neuen Heimstätte
oft überflüssig sind oder für sie dort kein Platz ist.
Aus dieser Tatsache erwächst die Notwendigkeit, nicht nur das gefährdete Terrain zu
durchforschen und in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Museum die Gegenstände der
materiellen Volkskultur in den betroffenen Gemeinden zu sammeln — auch wenn wir selbst-
verständlich diesen unsere höchste Aufmerksamkeit zuwenden müssen —, sondern diese
Forschung auch auf die neuerrichteten Wohnstätten auszudehnen, in die der größte Teil der
Einwohner umgesiedelt ist. Während die Erforschung der materiellen Güter der Volks-
kultur mit einem ausreichenden zeitlichen Vorsprung begonnen werden muß — während
der Umsiedlung dürfte dies im allgemeinen nicht mehr möglich sein, denn dann ist der ge-
regelte Gang des Lebens bereits allzusehr zerstört —, kann man Untersuchungen zur gesell-
schaftlichen und geistigen Kultur, falls es sich nicht anders realisieren läßt, auch später noch
durchführen. Doch darf das nicht mit allzu großer Verspätung geschehen; auch für diese
Feststellungen ist es immer vorteilhafter, einen Zeitraum vor der Umsiedlung zu wählen.
Neben den vom Untergang bedrohten Denkmalsobjekten werden in den vor der Liqui-
dation stehenden Gemeinden immer wieder Dutzende, ja selbst Hunderte bislang oft un-
bekannte Dokumente zur Volksgeschichte festgestellt, die erst durch die Terrainforschung
aufgefunden und einer allseitigen Dokumentation durch Beschreibung, Zeichnung, Foto,
Film und Tonbandaufzeichnung unterzogen werden. Im Zusammenhang damit studieren
wir die gesamte Lebensweise jener Menschen, die Schöpfer und Träger dieser Kulturgüter
sind. Für das Schicksal der Denkmalobjekte in dem bedrohten Gebiet ist in erster Linie
die zuständige Verwaltung für Denkmalpflege verantwortlich; sie führt neben praktischen
Schutzmaßnahmen, die sich meist auf die Überführung von Plastiken, Gegenständen der
Innenarchitektur usw. beschränken, Forschungsarbeiten, insbesondere Beschreibungen sowie
fotografische und vermessungstechnische Dokumentation der Denkmalobjekte, durch.1
1 Ing. Miroslav Jirinec, Merickä dokumentace v mostecke uhelnd oblasti (Meß-Doku-
mentation im Kohlengebiet von Most). Pamätkovä peöe (Denkmalpflege) 26 (1966)
105 —113.
124
Josef Vareka
Es ist verständlich, daß sich diese Forschung überwiegend auf Gegenstände konzentriert,
die von kunsthistorischem Wert sind, während Dokumente der volkstümlichen Lebensweise
— von einzelnen unter Schutz stehenden Anlagen abgesehen — außerhalb ihrer Interessen
liegen. Zwar können auch solche Untersuchungen eine gewisse Bedeutung für das Studium
der Volkskultur in dem bedrohten Gebiet besitzen, sie bedürfen jedoch stets der Ergänzung,
da sie allein nie ein Gesamtbild von den materiellen Gütern der Volkskultur vermitteln.
Eine solche Ergänzung aber kann nur durch eine auf die besonderen Gegebenheiten eines
Liquidationsgebietes ausgerichtete ethnographische Forschung gewonnen werden.
Durch das Verdienst der Tschechoslowakischen Volkskunde-Gesellschaft wurden schon
in den 50er Jahren die ersten „Schutz-Forschungen“ in der CS SR begonnen, aber erst die
Verankerung dieser Aufgabe im Institut für Ethnographie und Folkloristik der CSAV
(Tschechoslowakische Akademie der Wissenschaften) ermöglichte eine planmäßige Or-
ganisation sowie einen systematischen Verlauf der Untersuchungen unter qualitativ neuen
Arbeitsbedingungen.2 Die eigentliche Forschung im Terrain führt im allgemeinen ein
verhältnismäßig kleines, meist aus zwei bis fünf Mitarbeitern bestehendes Arbeitsteam
durch. Dabei beträgt die Aufnahmezeit jährlich etwa vier bis sechs Monate.3 Das in solcher
Schutz-Forschung gewonnene Material wird wie üblich bearbeitet und ausgewertet.4 Die
vom Institut der CSAV unternommenen Schutz-Forschungen haben in den letzten drei
Jahren eine beträchtliche Steigerung erfahren. Das war durch die wachsende Zahl an li-
quidierten Gemeinden bedingt. So werden z. B. allein im Gebiet des nordböhmischen Braun-
kohlenreviers bis zum Jahre 1980 mehr als hundert Ortschaften verschwinden. Hinzu
kommen weitere im Gebiet von Sokolov, im Überflutungsgebiet am unteren Lauf der 2e-
livka (Mittel-Böhmen), im Tal der Ostravice (Ost-Mähren) oder an der Dyje (Süd-Mähren).
Wichtig ist, daß der mit der Erfassung betraute Wissenschaftler enge Fühlung zu den Direk-
2 Diese Schutz-Forschungsarbeiten wurden in den Jahren 1953 — 1962 durch die Tsche-
choslowakische Ethnographische Gesellschaft (im Jahre 1962 gemeinsam mit der ethno-
graphischen Abteilung des National-Museums in Prag) durchgeführt und dadurch 60000
Angaben zusammengetragen, die heute im Institut für Ethnographie und Folkloristik der
CSAV untergebracht sind. In den Jahren von 1958 bis 1959 führte auf Anregung des Akade-
mie-Mitgliedes Zd. Wirth eine Kommission für die Wasserwirtschaft der CSAV eine
Komplex-Untersuchung im Gebiet Orlik, das von den Wasserläufen der Moldau durch-
flossen wird, durch, an der sich neben Ethnographen auch Folkloristen, Archäologen,
Kunsthistoriker, Städtebauer und Naturwissenschaftler beteiligten. Im Institut für Ethno-
graphie und Folkloristik der CSAV (Tschechoslowakische Akademie der Wissenschaften)
wurde zum 1. 7. 1963 eine Planstelle für diese Untersuchungen eingerichtet. Seitdem
wurden fast 4000 Fotografien, 2500 Beschreibungen, 600 Zeichnungen, Pläne und Land-
karten, 300 Seiten Text und ein Dokumentarfilm zusammengetragen. Ein Teil davon,
durchweg sogar Unikate, wurde bereits durchgearbeitet, in Druck gegeben oder zur
Publikation vorbereitet.
3 Die Arbeitsgruppe ist in der Regel folgendermaßen zusammengesetzt: Ein oder zwei
Volkskundler, je nach Bedarf ein Architekt (externer Mitarbeiter) und, wenn erforderlich,
auch ein Fotograf (Kameramann). Eine Reihe solcher Untersuchungen wird nur von
externen Mitarbeitern (Mitglieder der Tschechoslowakischen Ethnographischen Gesell-
schaft bei der CSAV) nach den Richtlinien des dafür zuständigen Referenten durchgeführt.
Es hat sich bewährt, in solche Arbeiten auch Ethnographie-Studenten der Prager Karls-
Universität einzubeziehen, die für ein geringes Honorar im Rahmen ihrer Ferienpraxis
arbeiten. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen verarbeiten sie dann in den Seminaren,
gegebenenfalls in ihren Diplom-Arbeiten.
4 Der mit dem Übertragen und Klassifizieren des Materials beauftragte Wissenschaftler
behält für seine Abteilung eine Kopie und übergibt das Original an das Instituts-Archiv,
das seinerseits die Herstellung der Abzüge von den Fotografien aus der Terrain-Forschung
in die Hand nimmt und deren Inventarisierung und Lagerung durchführt. So wird das ge-
sichtete und klassifizierte Material durch den entsprechenden Wissenschaftler bearbeitet,
mit dessen Einwilligung es auch anderen Forschern zur Verfügung gestellt werden kann.
illlMHIIIll llll fc’j
Erfassung materiellen Kulturgutes in untergehenden Dörfern 125
tionen der entsprechenden Betriebe hält, um von Zeit zu Zeit das Verzeichnis der bedrohten
Gemeinden zu überprüfen und zu ergänzen, damit deren Erforschung je nach dem Grad der
Bedrohung in einen besonderen Zeitplan aufgenommen werden kann.
Die große Anzahl der durch diese landschaftlichen Veränderungen bedrohten Gemeinden
erlaubt es nicht, jedes einzelne Gebäude samt Inventar zu erforschen. Es ist daher notwendig,
die einzelnen Untersuchungsobjekte sorgfältig und verantwortungsbewußt auszuwählen.
Bereits diese Aufgabe erfordert vom Ethnographen gründliche Kenntnisse, einen guten
Blick für die jeweilige Situation im Terrain sowie eine genaue Vorbereitung durch das Stu-
dium aller zugänglichen Quellen, wie die Geschichte der Gemeinde, ikonographisches und
archivalisches Material, heimatgeschichtliche Literatur usw. Das eigentliche Eindringen
in die Struktur eines Dorfes geht aus von der Fixierung örtlicher Grundtypen der Gebäude
und Höfe in Beziehung zu den ihnen eigenen Wirtschaftsflächen (vor dem Übergang zur
Genossenschaft), d. h. von der Fixierung der Grundtypen von Bauernhöfen, kleineren An-
wesen, Gemeindehäusern usw.. Dabei zählen zu solchen Grundtypen nicht nur Wohn- und
Wirtschaftsgebäude der Bauern und deren Einrichtungen sowie alle weiteren Objekte der
materiellen bäuerlichen Kultur, sondern auch die Häuser und das Kulturgut der nicht Land-
wirtschaft betreibenden Schichten. Nach Möglichkeit werden überdies stets Gebäudeformen
vorgesehen, die alle noch greifbare Zeitepochen repräsentieren, wobei zur Feststellung ihrer
ursprünglichen Gestalt eventuell die Schichtenforschung herangezogen werden muß. Um
ein weitgehend objektives Bild des zu erforschenden Dorfes zu erhalten, werden mehrere
Gebäude festgelegt, von denen alles Wichtige genau und gründlich untersucht wird, während
bei den übrigen lediglich eine Vergleichsuntersuchung für eventuelle Ergänzungen und bei
Gebäuden einer dritten Kategorie nur eine informatorische Kontrolle durchgeführt wird.
Alle übrigen Objekte, ihre Eigenarten inklusive Ausnahmeerscheinungen werden lediglich
fotografiert. Schließlich werden Ansichten von Dorfteilen, von der ganzen Gemeinde und
von der Landschaft im Bilde festgehalten.
Außer auf Phänomene der von der traditionellen Ethnographie erfaßten Volkskultur
(Siedlungen, Bauten, Wohnungen, Berufsgruppen, Agrarkultur, Produkte der volkstüm-
lichen Laienkunst usw.) richten wir unsere Aufmerksamkeit auch auf Erscheinungen der
„Psycho-Kultur“, die sich als Spezifikum in einer zur Liquidation verurteilten Gemeinde
herausbilden. Eine der interessantesten Fragen in dieser Hinsicht ist z. B. die Feststellung
der Auswahl an Geräten und Einrichtungen, die aus dem alten Milieu für den Umzug in
die moderne Wohnung bestimmt werden, ihre neue Unterbringung, ihre Nutzung sowie
ihre Ergänzung durch neuangeschafftes Inventar.5
Neben diesen speziellen Fragen und Problemen bleibt jedoch bei all diesen Forschungs-
arbeiten als Wichtigstes eine möglichst vielseitige Dokumentation des materiellen Volks-
kulturgutes, wie sie bereits aus verschiedenen Gebieten des Böhmischen Landes vorliegt.6
Diese Dokumentation, deren Wert heute noch kaum abzuschätzen ist, stellt überdies eine
Fundgrube für volkskundliche Forschung in methodischer und theoretischer Hinsicht
dar und trägt mit bei zur Lösung der wesentlichen Aufgaben des ÜEF CSAV (Institut für
Ethnographie und Folkloristik bei der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaf-
ten).
Für die detaillierte Erforschung aller Gegenstände der materiellen Kultur, die für die
Erhaltung vorgesehen sind und aus dem ausgewählten Objekt stammen, wird in der Regel
5 So haben wir zum Beispiel bei der letzten Untersuchung im neuen Siedlungsgebiet bei
den Umsiedlern aus der liquidierten Gemeinde Sous bei Brüx festgestellt, daß die Berg-
arbeiterveteranen ihr Wohnzimmer in den modernen Wohnungen mit alten weißen Küchen-
tnöbeln eingerichtet hatten, weil sie diese in den modernen, bereits mit allem Zubehör aus-
gestatteten Küchen nicht unterbringen konnten und weil sie sich zumeist im Wohnzimmer
aufhalten. Sie bedecken — genau wie früher in Sous — den neuen Parkett-Fußboden mit
Linoleum, das sie überhastet beiseite räumen, wenn eine gelegentliche, die Hygiene be-
treffende Wohnkontrolle bevorsteht.
6 Ausführlich darüber J. Vafeka in Ceskjrlid (Das tschechische Volk) 51 (1964) 186 — 189,
52 (1965) 319 — 320, 53 (1966) 179 — 181.
126 Josef Vareka
kein einheitlicher Fragebogen verwendet. Vielmehr bereiten sich die einzelnen Mitarbeiter
nach eigenen Erwägungen und eigener Spezifikation für die Erforschung eines bestimmten
Themas gegebenenfalls durch einen selbständig ausgearbeiteten Fragespiegel vor. Da aber
diese Vorhaben neben der Dokumentation auch weiteren Aufgaben dienen, sind die Explora-
toren überdies verpflichtet, in den bedrohten Gemeinden einen Fragebogen für die geo-
graphische Erfassung der ländlichen Bauten in der CS SR,7 * * * II der für die Gewinnung von Unter-
lagen für einen in Vorbereitung befindlichen Volkskundeatlas der CSSR gedacht ist, zu
verwenden. Schließlich werden diese Schutz-Forschungen auch mit langfristig geplanten
Untersuchungen zur „Biologie der Siedlungseinheit“ gekoppelt, in denen in typischen
Siedlungseinheiten eines ausgewählten Gebietes die Volkskultur in allen ihren Wandlungen
erfaßt werden soll. Vorhaben dieser Art reichen von den ersten und ältesten Angaben, die
im gegebenen Terrain auf gefunden werden können — unter Umständen auch vorhandenes
Archivmaterial — bis zu den gegenwärtigen Verhältnissen. Für eine solche „biologische“
Betrachtungsweise hat das Fachzentrum für Wissenschaftliche Informationen beim ÜEF
CSAV bereits einen 30 Seiten umfassenden Vorschlag für ein Dokumentationssystem er-
arbeitet, der so gehalten ist, daß er möglicherweise durch die Gebiets-Lochkartenzentrale
verarbeitet werden kann. Von diesem Entwurf für Siedlungseinheiten, den wir verwenden
werden, mögen die Hauptpunkte aufgeführt sein:
I Siedlungsstätte,
II historischer, produktions-ökonomischer und sozialer Charakter der zu untersuchenden
Siedlungseinheit,
III bautechnischer Charakter der zu untersuchenden Siedlungseinheit,
IV Ausstattung und Funktion der einzelnen Objekte und des Raumes der Siedlungs-
einheit,
V Lebensformen und Arbeitsformen,
VI Aberglauben — Gebräuche — Gewohnheiten,
VII gesellschaftliche Kultur,
VIII Zusammenfassung — Statistik.
Die Vielseitigkeit der Terrain-Forschung in den bedrohten Gebieten erfordert selbst-
verständlich eine möglichst umfassende und vollständige Dokumentation der Objekte
der materiellen Kultur. Um diese Aufgabe ausreichend lösen zu können, ist jede Informa-
7 Der Fragebogen zur geographischen Erfassung der ländlichen Volksbauweise in der
Tschechoslowakei enthält vor allem folgende Punkte:
A Siedlungen und Höfe
I Typen von Siedlungen und Dorffluren
II Hoftypen und Wirtschaftsweise
B Das Haus
III Baumaterial und Konstruktion
IV Das Dach
V Der Giebel
VI Das Umgebinde
VII Der Grundriß
VIII Feuerstellen
IX Die Form des Hausaufschlusses
X Bezeichnungen für das Haus und seine Teile
C Landwirtschaftliche Bauten
XI Scheunen
XII Schüttboden und Kammer
XIII Windmühlen
D Aus Holz gebaute Kirchen
Erfassung materiellen Kulturgutes in untergehenden Dörfern
127
tionsquelle zu nutzen, die zur Verfügung steht. Eine Hilfe ist z. B. — wenn auch in ethno-
graphischer Hinsicht keineswegs immer — die technische Dokumentation, wie sie von den
zuständigen Bergwerksleitungen aus juristischen Gründen über die zum Abbruch be-
stimmten Bauten angefertigt wird. In vielen Fällen überließen uns die Eigentümer der
Häuser und Höfe diese Baupläne und ersparten uns dadurch umfangreiche Arbeit.8
Um manche ethnographischen Probleme, die bei der Durchführung der Schutz-For-
schungen auftreten, klären und lösen zu können, ist es immer wieder erforderlich, die
Untersuchungen auf die Nachbargebiete auszudehnen, sei es, um eine bestimmte Erschei-
nungsform zu verfolgen, sei es, um gewisse Vergleiche zu gewinnen. Ausgang auch der-
artiger Vorhaben aber bleiben stets die Gemeinden und Siedlungen, die unmittelbar be-
droht sind.
Neben ihrer wissenschaftlichen Bedeutung besitzen die Schutz-Forschungen eine un-
mittelbar praktische, werden doch durch sie gleichzeitig die Museen, die Verwaltung der
Denkmalpflege und andere Institutionen kontinuierlich auf den kulturellen Wert ver-
schiedener, bislang unbekannter Objekte, wie sie oft bei der Liquidierung von Gemeinden
zutage treten, aufmerksam gemacht. Das ist durch Dutzende, im letzten Augenblick ge-
rettete und in die Museen überführte wertvolle Gegenstände der Volkskunst, Geräte oder
andere Exponate, die sonst verschwunden wären, erwiesen.
Die Bilanz der Tschechoslowakischen Schutz-Forschungen gegenüber ähnlichen Vor-
haben im Ausland ist durchaus zufriedenstellend. Notwendig aber ist es, diese Arbeiten,
wie bisher, kontinuierlich weiterzuführen, damit die dabei zu lösenden Aufgaben sich nicht
zeitlich übermäßig zusammendrängen und die festgelegten Termine eingehalten werden
können, d. h. man muß das Geschehen in den betroffenen Gemeinden bereits vor der
Liquidierung in den Griff bekommen. Nur so wird es möglich sein, Dokumente des Lebens
und der Volksarchitektur dieser Siedlungen zu bewahren, selbst wenn sie bereits aufgehört
haben zu existieren. 8
8 Durch unsere zeichnerische Dokumentation der Anwesen wird folgendes erfaßt: Lage,
Grundriß, Querschnitt, Längsschnitt, Konstruktions-Details, je nach Bedarf das Interieur,
Geräte und Möbel. Die fotografische Dokumentation sieht eine Darstellung des Außenbildes
(einschl. der Konstruktions-Details) wie der Inneneinrichtung und der Geräte vor.
BÜCHERSCHAU
Bauen und Wohnen 1959—1966
Deutschsprachige Veröffentlichungen und deutsche Resumes, mit Nachträgen aus
vorangegangenen Jahren. Siehe auch DJbfVk 6 (i960) 469—478
Von Herta Uhlrich
A. Tagungsberichte und Würdigungen
1. Baumgarten, Karl, Dem Andenken
Johann Ulrich Folkers’. DJbfVk 6
(i960) 418—419.
2. Bendermacher, Justinus, Nachruf
über Hans Soeder. In: Bericht
über d. Tagung des Arbeitskreises f.
dt. Hausforschung e. V. in Passau v.
22.-25. August 1962 (Münster 1963)
98-99.
3. Bericht über die Tagung des Arbeits-
kreises für deutsche Hausforschung
e. V. in Heppenheim an der Berg-
straße vom 27. bis 29. August 1959.
Münster/Westf. i960. 211 S., Abb.,
Taf.
4. Bericht über die Tagung des Arbeits-
kreises für deutsche Hausforschung
e. V. in Lübeck vom 27. bis 30.
August i960. Münster/Westf. 1961.
136 S., Abb., Pläne.
5. Bericht über die Tagung des Arbeits-
kreises für deutsche Hausforschung
e. V. in Aachen vom 30. August bis
2. September 1961. Münster/Westf.
1962. 185 S., Abb., 10 Karten.
6. Bericht über die Tagung des Arbeits-
kreises für deutsche Hausforschung
e. V. in Passau vom 22. bis 25. August
1962. Münster/Westf. 1963. 150 S.,
Abb., Taf.
7. Bericht über die Tagung des Arbeits-
kreises für deutsche Hausforschung
e. V. in Münster/Westf. vom 21. bis
25. August 1963. Münster/Westf.
1964. 227 S., Abb., Taf.
8. Bericht über die Tagung des Arbeits-
kreises für deutsche Hausforschung
e. V. in Eßlingen a. Neckar vom 26.
bis 30. August 1964. Münster/Westf.
1965. 194 S., Abb., Taf.
9. Bericht über die Tagung des Arbeits-
kreises für deutsche Hausforschung
e. V. in Braunschweig vom 25. bis
28. August 1965. Münster/Westf.
1966. 314 S., Abb., Taf.
10. Brunne, Karl, Nachruf auf Prof. Dr.
ing. h. c. Gustav Wolf. In: Bericht
über d. Tagung des Arbeitskreises f.
dt. Hausforschung e. V. in Münster/
Westf. v. 21. —25. August 1963 (Mün-
ster 1964) 178 — 180.
11. Wilhelm Döderlein. Nachruf. In: Be-
richt über d. Tagung des Arbeits-
kreises f. dt. Hausforschung e. V. in
Eßlingen a. Neckar v. 26. — 30.
August 1964 (Münster 1965) 131 bis
134.
Forschungen zu Bauernhaus u.
Krippenkunst.
12. Gebhard, Torsten, Johann Ulrich
Folkers. Nachruf. In: Bericht über d.
Tagung des Arbeitskreises f. dt.
Hausforschung e. V. in Lübeck v.
27.-30. August i960 (Münster/
Westf. 1961) 39—43.
Mit Bibliographie seiner Veröff.
13. Ders., Josef Maria Ritz. Nachruf. In:
Bericht über d. Tagung des Arbeits-
kreises f. dt. Hausforschung e. V. in
Lübeck v. 27. — 30. August i960
(Münster/Westf. 1961) 44—49.
Mit Bibliographie seiner Veröff.
14. Arthur Haberlandt. Nachruf. In: Bericht
über d. Tagung des Arbeitskreises f.
dt. Hausforschung e. V. in Eßlingen
a. Neckar v. 26. — 30. August 1964
(Münster 1965) 135 —137.
15. Kriss-Rettenbeck, Lenz, Wilhelm
Döderlein f. Schönere Heimat 53
(1964) Heft. 4.
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18.
19.
21.
22.
30.
31-
32.
33-
34-
Bauen und Wohnen 1959 — 1966 129
Forschungen zu Bauernhaus u. Krip-
penkunst.
Kundegraber, Maria, Arbeitstagung
und Mitgliederversammlung 1961 des
Arbeitskreises für deutsche Hausfor-
schung. ÖZfVk 64 (1961) 205—206.
Radig, Werner, Tagung des Arbeits-
kreises für deutsche Hausforschung
in Heppenheim a. d. Bergstraße vom
26. —30. August 1959. DJbfVk 5
(1959) 385-388.
Ders., Mitgliederversammlung des Ar-
beitskreises für deutsche Hausfor-
schung in Freiburg/Breisgau, 3.—9.
September 1958. DJbfVk 5 (1959)
130 —131.
Schepers, J., Bericht über die Tagung
des Arbeitskreises für deutsche Haus-
forschung vom 30. 8. bis 2. 9. 1961 in
Aachen. ZfVk 58 (1962) 96—98.
Ders., Dr. Ing. Erich Buchholz. Nach-
ruf. In: Bericht des Arbeitskreises f.
dt. Hausforschung über d. Tagung in
Aachen v. 30. 8.-2. 9. 1961 (Münster
1962) 135 —136.
Ders., Dr. Heinrich Ottenjann. Nach-
ruf. In: Bericht des Arbeitskreises f.
dt. Hausforschung über d. Tagung in
Aachen v. 30. 8.-2. 9. 1961 (Münster
1962) 137-139.
Ders., Heinrich Winter. Nachruf. In:
Bericht über d. Tagung des Arbeits-
B. Haus und Hof;
Albrecht, Walter, Städtebau. Ge-
schichte und Gegenwart. Wiss. Z. der
Hochschule f. Architektur und Bau-
wesen 7 (1959/60) 197 — 200.
Alte Bauten im neuen Dorf. 1. u. 2. Ber-
lin, Kulturbund, 1963 u. 1964. 102 S.;
78 S.
Altenberger, Günter, Das Wandern
ist des Müllers Lust. Von altmärki-
schen Windmühlen. Der Altmark-
bote 4 (1959) 49-51-
Apathy, Stefan, Aufbewahrungs-
arten von landwirtschaftlichen Er-
zeugnissen im oberscharischen Ge-
biete. Dt. Res. Slovensky Närodopis
6 (1958) 379 — 380 [slowak. Orig.
347-379» 17 Abb.].
Getreidegruben; Schüttböden, Kar-
toffelkeller, Scheunen, Magazine.
Arensmeier, A., Hüser on Hüsker.
Altbergisches Fachwerk als boden-
kreises f. dt. Hausforschung e. V. in
Eßlingen a. Neckar v. 26. —30. August
1964 (Münster 1965) 147 bis 152.
23. Schier, Bruno, Karl Rhamm (1842
bis 1911) Wegbereiter der volkskund-
lichen Kulturraumforschung. Rhein.-
westfäl. Zs. f. Vk. 9 (1962) 1 —18.
24. Ders., Nachruf Prof. Dr. Josef Hanika.
In: Bericht über d. Tagung des Arbeits-
kreises f. dt. Hausforschung e. V. in
Münster/Westf. v. 21. — 25. August
1963 (Münster 1964) 173 —177.
25. Ders., Der Arbeitskreis für deutsche
Hausforschung im dritten Jahrfünft
seines Bestehens 1959 —1964. Rhein.-
westfäl. Zs. f. Vk. 11 (1964) 43—64.
26. Ders., Prof. Dr. h. c. Gustav Wolf.
28. November 1887 — 28. April 1963.
Rhein.-westfäl. Zs. f. Vk. 11 (1964)
107—108.
27. Siuts, Hans, Johann Ulrich Folkers
zum Gedenken. ZfVk 56 (i960) 89—91.
28. Spiegler, Georg, Wilhelm Döder-
lein f. Der Krippenfreund Nr. 186
(Dez. 1964).
Forschungen zu Bauernhaus u. Krip-
penkunst.
29. Klaus Thiede. Nachruf. In: Bericht
über d. Tagung des Arbeitskreises f. dt.
Hausforschung e. V. in Eßlingen a.
Neckar v. 26. —30. August 1964
(Münster 1965) 143 —146.
Wirtschaftsgebäude
ständige Volkskunst. Wuppertal 1961.
187 S., 137 Abb.
35. Aschauer, Josef, Ein alter Getreide-
kasten in Laussa bei Losenstein. Ober-
österr. Heimatbll. 16 (1962) 55 — 56,
1 Taf.
36. Backen, Magnus, Drei spätgotische
Wehrspeicher im Lande Hessen.
Nassauische Annalen 75 (1964) 234
bis 237.
37. Bäuerliche Hausformen in Österreich.
Bearbeitet von Leopold Schmidt,
Wien. Vielfarbendruck nach einem
Original von Josef Seger. Wien —
St. Pölten — München, Hippolyt-
Verlag, o. J.
Rez. Bayer. Jb. f. Vk. 1957, 161
(T. Gebhard); DJbfVk 4 (1958) 282
bis 283 (R. Weinhold).
38. Baiäs, Emanuel, Die Erforschung der
dörflichen Siedlungs- und Hausfor-
9 Volkskunde
Herta Uhlrich
130
men in der CSR. Demos i (i960)
28.
39. Barabas, J., Scheunentypen in Göcsej.
Acta ethnographica 5 (1956) 83 — 100,
14 Abb.
40. Barthel, Friedrich, Bauernhäuser im
schönen Vogtland. Natur und Heimat
11 (1962) 454-457, 4 Abb.
41. Bauer, Walter, Ein altes Fachwerk-
haus erzählt. Heimatjahrbuch für den
Dillkreis 1 (1958) 59 — 62.
42. Ders., Fachwerk unserer Heimat.
Heimatjahrbuch für den Dillkreis 3
(i960) 54—59, 12 Abb.
43. Neue Bauernhöfe. Nordrhein-West-
falen baut. Essen, Verlag f. Wirtschaft
u. Gesellschaft, 1961. 95 S.
44. Bauernhofaufmaße. Hg. vom Baupflege-
amt Westfalen; ab Heft 4: Landes-
amt f. Baupflege im Landschaftsver-
band Westfalen-Lippe. Leitung Karl
Brunne. Münster 1959h.
45. Die Bauleuthe aus dem Ständebuch von
Christoff Weigel. München, Callwey,
1963. 64 S., 20 Taf.
46. Baumgarten, Karl, Zimmermanns-
werk in Mecklenburg. Die Scheune.
Berlin, Akademie-Verlag, 1961. 198
S., 124 Abb. im Text, 32 Taf. (— Ver-
öff. des Inst. f. dt. Vk. an der Dt.
Akad. der Wiss. zu Berlin, Bd. 26).
Rez. Bayer. Jb. f. Vk. 1961, 176
(T. Gebhard in: Hinweise zur Litera-
tur auf dem Gebiet der Bauernhaus-
forschung); Natur und Heimat 11
(1962) 50 (H. Weidhaas); HessBllVk
53 (1962) 178 — 180 (G. Eitzen); Beitr.
zur dt. Volks- und Altertumskunde 6
(1962) 124—125 (Hävernick);DJbfVk
8 (1962) 281 — 283 (T. Gebhard);
Demos 2 (1961) Sp. 158 — 160 (Autor-
ref.); Zs. f. Agrargesch. und Agrar-
soziol. 9 (1961) 248 (U. Bentzien);
Zs. des Hist. Ver. f. Steiermark 53
(1962) 427 (Haiding); ZfVk 60 (1964)
143 —146 (H. Schepers); ÖZfVk 64
(1961) 227.
47. Ders., Der Zuckerhut von Pantow auf
Rügen. Greifswald-Stralsunder Jahr-
buch 1 (1961) 202 — 215, 7 Abb.
48. Ders., Hausforschung und Denkmal-
pflege in der DDR. Ethnographica
3/4 (Brno 1961/62) 535 — 541, 3 Abb.
49. Ders., Das Bechelsdorf er Schulzen-
haus. Mitteilungen des Instituts
für Denkmalpflege — Arbeitsstelle
Schwerin 15 (Juni 1963) 37—47,
5 Abb.
50. Ders., Zur Entwicklung des Gerüstes
im mecklenburgischen Hallenhaus.
Forschungen und Fortschritte 37
(1963) 206 —211, 9 Abb.
Rez. Demos 5 (1964) Sp. 48
(Autorref.).
51. Ders., Wesen und Aufgabe der Ge-
fügeforschung. Letopis Reihe C 6/7
(1963/64) 256 — 260.
52. Ders., Mecklenburg — vorpommer-
sche Durchgangshäuser des 18. Jahr-
hunderts. In: 75 Jahre Museum für
Volkskunde (Berlin 1964) 123 —133,
8 Abb., 4 Taf.
53. Ders., Die Auswirkungen der Kon-
junktur des 16. Jahrhunderts auf das
Bauernhaus Niederdeutschlands. Dt.
Zsfassg. Agrdrtörtdneti Szemle 6
(1964) 414 [ung. Orig. 405—413,
7 Abb.].
54. Ders., Das Bauernhaus in Mecklen-
burg. Berlin, Akademie-Verlag, 1965.
98 S., 65 Abb. (= Veröff. des Inst. f.
dt. Vk. an der Dt. Akad. der Wiss. zu
Berlin 34).
Rez. Demos 5 (1965) 47—48
(Autorref.); Zs. f. Agrargesch. u.
Agrarsoziol. 13 (1965) 231 (U. Bent-
zien); DJbfVk 11 (1965) 472—473
(S. Svecovä); ZfVk 62 (1966) 148 bis
149 (G. Eitzen).
55. Ders., Die Tischordnung im alten
mecklenburgischen Bauernhaus.
DJbfVk 11 (1965) 5 — 15, 2 Abb.
56. Ders., Erntefest und Hallenhaus in
Mecklenburg. ZfVk 61 (1965) 74—85,
3 Taf.
57. Ders., Diele und Dreschen im mecklen-
burgischen Hallenhaus. Zs. f. Agrar-
gesch. und Agrarsoziolog. 13 (1965)
28 — 34.
58. Ders., Zur Frage der ethnographischen
Hausforschung in Deutschland. In:
Europa et Hungaria (Budapest 1965)
189-195.
59. Ders., Der Skansen-Gedanke heute.
Neue Museumskunde 9 (1966) 18 bis
25-
60. Ders., Tradierung im Werk des meck-
lenburgischen Zimmermannes.
DJbfVk 12 (1966) 365 — 367.
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
131
61. Ders., und Ulrich Bentzien,Hof und
Wirtschaft der Ribnitzer Bauern.
Edition und Kommentar des Kloster-
Inventariums von 1620. Berlin, Aka-
demie-Verlag, 1963. XVIII, 276 S.,
80 Abb., Tabellen (= Veröff. des
Inst. f. dt. Vk. an der Dt. Akad. der
Wiss. zu Berlin 31).
Rez. DJbfVk 10 (1964) 417—418
(T. Gebhard); Letopis C 8 (1965)
x39 —141 (B. Nawka); SAVk 60
(1964) 245—246 (M. Gschwend); Zs.
f. Agrargesch. u. Agrarsoz. 13 (1965)
in (W. A. Boelcke); Beitr. z. Volks-
u. Altertumskunde 9 (1965) 157 —159
(Hävernick); ZfVk 61 (1965) 153 bis
155 (G. Eitzen).
62. Ders., Siegfried Neumann und
Ulrich Bentzien, Die Feldfor-
schung der Wossidlo-Forschungs-
stelle Rostock. 1. Bericht. DJbfVk 8
(1962) 406—410.
63. Ders., Siegfried Neumann, Man-
fred Bachmann, Wolfgang Jaco-
beit und Hermann Strobach,
Volkskunde-Kongreß vom 26. — 30.
April 1965 in Marburg an der Lahn.
DJbfVk 12 (1966) 70 — 73.
Zu Haus- u. Siedlungsforschung 71.
64. Beck, A., Mauerring und Wohntürme
der Altstadt Konstanz. Sehr, des Ver.
f. Gesch. des Bodensees und seiner
Umgebung 78 (Lindau u. Konstanz
i960) 133 —156.
65. Bedal, Karl, Forschungsstand und
Probleme ostoberfränkischer Haus-
forschung. Archiv f. Gesch. von
Oberfranken 39 (1959) 64—96.
66. Beltz, Hans, Die Mühlen der Stadt
Rostock. Neue Mecklenburgische
Monatshefte 1 (1956) 211 — 220, 6
Abb.
67. Bendermacher, Justinus, Die Haus-
formen an der Eifelwasserscheide. Jb.
Landkreis Monschau 1956, 106 —117,
2 Abb., 3 Taf., 1 Karte.
68. Ders., Vom Eifeier Bauernhaus. In:
Die Eifel (Monschau 1956) 99 — 113,
2 Abb., 1 Karte.
69. Ders., Das Breitgiebelhaus in Mittel-
europa. In: Bericht über d. Tagung des
Arbeitskreises f. dt. Hausforschung
e. V. in Heppenheim a. d. Bergstraße
27.-29. August 1959 (Münster 1959)
99 — 120, Grundrisse, schemat. Darst.
70. Ders., Das Dorf und sein Raum. Frank-
furt/M. i960 (=ALB-Schriftenreihe
12).
71. Ders., Bericht über die Ausstellung
„Dorfinventarisation“ und Erläute-
rungen dazu. In: Bericht über d.
Tagung des Arbeitskreises f. dt. Haus-
forschung e. V. in Münster/Westf. v.
21. —25. August 1963 (Münster 1964)
105 —121, 6 Abb.
72. Benker, Gertrud, Heimat Oberpfalz.
Regensburg, Pustet, 1965. 367 S.,
Textabb., 100 Taf.
Kap. über Haus- und Hofformen.
Rez. ZfVk 62 (1966) 95 (M. Hain).
73. Benninger, Eduard, Spätkeltische
Hausbauten in Neudau, Gemeinde
Traun. Jb. des oberösterr. Museal-
vereins 101 (1956) 124—166, 7 Abb.
74. Beranek, J., Das Salzwedeler Terra-
kottenhaus. Der Altmarkbote 5 (i960)
226 — 227, 2 Abb.
75. Berger, Walter, Bayerische „Schlan-
gentore“. Der Zwiebelturm 14 (1959)
58 — 60.
76. Bernstorf, Otto, Mittelalterliche
Hauszeichen in Stadthagen. Nieder-
sachsen 59 (Hildesheim 1959) 209 bis
216.
77. Bestandsaufnahme von volkskundli-
chem Sachgut. Rhein.-westfäl. Zs. f.
Vk. 7 (i960) 208 — 215, 12 Abb.
Gebäude; Innenräume; Herdstellen
u. Herdgeräte; Möbel.
208—211 R. Brockpähler; 211—215
U. Bauche.
78. Betz, Hermann, Mühlen im Sinders-
bachgrund. Heimatland, Heimat-
kundl. Beilage zur Lohrer Zeitung 19
(i960) Nr. 10.
79. Beyer, Lioba, Siedlungsbewegungen
und Wandel des Ortsbildes im inner-
sten Pitztal. In: Volkskundliche
Studien. Festschrift Karl Ilg (Inns-
bruck 1964) 45 — 56, 1 Abb. im Text,
2 Taf. (= Schiern-Schriften 237).
80. Beyer, Wolfgang, Die Windmühle
— ein technisches Kulturdenkmal.
Wiss. Zs. der TH Dresden 11 (1962)
693~ 7°5-
81. Bielfeldt, H. H., Niederdeutsch Döns,
bairisch Türnitz. „Heizbarer Raum“.
Zs. f. dt. Wortforschung 17 (1961)
i36ff.
9*
132
Herta Uhlrich
82. Bleibaum, Friedrich, Wiederher-
gestellte Fachwerkhäuser in Bad Orb.
Hessische Heimat 12 (1962) Heft 3,
7 — 8, 4 Abb.
83. Bleimfeldner, Karl, Motive der
Malereien an Häusern des Wipptales.
In: Volkskundliche Studien. Fest-
schrift Karl Ilg (Innsbruck 1964)
123 —140, 4 Taf. (= Schiern-Schrif-
ten 237).
84. Bode, Lüppo, Alte und neue Bauern-
häuser in der Niedergrafschaft. Jb.
des Heimatver. der Grafschaft Bent-
heim, Das Bentheimer Land 57 (1964)
I9~37> Abb.
85. Böger, Gerd, Hausinschriften in
Fischerhude. Heimat und Volkstum,
Bremen 1961, 5—40, 171 Abb.
86. Bötcher, S. A., Windmühle Hohen-
horst. Heimatkundl. Jb. für den Kreis
Rendsburg 7 (1957) 165 —169, 1 Abb.
87. Böttger, Franz, Ein Kapitel aus der
Windmühlenzeit. Jb. des Kreises
Oldenburg 3 (1959) 99 — 104, 1 Abb.
88. Bogdän, Istvän, Ein Beitrag zur
technischen Geschichte der ungari-
schen Wassermühlen. Dt. Zsfassg.
Agrartört6neti Szemle 6 (1964) 436
[ung. Orig. 426—435, 2 Taf., Tabel-
len, graph. Darst.].
89. Bouma-Kimswerd, G. J. A., Bauern-
hausbau im westslauwersschen Fries-
land. Friesisches Jb. 1961, 163 — 182,
9 Abb.
90. Die Braaker Windmühlen. Bll. f.
Heimatkunde 6 (Eutin i960) 80, 84.
Siehe auch ebda 73 — 80.
91. Brachmann, Gustav, Der Hausfriede
im Spiegel deutschen Volksrechtes in
Österreich. Oberösterr. Heimatbll. 15
(1961) 253—262.
92. Brandenburg. Hg. vom Landesamt für
Baupflege im Landschaftsverband
Westfalen-Lippe durch Karl
Brunne. Münster 1964. 12 S., 29 Taf.
(= Bauernhof auf maße Heft 6).
Rez. DJbfVk 12 (1966) 173 (W.
Radig).
93. Brandt, A. v., Das alte Lübecker
Kaufmannshaus in Wirtschaft und
Gesellschaft. Skizze aus der Vergan-
genheit von Schabbelhaus und Kauf-
mannschaft zu Lübeck. Lübeck,
Matthiesen, 1957. 32 S., 7 Abb.
94. Braun, Wilhelm, Firstverzierungen
auf Wetterauer Dächern. Wetterauer
Geschichtsbll. 9 (i960) 98 —102,
2 Abb.
95. Brepohl, Wilhelm, Verwandlung
westfälischer Lebensformen im Ruhr-
gebiet. Gedanken und Beobachtun-
gen zur industriellen Volkskunde.
In: Beiträge zur Volkskunde und
Baugeschichte (Münster, Aschendorff,
1965) 71 —121 (= Der Raum West-
falen 4).
96. Brockmann, Hans-Günther, Das
Bauernhaus im Kreise Peine von
1550 — 1850. Hannover, TH Diss.
1957. 94 S., 15 Taf. Masch.schr.
97. Brunne, Karl, Umgestaltung alter
Stadt- und Dorf kerne. In: Bericht
über d. Tagung des Arbeitskreises f.
dt. Hausforschung e. V. in Münster/
Westf. v. 21. —25. August 1963 (Mün-
ster 1964) 122 —172, 50 Abb.
98. Ders., Museumshof in Rahden. In:
Bericht über d. Tagung des Arbeits-
kreises f. dt. Hausforschung e. V. in
Eßlingen a. Neckar v. 26. — 30.
August 1964 (Münster 1965) 113 bis
130, 14 Taf.
Plan des Aufbaus eines Weidewirt-
schaftshofes.
99. Buchholz, Erich, und Gustav
Adolf Reepmeyer, Das ostfriesi-
sche Bauernhaus in seiner Anpassung
an neuzeitliche Lebens- und Betriebs-
formen. Friesisches Jahrbuch 1961,
144—162, 18 Abb., Karten.
100. Burckhardt, Lucius, Die Wohn-
kultur als Gegenstand der Soziolo-
gie. Der Monat. Berlin i960.
101. Burgstaller, Ernst, Knochenfuß-
böden in Oberösterreich. In: Alpes
orientales II, Volkskunde im Ost-
alpenraum (Graz 1961) 85 — 88,
2 Karten.
102. Burkhardt, Ernst, Nachrichten
über alte ländliche Bauweise: Fach-
werkbauten. Zeitzer Heimat 6 (1959)
53 — 8 Abb.
103. Burkhardt, Heinrich, Vom Bauern-
haus am Zürichsee. Jb. vom Zürich-
see 19 (Zürich 1960/61) 70—92,
16 Abb.
104. Ders., Siedlungen und Häuser im
Sihlgebiet. Bll. der Vereinigung Pro
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
133
Sihltal 13 (Zürich 1963) Märzheft,
3—20, 24 Abb.
105. Burkhardt, Kurt, Das Altgießener
Bürgerhaus. Bearb. v. Herbert
Krüger. Mitt. des Oberhess. Gesch.
Ver. NF 46 (1962) 13 — 83, Abb.,
I Karte, Grundrisse.
106. Busch, Andreas, Friesenhaus in
Efkebüll mit einer Sturmflutmarke.
Die Heimat 67 (Neumünster i960)
170—172, 1 Abb.
107. Butkeviöius, Izidorius, Die Ver-
zierung litauischer Bauernhäuser.
Dt. Res. Etnograafia Muuseumi
Aastaraamat 20 (1965) 226 — 227
[estn. Orig. 209 — 225, 13 Abb.].
108. Buturä, Valeriu, Die siebenbürgi-
schen Turbinenmühlen. Ethnogra-
phica 1 (1959) 19 — 26, 4 Abb.
109. Capeller, F., Alte Mühlen im Fich-
telgebirge. Der Siebenstern 30 (1961)
124—127.
110. Carstensen, Karl, Guter Wind in den
Flügeln, flink drehn sie sich um . . .
Ein Beitrag zur Geschichte un-
serer heimatlichen Windmühlen.
Jb. f. d. Schleswigsche Geest 6
(1958) 88 — 120, 9 Abb.
111. Chombart de Lauwe, Paul, Sozio-
logie des Wohnens. Bauen und
Wohnen 1962.
112. Clausen, Otto, Die Entwicklung
des Bauernhauses im Kirchspiel
Kropp und Umgegend seit 1800.
Jb. f. d. Schleswigsche Geest 4
(1956) 76 — 106, Abb.; 5 (1957)
II —45, Abb., 4 Tab.
Ergebnisse einer volkskundl. Er-
hebung in den Jahren 1954 und
1955.
113. Claußen, Hans, Die Niedersachsen-
häuser in Großenaspe. Heimatkundl.
Jb. f. den Kreis Schleswig 8 (1962)
124—133, 9 Abb.
114. Conrad, K., Flur, Dorf und Haus in
Liefering. In: Lieferinger Heimat-
buch (Salzburg 1958).
115. Dambleff,A., Mittelalterliches Sie-
deln und Bauen in der Soester Börde.
Münster/Westf., Landesbaupfleger f.
Westfalen (= Mitt. zur Baupflege 9).
116. Dankö, Imre, Morphologie des Haj-
dunänäser Hauses in kurzen Um-
rissen. Dt. Res. Ethnographia 75
(1964) 93—94 [ungar. Orig. 58—92,
42 Abb.].
117. Dau, Herbert, Alte Mühlen an der
Steinau. Lauenburgischer Familien-
kalender 9 (1958) 50 — 52, 3 Abb.
118. Davids, Curt, Domhorst, die Ge-
schichte einer Mühle. Heide/Holst.,
Boyens u. Co., 1958. 19. S., 2 Abb.
119. Dege, Wilhelm, Über die Speisma-
keimer—Sprache auf Baustellen in
Münster (Westf.). Rhein.-westfäl.
Zs. f. Vk. 9 (1962) iii — 121.
120. Dehn, Wolfgang, Lehmziegel der
Hallstattzeit. Der Museumsfreund
4/5 (1964)-
121. Derlien, Hans, Vom Bauernhaus im
Herzogtum Lauenburg. Schleswig-
Holstein 13 (1961) 238 — 241, 1 Abb.
122. Dethlefsen, Detlef, Unsere schönen
alten Windmühlen. Schleswig-Hol-
stein 10 (1958) 100 —103, 3 Abb.
123. Detlefsen, Nikolaus, Die Bohlen-
speicher der Probstei. Nordelbingen
30 (1961) 41—72, 7 Abb., 15 Taf.
124. Deutsches Rechtswörterbuch (Wörter-
buch der älteren deutschen Rechts-
sprache) in Verbindung mit der Dt.
Akad der Wiss. zu Berlin hg. von der
Heidelberger Akad. der Wiss. 5. Bd.,
unter Mitwirkung von Hans Bles-
ken bearb. von Otto Gönnen-
wein und Wilhelm Weizäcker.
Weimar, Böhlaus Nachf., 1953 — 1960.
1600 Sp.
Haus 369—379; Hausfriede 400
bis 401, Hausmarke 447—448;
Hauszeichen 485.
125. Diekmann, Sibylle, Die Ferien-
haussiedlungen Schleswig-Holsteins.
Eine siedlungs- und sozialgeogra-
phische Studie. Kiel, Geogr. Inst,
der Univ. Kiel, 1963. 206 S., 32 Abb.
31 Karten.
Rez. Ber. z. dt. Landeskunde 35
(1:965) 376 — 378 (H. Schamp).
126. Dillschneider, Karl, Über Mühlen
und bremische Mühlen unter be-
sonderer Berücksichtigung der He-
melinger Mühle. Heimat u. Volks-
tum (Bremen) 1959/60, 177 — 189,
9 Abb.
127. Ders., Die Wassermühlen in Lesum.
Heimat und Volkstum (Bremen) 1961,
41 — 51, 12 Abb.
134
Herta Uhlrich
128. Dobelmann, Werner, Mittelalter-
liche Dorffestungen im Osnabrücker
Nordland. Mitt. des Kreisheimat-
bundes Bersenbrück 7(1959) 59 — 94,
Abb., Pläne, 2 Tabellen.
129. Dölling, H., Haus und Hof in west-
germanischen Volksrechten. Mün-
ster 1958. XVI, 89 S., 1 Tabelle
(— VeröfF. der Altertums kommis-
sion im Provinzialinstitut f. west-
fälische Landes- und Volkskunde 2).
Rez. SAVk 14 (1958) 46—47
(M. Gschwend); Rhein.-westfäl. Zs.
f. Vk. 6 (1959) 126 —127 (J. Sche-
pers); Westfalen 36 (1958) 122 —124
(O. Her ding); Nachrichten aus Nie-
dersachsens Urgesch. 27 (1958) 82
(K. H. Jacob-Friesen); Zs. f. Agrar-
gesch. u. Agrarsoziol. 7 (1959) 222
(R. Büchner); Zs. der Savigny-
Stiftung f. Rechtsgesch., Germanist.
Abt. 76 (1959) 521 — 522.
130. Dörr er, Anton, Zur Bezeichnung
„Knappendönse“ der Burg Reifen-
stein bei Sterzing. Der Schiern 36
(1962) 105 — 106.
131. Dösseier, E., Getreide- und Ölmühlen
im märkischen Sauerland. Quellen-
beiträge zu ihrer Geschichte vor
1806. Der Märker 8 (1959) 50 — 55.
132. Dünninger, Josef, Ein fränkisches
Dorf. Bayerland 59 (1957) 298 — 303,
7 Abb.
133. Ders.,Dörfer um Schweinfurt. Bayer-
land 59 (1957) 364—369, 10 Abb.
134. Ders., Hauswesen und Tagewerk. In:
Dt. Philologie im Aufriß. Hg. von
Wolfgang Stammler, 2.überarb.
Aufl. Bd. 3 (Berlin, Bielefeld, Mün-
chen, Erich-Schmidt-Verlag, 1962)
2781 — 2884.
Gesch. der Hausforschung, Be-
schreibung der wesentlichsten dt.
Haustypen. Haus u. Hof, Wand u.
Dach, Feuerstellen, Herdraum, Stu-
ben, Beibauten, Schmuck des Hauses.
135. Dyggce, E., Der slawische Vierma-
stenbau bei Rügen. (Beobachtungen
zum Swantewittempel des Saxo
Grammaticus.) Germania 37 (1959)
193 — 204.
136. Ebbinghaus, Karl, Die Hausmar-
ken auf Hiddensee. In: Reinhard
Peesch, Die Fischerkommünen auf
Rügen und Hiddensee (Berlin, Aka-
demie-Verlag, 1961) 273 — 291, 6 Ta-
bellen, 8 Taf.
137. Ders., Die Hausmarken auf Hidden-
see. Wiss. Zs. der Ernst-Moritz-
Arndt-Univ. Greifswald, Ges.- u.
Sprachwiss. Reihe 12 (1963) 247 bis
267, 16 Abb., 6 Taf., 1 Karte.
138. Ebruy, Fritz, Alter Brauch neu be-
lebt. Der Altmarkbote 7 (1962) 55.
Feierabend-Ziegel, d. h. verzierte
letzte Ziegel einer Schicht.
139. Eggers, Nicolaus, Aus der Ge-
schichte der Fröruper Wassermühle.
Jb. f. d. Schleswigsche Geest 8
(i960) 136 —144, 1 Abb.
140. Ehlers, Wilhelm, „Kornspeicher“
in Herzhorn und in der Kollmar-
Marsch. Die Heimat 65 (Neumün-
ster 1958) 211 —216, 1 Abb.
141. Ders., Der Kornspeicher des Gutes
Gr.-Kollmar im Dorfe Bilenberg.
Die Heimat 66 (Neumünster 1959)
248 — 250, 1 Abb.
142. Eitzen, Gerhard, Das Bauernhaus
im nördlichen Harzvorland. Nie-
dersachsen 57 (1957) 175 —179,
Abb.
143. Ders., Alte Bauerngehöfte in der ho-
hen Eifel. Rhein. Vierteljahresbll. 23
(1958) 275—290, 11 Abb.
144. Ders., Das Bauernhaus im Kreise Eus-
kirchen. Euskirchen i960. 104 S.,
31 Abb., 8 Taf. (= Veröff. des Ver.
der Geschichts- u. Heimatfreunde
des Kr. Euskirchen e. V.)
Rez. DJbfVk 7 (1961) 368 — 369
(K. Baumgarten); ÖZfVk 64 (1961)
64—65 (O. Moser); HessBllVk5i/52
(1961) 2. Teil, 132-133 (H. Win-
ter); Zs. f. Agrargesch. u. Agrar-
soziol.9 (1961) 105 (K. H. Schröder);
SAVk 60 (1964) 101 —102 (M.
Gschwend).
145. Ders., Das Bauernhaus [im Landkreis
Wittlage]. In: Der Landkreis Witt-
lage (Hannover i960) 262 — 265
(— Veröff. des Niedersächs. Landes-
verwaltungsamtes, Kreisbeschrei-
bungen, Bd. 18).
146. Ders., Das Bauernhaus. In: Johannes
Sommer, Bau und Kunstdenkmäler
im Landkreis Burgdorf. Sonderdruck
aus: Der Landkreis Burgdorf (Han-
nover 1961) 262 — 265 (= Veröff. des
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
135
Niedersächs. Landesverwaltungs-
amtes, Kreisbeschreibungen, Bd. 19).
147. Ders., Der ältere Scheunenbau im
unteren Lahngebiet und seine Be-
deutung für die Hausforschung.
Rhein. Vierteljahresbll. 26 (1961)
78—93, 21 Abb.
148. Ders., Durchfahrtshäuser in Holstein
und Lauenburg. Nordelbingen 31
(1962) 7-33, 14 Abb.
Rez. DJbfVk 10 (1964) 422 (K.
Baumgarten).
149. Ders., Rheinische Hausformen südlich
der Hallenhausgrenze. In: Bericht
über d. Tagung des Arbeitskreises f.
dt. Hausforschung e. V. in Aachen
v. 30. 8.-2. 9. 1961 (Münster/Westf.
1962) 6 — 39, 29 Abb.
150. Ders., Deutsche Hausforschung in den
Jahren 1953 — 1962. Zs. f. Agrar-
gesch. u. Agrarsoziol. ix (1963)
213—233.
151. Ders., Zur Geschichte des südwest-
deutschen Hausbaues im 15. und
16. Jahrhundert. ZfVk 59 (1963)
1 — 38, 14 Abb.
152. Ders., Oberbergische Bauernhaus-
formen im 16. und 17. Jahrhundert.
Rhein. Vierteljahresbll. 28 (1963)
250—278.
153. Ders., Ein lauenburgisches Bauern-
haus aus dem 17. Jahrhundert. Lau-
enburgische Heimat NF 43 (1963)
32-39.
154. Ders., Zur Geschichte des Bauern-
hauses im nördlichen Harzvorland.
In: Bericht über die Tagung des
Arbeitskreises für dt. Hausforschung
e. V. in Braunschweig 1965 (Mün-
ster 1966) 183 — 216.
155. Engelmeier, Paul, Heimathaus
Münsterland Telgte. Münster, West-
fälische Vereins drucker ei, 1959.
28. S. (— Sonderdruck aus der
Reihe „Das schöne Münster“ 17).
Rez. Rhein.-westfäl. Zs. f. Vk. 7
(i960) 130 (Brfingemeier]).
156. Engels, Erich, Josef Gassner,
Friederike Prodinger, Ein Salz-
burger Bürgerhaus. Salzburger Mu-
seum Carolino Augusteum, Jahres-
bericht 1956, 79—93, 4 Abb.
157. Enstipp, Überlieferung und Betriebs-
wirtschaft im ländlichen Bauwesen.
In: Berichte über d. Tagung des
Arbeitskreises f. dt. Hausforschung
in Schleswig vom 3. bis 6. August
1955 (Münster/Westf. 1956) 51—71,
26 Abb.
158. Erdmannsdorffer, Karl, Das Bau-
ernhaus in Bayerisch-Schwaben.
Schönere Heimat 49 (i960) 256 bis
265, 15 Abb. im Text, 12 Abb. auf
Tafeln.
159. Ders., War’s nur ein Zufall? Wie es
zur Neubildung der Bauernhaus-
forschung in Bayern kam. Schönere
Heimat 49 (i960) 265—267.
160. Erixon, S., Schwedische Holzbau-
technik in vergleichender Bedeu-
tung. In: Technik und Gemein-
schaftsbildung im schwedischen Tra-
ditionsmilieu (Stockholm 1957) 42
bis 112.
161. Eßer, Heinz, Hausinschriften an
Rheydter Fachwerkhäusern. Rhein.-
westfäl. Zs. f. Vk. 10 (1963) 118 bis
129, 9 Abb. auf Taf., 2 Tabellen.
162. Faasch, Rudolf, Die Windmühle zu
Lindewitt. Jb. f. d. Schleswigsche
Geest 5 (1957) 109 —m.
163. Feddersen, K. S., Die bäuerlichen
Haus- oder Hofnamen im west-
lichen Teil von Mittelschleswig. Jb.
f. d. Schleswigsche Geest 10 (1962)
70—97, 17 Abb., 1 Karte.
164. Felber, Johann, Der Getreidespei-
cher in Baselbiet. Baselbieter Hei-
matbuch 7 (Liestal 1956) 96 — 116,
11 Abb.
165. Felder, Peter, Das Aargauer Stroh-
haus. Bern, Verlag Paul Haupt, 1961.
24 S. Text, 32 Taf., Skizzen (=
Schweizer Heimatbücher 102, Aar-
gäuische R. 6).
Rez. SVk 51 (1961) 72 (Wild-
haber; ÖZfVk 64 (1961) 301 — 302
(L. Schmidt).
166. Fiedler, Alfred, Von Dach und
Fach. Beiträge zur sächsischen Bau-
ernhausforschung. 1. Teil: Vom
Stroh- und Schindeldach zum harten
Dach. Sächs. Heimatbll. 6 (1960)554
bis 564, 7 Abb.; 2. Teil: Vom Block-
bau zum steinernen Ganzmassivbau,
insbes. vom Fachwerkbau in Sach-
sen. Ebda 7 (1961) 539 — 545, 5 Abb.
167. Ders., Die ländlichen Siedlungen der
Sächsischen Schweiz. In: Im Süden
136
Herta Uhlrich
der Barbarine (Berlin i960) 199 — 207
(= Werte der dt. Heimat 3).
168. Ders., Neue Beiträge zur Geschichte
des Bauernhauses und Häusler-
anwesensinder Sächsischen Schweiz.
In: Sächsische Schweiz, Berichte des
Arbeitskreises zur Erforschung der
Sächs. Schweiz in der Geogr. Ges.
Dresden 1963, 218 ff.
169. Ders., Zur Frage des privaten und
kommunalen Backens in den Dör-
fern Sachsens während des 18. und
zu Beginn 19. Jahrhunderts. Ab-
handl. und Berichte des Staatl. Mus.
f. Völkerkunde Dresden 22 (1963)
181 — 196, 10 Abb.
Rez. Demos 3 (1964) 58 — 59
(R. Quietzsch).
170. Ders., Die Hocheinfahrt. Zum For-
menwandel sächsischer Scheunen
in neuerer Zeit. Letopis Reihe C 6/7
(1963/64) 261 —271, 5 Abb. (= Fest-
schrift Friedrich Sieber).
171. Ders., Die Schaffung von Hochein-
fahrten über Ställen. Ein Beitrag
zur Bauernhausforschung in Sach-
sen. Sächs. Heimatbll. 10 (1964) 228
bis 232, 3 Abb.
172. Ders., Aufruf zur Erfassung histo-
rischer Siedlungen und Bauten auf
dem Lande. Sächs. Heimatbll. 10
(1964) 362 — 364, 5 Abb.
173. Ders., Die Abschaffung der mit Holz
gefertigten Schornsteine in Sachsen.
Ein Beitrag zur sächsischen Haus-
und Dorfforschung. Letopis Reihe C
8 (1965) 74 — 97, 22 Abb. auf Taf.
174. Ders., Die ländliche Bauweise des
Osterzgebirges. Sächs. Heimatbll. 11
(1965) 13 — 20, 4 Abb.
175. Ders., Kursächsische Landes Verord-
nungen des 16. bis 18. Jahrhunderts
und ihre Einwirkung auf die länd-
liche Bauweise. DJbfVk 11 (1965)
46 — 58 (= Festgabe für Wolfgang
Steinitz).
176. Ders., Die „Haus- und Feldbesitzer“
zu Hohnstein. Sächsische Heimat-
blätter 11 (1965) 311 —330, 11 Abb.
177. Fikentscher, Henning, Die Halt-
barkeit der Firstenden beim Weich-
dach und ihre Bedeutung für die
Entstehung des Niedersachsenhau-
ses. Rhein.-westfäl. Zs. f. Vk. 9
(1962) 107 —m, 4 Abb.
178. Fischer, Ernst, Die Hauszerstörung
als strafrechtliche Maßnahme im
Deutschen Mittelalter. Stuttgart,
Verlag W. Kohlhammer, (1957).
186 S.
179. Fischer-Hübner, Martin, Antlitz
und Krone des Hauses. Lauen-
burgischer Familienkalender 7 (1956)
66—68, 1 Abb.
180. Flechsig, Werner, Wesen und Wert
der ostfälischen Dorfkultur als Erbe
und Aufgabe. In: Heimatarbeit im
Zonenrandgebiet Braunschweig.
Sonderschriftenreihe des Braun-
schweigischen Landesvereins für
Heimatschutz e. V., Heft 2, 9 — 15,
4 Abb.
Bauernhaus, Möbel.
181. Focsa, Gheorghe, Das Museum des
Dorfes in Bukarest. Bukarest, Ver-
lag f. fremdsprachige Literatur,
1958. 207 S., zahlr., z. T. färb. Abb.
Haus, Gehöft, Innenräume.
Rez. DJbfVk 6 (i960) 511
(K. Baumgarten).
182. Forst, Walter, Fachwerk und Hoch-
haus. Münster/West. Landesbau-
pfleger für Westfalen (= Mitt. zur
Baupflege 6).
183. Folkers, Johann Ulrich, Stand der
Bauernhausforschung in Mecklen-
burg. Mitteldeutsches Jahrbuch
(Bonn 1956) 143 —157.
184. Ders., Zur Frage nach dem Ursprung
der Gulfhäuser. Nordelbingen 27
(1959) 112 —145, 11 Abb.
185. Ders., Haus und Hof deutscher Bau-
ern. Band 3 : Mecklenburg. Münster,
Verlag Aschendorff, 1961. VIII,
109 S., 78 Taf.
Rez. HessBllVk 53 (1962) 176 bis
178 (G. Eitzen); DJbfVk 10 (1964)
222 — 224 (K. Baumgarten); Ber. z.
dt. Landeskunde 30 (1963) 210—212
(G. Niemeier); ZfVk 60 (1964) 141
bis 143.
186. Foltyn, Ladislav, Volksbaukunst in
der Slowakei. Prag, Artia, i960.
233 S., 76 Abb. im Text, 171 Abb.
auf Taf.
187. Frentzen, Hans, Das Bauernhaus
des Prümer Landes. Trierisches Jb.
1957, 101-110, 5 Abb.
188. Ders., Das Bauernhaus in der West-
eifeler Landschaft. In: Bericht über
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
137
d. Tagung des Arbeitskreises f. dt.
Hausforschung e. V. in Aachen v.
30. 8.-2. 9. 1961 (Münster 1962)
40—48, 8 Abb.
189. Freudenreich, Aleksandar, Auch
das Volk baut sich Bollwerke. Dt.
Zusammenfassung. In: Rad VIII
kongresa saveza folklorista Jugosla-
vije 6. —10. 9. 1961 (Beograd 1961)
468 [461—467, 9 Abb. im Text,
8 Taf.].
190. Ders., Das Volk baut Lauben für
Schafsherden. Dt. Zusammenfas-
sung. In: Rad IX-og kongresa save-
za folklorista Jugoslavije 16. 9. bis
23. 9. 1962 (Sarajevo 1963) 538
[529-5375 13 Abb.].
191. Ders., Das Volk baut aus Holz mit der
Axt. Dt. Zusammenfassung. In:
Rad X-og kongresa saveza folk-
lorista Jugoslavije 25.-29. 8. 1963
(Cetiñe 1964) 461—462.
192. Fricke, Rudolf, Bürgerliche Stein-
bauten im mittelalterlichen Braun-
schweig. Braunschweigische Heimat
46 (i960) 38—43, 9 Abb. im Text,
8 Abb. auf Taf.; 50 (1964) 97 — 105
5 Abb.
193. Ders., Das Braunschweiger Steinwerk
im planmäßigen Aufbau bürgerlicher
Grundstücke seit spätromanischer
Zeit. Braunschweigische Heimat 52
(1966) 33 — 39, 4 Abb.
194. Fried, Pankraz, Almhütten im baye-
rischen und tirolischen Karwendel.
Ein Beitrag zur Haus- und Sach-
kultur in den Alpen. In: Volkskund-
liche Studien. Festschrift Karl Ilg
(Innsbruck 1964) 69—78.
195. Friedrich, W., Über alte Bauern-
häuser und Herdfeuer. Das Bent-
heimer Land. Jb. des Heimatver. der
Grafschaft Bentheim 52 (1961) 13
bis 20.
196. Fritschen, Walter v., Weinberg-
kunst. Sächs. Heimatbll. 4 (1958)
274—280, Zeichnungen.
Weinbergbauten zwischen Pillnitz
und Seußlitz. Beschreibung siehe 327.
197. Ders., Wie wird Fachwerk behandelt?
Natur und Heimat 8 (1959) 543 — 549,
Abb.
198. Ders., Ein Zeuge bäuerlicher Baukultur
aus Einhausen an der Werra. Natur
und Heimat 9 (i960) 463, 1 Abb.
199. Ders., Kaditz [b. Dresden] und sein
Dorfplatz. Natur und Heimat 12
(1961) Heft 2, 3. Umschlagseite,
Abb. (= Alte Bauten im neuen Dorf).
200. Ders., Das deutsche Bauernhaus als
Kulturdenkmal. Natur und Heimat
10 (1961) 18 — 24, 21 Abb.
201. Ders., und Jochen Helbig, Nur
eine Scheune. Sächsische Heimat-
blätter (1963) 563 — 568, 5 Abb.
202. Frolec, Vaclav, Beitrag zu den mäh-
risch-slowakischen Beziehungen in
der Volksarchitektur im Gebiet der
weißen Karpaten. Dt. Res. Sloven-
sky Narodopis 14 (1966) 325 — 326
[slowak. Orig. 293 — 325, 31 Abb.].
203. Fuchs, W., Wasserburgen der Hei-
mat. Heimatkalender der Kreise
Altenburg und Schmölln 1958,
104—108.
204. Füzes, Endre, Kornspeicher mit
Schlittenkufe in Ungarn. Dt. Res.
Ethnographia 75 (1964) 34—35
[ungar. Orig. 1 —31, 35 Abb.].
205. Funck, Hans, Von vergangenen
Labenzer Windmühlen. Lauenbur-
gische Heimat 15 (1957) 14—24,
1 Abb.
206. Ders., Von der Sägemöhl zur Korn-
mühle. Lauenburgischer Familien-
kalender 11 (132) (i960) 35—39,
2 Abb.
207. Gädtgens, Paul, Die historische und
technische Entwicklung der Dach-
eindeckung im Gebiet der Freien und
Hansestadt Hamburg. Lichtwark
1962, 23—26, 3 Abb.
208. Ganßauge, Gottfried, Die Pflege
alter Fachwerkbauten in Fritzlar und
Gudenberg. Hess. Heimat 7 (1957/
58) Heft 4, 7 —11, 6 Abb.
209. Gattermann, Alois, und Richard
KurtDonin, Ein Kremser Bürger-
haus der Renaissance und seine
Stubengesellschaft. Mit einer Ein-
leitung von Fritz Dworschak.
Wien, Verlag des Vereins für Landes-
kunde von Niederösterreich und
Wien, 1959. 54 S., 12 Abb. (— For-
schungen zur Landeskunde von
Niederösterreich 10).
Rez. ÖZfVk 64 (1961) 289 — 290
(L. Schmidt).
210. Gebhard, Torsten, Das Verhältnis
der Bauernhausforschung zur haus-
138
Herta Uhlrich
kundlichen Arbeit der Vor- und
Frühgeschichte. Germania 36 (1958)
401 —409.
211. Ders., Der Niederneuchinger Troad-
kasten von 1581. Mitt. der bayer.
Landesanstalt f. Tierzucht in Grub 7
C195 9) 137-140-
212. Ders., Hinweise zur Literatur auf dem
Gebiet der Bauernhausforschung.
Bayer. Jb. f. Vk. 1961, 175 —177.
213. Ders., Wege und Ziele der Bauern-
hausforschung. Deutsche Gaue 53
(1961) 49—63.
214. Ders., Dorf und Bauernhof in Bayern.
Bayerland 64 (1962) 89—92, 6 Abb.
215. Ders., Hausforschung in Ostbayern
und Oberösterreich. In: Bericht
über die Tagung für dt. Hausforschg.
in Passau 1962 (Münster 1963)
25—47, 48 — 69, zahlr. Abb.
216. Ders., Gibt es eine Rettung für alte
Bauernhäuser? Schönere Heimat 53
(1964) 173 — 177, 6 Abb.
217. Ders., Freilichtmuseum — eine Auf-
gabe unserer Zeit. Schönere Heimat
54 (i965) 399-402, 4 Abb.
218. Ders., Der Hilgerhof in Niederbrunn.
Schönere Heimat 5 5 (1966)459—461,
2 Abb.
219. Geerkens, August, Die sterbenden
Windmühlen. Jb. des Nordfriesi-
schen Instituts 5 (1957) 129 —130.
220. Genschke, Werner, Die letzten
Räucherkaten. Heimatkundl. Jb. f.
den Kreis Rendsburg 10 (i960) 148
bis 151, 4 Abb.
221. Giese, Wilhelm, Zum Fachwerkbau
in Frankreich. Abschluß einer Be-
standsaufnahme. ZfVk 61 (1965) 214
bis 223, 1 Abb. im Text, 4 auf Taf.
222. Giffen, A. E. van, Prähistorische
Hausformen auf Sandböden in den
Niederlanden. Germania 36 (1958)
35—71-
223. Gleisberg, Hermann, Das kleine
Mühlenbuch. Dresden, Sachsenver-
lag, 1956. 100 S., 24 Taf.
Rez. DJbfVk 3 (1957) 559 — 560
(W. Rüben).
224. Ders., Technikgeschichte der Ge-
treidemühle. München, Oldenburg,
1956. 80 S.
225. Ders., Von der Quelle bis zum Meer
mahlet manche Mühle. Natur und
Heimat 11 (1962) 246 — 249, 7 Abb.
226. Goebel, Klaus, Gott Bhüt diß Hauß
man weib und kindt. Sammlung
der Hausinschriften als wichtige
Zukunftsaufgabe. Unsere bergische
Heimat 7 (Wuppertal 1958) Nr. 8.
227. Ders., Volks Weisheit und frommer
Glaube. Dargestellt an Hausin-
schriften. Unsere bergische Heimat 8
(Wuppertal 1959) Nr. 4.
228. Götzger, Heinrich, und Helmut
Prechter, Das Bauernhaus in Baye-
risch-Schwaben. München, Call-
wey, i960. 316 S., 155 Abb., 79 Taf.,
2 Karten (== Das Bauernhaus in
Bayern).
Rez. Zs. f. Agrargesch. u. Agrar-
soziol. 9 (1961) 240 — 241 (G.Eitzen);
ZfVk 58 (1962) 3x9 — 320 (H. Win-
ter); DJbfVk 8 (1962) 287 — 289
(K. Baumgarten).
229. Goebel, K., Hausinschriften aus dem
bergischen und märkischen Raum.
Unsere bergische Heimat 11 (Wup-
pertal 1962) Nr. 10.
230. Gotzes, Peter, und Friedei
Krings, Die Pannenmühle bei
Niederkrüchten. Ein Beitrag zur
Wirtschaftsgeschichte der Ölmühlen
an der Schwalm. Heimatkalender der
Erkelenzer Lande 1958, 86 — 96,
5 Abb.
231. Grabner, Gertrud, Die Bauweise der
,cabane de pierrek Ein charakteristi-
sches Beispiel für das Traditions-
bewußtsein der Bewohner der Ca-
margue. In: Volkskundliche Stu-
dien. Festschrift Karl Ilg (Inns-
bruck 1964) 213 — 230, 2 Taf.
232. Grabner, MariaEmelia, Die Mund-
art von St. Johann am Heideboden.
Wien phil. Diss. 1959. Masch.schr.
123—128 Hausbau, Einteilung
des Hauses, Bauweise, Mauer, Dach,
Fußboden. 5 Abb.
233. Granichstaedten-Czerva, Rudolf
v., Alt-Innsbrucker Stadthäuser und
ihre Besitzer. Bd. 1. Wien, Sensen-
Verlag, 1962. 52 S.; Bd. 2 ebda
1963. 64 S. Bd. 3 ebda 1965. 52 S.
Rez. Tiroler Heimatbll. 37 (1962)
125 (H. Hochenegg); 39 (1964) Heft
1 — 3» 32; 40 (1965) 95-
234. Griep, Hans-Günther, Das Bau-
ernhaus im ostfälischen Sprach-
gebiet. Heimatblätter f. den süd-
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
139
westlichen Harzrand. Sonderheft 1.
1965. 61 S., 29 Abb.
235. Grohne f, Ernst, Die „Hohwand“
im niedersächsischen Bauernhaus.
Heimat und Volkstum, Jb. f. bre-
mische niedersächsische Volkskunde
1957, 49-55-
Hohwand = Teil des Feuerjochs
oder Fletts.
236. Großkopf, Gertrud, Die Scharr-
mühle zu Rendel. Wetterauer Ge-
schichtsbll. 7/8 (1959) 81 —101.
237. Grote, Andreas, Der vollkommene
Architectus. Baumeister und Bau-
betrieb bis zum Anfang der Neuzeit.
München, Prestel, 1959. 80 S., Abb.
(= Bibi, des German. National-Mus.
Nürnberg 13).
238. Gruber, Otto, Bauernhäuser am Bo-
densee. Hg. von Karl Gruber.
Veröff. durch den Verein f. Gesch.
des Bodensees und seiner Um-
gebung. Konstanz u. Lindau, Jan
Thorbecke Verlag, 1961. 140 S.,
170 Abb.
Rez. ÖZfVk 64 (1961) 295 (L.
Schmidt); ZfVk 58 (1962) 320—322
(T. Gebhard); SAVk 58 (1962) 52
(M. Gschwend); DLZ 85 (1964)
248 — 249 (K. Baumgarten).
239. Grund, Annelies, Die Räucherkate
in Rade. Heimaterde 2 (Rendsburg
i960) 254—255, 3 Abb.
240. Gschnitzer, Hans, Gedanken zum
ländlichen Siedlungsausbau während
des 20. Jahrhunderts im mittleren
Inntal. In: Volkskundliche Studien.
Festschrift Karl Ilg (Innsbruck 1964)
33—44, 2 Taf. (== Schiern-Schriften
237)-
241. Gschwend, Max, Stand und Er-
gebnisse der schweizerischen Bau-
ernhausforschung (seit 1951). In:
Berichte über d. Tagung des Ar-
beitskreises f. dt. Hausforschung in
Heppenheim an der Bergstraße v.
27. — 29. August 1959, 25 — 54, Abb.
242. Ders., Die Konstruktion der bäuer-
lichen Hochstudbauten in der
Schweiz. Alemannisches Jb. i960,
203 — 239, 23 Abb., 1 Karte.
243. Ders., Hochstudbauten im schweize-
rischen Mittelland. Regio Brasiliensis
1 (Basel i960) 134—144, Abb., 1 Kar-
te.
244. Ders., Ein schweizerisches Freilicht-
museum? Heimatschutz 57 (Olten/
Schweiz 1962) 90 —m, 27 Abb.
245. Gunda, Bela, Zusammenhänge zwi-
schen Hofanlage und Viehzucht in
Siebenbürgen. In: Viehzucht und
Hirtenleben in Ostmitteleuropa (Bu-
dapest 1961) 241—281, 33 Abb.
246. Ders., Die Raumaufteilung der un-
garischen Bauernstube, ihre gesell-
schaftliche Funktion und kultische
Bedeutung. DJbfVk 8 (1962) 368
bis 391, 9 Abb.
247. Ders., Der Einfluß der Gesellschafts-
organisation auf die Entwicklung
der Bauweise. Sociologus NF 1963,
121 —136.
248. Haberlandt, A., Zur Vereinheitli-
chung der Typologie und Termi-
nologie des Bauernhauses in Öster-
reich. Mitteilungen der Anthro-
pologischen Ges. in Wien 87 (1957)
32 — 36.
249. Habicht, T., Über den Hofraum und
einige Nebengebäude des südost-
estnischen Bauernhofes in der zwei-
ten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dt.
Res. Etnograafia Muuseumi Aastara-
amat 16 (1959) 149 —152 [estn. Orig.
88 — 147, 5° Abb.].
250. Dies., Die Wohnriege Südostestlands
in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts. Dt. Res. [Estn. Orig.
Rehielamu Kagu—Eestis 19. sajandi
teisel pooleh] Tartu 1961. 90 S.,
68 Abb.
251. Hänsel, Robert, Schleizer Mühlen.
Thüringer Heimat 3(1958) 109 — 116,
2 Abb.
252. Hagel, Jürgen, Die Gipsmühle am
Segeberger Kalkberg. Heimatkundl.
Jb. f. den Kreis Segeberg 6 (i960)
89 — 110, 8 Abb.
253. Ders., Die Brunnenhäuser in der
Grafschaft Bentheim und im an-
grenzenden Westfalen. Jb. des Hei-
matver. der Grafschaft Bentheim
i960, 132 —139, 8 Abb.
254. Haller, Konrad, Der alte Backofen.
Die Oberpfalz 47 (1959) 48 — 50.
255. Handwerk, Haus und Hof. Volks-
tümliches Arbeitsgerät aus zwei Jahr-
hunderten. Ausstellungs-Katalog
Schleswig-Holsteinisches Landes-
museum, Schleswig Schloß Gottorf.
140
Herta Uhlrich
Mit einer Einführung von A. Lüh-
ning. Schleswig 1963. 36 S., 31 Abb.
256. Hank,Vil6m, Altertümliche Schorn-
steinhauben von mährischen Bauern-
häusern. Ethnographica 2 (i960, er-
schienen 1961), 131 —149, 6 Ab-
bildungsreihen, 6 Karten.
257. Hansen, A., Die Braunschweigische
Vorlagescheune und ihr Verbrei-
tungsgebiet im Magdeburgischen
Holzlande, Braunschweigische Hei-
mat 48 (1962) 71—76.
258. Hansen, Wilhelm, Der Wiederauf-
bau des Kornhauses aus Schieder als
Heimathaus des Lippischen Landes-
museums. Lippische Heimat, Jb. des
Lippischen Heimatbundes 32 (Det-
mold 1957) 52 S.
259. Hauberg, Werner, Im ältesten
Bauernhaus Schleswig-Holsteins.
Heimaterde 2 (Rendsburg i960) 256,
2 Abb.
260. Ders., Das Gildehaus in Schönkirchen.
Schleswig-Holstein 12 (i960) 164
bis 165, 4 Abb.
261. Hauer, Rupert, Zur Kitting-Frage.
Das Waldviertel 10 (1961) 151 —152.
262. Haus und Hausrat des alten Luchon-
nais. Nach dem wiss. Nachlaß von
W. Schroeder, Hamburg, bearb.
von F. Krüger. In: Weltoffene Ro-
manistik. Festschrift Alwin Kuhn
zum 60. Geburtstag (Innsbruck
1963) 255—278, 38 Abb. auf 19 Taf.,
8 Grundrisse.
Rez. SAVk 60 (1964) 268 (Wild-
haber).
263. Heimberger, Heiner, Darren im
Gebiet zwischen Neckar und Main.
Badische Heimat 37 (1957) 252 — 266,
8 Abb.
264. Hekker, Robert C., Fachwerkbau
in Südlimburg. In: Bericht über d.
Tagung des Arbeitskreises f. dt.
Hausforschung e. V. in Aachen v.
30. August bis 2. September 1961
(Münster 1962) 49—74, 13 Abb.
265. Ders., Hausforschung im niederlän-
disch-deutschen Grenzgebiet. Die
Nachbarn 3 (1962) 140 —146.
266. Helbig, Jochen, Ein Bauernhaus
wird Museum. Natur und Heimat 10
(1961) Heft 4, 3. Umschlagseite, Abb.
(= Alte Bauten im neuen Dorf).
Lehde! S preewald.
267. Ders., ein sorbisches Blockhaus in
Sprey. Sächsische Heimatblätter 9
(1963) 449-457, 8 Abb.
Rez. Demos 5 (1964) 49 — 50
(W. Radig).
268. Ders., Die ländliche Bauweise im öst-
lichen Erzgebirge. In: östliches Erz-
gebirge (Berlin 1966) 227 — 237,
Abb. (= Werte der deutschen Hei-
mat 10).
269. Henkelmann, Heinrich, Unnaer
Hausinschriften. Der Märker 8 (Al-
tena) 340.
270. Henning, Bernhard, Das große
Mühlensterben. Dithmarschen 1957,
11 —13.
271. Hensel, Witold, Die Slawen im
frühen Mittelalter. Berlin, Akade-
mie-Verlag, 1965. 508 S., Abb.
Siedlung und Bauwesen 283—359,
59 Abb.
272. Hensler, Emil, Ein vierfach ma-
teriell geteiltes Haus in Lahnbach am
Zamerberg. Tiroler Heimat 20 (1956)
55—61, 2 Abb. im Text, 1 Tafel.
273. Herwig, Willi, Alte Hausinschriften
und Hausmarken in Hilden. Hilde-
ner Jb. 6 (erschienen 1959) 347 — 362.
274. Herzog, Erich, Die ottonische Stadt.
Die Anfänge der mittelalterlichen
Stadtbaukunst in Deutschland. Ber-
lin, Mann, 1964. 225 S., 25 Taf.
(= Frankfurter Forsch, z. Archi-
tekturgesch. 2).
275. Hesselbacher, Martin, Denkmal-
pflege an ländlichen Bauten im Breis-
gau. Nachrichtenblatt der öffentl.
Kultur- u. Heimatpflege im Reg.-
präs. Südbaden 8 (1957) 63—67.
276. Ders., Das Gasthaus „Zur Linde“,
und die Kirchstraße in Kappel am
Rhein. Nachrichtenblatt der Denk-
malpflege in Baden-Württemberg 2
(Freiburg 1959) 18 — 22.
277. Heuter, Peter, Die ländliche Bau-
weise des 15. und 16. Jahrhunderts
in Schelde-, Maas- und Rheingebiet
nach Darstellungen der spätmittel-
alterlichen Malerei. Ein Beitrag zur
historischen Hausforschung. 1. Teil:
Textband. 2. Teil: Bildband. Sieg-
burg, F. Schmitt Verlag, 1961.120 S.,
12 Abb.; 32 S. Text, 160 Abb.
auf Taf. (— Quellen u. Studien zur
Volkskunde 4).
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
141
Rez. SAVk 61 (1965) 143 —144
(M. Gschwend); ZfVk 62 (1966) 148
(G. Eitzen); DJbfVk 10 (1964) 418
bis 421 (K. Baumgarten u. C. Kreuz-
berg).
278. Hillenbrand, Karl, Dachziegel und
Zieglerhandwerk. Der Museums-
freund 4/5 (1964).
Herstellung; Techniken der Ver-
zierung (Firstziegel) ; Maße; Sprüche
auf Ziegeln.
279. Ders., Verzierte Backsteine aus dem
Mittelalter. Der Museumsfreund 4/ 5
(1964).
280. Himmelheber, Georg, Die Wieder-
herstellung des „Götzenhauses in
Viedernhall“. Nachrichtenblatt der
Denkmalpflege in Baden-Württem-
berg 2 (Freiburg 1959) 84—86.
281. Hinz, Hermann, Über eisenzeitliche
Hallen auf der cimbrischen Halbinsel.
Bericht über d. Tagung des Arbeits-
kreises f. dt. Hausforschung in
Schleswig v. 3. bis 6. August 1955
(Münster/Westf. 1956) 117 — 126,
2 Taf.
282. Ders., Einfahrtstor und Erntebergung.
Bonner Jahrbücher 158 (1959) 118
bis 125.
283. Ders., Zur Vorgeschichte der Nieder-
deutschen Halle. In : Bericht über die
Tagung des Arbeitskreises f. dt. Haus-
forschung e. V. in Münster/Westf.
v. 21. bis 25. August 1963 (Münster
1964) 39—43, 3 Abb.
284. Ders., Zur Vorgeschichte der nieder-
deutschen Halle. ZfVk 60 (1964) 1
bis 22, 3 Abb., 2 Karten.
285. Hirschmann, G., Mühlen, Sägen
und Hämmer um die Nürnberger
Wälder 1458/64. Altnürnberger
Landschaft 8 (Hersbruck 1959) 88
bis 98.
285a. Hock, Albert, Neuzeitlicher Bau-
ernhof und Bauernbetrieb. Deut-
scher Heimatbund. Jahrbuch 1959,
66—71.
286. Höck, Alfred, Beschriftete Dach-
ziegel im Alsfelder Museum. Mitt.
des Gesch.- u. Altertumsvereins
der Stadt Alsfeld 9 (i960) 233 — 235.
287. Ders., Bau und Kosten eines dörf-
lichen Fachwerkhauses in Hessen,
1799. HessBllVk 55 (1964) 165 — 180,
2 Abb., 1 Karte.
288. Hofer, Tamas, Eine eigenartige un-
garische Siedlungsform und ihre
europäischen Beziehungen. In: Eu-
ropa et Hungaria (Budapest 1965)
95-110.
Hoftypen.
289. Hoff mann, Julius, Die „Hausväter-
literatur“ und die „Predigten über
den christlichen Hausstand“. Ein
Beitrag zur Geschichte der Lehre vom
Hause und der Bildung für das häus-
liche Leben im 16., 17. und 18. Jahr-
hundert. Berlin, Beltz, 1959. 246 S.
(— Göttinger Studien zur Päd-
agogik 37).
290. Hofmann, Ernst Otto, Aisfelder
Fachwerkbauten. Hess. Heimat 8
(1958/59) Heft 2, 5—9, 6 Abb.
291. Ders., Das Alsfelder Ständerhaus.
Hess. Heimat 10 (i960) Heft 7,
7 —11, 6 Abb.
292. Holländer, Th., Das Gladbecker
Bauernhaus in der 2. Hälfte des
18. Jahrhunderts. Vestisches Jb. 60
(1958) 64—76.
293. Hornung, Maria, Rauchküche und
Rauchstube in Osttirol. Graz, Wien,
Köln, Hermann Böhlaus Nachf.,
1964. 20 S., 4 Abb. im Text, 11 Abb.
auf Taf. (= österr. Akad. der Wiss.
Sitzungsber. Philos.-hist. Kl. 244,
Abh. 2).
Rez. SAVk 60 (1964) 246 (M.
Gschwend).
294. Hoyer, Arwed, Rathaus und Bürger-
haus zu Frankenberg als Bautypen
einer mittelalterlichen Stadt. Zs. des
Ver. f. hess. Gesch. u. Landeskunde
69 (1958) 121 — 138, 11 Abb., 5 Taf.
295. Hoyer, H., Gedanken zum Hausbau
unserer Zeit. Münster/Westf., Lan-
desbaupfleger für Westfalen (= Mitt.
zur Baupflege 2).
296. Hutschenreuther, Günther, Boh-
lendächer um 1800 in Sachsen. Sächs.
Heimatbll. 4 (1958) 401 —406, 6 Abb.
297. Ders., Die Aufgabe des ländlichen
Bauwesens in der Deutschen Demo-
kratischen Republik. Wiss. Zs. der
Hochschule f. Architektur u. Bau-
wesen Weimar 11 (1964) 255—256.
298. Ila, Bälint, Die Leistungsfähigkeit
der Wassermühlen am Ende des
17. Jahrhunderts. Dt. Zusammen-
142
Herta Uhlrich
fassung. Agrartörtdneti Szemle 6
(1964) 425 [ung. Orig. 415-424].
299. Ilg, Karl, Die volkskundliche Bau-
weise in Wattens und Umgebung.
Funktionelle entwicklungsgeschicht-
liche Betrachtung der Hausformen
einer aus bäuerlichem Milieu zur
Industriesiedlung umgebildeten Ti-
roler Gemeinde. In: Wattner Buch
(Innsbruck 1958) 265—288, 15 Abb.
(— Schiern-Schriften 165).
300. Ders., Die hauskundliche Forschung
in Vorarlberg in den abgelaufenen
hundert Jahren. Jb. des Vorarl-
berger Landesmuseumsver. 1958/59
(Bregenz 1959/60) 114—130.
301. Ders., Volkskundliche Betrachtungen
der „Knappendönse“ auf Burg Rei-
fenstein bei Sterzing in Südtirol. In:
Beiträge zur geschichtlichen Lan-
deskunde Tirols (Innsbruck 1959)
1576". (= Festschrift Franz Hüter).
302. Ders., Bodenständiges Bauen und
Wohnen. In: Karl Ilg, Landes- und
Volkskunde, Geschichte, Wirtschaft
und Kunst Vorarlbergs, 3. Bd. (Inns-
bruck, Universitätsverlag Wagner,
1961) 291 — 342, 20 Abb. im Text,
6 Abb. auf Taf., davon 2 farbig.
303. Ders., Die Siedlungs-, Haus- und
Hofformen diesseits und jenseits des
Brenners. Jb. des Südtiroler Kul-
turinstitutes x, Die Brennerstraße
(Bozen, Südtiroler Kulturinstitut,
1961) 311 — 326, 2 Abb., 6 Pläne.
304. Ders., Die Knappendönse auf Burg
Reifenstein. Aufgaben und Theorien.
Der Schiern 36 (1962) 315—318,
1 Abb.
305. Ders., Die Entwicklung der Stube
unter dem Gesichtspunkt boden-
ständiger Rauchstuben im Süd-
Westen des deutschen Kulturrau-
mes. ÖZfVk 68 (1965) 209 — 224.
306. Jänichen, H., Zur Geschichte der
Sägemühlen im Mittelalter. Ale-
mannisches Jahrbuch 1961, 317 bis
329.
307. Jentsch, Christoph, Die Bauern-
mühlen der Brunecker Umgebung
im Pustertal. Geogr. Studien über
Mensch und Siedlung in Südtirol,
Prof. Dr. Hans Kinzl zum 60. Ge-
burtstag von seinen Studenten (Inns-
bruck 1961) 43—49, 2 Abb., 1 Karte
(= Schiern-Schriften 217).
308. Kaiser, Erich, Homberg, das Kur-
hessische Fachwerkkleinod. Hess.
Heimat 7 (1957/58) Heft 4, 19 — 22.
309. Kamphausen, Alfred, Neues Bauen
in Dithmarschen. Dithmarschen
1958, Heft 1/2, 2—8, 12 Abb.
310. Ders., Bürgerhäuser zwischen Elbe
und Königsau. Heide/Holst., West-
holst. Verlagsanst. Boyens, 1961.
2. Aufl. 1963. 19 S. Text, 52 S.
Abb. (= [Buchreihe der] Schles-
wig-Holstein. Landesbrandkasse 9).
311. Ders., Das Schleswig-Holsteinische
Freilichtmuseum. Rhein.-westfäl.
Zs. f. Vk. 10 (1963) 178 — 180, 2 Taf.
312. Ders., Das Schleswig-Holsteinische
Freilichtmuseum. Häuser und Haus-
geschichten. Berichte aus dem
Schleswig-Holsteinischen Freilicht-
museum Heft3. Neumünster 1963/
64. 64 S., 36 Abb., 1 Karte.
313. Ders., Das Schleswig-Holsteinische
Freilichtmuseum. Beitr. z. Volks- u.
Altertumskunde 9 (1965) 126 —132.
Firstsäulenscheune; Heydenreich-
Hof aus Herzhorn u. a.; Wohnungen
u. Werkstätten des ländlichen Hand-
werks.
314. Kappel, Julius, Das burgenlän-
dische Dorfbild. In: J. Stehlik,
Burgenland mit dem Neusiedlersee
(Wien i960) 28 — 30.
315. Karu, E., Über die Entwicklung
ländlicher Wohnbauten in Westest-
land im 20. Jahrhundert. Dt. Res.
Etnograafia Muuseumi Aastaraamat
19 (1964) 74—75 [estn. Orig. 50 — 72,
14 Abb.].
316. Kasparek, Max Udo, Die Habaner-
höfe in Südmähren. Südmährisches
Jahrbuch 1957, 92fr., 4 Abb. auf
Taf.
317. Kaufmann, Otto, Alte oberbergi-
sche Bauernstuben. Romerike Berge
11 (1961/62) 49 — 64.
318. Ders., Alte oberbergische Bauern-
küchen. Romerike Berge 12 (1962/
63) 156-171.
319. Kick, Josef, Ein Hochhaus Weidens
aus dem 16. Jahrhundert. Ober-
pfälzer Heimat 4 (1959) 95 —102.
Ursprünglich Zehntgetreidekasten,
1529.
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
143
320. Kiehnle, Edmund, Die „Alte Uni-
versität“ in Eppingen. Nachrichten-
blatt der Denkmalpflege in Baden-
Württemberg 3 (Freiburg i960)
19—21.
321. Ders., Die ehemalige Ratsschänke in
der Eppinger Altstadt. Nachrichten-
blatt der Denkmalpflege in Baden-
Württemberg 3 (Freiburg i960) 22.
322. Kierdorf, Ulrike, Ein mittelalter-
liches Hallenhaus in Görlitz —
Untermarkt 25. Wiss. Zs. der TH
Dresden 7 (1957/58) 949 — 956, 1
Abb., schemat. Darst.
323. Kiess, W., Die Burgen in ihrer Funk-
tion als Wohnbauten. Studien zum
Wohnbau in Deutschland, Frank-
reich, England und Italien vom 11.
bis 15. Jahrhundert. Stuttgart 1961.
332 S., 128 Taf., Skizzen, Orts-
register. Diss. Techn. Hochschule
Stuttgart.
324. Kirschmer, Karl, Mühlen-Chronik
des Filstales. Göppingen, Gesch.-
u. Altertumsverein, i960. 122 S.,
1 Karte.
325. Kislinger, Max, Alte Bauernherr-
lichkeit. Erläuternder Text von Ot-
fried Kästner und Helene
Grünn. Einführung von Franz
Lipp. Linz, Oberösterr. Landes-
verlag, 1957. 187 S., 134 Abb., 40
Farbtaf. als Beilage (= Denkmäler
der Volkskultur aus Oberösterreich
I)*
Bauernhöfe 39 — 74, 41 Abb., 7
Farbtaf.
326. Ders., Alte bäuerliche Kunst. Ein-
führung und Nachwort von Franz
Lipp. Linz, Oberösterreichischer
Landesverlag, 1963. 128 S. Text,
112 ganzseitige Taf., davon 40
farbig.
Haus und Hof; Innenräume,
Möbel.
327. Kissel, Franz, und Erich Brük-
ker, Der Waitzsche Turm und die
ehern. Windmühlen der Saline zu
Nauheim. Wetterauer Gesch.bll. 7/8
(1959) 141-151-
328. Kläui, Paul, Geschichte der Ge-
meinde Uster. Uster [Kanton Zü-
rich], Gemeinderat, 1964. 509 S.,
110 Abb. u. Karten.
Rez. Zs. f. Agrargesch. u. Agrar-
soz. 14 (1966) 102 (W. A. Boelcke).
Auch Haus u. Hof.
329. Kleeberg, Wilhelm, Mühlenge-
schichte des Landkreises Burgdorf.
Hannover, Niedersächs. Heimat-
bund, 1958. 143 S., 14 Taf. (= Sehr,
des Niedersächs. Heimatbundes NF
35)-
Rez. ZfVk 56 (i960) 298 — 299
(G. Simons).
330. Klocke, F., Das Stroh-Lehmschindel-
dach im Harz. DJbfVk 8 (1962)
174—177, 4 Abb. im Text, 2 Taf.
331. Ders., Bauernhaus von 1726 in
Königerode. In: Aus Natur und
Heimat. Hg. Dt. Kulturbund, Kreis-
kommission Natur- und Heimat-
freunde Quedlinburg (Quedlinburg
1966) 15 — 17, 3 Abb.
332. Ders., Kammertennen im Unterharz.
In: Aus Natur und Heimat. Hg. Dt.
Kulturbund, Kreiskommission Na-
tur- und Heimatfreunde Quedlin-
burg (Quedlinburg 1966) 18 — 21,
5 Abb.
333. Klopmeyer, G., Die Nordhorner
Wassermühlen. Das Bentheimer
Land 53 (1962) 88 — 96.
334. Knopf, A., Die Mühlen im Schlage-
tal. Saalfelder Heimat 4 (1959)
60-63, 71-75-
335. Knutz, Hans, Von der Geschichte
der Tönninger Mühlen. Zwischen
Eider und Wiedau 1958, 80 — 82.
336. Köhlmeier, Alois, Wohnsitten der
Arbeiterschaft im Vorarlberger
Rheintal. In: Volkskundliche Stu-
dien. Festschrift Karl Hg (Innsbruck
1964) 59 — 67 (— Schiern-Schriften
237)-
337. Koppe, Rudi, Backhäuser, Sächs.
Heimatbll. 8 (1962) 685—687, 3 Abb.
338. Der s., Nutzung denkmalwürdiger Bau-
ten auf dem Lande. In: Alte Bauten
im neuen Dorf 2 (Berlin 1964)
12—46, 53 Abb.
339. Koller, Engelbert, Letzte
„schwarze Küchen“ im Gebiet des
Wolfgangsees. Oberösterr. Heimat-
bll. 12 (1958) 97 — 112, 16 Abb.
340. Ders., Ein kaminloses Rauchküchen-
haus. Oberösterr. Heimatbll. 14
(i960) 55—62, 2 Taf., Grundrisse
auf Falttaf.
144
Herta Uhlrich
341. Kolling, Alfons, Ein Bauernhaus
aus der Zeit vor dem Dreißigjähri-
gen Krieg (in Lauterbach, Kr.
Ottweiler). Saarbrücker Hefte 3
(1956) 76 — 80, 2 Abb.
342. Kostkova, Anna, Das Leben der
Bergleute in Wohnstätten genannt
Kram im Gebiete von Gömör und
der unteren Zips. Dt. Res. Slovens-
ky Narodopis 11 (1963) 524 [slowak.
Orig. 499 — 523, 11 Abb.].
343. Krämer, Werner, Neue Ausgrabun-
gen in Deutschland. Berlin 1958.
Material f. vor- u. frühgeschichtl.
Hausbau.
344. Kramer, Karl-Sigismund, Das
Herausfordern aus dem Haus.
Lebensbild eines Rechtsbrauches.
Bayer. Jb. f. Vk. 1956, 121 — 138.
345. Ders., Bauhand wer kerbräuche in
Mainfranken, insbes. der Niederfall.
Die Plassenburg 13 (1958) 81 — 104.
346. Ders., Bezeichnungen und Formen
des Richtfestes in Franken. Bayer.
Jb. f. Vk. 1961, 90 — 107, 3 Abb. auf
Taf., 4 Karten.
347. Ders., Volksleben im Fürstentum
Ansbach und seinen Nachbarge-
bieten [1500 — 1800]. Würzburg,
Schöningh, 1961. 358 S.
Von Städten, Märkten und Dörfern,
öffentlichen und privaten Bauten
29—56; Haus und Familie 191—237;
Sitzordnung bei Festlichkeiten 208f.
348. Ders., Das Haus als geistiges Kraft-
feld im Gefüge der alten Volkskul-
tur. Rhein.-westfäl. Zs. f. Vk. 11
(1964) 30—43.
349. Krastina, Anna, Über die Er-
forschungsgeschichte der lettischen
Volksarchitektur. Dt. Res. Etno-
graafia Muuseumi Aastaraamat 20
(1965) 245 — 247 [estn. Orig. 228 bis
243, 3 Abb., 2 Karten].
350. Krings, Friedel, Die Windmühlen
der Erkelenzer Börde. Heimatkalen-
der der Erkelenzer Lande 11 (1962)
138 — 152, 8 Abb.
351. Krins, Franz, Entwurf einer Bau-
ordnung für die Städte in Minden-
Ravensberg aus dem Jahre 1783.
Rhein.-westfäl. Zs. f. Vk. 3 (1956)
232—236.
352. Kriss-Rettenbeck, Lenz, Bilder
und Zeichen religiösen Volksglau-
bens. München, Callwey, 1963.
186 S., 414 Abb.
Bilder und Zeichen zum Schutz
des Hauses.
353. Krogel, Heinz-Werner, Das Salz-
wedeler Hochständer haus. Der Alt-
markbote 5 (i960) 359 — 361.
354. Krüger, Gerhard, Das sorbische
Freiland-Museum im Spreewald-
dorf Lehde. Letopis Reihe C 5
(1961/62) 161 —167, 5 Abb.
Wohnhaus u. Wirtschaftsgebäude.
355. Krüger, Herbert, Das Altgilfener
Bürgerhaus. Mitt. des Oberhessi-
schen Geschichtsarchivs NF 46
(1962) 13-83.
356. Kuehn, Alfred, Die Mühlen des
Kreises Rendsburg. Heimatkundl.
Jb. für den Kreis Rendsburg 8 (1958)
11—44, 7 Abb.
357. Ders., Drei Wassermühlen des Gutes
Hanerau. Heimatkundl. Jb. für den
Kreis Rendsburg 1 o (1960) 160 — 177,
1 Abb., 1 Karte.
358. Kürth, Herbert, Aribert Kutsch-
mar, Baustilfibel. Bauwerke und
Baustile von der Antike bis zur
Gegenwart. Abb. von Ruth u.
Rudolf Peschei. Berlin, Volk und
Wissen, 1964. 231 S.
359. Die Kunstdenkmäler des Kreises
Pinneberg. Bearb. von Wolfgang
Teuchert und Arnold Lühning
(Bauernhäuser). Mit einem Beitrag
von Manfred Peters. München,
Berlin, Dt. Kunstverlag, 1961. XII,
378 S., 228 Abb., 1 Karte (= Die
Kunstdenkmäler des Landes Schles-
wig-Holstein).
360. Kurucz, Albert, Die Überreste des
bäuerlichen Bauwesens in den Wein-
gärten von Konyär. Dt. Res. Müvelt-
s6g 6s hagyomäny 3 (Budapest 1961)
176 [ung. Text. 167 —175, 8 Abb.].
361. Kusch6, Rudolf, Die letzte Loden-
stampf in Oberösterreich. Heimat-
land, Linz 1957, 42—43.
362. Kwasiewski, Krzysztof, Feuer-
stellen und Öfen in polnischen
Bauernhäusern. Ein Beitrag auf
Grund des ethnographischen Mate-
rials aus der 2. Hälfte des 19. und aus
dem 20. Jahrhundert. Dt. Res.
[Paleniska i piece w polskim budow-
nictwie ludowym. Studium na pod-
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
145
stawie materialow etnograficznych
z drugiej polowy XIX oraz XX
wieku.] Wroclaw, Warszawa, Kra-
kow, Ossolineum, 1963. 190 S.,
76 Abb., 22 Karten.
Rez. DJbfVk 12 (1966) 174—176
(J. Burszta).
363. Laag, Otto-Kurt, Die Mühlenbau-
Kunst im Kreise Minden. Fort-
setzung der Forschungen um den
Walfahrtsteich. Mindener Heimat-
bll. 33 (1961) 64—68, 1 Abb.;
93-94-
364. Laage, Georg, Zur Geschichte feh-
marnscher Windmühlen. Jb. des
Kreises Oldenburg/Holstein 1 (1957)
68-79.
365. Landgraf, Eleonore, Bodenfliesen
des Mittelalters in Schwaben. Der
Museumsfreund 4/5 (1964).
366. Landzettel, Wilhelm, Landwirt-
schaftliches Bauen im Umbruch.
Wiesbaden 1961.
366a. Ders., Produktions- und Wohn-
stätten der Bauern. Deutscher
Heimatbund. Jahrbuch 1962/63, 135
bis 141.
367. Langematz, Rolf, Fachwerk in
Wernigerode. Ein Bildband. Text
von Ernst Pörner, Herbert
Kürth u. Liesel Noack. Weimar,
Hermann Böhlaus Nachf., 1961.
127 S., 129 Abb.
Rez. HessBllVk 53 (1962) 180 bis
181 (K. Rumpf); Natur u. Heimat ix
(1962) 214.
368. Leiß, Josef, Die dekorierte Wand.
Zur Vorgeschichte der Bildtapete.
Hessen Journal 4 (1962) Heft 2,
8 —11, 2 Abb.
369. Lemke, Werner, Zur Geschichte des
Mühlenwesens im Gute Gülden-
stein. Jb. des Kreises Oldenburg 3
(1959) 79 — 98, 4 Abb., 1 Karte.
370. Leven, Charlotte, Wetterfahne im
Februarwind. Eiserne Kleinkunst
zwischen Himmel und Erde. Zeitzer
Heimat 6 (1959) 40—42, 5 Abb.
371. Dies., Wo die weißen Tauben fliegen.
Alte Taubenhäuser in Ostthüringen.
Thüringer Heimatkalender 1962,
35-36.
372. Lietuviu etnografijos bruozai (Abriß
der litauischen Ethnographie). Vil-
nius, Abt. f. Ethnographie am Inst.
f. Gesch. d. Akad. der Wiss. der
Litauischen SSR, 1964. 681 S., 286
Abb., 16 Taf.
Haus und Hof. Dt. Res. 626—632.
Rez. DJbfVk 12 (1966) 116 —117
(W. Jacobeit).
373. Lindenbauer, Josef, In der Vich-
tau. Altes aus der Heimat. Ober-
österr. Heimatbll. 20 (1966) 129.
Schindeldach; Schindelherstellung;
Troadkasten.
374. Lindtke, G., Höfe, Gänge, Bürger-
häuser. Lübeckische Bll. 120 (i960)
20 — 23, 4 Abb.
375. Lipp, Franz, Bericht über die Exkur-
sion nach Oberösterreich am 24. und
25. 8. 1962. In: Bericht über die
Tagung des Arbeitskreises f. dt. Haus-
forschung e. V. in Passau v. 22. bis
25. August in Passau 1962 (Münster/
Westf. 1963) 48—60, 68 — 88, 22
Abb.
Höfe im Oberen Mühlviertel; Has-
lach; Dreiseithof im Waldhufen-
gebiet; Freistädter Bürgerhäuser;
Bauernhäuser im Unteren Mühl-
viertel; Innviertler Vierseithof; Inn-
viertler Scheune; Mondseer Rauch-
haus.
376. Ders., Das Mondseer Rauchhaus, —
erstes oberösterreichisches Freilicht-
museum. Oberösterr. Kulturberichte
Folge 23, i960. 4 S.
377. Ders., Das Mondseer Rauchhaus. In:
Bericht über d. Tagung des Arbeitskr.
f. dt. Hausforschung e. V. in Passau
v. 22.-25. August in Passau 1962
(Münster 1963) 61—67, 5 Abb.
378. Ders., Stuben und Stubenlandschaften
in Oberösterreich. ÖZfVk 68 (1965)
225—246, 6 Taf.
379. Lohse, Gerhart, Hof- und Haus-
namen im nördlichen Oldenburg.
In: Namenforschung. Festschrift für
Adolf Bach . . . (Heidelberg 1965)
421—428.
380. Lohß, Max, Vom alten Kleinbauern-
haus im früheren Oberamt Heiden-
heim. Schwäbische Heimat 13 (1962)
123 —125, 4 Abb.
381. Ders., Vom Bauernhaus in Württem-
berg — einst und jetzt. Schwäbische
Heimat 13 (1962) 171 — 183, 19 Abb.
382. Ders., Bericht über die Exkursions-
tagung in Eßlingen vom 26. bis
10 Volkskuude
146
Herta Uhlrich
30. August 1964. In: Bericht über d.
Tagung des Arbeitskreises f. dt.
Hausforschung e. V. in Eßlingen a.
Neckar v. 26. —30. August 1964
(Münster 1965) 3 — 58, 37 Abb.
Bauernhäuser u. -höfe in Eltingen,
Ditzingen, Lienzingen; Weingärtner-
häuser; Schwarzwälder Waldhufen-
dörfer.
383. Lühning, Arnold, Die Marxdorfer
Schulkate von 1639. Jahrbuch für
Heimatkunde im Kreis Oldenburg/
Holstein 1963, 72 — 83, 9 Abb.
384. Macel, Otakar, Denkmalspflege und
museologische Betreuung der volks-
tümlichen Baudenkmäler im Zeitab-
schnitt der Sozialisierung des Dorfes
in der CS SR. Ethnographica 2 (Brno
i960) 257 — 261.
385. Von den Mahl- und Schneidmühlen
am Steinachfluß. Kultur Spiegel
Sonneberg und Neuhaus 1959, 676
bis 678.
386. Mais, Adolf, Die Maisspeicher in
Österreich. In: Die Wiener Schule
der Völkerkunde (Wien 1956) 535
bis 550, 2 Abb., 1 Tabelle.
387. Malle-Paepke, C., Das Bauernhaus
— eine gesellschaftliche Aussage.
Aufgezeigt am Beispiel der Rudol-
städter Bauernhäuser. Abschluß-
arbeit der Fachschule für Heimat-
museen, Weißenfels, 1958. Unpag.,
Abb.
388. Maresch, Franz und Gerhard, Das
Dürrhäusel im oberen Pielachtal.
ÖZfVk 66 (1963) 17 — 22, 20 Abb.
auf Taf.
389. Matuszewska, Barbara, Unter-
suchungen über die volkstümliche
Bauweise in Polen in den Jahren
1945 —1960. Demos 2 (1961) 235 bis
239.
390. Mehlhardt, D., David Gilly und der
märkische Landbau. Ein Beitrag zur
Baugeschichte des Kleinmachnower
Gutshauses. Kulturspiegel Klein-
machnow 6 (i960) 379 — 393.
391. Meise, Hans, So backt der Bauer sein
Brot. Ein volkskundlicher Beitrag
zum bäuerlichen Brotbacken und zur
Entwicklung von Backöfen und
Backhäusern. Bielefeld, Ceres-Ver-
lag, 1959. 104 S., 74 Abb. auf Taf.
(= Gesch. und Entwicklung der
Hausbäckerei 2).
Rez. DJbfVk 7 (1961) 363 (A.
T eepe-W urmbach).
392. Mötsk, Frido, Die alte Mühle bei
Großhänchen, Kr. Bischofswerda —
ein unbekanntes Museum sorbischer
Volkskultur. Dt. Zsfassg. Lötopis
Reihe C 5 (1961/62) 116 —126,
26 Taf.
Auch Abb. v. Häusern u. Bauern-
möbeln.
393. Meyer-Barkhausen, Werner, Die
Wende im hessischen Fachwerkhaus
des 16. Jahrhunderts am Beispiel des
Alsfelder Rathauses. Zs. des Ver. f.
hess. Gesch. u. Landeskunde 69
(1958) 87ff.
394. Ders., Das „Graue Haus“ zu Winkel
im Rheingau. Mainzer Zs. 53 (1958)
1 — 20, Abb.
395. Ders., Das „Graue Haus“ zu Winkel
im Rheingau. Hess. Heimat NF 8
(Melsungen 1958/59) Heft 3, 10 —14,
7 Abb.
396. Ders., Das Rathaus zu Alsfeld und die
Wende im hessischen Fachwerkbau
des 16. Jahrhunderts. Zs. des Ver. f.
hess. Gesch. u. Landeskunde 1959.
397. Miller, Richard, Zum Thema „Bür-
gerhäuser der Inn- und Salzach-
städte“. Ostbaierische Grenzmarken
4 (i960) 229 — 231.
398. Mjartan, Jan, Beitrag zum Studium
der Volksbaukunst und des Wohnens
im Bezirk von Vräble. Dt. Res.
Slovensky Närodopis 6 (1958) 498
[slowak. Orig. 469—497, 22 Abb.].
399. Ders., Bergbausiedlung in dem Dorf
Lehota pod Vtäönikom (Bezirk Prie-
vidza). Dt. Res. Slovensky Närodo-
pis 12 (1964) 631—632 [slowak.
Orig. 606—630, 13 Abb.].
400. Moldenhauer, Rüdiger, Mühlen
und Mühlenrecht in Mecklenburg.
Zs. der Savigny-Stiftung f. Rechts-
gesch. Germanist. Abt. 79 (Weimar
1962) 195—236.
401. Moltschanowa, L., Zeitgenössische
Wohnbauten der Belorussischen Kol-
chosbauern. Dt. Res. Etnograafia
Muuseumi Aastaraamat 19 (1964)
101 [estn. Orig. 90 — 100, 4 Abb.].
402. Moser, Hans, Chronik von Kiefers-
felden. Rosenheim, Verlag des Stadt-
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
147
archivs Rosenhein, 1959. 742 S.,
Abb., Taf.
Haus und Hof, Hausrat 389—407,
3 Abb.
403. Moser, Oskar, Ländliche Siedelfor-
men. In: Planungsatlas Lavanthal, I
(Klagenfurt 1958) 105 fr.
Karte 25 Scheunenformen.
404. Ders., Das Gurktaler Bauernhaus. Ein
ehrwürdiges Denkmal unserer Zeit.
Die Kärntner Landsmannschaft 1960
Nr. 6, 3-4.
405. Ders., Stand und Bedeutung der
Scheunenforschung im Ostalpen-
raum. In: Alpes Orientales II, Volks-
kunde im Ostalpenraum (Graz 1961)
89 — 103.
406. Ders., Rauchstubenhäuser in den
Gurktaler Bergen. Hauskundliche
Materialien zur Kennzeichnung einer
Kulturlandschaft Innerkärntens. Ca-
rinthial 152 (1962) 302 — 312,1 Abb.,
1 Karte.
407. Mruskovic, Stefan, Beitrag zum
Studium von landwirtschaftlichen
Volksbauten in Zahorie. Dt. Res.
Slovensky Narodopis 8 (i960) 466
bis 467 [slowak. Orig. 431—466,
14 Abb.].
408. Müller, Carl, Fischeiner Windmüh-
len. Die Heimat. Zs. f. niederrhein.
Heimatpflege 32 (1961) 71—73.
409. Mummenhoff, Karl-Eugen, Die
Adels- und Bürgerbauten im Ober-
stift Münster zur Zeit der Spätgotik
und der Renaissance. In: Bericht
über d. Tagung des Arbeitskreises f.
dt. Hausforschung e. V. in Münster/
Westf. v. 21. —25. August 1963
(Münster 1964) 98 — 104, 3 Abb.
410. Ders., Profanbauten des westfälischen
Herrenstandes. In: Beiträge zur
Volkskunde und Baugeschichte
(Münster, Aschendorff, 1965) 229 bis
260, Tafelanhang (= Der Raum
Westfalen 4).
411. Murmann, Werner, Windmühlen
am Niederrhein. Geldrischer Heimat-
kalender 1962, 17—24, 7 Abb.
412. Musiat, Siegmund, Zur Lebens-
weise des landwirtschaftlichen Ge-
sindes in der Oberlausitz. Bautzen,
VEB Domowina-Verlag, 1964.180 S.
4. Kapitel, Die Wohnung 67—80.
413. Nagy, Benjamin, Der Einfluß der
Gesellschaftsorganisation auf das
Hauswesen eines Palocz-Dorfes. Dt.
Res. Müveitseg ¿s hagyomany 1/2
(Budapest i960) 59 [ung. Text 67 bis
94, 6 Abb.].
414. Nagy, Gyula, Die Speicherung von
Körnerfrüchten (Getreide) in Oros-
häza. Acta ethnographica 13 (1964)
281 — 312, 16 Abb. im Text, 20 Abb.
auf Taf.
Kornspeicher.
415. Neu, Wilhelm, Ein Bauernhaus des
16. Jahrhunderts in Utting am Am-
mersee. Jahresberichte des Bayer.
Landesamtes f. Denkmalpflege 16
(München 1958) 71—75.
416. Ders., Das Werdenfelser Giebelbund-
werk. Jahrbuch Lech-Isarland i960,
24 ff.
417. D ers., Das Bauernhaus im Landkreis
Füssen. 18. Bericht des Bayer.
Landesamtes f. Denkmalpflege 1959
(München i960) 113 —121.
418. Ders., Eine Inventarisierung der alten
Bauernhäuser, Getreidekästen und
Stadel. In: Beiträge z. Volkskunde
von Oberbayern I. München 1963.
(= Veröff. der Heimatpflege v.
Oberbayern).
419. Neumann, Eberhard G., Die Back-
steintechnik in Niedersachsen wäh-
rend des Mittelalters. Lüneburger
Bll. 10 (1959) 21—44.
420. Neweklowsky, Ernst, Das ge-
rettete Urfahrer Schiffmeisterhaus.
Oberösterr. Heimatbll. 10 (1956)
127 —129, 2 Abb.
421. Ders., Die Buesenmühle. Ein Nach-
ruf. Oberösterr. Heimatbll. 11 (1957)
55-56, 5 Abb.
Letzte Schiffsmühle auf der Donau.
422. Ders., Ein Gang durch die Schiffahrts-
ausstellung Passau 1962. In: Bericht
über d. Tagung des Arbeitskreises f.
dt. Hausforschung e. V. in Passau
vom 22.-25. August in Passau 1962
(Münster 1963) 9 — 24, 9 Abb.
Schiffmeisterhäuser; bäuerliches
Vorreiterhaus in Passau.
423. Nickel, Ernst, Ein mittelalterlicher
Hallenbau am alten Markt in Magde-
burg. Berlin, Akademie-Verlag,
i960. 104 S. Text, 39 Textabb., 46
Taf., 6 Falttaf. im Anhang (= Ergeb-
10*
148
Herta Uhlrich
nisse der Archäolog. Stadtkernfor-
schung in Magdeburg, hg. von
W. Unverzagt, Teil i; = Schrif-
ten der Sektion f. Vor- u. Frühgesch.
der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin
8).
Rez. ZfVk 59 (1963) 153 —154
(J. Schepers).
424. Niedersächsische Häuser im Kreis
Eutin. Groß- und Klein Timmen-
dorf. Bll. f. Heimatkunde 6 (Eutin
i960) 85—88, 7 Abb.
425. Noack, Liesel, Ein „Dorfmuseum“
in Berlin? Neue Museumskunde 3
(i960) 249 — 251.
426. Dies., Alte Bauten im neuen Dorf.
Natur und Heimat 11 (1962) 33 — 37,
4 Abb.
427. Oberdorf, Hubert, Schlichter
Glaube und Schöne Zier; Inschriften
an alten Bauernhäusern in Rhynern
und Umgebung. Heimat am Hell-
wey, Kalender 1956, 115 —117.
428. Orth, W., Die Zimmermanns-Mühle.
Heimat-Jb. des Untertaunuskreises
T959, I43-Ï48.
429. Oprescu, George, Die Wehrkirchen
in Siebenbürgen. Gekürzte Ubers,
aus dem Rumän. Fotos von Erhard
Daniel. Dresden, Sachsenverlag,
1961. 66 S., 138 Taf.
430. Ortner, Karl, Die Vielfalt und be-
achtenswerte Besonderheit urtüm-
licher Baugedanken am burgenlän-
dischen Haus. In: J. Stehlik, Burgen-
land mit dem Neusiedlersee (Wien
i960) 30 — 34, 11 Abb. im Tafelteil.
431. Ders., Der Laubengang burgenländi-
scher Vorhallenhäuser. Burgenländ.
Heimatblätter 24 (1962) 173 —176,
2 Abb.
432. Ders., Seltenes Baugut im Burgen-
lande. Burgenländische Heimatbll.
26 (1964) 25 — 31, 5 Abb.
Bauernhaus und Stadel in Zuber-
bach; Flechtwerkwände, Beschreibung
der Herstellung; Blockbauten in
Moschendorf.
433. Ossenberg, Horst, Das Bürgerhaus
im Bergischen Land. Tübingen,
Wasmuth, 1963. 116 S., 61 Abb. im
Text, 94 Abb. auf Taf. (= Das
deutsche Bürgerhaus 4).
Rez. ZfVk 62 (1966) 149 —151 (J.
Schepers).
434. Unser Ostfriesenhaus heute und mor-
gen. Hannover 1958. 24 S., Abb.
435. Ostpreußen. Bauernhofaufmaße. Hg.
vom Baupflegeamt Westfalen durch
Karl Brunne. Münster 1959. 8 S.,
20 S. Pläne (= Bauernhofaufmaße
Heft 1).
436. Ottenjann, Heinrich, Das Bauern-
haus im Nike-Gebiet. RWE-Ver-
bund 20 (1957).
437. Ders., Der Quatmannshof. Heimat
und Volkstum (Bremen) 1959/60,
98 — 104, 7 Abb.
438. Ders., Das Museumsdorf in Cloppen-
burg. Nieder Sachsen i960, Heft 1.
439. Ottenjann, Helmut, Freilicht-
museum Cloppenburg. Führer durch
das Museumsdorf und die „Burg“
Arkenstede. Oldenburg 1965. 74 S.,
59 Abb., 2 Karten.
440. Paret, Oscar, Das römische Ziegel-
dach. Der Museumsfreund 4/5
(1964).
441. Peer,Andri, Beiträge zur Terminolo-
gie des Bauernhauses in Romanisch
Bünden. Zürich i960. 79 S., 24 Abb.
im Text, 7 Taf. (— Zürich, philos.
Diss. i960).
442. Ders., Küche und Heizung im Bauern-
haus Romanisch Bündens. Eine
sachkundlich-sprachliche Unter-
suchung. SAVk 56 (i960) Heft 3,
1—77, 39 Abb. im Text und auf
Taf.
Rez. Bayer. Jb. f. Vk. 1961, 177
(T. Gebhard).
443. Ders., Beiträge zur Kenntnis des
Bauernhauses in Romanisch Bünden.
Chur 1963. Mit Abb. (= Sonder-
druck aus dem Jahresbericht der
Historisch-Antiquarischen Ges.
Graubünden.
Rez. Bayer. Jb. f. Vk. 1963, 221
(T. Gebhard); SAVk 60 (1964) 247
(Wildhaber).
444. Peters, Hans, Von Mühlen und
Müllern. Heimat und Volkstum,
Bremen 1959/60, 171 —176.
445. Peterson, Aleksei, Die Benutzung
von Standardentwürfen im länd-
lichen Wohnungsbau in den Jahren
1953 — 1962. Dt. Res. Etnograafia
Muuseumi Aastaraamat 19 (1964) 89
[estn. Orig. 76 — 87, 7 Abb.].
w~rpf*WlTMHiOrT1Tf-№WTm^
« «
Bauen und Wohnen 1959 — 1966 149
446. Ders., Über den Bau von Ansiedler-
wohnhäusern im bürgerlichen Est-
land. Dt. Res. Etnograafia Muuseumi
Aastaraamat 20 (1965) 206 — 208
[estn. Orig. 184—204, xo Abb.].
447. Phleps, Hermann, Der Einfluß des
Holzgefüges auf Kunstformen in
Holz und Stein. In: Ostdeutsche
Wissenschaft. Bd. II—IV (München
1958) 219ff.
448. Ders., Über Wehrgeschosse und
Gaden an Dorfkirchen in Sieben-
bürgen und Westdeutschland. Süd-
ostdeutsches Archiv 1 (1958) 30 — 31,
11 Abb.
449. Ders., Deutsche Fachwerkbauten.
Königstein, Langewiesche, 1959.
112 Bildseiten (= Die Blauen
Bücher).
450. Ders., Die hohen Tore in Siebenbür-
gen. Ostdeutsche Wissenschaft 6
(1959) 154—157» 18 Taf.
451. Ders., Vom Schiebeladen zum ale-
manischen Fenstererker. In: Vom
geistigen Fortleben der TH Danzig
(Heidelberg 1961) 106 —122.
452. Pichler, Franz, Der Bauernhof in
Kärnten einst und jetzt. Die Kärnt-
ner Landsmannschaft 1961, Nr. 9,
5—8.
453. Piepers, Wilhelm, Burg Holtrop.
Tausend Jahre Baugeschichte einer
niederrheinischen Wasserburg. Im
Auftr. des Landkreises Bergheim hg.
von Heinrich Schläger. Bedburg-
Erft, Verlag Jos. Neunzig OHG,
i960. 118 S., 29 Abb., 9 Taf. (=
Bergheimer Beitr. z. Erforschung
der mittleren Erftlandschaft, Heft 1).
Fachwerk.
Rez. DJbfVk 7 (1961) 370 (W.
Radig).
454. Pilz, Kurt, Bildliche Wahrzeichen an
den Bürgerhäusern Mittelfrankens.
Frankenland NF 10 (1958) 110 —114,
3 Abb.
455. Pinder, Wilhelm, Bürgerbauten
deutscher Vergangenheit. König-
stein 1957. 112 S. (= Die blauen
Bücher).
456. Plessingerovä, Alena, Zur Frage
der Existenz des Tisches, seiner Ent-
wicklung und seiner Benützung zum
Tafeln in slowakischen Dörfern
unter dem Javornik-Gebirge. Dt. Res.
Slovensky Närodopis 10 (1963) 275
bis 280 [slowak. Orig. 227 — 275,
25 Abb.].
457. Polenz, S., Die Rundscheunen von
Boissow. Natur und Heimat 10
(1961) Heft 12, 3. Umschlagseite,
Abb. (= Alte Bauten im neuen
Dorf).
458. Pommern. Hg. vom Baupflegeamt
Westfalens durch Karl Brunne.
Münster 1961. 4 S. Text, 33 Bll. mit
Grundrissen u. Querschnitten (=
Bauernhof auf maße Heft 3).
459. Pommern. Hg. vom Landesamt für
Baupflege im Landschaftsverband
Westfalen-Lippe durch Karl
Brunne. Münster 1962 (= Bauern-
hof auf maße Heft 4).
460. Pongratz, Walter, Ein Kitting
(-boden) zu Groß-Schönau. Das
Waldviertel 10 (1961) 152.
461. Pra£äk,Viläm,BeiträgezumStudium
der Volksbauten im damaligen deut-
schen Sprachgebiete bei Kremnica.
Dt. Res. Slovensky Närodopis 7
(1959) 51 — 54 [slowak. Orig. 3 — 51,
33 Abb.].
462. Ders., Einige Fragen der Entwick-
lungsgeschichte der Wohnungskul-
tur in Mitteleuropa. Müveltsäg
äs hagyomany 1/2 (Budapest i960)
304 [ung. Text 293 — 303, 6 Abb.].
W ohnspeicherhaus.
463. Prechter, Gertrud, und Helmut
Prechter, Vom Rieser Dorf.
Bayerland 59 (1957) 291—297,
14 Abb.
464. Die Graue Presse in Oberschaar bei
Meißen. Natur und Heimat 10 (1961)
Heft 7, 3. Umschlagseite, Abb.
W inzerhaus.
465. Prillwitz, Wilhelm, Ratzeburger
Hausmarken. Lauenbur gische Hei-
mat NF 31 (i960) 21—25, 1 Taf.
466. Pucher, Willy, Das Gosauer Bauern-
haus. Linzer Tageblatt 15. Juli 1961.
467. Püschel, Konrad, Aus alten Dörfern
erwachsen neue sozialistische Sied-
lungsanlagen. Wiss. Zs. der Hoch-
schule für Architektur und Bauwesen
Weimar 8 (1961) 355—370, 14 Abb.
468. Ders., Dorfplanung Buchheim. Natur
und Heimat 10 (1961) Heft n, 3.
150
Herta Uhlrich
Umschlagseite, Abb. (— Alte Bauten
im neuen Dorf).
Fachwerkhaus.
469. Ders., Probleme der sowjetischen
Dorfplanung. Wiss. Zs. der Hoch-
schule f. Architektur und Bauwesen
Weimar xo (1963) 381 — 394, 21 Abb.
470. Ders., Der Strukturwandel ländlicher
Siedlungsanlagen in Thüringen.
Wiss. Zs. der Hochschule f. Architek-
tur u. Bauwesen Weimar 11 (1964)
157 — 161, 1 Karte, 2 Tabellen; 257
bis 263, 3 Abb.
471. Radig, Werner, Stand und Auf-
gaben der Bauernhausforschung in
Thüringen, Sachsen und Branden-
burg. DJbfVk 10 (1964) 147 —162.
472. Ders., Gefügestudien in Brandenburg.
DJbfVk 11 (1965) 156 —172, 14
Abb. im Text, 2 Taf.
473. Ders., Hausforschung in der DDR.
Demos 6 (1965) 142.
474. Ders., Die Situation der Freilicht-
museen in der DDR. Neue Mu-
seumskunde 9 (1966) 25—41, 12
Abb.
475. Ders., Die Oberlauben an Stall-
gebäuden in Brandenburg. DJbfVk
12 (1966) 267—287, 10 Abb.,
8 Taf.
476. Ders., Das Bauernhaus in Branden-
burg und im Mittelelbegebiet. Ber-
lin, Akademie-Verlag, 1966. 104 S.,
61 Abb. (= Veröff. des Inst. f. dt.
Vk. 38).
477. Ders., Vom märkischen Angerdorf.
In: Alte Bauten im neuen Dorf 1
(Bin. 1963) 20 — 28, Abb.
478. Ders., Die überlieferte ländliche
Volksbauweise in der DDR. Ebda 2,
53—70, Abb.
479. Ränk, Gustav, Die Bauernhaus-
formen im baltischen Raum. Würz-
burg, Holzner Verlag, 1962. 120 S.,
58 Abb. (— Marburger Ostforschun-
gen 17).
Rez. Zs. f. Agrargesch. u. Agrar-
soziol. 11 (1963) 243 (G. Eitzen).
480. Rainer, Roland, Anonymes Bauen:
Nordburgenland. Hg. vom Inst. f.
Städtebau an der Akad. der Bilden-
den Künste, Wien. Wien, Salzburg,
Verlag Galerie Welz, 1961. 120 S.,
112 Abb. u. Pläne.
Rez. ÖZfVk 65 (1962) 48—49.
481. Rathmann, Hans, Erinnerungen an
alte Rauchhäuser und ihre Bewoh-
ner. Heimatkundl. Jb. für den Kreis
Rendsburg 11 (1961) 112 —114.
482. Regler, Rudolf, Mühlen und Ham-
merwerke an der Vils. Aus den
Wasserschaubüchern des Amberger
Stadtarchivs. Die Oberpfalz 47
(1959) 206 — 209, 223 — 225, 254 bis
256, 289 — 293.
483. Rehfeld, J., Mühlenmuseum in Jar-
men. Natur und Heimat 11 (1962)
333, 1 Abb.
484. Reisinger, Josef, Das Renaissance-
Bürgerhaus in der Wachau. Wald-
viertel NF 6 (Krems 1957) n6ff.
485. Reißmann, Herbert, Dorfform und
Dorfplanung. Wiss. Zs. der Hoch-
schule f. Architektur u. Bauwesen
Weimar 7 (1959/60) 21 — 30, 7 Abb.
486. Ders., Fachwerkscheune als Jungvieh-
Offenstall. Natur und Heimat 10
(1961) Heft 5, 3. Umschlagseite,
Abb. (= Alte Bauten im neuen
Dorf).
487. Richter, Helmut, Von Schmieden
und Mühlen im Elsofftal. Wittgen-
stein 46, Bd. 23 (1959) 141 — 148.
488. Ders., Von den Wassermühlen am
Wiehen- und Wesergebirge. Heimat-
land, Hannover i960, 108 —112,
3 Abb.
489. Rickers, J., Friesische Bauernhäuser
im Kreise Rendsburg. Heimatkundl.
Jb. f. den Kreis Rendsburg 10 (i960)
101 —147, 9 Abb., Grundrisse.
490. Ders., Die Bauernhausformen der
holsteinischen Elbmarschen mit dem
Blick auf Dithmarschen. Dithmar-
schen NF, Heide 1962, 45 — 53,
11 Abb.
491. Ried, Hans, und Gerhard Eitzen,
Das Bauernhaus im niederbergisch-
westfälischen Grenzgebiet. 2. Aufl.
Wuppertal, Martini u. Grüttenfien,
1958. VIII, 67 S., 23 Abb. im Text,
48 Abb. auf Taf. (= Werken u. Woh-
nen. Volkskundliche Untersuchun-
gen im Rheinland 2).
Rez. SAVk 60 (1964) 101—102
(M. Gschwend).
492. Riemann, Erhard, Ostpreußische
Vierkanthöfe. Zs. f. Mundartfor-
schung 27 (1961) 233, 250, 9 Abb.
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
151
493. Ritz, Josef Mafia, Der neue Bauern-
hof und die geschichtliche For-
schung. Deutscher Heimatbund.
Jahrbuch 1959, 58 — 65.
494. Robischon, R., Freilichtmuseum als
kulturpolitische Aufgabe; zur Frage
der Errichtung solcher Museen im
Lande Rheinland-Pfalz. Neuss 1965.
35 S., 57 Abb. (= Schr.-R. d. Rhein.
Heimatbundes 18).
495. Rösch, Georg, Alte Türme im Kin-
zigtal. Heimatjahrbuch des Kreises
Gelnhausen 1957, 71—77, 12 Abb.
496. Rosen, Heinrich, Die Krefelder
Windmühlen im 18. Jahrhundert.
Die Heimat. Zs. f. niederrhein. Hei-
matflege 32 (1961) 66 — 70.
497. Rohde, Horst Manfred, Unter-
suchung von Haus und Dorf auf der
Insel Fehmarn. Braunschweig 1959.
151 S., Abb., 3 Karten (= Braun-
schweig TH Diss. 1959. Masch.-
schr.).
498. Rohlfs, Gerhard, Primitive Kuppel-
bauten in Europa. München, Beck,
1957. 37 S., Abb. im Text, 24 Taf.,
2 Karten (= Bayer. Akad. der Wiss.
phil. hist. Kl. Abhandl. NF 43).
499. Rosenbohm, Rolf, Schleifmühlen in
Schleswig-Holstein. Die Heimat 63
(Neumünster 1956) 197 — 198, 262.
500. Ders., Mittelalterliche Mühlen in und
um Schleswig. Beitr. zur Schleswiger
Stadtgesch. 1 (1956) 29 — 34, 1 Abb.
501. Ders., Mittelalterliche Mühlen auf der
Schleswigschen Geest. Jb. f. d.
Schleswigsche Geest 5 (1957) 104
bis 108.
502. Ders., Lehmhäuser. Die Heimat 64
(Neumünster 1957) 207.
503. Ders., Flutmühlen in Schleswig-Hol-
stein. Die Heimat 65 (Neumünster
1958) 277-278.
504. Rosenkranz, Heinz, Gemeinde-
backhaus oder Zwangsbackofen. Zur
thüringischen Backhaus-Frage. Thü-
ringer Heimat 1 (1956) 121—127,
1 Abb.
505. Rudolph-Greiffenberg, M. V.,
Spätgotische Hausbauten in Barbian.
Tiroler Heimatblätter 32 (1957) 85
bis 91,4 Abb.
Eisacktal/Südtirol.
506. Ders., Das Burggräfler Haus. Ent-
wicklung und Erneuerung alpen-
ländischer Baukultur an der Etsch.
Innsbruck, Universitätsvlaerg Wag-
ner, i960. 94 S. Text, 53 Abb.,
18 Grundrisse u. Querschnitte
(= Schiern-Schriften 203).
Rez. SAVk 56 (i960), 206 (M.
Gschwend); ÖZfVk 64 (1961) 53 bis
55 (K. Ilg); ZfVk 58 (1962) 323 — 324
(C. Konrad); Tiroler Heimatbll. 35
(i960) 67; Tiroler Heimat 24 (i960)
135-
507. Rumpf, Karl, Marburger Bürger-
häuser im ausgehenden Mittelalter.
Zs. des Ver. f. hess. Gesch. u. Lan-
deskunde 69 (1958) 99 — 120, 8 Taf.
508. Ders., Geometrische Ornamentik an
südtiroler Stadeltoren. Rhein. Jb.
f. Vk. 10 (1959) 222 — 231, 13 Abb.
509. Ders., Die Treppe im Marburger
Bürgerhaus. Zs. des Ver. f. hess.
Gesch. u. Landeskunde 72 (1961).
510. Ders., Hessische Haustüren des 16. u.
17. Jahrhunderts. Zs. des. Ver. f.
hess. Gesch. u. Landeskunde 73
(1962).
511. Rusch, Wolfgang, Vorarlberger
Stuben. Ihre Zweckformen. Jb. des
Vorarlberger Landesmuseums Ver-
eins i960 (Bregenz 1961) 83 — 85.
512. Sachsen. Hg. vom Landesamt für Bau-
pflege im Landschaftsverband West-
falen-Lippe durch Karl Brunne.
Münster 1963. (= Bauernhofauf-
maße Heft 5).
513. Saeftel, Friedrich, Das Bauernhaus
in Ostholstein, insbesondere um
Eutin. Die Heimat 63 (Neumünster
1956) 161 —164.
514. Ders., Vom Wesen des friesischen
Zimmermanns. Eine hausgeschicht-
liche Studie im Nordseeküsten-
raum. Nordelbingen 26 (1958) 52.
515. Ders., Die Bedeutung der Fach-Tei-
lung und -Rechnung im Sachsen-
haus. Jb. der Heimatgemeinschaft
des Kreises Eckernförde e. V. 17
(1959) 69 — 74, 2 Abb.
516. Ders., Bauernhof und Bauernhaus in
Nordschleswig. Die Heimat 66
(Neumünster 1959) 37—42, 4 Abb.
517. Ders., Zeichnungsarchiv von Althaus-
aufnahmen an der Staatsbauschule
Eckernförde. 23 Jahre Bauernhaus-
aufnahmen. Die Heimat 66 (Neu-
münster 1959) 61—64.
152
Herta Uhlrich
518. Ders., Haus-Aufnahme-Zeichnungen
der Kgl. Baugewerkschule Eckern-
förde in Nordschleswig 1909 —14.
Die Heimat 68 (Neumünster 1961)
Heft 2, 51 — 52.
519. Sandberger, Adolf, Studien an
Chiemgauer Maierhöfen. Das baye-
rische Inn-Oberland 31 (1961)
87 — 97, 4 Abb.
520. Sauer, Fritz, Das Bauernhaus im
Naturschutzpark „Hoher Vogels-
berg“. Heimat im Bild (Gießen)
1959, Nr. 30, 4 S., 12 Abb.
521. Schahl, Adolf, Bauformen und Bau-
gesetzgebung in Württemberg.
Schwäbische Heimat 11 (i960) 145
bis 148.
522. Scheibler, Walter, Zur Geschichte
der alten Kirchen und Bürgerhäuser
in Monschau. Der Eremit am Hohen
Venn 28 (1956) 1—46.
523. Schepers, Josef, Westfalen-Lippe.
Münster, Aschendorff, i960. 536 S.,
135 Abb. im Text, 365 Taf. (— Haus
und Hof deutscher Bauern 2).
Rez. Heimat u. Volkstum, Bre-
men 1961, 142 —144 (R. Frenzei);
DJbfVk 8 (1962) 283—287 (K.
Baumgarten); Rhein.-westfäl. Zs. f.
Vk. 11 (1964) 136 —138.
524. Ders., Bürger- und Bauernhäuser in
Westfalen. In: Bericht über d. Ta-
gung des Arbeitskreises f. dt. Haus-
forschung e. V. in Münster/Westf.
v. 21. —25. August 1963 (Münster
1964) 44—97, 15 Abb., 10 Taf.,
1 Karte.
525. Ders., Das Bauernhaus des mär-
kischen Sauerlandes. In: Berichte
über d. Tagung des Arbeitskreises f.
dt. Hausforschung e. V. in Eßlingen
a. Neckar v. 26. —30. August 1964
(Münster 1965) 69 — 112, 8 Abb.
526. Ders., Plan und Stand des west-
fälischen Freilichtmuseums bäuer-
licher Kulturdenkmale in Detmold.
Beitr. zur Volks- u. Altertumskunde
9 (i965) 133 —136.
527. Ders., Westfalen in der Geschichte des
nordwestdeutschen Bürger- und
Bauernhauses. In: Beiträge zur Volks-
kunde und Baugeschichte (Münster,
Aschendorff, 1965) 123 — 228, 3 Kar-
ten, Tafelanhang (= Der RaumWest-
falen IV).
528. Ders., Annemarie Teepe-Wurm-
bach, und Heinrich Drake,
Das Freilichtmuseum bäuerlicher
Kulturdenkmale. Detmold, Lippi-
sches Landesmuseum, 1964. 44 S.,
Abb. (= Heimatland Lippe. Ts. des
Lippischen Heimatbundes, 1. Sonder-
heft Okt. 1964).
Pläne und Gestaltung des Frei-
lichtmuseums des Landschaftsverban-
des Westfalen-Lippe in Detmold.
529. Scherzer, Conrad, Franken. Land,
Volk, Geschichte und Wirtschaft.
Band 2. Nürnberg, Verlag Nürnber-
ger Presse, 1959. 480 S., zahlr. Abb.
im Text und auf 44 Taf., 3 Karten.
Haus- u. Gehöftformen 191—258.
Rez. ÖZfVk 64 (1961/62) (L.
Schmidt); HessBllVk 53 (1962) 128
bis 129 (S. Lehmann).
530. Scheybal, Josef V., Zu einigen Fra-
gen des Stockwerk-Bauwesens in der
Slowakei. Dt. Res. Slovensky Näro-
dopis 8 (i960) 501 [slowak. Orig.
494 — 501, 4 Abb.].
531. Schiebeier, Ernst, Heimatliches
Ortsbild und neues Bauen. Hessische
Heimat 8 (1958/59) Heft 4, 8—12,
4 Abb.
532. Schier, Bruno, Ortsnamen und
Hausformen der deutsch-slawischen
Kontaktzone in wechselseitiger Er-
hellung. Jb. f. fränk. Landesforschung
21 (1961) 359 — 389 (= Festschr. E.
Schwarz, II).
533. Ders., Vom Aufbau der deutschen
Volkskultur im Lichte der Bauern-
hausforschung. In: Bericht über d.
Tagung des Arbeitskreises f. dt.
Hausforschung e. V. in Münster/
Westf. v. 21. — 25. August 1963
(Münster 1964) 7 — 38, 12 Abb.
534. Ders., Hauslandschaften und Kultur-
bewegungen im östlichen Mittel-
europa. 2. verbesserte und erweiterte
Aufl. Göttingen, Otto Schwartz,
1966. 450 S., 44 Abb. im Text,
46 Taf., 5 Karten.
535. Schilli, Hermann, Das Schwarz-
waldhaus. Badische Heimat 40 (i960)
259-272.
536. Ders., Die Hausformen der Ortenau.
Die Ortenau 40 (i960) 112 —133,
Abb., Grundrisse.
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Bauen und Wohnen 1959 — 1966 153
537. Ders., Haus- und Hof formen im
Freiburger Raum. Geogr. Rund-
schau 14 (1962) 190—198, i Karte.
538. Schilling, Günter, Die Bezeichnun-
gen für den Rauchabzug im deutschen
Sprachgebrauch. Gießen, Schmitz,
1963. XIII, 81 S. (= Beitr. z. dt.
Philol. 31).
539. Schindler, Reinhard, Blockhäuser
des 10. Jahrhunderts am Hamburger
Dornbusch. Hammaburg 13 (1961)
99 — 106, 3 Abb.
540. Schlee, Ernst, Bürgerhaus und
Bauernhaus als Äußerungen schles-
wig-holsteinischen Volkstums. Be-
richt über d. Tagung des Arbeits-
kreises f. dt. Hausforschung in
Schleswig vom 3.—6. August 1955
(Münster 1956) 20 — 28, 7 Karten.
541. Ders., Das Bauernhaus in Schleswig
und die massive Ziegelwand. Jb. f.
d. Schleswigsche Geest 6 (1958) 15
bis 33, i Abb.
542. Ders., Schleswig-Holsteinische Volks-
kunst. Flensburg, Wolff Verlag,
1964. 32 S., 83 Abb. auf Taf.,
8 Farbtaf. (= Kunst in Schleswig-
Holstein 4).
Auch Beschreibungen von Haus,
Stube, Möbeln.
Rez. SAVk 61 (1965) 140 —141)
(Wildhaber).
543. Schlegel, Richard und Kurt Con-
rad, Das Bauernhaus im Lamprechts-
hausener Dreieck. In: Mitteilungen
der Ges. f. Salzburger Landeskunde.
100. Vereinsjahr i960. Festschrift
zur Feier des 100 jährigen Bestandes
(Salzburg, Selbstverlag der Gesell-
schaft, i960) 579—653 (= 100. Jg.
der Mitt. der Ges. . . .).
5 44. Schlesien. Bauernhof auf maße. Hg. vom
Landesamt für Baupflege im Land-
schaftsverband Westfalen-Lippe
durch Karl Brunne. Münster i960.
8 S., 22 S. Pläne (— Bauernhof auf-
maße Heft 2).
545. Schlette, Friedrich, Die ältesten
Haus- und Siedlungsformen des
Menschen auf Grund des steinzeit-
lichen Fundmaterials Europas und
ethnologischer Vergleiche. Ethno-
graphisch-Archäol. Forschungen 5
(Berlin 1958) 5 — 185, 92 Taf.
Rez. EAZ 2 (1961) 91—93 (K.
Baumgarten).
546. Schlippe, Bernhard, Das Haus zum
„alten Kameltier“, Freiburg, Ober-
linden 2. Nachrichtenblatt der öf-
fentl. Kultur- u. Heimatpflege im
Reg.-Bez. Südbaden 6 (1956) Nr. 10/
12, 60.
547. Schlippe, Joseph, Das Strohdach
auf dem Hotzenhaus. Nachrichten-
blatt der öffentlichen Kultur- und
Heimatpflege im Regierungspräs.
Südbaden 8 (1957) 22 — 23.
548. Ders., Das älteste Rathaus von Frei-
burg im Breisgau und seine Gerichts-
laube. Nachrichtenblatt der Denk-
malpflege in Baden-Württemberg 1
(Freiburg 1958) 1 — 2, 3 — 7.
549. Ders., Das Bürgerhaus in Alt-Frei-
burg. In: Ber. über d. Tagung des
Arbeitskreises f. dt. Hausforschung
in Lübeck v. 37. — 30. August i960
(Münster/Westf. 1961) 91 —136,
5 Abb.
550. Schlothfeld, Hans, Rendsburger
Hausmarken des 16. und 17. Jahr-
hunderts. Heimatkundl. Jb. f. den
Kreis Rendsburg 9 (1959) 80 — 87,
4 Taf.
551. Schlygina, [Slögina] Natalie,
Uber die Riege in den an Estland
grenzenden Gebieten der RSFSR.
Etnograafia Muuseumi Aastaraamat
18 (1962) 140 [estn. Orig. 124—138,
12 Abb.].
552. Dies., Siedlungsformen, Bauweise
und Hausrat. In: Abriß der estni-
schen Volkskunde, hg. von H. Moo-
ra und A. Vii res (Tallinn 1964) 152
bis 187, 21 Abb.
553. Schmeller, Andreas, Die Verset-
zung eines Kittings. österr. Zs. f.
Kunst und Denkmalspflege 15 (1961)
147 — 148, Abb.
554. Schmidt, E., Haus zum „Stockfisch“
in Erfurt. Wiss. Zs. der Hochschule
für Architektur u. Bauwesen Weimar
3 (i955/i95<5) 208 — 221.
555. Ders., Die Schillerstraße in Weimar,
bautechnische Untersuchungen.
Wiss. Zs. der Hochschule f. Archi-
tektur u. Bauwesen Weimar 6 (1958/
59) 377-384-
556. Schmidt, Harry, Streit über Stroh-
oder Pfannendach für ein dörfliches
Pastorat (Brodersby) im Jahre 1827.
Die Heimat 63 (Neumünster 1956)
234—235-
557. D er s., Vom Kornspeicher. Sparen und
Bauen. Hausmitt, der Landesbau-
sparkasse Schleswig-Holstein i960,
Febr. u. Nov. 2 S., 2 Abb.
558. Schmidt, Leopold, Traidgruben
im nördlichen Burgenland. Aus der
Arbeit am Atlas der burgenländi-
schen Volkskunde. Burgenländ. Hei-
matbll. 23 (1961) 142 — 148.
559. Ders., Zu der „Knappendönse“ der
Burg Reifenstein. Der Schiern 36
(Bozen 1962) 3—6.
560. Ders., Die Volkskultur der romani-
schen Epoche in Österreich. Mitt.
des Kremser Stadtarchivs 4 (1964)
35-91-
Auch Haus und Hof, Innen-
einrichtung.
561. Ders., Haus und Hof. In: Volkskunde
von Niederösterreich Bd. 1 (Horn,
Ferdinand Berger, 1966) 283 — 337,
31 Taf.
Auch Möbel.
561a Ders., Hof und Haus. In: L. Schmidt,
Volkskunst in Österreich (Wien
1966) 66 — 93, 14 Taf.
562. Schmidt, Maria, Das Wohnungswe-
sen der Stadt Münster im 17. Jahr-
hundert. Münster, Aschendorff,
1965. 220 S., 19 Abb., 1 Taf. (—
Sehr, der Volkskundl. Komm, des
Landschaftsverb. Westfalen-Lippe
15)-
Rez. DJbfVk 13 (1967) 107—108.
(K. Baumgarten).
563. Schmidt, Wilhelm, Fachwerkbau-
ten in Brandoberndorf. Heimatka-
lender des Kreises Wetzlar 1962,
28 — 33, 9 Abb.
564. Schmitt, H., Das steinerne Haus in
Ziegenhain. Hess. Heimat 9 (Mel-
sungen 1959/60) Heft 2, 18 — 21.
565. Schmolitzky, Oskar, Haus und
Hof, Volksarchitektur. In: O. Sch.,
Volkskunst in Thüringen vom 16.
bis zum 19. Jahrhundert (Weimar,
H. Böhlaus Nachf., 1964) 26 — 55,
9 Abb. im Text, 40 Abb. auf Taf.
Möbel 105-108, 4 Taf.
566. Ders., Das Fachwerk der Wartburg.
Volkskundlich-baugeschichtliche
Untersuchungen. DJbfVk 10 (1964)
1—24, 10 Abb. im Text, 12 Taf.
567. Schoch, Rudolf, Wie sieht der neue
Bauernhof nach Möglichkeit und
Wirklichkeit aus? Deutscher Hei-
matbund, Jahrbuch 1960/61, 88 — 97.
568. Ders., Zur Armut gehört die Klug-
heit (Euripides). Antrittsrede zur
Übernahme des Lehrstuhls für land-
wirtschaftliches Bauwesen an der
Technischen Hochschule zu Stutt-
gart. Deutscher Heimatbund, Jahr-
buch 1964, 172 —183.
569. Schönfeldt, Gero v., Fünfzehn
Jahre neuen Bauens für die Land-
wirtschaft. Deutscher Heimatbund,
Jahrbuch 1964, 184—250, 47 Taf.
570. Scholl, Gerhard, Turm-und Dach-
zierden, Wetterfahnen und Kamin-
reiter in Stadt und Land. Siegerland
37 (i96°) 24—27.
571. Schröder, Karl Heinz, Einhaus und
Gehöft in Südwestdeutschland. Er-
gebnisse und Probleme der geogra-
phischen Hausforschung. Bericht
zur deutschen Landeskunde 31 (1963)
84—103, 1 Karte.
572. Schünemann, Hugo, der Prinzeß-
hof in Itzehoe. Steinburger Jb. i960,
21—27, 3 Abb.
573. Ders., Itzehoer Baudenkmäler. Stein-
burger Jahrbuch 1961, 17 — 22,
8 Abb.
574. Schütze, Theodor, Bäuerliche Kul-
turdenkmale im Bautzener Land.
Heimatkundl. Blätter des Bezirkes
Dresden 1956, Heft 16/17, 6 — 21,
12 Abb.
Bauernhäuser.
575. Schulte, Hans-Hermann, Haus-
inschriften der Stadt Herten. In:
Aus Hertens Vergangenheit 3/4
(Münster 1961) 51 —m.
Rez. Rhein.-westfäl. Zs. f. Vk. 9
(1962) 293 — 294 (J. Vincke).
576. Schulte, Rolf, Soziales Bauen in der
Landschaft. Siegerland im Bild 1
(Siegen 1958) 4, 35—38, 5 Abb.
577. Schwemmer, Wilhelm, Das Fem-
bohaus zu Nürnberg. Nürnberg i960.
578. Schweriner, Karlheinz, Das Bau-
ernhaus im Köllertal. Saarheimat 1
(1957) Heft 2, 7—9, 3 Abb., 1 Grund-
riß.
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
155
579. Ders., Haus und Hof des Kuckucks-
bauern. Saarheimat 1 (1957) Heft 3,
17 — 19, 2 Abb., 1 Grundriß.
Kuckucksbauern — Bergmanns-
bauern.
580. Seele, Wilhelm, Die Hausinschrif-
ten des Dorfes Jössen. Mindener
Heimatbll. 28 (1956) 81 — 84.
581. Seidel, Barbara, Wort und Brauch
im Arbeitsjahr des Tabakbauern im
Oder-Randow-Gebiet. DJbfVk 10
(1964) 103 —124, 9 Abb., 4 Taf.
116—119 Anlagen und Gebäude;
Taf. 14, 15, 16 Trockenscheunen.
582. Seifert, Alwin, Langobardisches
und gotisches Hausgut in den Süd-
alpen. Der Schiern 36 (1962) 303 bis
308, 12 Abb.
583. Ders., Wesen und Herkunft des ober-
bayerischen Bauernhauses. Schönere
Heimat 55 (1966) 435—445, 24 Abb.
584. Seitz, Friedrich, Von den alten
Backöfen unserer Heimat. Altnürn-
berger Landschaft 9 (Hersbruck
i960) 1 — 5.
585. Sennhauser, Berta, Über Backöfen
im Unterengadin, Münstertal und
Bergell. Hochwächter 13 (1957) 287
bis 295, 11 Abb.
586. Sieber, Siegfried, Haus und Besitz
des erzgebirgischen Bergmannes.
Urania 22 (1959) 201—205, 5 Abb.
587. Ders., Westerzgebirgische Bauernge-
höfte. Rückblick auf einen in ver-
schiedenen Dörfern der Kreise Aue,
Schwarzenberg, Stollberg und Zwik-
kau 1946 — 1952 betriebene Inven-
tarisation. Letopis Reihe C 6/7
(1963/64) 272 — 278 (= Festschrift
Friedrich Sieber).
588. Siegel, Ernst, Die Geschichte alter
Häuser, städtischer Plätze, Anlagen
und Einrichtungen in Simmern.
Simmern, Stadtverwaltung, 1962.
180 S., Taf.
589. Siegfried, Hermann, Die Walk-
mühle am Knakendieck. Lauenbur-
gische Heimat 23 (1958) 20—25,
1 Abb.
590. Sievers, H., Der Vordamm, ein altes
Niedersachsenhaus. Heimaterde 2
(Rendsburg 1957) 129 —132, 7 Abb.
591. Sievers, Kai Detlev, Schleswig-
holsteinische Bauernstuben. 2. Aufl.
Heide/Holst., Westholst. Verlags-
Anst., 1963. 24 S., 44 Taf.
592. Silbermann, Alphons, Vom Woh-
nen der Deutschen. Eine soziologi-
sche Studie über das Wohnerlebnis.
Köln und Opladen, Westdeutscher
Verlag, 1963. 139 S. (= Fischer-
Bücherei 730).
593. Simonett, Christoph, Die Bauern-
häuser des Kantons Graubünden.
Bd. 1. Die Wohnbauten. Unter
techn. Mitwirkung von J. N. Könz.
Basel, Schweizerische Ges. f. Vk.,
1965. 255 S., 600 Abb., 1 Farbtaf.,
1 Karte (= Die Bauernhäuser der
Schweiz).
Rez. SAVk 61 (1965) 223 — 225
(O. Moser); ÖZfVk 69 (1966) 64 bis
68 (O. Moser); Zs. f. Agrargesch. u.
Agrarsoz. 14 (1966) 101 —102 (G.
Eitzen).
594. Simons, Gabriel, Die genossen-
schaftlichen Bauernmühlen auf dem
Hunsrück. Rhein. Vierteljahresbll.
27 (1962) 117 —221, 5 Abb., 2 Kar-
ten, 12 schemat. Darst.
595. Ders., Der volkskundliche und ge-
schichtliche Aussagewert der tech-
nischen Kulturdenkmäler, darge-
stellt an den Mühlen des Rheinlan-
des. In: Bericht über d. Tagung des
Arbeitskreises zur dt. Hausfor-
schung in Aachen v. 30. 8.-2. 9.
1961 (Münster 1962) 93 — 134, 13
Abb.
596. Sittel, Walter, Das mittelalterliche
Wohnhaus in Trier. Ein Beitrag zur
westdeutschen Wohnhaus- u. Stadt-
forschung. Aachen, TH, F. f. Bau-
wiss. Diss. 1958. II, 114 S., Taf.
Masch.schr. vervielf.
597. Ders., Das Trierer Wohnhaus der Go-
tik. Mitt. z. Landesgesch. u. Volks-
kunde in den Reg.-Bez. Trier u.
Koblenz 3 (1958) 38 — 54, 16 Abb.
598. Ders., Das romanische Wohnhaus in
Trier. Mitt. zur Landesgesch. u.
Volkskunde in den Reg.-Bez. Trier
u. KoblenZ3 (1958) 134—159,1 Abb.,
1 Karte.
599. Ders., Das Trierer Bürgerhaus. Mitt.
zur Landesgesch. und Volkskunde
in den Reg.-Bez. Trier u. Koblenz 4
(i959) 25—42, Abb.
156
Herta Uhlrich
600. Soeder, Hans, Urformen der abend-
ländischen Baukunst in Italien und
dem Alpenraum. Köln, Du Mont
Schauberg, 1964. 295 S., 444 Abb. im
Text, 62 Fotos, 2 Karten (Du Mont
Dokumente Reihe 3).
Rez. SAVk 60 (1964) 244—245
(M. Gschwend); DJbfVk 12 (1966)
170 —171 (K. Baumgarten).
601. Sörnsen, Niels, Schneckenmühlen
in der Wilstermarsch. Die Heimat 65
(Neumünster 1958) 223—226.
602. Ders., Holler, erster Erbauer der
Schneckenmühlen in Holstein. Stein-
burger Jb. 1959, 30—34, X Abb.
603. Sokolova, S. P., Die Feuerstätte in
den Wohnhäusern der Obugrier. Dt.
Res. Müveltség és hagyomâny б
(Budapest 1964) 78—79 [ung. Text
65 —77, io Abb.].
604. Sperling, Walter, Bauernhäuser in
Südhessen als Ausdruck wirtschafts-
räumlicher Differenzierung. Der
Odenwald 11 (1964) 4 — 19, 12 Abb.
605. Spruth, Herbert, Die Hausmarke.
Wesen und Bibliographie. Neustadt
an der Aisch, Degener u. Co., i960.
96 S. (= Aktuelle Themen zur Ge-
nealogie 4/5).
Rez. ÖZfVk 64 (1961) 214—215
(L. Schmidt).
606. Stahl, Paul Henri, Grundrisse der
rumänischen Bauernhäuser. Bruken-
thal-Museum, Studien u. Mitteilun-
gen (Hermannstadt) Nr 9. 1958.
607. Ders., Die befestigten Bauernhäuser
in der Walachei. Ursprung und Ent-
wicklung. DJbfVk8 (1962) 361— 367,
4 Taf.
608. Stahr, Joachim, Zu den Wohnfunk-
tionen und ihrer Abhängigkeit von
der Entwicklung der Lebensgewohn-
heiten. Wiss. Zs. d. Hochschule f.
Architektur u. Bauwesen Weimar 9
(1962) 413—423, 12 Abb.
609. Stano, Pavol, Volksbaukunst in
Rejdova. Dt. Res. Slovenskÿ Na-
rodopis 5 (1957) 170 — 172 [slowak.
Orig. 135 — 168, 49 Abb.].
Auch Möbel.
610. Steensberg, Axel, Dänische Bauern-
hofanlagen des Mittelalters im Lich-
te schriftlicher und archäologischer
Quellen. In: Bericht über d. Tagung
des Arbeitskreises f. dt. Hausfor-
schung e. V. in Lübeck v. 27. —30. 8.
i960 (Münster/Westf. 1961) 22 — 38,
4 Abb.
611. Ders., Gamle danske bondergarde
(Alte dänische Bauernhöfe). Dt. Res.
Kopenhagen 1962. 2. Aufl. 173 S.,
139 Abb., 2 Karten.
612. Steinmann, Ulrich, Ein „Dorf-
museum“ in Berlin! Neue Museums-
kunde 3 (i960) 247 — 248.
612a. Stepanek, Ladislav, Slowakisches
Haus mit dem Dachgiebel in der
mitteleuropäischen V olksarchitektur.
Dt. Res. Slovensky Narodopis 14
(1966) 447 [slowak. Orig. 436—447,
9 Abb.].
613. Stibor, Otto, Hier waren wir einst
zu Hause. Ein Bildband von der Wi-
schauer Sprachinsel. Text von Jo-
sef Hanika. Wiesbaden-Wien, Roh-
rer Verlag, 1957. XII, 24 S., 64
Bildtaf.
Rez. Bayer. Jb. f. Vk. 1957, 175
bis 176 (H. Moser).
614. Stigum, Hilmar, Datierungsfragen
der norwegischen Blockbauten. Be-
richt über d. Tagung des Arbeits-
kreises f. dt. Hausforschung e. V. in
Schleswig vom 3.—6. August 1955
(Münster 1956) 100 —116, 7 Abb.
615. Striebel, Josef, Die alte Mühle zu
Katzbrui. Ein schwäbisches Bauern-
hausdenkmal 1661 —1961. Das schö-
ne Allgäu. Die Sieben Schwaben 11
(1961) 99 — 102, 3 Abb.
616. Stüdtje, Johannes, Etwas über
Mühlen und Müller im Kerngebiet
der ehemaligen Munkbrarup-Harde.
Jb. des Angler Heimatvereins 26
(1962) 162 —194, 12 Abb.
617. Stummer, Karl, Der Erdstall „Rat-
göbluckn“ in Perg. Oberösterr.
Heimatbll. 16 (1962) 56 — 59, 1 Taf.
618. Sturm, Erwin, Die Bau- und Kunst-
denkmale des Fuldaer Landes. 1. Bd.:
Die Bau- und Kunstdenkmale des
Landkreises Fulda. Fulda, Parzeller
u. Co., 1962. 652 S., ca. 250 Abb.
Rez. HessBllVk 54 (1963) 661 bis
662 (A. Höck).
619. Svecova, Sona, Umgebindebauten
in der Westslowakei. Dt. Res. Slo-
vensky Narodopis 8 (i960) 492—493
[slowak. Orig. 468—492, 8 Abb.].
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
157
620. Dies., Die Entwicklung der Feuer-
stätten in Südmähren und den an-
liegenden Gebieten der Westslowa-
kei. Ethnographica 2 (i960, er-
schienen 1961) 105 —130, 1 Abb. im
Text, 12 Abb. auf Taf.
Rez. Demos 3 (1962) 160 (Autor-
ref.)
621. Dies., Die Beziehungen zwischen Ar-
chitektur und Familienorganisation
in der Slowakei. In: Europa et Hun-
garia (Budapest 1965) 431—442,
2 Taf.
622. Tälasi, Istvän, Die materielle Kultur
des ungarischen Volkes in Europa.
In: Europa et Hungaria (Budapest
1965) 27-57.
47—51 Neuere Ergebnisse auf dem
Gebiet der Volksarchitektur.
623. Thiede, Klaus (Hg.), Schleswig Hol-
stein. Landschaft und wirkende Kräf-
te. Essen, Burkhard-Verlag, 1962.
Auch Hausbau.
624. Ders., Alte deutsche Bauernhäuser.
Königstein i. Taunus, Karl Robert
Langewiesche Nachf. Hans Köster,
1963 (= Blaue Bücher).
625. Thulesius, Daniel, Haustüren aus
Alt-Braunschweig als Zeugen vor-
bildlicher Handwerkskultur. Braun-
schweig 1964 (= Braunschweiger
Werkstücke 32).
Rez. Braunschweigische Heimat
50 (1964) 96 (R. Fricke).
626. Timmermann, Gerhard, Das Fi-
scherhaus in Schleswig-Holstein.
Nordelbingen 30 (1961) 73 — 82,
9 Abb.
627. Toth, Jänos, Göcsej N6pi Epitesz6te
(Die Volksbaukunst in Göcsej).
Budapest, Müszaki könyvkiadö,
1965. 155 S., 270 Abb. im Text, 8
Farbtaf. Dt. Res.
628. Traber, Gerhard, Alte bäuerliche
Nebengebäude in Nord- und Nieder-
sachsen. Ein Beitrag zur Erfor-
schung der Gefügegeschichte des
Hauses. Hannover, Osterwald, 1958.
81 S., Abb.
629. Trathnigg, Gilbert, Ein Haidhaus
mit Rauchküche in Wels-Pernau. Jb.
des Musealvereins Wels 5 (1959) 203
bis 205, 1 Abb.
630. Traulsen, Hermann, Landwirt-
schaftliches Bauen in Nordfriesland.
Friesisches Jb. 1961 (Niebüll/Nord-
friesland) 183 — 211, 14 Abb., Grund-
risse.
631. Troska, G., und N. Schlygina
[Slögina], Betrachtungen zu den
Siedlungen und Bauten der Küsten-
schweden. Dt. Res. Etnograafia
Muuseumi Aastaraamat 16 (1959) 165
[estn. Orig. 153 —165, 10 Abb.].
632. Dies., Über die Siedlungen und Wohn-
bauten der Dorfarmut auf dem est-
nischen Festland in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu
Beginn des 20. Jahrhunderts. Dt.
Res. Etnograafia Muuseumi Aasta-
raamat 19 (1964) 119 —120 [estn.
Orig. 102 —117, 9 Abb.].
633. Trost, Heinrich, Norddeutsche
Stadttore zwischen Elbe und Oder.
Berlin, Akademie-Verlag, 1959. X,
127 S., 183 Abb. (= Sehr. z. Kunst-
gesch. 5).
634. Türen, Tore und Erker am Bündner
Haus. In: Terra Grischuna 23 (Chur
1964) 124—152, Abb.
635. Feste Türme und Wehrspeicher auf
Remscheider Höfen sowie im wei-
teren heimatlichen Raum. Rem-
scheid 1962. 51 S., Abb., Taf.
(= Heimatkundl. Hefte des Stadt-
archivs Remscheid 7).
636. Tumbrägel, Anton, Bauerntum und
Zeitgeist in neuen Hausinschriften.
Heimatkalender f. das Oldenburger
Münsterland 1957, 91—92.
637. Uhlrich, Herta, Literaturübersicht:
Bauen und Wohnen 1956 — 1959 mit
Nachträgen von 1955. DJbfVk 6
(i960) 469—478.
638. Urbancovä, Viera, Einlagerungs-
arten des Getreides in Cäcov. Dt. Res.
Res. Slovensky Närodopis 7 (1959)
113 —114 [slowak. Orig. 105 —113,
13 Abb.].
Scheunen.
639. Vaga, Voldemar, Das mittelalter-
liche Wohnhaus in Tallinn. Übers.
Tartu, Staatl. Univ., 1961. 33 S.
640. Vagt, Fritz, Allns ünner ein Dack.
Lauenburgische Heimat NF 29
(i960) 30 — 35, 9 Abb.
Bauernhaus im Wandel der Zeit.
641. Vajdis, Jaroslav, Das ländliche
Bauwesen der mährischen Walachei.
158
Herta Uhlrich
Ethnographica 3/4 (Brno 1961/1962)
368 — 392.
642. Vajkai, Aurél, Dörfliche Gebäude
aus dem 18. Jahrhundert im Platten-
see-Oberland und im Bakonyer
Wald. Dt. Res. Ethnographia 68
(1957) 107 — 108 [ungar. Orig. 87 bis
107, 36 Abb.].
643. Vakarelski, Hristo, Die bulgari-
schen wandernden Hirtenhütten.
Acta ethnographica 5 (1956) 1 — 82,
79 Abb., 2 Karten; 6 (1957) 1—40.
644. Ders., Über die Volks wohnarchitek-
tur bei den Bulgaren. Traditionelle
Formen bis 1944. Ethnographica
3/4 (Brno 1961 —1962) 283 — 316,
19 Abb. im Text, 34 Abb. auf Taf.,
1 Karte.
645. Valonen, Niilo, Zur Geschichte der
finnischen Wohnstuben. Helsinki,
Suomalais-Ugrilainen Seura, 1963.
598 S., 628 Abb. (= Mémoires de la
Société Finno-Ougrienne 133).
Rez. SAVk 61 (1965) 145 (Wild-
haber); DJbfVk 11 (1965) 477—478
(K. Baumgarten).
646. Vareka, Josef, Sennhütten, ge-
nannt Kram. Dt. Res. Slovenskÿ Na-
rodopis 9 (1961) 636 [slowak. Orig.
628—636, 3 Abb.].
647. Vargha, Laszlö, Die Baudenkmäler
des ungarischen Volkes. Ethno-
graphica 2 (Brno i960) 245—256.
648. Ders., Die Untersuchungen der un-
garischen Volksarchitektur in un-
seren Tagen. Dt. Res. Ethnographia
73 (1962) 197 — 203 [ungar. Orig.
177-196].
649. Viires, Ants, Über die Erforschung
der estnischen volkstümlichen Ge-
bäude. Dt. Res. Etnograafia Muuse-
umi Aastaraamat 17 (i960) 127 — 128
[estn. Orig. 105 —124, 2 Abb.,
7 Karten].
650. Ders., Zur Entwicklung des est-
nischen Bauernhauses am Ende des
18. und Anfang des 19. Jahrhunderts.
Dt. Res. Etnograafia Muuseumi
Aastaraamat 18 (1962) 122 —123
[estn. Orig. 99 — 120, 1 Abb., 9 Kar-
ten, 6 Tabellen].
651. Vilkuna, Asko, Ställe mit Zeltdach
in Nordfinnland. Dt. Res. Ethno-
graphia 73 (1962) 275 — 276 [ungar.
Orig. 260 — 273, I3 Abb.].
652. Vincke, Johannes, Bibliographie
der westfälischen Hausinschriften.
Rhein.-westfäl. Zs. f. Vk. 10 (1963)
99 — 118.
653. Vincze, Istvan, Ungarische Wein-
keller. Acta Ethnographica 9 (i960)
119 —145, 28 Abb.
654. Vis cher, A. L., Das Bernische Stöck-
li. Eine volkskundliche Studie zum
Altersproblem. Unter Mitarbeit von
Martha Hofer. Bern i960. 116 S.,
4 Taf.
Speicher artige Nebenhäuschen als
Altenteil.
Rez. ÖZfVk 64 (1961) 300 (L.
Schmidt).
655. Vogts, Hans, Die Fachwerkbau ten im
Moseltal. In: Die Mittelmosel (Neuß
1957) 136-153, 17 Abb.
656. Voigt, Wilhelm, Die Herdstelle als
Urzelle des Niedersachsenhauses.
Der Altmarkbote 7 (1962) 260 — 263,
2 Abb.
657. Vollert, Otto, Bauernhäuser in
Stapelholm. Heimaterde 2 (Rends-
burg 1957) 132 —134, 3 Abb.
658. Vuia, Romulus, Die neuesten Er-
gebnisse der rumänischen Siedlungs-
und Hausforschung. Dt. Res. Mü-
veltség és hagyomâny 1/2 (Budapest
i960) 66 [ung. Text 35—65,10Abb.].
658a. Waas, Adolf, Der Mensch im deut-
schen Mittelalter. Graz-Köln, Böh-
laus Nachf., 1964. 233 S., 19 Abb.
Auch zu Haus und Hof.
659. Währen, Max, Backhäuser und Bak-
ken im Schwarzenburger Land. SVk
49 (T 95 9) 49 — 57» 4 Abb.
660. Ders., Backen und Backhäuser in Ber-
ner Gebieten. SVk 52 (1962) 17—29,
6 Abb.
661. Ders., Zur Entwicklung des Gebäcks
und der Ofenhäuser im Kanton Bern.
SVk 14 (1964) 57 — 85, 10 Abb., Ta-
bellen.
662. Wahrenberger, Jacob, Das Korn-
haus zu Rorschach und seine Bedeu-
tung für die Brotversorgung der
Ostschweiz. Rorschach, Verlag Hei-
matmuseum, (1965). 50 S., Abb.
Bauzeit 1746—48.
663. Waldherr, Johann, Der Kitting.
Ein volkskundlich bemerkenswerter
Bau im oberen Waldviertel. Das
Waldviertel 10 (1961) 87 — 88.
Bauen und Wohnen 1959 —1966
159
664. Waldvogel, Heinrich, Alte Häuser
am Stad zu Drechenhofen. Thurgau-
ische Beitr. zur vaterländischen
Gesch. 95 (Frauenfeld 1958) 63—91.
665. Walter, H. G., Traidgruben im nörd-
lichen Burgenland. Burgenländ. Hei-
matblätter 24 (1962) 46—47.
Nachtrag zu L. Schmidt ebda. Siehe
Nr. 558.
666. Die alten Wassermühlen. Bll. f. Hei-
matkunde 6 (Eutin i960) 3—4,
2 Abb.
Mühlen in Eutin.
667. Weber, Friedrich W., Die Mahl-
und Ölmühle in Rehborn am Glan.
Nordpfälzischer Geschichtsver. 39
(i959) 373 — 383-
668. Wehren, Hans. K., „In Gottes Na-
men steh ich wieder“. Von dörf-
lichen Hausinschriften in West-
falen. Heimatbll. 37 (Lippstadt 1956)
109 —110.
669. Weidhaas, Hermann, West-östliche
Beziehungen in der Baugeschichte
des 17. und 18. Jahrhunderts. Wiss.
Zs. der Hochschule für Architektur
u. Bauwesen Weimar 3 (1955/56)
75 ff.
670. Ders., Maske und Fassade. DJbfVk 6
(i960) 11 — 32, 4 Abb. auf Taf.
671. Ders., Realismus, Tradition und sozi-
alistische Baukunst. Jb. des Kreis-
mus. Hohenleuben-Reichenfels 9
(1960)5-33.
672. Ders., Aufnahme von drei Objekten
bäuerlicher Baukunst im Umkreise
Zeulenrodas. Jb. des Kreismuseums
Hohenleuben-Reichenfels 10 (1961)
80 — 100, 16 Abb. im Text, 2 Abb.
auf Taf., 1 Falttafel.
673. Weikmann, Meinrad, Befestigte
Dörfer. Deutsche Gaue 52 (i960)
6-74.
674. Weingartner, Hans, Bäuerliches
Bauen in Tirol. Tiroler Heimatbll.
33 (1958) 53—64, 15 Abb., 1 Karte.
675. Weiß, Bernhard, Schlußstein an al-
ten Toren und Türen. Soweit der
Turmberg grüßt 9 (Durlach 1957)
37-48.
676. Weiß, Wisso, Zur Geschichte der
Eulenmühle bei Ziesar. Märkische
Heimat 2 (1957) 384—390, 2 Abb.
677. Widmoser, Eduard, Stellung und
Wetterschutz des Bauernhauses im
nordöstlichen Tirol. Tiroler Heimat-
bll. 39 (1964) Heft 4—6, 10 — 19,
8 Abb.
678. Wiepert, Peter, Altfehmarnsche
Dinns. Schleswig-Holstein 12 (i960)
95 —96, 3 Abb.
Bäuerliche Speicherbauten.
679. Ders., Die Segelwindmühle in Lem-
kenhafen auf Fehmarn. Jb. f. Hei-
matkunde im Kreise Oldenburg 6
(1962) 123 —144, 1 Abb.
680. Ders., Hausbau auf Fehmarn. Nord-
elbingen 31 (1962) 34—58, 6 Abb.
681. Wieser,Erich,Grundrißwandlungen
des Bauernhauses im Landkreis
Uffenheim. Bayer. Jb. f. Vk. 1962,
176 — 200, zahlreiche Abb. im Text,
3 Abb. auf Taf.
682. Wildhaber, Robert, Volkskultur
in Graubünden. In: Alpes orientales
II, Volkskunde im Ostalpenraum
(Graz 1961) 105 —122, 8 Taf., 1 Kar-
te.
Auch Haus und Stall.
683. Willam, Horst Alexander, Elbin-
ger Hausmarken. Jb. der Albertus-
Univ. zu Königsberg/Pr. 10 (i960)
52 — 66.
684. Winter, Heinrich, Das alte Haus-
gerüst im Untermaingebiet zwischen
Aschaffenburg und Wertheim.
Aschaffenburger Jb. f. Gesch., Lan-
deskunde und Kunst des Untermain-
gebietes 3 (1956) 332 — 362, Abb. im
Text u. auf Taf., schemat. Darst.
685. Ders., Eine 600 Jahre alte Holzkon-
struktions-Markthalle in Nolay in
Burgund. Deutscher Zimmermeister
1956 (Karlsruhe).
686. Ders., Das rechte Maß in der Hand
des Zimmermeisters — ein Versuch
zur Rückgewinnung des verlorenen
Geheimnisses um die maßgerechte
Kunst im Fachwerkbau, dargestellt
an vier mittelalterlichen Holzbauten
Ober- und Mitteldeutschlands und
am Rathaus in Heppenheim. Deut-
scher Zimmermeister 1956 (Karls-
ruhe).
687. Ders., Das Bauen aus der Mitte, dar-
gestellt an vier Holzbauten Ober-
hessens. Hessische Heimat, Beilage
der Freien Presse, Gießen 1956.
688. Ders., Das Templerhaus in Amor-
bach. Ein Versuch, das Alter und die
160
Herta Uhlrich
Zweckbestimmung des eigenartigen
Gebäudes zu ermitteln. Deutsche
Kunst- und Denkmalpflege 1957, 2,
88 — 101, Abb.
689. Ders., Das älteste Fachwerkhaus in
Zwingenberg an der Bergstraße. Die
Starken bürg, Heimatbeilage der
Südhess. Post in Heppenheim, 1957,
Nr. 9.
690. Ders., Der Walderdorffer Hof in Bens-
heim. Bergsträßer Heimatblätter,
Beilage zum Bergsträßer Anzeige-
blatt, Bensheim 1957, Nr. 7 u. 8.
691. Ders., Das älteste Reinheimer Fach-
werkhaus. Der Odenwald 5 (Darm-
stadt 1958) 15—24, 2 Abb.
692. Ders., Zwei spätmittelalterliche Fach-
werkbauten in Heppenheim. Die
Starkenburg, Heimatbeilage der
Südhess. Post in Heppenheim, 1959,
Nr. 4.
693. Ders., Das Rathaus und sein Glocken-
spiel [Heppenheim]. Heppenheim
i960.
694. Ders., Vom „Herrenspeicher“ zum
Wohnhaus — das Hinterhaus Haupt-
str. 6 in Neustadt/Odenwald. Der
Odenwald 7 (i960) 103 —m, 2 Abb.
695. Ders., Mittelalterliche Bürgerhäuser
in Hessen nördlich des Maines.
HessBllVk 51/52 (i960) Textteil,
281 — 348, 10 Taf.
696. Ders., Das Bürgerhaus zwischen
Rhein, Main und Neckar. Tübingen,
Verlag E. Wasmuth, 1961. 306 S.,
175 Abb. im Text, 79 Taf. (= Das
deutsche Bürgerhaus 3).
Rez. HessBllVk 53 (1962) 174 bis
176 (G. Eitzen); DJbfVk 9 (1963)
461 —462 (K. Baumgarten) ; ZfVk 61
(1965) 155 —157 (J. Schepers).
697. Ders., Gedanken zum Dinghuis in
Maastricht. In: Bericht über d.
Tagung des Arbeitskreises f. dt.
Hausforschung e. V. in Aachen v.
30. August bis 2. September 1961
(Münster 1962) 75—79, 2 Abb.
Maßverhältnisse des Dinghuis.
698. Ders., Das Lorscher Haus. Eine Unter-
suchung am Beispiel des Hauses
Stiftstraße 19. In: Laurissa jubilans,
Festbuch der Stadt Lorsch (Lorsch
1964).
699. Ders., Das Bürgerhaus in Oberhessen.
Tübingen, Wasmuth, 1965 (=
Deutsches Bürgerhauswerk 6).
700. Winter, Otto, Neue Aussiedlungs-
höfe im Landschaftsbild. Hessische
Heimat 11 (1961) Heft 4, 15 —17,
3 Abb.
701. Wolf, Siegmund A., Zur Ge-
schichte der Stadt Hitzacker und
ihrer Bürgerhäuser. 1258 — 1958.
Hitzacker 1957. 195 S., Taf., Stadt-
plan.
702. Woronin, N. N., Das Wohnhaus.
In: Geschichte der Kultur der alten
Rus Bd. 1 (Berlin, Akademie-Ver-
lag, 1959) 201—221, 4 Abb., 2 Taf.
703. Zender, Matthias, Wilhelm Bre-
pohl, Josef Schepers und Karl
E. Mummenhoff, Beiträge zur
Volkskunde und Baugeschichte.
Münster, Aschendorff, 1965. 260 S.,
46 Taf., 30 Karten (= Der Raum
Westfalen 4, 2).
Rez. DJbfVk 12 (1966) 171 —173
(K. Baumgarten); Ber. z. dt. Landes-
kunde 35 (1965) 367 — 368 (K.-G.
Faber).
704. Zderciuc, Boris, Paul Petrescu,
Tancred Bänä^eanu, Die Archi-
tektur. In: Boris Zderciuc. . . Die
Volkskunst in Rumänien (Bukarest,
Meridiane, 1964) 9 — 38, 11 Abb. im
Text, 24 Taf.
705. Zimmer mann, W., Alt-Heilbronner
Fachwerkbauten. Hist. Ver. Heil-
bronn, Veröffentlichungen 23 (i960)
115-134.
706. Zippelius, Adelhart, Stand und
Aufgaben der neolithischen Haus-
forschung in Mitteldeutschland. In:
Beiträge zur Frühgeschichte der
Landwirtschaft, Bd. 3, zusammen-
gestellt von Werner Rothmaler
und Wolf gang Padberg (Berlin,
Akademie-Verlag, 1957) 18 — 37,
3 Abb. (— Wiss. Abh. der Dt. Akad.
der Landwirtschaftswiss. zu Berlin
24).
707. Ders., Die Rekonstruktion und bau-
geschichtliche Stellung der Holz-
bauten auf dem Husterknupp. In:
Adolf Herrnbrodt, Der Husterknupp
(Köln-Graz 1958) 123 — 200.
708. Ders., Zur baugeschichtlichen Ent-
wicklung des Alt-Siegburger Bürger-
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
161
hauses. Heimatbuch der Stadt Sieg-
burg, 1. Bd. 480 — 508, 23 Abb.
709. Ders., Führer durch das Rheinische
Freilichtmuseum in Kommern 1966.
C. M
710. Bauche, Ulrich, Landtischler, Tisch-
lerwerk und Intarsienkunst in den
Vierlanden bis 1867. Hamburg,
Museum f. Hamburgische Ge-
schichte, 1965. 252 S., 51 Abb.
auf Taf. (= Volkskundliche Stu-
dien 3).
711. Baur-Heinold, Margarete, Deut-
sche Bauernstuben. Königstein im
Taunus, Verlag Karl Robert Lange-
wiesche Nachf. Hans Köster, 1961.
20 S. Text, 100 Taf. (= Blaue
Bücher).
Rez. Schönere Heimat 50 (1961)
373 — 374 (T. Gebhard); ÖZfVk 64
(1961) 135 —136 (L. Schmidt);
ZfVk 59 (1963) 170 (B. Deneke);
Zs. f. Agrargesch. u. Agrarsoziol. 9
(1961) 235 (G. Franz); Rhein.-
westfäl. Zs. f. Vk. 10 (1963) 203 bis
205 (U. Fließ).
712. Böhning, Annemarie, Studien zur
Entwicklung der Stollentruhe in
Norddeutschland. Rostock 1958.
Dipl.-Arbeit. Masch.schr.
713. Borchers, Walter, Das Bauern-
und Fischermöbel auf Hiddensee,
Ummanz, dem Darß und Mönch-
gut. Greifswald-Stralsunder Jb. 1
(Schwerin 1961) 184—201, 9 Abb.
Rez. SAVk 57 (1961) 199 — 200
(Sammelbespr., Sachvolkskunde:
Wildhaber).
714. Cimermanis, Saulvedis, Elemente
ostseefinnischer Kultur bei länd-
lichen Gebrauchsgegenständen der
Bauern in Vidzeme. Dt. Res. Etno-
graafia Muuseumi Aastaraamat 19
(1964) 186 — 187 [estn. Orig. 167 bis
184, 14 Abb.].
Möbel Abb. 11-14.
715. Csill6ry, Klara K., Bäuerliche
Möbel in Österreich und Ungarn.
Eindrücke von einer Studienreise
in Österreich. ÖZfVk 66 (1963)
112 —116, 4 Abb.
716. Dies., Historische Schichten in der
Wohnkultur der ungarischen Bauern. 11
Düsseldorf 1966. 75 S., 60 Abb.,
3 Karten (= Führer und Schriften
des Rheinischen Freilichtmuseums
in Kommern 1).
biliar
In: Europa et Hungaria (Budapest
1965) in —136, 16 Abb.
717. Döllgast, Alte und neue Bauern-
stuben. 6. Aufl. München, Verlag
F. Bruckmann, 1962. 80 S., 109
Abb., 5 Farbbilder.
718. Egg, Erich, Gußeiserne Ofenplatten
aus Salzburg. Salzburger Museum
Carolino Augusteum, Jahresschrift
1959 (Salzburg i960) 109 —123,
1 Abb., 6 Taf.
719. Foerste, W., Niederdeutsche Bezeich-
nungen des Schrankbetts. Zur Ge-
schichte der Bettstatt. In: Nieder-
deutsches Wort. Kleine Beiträge zur
niederdeutschen Mundart- und
Namenkunde Bd. 2 (Münster i. W.
1961) 23 ff.
720. Gebhard, Torsten, Das Ober-
pfälzische Bauernmuseum in Per-
schen bei Nabburg. Schönere Hei-
mat 53 (1964) 247 — 250, 7 Abb.
Möbel, Geräte, Getreidekasten.
721. Gugitz, Gustav, Die Lichtputz-
schere und ihre Volkstümlichkeit.
ÖZfVk 60 (1957) 280 — 294.
722. Hagels, Hermann, Gestaltung und
Dekor von Kaminen Gildehauser
Meister vom 16. bis zum 18. Jahr-
hundert. Jb. des Heimatver. der
Grafschaft Bentheim 45 (1956) 21 bis
30, 22 Abb.
723. Hugger, Paul, Werdenberg. Land
im Umbruch. Eine volkskundliche
Monographie. Basel, Schweizer.
Ges. f. Vk., 1964. 193 S., zahlr. Abb.
(= Schriften der Schweiz. Ges. f.
Vk. 44).
Auch Wohnung.
Rez. SAVk 61 (1965) 112 —113
(K. Beitl); Zs. f. Agrargesch. . u.
Agrarsoz. 13 (1965) 126 (D. Narr);
Beitr. z. Volks- u. Altertumskunde 9
(1965) 159 —161 (Hävernick).
724. Ilg, Karl, Volkskundliche Betrach-
tungen der „Knappendönse“ auf
Burg Reifenstein bei Sterzing in
Südtirol. Beitr. z. geschichtl. Landes-
kunde Tirols (Innsbruck 1959) 157
11 Volkskunde
162
Herta Uhlrich
bis 162, 1 Abb. (= Festschrift
Franz Hüter).
725. Ivancsics, Nändor, Volkliche (!)
Beleuchtung im Zemplener Ge-
birgsland. Dt. Res. Ethnographia 69
(1958) 422—423 [ung. Orig. 409 bis
421, 4 Abb.].
726. J es sei, H. W., Fliesen in alten Friesen-
häusern. Das Heimatbuch der Nord-
friesen, Hamburg 1957, 60—63.
727. Kasparek f, Max Udo, und Tor-
sten Gebhard, Niederbergische
Yerlassenschaftsinventare des 17.
Jahrhunderts. Bayer. Jb. f. Vk. 1962,
201 —216.
Möbel- u. Geräteausstattung der
Bauernhöfe.
728. Kippenberger, Albrecht, Ein
eiserner Bilderofen in Großseelheim
und die Öfen des frühen 16. Jahr-
hunderts in Marburg. Hessische
Heimat 8 (1958/59) Heft 6, 13 — 15,
3 Abb.
729. Kislinger, Max, Der bäuerliche
Innenraum. Die Möbel. In: M. K.,
Alte Bauernherrlichkeit (Linz 1957)
75—98, 18 Abb., 9 Farbtaf.
730. Lehmann, Otto, Die Bauernstuben
aus Nordfriesland. Das Heimatbuch
der Nordfriesen, Hamburg 1957,
5i — 54-
731. Lipp, Franz, Karte des Verbreitungs-
gebietes der „Linzer Möbel“ in
ihren verschiedenen örtlichen Spiel-
arten. In: Hans Commenda, Volks-
kunde der Stadt Linz an der Donau
Bd. 2 (Linz 1959) 37.
732. Ders., Oberösterreichische Bauern-
möbel. Entwicklung und landschaft-
liche Verbreitung der volkstüm-
lichen Möbel in Oberösterreich von
den Anfängen bis zur Gegenwart.
Katalog. Linz 1964 (— Kataloge des
Oberösterr. Landesmuseums 48).
733. Ders., Oberösterreichische Stuben.
Linz 1966. 33 Textabb., 95 Taf.
734. Madaus, Christian, Schöne Kachel-
öfen und Kamine. Berlin, Verlag
Technik, 1958. 112 S., 5 Abb. im
Text, x 15 Abb. auf Taf.
735. Möller, Lieselotte, Der Wrangel-
schrank und die verwandten süd-
deutschen Intarsienmöbel des 16.
Jahrhunderts. Berlin, Dt. Verein f.
Kunstwissenschaft, 1956. 194 S.
Text, 41 Abb. im Text, 199 Abb. auf
Taf.
Rez. Tiroler Heimatbll. 32 (1957)
108 (J. Ringler).
736. Mössinger, Friedrich, Seltene
Ofenplatten im Odenwald. Der
Odenwald 6 (1959) 35—38.
737. Moser, Oskar, Zwei Mölltaler Dach-
truhen. Ihre Stellung innerhalb der
europäischen Frühformen des volks-
tümlichen Möbels. Carinthia I 150
(i960) 1. Heft, 193 — 228, 11 Abb.
Rez. SAVk 56 (i960) Heft 4, 47
(Wildhaber).
738. Neumann, Siegfried, Kuffert und
Lad\ Zur Kontinuität volkstüm-
licher Terminologie. Korrespon-
denzblatt des Ver. f. niederdt.
Sprachforschung 71 (1964) 30 — 32.
739. Ders., Lade und Koffer im bäuer-
lichen Mobiliar Westmecklenburgs.
DJbfVk 11 (1965) 123 —136, 4 Abb.
im Text, 4 Taf.
740. Ders., Eine alte Truhe. Zwischen
Maurine und Wallensteingraben.
Heimatkalender für das nordwest-
liche Mecklenburg 1967. Schönberg
1967, 20—21, 1 Abb.
741. Ottenjann, Heinrich, Ammerlän-
der Bauernmöbel im Oldenburger
Münsterland. Niedersachsen 1959,
169 fr., 7 Abb.
742. Pommerening, Joachim, Die
Spanbeleuchtung. In: 75 Jahre
Museum für Volkskunde (Berlin
1964) 153 — 168, 4 Abb., 4 Taf.
743. Ritz, Joseph Maria, Alte bemalte
Bauernmöbel. 3.Aufl. neu bearb.von
Gislind Ritz. München, Callwey,
1962. 44 S. Text, 57 Abb., 39 Farbtaf.
Rez. Zs. f. Agrargesch. u. Agrar-
soziol. 11 (1963) 238 (G. Franz).
744. Rothstein, F., Bilegger im Pesel.
Natur und Heimat 9 (i960) Heft 1,
3. Umschlagseite, 1 Abb.
745. Ders., Was der Kachelofen erzählt.
Natur und Heimat 9 (i960) 27 — 31,
8 Abb.
746. Rumpf, Karl, Frühformen hessischer
Schränke. Zs. des Ver. f. hess.
Gesch. u. Landeskunde 71 (i960)
131 —143, 1 Abb., 8 Taf.
747. Ders., Das Bett im hessischen Bauern-
haus. Zugleich ein Beitrag zur Ge-
schichte des Bettes. Zs. des Ver. f.
Bauen und Wohnen 1959 — 1966
163
hess. Gesch. u. Landeskunde 74
(1963) 125 —142, Taf.
Rez. SAVk 60 (1964) 268 (Wild-
haber).
748. Sauermilch, Carl, Truhe und
Schrank im Kreise Holzminden.
Braunschweigische Heimat 43 (1957)
80 — 85, 13 Abb.
749. Schade, G., Deutsche Möbel aus
sieben Jahrhunderten. Leipzig,
Koehler u. Amelang, 1966. 77 Abb.,
4 Farbtaf.
750. Schewe, Josef, Die Kinderwiegen
des Klosters Marienwohlde. Lauen-
burgische Heimat NF 25 (1959) 36
bis 39, 1 Abb.
751. Schlee, Ernst, Über das Wohnen.
Kunst in Schleswig-Holstein 1958,
9-25.
752. Ders., Friesenstube. Schleswig-Hol-
stein 12 (i960) 306 — 307, 1 Abb.
753. Ders., Möbel. In: E. Schlee,
Schleswig-Holsteinische Volkskunst
(Flensburg, Wolff, 1964) 17 — 22,
41 Abb. auf Taf.
754. Schmidt, Leopold, Bäuerliche
Möbel aus Niederösterreich im
Volkskunde-Museum zu Berlin. In:
75 Jahre Museum f. Volkskunde
(Berlin 1964) 135 —152, 4 Taf.,
1 Karte.
755. Ders., Farbige Volksmöbel in Nieder-
österreich. Sammlung und For-
schung. Jb. f. Landeskunde von
Niederösterreich 36 (1964) 803 bis
831, 16 Abb., 2 Karten.
Rez. SAVk 60 (1964) 267 (Wild-
haber).
756. Ders., Möbel. In: L. Schmidt, Volks-
kunst in Österreich (Wien 1966)
93 —118, Abb. u. Taf.
757. Schwarze, Wolf gang, Wohnkultur
des 18. Jahrhunderts im Bergischen
Land. Wuppertal-Barmen, Verlag
Schwarze und Oberhoff, 1964. 176
S., 296 Abb.
Rez. DJbfVk 11 (1965) 476—477
(K. Baumgarten).
758. Stengel, Walter, Alte Wohnkultur
in Berlin und in der Mark im Spiegel
der Quellen des 16. —19. Jahrhun-
derts. Berlin, Bruno Hessling, 1958.
256 S., 21 Abb. im Text, 53 Taf.
Rez. ZfVk 56 (i960) 295—297 (B.
Pischel).
759. Svärdström, S., Die Bauernmalerei
in Dalarna. Stockholm, Albert Bon-
niers Verlag, 1957. 52 S., 21 Abb.,
25 Farbtaf.
Schrankmalerei; Zimmermalerei in
Bauernstuben.
Rez. DJbfVk 4 (1958) 580-581
(I. Weber-Kellermann).
760. Theisen, Sigrid, Kurtrierische
Ofenplatten um 1500. Rhein. Verf. f.
Denkmalpflege und Heimatschutz
1957, 91 — 100, 11 Abb.
761. Vöti, T., Über die gegenwärtige
innere Ausstattung der Wohnräume
auf der Insel Muhu. Dt. Res. Etno-
graafia Muuseumi Aastaraamat 18
(1962) 208—211 [estn. Orig. 176 bis
205, 24 Abb.].
762. Weber, Peter, Am Eifeier Herdfeuer.
Heimat-Jb. f. den Kreis Ahrweiler
1957, 81 — 86, 9 Abb.
Eifeier Ofenplatten.
763. Wietek, Gerhard, Altes Gerät für
Feuer und Licht. Oldenburg und
Hamburg, Stalling Verlag, 1965.
128 S., 60 Abb.
Rez. SAVk 61 (1965) 225 (Wild-
haber).
764. Wilckens, Leonie v., Tageslauf im
Puppenhaus. Bürgerliches Leben
vor dreihundert Jahren. München,
Prestel Verlag, 1956. X, 48 S., Abb.
im Text, 40 Taf.
Rez. DJbfVk 4 (1958) 254—255
(K. Rieck).
765. Dies., Alte deutsche Innenräume. Vom
Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert.
Königstein im Taunus, Lange-
wiesche, 1959. 112 Taf. (= Die
Blauen Bücher).
766. Dies., Fest- und Wohnräume vom
Barock bis zum Klassizismus. Kö-
nigstein im Taunus, Langewiesche,
1963. 107 S., zahlreiche Abb.
767. Wendt, Ralf, Brautharke als Minne-
gabe. Natur und Heimat 10 (1961)
449—45i, 5 Abb.
Mobiliar und Gegenstände des täg-
lichen Bedarfs, von Knechten her-
gestellt, aus Mecklenburg. Schrank.
768. Ders. und Marianne Voß, Bauern-
kultur in Mecklenburg. II.: Das
Mobiliar. Schwerin, Staatl. Museum
Schwerin, im Druck. 110 S., 63 Taf.
11*
BESPRECHUNGEN
Europa et Hungaria. Congressus Ethnographicus in Hungaria 16.—20. X. 1963. Budapest,
Akademiai Kiadö, 1965. 537 S., 124 Abb., Choreographische und Notenbeispiele.
Die auf dem Kongreß gehaltenen Vorträge wurden von Gyula Ortutay und Tibor Bodro-
gi redigiert. Das an den Kongreß gerichtete Grußwort Zoltän Kodalys gilt nun auch den
Lesern: Der Band möge das Blickfeld erweitern, „damit wir uns gegenseitig immer besser
verstehen und zum Abreißen der Scheidewände nach bestem Vermögen beisteuern können“.
Daß die Beiträge entweder in deutschem, russischem, englischem oder französischem Text
vorliegen, erleichtert Verstehen und Verständigung. Europa et Hungaria: Neben 16 ungari-
schen Autoren stehen zehn Vertreter von Völkern der Sowjetunion, je vier deutscher und
bulgarischer, je zwei tschechischer und polnischer Nationalität, ein Jugoslawe und ein
Niederländer. Die behandelten Themen nannte zumeist schon der in dieser Zeitschrift er-
schienene Kongreßbericht (DJbfVk 10, 1964, 324—327). Die Rezension jetzt kann auf
Aufzählung verzichten; sie möchte vielmehr das vermittelte Bild der ungarischen Volks-
kultur wiedergeben und die darauf gerichtete Forschung mit ihren methodischen Problemen
hervortreten lassen.
Namen aus der Geschichte der ungarischen Ethnographie und Folkloristik, mit dem Histo-
riographen Matthias Bel beginnend, tauchen auf. — Die wissenschaftsgeschichtlichen Rück-
blicke erweisen die Kontinuität in Forschungsthematik und -problematik. Das gilt besonders
von den Beiträgen Istvän Tälasis (Die materielle Kultur des ungarischen Volkes in Europa
— im Spiegel der sukzessiven Forschungen), Gyula Ortutays (Between East and West), Linda
Deghs (Über den ungarischen Märchenschatz) und Tekla Dömötörs (Ungarischer Volks-
glauben und ungarische Volksbräuche zwischen Ost und West). — In der Romantik waren
F. Kälay (27ff., 71), J. Csaplovics (28ff., 71, 268) und A. Ypolyi (3iiff.) verwurzelt. Im aus-
gehenden 19. Jh. bereicherten Otto Herman und J. Janko das Wissen über die materielle
Volkskultur der Ungarn, hinzu kamen 1889 die Gründung der Ungarischen Ethnographi-
schen Gesellschaft und 1898 die Eröffnung des Ethnographischen Museums. Zwischen den
Weltkriegen faßten Zsigmond Bätky, Istvan Györffy und Karoly Viski in dem zweiteiligen
Werk über die Ethnographie des Ungarntums (3. Aufl. 1941) schließlich in schöpferischer
Synthese viele Resultate vorausgegangener Einzelforschung zusammen (30f.).
Talasi skizziert als Hintergrund der Geschichte der ungarischen Volkskultur die histo-
rische Entwicklung des Ungarntums (32ff.). Er betont, daß die Kenntnis über die frühen
Perioden der Ethnogenese vor der Landnahmezeit hauptsächlich auf Rekonstruktionen der
Linguisten, Historiker und Archäologen beruhe, daß sich aber auch die Ethnographie mit
Problemen des finnisch-ugrischen, ugrischen oder türkischen und iranischen Erbes be-
schäftigen müsse. Die Periode unmittelbar vor der Landnahme sei bereits durch frühe Be-
rührung mit den Slawen und durch eine halbnomadisierende Lebensform gekennzeichnet.
Nicht nur in den Tiefländern des Karpatenbeckens, auch in Nachbarlandschaften mit
Mittel- und Hochgebirgscharakter wurden die Ungarn zwischen dem 10. und 13. Jh. seß-
haft. Über die verschiedenen Siedelgebiete traten sie mit anderen Landschaften Europas in
Beziehung. „Hier beginnt im Schmelztiegel der Berührung mit den Vorgefundenen und
später zugezogenen Völkern die Umformung der mitgebrachten Kultur der Madjaren, die
nunmehr den Weg ihrer Geschichte, der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung
mit diesen Völkern gemeinsam zurücklegen.“ — Gesellschaftliche Umschichtungen be-
Besprechungen
165
gannen bereits vor der Landnahme und stabilisierten sich am Ende des 13. Jhs als feudalisti-
sche Ordnung, in deren Rahmen sich im Laufe des 14. und 15. Jhs eine bäuerliche Kultur
entwickelte. Der Feudalismus Ungarns gewann vom 16. Jh. an zunehmend osteuropäisches
Gepräge. Von einschneidender Bedeutung war die Türkenherrschaft. — Die Frage nach der
Besonderheit des ungarischen Feudalismus verbindet Ethnographen und Historiker (Tälasi
3 2 f.; Ortutay 276); auch bemühen sich beide, die Entwicklung der wirtschaftlichen und
sozialen Struktur des Bauerntums im feudalen Ungarn zu erforschen (Eva Veress).
Wirtschafts- und speziell agrargeschichtliche Probleme beschäftigen die ungarische Volks-
kunde in starkem Maße. Tälasi zeigt, wie der Gegensatz zwischen extensiver Landwirtschaft
im ungarischen Tiefland und intensiveren Formen der Randgebiete seit 1823 durch F. Källay
und I. Csaplovics als „asiatisch“ und „europäisch“ in den Bereich ethnographischer Termi-
nologie und Interpretation gerückt wurde und dort bis zur Gegenwart diskutiert wird. Die
romantisch-kühne Hypothese, die Madjaren hätten die „Nomadenwirtschaft des Tieflandes“
aus Asien mitgebracht, bleibt, selbst als bloße Fiktion genommen, belebendes Moment der
Forschung und sichert minutiösen Einzeluntersuchungen den großen Aspekt, handele es sich
um Terminologisches zur Ergologie (Ivan Balassa) oder um Formen des Tabakanbaus (Lajös
Takäcs). Geographisch wird versucht, das Nebeneinander der beiden Wirtschaftsformen auf
die Entsprechungen Waldland — Grassteppe, agrar geschichtlich auf Waldbrandwirtschaft —
Feldgraswirtschaft zurückzuführen (Takäcs 76f.). Eine andere Erklärung geht von den
durch die Türkenkriege veränderten Siedlungs- und Bevölkerungsverhältnissen im un-
garischen Tiefland aus (Tamäs Hoffmann: Die Extensivität der ungarischen bäuerlichen Wirt-
schaftsführung im 18.—19. Jahrhundert). In den von den Türkenkriegen unberührten Ge-
bieten bestanden die dörflich-bäuerlichen Verhältnisse fort. Das offene Tiefland hingegen
hatten an der Wende vom 16. zum 17. Jh. militärische Operationen geradezu entvölkert. Die
in wenigen Landstädten konzentrierte Restbevölkerung lebte von einer extensiv betriebenen
Landwirtschaft; Wirtschaftshöfe lagen gürtelartig außerhalb der Wohnsiedlung. Die Wieder-
besiedlung nach der Türkenzeit gab dieses System nicht auf. Gestützt auf Außenhöfe (Sa-
laschen) entwickelte sich jene Getreidewirtschaft, die durch Schwadenschnitt und durch Aus-
treten statt Dreschens gekennzeichnet war und die man später als asiatisches Erbe der Land-
nahmezeit zu deuten suchte.
Tamäs Hofer (Eine eigenartige ungarische Siedlungsform und ihre europäischen Be-
ziehungen), der für derartige durch vom Wohnbezirk abgesonderte Wirtschaftshöfe gekenn-
zeichnete Ortschaften den Ausdruck keries-Siedlung vorschlägt, folgt zunächst der Auffassung
T. Hoffmanns (99 f.), schließt jedoch von der Verbreitung dieser Siedelform im 17. und
18. Jh. auf eine längere Vorgeschichte, zu der er historische Anhaltspunkte mitteilen kann:
Nachdem im 12. Jh. die Ungarn ihre Häuser zumeist aus Schilf errichteten und im Sommer
und Herbst selbst aus diesen einfachen Häusern in Zelte übersiedelten, lagen im 13. Jh. in
gewissen Dörfern die Häuser so eng beieinander, daß die wirtschaftlichen Einrichtungen an-
dern Orts gestanden haben müssen. Im Tiefland, wo die Beweglichkeit der Siedlungen am
längsten andauerte, rechnet Hofer mit einer stetigen Tradition, „wenn auch nicht in der An-
ordnung der Wohn- und Wirtschaftsbauten, so doch in der mobilen Arbeitsorganisation“
(ioif.). „Mit ihren stabilen Siedlungen haben die Ungarn eigentlich ihre vom Osten her-
gebrachte Lebensweise auf gegeben, um sich den mitteleuropäischen Völkern anzupassen.
Die kertes- Siedlung aber weist vielleicht darauf hin, daß man vom Althergebrachten doch
manches hat bewahren können.“ (107).
Mit dem referierten Komplex will der Rezensent deutlich machen, wie die ungarische
Ethnographie bemüht ist, über deskriptive Feststellungen hinaus zu Deutungen zu kom-
tnen, daß sie anderseits gefundene Hypothesen nicht hypostasiert, nicht vorschnell auf
Entweder-Oder-Entscheidungen zustrebt, sondern den Erkenntnisfortschritt in intensiver
Sachforschung reifen läßt.
Klära K. Csillery (Historische Schichten in der Wohnkultur der ungarischen Bauern) setzt
die bei Hirten, Fischern und Holzfällern in kegelförmigen Hütten lange üblich gewesene
Raumeinteilung in Beziehung zu den Rundhütten nordeurasischer Rentiernomaden und
Wildbeuter. Hier wäre man mit der Verf. neben dem hypothetischen Traditionsweg gern
auch europäischen Analogien nachgegangen, die bei Köhlerhütten und Holzfällerunter-
166
Besprechungen
künften weithin zu vermuten sind. Von Zs. Batky übernimmt sie den Gedanken, daß bei den
Ungarn, als diese vor der Landnahme unter Turkvölkern ein Wanderleben führten, die Vor-
nehmen in jurteartigen Filzzelten wohnten, während die einfachen Leute sich weiter mit
ihren kegelförmigen Hütten begnügen mußten. Nachklänge der Zelteinrichtung glaubt sie
in runden Fischerhütten an der Schwelle unseres Jahrhunderts im Komitat Tolna zu er-
kennen. Bauten, die den frühen ungarischen rechteckigen Häuschen mit Feuerstätten ent-
sprechen, lassen sich bereits vor der Landnahme sowohl im Gebiet des heutigen Ungarn als
auch in den von den Ungarn durchwanderten Gebieten voraussetzen. Die Wortgeschichte
bezeugt deren slawischen Ursprung (123!.). — Slawischen Substraten in der ungarischen
Volkskultur schenkt auch Hristo Vakarelski Beachtung. Dabei skizziert er die Schichtung
der vorungarischen Sprach- und Kultursubstrate im Donauraum.
Milovan Gavazzi stellt mit überzeugenden Argumenten eine Behauptung K. Sebestyens
in Frage, die Backglocke sei ein „uralter ungarischer Behelf zum Backen auf offenem Herd,
den die Ungarn noch vor der Landnahme in ihrer Urheimat verwendet hätten“ (85). Sie er-
scheint vielmehr als ein auf vorgeschichtliche Kulturen zurückgehendes Erbe, dem gerade in
Südpannonien trotz allem ethnischen Wechsel ein regional stabiler Überlieferungszusam-
menhang beigemessen werden muß.
Die historische Vielschichtigkeit der ungarischen Weinkultur (Istvän Vincze) läßt eine
Reihe Faktoren erkennen, die auch sonst im Gepräge ungarischer Volkskultur eine
Rolle spielen: Antikes Erbe besitzt einmal landschaftsgebundene Kontinuität in Trans-
danubien und erscheint erneut vermittelt von Westen und Nordwesten her sowohl in fran-
zösisch-wallonischen Entsprechungen von Tokaj-Hegyalja als auch in Terminologie und
Rebmesserformen der aus dem Rhein-Maingebiet stammenden Siebenbürger Sachsen und
schließlich seit dem 14. Jh. im Weinbau deutscher Siedler um Sopron, Bratislava, Buda.
Bei einer Typengruppe ungarischer Rebmesser setzt V. voraus, daß ihre Form „von den
landnehmenden Madjaren bzw. von einzelnen ihrer Volksgruppen in das Karpatenbecken
mitgebracht“ wurde (178). Außerdem kam „in den zentralen Teilen Ungarn, in den einst
türkisch besetzten Gebieten im 16.-17. Jahrhundert eine ihrer Herkunft nach balkanische
Rotweinkultur auf“ (179).
Institutionen und Formationen des Gemeinschaftslebens innerhalb der bäuerlichen Ge-
sellschaft Ungarns bedürfen weithin noch der Erforschung; lediglich von der seit dem 16. Jh.
nachweisbaren Großfamilie ließ sich bereits ein Bild zeichnen, das das ganze ungarische Sied-
lungsgebiet berücksichtigt (231). Dabei geht es Judit Morvay zunächst um die deskriptive
Erfüllung des Begriffs Großfamilie, der in seinen funktionellen Aspekten auch bei anderen
Autoren des Bandes eine Rolle spielt (B. Gunda 15; T. Hofer 95 — 99; T. Hoffmann 446 und
Sona Övecovä: Die Beziehungen zwischen Architektur und Familienorganisation in der Slo-
wakei). Das mündlicher Überlieferung in Nordungarn (Mezökövesd) abgewonnene Material
Morvays läßt die Großfamilie noch hervortreten, wie sie dort vor dem in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts einsetzenden Auflösungsprozeß bestand. Von diesem Typ her wer-
den auch die regionalen Abweichungen verstanden: an ihm gemessen ergeben sich weit-
gehende Analogien bei den Nachbarvölkern, aber es zeigt sich vor allem an der Stellung der
eingeheirateten Frau und der weiblichen Nachkommen, daß bei den Ungarn die Groß-
familie als Blutsverwandtschaft, bei den Slowaken als Arbeitsgemeinschaft größeres Ge-
wicht besaß (240 f.). Die Großfamilie hat weder bei Ungarn noch bei Slowaken einen ihr eigen-
tümlichen Ausdruck im Hausbau gefunden; da die Männer und Burschen in Ställen und
Außenhöfen schliefen, reichte der einzige heizbare Raum für die älteren Familienangehörigen
und die Mütter mit Kleinkindern aus (237, 433). Von Zeit zu Zeit, periodisch, wenn sonst
die Großfamilie eine gewisse Größe überschritten hätte, gab es Ausgliederungen. Bestand
für die neue Familie keine Möglichkeit, auf eigener Baustelle sich anzusiedeln, kam es zu
Hausaufteilungen, zum Bau von Doppel- und Langhäusern, Erscheinungen, die mit der end-
gültigen Auflösung der Großfamilie sich verstärkten (432ff.).
Die eigentliche Folklore-Forschung steht dort, wo sie vergleichend vorgeht, vor ganz
entsprechenden Fragen wie die Sachforschung: Ähnlichkeiten können auf Überlieferung
beruhen, über Siedelräume oder über Gruppen vermittelt sein; es können aber auch ohne
Traditionszusammenhang analoge Verhältnisse analoge Auswirkungen haben. Putilov be-
Besprechungen
167
tont diese letztgenannte Erklärungsmöglichkeit, die historisch-typologische Verwandt-
schaft, im Hinblick auf parallele Sujetentwicklungen in slawischen und ungarischen Balladen.
Lajos Vargyas (The Importance of the Hungarian Ballads on the Confines of Occident and
Orient) erschließt Traditionszusammenhänge und unterscheidet dabei Erbe aus der Steppe,
Elemente des Westens, die aber nicht in unmittelbar nachbarlichen Kontakten übernommen,
und solche, die durch benachbarte osteuropäische Völker vermittelt wurden. In einigen
Fällen leben Motive und Formelemente sibirischer Epik in ungarischen Balladen fort. Fran-
zösische Balladen wurden durch wallonische Siedler bereits im Mittelalter nach Ungarn ge-
bracht, wurden von der ungarischen Volkspoesie resorbiert und wirkten so oder auch durch
Nachbarvölker, wie die Polen, vermittelt nach Westen zurück und bewahrten im Ursprungs-
gebiet untergegangene Altelemente.
Die ungarische Märchenforschung (Linda Degh: Über den ungarischen Märchenschatz)
bemüht sich, Märchen Varianten nicht als abstrakte Objektivationen zu analysieren, sondern
die in historisch-konkrete gesellschaftliche Situationen eingebettete Art des Erzählens, Zu-
hörens und Vermittelns, sowie Individualität von Erzählern und Hörern als Faktoren ein-
zubeziehen.
TeklaDömötör stellt fest, daß seit Arnold Ipolyi die ungarischen Ethnographen zu dem
„romantischsten Thema“, zur Frage nach den archaischen schamanistischen Elementen des
Volksglaubens, immer wieder zurückgekehrt seien, ganz gleich, welcher methodischen Rich-
tung sie angehörten. Forschungsergebnisse von Geza Röheim, Sändor Solymossy, B£la
Gunda, D. Pais und Vilmos Diöszegi zusammenfassend, zeigt sie, wie im Tältos (Zauberer)
Züge des Schamanentums fortlebten; von dem Jahresanfangsbräuche bezeichnenden fin-
nisch-ugrischen Wort regöles sei anzunehmen, daß er zum Wortschatz schamanistischer Ek-
stase gehört habe (318). Für die Frage nach der Stellung ungarischen Volksglaubens und un-
garischer Volksbräuche zwischen Ost und West ist dieses Erbe nur eine Komponente. Dem
Einfluß westlichen Christentums erlagen altes Weltbild und Festbrauchtum der land-
nehmenden Ungarn; aber nicht nur Christliches, auch Gemeineuropäisches trat an deren
Stelle. Verschiedentlich wurden Handlungen ohne die bei den Nachbarvölkern dahinter-
stehenden Glaubensvorstellungen übernommen. Die Staatsreligion westeuropäischen Typs
stieß in Ungarn mit einer gesellschaftlichen Entwicklung osteuropäischer Prägung auf-
einander; seit dem 18. Jh. lebte das ungarische Bauerntum unter ähnlichen rechtlichen, wirt-
schaftlichen und kuturellen Verhältnissen wie die Bauern in anderen osteuropäischen Län-
dern. Das erklärt, daß z. B. für bestimmte Weihnachtsspiele in Ungarn die östliche, für neu-
zeitliche Räuber-Volksspiele die westliche Grenze liegt.
Die typologische Systematisierung der ungarischen Volkstanzüberlieferung, an der György
Martin (496—499) arbeitet, führt auch auf historische Schichtung, aber hier erreichen Quel-
len und Analysen nur den Rand des Mittelalters; die alten ungarischen Tanztypen erwuchsen
dem gleichen Stamm wie die der osteuropäischen Nachbarn. Heiducken-Tänze, die sich
während der Türkenzeit vom 16. bis 18. Jh. entfalteten, lassen sich als eine gemeinsame
ungarisch-slawisch-rumänische Leistung betrachten (270); sie entsprechen typologisch den
Morishentänzen, erhielten sich entweder in Restformen oder kontaminierten mit allgemei-
neren Formen der Spring- und Burschentänze. Die jüngste Stilschicht erschließt Tänze, die
seit dem 18. Jh. ihr Gepräge erhielten; der auf die von der Donaumonarchie betriebene Re-
krutenwerbung zurückgehende Verbunk umschloß viele Varianten des Männertanzes und
vermittelte sie in die Ballprogramme des osteuropäischen Landvolks. Erst dem 19. Jh. ent-
stammen, von anderen Paartänzen eindeutig abgehoben, Form, Name und ausgeprägter
Nationalcharakter des Csardas.
Zusammenfassend, auf die innere Struktur der ungarischen Volkskultur gerichtet, ist der,
den Band eröffnende Beitrag B£la Gundas. Es geht ihm darum, deren regionale Differenzierung
methodisch zu bewältigen, d. h., kurzschlüssige Erklärungen zu verhindern, die Vielfalt
der wirkenden Faktoren im geschichtlichen Ablauf zu verdeutlichen und vor allem zu
betonen, daß die Landschaft und Kulturerscheinungen verbindenden Integrationsvorgänge
nicht außerhalb des Mediums der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu
denken sind.
168 Besprechungen
Zwischen Ost und West bewahrte die bäuerliche Kultur Ungarns eigene Traditionen, assi-
milierte oder selektierte von außen kommende Einflüsse, die keineswegs nur über die so-
genannte Wiener Schleuse kamen. Gy. Ortutay akzentuiert die aktiv produktive Seite der die
Volkskulturen aufbauenden Vorgänge, er läßt die Rolle der Ungarn als Schöpfer und Ver-
mittler im interethnisch eurasisch-europäischen Kulturgefüge hervortreten, verweist auf die
sonst in den Kongreßbeiträgen weniger zur Geltung gekommenen beispielgebenden Lei-
stungen der ungarischen Volksmusikforschung und zeigt, wie gerade Ungarn für die Ethno-
graphie ein günstiges Feld ist, wo national-regionale und interethnische Probleme eng in-
einandergewoben sich der Forschung als Aufgabe stellen.
Wie faszinierend dieser fruchtbare Gesamtaspekt das Einzelne zur Bedeutung bringt, mag
die Ausführlichkeit dieser Besprechung dokumentieren. Der Rezensent verdankt dem Band,
mit Forschungsstand und Forschungsproblemen der ungarischen Volkskunst vertraut ge-
macht worden zu sein.
Siegfried Kube, Dresden
Müveltseg es Hagyomäny (Kultur und Tradition). Studia Ethnologica Hungariae et Centralis
ac Orientalis Europae (Jahrbuch des Ethnologischen Instituts der Lajos Kossuth-Uni-
versität Debrecen). Hg. v. Bela Gunda. Bd. i—6. Budapest, Tankönyvkiadö-Verlag,
1960 — 1964.
Das unter der Leitung von B£la Gunda stehende Ethnologische Institut der Lajos-Kos-
suth-Universität zu Debrecen repräsentiert den jüngsten der vier ethnologischen Lehrstühle
an den ungarischen Universitäten. Seine wissenschaftlichen Auffassungen und Bestrebungen
legt dieses in internationalen Fachkreisen bekannte Institut in dem vorliegenden Jahrbuch
nieder. Dieses Organ gilt neben den Zeitschriften Ethnographia (Periodicum der Ungari-
schen Ethnographischen Gesellschaft seit 1890), Neprajzi Crtesito (Jahrbuch des Ethno-
graphischen Museums zu Budapest seit 1900) und Acta Ethnographica Academiae Scientiarum
Hungaricae (seit 1950) mit Recht als eine der zentralen Zeitschriften der nach 1945 zu neuer
Blüte gelangten ungarischen ethnographischen Forschung.
Die Grundsätze des Debrecener Jahrbuchs entsprechen den Bestrebungen der gesamten
ungarischen Forschung, die eine Lösung der Probleme der vielschichtigen ungarischen
Volkskultur nur in der tiefgreifenden Kenntnis und im Zusammenhang mit der gesamten
europäischen Volkskultur für möglich hält. Die Untersuchungen zur Ethnogenese des un-
garischen Volkes machen es notwendig, daß sich die ungarische Forschung auch mit eth-
nographischen Problemen Asiens beschäftigt.
In den bisher erschienenen sechs Bänden des Jahrbuchs gibt es neben Studien über ver-
schiedene Aspekte der ungarischen Volkskultur Aufsätze, die sich mit der Ethnographie
Mittel- und Osteuropas, sowie Asiens bzw. auch mit theoretischen Fragen befassen. In
erster Linie werden die Ergebnisse der vom Institut angestellten Forschungen veröffent-
licht. Unter den Mitarbeitern befinden sich aber auch andere ungarische und ausländische
Forscher. Insgesamt sind bisher 53 Aufsätze aus der Feder von 24 ungarischen und 16 aus-
ländischen Forschern erschienen.
Die theoretischen und methodologischen Studien umfassen eine breite Skala. Nur dem
Titel nach sei hier auf die Untersuchungen von B. Gunda, Integration der Kultur und ethnische
Gruppen (Bd. 5); K. Vilkuna, Die heutige Lage der finnisch-ugrischen Ethnologie (Bd. 6);
V. J. Propp, Untersuchungsmethoden über russische Agrarbräuche (Bd. 5) und Z. Ujvary,
Einige terminologische Fragen der Brauchforschung (Bd. 5) hingewiesen. Die Abhandlung
von L. Vertes, Die Bestimmung der absoluten Chronologie bei archäologischen und ethnolo-
gischen Forschungen (Bd. 3) setzt sich für eine stärkere Berücksichtigung der Forschungs-
ergebnisse verwandter Wissenschaften ein. W. Jacobeit und R. J. Smith geben einen guten
Überblick über die Erforschung der bäuerlichen Arbeit und Wirtschaft in der deutschen Volks-
kunde, bzw. über die amerikanischen Akkulturationsuntersuchungen (Bde 5 und 6).
Fragen der Entstehung und Entwicklung von Teilbereichen der Volkskultur werden in
folgenden Aufsätzen behandelt: J. Barabäs, Die Entstehung der Einzelsiedlungen in Mittel-
Besprechungen
169
europa (Bd. i — 2); J. Szabadfalvi, Die ungarische schwarze Keramik und ihre osteuropäischen
Zusammenhänge (Bd. 1 — 2); K. Moszynski, Zur Entwicklungsgeschichte der Jagdfallen in
Mitteleuropa (Bd. 1 — 2); B. Gunda, Einige Probleme der finnisch-ugrischen Reusen (Bd. 6);
M. Szilägyi, Eine primitive Fischfangmethode und ihre europäischen Beziehungen (Bd. 5);
T. Hofer, Zur Frage der Verbreitung eines charakteristischen ungarischen Siedlungstyps
(Bd. 1 — 2); V. Prazäk, Einige Fragen der Entwicklungsgeschichte der Wohnkultur in Mittel-
europa (Bd. 1 — 2); R. Vuia, Die neuesten Ergebnisse der rumänischen Siedlungs- und Haus-
forschung (Bd. 1 — 2); I. Holl, Die Probleme bei der Forschung der ungarischen mittelalter-
lichen Keramik (Bd. 5).
Der Themenkreis der ungarischen Aufsätze, die neues örtliches Material erschließen, ist
mannigfaltig. Aus dem Bereich der sog. materiellen Kultur werden die Fragen der Sammel-
tätigkeit, der Fischerei, des Dreschens, der Ernährung, des Hausbaues und der Tracht be-
handelt: Am Beispiel einer siebenbürgisch-ungarischen Rockform zeigt K. Kos in einer
methodisch hervorragenden Analyse, wie stark die osteuropäischen Volkskulturen mitein-
ander verflochten sind (Bd. 6). Drei Artikel beschäftigen sich mit volkskundlichen Fragen
der gesellschaftlichen Institutionen, was umso erfreulicher ist, als dieses Forschungsgebiet
von den ungarischen Forschern lange vernachlässigt wurde. Das Thema des Volksglaubens
und des Brauchtums ist — neben der Studie des auch im sibirischen Material vorzüglich be-
wanderten Fachmanns V. Diöszegi, der in seinem Aufsatz die schamanistischen Elemente im
ungarischen Volksglauben verfolgt — ausschließlich durch Abhandlungen der in Debrecen
geschulten, ausgezeichneten jungen Forscher I. Ferenczi, Z. Ujväry, J. Szabadfalvi vertreten.
Sie behandeln Themen, die in der ungarischen ethnographischen Fachliteratur bisher kaum
bekannt waren: Die Welt des Animismus und der ungarische Waldkult (Bd. 1 — 2), Zum Pro-
blem der zoomorphen Dämonen in den ungarischen Agrarriten (Bd. 6), Das Ende des Wirt-
schaftsjahres und die Hirtenfeste im Herbst (Bd. 6). In der Studie Die Fragen der Übergabe,
Übernahme und Funktion bei einem ungarischen Volksbrauch bietet Z. Ujväry eine muster-
gültige Analyse über die Umstände, die zur teilweisen Verbürgerlichung eines fremden
Volksbrauches (Hahnenschlagen) in Ungarn führten (Bd. 3). Eine besondere Hervorhebung
verdient die gemeinsame Studie von I. Ferenczi und Z. Ujväry, Fastnachtspiele aus den
Dörfern im Gebiet von Szatmdr (Ostungarn), die als 4. Band der Serie selbständig erschien.
Auf dem Gebiet der Volksdichtung stehen die Fragen der Sagenforschung im Vorder-
grund. Aber es wird auch über ungarische handschriftliche Volksliederbücher und Gedicht-
sammlungen, sowie über die Arbeiten am Katalog der ungarischen Volksmärchen berichtet.
Aus dem Material Ost- und Mitteleuropas werden von G. S. Citaja, H. Vakarelski,
V. Novak (Bd. 1—2) und V. Denöev (Bd. 5) die Fragen des Kaukasischen Ackerbaus, des
bulgarischenWeinbaus, des slowenischen Hirtenwesens und der bulgarisch-tatarischen Glaubens-
welt analysiert.
Sehr anschaulich werden verschiedene Kulturelemente europäischer und transuraler
finnisch-ugrischer Völker in den Abhandlungen von V. Diöszegi, S. P. Sokolova, V. N.
Belicer, E. A. Virtanen untersucht.
Mit asiatischen Problemen beschäftigen sich die Studien über Ethnogenese, Folklore,
Heizung und Ernährung der Ainos, der Chinesen und der Iraner.
Alle Aufsätze der in ungarischer Sprache veröffentlichten Serie sind mit fremdsprachigen
Resumäs versehen. Seit dem 5. Bd. ist auch eine Bücherschau mit ausführlichen Rezensionen
angegliedert worden.
Eszter Kisbän, Budapest
Festschrift für Ivan Grafenauer. Beograd. 151 S. (= Narodno stvaralastvo — Folklor 4,
1965, H. 15/16).
1964 verstarb Ivan Grafenauer, einer der führenden südslawischen Folkloristen und Nestor
der slowenischen Volkskundler. Seinem Andenken ist das vorliegende Doppelheft mit etwa
20 meist kurzen Beiträgen gewidmet, von denen manche wegen ihres breiteren Rahmens
hervorgehoben zu werden verdienen.
170
Besprechungen
Der volkskundliche Nachlaß Ivan Grafenauers, eher eine Würdigung seines Lebens und
seines Lebenswerkes von N. Kuret, bietet einen Einblick in seine beinahe 60 jährige wissen-
schaftliche Tätigkeit, die eigentlich erst seit 1940 der Volkskunde galt; willkommen ist vor
allem der Hinweis auf alle bisherigen bibliographischen Verzeichnisse seines Schrifttums
sowie die zusätzlichen bibliographischen Angaben von 1961 bis zu seinen letzten noch im
Druck befindlichen Werken. — Aus dem slowenischen Volksliedschatz behandelt B. I. Pu-
tilov die Ballade „Ribniska Jerica“ im Lichte des vergleichenden Materials. Es handelt sich
um ein von den Türken entführtes Mädchen, das von einem jungen „Türken“ (in zahlreichen
Varianten ist es ihr leiblicher zum Türken gewordener Bruder) erkannt und befreit wird. (Auf
die seinerzeit viel behandelten adriatischen Varianten, die vermutlich die Grundlage des
Dramas Robinja von H. Lucie im 16. Jh. bildeten, geht der Verf. nicht ein.) — O. Sirovatka
(Die Stilisierung der Gestalten in der tschechischen Volksballade) kommt zu dem Ergebnis,
daß die Schilderungen der handelnden Personen und Extérieure als äußerst gedrängt bzw.
nebensächlich gegenüber denen der inneren Spannungen hervorgehoben werden, die aus
den Charakteren, den Gefühlen und den Taten der handelnden Gestalten resultieren. —
Dem kürzlich verstorbenen Forscher des Volkserzählgutes Europas, E. Seemann, verdanken
wir eine kurze, aber dennoch weitgehend aufschlußreiche Abhandlung über Das Schwellied
von den Tieren, die sich auf fressen mit der Aufzählung der beinahe über ganz Europa ver-
breiteten Varianten (wohl nicht als erschöpfend geplant, da manche veröffentlichten und
unveröffentlichten in Archiven vorhandenen Varianten nicht erwähnt werden). — Cv. Ro-
manska ist geneigt, das Weit verbreitete Motiv der bulgarischen Volksüberlieferungen von den
Mädchen oder den Frauen, die sich wegen Bedrohung durch die Türken von bestimmten
Felsen gestürzt haben, unbedingt einheimischem Ursprung zuzuschreiben und auf eine
Intensivierung dieses Stoffes infolge der türkischen Gewalt zu schließen (ohne auf die manch-
mal gleichlautenden Gegenstücke aus anderen, besonders westlichen und zentralen Gebieten
der Balkanhalbinsel einzugehen, die seinerzeit ausführlicher behandelt und — wohl mytho-
logisch verfehlt — von I. Pilar im Zbornik za nar. zivot i obicaje juznih Slavena gedeutet
wurden). — Alexanders Zug nach dem Lebenswasser in der südosteuropäischen Volksüber-
lieferung von R. W. Brednich weist auf die Themen der Volkssagen im Alexanderroman hin,
die bisher wenig erforscht wurden. B. hat diese Episode ausgewählt, die er ursprünglich als
dem Roman fremd betrachtet. Auf Grund der Vergleiche mit den balkanischen Überliefe-
rungen stellt er 4 Hauptpunkte als Merkmale der Volksüberlieferungen dieses Stoffes fest,
von denen einige sich in zahlreichen Weiterentwicklungen und Kontaminationen verbreitet
haben, wogegen andere fast keine Spur hinterließen (die Episode mit dem Auffinden des
Rückwegs durch Stuten und Füllen hat doch einen Niederschlag auch in den südslawischen
Volkssagen hinterlassen). — S. Zeöevic versucht in dem Beitrag Bestimmung des Schicksals
bei der Geburt bei den Südslawen diesen Glauben und einige Einzelheiten als allgemeine bis
auf die Neuzeit eingewurzelte Überlebsei zu deuten, wobei er sich wundert, daß J. Grimm
dieselben nicht erwähnt hat. Auf Grund von noch gebräuchlichen diesbezüglichen Rede-
wendungen und Meinungen sowie von zahlreichen Angaben aus der Literatur stellt der Verf.
fest, daß es sich um Überlebsei altslawischer Herkunft handelt, wie dies ebenfalls schon
wiederholt festgestellt wurde. Er lehnt Entlehnungen von den Nachbarvölkern durch die
Südslawen ab (was zumindest bezüglich der orisnice u. ä., bei den Rumänen ursitoare,
ursitele u. ä. nicht zutreffen wird, da alle diese Namen und vermutlich etwas auch von den
Vorstellungen auf dem griech. ôqîÇovteç fußt; außerdem ist darauf letzten Endes auch der
Uris des schicksalsbestimmenden Paares Uris und Upis zurückzuführen, was nach den bis-
herigen Kenntnissen nur ein einziges Mal in Dalmatien aufgezeichnet wurde und unter
Verdacht einer absichtlichen Erweiterung auf Grund des sehr üblichen Wortpaares „risati —
pisati“ — „zeichnen — schreiben“ steht).
Der rechtlichen Volkskunde ist der ausführliche Beitrag von R. Wildhaber Formen der
Besitzergreifung im Volksrecht, im Volksglauben und in der Volksdichtung entnommen. Auf
Grund vieler Belege, meist aus der Vergangenheit der europäischen Völker, wird über-
zeugend darauf hingewiesen, „daß manche Sagen und Erzählungen mit alten Rechts-
anschauungen Zusammenhängen dürften“ und „daß diese volkstümlichen Rechtsanschau-
ungen vielleicht auch einmal in gesamteuropäischem Rahmen betrachtet werden sollten“.
Besprechungen
171
Damit wird auch in diesem Bereich die Notwendigkeit des ethnologisch vergleichenden
europäischen Studiums zum Ausdruck gebracht. Die Klage des Verfs über das Fehlen von
eingehenderen slavischen Studien zu diesem Thema mag eine synthetische Behandlung des
bis heute schon ziemlich angewachsenen diesbezüglichen Stoffes anregen.
Andere, meist kleinere Beiträge von V. Novak, N. Kuret, M. Maticetov, S. Vilfan, B.
Kuhar, Z. Kumer, V. Palavestra, M. Gavazzi, M. Boskovic-Stulli und G. Perusini be-
handeln meist Themen aus dem engeren Rahmen der südslawischen Volkskunde. Alle
Beiträge sind mit kurzen Zusammenfassungen in verschiedenen Sprachen versehen.
Milovan Gavazzi, Zagreb
S. I. Minc — È. V. Pomeranceva, Русская фольклористика. Хрестоматия для вузов
(Russische Folkloristik. Chrestomathie für Hochschulen). Moskau, Vyssaja Skola,
1965. 470 S., 81 Abb.
Diese für Philologiestudenten bestimmte Chrestomathie enthält eine Auswahl von un-
gefähr 50 folkloristischen Arbeiten des 19. und 20. Jhs. Dem Programm der sowjetischen
philologischen Fakultäten entsprechend soll sie eine Vorstellung davon vermitteln, wie die
wichtigsten Probleme der russischen Folklore in den verschiedenen ideengeschichtlichen
Perioden dieses Zeitraumes behandelt wurden. Die Herausgeber setzen voraus, daß die
Lektüre des in dieser Chrestomathie gebotenen Materials durch das Studium von Lehr-
büchern und wissenschaftlicher Literatur ergänzt wird.
Einige der in diesen Band aufgenommenen Artikel stellen seit langer Zeit bibliographische
Seltenheiten dar; sie werden jetzt erst einem breiteren Leserkreis zugänglich. Das Ziel der
Autoren — S. I. Minc starb vor Abschluß der Arbeit — war es, „jungen Forschern am
Beginn ihrer Laufbahn dabei zu helfen, ihren Weg in der Wissenschaft zu finden, die Arbeit
ihrer Vorgänger schätzen zu lernen, den gesellschaftlichen Wert der Folkloristik zu be-
greifen, sie liebzugewinnen und sich der eigenen Verantwortung ihr gegenüber bewußt zu
werden“ (2). Dank einer sorgfältigen Auswahl, einer straffen Gliederung des Materials und
dank der kurzgefaßten, instruktiven Kommentare geht die russische Folkloristik über die
Bedeutung als Lehrbuch hinaus.
In der Einleitung (3 —12) wird ein Überblick über die Geschichte der russischen Folk-
loristik gegeben.
Der erste Teil des Buches (15 — 30) enthält Äußerungen der Klassiker des Marxismus-
Leninismus zur Folklore: Den Reiz frühgeschichtlicher Volkskunst erläutert Karl Marx vom
Standpunkt des Materialismus. — Friedrich Engels hat in seinem Jugendwerk Die deutschen
Volksbücher ein Beispiel für kritisches Verhalten gegenüber den zwischen Folklore und
Literatur stehenden Gattungen der mittelalterlichen Dichtung gezeigt. Nur die von einem
kämpferisch-demokratischen Geist durchdrungenen Volksbücher hielt er der Populari-
sierung für würdig. — Wie hoch Lenin die revolutionäre Rolle des Proletarierliedes ein-
schätzte, zeigen zwei Artikel: Евгений Потье (Eugène Pottier) und Развитие хоров в Гер-
мании (Die Entwicklung der Chöre in Deutschland). In den Erinnerungen V. D. Bonö-
BruevièsB. И. Ленин об устном народном творчестве (V. I. Lenin über Volksdichtung)
Werden Lenins Gedanken über die Nützlichkeit der Untersuchung von Märchen und anderer
Volksliteratur vom sozial-politischen Gesichtspunkt her dargestellt.
Aus Platzmangel konnte Material, das für die Anfangsperiode der russischen Folk-
loristik charakteristisch gewesen wäre, nicht aufgenommen werden. — Der zweite Teil
(29 — 84) ist den revolutionären Demokraten der 40er bis 60er Jahre des 19. Jhs gewidmet,
den Schöpfern einer uns nahestehenden Konzeption der Volksdichtung: Die Artikel V. G.
Belinskijs von 1841 über folkloristische Sammlungen stellen einen bemerkenswerten Versuch
dar, ein Bild von der russischen Volksdichtung zu entwerfen und ihre Besonderheiten
historisch zu erläutern. B. war der Meinung, daß die russischen Bylinen und Lieder in Inhalt
und Form einerseits die gewaltige Kraft des Volkes, andererseits aber die Dürftigkeit und
Einförmigkeit des Lebens der unterdrückten Massen zum Ausdruck brächten. Er nahm
sich besonders der russischen satirischen Märchen an und sah in ihnen eine Verkörperung
172 Besprechungen
des Volkslebens, seiner sittlichen Normen und des „verschmitzten russischen Geistes, der
so sehr zur Ironie neigt und so naiv in seiner Verschmitztheit ist“ (47). — Nach Belinskij
behaupteten N. G. Cernysevskij und N. A. Dobroljubov, daß die Folklore eine lebendige,
unerschöpfliche Quelle der Poesie sei. Sie übten heftige und treffende Kritik an den Ge-
lehrten, die in der russischen Folklore nur Reste der Mythologie sahen und die Überbleibsel
der Vergangenheit idealisieren wollten. In die Chrestomathie wurde Cernysevskijs Rezen-
sion über das Архив историко-юридических ведений (Archiv der historisch-juristischen
Mitteilungen) [1854] aufgenommen, in der der Verf. leidenschaftlich gegen die Brüder
Grimm und besonders gegen ihre russischen Nachfolger zu Felde zieht. C.s revolutionäre
Einstellung kommt auch deutlich in seiner Besprechung der Песни разных народов (Lieder
verschiedener Völker) [1854] zum Ausdruck: „Die Volksdichtung entwickelt sich nur bei
kraftvollen, frischen Völkern voll sprühenden Lebens, Aufrichtigkeit, Würde und Edelmut“
(52). — Dobroljubov interessierte es, unter welchen Umständen die Folklore lebt und wie
sich das Volk selbst zu seinen Schöpfungen verhält: „Die Märchen sind uns vor allem als
Material zur Charakterisierung eines Volkes wichtig“, betonte D. (81). Gleichzeitig be-
schäftigte er sich mit der Form der Volksdichtung.
Der dritte Teil (85 — 244) trägt den Titel Русская дореволюционная наука о фольклоре
(Die russische vorrevolutionäre Wissenschaft über die Folklore). Neben Artikeln und Aus-
zügen aus Untersuchungen der verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen finden sich
hier interessante Beiträge von Sammlern über die Folklore-Tradition und über die Prinzipien
bei der Zusammenstellung von Bylinen-, Lieder- und Märchensammlungen. — Die russische
mythologische Schule ist mit Arbeiten A. N. Afanas’evs und F. I. Buslaevs vertreten. Die
Herausgeber der Chrestomathie wollten die wissenschaftlichen Ergebnisse der russischen
„Mythologen“ zeigen, die bei ihren Untersuchungen viel neues Material sichteten, und
denen wir manche treffende Beobachtung und Gegenüberstellung verdanken. Bedeutsam
sind Afanas’evs Bemerkungen über die Bildhaftigkeit der Volkssprache, über die Verschmel-
zung von Mythe und Historie im Bewußtsein des Volkes (87 — 93) und Buslaevs Urteil über
die Eigenschaften der epischen Volksdichtung (94—104). B. neigte in seinen letzten Schaffens-
jahren zur „Migrationstheorie“. Wenn der komparativistische Artikel V. V. Stasovs von
x 868 Происхождение русских былин (Die Herkunft der russischen Bylinen) (132 —145) nur
deshalb Aufmerksamkeit verdient, weil er seinerzeit eine lebhafte Diskussion hervorrief, so
hat B.s Artikel von 1874 Перехожие повести и рассказы (Wandernde Sagen und Erzählun-
gen) (146 —161) seine Bedeutung auch heute noch nicht verloren. Darin werden die Wander-
wege der Sujets von Land zu Land verfolgt und die nationalen Varianten verglichen. —
Ein Bild über die Methodologie der historischen Schule kann man sich an Hand einiger der
besten Skizzen V. F. Millers aus seiner dreibändigen Bylinenarbeit (1897 — 1924) machen.
M. war bestrebt, bei jeder Byline die späteren Schichten zu eliminieren, indem er der Viel-
falt ihrer Varianten die historischen Tatsachen gegenüberstellte. Da er jedoch den ästheti-
schen und volkstümlichen Charakter der Bylinen ignorierte, beschränkte er sich in seinen
Ausführungen auf bloße Vermutungen über die relative und absolute Chronologie der
Motive; vgl. К былинам о Садке (Zu den Bylinen über Sadko) (165 —174). In dem zusammen-
fassenden Очерк истории русского былинного эпоса (Abriß der Geschichte des russischen
Bylinen-Epos) bekannte M. die Hoffnungslosigkeit seiner Versuche, den ältesten Bestand
des Epos zu ermitteln. Von seinen Prinzipien abrückend, vermochte er dann bis zu einem
gewissen Grad die Entwicklung der Bylinen „mit der politischen Geschichte, mit dem Leben
der russischen Bevölkerung“ (175 —191) zu verbinden. — Zur historischen Poetik A. N.
Veselovskijs ist ein umfangreicher Artikel von 1898, Психологический параллелизм и его
формы в отражении поэтического стиля (Der psychologische Parallelismus und seine
Formen in der Wiedergabe des poetischen Stils), zu nennen, der hier nur in Auszügen ge-
bracht wird. V. stellte die Beziehungen zwischen dem psychologischen Parallelismus im
Lied und einer animistischen Weltauffassung her und betrachtete die historischen Entwick-
lungsformen dieses stilistischen Verfahrens und der auf seiner Grundlage entstandenen
poetischen Symbole, Metaphern und Vergleiche. Die historische Poetik blieb unvollendet,
da ihr Verf. die idealistischen Methoden des Evolutionismus nicht zu überwinden ver-
mochte. — In der Russischen Folkloristik findet der Leser auch den dritten Письмо без адреса
Besprechungen
173
(Brief ohne Adresse) (1899 —1900) von G. V. Plechanov. P., der die Theorie des historischen
Materialismus zu popularisieren trachtete, zeigt an konkreten Beispielen die Verbindung
Zwischen der Kunst der Urgesellschaft und der Arbeit sowie den Produktionsverhältnissen.
— Ebenfalls vom marxistischen Standpunkt aus stellt A. M. Gor’kij in seinem Aufsatz
von 1909 Разрушение личности (Die Zerstörung der Persönlichkeit) der modernistischen
Poesie die Werte des kollektiven Schaffens der Werktätigen gegenüber (238 — 244).
Außerordentlich vielseitig ist der vierte Teil Советская наука о фольклоре (Die so-
wjetische Wissenschaft über die Folklore) (245 —468). Hier sind wertvolle Beiträge und For-
schungsergebnisse von А. M. Gor’kij, Ju. M. Sokolova, V. J. Propp, V. E. Gusev, P. G.
Bogatyrev, N. P. Andreev, A. P. Skaftymov, P. D. Uchov, A. M. Astachova, А. I. Niki-
forov, M. K. Azadovskij, E. M. Meletinskij, M. A. Rybnikova, B. M. Sokolov, I. N.
Rozanov, V. I. öicerov, B. G. Bazanov, N. P. Kolpakova, К. V. Öistov, B. N. Putilov und
V. K. Sokolova in gekürzter Form abgedruckt worden. — In einem abschließenden Auf-
satz Основные проблемы советской фольклористики (Grundprobleme der sowjetischen
Folkloristik) charakterisieren Putilov und Sokolova die Verdienste der sowjetischen
Folkloristik bei der Untersuchung der einzelnen Genres, die künstlerische Gestaltungskraft
der Erzähler und Sänger, die Entwicklung der Volksdichtung in der Sowjetepoche und die
Bedeutung der folkloristischen Überlieferung. Gegenwärtig ist in der sowjetischen Folk-
loristik eine Wendung zur historischen Untersuchung der Genres zu beobachten, und die
Abfassung einer Geschichte der Folklore der sowjetischen Völker zeichnet sich in der Per-
spektive ab. Bemerkenswert in dieser Hinsicht sind die in den Jahren 1965 —1966 heraus-
gegebenen Monographien von É. V. Pomeranceva über das Schicksal des russischen Mär-
chens, von А. M. Astachova über die historische Entwicklung des Bylinen-Epos und von
S. G. Lazutin über die Geschichte der russischen lyrischen Lieder.
Dieser gelungene Versuch einer Chrestomathie verdient es, auch von anderen auf-
gegriffen zu werden. So wäre es gut, wenn z. B. auch die deutschen Folkloristen eine ähn-
liehe Anthologie herausgäben. L q Barag, ufa
Imre Katona, Historische Schichten der ungarischen Volksdichtung. Helsinki, Academia
Scientiarum Fennica, 1964. 36 S. (FFC 194).
Dieses schmale Bändchen darf durchaus eines größeren Interesses sicher sein. Geschicht-
liche Darstellungen der Volksdichtung zu erarbeiten, steht heute vielfach im Mittelpunkt
der wissenschaftlichen Bestrebungen. Dabei sind manche Probleme und Schwierigkeiten
überall dieselben. Insbesondere die Schwierigkeit der Quellenlage: Dem umfangreichen,
aber durchweg jungen Material aus der mündlichen Überlieferung steht nur ein wesentlich
kleineres Material aus älteren Zeiten gegenüber. Aus diesem überlieferten Bestand muß ver-
sucht werden, ältere Entwicklungen, Gattungen, Motiv- und Stilschichten zu erschließen.
Eine weitere Schwierigkeit besteht in der komplizierten, vielschichtigen und nicht immer
parallelen Beziehung zwischen der Volksdichtung und ihrer Geschichte sowie der allgemei-
nen historischen Entwicklung. K. widmet sich dem erstgenannten Problem und sucht
aus dem rezenten Material der ungarischen Volkspoesie historische Schichten heraus-
zuarbeiten, die es ermöglichen, eine Geschichte dieser Dichtung zu skizzieren. Die Erfor-
schung solcher kulturhistorischer Schichten gehört ja zu den ureigensten Themen der
ungarischen Folkloristik und Ethnographie, die sich immer wieder bemüht, die orienta-
lischen, „urmagyarischen“ Elemente, also — im wesentlichen — die Kulturformen und
'traditionen aus der Zeit vor der letzten Landnahme, herauszupräparieren und dann deren
Umwandlung zu einer occidentalen Kultur hauptsächlich in der Wechselwirkung mit den
europäischen Nachbarvölkern nachzuzeichnen.
K. geht ziemlich vorsichtig zu Werke, prüft die Thesen und Hypothesen zu Schichten
und geschichtlichen Formationen der ungarischen Volksdichtung, die er in Beziehung
setzt zu vier unter ethnographischen Gesichtspunkten bestimmten Hauptperioden der
ungarischen Geschichte: Jagd und Fischfang, Nomadismus, Ackerbaukultur und moderne
Zivilisation.
vAi V/M't i Wfiffi.lfMVfifö&XÄXW wnumWuni
174
Besprechungen
Während die Volksdichtung aus der ersten dieser historischen Perioden fast völlig un-
bekannt ist, auch Spuren nicht befriedigend nachgewiesen werden konnten und lediglich
gewisse Analogien zur Volkspoesie der obugrischen Völker auf verschiedene Inhalte und
Gattungen dieses Zeitraumes schließen lassen, geben für die zweite Periode, vor allem deren
Endzeit (vor und während der letzten magyarischen Landnahme), überlieferte Stoffe und
Motive und mittelalterliche schriftliche Quellen (Chroniken und Gesta) Aufschluß. Im
Mittelpunkt der Volksdichtung dieser Periode stand danach das Heldenlied, gepflegt auch
bereits von berufsmäßigen Sängern. Gesichert erscheinen eine Reihe sogenannter orienta-
lischer Melodien, die das Magyarentum in seine gegenwärtige Heimat mitgebracht hat.
Lyrische Texte, Themen oder Motive aus dieser Zeit waren nicht zu ermitteln, dagegen
kennt man mehrere Märchen-, Sagen- und Balladenthemen bzw. Formeln und Motive.
Die dritte Periode, die der Ackerbaukultur, gesellschaftlich des Feudalismus, ist die
Periode der Eingliederung des Magyarentums in die mitteleuropäische Gesellschaft und
Kultur. Die interethnischen Beziehungen — Aneignungen, Ein- und Umformung von Kul-
turgütern der neuen Nachbarvölker — und dadurch Entwicklung einer neuen magyarischen
Volkskultur bestimmen diese Periode, und damit ist auch die Hauptforschungsrichtung
gegeben: „. . . interessant ist, welche die ,orientalischen1 und welche die neuen europäischen
Dichtungsarten und -formen sind, bzw. wie die früheren Formen sich neugestalten konnten“
(14). Alle traditionellen Gattungen der europäischen Volksdichtung finden sich nun in der
Überlieferung. K. verfolgt zunächst das Motiv des Heldentums durch diesen Zeitraum,
zeigt daran den Wandel der Gattungen, Stile und Motive und skizziert dann das geschicht-
liche Hervortreten der verschiedenen Arten und Gattungen der Volksdichtung in Beziehung
zu den Wandlungen der ungarischen Geschichte. Im letzten, kurzen Abschnitt über die
Periode der „modernen Zivilisation“, also der kapitalistischen Industrialisierung bis zur
sozialistischen Umgestaltung, wird der Rückgang der Volksdichtung registriert. „Die
Volksdichtung verliert ihre große Rolle in der Gesellschaft und beschränkt sich auf einen
immer engeren Lebenskreis“ (24). Die Veränderungen bis zur Gegenwart werden skizziert.
Das geschieht sachlich, differenzierend für die einzelnen Gattungen, ohne romantische Senti-
mentalität. So wird dieser Prozeß nicht einfach als Niedergang, sondern als Übergang und
Entwicklung begriffen. „Die bäuerliche Volksdichtung ist in Ungarn fast gänzlich ge-
schwunden. Seit mehreren Jahrzehnten vermag sie sich nicht zu erneuern. Sie lebt noch
passiv in Erinnerungen weiter, die dichterische Aktivität des Bauerntums hat jedoch auf-
gehört bzw. sie ist auf andere Kunstgattungen übergegangen“ (25).
Manche der Thesen vor allem über ältere historische Schichten der ungarischen Volks-
poesie sind noch Hypothesen und bedürfen, wie der Verf. übrigens selbst betont, der
weiteren Prüfung, die vor allem auch mit dem Blick über die ungarische Überlieferung
hinaus zu geschehen hat. Trotzdem ist dieser historische Überblick über die ungarische
Volkspoesie, der hier zum ersten Male gegeben wird, besonders auch für die Volks-
dichtungsforschung jener Völker interessant, die in langer und vielfacher kultureller Be-
ziehung standen zum ungarischen Volk und dessen Dichtung, die in nicht geringem Maße
eine vermittelnde Rolle zwischen Ost und West, Nord und Süd in Europa gespielt hat.
Deshalb wird man diese „Skizze“, wie der Verf. seine Darstellung nennt, dankbar auf-
nehmen, eine Skizze, die auszufüllen lohnend erscheinen sollte.
Hermann Strobach, Berlin
Folktales of the World. Hg. von Richard M. Dorson.
Bd. 1 Folktales of Japan. Hg. von Keigo Seki. Chicago 1963. XXII, 221 S.
Bd. 2 Folktales of Isreal. Hg. von Dov Noy. Chicago 1963. XXIV, 221 S.
Bd. 3 Folktales of Norway. Hg. von R. Th. Christiansen. Chicago 1964. L, 284 S.
Bd. 4 Folktales of Hungary. Hg. von Linda Degh. Chicago 1965. LXVI, 381 S.
Während man seit langem gute Märchenausgaben aus der ganzen Welt in französischer
und deutscher Sprache lesen konnte, war das in englischer Sprache weniger möglich. Im
Lauf der Jahre ist wohl eine ungeheure Menge von Sammlungen erschienen, doch schwankte
Besprechungen
175
die Qualität zwischen dem streng Wissenschaftlichen, aber schwer Verständlichen, und
dem Volkstümlichen, aber wissenschaftlich nicht immer Vertretbaren.
Gegen diesen Hintergrund bedeutete der Beginn der Folktales of the World, die bereits
vier Bände umfassen, einen bedeutenden Fortschritt. Richard M. Dorson gebührt alle
Hochachtung für seine Initiative. Der englischsprachige Märchenforscher erhält mit dieser
Reihe eine Anfangsgrundlage für das Studium der Erzählüberlieferungen von fremden
Völkern, während der „general reader“ einen abwechslungsreichen und wissenschaftlich
verantwortlichen Lesestoff in geschmackvoller und angenehmer Ausstattung bekommt.
Abgesehen von kleinen Variationen ist die Gliederung der Bände gleichartig. Dorson
leitet selbst jeden Band mit einer Übersicht über die Märchenforschung in dem betreffenden
Land ein; es folgt dann die Darlegung des Stoffes durch den jeweiligen Herausgeber, in
den beiden ersten Bänden leider äußerst kurzgefaßt. Die Texte selbst werden in den drei
ersten Bänden mit einer Abhandlung über die Situation hinsichtlich Aufzeichnung und
Herausgabe sowie mit einem nicht sehr befriedigenden Versuch einer inhaltlichen, über-
lieferungs- und kulturhistorischen Charakteristik eingeleitet; im ungarischen Band sind die
Anmerkungen, die in bezug auf inhaltliche Interpretation sehr viel kompetenter zu sein
scheinen, den Zusammenhang mit den Überlieferungen anderer Länder aber ganz ignorie-
ren, am Schluß zusammengestellt. Jeder Band wird mit einer Bibliographie und verschiede-
nen Registern abgeschlossen.
Das dargelegte Material ist weniger gleichartig. Die einzelnen Herausgeber legten das
Gewicht auf recht verschiedene Stoffgruppen und ordneten sie unterschiedlich. Während der
japanische Band im großen und ganzen der Gliederung des internationalen Typenindex
folgt und daher alle Arten von „Märchen“ bringt, legt der jüdische das Hauptgewicht auf
Schwänke, tiefsinnige Anekdoten und Legenden; der norwegische Band enthält zum über-
wiegenden Teil Sagen — im Katalog des Herausgebers selbst (The Migratory Legends,
FFC 175) schon einigermaßen geordnet — und nur eine geringe Anzahl von Märchen;
schließlich enthält der ungarische Band fast alle Gattungen der Volkserzählkunst, jedoch
verhältnismäßig wenige „eigentliche“ Märchen, d. h. Zaubermärchen, weil die ungarischen
Aufzeichnungen dieses Genres durchweg zu umfangreich sind. Die Reihe bietet also nur
geringe Möglichkeiten, Vergleiche zwischen den Märchen der einzelnen Länder anzustellen,
Was sich aus dem Titel zunächst zu ergeben scheint und was bei den französischen und
deutschen Reihen auch durchaus möglich ist.
Angesichts der großen Breite der in die Bände aufgenommenen Stoffe und Formen kann
man sich fragen, was das Wort folktale eigentlich beinhaltet. In Christiansens Einleitung zum
norwegischen und in Deghs Einleitung zum ungarischen Band wird zwischen folktale und
legend unterschieden, ebenso wie man im Deutschen zwischen Märchen und Sage einen
Unterschied machen würde. Dagegen scheint Dorson folktale = oral narrative zu setzen,
Was äußerst bedenklich scheint. Können die besonderen Eigenschaften der Sagenüber-
lieferung: ihr nahes Verhältnis zum Volksglauben, ihr oft episodischer, variabler (man ist
versucht zu sagen: polymorpher) Charakter, ihr funktioneller Platz im Verhältnis zu dem
der Märchenüberlieferung, in den Augen des amerikanischen Folkloristen wirklich so
dahinschwinden, daß er sie unter „folktales“ einordnet? Man ist versucht, die Erklärung
darin zu sehen, daß die europäische Sagenüberlieferung es nur in geringem Grad vermocht
hat, in den USA Wurzeln zu fassen, daß also der amerikanische Folklorist von der Arbeit
in seinem eigenen Bereich her nicht die Notwendigkeit kennt, diese Genres auseinander-
zuhalten.
Wer, wie der Rez., mit japanischer, jüdischer und ungarischer Volksdichtung nicht ver-
traut ist, kann sich nicht auf eine detaillierte Beurteilung dieser Bände einlassen; es sei
jedoch betont, daß alle drei Bände von Forschern herausgegeben wurden, die selbst mitten
in der Sammelarbeit stehen und wissen, worüber sie schreiben. Die Texte sind im großen
und ganzen in neuester Zeit gesammelt und bisher in keiner westeuropäischen Sprache
erschienen. Besondere Aufmerksamkeit verdient Linda Deghs Einleitung zu dem ungari-
schen Band, die in übersichtlicher Form die Hauptzüge des bahnbrechenden Werkes der
Verf. Märchen, Erzähler und Erzählgemeinschaft wiederholt. — Die Herausgeber waren
bestrebt, typischen und repräsentativen Stoff auszuwählen, der jüdische Herausgeber sogar
176
Besprechungen
in der Hoffnung, „that the collection and preservation of oral Jewish folktales will lead to
a genuine Hebrew folk literature based on ancient traditions and characteristics of the entire
Jewish people“. Eine derartige Hoffnung hegt kaum irgendein anderer Märchenheraus-
geber. Im übrigen ist die Reihe angenehm frei von nationalistischen und politischen Ten-
denzen.
Der norwegische Band unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von den übrigen. In
Norwegen, wie überhaupt in Skandinavien, liegt die Hauptperiode der Märchen- und
Sagensammlung schon mehrere Generationen zurück; die alte Volksdichtung ist überall
in diesen Ländern praktisch ausgestorben, mit Ausnahme der Schwank-, Anekdoten- und
teilweise der Sagenüberlieferung, und es ist daher auch natürlich, daß die im vorliegenden
Band veröffentlichten Texte alle schon einmal in norwegischer Sprache gedruckt erschienen
sind. Von den siebzehn Märchen (bezeichnet mit dem eigenartigen Ausdruck fictional folk-
tales) stammen zwölf leider aus der 2. Ausgabe von Asbjörnsen u. Moe’s Norske Folkeeven-
tyr (1852), die seit langem ins Englische übersetzt sind und überhaupt nicht den heutigen
Anforderungen auf Zuverlässigkeit des Gesammelten gerecht werden. Von den Sagen
sind einige einer volkstümlichen norwegischen Auswahl Segner (= Norsk Folkediktning
III, x. 1939) entnommen, die quellenmäßig von geringem Wert ist, erstens wegen der sti-
listischen Bearbeitung und zweitens, weil verschiedene Variantenzüge einer Sage in mehre-
ren Fällen kombiniert wurden; so stammt Sage Nr. 5 der Folktales of Norway aus „Segner“
und nicht aus der dort angegebenen ursprünglichen Quelle, der nur in Hauptzügen gefolgt
wurde. Vom textkritischen Gesichtspunkt aus betrachtet, ist die Auswahl also zum Teil
zweifelhaft. — Die Übersetzung, die man hier im Unterschied zu den anderen Bänden über-
prüfen kann, ist nicht die allerbeste; zwar konnten Stichproben keine direkten Fehler auf-
decken, doch wurde der Stil der Aufzeichnungen, die schon vorher durch die unzulänglichen
Sammelverfahren älterer Zeiten gelitten haben, durch die Übersetzung weiterhin verwischt.
Vielleicht ist aber eine solche Nivellierung unvermeidlich; Metaphern, Allusionen, rhyth-
mische und alliterierende Ausdrücke lassen sich bekanntlich in einer Übersetzung selten
direkt wiedergeben. Andererseits liegt eine eigentliche Nachdichtung außerhalb des Plans
und des Ziels der Reihe; aber sogar derjenige, für den Englisch nicht Muttersprache ist,
muß ein Angleichen und Abschleifen feststellen, das die ursprünglichen und phantasie-
vollen Stileigenheiten verdeckt. Höchstwahrscheinlich gilt etwas Ähnliches für die anderen
Bände der Reihe, wie wohl überhaupt immer für die Übersetzung von folkloristischem Er-
zählgut, sofern sie nicht von einer Person mit Einsicht in diese besonderen Probleme aus-
geführt wird.
Einige Einzelheiten in Dorsons Vorwort zum norwegischen Band seien hier korrigiert:
Das S. V genannte landsmäl war nicht „peasant speech“ oder „native Speech“, sondern eine
im 19. Jh. auf der Grundlage von norwegischen Dialekten konstruierte Schriftsprache,
welche die dänische Sprache verdrängen sollte, die während einiger Jahrhunderte als Nor-
wegens Schriftsprache fungiert hatte. — Andreas Fayes Norske Sagn werden als „folktales“
bezeichnet; das ist irreführend, da es sich nur um Sagen handelt (vgl. oben). Die 2. Ausgabe
dieses Werkes heißt Norske Folke-Sagn. Aber „Folke-“, das keinen „mellow romanticism“
zu beinhalten braucht, ist älter als Fayes Werk, auch in Norwegen. Er hat nicht etwas
Neues geschaffen, sondern sich nach vorhandenem Sprachgebrauch eingerichtet. — Die S. VI
erwähnte „collection of populär songs in local dialect“, die er Jörgen Moe zuschreibt,
hat zwar ein Vorwort von diesem, ist aber von Mailing herausgegeben und enthält noch
weniger Folklorestoff als D. angibt — höchstens ein Zehntel. — S. VIII werden die Worte
„eventyr“ und „sagn“ unrichtig erklärt. Da sie für alle skandinavischen Sprachen gemein-
sam sind, kann es wohl angebracht sein, den Fehler zu berichtigen: Eventyr (aeventyri,
äventyr), von französisch aventure, hat zwei Bedeutungen: a) ungefähr wie im Französischen:
merkwürdiges Erlebnis oder Ereignis, Wagnis (vgl. deutsch Abenteuer) und b) genau wie
deutsch Märchen (nicht im neueren Schwedisch, das in dieser Bedeutung saga vorzieht),
jedoch weder die von „like folktale, (covering) all oral narrative“, noch die engere Be-
deutung von „Fairy tale“. Bei Asbjörnsen ist Huldre-Eventyr nicht gleichbedeutend mit
Elfenmärchen, sondern mit „Elfen-Abenteuer“, Erlebnisse mit übernatürlichen Wesen.
Von diesem Sprachgebrauch, bei dem man vielleicht nicht verlangen kann, daß D. mit
Besprechungen
177
ihm vertraut ist, ging man in letzter Zeit ab. In der Volkskundeforschung wird das Wort
jetzt nur in Bedeutung b angewendet, jedoch nicht in Schweden. — Sagn (segn, sägen,
sögn) ist nicht „derived from the German ,Sagen'“, sondern kommt schon im Alt-
isländischen in der Form sögn vor; dem deutschen Sage entspricht sprachgeschichtlich
das altisländische saga mit seinen differenzierten späteren Formen. D.’s Beitrag auf diesem
Gebiet verhindert ein wenig die Bestrebungen, eine genaue Terminologie zu entwickeln. —
Moltke Moes Tod wird mit 19x3 (XV) und mit 1905 (XVI) angegeben; das erste ist
richtig. Norsk Folkeminnesamling soll 1905 gegründet worden sein (XVI); es muß 1914
heißen.
Der norwegische Band erscheint im Wert geringer als die anderen, obwohl R. Th.
Christiansens Einleitung viele ausgezeichnete Details enthält. Seine Gesichtspunkte, oder
richtiger, seine Interessen unterscheiden sich von denen Linda Deghs, so daß kein Vergleich
gezogen werden kann. Die einleitenden Bemerkungen der beiden anderen Herausgeber
sind so kurz gefaßt, daß sie von den Bedingungen der Erzählüberlieferung in Japan und
Israel nur einen schwachen Eindruck vermitteln können.
Da sowohl die Einleitungen der Herausgeber-Autoren als auch der ausgewählte Stoff
recht unterschiedlich sind, wird man zu der Schlußfolgerung genötigt, daß die vier Bände
trotz der gemeinsamen Anlage im Äußeren und trotz der durchgehenden Methode in
Dorsons forschungsgeschichtlichen Einleitungen allzuwenig gemein haben, um die Grund-
lage für einen Vergleich zwischen den ,,folktale“-Überlieferungen der betreffenden Länder
zu bilden. Wenn hinsichtlich eines gemeinsamen Plans für künftige Bände keine höheren
Anforderungen gestellt werden, müssen die folktales of the World als Reihe vom wissen-
schaftlichen Gesichtspunkt als nicht ganz befriedigend bezeichnet werden, doch enthalten
die einzelnen Bände sehr wertvolles und lesenswertes Material.
Bengt Holbek, Kopenhagen
Deutsch-französisches Gespräch im Lichte der Märchen. Hg. von Ernst Kracht. Mün-
ster i. W., Aschendorff, 1964. 116 S. (— Schriften der Ges. zur Pflege des Märchengutes
der europäischen Völker 2).
In dem vorliegenden Band sind die Referate publiziert, die auf der zweiten Auslandstagung
der rührigen Gesellschaft zur Pflege des Märchengutes der europäischen Völker vom 17. —21.
10. 1963 in der Pariser Sorbonne gehalten wurden. Diese Tagung diente demselben Anliegen
wie die 1961 in der Reihe Begegnung der Völker im Märchen erschienene Edition Frankreich-
Deutschland: der Verständigung durch das Medium des Märchens. Das kommt besonders
in dem — als Einleitung gedruckten — Schlußwort von Maurice Boucher über das Märchen
in der Wirklichkeit zum Ausdruck. Seine Erörterung des demokratischen Gehalts der Volks-
märchen gipfelt in der an eine Parabel von der Versöhnung von Adler und Hahn geknüpften
Zuversicht: ,,Das Märchenhafte wird zur Wirklichkeit werden!“ (4). Auch in den fol-
genden Beiträgen klingt das „deutsch-französische Gespräch“ an. Marie-Louise Tenèze gibt
in ihrem Eröffnungsvortrag Introduction au conte merveilleux français — mit Blick auf die
Verhältnisse in Deutschland — eine souveräne Übersicht über die Geschichte, das Wesen
und die Erforschung des französischen Zaubermärchens. Leza Uffer stellt Wort- und Bilder-
reichtum im französischen und Wort- und Bilderarmut im deutschen Märchen einander gegen-
über. Gonthier Louis Fink behandelt das Problem Les avatars de Rumpelstilzchen und ver-
folgt die Überlieferung dieses auch in Deutschland verbreiteten Märchentyps in der fran-
zösischen Literatur des 12. —19. Jhs. Der Heilige Graal und seine Herkunft aus dem Märchen
wird von Willy Krogmann untersucht, der seine in der Formulierung des Themas bereits
ausgedrückte Hypothese auf bretonische und deutsche Varianten des Märchens vom Wasser
des Lebens stützt. Ariane de Félice zeigt in ihrem Beitrag Un type traditionnel dans une farce
française du moyen âge die Kontinuität der Überlieferung heiterer Stoffe und komischer
Typen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, wofür es in Deutschland zahlreiche Parallelen
gibt. Und eine Würdigung des gemeinsamen Lebenswerkes von Jacob und Wilhelm Grimm
12 Volkskunde
178
Besprechungen
durch Karl Schulte-Kemminghausen (f) geht von dem Verhältnis der Brüder zu Frankreich
aus. — Alles in allem ein Band, der manches Neue zu den Wechselbeziehungen zwischen dem
deutschen und französischen Märchen enthält und als ehrlicher Beitrag zur Völkerverstän-
digung gewertet werden darf.
Siegfried Neumann, Rostock
Ulrich Benzel, Volkserzählungen aus dem oberpfälzisch-böhmischen Grenzgebiet. Märchen
aus deutschen Landschaften. Unveröffentlichte Quellen. Münster Westf., Aschendorff,
1965. 194 S. (Im Aufträge der Gesellschaft zur Pflege des Märchengutes der europäi-
schen Völker, hg. v. K. Schulte-Kemminghausen f).
Die vorliegende Sammlung erfüllt mehrere Aufgaben. Sie bietet bisher unveröffentlichte
Varianten der traditionellen Volksüberlieferung, verzeichnet das Erzählgut der sudenten-
deutschen Umsiedler und klassifiziert das Material nach den internationalen Katalogen; da-
neben charakterisiert der Autor in der Einleitung den Lebenskreis der Erzählungen und die
historischen Bedingungen ihrer Heimatlandschaft. B. konzentriert sich auf das Studium der
guten Erzähler, unter denen der Landarbeiter Dionysos Ringeistetter aus Obermurach her-
vorragt. Bei ihm hat B. in 15 Jahren 236 Überlieferungen gesammelt. — Der zweite Erzähler
ist K. Sassmann, der auf der böhmischen Seite in Eisendorf (heute 2eleznä, Bez. Domazlice
[Taus]) in seiner Jugend von einer tschechischen Erzählerin — wahrscheinlich aus dem nahen
Chodenland — das Märchen über den Allesfresser (tsch. Budulinek) gehört hat, das B. in
seiner nahezu klassischen Gestalt publiziert; es wurde durch die Wirkung der Sassmann-
Familie im oberpfälzischen Grenzgebiet heimisch, und wir besitzen hier ein interessantes Bei-
spiel für die interethnische Migration tschechischer Stoffe in deutsches Erzählgut.
Obwohl die Sammlung nur das Erzählgut weniger Personen enthält, umfaßt dieses doch
verschiedenartige Genres der Volksüberlieferung: dämonologische Sagen, Legenden und
Ortssagen, Tier-, Zauber- und Lügenmärchen, historische Anekdoten, Schwänke vom Teufel,
von Geistlichen und Ehepaaren, von Bauer und Knecht, Eulenspiegelschwänke, Schild-
bürgerstreiche der Hirschauer, Jagdgeschichten usw.
Unter den verschiedenen Stoffen lassen sich viele Parallelen mit dem Erzählgut der be-
nachbarten tchechischen Bevölkerung finden; es handelt sich einmal um internationale, zum
anderen um Stoffe von zwar allgemeinem Charakter, aber mit örtlicher Spezifik. Häufige
Parallelen zeigen sich in den dämonologischen Überlieferungen, z. B. über die wilde Jagd,
über den Hehmann (dialekt. Hoymann, tsch. hajmon), über Feuermänner und Irrlichter,
über den Bilwsischnitter (tsch.-chod. praznec oder svatojänckyj znec), über Schätze, Truden
und Hexen. Unter den Legenden finden sich zwei über Christus und Petrus, die auch im Cho-
denlande bekannt sind (Schwämme, Der Faule und die Fleißige). Es ist m. E. bedauerlich,
daß der Autor diese typischen Volkslegenden in verschiedene Abteilungen des Buches ein-
reiht, so z. B. befinden sich die auch im Chodenland bekannte Erzählung über Christus und
Petrus als Drescher unter den Schwänken. Auf interethnische Beziehungen weist auch die
Überlieferung Der Sirowitz, ebenso die international verbreiteten Stoffe Der Teufel im
Schraubstock und der Stoff vom erzürnten Prediger.
Über die böhmischen Parallelen der Schildbürgergeschichten muß hier nicht gesprochen
werden. Eine Frage erhebt sich allerdings, welches Hirschau eigentlich gemeint ist: Der Ort
Hirschau im Neumarkter Pass in Böhmen oder Hirschau in der Oberpfalz? Diese Frage
kann auch der Autor nicht beantworten; aber leider kennt er auch nicht die ältere deutsche
Literatur aus Böhmen, in diesem Falle vor allem die Hirschauerstücklein von R. Kubitschek
sowie die von H. Micko in Deutsche Heimat publizierten Nachrichten. Es überrascht, daß
B. — von den tschechischen abgesehen — auch weitere deutsche Autoren, wie G. Jungbauer,
J. Blau, M. Urban, H. Kolibabe, nicht erwähnt.
Die Texte werden vorwiegend im Ortsdialekt publiziert, und zwar in phonetischer Um-
schrift. Jeder Nummer ist eine kurze Schilderung des Erzählers beigefügt, einige Male mit
sich wiederholenden Daten. Ferner steht bei jedem die Nummer des Typenverzeichnisses
179
Besprechungen
nach Aarne — Thompson. Am Schluß des Buches finden sich Anmerkungen, ein Wörter-
und ein Literaturverzeichnis.
B.s Sammlung kann als eine gute Edition von Volksprosa bezeichnet werden, die durch
ihre Thematik und Methodik viele — nicht nur deutsche — Interessenten finden wird. Vom
Standpunkt des tschechischen Lesers möchte ich sagen, daß ich kein Zeichen von Revanchis-
mus in diesem Buch gefunden habe, was sonst leider häufig in ähnlichen Publikationen mit
sudetendeutschem Erzählgut festzustellen ist.
Jaroslav KramarIk, Prag
Lutz Röhrich, Märchen und Wirklichkeit, 2. erw. Aufl. Wiesbaden, Franz Steiner Verlag
GmbH, 1964. 320 S.
Es spricht fast immer für ein wissenschaftliches Buch, wenn es schon nach einigen Jahren
eine zweite Auflage erreicht. R.s gründliche und materialreiche Analyse gilt einem zentralen
Problem nicht nur der Märchen-, sondern der Volksdichtungsforschung überhaupt. Und
sie behandelt es weit ausgreifend, der Vielschichtigkeit ebenso wie der historischen Bedingt-
heit des Wirklichkeitsbezuges gerechtwerdend und auch alle anderen Gattungen der
Volksdichtung in die grundsätzlichen Erörterungen einbeziehend. Wesentliche Ergebnisse
für die volkskundliche wie literaturwissenschaftliche Märchenforschung und zahlreiche
weiterführende Anregungen auch für die Beschäftigung mit der Volksprosa überhaupt und
dem Volkslied machten so das Buch für viele interessant.
Die erste Auflage ist hier ausführlich besprochen worden (DJbfVk 4, 1958, 237 — 238).
In der zweiten sind zu dem im übrigen unveränderten Text zwei neue Abschnitte hinzu-
gekommen.
In dem Kapitel über die Berührungen und Abgrenzung der verschiedenen Gattungen
untersucht R. nun Märchen mit schlechtem Ausgang und gelangt dadurch zu einer historischen
Relativierung der Gattungsbestimmung des Märchens als einer Glückserzählung: Die Er-
zählungen der Naturvölker, aber auch europäische Sammlungen von Volkserzählungen, die
nicht dichterisch überformt sind, zeigen, daß der glückhafte Abschluß nicht als ursprüng-
liches Gattungsmerkmal des Märchens anzusprechen ist. Das Glücksmärchen als Gattungs-
typ ist erst Ergebnis einer kulturgeschichtlichen Entwicklung, die den Glaubens- und Wirk-
lichkeitscharakter des Märchens auf löste.
Von der Wirklichkeitsbeziehung zur Gegenwart aus und der Wirkung hier wird im all-
gemeinen die häufig diskutierte Grausamkeit im Märchen beurteilt. R. unterscheidet klar
zwischen der pädagogischen und der wissenschaftlichen Fragestellung und untersucht als
Abschluß seines Kapitels Das Märchen und die Wirklichkeit des magischen Weltbildes die
Märchengrausamkeit in ihren kulturhistorischen Wurzeln und Wirklichkeitsentsprechungen
— auch hier konsequent der in seinem Buch vorherrschenden historischen Blickrichtung
folgend. Es ist erstaunlich, wie viele der heute abstoßend wirkenden Märchenmotive sich
nicht nur als Survivals frühzeitlich-magischer Glaubensvorstellungen, sondern auch frü-
herer historischer Rechtswirklichkeit erklären. Sie seien in ihrer Zeit nicht als grausam emp-
funden worden. Indes überzeugen die psychologischen Interpretationen nicht ganz. Das
pädagogische Fragezeichen bleibt, denn auch die nicht bewußt, d. h. subjektiv als Grausam-
keit ausgeübte Tortur — soweit es das gibt — ist objektiv grausam, oder historisch ge-
sehen : wenn grausame Rechtsstrafen in ihrer Zeit nicht als grausam empfunden worden sein
sollten, dann liegt eben gerade im Bewußtwerden und Bewußtmachen der Grausamkeit als
solcher die Möglichkeit sittlicher Entwicklung.
Eine wertvolle Erweiterung stellt auch das neu erarbeitete, in seinem verdreifachten Um-
fang viel differenziertere Namen- und Sachregister dar.
Hermann Strobach, Berlin
12*
180
Besprechungen
Fränkische Sagen — Vom 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Hg. von Josef Dünninger.
2. durchg. Aufl. Freunde der Plassenburg E. V. Kulmbach, 1964. 183 S., 13 Abb.
(= Die Plassenburg. Schriften f. Heimatforschung u. Kulturpflege in Ostfranken 21).
D. legt eine Sammlung vor, die nach ihrem textkritischen und sagengeschichtlichen Wert
in die Reihe der bedeutenden literarisch-folkloristischen Forschungen der jüngsten Zeit
gehört. (Vgl. Lutz Röhrich, Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in
Literatur und Volksdichtung, 1962; Elfriede Moser-Rath, Predigtmärlein der Barockzeit, 1964.)
Die Texte wählte D. aus Städtechroniken, Flugblättern, wissenschaftlichen Traktaten, Reisebe-
schreibungen, Handschriften und ähnlichen Quellen. Ganz bewußt schließt diese Dokumenta-
tion mit dem Ende des 18. Jhs ab, nämlich vor dem Beginn der durch die Interessen und litera-
rischen Beispiele der Romantiker in Deutschland angeregten zahlreichen Sagenaufzeichnungen
und-Sammlungen. Daß selbst solch bahnbrechende Ausgaben wie die der Brüder Grimm nicht
frei waren von schriftstellerischer Bearbeitung der Originale (ganz besonders bei den Chro-
nikberichten), ist eine der Forschung bekannte Tatsache und immer erneute Crux — und
ein Grund mehr für D.s philologisch originalgetreue Textwidergabe.
Nicht alle der hier aufgenommenen Sagen sind als „reine“ folkloristische Gebilde zu be-
zeichnen. Oftmals handelt es sich um zeitgenössische Bearbeitungen durch den Chronisten
oder Wissenschaftler, häufig um exemplarische Erfindungen für kirchendidaktische Zwecke
o. ä. Alle Erzählungen jedoch — und um solche handelt es sich in jedem Fall — sind an
Motive und traditionelle volkspoetische Elemente gebunden, die bis heute die mündliche
Sagenüberlieferung im wesentlichen tragen. Der Forschung ist es an Hand dieser Textsamm-
lung möglich, für viele der im 19./20. Jh. in breiter Variation aufgezeichneten Motive und
Sagentypen bis in ihre historische Frühzeit, vielleicht bis zu den Quellen, vorzudringen.
Solch frühe Belege sind z. B. Nr. 2 und 69 (Weisende Tiere), Nr. 22 {Wiederganger), Nr. 46
(Die kühne Magd geht nachts in die Kirche) usw. Es läßt sich ferner an Hand der Texte — be-
sonders aber an den quellenkritischen Anmerkungen — das Wechselspiel zwischen schrift-
licher Fixierung und folkloristischer Überlieferung verfolgen, das, wie bei aller Volksdich-
tung, wohl nie eine eindeutige Trennung zwischen literarischer und mündlicher Tradierung
zuläßt.
Einen besonderen Wert gewinnen die Anmerkungen des Bandes durch die Meinungen und
Stellungnahmen der jeweiligen Schriftsteller zu den von ihnen zitierten Sagenerzählungen,
die D. nach Quellenangaben, zeitgenössischen Varianten, kurzen Lebensdaten der Gewährs-
leute und historischen Anmerkungen abdruckt (z. T. gehören die subjektiven Bemerkungen
der Gewährsleute auch bereits zum Kontext der Sage). Er stellt an Hand derartiger Kommen-
tare zwei rational-progressive Einbrüche fest (vgl. u. a. Anm. 15 u. 20), die um die Zeit der
Reformation und den Beginn der Aufklärung in Deutschland kulminieren. Die historisch-
kritische Methode D.s verleiht der Ausgabe recht eigentlich den Charakter eines Beitrages
zur Geschichte der Sage und der Sagenforschung, indem sie neben der philologischen Quel-
lendokumentation den wissenschaftlichen und philosophischen Standpunkt der jeweiligen
historischen Epoche gegenüber abergläubischer Überlieferung und kirchlichem Wunder-
glauben exakt belegt.
Gisela Burde-Schneidewind, Berlin
Volkserzählungen von der Insel Fehmarn. Gesammelt und erläutert von Peter Wiepert.
Mit Anmerkungen von Kurt Ranke. Neumünster, Karl Wachholtz Verlag, 1964.
160 S. (= Niederdt. Denkmäler hg. vom Verein f. niederdt. Sprachforschung 10).
Bei den Bänden 1—9 der Niederdeutschen Denkmäler handelt es sich ausschließlich um die
Publikation literarischer Zeugnisse aus älteren Sprachepochen. Mit dem vorliegenden
Bd. 10 dagegen erhalten wir sprachwissenschaftlich und folkloristisch gleichermaßen inter-
essantes Material aus der unmittelbaren Gegenwart.
Sechzig Jahre lang hat W. die Erzählüberlieferungen seiner Heimatinsel Fehmarn in
Wanderungen von Dorf zu Dorf aufgezeichnet, bis er sie nun — in der plattdeutschen Ori-
Besprechungen
181
ginalmundart, stilistisch leicht bearbeitet — unter Mithilfe von Gerhard Cordes und Kurt
Ranke veröffentlichen konnte.
Der Sammler sagt in seiner plattdeutsch verfaßten Einleitung, daß er die 192 „Sagen“
bunt durcheinander geschrieben habe; Stoffe aus den Dörfern, den Bauernhöfen, von den
Küsten und der Seefahrt wechseln sich ab. Der Band enthält jedoch auch ca. xo Märchen und
eine ziemlich große Anzahl Schwänke. Obgleich W. die Reihenfolge der Erzählungen nach
den Aufzeichnungsorten bestimmt zu haben scheint (es wiederholen sich besonders einige
Sagen abergläubischen Inhalts an verschiedenen Stellen des Buches), ist andererseits auch eine
gewisse stoffliche Gliederung festzustellen, die vielleicht vom Herausgeber oder vom Kom-
mentator vorgenommen wurde: Die Ausgabe beginnt mit Sagen über die Herkunft der Ein-
wohner Fehmarns, über die frühe Geschichte der Insel und über einzelne Personen; sie endet
mit einer Häufung von Schwänken, — so daß bei der Herstellung des Bandes augenschein-
lich nach zwei Ordnungsprinzipien verfahren wurde.
Mit Bedauern muß der Folklorist feststellen, daß sich W. lediglich um die Wiedergabe der
Erzählungen selbst bemüht hat, dem Träger des Erzählgutes, dem Erzähler oder einer —
zu Beginn seiner Sammelreisen bestimmt noch lebendigen — Erzählgemeinschaft jedoch
keine Aufmerksamkeit widmete: Es fehlen bei den Texten und in den Anmerkungen jegliche
Hinweise auf die Gewährsleute, die Zeit der Aufzeichnung, den Aufzeichnungsort usw. Das
ist einerseits verständlich bei einer Publikation innerhalb dieser sprachwissenschaftlichen
Reihe; das Festhalten bzw. die Veröffentlichung derartiger, für die volkskundliche Forschung
wichtiger Fakten hätte aber andererseits von K. Ranke, der jahrelang mit W. an der Volks-
kunde Schleswig-Holsteins zusammenarbeitete (s. das Vorwort), angeregt werden sollen.
Die Anmerkungen bringen in der Hauptsache Angaben über Alter und Verbreitung
von Sagen- bzw. lokalisierten Märchen- und Schwankmotiven sowie der Erzählungstypen,
vorwiegend aus Norddeutschland, aber auch aus der Weltliteratur, ferner sagenkundliche
Erläuterungen von Namen und Termini und Hinweise auf AT, BP und HdA .— Bei den
norddeutschen Quellen fehlen Vergleiche mit Wossidlo-Neumann, Volksschwänke aus
Mecklenburg, deren 1. Aufl. 1963, also ein Jahr vor Wieperts Sammlung, erschien (vgl. u. a.
Anm. zu Wiepert 178: Die von R. erwähnte „hübsche Fassung aus Dithmarschen“ findet
sich auch bei Neumann unter 242; zu W. 157 (AT 1456) eine ganz ähnliche Variante bei N.
433 ; W. 130 (AT 1574*) siehe N. 50). Wossidlo und Wossidlo/Henßen werden dagegen mehr-
mals zitiert. — Rez. vermißt außerdem Anmerkungen zu einigen Sagen über Rechtsbräuche
und Rechtsverstöße, z. B. 120: Op Petersdörper Dingsteen; 160: De Preester un de Scharp-
richter; 180: Armsündersteen.
Viele der Texte treffen wir auch in den Publikationen Müllenhoffs, Wissers und Meyers
an; jedoch vermittelt die auf eine Insellandschaft konzentrierte Sammlung Wieperts ein weit
eindringlicheres Bild von der schöpferischen Leistung der Erzähler bei der Lokalisierung,
der Tradierung und der Variantenbildung des zum Teil internationalen Erzählgutes.
Gisela Burde-Schneidewind, Berlin
The Frank C. Brown Collection of North Carolina Folklore. General editor Newman Ivey
White, Paull F. Baum; wood engravings by Clare Leighton. Bd. 1—7. Durham,
North Carolina, Duke University Press, 1952 —1963.
Bd. 2 Folk ballads from North Carolina. Hg. von Henry M. Belden und Arthur Palmer
Hudson. 1952. XXVI, 748 S.
Bd. 3 Folk songs from North Carolina. Hg. von Henry M. Belden und Arthur Palmer
Hudson. 1952. XXXII, 710 S.
Bd. 4 The music of the ballads. Hg. von Jan Philip Schinhan. 1957. XLIV, 420 S.
Bd. 5 The music of the folk songs. Hg. von Jan Philip Schinhan. 1962. XLII, 640 S.
Das siebenteilige Werk, von dessen umfangreichen Bänden hier vier besprochen werden
sollen, bildet die größte folkloristische Regionalausgabe, die die rege Forschung in den U SA
hervorgebracht hat. Das immense Material stammt aus dem ethnisch sehr bunten Nord-
182
Besprechungen
karolina an der atlantischen Küste und wurde im wesentlichen von nur einem Sammler,
Dr. Frank C. Brown, in drei Jahrzehnten zusammengetragen. In Virginia geboren, wurde
Brown 1909 als Professor für Anglistik an die Universität von Durham in Nordkarolina be-
rufen. Neben seiner Universitätstätigkeit begann er bald im Zuge der allgemeinen Sammel-
aktivität nach der Jahrhundertwende mit eigenen Aufzeichnungen aller Arten und Genres
der Volksdichtung in Nordkarolina. Schon 1913 gründete er — charakteristisch für diese
Zeit — die North Carolina Folklore Society, mit der er sich weitgehend identifizierte. Nicht
sehr viel später wurde die Veröffentlichung seiner Sammlung in einem kleinen Bändchen
geplant. Weitere, umfassendere Publikationspläne folgten, ohne jedoch verwirklicht werden
zu können. Auch den letzten, endlich gelungenen Publikationsversuch sollte der unermüdliche
und gewissenhafte Sammler, der 1943 starb, nur in der Vorbereitungsphase miterleben.
Selbst der von Brown ausersehene Hauptherausgeber seines Werkes, N. I. White, konnte
nur noch die Vorrede zum ersten Band unterzeichnen, den eine Gruppe von hervorragenden
Folkloristen schließlich 1952 herausgab. Wayland D. Hand beendete 1963 die Serie mit der
Veröffentlichung der Bände 6 — 7 (Superstitions) und erhielt für seine Leistung 1965 in Pa-
lermo den 4. Giuseppe Pitr£-Preis. Dazwischen erschienen die oben angeführten Volkslied-
bände, die von H. M. Beiden, A. P. Hudson und dem in Europa geborenen und geschulten
J. P. Schinhan herausgegeben wurden.
Die gesamte Brown-Sammlung, die zu 95% aus Nordkarolina stammt und in der fast alle
Bereiche der geistigen Volkskultur vertreten sind, umfaßt 38000 Mitteilungen, die von 556
namentlich bekannten und vielen anonymen Gewährsleuten erfragt wurden. An Volksliedern,
für die Brown eine besondere Vorliebe besaß, liegen 3741 Aufzeichnungen von 667 Sängern
vor. In den Einleitungen zu den einzelnen Bänden berichten die Herausgeber ausführlich
über die enormen Schwierigkeiten, die von der Sammlung des Materials bis zur Druck-
legung zu überwinden waren. Die große, editorisch zu bewältigende Stoffmenge und andere
erschwerende Arbeitsbedingungen zwangen z. B. die Herausgeber der Volksliedbände dazu,
Texte und Melodien der Lieder getrennt zu publizieren. So sind die Texte und Melodien der
Balladen im 2. und 4., die der übrigen Volkslieder im 3. und 5. Band abgedruckt. Dieses un-
gewohnte Editionsverfahren erschwert die Benutzung des Werkes außerordentlich, zumal
auch eine lückenlose Verzahnung zwischen den einzelnen Teilen auf Grund des zeitlichen
Nacheinander der beiden Editionsprozesse nicht vollständig erreicht werden konnte. So
bringt z. B. Schinhan im 5.Band Melodien, derenTexte den Herausgebern vom 3.Band noch
unbekannt waren. Auch liefert er einige Nachträge zum 1. Band. Angesichts des bedeutenden
Wertes, den das publizierte Material für die folkloristische Forschung besitzt, sind diese Dis-
krepanzen und Nachteile aber wohl in Kauf zu nehmen.
Die Aufteilung in „Ballads“ und „Folk songs“ entspricht der von Erzählliedern und nicht
erzählenden Liedern. Der 2. den Balladen gewidmete Band umfaßt 207 ältere Balladen (zu-
meist britischer Herkunft), 79 „native American ballads“ und 38 „North Carolina ballads“
(darunter vier Liedfragmente, die die Lokalgeschichte vor 1771 betreffen). Vom Gesamt-
bestand finden sich etwa 50, z. T. sehr seltene Typen auch in der klassischen Balladenausgabe
von F. J. Child. Sie bilden den Anfang des 2. Bandes und wurden auch nach Child an-
geordnet. Der 3. Band enthält 658 nicht erzählende Lieder folgender Arten und Gattungen:
courting songs; drink and gambling songs; homiletic songs; play-party and dance songs; lul-
labies and nursery rhymes; jingles about animals; work songs; folk lyric; satirical songs; songs
of prisoners and tramps; martial, political and patriotic songs; blackface minstrel and negro
secular songs; religious songs.
Die meisten Lieder werden in mehreren Varianten mitgeteilt. Gekürzte oder sogar aus-
gelassene Textvarianten sind mit zusätzlichen Buchstaben bezeichnet, um einen Überblick
zu gewährleisten und die Verbindung zur Melodienausgabe herzustellen. Für jede Aufzeich-
nung bringen die Herausgeber Angaben über deren Provenienz, und für jeden Typ werden
in einer „head note“, die sich bei seltenen amerikanischen Liedtypen oft über mehrere Seiten
erstreckt, Parallelen in anderen Sammlungen nachgewiesen und eine allgemeine Kommen-
tierung gegeben. Einleitende Ausführungen zu den obengenannten Liedgruppen ergänzen
die Anmerkungen und Kommentare, die allerdings im wesentlichen nur amerikanische
Quellen und Publikationen in die Betrachtung einbeziehen.
183
Besprechungen
Die beiden Textherausgeber hatten übrigens bei ihrer Arbeit nicht so große Anfangs-
schwierigkeiten zu überwinden wie der Herausgeber der Melodien. Schinhan fand nämlich
nur einen kleinen Teil der insgesamt 1268 Melodien bereits im Manuskript vor, während er
die übrigen erst von sehr schlechten Tonaufnahmen transkribieren mußte. Bemerkenswert
bleibt jedoch, daß Brown für fast 700 Texttypen eine oder mehrere Weisen auf zeichnen
konnte. Die Anordnung der Melodien richtet sich nach der Gliederung und den Lied-
nummern der Textbände. Zusätzlich erfolgt eine fortlaufende Numerierung der Melodien
in jedem Musikband. In der Regel werden die Melodien mit der ersten Textstrophe abge-
druckt. Außer kurzen Quellennachweisen fügt Schinhan noch Angaben über den formalen
Aufbau (Zeilen und Takte), die Tonalstruktur und den Zentralton der Melodien hinzu und
gibt Hinweise auf verwandte Weisen in anderen Sammlungen. Im Anhang zum 5. Band
werden zusammenfassend die statistischen Ergebnisse der musikalischen Analyse sämtlicher
Melodien in Tabellen mitgeteilt. In Appendix A verzeichnet Schinhan die Häufigkeit von
einzelnen Strukturmerkmalen wie z. B. Tonalstruktur, Ambitus, auf- oder volltaktiger Be-
ginn, Initialton, Initialbewegung (auf- oder absteigend, Intervall), Finalton, Schlußklausel,
formaler Aufbau usw. Da die Nummern der Melodien nicht angeführt werden, sind die
Analyseergebnisse nicht zu überprüfen. Sie bieten für weitere Untersuchungen daher auch
nur Anhaltspunkte. In Appendix B hat Schinhan den Tonvorrat jeder Melodie angegeben,
leider in Originaltonhöhe, so daß ein Vergleich äußerst schwierig ist. Die darunter stehenden
Zahlen veranschaulichen das Längen- oder Dauern Verhältnis jeder einzelnen Stufe (unter
Zugrundelegung eines Sechzehntels als Zähleinheit). Durch die Verwendung von tonalen
Strukturformeln, wie sie in der Musikethnologie gebräuchlich sind, wobei die Bedeutung
der einzelnen Stufen durch verschiedene Notenwerte ausgedrückt werden, hätte sich ein
übersichtlicheres Bild ergeben. — Sorgfältig gearbeitete Register für Liedanfänge, Lied-
titel und Sänger erleichtern die Benutzung der Bände wesentlich.
Schon als regional begrenzte Materialsammlung einzig dastehend, gewinnt die Ausgabe
darüber hinaus durch ihre Anmerkungen weiterreichende Bedeutung für das Verständnis
des gesamten nordamerikanischen Volksliedes.
Erik Dal, Kopenhagen
Doris Stockmann, Wilfried Fiedler, Erich Stockmann, Albanische Volksmusik. Bd. 1
Gesänge der Qamen. Berlin, Akademie-Verlag, 1965. 302 S., 1 Karte (= Veröff. des
Inst. f. dt. Vk. 36).
Albanien blieb von der Volksmusikforschung lange Zeit fast unbeachtet. Dies über-
rascht um so mehr, als die Volksmusik des Balkans im europäischen Raum zu den am besten
erforschten Kulturphänomenen gehört. So war die Volksmusik Bulgariens, Jugoslawiens
und Rumäniens schon vom Ende des 19. Jhs an Gegenstand intensiver Forschungsarbeit.
Lediglich die griechische Volksmusik fand nicht ein gleich starkes Interesse. Vor allem in den
letzten Jahrzehnten rückte die eigene, national orientierte Forschung in diesen Ländern, für
die jetzt auch günstigere institutionelle Grundlagen geschaffen wurden, in das Blickfeld der
internationalen Volksmusikforschung. Beide gingen Hand in Hand vor, sich gegenseitig
ergänzend und befruchtend.
Ähnlich vollzog sich in jüngerer Zeit die Entwicklung in Albanien. Eine eingehendere
Untersuchung der Volksliedtexte wurde in den 30er Jahren eingeleitet, die ersten Volks-
musikaufzeichnungen konnten im nächsten Jahrzehnt vorgelegt werden. Ihnen folgten die
ersten Abhandlungen von Ramadan Sokoli über musikethnologische Probleme Albaniens.
Die Forschung begann also mi t einem Rückstand von mindestens 30—40 Jahren. Ihre zunächst
noch geringen Ergebnisse zeigten aber schon, daß gerade Albanien eines der interessantesten
Gebiete der balkanischen Volksmusik darstellt. Ein wesentlicher Grund hierfür waren die in
Südalbanien vorkommenden vokalen Mehrstimmigkeitsformen. Auf archaische Formen der
europäischen Mehrstimmigkeit und im besonderen auf die stilistischen Verbindungen zwischen
der mittelalterlichen Mehrstimmigkeit Westeuropas und den mehrstimmigen Gesängen des
Kaukasus hatten schon früher nachdrücklich Marius Schneider und auch Ernst Emsheimer
184
Besprechungen
hingewiesen. Diese Probleme werden seitdem im Hinblick auf Genetik und Entwicklung
der europäischen Mehrstimmigkeit immer wieder diskutiert. Die Entdeckung ähnlicher
Mehrstimmigkeitsformen in Albanien war in diesem Zusammenhang überraschend und
sensationell und wurde für die Initiative von Erich Stockmann entscheidend, der eine ge-
meinsame albanisch-deutsche Sammelexpedition in die Wege leitete. Diese wurde 1957
in Südalbanien im Siedlungsgebiet der Tosken, Laben und ^amen durchgeführt und konnte
im Laufe von drei Monaten 620 Tonbandaufnahmen einbringen. Außer dem Initiator der
Expedition beteiligten sich an der Sammlung von deutscher Seite die Mitarbeiter des Insti-
tuts für deutsche Volkskunde der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin Wilfried
Fiedler und Johannes Kyritz und von albanischer Seite Albert Paparisto und Ramadan So-
koli. Im einleitenden Kapitel des vorliegenden Buches berichtet Erich Stockmann nach
einem Rückblick auf die bisherige Erforschung der albanischen Volksmusik über Ziele,
Aufgaben, Methoden und technische Hilfsmittel der Expedition und gibt ein plastisches
Bild von der kulturhistorischen, sozialen und ethnischen Situation des Sammelgebietes.
Die Veröffentlichung des gesamten Sammelmaterials wird in 4—6 Bänden erfolgen. Der
vorliegende erste Band umfaßt die Untersuchung und Edition der Gesänge der (jiamen.
Er gliedert sich in zwei Teile (Musik und Texte). Als Autorin des ersten Teiles zeichnet Doris
Stockmann, als Autor des zweiten Wilfried Fiedler. Die gesonderte Bearbeitung des Ma-
terials wurde gewählt, um jede der beiden Komponenten gründlicher und eingehender ana-
lysieren zu können. Beide Teile umfassen jeweils eine einleitende Studie über das vor-
gelegte Material, Anmerkungen zu den einzelnen Nummern und das Material selbst (Texte
und Melodien gesondert, wobei unter den transkribierten Melodien der gesungene Text an-
geführt wird). Das gesamte bei den tarnen gesammelte und hier veröffentlichte Material
besteht aus 30 Liedern, aufgezeichnet in drei Dörfern (Fier, Babice und Skele). Der Umfang
des Materials reicht somit nicht aus, um eine allgemeine Charakteristik der gamischen
Gesänge zu ermöglichen, was von der Verf. ausdrücklich betont wird. Dadurch wurde auch
die Zweckmäßigkeit einer musikalischen Systematisierung des Materials ebenso wie eine
breiter angelegte Vergleichung in Frage gestellt. Diese beiden Umstände waren für die
Arbeitsweise der Autoren bestimmend, z. B. für die Anordnung des Liedmaterials nach
Aufnahmeorten und im Rahmen dieser Ordnung nach Männer- und Frauenliedern. Bei der
Untersuchung wurde das Schwergewicht weniger auf Zusammenfassung, allgemeine Cha-
rakteristik und musikstilistische Typologie gelegt, als auf die Detailanalyse, die als minutiöse
analytische Darstellung der einzelnen Lieder zu verstehen ist. Doch gelingt es der Verf., auch
auf diese Weise ein plastisches Bild von den in den gamischen Gesängen angewandten musik-
stilistischen Mitteln zu entwerfen.
In den allgemeinen Vorbemerkungen konzentriert sich die Verf. auf folgende Fragen:
1. Probleme und Methoden der Transkription, 2. Editionsbemerkungen und Zeichenerklärun-
gen, 3. Terminologie. — Die Transkriptionsfragen werden auf Grund der bisherigen For-
schung behandelt, aber durch die korrekten und klar dargestellten Prinzipien und Arbeits-
verfahren, die die Verf. durch langjährige intensive Beschäftigung mit den Notierungs-
problemen bei albanischen Volksliedern gewonnen hat, ergänzt. Der Abschnitt Editions-
bemerkungen und Zeichenerklärung bringt eine Erläuterung und Begründung der dia-
kritischen Zeichen und allgemeinen Editionsprinzipien mit dem Ergebnis eines in vielen
Punkten konsequent durchdachten graphischen Notierungssystems, das auf den bisherigen
Notationsmitteln fußt, diese jedoch teilweise modifiziert, ergänzt und weiterentwickelt.
Der Komplex der terminologischen Fragen wird nur in einigen, für die Analyse wesent-
lichen Gesichtspunkten behandelt. Hier werden vor allem nützliche und informative Er-
läuterungen für den Leser gegeben. Besondere Aufmerksamkeit wird den Fragen der Form-
und der Rhythmus-Analyse geschenkt; letztere wird in einer gut durchdachten schemati-
schen Tabelle (39) zusammengefaßt.
Die musikalischen Transkriptionen selbst lassen kaum etwas zu wünschen übrig, obwohl
wir es bei den albanischen Gesängen mit einer der kompliziertesten volkstümlichen Mehr-
stimmigkeitsformen zu tun haben. Diese bezieht sich vor allem auf die acht dreistimmigen
Männerlieder, deren rhythmische Ungebundenheit in den Solostimmen mit ihrem steten
Ineinandergreifen außergewöhnlich hohe Ansprüche an Gehörswahrnehmung und auditive
,nrtw*tw*i9)i\9iWYl!AT4SUSMVto'*\\XHkT
Besprechungen 185
Analyse wie deren graphische Umwandlung stellt. Die Strukturierung von Rhythmus, Takt,
Tempo und zeitlichem Ablauf der Lieder bleibt, selbst in den kompliziertesten musikalischen
Erscheinungsformen graphisch immer klar, übersichtlich und logisch. Dies bezieht sich so-
wohl auf die schwierig differenzierbaren Überschneidungslinien der Solisten als auch auf
simultane, heterophonisch angelegte Intervallreibungen. In den letzteren ist es am schwierig-
sten, die unausgeprägten Übergänge zwischen unbewußt heterophonen und bewußt aus-
einandergehaltenen Linien zu erkennen. Dies alles findet seinen adäquaten Niederschlag an
der Intonationsrauheit der benutzten Ton- bzw. Intervallfolgen und ist wohl am besten in
den Frauenliedern zu beobachten (z. B. Nrn 6, 13, 23). Die angeführten Schwierigkeiten
werden durch die reiche Melismatik bzw. Ornamentik des Vortrags wesentlich erhöht. Es
muß an dieser Stelle gesagt werden, daß es vor dieser Ausgabe kaum einem Musikethnologen
gelungen ist, schon gar keinem, der nicht direkt vom Balkan stammt, solche gründlichen
und erschöpfenden Transkriptionen vorzulegen (abgesehen von Bartök, der diesen Phä-
nomenen von Hause aus doch sehr nahe stand). Diese Ausgabe gehört in musikalischer Hin-
sicht zu den bestfixierten Notationen, die für die balkanische Volksmusik überhaupt vor-
liegen. Einer ihrer größten Vorzüge besteht darin, daß sie nicht strophische oder durch
Zeilen dimensionierte Aufzeichnungen vorlegt, sondern daß diese im Grunde die Gesamt-
struktur der Lieder wiedergeben und so einen Einblick in den Entstehungs- bzw. Varia-
tionsprozeß der Lieder ermöglichen.
Einen organischen Teil der Aufzeichnungen bilden die Anmerkungen zu den Transkrip-
tionen, denn sie enthalten nicht, wie sonst üblich, vergleichende Angaben, historisch-kri-
tische Kommentare, sondern sie geben weitere wichtige Daten zu den Transkriptionen bzw.
zu den Tonaufnahmen, auf Grund deren die Transkriptionen hergestellt wurden. Hier
werden Kommentare zur Großform des Liedes geliefert, Spezifika der Vortragstechnik,
Stimmtechnik, Tonbildung usw. erläutert, d. h. Phänomene, die in der bisherigen traditio-
nellen Transkriptionstechnik und Notation keinen angemessenen Ausdruck fanden. Damit
stellen sie verbale Ergänzungen zu den Transkriptionen dar, die bei den Unvollkommen-
heiten unseres Notationssystems nicht nur berechtigt, sondern erforderlich sind. Es wäre
wünschenswert gewesen, in dieser Hinsicht noch einen Schritt weiter zu gehen und eine
Schallplatte hinzuzufügen. Der Dringlichkeit, solche kombinierten Ausgaben anzustreben,
wird man sich um so mehr bewußt, je komplizierter und musikalisch unkonventioneller
ein neu vorgelegtes Material ist.
Den Transkriptionen wird eine theoretisch-analytische Studie über die Volkslieder der
Qamen vorausgeschickt. Sie werden in drei Abteilungen behandelt: 1. Mehrstimmige
Bordungesänge, 2. nichtbordunale Gesänge, 3. Sologesänge. Die letzteren, 3 an der Zahl,
werden in allen ihren Komponenten untersucht, wohl am gründlichsten das Wiegenlied,
vor allem seine melodisch-intonationsmäßige wie auch rhythmische Variabilität. Die Form-
probleme der Totenklagen wie auch ihre Gesamtanalyse sind kaum ohne eingehenden Ver-
gleich mit anderen albanischen Totenklagen zu lösen. Das Schwergewicht bleibt hier dem-
entsprechend auf analytisch-beschreibenden Gesichtspunkten. Im ganzen Kapitel sind zwei
Momente hervorzuheben: erstens die sachlichen Erkenntnisse und Resultate, die bei der
Untersuchung albanischer Volkslieder gewonnen wurden und zweitens die bei der Be-
arbeitung des Materials angewandten methodischen Gesichtspunkte. Beide sind miteinander
verbunden und wechselseitig bedingt. Die Formanalyse schien deshalb zentral, weil die
Lieder keine einfache strophische Form aufweisen, sondern eine variable Zeilenstruktur,
die noch wesentliche zusätzliche Änderungen durch die antiphonale Wiederholungstechnik
der einzelnen Stimmen erfährt. Die Melodiezeilen sind die Grundelemente des Aufbaus,
verkürzt, ineinander verflochten, oder in der zweiten Stimme frei abgewandelt bzw. frei
imitiert. Deshalb kann hier nur von einer Rahmenform und nicht von einer festen Form ge-
sprochen werden. Der motivische Inhalt wird als Variationsmaterie behandelt und nicht als
vorbestimmter Tonablauf. Eigene Probleme werfen die Beziehungen der beiden Solo-
stimmen auf. Alle genannten Probleme werden in gut angelegten Tabellen erläutert (z.B.
Form, 43, Tonreihen, 47 ff.). Die Mehrklangsanalyse unter Einschluß der bordunalen Ele-
mente wird plastisch in der Tabelle der Mehrklänge (5off.) dargestellt. Indennichtbordunalen
Liedern wird der rhythmischen Kennzeichnung in allen ihren Komponenten, Taktart, Zähl-
186
Besprechungen
einheit, rhythmische Form, Taktlänge der Motive usf., mehr Beachtung geschenkt, ebenso
der Kennzeichnung der melodischen Linie (Intervallstatistiken, Tonreihen vergleiche, Melo-
dieverlauf). Diese Elemente werden meist in Tabellen zusammengefaßt und durch verbale
Kommentare ergänzt und untereinander verglichen. Zusätzlich werden kurze Charakteri-
stiken des Tempos und der Vortragsart gegeben. Am wichtigsten scheint mir in der so an-
gelegten Auswertung der hämischen Lieder, daß hier keine tote, statische Struktur beschrie-
ben und analysiert wird, sondern daß ebenso genau die Dynamik der Entstehung dieser
Strukturen erfaßt wird und daß mit Hilfe der Beschreibung der äußeren Merkmale in die
innere Logik des musikalischen Denkens Einblick geboten wird. Dies scheint um so schwie-
riger gewesen zu sein, als es durch die Methode der Vergleichung innerhalb des jeweiligen
Liedablaufs selbst erreicht werden mußte, da andere Vergleichsmöglichkeiten weithin
fehlten (Materialien territorialer oder historischer Art). Deshalb konnte auch auf den Fragen-
kreis der Struktur- und Melodietypologie nicht eingegangen werden.
Wie schon angedeutet, scheinen vom methodischen Standpunkt aus die Form- und
Rhythmus-Analysen am besten durchgearbeitet. Zur Benutzung der tabellarischen Über-
sichten sollte vielleicht angemerkt werden, worauf auch die Verf. hin weist, daß sie im wesent-
lichen eine Aufreihung der Strukturelemente, das analytische Rohmaterial enthalten und
nicht seine Sichtung, d. h. die Synthese seiner Auswertung. Diese wird zusammenfassend
in den jeweils anschließenden kommentierenden Beschreibungen versucht, so daß sich ein ge-
wisser Gegensatz zwischen den auf zählenden Tabellen und den zu Verallgemeinerungen
strebenden Kommentaren ergibt. Vielleicht hätten die Tabellen schon mehr zur Darstellung
der synthetisch-klassifizierenden Resultate benutzt werden können, wenngleich anfangs
klargestellt wurde, daß Systematisierung nicht das Ziel dieses ersten Bandes sein kann und
daß diese den Abschlußbänden Vorbehalten bleiben muß. Das gewählte Verfahren ist in
der Gesamtkonzeption des Werkes begründet und eine endgültige Beurteilung erst nach
Vorliegen aller Bände möglich. Auf alle Fälle kann aber schon jetzt festgestellt werden,
daß die Autorin aus dem Material weitgehende wissenschaftliche Konsequenzen zieht, und
daß wir es hier weniger mit einer Sammlung im herkömmlichen Sinne zu tun haben, als
vielmehr mit einer gründlichen monographischen Studie, die in all ihren Bereichen zu den
besten über die Musik des Balkans gerechnet werden muß.
Im zweiten Teil des Werkes bietet Wilfried Fiedler eine gründliche Untersuchung und
wissenschaftliche Edition der Liedtexte. Die Untersuchung erstreckt sich auf Inhalt, Stil
und Textaufbau (Abschnitt i), rhythmisch-metrische Struktur (2) und formale Struktur (3).
Der erste Abschnitt ist im wesentlichen auf die historischen und lyrischen Lieder konzen-
triert, da andere Liedkategorien nur schwach vertreten sind. Behandelt werden bei den
erzählenden Liedern die thematischen Entsprechungen zwischen Liedsujets und historischen
Ereignissen, die wichtigsten Ausdrucksmittel, die Aufeinanderfolge der Motive und der
inhaltliche Aufbau (Einstimmung, Hauptteil, Schluß); bei den lyrischen Liedern liegt
das Schwergewicht der Betrachtung mehr auf den poetischen Ausdrucksmitteln (Meta-
phern) als auf formalen Gesichtspunkten.
Von besonderem Interesse sind die Untersuchungen zur rhythmisch-metrischen Struktur
(Abschnitt 2). Schon in den Vorbemerkungen wird klar zwischen zwei Textversionen
unterschieden, die beide in der Ausgabe erscheinen: 1. Die gesungene Form, die im Rahmen
der Melodietranskriptionen abgedruckt wird, 2. die von den Sängern „diktierte Version“,
die im Text-Teil zusammen mit der deutschen Übersetzung zur Veröffentlichung gelangt.
Die beiden Versionen, von denen die erste die metrisch-formal freiere Form darstellt,
während die zweite mehr den Gesetzen metrisch-rhythmischer Wortgestaltung entspricht,
werden vielfältig konfrontiert.
So wird eine Text-Analyse durchgeführt, die sich auf die metrische Charakteristik der
von allen refrainartigen wie auch improvisierten Elementen befreiten Narrativzeile er-
streckt, ihre quantitativen und qualitativen Merkmale beleuchtet (Silbenzahl, Verstakte)
und durch eine musikalisch-rhythmische Charakterisierung ergänzt wird. Außerdem unter-
nimmt der Verf. den interessanten Versuch, die verschiedenen metrischen Fassungen der
Texte gesondert zu betrachten, und zwar zunächst die Narrativzeile und ihre auf ein Mini-
mum konzentrierte semantische Aussage, weiterhin die sog. Metrik 2, die die erweitern-
Besprechungen
187
den, aber stabilen und formbildenden Elemente der Narrativzeile mit einbezieht, und
schließlich die gesungene metrisch-rhythmische Version. Dieses gut durchdachte System
der Betrachtung, vor allem die Differenzierung der einzelnen Text Versionen, scheint immer
dort ein guter Ausgangspunkt für die Liedforschung auf dem Balkan zu sein, wo es sich
vorwiegend um folgende stilistische Phänomene handelt: unausgeprägte Strophenstruktur
bzw. einfache Zeilenreihung und freie Handhabung des Textes bei mehrstimmigem Vortrag.
Die im letzten Abschnitt beschriebene formale Struktur der Liedtexte (Strophenbau,
Zeilenfolge und Reimschema) ist auch für ihre musikalische Struktur von Bedeutung. Denn
ohne genaue Kenntnis der stilistischen Mittel, strukturbildenden Elemente und Tendenzen
kann auch die Untersuchung des formalen Aufbaus der Melodien nicht zu den gewünschten
Resultaten gelangen, da der Text die vorgeformte Wortmaterie ist, die den Ausgangspunkt
für den Melodieaufbau bildet. Aus diesem Grund scheinen mir die Textuntersuchungen,
die sich organisch in die Gesamtanlage des vorliegenden Werkes einfügen, so wichtig.
Die Vergleichenden Anmerkungen des Textteils, die im Unterschied zu den musikalischen
keine ergänzenden Angaben zu den Text-Transkriptionen bringen, konzentrieren sich auf
den thematischen Vergleich mit älteren bereits publizierten Fassungen und sind bestrebt,
durch die vollständige Veröffentlichung der zum Vergleich herangezogenen Texte die z. T.
lückenhaften hämischen Aufzeichnungen zu ergänzen und damit eine genauere Spezifikation
der Liedtypen zu erreichen. Wie im Editionsteil werden auch diese älteren albanischen
Versionen mit einer deutschen Übersetzung versehen. — Den Anmerkungen folgt die
Textedition selbst, der linguistische und aufzeichnungstechnische Anmerkungen sowie
Schemata von Metrik und Textaufbau beigefügt sind. — Ein Koordinierendes Liedverzeichnis
mit Angabe ethnographischer Daten und ein Quellen- und Literaturverzeichnis beschließen
den Band.
Abschließend kann folgendes festgestellt werden:
i. Der vorliegende Band stellt nicht eine Sammlung bzw. Materialausgabe im herkömm-
lichen Sinne dar, sondern vielmehr eine theoretisch-kritische Untersuchung über die Lieder
und vor allem über die vokale Mehrstimmigkeit der Qamen.
z. Sein Schwergewicht liegt nicht in einer zusammenfassenden Untersuchung der
hämischen Lieder, sondern mehr in einer minutiösen Detailanalyse des aufgezeichneten
Materials, wobei die angewandten Prinzipien auch einen wichtigen methodischen Beitrag
zur Volksliedforschung des Balkans liefern.
3. Hiermit ist es erstmals gelungen, eine synthetische musikalische wie auch textkritische
Untersuchung vorzulegen, in der die beiden Bestandteile Musik und Text mit den gleichen
exakten wissenschaftlichen Mitteln parallel untersucht wurden.
4. Die vergleichende Problemstellung wird nicht in den Vordergrund gestellt; sie könnte
eventuell schon in diesem Stadium der Einzeldatenanalyse genauer umrissen und formuliert,
vielleicht auch in eine bestimmtere Beziehung zum übrigen albanischen Material wie auch
Zur Volksmusik des Balkans überhaupt gebracht werden.
Alica Elschekovä, Bratislava
Ce théâtre populaire européen, édité par Leopold Schmidt, en collaboration avec Gian-
franco D’Aronco, Georgios Megas, Hans Moser, Georges Henri Rivière,
Achmed Tecer et Hans Trümpy. Paris, Éditions G. P. Maisonneuve et Larose, 1965.
506 S., 20 Taf., 1 Karte.
Es ist betrüblich, wenn die Besprechungen ein sonst vorzügliches Buch mit Ausdrücken
fies Bedauerns einleiten müssen. Die bisher erschienenen Bände der Reihe Folklore Européen.
Collection publiée sous les auspices de la Division de la coopération culturelle du Conseil de
L’Europe enthalten lediglich die Volksdichtung der Länder, welche dem Europa-Rat an-
gehören. Wir wollen nicht länger bei dieser Frage verweilen, da ja andere Rezensenten dieser
Reihe bereits öfter auf den völlig unwissenschaftlichen Charakter dieses Auswahl-Prinzips
hingewiesen haben. Eine Kritik von besonderer Schärfe schlug Leopold Kretzenbacher in
fier ÖZfVk 69 (1966) 42—44 an. Es sei uns gestattet, einige Zeilen hiervon zu zitieren:
188
Besprechungen
„Um es vorweg zu nehmen, es berührt den Unterzeichneten . . . doch schmerzlich, allein
schon an der Übersichtskarte ersehen zu müssen, daß man den Herausgebern den solcherart
wissenschaftlich nicht begründeten und kulturell, wie historisch gesehen viel zu engen,
vielmehr nur aus der unglücklichen weltpolitischen Gegenwartssituation diktierten Europa-
begriff der vorwiegend westlich orientierten Wirtschafts- und Militärblöcke zugemutet
hatte. .
Auch stimmen wir mit Kretzenbacher überein, wenn er betont, daß dieses Auswahl-
Prinzip einer Anthologie des europäischen Schauspiels noch abträglicher ist, als z. B. dem
Bande über das europäische Volksmärchen (European Folktales, ed. by Bndker, Hole,
d’Aronco. Kopenhagen 1963): Wir besitzen ja mehrere Anthologien, die den Märchen-
schatz Europas den wahren historischen und geographischen Verhältnissen getreu dar-
stellen. Da wir aber das von Leopold Schmidt redigierte Buch als die erste wissenschaftliche
Anthologie des europäischen Volksschauspieles betrachten können, ist es um so schmerz-
licher, daß in diesem Werk das Material der in Ost- und in Mitteleuropa lebenden Völker
(außer einigen Beispielen aus Griechenland und der Türkei) in seinem Reichtum nicht ver-
treten ist.
Über Teilfragen des europäischen Volksschauspieles haben bereits viele geschrieben;
im vorliegenden Werk gelangt aber zum ersten Male die Volksdichtung dramatischen
Charakters von verschiedenen Völkern in gemeinsamer und systematisierter Form vor den
Leser. Warum es so spät dazu gekommen ist, läßt sich damit erklären, daß die mit den
Bräuchen zusammenhängenden Spieltexte dramatischen Charakters im allgemeinen nicht
vom ästhetischen, sondern mehr vom religionsgeschichtlichen Gesichtspunkt untersucht
wurden. Das Volksschauspiel kann nämlich nicht nur als dichterisches Kunstwerk an-
gesehen werden, es erfüllt noch andere Funktionen. Es führt ein an die Bräuche gebundenes
Dasein; stellt gleichzeitig Schauspiel und Zauberakt, Schauspiel und Rechtsbrauch, even-
tuell auch Schauspiel und Zeremonie eines wichtigen Abschnittes im menschlichen Leben
dar. Löst sich das Volksschauspiel von den Bräuchen völlig los, so ist es meist durch berufs-
oder halbberufsmäßige Schauspieler getragen. Aus dem brauchtümlichen Volksschauspiel
entsteht unter entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnissen die Berufsbühne und das
literarische Drama, doch können zugleich die alten Formen auch erhalten bleiben. Wer
also das europäische Volksschauspiel historisch überblicken will, muß die Gesetzmäßigkeiten
eines sich oft wiederholenden Prozesses feststellen, und eine solche Aufgabe kann nur ein so
hervorragender Kenner des europäischen Volksschauspiels lösen, wie es der Herausgeber ist.
Sch. ging bei der Bestimmung des komplizierten Begriffes des Volksschaupieles von der
Konzeption aus, die er im 1. Bd. der Deutschen Philologie im Aufriß (1952, 1882 —1902)
und in seinem Handbuch Das deutsche Volksschauspiel (Berlin 1962) gegeben und in mehre-
ren seiner Arbeiten, z. B. u. a. in seinem Werk: Das deutsche Volksschauspiel in zeitgenössi-
schen Zeugnissen vom Humanismus bis zur Gegenwart. Berlin 1954, verfolgt hat. Demnach
stehen die traditionellen Volksspiele im Mittelpunkt des Volksschauspiels. Davon zweigen
sich die Mysterienspiele, die Faschingsspiele der Renaissancestädte, das barocke Marionetten-
spiel und die Spiele von Wanderkomödianten, halbberufsmäßigen Bergmannstruppen. (Auch
die europäische Arbeiterbühne lernte viel von dieser reichen Tradition.) Es handelt sich
daher um eine vielfältige Erscheinungsgruppe, deren textliche Schöpfungen dramatischen
Charakters auch dementsprechend recht mannigfaltig sind.
Sch. teilt die europäische Volksdichtung dialogisierter Form in drei Gruppen. Die
Mannigfaltigkeit des Materials verursachte aber scheinbar solche Schwierigkeiten, daß die
erste Gruppe einen funktionellen Gesichtspunkt verfolgt, die anderen zwei aber nach dem
Stoff geordnet sind. Die erste Gruppe bilden im Werk demnach die sich an die Bräuche
knüpfenden Spiele, die zweite Gruppe ist von religiösem Inhalt und die dritte schöpft aus der
Volksliteratur ihren Gegenstand. Vielleicht wäre es glücklicher gewesen, auch die erste
Gruppe dem Stoffe nach zu ordnen, denn es sind ja nicht bloß die Spiele der ersten Gruppe,
die an die Volksbräuche anschließen, da ja auch die meisten religiösen Spiele so wie der
Großteil der dritten Gruppe an Bräuche gebunden sind; allein das Repertoire der berufs-
mäßigen Spaßmacher, Marionetten- und Schattenspieler kann als von den Bräuchen ganz
unabhängig betrachtet werden.
Besprechungen
189
Die in die erste Gruppe gehörenden Spiele sind also dem Stoffe nach ziemlich mannig-
faltig: hierher gehören allegorisch-magische Spiele, Spiele historischen Inhalts, Possen und
auch Gesellschaftssatiren. Die häufigsten Formen dieser Spiele sind das Kampfspiel und die
Gerichtsverhandlung. Winter und Sommer, Fasten und Fasching, Weiße und Mauren wett-
eifern und führen einen Zweikampf miteinander: dies ist die einfachste Weise, das in der
Welt objektiv vorhandene Dramatische auszudrücken. Die Gerichtsoerhandlungsform finden
"wir gleichfalls in vielen Spielen: in religiösen Spielen, in der Verurteilung des Faschings, in
den scherzhaften Prozessen gegen die Tiere, in den Faschingspossen. Der Charakter dieser
Spiele bewegt sich oft in zwei Ebenen; auch hinter dem Wettstreit der mit historischen
Namen versehenen Spieler kann ein älteres Motiv, der Kampf der Jahreszeiten oder zwischen
den guten und bösen Kräften stecken. In die erste Gruppe des Buches kamen demnach ein
schweizerisches Sommer- und Winterspiel, ein italienischer Wettkampf der Monate. Hier
finden wir das schweizerische Spiel über Wilhelm Teil und einige Kampfspiele ebenfalls in
historischem Gewand, z. B. ein deutsches Schwertfechterspiel, ein englisches Mummers-
Play, eine französische Moresca. — In dieser Gruppe steht auch die in Mitteleuropa so be-
liebte Posse der Altweibermühle.
In die zweite Gruppe wurden religiöse Spiele, volkstümliche Mysterien und Moralitäten
aufgenommen. Die mittelalterliche Schicht vertritt ein englisches Spiel, die Arche Noah.
Das Material des Barocks und der neuesten Zeiten enthält durch lebende Menschen bzw.
mit Hilfe von Puppen zu Weihnachten oder am Dreikönigstag vorgeführte Spiele, Prozes-
sionsspiele und Dorfmysterien, die sich mit dem Leben der Heiligen befassen.
Die dritte Gruppe bezeichnete Sch. als Spiele, die Gegenstände der volkstümlichen
Literatur aufführen. Diese Gruppe setzt zumeist die Mitwirkung von halbberufsmäßigen
oder berufsmäßigen Volkskomödianten voraus. Solche sind die beiden Karagöz-Spiele, das
eine aus dem Repertoire der türkischen, das andere aus dem der griechischen Schattenspieler.
Hierher gehören eine deutsche Variante des Griseldis-Spieles aus dem 18. Jh., eine nieder-
ländische Faust-Bearbeitung aus dem 17. Jh., ferner italienische und griechische historische
Spiele.
Die philologisch verläßliche zweisprachige Textausgabe (französisch und die jeweilige
Originalsprache) mit den hinzugefügten Anmerkungen könnte Grundlage einer zusammen-
fassenden Monographie über das europäische Volksschauspiel sein, wenn sie auch das noch
lebende, also funktionell untersuchbare Volksschauspiel der mittel- und osteuropäischen
Völker aufgenommen hätte. Um nur einige Beispiele zu nennen: die rumänischen, slowa-
kischen, ungarischen Räuberspiele, die russischen Schifferspiele, die bei einem jeden Volk
Mitteleuropas auffindbaren Weihnachtsspiele, die mittel- und osteuropäischen Faschings-
komödien usw. Wir hoffen aber, daß der Herausgeber und seine Mitarbeiter mit diesem
Band das Studium des europäischen Volksschauspieles nicht abgeschlossen haben und daß
diesem Band bald eine Monographie folgen wird, die dann tatsächlich die ganze Volks-
schauspielkunst Europas in geordneter Form vor Augen führt.
Interessante Illustrationen ergänzen das Buch, teils an Hand der von lebenden Schau-
spielen aufgenommenen Fotos, teils alter Stiche, Glasmalereien und Keramiken. — Die
2u den Spieltexten geschriebenen Anmerkungen geben uns auch über die philologischen
Probleme Aufschluß und verweisen zugleich auf die Vortragsweise und die Umstände der
Aufführungen.
Tekla Dömötör, Budapest
Rudolf Braun, Sozialer und kultureller Wandel in einem ländlichen Industriegebiet im
19. und 20. Jahrhundert (Zürcher Oberland) unter Einwirkung des Maschinen- und
Fabrikwesens im 19. und 20. Jahrhundert. Erlenbach, Zürich, Stuttgart, Eugen Rentsch-
Verlag, 1965. 368 S.
Der vorliegende Band baut auf der Untersuchung auf, die B. i960 unter dem Titel ver-
öffentlichte: Industrialisierung und Volksleben. Die Veränderungen der Lebensformen in
einem ländlichen Industriegebiet vor 1800 (DJbfVk 8, 1962, 2iof.). Dort wie hier ist das
190
Besprechungen
Zürcher Oberland, das eine frühe und intensive Industrialisierung erfuhr, der Untersuchungs-
raum, und die Baumwollindustrie, speziell die mechanische Baumwollspinnerei und -Weberei
der Wirtschaftszweig, aus dem die vom Maschinen- und Fabrikwesen bewirkten Verände-
rungen abgeleitet werden. Die erste Hälfte der Untersuchung ist vorwiegend auf die sozialen
Veränderungen ausgerichtet (i. Kap. Das Maschinenwesen und die Fabrikarbeiter in der
Frühzeit; z. Kap. Zur Entstehung eines ländlichen „Fabrikherren“-Standes; 3. Kap. Arbeits-
und Lebensverhältnisse des Fabrikwesens als soziales Problem). In der zweiten Hälfte der
Studie rücken Probleme des kulturellen Wandels in den Vordergrund (4. Kap. Volksleben
und Volkskultur im Spannungsfeld des Fabrikbetriebes und der Fabrikarbeit; 5. Kap. Fabrik-
gemeinde und Fabrikdorf; 6. Kap. Zum Wandel des geistigen und geselligen Lebens. Volks-
bildung und Vereinswesen).
Determiniert für den Gang in die Fabrik ist zunächst eine bereits durch das Verlags-
system mobil gewordene Bevölkerungsschicht ohne engere familiäre oder sachliche Bin-
dungen. Zu ihr gesellen sich die von den Eltern in „Rast“ gegebenen „Fabrik- und Maschi-
nenkinder“, die täglich 14 oder mehr Stunden in den Spinnereien arbeiten und die als
Erwachsene den Grundstock der frühen Fabrikarbeiterschaft bilden. Um die Mitte des
19. Jhs treten die durch die Maschine brotlos gewordenen Heimweber den Gang in die
Fabrik an. Gleichzeitig mit der Ausformung der Fabrikarbeiterschaft bildet sich im Ober-
lande ein ländlicher Fabrikherrenstand, der sich aus Gewerbetreibenden rekrutiert, die durch
ihre Funktionen im Baumwoll-Verlags wesen zu Einfluß gelangten, und der sich vor allem
durch technisch-betriebliche Fähigkeiten auszeichnete und erst in zweiter Linie durch händ-
lerische und finanztechnische Begabung. Im Spannungsfeld zwischen ländlicher Fabrik-
bevölkerung und ländlicher Unternehmerschaft erhebt sich immer dringender das Problem,
wie die Fabrikarbeiter aus ihrer pariaähnlichen Stellung herausgehoben und als Bürger in
die Staats- und Gesellschaftsordnung eingegliedert werden können. Die auf dieses Ziel hin-
strebenden Bemühungen durch Staat, bürgerlich-philanthropische Sozialreformer und
handwerklich-kleinbürgerliche Kreise der jungen Arbeiterbewegung werden skizziert.
Die durch das Fabrikwesen bewirkten sozialen Umstrukturierungen sind offenbar leichter
greifbar als die kulturellen Veränderungen, die sich bipolar vollziehen: Wie verändern der
Fabrikbetrieb und die Fabrikarbeit herkömmliches Volksleben und herkömmliche Volkskultur,
und welche Wirkungen gehen vom herkömmlichen Volksleben und der ihm zugehörenden Volks-
kultur auf den Fabrikbetrieb und die Fabrikarbeit aus? Diese Doppelfrage formuliert das
anstehende volkskundliche Problem prägnant, und ihre Aspekte grenzen die volkskundliche
Fragestellung in deutlichen Scheidelinien gegen technisch-ökonomisch-betriebswirtschaft-
lich ausgerichtete Untersuchungen ab.
Für den ersten Teil der Frage bringt der Verf. reiches Material bei. Starr fixierte Arbeits-
zeit durch Sirene und Stempeluhr, Trennung von Arbeits- und Wohnplatz, Mitarbeit der
Frauen und Mütter außer dem Hause schneiden tief in das herkömmliche Volksleben ein.
Biologisch-physiologische Probleme durch Habitualisierung der Menschen an die Welt der
Technik werden angerissen. Drastische Veränderungen setzen sich im Ausbau von Fabrik-
gemeinde und Fabrikdorf durch. Unter dem Schlagwort „Volksbildung ist Volksbefreiung“
dominieren anfänglich im Bildungswesen staatsbürgerlich-politische Intentionen, die erst
später „zeitweilig im beschränkten Maße durch klassenkämpferische Akzente in den Hinter-
grund geschoben“ werden (309). Starken Einfluß gewinnt das handwerkerlich-kleinbürger-
liche Bildungsethos, das von den Städten auf das Land ausstrahlt. Die Rolle der Sänger-,
Schützen-, Turn-, Musikvereine wird gewürdigt. Durch das üppig ins Kraut schießende
Vereinswesen kommt in das Volksleben eine neue formal-organisatorische Struktur. B.
führt keinesfalls alle Wandlungen im kulturellen Bereich auf das Fabrikwesen zurück;,,. . .
unsere Ausführungen sollten jedoch gezeigt haben, daß ohne Berücksichtigung der Indu-
strialisierung . . . sich weder die Volks- und Massenbildung noch das Vereinswesen, weder
das Bildungsbedürfnis noch das Freizeitverhalten des Volkes verstehen läßt“ (361).
Im Vergleich zu den durch das Fabrikwesen bewirkten neuen Strukturen und neuen
Ordnungen sind die Einflüsse des herkömmlichen Volkslebens und der herkömmlichen
Volkskultur auf das Fabrikwesen nur knapp angedeutet. Wohl wird die Fabrik Schauplatz
/ geselligen Lebens: Man feiert Silvester, den „Kassenball“, frohe Ereignisse auch in der
Besprechungen
191
Familie des Unternehmers. Wohl wird das Sagenmotiv vom grausamen Herrn als Um-
gänger auch auf einen gleichgearteten Unternehmer übertragen (i86, Anm. 4), aber im
ganzen stehen Einfluß und Weiterleben tradierten Gutes doch recht am Rande. Sicherlich
Wäre der Verf. in der Lage gewesen, das Nachleben tradierter Vorstellungskomplexe etwa
in Volksglaube, Volksmedizin, in Sprachprägungen mit reicherem Material zu belegen,
aber der Anprall des Neuen ist so ungeheuerlich, daß das Weitertragen des Überlieferten zur
peripheren Erscheinung wird. Alte Ordnungen und Wertungen vermögen das Neue, das
ja schließlich Ausbildung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Formation des Kapi-
talismus bedeutet, nicht mehr zu fassen. Aus diesem höchstkomplexen Vorgang hat B.
einige Stränge herauspräpariert, und das ist ihm eindrucksvoll gelungen.
B. nennt seine Betrachtungsweise sozio-kulturell, auch volkskundlich-soziologisch (23),
und dieser Terminus koppelt zwei Disziplinen, die im gleichberechtigten Miteinander,
vertieft durch betriebstechnisch-ökonomische Kenntnisse, so komplexe Erscheinungen mit
Aussicht auf Erfolg angehen können. Der Verf. erhebt seine empirisch gewonnenen Ein-
sichten nicht in den Rang gesetzlicher Abläufe; er läßt sie sich in regionalen Schranken voll-
ziehen, und sicherlich sind speziell helvetische Züge hier und da spürbar.
Die beiden Werke Brauns sind außerordentlich anregend für alle, die volkskulturelle
Erscheinungen in der technischen Arbeitswelt unter auch volkskundlichen Aspekten be-
handeln wollen.
Friedrich Sieber, Dresden
Antje Kraus, Die Unterschichten Hamburgs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Entstehung, Struktur und Lebensverhältnisse. Eine historisch-statistische Untersuchung.
Stuttgart, Gustav-Fischer-Verlag, 1965. 112 S. (= Sozialwiss. Studien. Schriftenreihe
des Seminars für Sozialwiss. der Universität Hamburg 9).
Die vorliegende Untersuchung ist ein Beitrag zur Bevölkerungsgeschichte einer Groß-
stadt. In betonter Konfrontation zu den Darstellungen, die überwiegend die städtische
Oberschicht in den Blickpunkt rückten, will die Verf. an Hand unedierter Archivalien und
mit Hilfe einer historisch-statistischen Methode darauf nachdrücklich hinweisen, daß erst
die Einbeziehung der nicht privilegierten Schichten ein echtes und wahres historisches Bild
der sozialen Verhältnisse zu geben vermag.
Ein erstes Kapitel gibt einen Überblick über die Geschichte der Stadt Hamburg unter
besonderer Beachtung des Wirtschaftslebens sowie der städtischen Verfassung und Ver-
waltung. Bemerkenswert sind hier die statistischen Gegenüberstellungen zwischen Zunft-
handwerkern und „Bönhasen“ aus dem Ende des 18. Jhs. Sie zeigen ein außerordentlich
starkes Überwiegen der zuletzt Genannten. Zusammen mit den Manufakturarbeitern liefern
sie für den Export über 80% der hamburgischen Gewerbeprodukte. Diese Zahl läßt ein-
deutig erkennen, daß zu Ende des 18. Jhs die alte Zunftverfassung endgültig zusammen-
gebrochen war und daß die freien Gewerbetreibenden sich den Platz im Wirtschaftsleben
erkämpft hatten, den ihnen die Zünfte jahrhundertelang streitig gemacht hatten. — Nach
weiteren Angaben über die Bevölkerungsbewegung — die Stadt zog infolge ihrer günstigen
wirtschaftlichen Lage erklärlicherweise viele Menschen an — wendet sich die Verf. im
dritten Kapitel konkret ihrem eigentlichen Gegenstand zu, indem sie zunächst einmal
Armut und Armenpflege in der Hansestadt untersucht. Sie stellt dabei fest, daß bis zum Ende
des 18. Jhs die städtische „Unterschicht“ vorwiegend aus Menschen bestand, die ihren
Arbeitsplatz durch mancherlei Umstände verloren hatten, die alt und krank waren, von
der öffentlichen Armenfürsorge unterstützt wurden und z. T. auch nicht arbeiten wollten.
Versuche, das ständig wachsende Heer der Bettler einzudämmen, schlugen fehl. Erst seit
1788 konnte durch Bereitstellung neuer Arbeitsmöglichkeiten die Zahl der Almosenempfän-
ger im wesentlichen auf die Kranken und Alten reduziert werden. Trotzdem aber bleiben
Die „arbeitenden Klassen“ als Schicht der „potentiellen Armen“ weiter bestehen. Es sind die
Fabrikarbeiter, die Dienstboten, Handlanger und kleinen Gewerbetreibenden, die nur knapp
oberhalb des von den städtischen Fürsorgeeinrichtungen errechneten Existenzminimums
"" ri i ff/x/jiiTjfflfifä&ix cw/i U
192 Besprechungen
lebten. Die durch zahlreiche Statistiken unterbaute Darstellung ihrer Lebenshaltung und
Wohnverhältnisse ist das Kernstück der Untersuchung. Mit starker innerer Anteilnahme
hat K. diesen Teil ihrer Arbeit geschrieben, der in erschütternder Weise die Lage des Ham-
burger Proletariats vornehmlich um die Mitte des 19. Jhs erkennen läßt.
Daß die Verf. sich im wesentlichen auf die Lebenshaltungskosten und die Wohnverhält-
nisse beschränkt, mag tatsächlich durch die z. T. nicht immer günstige Quellenlage bedingt
gewesen sein (durch den großen Brand von 1842 wurde viel Aktenmaterial vernichtet). Der
Rez. möchte jedoch anregen, bei ähnlichen Untersuchungen in anderen Städten zu versuchen,
einen Überblick über die gesamte Lebensweise des Proletariats zu geben. — Schwerwiegen-
der aber ist ein anderer Einwand: K. spricht auf S. 7 davon, daß die Quellenlage es nicht
erlaubt hätte, z. B. der Frage nachzugehen, „ob ein Wandel der Bedürfnisse dazu geführt
hat, daß die Dürftigkeit der Lebensführung subjektiv stärker empfunden und daß Ansätze
zu eigenen Bestrebungen und Lösungen gesucht wurden“. Hier hätte sich zweifellos aus der
Geschichte der hamburgischen Arbeiterbewegung manches Material für eine Beantwortung
eben dieser Frage gewinnen lassen. Der Verf. ist dieser Umstand auch bekannt, aber sie hat
bewußt z. B. den Arbeiterbildungsverein von 1845 nicht in ihre Untersuchung einbezogen,
„weil er schon einer späteren Entwicklung der Arbeiterbewegung zuzurechnen ist“ (7). Der
Rez. ist der Meinung, daß eine Untersuchung des großstädtischen Proletariats — dieser
Begriff wird von der Verf. offensichtlich vermieden — ohne Einbeziehung der Arbeiter-
bewegung nicht möglich ist; denn es muß so der Eindruck entstehen, als habe die frühe
Arbeiterklasse ihr schweres soziales Schicksal widerspruchslos hingenommen. Das bewußte
Auslassen einer letzthin für alle angeschnittenen Fragen eminent wichtigen Quellengruppe
stimmt — trotz der eigenen inneren Anteilnahme der Verf. für den Gegenstand ihrer Unter-
suchung — bedenklich.
Wolfgang Jacobeit, Berlin
Heinrich Renner, Wandel der Dorfkultur. Zur Entwicklung des dörflichen Lebens in Hohen-
lohe. Stuttgart, Silberburg-Verlag, 1965. 144 S., 32 Abb. auf Taf., 11 Tab., 3 Karten
(= Veröff. d. Staatl. Amtes für Denkmalpflege Stuttgart, Reihe C: Volkskunde 3).
Untersuchungen über die gegenwärtig sich vollziehenden Umschichtungen auf dem Dorf
sind bisher zum größten Teil von der Agrarsoziologie vorgelegt worden. Die volkskund-
lichen Bemühungen um diesen Problemkomplex sind in Deutschland noch relativ gering.
Wir müssen daher jeden Versuch, unser Fach in diesen Fragen stärker ins Gespräch zu
bringen, dankbar begrüßen.
R. beschränkt seine Beobachtungen im wesentlichen auf seine Hohenloher Heimat, sieht
aber die sich dort abzeichnenden Entwicklungstendenzen durchaus im größeren Rahmen
eines sich allgemein vollziehenden Prozesses. Die gesamte Arbeit läßt somit das Bestreben
des Verfs erkennen, Gesetzmäßigkeiten bei den Wandlungen im sozialökonomischen und
kulturellen Bereich des Dorfes festzustellen.
Grundlage der Untersuchungen sind die handschriftlichen „Konferenzberichte“, die
Karl Bohnenberger s. Zt. von den Lehrern über die Volkskultur Württembergs schreiben
ließ sowie Befragungen älterer Hohenloher Bauern und eigene Beobachtungen des Verfs.
R. hatte somit gute Vergleichsmöglichkeiten für die Verhältnisse um 1900 und heute und
konnte neben dem Schwinden sinnentleerter Traditionsformen durchaus auch die Bildung
manches Neuen sowie das bewußte Festhalten an noch funktionsfähigem Kulturgut kon-
statieren.
Die Untersuchung behandelt im einzelnen den Strukturwandel des Dorfes vor allem in
bezug auf die Wirtschaft, die gesellschaftliche Umschichtung, welche durch die beigegebenen
Karten wirkungsvoll demonstriert wird, sowie auf die einzelnen Gemeinschaftsformen
(Familie, Nachbarschaft, Gemeinde, Vereine). — Ein zweites Kapitel zeigt die Entwicklung
der überlieferten Volksgüter, unter denen R. die Bereiche von Sitte und Brauch, das Erzähl-
gut, das Volkslied — mit recht interessanten Beispielen — und Formen der Volkskunst ver-
steht. Über Fragen der „materiellen“ Volkskultur hat der Verf. lediglich in Form von Stati-
Besprechungen
193
stiken im ersten Kapitel gehandelt, was nach Meinung des Rez. nicht ausreichend ist. Eine
straffere Gliederung hätte im übrigen diesem Kapitel zum Vorteil gereicht. — Das dritte
und letzte Kapitel Wege und Formen der Wandlung hält leider nicht das, was es nach der
Überschrift verspricht. Die Darstellung zerfließt hier in z. T. unwesentliche Einzelheiten
und gelangt nicht zu einer theoretisch-methodischen Schlußfolgerung als Ergebnis des von
R. beobachteten Wandlungs- und Entwicklungsprozesses in Hohenlohe.
Die Bedeutung des Buches liegt mehr in der Materialdarbietung als im Grundsätzlichen.
Wolfgang Jacobeit, Berlin
Elisabeth Pfeil, Die Familie im Gefüge der Großstadt. Zur Sozialtopographie der Stadt.
Hamburg, Hans Christian-Verlag, 1965. 81 S. (= Schriftenreihe der Ges. f. Wohnungs-
und Siedlungswesen e. V., Vereinigung z. Förderung von Strukturforschungen,
Städtebau und Raumordnung, Hamburg).
Die Familie, ihre Struktur, Rolle und Stellung in der modernen Gesellschaft gehört zu
den Themen, die in der heutigen Soziologie am häufigsten und von den verschiedensten
Standpunkten aus behandelt werden; nicht so sehr darum, weil dieses Problem „Mode“
wäre — obgleich dieser Gesichtspunkt bei manchen Autoren nicht einmal auszuschließen
ist —, sondern weil die Familie in der gegenwärtigen Gesellschaft eine Schlüsselstellung
einnimmt. — Unter den deutschen Forschern, die sich mit den Fragen des Familienlebens
und den Beziehungen der Familie zur Umwelt beschäftigen, gebührt Elisabeth Pfeil einer
der ersten Plätze: sie hat viele Arbeitsjahre der wissenschaftlichen Erforschung der Industrie-
Großstadt sowie der Bedeutung der Industrialisierung für das Leben auf dem Lande gewid-
met. In der vorliegenden Studie, die auf dokumentarischem Material aus den vier Hamburger
Stadtteilen Eilbek, Wandsbek, Bramfeld-Wellingsbüttel und Langenhorn-Nord basiert,
schöpft sie aus ihrer vieljährigen Erfahrung und bietet nicht nur die Ergebnisse einer ein-
fachen Analyse empirisch gewonnenen Materials, sondern stellt in mancher Hinsicht syntheti-
sierende partielle Betrachtungen an, die ein breiteres Territorium umfassen und so einen
gewissen allgemeinen Entwicklungstrend der Erscheinungen erkennen lassen.
Was die Seitenzahl anlangt, so ist die vorliegende Studie nicht allzu umfangreich: auf nur
66 Seiten (wenn wir den detaillierten Anmerkungsapparat nicht dazu rechnen) untersucht
die Verf. in Stadtteilen mit vorwiegend neuerer und neuer Bewohnerschaft die Beziehung
der Familien zu „ihrem“ Viertel, die Ursachen für eine positive und negative Einschätzung
der einzelnen Stadtteile bei den Angehörigen verschiedener sozialer Kategorien, Umfang
und Intensität des Kontakts der Familie mit dem Kreis der verwandten und bekannten
Familien. Es gäbe viele Stellen, die geradezu einen Vergleich herausfordern zwischen den
Forschungsergebnissen, die in der kapitalistischen, und denen, die in der sozialistischen
Stadt und Großstadt gewonnen wurden. Ein solcher Vergleich würde jedoch den Rahmen
einer Rezension bei weitem überschreiten.
Im Unterschied zu ihrer Studie über Dortmund (Nachbarkreis und Verkehrskreis in der
Großstadt, In: Daseinsformen der Großstadt, Tübingen 1959, 158 — 225), wo sie auch einige
der Volkskunde sehr nahestehende Themen in ihre Betrachtungen einbezogen hatte, bleibt
Pf. in der vorliegenden Untersuchung und Analyse konsequent bei den soziologischen
Fragen; dennoch ist diese Arbeit auch für Volkskundler interessant.
Vor allem ist es die Arbeitsmethode, speziell die Wahl der Beispiele (Sample), die unsere
Aufmerksamkeit verdient. Gewählt wurde eine zusammenhängende Siedlungseinheit, ein
Straßenabschnitt oder Wohnblock. Nach übereinstimmenden Erfahrungen der Soziologen
und Volkskundler erscheint eine solche Wahl sehr günstig. Sie ermöglicht es, tiefer in das
nicht leicht zu durchdringende Netz der Beziehungen zwischen benachbarten Familien
einzudringen und durch wechselseitige Konfrontation die Objektivität der gewonnenen
Informationen wesentlich zu erhöhen. Dabei pflegt die Intensität der Kontakte zwischen
den auf dem gleichen Flur oder im gleichen Haus wohnenden Familien einmal leicht über-
schätzt zu werden, besonders von Volkskundlern, die in diesen Beziehungen eine Fort-
13 V olkskunde
194
Besprechungen
Setzung oder einen Ersatz der aus dem Leben auf dem Lande bekannten Beziehungen suchen,
zum anderen unterschätzen bzw. übersehen die Soziologen oft die Einwirkung traditioneller
Vorstellungen über Nachbarschaftsbeziehungen. (Es entstehen im städtischen Milieu
Konflikte zwischen den aus verschiedenen Umweltsverhältnissen stammenden Familien
mit der unterschiedlich intensiven Tradition des nachbarlichen Zusammenlebens, mit den
verschiedenartigen Vorstellungen über gegenseitige Rechte und Pflichten der Nachbarn.)
Wenn wir auch im Prinzip mit der Wahl des territorialen Musters einverstanden sind,
so möchten wir doch auch einige Bedenken anmelden: Die Tatsache, daß in allen drei
zahlenmäßig nicht gleichen sozialen Hauptkategorien1 dennoch gleich große Gruppen von
Gewährsleuten gewählt und untersucht wurden, führte zu Verschiebungen, die die Verf.
selbst zugeben muß. Unter anderem wurde dadurch der spezifische Charakter der einzelnen
Stadtteile, ihre „Atmosphäre“, verwischt.
Gewisse Einwände sind auch gegen die Behandlung der Familie als ein Ganzes ohne ein-
gehende Berücksichtigung der einzelnen Mitglieder und ihrer Individualitäten vorzubringen.
Dabei äußert sich gerade der Einfluß des initiativen Familienmitglieds nicht nur bei den
Beziehungen zu verwandten Familien, sondern auch beim Anknüpfen von Beziehungen zu
bekannten Familien, seien es berufliche Bekannte, zufällige Bekannte von wiederholten
Begegnungen (z. B. Treffen beim Einkäufen, Teilnahme an Sportveranstaltungen), Bekannte
aus der Vereinsarbeit und schließlich Freundschaften. Dabei wäre es auch vom Standpunkt
der Familiensoziologie interessant und wichtig festzustellen gewesen, von welcher Art und
Intensität die freundschaftlichen Beziehungen der einzelnen Familie mit den Familien des
Bekanntenkreises, die auf Grund der Initiative einzelner Familienmitglieder angeknüpft
wurden, sind.
Vom Standpunkt des Ethnographen aus scheinen dem Rez. am wichtigsten die Fest-
stellung über die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, die nach ihrem gegenseitigen
Verhältnis zu einer dispersen Familie von drei Generationen geworden sind. Die Ergebnisse
der Verf. in Flamburg decken sich vollständig mit denen aus Großstadtuntersuchungen, die
von tschechischen Volkskundlern durchgeführt wurden. Ebenso wichtig und gleichfalls
mit unseren volkskundlichen Untersuchungen übereinstimmend ist eine beträchtliche und
noch wachsende Stabilisierung der Bevölkerung in einzelnen Stadtteilen und die Korrelation
zwischen der Dauer des Wohnens in einer Straße und den Beziehungen zum Stadtviertel
sowie dessen Bewohnern. Gleichfalls im Einklang mit den volkskundlichen Untersuchungs-
ergebnissen wird gezeigt, daß die Gewöhnung an das Milieu ein sehr wichtiger Faktor bei
der Einschätzung der Wohnlichkeit einer Straße und eines Viertels ist, daß sie sogar gewisse
negative Seiten, wie z. B. den Mangel an Läden, ausgleichen kann. Soziologen und Volks-
kundler bewerten die örtlichen Läden, Kinos, Gaststätten usw. gleichermaßen als neutrale
Orte, an denen man ohne größere vorhergehende Verbindlichkeiten Kontakte mit fremden
Menschen anknüpfen kann. Ebenso sind sie sich in der Einschätzung der Bedeutung der
Möglichkeit einer freien Wohnungswahl bzw. ihrer Zuteilung durch ein Wohnungsamt für
den Grad der Beziehungen zwischen Verwandten einig.
Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Studie E. Pfeils, obwohl sie sich mit
volkskundlichen Erscheinungen wie z. B. lokalen Normen des Kontaktes zwischen unmittel-
baren Nachbarn, zwischen verwandten und bekannten Familien, Formen der gegenseitigen
Hilfe zwischen Familien, die engen Kontakt miteinander unterhalten, Vorstellungen über
wechselseitige Pflichten und Rechte nicht beschäftigt und, obgleich man gegenüber ihrer
Methode vom Standpunkt des Volkskundlers gewisse Einwände Vorbringen kann, doch
zahlreiche Ergebnisse bringt, die auch für die Volkskunde von Belang sind. Sie beweist,
daß die These von der „Stadt als Sandhaufen“ unhaltbar ist, und sie zeigt auch, wie diese
These entstanden ist. Sie weist nach, daß die Stadt durchaus Bedingungen für das Knüpfen
engerer Beziehungen zwischen verschiedenen Familien bietet, die zur Schaffung und Er-
haltung örtlicher Normen und Formen des gesellschaftlichen Kontakts unerläßlich sind.
1 Durch den Charakter des statistischen Materials veranlaßt, blieb die Verf. bei einer sehr
groben Aufgliederung in drei Gruppen: Oberschicht, Mittelschicht, Arbeiterschicht.
Besprechungen
195
(Besonders sichtbar wird das in der sozialistischen Stadt, wo Möglichkeiten des Kontakts
zwischen Familien auch auf neutralem Boden viel zahlreicher sind, und wo die Mehrzahl
der Hemmungen, die engere Kontakte zwischen den Menschen erschweren, schwindet.)
Man muß sich bei Großstadtuntersuchungen freilich ständig vor Augen halten, daß hier
die Kontakte und Gruppen anders sind als auf dem Dorfe, daß auch lokale Formen anders
sind und sein werden, daß sie auf einer anderen Ebene bestehen, und daß volkskundliche
Erwägungen und Untersuchungen sowohl bei der Auswahl der Methoden, als auch bei der
Einschätzung der Ergebnisse mit dieser Tatsache zu rechnen haben.
Karel FojtIk, Brno
Anthony Oberschall, Empirical Social Research in Germany 1848—1914. Paris, Mouton u.
Cie., 1965. 153 S. (= Publications of the International Social Science Council).
Der an theoriegeschichtlichen Problemen seiner Disziplin interessierte Soziologe wird
die vorliegende Arbeit des amerikanischen Nachwuchswissenschaftlers A. Oberschall nicht
ohne Gewinn lesen. Das vorliegende, aus einer Dissertation hervorgegangene Buch ist das
erste Resultat der Arbeit an einem größeren wissenschaftlichen Forschungsprogramm der
Abteilung für Soziologie an der Columbia-Universität in den U SA. Einer Gruppe von Nach-
wuchswissenschaftlern ist die Aufgabe gestellt, den Beitrag der westeuropäischen bürger-
lichen Soziologie zur empirischen soziologischen Forschung in den letzten Jahrzehnten
des vorigen Jahrhunderts bis zum Beginn des ersten Weltkrieges zu erforschen. Als erstes
Ergebnis dieser Bemühungen liegt nun O.s Arbeit vor, die dem heutigen Vertreter der
völlig dem Empirismus verfallenen modernen bürgerlichen Mikrosoziologie demonstriert,
daß die vor allem in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten aus den USA nach Westeuropa
exportierten Praktiken der bürgerlichen empirischen soziologischen Forschung keinesfalls
dort ihren historischen Ursprung haben und daß die heutigen bürgerlichen Fachsoziologen
aus dem Studium dieser alten Materialien noch Nutzen ziehen können.
Das Forschungsprogramm der Soziologie-Abteilung an der Columbia-Universität er-
füllt neben dieser Aufgabe, und das zeigt sowohl O.s Arbeit als auch die dem Buch mit auf
den Weg gegebene Vorrede des bekannten amerikanischen Soziologen Paul Lazarsfeld,
eine ideologisch-apologetische Funktion im Rahmen der modernen bürgerlichen Soziologie.
Der Nachweis, daß beispielsweise Männer wie F. Tönnies und Max Weber (in Deutschland)
nicht nur abstrakt-theoretische Lehrsysteme ausarbeiteten, sondern auch für empirische
soziologische Untersuchungen eintraten und solche auch selbst durchführten, soll zur Auf-
wertung der empirischen modernen bürgerlichen Soziologie führen.
Den deutschen marxistischen Soziologen kann dic Empirical Social Research in Germany
nur empfohlen werden. In der DDR sind in den letzten Jahren einige die Theoriegeschichte
der Soziologie betreffende Arbeiten erschienen — vor allem von Kurt Braunreuther —, in
denen kritisch die bürgerliche Soziologie jener Zeit analysiert wird, sowohl was ihre ex-
ponierten Vertreter anbelangt, als auch hinsichtlich ihrer Beziehung zu Nachbardisziplinen,
wie der politischen Ökonomie. Diese Forschungsergebnisse beim Leser als bekannt voraus-
gesetzt, wird sich die vorliegende Arbeit dem marxistischen Soziologen auch als eine Fund-
grube illustrativen Materials zu verallgemeinernden Einschätzungen in den o. a. Arbeiten
erschließen. Das bezieht sich nicht nur auf O.s breitangelegte Bibliographie über empirische
Untersuchungen der deutschen bürgerlichen Soziologie in der zweiten Hälfte des 19. Jhs und
des beginnenden 20. Jhs. Der Autor zeigt, daß in dieser Periode eine beträchtliche Anzahl
empirischer soziologischer Untersuchungen hervorgebracht worden ist. Neben solchen, wohl
kaum bekannten empirischen Forschungen, z. B. des Mediziners Virchow, des Statistikers
Engel, solchen religiöser Organisationen usw. orientiert sich O. aber vor allem auf die ent-
sprechenden Beiträge der beiden bedeutenden deutschen bürgerlichen Soziologen in dieser
Epoche, auf Tönnies und Weber. O. konzentriert sich aber nicht nur auf die Beschreibung
der einzelnen empirischen soziologischen Untersuchungen. In der Einführung zu seinem
Buch bemerkt er selbst, daß neben dieser speziellen Aufgabe das Hauptaugenmerk auf die
13*
196
Besprechungen
Methodologie und auf die Probleme der Quantifizierung in diesen Untersuchungen gelegt wird.
Daneben widmet er einen großen Teil seiner Ausführungen der Art der Konzipierung eines
bestimmten soziologischen Problems und der Frage, wie es in der Folgezeit in der konkreten
empirischen Forschung verarbeitet wurde.
Der Verf. unternimmt den Versuch, Stellung und Funktion der empirischen soziologischen
Forschungen im Gesamtsystem der damaligen Sozialwissenschaften zu deuten. Das Problem
reduziert sich bei ihm auf die Frage, weshalb dieser spezielle Zweig soziologischer Forschung
sich recht diskontinuierlich entwickelte, und weshalb er sich nicht im akademischen Bereich
durchsetzen konnte, obwohl doch selbst die führenden Köpfe der damaligen bürgerlichen
Soziologie in Deutschland, wie Tönnies und Max Weber derartige Forschungen betrieben
und sogar über den Verein für Sozialpolitik bzw. über die Deutsche Gesellschaft für Soziologie
versuchten, die akademische Welt für die empirische Soziologie zu interessieren. Seine Er-
klärung, die für diesen Umstand subjektive Faktoren verantwortlich macht, berührt nicht
den Kern des Problems. Dennoch sind seine Ausführungen über persönliche Kontroversen,
über Finanzierungsprobleme derartiger empirischer Untersuchungen, Fragen der Institu-
tionalisierung und dergleichen nicht uninteressant, zeigen sie doch viele der praktischen
Seiten derartiger Forschungsvorhaben.
Die bürgerliche Soziologie entwickelte sich während der wilhelminischen Ära als eine
theoretische Grundlage der deutschen liberalen Bourgeoisie. Sie hatte damals um ihre wissen-
schaftliche Anerkennung zu ringen. Im akademischen Bereich mußten die Soziologen die
Schlacht in erster Linie auf dem theoretischen Felde, vor allem in Abgrenzung zur poli-
tischen Ökonomie gewinnen. Empirische Untersuchungen, für die praktischen Bedürfnisse
der herrschenden Klasse noch so brauchbar, hätten — und haben auch — hierzu wenig ge-
nützt.
Oberschalls recht fleißige Arbeit wird, zusammen mit den zu erwartenden analogen Bei-
trägen über die empirische soziologische Forschung in Frankreich, England, Italien der
wissenschaftlichen soziologischen Forschung ein brauchbares Nachschlagewerk zu theorie-
geschichtlichen Problemen der Soziologie sein. In diesem Sinne kann man diese Arbeit dem
Fachwissenschaftler empfehlen.
Klaus O. W. Müller, Berlin
Erich Egner, Entwicklungsphasen der Hauswirtschaft. Göttingen, Schwarz u. Co., 1964.
120 S. (= Göttinger Wirtschafts- und Sozialwiss. Studien 1).
Der Einfluß der Wirtschaft bzw. der jeweiligen Wirtschaftsformen auf die kulturelle Ent-
wicklung ist ein Thema, das die Volkskunde stark interessiert. Sie wird die vorliegende
Untersuchung um so mehr zu beachten haben, als diese in einem historischen Querschnitt
vom Mittelalter bis zur Gegenwart die Haushaltsführung in den Familien einzelner sozialer
Gruppen bei wachsender Marktorientierung des Erwerbslebens darstellt. Dabei ergeben sich
wichtige Schlußfolgerungen auf die Veränderungen in der Familienstruktur, auf die be-
sondere Rolle der Frau in Haushalt und Familie, auf die Arbeitsteilung zwischen den Fa-
milienmitgliedern im Haushalt und vor allem auf die Lebensweise.
Unter Haushalt versteht E. die „Bedarfsdeckungsgemeinschaft einer Menschengruppe“,
hier ausschließlich der Familie des Bauern, des Handwerkers, des Heimarbeiters, des Patri-
ziers, des „mittelständischen“ Bürgers, des Arbeiters und des Angestellten. Der Verf. hat
also einige für bestimmte historisch-gesellschaftliche Epochen charakteristische Gruppen aus-
gewählt, ohne jedoch die Haushaltentwicklung einer einzelnen Gruppe durchgängig bis in
die Gegenwart zu verfolgen. Das wird man in gewisser Weise bedauern. Doch leiteten den
Verf. ausschließlich ökonomische Gesichtspunkte und er erhebt nicht den Anspruch als
Historiker zu gelten. Dementsprechend hat er sich bewußt auch nur auf Sekundärliteratur
gestützt, unter der allerdings volkskundliche Arbeiten, die ihm zumindest für Bauern und
Handwerker manches wichtige Material hätten bieten können, so gut wie ganz fehlen. Man
wird auch gegen einige Formulierungen und Schlußfolgerungen des Verfs Einwendungen
machen müssen, so etwa, wenn er die Hauswirtschaft des spätmittelalterlichen Bauern mit der
Besprechungen
197
ehemaliger Kolonialvölker vergleicht (2) oder die Lebenshaltung der Verlags-Heimarbeiter
im 17./18. Jh. mitunter in etwas zu rosigem Licht darstellt (34ff.)*
Trotz solcher Ausstände wird der Wert dieser Arbeit nicht geschmälert. Sie gibt viele
Anregungen, die in ihrer Problematik vom Verf. nur angeschnittenen Zusammenhänge im
einzelnen zu verfolgen. So zeigt sie u. a. den gerade in der Volkskunde bisher viel zu wenig
beachteten Einfluß der Marktwirtschaft auf die bäuerliche Volkskultur und bietet inter-
essante Einzelheiten über noch kaum untersuchte soziale Gruppen, z. B. über die aus den
Dörfern in die städtischen Haushalte abgewanderten Dienstboten.
Wolfgang Jacobeit, Berlin
Herbert Ludat, Das Lebuser Stiftsregister von 1405. Studien zu den Sozial- und Wirt-
schaftsverhältnissen im mittleren Oderraum zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Teil I.
Wiesbaden, Otto Harrassowitz i. Komm., 1965. XXXIX, 161 S., 5 Karten (= Ost-
europastudien des Landes Hessen Reihe I: Gießener Abhandl. zur Agrar- und Wirt-
schaftsforschung des europäischen Ostens 9).
Als hervorragende agrarhistorische Quelle des Spätmittelalters darf das von L. heraus-
gegebene Inventar der Lebuser bischöflichen Besitzungen zugleich das Interesse des Volks-
kundlers beanspruchen. Vergleichbar anderen Standardquellen wie dem Landbuch Karls V.
von 1375 (ed. J. Schultze 1940) oder dem sog. Winsener Schatzregister von 1450 (ed. R. Grie-
ser 1942) erweist sich das Lebuser Stiftsregister vor allem deshalb als einmalig, weil es geo-
graphisch weit voneinander entfernt gelegene und außerdem ethnisch gemischte Gebiete
umfaßt, die von der Gegend vor den Toren Berlins (Lebus Kr. Frankfurt/Oder) bis nach
Großpolen (ö. Gneznio) bzw. Kleinpolen (w. Sandomierz) reichen. Beschränkt sich die vor-
liegende Publikation auf den Abdruck des Inventarwerks, textkritische Untersuchungen, Er-
örterungen zur Verwaltungsgeschichte des Stifts usw., so läßt bereits das ausführliche und
zuverlässige Sachregister erkennen, wieviel dieser Quelle im Hinblick auf die Geschichte der
materiellen Kultur abgewonnen werden kann. Der Text enthält aussagekräftige Belege für
die wirtschaftlichen Verhältnisse insbesondere der Bauernhöfe, so über Gartenkultur, Vieh-
haltung, Kornbau, wobei sogar einzelne Arbeitsgeräte mitaufgeführt sind (z. B. die Sichel),
ferner Mühlenwesen, Fischerei und andere Wirtschaftszweige. Die teils summarische, teils
minutiöse Erfassung der Dienste und Abgaben durch das Bistum mag Ausfluß eines gegen-
über der spätmittelalterlichen Norm stark differenzierten bäuerlichen Rechts- und Besitz-
status im Lebuser Territorium sein, — sie gewährt, jedenfalls partienweise, dem Volkskund-
ler wichtige Einblicke in die landwirtschaftliche Produktion einer von ihm sonst wenig
untersuchten Periode.
Uber den Wert der Publikation als mediävistisches Werk steht dem Rez. kein Urteil zu.
Hierzu wird man u. a. auch die Meinung der polnischen Mediävistik, die soeben mit der
Neuherausgabe paralleler Quellenwerke (J. Dlugosz) begonnen hat, hören müssen.
Ulrich Bentzien, Rostock
Karl Ewald Fritzsch — Manfred Bachmann, Deutsches Spielzeug. Leipzig, Edition
Leipzig, Verlag für Kunst und Wissenschaft, 1965. 199 S., 58 Abb. im Text, 104 Taf.,
z. T. farbig.
Rund vierzig Jahre nach der Veröffentlichung des grundlegenden Werkes von K. Gröber
über Kinderspielzeug aus alter Zeit (1928) haben zwei renommierte Fachleute auf dem Gebiet
der Volkskunst ihre Kräfte vereint, um ein neues Buch über deutsches Spielzeug zu schrei-
ben, das die Ergebnisse der modernen Forschung erschöpfend berücksichtigen will.
Das umfangreiche Buch ist in zwei Abteilungen gegliedert, von denen die erste der Ge-
schichte der volkstümlichen Spielzeugherstellung gewidmet ist, die zweite der Typologie des
Spielzeugs.
198
Besprechungen
In einer knappen Einleitung erinnern die Verf. an die Bedeutung der deutschen Spielzeug-
produktion, an deren Übergang vom städtischen Handwerk zur Heimindustrie. Sie schöp-
fen die bisherige Literatur aus, ergänzen sie durch neue Quellen (vor allem durch Museums-
bestände und Archivalien) und grenzen ihr Forschungsgebiet ab, indem sie nur das soge-
nannte Volksspielzeug in Betracht ziehen, dessen typische Kennzeichen ihrer Meinung nach
in Einfachheit und Verständlichkeit, Neigung zur Stilisierung, klarer Farbigkeit, bisweilen
in einer gewissen Naivität des Ausdrucks und einer regionalen Abhängigkeit der Motive
bestehen.
Das der Geschichte der deutschen Spielzeugproduktion gewidmete Kapitel behandelt zu-
nächst die beiden Hauptgruppen des vom Kind selbst oder von seinen Eltern hergestellten
und des ehedem von Handwerkern produzierten Spielzeugs. In einem weiteren Kapitel
heben die Verf. die Bedeutung Nürnbergs für den Spielzeughandel hervor. Dieser Abschnitt
des Buches basiert vor allem auf reichem, durch zeitgenössische Illustrationen außerordent-
lich instruktiv belegtem Material, das die Geschichte der wichtigsten Spielzeugtypen, ihre
zeitlichen Veränderungen und die allmähliche Verbreitung einiger Typen unter breiten
Schichten des Volkes aufzeigt. Weitere fünf Kapitel des ersten Teiles beschäftigen sich mit
den Hauptzentren der deutschen Spielzeugheimindustrie: Oberammergau, Berchtesgaden,
Grödener Tal, Sonneberg und Erzgebirge. Die Verf. geben einen detaillierten historischen
Überblick über die Entstehung und Entwicklung dieser Gebiete, ihre wichtigsten Waren-
typen, das belieferte Gebiet und den heutigen Produktionsstand. Das Buch liefert so ein
bemerkenswertes synthetisches Bild von der Entwicklung der deutschen Spielzeugindustrie
etwa der letzten 200 Jahre und legt damit die Wurzeln frei, aus denen nicht nur eine der
charakteristischen Komponenten der deutschen Volkskunst, sondern auch das Typische der
heutigen deutschen Spielzeugindustrie erwachsen ist.
Der zweite Teil des Buches ist einer Typologie des deutschen Volksspielzeugs gewidmet. Als
hauptsächlichen Klassifikationsgesichtspunkt haben die Verf. sehr richtig die Funktion ge-
wählt, die das Spielzeug im Leben des Kindes und in seiner Entwicklung erfüllt hat. In
Anwendung dieses Prinzips wird zunächst unter dem Titel Farbe, Klang und Bewegung das
Spielzeug der kleinsten Kinder behandelt (Klappern, einfache bewegliche Spielzeuge der
Säuglinge, kleine Tiere auf Rädern, kompliziertere lautliche und mechanische Spielzeuge).
Sehr interessant und wertvoll sind hier die Analysen der historischen Quellen einiger Spiel-
zeugformen. — Das Kind erbaut sich seine Welt heißt die Darstellung über das Spielzeug der
größeren Kinder (verschiedene Baukästen, die gerade in Deutschland eine alte Tradition
haben, Kollektionen von Häuschen und kleinen Tieren, wie Jagden, Bauernwirtschaften,
„Archen Noah“ u. a.). Die Verf. ziehen zur Analyse und zur Illustrierung die alten Muster-
bücher der großen Handelshäuser in weitem Maße heran, die eine unschätzbare Quelle für
die Kenntnis der Spielzeuggeschichte sind. — Das komplizierte Spielzeug technischen Cha-
rakters wie Schiffe, Wägelchen, Eisenbahnen und Autos, aber auch einfache Pferdchen und
Reiter wird unter dem Titel Arbeit, Verkehr und Technik behandelt. Einbezogen ist auch die
Analyse über die Spielsoldaten und Burgen sowie ein kurzer Überblick über Bedeutung und
Entwicklung des Zinnspielzeugs. — Ein Kapitel Puppe, Puppenhaus und Kaufmannsladen
enthält Beschreibung und historische Analyse der wichtigsten Puppentypen und all dessen,
was zu ihnen gehört. Die Verf. schildern auch eingehend die Geschichte des Puppenhauses
von seinen Anfängen bis zu den Nachbildungen reicher bürgerlicher und adliger Häuser des
17. und 18. Jhs und der allmählichen Vereinfachung und volkstümlicheren Gestaltung im
19. Jh. — Die Bunte Welt des Puppenspiels wird in knappen Zügen durch das Puppentheater
charakterisiert, während die mit Weihnachten verbundenen Gegenstände wie Krippen, Weih-
nachtspyramiden, Engel, Bergleute und Nußknacker der erzgebirgischen Schnitzer im
letzten Kapitel als Gelegenheitsspielzeug und brauchtümliche Gegenstände besprochen werden.
Fast die Hälfte des Buches bilden Bildbeilagen aus schwarzweiß und farbig reproduzierten
Fotografien mit den wichtigsten Typen des deutschen Spielzeugs, die zusammen mit einer
großen Zahl von Zeichnungen im Text die historische und typologische Darstellung der
Verf. abrunden. Wenn wir vom Reiz dieser Illustrationen absehen wollen, die sowohl in-
haltlich als auch durch vollendete Foto- und Reproduktionstechnik aus dem vorliegenden
Werk eines der schönsten Bücher machen, das in der letzten Zeit entstanden ist, so muß man
Besprechungen
199
vor allem erwähnen, daß sie durch gute Auswahl einmal alle wichtigen Gedanken der beiden
Autoren illustrieren, zum anderen aber auch in sehr geschickter Weise die hauptsächlichen
bildnerischen Qualitäten des deutschen Spielzeugs erfassen. Für den Forscher und Museums-
arbeiter sind sie auch ein wichtiges Hilfsmittel für die Festlegung von Provenienz und Da-
tierung der Spielzeugsammlungen.
Freilich läßt der Bildteil die Schwierigkeiten erkennen, denen man bei der Untersuchung des
deutschen Volkspielzeugs begegnet. Obgleich die Verf. sich das Ziel gesetzt hatten, nur das
sogenannte Volksspielzeug zu studieren, beweist doch ihre Arbeit, wie schwierig die An-
wendung der grundlegenden Kriterien der Volkstümlichkeit auf einen so eng mit dem Leben
verbundenen, geographisch so weit verbreiteten und historisch so wandelbaren Gegenstand,
wie das Spielzeug ihn darstellt, ist. Sowohl bei der historischen, als auch bei der typologi-
schen Analyse und Dokumentation mußten sie in die Untersuchung Spielzeug einbeziehen,
das offenbar über den Kreis des Volksspielzeugs hinausreicht (wie z. B. die überreichen
Nürnberger Puppenhäuser, Kaufmannsläden usw)., die andererseits aber ein wichtiger
Ausgangspunkt für die Entwicklung von tatsächlich volkstümlichen Spielzeugen waren
oder wenigstens eine Inspirationsquelle für den Hersteller aus dem Volke darstellten. Die Si-
tuation der Verf. war in dieser Hinsicht insofern schwierig, als das deutsche Spielzeug aus
einer geradezu klassischen Spielzeugmachertradition erwächst, einer Produktion, die, wie die
Autoren einleuchtend zu zeigen vermochten, in einigen Gebieten fast unmerklich vom Zunft-
gewerbe über die Heimindustrie in die moderne Fabrikarbeit überging. Strittig ist von die-
sem Gesichtspunkt her die in dem Buch dokumentierte Volkstümlichkeit des Zinnspielzeugs.
Sehr interessant ist das Bemühen der Verf., das Spielzeug nicht nur vom Standpunkt der
bildenden Kunst und der Produktion, sondern auch vom pädagogischen Gesichtspunkt her
zu sehen und zu zeigen, daß dieses deutsche traditionelle Spielzeug eng mit bildnerisch
konzipierten modernen Spielzeugartikeln zusammenhängt. Die funktionelle Betrachtungs-
weise bei der Erarbeitung der Typologie ergab trotz unstreitiger Vorzüge auch gewisse
Probleme, so z. B. die Einordnung verhältnismäßig komplizierter beweglicher Spielzeuge—
die gewiß mit den Anfängen des mechanischen Spielzeugs Zusammenhängen —, in die Ab-
teilung, die dem Spielzeug der kleinsten Kinder gewidmet ist.
Durch Fritzschs und Bachmanns Werk wird die ethnographische Literatur um eine wich-
tige Monographie erweitert, die in höchst dankenswerter Weise eine Lücke in unserer bis-
herigen Kenntnis über das Spielzeug füllt.
Helena Johnovä, Prag
Karl Ewald Fritzsch, Die Umstellung des Bergorles Seiffen zur Spielzeugproduktion.
Sachs. Heimatbll. n (1965) 482—498, 6 Abb.
Ders., Motive des Spielzeugs nach erzgehirgischen Musterbüchern des 19. Jahrhunderts. Ebda
499 — 576, 75 Abb. (= Sächsische Heimatblätter 11, 1965, Heft 6).
Der Verf. will versuchen, den Vorgang der Umwandlung eines Bergortes in einen Ort
der Spielzeugindustrie ,,aus der wirtschaftlichen und sozialen Situation des Gebietes zu ver-
stehen und die in ihm wirkenden Kräfte zu kennzeichnen“. Damit ist dieser Aufsatz Fort-
führung und Erweiterung einer früheren Untersuchung des Verfs Vom Bergmann zum Spiel-
zeugmacher (DJbfVk 2, 1956, 179ff.), in der er die Ablösung des Zinnbergbaus an Hand eines
reichen Urkundenmaterials behandelte und feststellte, daß der Anfang des Drechselns und
Schnitzens keine Feierabendbeschäftigung war, weil das harte Tagewerk der Bergleute und
die notwendigen Arbeiten in Haus und Kleinstlandwirtschaft kaum Mußezeit dafür ließen.
Außerdem waren die Hände, „die Schlägel und Seifengabel bedienten, für die feine Schnitz-
arbeit nicht geeignet“. Später, als durch das wechselvolle Auf und Nieder des Bergbaues in
arbeitsloser Zeit die Bergleute zum Drehstahl griffen, wurde das Drechseln zuweilen „zweite
Schicht“.
War bis zur Mitte des 18. Jhs der Bergbau tonangebend, so beginnt — wie eine aufschluß-
reiche graphische Darstellung zeigt — in den letzten Dezennien dieses Jahrhunderts das
Drechseln sich mehr und mehr als alleiniger Broterwerb in den Vordergrund zu schieben.
200
Besprechungen
Ein wichtiger Faktor für das rasche Ausbreiten der Drechslereien war die Tatsache, daß die
Wasserkraft in den leerstehenden Pochmühlen der Bergwerks- und Hüttenbetriebe verwendet
werden konnte. Mit wesentlich weniger Kraftaufwand als mit der Fußdrehlade konnte so
eine höhere Produktivität erreicht werden. Genügend Aufträge und bessere Bezahlung als
im Bergbau (es wurde zum Teil das Doppelte verdient) veränderten die Situation so, daß
die Bergleute bald ihrem eigentlichen Beruf ganz den Rücken kehrten. Die weniger gefahr-
volle Arbeit zu Hause mit der Freiheit der Arbeitszeiteinteilung zogen sehr viele vor. Ähnlich
wie im Sonneberger Gebiet vervielfachte sich aber die Zahl der Drechsler durch „völlig un-
qualifizierte Kräfte, die ohne fachliche Ausbildung nur liederliche Schluderarbeit leisteten!“
Dazu kam, wie auch in Sonneberg, daß die Drechsler schon in jungen Jahren vielköpfige
Familien zu versorgen hatten, deren Sprosse auch weitgehend in die heimische „Industrie“
gingen. Eine Protestaktion im Jahre 1843 gegen dieses Überlaufen des Drechslerberufes
brachte keine Änderung. — Die interessante Untersuchung endet an dieser Stelle, weil die
Umwandlung vom Bergort zum Spielzeugort abgeschlossen ist. Es bleibt zu hoffen, daß der
Verf. die wirtschaftliche und soziale Situation in Seiffen noch einmal bis zur Gegenwart hin
darstellt. Auf jeden Fall möchte man gerne mehr über die Lebensweise der Spielzeugmacher
wissen. Da es offenbar recht gutes Urkundenmaterial gibt, könnte ein schönes Gesamtbild
geboten werden.
Die zweite Arbeit ist ebenfalls die Erweiterung einer früheren Untersuchung über die
Erzgebirgischen Spielzeugmusterbücher (DJbfVk 4, 1958, 91 ff.). Durch glückliche Funde
konnten weitere Musterbücher ausgewertet werden. Damit ist eine Übersicht über den Motiv-
schatz des erzgebirgischen Spielzeugmachers für die sechs Jahrzehnte von 1840 bis 1900 ge-
geben. Vergleichsweise wird das berühmte Magazin von Bestelmeier (Nürnberg um 1800)
herangezogen. Fünf Motivgruppen stellt der Verf. in den Musterbüchern, die für die Hand
des Reisenden an Stelle der schweren Musterkoffer angefertigt wurden, fest: 1. Dinge, die die
Sinnesbildung beim Kleinstkind durch Farbe, Klang und Bewegung fördern, 2. Bauereien,
die die Vorstellungswelt besonders beim Klein- und Vorschulkind unterstützen, 3. Spiel-
mittel, die das Schulkind in die Welt des Handwerks, der Technik, des Verkehrs einführen,
4. Spielmittel, die die kleine Hausfrau durch Puppenhaus, -küche und Markt mit der hauswirt-
schaftlich-mütterlichen Welt vertraut machen, 5. Gemeinschaftsspiele, die die charakter-
liche und soziale Entwicklung des Kindes fördern.
In 75 Abbildungen werden uns die vielfältigen Dinge der einzelnen Gruppen nahe-
gebracht und manchmal fast schwärmerisch beschrieben. — Alles in allem eine Arbeit, der
wir einen weiten Leserkreis wünschen.
Heinz Sperschneider, Jena
Reinhard Peesch, Holzgerät in seinen Urformen. Berlin, Akademie-Verlag, 1966. 97 S.,
64 Abb. (= Veröff. d. Inst. f. dt. Volkskunde an der Dt. Akad. d. Wiss. zu Berlin 42).
Reinhard Peesch, der durch seine große Veröffentlichung über die Fischerkommünen auf
Rügen und Hiddensee bekannt geworden ist, legt in einem schmalen, aber bedeutsamen Bänd-
chen eine Studie über den Werkstoff Holz und seine Verwendung im Gerätewesen vor, die aus
einer Vorlesung zur Einführung in die Ergologie hervorgegangen ist. — Er behandelt zu-
nächst die Naturformen (Baum, Block, Krummholz, Gabel), untersucht anschließend das
gehöhlte Holz, wie es als Trog, Mulde, Beute, Schöpfgefäß Verwendung findet, danach die
aus dem Spaltholz gewonnenen Geräte wie Korbreuse, Spantasche und Tragekorb, und be-
handelt in einem abschließenden Kapitel Hauswerk und Hausindustrie, die sich mit diesen
Elementarformen befassen.
Das Thema ist an sich unerschöpflich. Wir begrüßen es aber, daß der Verf. mit seiner Aus-
wahl gerade dem Studierenden hier eine erste Orientierung gibt über ein Gebiet, das wir gar
nicht ernst genug nehmen können, da es uns bis in die frühesten Kulturepochen der Mensch-
heit zurückführt. Angesichts dieses Aspektes, dessen sich der Verf. durchaus bewußt ist,
wäre ein Hinweis auf die so wichtigen Holzgerätefunde der Jungsteinzeit in der Schweiz er-
wünscht. (Vgl. neuerdings Hansjürgen Müller-Beck, Seeberg Burgäschisee-Süd, Teil 5,
Besprechungen
201
Holzgeräte und Holzbearbeitung. Bern 1965 [Acta Bernensia, Beiträge zur prähistorischen,
klassischen und jüngeren Archäologie II] und Walter-Ulrich Guyan, Zur Herstellung und
Funktion einiger jungsteinzeitlicher Holzgeräte von Thayingen-Weier. In: Helvetia Antiqua,
Festschrift f. Emil Vogt, Zürich 1966.) — Ein besonderer Vorzug der vorliegenden Arbeit
sind die Beispiele aus dem Bereich der Fischer und Schiffer, vor allem die Behandlung der
verschiedenen Reusenformen und der Aalkörbe bzw. Aalhälter. Auch für die Berufe, wie
etwa dem Muldenhauer, bringt er sehr instruktives, bisher wenig beachtetes Material. Wir
möchten aber wünschen, daß bei einer Neuauflage einige wichtige Sachgruppen mit auf-
genommen werden. So fehlt beispielsweise ein Hinweis auf die Bohlenwege in Moor-
gebieten, deren mannigfaltige Konstruktionen uns heute durch Hajo Hayen bekannt sind,
oder das so wichtige Gebiet der Zaunformen, die zwar heute schwerer zu beobachten, aber
in Waldgegenden, namentlich im Alpenraum, doch noch häufig anzutreffen sind. Das Schrift-
tenverzeichnis bringt die wesentlichsten Arbeiten, die zum Thema gehören. Aber auch dort
wünschte man sich einige Ergänzungen. Wir möchten nur an die so wichtige Arbeit von
S. K. Prosvirkina, Russkaja derevjannaja posuda (Das russische Holzgefäß), Moskau 1955,
erinnern. Vielleicht würde sich auch empfehlen, auf die Werkzeuge in einer gesonderten
Studie näher einzugehen, und sozusagen eine vergleichende Darstellung der einzelnen In-
strumentarien zu versuchen. Solche Instrumentarien besitzen wir zum Beispiel bereits aus
der Mitte des 19. Jhs für die Berchtesgadener Hausindustrie. Die wichtige Arbeit von Gott-
fried Reissinger über die Axt wäre hierzu aufzunehmen, wie auch einige Standardwerke zur
Waldgeschichte und Holztechnologie, z. B. von Firbas und Kollmann. Damit soll der Wert
der vorliegenden Veröffentlichung keineswegs eingeschränkt werden, die über ein höchst
instruktives, sorgfältig ausgewähltes Bildmaterial von 64 Abb. verfügt und dankenswerter-
weise auch ein Sach- und Wortregister enthält. Es ist anzuerkennen, daß der Verf.,obwohl er
mit gutem Recht sich hauptsächlich niederdeutscher Belege bedient, sich bemüht hat, auch
den oberdeutschen Wortschatz mit einzubeziehen. Die Materialsammlung dürfte heute so
dicht sein, daß man wortgeographische Karten in größerer Anzahl für das Thema Holz-
gerät auswerten könnte, wie umgekehrt auch formgeographische Übersichtskarten er-
arbeitet werden sollten. Wie wichtig bei der Geräteforschung auch die Beachtung kleinster
Details ist, zeigt P. am Beispiel der Örnägel, die die Brandenburgischen Seiler als Spleiß-
stock verwenden. P. stellt ein Exemplar aus Fliederholz einem solchen aus dem Augsproß
eines Hirschgeweihes gegenüber von der Werkstatt des Seilermeisters Doßmann in Oderberg.
(Die Verwendung von Tiergeweihen im Gerätewesen ist bisher fast nur von der Prähistorie
beachtet worden.)
Uns erscheint das Studium der Holzgeräte in ihren Urformen um so wichtiger, als wir
dadurch in die Lage versetzt werden, die hochentwickelten Geräte und Gegenstände wirklich
zu würdigen, die man bisher gewöhnlich mit der bürgerlichen Gerätewelt zusammen-
gesehen und dabei nur in ihrer Abhängigkeit von der bürgerlich städtischen Kultur unter-
sucht hat. In der sogenannten Urform aber erlebt man sie als Hochleistungen, was auch vom
Volkskundlichen her wichtig ist, denn für die Schöpfer dieser „Urformen“ waren sie ja
immer noch Gegenwart und lebendige Erfahrung. So ist die letzte Konsequenz, daß man auf
dem Wege der Feldforschung, durch Befragung und Aufnahme in Ton, Wort und Bild den
Spuren jener Elementarkenntnisse nachgehen muß (z. B. Herstellung eines Zaunringes, Bau
eines Floßes, Auswahl des Holzes für Spankörbe usw.). Dabei mag das Wissen des Hand-
werkers heute manchmal tiefer gehen als das des Bauern. Sonst wäre es nicht nötig, daß der
Bauer mit dem Korbflechter, bei dem er einen neuen Tragkorb bestellt, in denWald gehen
muß, und der Korbflechter bestimmt, welcher Baum zum Herstellen der Späne zu schlagen
ist. Oder wer denkt daran, daß etwa hölzerne Rinnen mit einer Jahreszahl versehen wurden,
um eine Kontrolle zu haben, welches Holz dauerhafter ist.
Es bleibt daher nur zu wünschen, daß die vorliegende Veröffentlichung möglichst vielen
Studierenden zugänglich wird, damit sie mit ihrer Hilfe die ersten Schritte in der Feld-
forschung gehen können. — Unsere alte volkstümliche Sachkultur ist nun einmal auf den
Werkstoff Holz auf gebaut. Es bleibt eines der interessantesten Probleme, in welchem Ver-
hältnis das bäuerliche Holzgefäß zum irdenen Gefäß innerhalb des volkstümlichen Hausrates
stand. Im Unterschied zum Scherben ist Holz wesentlich vergänglicher und hält sich nur
202
Besprechungen
unter besonders günstigen Umständen, wie etwa in moorigen Böden. Bodenfunde werden
daher das Bild immer zugunsten der Keramik verzeichnen. Da uns aber auch Verlassen-
schaf tsinventare erst aus dem Nachmittelalter in breiter Streuung zur Verfügung stehen, also
aus einer Zeit, in der die Keramik ohne Zweifel auch das Bauernhaus erobert hatte, ist es
außerordentlich schwierig, den Prozeß der Verdrängung von Holzgefäßen wirklich dar-
zustellen. Hier scheint uns gerade das letzte Kapitel Hauswerk und Hausindustrie einen
Fingerzeig zu geben, denn die Auswertung von Markt- und Handelsakten kann eine Vor-
stellung von den Produktionsziffern vermitteln. Wenn wir diese erst gewonnen haben, sind
wir auch in der Lage, auf den Absatz zu schließen, und gewinnen dadurch eine Vorstellung
von der Ausstattung des volkstümlichen Haushaltes. Es bleibt auch zu beachten, daß gewisse
Geräte immer noch Gültigkeit haben,wie z. B. der Holzrechen, der auch heute noch als Streu-
und Schoberrechen in großen Mengen hergestellt wird. Wir stehen, wie der Verf. ab-
schließend bemerkt, tatsächlich noch am Anfang der Forschung auf diesem Gebiet. Dessen
sollten wir uns immer bewußt sein.
Torsten Gebhard, München
Ulrich Bauche, Landtischler, Tischlerwerk und Intarsienkunst in den Vierlanden unter der
beiderstädtischen Herrschaft Lübecks und Hamburgs bis 1867. Hamburg, Museum für
Hamburgische Geschichte, 1965. 252 S., 20 Taf. (= Volkskundliche Studien 3).
Die vorliegende Monographie — die überarbeitete Fassung einer Hamburger Disser-
tation — stellt zweifellos eine der besten Studien dar, die wir neben den Arbeiten von Hell-
wag, Fehring oder Sieber über das Tischlerhandwerk in Deutschland bisher besitzen. Sie
gibt die erste zusammenfassende Darstellung über die durch ihre Intarsienkunst berühmt
gewordene Vierländer Tischlerei, deren ungewöhnlich zahlreich erhaltene datierte Werk-
stücke schon seit Jahrzehnten immer wieder zu wissenschaftlicher Beschäftigung angeregt
haben.
B. führt zunächst allgemein in die eigenartige kleine Kulturlandschaft vor den Toren
Hamburgs ein, behandelt die ungünstigen gewerberechtlichen Existenzbedingungen des
Dorfhandwerks und vermittelt eine detaillierte Übersicht über die in diesem Gebiet tätig
gewesenen Landtischler und deren Werkstätten. Er weist nach, daß die Vierländer Tischler
seit der Herausbildung aus dem Zimmererhandwerk im frühen 17. Jh. eine in sich geschlossene
Berufsgruppe bildeten, die durch Herkunft, landschaftliche Gebundenheit und soziale Lage
ihrer Mitglieder fest in der übrigen Bevölkerung verwurzelt war. Bis ins letzte Drittel des
17. Jhs richteten sich die wohnkulturellen Ansprüche der wohlhabenden Vierländer Bauern
nach den städtischen Einrichtungs- und Auszierformen, deren Aneignung durch die dörf-
lichen Auftraggeber und Produzenten von B. nicht als bloßes „Nachahmen“ abgetan, son-
dern als aktiver Vorgang gewertet wird. Dann setzte — zunächst ausgelöst durch wirtschaft-
liche Depression, die die Notwendigkeit bescheidenerer Ausstattung zur Folge hatte — eine
allmähliche Abhebung von der städtischen Formenentwicklung ein. Das geschah nun nicht
durch ein Festhalten an der einmal erreichten Gestaltung, sondern hier lag, wie der Verf.
zeigt, gerade der Ausgangspunkt für die schöpferische Eigenentwicklung der Vierländer
Dorftischlerei, die — erwachsen auf dem Boden einer durchaus gemeinschaftsgebundenen
Kunstübung — Meisterwerke persönlicher gestalterischer Leistung hervorbrachte. Dabei
entsprach das mit großem technischen Können gefertigte, künstlerisch spezialisierte Formen-
gut nicht nur den Bedürfnissen eines über die Vierlande hinausreichenden Konsumenten-
kreises, sondern es bot auch die Möglichkeit zur Selbstbehauptung der nicht zunftgemäß aus-
gebildeten Landtischler gegen die städtischen Gewerbeansprüche.
Dieses Tischlerwerk wird von B. sehr eingehend beschrieben, wobei es ihm darum geht,
die Gesamtheit der hergestellten Erzeugnisse zu erfassen. Er bezieht deshalb neben dem be-
sonders reichhaltigen und bisher am stärksten beachteten Vierländer Mobiliar die Bautisch-
lerarbeiten am und im Haus (Fenster, Türen, Schnitzerei am Fachwerk, Windbretter, Fuß-
böden, Täfelung der Wände, Wandbetten, Treppen usw.) in die Betrachtung mit ein und
widmet auch den Beiträgen der Landtischler zur Kirchenausstattung (Altäre, Kanzeln, Orgel-
Besprechungen
203
Prospekte, Taufen, Gestühl) einen eigenen Abschnitt. Unter dem Möbel fallen neben den
schon im 16. Jh. in Bauernhaushalten anzutreffenden verschiedenen Schränken, Sitzmöbeln
und Tischen besonders die repräsentativ gestalteten Truhen (Kisten und Laden, nur wenige
Koffer) auf, die — auf Grund ihrer Funktion als Hochzeitsgut und Behältnis intim-persön-
lichen Besitzes — auch in diesem großstadtnahen Gebiet bis vor knapp ioo Jahren die
charakteristischen Stücke der bäuerlichen Einrichtung blieben. Bei ihnen wie bei den meisten
anderen Möbelarten gestatteten es der erhaltene Bestand und der leicht überschaubare Unter-
suchungsraum dem Verf., über die Beschreibung typischer Werkstücke hinaus jeweils die
Entwicklung der Herstellungstechnik, der äußeren Form und des Dekors im Laufe der
Jahrhunderte zu skizzieren, wobei man sich nur wünscht, daß mehr detailliert erläuternde
Zeichnungen beigegeben wären.
Im dritten Teil der Untersuchung wird noch einmal gesondert die Entwicklung der
Intarsia als charakteristische Schmuckart der Vierlande behandelt, wobei es B. durch
diffizile Analysen der Einlagen gelingt, mehrere Perioden der Gestaltung abzugrenzen. Die
Anfänge reichen bis um 1600 zurück. Um 1740 setzte die Anwendung des Sägeschnitts ein,
die in kurzer Zeit die Intarsien zum beherrschenden Schmuck im Tischlerwerk werden ließ.
Gegen Ende des Jahrhunderts war bei weitgehender Vereinheitlichung ein hoher Grad
künstlerischer Fertigkeit erreicht, die in den folgenden Dezennien durch Wiederholung be-
währter Motive tradiert wurde. Daneben kam es aber in zunehmendem Maße zu schöpferischen
individuellen Gestaltungen, die bei baldiger Nachahmung durch andere Tischler im 2. Drit-
tel des 19. Jhs einen größeren Formenreichtum und stärkere künstlerische Qualitätsunter-
schiede mit sich brachten, bis schließlich der Schmuck in den um 1850 erreichten Formen
erstarrte, da immer ausschließlicher für den Export gearbeitet wurde.
Die gelungenen Nachweise individueller Variationen der hochentwickelten Arbeits-
technik und des überlieferten Formenbestandes durch einzelne Tischler und deren Werk-
stätten machen den ganz besonderen Reiz dieser Untersuchung aus. Sie führt dabei zu
neuen Erkenntnissen auch über das Wesen der Volkskunst, die — wie das Beispiel der Vier-
länder Landtischlerei besonders deutlich zeigt — weder „gesunkenes Kulturgut“ ist noch
„primitiver“ zu sein braucht als die städtische Produktion im Stil der Zeit und ebenso wie
diese weitgehend durch das schöpferische Wirken begabter Künstler geprägt und entwickelt
wird, aber stets in ihrer zeitlichen und räumlichen Gebundenheit und Besonderheit ver-
standen sein will.
Ein Verzeichnis aller namentlich ermittelten Vierländer Landtischler, ein Katalog aus-
gewählter Werkstücke und vorzügliche Fotos dazu, worauf die Darstellung ständig Bezug
nimmt, runden den Band ab.
Siegfried Neumann, Rostock
Georg Viktor Schulz, Studien zum Wortschatz der russischen Zimmerleute und Bautischler.
Berlin 1964. 229 S. (= Osteuropa-Institut an der Freien Universität Berlin, Slawistische
Veröff. 30).
Der Verf. nimmt sich eines „Stiefkindes der semantischen und etymologischen Forschung“
an; er untersucht ein kulturgeschichtlich ungemein aufschlußreiches Teilgebiet der russi-
schen Handwerkersprache, nämlich den Wortschatz des Zimmermanns. Diese Untersuchung
entstand aus einer von M. Vasmer angeregten und betreuten Berliner Dissertation. — Als
Philologe geht Schulz von wesentlich ethnographischen Thesen aus: von der Allseitig-
keit des dörflichen Hauswerks vor Eintritt einer wirksamen gesellschaftlichen Arbeits-
teilung (7) sowie vom Gegensatz zwischen Stadt- und Dorfkultur in früherer Zeit (9, 20).
Die Arbeit besteht aus vier Teilen. Eine einleitende Untersuchung bietet einen knappen
Abriß der Geschichte des russischen Zimmermanns-Handwerks (7 — 21), wobei auf ältere
Werkzeuge und früher hauptsächlich verwendetes Baumaterial eingegangen wird, ebenso
auf den Beginn der Veröffentlichung von Zimmermannslehrbüchern (um 1860). Anschlie-
ßend wird ein chronologischer Überblick über den Wortschatz der Gruppe gegeben (22 — 30),
gegliedert nach altem Bestand und jüngeren Entlehnungen, speziell aus dem Deutschen und
204
Besprechungen
Niederländischen, z. T. durch Vermittlung des Polnischen. Der verhältnismäßig starke
niederländische Anteil in dieser Terminologie rührt aus dem Vokabular des Schiffszimmer-
manns der Epoche Peters I. her, das Verf. nicht in die Untersuchung einbezogen hat. Es
folgt eine umfangreiche Aufgliederung des Wortschatzes nach sorgfältig detaillierten Sach-
gruppen (31 — 38). Daran schließt der Hauptteil an: die Behandlung der Terminologie in
alphabetischer Reihenfolge (39 — 217).
Es scheint uns, als seien die urtümlichen Arbeitstechniken (im Sinne von R. Peesch:
Holzgerät in seinen Urformen, Berlin 1966) etwas zu kurz gekommen, wenn im chrono-
logischen Überblick auf S. 22 ff. beim verbalen Altbestand lediglich plesti ,flechten’, rubit
,hauen, zimmern', tesat,hauen, heilen' und delat’,machen, zimmern' angeführt werden. Dort-
hin hätten zumindest solche Verben wie drat ,spalten, reißen, schneiden', lomit ,hauen,
brechen', kolot, ,spalten' und seci ,Holz hauen' gehört, die zwar im Wörterbuch unter sub-
stantivischen Ableitungen zitiert werden, dort jedoch untergehen. Der Ergologe sucht aber
gerade diese Verben der urtümlichen Holzbearbeitung, von denen einige Nomina, wie
dertica ,abgespaltenes Brettchen', koloda ,behauener Balken, abgehauener Stammblock',
lemech ,behauener Balken' (oder im Slowenischen lemez ,Ruderbaum'), sekira ,Axt', seine
Aufmerksamkeit erregen. Auf einen wesentlichen Unterschied zweier alter Zimmertechniken
weist Verf. indirekt hin, indem er S. 65 feststellt, daß in der alten russischen Terminologie
zwischen dem drevodel und dem plotnik differenziert wird. Seine Erklärung freilich, drevodel
sei vielleicht die Bezeichnung für den fremden, plotnik die für den bodenständigen Zimmer-
mann, kann den Volkskundler nicht zufriedenstellen. Nach der Etymologie ist es wahr-
scheinlicher, daß mit den beiden Bezeichnungen Spezialisten für unterschiedliche Arbeits-
techniken gemeint waren: einmal (beim plotnik) das „Bauen“ aus einzelnen Teilen, zum an-
dern (beim drevodel) das „Hauen“, das Bearbeiten von Massivholz. Wenn in den alten Quellen
der drevodel vornehmlich im Zusammenhang mit Kirchenbauten genannt wird, so ent-
spricht das unserer Vermutung, da der Umgang mit Massivholz und die dementsprechende
Arbeitstechnik früher sicher besonders beim Burgen- und Kirchenbau auftraten. Die differen-
zierte Terminologie ist allerdings erst in verhältnismäßig später Periode nachweisbar, da
plotnik nur großrussisch ist, drevodel aus dem Altkirchenslawischen entlehnt wurde. Bereits
diese kleine Bemerkung zeigt, wie anregend und wertvoll die Arbeit von Schulz gleicher-
maßen für die materielle Volkskunde wie für die Etymologie ist.
W. Fiedler — W. Rudolph, Berlin
Christoph Simonett, Die Bauernhäuser des Kantons Graubünden. Bd. 1. Wohnbauten.
Basel, Verlag Schweizer. Ges. f. Volkskunde, 1965. 235 S., 600 Abb., 1 Karte.
Mit diesem Band legt die Aktion Bauernhausforschung in der Schweiz erstmalig in grö-
ßerem Umfang Ergebnisse ihrer seit 1946 laufenden Bemühungen um eine Bestandsauf-
nahme Schweizer Volksarchitektur vor. Ausgewählt hierfür wurde der Kanton Grau-
bünden, in dem die Inventarisation mit der Anlage von 226 Gemeindemappen, enthaltend
7180 Objekte, 8150 Photoaufnahmen, 6000 Grundrißskizzen und 107 Kartenpläne, Flug- und
Ortsaufnahmen, als im wesentlichen abgeschlossen angesprochen werden darf. Als Verf.
dieser insgesamt auf zwei Bände berechneten Dokumentation konnte der Kunsthistoriker
C. Simonett, Zillis, gewonnen werden.
Die textredaktionelle Betreuung der Veröffentlichung durch S. hat sich ohne Frage für die
Aussage des Werkes als sehr vorteilhaft erwiesen. Graubünden ist eine Landschaft mit jahr-
hundertealter Steinarchitektur; Gebäudereste reichen hier bis in die Karolingische Zeit
zurück. Als Kunsthistoriker am Studium der Stilepochen des Kirchen- und Burgenbaues
geschult, besitzt der Verf. im Wissen um die Formen des Steinverbandes, der Mauerungs-,
Gewölbe- und Putztechniken, der Fenster- und Türgestaltungen usw. das erforderliche
Rüstzeug für eine stratigraphische Bearbeitung des Graubündener Materials, für eine chro-
nologische Einordnung der frühen Hauskerne sowie ihrer späteren Abwandlungen. Für
diese Darlegungen wird verständlicherweise vornehmlich der Hausforscher dem Verf. Dank
wissen; in ihnen liegt auch ohne Zweifel die besondere Bedeutung dieser Publikation. Anderer-
Besprechungen
205
seits aber fehlt es dem Verf. auch nicht am Verständnis für ausgsprochen volkskundliche
Aspekte. Lediglich die Holzarchitektur dürfte durch ihn nicht ganz ausreichend berücksichtigt
worden sein; hier bleiben vor allem Fragen der Zeitmerkmale offen. Doch scheint uns dies
um so weniger gravierend zu sein, als in kommenden Veröffentlichungen zu Schweizer
Kantonen mit dominierender Holzbauweise diese Probleme sicherlich ausgiebigere Dar-
stellung finden dürften.
Nach einer kurzen Schilderung der Landschaft, einer Analyse der wesentlichsten Kon-
struktionselemente wie Wand, Gewölbe, Wandanbauten, Dach usw. gibt der Verf. eine ein-
gehende Darstellung der Graubündener Volksarchitektur. Dabei wird die Dominanz ver-
tikaler Raumordnung, d.h. die Tendenz, die Räume übereinander anzuordnen, als besonderes
Charakteristikum dieses Gebietes deutlich. Vor allem im Mittelalter dürften ausgesprochen
turmartige Gebäude bis zu fünf Geschossen, die jeweils nur einen einzigen Raum um-
faßten, das Erscheinungsbild der Siedlungen stark geprägt haben,wie es z. B. noch heute der
Ort Zuoz mit seinen rund 30 rekonstruierbaren Turmbauten dokumentiert. Im einzelnen
unterteilt S. dergleichen Gebäude nach Saalhäusern, Wohntürmen und Speicher-Schlaf-
türmen, wobei er diese als mittelalterliche Wohnbauten den Ministerialen (Saalhäuser u.
Wohntürme), den reicheren Bauern (Wohntürme) sowie den ärmeren Bauern (Speicher-
Schlaftürme) zuweisen möchte. Nach S. differieren Saalhäuser und Wohntürme voneinander
lediglich in ihren Abmessungen; erstere sind von mehr oblonger, letztere von nahezu qua-
dratischer Grundfläche. Vielleicht sollten daher beide besser unter einem einzigen Terminus
zusammengefaßt werden. Interessant sind die späteren Entwicklungen dieser Gebäude, die
insbesondere seit dem 16. Jh. auftreten sollen. Zu nennen sind darunter vornehmlich der
Einbau der gestrickten Stube und das Aufsteigen der Küche aus dem Kellergeschoß neben die
Stube. Durch weitere Anfügungen und Unterteilungen — die Gebäude sind später über-
wiegend von zwei bis drei Familien bewohnt — entsteht letzten Endes ein verwirrendes Bild
mannigfaltiger Grundrißlösungen, deren Genese der Verf. auf mehreren Tafeln zu erhellen
bemüht ist. Als besondere Ausprägungen werden schließlich in diesem Zusammenhang das
Haus des Oberengadin mit Cuort und Stall im 1. Geschoß, das Walser Haus, entstanden
durch Addition ursprünglicher Einzelbauten, das Feuerhaus, Schlafhaus und Speicherhaus,
sowie die weitläufigen Anlagen mit Susten, d. h. Hospize, Tavernen, Gasthöfe und Säumer-
herbergen, aufgezeigt. Diese mit profunder Sachkenntnis vorgetragene Darstellung der
Wohnbauten Graubündens runden Ausführungen zur Beschaffenheit der Räume und deren
Einrichtung ab.
Über alledem aber sollte nicht vergessen werden, daß diese Veröffentlichung im Grunde
Dokumentation sein, d. h. jenes Material ausbreiten will, das in etwa 2ojähriger Inventari-
sation vor allem von Architekten, Lehrern und Pfarrern zusammengetragen wurde. Es
reizt daher, diese Publikation mit ähnlich gearteten zu konfrontieren. Hier bieten sich ins-
besondere das Werk J. Schepers’ (Haus und Hof deutscher Bauern. Bd. 3 : Westfalen-Lippe.
Münster i960) oder die Gemeinschaftsarbeit von H. Götzger und H. Prechter (Das Bauern-
haus in Bayerisch-Schwaben, München i960) zum Vergleich an. Jede dieser Dokumenta-
tionen besitzt einen ihr eigenen Charakter. So stellt Schepers neben einen umfangreichen
Abhandlungsteil Aufmaßtafeln mit Gebäuderekonstruktionen, während Götzger und Prech-
ter weitgehend auf einen Abhandlungsteil verzichten und sich in den Zeichnungen auf die
Aufmaße des derzeitigen Gebäudezustandes beschränken. Simonett ist demgegenüber einen
noch anderen, wie uns scheinen will, ökonomischeren Weg gegangen; er verbindet Tafel-
und Abhand lungsteil organisch miteinander. Das gelingt durch eine typographisch inter-
essante Lösung: die zweispaltige Aufteilung der Druckseite in Abbildungs- und Text-
kolumne. Allerdings — und das soll nicht übersehen werden — dürfte sich eine solche Lö-
sung nicht für jede Dokumentation eignen. Hier, im Gebiet ausgesprochenen Steinbaues,
für das vornehmlich Grundrisse zur Darstellung gelangen, reicht ohne Frage der relativ
kleine Maßstab von etwa 1:300 gerade noch aus. In Bereichen mit dominierendem Fach-
werk jedoch, für die in weit größerem Umfang Quer- und Längsschnitte erforderlich sind,
würden sich bei dieser Anordnung sicherlich Beeinträchtigungen der Aussage ergeben; das
wird selbst in dem vorliegenden Werk bei einzelnen Schnitten und einigen Photoabbildungen
bereits deutlich.
206
Besprechungen
Hervorzuheben aber ist u. E. in der Darstellung von S. noch ein weiteres: das Bemühen,
das Einzelgebäude in seiner Dynamik zu sehen. Das findet sowohl im Text als auch, im Ge-
gensatz zu den oben genannten Publikationen, in den Abbildungen entsprechenden Nieder-
schlag. Als Beispiele seien dafür u. a. die Dokumentation zum Saalhaus in Clugin (90 — 94,
Abb. 228 — 245) oder zum Wohnturm von Mathon (105 — 107, Abb. 272—273) genannt. Uns
erscheint diese Form der Darbietung, in der selbst am Grundriß nicht ein Zustand, sondern
eine Entwicklung aufgezeigt wird, besonders nachahmenswert.
Fassen wir zusammen: Die Bauernhäuser des Kantons Graubünden — sind ein Werk, das
man immer wieder gern in die Hand nehmen wird und das uns dem 2. Band Graubünden
sowie den weiteren Veröffentlichungen der Schweizer Inventarisation mit großen Erwar-
tungen entgegensehen läßt.
Karl Baumgarten, Rostock
R. T. Mason, Framed buildings of the Weald. Handcross/Sussex [Selbstverlag], 1964. 96 S.,
13 Abb., 27 Taf.
Wer die oft voluminösen Darstellungen deutscher Hausformenlandschaften gewöhnt ist,
wird überrascht sein über das nur schmale Bändchen, das der Verf. der Geschichte und der
Entwicklung des Wealder Fachwerkhauses widmet. Doch sind wir sicher, daß der inter-
essierte Leser diese Abhandlung nicht enttäuscht aus der Hand legen wird. Was hier auf
knapp 100 Seiten an neuen Ergebnissen geboten wird, übertrifft u. E. fraglos alle Erwar-
tungen.
Zweimal erlebte die Weald, eine Landschaft Südostenglands (Sussex und Kent), in den
4 Jahrhunderten (13. —17. Jh.) tiefgreifende Veränderungen in ihrer Volksarchitektur. Das
ältere „Rebuilding“ im Verlaufe des 15. Jhs wird durch den nahezu vollkommenen Ab-
bruch älterer Gebäudeformen charakterisiert. Wenige Exemplare nur reichen über diese Phase
zurück in die ältere Bauepoche, so u. a. das im ausgehenden 13. Jh. errichtete Haus Chennels
Brook Farm in Horsham. Demgegenüber wirkte sich das zweite „Rebuilding“ im 16. und
17. Jh. durchweg weniger nachhaltig aus, doch wurden immerhin alle vorhandenen Gebäude
damals dem neuen Baustil entsprechend umgewandelt. Und so sind nach Aussagen des Verfs
alle Bemühungen, in der Weald heute noch primitive Einraumformen aufzufinden, vergeb-
lich. Bereits die älteren Gebäude des gegenwärtigen Bestandes waren von Anbeginn an
mehrräumig. Ihr Zentralraum ist die ursprünglich bis ins Dach hinein offene Halle (hall), der
alltägliche Wohn- und Sitzraum mit dem Eßtisch am oberen Ende und dem offenen Herd in
der Mitte. Als weitere Gelasse schließen sich beidseitig daran meist ein oder zwei Vorrats-
räume (service) sowie ein Schlafraum (parlour), letzterer durchweg mit Oberstock (solar).
Jüngere Ausführungen sind des öfteren mit zweistöckigen Querflügeln (crosswing) ver-
sehen.
Gefügemäßig sind breite Gebäude mit Abseiten (aisle) oder Krummständern (base
crucks) von abseitenlosen und schmalen Häusern zu scheiden, doch können diese Differen-
zen nicht auf unterschiedliches Alter zurückgeführt werden, vielmehr liegen beide Formen
bereits aus dem 14. Jh. vor. Eine typische Ausbildung der Weald ist das Gebäude mit zwei-
stöckigen, traufseitig vorkragenden Gebäudeenden und besonderem Überdach vor der mitt-
leren Halle; diese Form steht in ihrer Eigenart zwischen der eigentlich mittelalterlichen
und der neueren Bauweise. Gegen Ende des 15. Jhs bereits führte sie zu voller Zweistöckig-
keit, zu einer Gestaltung, die nun allerdings nicht mehr auf die Weald beschränkt blieb. Diese
letztere Abwandlung wurde vor allem im Hinblick auf die Halle von Bedeutung, besaß doch
diese fortab eine niedrige Decke, was wiederum besondere Vorrichtungen zum Abführen
des Herdrauches — zunächst ein Rauchfach (smoke bay), später einen Schornstein — er-
forderlich machte. Von den weiteren Ausführungen des Verfs zu dem „framed building of
the Weald“ seien lediglich genannt die Formen der Wand, die Entwicklung der Feuerstätte
sowie die Eigenart der Türen, Fenster und Dachwerke.
Außer diesen bemerkenswerten Darlegungen dürfte den deutschen Leser in dieser Publi-
kation ein weiteres überraschen; ist er doch allzusehr gewöhnt, die Bestandsaufnahme
»Af U'irirpirminiiu «rfv,
Besprechungen
207
mit Hilfe einer Analyse des Gefüges — der sogenannten Gefügeforschung — als ausgespro-
chen deutsche Untersuchungsmethode anzusehen. Hier aber hat sich ein englischer Wissen-
schaftler der gleichen Methode mit vollendeter Meisterschaft bedient. Minutiöse Unter-
suchungen der Gefüge — sie führten ihn nach seinen eigenen Worten in staubige Dach-
räume über Reiter und Stuhlständer — ließen ihn sowohl Rekonstruktionen abgewandelter
Gebäude wie auch Datierungen alter Hauskerne gewinnen. Dabei ist interessant, welch
große Bedeutung in dieser Hinsicht der Verf. dem Dachwerk beimißt — „in field research
the roof of a framed building is often its most important component“ —, eine Aussage, die in
Feststellungen deutscher Hausforschung ihre Bestätigung findet.
Ergebnis und Methoden machen somit das vorliegende Werk trotz seines nur geringen
Umfanges fraglos zu einer der wertvollsten Publikationen moderner Hausforschung.
Karl Baumgarten, Rostock
Maria Schmidt, Das Wohnungswesen der Stadt Münster im 17. Jahrhundert. Münster,
Aschendorf, 1965. 220 S., 19 Abb., 1 Karte (= Sehr, der Volkskundlichen Komm, des
Landschaftsverbandes Westfalen—Lippe 15).
Für eine historisch ausgerichtete Hausforschung reichen Untersuchungen des Bestandes
allein nicht mehr aus. Das ist seit längerem bekannt. Schon ist die Zahl der Altgebäude der-
gestalt zusammengeschrumpft, daß es nicht selten gewagt erscheint, einzig aus dem der-
zeitigen Bestand über die Entwicklung einer Hausformenlandschaft auszusagen. Als Er-
gänzung werden daher immer stärker Archivalien verschiedenster Art herangezogen. Im
allgemeinen wurden bislang in dieser Hinsicht Amts- und Gehöftebeschreibungen, ältere
Karten sowie bäuerliche Inventarverzeichnisse ausgewertet. Nun aber hat die Verf. mit
der Bearbeitung von ca. 3100 Testamenten auch die Bedeutung dieses Archivmaterials für
die Hauskunde erwiesen. Dabei beschränkte sie sich im wesentlichen auf Nachlaßbestim-
mungen Münsteraner Bürger während des 17. Jhs und ergänzte das so gewonnene Bild
durch Schöffenakten, ähnliche Archivalien aus den benachbarten Niederlanden sowie durch
Berichte und Beurteilungen der Gesandten des westfälischen Friedenskongresses.
Die von der Verf. exzerpierten Angaben zeichnen das Münsteraner Bürgerhaus des
17. Jhs in seiner äußeren Erscheinung — in den Außenmauern, der Vorkragung, in Erker
und Utlucht, Türen und Fenstern, im Dach usw. —, vor allem aber in seiner inneren Glie-
derung. Hier erscheint die Deele als der zentrale Raum, in den Stuben oder andere Gelasse
hineingesetzt wurden. Im allgemeinen ist von ihr bereits durch einen Windfang eine be-
sondere Küche abgeschieden, deren Herdrauch durch Schornsteine, aber auch durch Rauch-
pfeifen oder „Kehlfenster“ abgeleitet wird. Rückwärtig ist dem Bau oft ein Steinwerk —
eine Kemenate — verschmolzen, in dem ein Saal oder zumindest eine unterkellerte Kammer
angetroffen wird. Hinzu treten eine Reihe Hofgebäude wie Brauhaus, Achterhaus oder
Gadem, unter denen das letztere besonders bemerkenswert ist.
Die Darstellung der Münsteraner Wohnkultur des 17. Jhs runden Angaben der genannten
Akten zu Mobiliar und Hausgerät ab. Überwiegend werden darunter Schrankmöbel —
Kisten, Schreine, Laden, Koffer und Schaps — genannt. Als Sitzgelegenheiten finden zu
dieser Zeit selbst noch in der Stadt im allgemeinen Bänke Verwendung. Stühlen haftet offen-
bar noch immer etwas vom Charakter des Ehrenplatzes an. Vom Schlafmöbel und Bettzeug,
über Herdgerät und Beleuchtung bis hin zum Glas-, Zinn- und Silbergerät reicht schließ-
lich das von der Verf. aus dem archivalischen Material geschöpfte Bild.
Selbst in solcher Raffung dürfte u. E. der besondere Wert dieser Publikation deutlich ge-
worden sein. Dennoch bleibt dem interessierten Leser ein Wunsch offen. Nirgends wird von
Sch. der Versuch einer Synthese unternommen. Wohl finden wir, soweit der Verf. möglich,
genaue Mitteilungen zum einzelnen Gerät, nicht aber werden uns typische Bilder der Wohn-
und Arbeitsräume jener Zeit vorgestellt. Und so bleibt die Frage nach der üblichen Aus-
stattung der Stube, der Kammer oder der Küche eines Arbeiters, eines Handwerkers oder
eines Kaufmannes im Münster des 17. Jhs unbeantwortet. Dabei wäre die Verf. u. E. zu der-
artiger Darstellung durchaus in der Lage gewesen, sagt sie doch selbst, daß in den angezoge-
208
Besprechungen
nen Archivalien in den meisten Fällen nicht nur der Beruf des Erblassers, sondern selbst der
Standort des jeweiligen Hausratgegenstandes mitverzeichnet wurde (Vorwort, Anm. i u. 3).
U. E. hätte daher in solcher Zusammenschau die Aussage der aus dem Aktenmaterial ge-
wonnenen Exzerpte noch mehr ausgeschöpft werden können.
Karl Baumgarten, Rostock
Rolf Robischon, Freilichtmuseen als kulturpolitische Aufgabe. Neuß, Verlag Gesellschaft
für Buchdruckerei, 1965. 35 S., 57 Abb. (= Schriftenreihe des Rheinischen Heimat-
bundes 18).
Während noch vor wenigen Jahrzehnten Freilichtmuseumsvorhaben wie Skansen, Lyngby,
Bygdöy oder Arnheim in Deutschland kaum Nachfolge fanden, gewinnt in der gegenwärtigen
Zeit der „Skansen-Gedanke“ auch hier zunehmend an Aktualität. Das bekunden wachsende
Bemühungen um dergleichen Anlagen. Schon sind Aluseen dieser Art in Lehde/Spreeewald,
Kommern/Eifel oder Molfsee/Kiel im Aufbau. Andere befinden sich im Stadium der Pla-
nung. Auch der Verf. wirbt mit seiner Publikation für die Errichtung einer solchen Anlage
im AIosel-Raum. Als Kern ist von ihm dafür der Roscheider Hof bei Trier vorgesehen.
Seine Ausführungen zu diesem Vorhaben sind zumeist von lokalem Interesse — be-
merkenswert jedoch sind seine allgemeinen Darlegungen zu Aufgabe und Bedeutung des
Freilichtmuseums. Wir alle wissen um die Hemmnisse bei derartigen Vorhaben — sie sind
keineswegs immer nur finanzieller Natur. Romantisierung der Vergangenheit, Zeit- und Wir-
lichkeitsflucht, Sentimentalität sind nur einige der Vorwürfe, denen sich der Verfechter des
Skansen-Gedankens nicht selten ausgesetzt sieht. Erfrischend ist darum, was der Verf. dem
zu entgegnen hat: „Halt — ist nicht gerade die Vernachlässigung der Wurzeln, der Historie,
irreal, eine Wirklichkeitsflucht? ... Wir wollen auch hinter die Dinge schauen, ihnen
näher kommen, wir wollen sehen, wie der Bauer und der kleine Handwerker in der Stadt ge-
lebt hat in der Zeit des ,fatalen Feudalen', wie Brecht diese Zeit nannte. ... Wir wollen uns
bemühen, den sozialen Hintergrund aller Erscheinungen der Vergangenheit, auch Schloß und
Kloster, so zu sehen, daß das Leben des kleinen Afannes in seiner Abhängigkeit von diesen
bestimmenden Afächten in das richtige Licht rückt“ (23). Bei solchem Bemühen aber vermag,
wie der Verf. immer wieder aufzeigt, gerade das Frelichtmuseum in der Überschaubarkeit
des von ihm dargestellten Lebensganzen unschätzbare Dienste zu leisten. Und es besteht
kein Zweifel, daß die kulturpolitische Bedeutung derartiger Anlagen zukünftig noch weit
mehr wachsen wird, denn, wie der Verf. mit Recht betont: „Je gebildeter die Bevölkerung,
umso eher versteht und achtet sie das Überlieferungsgut der Vorfahren“ (30). Auf der an-
deren Seite aber drängt uns heute die Zeit — und so ist diese Veröffentlichung in ihrer oft
klugen und parteilichen Aussage gerade während der noch immer nicht abgeschlossenen
Auseinandersetzungen um das Freilichtmuseum besonders zu begrüßen.
Karl Baumgarten, Rostock
Ede Solymos, Dunai haldszat. Nepi haläszat a magyar Dundn (Fischerei an der Donau.
Fischfang am ungarischen Flußlauf der Donau). Budapest, Akademiai Kiadö, 1965.
313 S., 60 Abb.
Die moderne wissenschaftliche Ethnographie Ungarns begann in den letzten zwei Jahr-
zehnten des 19. Jhs mit drei Afonographien über die Fischerei: Der bekannte Polyhistor
Otto Herman eröffnete 1885 eine großartige Ausstellung, in der die Fischfanggeräte des
ganzen Landes zur Schau gestellt wurden. Die Ergebnisse seiner Forschungen faßte er
1887 in seinem zweibändigen Werk Magyar haldszat könyve (Das Buch von der ungarischen
Fischerei) zusammen. Die große Bedeutung des Werkes besteht darin, daß Herman auch das
sprachliche Afaterial der volkstümlichen Fischerei mit großer Sorgfalt gesammelt hat. —
Die Analyse der sprachlichen Belege wurde 1893 von Bernät Alunkäcsi in dem Buch A
magyar haldszat nepies müszökincse (Volksterminologie der ungarischen Fischerei. Budapest
TP5
i/#A/viueumf#iiiiii iyhvj&i ii.mmc
Besprechungen 209
1893) durchgeführt. Munkacsi grenzte die finnisch-ugrischen, türkischen, deutschen und
slawischen Elemente der Terminologie mit Hilfe der vergleichenden Methode der Sprach-
wissenschaft voneinander ab. Er wies als erster auf die Tatsache hin, daß die Grundschicht
der Terminologie der ungarischen Fischerei und Wasserjagd ugrischen Ursprungs sei. —
Die vergleichende volkskundliche Untersuchung der ungarischen Fischfanggeräte wurde
auf Grund des erschlossenen ethnographischen und sprachlichen Materials von Jänos
Janko in dem Buch A magyar haläszat eredete (Die Herkunft der ungarischen Fischerei),
das 1900 in ungarischer und deutscher Sprache (Budapest-Leipzig) erschien, vorge-
nommen.
Das neueste Ergebnis der Forschungen über die volkstümliche Fischerei ist die Mono-
graphie von Ede Solymos, in dem der Fischfang am ungarischen Flußlauf der Donau
(410 km) von der Mitte des 19. Jhs bis auf unsere Tage behandelt wird.
In den einleitenden zwei Kapiteln werden das Flußbett, die Naturverhältnisse, die Ver-
änderungen des Fischbestandes geschildert, wobei auch eine historische Zusammenfassung
des Fischereirechts gegeben wird.
Schon im 13. Jh. gab es an der „ungarischen“ Donau Gruppen und zunftartige Gemein-
schaften von Fischern. Die typischen Fischerzünfte entstanden in den Städten an der Donau
vom 15. Jh. bis zum Jahre 1847, beeinflußt auch von den im 18. Jh. hier angesiedelten
deutschen Fischern. Außer den Mitgliedern der Fischerzünfte waren auch Bauernfischer
an der Donau tätig, die in der Nachbarschaft der großen Fischerzünfte, später als Pacht-
fischer und Teilhaber der Fischergenossenschaften hauptsächlich in den kleinen Gewässern
entlang des großen Flusses fischten. — Nach der Auflösung der Zünfte (1872) entstanden die
kapitalistisch eingestellten Gemeinschaften der Pächter und später die Fischergenossen-
schaften. Die Fischfanggeräte waren entsprechend der gesellschaftlichen Zugehörigkeit der
zwei Schichten der Fischer, der „Großfischer“ und „Kleinfischer“, ganz verschieden. In
ethnographischer Hinsicht waren die Fischfanggeräte der Bauernfischer viel interessanter,
da sie mehrere Geräte verwendeten und infolgedessen auch ihre Fangmethoden vielfältiger
waren.
Den Hauptteil des Buches bildet die Beschreibung der an der Donau verbreiteten Fisch-
fangverfahren: In kleineren Gewässern war vor allem die Anwendung der Stechgabel und
der Angel bekannt. In der Nähe des Ufers benutzte man Fischzaun, Rutenreuse und Garn-
reuse, sowie die verschiedenen Geräte der Deck- und Schöpfnetzfischerei besonders vor der
Stromregulierung. Ein interessanter Typ der Schöpfnetzfischerei war das taupli (Taupel),
das sich seit der Mitte des 19. Jhs unter österreichischem Einfluß verbreitet hat. Die beim
Fischen in großen Gewässern angewandten kleinen und großen Netze sind an der ganzen
ungarischen Donau vorzufinden. 14 Typen dieser Netze werden vom Verf. sorgfältig be-
schrieben.
In den letzten Kapiteln befaßt sich S. mit den Fragen der Lagerung und Verwertung der
Fische sowie mit der Verbreitung der Gerätetypen und Fangmethoden entlang der ungarischen
Donau. Der Verf. kann dabei folgende Verbreitungsräume feststellen: den Flußverlauf von
der österreichischen Grenze bis Komärom, von Komarom bis Üjpest, Budapest, von Buda-
pest bis Paks, von Paks bis Mohäcs, der Ferenc-Kanal und von Mohäcs bis zur südlichen
Grenze Ungarns. Die einzelnen Landschaften lassen sich auf Grund der Flußbettverhältnisse,
der Anwendung der Geräte, der Fischarten und auch ihrer Geschichte voneinander unter-
scheiden.
Das Buch hat eine große Bedeutung für die ungarische Ethnographie. Mit der gründlichen
und monographischen Darstellung der Fischerei an unserem größten Fluß schuf S. ein Werk
von bleibendem Wert. Anwendung, Funktion und Herstellung aller Fischfanggeräte werden
präzis beschrieben, die ethnographisch verwendbaren Angaben der alten Literatur über die
Fischerei ausgewertet. Das Werk vertieft unsere Erkenntnis von der ungarischen Fischerei
und ermöglicht weitere vergleichende Untersuchungen, die auch der europäischen For-
schung über diesen Bereich neue Impulse geben können.
Jözsef Szabadfalvi, Debrecen
14 Volkskunde
210
Besprechungen
Werner Lutz, Die Geschichte des Weinbaues in Würzburg im Mittelalter und in der Neuzeit
bis 1800. Würzburg, Freunde mainfränkischer Kunst und Geschichte e. V., 1965.
149 S., 1 Karte (= Mainfränkische Hefte 43).
Der Verf. motiviert sein Unternehmen mit Olhauts Äußerung, daß es „eine ebenso inter-
essante als lohnende Aufgabe“ sei, die Entwicklung des Weinbaus in und um Würzburg
„von seinen Anfängen an bis in die Gegenwart darzustellen“. 1 Er greift das so gestellte
Thema als Historiker an. Material liefern ihm vor allem die Urkunden des Hauptstaats-
archivs München, des Staats- bzw. Stadtarchivs und des Juliusspitalarchivs zu Würzburg,
weiterhin die Urbare, Kopial-, Zins- und Lehenbücher der Stadt und ihrer näheren Umgebung
sowie eine Reihe gedruckter Quellen, die aus dem gleichen Bezirk stammen. In weit gerin-
gerem Maße wird Literatur herangezogen, sehr wenige der benutzten Werke behandeln den
fränkischen Weinbau in seiner historischen und kulturellen Entwicklung. Als Grund für eine
solche Zurückhaltung führt L. den populären Charakter der meisten Bücher dieser Art an.
Weidinger, der über Die Entwicklung des fränkischen Weinbaus und seine Hauptprobleme
in der Gegenwart2 schrieb, wird als im „direkten Schlepptau“ der dreibändigen Ge-
schichte des Weinbaus von F. v. Bassermann-Jordan befindlich bezeichnet, von der der
Verf. übrigens nur die erste Auflage (Frankfurt/Main 1907) zitiert. Bei einer solchen Wertung
sollte auch die wesentlich erweiterte zweite Ausgabe (1923) wenigstens eingesehen werden.
Es bleibt die Frage offen, inwieweit eine kritische Zurückhaltung gegenüber den Bänden
v. Bassermann-Jordans berechtigt war. Zweifellos kaum, „weil sich das Untersuchungs-
gebiet auf einen relativ eng begrenzten Raum, auf die Feldmarkierung von Würzburg,
beschränkt“ (7). Eben hier könnte sich die Fruchtbarkeit des breitangelegten Verfahrens
der Sacherhebung, mit dem der Pfälzer Kulturhistoriker sein Stoffgebiet durchleuchtet (und
notwendigerweise beim Umfang des Themas und dem damaligen Stand der Forschung
vieles offen lassen mußte), sehr gut überprüfen lassen.
Doch L. befaßt sich nur mit einem Sektor des durch v. Bassermann-Jordan recht ein-
drucksvoll markierten Fragenkreises: mit der historischen Topographie und den Besitz-
verhältnissen des Würzburger Weinbaus. Er behandelt in dieser Weise die Frühgeschichte
der Rebkultur (der erste Weingarten wird in einer um 779 datierten Markungsbeschreibung
genannt; die eigentlichen sich auf den Rebbau beziehenden Urkunden beginnen erst in der
2. Hälfte des 11. Jhs, als sich mit der zunehmenden Zahl der Klostergründungen die Wein-
bergsschenkungen mehren), die ehemaligen Weinbergslagen in der Würzburger Feldmarkung
(dazu eine Faltkarte) und die Rolle der Grundherrschaft im Würzburger Weinbau. Fest-
gestellt wird, daß der Klerus (vor allem Stifte und Klöster) den frühen bürgerlichen Eigen-
besitz bis zum 16./17. Jh. nahezu völlig an sich bringt. Im Zusammenhang mit diesem Vor-
gang werden Weinbergleihe und Abgabenwirtschaft (Zins, Handlohn, Weinzehnt, Wingart-
bet) besprochen. Deutlich zu beobachten ist dabei, wie sich die Geldwirtschaft seit dem
14. Jh. zunehmend durchsetzt. Auch der Verfall des in Würzburg nicht sehr verbreiteten
Teilbaus (abgeliefert werden mußte 1/4 bis 1/3 des Bruttoertrages) ist auf diese Entwick-
lung zurückzuführen. — Ein Schlußkapitel informiert über den Anteil der geistlichen und
weltlichen Grundherren am Würzburger Weinbau. An Hand umfangreicher Statistiken
(105 —147) wird das Überwiegen des Stifts- und Klosterbesitzes belegt.
Auf Grund dieser abschließenden Feststellung seien dem Rez. einige Bemerkungen er-
laubt. Sie beweist eindeutig, daß die — ohne Zweifel sehr sorgfältige und fleißige — Unter-
suchung über einen Sonderfall orientiert. Wohl nur in wenigen Weinbaugebieten Deutsch-
lands dürfte der geistliche Besitz so massiert auftreten wie eben in Würzburg. Sicher sind
aus diesem Grund hier sehr frühe Ansätze zu einem Qualitätsweinbau (Klassifizierung der
Weinbergslagen bereits 1644!) zu beobachten. Doch solchen Erkenntnissen mangelt es an
Kontrasten, und diese wären durchaus zu gewinnen, wenn man den Würzburger Weinbau 1 2
1 Georg Ölhaut, Das Landschaftsbild um Würzburg im 16. und 17. Jahrhundert. Würz-
burg 1907.
2 phil. Diss. Erlangen 1949.
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Besprechungen
211
auf dem Hintergrund der Rebkultur etwa des Maindreiecks dargestellt hätte.3 Freilich wäre
es dann auch nötig gewesen, das Thema umfassender, vollständiger zu behandeln. Die
Geschichte des Weinbaus umfaßt nicht nur historische Topographie und wechselnde Besitz-
verhältnisse. Das sind nur einige ihrer Aspekte, und sicher bedeutungsvolle. Andere, min-
destens ebenso wesentliche aber bilden die Arbeit und das Leben der Winzer selbst. Gerade
hier ist der Verf. weit hinter v. Bassermann-Jordans durchaus noch aktuellen Ansätzen
zurückgeblieben. Für eine Teilkarte des von L. geforderten fränkischen historischen Wein-
bauatlas mag die Arbeit ein solider Baustein sein. Dabei ist jedoch nicht zu übersehen,
daß ein solches Kartenwerk selbst nur eine Teilaussage zu einer Geschichte der Rebkultur
liefern kann.
Rudolf Weinhold, Dresden
3 Ein Blick schon in die dem Verf. offenbar nicht bekannte Studie von Marianne Hilpert,
Von Häckern und Winzern im Maindreieck, Würzburg 1957 (= Mainfränkische Heimat-
hefte 10) würde manchen Aufschluß geliefert haben, z. B. für einen Vergleich des in Würz-
burg üblichen Leserechtes (Lutz 89f.) mit der Ochsenfurter Herbstordnung (Hilpert 20ff.).
Alexander Fenton, Early and traditional cultivating implements in Scotland. Proceedings
of the Society of Antiquaries of Scotland 96 (1962 — 63, erschienen 1965), 264 — 317,
Abb., Taf.
Die vorliegende Publikation F.s, der sich bereits auf verschiedenen Gebieten der materiel-
len Volkskultur seiner Heimat als guter Kenner ausgewiesen hat, ist eine Untersuchung der
bemerkenswertesten Bodenbearbeitungsgeräte Schottlands und seiner Inselwelt (bis hinauf
zu den Shetlands). Dabei wird das archäologische Material vollständig auf geführt, der
rezente bzw. im 19. Jh. ausgestorbene Gerätebestand jedoch nur auf Grund seiner charakte-
ristischen Formen interpretiert; der normale traditionelle Beetpflug, über dessen Geschichte
in Schottland man den Verf. gern einmal hören möchte, bleibt unberücksichtigt.
Aus dem Kapitel Archaeological Evidence, das im übrigen die Steinscharhypothese modi-
fiziert (steinerne, später eiserne Schare mit alleiniger Schutzfunktion gegen Abnutzung), sei
die Publikation eines Krümmel-Grindels aus Lochmaben, Dunfriesshire, hervorgehoben,
der eine willkommene Ergänzung zu dem bekannteren Fragment von Milton Loch Crannog
(Sterze-Schar, 2. Jh. n. d. Z.) bildet. Demgegenüber dürften die zahlreich gefundenen
plough pebbles (Steinchen in der Sohle, bekannt vom Temmerby-Pflug usw.) ins Mittelalter
zu datieren sein. Die aus Schottland vorliegenden Funde von Eisenteilen scheidet der Verf.
nach eingehender Prüfung in Schare und Spatenblätter.
Dem Single-stilted Plough ist ein umfangreicher Abschnitt gewidmet. Es sind dies Pflüge
im engeren Sinne mit einseitigem Streichbrett bzw. Streichpflöcken, die jedoch durch ihr
Gerippe und die oft symmetrische Schar ihre Herkunft von einem Ard-Typ verraten. Als
charakteristisch erscheinen ferner das im Krümmel befestigte Sech sowie die prinzipielle
Einsterzigkeit. Hochwillkommen sind die auf Grund der ökonomischen und Reiseliteratur
des 17. —19. Jhs vom Verf. gemachten Angaben über die geographische Verbreitung, die
Anspannung, das Arbeitsbrauchtum und schließlich über die Terminologie, die, wie die
Typologie, aufschlußreiche Parallelen mit dem norwegischen Befund erkennen läßt. Zu
solchen und ähnlichen stratigraphischen Fragen sei an dieser Stelle nachdrücklich auf die
Studie von R. Jirlow/I. Whitaker, The Plough in Scotland (Scottish Studies 1, 1957, 71—94)
hingewiesen.
Ein letztes Kapitel behandelt Spade, Cas Chrom and Ristle. Der ristle, der zahlreiche
Verwandte in Gestalt der einfachen Sech-„Pflüge“ des skandinavischen und alpinen Raums
besitzt, ist ein Anspanngerät; die beiden erstgenannten sind Handgeräte. Aus der Fülle der
behandelten Probleme — Spatenbau und Flurform, Gemeinschaftsarbeit beim Furchen-
ziehen usw. — sei eines besonders erwähnt: Der Verf. zieht aus der Geschichte und Verbrei-
tung des cas chrom den Schluß, daß sich dieses in der ethnographischen Literatur viel-
diskutierte Gerät keineswegs kontinuierlich aus der Urzeit des Feldbaus her erhalten hat.
14*
212
Besprechungen
Der spatenähnliche cas chrom ist im 18. Jh. (! !) entwickelt worden und hat seinerseits — z. B.
auf den Hebriden — den dominierenden Pflugbau zurückgedrängt. Als Gründe dafür sind
etwa seine besondere Eignung für den Kartoffelanbau auf den steinigen Böden, vor allem
aber ökonomische und sozialgeschichtliche Aspekte (Wandlung der Sozialstruktur durch
Seetangindustrie, intensivere Fischerei usw.) anzuführen. „In each case, poverty or soil
conditions or economic pressure prohibited the use of animais, and the people had to carry
on their cultivation by hand and by foot.“ Dem ist hinzuzufügen, daß der pfluglose Feldbau
im überregionalen Maßstab auch weiterhin als die ältere Bodenbearbeitungsmethode zu
gelten hat. Für rückläufige Bewegungen wie im vorliegenden Fall sollte man die Bezeich-
nung „Reaktivierung“ wählen.
Im übrigen aber zeigt der bedeutsame Hinweis auf den höchst problematischen Archais-
mus des cas chrom die kritische Betrachtungsweise des Autors, die der gesamten Unter-
suchung eigen ist.
Ulrich Bentzien, Rostock
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Wolfgang Steinitz
* 28. Februar 1905 t 2I- April 1967
In der Nacht vom 20. zum 21. April verstarb Prof. Dr. Wolfgang Steinitz
im Alter von 62 Jahren. Ein Herzinfarkt setzte dem Leben dieses hervorragen-
den Wissenschaftlers und integren Menschen ein viel zu frühes Ende. Obgleich
wir seinen schwankenden Gesundheitszustand kannten, traf auch uns, seine
Mitarbeiter am Institut für deutsche Volkskunde, die erschütternde Nachricht
völlig unerwartet. Noch am letzten Tag seines Lebens war er bei uns und
besprach Arbeiten und Pläne für die nächste Zukunft. Bis zuletzt, auch als
seine Gesundheit, wie wir heute erkennen müssen, bereits sehr ernsthaft ge-
fährdet war, erlebten wir ihn in seiner allzeit wachen Entscheidungskraft und
Konzentrationsfähigkeit und bei der Bewältigung eines ungewöhnlichen
Arbeitspensums. Diese geistige Kraft und Energie, die auf uns ausstrahlten,
überdeckten die Symptome seiner Krankheit, für uns und wohl auch für ihn
selbst. Mit Zielstrebigkeit und bewundernswerter Selbstdisziplin, hervor-
stechenden Merkmalen seiner geistigen Existenz, widmete er sich seinen
wissenschaftlichen Arbeiten, die zuletzt vor allem der Finno-Ugristik galten.
Hier hatte er noch eine reiche Ernte seiner langen Sammel- und Forscher-
tätigkeit einzubringen. Mit rastloser Hingabe trieb er die Vollendung seines
ostjakischen Wörterbuchs voran. Noch zwei Tage vor seinem Tode schloß er
eine Arbeit ab, die Finno-Ugristik und Volkskunde gleichermaßen zugehörte,
die deutsche Ausgabe des finnischen Ivalevala-Epos.
Die Volkskunde war ja immer nur ein Teil des weitgespannten Bereichs
seiner Tätigkeit und seiner Interessen. Fast stets kam er zu uns aus anderen
Instituten, von anderen Arbeiten oder Besprechungen oder ging wieder
dorthin, ins Präsidium, als er Vizepräsident der Deutschen Akademie der
Wissenschaften war, in seine Klasse als Akademiemitglied, in den Vorstand der
Arbeitsgemeinschaft der gesellschaftswissenschaftlichen Institute und Ein-
richtungen an der Akademie, in sein finno-ugrisches Institut an der Humboldt-
Universität und seine finno-ugrische Arbeitsgruppe der Sprachwissenschaft-
lichen Kommission, in die Arbeitsstelle des Wörterbuchs der deutschen Gegen-
wartssprache. Aber immer, wenn er bei uns war, war er es mit seiner ganzen
Person, seiner ganzen Kraft und wachen Aufmerksamkeit, als sei eben dies
seine einzige Aufgabe. In unvergleichlichem Maße besaß er die Fähigkeit,
iU
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IV
große Zusammenhänge zu sehen, weitausgreifende Unternehmungen zu
planen und zu leiten und mit dem gleichen Ernst und derselben Hingabe sich
auch jedem Teilbereich seiner Tätigkeit, ja jeder Einzelheit zu widmen. So
mag es möglich erscheinen, im Nachzeichnen einer seiner Leistungen, dem
Aufbau des Instituts für deutsche Volkskunde an unserer Akademie, zwar nicht
sein Wirken im ganzen würdigen, aber doch sein Wesen erfassen zu können.
Wenn die Volkskunde auch nicht sein eigentliches Fach war, so empfand er
doch für sie eine Vorliebe, die schon in seiner Jugend auf keimte und die er —
wie alles, was er tat — mit Ernst und produktiver Hingabe pflegte.
Als zwölf-, dreizehnjähriger Schüler bereits sammelte er Volkslieder, Kinder-
lieder, Kinderspiele, Flurnamen und schrieb sie nieder für das Archiv der
Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde; als Student der finno-ugrischen
Sprachen belegte er an den Universitäten Berlin und Breslau zugleich auch
Völkerkunde als zweites Fach; von 1924 bis 1926 war er wissenschaftlicher
Hilfsarbeiter am Museum für Völkerkunde und am Museum für deutsche
Volkskunde in Berlin, und als der Assistent am Ungarischen Institut der
Berliner Universität Dr. phil. Wolfgang Steinitz 1933 von den Nazis entlassen
wurde und 1934 vor ihnen aus Deutschland emigrieren mußte, bezog er in
seine Sammlungen und Forschungen bei den obugrischen Völkern in der
Sowjetunion, die ihm Zuflucht gewährt hatte, von vornherein folkloristische
und ethnographische Fragestellungen und Gesichtspunkte ein. Vorbildliche
Ausgaben und Übersetzungen ostjakischer Volksdichtung, Studien z. B. über
den Totemismus der Ostjaken und vieles noch unveröffentlichtes Material
sind die volkskundliche Frucht dieser Expeditionen. Und noch heute modern
und wegweisend nicht nur für die Folkloristik, sondern die Poetikforschung
überhaupt ist seine Dissertation über den „Parallelismus in der finnisch-
karelischen Volksdichtung, untersucht an den Liedern des karelischen Sängers
Archippa Perttunen“.
Die Bitte des schwer erkrankten Adolf Spamer Ende 1951 an Wolf gang
Steinitz, ihn in der Leitung der Kommission für Volkskunde an der Deutschen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin zu vertreten, traf einen für dieses Amt
und dieses Fach wohlausgerüsteten Mann. Sie traf auch den einzigen, der
damals hier in der Lage war, diese durch den Nationalsozialismus so sub-
stantiell diskreditierte Disziplin auf neue humanistisch-demokratische Grund-
lagen zu stellen und wieder Menschen zu dieser Wissenschaft und in diese
Richtung zu führen. 1923 der Sozialdemokratischen Partei und, nach einem
Aufenthalt in der Sowjetunion, 1927 der Kommunistischen Partei beigetreten,
war Wolfgang Steinitz ein fest mit der Arbeiterklasse verbundener kommunisti-
scher Antifaschist. Für ihn, den marxistischen Wissenschaftler, der die leben-
dige, schöpferische Volkskultur der kleinen ugrischen Völker kennengelernt
und erforscht hatte, stellte sich die deutsche Volkskunde selbstverständlich
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V
gleichwertig neben die Ethnographie anderer Völker. Chauvinismus und
Romantizismus hatten hier keinen Platz.
Die Umwandlung der Kommission in ein „Institut für deutsche Volks-
kunde“ an der Akademie am zz. August 1953 gründete sich auf seine Per-
sönlichkeit und seinen persönlichen Einsatz. Für die volkskundliche Forschung
in der DDR und für Wolfgang Steinitz war es ein neuer Anfang. Sofort gelang
es ihm als dem Direktor dieses Instituts, Mitarbeiter an sich und das Institut
zu ziehen — den Kreis der älteren Volkskundler und eine zunehmende Zahl
junger Menschen, die aus den verschiedensten Fachgebieten zu ihm kamen,
einige auch aus Westdeutschland. Die bestehenden Forschungsstellen in
Dresden und Rostock gliederten sich dem Berliner Institut an. So wuchs in
diesem Institut kontinuierlich ein Mitarbeiterstamm heran für eine Disziplin,
die bei uns lange keine oder nur zeitweise eine geringe Hochschulausbildung
für ihren Nachwuchs besaß. Es war wirklich ein Mitarbeiterstamm, der zu-
sammenarbeitete und zusammenblieb und dessen Geist und Herz der Direktor
war. Er führte uns mit wenigen aber immer wesentlichen Hinweisen und mit
viel Vertrauen — und das war das beglückende für uns — zur Selbständigkeit
in der wissenschaftlichen Arbeit. Jedes unserer Manuskripte, sei es für ein
Buch, einen Aufsatz oder eine Rezension, hat er gelesen und mit seinem Rat
und seiner helfenden, immer den Kern der Sache treffenden Kritik gefördert.
Für jeden, der zu ihm kam, und das geschah nicht nur in wissenschaftlichen
Angelegenheiten, sondern vielfach auch in persönlichen Nöten und Sorgen,
hatte er Zeit und aufmerksame Anteilnahme, die auf einer selbstverständlichen
Anerkennung des anderen beruhte. Man sah sich nicht nur gefördert, sondern
auch verstanden, und man fühlte sich geborgen in seiner sachlich-gütigen
Menschlichkeit. Das war der Grund für die große Verehrung und Zuneigung,
die ihm alle, die mit ihm arbeiteten, entgegenbrachten — nicht zuletzt aber
auch auf Grund der Kraft seiner Argumentation, hinter der ein außerordent-
liches Wissen und ein klares, durchdachtes Programm standen.
Für die Volkskunde hatte er bei der Gründung unseres Instituts ein um-
fassendes, noch heute für uns richtungweisendes Programm vorgelegt, ge-
wonnen aus der kritischen Analyse der Geschichte dieses Faches und der Ver-
antwortung des marxistischen Wissenschaftlers für die gesellschaftliche Ent-
wicklung und die gesellschaftlichen Notwendigkeiten jener Jahre. Als erste
Hauptaufgabe stellte er dem Institut die Erforschung der demokratischen und
revolutionären Traditionen in der deutschen Volksdichtung, und er ver-
wirklichte auf seinem Gebiet auch zugleich diese Aufgabe in einer beispiel-
gebenden Weise. Seine beiden Bände „Deutsche Volkslieder demokratischen
Charakters aus sechs Jahrhunderten“, weitgespannt in Thema und Material-
fülle, exakt durchgearbeitet bis in die kleinste Einzelheit, bilden seither die
Grundlage für eine neue, wirklichkeitsgerechtere Sicht der Volksdichtung in
VI
ihrer sozialen Bedingtheit und als Ausdruck des sozialen Bewußtseins und des
gesellschaftlichen Handelns der werktätigen Massen. Wolfgang Steinitz hat
viele Jahre daran gearbeitet, und er hat das gestellte Thema voll ausgeschöpft
und entfaltet, in diesen beiden, eine Gattung der deutschen Volksdichtung
umfassend unter diesem Gesichtspunkt behandelnden Bänden, in Vorträgen
und in Einzelanalysen, in denen er vor allem die theoretischen Konsequenzen
herausarbeitete und für eine marxistisch-theoretische Bestimmung der Volks-
kunde als Wissenschaft überzeugende Prinzipien entwickelte. Im Institut
entstanden auf dieser Grundlage eine Reihe von Publikationen, die die wissen-
schaftliche Notwendigkeit und Ergiebigkeit des von Wolf gang Steinitz
gegebenen thematischen Ansatzes in den verschiedenen Gattungen der Volks-
dichtung erwiesen. Aber nicht nur die Volksdichtungsforschung erhielt von
ihm entscheidende Impulse. Gerade auch der Aufbau des Sektors zur Er-
forschung der materiellen Kultur ist eine bedeutende Leistung seiner leitenden
und planenden Tätigkeit in unserem Institut, wird es doch erst unter Ein-
beziehung dieses früher in der deutschen Volkskunde vernachlässigten
Bereichs möglich, die reiche Vielfalt und Vielschichtigkeit der Volkskultur in
ihrer Einheit und Besonderheit zu erkennen.
Seine Forschungen zur demokratischen und revolutionären deutschen
Volksdichtung und die damit gegebene Neuorientierung der volkskundlichen
Arbeit waren nicht nur für die Institutsarbeit von Bedeutung. Sie erreichten in
jenen Jahren des Aufbaues wieder Ansehen und Anerkennung für unser Fach
in der Akademie und in der DDR, und hier weit über den eigentlichen Bereich
der Wissenschaft hinaus in ihrer Wirkung auf die damalige Volkskunst-
bewegung und das pädagogische Schrifttum. Doch Wolfgang Steinitz führte
das Institut und damit die volkskundliche Forschung der DDR auch zu
internationalem Ansehen, vor allem in den befreundeten sozialistischen
Staaten, aber auch in der übrigen Welt, einem Ansehen, das sich in seiner Wahl
in das Präsidium und den Vorstand der beiden weltumspannenden ethno-
graphischen Organisationen ausdrückt sowie in vielen anderen internationalen
Ehrungen und auch in Berufungen seiner Mitarbeiter in internationale
Gremien. Bis zuletzt noch war er in der internationalen Arbeit tätig und
legte das Gewicht seiner überall hochgeschätzten und respektierten Persön-
lichkeit in die Waagschale, die Vereinigung der Ethnographen Europas in
einer arbeitsfähigen Gesellschaft zu schaffen. Sein Wort galt sehr viel in
der wissenschaftlichen Welt. In den zahlreichen Kondolenzschreiben, die
unser Institut erreichten, wird diese Verehrung und unbedingte Aner-
kennung, auch durch Fachkollegen einer anderen politischen Grundhaltung,
ungeteilt zum Ausdruck gebracht, und viele nennen Wolfgang Steinitz ihren
Freund.
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VII
Überblicken wir jetzt die Tätigkeit von Wolfgang Steinitz als Direktor
unseres Instituts, so erkennen wir einen Grundzug seines Wirkens, der wohl
auch ein Grundzug seines Wesens war: seine Fähigkeit und seine Energie, alle
Ansätze, die er einmal als richtig erkannt hatte, zur vollen Entfaltung zu bringen
mit einer zielsicheren Konsequenz, mit leidenschaftlicher Hingabe und einer
unerhörten Arbeitsleistung. Deshalb vermochte er es, auch andere nicht nur
anzuregen und anzuleiten, sondern gleichfalls zur selbständigen Entfaltung
ihrer Möglichkeiten zu führen.
Die Ansätze aber, die stets in Neuland vorstießen, neue, ungebahnte Wege
beschritten oder wiesen, stehen immer in Beziehung zu seinem gesellschaftlich-
politischen Engagement. Viele der Lieder zum Beispiel, die er wissenschaftlich
untersuchte, hat er selbst bei Demonstrationen und anderen politischen Ver-
anstaltungen in der Weimarer Zeit gesungen. So kann er das Vorwort des
zweiten Bandes der „Volkslieder“ schließen: „Eines freilich ist richtig: Das
Buch ist vom Standpunkt eines Menschen geschrieben, der sich mit dem
Freiheitskampf der sozial Unterdrückten identifiziert und an ihm Anteil
nimmt. Ohne diese Anteilnahme wäre das Buch nie geschrieben worden!“
Staat und Gesellschaft ehrten den Einsatz von Wolfgang Steinitz durch hohe
Auszeichnungen: 1951 wählte ihn die Deutsche Akademie der Wissenschaften
zu ihrem Ordentlichen Mitglied, zweimal erhielt er für sein wissenschaft-
liches Werk den Nationalpreis der DDR, für sein kulturpolitisches Wirken
wurde er mit dem Staatspreis für Volkskunst und der Johannes-R.-Becher-
Medaille in Gold ausgezeichnet; seine mutige Haltung gegen den National-
sozialismus fand eine Würdigung durch die Verleihung der „Medaille für
Kämpfer gegen den Faschismus 1933 — 1945“.
Wir müssen jetzt sein Werk ohne ihn fortsetzen. Wir wissen, wie schwer das
sein wird. Aber er hat uns in seinem Wirken und seinen Forschungsergeb-
nissen eine Grundlage geschallen, auf der wir weiterbauen, und eine Richtung
gewiesen, in der wir weitergehen können und sollten, in der gleichen wissen-
schaftlichen Konsequenz und gesellschaftlichen Verantwortung wie er.
Uns allen, die wir das Glück hatten, unter seiner Leitung und mit ihm
arbeiten zu dürfen, besonders aber uns Jüngeren, die er so wesentlich mit-
geprägt hat, wird er stets ein hohes, verpflichtendes Vorbild bleiben. Und
immer wird in uns lebendig sein das Bild des großen und liebenswerten Men-
schen Wolfgang Steinitz, Erinnerung und Dank an viele Begegnungen und
Berührungen mit seiner einfach geraden, tätigen Flumanität, die unser Leben
unverlierbar bereichert haben.
Hermann Strobach
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ABHANDLUNGEN
Die lettischen Hirtenlieder
Von Jekabs VItolin§
Unter den zahlreichen Gattungen der lettischen Volksmusik nehmen die mit der
ländlichen Arbeit und dem bäuerlichen Brauchtum verbundenen Lieder einen
besonderen Platz ein. In ihrer Mannigfaltigkeit und Eigenart gehören sie zum ältesten
Bestand lettischen Liedgutes. Im Laufe ihrer geschichtlichen Entwicklung haben sie
sehr markante und eigentümliche Gattungsmerkmale ausgebildet und mehr als
die meisten anderen Liedgattungen eine eigene melodische Spezifik angenommen.
Hier sind die verschiedenen Brauchtumslieder des Jahreslaufes zu nennen, z. B.
die Ligo- oder Johannislieder mit ihrem charakteristischen Kehrreim llgo, ligo,
die im Volksfest der Sommersonnenwende ihren Ursprung haben und deren ältere
Formen noch bis zur Gegenwart erhalten sind; ferner die bei Maskenumzügen zur
Zeit der Wintersonnenwende gesungenen Lieder, kekatas oder kalado genannt
(letztere, mit dem Kehrreim kalado, im östlichen Teil Lettlands verbreitet), die
durchweg stark ausgeprägte tanzhafte Züge in der Melodik zeigen; zu nennen sind
weiterhin die Frühlingslieder (rotäsanas, mit dem Kehrreim rotä, rotä) oder die
eigenartigen, gavilesanas genannten Jubellieder der Mädchen aus dem Liepajer
Bezirk, die mit ihren feierlich-langsamen, gedehnten Melodien an Frühlingsabenden
„auf dem silbrigen Hügel“ gesungen werden.
Von großer Mannigfaltigkeit sind auch die Arbeitslieder der lettischen Bauern,
die fast alle im ländlichen Bereich vorkommenden Arbeitsvorgänge besingen.
Verschiedene dieser Arbeitsliedgruppen zeigen eine mehr oder weniger ausgeprägte
melodische Spezifik. Dazu gehören Lieder, die man beim Pflügen singt, Lieder, die
sich auf das Flachsraufen, die Heumahd und die Ernte überhaupt beziehen (z. B.
Dresch- und Mahllieder), Lieder, die beim Spinnen oder beim nächtlichen Weiden
der Pferde gesungen werden, Fischer- und Jägerlieder etc. Unter ihnen zeichnet
sich durch besonderes Kolorit, durch Reichtum und Eigenart der Weisen, die große
Gruppe der Hirtenlieder aus, die größtenteils zum Repertoire der halbwüchsigen
Burschen, der Mädchen und Frauen gehören. Ihre zahlreichen Melodien und Texte,
die überall in Lettland aufgezeichnet wurden, bilden in ihrer Gesamtheit ein ganzes
Poem des Hirtenlebens. Kein bäuerlicher Arbeitslied-Zyklus ist so eng mit dem
dörflichen Alltagsleben, in dem die Weidearbeit einen wichtigen Platz einnimmt,
verbunden wie die Hirtenlieder. Keine Gattung verfügt auch über so viele Lieder,
die das Singen selbst zum Gegenstand haben. Den Kern dieser Gruppe bilden die
Jubelgesänge, die zu den ästhetisch wertvollsten Hirtenliedern zählen. Sie erklingen
in der Stille und Schönheit des Morgens, wenn die Natur, die Wälder und Fernen
erwachen; Gesehenes und Erlebtes wird in diesen Liedern ausgedrückt, besonders
15 Volkskunde
214
Jekabs VitolinS
das Erlebnis der weit hinaus klingenden menschlichen Stimme, die über Höhen und
Täler schallt.
Viele Hirtenliedmelodien wurden von den lettischen Komponisten und Volks-
kundlern Andrejs Jurjäns (1856—1922) und Emilis Melngailis (1874—1954) in den
achtziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts bzw. in den Jahren 1920 —1930
aufgeschrieben; gegenwärtig liegt die zentrale Sammeltätigkeit beim Institut für
Sprache und Literatur der Akademie der Wissenschaften der LS SR, auf dessen
Sammelfahrten auch interessante Beispiele dieser Gattung gefunden und aufgenom-
men wurden.
Die ersten wissenschaftlichen Hirtenlied-Aufzeichnungen wurden in A. Jurjäns
Materialien der lettischen Volksmusik, Bd. 2, im Jahre 1903 veröffentlicht,1 eine Samm-
lung, die hauptsächlich Melodiebeispiele der Jubelgesänge und Zurufe der Hirten
enthält. Einen umfassenden Zyklus ausgewählter Hirtenlieder mit Melodien bietet
die 1958 erschienene Publikation von Jekabs Vltolins Lettische Volksmusik, Bd. 1,
Arbeitslieder.1 2
Ihrem Charakter und Inhalt nach lassen sich die Hirtenlieder in folgende Gruppen
einteilen: lyrisch-reflektierende Lieder über das Leben der Hirten, Hirtenrufe
(gegenseitige Zurufe), Jubelgesänge und Zurufe an das Vieh (Viehlockrufe, Lieder
beim Treiben etc.). Die lyrischen Lieder werden in den meisten Fällen ohne Kehr-
reim gesungen. Der Ambitus ihrer Melodien ist unterschiedlich (überwiegend
Quart- bis Oktavumfang und darüber hinaus). Das gleiche gilt für Tonalstruktur
und musikalische Form; man begegnet schlichtem viertaktigem Aufbau ebenso wie
kompliziert gebauten Perioden mannigfaltiger metrorhythmischer und modaler
Struktur. Inhaltlich kennzeichnen Freude, aber auch Kummer und Bitternis diese
lyrische Gruppe der Hirtenlieder. Mangel an Kleidung und Geborgenheit auf der
einen, die alltägliche Verbundenheit mit Natur und Tier auf der anderen Seite —
dies sind die Züge, die das Dasein des Viehhirten bestimmen und die sich auch in
seinen Liedern spiegeln. Besonders Kälte und Armut sind immer wiederkehrende
Motive: der frierende Hütebub am Morgen, von Tau oder Regen durchnäßt, auf
die Sonne, „die liebe Mutter“, wartend oder den Abend herbeisehnend; zuweilen
wird auch — poetisch eingekleidet — auf die Armseligkeit seiner Kleider an-
gespielt („das Höslein aus Kletten, das Röcklein aus Tannennadeln“) oder auf ein
freudloses Zuhause (Gedanken an die Stiefmutter daheim) etc. Entsprechend haben
die Melodien häufig schwermütig-klagenden Charakter, wie das nebenstehende Bei-
spiel zeigt.
Die Melodie wurde von einer Siebzigjährigen aufgezeichnet, die die Vokalisen am
Ende der Weise mit eigentümlicher Düsternis sang. Dieser Refrain wird nach jeder
zweiten Strophe des langen Textes, der die Freuden und Leiden des Hirtenlebens
zum Inhalt hat, wiederholt und immer etwas variiert. In der sonst meist kehrreim-
losen Gruppe der lyrischen Lieder bildet er eine seltene Ausnahme. Neben den
1 Andrejs Jurjäns, Latvju tautas muzikas materiali, Bd. 2, Riga 1903 (— LTMM) Nr. 84
bis 128.
2 Jekabs Vltolins, Latviesu tautas muzika, Bd. 1. Darba dziesmas. Izlase. Riga 1958
(= LTM) Nr. 340-498.
\Wi'/'/mnuitfiitnu IVQVJ3A ».'«MHiwwuv^Himrivii n
Die lettischen Hirtenlieder
215
Ein Hirtenknabe war ich, hütete das Vieh.
Hirtenkleider hatte ich an. U — u — u, u — u!
LTM Nr. 358; aus Siguldä, aufgez.
von J. Vitolins 1950.
schwermütigen Weisen der angeführten Art gibt es innerhalb der lyrischen Hirten-
lieder auch heiter-beschwingte Melodien in raschem Tempo, meist zu Texten scherz-
haften Charakters; manchmal nehmen auch Texte mit ernsterem Inhalt solche
Melodien humoristischen Charakters an.
Das spezifische Wesen des Hirtenliedes, seine unverkennbare Eigenart, spiegelt
sich vor allem in der Art und Weise des Singens. Das gilt namentlich für die bisher
nicht behandelten Liedgruppen, die mit Rufen, Jubelschreien, Vokalisen und Kehr-
reimformen (z. B. lelo) durchsetzt sind und die, zusammengenommen, den größten
und eigentümlichsten Teil des aufgezeichneten lettischen Hirtenliedbestandes
ausmachen. Charakteristisch für sie ist die häufig vorkommende Kombination
eines rezitierend-deklamatorischen Teils in engem Ambitus (überwiegend Quart-,
auch Quintumfang) mit einem voll und lautstark ausgesungenen Ruf- oder Jubilus-
Teil, dessen Ambitus oft über eine Oktave hinausreicht. Gewöhnlich erfolgt der
Umschlag vom sprachnahen Rezitativ (teilweise im für das deklamatorische lettische
Volkslied charakteristischen 2/4-Takt, hier mit monoton durchlaufenden Achtel-
werten) in den Jubilus-Stil am Zeilen- oder Strophenende. Diese Jubelrufe und
Vokalisen (oft auf u) sind die kennzeichnendste Eigenheit der Hirtenmelodien,
die sie von den Weisen anderer Gattungen deutlich unterscheiden. Sie sind so charak-
teristisch, daß sie — wie wir gesehen haben — zuweilen sogar in die lyrischen Lieder
über das schwere Hirtenlos eingefügt werden (vgl. Beisp. 1).
15*
i täÄflW rMM ta 11 ¡Mil in
216 Jekabs Vitolin§
Die nicht zum fortlaufenden Text gehörenden Einschübe und Anhängsel ver-
schiedener Art, die kürzer oder länger sein können und teilweise zu regelrechten
Binnen- und Endkehrreimen ausgestaltet sind, werden gewöhnlich mit voller Stimm-
kraft gerufen oder gejauchzt. Sie sind Ausdruck jugendlichen Überschwangs und
unbändiger Lebenslust, ein musikalischer Stil, der in die freie Natur gehört und
nur hier entstehen konnte. Mehr als ein Drittel aller aufgezeichneten lettischen
Hirtenlieder enthalten solche Jubelschreie, U-Laut-Vokalisen und Lelo-Rufe. Doch
zeigen sie unterschiedliche regionale Verbreitung. So wurden im mittleren Teil
von Vidzeme wie auch in Kurzeme und Zemgale zahlreiche Jubelgesänge und Hirten-
rufe auf gezeichnet. Dagegen ist der Jubilus-Stil für Ostlettland (Latgale) nicht
charakteristisch. Aufgrund der Wirtschaftsstruktur spielte hier das Hirtenwesen
insgesamt eine geringere Rolle. Die in dieser Gegend vorhandenen Hirtenlieder
gehören meist dem lyrischen Genre an.
Die Hirtenrufe und kurzen rufartigen Einschübe in den Melodien unterscheiden
sich voneinander sowohl durch ihre Funktion, wovon noch zu sprechen sein wird,
als auch durch die Art ihrer Intonation und durch die Stellung, die sie innerhalb
der Weise einnehmen. Im Rahmen zusammenhängender Melodien bilden sie im
allgemeinen ein auf verschiedene Lautsilben (ü, u-ü, uhu, uja, e-e, e-ü, a-ü, a-ü-ja-i,
alala, lalala, ai-li-lü-li-lü, elo, ela-ela, lelo-lelo u. a.) gesungenes Improvisations-
element. Längere kehrreimartige Formen kommen gewöhnlich im zweiten Teil
des Liedes vor, manchmal auch in der Mitte; immer aber beschließen sie die Weise.
In den Melodien, die in Ergli (Vidzeme) auf gezeichnet wurden, jubelt man meist
gleich nach Beginn des 2. Liedteiles, in der Mitte der Phrase, der Jubilus unterbricht
also die Phrase, die danach unmittelbar fortgesetzt wird. Zuweilen beginnen die
Lieder schon mit einem Jubelruf. Um die Funktion des Jubilus richtig verstehen
zu können, muß man solche Melodien probeweise einmal ohne die Jubelrufe singen.
Der Charakter der Jubelrufe wird gelegentlich im Liedtext selbst umschrieben:
„Singe fein, ziehe lange.“
In der Intonation sind die einfachen Rufe wie die Jubelrufe sehr verschieden.
Typisch für sie sind hohe, langgedehnte Töne mit einem stufenweisen Absinken
oder einem direkten Gleiten der Stimme zum unteren Halbton oder auch darunter,
sogar bis hinab zur Sexte. In einigen Liedern, insbesondere aus dem Bezirk Liepäja,
sind nach dem letzten langgedehnten Ton der Melodie kurze abschließende Hebungen
der Stimme um eine Oktave oder Septime anzutreffen, manchmal um eine Quinte.
Häufig sind die Refrains melodisch mehr entwickelt als die übrigen Teile der Melodie,
besonders wenn sie ein organisches Element der musikalischen Form bilden. Natur-
gemäß sind in vielen Hirtenliedern häufig Fermaten anzutreffen, langgedehnte
Finaltöne einzelner Phrasen, besonders im zweiten Teil der Weise und vor allem am
Ende des Liedes.
Die Kehrreime der Hirtenlieder können ihrer Funktion nach in drei verschiedene
Hauptgruppen eingeteilt werden: gegenseitige Rufe oder Zurufe der Hirten, Jubilus-
formeln im engeren Sinne und verschiedene Zurufe an die Herde.
Morgens treiben die Hirten ihre Herden hinaus und begrüßen einander mit den
Rufen: ü-u!, e-e!, a-ü! usw. Sie rufen etwa:
E — e! Hirten, treibt Eure Herden hierher!
LTM Nr. 402; aus Rundäle, aufgez.
von E. Melngailis 1931.
Solche Weisen beginnen und enden häufig mit klangvollen Rufen, die weithin über
Hügel und Täler zu hören sind. Im eben zitierten Beispiel ist der Rufteil melodisch
besonders stark entwickelt. Lieder dieser Art sind mit verschiedenen Melodien vor
allem in Zemgale (Bauska, Rundäle) verbreitet. Eine im Aufbau ähnliche Hirten-
rufweise, die aber einen anderen melodischen Verlauf zeigt, lautet:
ü — ü, u — u, ü — u — ü —!
U — u, Nachbar Janis, treib das Vieh her, u — u, u— u, u — u — u!
LTM Nr. 411; aus Vescaule, aufgez.
von A. Kalnins 1951.
Besonders im zentralen Hügelland von Vidzeme (Ergli, Berzaune u. a.) sind viele
sehr wohlklingende Jubelmelodien aufgezeichnet worden. Gewöhnlich dehnt der
Sänger die Finaltöne, manchmal auch Zeilenkadenzen in der Mitte der Strophe,
und hält sie so lange aus, wie nur der Atem reicht, um danach in einen hohen, laut-
starken Jubelruf ü-a-ü umzuschlagen, der weithin zu hören ist. Die folgenden
Beispiele mögen das verdeutlichen:
218
Jekabs VlTOLIN§
#T, ü s— F=^ * 1, , ■ f. fr ft 1
^ * p - -
E - dief( Io - pi za - lu zö -li ! Ne - mi - nie-fi ko -ji - nöm!
k fr ly eeL=I b=s—1
y • 1 ' —* * F=^
so rni — na-ma ka -ji - na -mi — u — u — ja — i
Freßt, Kühe, das grüne Gras! Zertretet es nicht!
Das grüne Gras — u — weint bitterlich,
fürchtet zertreten zu werden — u-u-ja-i.
LTM Nr. 422; aus Ergji, aufgez.
von A. Jurjäns (LTMM 1903).
In diesem Lied wie in vielen anderen besingt der Hirt in poetischen Bildern seine
Arbeit. In einem weiteren Liede heißt es:
f
Gosnin , manu rai-ba - li nu, ziedai
Pa-ti kö - pa ka-li — nä.-li; ziedi
i >1 t j>
na -mi ka-ji - nam,
y i _ +e le - ji — nä(
1 | T- F=k=i 1 f n
— P J I -*
1) zie - dai - nä - mi kä -ji - nam; u - - _
2) zie - di y'\ - te le - ji - ü — — —
1. Kühlein, meine Schecke, mit Beinen aus Blüten, u!
2. Du steigst auf den Berg, die Blüten flattern bergab, u!
LTM Nr. 423 ; aus Kuldlga, aufgez.
von E. Melngailis 1931.
Dieses Beispiel kann auch als ein einfaches lyrisches Lied ohne Jubelrefrain gesungen
werden. Für die hier mitgeteilte Fassung, die im Bezirk Kuldiga in Kurzeme auf-
Die lettischen Hirtenlieder
219
gezeichnet wurde, sind die lange Dehnung der zweiten und dritten Zeilenkadenz
und der auf der oberen Septime ansetzende Jubilus, der die Form abschließt, charak-
teristisch. In der äußerlich sehr einfachen Weise fällt die wechselnde Kadenzierung
(auf der i. und 2. Stufe) mit dominantischem Abschluß auf.
Hier noch einige typische Jubelruf-Beispiele, die teilweise selbständig aufgezeichnet
wurden, teilweise den Schluß längerer Lieder bilden:
F TTFl —v r . m - ->r 1
"—LJ V - d. • _jj
. rs c> ' rs * H ^ № A r* G) . - li 1—N 1 n 1
-.L 1 -M.- 1 7 p*—i~0 3T a
-ff r r t ff_ w— 8
*3- 1 —L -W—F—JLJ -1
E - u( e -u -ü( 5! U — -- — ! ... U - a,u-a, u i
^\________ r \^ s^ t f1*^t r** ^
r • 1 r • 1 ^ ^ r-'
^ \ rc m TT C?* 1 r Ä V f -41 J' ~ J'- a
ST J kd 1 " —
... mazgä - ja -si - u, u - ja - i ! ... A-ü, ja - i !
(waschen ¿ich)
qa-vi - le-ju - o — uja uja
(jauchze)
u - hu!
• k j;, j, rs | n
J J —* ^ / ■ ■■ gP y 4 • ■ sh-*
Nav ne-vie-na klaju —mf-ua, u -
(Es gibt keine Lichtung) ’
LTM Nrn 431, 432, 433, 425, 418, 434,
421, 426, 427; aufgez. von E. Melngailis,
R. Zarembo, A. Jurjäns, E. Vlgners,
V. Sams.
Viele Hirtenrufe sind direkte Zurufe an das Vieh. In den meisten Fällen wendet
sich der Hirt an die Flerde mit Ausrufen wie lelo, ela, elo, elu! usw. So lockt er Tiere
herbei, die sich verlaufen haben; manchmal unterbricht er sich im Singen eines
Liedes und spricht in improvisierten Wendungen die Herde an: Kühlein, Kühlein,
lelo! oder Kühlein, Kühlein, bunte Kuh, lelo, lelo! wie in folgendem Beispiel:
220
Jekabs VitolinS
Go — +i'n, go-tiri, le - Io ! Go -Hn, go+ir^tpi^tpr, zieda-li-na, le-lo( le —Io!
Regne, regne du, Regen! Ich habe keine Sorge um dich. Regne, regne du,Regen!
Kühlein, Kühlein, lelo! Kühlein, Kühlein, brr, brr, du Bunte, lelo, lelo!
LTM Nr. 444; aus Jecava, aufgez.
von E. Vlgners (LTMM 1903).
Einige solcher Viehlockrufe nähern sich in der Intonation instrumentalen Signalen;
sie kommen auch in anderen Hirtenrufen vor, sind aber nicht vorherrschend. Mit
dem Ruf lelo und verwandten Interjektionen verständigen sich die Hirten z. B.
manchmal untereinander, besonders wenn sie nach verlaufenen Kühen suchen.
So heißt es im folgenden Lied:
ti ^ 4-.—5 'i L j — r
Jt-
E - loi pa -e - Io ! «aimin' gans( pa - e — Io ! E - Io; e - Io !
■> 1 3 V K— f , 3 '—1—> n f m ^ ... — ,1g
p * F p *~ 1 V [> '44^ —— Lp-A—*=J
Kaimm'gcms, kafmin1 gans, kur el - le ie-kri -+is? E -loi e - Io!
...p
n
E, e-lo( e -1 o( katmin’gans !
Elo, sing elo! Nachbarhirt, sing elo! Elo, elo! Nachbarhirt, Nachbarhirt,
bist Du in die Hölle gefallen? Elo, elo! E, elo, elo, Nachbarhirt!
LTM Nr. 443; aus Renceni, aufgez.
von A. Salaks.
In dieser Melodie fungiert der Lelo-Ruf sowohl als Initialfloskel wie auch als Ab-
schlußfloskel der einzelnen rezitativischen Passagen.
Die lettischen Hirtenlieder
221
Sehr charakteristisch sind auch die von E. Melngailis während der dreißiger
Jahre in Kurzeme und Vidzeme aufgezeichneten Lock- und Treibrufe, die Kühen
und anderen Haustieren gelten. Die Herden erkennen die Rufe, z. B. beim Eintreiben,
und streben von selbst den Ställen zu. Diese Zurufe bestehen gewöhnlich nur aus
einigen kurzen Intonationen und stehen an der Grenze zwischen Musik und Sprache*
teilweise dem Sprechen, teilweise dem Singen näher. Hier einige Beispiele:
a)
r r r 1 r r r M
U-ü! Dzeninäjäs| u - ü! Dzen mäjäs, mäja, mäjä, maja , mäjä!
a. U — u! Treib heim, u — u! Treib heim, heim, heim, heim, heim!
b. Kühe, Kühe, Kühlein, nach Haus, Kühe, Kühe!
c. Urü! Kühe, nach Haus, urü!
Urü! Hirten, nach Haus, ururü!
LTM Nrn 469, 472, 471; aus Ilzene,
Talsi und Dundaga, aufgez. von
E. Melngailis 1930 und 1931.
Viele Melodien der Rufe und Zurufe an das Vieh beruhen auf onomatopoetischen
Prinzipien. Text und Intonation sind lautmalend angelegt. So treibt man die Schweine
mit Rufen wie Cuk, cuk, cuk, urrrl und Us, stalle, us! in den Stall, ruft abends nach
den Hühnern Tis, gulet (schlafen)! liebkost die Kühe beim Melken, damit sie still-
halten Dos, raibal’ (Schecke), dos, dos, dos! oder Dos, ed (friß), go’is (Kühe), dos,
dos! oder auch Dos, räms (still), dos, dos!
Mit den hier angef ührten Beispielen ist die Vielfalt der lettischen Hirtenrufe keines-
wegs erschöpft. Nur einzelne Elemente ihrer Melodik konnten hier gestreift, nur
einige charakteristische Merkmale aufgezeigt werden. In ihrer Gesamtheit gehören
222
JEKABS VlTOLIN§
die Hirtenlieder zu den eigenartigsten Erscheinungen der lettischen Volksmusik;
gleichzeitig bilden sie einen zwar kleinen, aber charakteristischen Bestandteil der
Hirtenkultur und Hirtenmusik überhaupt.
Im Zusammenhang mit den ökonomischen Veränderungen der Gegenwart, da
große Herden auf kultivierten Weideplätzen der Sowchosen und Kolchosen gehütet
werden, verliert diese Tradition ihre reale Grundlage. So kommt es, daß sich heute
im Gedächtnis der Sänger meist nur noch lyrische Hirtenlieder erhalten haben,
während die Hirtenrufe und Jubellieder, die den Kern des gesamten Genres bildeten
und die in besonderem Maße von der Spezifik des Hirtenlebens geprägt wurden,
mehr und mehr verschwinden.
l7/17iflMMlVS4*T#if]IU T 4 .MiNW V\\W> ÄV* mi'^fvivi 111
Zur litauischen Vokalpolyphonie
Von Zenonas Jono Slaviünas
Die litauische Volksdichtung ist den deutschen Lesern schon aus früheren Über-
setzungen von L. Rhesa, H. Nesselmann, Fr. Kurschat, A. Bezzenberger, Chr.
Bartsch, V. Jungfer und anderen Verfassern bekannt. Aber die mehrstimmigen
Lieder, die sogenannten Sutartinen, deren Erforschung die Litauer selbst erst in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begonnen haben, sind breiteren Kreisen der
ausländischen Leser und Forscher bislang unbekannt geblieben. Der Zweck dieser
Arbeit ist es daher, die musikalische Beschaffenheit dieser Lieder, die eine sehr eigen-
artige ethnographisch-folkloristische Erscheinung darstellen, aufzuzeigen. Bemerkens-
wert ist, daß analoge Mehrstimmigkeitsformen, wie sie in den Sutartinen vorliegen,
weder bei näheren noch bei entfernteren Nachbarvölkern zu finden sind. Besonderes
Interesse erwecken das Alter dieser Lieder, ihre enge Beziehung zu den Arbeits-
vorgängen und ihre Polyfunktionalität (bestimmte Sutartinen werden sowohl bei
der Arbeit, als auch zum Tanz und beim Spielen der Volksblasinstrumente vor-
getragen). Beachtenswert ist weiterhin die Fülle der Refrains; in manchen dieser
Gesänge besteht der ganze Text nur aus Interjektionen, z. B. ciuto, tatato, saduto u. a.
Die musikalischen Eigentümlichkeiten der Sutartinen, der enge Umfang ihrer
Melodik, die Einförmigkeit ihrer Intonationsstruktur, das Fehlen einer entwickelteren
Tonalität u. a. weisen auf das hohe Alter dieser Lieder hin.
Die Bezeichnung Sulartines stammt von dem litauischen Wort sutarti (lit. sutarti,
sutartis = sich vertragen, Verträglichkeit) und zeigt, daß der Vortrag dieser Gesänge
von den Sängern große Aufmerksamkeit und ein gutes Zusammenspiel der Stimmen
erfordert.
Die Sutartinen sind schon lange aus der lebendigen Praxis des Volksgesanges ver-
schwunden und der heutigen Generation meist nur aus schriftlichen Quellen bekannt,
und vielleicht ist dies der Grund dafür, daß sie oft von den anderen Arten der
litauischen Volkslieder nicht unterschieden werden, ungeachtet ihrer musikalischen
und poetischen Spezifik, die allen Sutartinen-Typen und - Gattungen eigentümlich
ist. Hier sollen nur ihre wichtigsten und eindeutigsten Züge behandelt werden:
die polyphone Mehrstimmigkeit, die Art der Rhythmik, der Sekundenparallelismus,
die Refrainformen und einige thematische Eigentümlichkeiten. 1
1
Das, was wir als polyphone Mehrstimmigkeit bezeichnen wollen, ist der
gleichzeitige Vortrag sich ineinander verschlingender Melodien. Für sie sind die Art
des Melodienverhältnisses selbst, die einander bedingende intonationsmäßige
"itfUihJA'A i ¡f/muun V'
224
Zenonas Jono Slaviunas
Stimmenentwicklung, das genaue Einhalten der strukturellen Proportionen sowie
erfindungsreiche Vortragsarten im Rahmen dieser Gegebenheiten charakteristisch.
Diese polyphone Mehrstimmigkeit ist unter allen litauischen Volksliedarten nur den
Sutartinen eigen, während andere Typen der Mehrstimmigkeit auch in den übrigen
litauischen Liedgattungen Vorkommen. So sind — neben chorischer Einstimmigkeit
— homophone Mehrstimmigkeitsformen ziemlich verbreitet; sie sind in jüngerer
Zeit entstanden und mit Volksliedern von einfacherem Intonationsaufbau und rhyth-
mischem Charakter verbunden. Typische Sutartinen wurden nie homophon vor-
getragen. Ebensowenig sind für sie Bordun-Mehrstimmigkeit (mit Ausnahme
einiger untypischer Beispiele) oder freie Imitationsformen oder aber ein einfacher
Parallelismus von Sekunden, Quarten und Quinten charakteristisch. Freilich scheinen
beim ersten Anhören die parallel klingenden Sekunden eine Form des Sekund-
parallelismus darzustellen; in Wirklichkeit aber entstehen diese Sekundparallelen
auf Grund eines sich kreuzenden Stimmengeflechts, und deshalb darf man sie nicht
als eine Form des einfachen Parallelismus auffassen.
Man kann verschiedenartige Sutartinen-Formen in zwei polyphone Grundtypen
zusammenfassen: biphonische und kanonische Sutartinen.
Die biphonischen1 Sutartinen werden von zwei Sängerpaaren abwechselnd vor-
i. Sänger 2. Sänger
I. Du zali berzeliai Tüto, tüto
Kalnely uzaugo, Tüto lylio,
Kalnely uzaugo. Tüto lylio.
2. Du jauni broleliai Tüto, tüto,
Zirgelius balnojo, Tüto lylio,
Zirgelius balnojo. Tüto lylio.
3- Du jauni broleliai Tüto, tüto,
Isjojo medziotu, Tüto lylio,
Isjojo medziotu. Tüto lylio.
4- Nusove broleliai Tüto, tüto,
Geltonq, lapel§, Tüto lylio,
Gelton^. lapel§. Tüto lylio.
i. Zwei grüne Birken Tüto, tüto,
Auf dem Hügelchen standen, Tüto, lylio,
Auf dem Hügelchen standen. Tüto, lylio.2
2. Zwei junge Brüderlein Tüto, tüto,
Die Rosse sattelten, Tüto, lylio,
Die Rosse sattelten. Tüto, lylio.
3- Zwei junge Brüderlein Tüto, tüto,
Auf die Jagd ritten, Tüto, lylio,
Auf die Jagd ritten. Tüto, lylio.
4- Erlegten die Brüderlein Tüto, tüto,
Ein gelbes Füchslein, Tüto, lylio,
Ein gelbes Füchslein. Tüto, lylio.
1 Der Terminus Biphonie wird hier als UnterbegrifT von Polyphonie gebraucht, um diesen
Sutartinentyp abzuheben.
2 Die Wörter tüto lylio sind asemantisch und werden in diesen Liedern analog den deut-
schen Refrains ola dri, o la la u. ä. gebraucht.
Zur litauischen Vokalpolyphonie 225
Notenbeispiel i
J = 452
H V ■LN;
ST V kal-ne - ly uz-au-qo-
-A k—k-i
am J —N f—f-
? 1 tu - to - | 4 ly lio. & 4 Jl.
f- 1 f- - 1 A. Du za - li p r 1 ber-ze - liaf -f- Uj =E=T- Kal - ne — ly -f Fi
1 N f 1 I T J
Tu — to, tÜ — to, tu — to
Z. Slaviünas, Sutartines Bd. 3 (Vilnius 1959) Nr. 1412.
In Sutartinen dieser Art beginnen und schließen die Sänger das Lied gleichzeitig,
indem sie ihre melodisch und rhythmisch unterschiedlichen Stimmen vereinen.
Die Oberstimme singt gewöhnlich den Narrativtext des Liedes, die Unterstimme
den erweiterten Refrain, der meist aus Interjektionen besteht. Das zweite Sänger-
paar wiederholt die Strophe des ersten Paares.
226 Zenonas Jono Slaviunas
Der zweite polyphone Typus wird von drei Sängern in strenger Kanonform
vorgetragen:
Notenbeispiel 2
J = ?2
«j, Skum — bo - j’ sau - m'ai jo - j' kas fen te-ka, dau-nu-joj’i
Zur litauischen Vokalpolyphonie
227
x. Skumboj’, sauniai joj’,
Kas ten teka, daunujoj ?
Rima tüto, rima tüto,
Rima, rima, rima tüto.
2. Skumboj’, sauniai joj’,
Tek’ martele, daunujoj.
Rima tüto, rima tüto,
Rima, rima, rima tüto.
3. Skumboj’, sauniai joj’,
Per dvareli, daunujoj.
Rima tüto, rima tüto,
Rima, rima, rima tüto.
Skumboj’,3 stattlich reitet,
Wer dort schreitet, daunujoj ?
Rima tüto,3 rima tüto,
Rima, rima, rima tüto.
Skumboj’, stattlich reitet,
Schwiegertochter schreitet,
Rima tüto, rima tüto,
Rima, rima, rima tüto.
Skumboj’, stattlich reitet,
Über den Hof, daunujoj.
Rima tüto, rima tüto.
Rima, rima, rima tüto.
Z. Slaviünas, Sutartines Bd. 1 (Vilnius 1958) Nr. 163.
Die zweite Stimme setzt gewöhnlich ein, wenn die erste die Mitte der Textstrophe
erreicht hat. In den kanonischen Sutartinen kommt der Refrain (hier Rima tüto),
wenn überhaupt vorhanden, meist im zweiten Teil der Melodie vor, und hier setzen
in der Regel die zweite bzw. die dritte Stimme ein, indem sie Melodie und Text-
anfang des ersten Sängers wiederholen. Das melodische Material vieler Gesänge
dieses Typs ist ausdrucksvoller und eigenartiger als das der biphonischen Lieder.
Sutartinen sind also der realen Klangerscheinung nach zweistimmige Lieder
(reale Dreistimmigkeit kommt nur selten vor) mit deutlich individualisierten Stim-
men, deren jede ihre Melodienlinie selbständig entwickelt. Darum ist die Sutartinen-
Polyphonie so kontrastreich. Für die Entstehung dieses Kontrastes ist die rhythmi-
sche Seite des musikalischen Geschehens besonders wichtig. Jede Stimme hat ihre
eigene rhythmische Struktur, die für sie kennzeichnend ist und die sie beim mehr-
stimmigen Vortrag streng bewahrt. Auf diese Weise werden voneinander abweichende
rhythmische Figuren parallel vorgetragen. Dieser rhythmische Kontrast der beiden
Stimmen verstärkt den im engeren Wortsinn „polyphonen“ Charakter des Gesamt-
eindrucks erheblich. Oft werden auch tonale Kontrastmittel eingesetzt, um die
Selbständigkeit und das Eigenleben der Stimmen zu verstärken. Sie finden sogar in
solchen Sutartinen Verwendung, in denen beide Stimmen in Terzsprüngen geführt
werden, aber in der Oberstimme ist es die große Terz und in der Unterstimme nur
die kleine oder umgekehrt (vgl. die Notenbeispiele 1 und 2). Die beiden angeführten
Beispiele zeigen auch, daß der erste Stimmenteil der kanonischen Sutartinen der
Oberstimme der biphonischen Sutartinen entspricht und ihr zweiter Teil der bipho-
nischen Unterstimme.
Wenn man die große Terz als Dur-Charakter, die kleine Terz als Moll-Charakter
interpretiert, so kann man beiden Stimmen verschiedenes tonartliches Gepräge zu-
schreiben, wobei hier die obere Terz als Dur und die untere Terz als Moll auftreten.
Dieser Charakterzug tritt besonders in den einzeln genommenen Stimmen einer
kanonischen Sutartine und auch im Verhältnis zwischen Ober- und Unterstimme der
biphonischen Gesänge deutlich zutage. Werden diese Melodien verschiedenartiger
3 Skumboj ist entstellt aus dem lit. skamba — klingt, Rima tüto ein asemantisches Refrain-
element.
228
Zenonas Jono Slaviunas
tonaler Färbung mehrstimmig vorgetragen, so entsteht ein Kontrast, der durch den
Übergang der Unterstimme in eine andere Lage, um eine Stufe tiefer oder höher als
die Oberstimme, noch unterstrichen wird. In Sutartinen mit größerem Umfang
(z. B. Quinte), in denen gewöhnlich eine Stimme (über einige Takte verteilt) den
Dreiklang realisiert und die andere ein Terz-Bichord, wird der tonale Gegensatz durch
die Konfrontierung des breiteren und engeren Stimmumfangs ausgedrückt: der
Dur-Dreiklang geht mit der Moll-Terz und der Moll-Dreiklang mit der Dur-Terz
zusammen. Sehr beliebt ist auch die Konfrontierung von Dur-Dreiklang und Dur-
Bichord oder umgekehrt. Es könnte den Anschein haben, als ob in diesem Fall
beide Stimmen keinen tonalen Kontrast bilden; aber in Anbetracht dessen, daß
Dur- oder Moll-Dreiklang in den Sutartinen nur dann entstehen, wenn die Sänger
ihre von einander abweichenden Terz-Bichorde (also die kleine und große Terz in
verschiedener Lage) bereits realisiert haben, und daß beim mehrstimmigen Vortrag
die obere Terz des Dur-Dreiklangs von der unteren getrennt wird, indem man den
ganzen Dreiklang sukzessive auf andere Takte verteilt, darf man auch den genannten
Fall als einen tonartlichen Kontrast ansehen. In ähnlicher Weise wird der Gegensatz
zwischen normalen und übermäßigen oder verminderten Dreiklängen zustande
gebracht, wobei die sukzessiven Dreiklänge der Oberstimme denen der Unter-
stimme gegenübergestellt werden: dur und moll, dur und übermäßig, dur und ver-
mindert, übermäßig und moll u. ä. Alle geschilderten tonalen Eigenarten bleiben
stets durch das ganze Lied, in allen Strophen, erhalten.
Die Sutartinen-Polyphonie beruht also auf einer festen logischen Beziehung
zwischen den Tonvorräten oder Tonarten der einzelnen Stimmen. Diese feste Be-
ziehung beruht auf der gleichartigen IntonationsStruktur der Stimmen; das Nicht-
zusammenfallen ihrer Tonvorräte bzw. ihrer Umfangsgrenzen hilft den Kontrast
der Stimmenbewegung und ihrer Richtung hervorzuheben, der in dem schon er-
wähnten sich kreuzenden Stimmengeflecht zum Ausdruck kommt. So vertauschen
die Stimmen stellenweise ihre Lage und sind stets bestrebt, einander zu ergänzen.
Hier ist auch eine andere Eigenart der Sutartinen hervorzuheben, die Kontrastie-
rung im textlichen Bereich, die durch den gleichzeitigen Vortrag verschiedener Text-
teile entsteht. Meist werden Narrativ-Text und erweiterter Refrain konfrontiert.
Der entstehende Kontrast beruht nicht nur auf dem gleichzeitigen Erklingen ver-
schiedener Worte, sondern vor allem auf dem von der Normalsprache abweichenden
Klang der Refrainwörter, die aufgrund zahlreicher Vokale und ungewöhnlicher
Lautverbindungen meist einen viel helleren und heitereren Klangcharakter haben als
der Narrativtext. Die sprachliche Seite des ganzen unterstützt also den musikalischen
Stimmenkontrast, macht ihn noch plastischer. Doch ist die scharfe Gegensätzlich-
keit der beiden Stimmen trotzdem nicht imstande, den komplexen Höreindruck zu
zerstören, die polyphone Einheit des Sutartinenklanges zu beeinträchtigen.
2
Eine charakteristische Eigenart der Sutartinen ist ihre zupackende und kräftige
Rhythmik. Oft spielt sie eine hervorragende Rolle, indem durch mannigfaltige
und oft sehr prägnante Gestaltung der rhythmischen Figuren die (rein vom Ton-
umfang her) bescheidenen Möglichkeiten der Melodik bereichert werden.
Tafel 17
Frauen beim Singen und Tanzen des litauischen Volkstanzes Ciutyte (1930)
Tafel 18
Verbreitung der musikalischen Stile der Sutartinen in der Litauischen SSR
▲ erste Region ■ zweite Region Q dritte Region
wi/vifiHivmriidiuirav/M r 4 mjsjm iwxwwh ttinvrivi i n
Zur litauischen Vokalpolyphonie 229
Die Sutartinen-Rhythmik hat eine festumrissene Struktur, die sich auf strenge
Periodizität und eine gewisse Kurzatmigkeit ohne liedhaftes Fließen gründet.
Gleichmäßiges Pulsieren fester Tonlängen ist für sie kennzeichnend, jeder Textsilbe
entspricht ein Ton. Darum ist ihr Stil deklamatorisch, rezitativisch, wenngleich
ohne jedes rubatohafte Element, sondern eher scharf akzentuiert und eckig. Dieser
Charakter ist fast allen Sutartinen eigentümlich. Er wird von den Sängern durch die
Bezeichnung kapotines (lit. kapoti = hacken), die zusätzlich für die Sutartinen ge-
bräuchlich ist, treffend zum Ausdruck gebracht. Zu der erwähnten Eckigkeit des
rhythmischen Verlaufs gesellt sich eine intensive Lebhaftigkeit, eine pausenlose
Aufeinanderfolge aktiver rhythmischer Figuren, die aus den oft wiederkehrenden
jambischen und choreischen Formeln entstehen.
Im rhythmischen Bild der einzelnen Stimmen sind folgende rhythmische Schemata
am häufigsten:
1J J 1 J } > 1 J> J> > J> l
l ]>}}})} 1 J > J> > } 1 J J» 1
2 J. J> 1 n J 1 >1
Oft kommen auch Rhythmen mit Endbetonung vor:
5 ) } J 1 J J 1 J 1
i J> J> J
Ferner sind Synkopen sehr beliebt, besonders in den biphonischen Liedern, etwas seltener in den Kanonformen. Charakteristisch sind folgende synkopische Rhythmen:
2 J> J J> 1 > J. 1
i } } J. > 1 } i J J>|
All diese Formeln bilden die Basis der Sutartinen-Rhythmik. Auf mannigfaltige
Art kombiniert ergeben sie immer neue rhythmische Muster, wodurch rhythmische
Einförmigkeit vermieden wird. Namentlich die Synkopen verleihen den Sutartinen
ihren besonderen Reiz, angespannte Motorik und geballte Aktivität; oft sind sie mit
andersartigen rhythmischen Wendungen verflochten und dadurch umso wirksamer:
? J> J Jl > J J IJ > > I } J> ¿1} J ) IJ. J> I > J.I
16 Volkskunde
230
Zenonas Jono Slaviunas
Durch ihr unerwartetes Eingreifen in den „normalen“ Gang einfacher rhythmischer
Motive nehmen die Synkopen aktiven Anteil an der Steigerung der rhythmischen
Energie, verstärken die rhythmische Spannung, mildern den dissonierenden Klang
und helfen den Vortragenden, in der Tonalität ihres Stimmparts fest zu bleiben.
Das Kunstvolle der Sutartinen-Rhythmik tritt in vollem Umfang zutage, wenn
die rhythmischen Gestalten der einzelnen Stimmen untereinander kontrastieren.
Schematisch dargestellt kommen folgende Rhythmen-Kombinationen vor:
Oberstimme:
Unterstimme:
J J I } J> J
j j i j ; j>
i J ! i J >
> j J> I ; > J
j> j i I j j
j> j j> I j. }
j> j> i> i I i> j.
Freie improvisatorische Rhythmik, asymmetrische Betonungen, kantables Fließen
des Rhythmus, das ausgedehnte Umspielen einer Silbe u. ä., alles Eigenschaften,
die für die nichtpolyphonen Volkslieder so kennzeichnend sind, sind den Sutartinen
fremd. Doch darf man auch die gemeinsamen Züge, die die Sutartinen-Rhythmik
mit der Rhythmik der einstimmigen oder homophonen Lieder, besonders mit den
Tanz- und den Spielliedern hat, nicht verkennen. Hier und da finden sich gemeinsame
rhythmische Figuren z. B.:
J> J> J ! J> J> f1 J>
Auch Synkopen sind nicht ausgenommen. Jedoch erhalten die den beiden Lied-
arten gemeinsamen rhythmischen Erscheinungen in den Sutartinen ein eigenes
Gesicht; sie werden spezifisch gruppiert und umgruppiert, bekommen einen von
den Genres anderer litauischer Volkslieder abweichenden Charakter. Man kann
sagen, daß die litauische Sutartinen-Rhythmik ein sehr eigenartiges und originales
System darstellt, für das bisher eine unmittelbare Parallele in der vokalen Mehr-
stimmigkeit anderer Völker nicht gefunden wurde.
Diese so mannigfaltige Sutartinen-Rhythmik spielt sich im Rahmen einfacher
Taktarten ab. Von der Gesamtzahl der aufgezeichneten Sutartinen (ca. 870) ent-
fallen 90% auf zweiteilige Takte (2/4) oder auf deren Abarten (4/4, 4/8). Die übrigen
10% sind dreiteilige (3/4, 3/8, 6/8) und gemischte Taktarten (3/44-4/4, 3/8 4" 4/8,
3/4 + 2/4)-
Zur litauischen Vokalpolyphonie
231
Sutartinen mit Taktwechsel sind selten, und auch dort, wo er vorkommt, zerstört
er die allgemeine Symmetrie nicht, da er in beiden Stimmen vollzogen wird: wenn
2. B. im ersten Melodieteil bzw. in der ersten Zeile 2/4 -f- 3/4 vorkommt, so ist
dies auch im zweiten Melodieteil der Fall.
Sutartinen haben keinen Auftakt; die Melodien beginnen stets volltaktig, und
das ist oft auch der stark betonte Taktteil. Mit einem „schwachen“ Taktteil beginnen
sie nur dann, wenn am Anfang synkopische Figuren stehen.
3
Eine andere wichtige Eigentümlichkeit der Sutartinen sind die schon erwähnten
parallelen Sekundklänge. Diese Erscheinung entsteht auf Grund der traditio-
nellen Vortragsmanier: die Unterstimme setzt mit ihrem Part in der Regel zuerst
ein und singt sie um eine (große oder kleine) Sekunde tiefer oder höher als die
Oberstimme. Die Erhaltung der parallelen Sekunden im weiteren Verlauf des Su-
tartinen-Vortrags ist von der Melodielinie der einzelnen Stimmen abhängig, die
oft einen engen Umfang hat (etwa zwischen einer Terz und einer Quinte). Manchmal
ist der Ambitus in beiden Stimmen gleich, in der Oberstimme und in der Unter-
stimme eine Terz, manchmal verschieden, in der Oberstimme eine Terz, in der
Unterstimme eine Quinte oder umgekehrt. In Stimmen mit Quintenumfang bilden
die Terzen einen Dreiklang. Die Melodiebewegung vollzieht sich in Terzsprüngen;
andere Intervalle außer Quinten, manchmal auch Quarten, werden nicht benutzt.
Die Terzintervalle gelten als die wichtigsten und kommen in den Sutartinen am
häufigsten vor; mit ihnen beginnen und enden die Lieder vom Anfangston steigend
oder fallend (die Kadenz zumeist fallend). Die Terzsprünge verleihen den Sutartinen-
Stimmen ihren eckigen Charakter, der sich ganz von den einfachen monodischen
und homophonischen Liedern unterscheidet. Während in den letzteren die Melodik
fließend, kantabel, beweglich und biegsam ist, zeichnen sich die Sutartinen-Melodien
durch größere Motorik und Lebhaftigkeit aus. Lyrischer Wohlklang ist ihnen
fremd. Im sich kreuzenden Stimmengeflecht überschneiden sich die Melodielinien,
die Terzsprünge der Oberstimme schieben sich von unten oder oben in das Terz-
intervall der Unterstimme hinein, wodurch die erwähnten Sekundklänge entstehen.
Auf diese Weise sind die parallelen Sekunden das ganze Lied hindurch gegenwärtig.
Abweichungen von dieser starken Neigung zum Sekundklang sind nicht allzu häufig;
doch kommen Quartzusammenklänge (rein und übermäßig) in den Kanonformen
des öfteren vor. Sie resultieren aus der Verschiedenheit der beiden Stimmen oder
aus Abweichungen von der normalen Ordnung der Stimmenbewegung. Diese
Quartklänge (in einigen Fällen sogar Terzklänge) rufen keine wesentliche Ver-
änderung im Gesamtklang hervor, weil die übermäßigen Quarten in ihrem Wesen
auch dissonierend sind. Die Dissonanz ist als Zusammenhang durchaus vorherrschend,
übrigens nicht nur in den hier in Rede stehenden Sutartinen, sondern auch in der
eng mit ihnen verbundenen instrumentalen litauischen Volksmusik.
Die Sekundparallelen werden unter den alten Volkssängern als eine ganz normale
Sache betrachtet und mit Konsonanzen im Sinne der europäischen Kunstmusik
und Musiktheorie nicht konfrontiert. Der Verfasser dieses Artikels hatte 1936
Gelegenheit, im Dorfe Taujenai (Kreis Ukmerge) alte Sängerinnen zu beobachten,
16*
232 Zenonas Jono Slaviunas
die über die Sekundparallelen der Sutartinen und über ihre Rhythmik in Entzücken
gerieten und in Ausrufen wie „Ach, wie schön!“, „Wie gut sie zusammenschlagen!“
ihre Bewunderung äußerten. Ähnliches wird auch von anderen Forschern über
verwandte Mehrstimmigkeitsformen berichtet.4
Das in den Sutartinen vorherrschende dissonante Element wird durch weichere
Intervalle wie große Sekunde und reine Quarte und durch synkopische Betonungen
in beiden Stimmen oder auch durch die tiefe Stimmenlage der Sänger gemildert.
Darum erscheinen im lebendigen Vortrag die Sekundparallelen nicht so scharf;
sie sind mit dem Gesamtausdruck dieser Gesänge organisch verwachsen, klingen
nicht so schrill, wie es die der Klangsinnlichkeit entbehrenden Notenbeispiele
glauben machen. Außerdem erfüllen die dissonierenden Stimmen auch eine zusätz-
liche Aufgabe: sie heben die Eigenschaften jedes Parts plastisch, reliefartig hervor,
namentlich wenn ein selbständiges rhythmisches Muster vorhanden ist, verleben-
digen das dichte Klanggewebe und helfen mit, einen ständigen Spannungszustand
aufrecht zu erhalten.
4
Hier ist zu bemerken, daß die Sutartinen mit kontinuierlich erklingenden Sekund-
parallelen nicht im ganzen Verbreitungsbereich dieser Gattung bekannt sind: die
Lieder der südlichen und westlichen Gegenden haben andere Zusammenklänge und
stilistische Eigenarten als die bisher geschilderten.
Auf Grund dieser Eigenarten und ihrer territorialen Verbreitung können
wir drei Regionen unterscheiden (siehe Tafel 18 unten). Zur ersten Region gehören
die bisher behandelten Sutartinen. Die Lieder der zweiten und dritten Region zeigen
einen größeren Stimmumfang und plastischere Melodik. Hier tauchen sprunghafte
Sekund- und Quartgänge auf; eine charakteristische Erscheinung ist ferner der
Melodiebau in diatonischen Tetrachorden (mit Verschiebungen zwischen der dritten
und vierten Stufe); auch tetratonische Ordnungen mit Unterquarte kommen vor
(3. Region) bzw. tritonische Gebilde im Quartbereich mit Sekunden in der oberen
oder unteren Hälfte (öfters in der 2. Region); im Terzrahmen finden wir „Dur“-
Verteilung, also Ganztonskala, „phrygischen“ Anfang (Halbton-Ganzton), „Moll“-
Verteilung (Ganzton-Halbton), d. h. alle möglichen Kombinationsarten. Diese
Trichorde sind ausschließlich in der 3. Region anzutreffen. Seltener kommen Penta-
chorde mit Halbtönen zwischen der dritten und vierten Stufe vor; in der 3. Region
ist ein Teil von ihnen mit der Unterquart kombiniert. Vereinzelt kommen auch
fünftönige Strukturen im Sext- und sogar im Septimenumfang vor. Die Melodien
der ersten und zweiten Stimme sind in Gestaltung und Umfang in der Mehrzahl der
Fälle verschieden, so singt z. B. in den Sutartinen der 2. Region die eine Stimme
eine tetrachordische Melodie und die andere eine dreitönige Melodie im Quart-
umfang (Sekunde -f- Terz). In anderen Fällen werden in beiden Stimmen die gleichen
Tetrachor de benutzt. Die auf unterschiedlichen Tonfolgen auf gebauten Stimmen
ergeben im Zusammenklang vielfältige harmonische Strukturen: außer den auch hier
nicht seltenen Sekundklängen vor allem reine Quarten, Terzen und Einklänge,
4 Raina Katzarowa—Koukoudowa, Phénomènes polyphoniques dans la musique
populaire bulgare. Studia musicologica 3 (Budapest 1962) 169.
Zur litauischen Vokalpolyphonie 233
Weniger häufig sind reine Quinten. Diese Sutartinen beginnen mit Sekunde, Terz oder
Quinte und enden mit dem Einklang, seltener mit Quart oder Terz.
In den Liedern der dritten Region ist insgesamt eine stärkere Tendenz zur Dia-
tonik und zum Zusammenfließen in das Unisono spürbar. Ihre Melodik ist von
gleitender Beweglichkeit und lyrischer Weichheit und den einstimmigen Gesängen
der östlichen Teile Litauens verwandt. Auch hier zeigen beide Stimmen oft ver-
schiedene Tonreihen: Tetrachord und Trichord, Tetrachord und Tetrachord (aber
verschieden strukturiert), „Dur“-Trichord und „Moll“ oderBichord, „phrygisches“
Trichord und Bichord im Terzumfang etc. Wegen ziemlich oft auftretender gleicher
Tonfolgen in beiden Stimmen und diatonischer Melodik erscheinen die Sekund-
klänge in diesen Sutartinen nur episodisch; im übrigen aber sind konsonante Zu-
sammenklänge vorherrschend: Einklang, Terz und seltener Quarte; in ähnlicher
Weise beginnen und enden sie meist mit der Terz, seltener mit der Sekunde. In
einigen Sutartinen bewahren beide Stimmen größere oder geringere Selbständigkeit,
d. h. sie werden polyphon im echten Sinn gesungen; in anderen aber stellt die Melodie
der Unterstimme nur eine Variation der Oberstimme dar. Die Stimmen singen die-
selbe Melodie und behalten ihre Hauptumrisse stets bei, wenngleich sie hier und da
sich vom Unisono abzweigen. Das heißt, sie entwickeln sich — auch wenn kanonartig
wie in folgendem Beispiel gesungen — nach dem Prinzip der heterophonischen
Mehrstimmigkeit:
Notenbeispiel 3
234
Zenonas Joño Slavi unas
Ciuta, ciutela, Ciuta, ciutela,
Càuta, ciutela. Ciuta, ciutela.
Z. Slaviünas, Sutartinès Bd. i (Vilnius 1958) Nr. 79.
Solche Mehrstimmigkeit ist nur für die dritte Region kennzeichnend. In dieser
Sutartinengruppe findet man auch Stücke, in denen die Melodien beider Stimmen
identisch sind:
Notenbeispiel 4
1. Sänger 2. Sänger
Eisme sesutele, Tos vienos lelijos.
Gulylia. Penki lapai.
Gehen wir Schwesterlein, Liliechen holen mit
Gulilia. Fünf Blättchen.
Z. Slaviünas, Sutartines Bd. 1 (Vilnius 1958) Nr. 76.
Hier gibt es keine Mehrstimmigkeit im echten Sinne dieses Wortes. Da aber die
zweite Stimme einen anderen Text und eine andere Klangfarbe hat, so können auch
die Lieder dieser Gruppe zu den „polyphonen“ Sutartinen in einem weiteren Sinne
Wi« iwr» IWfflll« UirriViM MMi
Zur litauischen Vokalpolyphonie 235
gerechnet werden, um so mehr, als auch die Yolksterminologie keine Unterscheidun-
gen vornimmt. Eine große Zahl von Aufzeichnungen, die von verschiedenen Samm-
lern zu verschiedenen Zeiten vorgenommen wurde, zeigt, daß diese Art der Mehr-
stimmigkeit nichts Zufälliges darstellt. Auch Kanonmelodien werden in dieser Region
praktisch einstimmig vorgetragen; hier entsteht das Unisono, weil der zweite Melodie-
teil die Melodie des ersten Teiles tongetreu wiederholt. Aber auch hierbei kommt,
wenn beide Stimmen gleichzeitig die verschiedenen Textzeilen vortragen, jene schon
erwähnte „Textpolyphonie“ zustande. Daß die Tendenz zur polyphonen Stimm-
bewegung dabei erhalten bleibt, zeigt die Tatsache, daß die zweite und dritte Stimme
ebenso nacheinander einsetzen wie in den normalen kanonischen Sutartinen.
Beim Vergleich der Gesänge aus der ersten Region mit denen aus den übrigen
Regionen treten auch andere Eigenarten zutage. So sind z. B. in rhythmischer
Hinsicht die Melodien der 3. Region gegenüber den Melodien der polyphonen
Gruppe ausgeglichener, nicht so zupackend, zeigen nur wenige Synkopenbildungen,
dafür aber häufiger Ligaturen. In einigen heterophonischen Sutartinen begnügen sich
die Stimmen mit monorhythmischer Bewegung bzw. unbedeutenden Notenwert-
spaltungen.
Analog kann man auch die tonalen Verhältnisse der Stimmen betrachten. In den
Sutartinen der 2. Region ist noch ein tonaler Kontrast bemerkbar, aber nach Ver-
einigung der episodischen Stimmen mit der Unterstimme zum Unisono wird dieser
Kontrast schwächer, obwohl der Hang zur Kontrastierung in diesen Sutartinen durch
verschieden gebaute Tonreihen, wenn auch im Rahmen des gleichen Ambitus,
aufrechterhalten wird (wenn z. B. der Quartambitus in einer Stimme mit Sekunde
plus Terz gefüllt wird, so in der anderen Stimme mit Terz plus Sekunde). In den
Sutartinen der 3. Region wird dieser Gegensatz wegen der öfter vorkommenden
tonalen Gleichheit der Stimmen noch unbedeutender, und in der heterophonischen
Gruppe verschwindet er fast gänzlich.
Dissonierende Zusammenklänge werden im Vergleich mit der 1. Region seltener;
in der 2. und 3. Region werden sie gleichsam in ein konsonantes Klanggeschehen
eingewoben. Das betrifft vor allem solche Sutartinen, in denen parallele Sekunden
auf den schwachen Taktteilen Vorkommen, im übrigen aber das Unisono eine Rolle
spielt. In der heterophonen Gruppe kommt ihnen nur untergeordnete Bedeutung
zu, weil hier, wie schon bemerkt wurde, der Einklang oft überwiegt. In dieser Region
verliert auch die sich kreuzende Stimmbewegung ihre Schärfe.
Die Übersicht über die wichtigeren regionalen Eigenarten der Sutartinen läßt
den Schluß zu, daß darin mehr Vereinigendes als Trennendes zu finden ist. Die
Gesänge aller drei Regionen zeigen die Hauptzüge ihres Genres: biphonische und
streng kanonische Mehrstimmigkeit, Struktur- und Stimmenbewegungssymmetrie,
Verteilung der Stimmparte und des Textes, Terzintervall und Sekundklänge ver-
bunden mit ununterbrochenem rhythmischem Pulsieren.
Einige allgemeine Eigentümlichkeiten der Sutartinen lassen sich noch differenzieren.
Für die Gesänge aller Regionen ist eine ausgeprägte Symmetrie charakteristisch.
Dieses Formprinzip ist für die Gesamtfaktur der Sutartinen wie auch für den Aufbau
der einzelnen Stimmen kennzeichnend. Während in den anderen Liedgattungen
streng periodische Wiederholungen der Teile allgemein vermieden werden, sind in
236 Zenonas Jono Slaviunas
den Sutartinen gleiche Proportionen und Periodenverteilungen besonders beliebt.
Formteile gleichen Umfangs sind für die Sutartinen-Symmetrie bestimmend. Meist
werden zweiteilige (A + B) oder doppelt-zweiteilige (A ~f- B + A B) Formen
benutzt. Beide Teile oder Zeilen haben die gleiche Taktzahl. Oft kommen Sutartinen
mit 4, 8 oder 6 Takten vor, die entsprechend zwei, vier oder drei Melodiezeilen
bilden.
Die Struktureigenarten des Sutartinen-Kernbestandes — Symmetrie, klare Um-
risse und richtiges Verhältnis zwischen ihren Teilen — erleichtern das Erfassen
und Einprägen der Melodie, die Gruppierung und den Einsatz der Stimmen beim
Vortrag. Die Symmetrie hat bei der Entstehung verschiedener polyphoner Typen
zweifellos eine bedeutende Rolle gespielt; sie half den Sutartinensängern bei der
Gestaltung verschiedener Arten des Mehrstimmigkeitsaufbaus und verschiedener
Vortragsstile. Auch die enge Verbindung mit Arbeits- und Tanzbewegungen übte
einen Einfluß auf die Bauprinzipien der Sutartinen aus. Hier zeigt sich eine allgemeine
Tendenz zu symmetrischer Anordnung.
Die Sutartinen-Symmetrie ist im wesentlichen durch die Aufteilung der Stimm-
parte und durch die Zahl der beteiligten Sänger bedingt. Jeder Sänger hat den struk-
turell gleichen Teil eines Refrains oder einer Textstrophe zu realisieren. Deshalb
wird die Sutartinen-Polyphonie in der Volksklassifizierung nach der traditionellen
Sängerzahl gegliedert, die in Wirklichkeit nicht nur die Zahl der Singenden, sondern
vielmehr die Art der Mehrstimmigkeit bezeichnet. Kanonische Sutartinen werden
in der Volksterminologie trejines (lit. trys = drei, zu dreien) genannt, biphone Stücke,
die meist von vier Sängern in zwei Paare geteilt vorgetragen werden, heißen keturines
(lit. keturi = vier, zu vieren). Einen selbständigen Typ (eine Abart der biphonen
Lieder der i. Region) bilden die von zwei Sängern vorgetragenen Sutartinen. Nach
der Sängerzahl werden sie auch dvejines (lit. du = zwei, zu zweien) genannt.
Notenbeispiel 5
i m tffc
^#U'IfMrilirVHr«ll||UllT9FiM 14.
Zur litauischen Vokalpolyphonie
237
1. Ant kalno avizele
Zvilavo, zvilavo,
2. Avizos’ zirgelis
Edravo, edravo.
3. Ant zirgo balnas,
Ant balno raitas,
4. Ant raito kepurele,
Uz kepures kvietkas.
Auf dem Berge Hafer
Bewegte sich, bewegte sich,
Im Hafer das Rösslein
Weidete, weidete.
Auf dem Ross ein Sattel,
Auf dem Sattel ein Reiter,
Auf dem Reiter eine Mütze,
Auf der Mütze eine Blume.
Z. Slaviünas, Sutartines Bd. 1 (Vilnius 1958) Nr. 413.
Von den biphonischen „zu vieren“ unterscheiden sich die Gesänge „zu zweien“
dadurch, daß beide Sänger denselben Text vortragen. Hier sind Refrains oder
asemantische Wörter sehr selten; beliebter sind synkopischer Rhythmus, Ver-
änderlichkeit der Silbenzahl, Stimmenvariation in den aufeinanderfolgenden
Strophen.
Die größte Mannigfaltigkeit in der Sutartinen-Polyphonie zeigt eine besondere
Art kanonischer Lieder, die sogenannten trejines atitartines („zu dreien mit Ein-
schub“). Es handelt sich um Gesänge, bei denen sich einer von den drei Sängern
immer wieder in die Partie des anderen mit einem kurzen Motiv hineinschiebt.
Wenn die Melodie sehr lang ist, so erlaubt dieser Einschub dem anderen Sänger,
aufzuatmen und sich zu erholen. In dem folgenden Beispiel sieht man einen solchen
Einschub in der Partie des dritten Sängers.
238
Zenonas Joño Slaviunas
Notenbeispiel 6
J«8if
WLTlIlllIlWfllU< ti fTOFXM (4.>t£VKVW\\x,x\
Zur litauischen Vokalpolyphonie
239
Du dobileliai,
Trys dobileliai.
Kas laukeliu jeja, dobilio?
Dobilio, ciüto!
Dobilio, rüto!5
Dobilio!
Dobilio!
Zwei Kleechen,
Drei Kleechen.
Wer reitet durchs Feldchen, dobilio?
Dobilio, ciüto!
Dobilio, rüto!
Dobilio!
Dobilio!
Z. Slaviünas, Sutartines Bd. 2 (Vilnius 1958) Nr. 750a.
Zum Vortrag der Sutartinen gehört auch die eigenartige Manier, nach dem Be-
enden des Liedes zu „uhen“ (den U-Laut zu variieren). Meistens werden u- und
i-Laute glissando oder portamento von oben nach unten, seltener umgekehrt vor-
getragen :
U-ü ü! U-ü-u!
Durch diesen Ausruf kündigt man das Ende des Sutartinen-Vortrags an. Nach
dem „Uhen“ des ersten Sängers setzen damit auch alle anderen ein. In den kanoni-
schen Liedern unterbrechen die zweite und dritte Stimme das Lied an beliebiger
Stelle.
5
Eine wichtige Rolle spielen in den Sutartinen die Refrains, die hier besonders
zahlreich und in verschiedensten Formen begegnen. Da sie an beliebigen Strophen-
stellen und in allen Stimmen auftreten, bilden sie oft den größten Teil des Sutartinen-
Gewebes und sind ein wichtiges und charakteristisches künstlerisches Ausdrucks-
mittel. Während in den übrigen Liedgattungen der Refrain, falls er überhaupt vor-
handen ist, nur eine oder zwei Zeilen einnimmt, wird in den Sutartinen sehr oft jede
Strophenzeile von Refrains oder Refrainelementen durchsetzt: sie erscheinen am
Anfang der Zeile (Lioj zalia rüta — Lioj grüne Raute), am Ende — (Obeleie, nendrele
tatato — Apfelbäumchen, Schilfehen tatato), am Anfang und am Ende — (ciüto,
berzelis — tüto — ciüto Birklein — tüto). Genauso ist es auch in der ganzen Strophe.
Sehr oft nehmen die Refrains den größten Teil der Strophen ein, während für den
Narrativtext kaum eine Zeile oder ein Wort übrigbleibt: Tututu, sadaucia obeleie
(Apfelbäumchen), Lioj, tutu, sadaucia, lioj hjlia.
Dobilio ist entstellt aus dobilo (Klee), ruto aus ruta (= Raute).
240
Zenonas Jono Slaviunas
Fast alle Sutartinen, ausgenommen einige kanonische und viele biphonische
Gesänge, besitzen Refrains.
Zahlreiche Refrains erwecken den Eindruck, als ob sie die Gedankenentwicklung
verzögern, ihren Fluß zergliedern. Doch werden die künstlerische Kraft und die
emotionale Wirkung der Sutartinen dadurch nicht gemindert. Lieder, die reich an
Refrains sind, beeindrucken mehr durch ihren Klang, die musikalische Ausdrucks-
kraft, Assonanzen und Wirkung der Wortwiederholung als durch ihren detaillier-
ten Gedankengang und die Überzeugungskraft ihrer logischen Gedankenentwick-
lung.
Die Fülle der Refrains schafft günstige Bedingungen für die Improvisation.
Wenn z. B. der wiederholte Refrain einen Strophenteil bildet, so bleibt den Sängern
mehr Zeit, den neuen Narrativtext der folgenden Strophen künstlerisch zu ent-
wickeln, nach den Worten der Sänger: sutartine rinkti — (lit. rinkti = sammeln).
Als Refrains werden spezifische Wörter gebraucht, die einzeln genommen keinen
konkreten Sinn haben ciüto, tatato, dautuvo. Sie werden gewöhnlich asemantische
Refrains genannt und begegnen in großer Zahl und in mannigfaltigen Formen.
Auch sinnvolle Wörter, meistens Pflanzennamen (dobilas, kükalis, ratilelis = Klee,
Kornrade, Malve), seltener von Verben abgeleitete Formen (trep trepo, lioj trinkeila)
benutzt man als Refrains.
Manchmal werden sinnvolle Wörter entstellt, und mit der Zeit werden sie dann
unverständlich, besonders, wenn sie keinen Zusammenhang mit dem Inhalt der
Sutartinen haben. Ein Beispiel dafür ist der Refrain prioedziula lioj privedo. Er be-
wahrt seinen konkreten Sinn nur in der Spiel-Sutartine, in der eine Spielerin der
anderen zugeführt werden soll (lit. privesti = zuführen). Auch in der Sutartine,
in der das Mahlen erwähnt wird, wird der Refrain malado (lit. malti = mahlen)
durch den Zusammenhang verständlicher, ebenso in der Sutartine vom Pflanzen-
sammeln der Refrain kupolio-küpo (lit. kupoliauti = Pflanzen sammeln). Auf diese
Weise ist die Sinnlosigkeit mancher Refrains nur relativ.
Die Refrains haben eine enge Verbindung mit dem semantischen Narrativtext
der Sutartinen. Sie passen sich ihrem Inhalt und ihrem Zweck an und verstärken
die Farbigkeit des Liedes. In der Sutartine Ko liüdi, berzeli, lioj liudela? (Warum
trauerst du, Birklein) unterstreicht der Refrain lioj liudela z. B. das Bild von der
traurigen Birke; er bleibt auch in den nächsten Zeilen erhalten, obwohl die „traurige
Birke“ nicht mehr erwähnt wird. In dem Lied Lekia bitele silelin, lingu biciüte,
lingu rüciute (Fliegt das Bienchen in den Hain) werden durch den Refrain lingu
biciüte (lit. linguoti = sich hin und herbewegen) die Bewegungen der Biene gekenn-
zeichnet. Manche Refrains bleiben daher auf Grund ihrer Verbindung mit be-
stimmten Bildern und Motiven konstant: z. B. kommt der Refrain dobilelis oder
dobilio (= Klee) meistens in Liedern über die Biene vor, rüta rütele rüto (lit. rüta =
Raute) in Hochzeits-Sutartinen, kupolio in Brauchtumsliedern, beim Pflanzensam-
meln, vakaro (lit. oakaras = Abend) in Sutartinen über die Erholung der Mutter,
über das Bettrichten.
Seltener findet man onomatopoetische Refrains, die aus der Imitation einzelner
Laute entstanden sind: z. B. ciuz ciuzela — beim Schlittenfahren (Fasching), tititi —
Zur litauischen Vokalpolyphonie
241
beim Trompetenklang, tatato — beim Spinnen oder Weben, trep trepo, lioj trinkeila6
in den Tanz-Sutartinen.
Die Refrains und ihr Wortbestand werden fast ausschließlich nur in den Sutartinen
gebraucht. Ihre Eigenart besteht nicht nur in ihrem besonderen Wortschatz, sondern
auch in dem (für alle Refrains) charakteristischen Wohlklang, in der Verteilung der
Klangelemente, im dichten Geflecht der Vokale o, a, u, die besonders häufig am
Ende des Wortes auftreten (tatato, tatata, ciüto, saduto, sadauto), oder der Diphtonge
ai, oj, oji (ciütai, ciutoji, lylioj, sadautoji). Durch ihren Klang und ihre Bildung
unterscheiden sie sich von den Refrains in den übrigen litauischen Volksliedern.
Eine Ausnahme bilden nur drei alte Ausrufungswörter in den einstimmigen Liedern:
valio, ralio, rido. Selbst wenn den Sutartinen und den einstimmigen Liedern (mit
Ausnahme der Brauchtumslieder) manche Refrainwörter gemeinsam sind (z. B.
lylia, tuto), so findet man jedoch die Art ihrer Gruppierung, wie sie gewöhnlich in
den erweiterten Sutartinen-Refrains (z. B. ciuto ruto tatata, seju veju ciutele usw.)
vorkommt, in den einstimmigen Liedern nicht. Und umgekehrt: In den Sutartinen
tauchen nicht die Refrains der einstimmigen Lieder auf wie ei dzium dzium, ramta
drylia tralialia.
Nach ihrer Bildung können wir zwei Arten von Refrains unterscheiden. Die erste
Art besteht nur aus einem Wort, die oft die ganze Strophenzeile bildet:
2ada mane tevutis
Laduto,
Toli nuduoti,
Laduto.
Da will mich mein Väterchen
Laduto,
Weit verheiraten,
Laduto.
In musikalischer Hinsicht besitzen diese Refrains nur eine einzige Aufgabe: Sie füllen,
erweitern oder schließen die Melodiezeile.
Die zweite Gruppe von Refrains, sogenannte erweiterte Refrains, bestehen
gewöhnlich aus zwei, drei und mehreren Wörtern oder Wortgruppen:
Prase aviza graziai paseti, Bat den Hafer schön zu säen,
Lingo rito tatato Lingo tiro tatato
In den biphonischen Sutartinen entspricht der erweiterte Refrain meistens der
Unterstimme, in den kanonischen Liedern dagegen dem zweiten Melodieteil.
Der erweiterte Refrain erfüllt hier eine doppelte Aufgabe: Er bildet den zweiten
Melodieteil und ersetzt zugleich die Schlußzeile, indem er den musikalischen Ge-
danken des ersten Satzes zusammenfaßt. In einigen Fällen bewahren die Refrains
ihren Charakter als musikalische Refrains, in anderen aber erscheinen sie undeutlich
und unterscheiden sich nicht von der gesamten Melodie.
Diese erweiterten Refrains unterscheiden sich untereinander auch hinsichtlich
ihrer Lage: während die unselbständigen Refrains einen Zeilenteil ausmachen und
sich an den semantischen Text anlehnen, werden die selbständigen Refrains in der
ganzen Vortragszeit der Sutartine wie unabhängige Zeilen von einem besonderen
Sänger gesungen. Meistens begegnen diese in den biphonischen Sutartinen, die,
wie schon erwähnt wurde, zwei verschiedene Texte haben müssen: Der eine ist der
lit. trepseti = stampfen, trampeln.
242
Zenonas Joño Slaviunas
semantische Narrativtext, in der Volksterminologie rinkinys (= Sammlung) ge-
nannt, der vom i. Sänger gesungen wird. Der zweite ist ein selbständiger Refrain,
in der Volksterminologie pritarinys (lit. pritarti — unterstützen, Unterstützer)
genannt, der vom 2. Sänger interpretiert wird. Er wird während des ganzen Liedes
unverändert wiederholt und parallel zur Stimme des 1. Sängers vorgetragen.
Obwohl beide Sänger sich einander anpassen — sie beginnen und schließen zu-
sammen — singt jeder von ihnen, ohne auf die Wörter des Partners zu achten, so
daß die Silben der Wörter auch nicht immer zusammenfallen.
Keine selbständigen Refrains haben die kanonischen Sutartinen, ausgenommen
jene mit „Einschub“, die in der Volksterminologie atitariant genannt werden.
In ihnen erreichen die selbständigen Refrains eine große strukturelle Entwicklung,
da zwei verschiedene Refrains benutzt werden.
Die Fülle der Refrains, ihr Wortschatz und ihre Struktur, die gute Anpassung
an den Inhalt der Lieder und an einzelne Melodien, die mannigfaltige Verteilung
in den Strophen u. a. bilden eine sehr eigentümliche, hoch entwickelte Erscheinung,
die für die litauischen Sutartinen kennzeichnend sind. Analoge Liedrefrains wurden
bisher in den mehrstimmigen Volksliedern anderer Völker nicht gefunden.
6
Die Thematik der Sutartinen gilt verschiedenen Lebensgebieten. Ein Teil
ihrer Motive ist allen Regionen gemeinsam: z. B. Hinausgehen der Brüder zur
Jagd, Schießen der Ente, honigtragende Biene, Arbeiten bei der Roggen- und
Heuernte, Schutzsuchen vor Regen, Flachsbau und seine Verarbeitung, am Wege
wachsendes Apfelbäumchen usw. Andere Motive kommen nur in einzelnen Regio-
nen vor: in der 2. Region findet man z. B. das Tannen-Motiv, die Parallele zwischen
dem Brüderlein und Schwesterlein, Motive vom Hopfenbau, Hopfenpflücken,
von Bier und Met, vom Dohlenfang.
Bestimmte Motive kommen nur in einer Sutartinen-Art vor, andere in mehreren:
z. B. das Motiv des Schutzsuchens vor Regen unter der Eiche in den Sutartinen der
Roggen-, Heu- und Flachsernte, das Verhältnis zwischen Schwiegertochter und
Schwiegervater in den Liedern der Roggenernte, bei der Mistausfuhr, bei Hoch-
zeiten und Tanz.
Kanonische Sutartinen werden bei der Arbeit, besonders bei Feldarbeiten, an den
Kalenderfesttagen, bei Hochzeiten, in der Spinnstube und beim Tanz vorgetragen.
Biphonische Lieder singt man ebenfalls bei der Arbeit, besonders bei der Roggen-
und Flachsernte, bei Hausarbeiten, aber auch bei Hochzeiten.
Schwieriger ist die Frage der musikalischen Charakteristik der Sutartinen zu
beantworten. In den Liedern der 1. Region ist der musikalische Charakter einzelner
Gattungen auf Grund der nur schwach entwickelten Melodik, der einförmigen
Motive und ihrer vielfachen Wiederholung wenig ausgeprägt, in der 2. und 3. Region
dagegen wird bei stärker entwickelten und individualisierten Melodien dieser Charak-
ter bestimmter. Hier bilden einige Gattungen geschlossene unterschiedliche musikali-
sche Typen, so z. B. die Sutartinen der Hafer- und Flachsernte und einige historische
und Hochzeits-, Tanz- und Spiel-Sutartinen.
Zur litauischen Vokalpolyphonie
243
Polyphonische Sutartinen (besonders der i. Region) sind, das kann abschließend
gesagt werden, originäre und in stilistischer Hinsicht einzigartige litauische Volks-
lieder. Und sie sind nicht allein als archaisches Relikt aufzufassen, sie haben auch heute
noch eine künstlerische Bedeutung. Ihre heitere Stimmung und ihre aktiven Into-
nationselemente kommen den Intentionen der Komponisten entgegen und befruchten
die berufsmäßige sowjet-litauische Musik. Das rasche, bewegliche Sutartinen-
Element spürt man in zahlreichen musikalischen Werken. Auch das verstärkt noch
das große Interesse für die Erforschung dieses charakteristischen Bestandteils der
litauischen Volksmusik.
Die Musik der rumänischen Hirtentrompeten
Von Gottfried Habenicht
Angesichts der weiten Verbreitung der Hirten trompete1 in Europa wie auch in
außereuropäischen Gebieten ergibt sich für die vergleichende Instrumentenforschung
die Aufgabe, die verschiedenen Instrumententypen und die auf ihnen gespielte
Musik eingehend zu untersuchen und ihre geographische Verbreitung festzustellen.
Die vorliegende Arbeit versucht, dieser Forderung für den rumänischen Raum
nachzukommen, indem sie die hier anzutreffenden Hirtentrompetentypen und ihre
musikalischen Möglichkeiten darstellt und die musikalisch-stilistischen Zonen ihrer
Musik umreißt.
Die Hirtentrompete,1 2 die eine Länge von 1,30 bis 3 m aufweisen kann, wird vor-
wiegend aus Holz, und zwar jeweils aus zwei Tannen-, Eschen-, Ahorn-, Hasel- oder
Lindenholzrinnen, zusammengeleimt, die dann mit Linden-, Kirschen- oder Birken-
rinde umwickelt oder mit Holzringen zusammengehalten werden. Gelegentlich wird
das Instrument auch mit einem besonderen Mundstück versehen. Aus Metall
hergestellte Hirtentrompeten scheint es schon im Mittelalter im rumänischen Raum
neben den hölzernen gegeben zu haben. Sie verdrängen gegenwärtig die hölzernen,
besonders im Norden des Landes.
In Rumänien findet man heute fünf verschiedene Typen von Hirtentrompeten:3
1. Der im Westgebirge (Muntii Apuseni) anzutreffende Typ ist durch eine gerade
konische Röhre aus Tannenholz gekennzeichnet. Sie wird durch Holzringe zu-
sammengehalten, die in bestimmten Abständen angebracht sind. Dieser tulnic
genannte Typ ist der gegenwärtig bekannteste und gebräuchlichste.
2. Ein ebenfalls gerader Typ mit zylindrischer Röhre, dessen unteres Ende leicht
kegelartig ausmündet, wird aus Holz oder Blech hergestellt und bucin, aber auch
trlmbitä (trimbditä, trimbghitä), genannt. Er ist im Norden Transsilvaniens und in
der Bukowina verbreitet; seine Häufigkeit nimmt von West nach Ost ab.
1 Die Bezeichnung Hirtentrompete scheint uns die treffendste zu sein, da sie die pastorale
Herkunft und Verwendung dieses der Trompetenfamilie angehörenden Instruments kenn-
zeichnet. Dagegen kann dem Terminus Alphorn (Curt Sachs) nur regionale Bedeutung
zugesprochen werden. Die ebenfalls im Schrifttum verwendeten Bezeichnungen Rinden-
trompete (ders.) und Holztrompete (Erich Stockmann) schließen die ziemlich verbreiteten
Hirtentrompeten aus anderem Herstellungsmaterial (z. B. Blech) nicht mit ein.
2 Wir halten es für notwendig, einige schon von T. Alexandru in seinem Buch Instru-
méntele muzicale ale poporului romin (Musikinstrumente des rumänischen Volkes), Bukarest
1956, in bezug auf das Instrument niedergelegten Feststellungen hier zu wiederholen.
3 T. Alexandru, a. a. O. 42 systematisiert sie folgendermaßen: I. Mit gerader Röhre
(unsere Typen 1 und 2) und II. Mit gebogener Röhre (unsere Typen 3 — 5).
Die Musik der rumänischen Hirtentrompeten
245
1
£
3
3
Abb. i. Typen der rumänischen Hirtentrompete: i. tulnic (Westgebirge); z. bucin (Nord-
Zone); 3. trimbita (Nord-Zone); 4. bucium (Moldau); 5. bucium (Muntenien). — Auf
Grund des Quellenmaterials im Archiv des Instituts für Ethnographie und Folklore Bukarest
gezeichnet von F. Vainer.
3. Im gleichen geographischen Raum trifft man noch einen weiteren Typ mit
ebenfalls zylindrischer Röhre, die jedoch wie die der Heerestrompeten doppelt
gewunden ist. Diese Trompete wird aus Blech hergestellt und trimbitä (trimbgifä)
genannt.4
4. Im Norden der Moldau findet man eine aus Holz oder Blech angefertigte
Hirtentrompete mit kegelförmiger Röhre und stark ausgeweitetem, tabakspfeifen-
artig gebogenem unteren Ende. Sie entspricht dem verbreitetsten Typ des schweizeri-
schen Alphorns.
4 Curt Sachs, Handbuch der Musikinstrumentenkunde. 2. Auf!., Leipzig 1930, 296,
bringt als Abb. 125 die Darstellung eines Alphorns von diesem Typ.
17 Volkskunde
246
Gottfried Habenicht
5. Im Süden der Moldau, z. T. bis nach Muntenien hinein, kommt ein ebenfalls
pfeifenartig gebogener Typ vor, dessen hölzerne 2ylindrische Röhre jedoch kür2er
ist als bei dem vorher beschriebenen Typ und sich am gebogenen unteren Ende
nur geringfügig erweitert. Seine Benennung ist bucium.
Die musikalischen Möglichkeiten dieser fünf Typen beschränken sich auf die
Naturtonreihe und lassen sich bei einem angenommenen Grundton d wie folgt
darstellen:5
Die Be2eichnung bucium (bucin, bucen) ist lateinischer Herkunft (bucina) und
mit dem altfran2ösischen buisine und mittelhochdeutschen busine, das dann auf dem
Umwege über busüne 2ur Posaune wurde,6 verwandt. Die lateinische Etymologie
bedeutet nicht auch gleich2eitig die römische Herkunft des Instruments.7 Vielmehr
beruht sein Ursprung aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf Übernahme, sondern
auf 2erstreuten selbständigen Entwicklungen und späteren gegenseitigen Beein-
flussungen. Die Be2eichnungen trimbitä (trimbditä, trimbghitä), trimbifö (vgl.
kirchenslawisch tranbica, kroatisch trombita, ruthenisch trymbita) sind vermutlich
romanischen Ursprungs (vgl. ital. trombetta, span, trombeta, fran2. trompette usw.).8
Ungeklärt ist bisher die Herkunft der Be2eichnung tulnic (vielleicht von slawisch
tulü = hohler Zylinder, Köcher).9
In ihren Funktionen ist die rumänische Hirtentrompete — gemäß ihrer engen
Bindung an die Hirtenkultur — ursprünglich vorwiegend an die Weidearbeit ge-
bunden, wenngleich gegenwärtig ihre Verwendung auch beträchtlich erweitert
erscheint. Zunächst ist daher die utilitaristische b2w. arbeitsgebundene Funktion10 11
der Hirtentrompetenmusik 2u erwähnen, deren wichtigstes Mittel das Signal ist.
So dienten die auf dem Instrument geblasenen Signale 2ur Verständigung 2wischen
den Hirten; für verschiedene Arbeitsvorgänge (2. B. „Herabsteigen der Tiere“,
„Wenn die Schafe 2um Melken gebracht werden müssen“ u. a.) waren unterschied-
liche, festgelegte Signale in Gebrauch.11 — Losgelöst vom pastoralen Zusammen-
5 Nach T. Alexandru, hier transponiert.
6 Curt Sachs, a. a. O. 282, 288.
7 Curt Sachs, a. a. O. 283, teilt anschaulich Ähnliches über die buisine mit.
8 H. Tiktin, Rumänisch-Deutsches Wörterbuch. Bukarest 1903 (I), 1911 (II), 1925 (III).
9 Ebda.
10 Erich Stockmann, Volksmusikinstrumente und Arbeit. DJbfVk 11 (1965) 245—259.
11 Iz. 5080, Mocod (Näsäud-Cluj), Gew. George Bontea, ges. 1950: „. . . Man signalisiert
das Annähern der Herde, damit die bei der Sennhütte das Essen vorbereiten . . .“, u. a. —
Für die aus dem Archiv des Instituts für Ethnographie und Folklore in Bukarest stammenden
Quellenmaterialien gebrauchen wir folgende Abkürzungen: Iz. = Informationszettel;
Mg. — Tonbandaufnahme; Gew. — Gewährsperson; ges. = gesammelt; trs. — transkri-
biert. Zu den Herkunftsorten werden ergänzend in Klammern die Namen der Bezirke
und der Regionen angegeben.
Die Musik der rumänischen Hirtentrompeten
247
hang wurde die Hirtentrompete auch zu Signalzwecken von Bewohnern zerstreut
gelegener Bergsiedlungen12 oder von dörflichen Behörden zur Einberufung von
Versammlungen benutzt.13 14 — Die Hirtentrompete dient auch zur geheimen Ver-
ständigung zwischen Liebespaaren mittels verabredeter Signale (De dragoste) }A
In diesem Falle erreichen die melodisch-rhythmischen Formeln oft plastischste Aus-
druckskraft, deren ästhetische Potenz durch ostinates Wiederholen gesteigert wird.15
— Seit altersher fand die Hirtentrompete im Heerwesen Verwendung, wo sie eben-
falls zu Signalzwecken gebraucht wurde.16
Darüber hinaus wird die Hirtentrompete auch zum Zeitvertreib geblasen. Diese
Benutzung bezeichnen wir als ästhetische Funktion, obwohl dabei sehr oft die Er-
fahrung der Hirten mitwirkt, daß die Herden sich während des Blasens ruhiger als
sonst verhalten.17 18 Die ästhetische Funktion ist heute die lebendigste. Einige Gewährs-
personen umrissen sie folgendermaßen: . . (Wir blasen) zum Zeitvertreib . . .,
aus Langeweile . . .“.1S — . . Wenn wir bei den Tieren sind (blasen wir die Hirten-
trompete), wenn wir eben nichts in den Händen halten (bzw. nichts zu tun ha-
ben) . . ,“19. — Im engen Zusammenhang mit dieser Funktion nennen wir das
virtuose Blasen von Stücken, die einfach zicalä („instrumentales Stück“) genannt
werden; sogar Tanzweisen werden auf der Hirtentrompete geblasen.20 — Im Rah-
men der künstlerischen Laienbewegung treten heute auch Hirtentrompeten-Gruppen
(oder Volksmusikorchester, die Hirtentrompeten in ihrer Besetzung haben) auf den
Bühnen der Kulturheime auf.21
12 Iz. 8059, Vidra (Cimpeni-Cluj), Gew. Ana Goia, ges. Ov. Birlea, 1950.
13 Gh. Focsa, Aspectele spirituale ale civilizatiei täränesti (Geistige Aspekte der bäuer-
lichen Zivilisation). Sociologie Romäneascä 5 (1943) 1—4, veröffentlicht ein aus Moiseni
(Oas-Maramures) stammendes Foto, das die Einberufung einer dörflichen Versammlung mit
der Hirtentrompete darstellt. Ähnlich wird der Beginn der Chorprobe im Kulturheim von
Lesu (Näsäud-Cluj) angekündigt. Vgl. G. Habenicht, Locul cäminului cultural in via^a
folcloricä a satului Lesu (Die Stellung des Kulturheims im folkloristischen Leben des
Dorfes Lesu). Revista de folclor 6 (1961) 3—4» 44-
14 Ob die hier angeführten Stücke früher ein Liebeszauber-Blasen der jungen Mädchen
darstellten, kann heute nicht mehr festgestellt werden. Einige Aussagen von Gewährs-
personen lassen diese Vermutung aufkommen. Siehe z. B. Iz. 8063, Vidra (Cimpeni-Cluj),
Gew. Ana Goia, ges. Ov. Birlea, 1950, wo das Signal nicht ein wirkliches Rufen des Geliebten
bedeutet, da die Ausführende weiß, daß sie nicht gehört werden kann, sondern nur als
Sehnsuchts-Blasen (mit dem Titel „Das Rufen des Geliebten“) empfunden wird. Hiermit
könnte früher einmal eine magische Wirkung beabsichtigt gewesen sein.
15 Die melodische Formel entsteht dabei oft durch rhythmisch-melodisches Nachahmen
vokaler Rufe (z. B. Du-te tu\ = Gehe Du!). (Vgl. Notenbeispiel S. 254 oben.)
16 So heißt es in der Chronik Mihail Moxas (1620): „. . . Er liebte nicht den Klang der
Säbel und Hirtentrompeten (bucine) als Kriegszeichen . . .“ Zit. bei G. Breazul, Patrium
Carmen. Craiova (1941) 35.
17 Iz. 5080 (zit. Anm. xo): ,,. . . Wenn die Schafe die Hirtentrompete hören, verhalten sie
sich ruhig . . Vgl. auch E. Stockmann, a. a. O. 255.
18 Iz. 25.669, Telciu (Näsäud-Cluj), Gew. Pavel Tompa, 48 J., ges. G. Habenicht, 1963.
19 Iz. 8063 (zit. Anm. 14).
20 Von Bartök in Albac (Cimpeni-Cluj) aufgezeichnet und veröffentlicht in Zenei lexikon.
Budapest 1931, z. Bd., bei T. Alexandru, a. a. O. 176, Nr. 13 neu abgedruckt. Weitere
Tanzstücke befinden sich im Archiv des Bukarester Instituts für Ethnographie und Folklore.
21 G. Habenicht, a. a. O. 44.
17*
'uiwti'txvhium
248
Gottfried Habenictit
Spielstücke mit Benennungen wie A oilor („Der Schafe [Stück]“), A gäinilor
(„Der Hühner [Stück]“) oder A porcilor („Der Schweine [Stück]“) müssen nicht
unbedingt als Tierlocksignale betrachtet werden.22 Gestützt auf Aussagen einiger
Gewährsleute können wir sie als Stücke interpretieren, die einerseits Signalfunktion,23
andererseits aber auch eine ästhetische Funktion besitzen, bzw. als Stücke, die die
Onomatopöie als künstlerisches Ausdrucksmittel verwerten und zu jeder Zeit auch
nicht zweckgebunden geblasen werden können.
Eine wichtige Funktion der Hirtentrompete war ihre Verwendung zu magischen
Zwecken. Sie erscheint heute verblaßt und lebt oft nur noch in der Erinnerung der
älteren Generation. Der Klang der Hirtentrompete wurde als Abwehr gegen das
böse Element (schadenverursachende Geister) gewertet. Das „wirkende“ Mittel war
der durchdringende, weithin hörbare Schall des Instruments. (Das Verscheuchen
böser Geister durch Lärm im allgemeinen ist in der Volkskunde des öfteren ange-
führt. Es erübrigt sich daher, hier weiter darauf einzugehen.) In dem Stück A
primaverii („Des Frühlings [Stück]“)24 können wir daher vielleicht ein Element des
Winteraustreibens erkennen, wenn auch heute darüber nicht mehr bekannt ist, als
daß es „bei Frühjahrsbeginn geblasen wird . . ,“.25 (Übrigens wird es jetzt zu jeder
Jahreszeit und mit ästhetischer Funktion gespielt.)26 — Es bestand auch die Glaubens-
vorstellung, daß ein magischer Bannkreis entstand, in den Menschen und Tieren
übelgesinnte Geister nicht eindringen konnten,27 so weit der Schall der Hirten-
trompete reichte, auf der eine ganz bestimmte Melodie geblasen wurde.28 In einen
solchen Zusammenhang gehört das Blasen auf der Alm in alle vier Himmelsrichtungen
in der St. Georgs-Nacht vom 22. zum 23. April. Besonders zu diesem Zeitpunkt
sollten nämlich die Herden gefährdet sein, da nach altem Glauben die Hexen in dieser
Nacht den Tieren die Milch nehmen.29 Aus dem gleichen Grunde — um den Kühen
die Milch zu bewahren — blies man die Hirtentrompete auch in der Sylvesternacht.30
— Aus dem Westgebirge ist der Brauch überliefert, daß am Sonntagabend Groß
22 E. Stockmann, a. a. O. 253. Bei T. Alexandru, a. a. O. 303 mit Vorbehalt angeführt;
der Autor stellt die Frage, ob „. . . nicht vielleicht durch sie (durch die angeführten Stücke)
die Motzenfrau ihr Geflügel und ihre Tiere ruft . . .“
23 Über das Stück A oilor („Der Schafe[Stück]“) befragt, antwortete Ana Goia (Iz.
8063, zit. Anm. 14): „. . . Das blasen wir, wenn wir die Herde auf den Berg treiben . . .“.
Und überA porcilor („Der Schweine[Stück]“) meint dieselbe Gewährsperson: „. . . So heisst
es, „Der Schweine[Stück]; . . . wenn man die Schweine auf den Markt bringt (bläst man
dies) . . .“.
24 Mg. 505 c, Vidra de Mijloc (Cimpeni-Cluj), Gew. Iosana Bud, 19 J., ges. E. Comisel u.
G. Suli];eanu, 1955, trs. G. Habenicht.
25 Afg.-Zettel der obigen Aufnahme.
26 Ebda.
27 Sim. Fl. Marian, Särbätorile la romani (Die Feste bei den Rumänen). Bukarest 1898,
Bd. III, 210, zit. bei T. Alexandru, a. a. O. 41. — T. Morariu, Vieata pastoralä in muntii
Rodnei (Das Hirtenleben im Rodna-Gebirge). Bukarest 1937, 202 erwähnt das „Über die
Herde-Schießen, um die Schafe vor bösen Geistern zu bewahren“. Es liegt auf der Hand,
daß hier ebenfalls magische Abwehr durch Schall bewirkt werden soll.
28 Iz. 25.669 (s. Anm. 18).
29 Ebda.
30 Gh. Vrabie, Teatrul populär romänesc (Das rumänische Volkstheater). Studii si
cercetäri de istorie literarä si folclor 6 (1957) 3—4, 492.
Die Musik der rumänischen Hirtentrompeten 249
und Klein auf den Berg steigen und dort die Hirtentrompete blasen, um hierdurch
die Wölfe aus der Nähe der Herden zu vertreiben.31 Die magische Grundlage des
Brauches erkennt man sowohl an der Wahl eines bestimmten Zeitpunktes (Sonntag-
abend) als auch an der geglaubten Wirkungsdauer (bis zum nächsten Sonntag).
Im Gegensatz dazu scheint das Blasen der Hirtentrompete vor der Sennhütte
während der Nacht nicht mit magischen Vorstellungen verbunden zu sein. Es dient
ausschließlich praktischen Zwecken: das Fernhalten der Wölfe und das Beruhigen
der Tiere, denen durch das Blasen ständig die Gegenwart des Hirten angezeigt
wird.32 — Auch während der Käsebereitung spielte man auf der Hirtentrompete;33
der magische Sinn dieser Handlung ist allerdings verlorengegangen. — Wenn auch
das Blasen während des Melkens in erster Linie einen praktischen Zweck verfolgt
(damit die Tiere Stillstehen),34 so bleibt doch offen, ob nicht auch hier eine magische
Funktion vorhanden war.
Im Norden Transsilvaniens und in der Bukowina erklingen Hirtentrompeten
auch während der Beerdigung von jung Verstorbenen.35 Die Auslegung dieses
Blasens als (Lärm-) Abwehrmittel gegen eventuelle feindliche Handlungen des
Verstorbenen liegt nahe; umgekehrt aber kann man es, dem Sinne der Totenhoch-
zeit entsprechend, als einen Versuch zur Gewinnung der guten Gesinnung des Toten
werten.
Zusammenfassend können wir feststellen, daß in der Gegenwart die ästhetische
Funktion vorherrscht. Neben ihr kommt der Signalfunktion noch eine gewisse
Bedeutung zu. Die magische Funktion erscheint stark verblaßt und ist im Schwinden
begriffen.
Innerhalb der auf den ersten Blick undifferenziert erscheinenden rumänischen
Hirtentrompeten-Musik können wir drei geographische Zonen mit klar zu
unterscheidenden stilistischen Merkmalen feststellen. Die Gründe für die Entstehung
dieser „stilistischen Dialekte“ sind weitaus stärker technischer Natur, als es bei den
von Bartök für die Lied-Gattungen identifizierten Musikdialekten der Fall war.
In diesem Sinne nennen wir: a) Die Verschiedenheit der Hirtentrompeten-Typen
mit den ihnen eigenen technischen Möglichkeiten; b) das unterschiedliche Vor-
herrschen bestimmter Funktionen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung inner-
halb der verschiedenen Zonen; c) das über Jahrhunderte währende feudale Wirt-
schaftssystem, das verschiedene Gebiete von verhältnismäßig geringer Ausdehnung
in sich abschloß und letzten Endes auch die Herausbildung der von Bartök beschrie-
benen Musikdialekte zur Folge hatte.
Die allgemeinen stilistischen Merkmale der auf der Hirtentrompete gespielten
Stücke äußern sich: a) In der Verwendung eines bestimmten, verhältnismäßig
31 Iz. 8039 (Westgebirge), ges. T. Brill, 1950.
32 Iz. 8029, Lupsa (Turda-Cimpeni), Gew. Ana Andresi, ges. II. Cocisiu, 1947: „. . . Nachts
blasen die Jungen, um die Wölfe zu erschrecken, damit sie nicht zu den Schafen kommen ...“
33 Iz. 8059 (s. Anm. 12).
34 E. Stockmann, a. a. O. 255.
35 Iz. 13012, Tur (Satu Mare-Maramures), Gew. Maria Pop, ges. C. Bräiloiu, 1939; Iz.
3910, Vad (Sighetul Marmatiei-Maramures), Gew. Maria Arba, Ioana Visovan, ges. Gh.
Ciobanu, 1948 usw. Vgl. auch G. Breazul, a. a. O. 127; T. Alexandru, a. a. O. 39!.
250
Gottfried Habenicht
S
VR BULGARIEN
Abb. 2. Sozialistische Republik Rumänien. Musikalisch-Stilistische Zonen der Hirten-
trompetenmusik: I Westgebirge; II Moldau-muntenische Zone; III Nord-Zone (Nord-
transsilvanien, Bukowina).
geringen Ausschnitts aus der Naturtonreihe; b) in den aus diesem Tonmaterial
phantasiereich gebildeten charakteristischen melodisch-rhythmischen Zellen und
Motiven; c) in der relativ freien Folge dieser in Melodiezeilen von unterschiedlicher
Länge zusammengefaßten Motive und Zellen; d) in der Einbürgerung (mit gewissen
Ausnahmen) einer dreiteiligen Form-Struktur ABC, die psychologisch durch die
Signalfunktion bedingt erscheint: der A-Teil stellt die durch eine unterschiedliche
Formel ausgedrückte Ankündigung der im Zi-Teil folgenden eigentlichen Mitteilung
dar, während die im C-Teil enthaltene Formel den Abschluß des Signals versinn-
bildlicht; e) im Tempo rubato. Die angeführten Elemente können in fast allen Stücken
festgestellt werden, äußern sich aber unterschiedlich und mit verschiedenartiger
Wertigkeit entsprechend der jeweiligen Verbreitungszone.
Im folgenden wollen wir die drei verschiedenen stilistischen Zonen näher charak-
terisieren.
I. Westgebirge
Die Hirtentrompetenstücke dieses Gebietes verwenden die zwischen den Natur-
tönen (3) 4 und 8 liegenden Töne. Diejenigen Töne, die in diesem Naturtonbereich
nicht als Naturtöne Vorkommen, werden durch besondere Blastechniken erzeugt,
so daß wir schließlich folgende präpentatonische Gebrauchsleiter mit Piens erhalten,
Die Musik der rumänischen Hirtentrompeten
251
deren Stufenfolge wir von d1 (= 3. Naturton) aus — in Übertragung eines seit Bar-
tök bei der Melodiesystematisierung gebräuchlichen Prinzips — aufwärts mit arabi-
schen, abwärts mit römischen Ziffern bezeichnen.
rö— f4^ —fn
&_
Æl ’ 1 ^ T P»ri i ’ T il _ T I
9' 8 ? fe F ** 5-1 r
Die Grundlage des Tonmaterials wird durch das Spiel der Stufen 8-5-1 umrissen
(Präpentatonisches, bzw. bitonisches System):36
Dabei wird der absteigende Quartsprung 8-5 (d2—a1) durch das Hinzutreten der
7. Stufe (c2) erweicht:
: ■■
Lr ür ÜF Lr * —
Die nächstwichtige Stufe innerhalb des Spiels 8-(y)-5-x ist die 3. (fis1, bzw. 5. Na-
turton) :
Die 5. oder die 3. Stufe werden manchmal durch die 4. (g1) ersetzt,
die 7. durch die 6. :
â AD
und die 8. durch die 9. :
1 ---—, r-
38 Sämtliche Notenbeispiele entstammen den Analysen von über hundert im Archiv des
Bukarester Instituts für Ethnographie und Folklore auf bewahrten und vom Verfasser
transkribierten Stücken.
252
Gottfried Habenicht
Die 2. Stufe fehlt ganz. Die V. Stufe (a, bzw. der 3. Naturton) wird weitaus
seltener verwendet, als man annehmen könnte. Dies fällt besonders dann auf,
wenn man die hier besprochene Zone mit den übrigen vergleicht. Wenn die V. Stufe
trotzdem auftritt, so besitzt sie nur eine Auftakt- und Dominantfunktion für die
1. Stufe. Sie ist daher im ganzen gesehen kein eigentlicher Bestandteil der Melodie,
die ihre Motive im Rahmen der Oktave 1-8 formt.
Die phantasiereiche und improvisierte Ausführung der äußerst vielgestaltigen
melodisch-rhythmischen Motive („melodische Formeln“) beruht hauptsächlich
auf dem Spiel der Stufen 8-5-1,37 wobei — wie schon gesagt — weitere Stufen der
Tonleiter hinzukommen können. Einige wenige Beispiele für solche melodischen
Formeln, und zwar aus dem Mittelteil (B), sollen dies veranschaulichen:
Die Anfangs- (A) und Schlußformeln (C) unterscheiden sich in den meisten Fällen
von den Formeln des Mittelteils (ß) durch ihre rhythmisch-melodische Gestaltung
wie auch durch das in der Regel langsamere Tempo der Ausführung. Auch weisen
sie unterschiedliche Ausdehnung auf. So können sie z. B. nur aus einem einzigen
Ton bestehen, aber auch als selbständig erscheinende Melodiezeilen auftreten.
Anfangs formein:
faTf 11 , ttt • || } f - ,JT\ yn n r\ n „L —0 =+-, fH!»1
E11 J 11J41 rd-'+H 1
G/ O j-y J iG 11 r# f7> ? J> ,1 hfl
fo-rti ** v — ö. *• J Jt $ ^ 1 jw r *
37 Vgl. auch den Hinweis bei T. Alexandra, a. a. O. 303.
Die Musik der rumänischen Hirtentrompeten
253
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die Anfangsformeln außer ihrer
psychologischen Funktion, eine Mitteilung anzukündigen, auch eine praktische
Bedeutung besitzen: Sie dienen dem Spieler zum Einblasen.
In der Regel fällt die Schlußkadenz in dieser Zone auf die 5. Stufe (a1); obwohl
weniger gebräuchlich, tritt auch die Schlußkadenz auf der 1. Stufe (d1) auf.38 Die
einzelnen Melodiezeilen kadenzieren etwa in der gleichen Weise; zur Kadenz auf
der 5. oder x. Stufe tritt jedoch die Möglichkeit der Kadenz auf der 8. Stufe (d2).
Der Kadenzton wird stets durch einen Intervallsprung erreicht. Dieser variiert von
einer kleinen Terz bis zur Oktave. Beispiele für Kadenzformeln:
Kadenz auf der 5. Stufe (al):
Kadenz auf der 1. Stufe (d1):
s
Kadenz auf der 8. Stufe (d2):
:Ä~ —\ f i l —a-.
j w er —T—0 — ^ w w 11 r- a - - — ' r-— 1
rm~ ,■——3? “1 JF.I 1 1— —r P IT 1 1 m j i—
-t-j—t* ' 1 n
Der Metronomwert einer Viertel-Note schwankt in dieser Zone um 148. Innerhalb
der Stücke kann man oft Tempounterschiede feststellen; meistens beschleunigen
die Spieler das Tempo, und nur selten — zumeist bei den Schlußformeln — verlang-
samen sie es.
Kennzeichnend für diese Zone sind Onomatopöien. Im folgenden Beispiel wird
die Nachahmung des Schweinegrunzens durch Verwendung tiefer, heiserer Töne
mit suggestiven Lärmelementen erreicht:
Lr Lr r Cj
38 Wir machen darauf aufmerksam, daß den eigentlichen Kadenztönen gewisse „Nach-
schläge“ (auf den Stufen: 3, 7, 8 u. a.) folgen können. Es handelt sich um ungewollte, mit
dem Absetzen des Instruments verbundene Ausführungsfehler. Sie wurden in unserer
Analyse entsprechend behandelt.
254
Gottfried Habenicht
Auch vokale Rufe werden rhythmisch-melodisch nachgeahmt (Stimmfallimitation):
Vi - no-n-coa-ce, Toa - de - re!
Komme her, Toader!"
Zu den besonderen Merkmalen dieser Zone gehört es, daß der tulnic von Frauen,
speziell von Mädchen geblasen wird.
II. Moldau-muntenische Zone
Das erste und auffallendste Kennzeichen dieser Zone ist die eigentümliche Prägung
der Anfangsformel. Sie hat zumeist eine beträchtliche Länge und fußt auf der ab-
steigenden Folge der dem Instrument eigenen Naturtöne:
Wenn man von dieser Anfangsformel absieht, erweist sich der Tonumfang des
eigentlichen Stückes als weitaus enger und erstreckt sich, von wenigen Ausnahmen
abgesehen, auf die zwischen den Stufen V und 5 enthaltenen Tönen (a—a1). Die
Tonleiter erstreckt sich daher auf die zwischen den Naturtönen 3 und 9 (10) ent-
haltenen Töne:
— 7 "--q
, 1=*t=. 1»-J id
9 8 ? fe 5*+ 32-i 7.
Im Unterschied zum Westgebirge besitzt hier die V. Stufe einen festausgebauten
melodischen Wert. Die Kombination der V. mit der 5. und 3. Stufe und die häufige
Wiederholung der so entstandenen melodischen Zellen und Motive ist von be-
merkenswerter Ausdruckskraft und eines der charakteristischen Merkmale der Zone.
Diese melodischen Formeln weisen einen offenen, fragenden Charakter auf, was
durch das konsequente Umgehen der 1. Stufe zu erklären ist.
Die gelegentlich auftretenden Stufen 4 (g1, gis1) und 6 (h1) sind entweder Durch-
gangsnoten oder Vorschläge:
V J u ^ n Jlpfi
* Korrekturanmerkung: Vorzeichnung fis zu ergänzen.
i/#U'iirir iifHff UKUirr« Visi
Die Musik der rumänischen Hirtentrompeten 255
Die i. Stufe (d1) erscheint zumeist erst als Kadenzton,
-A i n ^ r\ r\
W ?T
0
kann aber auch — jedoch nur selten — innerhalb der Melodiezeilen auf treten:
— Ò - —5— n
*r J ""ä — —J — J J u —J . v_/ : - -
Die Schlußkadenz fällt hauptsächlich auf die i.Stufe (d1). Die 5. Stufe (a1) erscheint
häufig als Kadenzton der einzelnen Melodiezeilen.
Beispiele für Kadenzformeln:
Auf der 1. Stufe (d1) :
« h—
Das Tempo erscheint hier langsamer als im Westgebirge; der Metronomwert der
Viertel-Note beträgt etwa 100.
III. Nord-Zone (Nordtranssilvanien, Bukowina)
Obwohl diese Zone zwei verschiedene Landesteile umfaßt, zeigt sie doch ein-
heitliche stilistische Merkmale.
Das Tonmaterial entspricht dem Naturtonbereich vom 6. bis 16. Teilton und
kann wie folgt dargestellt werden:
yfr- # v ... . r\
'
' ^ [3
B ? b 5 4- 3 2 i I, I. Y. i.
Das eigentliche melodische Material beruht ausschließlich auf einem Penta-
(hexa)chord (d1—a1 (/i1), dem die V. Stufe (a) hinzugefügt wird. So bewegt sich
die Melodie hauptsächlich in der Oktave a—a1. — Durch spezielle Blastechniken
können auch andere Töne (es1, gis1, bx) erzeugt werden.
Jedes Spielstück dieser Zone kann an zwei übrigens nah verwandten Melodie-
formeln erkannt werden:
Diese Formeln fanden auch Eingang in die Vokalmusik. Das folgende, sehr
verbreitete Hirtenlied aus Maramures ist hierfür ein überzeugendes Beispiel:39
"Rubato J« ca 88 J'caBfo
Selbstverständlich erscheinen diese beiden charakteristischen Formeln in oft
stark variierten Anwandlungen; unangetastet bleibt jedoch stets der auf der i. Stufe
aufgebaute große Terzkern mit seinen Ausläufern zur 5. (4.) und V. Stufe:
39 Mg. 595b, Väleni-^ugatag (Sighetul Marmapei-Maramures), Gew. Victoria Darvai,
ges. E. Comisel, 1955, trs. G. Habenicht. Textübertragung: Trihu . . . / Mutter, Vater! / Die
Schafe [wurden] gestohlen / Mich fesselten sie / usw. . . .
Die Musik der rumänischen Hirtentrompeten
257
~W
In dieser Zone erscheinen die Anfangs- und Schlußformeln zumeist eng mit den
mittleren verschmolzen; sie greifen unentwirrbar ineinander; das Ganze scheint ein
einziger, breiter Improvisationsstrom zu sein. So gibt es ganze Stücke, die haupt-
sächlich auf Anfangsformeln aufgebaut sind (bzw. die Stufen V und i langatmig,
mit ihren Nachbarstufen verzierend, umspielen) und die für diese Zone charak-
teristischen eigentlichen A-Formeln erst am Ende erklingen lassen. Die Erklärung
für diese Tatsache liegt nach unserer Ansicht im Vorherrschen der ästhetischen
Funktion in dieser Zone.
Die Kadenztöne liegen auf den Stufen i und V (letztere war in den anderen Zonen
nicht anzutreffen). Für die Schlußkadenz wird die i. Stufe bevorzugt.
Beispiele für Kadenzformeln:
Kadenz auf der V. Stufe (a) :
Das charakteristische Tempo für diese Zone entspricht einem Metronomwert für
die Viertel-Note von etwa 84.
Wir beschließen unsere Studie mit der Wiedergabe von Transkriptionen, die für
die beschriebenen Stilzonen charakteristisch sind.
ШШШМ'А '11mwtxvniH in
258 Gottfried Habenicht
I. Westgebirge
"Rubato J = ca 400
Anun\ de dragoste („Liebessignal“). Mg. 1709 a, Bulzestii de Sus (Brad-Hune-
doara), Gew. Zorita Asläu, 34 J., ges. E. Comisel, i960, trs. G. Habenicht.
II. Moldau — Muntenische Zone
Semnal pästoresc („Hirtensignal“). Mg. 165 h, Calu (Piatra Neamt-Bacäu), Gew.
Alexandru Puica, 12 J., ges. G. Suliteanu, T. Alexandru, 1952, trs. G. Habenicht.
Die Musik der rumänischen Hirtentrompeten
259
III. Nordzone
Rubato J - ca
Porneala oilor („Aufbruch der Schafe“). Mg. 1465 I. m, Sadova (Cimpulung-
Suceava), Gew. Milian Tudorache Coca, 52 J., ges. E. Cernea, 1958, trs. G. Habenicht.
Der Märchentypus AaTh 302 (302 C*) in Mittel- und Osteuropa
Von Karel Horalek
Beim vergleichenden Studium der Volksmärchen tritt in letzter Zeit das Problem
der sogenannten nationalen Spezifik in den Vordergrund. Es wird anerkannt, daß
der größte Teil der Märchenstoffe internationalen Charakter trägt, doch wird darauf
verwiesen, daß in den Traditionen der einzelnen Völker die internationalen Stoffe
auf verschiedene Weise modifiziert werden und daß ihre territoriale Realisierung
den aktuellen Bedürfnissen und der heimischen Erzähltradition angeglichen wird.
Einige derartige Modifikationen (sogenannte Oikotypen) können übernationalen
Charakter haben; für ihre Verbreitung sind gewöhnlich in höherem Maße die geo-
graphische Situation und andere Umstände entscheidend als die sprachliche Ver-
wandtschaft. Für die Verhältnisse in Osteuropa ist beispielsweise charakteristisch,
daß einige Oikotypen von Volksmärchen von den Slawen zu den baltischen, den
ugrofinnischen, den turkotatarischen und den kaukasischen Völkern gewandert
sind. Ähnliche Verhältnisse wie in Osteuropa finden sich auf dem Balkan, wo sich
Verwandtschafts Verhältnisse zwischen den Märchentraditionen der Südslawen, der
Rumänen, der Albaner, der Griechen und der Türken herausgebildet haben.
Dabei wurden, meist durch türkische Traditionen vermittelt, starke orientalische
Einflüsse wirksam. Auch in Mitteleuropa bildeten sich in der Märchentradition
Zusammenhänge heraus, die die Sprachgrenzen überschreiten. (Eine enge Ver-
wandtschaft besteht hier beispielsweise zwischen der Volksdichtung der Slawen
und Deutschen.)
Die Sprachverwandtschaft ist jedoch für die Herausbildung internationaler
Zusammenhänge nicht ohne Bedeutung; das ist z. B. sowohl auf dem Balkan als
auch in Mittel- und Osteuropa zu sehen.
Die Märchen- und Liedtradition der Großrussen, der Belorussen und der Ukrainer
weist nicht wenige gemeinsame Züge auf, so daß es berechtigt ist, von einer
relativen Selbständigkeit des ostslawischen Bereichs im Vergleich zum west-
slawischen und zum südslawischen Bereich zu sprechen. Bei der Feststellung ge-
meinsamer Züge in den Volkstraditionen der ostslawischen Völker genügt es
jedoch nicht, den Vergleich nur im Rahmen der ostslawischen Völker durch-
zuführen, man muß immer fragen, ob es sich nicht um breitere Zusammenhänge
handelt, ob nicht Besonderheiten, durch die sich die ostslawischen Traditionen
auszeichnen, auch bei anderen Völkern auf treten, sei es bei slawischen oder nicht-
slawischen.
Diesen Umstand hat der sowjetische Folklorist N. V. Novikov in seiner Studie
Uber die Spezifik des Bildes im ostslawischen Märchen (Der unsterbliche Kascej
Der Märchentypus AaTh 302 (302C*) in Mittel- und Osteuropa
261
[Kastschej]),1 die im übrigen wertvolle Erkenntnisse bietet, nicht genügend beachtet.
Die Schlußfolgerungen, zu denen Novikov gelangt ist, gilt es auf breiterer ver-
gleichender Grundlage zu überprüfen. Das ist auch deshalb bedeutsam, weil es sich
hier um Typen handelt, die unter komparativistischen Gesichtspunkten besonders
wichtig sind.
Novikovs Ausgangsthese ist völlig richtig. In Charakteristiken der Märchen-
tradition der einzelnen ostslawischen Völker werden oft Züge angeführt, die all-
gemeineren Charakter haben. Zu Unrecht werden z. B. Züge, die auch in ukrainischen
und belorussischen Märchen geläufig sind, als spezifisch russisch ausgegeben. Aber
eine Charakteristik der ostslawischen Tradition wäre ebenso unrichtig, wenn sie sich
auf eine Beschreibung von Zügen stützte, die auch bei anderen Völkern auftreten
und unter Umständen sogar nichtslawischer Herkunft sind. Novikov stellt ge-
meinsame Züge bei russischen, ukrainischen und belorussischen Varianten von
Märchen fest, in denen die Gestalt des unsterblichen Kascej auftritt. Es handelt sich
um Märchenstoffe von ausgesprochen internationalem Charakter, und man muß
deshalb bei jeder ostslawischen Besonderheit fragen, ob sie nicht auch anderswo
auftritt. Um eine ostslawische Besonderheit, wenigstens in genetischem Sinne, kann
es sich auch dann handeln, wenn die territoriale Verbreitung eines Zuges größer ist,
dieser aber deutliche Zeichen dafür trägt, daß er im ostslawischen Milieu ent-
standen ist.
Die Gestalt des unsterblichen Kascej (der Name kommt auch in verschiedenen
Modifikationen, z. B. Koscej, Kostej, Kasc, Kossuj usw., vor)2 tritt in verschiedenen
Märchentypen auf. Den Kern des Stoffes dieser Märchen bildet die Befreiung einer
Frau aus der Macht eines Unholds. Die befreite Frau ist entweder die Gemahlin, die
Schwester oder die Mutter des Helden. In einigen Versionen wird sie erst nach-
träglich die Frau ihres Befreiers. Die Befreiung vollzieht sich entweder durch
Flucht aus der Gefangenschaft mit Hilfe eines schnellen (und sprechenden) Pferdes,
oder der Tod des Unholds ist dafür die grundlegende Voraussetzung. In diesem
Falle hat der Unhold sein Herz (seine Seele, sein Leben) an einem besonderen Platz
sicher versteckt, und der Held muß zuerst (in der Regel auf komplizierte Weise)
zu dem versteckten Herzen gelangen. Nur in Märchen dieses Typus wird Kascej als
,,unsterblich“ bezeichnet. Es handelt sich um das Märchen Nr. 302 The Ogre’s
(Devil’s) Heart in the Egg im internationalen Katalog der Märchentypen.3
Märchen, in denen der Held mit Hilfe eines Zauberpferdes eine Frau aus der Macht
eines Unholds befreit (das Ungeheuer wird bei der Verfolgung der Flüchtigen vom
Pferd erschlagen), können die gleiche Einleitung und den gleichen Handlungskern
haben wie der Typus Das in einem Ei verborgene Herz eines Unholds (AaTh 302).
1 О специфике образа в восточнославянской сказке. (Кащей Бессмертный). Русский
фольклор 1966, 149-175. (Der Band ist Fragen der Spezifik der Folklore-Genres gewidmet.)
2 Der Name wird verschieden erklärt, zumeist leitet man ihn von кость ,Knochen* ab
(die ursprüngliche Bedeutung wäre dann ,knochiger Mensch*). Andere halten ihn für eine
Entlehnung aus dem Türkischen mit der Bedeutung ,Gefangener* (so schon im Igorlied).
Dieser zweiten Deutung neigt auch Novikov zu.
3 Antti Aarne, Stith Thompson, The Types of the Folktale. A Classification and Biblio-
graphy. Helsinki 1961, 93—94 (= FFC 184).
18 Volkskunde
Si
a
mwwvxvwiui
262
Karel Horälek
Ein Unterschied besteht erst im dritten (abschließenden) Teil. Das Zauberpferd,
das so schnell ist wie das Pferd des Unholds, muß sich der Held bei einer Hexe
verdienen, wobei ihm in der Regel dankbare Tiere helfen. Novikov bezeichnet
Märchen mit diesem Schluß als: „Kascejs Tod durch ein Pferd“.
Es würde sich anbieten, die Märchen von der Befreiung einer Frau aus der Macht
eines Unholds mit Hilfe eines Zauberpferdes als Typus AaTh 302 A zu bezeichnen,
aber diesen Platz hat Thompson bereits mit einem anderen Märchen besetzt, das er
The Youth Sent to the Land of the Ogres nennt. Dieses Märchen wird nur aus der
serbokroatischen Überlieferung (1 Text) und aus der indischen Tradition (12 Varian-
ten) belegt. Als Nr. 302B hat Thompson die östliche Version des Typus Anup und
Bata eingeordnet und ihr die Benennung Hero with Life Dependenl on his Sword
gegeben.4 Unter diesen Umständen bleibt nichts anderes übrig, als die Märchen von
der Befreiung einer Frau aus der Macht eines Unholds mit Hilfe eines Zauber-
pferdes als Nr. 302 C einzuordnen.
Einige Märchen dieser Gruppe erscheinen allerdings im internationalen Katalog
auf Grund eines Nebenmotivs beim Typus AaTh 552 (bzw. 552A), der die Be-
zeichnung Three Animais as Brothers-in-law trägt.5
In den meisten Varianten des Typus AaTh 302 C befreit der Held seine eigene
Frau aus der Macht des Unholds. Bei der Gewinnung des Zauberpferdes durch
Dienst bei einer Hexe helfen ihm seine Tierschwäger oder Tiere, deren Dankbarkeit
er dadurch erworben hat, daß er ihnen half, als sie selbst in Not waren.
Die Verbindung der Stoffe „Befreiung einer Frau aus der Macht eines Unholds“
und „Tier sch Wäger“ erscheint vor allem in Mittel- und Osteuropa und bildet hier
mehrere Versionen. Der Umstand, daß der Unhold in der ostslawischen Tradition
den Namen Kascej erhalten hat, ist völlig nebensächlich, der Gesamtcharakter der
ostslawischen Varianten im Vergleich zu den mitteleuropäischen ändert sich dadurch
keineswegs. Außer dem Namen des Unholds und einigen Details, die nicht auf
diesen Typus beschränkt sind, gibt es bei den ostslawischen Varianten eigentlich
nichts, was im Vergleich zur mitteleuropäischen Überlieferung als Spezifikum gelten
könnte. Einige mitteleuropäische Varianten zeichnen sich jedoch durch mehrere
besondere Züge aus, so daß man hier von einem mitteleuropäischen Oikotypus
sprechen kann.
Die Verbindung der Stoffe „die Tierschwäger“ und „Befreiung einer Frau aus der
Macht eines Unholds“ konnte an verschiedenen Orten unabhängig voneinander
entstehen. Zwischen der mitteleuropäischen und der osteuropäischen Tradition gibt
es jedoch engere Zusammenhänge, aus denen man schließen kann, daß der Aus-
gangspunkt eine gemeinsame Grundlage war, eine eigentümliche Bearbeitung ver-
schiedener Stoffe, nicht aber ihre mechanische Verbindung. Ein solcher auffälliger
gemeinsamer Zug der mitteleuropäischen und der osteuropäischen Varianten von der
Befreiung einer Frau aus der Macht eines Unholds mit Hilfe eines Zauberpferdes ist
der Bericht von der Begegnung des Helden und seiner späteren Frau, mit der er
4 Diese Version erscheint im internationalen Katalog auch als Nr. 516 B: The Abducted
Princess (Love Through Sight of Floating Hair).
5 Auf den Zusammenhang mit dem Typus AaTh 302 wird dort hingewiesen.
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Der Märchentypus AaTh 302 (302C*) in Mittel- und Osteuropa 263
kämpfen muß: sie bietet sich ihm selbst als Frau an, sobald er sie bezwungen hat.
Ein weiterer charakteristischer Zug, der die osteuropäische und die mitteleuropäische
Tradition verbindet, ist das Motiv, daß der Fleld gegen das Verbot, einen bestimmten
Raum zu betreten, verstößt, daß er dort dem gefesselten Ungeheuer zu trinken gibt,
das auf diese Weise wieder zu Kräften kommt, sich aus den Fesseln befreit und die
Frau des Helden entführt. Alle wichtigen Züge dieser Version enthält auch eine
Variante aus der Sammlung Afanas’evs. Das Heldenmädchen heißt hier Mar’ja
Morevna, und von ihr hat das ganze Märchen, in dem etwa folgendes erzählt wird,
den Namen erhalten:6
Ein Zar trägt in seiner Sterbestunde gemeinsam mit der Zarin seinem Sohn Ivan auf,
seine drei Schwestern mit den ersten Freiern zu verheiraten, die erscheinen. Gleich nach dem
Begräbnis der Eltern kommt ein Gewitterfalke geflogen, verwandelt sich in einen jungen
Mann und bittet um die Hand eines der Mädchen. Ivan entspricht diesem Wunsch, nachdem
das Mädchen selbst ihr Einverständnis erklärt hat. Nach einem Jahr kommt ein Adler
geflogen und erhält die zweite Schwester, nach einem weiteren Jahr ein Rabe, der die letzte
Schwester zur Frau erhält.
Nach einiger Zeit entschließt sich Ivan, seine Schwestern zu besuchen. Unterwegs
kommt er an ein Feld, auf dem ein erschlagenes Heer liegt. Von einem Mann, der am Leben
geblieben ist, erfährt er, daß die Kämpfer von Mar’ja Morevna, der schönen Prinzessin
(Zarin), erschlagen worden seien. Ivan kommt dann zu deren Zelten, wird freundlich auf-
genommen, verliebt sich in die Zarin und heiratet sie. Dann leben sie miteinander in ihrem
Zarenreich.
Als Mar’ja einmal zu einem kriegerischen Unternehmen auszieht, vertraut sie ihrem Mann
ihren Besitz an; alles dürfe er besichtigen, nur einen Raum solle er nicht betreten. Ivan
gehorcht nicht, öffnet den Raum und findet dort den mit zwölf Ketten angeschmiedeten
Unsterblichen Kosöej. Der Unhold bittet Ivan, ihm etwas zu trinken zu geben. Ivan reicht
ihm einen Eimer Wasser, der dort steht, dann noch zwei weitere. Als Kosöejs Durst gestillt
ist, kehren ihm seine Kräfte zurück, er zerreißt die Ketten und fliegt zum Fenster hinaus.
Unterwegs bemächtigt er sich der Mar’ja Morevna und entführt sie an seinen Wohnsitz.
Ivan trauert und macht sich auf die Suche nach seiner Frau. Unterwegs kommt er zum
Palast seines Schwagers Falke. Dort wird er mit Freuden aufgenommen. Der Schwager
hält Ivans Reise für sehr schwierig und wünscht, daß Ivan einen silbernen Löffel zurücklasse,
der sie an ihn erinnern solle. Ivan kommt dann zur zweiten Schwester, der Frau des Adlers,
und läßt dort eine silberne Gabel, der dritten Schwester aber und ihrem Mann, dem Raben,
übergibt er eine silberne Tabaksdose.
Nach drei Tagen erreicht Ivan den Palast des Drachen und findet dort seine Frau. Sie
empfängt ihn mit Tränen in den Augen und macht ihm Vorwürfe, daß er ihr nicht gehorcht
habe. Der Drache ist nicht zu Hause, und Ivan entschließt sich gleich, mit seiner Frau zu
Pferde zu fliehen. Als Kosöej zurückkehrt, strauchelt sein Pferd, Koscej fragt, was das zu
bedeuten habe, und das Pferd berichtet, daß Ivan seine Frau geholt habe; Kosöej könne die
beiden jedoch leicht einholen, vor der Verfolgung könne er sogar Weizen säen und ernten.
Als Kosöej die Fliehenden erreicht, sagt er zu Ivan, das erstemal verzeihe er ihm, auch noch
ein zweitesmal, doch beim drittenmal werde er ihn in Stücke reißen. Ivan versucht es ein
zweitesmal. Beim drittenmal zerreißt ihn Kosöej, legt die Stücke in ein Faß und wirft es ins
Meer, die Frau aber nimmt er wieder zu sich.
Im selben Augenblick werden bei Ivans Schwägern die silbernen Gegenstände schwarz,
und die Schwäger erkennen daran, daß Ivan etwas zugestoßen sein müsse. Der Adler fliegt
ans Meer und zieht das Faß ans Ufer, der Falke holt Lebenswasser, der Rabe aber Wasser des
6 A. N. Afanas’ev, Народные русские сказки (Russische Volksmärchen). Moskau 1957,
Bd. 1, 376 — 382 (Nr. 159: Марья Моревна); deutsche Ausg.: Russische Volksmärchen,
hg. von E. Pomeranzewa. Berlin 1964, 154 —163 (Nr. 30: Maria Morewna).
18*
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264 Karel Horälek
Todes, dann erwecken sie den zerfetzten Körper Ivans zum Leben. Als Ivan erwacht, glaubt
er, er habe lange geschlafen. Dann geht er wieder zu seiner Frau. Er rät ihr, vom Unhold
herauszubekommen, wie er sein Pferd erworben habe. Sie erfahren, in einem fernen Land
hinter einem feurigen Fluß lebe eine Hexe, Baba-Jaga; bei ihr habe Koscej als Lohn für
Wachdienste sein schnelles Pferd erhalten. Über den feurigen Fluß sei er dadurch gekommen,
daß er mit Hilfe eines Zaubertüchleins eine hohe Brücke über den Fluß gespannt habe.
Mar’ja übergibt Ivan Koscejs Zaubertüchlein, und der macht sich auf den Weg zur Baba-
Jaga. Nachdem er den feurigen Fluß überschritten hat, versprechen ihm ein jenseits des
Meeres wohnender Vogel und eine Löwin, deren Junge er verschont hat, sowie eine Biene,
der er den Honig gelassen hat, ihre Unterstützung. Mit Hilfe dieser Tiere hütet er bei der
Baba-Jaga die ihm anvertrauten Stuten, aber den jungen Hengst, mit dessen Hilfe er seine
Frau aus der Gewalt Koscejs retten kann, muß er schließlich der Hexe stehlen, wobei er
sich an den Rat der Biene hält. Die Baba-Jaga verfolgt ihn, Ivan verringert mit Hilfe seines
Zaubertüchleins die Tragfähigkeit der Brücke über den feurigen Fluß, und die Hexe fällt
hinein.
Ivan reitet zu seiner Frau und versucht erneut, mit ihr zu fliehen. Diesmal sagt Kosöejs
Pferd seinem Herrn, daß die Verfolgung vergeblich sei. Als sie sich den Flüchtigen nähern,
schlägt Ivans Pferd mit seinem Huf Koscej den Kopf ein, und Mar’ja kann nun auf Koscejs
Pferd reiten. Auf dem Heimweg machen sie bei den Tierschwägern halt, und Mar’ja wird
wegen ihrer Schönheit überall bewundert.
Man pflegt dieses Märchen sowie den ganzen Typ als eine Kontamination anderer
Typen zu betrachten (nach Pomeranceva z. B. als AaTh 400 und 552). Den Sujet-
kern bildet hier aber die Schilderung der Entführung und der Wiederbefreiung einer
Frau; damit ist bereits die Verwandtschaft mit dem Typ AaTh 302 gegeben. Ent-
scheidend jedoch ist, daß es sich eigentlich um keine Kontamination, sondern um
eine organisch gegliederte Ganzheit handelt.
In einer anderen Variante aus der Sammlung Chudjakovs7 gewinnt der Held das schnelle
Pferd mit Hilfe von Tieren, ohne bei einer Hexe dienen zu müssen. Die Pleldin heißt hier
wie bei Afanasjev Marja Morevna. Der Zarensohn kämpft mit ihr, überwindet sie und
nimmt sie zur Frau.
Die wichtigsten Handlungselemente dieses Märchens bilden folgende Reihen:
1. Prinz Ivan verheiratet entsprechend dem Wunsche seines verstorbenen Vaters
seine drei Schwestern an Freier aus der Tierwelt: einen Falken, einen Adler und
einen Raben.
2. Der Prinz will nach einiger Zeit seine Schwestern besuchen, begegnet unterwegs
einem Heldenmädchen, verliebt sich in sie und nimmt sie zur Frau. (In einigen
Varianten muß er zuvor mit ihr kämpfen.)
3. Sie leben gemeinsam, bis der Prinz das Verbot Übertritt, den gefangenen
Unhold befreit und dieser seine Frau entführt.
4. Der Held zieht aus, den Wohnsitz des Unholds zu suchen. Als er ihn findet, ist
der Unhold nicht zu Hause. Der Prinz versucht gleich, mit seiner Frau auf einem
Pferd zu fliehen, aber der Unhold holt sie auf seinem Zauberpferd bald ein. Er ver-
zeiht dem Prinzen, weil er ihm seine Befreiung aus der Gefangenschaft verdankt.
7 I. A. Chudjakov, Великорусские сказки (Großrussische Märchen). Moskau2 1964,
92 — 99 (Nr. 22: Анастасия Прекрасная и Иван — русский богатырь. [Die schöne Anasta-
sia und der russische Held Iwan].
265
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Der Märchentypus AaTh 302 (302C*) in Mittel- und Osteuropa
Dasselbe wiederholt sich noch einmal, beim drittenmal tötet der Unhold den Prinzen
und zerstückelt dessen Körper.
5. Die Tierschwäger erkennen an Zeichen, daß der Prinz erschlagen worden ist,
und machen ihn wieder lebendig. Dieser kehrt zu seiner Frau zurück und fordert sie
auf, vom Unhold herauszubekommen, wie man seiner Macht entfliehen könne.
Er erfährt, daß er von einer Hexe ein ebenso schnelles Pferd erhalten kann, wie es der
Unhold besitzt.
6. Auf dem Wege zur Hexe gewinnt der Prinz die Dankbarkeit von Tieren und
erfüllt mit ihrer Hilfe die schweren Bedingungen beim Dienst um das Pferd.
7. Als er auf dem Zauberpferd mit seiner Frau flieht, droht die Gefahr, daß sie
vom Unhold eingeholt werden, aber das Pferd des Prinzen zerschlägt mit seinem
Huf dem Ungeheuer den Kopf. (Manchmal verabreden sich die beiden Pferde, und
das Pferd des Unholds wirft seinen Reiter ab.)
In den ostslawischen Texten dieses Typus ist vor allem der einleitende Teil
variabel. Anstelle von Freiern aus dem Tierreich treten hier manchmal (ähnlich wie
in mitteleuropäischen Varianten) personifizierte Elemente (beispielsweise Wind,
Hagel und Donner) auf. Oder: Der Held verheiratet nicht seine Schwestern an die
Freier aus dem Tierreich, sondern diese holen sie sich selbst. So ist es beispielsweise
in einer russischen Variante folgenden Inhalts:
Drei Schwestern werden während eines Gewitters von Freiern aus dem Tierreich ent-
führt. Der Held freit dann um Mar’ja Morevna. Unterwegs begegnet er nacheinander seinen
Schwägern: einem Raben, einem Adler und einem Falken. Diese bitten, er möge ihnen ver-
zeihen, daß sie seine Schwestern entführt haben. Er verweilt kurz bei seinen Schwägern
und erhält von jedem einen Zaubergegenstand: einen Becher, aus dem zwei Diener heraus-
treten und jeden Wunsch erfüllen, einen silbernen Löffel und eine goldene Uhr — beide mit
einem ähnlichen Zauber. Er selbst gibt den Schwägern Ringe, die ein ihm zustoßendes
Unglück anzeigen. Als er zu Mar’ja Morevna kommt und ihr sagt, welche Absichten er hat,
zürnt sie wegen seiner Frechheit und läßt ihn gefangensetzen. Im Kerker begegnet er vielen
anderen Freiern Mar’jas. Mit Hilfe seiner Zaubergegenstände bereitet er ihnen ein Mahl. Als
Mar’ja die Zaubergegenstände von ihm haben will, muß sie ihm erst ein Bein zeigen, beim
Zweitenmal mehr, beim drittenmal muß sie mit ihm schlafen. Dann leben sie gemeinsam,
und Mar’ja setzt die eingekerkerten Freier auf freien Fuß. Nur einen Drachen behält sie
weiter, doch den befreit ihr Mann versehentlich ebenfalls, und der Drache entführt Mar’ja.
Der Held sucht sie und versucht dreimal, mit ihr zu fliehen, beim drittenmal zerstückelt ihn
der Drache. Die Schwäger erkennen an den Ringen, daß dem Helden etwas zugestoßen ist,
sie fliegen zu dem Toten und machen ihn wieder lebendig. Dann geben sie ihm den Rat, sich
im Dienst bei einem König ein schnelles Pferd zu verdienen, das, äußerlich betrachtet, eine
Schindmähre ist. Der Held hilft sich mit den Zaubergegenständen und befreit seine Frau dann
aus der Macht des Unholds.8
Ähnlich wie in dieser Variante vollzieht sich die Werbung um das Heldenmädchen
auch in einer Variante aus der Sammlung Erlenvejns. Hier werden die drei Prinzes-
sinnen von Bettlern entführt, von denen der eine stottert, der zweite ohne Arme und
der dritte noch dazu ohne Beine ist. Im Laufe der weiteren Erzählung zeigt sich, daß
die Schwestern Drachen zu Männern bekommen haben (einer hat zwölf, der zweite
dreißig und der dritte vierzig Köpfe). Von den Schwägern erhält der Held Zauber-
8 Ebda 132 (Nr. 48).
ЮШШтШШтшВВШ&яюяхтышптю
266 Karel Horälek
federn, von den Schwestern andere Zaubergegenstände. Mit deren Hilfe gewinnt er
eine Prinzessin zur Frau. Im verbotenen Raum findet er den eingekerkerten Unhold
([Koscej), der auf einem an einen Kessel angeschmiedeten Pferd sitzt. Der Prinz
macht das Pferd los, der Unhold entführt die Frau. Um sie befreien zu können, muß
sich der Prinz ein Zauberpferd verdienen, wobei ihm dankbare Tiere helfen.9
Mit Hilfe von Zaubergeschenken, die der Prinz von seinen Tierschwägern (Löwe,
Bär, Rabe) erhält, gewinnt er die Schöne auch in einer Variante aus der Sammlung
Oncukovs.10 11 Auch hier wird er bei der Schönen zuerst eingekerkert. An die Stelle
des gefangenen Unholds Koscej tritt in dieser Variante der aus Heldenliedern gut
bekannte Räuber Solovej (Nachtigall). Während des Dienstes bei der Hexe helfen
ihm die Tierschwäger, das Pferd zu gewinnen.
Ähnlich wie in der russischen Variante aus der Sammlung Erlenvejns werden auch
in einer litauischen Variante11 die drei Schwestern von einem Bettler entführt.
Der Held stellt dann fest, daß die Schwestern Frauen von Vogelmännern geworden
sind. Die Vogelschwäger empfehlen dem Helden eine Prinzessin zur Frau, aber er
muß sie zuerst im Zweikampf besiegen. Er überwindet sie mit Hilfe einer eisernen
Peitsche, die er von den Schwägern erhalten hat. Aus dem verbotenen Raum befreit
er einen König ohne Seele. Dreimal kämpft er mit ihm, beim dritten Versuch wird er
überwältigt und zerstückelt. Ein Diener ruft die Schwäger herbei, die den toten
Körper wieder zum Leben erwecken. Verkleidet dient er bei dem bösen König.
Seine Frau entlockt dem König das Geheimnis vom Versteck seiner Seele. Der
Schluß folgt dem Typus AaTh 302. Einleitung und Kern des Märchens sind zweifel-
los russischer Herkunft.
An die Stelle von Tierschwägern treten vor allem in belorussischen Varianten
personifizierte Elemente. Eine dieser Varianten hat Afanas’ev in seine Sammlung
aufgenommen.12 Der Held heißt hier Fedor Tugarin. Die Frau erkundet beim
Unhold, wie es möglich ist, seiner Macht zu entfliehen, und wo sein Leben ver-
steckt ist. Das Märchen hat folgenden Handlungsablauf:
Fedor Tugarin hat seine Schwestern an den Wind, den Hagel und den Donner verheiratet
und so den Wunsch seiner verstorbenen Eltern erfüllt. Dann begibt er sich fort und gelangt
auf ein Feld, das mit den Knochen gefallener Soldaten übersät ist. Eine Stimme sagt, daß
die schöne Anastasija, die dort in ihrem Zelt ruht, das Heer erschlagen habe. Als sich ihr
Fedor nähert, freunden sich zuerst ihre Pferde an, dann auch er mit dem schönen Helden-
mädchen. Als sie einmal auf die Jagd geht, betritt Fedor den verbotenen Raum und befreit
einen Unhold, der dort an den Rippen aufgehängt ist. Der Unhold entführt Anastasija, und
Fedor muß sie suchen. Unterwegs verweilt er zuerst bei seinen Schwestern, dann versucht
9 A. L. Erlenvejn, Народные сказки и загадки (Volksmärchen und -rätsel). Moskau
2i882, 81 (Nr. 24).
10 N. J. Oncukov, Северные сказки (Märchen aus dem Norden). Petersburg 1908, 417 fr.
(Nr. 167).
11 A. Leskien und K. Brugmann, Litauische Volkslieder und Märchen aus dem preußi-
schen und russischen Litauen. Straßburg 1882, 423 ff. (Nr. 20); vgl. auch J. Polivka, Kom-
mentar zur Sammlung von J. St. Kubin, Lidove povidky z öeskeho Podkrkonosi (Volks-
erzählungen aus dem tschechischen Riesengebirgsvorland). Prag 1922 — 1926, 584; im
Folgenden: Polivka, Kommentar.
12 A. N. Afanas’ev, Народные русские сказки, vgl. Anm. 6, Bd. 1, 383 — 387 (Nr. 160
Федор Тугарин и Анастасия Прекрасная [Fedor Tugarin und die schöne Anastasia]).
Der Märchentypus AaTh 302 (302C*) in Mittel- und Osteuropa
267
er, seine Frau aus der Macht des Unholds zu befreien, wird jedoch dabei ertappt und er-
schlagen. Seine Schwäger geben ihm mit Hilfe des heilenden Wassers und des Lebenswassers
das Leben zurück. Die Frau bekommt von dem Drachen heraus, wie es möglich ist, ein schnel-
leres Pferd zu erwerben, als er selbst besitzt, und auch, wo sein Leben versteckt ist. Fedor
hütet dann bei einer Alten zwölf Stuten, was ihm mit Hilfe dankbarer Tiere gelingt, und
befreit mit Hilfe des Pferdes seine Frau. (Den Drachen zu töten, ist nicht nötig, das Motiv
vom versteckten Leben wird hier nicht ausgesponnen.)
Einige Varianten dieses Typus hat J. R. Romanov in Belorußland aufgezeichnet.
In einer davon13 werden die Schwestern von drei Greisen entführt; als Ehemänner
treten Donner, Frost und Regen auf. Der Schluß entspricht dem Typus AaTh 302:
Ein Zar hat zwei Söhne und drei Töchter. Der ältere Sohn verläßt die Heimat, der jüngere
verheiratet die Schwestern entsprechend dem Wunsche der verstorbenen Eltern an die
ersten Männer, die um sie freien; das sind Greise. Dann zieht er aus, sich selbst eine Frau
zu suchen. Vom Sohn einer Alten erfährt er, daß ihm die schöne Alena vorbestimmt sei; sie
lebe im zehnten Reich, in einem weißen Zelt. Dann begegnet er seinem Bruder. (Das ist
für die Handlung unerheblich.) Auf seiner weiteren langen Wanderung kommt er zum
König über alle Vögel, dann zum König über die Vierfüßler, und schließlich erfährt er von
einer alten Bärin, wo er seine Schöne finden kann. Er heiratet sie und verliert sie auf die
übliche Weise, als er einen Drachen aus dem verbotenen Raum befreit. Sodann zieht er aus,
sie zu suchen, und kommt zu seinen Schwestern, die an Donner, Frost und Regen verheiratet
sind. Vergeblich versucht er, mit seiner Frau aus der Macht des Unholds zu fliehen, beim
dritten Versuch kommt er ums Leben, das ihm seine Schwestern wiedergeben. Dann rät er
seiner Frau, vom Drachen in Erfahrung zu bringen, worin seine Stärke beruhe. Er erfährt,
daß im Meer ein Ochse liege, in dem Ochsen ein Hase, in dem Hasen eine Ente, in der Ente
ein Ei, und in diesem Ei befinde sich die Kraft des Drachen. Mit Hilfe dankbarer Tiere, die
er gefüttert hat, bemächtigt er sich des Eies und tötet den Drachen.
In einer anderen belorussischen Variante14 verheiratet der Held seine Schwestern
an den Wind, den Sturm und den König der Vögel. Die Kunde von der Schönen
erhält er von einer alten Frau. Mit dieser Schönen muß er kämpfen; dabei unter-
stützen ihn seine Tiere (Falken und Windhunde). Die Schöne ist als Mann verkleidet
(ähnlich wie in den entfernt verwandten Märchen vom Balkan und aus dem Orient).
Der befreite Dämon, der hier die Gestalt eines schönen Jünglings hat, war vom
Vater der Schönen eingekerkert worden. Von seinem Schwager fliegt der Held auf
dem Rücken eines Vogels über das Meer zum Wohnsitz des Unholds. Das Pferd
verdient er sich mit Hilfe dankbarer Tiere beim Bruder des Dämons.
Durch Vergleich mit den mitteleuropäischen Varianten läßt sich leicht nachweisen,
daß die ostslawischen Varianten im großen und ganzen nichts enthalten, was sie
gegenüber der mitteleuropäischen Tradition (und auch gegenüber der Tradition auf
dem Balkan, die in beschränktem Umfang ebenfalls Berücksichtigung finden soll)
als besondere Gruppe charakterisieren würde.
In der mitteleuropäischen Tradition stehen den ostslawischen Varianten einige
ungarische und tschechische Texte am nächsten. Von den tschechischen Texten hat
jedoch bereits Tille nachgewiesen, daß sie auf literarischem Wege aus der ungarischen
Quelle abgeleitet sind. In den wichtigsten Varianten treten anstelle der Tierschwäger
13 J. R. Romanov, Белорусский сборник (Belorussischer Sammelband), Bd. 6, Vitebsk
1901, 2136". (Nr. 25); vgl. Polivka, Kommentar 883.
14 Ebda 233ff. (Nr. 27); vgl. Polivka, Kommentar 584.
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268 Karel Horälek
wieder personifizierte Elemente auf. Die ungarische Variante,15 die auch von Bozena
Nemcova tschechisch bearbeitet wurde und aus ihrer Märchensammlung in die
tschechische mündliche Tradition übergegangen ist, hat folgenden Inhalt:
Ein Prinz soll nach dem Willen seines Vaters seine drei Schwestern an die ersten Freier
verheiraten, die um ihre Hand anhalten. Er tut es und reicht sie durch das Fenster an die
geheimnisvollen Freier. Die erste fällt auf eine goldene Brücke, die bis zur Sonne reicht,
und wird die Frau des Sonnenkönigs, der sie über die goldene Brücke fortführt. Die zweite
fällt in einen luftigen Wagen und wird die Frau des Königs der Winde. Die dritte fällt in
einen silbernen Bach, und das Wasser trägt sie zum Mondkönig. Die Eltern wundern sich
nach ihrer Rückkehr über das Geschehene, sind aber mit den erlauchten Schwiegersöhnen
zufrieden. Dann schicken sie den Sohn aus, sich eine Braut zu suchen, doch sie wollen keine
andere zur Schwiegertochter als die zauberhafte Helena. Er bekommt auf den Weg eine
Flasche mit Lebenswasser und eine zweite mit Heilwasser mit. Auf seiner Wanderung kommt
er auf ein Feld, das mit gefallenen Soldaten übersät ist, erweckt einige zum Leben und er-
fährt von ihnen, daß sie von der zauberhaften Helena erschlagen worden seien. In deren
Schloß vertauscht er, während sie schläft, sein Schwert gegen ihr Zauberschwert, das im
Schlafzimmer hängt, und überwindet sie dann im Zweikampf. Aus dem verbotenen Raum
befreit er den Feuerkönig Holofernes. Er reicht ihm zwei Becher Wein und einen Becher
Wasser, und nach und nach fallen die Reifen, mit denen der Unhold an die Wand geschmiedet
ist. Holofernes entführt die schöne Helena. Der Schwager des Prinzen, der König der Winde,
bringt ihn zu ihr. Dreimal versucht der Prinz, mit Helena zu fliehen, aber Holofernes holt
sie jedesmal mit Hilfe seines Pferdes Tagairot ein. Um sich ein schnelleres Pferd zu ver-
dienen, hütet der Held bei einer Hexe Pferde, wobei ihm seine Schwäger helfen. Den Feuer-
könig erschlägt schließlich sein eigenes Pferd.
Auf Grund des biblischen Namens Holofernes, den der Unhold hier trägt, darf
man doch nicht auf eine Buchvorlage dieser Version schließen; es ist nicht aus-
geschlossen, daß es sich hierbei um einen Eingriff des Herausgebers der Sammlung
handelt.
In der tschechischen Bearbeitung von Bozena Nemcovä16 treten als übernatürliche
Schwäger Sonnenkönig, Windkönig und Mondkönig auf. Der Handlungsablauf der
ungarischen Vorlage ist bis in alle Einzelheiten bewahrt, einige Abweichungen sind
durch den Einfluß anderer Volksmärchen zu erklären. (Die Abweichungen sind bei
Tille, s. Anm. 43, angegeben und analysiert.)
Bozena Nemcovä hat eine Variante dieses Typus auch in ihre Sammlung slowaki-
scher Märchen aufgenommen.17 Es ist unwahrscheinlich, daß es sich dabei einfach
um eine überarbeitete Fassung der tschechischen Vorlage handelt, obwohl die Ähn-
lichkeit der beiden Varianten auffällig ist. Andererseits kann man engere Zusammen-
hänge zwischen der slowakischen Variante und der ungarischen Tradition fest-
stellen. Offensichtlich hat Bozena Nemcovä ein entsprechendes Märchen in der
15 J. Majläth, Magyarische Sagen, Märchen und Erzählungen. Brünn 1825, 109; vgl.
V. Tille, Pohädkovä prameny (Märchenquellen). Närodopisny vestnik ceskoslovansky
2i (1928) 21 ff.
16 B. Nemcovä, Närodni bächorky a povesti (Volksmärchen und Sagen), Bd. 1. Prag
1954, 143 (= Närodni knihovna 46); vgl. V. Tille, Pohädkovä prameny (Märchenquellen).
Närodopisny vestnik ceskoslovansky 21 (1928) 16 — 38.
17 B. Nemcovä, Slovenske pohädky a povesti (Slowakische Märchen und Sagen),
Bd. 2. Prag 1953, 73 (= Knihovna klasikü, Spisy Bozeny Nemcovä 9); vgl. V. Tille,
Vorwort zu Bd. 7 der Sebranä spisy Bozeny Nemcovä (Gesammelte Schriften von Bozena
Nemcovä), Prag 1909, V—XCVII; vgl. Polivka, Kommentar 579.
^Cri/VIttlllTmNII • UTE IWyiiM 4
Der Märchentypus AaTh 302 (302C*) in Mittel- und Osteuropa 269
Slowakei kennengelernt (sie vermerkt, sie habe es im Gebiet von Zvolen [Altsohl]
gehört) und später ihre slowakische Aufzeichnung unter Hinzuziehung der tschechi-
schen Variante für ihre Sammlung slowakischer Märchen bearbeitet. Die meisten
Abweichungen vom Text Majläths sind beiden Varianten Bozena Nemcovas ge-
meinsam. Die slowakische Variante hat folgenden Inhalt:
Ein König reitet einmal mit seiner Frau durchs Land. Für die Zeit ihrer Abwesenheit
vertrauen sie ihre drei Töchter dem Sohn Janko an. Ausdrücklich verlangen sie, er solle
die Schwestern niemandem zur Frau geben. Als aber am Tag nach der Abreise der Eltern
der Sonnenkönig ans Fenster klopft und die älteste Prinzessin begehrt, gibt sie ihm Janko,
und der Bräutigam führt sie auf seinem Sonnenwagen fort. Dann gibt Janko die mittlere
Prinzessin dem Windkönig und schließlich die jüngste dem Mondkönig. (Der Windkönig
entführt seine Braut auf seinen Flügeln, der Mondkönig über eine silberne Brücke.) Als die
Eltern des Prinzen zurückkehren, sind sie über das Vorgehen ihres Sohnes erstaunt, doch
mit den Schwiegersöhnen zufrieden. Nach einiger Zeit zieht Janko aus, seine Schwestern
zu besuchen. Er kommt auf eine große Wiese, die mit Menschenknochen übersät ist. Er
hebt einen Schädel auf, und der sagt ihm, daß hier die schöne Uliana gewütet habe. Das
gleiche hört er auf zwei weiteren Wiesen. Er erfährt auch, daß Uliana gar nicht weit in
einem Marmorschloß wohne. Janko kommt in das Schloß, vertauscht in der Halle sein
Schwert gegen ein schweres, das dort hängt, und fordert dann Uliana zum Zweikampf
heraus. Dabei überwindet er sie mit Leichtigkeit. (Er schlägt ihr das Schwert aus der Hand.)
Als sie erkennt, daß er stärker ist, und ihm anbietet, miteinander zu leben, ist Janko gleich
einverstanden, weil sie ihm gefällt. Eines Tages geht Uliana ihren Angelegenheiten nach
und vertraut Janko die Schlüssel zu zwölf Zimmern an, die Tür zum dreizehnten aber
dürfe er nicht öffnen. Janko gehorcht jedoch nicht und findet in dem verbotenen Raum
einen feurigen Drachen, der mit drei Reifen angeschmiedet ist. Dreimal gibt er ihm Wein
zu trinken, die Reifen fallen nacheinander ab, und der Drache verspricht Janko zweimal sein
Leben. Als der Unhold frei ist, bemächtigt er sich Ulianas und reitet auf seinem Roß davon,
das auf seinen Ruf hin aus dem Stall gelaufen kommt.
Janko geht zu seinen Schwägern, um sie um Rat zu bitten. Der Sonnenkönig und der
Mondkönig wissen nichts von dem Drachen, erst der Windkönig sagt ihm, daß der Drache
in einem feurigen Schloß wohne, und er gibt Janko ein Pferd, das ihn hinbringt. Schon auf
dem Hofe findet er Uliana, setzt sie vor sich aufs Pferd und flieht mit ihr. Der Drache holt
sie auf seinem Pferd gleich ein, schenkt Janko das Leben, sagt aber, ein Zweitesmal würde
er keinen Pardon geben. Weinend wendet sich Janko an den Windkönig. Der erklärt, zur
Befreiung Ulianas brauche man ein so schnelles Pferd, wie es der Drache habe. Janko
kann es sich bei einer Hexe verdienen, wo er Stuten hüten muß. Als Lohn fordert er ein
hageres Pferd, das sich auf dem Kehricht wälzt. Er muß noch die Stuten der Alten melken
und selbst in kochender Milch baden, wobei das Pferd sie kühlt. Als die Hexe sieht, daß
Janko das Bad schöner verläßt, will sie auch in heißer Milch baden. Das Pferd läßt nun die
Hitze, die es einsog, als Janko in der Milch badete, auf die Hexe strömen, und diese kommt
im heißen Bad um. Dann befreit Janko mit Hilfe seines Pferdes Uliana. Der Drache holt
die beiden ein, aber Jankos Pferd überredet das Pferd des Drachen, seinen Reiter abzuwerfen.
Uliana besteigt dann das Pferd des Drachen.
Zwei andere Varianten aus der Slowakei, die sich in Czambels handschriftlichem
Nachlaß befinden, enthalten das charakteristische Motiv des hohen Baumes.
In der ersten dieser beiden Varianten18 dient ein Jüngling, nachdem er einen hohen
Baum erklommen hat, zunächst bei einer Prinzessin, dann verhilft ihm eines der
Pferde zu schönen Kleidern. Als er in die Kirche kommt, hält ihn die Prinzessin für
18 J. Polivka, Süpis slovenskych rozprävok (Katalog der slowakischen Märchen).
5 Bde. Turc, Sv. Martin 1923 — 1931; im Folgenden: Polivka, Süpis. Hier: Bd. 2, 45.
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270 Karel Horälek
einen Fremden. Nachdem sie aber erkannt hat, wie die Dinge liegen, nimmt sie den
Jüngling zum Mann. Dann folgt die Befreiung des angeschmiedeten Drachen, der
Dienst um ein Pferd und die Flucht.
In der zweiten Variante aus dem Nachlaß Czambels19 ist die Handlung nach
England verlegt, und der hohe Baum besteht aus Stahl. Der Drache entführt die
Frau, nachdem sie ein Kind geboren hat. Die Erzählung von dem Dienst bei der
Hexe wird mit verschiedenen Besonderheiten geboten.
In einer weiteren slowakischen Variante20 ist der Held der Erzählung ein Husar.
Hier fehlt jedoch das Motiv des hohen Baumes. Der Husar dient bei der Hexe, noch
bevor er seine Frau gefunden hat. Dabei helfen ihm dankbare Tiere.
Einige ungarische Varianten stimmen in wichtigen Einzelheiten mit den slowa-
kischen (und den tschechischen) Varianten überein. Das gilt besonders von einem
Text,21 der folgenden Inhalt hat:
Ein König kann niemanden finden, der seinen hohen Kirschbaum erklimmt, denn dieser
ist voller Dornen, und wer versucht, auf ihn hinaufzukriechen, sticht sich bald zu Tode.
Schließlich meldet sich ein junger Schweinehirt und bereitet sich mit sechs Anzügen und
Schuhen auf das Besteigen des Baumes vor. Der König wünscht, der junge Mann solle ihm
Kirschen herunterwerfen, damit man erkenne, daß er noch am Leben sei; außerdem solle
er ihm ein Zeichen geben, ob sich oben die Tochter des Königs befinde. Der junge Mann
kriecht hinauf, zerreißt einen Anzug nach dem andern, ruht auf einer in den Stamm ge-
schlagenen Axt aus und gelangt schließlich zu einem Schloß, in dem die Prinzessin lebt. Er
tritt in ihre Dienste, hat drei Pferde zu betreuen und in der Küche zu helfen. Das erste
Pferd sagt ihm, er solle ein goldenes Gewand anziehen und damit in die Kirche gehen. Am
zweiten Sonntag trägt er ein diamantenes Gewand, am dritten ein silbernes, doch immer
verläßt er unbemerkt die Kirche. Die Prinzessin verliebt sich in den Jüngling mit den schönen
Gewändern. Als sie diese bei ihrem Diener findet, erkennt sie, daß er der Gesuchte ist. Dann
leben sie miteinander. Die Prinzessin verbietet ihm, einen bestimmten Raum zu betreten,
aber der junge Mann tut es doch. In diesem Raum befindet sich ein Drache, der mit drei
Reifen angeschmiedet ist. Der Jüngling reicht ihm drei Becher Wein, die Reifen zerspringen,
und der Drache entführt die Prinzessin.
Dann geht der Jüngling in den Palast des Drachen und versucht dreimal, die Prinzessin
zu befreien. Beim dritten Versuch wird er vom Drachen zerstückelt. Das geschieht auf
einer Weide, die Hirten finden das Herz des Toten und werfen es ins Feuer. Da springt der
Jüngling aus den Flammen, gesund und schöner als zuvor. Hierauf geht er in ein fernes
Land, wo er bei einer Alten dient und drei Pferde zu hüten hat. Dabei helfen ihm ein Sper-
ling, ein Fuchs und ein Eichhörnchen, weil er sie zuvor gefüttert hat. Dann muß er noch mit
Hilfe der Alten die Pferde beschlagen. Als Belohnung erhält er einen elenden Hengst, der
sieben Jahre auf dem Mist gelegen hat. Mit dessen Hilfe befreit er schließlich die Prinzessin
aus der Gefangenschaft des Drachen.
Der Zusammenhang zwischen dieser ungarischen Variante und verwandten
slowakischen Texten ist so, daß man in einigen Fällen auf eine literarische Reminis-
zenz schließen könnte. Dabei ist allerdings die Abhängigkeit der slowakischen
Überlieferung von der ungarischen wahrscheinlicher als umgekehrt. Dafür spricht
19 Ebda Bd. 2, 46 — 50; S. Czambel, Slovenske l’udove rozprävky (Slowakische Volks-
märchen). Bratislava 1959, 36—41.
20 Ebda Bd. 2, 51 — 56.
21 E. Röna Sklarek, Ungarische Volksmärchen. Leipzig 1909, 12 (Nr. 2); vgl. Polivka,
Süpis, Bd. 2, 5 7 ff.
Der Märchentypus AaTh 302 (302 C*) in Mittel- und Osteuropa 271
schon der Umstand, daß sich die Handlung des ungarischen Märchens klarer ent-
faltet und die einzelnen Episoden folgerichtiger aneinander anschließen.
Für den genetischen Zusammenhang sind besonders folgende Motive wichtig
(unter den slowakischen Varianten handelt es sich vor allem um einen Text aus der
Sammlung Skultetys und Dobsinskys):
1. Der hohe Baum ist ein Kirschbaum, der Held soll Früchte herunterwerfen.
2. Beim Hinauf kriechen auf den Baum bedient er sich einer Axt (eines Axtstocks).
3. Im Schloß der Prinzessin betreut er drei Pferde (oder freundet sich mit ihnen an).
4. Er gewinnt die Liebe der Prinzessin, indem er sich nach den Ratschlägen der
Pferde richtet.
5. Er gibt dem angeschmiedeten Drachen Wein zu trinken. (Dieses Motiv kommt
öfter vor.)
Auffällig ist hinsichtlich der Wiedergeburt aus einem verbrannten Herzen die
Übereinstimmung mit einer mährischen Variante aus der Sammlung Prikryls, wo
es sich um eine verbrannte Rippe handelt. Dieses Motiv ist zwar aus der Andreas-
legende übernommen, aber eine zweifache, unabhängig voneinander erfolgte
Übernahme in der tschechischen und der ungarischen Variante ist wenig wahr-
scheinlich.22
Prikryls Variante23 beginnt nach dem Typus der „Tierschwäger“ und enthält
infolgedessen nicht den Teil mit dem hohen Baum.
In einer in neuerer Zeit aufgezeichneten und in die Sammlung Ortutays auf-
genommenen ungarischen Variante24 hilft ein Pferd dem Helden bei der Befreiung der
entführten Frau. Es rät und hilft dem Helden, gibt ihm das Leben zurück, als ihn der
Unhold tötet, kann aber nicht selbst aus der Macht des Unholds entfliehen. Der
Held muß sich zusätzlich bei einer Hexe wie gewöhnlich ein schnelles Pferd ver-
dienen. Die Erzählung ist farbig und weist verschiedene Abschweifungen auf. Der
Inhalt dieser ungarischen Variante ist folgender:
Vor dem Schloß eines Königs wächst ein hoher Apfelbaum, der am Morgen blüht und
zu Mittag bereits Früchte trägt, doch diese holt in der Nacht immer jemand weg. Der König
verspricht demjenigen, der für ihn wenigstens einen Apfel vom Baum rettet, seine Tochter
zur Frau und dazu das halbe Königreich. Viele wagen den Versuch, doch keinem gelingt es,
den hohen Baum zu erklimmen. Schließlich versucht es der Schweinehirt Jancsi. Er läßt
sich drei Paar eiserne Stiefel anfertigen und ersteigt den Baum mit Hilfe eiserner Klammer-
haken. Als er die Krone des Baumes erreicht, hat er bereits das dritte Paar durchgescheuert.
Oben trifft er ein Mädchen, dem der Baum gehört und das die Äpfel in seine Schürze
pflückt. Über eine lange Treppe erreicht er das Schloß, in dem die verwaiste Prinzessin
wohnt. Er tritt in ihre Dienste, darf aber das zwölfte Zimmer nicht betreten. Nach einiger
Zeit verlobt er sich mit ihr. Als die Prinzessin einmal in der Kirche ist, will er das verbotene
Zimmer aufräumen und findet dort einen an die Wand angeschmiedeten siebenköpfigen
Drachen. Dieser fleht ihn an, ihm Wasser aus den dort stehenden Eimern zu geben. Jancsi
reicht ihm zweimal einen Eimer voll Wasser, und für jeden verspricht ihm der Drache ein
22 Zu den Legenden vom wdedergeborenen Menschen vgl. M. Maticetov, Sezgani in
prerojeni clovek (Der verbrannte und wiedergeborene Mensch). Ljubljana 1961.
23 P. F. Prikryl, Pohädky a povesti ze Zähori (Märchen und Sagen aus der Landschaft
Zahori). Zahorskä kronika, 1895, 505 ff.; Polivka, Kommentar 579; 775.
24 G. Ortutay, Ungarische Volksmärchen. Berlin 1957, 196 — 228.
T
272 Karel Horälek
Königreich. Nachdem der Drache zwei Eimer ausgetrunken hat, lösen sich seine Fesseln.
Dann bittet er Jancsi noch um einen Apfel und verspricht ihm dafür ein drittes Königreich.
Er erhält den Apfel. Da öffnet sich die Tür des Zimmers, und der Drache fliegt davon. Als
die Prinzessin aus der Kirche zurückkehrt, erkennt sie gleich, was geschehen ist. Sie sagt zu
Jancsi, der Drache werde sie an ihrem Hochzeitstag entführen, was auch geschieht.
Traurig geht Jancsi in den Stall und klagt dort den Pferden sein Leid. Das älteste Pferd
tröstet ihn und bietet ihm seine Dienste an. Es ist ein Zauberpferd, das Jancsi zum Drachen
bringt. Dreimal versucht Jancsi, auf dem Rücken des Pferdes mit seiner Frau zu entfliehen,
doch sie werden jedesmal eingeholt, das Zauberpferd des Drachen ist schneller. Dreimal
verzeiht der Drache, beim vierten Versuch tötet er Jancsi, reißt ihn in Stücke und befiehlt
der Frau, diese Stücke in einen Sack zu sammeln und auf Jancsis Pferd zu laden. Als das
Pferd mit seinem toten Herrn nach Hause zurückkehrt, sieht es, wie eine Schlange ihr
Junges mit Hilfe eines Krautes wieder zum Leben erweckt. Da bittet es die Schlange um das
Kraut und erweckt damit Jancsi zum Leben. Darauf gibt es ihm den Rat, sich ein schnelleres
Pferd zu besorgen, als der Drache besitzt. Die Prinzessin muß von dem Drachen heraus-
bekommen, wie er sein Pferd erworben hat. Das gelingt ihr, als sie dem Drachen Liebe
heuchelt. Jancsi tritt bei einer Hexe in Dienst, und beim Hüten der Pferde helfen ihm ein
Fisch, eine Ente und ein Fuchs. Als die Pferde zum drittenmal verschwinden, rät ihm der
Fuchs, drei bei der Hexe versteckte Eier zu zerschlagen. Darauf muß er sich noch in acht
nehmen, um nicht von der Hexe getötet zu werden. Schließlich kann er eine Belohnung für
den geleisteten Dienst fordern. Entsprechend dem Rat seines Pferdes verlangt er einen
rostigen Dolch, einen alten Sattel und einen hageren Hengst. Als er mit Hilfe dieses Hengstes
seine Frau aus der Macht des Drachen befreit, rät Jancsis Pferd dem anderen, den Drachen
abzuwerfen; der Drache kommt bei dem Sturz um. Jancsi kehrt mit seiner Frau glücklich
nach Hause, steigt nach einiger Zeit vom Baum und bringt dem König einen Sack Äpfel.
Der König bietet ihm, wie versprochen, seine Tochter an. Jancsi überläßt sie seinem Freund.
Dieses Märchen bezeichnet G. Ortutay als einen „wertvollen ungarischen Typus“.
Tatsächlich handelt es sich jedoch um einen internationalen Typus, über dessen
Herkunft sich vorläufig nichts Bestimmtes sagen läßt. Es kann jedoch ein ungarischer
Oikotypus sein, dessen hervorstechende Besonderheit die Erzählung von dem hohen
Baum und alles, was damit zusammenhängt, ist.25 Die Episode mit dem hohen
Baum ist hier eigentlich nur eine ganz formale Zugabe, die mit der Handlungs-
verflechtung und ihrer Lösung überhaupt nicht zusammenhängt. Als ungarische
Besonderheit kann man auch den Umstand betrachten, daß das Pferd des Helden
im Handlungsablauf eine ungewöhnlich bedeutungsvolle Rolle spielt. Die Akzen-
tuierung der Handlungsfunktion des Zauberpferdes ist in ungarischen Märchen
eine recht häufige Erscheinung. Man kann jedoch nicht sagen, daß das Märchen
vom Typus AaTh 302C* durch dieses Element an künstlerischem Wert gewänne.
Jene Varianten, in denen der erschlagene Held von seinen Tierschwägern wieder
zum Leben erweckt wird (ein Motiv, das auch in anderen Märchen vorkommt),
erscheinen gelungener. Die Variante aus der Sammlung Ortutays wird durch die
motivische Hypertrophie des Schlußteiles (Dienst um ein Pferd) entwertet.
Die Vervielfältigung der Zauberpferde ist bei diesem Typus jedoch nicht nur eine
ungarische Besonderheit. Auch in einer gälischen Variante aus Schottland26 besitzt
der Held zwei Zauberpferde. Diese Variante hat folgenden Inhalt:
25 Zu diesem Motiv vgl. L. D6gh, Märchenerzähler und Erzählgemeinschaft, dargestellt
an der ungarischen Volksüberlieferung. Berlin 1962, 277 — 278. Nur entfernt verwandt sind
die Märchen mit dem Motiv der hohen Bohne, die bis in den Himmel reicht (AaTh i960).
26 Vgl. R. Köhler, Kleinere Schriften, Bd. 1. Weimar 1898, 158. Es handelt sich um ein
Märchen aus der Sammlung Campbeils.
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Der Märchentypus AaTh 302 (302C*) in Mittel- und Osteuropa 273
Ein König gewinnt im Spiel gegen einen Unhold (Gruagach) und fordert dessen Tochter.
Durch einen weiteren Sieg über den Unhold gewinnt er ein Zauberpferd. Das dritte Spiel
gewinnt der Unhold und verlangt vom König, ihm ein Zauberschwert zu bringen. Der
König zieht aus, dieses Zauberschwert zu gewinnen, und erwirbt gleichzeitig damit ein
weiteres Zauberpferd, den Bruder des ersten. Mit dem Schwert erschlägt er den Unhold,
der nur mit diesem Schwert durch einen Schlag auf eine bestimmte Stelle getötet werden
kann.
In einem unbewachten Augenblick entführt ein Riese die Königin und die beiden Zauber-
pferde. Der König macht sich auf die Suche nach seiner Frau, gewinnt die Dankbarkeit von
Tieren (Hund, Kranich und Natter). Der Unhold hat die Königin in eine Höhle gesperrt.
Sein eigenes Leben ist unter der steinernen Schwelle versteckt (in einem Hammel ist eine
Ente, in der Ente ein Ei).
Eine serbische Variante aus der Sammlung von Vuk Karadzic27 gehört mit
einigen Zügen zur Balkan-Gruppe, hat aber wieder den Schluß des Typs AaTh 302
(Das Herz des Unholds in einem Ei). Dabei sind jedoch keine Besonderheiten zu
verzeichnen, die auf eine engere Verwandtschaft mit der mitteleuropäischen Tradition
(einschließlich der ungarischen) hinweisen würden. Die Einleitung von den Tier-
schwägern ist wie gewöhnlich. Das Märchen hat folgenden Handlungsablauf:
Vor seinem Tode trägt ein Zar seinen Söhnen auf, ihre Schwestern den ersten Freiern
zu geben, die um ihre Hand anhalten. Es sind der König der Drachen, der König der Adler
und der König der Falken. Die Brüder wollen ihre Schwestern besuchen und erleben unter-
wegs ein besonderes Abenteuer an einem nächtlichen Feuer. Dort töten sie nacheinander
drei Drachen (der älteste einen einköpfigen, der mittlere einen zweiköpfigen und der jüngste
einen dreiköpfigen). Beim letzten Kampf erlischt das Feuer, und der jüngste Bruder geht
einem Licht nach, um das Feuer aufs neue entzünden zu können. Er kommt zu einem
Feuer, um das herum neun Riesen sitzen. Sie laden ihn zum Essen ein und bieten ihm
Menschenfleisch an. Er tut, als esse er es, wirft es aber hinter sich. Dann begleitet er die
Riesen auf einem Raubzug in die Stadt, erklimmt als erster die Stadtmauer und haut dann
einem Riesen nach dem andern den Kopf ab. Die Stadt ist verlassen, nur in einem Palast
wohnt eine Schöne. Der Prinz rettet sie vor einer Schlange und kehrt dann zu seinen Brüdern
zurück. Dann gehen alle drei in die Stadt, wo der König dem Retter seines Reiches vor den
Riesen eine reiche Belohnung und die Hand seiner Tochter anbietet. So bekommt der
jüngste der Brüder eine Prinzessin zur Frau. Dann befreit er auf die übliche Weise einen
Unhold (Bas Celik, , Stahlhaupt‘) aus einem verbotenen Zimmer, und dieser entführt seine
Frau. Der Held zieht dann aus, seine Frau zu suchen, kommt zunächst zu seinen Schwestern
und ihren Tiermännern, findet schließlich seine Frau und versucht dreimal vergeblich, sie
aus der Macht des Unholds zu befreien. Beim vierten Versuch wird er vom Unhold zer-
stückelt, die Tierschwäger erwecken ihn aber mit Jordanwasser wieder zum Leben. Dann
erkundet die Frau vom Unhold das Geheimnis seiner Stärke (in einem fernen Land ist
ein hoher Berg, darin ein Fuchs, im Fuchs ein Herz, im Herzen ein Vogel, in dem Vogel die
Stärke des Unholds). Der Held tötet schließlich mit Hilfe seiner Schwäger den Unhold.
Später wurde in der Zeitschrift Kica eine ähnliche Variante veröffentlicht,28 in
der der Unhold den gleichen Namen führt. Als alle drei Schwäger den Unhold
angreifen, verwandelt er sich in eine Ente; diese verfolgen zunächst die Adler, in den
Bergen die Drachen, im Wasser die Falken; als er sich schließlich in einen Fuchs
27 Vuk Stefanovic Karadzic, Српске народне приповетке (Serbische Volkserzählungen).
Belgrad 1935, 155 —171 (Nr. 51: Баш Челик).
28 Polivka, Kommentar 586. (Das Märchen stammt aus der Zeitschrift Kica, Bd. 7,
Nr. 24 — 26).
274 Karel Horälek
verwandelt, erschießt ihn der Prinz. Im Fuchs ist eine Ente, in der Ente eine Taube,
in der Taube ein Sperling, den bindet der Prinz. Da erscheint Bas Celik gefesselt, und
der Prinz läßt ihn ins Gefängnis werfen.
Die Varianten des Typus 302C mit dem Schluß nach dem Typus AaTh 302
können als eine selbständige Version oder als Typus 302D gelten, obwohl sie, wie
bereits gesagt, wahrscheinlich einfach durch Kontamination des Typus 302 C mit
dem Typus 302 entstanden sind. Auffallend ist dabei, daß es nur verhältnismäßig
wenig solcher kombinierter Texte gibt. Jene Texte, die mit der Flucht auf dem
Rücken eines durch schweren Dienst erworbenen Pferdes enden, sind beträchtlich
in der Überzahl.
Verwandt damit ist auch Vuks Märchen Nr. 4: Der goldene Apfel und die neun
Jungfrauen,29 doch wird hier in der Einleitung der Stoff von der Schwanenjungfrau
verwendet, der häufiger beim Typus AaTh 400 (The Man on a Quest for his Lost
Wife) auftritt. Der Mittelteil (Entführung der Frau) und der Schluß (Dienst um ein
Pferd und Flucht) haben die übliche Gestalt, wie sie aus den mitteleuropäischen und
den osteuropäischen Texten bekannt ist.
Die Versionen mit der Gestalt des Unholds ohne Seele haben natürlich einen
anderen Schluß als den „Dienst um ein Pferd“. Hier gilt es, zunächst von dem Unhold
herausbekommen, wo seine Seele (seine Kraft) versteckt ist, dann muß man ihn
erschlagen. Es ist also nicht nötig, vor ihm zu fliehen.
Andere südslawische Varianten des Typus AaTh 302 C enthalten weitere Ab-
weichungen. Die Tierschwäger treten auch in einer bosnischen Variante30 auf. Am
Schluß besiegt hier der Held den Unhold im Zweikampf; vorher erfuhr er mit Hilfe
seiner Frau, wie er ungewöhnliche Kraft erlangen kann.
Den Schluß nach dem Typus AaTh 302 (Das Herz des Unholds in einem Ei)
enthält eine serbische Variante aus der Sammlung von Nikolic.31
Im Einleitungsteil wird abweichend von den anderen Fassungen erzählt, daß sich drei
Brüder nach der Verheiratung ihrer drei Schwestern in die Welt begeben. Als sie einmal
nachts im Walde lagern, kommen aus einem See Drachen, die sie bedrohen, aber jeder der
Brüder tötet einen. Als der Drache, den der jüngste der Brüder erschlagen hat, in den See
fällt, löscht die dadurch entstehende Woge das Feuer. Der Jüngling geht daraufhin einem
Licht nach, das er in der Ferne erblickt, und begegnet unterwegs einem Greis, der Nacht
und Tag aufspult. Um den Morgen hinauszuschieben und noch bei Dunkelheit zu den
Brüdern zurückkehren zu können, fesselt der Jüngling den Alten. Am Feuer stößt er auf
Räuber, die sich zu einem Raubzug gegen den Zarenpalast anschicken. Sie nehmen den
Jüngling mit und schicken ihn als ersten ins Schloß. Als sie ihm dann folgen und nach-
einander über die Mauer kriechen, schlägt ihnen der Jüngling die Köpfe ab. Dann rettet
er noch die Prinzessin vor einem Drachen, läßt sein Schwert im toten Körper des Drachen
zurück und geht zu seinen Brüdern. Der Zar läßt den Retter seiner Tochter und seines
Besitzes suchen, und der Jüngling erhält die Prinzessin zur Frau. Einmal zwingt der Jüng-
29 Vuk StefanovicKaradzic, Српске народне приповетке; vgl. Anm. 27, 14—33 (Nr. 4:
Златна ябука и девет панница [Der goldene Apfel und die neuen Schüsseln]); R. Köhler,
Kleinere Schriften, vgl. Anm. 26, Bd. 1, 418.
30 Босанска вила 6 (1891) 92 — 94, 108 — 109, 123 — 125; Polivka, Süpis 586/587; deutsche
Ausg.: Volksmärchen aus Jugoslawien. Düsseldorf-Köln i960, 31—47.
31 A. Nikolic, Српске народне приповетке (Serbische Volkserzählungen). Belgrad
1899, 53~74 (Nr. 6: Путник и црвени ветар [Der Wanderer und der Rote Wind]).
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Der Märchentypus AaTh 302 (302C*) in Mittel- und Osteuropa 275
ling seinen Schwiegervater, ihm die Schlüssel zu dem Keller zu geben, in dem die Drachen
gefangengehalten werden. Kaum hat er den Keller geöffnet, fliegt der „Rote Wind“ heraus
und entführt seine Frau. Nun zieht der Jüngling aus, sie zu suchen, und kommt zu seinen
Schwägern, von denen der eine König über die Ameisen, der zweite König über die Fliegen
und der dritte König über die Adler ist. Erst dieser kann ihm sagen, wo der Rote Wind
seinen Sitz hat. Von den Schwägern erhält er die Fähigkeit, sich in ihre Gestalt zu verwandeln,
und kommt an jene Stelle, wo eine Ente versteckt ist, in der sich ein Ei mit dem Leben des
Dämons befindet. Er zwingt den Dämon, ihn und seine Frau nach Hause zu bringen, dann
zerdrückt er das Ei, und der Rote Wind zerfließt wie Schnee in der Sonne.
Die Episode vom erloschenen Feuer und dem Abenteuer mit den Räubern findet
sich auch in anderen Märchentypen, im Typus AaTh 302 und 302 C* ist sie jedoch
für das Balkangebiet charakteristisch.
Mit dem Text von Nikolic berührt sich eine deutsche Variante, die Karl Haiding
1952 im österreichischen Burgenland aufgezeichnet hat.32 Wahrscheinlich handelt
es sich hierbei um eine Übernahme von dort ansässigen kroatischen Kolonisten. Es
gibt auch Zusammenhänge mit der ungarischen Überlieferung. Die burgenländische
Variante besitzt den üblichen Schluß vom Dienst um ein Pferd und der Flucht aus
der Gefangenschaft. Sie hat folgenden Inhalt:
Ein König trägt seinen drei Söhnen auf, nach seinem Tode ihre drei Schwestern an die
ersten Freier zu verheiraten, die sich einstellen. In der Nacht kommen unbekannte Ge-
schöpfe und bitten nacheinander um die Mädchen, die sie sich dann durch das Fenster
holen. Die Prinzen machen sich auf, die Schwestern zu suchen. Als sie im Walde lagern,
bringt eine Wolke ihr Feuer zum Erlöschen. Die beiden älteren schaffen es noch, das Feuer
wieder anzufachen, dem jüngsten aber gelingt das nicht mehr. Da geht er einem Licht nach,
das er in der Ferne erblickt, und kommt zu drei Riesen. Diese schicken sich eben an, drei
Prinzessinnen zu entführen, und nehmen den Jüngling als Helfer mit. Er muß zunächst allein
in die Königsburg eindringen. Die Prinzessinnen gefallen ihm, und er beschließt, sich der
Räuber zu entledigen. Als sie ihm in die Burg folgen, erschlägt er einen nach dem andern.
Der König freut sich, daß er von den bösen Riesen befreit ist, und bietet seine Töchter dem
Befreier und dessen Brüdern an. Den jüngsten warnt er vor dem Weißen Ritter; trotzdem
aber macht jener sich mit seiner Frau auf den Weg. Der Weiße Ritter überfällt sie jedoch
bald und entführt die Prinzessin. Nun zieht der unglückliche Prinz aus, sie zu suchen. Unter-
wegs kommt er nacheinander zu seinen Schwestern, die Drachen zu Männern haben.
Beim Mann der jüngsten Schwester erfährt er von einem Fuchs, wo der Weiße Ritter wohnt.
Seine Frau begrüßt ihn dort voller Freude und sagt ihm gleich, wie er sie befreien kann.
Er muß sich bei der Mutter des Ritters ein Zauberpferd verdienen, mit dessen Hilfe sie
dann entfliehen können. Auf dem Weg zu der Alten hilft der Jüngling einem Fisch, einem
Raben und einem Fuchs, und die dankbaren Tiere versprechen ihm dafür Hilfe in der Not.
Bei der Alten muß er drei Nächte hindurch drei Stuten hüten. Jede Nacht schläft er ein, denn
die Alte bereitet ihm eine einschläfernde Suppe, die Stuten verwandeln und verstecken
sich, aber die dankbaren Tiere helfen dem Helden immer. Für seinen Dienst erhält er dann
ein schnelles Pferd, auf dessen Rücken er mit seiner Frau dem Weißen Ritter entflieht.
Bei der Verfolgung wirft das Pferd des Ritters seinen Herrn ab, der tödlich stürzt. Nachdem
der Prinz mit seiner Frau nach Hause zurückgekehrt ist, verschwindet das Zauberpferd.
Die Schwestern und die Tierschwäger sind vom Fluch befreit.
Haiding weist in den Anmerkungen zu dieser Variante darauf hin, daß sie einem
ungarischen Märchen aus der Sammlung Gaal-Stier (1857) sehr nahe steht. Die
Beziehungen zwischen den südslawischen und den deutschen Texten könnte nur
eine eingehendere Analyse einer größeren Zahl von Varianten erhellen.
32 K. Haiding, Österreichs Märchenschatz. Wien 1953, 153 —162 und 442 — 443 (Anm.).
276 Karel Horälek
Haidings Variante enthält ein Motiv, das — ebenso wie die ganze Episode mit dem
erloschenen Feuer und den Räubern — mehrfach beim Typus AaTh 304 (The
Hunter) auftritt: Auf der Suche nach Feuer begegnet der Held den personifizierten
Gestalten Tag und Nacht oder einer Person, die ein Knäuel auf- und abwickelt und
so den Wechsel von Tag und Nacht regelt; er fesselt den Tag, um die Nacht zu
verlängern und noch vor Morgengrauen zu seinen Brüdern zurückkehren zu können.
In Haidings Variante aus dem Burgenland hat dieses Motiv seinen ursprünglichen
Sinn verloren. Hier heißt es nur, der Held habe von den Räubern ein Knäuel erhalten,
mit dem er ein Zeichen geben kann, wenn er Hilfe benötigt. Die meisten Texte, die
dieses Motiv enthalten, stammen aus Osteuropa und vom Balkan.33
Eine ältere Variante aus Österreich34 enthält nur den einleitenden Bericht vom
Erklimmen eines Baumes (mit verschiedenen Modifikationen und einem besonderen
Schluß):
In einem Dorf wächst ein Baum so schnell, daß er innerhalb weniger Tage turmhoch wird
und sich sein Wipfel nach einigen Wochen in den Wolken verliert. Das erfährt eine Prin-
zessin, und sie verspricht demjenigen, der ihr Früchte von diesem Baum bringt, eine hohe
Belohnung. Viele wagen den Versuch, aber jeder fällt am zweiten oder dritten Tag herunter.
Schließlich meldet sich ein Bauernsohn. Er verlangt zwölf Paar Holzschuhe, eine Axt aus
Blei und Proviant. Nachdem er einige Tage emporgekrochen ist, entdeckt er im Baum eine
Öffnung, aus der Licht herausdringt. Hier empfängt ihn eine häßliche Alte, die sagt, sie sei
„Monda“ [der Montag], und es würden die übrigen Tage folgen („Erida“ [Dienstag],
„Midwo“ [Mittwoch] usw.). Er besucht alle alten Weiber (die Tage), steigt dann aber
noch höher, obwohl bereits alle Holzschuhe verbraucht sind und die Axt stumpf geworden
ist. Durch eine Tür gelangt er auf eine weite Wiese, dort ist alles aus Gold und strahlt so
hell, daß ihm die Augen schmerzen. Auch die Bäume und die Tiere sind dort aus Gold,
selbst seine Axt wird golden. Der Jüngling glaubt, er sei im Himmel, und bleibt dort.
Andere aber erzählen, er sei zurückgekehrt und habe geschildert, was er dort alles gesehen
und erlebt hat.
Ähnlich ist die Einleitung zu einem deutschen Märchen aus Siebenbürgen,35
das zum Typus AaTh 314 (Goldener) gehört.
Der Held ist hier ein junger Hirt. Die Besteigung des Baumes fällt ihm leicht, weil die
Äste wie die Sprossen einer Leiter angeordnet sind. Nach neun Tagen kommt er auf ein
weites Gelände, auf dem kupferne Paläste und ein kupferner Wald stehen. Auf dem höchsten
Baum sitzt ein kupferner Hahn, unter dem Baum quillt aus einer Quelle kupfernes Wasser,
doch alles ist ohne Leben. Der Jüngling steigt noch höher und kommt nach weiteren neun
Tagen in eine silberne Gegend, dann in eine goldene. Er taucht seine Beine in die kupferne,
die Arme in die silberne und den Kopf in die goldene Quelle.
Verwandt damit sind auch einige rumänische Märchen. Die personifizierten Tage
erscheinen in der folgenden, 1857 veröffentlichten Variante:36
33 Belege für das Vorkommen dieses interessanten Motivs in verschiedenen Typen
bietet J. Polivka in der Studie: Bäjeslovne drobty z lidovych podäni (Mythologische
Elemente in Volksüberlieferungen). Sbornik filologicky 5 (1915) 62 — 74.
34 Th. Vernaleken, Österreichische Kinder- und Hausmärchen. Wien 1864, Nr. 30;
Polivka, Süpis Bd. 2, 60.
35 J. Haltrich, Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen. Berlin
1856, Nr. 15; Polivka, Süpis Bd. 2, 60.
36 Ausland, Jg. 1857, 1028 (Nr. 26); Polivka, Süpis Bd. 2, 59.
Der Märchentypus AaTh 302 (302C*) in Mittel- und Osteuropa
277
Ein Junge erhält vom Christkind als Dank für Bewirtung ein Eichhörnchen. Als er
17 Jahre alt ist, läßt der König bekanntmachen, er besitze einen Baum, der bis in die Wolken
reicht, und sei entschlossen, seine Tochter und das halbe Königreich demjenigen zu geben,
der ihm ein Blatt vom Wipfel dieses Baumes bringe. Als die Prinzessin den Jüngling er-
blickt, wirft sie ihm einen Apfel zu, als Zeichen, daß er ihr gefällt. Mit Hilfe einer Axt
erklimmt er in sieben Tagen und sieben Nächten den Baum, bis er an die Äste gelangt. Dort
kommt er zum Haus der heiligen Mittwoch [Frauengestalt!], dann der heiligen Donnerstag
und der heiligen Freitag und wird überall bewirtet. Die heilige Freitag sagt ihm, er komme
nun bald zu einer Eisentür, die er mit seinem Schlüssel öffnen könne. Durch diese Tür ge-
langt er zu einem herrlichen Schloß, dort begrüßt ihn ein Mädchen und wünscht, daß er
drei Jahre bei ihr diene. Im Stall stehen drei Pferde, ein kupfernes, ein silbernes und ein
goldenes. Auf ihnen reitet der Jüngling durch die ganze Welt und befreit sie so von einem
Fluch — sie verwandeln sich in Prinzen. Noch bevor die drei Jahre um sind, pflückt der
Held vom Wipfel des Baumes drei Blätter und steigt mit Hilfe seiner Axt wieder zur Erde
hinab. Als er die Prinzessin heiraten soll, erscheint das Mädchen, bei dem er auf dem Baum
gewesen ist, und dieser gibt er den Vorzug.
Das Motiv der Entführung und der Befreiung mit der üblichen Fortsetzung,
aber ohne den entsprechenden Schluß findet sich in einer weiteren Variante aus
Siebenbürgen.37
Hier wird von einem Birnbaum erzählt, der bis zum Himmel wächst und in eine andere
Welt reicht. Ein Graf verspricht demjenigen, der den Baum besteigt, eine Wagenladung
Dukaten. Die Besteigung gelingt erst dem Schweinehirten Wassil. Er steigt, ohne aus-
zuruhen, empor und kommt zum Häuschen der heiligen Freitag, dann der heiligen Samstag
und schließlich der heiligen Sonntag; sie sind Schwestern der Sonne. Von ihnen erfährt er,
daß die Äste des Birnbaums bis zum Hof der schönen Iliana reichen, die immer in der
Mittagszeit schläft. Er kommt hin und küßt die Schlafende. Inzwischen verstreicht die Zeit
für die Rückkehr, und er muß dortbleiben. Er verwandelt sich in eine Ameise, wird aber
trotzdem gefangen. Als er wieder menschliche Gestalt annimmt, findet die Schöne an ihm
Gefallen, und sie heiraten. Auf dem Pferd seiner Frau bringt er sodann dem Grafen die ge-
wünschten Birnen, gibt die Belohnung seinen Eltern, doch entgegen dem Verbot steigt er
vom Pferd, und dieses verschwindet. Unter großen Schwierigkeiten kehrt er zu seiner
Schönen zurück.
Den üblichen Schluß mit dem „Dienst um ein Pferd“ weist noch eine deutsche
Variante aus Pommern38 auf. Sie ist wahrscheinlich ebenfalls von der ungarischen
Überlieferung abhängig:
Ein junger Schweinehirt kommt im Wald zu einem hohen Baum, der bis an die Wolken
reicht. Er beginnt, den Baum zu erklimmen, steigt bis zum Abend, dann bindet er sich an
einem Ast fest und schläft. Am Morgen steigt er weiter. Am Abend kommt er schließlich
zu einem Dorf, am nächsten Tag zu einem Schloß, das auf dem Wipfel des Baumes steht.
Aus dem Fenster blickt ein Mädchen, das von einem Zauberer gefangengehalten wird,
und sich freut, daß ein Mensch erscheint. Dann leben sie gemeinsam im Schloß. Den Jüng-
ling verdrießt es aber, daß er einen Raum nicht betreten darf. Nach einiger Zeit kann er der
Versuchung nicht mehr widerstehen und öffnet ihn. Drinnen befindet sich ein großer Rabe,
der mit drei Nägeln an die Wand geschlagen ist. Der Rabe — es ist der Teufel, der die Prin-
zessin verzaubert hat — leidet an Durst, der Jüngling tropft ihm dreimal etwas in den
Schnabel, und die Nägel lösen sich. Kaum ist der Rabe frei, fliegt er mit der jungen Frau
davon. Um seine Frau zu befreien, muß der Jüngling bei einer Hexe dienen und drei Pferde
37 P. Schullerus, Rumänische Volksmärchen. Hermannstadt 1907, 176 (Nr. 85).
38 P. Zaunert, Deutsche Märchen seit Grimm, Bd. 1. Jena 1912, 1 (Nr. x); Polivka,
Süpis Bd. 2, 59 — 60.
19 Volkskunde
278
Karel Horälek
hüten, wobei ihm ein Wolf, ein Bär und ein Löwe helfen. Er verdient sich ein schnelles
Pferd, mit dessen Hilfe er dann seine Frau befreit.
Vielleicht gelingt es auf Grund des in neuerer Zeit gesammelten Materials fest-
zustellen, wie der Typus AaTh 302 C mit dem Motiv des hohen Baumes bis nach
Pommern gelangt ist. Belege aus dem Donauraum dürften jedoch auch in dem neuen
Material bei weitem überwiegen.
Aus ungarischer Überlieferung ist folgende im Gebiet von Arad aufgezeichnete
ukrainische Variante39 abgeleitet, die das Motiv des hohen Baumes nicht enthält:
Einer Witwe wurde prophezeit, daß Drachen ihre Töchter entführen würden. Als sie
einmal mit zwei Söhnen und zwei Töchtern die Kirche besucht, kommt ein dreiköpfiger
Drache und verlangt die älteste Tochter. Der jüngste Bruder, der mit ihr zu Hause ist, gibt
sie heraus. Ebenso verhält er sich, als am folgenden Sonntag ein sechsköpfiger Drache die
mittlere Schwester holt. Schließlich übergibt er auch noch die jüngste Schwester einem
neunköpfigen Drachen. Nach einiger Zeit jagt ihn die Witwe aus dem Haus, und er zieht
aus, seine Schwestern zu suchen. Bei der ältesten Schwester fragt er den Drachen, wro
er die schöne Ilona finden könne, von der er gehört habe, daß sie in der Gegend von Semirad
wohne. Der Drache weiß es nicht, auch nicht der Drachengatte der mittleren Schwester.
Vom dritten Schwager erhält er einen Zauberring und ein Hemd, das Stärke verleiht. Der
Schwager sagt ihm auch, daß die schöne Ilona ein Zauberschwert besitze, mit dessen Hilfe
sie einen starken Mann überwunden und in einer Kammer an drei seiner starken Haare
auf gehängt habe. Der Jüngling begibt sich mit seinem Schwager dorthin, findet Ilona
schlafend, vertauscht sein Schwert mit dem ihren, aber es kommt nicht zum Kampf, denn
er gefällt Ilona, und sie leben dann zusammen. Er reitet auf ihrem Zauberpferd aus, das sie
einer Hexe im siebzigsten Lande gestohlen hat. Als seine Frau einmal ausreitet, befreit er
ihren Gefangenen (er gibt ihm drei Eimer Wasser), der starke Mann bemächtigt sich ihres
Pferdes und entführt Ilona in sein Land jenseits eines roten Meeres. Der Jüngling zieht mit
seinem Schwager aus, seine Frau zu befreien, sie versuchen die Flucht, aber der starke Mann
holt sie ein. Nach dem dritten mißlungenen Versuch begibt sich der Jüngling zur Hexe
und verdient sich bei ihr mit Hilfe seines Schwagers ein Pferd, auf dessen Rücken er dann
mit Ilona flieht. Das Pferd, auf dem der starke Mann reitet, wirft seinen Reiter ab und kehrt
zu Ilona zurück.
Zeichen ungarischer Herkunft trägt auch eine polnische Variante aus den Beski-
den,40 die nach Polivka einen verderbten Einleitungsteil aufweist und einige Motive
aus anderen Typen übernommen hat:
Drei Mädchen sind mit Frost, Wind und Regen verheiratet. Ihr Vater bewacht zusammen
mit seinem Sohn im Garten des Königs einen Birnbaum. Eine Birne verwandelt sich in ein
Mädchen, halb weiß, halb schwarz; das entführt ein Drache. Da zieht der Sohn aus, das
Mädchen zu suchen und findet es in einem Wald. Trotz ihrer Warnung reicht er einem
gefesselten Dachen drei Glas Wasser, da fallen die Fesseln ab, der Drache packt das Mädchen
und fliegt mit ihr davon. Daraufhin sucht der Jüngling seine Schwäger auf und erfährt vom
Frost, wo der Drache das Mädchen gefangenhält. Dreimal versucht der Held, zusammen
mit dem Mädchen zu entfliehen, beim dritten Versuch wird er vom Drachen zerrissen.
Die Schwäger fliegen herbei und erwecken den Jüngling wieder zum Leben. Das Mädchen
erkundet auf seinen Rat hin vom Drachen, daß eine Hexe ein noch schnelleres Pferd als
das des Drachen besitze. Mit Hilfe dankbarer Tiere — eines Fisches, eines Vogels und eines
39 Etnograf. zbirnyk 25, i22f. (Nr. 22); Polivka, Kommentar 585. (Dort heißt es, daß
diese Erzählung zweifellos mit den ungarischen Versionen in Zusammenhang steht.)
40 Zbiör wiadomosci do antropologji krajowej Bd. 5, 223 (Nr. 31); Polivka, Kommentar
580.
ws’jmnmmrMi iwmyjm tjxusjh u
Der Märchentypus AaTh 302 (302C*) in Mittel- und Osteuropa 279
Iltisses — hütet er bei einer Hexe Stuten. Zur Belohnung erhält er ein Pferd, mit dessen
Hilfe er sein Mädchen befreit.
Polivka verweist noch auf eine ostgalizische Variante, in der drei Prinzessinnen
von bösen Geistern entführt werden. Der Bruder geht sie besuchen, wird freundlich
aufgenommen und erhält Gegenstände (Tuch und Messer), die ein ihm widerfahren-
des Unglück anzeigen sollen. Dann befreit er seine Schwestern.
Andere ukrainische Varianten stehen den belorussischen und den großrussischen
Versionen näher.
Eine ganz abweichende Einleitung und zugleich auch verschiedene Ungereimt-
heiten weist eine makedonische Variante aus der Sammlung von Verkovic41 auf:
Ein Hirt beobachtet, daß ein Schwein von der Herde weg in den Wald läuft und von dort
vollgefressen zurückkommt. Er folgt ihm und stellt fest, daß es zu Pferden geht, die von
Zwei Unholden in ihrem Waldsitz gehalten werden. Dort begegnet der Hirt der Schwester
der beiden Unholde; diese warnt ihn vor ihren Brüdern und bietet sich ihm selbst zur Frau
an. Sie übergibt ihm die Schlüssel von allen Zimmern, doch eines darf er nicht betreten,
denn ihre Brüder halten dort einen schrecklichen Neger (Araber) gefangen. Der Hirt ge-
horcht nicht, betritt den verbotenen Raum und bindet den gefangenen Neger los. Dieser
entführt dann auf einem schnellen Pferd die Frau des Hirten. Der Held macht sich auf die
Suche nach seiner Frau und erfährt von Blutsbrüdern seiner Schwäger, daß er den Neger
nicht erreichen könne. Von ihnen erhält er eine Waffe, mit deren Hilfe er finden kann, was
er nicht sieht. Eine alte Vila sagt dem Hirten, daß er sich bei ihr ein schnelles Pferd verdienen
könne. Das gelingt ihm mit Hilfe der Zauberwaffe, aber die Stute holt sich der Neger. Dann
rät die Vila dem Hirten, wie er dem Neger auf einem Füllen entfliehen könne. Er füllt einen
Lederschlauch mit Milch und legt ihn dem schlafenden Neger an den Mund. Der Neger,
dessen Pferd der Bruder jenes Pferdes ist, das dem Hirten gehört, holt die Flüchtigen ein,
doch auf den Rat seines Bruders wirft das Pferd des Negers seinen Reiter ab, und der Neger
kommt dabei um. Der Hirt nimmt dann das Pferd des Negers für sich, und das Mädchen
reitet auf dem Füllen.
Einige Varianten des Typus AaTh 302 (The Ogre’s Ileart in the Egg) enthalten
den Bericht von der Entführung der Frau nicht. Das Mädchen, das der Held be-
freit, ist manchmal die Tochter des Unholds. Dann entsteht eine ähnliche Situation
wie beim Typus AaTh 313 (The Girl as Helper in the Iiero’s Flight). Der Fähigkeit,
sich in Tiere zu verwandeln, bedient sich der Held gewöhnlich, um sich des Eies
zu bemächtigen, in dem das Herz (die Seele, das Leben) des Unholds verborgen ist.
So schlägt er beispielsweise in Gestalt eines Adlers eine Ente, die das Herz des
Unholds in sich birgt und davonzufliegen versucht.42
Das ist auch in einigen tschechischen Varianten der Fall, von denen sich eine in der
Sammlung Kuldas43 findet:
Der Sohn eines Kaufmanns rettet sich nach einem Schiffbruch auf eine Insel. Dort lebt
in einem einsamen Schloß eine Prinzessin, die in einen Bären verwandelt ist. Befreien kann
sie nur, wer drei Nächte hindurch alles erträgt, was ihm widerfährt. Dem Jüngling gelingt
41 P. A. Lavrov, J. Polivka, Lidov6 povidky jihomakedonske (Südmakedonische Volks-
erzählungen). Prag 1932, 430—435 (Nr. 39).
42 Zu diesem Motiv vgl. W. Liungman, Die schwedischen Volksmärchen. Berlin 1961,
48.
43 V. Tille, Soupis öeskych pohädek (Katalog der tschechischen Märchen), 2 Bde.
Prag 1929 — 1937. Bd. 2, 2. Teil 121 —122.
19*
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NM
280
Karel Horâlek
das, und er wird König. Mit militärischem Gefolge besucht er seine Eltern, darf aber seine
Stellung nicht verraten. Die Mutter dringt jedoch so lange in ihn, bis er ihr im Halbschlaf
alles eröffnet. Am Morgen sieht er, daß seine Soldaten verschwunden sind. Er kehrt zum
Schloß zurück, doch das ist öde und leer. Von einer Alten erhält er eine Waffe. Damit will
er einen Löwen, einen Hund und einen Adler erschießen, doch er verschont sie, als sie ihm
die Fähigkeit anbieten, Tiergestalt anzunehmen. Schließlich gelangt er zum Sitz eines
Riesen, verwandelt sich in einen Adler und fliegt über den Garten. Da sieht er, daß der Riese
dort seine Prinzessin gefangenhält. In einen kleinen Vogel verwandelt, gelangt er zu ihr,
zeigt sich ihr in seiner eigentlichen Gestalt und fragt sie, wie er sie befreien könne. Die
Prinzessin weiß es bereits: Er müßte einen siebenköpfigen Drachen erschlagen, der unweit
in einer Felsenhöhle haust, dann einen Hasen erlegen, der aus dem Drachen herausläuft,
hierauf eine Taube fangen, die sich im Hasen befindet, und aus der Erde ein Ei ausscharren,
das aus der Taube fällt und sich tief in die Erde eingräbt; mit diesem Ei könne er den Riesen
töten. Der Jüngling tut alles, zerreißt in Gestalt eines Löwen den Drachen, verwandelt sich
dann in einen Hund und erjagt den Hasen, fängt in Gestalt eines Vogels die Taube und
scharrt, wieder in Gestalt eines Hundes, das Ei aus der Erde.
Zum Motiv des übertretenen Verbotes in dieser Variante finden sich auch ander-
weitig Parallelen. In einer dänischen Variante44 handelt es sich um ein ähnliches
Verbot wie beim Typus AaTh 425 A (Amor and Psyche) :
Zum Sohn eines armen Fischers kommt einmal in einem Kahn ein Mädchen gefahren,
holt ihn in ihr Schloß, verspricht ihm, bei Nacht zu ihm zu kommen, doch dürfe er sie nie
ansehen. Nach einiger Zeit macht der Jüngling zu Hause einen Besuch, die Leute bewundern
seine schöne Kleidung, und sein Vater sagt ihm, er solle bei Nacht seine Frau betrachten.
Der Jüngling tut das nach seiner Rückkehr ins Schloß, woraufhin ihn die Frau fortjagt.
Dann irrt er durch die Wälder, hilft einem Bären, einem Hund und einem Adler bei der Tei-
lung der Beute und wird von ihnen mit der Fähigkeit begabt, Tiergestalt anzunehmen.
Schließlich kommt er zu der Prinzessin, die ein Räuber gefangenhält. Die Prinzessin muß
vorsichtig herausbekommen, wie der Zauberer getötet werden kann: Jemand muß ihm
sein Herz an die Stirn schlagen, dieses Herz aber ist in einer Taube verborgen, die Taube
in einem Fuchs und der Fuchs in einem Bär, der im Hof eines Schlosses, tausend Meilen
entfernt, auf und ab geht. Der Jüngling fliegt in Gestalt eines Adlers hin, besiegt als Bär
den Bären des Zauberers, packt, in einen Hund verwandelt, den Fuchs, schlägt, wieder in
Gestalt eines Adlers, die Taube und kehrt, das Ei im Schnabel, zum Sitz des Zauberers
zurück. Dort verwandelt er sich wieder in einen Menschen, schlägt dem Zauberer das Ei
an die Stirn und tötet ihn dadurch.
Die Rolle der dankbaren Tiere übernehmen manchmal die Tierschwäger. In einer
türkischen Variante aus Konstantinopel45 wird erst im zweiten Teil des Märchens
von den Tierschwägern erzählt:
Ein Padischah hat drei Söhne und drei Töchter. Vor seinem Tode bittet er seine Söhne,
drei Nächte hindurch an seinem Grabe Wache zu halten und ihre Schwestern den ersten
Freiern zu geben, die um sie anhalten. Die beiden älteren Brüder werden während ihrer
Wache von starkem Lärm erschreckt und verlassen den Friedhof. Als der jüngste die Toten-
wache übernimmt, gürtet er seinen Säbel (Handschar) um, und als unter großem Getöse
ein Drache erscheint, tötet er ihn. Er will ihm Ohren und Nase abschneiden, aber im Dunkeln
geht das nicht. Da sieht er in der Ferne ein Licht und geht ihm nach. Als er sich dem Licht
nähert, stößt er auf einen Greis, der ein schwarzes und ein weißes Knäuel in der Hand hält.
Wenn er das schwarze aufwickelt, nimmt die Nacht ab, wenn er aber das weiße laufen läßt,
44 L. Badker, Dänische Volksmärchen. Düsseldorf—Köln 1964, 1 —11 (Nr. x).
45 I. Kunos, Türkische Märchen aus Stambul. Leiden 1905, 125 ff. (Nr. 17); vgl. Eberhard-
Boratav, Typen türkischer Volksmärchen. Wiesbaden 1953, 25off., Nr. 213.
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Der Märchentypus AaTh 302 (302 C*) in Mittel- und Osteuropa 281
naht der Tag. Der Prinz fesselt den Greis, um die Ankunft des Tages zu verzögern. Dann
folgt er dem Licht weiter und kommt zu einer Burg, an deren Fuß vierzig Männer berat-
schlagen. Sie wollen in die Burg des Herrschers eindringen, wissen aber nicht, wie. Der
Prinz bietet sich an, ihnen zu helfen, wenn sie ihm das Licht übergeben. Die Räuber sind
einverstanden, der Prinz schlägt in die Mauer der Burg bis zum Dach Klammern ein,
steigt hinauf und ruft dann den Räubern zu, ihm zu folgen. Oben schlägt er einem nach
dem andern den Kopf ab und wirft sie auf den Burghof. Dann steigt er selbst zum Burghof
hinab und tötet dort eine Schlange, vergißt aber, seinen Säbel aus ihrem Körper heraus-
zuziehen. Im Palast durchschreitet er drei Zimmer, erblickt dort drei Mädchen, verliebt
sich in die jüngste, geht aber unbemerkt fort, löst dem Greis die Fesseln, schneidet dem
getöteten Drachen Ohren und Nase ab und kehrt nach Hause zurück.
Nach einiger Zeit kommt ein Löwe und bittet um die älteste Schwester. Der älteste
Bruder, der die Herrschaft übernommen hat, will nicht einwilligen, aber der Prinz erinnert
ihn an den letzten Willen des Vaters, und der Löwe erhält das Mädchen. Dann kommt ein
Tiger und holt die zweite Schwester, die dritte aber bekommt ein Smaragdvogel.
Inzwischen hat man in der Burg, auf der der Prinz die Räuber und die Schlange erschlagen
hat, nach dem Helden und Wohltäter, der dort sein Schwert vergessen hat, zu forschen
begonnen. Der Wesir rät dem Padischah, ein Bad bereiten zu lassen, in dem alle Gäste um-
sonst baden können; den Retter werde man an seiner leeren Scheide erkennen. Tatsächlich
stellt sich der Prinz ein, der Padischah läßt ihn zu sich rufen, dankt ihm und fragt, was er
als Belohnung verlange. Der Prinz will die jüngste Prinzessin, der Padischah warnt ihn vor
dem Windteufel (Dev), dem er seine Tochter verweigert hat, doch der Prinz läßt sich nicht
abweisen. Er lebt dann mit der Prinzessin und weicht nicht von ihrer Seite, doch einmal geht
er auf die Jagd. Der Dev hat auf diesen Augenblick gewartet und entführt die Frau.
Der Mann zieht aus, sie zu suchen, kommt unterwegs nacheinander zu seinen Schwestern,
und alle Tierschwäger nehmen ihn freundlich auf (die Angst der Schwestern war völlig
unbegründet). Erst der Vogelschwager weiß, wo der Dev seinen Sitz hat. Der Prinz kommt
gerade in dem Augenblick hin, in dem der Unhold seinen vierzigtägigen Schlaf beginnt,
und flieht mit seiner Frau. Als der Dev erwacht, holt er die Flüchtigen noch leicht ein und
tötet den Prinzen. Die Frau legt den Leichnam auf das Pferd, das ihn zum Vogelschwager
trägt. Dieser gibt dem Toten das Leben wieder und rät, zunächst herauszubekommen,
wo der Dev seinen Lebenstalisman verborgen habe. Der Dev vertraut ihr folgendes an:
Auf einer fernen Insel weide ein Ochse, der habe einen Käfig im Bauch, in diesem Käfig
aber sitze eine Taube, das sei der Talisman des Dev. Er verrät ihr auch, wie man auf die
Insel gelangen kann. Daraufhin erwirbt der Prinz den Käfig mit der Taube. Als er mit seiner
Frau flieht, weist ihn das Pferd im letzten Augenblick auf die ihm drohende Gefahr hin, der
Prinz tötet die Taube und damit den Dev. Nach ihrer Rückkehr wird Hochzeit gefeiert.
In einigen Varianten bemächtigt sich der Held auf ähnlich komplizierte Weise
nicht des Eies mit dem Herzen (der Seele) des Unholds, sondern des Schlüssels zu
der Höhle, in der der Unhold wohnt und die Prinzessin gefangenhält. So ist es in
einer slowakischen Variante46 folgenden Inhalts:
Der Sohn einer armen Witwe verläßt sein Vaterhaus, um sich und seiner Mutter das
Leben leichter zu machen. Auf einer Wiese sieht er, wie sich ein Wolf, ein Adler und eine
Ameise um die Beute streiten. Er teilt sie gerecht und erhält von jedem zur Belohnung eine
goldene Rute, mit deren Hilfe er sich in ihre Gestalt verwandeln kann. Dann kommt er in
eine Stadt, in der der König seine Tochter in einen Turm gesperrt hat, damit sie nicht mit
Männern in Berührung komme. Der Jüngling fliegt in Gestalt eines Adlers auf den Turm
und sieht, wie schön die Prinzessin ist. Am Abend fliegt er erneut hin, verwandelt sich oben
in eine Ameise und kriecht durch eine Ritze in das Gemach der Prinzessin, wo er seine
menschliche Gestalt annimmt. Die Prinzessin erschrickt und beginnt zu schreien, so daß
sich der Jüngling wieder in eine Ameise zurückverwandeln muß. Beim zweitenmal fürchtet 48
48 Polivka, Süpis Bd. 2, n —12.
\) v?tiif/M'A'lawunsm^mmn
282 Karel Horälek
sich die Prinzessin nicht mehr, sie lieben einander, und die Prinzessin wird schwanger.
Als der König das feststellt, wird er böse, ordnet dann aber die Hochzeit an.
Als die Jungvermählten einmal mit ihrem Gefolge unterwegs sind, jagt der Mann im
Walde einem Hasen nach; auch die Prinzessin entfernt sich vom Gefolge. Da erscheint ein
sechsköpfiger Drache und entführt sie in eine Felsenhöhle. Der Mann versucht, mit seinen
Soldaten in die Höhle einzudringen, aber vergeblich. Da fliegt er in Gestalt eines Adlers
über den Felsen und entdeckt eine Ritze. Der Drache ist irgendwo draußen. Der Mann
rät seiner Frau, von dem Unhold herauszubekommen, worauf dessen Stärke beruhe. Sie
erfährt, daß er einen Hasen bei sich trage, der Hase hat in sich eine Taube und die Taube
im Herzen einen Schlüssel, mit dem sich das Schloß zur Höhle öffnen lasse. Nun holt
der Held sein Schwert, lauert dem Drachen auf und schlägt ihm zuerst drei Köpfe ab, am
nächsten Tag die restlichen drei. Als er den Bauch des Drachen auf schlitzt, springt ein
Hase heraus, den packt der Held in Gestalt eines Wolfes. Aus dem Hasen fliegt eine
Taube heraus, die reißt der Held in Gestalt eines Adlers. In der Taube findet er den Schlüssel,
er öffnet das Schloß, und der Felsen zerfällt. Dann kehrt der Held mit seiner Frau nach
Hause zurück und holt die Mutter zu sich.
In einer weiteren slowakischen Variante47 48 befreit der Held nicht seine Frau,
sondern seine Schwester aus der Macht des Drachen:
Der Held gewinnt die Dankbarkeit von Tieren und kann sich in einen Löwen, einen
Windhund und einen Raben verwandeln. Will man den Drachen töten, muß man zunächst
den Bruder des Drachen umbringen; in dem Drachen ist ein Hase, in dem Hasen eine Taube,
in der Taube ein Ei, das muß man dem Drachen gegen die Stirn schlagen. Der Held führt
einen harten Kampf mit dem Drachen und stärkt sich dabei mit Wein, den ihm seine Schwe-
ster auf den Weg mitgegeben hat. Als er mit dem Ei auch den zweiten Drachen erschlägt,
verwandelt sich das schwarze Drachenschloß in einen schönen Palast, und die verwunsche-
nen Menschen nehmen ihre ursprüngliche Gestalt an.
In einigen Varianten bemächtigt sich der Held des Eies, in dem sich das Herz
des Unholds befindet, nicht dadurch, daß er selbst Tiergestalt annimmt, sondern
indem er Tiere zu Hilfe ruft. So ist es beispielsweise in einem norwegischen Märchen,
das bereits in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts veröffentlicht wurde
und auch mehrmals in deutscher Sprache erschien.48 Wahrscheinlich sind mehrere
mitteleuropäische Varianten von diesem nordischen Märchen abgeleitet. Von
einem Text läßt sich das mit absoluter Sicherheit sagen. Es handelt sich um folgenden
Inhalt:
Sechs Prinzen ziehen auf Brautschau aus; dem siebenten, dem jüngsten, den sie Aschen-
brödel nennen und der zu Hause bleiben muß, wollen sie eine Braut mitbringen. Bei einem
König erhalten sie dessen sechs Töchter zu Gemahlinnen. Auf dem Rückweg kommen sie
an einem Felsen vorbei, in dem Riesen wohnen, und einer der Riesen verzaubert alle in
Steine. Als sie lange nicht zurückkommen, macht sich der jüngste Bruder auf den Weg,
seine Brüder zu suchen. Unterwegs gewinnt er die Dankbarkeit eines Raben, eines Fisches
und eines Wolfes. Auf dem Rücken des Wolfes, dem er sein Pferd geopfert hat und der ihn
nun unterwegs berät, gelangt er zum Wohnsitz des Riesen. Der Riese hält dort eine Prinzes-
sin gefangen, die bereits von ihm das Geheimnis seines Lebens erkundet hat: Weit von hier
befindet sich eine Insel, auf der Insel steht eine Kirche, in der Kirche ist ein Brunnen,
darauf schwimmt eine Ente, in der Ente ist ein Ei und darin das Herz des Riesen. Der
Prinz gelangt auf dem Rücken des Wolfes auf die Insel, der herbeigerufene Rabe wirft ihm
47 Ebda Bd. 2, 12 — 14.
48 K. Stroebe, Nordische Märchen, Bd. 2, Jena 1919, 119 —125 (Nr. 23 : Von dem Riesen,
der sein Herz nicht bei sich hatte).
Der Märchentypus AaTh 302 (302C*) in Mittel- und Osteuropa
283
vom Turm den Schlüssel zur Kirche herunter, und als die Ente das Ei ins Wasser fallen
läßt, holt es der Fisch heraus. Als der Prinz das Ei zum erstenmal drückt, stöhnt der Riese
laut, beim zweiten Drücken bittet er den Prinzen um Gnade. Der Prinz zwingt ihn, die
Brüder und deren Bräute wieder lebendig zu machen, dann zerdrückt er das Ei, und der
Riese zerspringt.
Eine nur wenig veränderte Reproduktion dieses nordischen Märchens findet
sich in der von A. Merkelbach-Pinck besorgten Sammlung Lothringer Volksmärchen.49
Sogar der Titel des norwegischen Märchens ist beibehalten. In den Anmerkungen
wird auf S. 322 nur auf das Märchen Die Kristallkugel (Nr. 197 in der Sammlung
der Brüder Grimm) verwiesen, und auf S. 318 wird als Erzähler ein alter Mann
genannt, der ein in seiner Jugend gekauftes Märchenbuch sehr geliebt habe. Es
handelt sich jedoch ganz einwandfrei um eine Wiedergabe der deutschen Über-
setzung aus der Sammlung Märchen der Weltliteratur, die sich der Erzähler erst
hätte besorgen können, als er 50 Jahre alt war; den Text hätte er auswendig lernen
müssen und bei der Reproduktion nur geringfügig verändern dürfen.
In einem polnischen Märchen aus Schlesien50 helfen dankbare Tiere dem Helden
beim Kampf mit dem Drachen. Der Anfang dieser Variante erinnert an den Typus
AaTh 400 (The Man on a Quest for his Lost Wife) bzw. 401A (Enchanted Princesses
and their Castles). Das Märchen hat auch einen eigenartigen Schluß, es ist im ganzen
recht verworren, enthält aber interessante Einzelheiten:
Zwölf Brüder ziehen in die Welt. Sie kommen in ein verwunschenes Schloß, wo sie
Speisen und zwölf Betten vorbereitet finden. In der Nacht kommen zwölf Prinzessinnen
und legen sich zu ihnen. Elf Brüder können der Versuchung nicht widerstehen, der jüngste
aber läßt seine Prinzessin allein und kriecht selbst unter das Bett. Am Morgen kommt
der Vater der Mädchen und tötet alle, die mit den Prinzessinnen geschlafen haben. Der
jüngste erfährt von der Prinzessin von dem Fluch, der auf ihnen ruht, und von dem Ort,
wo ihr Vater seinen Sitz hat. Unterwegs teilt er zwischen einem Wolf, einem Kranich und
einer Maus die Beute, die Tiere erweisen sich ihm dadurch dankbar, daß er in die Lage
versetzt wird, ihre Gestalt anzunehmen. Das macht es ihm möglich, zum Sitz des Unholds
zu gelangen, wo ihn seine Prinzessin voll Freude begrüßt. Er verlangt von ihr, von ihrem
Vater herauszubekommen, wie er sie befreien könne. Der Vater sagt, an einem fernen Ort
lebe ein Drache, in dem Drachen sei eine Taube, in der Taube ein Ei, dessen müsse er
habhaft werden, denn mit Hilfe dieses Eies könnten alle erlöst werden. Der Jüngling ge-
langt an den Ort, an dem das Ei verborgen ist. Als er sich zum Kampf mit dem Drachen
anschickt, eilen ihm die dankbaren Tiere zu Hilfe. Er kehrt mit dem Ei zum Vater seines
Mädchens zurück, der berührt damit die Stirnen seiner Töchter und dann seine eigene
Stirn, dadurch wird das ganze Königreich erlöst.
Das Motiv der Erlösung von einem Fluch, aber in anderer Gestalt, enthalten
auch sonstige Varianten, beispielsweise eine serbische aus Slawonien:51
Zwei Brüder geben, getreu dem Wunsche ihres verstorbenen Vaters, ihre Schwester
dem ersten Freier, der sich einstellt. Zuerst zieht der ältere Bruder aus, sie zu suchen. Er
kommt zu einer Alten, die ihm große Schwierigkeiten prophezeit und zur Umkehr rät,
aber er läßt sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Dann will er von einem Baum
49 A. Merkelbach-Pinck, Lothringer Volksmärchen. Düsseldorf— Köln 1961, 295—302
(Nr. 53: Von dem Riesen, der sein Herz nicht bei sich hatte).
50 J. Lompa, Bajki i podania (Märchen und Sagen). Wroclaw—Warszawa —Krakow
1965, 44—45 (Nr. 4: Dusza potwora v jaju [Die Seele des Unholds im Ei]).
51 Zbornik za nar. zivot i obicaje juznich Slavena 17 (19x2) 167 (Nr. 41).
LÜ WilUfMfl IWMIJUVffcr#r/iJJJV» —-
284 Karel Horälek
Obst pflücken, aber der Baum entfernt sich von ihm; als er schließlich stehen bleibt, steigt
ein Greis von ihm herunter, warnt den Jüngling vor der Alten und zaubert für ihn ein
Gastmahl. Schließlich fliegt er mit ihm zu der Burg, auf der seine Schwester wohnt. Der
Jüngling erfährt, daß der alte Zauberer ihr Mann ist; er hat ihn zur Burg gebracht, um ihn
dort umzubringen.
Nach einiger Zeit macht sich auch der jüngere Bruder auf den Weg. Er kommt in eine
eiserne Stadt, tötet dort entsprechend dem Rat einer gefangenen Prinzessin einen Drachen,
und die verwunschene Stadt lebt auf. Hernach kommt er zu der Alten, bei der bereits sein
Bruder gewesen ist, und der Greis bringt auch ihn zu seiner Schwester. Als der Unhold
schläft, will ihn der Jüngling töten; da erblickt er am Hals des Alten ein Futteral, öffnet es
und holt einen Vogel heraus. Der Geist fleht ihn an, ihn nicht zu töten, und verrät, wie der
ältere Bruder wieder zum Leben erweckt werden kann. Der jüngere Bruder tötet den Vogel,
der Dämon verschwindet, und an seiner Stelle erscheint ein Jüngling, der für seine Befreiung
dankt und die Brüder um die Hand ihrer Schwester bittet. Er war verurteilt, in der Gestalt
eines Unholds zu leben, solange ihn nicht jemand „im Körper seiner Seele“ tötet.
Keinen engeren Zusammenhang mit den mitteleuropäischen und den osteuropäi-
schen Versionen weisen die Varianten aus Makedonien und Bulgarien auf. Ähnlich
wie die serbischen und die kroatischen Varianten haben sie einen gelockerten Sujet-
Aufbau und sind mit Elementen aus verschiedenen anderen Typen durchsetzt.
Einige bulgarische Varianten haben nahe Parallelen in der serbischen Überlieferung.
In einer Variante aus der Gegend von Sofia52 wird folgendes erzählt:
Der jüngste Sohn verheiratet nach dem Vermächtnis seines Vaters seine drei Schwestern
an Adler. Er selbst erhält eine Prinzessin zur Frau, nachdem er die von deren Vater gestellte
Bedingung erfüllt hat: verschiedene Getreidekörner zu sortieren, was ihm mit Hilfe von
Ameisen gelingt. (Diese sind ihm dankbar, weil er sie nicht zertreten hat.) Auf der Jagd
fängt er einen Zwerg (Lokctbrada) und bringt ihn zu seinem Schwiegervater. Der Zwerg
entführt dann die Frau des Jünglings.
Dieser zieht aus, sie zu suchen, und begegnet unterwegs seinen Schwägern und Schwe-
stern. Erst vom ältesten erfährt er, wie er seine Frau finden und befreien kann: Einmal in
zehn Jahren öffnet sich am Georgstag eine Höhle, und es laufen schnelle Pferde heraus.
Diese werden von Wölfen und Bären bedroht. Ihnen muß man Ziegen und Schafe vor-
werfen, der Held aber muß ein zwölf seifiges [?] Pferd fangen. Das gelingt dem Helden,
und er befreit seine Frau aus der Macht des Zwerges.
Auf ähnliche Weise gewinnt der Held sein Zauberpferd in einer Variante, die bei
den Zigeunern in Serbien erzählt wird.53
In einigen Varianten erscheinen Elemente, die auf den Orient weisen, so in einer
Variante aus Südbulgarien (Rhodopengebirge) :54
Drei Prinzessinnen werden vom jüngsten Bruder ohne Zustimmung des Vaters und der
übrigen Brüder an Riesen verheiratet. Die Brüder ziehen nacheinander aus, um eine be-
rühmte Schönheit zu gewinnen, und begegnen unterwegs ihren Schwägern. Die beiden
älteren verschlingt der älteste Unhold (Juda). Erst dem jüngsten gelingt es, zu der Schönen
zu gelangen, und zwar in Vogelgestalt. Mit Hilfe eines Zaubersteines, dessen er sich mit
List bemächtigt, vollbringt er Aufgaben, die ihm die Schöne stellt, und heiratet sie dann.
Ähnliche Verhältnisse wie in der südslawischen Tradition bestehen auch im
griechischen Süden. Dem üblichen Schema entspricht weitgehend eine griechische
52 Sbornik za narod. umotvor. 3 (1890), 208 (Nr. 2).
53 T. R. Gjorgjeviö, Die Zigeuner in Serbien, Bd. 2. Budapest 1906, 92 —95; vgl. Polivka,
Kommentar 588.
54 Sbornik ... 9 (1896), 141 —144; Polivka, Kommentar 588.
inrhmyrtiiiiu iit«viM ««.
Der Märchentypus AaTh 302 (302 C*) in Mittel- und Osteuropa 285
Variante,55 in der ein Neger, eine typische Gestalt der türkischen und der Balkan-
Tradition, die Frau des Helden entführt. Mit der Erzählung von der Gewinnung
eines Zauberpferdes schließt sie sich der südslawischen Überlieferung an:
Ein König hat drei Söhne und zwei Töchter; die eine wird an den König der Vögel, die
andere an den König der Vierfüßler verheiratet. Der Held findet in den Haaren seiner Frau
ein goldenes Schlüsselchen und probiert so lange, bis er damit einen Schrank öffnet, in dem
ein häßlicher Neger auf einem Flügelroß gefesselt ist. Der Neger entführt dann die Frau
des Helden.
Dieser zieht aus, sie zu suchen, und kommt unterwegs zu der Schwester, die den König
der Vögel zum Mann hat. Dort erfährt er von einem alten Adler, wo seine Frau ist und daß
ihn der Neger auf seinem Flügelroß einholen würde, wenn er versuchte, sie zu befreien.
Der Held unternimmt es trotzdem und wird von dem Neger zerstückelt. Aber der Adler
bringt ihn zum König der Vögel, und dieser erweckt ihn wieder zum Leben. Dann kommt
er zur zweiten Schwester. Deren Mann, der König über alle Vierfüßler, erteilt ihm Rat-
schläge, wie er ein ähnliches Pferd, wie es der Neger besitzt, gewinnen kann; er muß jene
Tiere, die den Berg bewachen, aus dem die Pferde herauslaufen, mit Zauberwasser ein-
schläfern.
Polivka führt (S. 589) an, daß auch ein griechisches Märchen aus der Sammlung
Kretschmers56 damit verwandt sei, aber dort fehlt die Erzählung von der Ent-
führung. Der Held findet mit Hilfe seiner Tierschwäger die Schöne, die ihm im
Traum erschienen ist. Sie ist liebeskrank, und er gewinnt sie dadurch, daß er sich in
Tiere verwandeln kann.
Den Schluß nach dem Typus AaTh 302 weist eine nahestehende Variante aus
Albanien57 auf:
Drei Brüder verheiraten ihre drei Schwestern an Sonne, Mond und Südwind. Nach
einiger Zeit wollen sie nachsehen, wie es ihren Schwestern geht. Unterwegs schlagen sie an
einem verlassenen Ort ihr Nachtlager auf. Ein Drache sieht ihr Feuer und stürzt sich auf den
ältesten der Brüder, der Wache hält. Der fürchtet sich jedoch nicht und schlägt mit seinem
Säbel dem Unhold den Kopf ab; seinen Brüdern sagt er nichts davon. Das gleiche wiederholt
sich in der folgenden Nacht beim mittleren und in der dritten Nacht beim jüngsten Bruder.
Diesem gelingt es jedoch nicht, den Drachen mit einem Hieb zu töten, und beim Kampf
erlischt das Feuer. Der Jüngling erblickt auf einem Berg ein Licht und macht sich auf, von
dort Feuer zu holen. Unterwegs stößt er auf die Mutter der Nacht und fesselt sie, damit sie
mit der Morgendämmerung warte, bis er zurückkehrt. Dann kommt er zum Lager von zwölf
Räubern. Um sich Feuer nehmen zu können, hebt er einen schweren Kessel hoch, die
Räuber bewundern seine Kraft und nehmen ihn auf einen Raubzug mit. Sie wollen in den
Königspalast eindringen und dort Pferde stehlen. Dazu graben sie sich unter der Mauer
einen Gang. Als sie durchgekrochen sind, ruft der Jüngling, sie seien verraten, und als sie
umkehren, schlägt er einem nach dem andern den Kopf ab.
Als der König am Morgen die erschlagenen Räuber sieht, will er den Helden kennen-
lernen, der seinen Besitz gerettet hat. Er läßt ein Gasthaus errichten, wo Wanderer umsonst
essen und übernachten können, doch müssen sie von ihren Abenteuern berichten. Als drei
Brüder hinkommen, erkennt der Wirt aus der Erzählung des jüngsten, daß er der gesuchte
Held ist. Der Jüngling erhält als Belohnung die Tochter des Königs zur Frau. Am Hoch-
zeitstag werden nach Landesbrauch Verbrecher aus dem Gefängnis entlassen. Auf die
Fürsprache des Bräutigams, aber gegen den Willen des Königs, wird auch ein Mann ent-
55 E. Legrad, Recueil des contes populaires grecs. Paris 1881, 145 ff. (Nr. 16: Le Draco-
phage).
56 P. Kretschmer, Neugriechische Märchen. Jena 1917, 77 (Nr. 26).
57 A. Leskien, Märchen vom Balkan. Jena 1915, 272 ff. (Nr. 59).
-
286 Karel Horälek
lassen, der zur Hälfte aus Eisen ist. Kaum ist er frei, ergreift er die Prinzessin und fliegt mit
ihr davon. Der König zürnt, der Schwiegersohn aber verspricht ihm, daß er die Prinzessin
bald finden werde.
Er macht sich auf die Suche und besucht unterwegs nacheinander seine drei Schwestern.
Diese verstecken ihn immer erst vor ihren Männern, aber die Schwäger sind friedlich.
Von dem Mann, der halb aus Eisen ist, wissen sie nichts. Der Südwind aber rät dem Jüng-
ling, unterwegs einen großen Falken aufzusuchen und sich zu dem Unhold tragen zu lassen.
Der Jüngling muß den Falken zunächst füttern und auch auf den Weg einen großen Fleisch-
vorrat mitnehmen. Als das Fleisch zu Ende ist, schneidet der Jüngling aus seinen Lenden
Fleischstücke heraus. Diese Stücke spuckt jedoch der Falke am Ziel ihres Fluges aus und
läßt sie an ihrem ursprünglichen Platz wieder anwachsen.
Bei dem Unhold versteckt die Prinzessin ihren Mann, der Unhold findet ihn aber, saugt
ihm das Blut aus und wirft den Leichnam fort. Der Falke gibt dem Jüngling mit Hilfe von
Schwalbenmilch das Leben wieder. Dieser erteilt sodann seiner Frau den Rat, sich krank
zu stellen und vom Unhold herauszubekommen, wo seine Kraft verborgen ist. Der Unhold
belügt sie zuerst, dann aber bekennt er, daß seine Kraft in einem Eber auf einem fernen Berg
verborgen ist. Der Eber hat in einem silbernen Zahn einen Hasen, der Hase in seinem Bauch
drei Tauben, und in diesen wohnt die Kraft des Riesen. Der Jüngling sucht den Eber,
überwindet ihn im Kampf und kehrt mit den drei Tauben zum Unhold zurück. Dieser ist
bereits geschwächt und stirbt, als der Jüngling die Tauben tötet. Dann fliegt der Held mit
seiner Frau auf dem Rücken des Falken den steilen Berg hinunter und kehrt zu seinem
Schwiegervater zurück. Der König läßt für ihn voll Freude ein Festmahl bereiten.
Die Belege dafür, wie labil der Typus AaTh 302 ist, ließen sich leicht vermehren.
Die große Variabilität hängt auch mit seiner großen geographischen Verbreitung
zusammen. Die Erzählung vom Tod des Unholds wird mit verschiedenen Stoffen
kombiniert, ja der Typus AaTh 302 hat eigentlich keinen festen Kern.
Soweit die Befreiung der entführten Frau als dieser Kern gelten kann, ist die Ver-
wandtschaft mit dem Typus 302 C offensichtlich, und es entstehen auch die Voraus-
setzungen für eine Kontamination. Beim Typus 302B kommt es nicht zu einer Ver-
schmelzung, weil hier der Entführer kein dämonisches Wesen ist.
Aus dem vorgelegten Überblick der Märchen vom Typus AaTh 302, der nur
Proben bieten konnte, lassen sich folgende Schlußfolgerungen ziehen:
x. Es handelt sich um eine stark differenzierte Tradition, die der internationale
Katalog der Märchentypen nicht gut erfaßt. Deutlich hebt sich von dem Grund-
typus AaTh 302 eine Gruppe von Texten ab, in denen der Held seine Frau aus der
Macht eines Unholds mit Hilfe eines Zauberpferdes befreit, das er sich auf besondere
Weise verdienen muß. Diese Gruppe von Texten bildet einen selbständigen Typus
und sollte im internationalen Katalog als Nr. 302 A oder 302B eingeordnet werden.
Weil diese Nummern aber bereits (wenig günstig) anderweitig besetzt sind, muß
man für den Typus „Der Held befreit seine Frau aus der Macht eines Unholds mit
Hilfe eines Zauberpferdes“ die Signatur AaTh 302 C* wählen.
2. Die Texte dieser Gruppe enthalten oft Elemente des Typus AaTh 552A
(Three Animais as Brothers-in-law, ,Tierschwäger*), aber diese Elemente bilden im
Typus AaTh 302 C* nur eine Nebenkomponente.
3. Der Typus AaTh 302C* wird — ähnlich wie der Typus AaTh 302 (The Ogre’s
Heart in tlie Egg) — auch durch Elemente erweitert, durch die er in enge Verbindung
mit dem Typus AaTh 554 (The Grateful Animais) kommt. Im Typus AaTh 302C*
gewinnt der Held die Dankbarkeit der Tiere in der Regel dadurch, daß er ihnen
Der Märchentypus AaTh 302 (302C*) in Mittel- und Osteuropa
287
bei der Teilung der Beute hilft. Die Tiere helfen dem Helden gewöhnlich, die ver-
schwundenen Pferde zu finden, während er bei einer Hexe dient.
4. In mehreren Texten des Typus AaTh 302 erhält der Held von den dankbaren
Tieren die Fähigkeit, ihre Gestalt anzunehmen. Diese Fähigkeit ermöglicht es ihm
zunächst, in den Wohnsitz des Unholds zu gelangen, am Schluß des Märchens aber
auch noch, sich des Eies zu bemächtigen, in dem das Herz (das Leben, die Seele)
des Unholds verborgen ist.
5. Eine verhältnismäßig stabile Komponente des Typus AaTh 302 C* ist die
Episode von der Befreiung eines Unholds (eines Drachen) aus der Gefangenschaft
bei der Frau des Helden. Der Held verstößt gegen das Verbot, einen bestimmten
Raum zu betreten, findet dort den Unhold gefesselt, gibt ihm zu trinken, der Unhold
erhält seine Kraft wieder, befreit sich aus den Fesseln und fliegt davon, wobei er sich
noch der Frau des Helden bemächtigt. Oft erscheint in den Varianten des Typus
AaTh 302C* auch die Erzählung von der Tötung und der Wiederbelebung des
Helden. Der Unhold vereitelt dreimal den Fluchtversuch des Helden und verzeiht
ihm aus Dankbarkeit für seine Befreiung aus der Gefangenschaft. Als er den Helden
jedoch zum vierten Mal auf der Flucht ertappt, tötet er ihn. Den Toten erwecken
gewöhnlich seine Tierschwäger wieder zum Leben. Mit dieser Erzählung nähert
sich der Typus AaTh 302 C* den neuzeitlichen Varianten des altägyptischen Mär-
chens von den zwei Brüdern, häufiger der westlichen Version (AaTh 318: The
Faithless Wife) als der östlichen (AaTh 302B: Hero with Life Dependent on his
Sword, 516B: The Abducted Princess).
6. Unter den Varianten des Typus AaTh 302 C* bilden jene Texte, in denen der
Jüngling ein Heldenmädchen zur Frau gewinnt, eine besondere Gruppe. Von diesem
Mädchen erhält er an einem Ort Kunde, der mit den Leichen der von dem Mädchen
erschlagenen Soldaten übersät ist. In einigen Varianten kämpft er mit dem Flelden-
mädchen und überwindet sie, in anderen gewinnt er sie kampflos. Diese Episode hat
ebenfalls ihre Parallelen im Typus AaTh 302B sowie in anderen Märchen zumeist
orientalischen Ursprungs.58 Die Gestalt des Heldenmädchens findet sich beim Typus
AaTh 302 C* in osteuropäischen und mitteleuropäischen Varianten.
7. Eine besondere mitteleuropäische Version des Typus AaTh 302 C* bilden die
Varianten mit dem Motiv des hohen Baumes. In diesen Texten gewinnt der Held eine
Schöne zur Frau, die er trifft, als er zur Krone eines in die Wolken reichenden Baumes
emporsteigt. Die Varianten mit der Einleitung vom hohen Baum sind am zahlreichsten
bei den Ungarn und ihren Nachbarn vertreten, in anderen mitteleuropäischen
Gebieten treten sie nur vereinzelt auf. (Vgl. AaTh 317.)
8. Im Vergleich zum Typus AaTh 302 C* ist der Typus AaTh 302 weit differen-
zierter. Hier lassen sich keine scharf umrissenen Oikotypen herauslösen. Auch die
ostslawischen Varianten, die N. V. Novikov für eine selbständige Gruppe hält,
bilden darin keine Ausnahme. Zur eingehenderen Charakteristik der Oikotypen
fehlen hier noch die notwendigsten Voraussetzungen.
Deutsch von Günter Jarosch, Berlin
58 Auch im türkischen Dastan Sah Ismail; vgl. Zs. für Balkanologie 3 (1965) iioft.
Herkules, Daniel oder Samson?
Ein Beitrag zur Ikonographie sowie zum Problem
der Volkstümlichkeit und ethnischen Herkunft figürlicher Bienenstöcke
Von Richard Jeräbek
In einer kleinen Untersuchung über die anthropomorphen Bieneri-Klotzbeuten
aus Ostmähren habe ich versucht, die Grenzen und die Häufigkeit des Vorkommens
von figürlich verzierten Bienenstöcken westlich der mährisch-slowakischen Grenze
zu präzisieren. Außerdem habe ich mich in einer ausführlicheren Studie über die im
Grenzgebiet der Mährischen Walachei festgestellten Klotzbeuten, deren Fluglöcher
in Form eines menschlichen Gesichts gestaltet sind, um die Lösung der Frage nach
der Volkstümlichkeit und der ethnischen Herkunft solcher Fluglochmasken be-
müht.1 Sinn dieser beiden Beiträge war es vor allem, einige unrichtige, in der volks-
kundlichen Literatur jedoch fest verwurzelte Meinungen von der starken Verbrei-
tung und hohen Volkstümlichkeit von figürlichen Fluglochumrandungen und Figu-
renbeuten zu korrigieren. Auf Grund eingehender Feldforschung sowie intensiven
Studiums von Archiv-, Museums- und literarischem Material kam ich zu gerade
entgegengesetzten Schlußfolgerungen: Fluglochmasken und Figurenbeuten treten
im tschechischen volkstümlichen Milieu in Ostmähren nur sporadisch auf, und viele
der erhaltenen oder wenigstens durch Fotos oder Beschreibungen belegten Flugloch-
umrandungen in Gesichtsform und Figurenstöcke sind nachweisbar nicht volks-
tümlicher Herkunft. Die meisten dieser Fluglochmasken wurden nach meinen
Feststellungen am Ende des 19. Jahrhunderts von dem Schnitzer Vinzenz Czepel
aus der Gemeinde Zenklava (Senftleben) bei Stramberk (Stramberg), einem Auto-
didakten deutscher Nationalität, hergestellt. Ihre jüngere Schicht ist zum Teil die
Arbeit eines Laien, der sie auf Bestellung für die Sammlungen des Freilichtmuseums
in Roznov pod Radhostem (Rosenau) schnitzte, zum Teil aber das Werk eines
akademischen Bildhauers, der sie für die instruktive Sammlung der dortigen Land-
wirtschaftlichen Fachschule schuf. Klotzbeuten mit figürlichem Reliefschmuck
kommen in diesem Gebiet sehr selten vor, und ihr handwerkliches und künstleri-
sches Niveau ist auffallend niedrig. Weder die Fluglochmasken noch die Figuren-
beuten gehören also zu den typischen Äußerungen der tschechischen Volkskunst
in Ostmähren. Übrigens waren Fluglöcher dieser Art auch nicht in anderen Gebieten
der böhmischen Länder und der Slowakei in größerer Zahl verbreitet, und auch
Figurenbeuten kommen im tschechischen Ethnikum nur sehr selten vor.
1 R. Jeräbek, Antropomorfni klätove üly z vychodni Moravy (Anthropomorphe
Bienen-Klotzbeuten aus Ostmähren). Sloväcko 7 (1965) 62 — 65; ders., Identifikace obliöe-
jovych öesen z vychodni Moravy (Identifizierung der Fluglochmasken an Bienenstöcken
in Ostmähren). Öesky lid 53 (1966) 95 — 102.
«/invimrtiRnTiviiiiu
»JIHHI
Herkules, Daniel oder Samson? 289
Im Hinblick auf diese Feststellungen ist der Fund einer Figurenbeute auf der Burg
Buchlov (Buchlau) im Marsgebirge (Chriby) unweit der Stadt Uherské Hradisté
(Ungarisch-Hradisch) in Südostmähren bemerkenswert. Es handelt sich nämlich
dabei um ein in der ganzen Tschechoslowakei einzig dastehendes Exemplar, das
hier keine einzige erhaltene Parallele im Terrain hat; auch die tschechischen und
die slowakischen Museen besitzen in ihren Sammlungen keinen analogen Figuren-
stock. Das erwähnte Stück ist eine riesige Klotzbeute mit einem Hochrelief, das einen
Mann darstellt, der einem Löwen den Rachen aufreißt; der Rachen bildet das Flug-
loch. Das Grundmaterial ist Holz, doch ist der gesamte Bienenstock mit einer stellen-
weise gröberen, stellenweise feineren Putzschicht überdeckt. Der heutige Zustand
des Bienenstocks ist leider sehr schlecht. Da er jahrelang den rauhen Witterungs-
einflüssen ausgesetzt war, ist die Struktur des Holzes stark zerstört; im unteren Teil
zerfällt es ganz. Die Beute und das Relief weisen tiefe Risse auf, die Putzschicht ist
an vielen Stellen abgeplatzt oder abgeschlagen, von der ursprünglichen farbigen
Fassung sind nur unzusammenhängende Spuren übriggeblieben, und die Oberfläche
des Reliefs ist durch Spuren von Teer stark verunreinigt.
Mann und Löwe sind für den Blick von vorn dargestellt. Bei seitlicher Betrachtung
bemerkt man eine starke Verzerrung, hervorgerufen durch das Streben nach einem
möglichst hohen Relief auf dem Zylindermantel der Klotzbeute. Am auffälligsten
zeigt sich das an der Figur des Löwen: Nur die vordere Hälfte des Tieres tritt hervor,
während die hintere ganz mit dem Stamm der Beute verwächst. Eine Faltendraperie
mit rein dekorativer Funktion schließt die Szene nach oben ab. Die Kleidung des
Mannes besteht aus einem Rock, der oberhalb der Knie endet, einem bis unter den
Gürtel reichenden Koller mit kurzen Ärmeln, das mit einfacher Profilierung ab-
schließt, und aus einer Art Stulpenstiefeln, die bis an das Knie reichen. Das gestalte-
risch wirkungsvollste und wertvollste Element des gesamten Reliefs ist der Kopf
des Mannes mit langem Haar und Vollbart; er verrät die erfahrene Hand eines
ausgebildeten Künstlers.
Alle Bemühungen, Entstehung, Herkunft und Art der Erwerbung dieses Bienen-
stockes festzustellen, blieben leider erfolglos. Er trägt keine Inventarnummer, und
Nachforschungen im Burgarchiv würden sich nach dem wiederholten Besitzer-
wechsel und den mehrfachen Veränderungen in der Verwaltung der Burg als äußerst
schwierig erweisen, wobei es fraglich ist, ob sie überhaupt ein positives Ergebnis
zeitigen würden.
Es verbleibt jedoch ein anderer Weg: Analogien in allen Arten von Quellen zu
suchen, die dafür in Betracht kommen.
Wie bereits bemerkt, hat dieser Figurenstock unter den bisher festgestellten und
im Terrain sowie in den tschechischen und slowakischen Museen erhaltenen keine
Parallele. Wir würden ihn unzweifelhaft als für das mährische Milieu untypisch
bezeichnen und ihm wahrscheinlich nur geringe Aufmerksamkeit widmen, wenn
wir keine einzige Variante dieser Plastik fänden.
Es existieren aber nicht nur Parallelen, sondern es gibt sogar ein Duplikat, das
dem Figurenstock von der Burg Buchlau fast zum Verwechseln ähnlich ist. Ich
verweise auf drei Figurenbeuten mit dem gleichen Motiv in den Sammlungen des
Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien, die sämtlich bereits 1914 von
W/J'Ml.UlH'f'J'yT.Sa .V» > Vtt V u 11 v*:nvi «rm m
■ W
290 Richard Jeräbek
Michael Haberlandt veröffentlicht worden sind.2 Weil Haberlandt aber diese Bienen-
stöcke nur sehr flüchtig beschrieben und die Angaben über ihre Herkunft sowie ihr
Alter nur ganz allgemein gehalten hat, will ich versuchen, alle drei Belege genauer
zu bestimmen und die Angaben über ihre Herkunft und die Art ihrer Aufnahme in
die Sammlungen des Museums durch weitere Fakten zu ergänzen.3
Betrachten wir zunächst jene Figurenbeute, die dem auf der Burg Buchlau ge-
fundenen Stock zum Verwechseln ähnlich sieht. Von seiner Beschreibung können
wir absehen. Der Wiener Bienenstock ist jedoch viel besser erhalten; seine Ober-
fläche ist nur wenig beschädigt, die farbige Fassung im großen und ganzen frisch.
In der Publikation Werke der Volkskunst ist er auf Tafel XXXVIII in der Mitte
abgebildet. Der Herkunftsvermerk lautet nur sehr allgemein: „Mähren“. Leider
läßt sich auch aus dem zugehörigen Text von Haberlandt die Herkunft der einzelnen
Bienenstöcke mit dem Motiv, dem unser Beitrag gewidmet ist, nicht genau fest-
stellen, weil er die Abbildung in der Anlage schlecht zitiert hat (er verweist zu
diesem Motiv auf die Tafeln XXXVIII und XXXIX, obwohl nur die erste davon
in Frage kommt). Es ist auch nicht klar, welche der drei auf Tafel XXXVIII ab-
gebildeten Klotzbeuten gemeint ist, wenn Haberlandt in der Anmerkung dazu
(S. 109) schreibt, daß sie aus Hermersdorf (Kamennä Horka) stamme, und zwar aus
dem Bienenstand von Franz Kramer, Besitzer des Hofes Nr. 88. Im folgenden er-
wähnt er, daß solche Bienenstöcke auch in den Dörfern Rothmühl (Radimer),
Lotschnau (Lacnov) und Porstendorf (Borsov) Vorkommen.
Weiter hilft uns hier das Inventarverzeichnis des Österreichischen Museums für
Volkskunde. Es gibt als Ursprungsort für den in der Mitte der Tafel XXXVIII
bei Haberlandt abgebildeten Bienenstock Greifendorf (Hradec nad Svitavou) bei
Zwittau (Svitavy) an,4 während für die rechts und links wiedergegebenen Bienen-
stöcke vermerkt wird, daß beide von einem Privatmann namens Schatzka aus Wien
käuflich erworben worden seien, was freilich nichts darüber aussagt, woher sie
eigentlich stammen und auf welche Weise sie nach Wien gekommen sind.
Wichtig ist jedoch die Angabe des Inventarverzeichnisses, daß die auf Taf.
XXXVIII Mitte sowie auf Taf. XXXIX Mitte abgebildeten Bienenstöcke (der
letztere mit dem Motiv „Moses mit der Schlange“) von S. Spira gekauft wurden
und aus dem Besitz des Bauern Kramer aus der Umgebung von Zwittau stammen.
Da der Familienname Kramer in der Umgebung von Zwittau und Mährisch-
Trübau häufig vorkam,5 habe ich die Identität des erwähnten Franz Kramer über-
2 M. Haberlandt, Figurale Bienenstöcke aus Mähren und Böhmen. Wien 19x4, Taf.
XXXVIII (= Werke der Volkskunst 1).
3 Für die freundliche Ermöglichung des Studiums der Inventarverzeichnisse des öster-
reichischen Museums für Volkskunde danke ich Herrn Dr. Adolf Mais.
4 Erst während der Drucklegung dieses Aufsatzes erhielt ich die Mitteilung, daß sich der
Bienenstock mit der Inventarnummer 31597 seit 1917 nicht mehr im österreichischen
Museum für Volkskunde in Wien befindet. Es ist also nicht ganz ausgeschlossen, daß der
Bienenstock aus Buchlou mit diesem früher im österreichischen Museum für Volkskunde
aufbewahrten Stock identisch ist. Leider waren alle meine weiteren Nachforschungen nach
dem Ursprung des Buchlauer Bienenstockes ohne Erfolg. Auch der schlechte heutige Zu-
stand dieses Stockes erlaubt nicht, die Identität mit Sicherheit festzustellen.
5 Vgl. z. B. E. Führlich, Die häufigsten sudetendeutschen Familiennamen. Deutsche
Volksforschung 3 (1944) 343.
Herkules, Daniel oder Samson? 291
prüft. Dabei konnte ich feststellen, daß der Hof Nr. 88 in Hermersdorf tatsächlich
einem Besitzer dieses Namens gehörte, und zwar bis 1945, als seine Familie nach
Deutschland umgesiedelt wurde.6 Für die Angabe Greifendorf als Herkunftsort
bietet sich die ganz einfache Erklärung an, daß diese Gemeinde in unmittelbarer
Nachbarschaft von Hermersdorf liegt und eine Bahnstation besitzt, von der aus die
Bienenstöcke nach Wien versandt wurden. Ein anderer Umstand, der darauf hin-
deutet, daß die genannten beiden Bienenstöcke der Tafeln XXXVIII und XXXIX
gleichzeitig erworben wurden, sind die unmittelbar aufeinanderfolgenden Inventar-
nummern, während die Nummern der beiden anderen Bienenstöcke, die uns hier
interessieren (Taf. XXXVIII rechts und links), zwar ebenfalls nacheinander, aber
fast 300 Eintragungen später als jene erscheinen.
Daraus ergibt sich mit ziemlicher Sicherheit, daß der von Haberlandt in der
Mitte seiner Taf. XXXVIII abgebildete Bienenstock mit unserem Motiv aus Hermers-
dorf stammt. Damit dürfte auch der Ursprung des auf der Burg Buchlau gefundenen
Bienenstockes, der ein genaues Duplikat jenes Exemplares darstellt, in Hermersdorf
zu suchen sein. Eine Nachprüfung an Ort und Stelle und eine genaue Lokalisierung
der einzelnen Bienenstöcke in der Umgebung von Svitavy (Zwittau) ist jedoch
heute — abgesehen von dem zeitlichen Abstand von mehr als einem halben Jahr-
hundert seit der Publikation Haberlandts — vor allem deshalb nicht mehr möglich,
weil sich die Zusammensetzung der Bevölkerung nicht nur durch den natürlichen
Generationswechsel, sondern auch infolge der Aussiedlung der deutschen Be-
völkerung nach dem zweiten Weltkrieg und der Besiedlung dieses Gebietes mit
Tschechen aus den verschiedensten Teilen Böhmens und Mährens grundlegend ver-
ändert hat. Ebenso halte ich eine Nachforschung in den Gemeindearchiven für aus-
sichtslos, weil man bei der Aufzeichnung des Besitzes einem Figurenstock keine
besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben wird.
Trotzdem kann die Frage der Herkunft des Figurenstocks von der Burg Buchlau
zumindest als zum Teil geklärt gelten. Die dargelegten Tatsachen und Beziehungen
berechtigten zu der Annahme, daß dieser Bienenstock aus der unmittelbaren Um-
gebung von Zwittau stammt, und zwar aus der Gemeinde Hermersdorf, und daß
sein Schöpfer wahrscheinlich mit dem Schöpfer des früher im Österreichischen
Museum für Volkskunde aufbewahrten und von Haberlandt auf Taf. XXXVIII in
der Mitte publizierten Bienenstocks identisch ist, ja es ist sogar wahrscheinlich, daß
diese beiden Bienenstöcke gleichzeitig hergestellt worden sind. Es würde sich noch
die Möglichkeit anbieten, der Abhängigkeit zwischen der Umgebung der Stadt
Zwittau und den Besitzern der Burg Buchlau nachzugehen,7 doch ist auch die
6 Schriftliche Mitteilung des Rates der Gemeinde Kamennä Horka (früher Hermers-
dorf) vom 28. 1. 1967.
7 In der Zeitspanne zwischen der vermutlichen Entstehung des Bienenstocks und seiner
Erwerbung für die Burg waren Herren auf der Burg Buchlau: bis 1734 Johann Dietrich
von Peterswald (Jan Detrich z Petrvaldu), 1734—1751 Sigismund Karl von Peterswald
(Zikmund Karel z Petrvaldu), 1751 — 1759 Bernard Johann von Peterswald (Bernard Jan
z Petrvaldu), 1759 — 1809 Graf Leopold Berchtold, nach dessen Tod die Ehefrau Johanna
und seit 1814 der Sohn Sigismund (Zikmund), dann dessen Namensvetter (1869 — 1900)
und schließlich Leopold Berchtold bis zur Übernahme des Objekts durch den Staat nach
Beendigung des zweiten Weltkrieges.
292 Richard Jeräbek
Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daß dieser Figurenstock aus der Um-
gebung von Zwittau auf die Burg Buchlau dank des Sammeleifers der letzten Be-
sitzer der Burg, der Familie Berchtold, gekommen ist, von denen insbesondere
Sigismund, dem die Burg seit 1814 gehörte, eine große Sammlung von Kunst-
gegenständen sowie von Kuriositäten aus Natur und Kulturgeschichte angelegt hat.
Eine sehr nahe Variante des Figurenstocks von der Burg Buchlau stellt die im
Österreichischen Museum für Volkskunde aufbewahrte8 und von Haberlandt auf
Taf. XXXVIII rechts abgebildete Beute dar. Das Motiv ist das gleiche, nur die
Art seiner Darstellung weicht etwas ab. Während bei dem vorhergehenden Exemplar
das Relief des Mannes hervortritt und die Figur des Löwen verhältnismäßig zurück-
gedrängt ist, ist es hier gerade umgekehrt: Die Gestalt des Mannes erscheint fast
frontal (deshalb auch flächiger) und wird zu einem großen Teil von der Gestalt des
Löwen verdeckt, der vornehmlich im Profil und zum Unterschied von dem Bienen-
stock auf der Burg Buchlau ganz dargestellt ist, wobei der Kopf durch den geradeaus
gerichteten Blick besonders betont wird. Die Figur des Mannes unterscheidet sich
vor allem noch dadurch, daß sie hier bartlos ist und ein freieres Gewand trägt. Die
wehende Draperie ist mit ihr insofern organisch verbunden, als sie wie ein Mantel
aus dem linken Oberarm herauswächst. Zur Herkunft dieses Bienenstockes habe
ich bereits bemerkt, daß er durch den Privatmann Schatzka in Wien erworben
wurde. Wahrscheinlich stammt die Beute aus dem gleichen Gebiet wie jene von der
Burg Buchlau, also aus der Umgebung von Zwittau. Im Inventarverzeichnis des
Museums wird sie als „Herkules mit Löwe“ bezeichnet. Zu ihrer Identifizierung
könnte der Umstand beitragen, daß sie die Buchstaben „PAW“ sowie die Jahres-
zahl 1784 trägt. Die motivische und künstlerische Beziehung zum Bienenstock von der
Burg Buchlau und seinem Duplikat im Österreichischen Museum für Volkskunde
steht außer Zweifel.
Es verbleibt noch die dritte Variante dieses Motivs — der ebenfalls im Öster-
reichischen Museum für Volkskunde auf bewahrte9 und in der Arbeit Haberlandts
auf Taf. XXXVIII links abgebildete Bienenstock. Mit der frontalen Stellung des
Mannes und der vollständigen Ausformung des Löwen steht er der voraufgehend
beschriebenen Variante näher als dem Bienenstock von der Burg Buchlau. Vom
bildnerischen Standpunkt aus handelt es sich eigentlich um eine freie Statue, die
ins Relief projiziert wurde und deren künstlerischer Wert den der übrigen Bienen-
stöcke mit dem gleichen Motiv bei weitem übertrifft. Der Mann hat langes Haar,
statt eines Vollbartes nur einen Schnurrbart und einen Haarkranz unter dem Kinn,
anstelle einer soldatischen Kleidung ein frei herabfließendes Gewand mit langen
Ärmeln, das am unteren Rand oberhalb der Knie eine Zierleiste auf weist. Von
allen anderen genannten Stücken unterscheidet sich dieser Stock jedoch besonders
dadurch, daß die Figur nicht auf dem Hintergrund einer wehenden Draperie dar-
gestellt ist, sondern einen über Schultern und Oberarme geworfenen Mantel trägt,
der hinten in halber Höhe der Schenkel in eins verfließt. Unterhalb des oberen
Randes des Bienenstockes ist in Fraktur der Name „Daniel“ vermerkt, das Inventar-
8 Österreichisches Museum für Volkskunde in Wien, Inv.-Nr. 31 879.
9 Ebda Inv.-Nr. 31 878.
Links: Figurenstock mit dem Motiv „Samson mit Löwe“ aus der Gemeinde Hermersdorf
(Kamennä Horka) bei Zwittau (Svitavy) in Mähren, jetzt auf der Burg Buchlau (Buchlov).
Foto: R. Jeräbek 1966
Rechts: Kopf des Samson aus demselben Figurenstock. Foto: R. Jeräbek 1966
MB
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Tafel 20
Links: Figurenstock mit dem Motiv „Samson mit Löwe“ aus der Gemeinde Hermersdorf
(Kamennä Horka) bei Zwittau (Svitavy). Bis 1917 im Besitz des Österreichischen Museums
für Volkskunde in Wien, Inv.-Nr.: 31597. Hier nach M. Haberlandt
Mitte: Figurenstock mit dem Motiv „Samson mit Löwe“ aus der Umgebung der Stadt
Zwittau (Svitavy) in Mähren. Im Besitz des Österreichischen Museums für Volkskunde
in Wien, Inv.-Nr.: 31 878. Foto: Österreichisches Museum für Volkskunde
Rechts: Figurenstock mit dem Motiv „Samson mit Löwe“ aus der Umgebung der Stadt
Zwittau (Svitavy) in Mähren. Im Besitz des Österreichischen Museums für Volkskunde
in Wien, Inv.-Nr.: 31 879. Foto: Österreichisches Museum für Volkskunde
Herkules, Daniel oder Samson?
293
Verzeichnis aber beschreibt den Bienenstock als „Samson mit Löwe“ und datiert
ihn in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Auch dieses Exemplar wurde von
Schatzka aus Wien gekauft, und sein Ursprung ist ebenfalls in der Umgebung der
Stadt Zwittau zu suchen. An seiner ikonographischen und künstlerischen Beziehung
zu dem Bienenstock von der Burg Buchlau besteht ebenfalls kein Zweifel.
Weitere Varianten dieses Motivs an Figurenstöcken gibt es in Böhmen, Mähren
und der Slowakei nicht, zumindest sind sie bisher weder aus musealen Sammlungen
noch aus der Literatur bekannt, ein Vorkommen noch im Terrain betrachte ich als
unwahrscheinlich. Bei einer Feldforschung im Gebiet von Svitavy und Moravska
Trebova (früher Mährisch-Trübau) konnte ich zwar einige Figurenstöcke feststellen,
aber mit ganz abweichendem Charakter und viel jüngeren Datums. Bis auf diese
geringen Ausnahmen befinden sich die in den böhmischen Ländern erhaltenen
Figurenbeuten in den Museen. Das berechtigt zu der Annahme, daß die Zahl der
Klotzbeuten mit dem Motiv „Mann mit Löwe“ in unserer Zusammenstellung voll-
ständig ist.
Den Schlüssel zum Problem der Volkstümlichkeit und der ethnischen Herkunft
dieser Bienenstöcke liefert ihre möglichst genaue ikonographische Bestimmung.
Wie wir sahen, wird das Motiv auf diesen Bienenstöcken als Darstellung von Herku-
les, Daniel oder Samson angesehen, und zwar deswegen, weil alle diese Gestalten in
der Mythologie — sei es der Antike oder des Alten Testaments — mit dem Motiv
des Löwen verbunden sind, also einem Motiv, das in der mitteleuropäischen Volks-
tradition immer ein fremdes Element gewesen ist und entweder aus dem Mittelmeer-
Kulturkreis oder aus noch weiter entfernten Gegenden stammt. Bei den beiden
alttestamentarischen Helden Samson und Daniel ist nach dem biblischen Bericht ihre
Beziehung zum Löwen so bedeutungsvoll, daß ihre Widerspiegelung in der Ikono-
graphie ganz natürlich ist.
Die Gestalt des Propheten Daniel erscheint in der mitteleuropäischen Kunst-
tradition verhältnismäßig oft, allerdings immer in Verbindung mit dem Bergbau.
Daniel wird zwar auf einigen Belegen zusammen mit einem Löwen dargestellt, aber
in keinem einzigen Falle reißt er dem Löwen den Rachen auf, wie das bei den Figuren-
stöcken der Fall ist. Im Gegenteil, die Beziehung zwischen dem Propheten und dem
Raubtier ist konfliktlos, was offensichtlich auf die biblische Überlieferung zurück-
geht, in der es heißt: „Mein Gott hat seinen Engel gesandt und den Löwen den
Rachen verschlossen.“ Und: „Als man ihn heraufgezogen hatte, fand sich nicht die
geringste Verletzung an ihm.“10 Außerdem ist wichtig, daß Daniel stets mit weiteren
Attributen abgebildet wird, beispielsweise mit Bergbaugeräten, einer Erzstufe,
einem Buch oder einem Zweig.11 Überdies erscheint er bis auf wenige Ausnahmen
10 Daniel 6, 22 — 23, zitiert nach: H. Menge, Die Heilige Schrift Alten und Neuen
Testaments. Stuttgart 111949, 1135.
11 Vgl. G. Heilfurth, Das Heilige und die Welt der Arbeit am Beispiel der Verehrung
des Propheten Daniel im Montanwesen Mitteleuropas. Marburg 1965, Abb. 10, 11, 15, 17,
19 (Abb. 15 zeigt eine Plastik des Propheten Daniel aus Trofin [Trbonj] in Slowenien aus
dem 15. Jahrhundert; darauf sind sogar zwei Löwen dargestellt, und Daniel streicht einem
davon über die Mähne); ferner G. Heilfurth, Die bergmännische Danielverehrung im
Licht jüngster Funde von der Slowakei bis Burgund. Der Anschnitt 15 (1963) Nr. 2,
Abb. 8 — 9, 13, 15, 17. — Einige Attribute und das Auftreten von Bildern und Plastiken des
20 Volkskunde
.UAWf «I»«*«J
294 Richard Jeräbek
nicht militärisch gekleidet, sondern im Königsmantel, mit einer Fürstenkrone, in
Mönchskutte usw., und in der Regel nicht barhaupt wie die Männerfiguren auf den
Bienenstöcken. Alle diese Umstände sprechen entschieden gegen eine Deutung des
Motivs auf den mährischen Figurenstöcken als Bild des Propheten Daniel. Außerdem
stammen diese Bienenstöcke aus einem Gebiet, das von sämtlichen Erzbergwerken
Böhmens und Mährens, in deren Nähe wir eine Abbildung der Gestalt Daniels am
ehesten suchen könnten, weit entfernt liegt. Die Aufschrift „Daniel“ auf einem der
Bienenstöcke in den Sammlungen des Österreichischen Museums für Volkskunde,
die zu einer falschen ikonographischen Bestimmung der Plastik verleiten könnte,
muß man also als eine Innovation ansehen und daraus erklären, daß das Wissen um
den ursprünglichen Inhalt des dargestellten Motivs verlorengegangen war.
Meiner Meinung nach führt der Weg zur ikonographischen Identifizierung über
eine andere biblische Episode, und zwar jene aus dem Buch der Richter, in der von
Samsons Verheiratung die Rede ist. Simson (in der Lautung der Vulgata: Samson)
wählt eine der Töchter der Philister von Thimma zur Braut und überzeugt seine
Eltern von der Richtigkeit seiner Wahl. „So ging denn Simson mit seinen Eltern
nach Thimma hinab, und als sie bei den Weinbergen von Thimma angelangt waren,
trat ihm plötzlich ein junger Löwe brüllend in den Weg. Da kam der Geist des Herrn
über ihn, so daß er den Löwen zerriß, wie man ein Böckchen zerreißt, ohne daß er
irgend etwas in der Hand hatte; seinen Eltern erzählte er aber nichts von dem, was er
getan hatte. Dann ging er hinab und besprach sich mit dem Mädchen; denn sie
gefiel ihm wohl. Als er dann nach einiger Zeit wieder hinging, um Hochzeit mit ihr
zu machen, und vom Wege abbog, um sich den toten Löwen noch einmal anzusehen,
da befand sich im Körper des Löwen ein Bienenschwarm und Honig. Diesen nahm
er heraus in seine hohlen Hände und aß im Weitergehen davon; und als er dann zu
seinen Eltern gekommen war, gab er auch ihnen davon zu essen, ohne ihnen jedoch
mitzuteilen, daß er den Honig aus dem Körper des toten Löwen herausgenommen
hatte.“12 Hier ist die Beziehung zwischen der biblischen Episode und dem Motiv auf
dem Bienenstock viel klarer und einleuchtender. Das Motiv spiegelt — wenn auch
künstlerisch nicht ganz überzeugend, so doch deutlich — die Konfliktsituation
wider, die in den Sieg des Helden über das Raubtier einmündet. Schon allein diese
Tatsache würde zu der Hypothese berechtigen, daß es sich um das Motiv Samsons
und nicht Daniels handelt. Dazu tritt aber aus dem biblischen Zitat noch jener Teil,
der den Bienenschwarm und den Honig im Körper des Löwen betrifft. Können wir
eine noch auffälligere Motivierung für die figurale Ausschmückung eines Bienen-
stocks verlangen?
Damit möchte ich allerdings nicht behaupten, daß allein die Existenz jener bibli-
schen Episode die Darstellung auf den Bienenstöcken hervorrufen mußte. Eine Art
Katalysator konnte hier zusätzlich die Darstellung des antiken Helden Plerkules mit
dem Löwen spielen, die vielleicht schon zur Zeit der Renaissance, sicher aber zu
Beginn des 17. Jahrhunderts Eingang in die mitteleuropäische Kunsttradition
Propheten Daniel im Bergbaumilieu zeugen davon, daß es sich nicht um den hl. Markus
handeln kann. Vgl. G. Heilfurth, Das Heilige 16.
12 Das Buch der Richter 14, 5—9, zitiert nach: H. Menge, Die Heilige Schrift 341;
vgl. Anm. 10.
Herkules, Daniel oder Samson? 295
gefunden und im Schaffen einiger Bildhauer des Barocks einen wichtigen Platz
eingenommen hatte, zum Beispiel im Werk des Adrian de Yries, dessen Herkules aus
den Jahren 1624—1627 stammt, im Werk des Matthias Bernard Braun aus der
Zeit um 1720 usw.13
Außer einer präzisen ikonographischen Bestimmung der beschriebenen Belege und
ihrer möglichst genauen Lokalisierung haben wir noch die Frage nach der Volks-
tümlichkeit und der ethnischen Herkunft dieser Figurenstöcke mit dem Samson-
motiv zu beantworten.
Nach meiner Meinung liegt diese Antwort vor allem im Gesamtcharakter dieser
Kunstwerke, der sich der tschechischen Volkstradition völlig entzieht. In der
tschechischen Volkskunst kommt das Samson-Motiv überhaupt nicht vor, und auch
die Art seiner Darstellung auf allen vier Bienenstöcken entspricht nicht der bild-
nerischen Auffassung figürlicher Motive in der tschechischen Volkskunst, sondern
geht ganz offensichtlich von den Prinzipien aus, wie sie der barocken Stilkunst
eigen sind.
Die Gebrauchsfunktion des Gegenstandes, die seine bestimmende Funktion ist,
prägt auch weitgehend die künstlerische Form. Das zeigt sich hier in der Unter-
ordnung des Reliefs unter die zylindrische Form der Klotzbeute. Darin liegt die
Hauptursache der starken Deformierungen der Menschen- und der Tierfigur, die
vor allem bei seitlicher Betrachtung auffallen. So entsteht also auch unter den
Händen eines Berufskünstlers ein in künstlerischer Hinsicht zweitrangiges Werk, eine
Arbeit, die unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen künstlerischen Entwicklung
eine Randerscheinung bildet. Das halte ich im wahrsten Sinne des Wortes für einen
Ausdruck von Rustikalisierung, das heißt einer Vergröberung des Stils, einer
auffälligen Störung der Stilnormen, begleitet von einem Absinken des künstlerischen
Niveaus. Am Bienenstock von der Burg Buchlau zeigen sich wesentliche Unter-
schiede in der handwerklichen Ausführung der einzelnen Teile des Reliefs. Am
überzeugendsten ist der Kopf Samsons gestaltet, der als einziges Detail dieser
Plastik strengere Maßstäbe verträgt. Dagegen sind die beiden Arme ganz ratlos
ausgeführt, sie sind steif, zeigen deutliche Disproportionen, und der rechte Arm ist
im Schultergelenk stark verbogen, was nicht nur bei seitlicher Betrachtung, sondern
auch beim Blick von vorn störend wirkt. Noch gröbere Verstöße gegen die hand-
werkliche Gestaltung sind an der Figur des Tieres festzustellen. Der Barockkünstler
kannte keinen Löwen aus eigener Anschauung, weshalb die Figur sehr fehlerhaft
geraten ist. Das Duplikat dieses Bienenstockes aus den Sammlungen des Öster-
reichischen Museums für Volkskunde leidet an den gleichen Fehlern. Die gewand-
teren Schöpfer der beiden übrigen Varianten mit dem Samson-Motiv sind der
Gefahr solcher Deformierungen etwas entgangen, indem sie die Figur frontal zum
Betrachter anlegten. Aber auch diese Arbeiten sind nicht frei von formalen Mängeln,
die alle rustikalisierten Kunstwerke fast gesetzmäßig begleiten.
Ein gemeinsamer Zug aller vier Bienenstöcke ist der statische und starre Ausdruck
ihrer Reliefs, trotz der dramatischen Spannung, die in dem narrativen Charakter der
13 Siehe z. B. V. V. Stech, Ceskoslovenské malífství a sochaíství nové doby (Die
tschechoslowakische Malerei und Bildhauerei der Neuzeit). Praha o. J., Abb. 73 und S. 216.
LUAWf'J/xAlÁn
296 Richard Jerábek
Szene liegt. Das Dynamische äußert sich nur in Einzelheiten, die keine innere Be-
ziehung zueinander haben, zum Beispiel in der Pose des Tieres und der wehenden
Draperie. Aber der Konflikt zwischen Mensch und Tier, der im Mythos in der
Überwältigung des Löwen gipfelt, wird nur durch eine unbeteiligte Geste Samsons
veranschaulicht, die den Zweck hat, das Auf reißen des Tierrachens anzudeuten; in
Wirklichkeit aber hält Samson nur den Rachen des Tieres fest, und seine Physio-
gnomie zeigt keine Spur von Kampf und Sieg. Auch wenn wir diese Auffassung und
Gestaltung vom Standpunkt der sogenannten hohen Kunst als gesunkenes Kulturgut
betrachten, können wir nicht behaupten, daß sie eo ipso Ausdruck der Volkskunst
oder der volkstümlichen Kunst wären.
An dieser Stelle ist noch die Frage nach dem Alter und den möglichen Herstellern
der Figurenstöcke mit dem Samson-Motiv zu berühren. Haberlandt bezeichnete alle
drei von ihm veröffentlichten Bienenstöcke als Produkte des 18. Jahrhunderts. Er
traf diese Datierung in Übereinstimmung mit den Vermerken im Inventarverzeichnis
des Österreichischen Museums für Volkskunde. Nach diesen Vermerken ist jener
Bienenstock der älteste, dessen Duplikat von der Burg Buchlau wir in diesem
Beitrag besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben. Seine Entstehung wird in die
Zeit um 1720 verlegt. Da er und sein — fast identisches — Duplikat offenbar vom
gleichen Urheber stammen, bietet sich die berechtigte Vermutung an, daß beide auch
gleich alt sind. Nur annähernd bestimmt ist das Alter des Bienenstocks mit der
Aufschrift „Daniel“; er wird in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts verwiesen. Am
klarsten ist die zeitliche Einordnung bei dem verbleibenden Bienenstock mit dem
Samson-Motiv, der durch die Aufschrift 1784 datiert ist. Freilich erhebt sich dabei
die Frage, ob diese Datierung nicht auch jüngeren Ursprungs sein kann. Eine formale
Analyse würde das Alter der einzelnen Bienenstöcke im großen und ganzen be-
stätigen; da wir jedoch annehmen, daß alle diese Bienenstöcke an der Peripherie der
allgemeinen Stilentwicklung entstanden sind, müssen wir mit einer gewissen zeit-
lichen Verspätung in der stilistischen Entwicklung rechnen. Auf jeden Fall handelt
es sich um die ältesten Figurenstöcke Mährens, wenn wir von einigen untypischen
Fällen absehen, wo ältere barocke oder auch gotische Plastiken für diesen Zweck
benutzt worden sind.
Ich habe bereits angedeutet, daß es sich um Schöpfungen von Berufskünstlern
handeln kann, die in jenem Umkreis wirkten, aus dem die Figurenstöcke mit dem
Samson-Motiv stammen. Die orts- und heimatkundliche Literatur aus den Kreisen
Zwittau und Mährisch-Trübau bietet einige Angaben über am Orte wirkende Bild-
hauer und Schnitzer im 18. Jahrhundert.14 Nähere Angaben über sie finden wir in
den zugänglichen Lexika der bildenden Künstler.15 Bereits die bloße Aufzählung der
14 Z. B. A. Czerny, Der politische Bezirk Mähr.-Trübau. Mähr.-Trübau 1904, 307;
C. Lick, Zur Geschichte der Stadt Zwittau und ihrer Umgebung. Zwittau 1910, passim, etc.
15 P. Toman, Novy slovnik ceskoslovenskych vytvarnych umelcü (Neues Lexikon der
tschechoslowakischen bildenden Künstler) Bd. 1 — 2. Praha 1947 und 1950; Thieme u.
Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart.
Leipzig 1907. Für unsere Bestrebungen, die Urheberschaft an den Bienenstöcken festzu-
stellen, kommen vor allem in Betracht: Severin Tischler alias Stolaf, geb. 1705 in Zwittau,
gest. 1743, wirkte in Mähr.-Trübau, stand dem Kreis um Matthias Braun nahe (vgl. Thieme
i/ii/'iitmiTwrim<mmvjsA r4,>uv^ \\\w> m 11 *r*vw*vimv
Herkules, Daniel oder Samson? 297
Bildhauer und Schnitzer zeigt deutlich, welch ungewöhnlich große Zahl von Künst-
lern in den verhältnismäßig unbedeutenden Städten Zwittau und Mährisch-Trübau
wirkte, aus deren Umgebung die Bienenstöcke stammen. Im Vergleich zu anderen
Städten in Mähren ist diese Konzentration gewiß auffällig; sie legt den Gedanken
einer direkten Beziehung des Vorkommens von Figurenstöcken zum Wirken dieser
Bildhauer und Schnitzer nahe. Darauf deuten auch einige Details, zum Beispiel die
Art, in der Draperien an den Bienenstöcken mit dem Samson-Motiv ausgeformt
sind. Die Komposition der Figur mit Draperie hat eine Parallele in der Lösung
einzelner Figuren des Reliefs mit der Darstellung des Jüngsten Gerichtes auf der
Kartusche des Hauptkreuzes in der Friedhofskapelle von Mährisch-Trübau. Leider
kennen wir nicht den Namen jenes Barockbildhauers, der so großen Gefallen am
Abschluß einer Komposition mit dem Bogen der Draperie gefunden hat.
Einen Wegweiser zu einer genaueren Bestimmung jenes Bienenstocks, der mit
1784 datiert ist, könnte das deutlich darauf angebrachte Monogramm PAW bilden.
Leider konnte ich jedoch unter den in der Umgebung von Zwittau und Mährisch-
Trübau wirkenden Berufskünstlern keinen finden, zu dessen Namen diese Initialen
paßten. Hypothetisch könnte man an einen bisher unbekannten Angehörigen der
Familie Patzak denken (etwa Patzak Anton Wenzel?), doch ist es auch möglich, daß
sich die Initialen auf den Besitzer des Bienenstocks beziehen.
Ganz einfach ist die Beantwortung der Frage nach der ethnischen Herkunft dieser
Stücke. Die Herkunftsorte jener Bienenstöcke, wie sie das Inventarverzeichnis des
Österreichischen Museums für Volkskunde und M. Haberlandt in dem zitierten
Werk angeben, konzentrieren sich auf einen kleinen Umkreis um die Stadt Zwittau,
u. Becker, Bd. 33, 296 undBd. 32, 102; Toman, Bd. 2,489, 592 — 593). Dieser Bildhauer und
Schnitzer unterhielt Verbindung mit den Bildhauern Franz Patzak (Frantisek Pacäk)
und Franz Seitl (Frantisek Seitl) in Mähr.-Trübau. — Seitl (Schreibung auch Seidl, Seydl
und Seydel) wurde in der Gemeinde Schurz (2irec) bei Königinhof (Dvür Krälove) ge-
boren, Datum unbekannt, wirkte in Mähr.-Trübau, starb dort 1763. — Sein Landsmann
Georg Franz Patzak (auch Patzalt, Paczak, Jifi Frantisek Pacäk), geboren 1670 ebenfalls
in Schurz (2ireö), arbeitete in Mähr.-Trübau und starb dort 1742. Er war Schüler und Ge-
hilfe des berühmten Barock-Bildhauers Matthias Braun in Kukus (Kuks) und seit etwa
1738 in Mähr.-Trübau ansässig. Kurze Zeit lebte er auch in Leitomischl (Litomysl) gemeinsam
mit Matthias Braun und seinem Bruder (?) Franz (Frantisek), geb. 1680 in Schurz (2ireö),
wohnhaft in Leitomischl, wo er 1757 starb. Die Patzaks waren eine sehr verzweigte Bild-
hauer- und Schnitzerfamilie, von deren Mitgliedern wir bisher noch die Namen Josef,
Georg (Jifi) Patzak jun. und Anton (Antonin) Patzak kennen, nicht bekannt sind ihre
Lebensschicksale und die meisten ihrer Werke. Angaben über die Familie Patzak s. Thieme
u. Becker Bd. 26, 302; Toman Bd. 2, 234 — 236; O. J. Blazicek, Prazskä plastika raneho
rokoka (Prager Plastik des frühen Rokoko), Praha 1946, 103 —106, usw. — Außerdem sind
noch die Schüler der Familie Patzak zu erwähnen, von denen die folgenden bekannt sind:
Dominik Auliczek (Aulicek, Oulicek), geb. 1734 in Politschka (Poliöka), gest. 1803 in
München; Wenzel (Vaclav) Hendrych, geb. 1720 in Leitomischl (Litomysl), gest. 1806
ebda (Toman Bd. 1, 27, 320) und Bartholomäus (Bartolomej) Hendrych, dessen Lebensdaten
in der einschlägigen Literatur nicht angeführt werden. — Ferner wirkte in Zwittau (Svitavy)
zur gleichen Zeit Johann Georg Anton (Jan Jifi Antonin) Heinz (auch: Heintz). Vgl. dazu:
M. Stehlik, Zum Werke des mährischen Bildhauers G. A. Heinz. Sbornik praci Filosoficke
fakulty brnenskd university 15 (1966) Reihe F, Bd. 10, 39 — 50, dort viele weitere Literatur-
angaben. Bei dieser Gelegenheit danke ich Dr. M. Stehli herzlich für die freundliche
Durchsicht dieses Artikels und viele wertvolle Hinweise.
lUYAllif/fin I \trrAJJlItfiil»■##*#,
298 Richard Jeräbek
die etwa 70 km nördlich von Brno (Brünn) liegt. Unser Vergleich des Bienenstockes
von der Burg Buchlau mit diesen Klotzbeuten ließ keinen Zweifel daran, daß auch
er aus dem gleichen Gebiet stammt.
Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges waren Zwittau und Mährisch-Trübau
Zentren des südlichen Teils des deutschen Sprachgebietes in Nordmähren, das als
Schönhengst (tschechisch Hrebecsko) bezeichnet wurde, was auch die Verwaltungs-
bezeichnung für diese ehemalige deutsche Enklave ergab: Schönhengster Land oder
Schönhengstgau. Am Ostabhang des Berges Schönhengst (Hrebec, 660 m ü. d. M.)
liegt Porstendorf (Borsov), am Westhang Hermersdorf (Kamenna Horka); Lotschnau
(Moravsky Lacnov) liegt nördlich von Zwittau, Greifendorf (Hradec nad Svitavou)
Abb. 1.
Titelholzschnitt zu einem späten undatierten Nachdruck des Bienenbuchs von Nickel Jacob
südlich davon, Rotmühl (Radimer), die letzte dieser Gemeinden, südwestlich. Alle
genannten Dörfer, in denen Bienenstöcke mit dem Samson-Motiv gefunden wurden
oder in denen sich nach der Nachricht Haberlandts solche befanden, gehörten nach
der früheren Gebietseinteilung, die bereits zur Zeit der Österreichisch-Ungarischen
Monarchie sowie später in der selbständigen Tschechoslowakischen Republik galt,
zum Lande Mähren.
Die demographischen Verhältnisse in diesem Gebiet waren eindeutig: Alle ange-
führten Gemeinden besaßen eine deutsche Mehrheit. So hatte beispielsweise Greifen-
dorf (früher tschechisch Grändorf, jetzt Hradec nad Svitavou) zu Beginn der zwan-
ziger Jahre unseres Jahrhunderts nur 2% tschechische Bevölkerung.16 In den übrigen
10 A. Bohäc, Närodnostni mapa Republiky ceskoslovenske (Nationalitätenkarte der
Tschechoslowakischen Republik). Praha 1926, 69.
l/fl/'JIULmiVHrfllllUirrVF/M I4.HCWV>\\\lÄV^U »MaiFflfl» RU
Herkules, Daniel oder Samson? 299
Abb. 2. Eigenhändiger Kupferstich des Johann Grüwel zur Erstausgabe seiner „Branden-
burgischen Bienenkunst“, 1696
Gemeinden lagen die Verhältnisse ähnlich,17 und das Nationalitätenbild ändert sich
auch im Lichte der Quellen aus jener Zeit nicht wesentlich, in die die Entstehung
unserer Figurenstöcke fällt: die Mitte des 18. und der Beginn des vorigen Jahr-
hunderts.
17 Aus dem Anfang der dreißiger Jahre führt E. Pfohl, Orientierungs-Lexikon der
Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 3i93i, folgendes an: Greifendorf (Grändorf,
jetzt Hradec nad Svitavou) — 2549 Einw., davon 2492 Deutsche; Mährisch-Hermersdorf
(Kamennä Horka) 936 Einw., davon 933 Deutsche; Mährisch-Lotschnau (Moravsky
MèMlut/AWi uMMUiunnvar*
.c
OiSüVUUVtrVA WfHli U
300
Richard Jeràbek
Schwierig ist es, heute die Frage zu beantworten, in welchem Milieu die Bienen-
stöcke mit dem Samson-Motiv Verwendung fanden bzw. für welches sie eigentlich
geschaffen wurden. Ich bezweifle, daß sie unter dem Volk allgemein verbreitet
waren, weil ihre Anfertigung sehr mühsam und aufwendig, ihr materieller Wert
demnach recht hoch war. Weit eher konnten sie zu den großen Bienenständen von
Klöstern oder Pfarreien gehören, wie das von anderen in der Fachliteratur auf-
gezeichneten Fällen bekannt ist.18 Schließlich ist es nicht ausgeschlossen, daß diese
Bienenstöcke aus dem Besitz ehemaliger Erbgüter stammen, wie sie im Bereich der
deutschen Ansiedlung im Schönhengster Land vielfach bestanden.19 Das wären
weitere Umstände, die gegen die Volkstümlichkeit dieser Figurenstöcke sprechen
würden.
Nach allen Tatsachen, die hier zusammengetragen und in Beziehung zueinander
gebracht werden konnten, besteht kein Zweifel daran, daß die Figurenstöcke mit dem
Motiv „Samson mit Löwe“ nicht tschechischer Herkunft sind, ja daß sie nicht einmal
einen fremden Einfluß auf die tschechische Volkskultur darstellen. Sie sind vielmehr
ein Produkt der deutschen Bevölkerung Mährens, und man muß in ihnen einen
deutschen Beitrag sehen.20 Aber auch im deutschen Milieu des Schönhengster
Landes waren diese Bienenstöcke nicht Bestandteil der Volkskultur21.
Deutsch von Günter Jarosch, Berlin
Laönov) 1867 Einw., davon 1820 Deutsche; Mährisch-Rothmühl (Moravskä Radimer)
1456 Einw., davon 1408 Deutsche; Porstendorf (Borsov) 1524 Einw., davon 1496 Deutsche.
— Zu den topographischen und demographischen Angaben vgl. ferner: K. Berger, Die
Besiedlung des deutschen Nordmährens im 13. und 14. Jh. Brünn 1933, 44—57; M. Ch.
Theusner, Der Schönhengstgau. München 1937, 112 —115; Mährisch-Trübau (Gerichts-
bezirke Mährisch-Trübau, Zwittau und Gewitsch). Hohenstadt 1937, 1—4; ferner E.
Schwarz, Die Ortsnamen der Sudentenländer als Geschichtsquelle, München/Berlin 1931,
393 f.; E. Sandbach, Die Schönhengster Ortsnamen, Slavica 6 (Heidelberg 1922) usw.
18 Zum Beispiel der häufig angeführte und reproduzierte Bienenstand aus dem Kloster
Naumburg, dessen einzelne Bienenstöcke aus der Gemeinde Höfel (jetzt Dworek) ins
Museum von Breslau (jetzt Wroclaw) gebracht wurden. Vgl. B. Schier, Der Bienenstand
in Mitteleuropa. ZfVk 47 (1938) 231, sowie Taf. 5, 6; T. Seweryn, Ludowa äwiecka rzezba
monumentalna (Volkstümliche profane Monumentalschnitzerei). Polska Sztuka Ludowa
9 (T955) 7° u- a-> Abb. 8, 9, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 27, 30, 31, 32, 33.
19 Vgl. z. B. A. Steis, Die Erbhöfe im Gerichtsbezirk Zwittau. In: Deutsch-mährisch-
schlesische Heimat 1935, iff.
20 Ausführlicher befasse ich mich mit diesen Problemen in der bisher unveröffentlichten
Arbeit K problemu etnicity a lidovosti figurälnich ülü z Cech a Moravy (Zum Problem der
ethnischen Herkunft und der Volkstümlichkeit der figürlichen Bienenstöcke aus Böhmen
und Mähren).
21 Nach Abfassung des Manuskriptes erhielt ich von Claus Kreuzberg, Berlin, sehr
interessante Hinweise, die die Richtigkeit meiner ikonographischen Analyse bestätigen.
Aus der ausführlichen Mitteilung von C. Kreuzberg gebe ich hier die wichtigsten Angaben
wieder:
Der Titelholzschnitt zu Nickel Jacob „Gründlicher und nützlicher Unterricht von
Wartung der Bienen“, Görlitz 1586, zeigt schon das Samsonmotiv. Nickel Jacob wurde sehr
oft nachgedruckt (Görlitz 1593, 1601, 1653, 1661; Freiburg i. Sa. 1680; St. Annaberg 1701;
Schleiz o. J.; Magdeburg 1700; o. O. 1773). Die erste Ausgabe von 1568 soll nach Arm-
bruster (Archiv für Bienenkunde 21,1940) ebenfalls diesen Titelholzschnitt haben. Auch die
Nachdrucke von Magdeburg 1700 und Schleiz o. J. (vermutlich Ende des 18. Jhs) tragen
Herkules, Daniel oder Samson? 301
noch denselben Titelholzschnitt, frei nachgeschnitten aber in der gleichen kompositorischen
Anordnung (s. Abb. i). — Rund hundert Jahre später als die Erstausgabe des Nickel Jacob
erschien dann Johann Grüwel „Brandenburgische Bewährte Bienen-Kunst“ in Cölln a. d.
Spree (= Berlin), zunächst 1696 (s. Abb. 2), dann Berlin 1719, Leipzig 1676 und Breslau
1764. Alle diese Ausgaben tragen vor dem Titel einen Kupferstich mit dem Samsonmotiv,
zur ersten Ausgabe vom Verfasser selbst in sehr originell dilettantischer Art gestochen,
in den späteren ist die gleiche Komposition von einem etwas langweiligen „akademischen“
Stecher (G. P. Busch fec.) überarbeitet. Grüwel war nicht der „Erfinder“ dieses Motivs.
Dieser literaturbeflissene und studierte märkische Bürgermeister kompilierte Nickel Jacob
und Gaspar Höfler, der seinerseits wiederum Jacob erweiterte (C. Höfler, Die rechte Bienen-
kunst, Leipzig 1753). Es ist nicht ausgeschlossen, daß auch böhmische und mährische
Imker bzw. Gutsbesitzer Grüwel gelesen haben.
Herrn Claus Kreuzberg danke ich herzlichst auch für die Zusendung von Reproduktionen
aus den Werken von J. Grüwel und N. Jacob, sowie für die liebenswürdige Erlaubnis, diese
in meinem Aufsatz publizieren zu dürfen.
LU YA Uff SSI rl l IfiyAJliftffiinfSfMswH'iwMii 1« ■* ^ *«*
Britische Volksarchitektur
Von Reginald T. Masón
Seit mehr als einem Jahrhundert findet das Studium der heimischen Architektur
in Britannien die Aufmerksamkeit der Forscher — trotzdem sind noch immer keine
Anzeichen eines schwindenden Interesses zu erkennen. Im Gegenteil, war noch im
19. Jahrhundert diese Architektur gelegentlich Gegenstand von Untersuchungen
vor allem weniger Architekten, so gewinnt diese Forschung heute zunehmend auch
für Vertreter anderer Wissenschaftsdisziplinen, so u. a. für Archivare, Sozial- und
Wirtschaftshistoriker oder auch für Geographen, an Bedeutung. Dabei wären zweifel-
los bereits größere Fortschritte gemacht, hätte man nicht immer wieder das Studium
der tausende Katen und Bauernhäuser, die vom späten 13. Jahrhundert bis heute
bewahrt blieben, gegenüber Untersuchungen der vielen Beispiele „hoher“ Architek-
tur aus allen historischen Epochen vernachlässigt. Zum einen Teil trifft diese Fest-
stellung selbst noch auf gegenwärtige hauskundliche Bemühungen zu.1
I
Eine regionale Gliederung der in Britannien heimischen Architektur wurde erst-
malig durch C. F. Innocent1 2 vorgenommen; sie ist, wenn auch etwas modifiziert,
durch jüngste Forschungen immer wieder bestätigt worden. Danach besaß Britannien
zwei „Gefügeschulen“ — heute zumeist als „Krummspannbau“ (cruck-frame)
und als „Ständerwerkbau“ (box-frame) bekannt (Taf. 21) —, die jeweils vorwiegend
in einem bestimmten geographischen Bereich verbreitet waren.3 Noch einen Schritt
weiter führen Arbeiten Cordingleys4 über gewisse Zwischengebiete, in denen sich
beide Schulen mischten, wobei je nach dem Standort die eine oder die andere
dominierte. Doch blieb die allgemeine Zuweisung des Krummspannbaus zum
Norden und Westen, des Ständerwerkbaus zum Süden und Südosten bis heute
Gegenstand der Diskussion.
1 Um die hauskundliche Forschung in Britannien zu intensivieren, wurde im Jahre 1953
ein Arbeitskreis für das Studium der heimischen Architektur (Vernacular Architecture
Group) gegründet, der zur Zeit etwa 130 Mitglieder zählt. Er veranstaltet jährlich Tagungen,
die abwechselnd in verschiedenen Landschaften stattfinden, und publizierte für die Mit-
glieder eine umfassende hauskundliche Bibliographie.
2 Development of English Building Construction. Cambridge 1916.
3 C. Fox (Personality of Britain. Karte B. Nat. Mus. of Wales 1951) bezeichnet ungefähr
die gleichen Gebiete als „Hochland“- und „Tieflandzone“, die erstere entspricht mehr der
Sandstein- und Granitregion, die letztere dem Lehm-, Sand- und Kalksteinbereich.
4 British historical roof types and their members. Transaction of the Ancient Monuments
■Society 9 (1961) 73 — 118.
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Britische Volksarchitektur 303
Eine jüngere Studie von J. T. Smith5 hat die Aufmerksamkeit auf einen höchst
interessanten Umstand gelenkt, nämlich auf die Übereinstimmung zwischen der
Verbreitung von Krummspannbauten und der vorsächsischer, d. h. keltischer Orts-
namen. Diese Tatsache dokumentiert zweifellos eher eine Verschmelzung großer
Teile der älteren Bevölkerung mit den sächsischen Eroberern als deren Zerschlagung,
wenn nicht zu sagen deren vollständige Vernichtung, wie sie für den Südosten
kennzeichnend war. Ausgrabungen von sächsischen Siedlungen dieser Zeit be-
kunden, daß die Sachsen damals nicht fähig waren, dauerhaft gezimmerte Bauten zu
errichten. Offenbar waren sie — zumindest in dieser Hinsicht — den romanisierten
Briten kulturell nicht überlegen. Die angetroffene einheimische Bauweise dürfte
daher von ihnen sehr gerne übernommen worden sein.
Zwar sind die alten Krummspannbauten des gegenwärtigen Bestandes über-
wiegend nicht vor dem 14. Jahrhundert errichtet worden, die meisten von ihnen
sind sogar noch viel jünger. Trotzdem wird für diese Bauweise fraglos ein höheres
Alter angenommen werden können, weil sie — abgesehen davon, wie lange sie
bekannt war oder verwendet wurde — in ihrer Idee eine Elementarform dauerhaft
gezimmerter und den Erfordernissen entsprechend abwandlungsfähiger Kon-
struktion darstellt.
Die Geschichte Britanniens läßt zunächst den Ursprung der für dieses Land
charakteristischen Architektur auf dem Kontinent suchen. Und so war man auch
lange der Überzeugung, daß die architektonischen Einflüsse ähnlich wie die meisten
militärischen und kulturellen Invasionen über Kent und Sussex nach Britannien
kamen und sich von dort nach dem Norden und Westen ausbreiteten. Eine solche
Annahme würde allerdings erfordern, daß der Ursprung des Krummspanns wie des
Ständerwerks in Nordwestdeutschland oder in Frankreich, vielleicht auch in Skandi-
navien zu suchen wäre. Allen diesen Möglichkeiten ist nachgegangen worden, doch
liegen bis heute kaum Beweise für einen kontinentalen Ursprung der in Britannien
heimischen Architektur vor. Im Winter 1965/66 wurde in Britannien ein besonderes
Symposium über die Volksarchitektur des Kontinents durchgeführt. Dabei ergab
sich, daß die Fachwerkverzimmerung Westeuropas nur in ihren Anfangsstadien
Verwandtschaft zur britischen zeigt und daß, wenn jemals engere Verbindungs-
glieder bestanden haben, diese verschwunden bzw. „hinausentwickelt“ sind, lange
bevor eine dauerhaftere Konstruktion überhaupt möglich gewesen ist.
Aber auch eine Überprüfung der Grundrisse und Raumformen hilft in dieser Frage
nicht weiter. Dabei ergaben sich vor allem enge Beziehungen zwischen dem Bauern-
haus und der Burghalle des Adels. Denn in der Tat war die hall — wie wir wissen —
für Jahrhunderte der Hauptraum in den Häusern aller Bevölkerungsschichten, und
die Merkmale, die für die Halle eines großen Gutshauses charakteristisch waren,
fanden sich stets auch in den kleineren Hallen der benachbarten Bauernhäuser. Die
Entwicklung dieser hall, ihr Werden, ihre höchste Ausformung und schließlicher
Zerfall, ist einer der wenigen architektonischen Prozesse, der heute bereits nahezu
überzeugend geklärt sein dürfte. Eine ähnliche „Evolution“ ist für das Haus als
Gesamterscheinung bisher nicht bekannt — man kann seine Entwicklung, sagen wir,
5 Cruck Construction. Medieval Archaeology 8 (1964) 119 — 151.
I v»nff f/
304 Reginald T. Mason
vom Einraum- zum Mehrraumgebäude nicht verfolgen. Das Haus tritt vielmehr
sofort in voller Ausprägung ohne primitive Vorformen auf.
Der Typus des einfachen Hauses bestand bereits im Mittelalter in ganz Britannien
aus einer großen Halle mit einem oder zwei daran angefügten zweistöckigen Enden.
Größe und Baustoffe konnten wechseln, die Raumform wandelte sich selten. Wohl
konnten wohlhabendere Besitzer den privaten Teil des Hauses vergrößern und hier
zusätzliche Räume, selbst Hauskapellen, einfügen. Doch erwies sich in fast allen
Gebäuden immer wieder das uniforme Festbalten an dem gleichen Grundschema:
Halle — Vorratsraum mit darübergelegenem Söller (hall-solar-service-concept).
Es hat zunächst den Anschein, als ob diese Feststellung in gewissem Umfang auch
für eine weitere Form, das longhouse, zuträfe, in der das eigentliche Bauernhaus und
ein Viehstall (byre) unter einem Dach vereinigt sind und für die oft ebenfalls ein
sehr hohes Alter vermutet wird — das würde jedoch erfordern, in dem zuvor auf-
gezeigten Grundschema den Hausdurchgang gleichzeitig als Stalleingang zu ver-
Abb. i. Grundrisse britischer Häuser
Links: longhouse Rechts: hallhouse
A Viehstall bzw. Vorratsraum C Halle
B Durchgang D Nebenraum
wenden und die Vorratsräume durch den Stall zu ersetzen. Archäologen neigen bei
mittelalterlichen Anlagen dazu, die von ihnen gefundenen Gebäude, wenn es irgend
möglich ist, als „Langhäuser“ zu interpretieren. Doch sind die Grundrisse des
longhouse und des hall-house einander so ähnlich (Abb. i), daß bei solchen Schlüssen
fraglos Vorsicht geboten ist, zumal auch die noch vorhandenen Exemplare der
longhouse-Form annehmen lassen, daß diese ausgesprochen ökonomisch bestimmte
Ausbildung offenbar nicht sehr alt ist. Unter den frühen in Britannien heimischen
Typen, d. h. unter denen des 13. und 14. Jahrhunderts, findet man sie jedenfalls
nicht — viele Bauten dieser Art sind sogar nicht älter als 150 Jahre. Es erscheint
daher möglich, daß diese Form eher eine auf Grund besonderer Verhältnisse ent-
standene jüngere Ausbildung als eine ältere evolutionäre Variante des Grundschemas
ist.
II
Beim Errichten von Gebäuden besteht für den Baumeister stets eine besondere
Schwierigkeit in der Konstruktion des Daches. Bei der Lösung der daraus er-
wachsenden Fragen wurde in Britannien sowohl das Krummspannwerk als auch das
Ständerwerk entwickelt, d. h. es sind zwei Konstruktionen gefunden worden, die
das Problem: Dach—Wand in ganz unterschiedlicher Weise lösten. So verwendete
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Britische Volksarchitektur 305
man beim Krummspannbau lange gekrümmte „Träger“ (principals), die vom
Erdboden bis zum Firstbaum (ridge piece) reichten und sowohl die Wand als auch
das Dach stützten; beim Ständerwerk dagegen errichtete man Reihen von vertikalen
Ständern, die, durch Ankerbalken verbunden, im allgemeinen von einem firstbaum-
losen Sparrendach überragt wurden. Dabei ist das Problem der eigentlichen Dach-
konstruktion in zweierlei Weise gelöst worden. Man verwendete:
a) Sparren (rafters), die jeweils den gleichen Anteil der Dachlast trugen und daher
auch von gleicher Stärke waren, oder
b
Abb. 2. Dachkonstruktionen: a) Gleichstarke Sparren (rafters), b) Trägersparren (princi-
pals), die durch Längshölzer (purlins) verbunden sind; letzteren sind schwächere Dach-
hölzer angefügt
b) einzelne kräftigere Trägersparren (principals), die durch Längshölzer (purlins)
verbunden waren, denen wiederum schwächere Dachhölzer aufgefügt wurden.
Beide Formen können demnach ihrem Aufbau entsprechend als selbsttragendes
(untrussed) bzw. als gestütztes (trussed) Dachwerk unterschieden werden (Abb. 2).
Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts ist im gesamten Südosten Englands aus-
schließlich das selbsttragende oder das „mit gleichstarken Sparren versehene“
(uniform scantling) Dachwerk verwendet worden. Von ein bis zwei Ausnahmen
abgesehen sind in allen Gebäuden, die dort vor etwa 1450 errichtet wurden, Seiten-
pfetten (side purlins) nicht vorhanden. So besteht dieser Dachwerktyp im Grunde
zunächst nur aus Sparrenpaaren, die jeweils in einer gewissen Höhe durch Kehl-
balken (collars) verbunden sind — sie bilden eine Abfolge von A-förmigen Gefügen.
Aus dieser Ausgangsform entstand später das Dachwerk mit einfachem Stuhl
(crownpost-collar-purlin roof), mit dem dann alle mittelalterlichen Gebäude in
Südostengland — die Kirchen eingeschlossen — versehen wurden. Doch blieben
m SM vzfifmn'»
306
Reginald T. Mason
neben ihnen auch weiterhin die einfacheren Formen erhalten. So stellt z. B. das
große Dach auf dem St. Mary Flospital in Chichester von ungefähr 1280 bereits
eine ausgesprochen reife Lösung dar, während noch bis etwa 1400 auch die Aus-
gangsform immer wieder in zahllosen einfachen Gebäuden errichtet wurde — die
Form für sich allein betrachtet ist somit nicht notwendigerweise Datierungsmerk-
mal.
Als frühestes Dachwerk im Südosten gilt das eines Hauses in Limpsfield, Surrey
(Taf. 22 oben); es mag auf Grund seiner auffällig geschnitzten Holzkapitele (Taf. 22
unten) etwa um 1200 errichtet worden sein. Andere Dach werke werden vom 13. Jahr-
hundert bis etwa 1350 eingeordnet. Dabei erweist allerdings die Überprüfung an
Hand einiger zuverlässig datierter Gebäude, daß selbst erfahrene Forscher bei der
zeitlichen Ansetzung von Konstruktionen nicht selten allzu ängstlich waren. Zweifel
und Unsicherheit entstanden bei ihnen meist dadurch, daß im Bereich der Volks-
architektur bauliche Zeitkriterien, wie sie bei der „hohen“ und der Steinarchitektur
schon lange zur Verfügung stehen, noch immer fehlen. Zwar ist man zur Zeit auch
auf diesem Gebiet um eine brauchbare Systematik der Stilerscheinungen bemüht, um
zuverlässigere und genauere Einschätzungen zu ermöglichen. Doch dürfte hier
die Gewinnung wissenschaftlich vollkommen einwandfreier Methoden so bald noch
nicht zu erwarten sein.
In den frühen Gebäuden des südöstlichen Englands werden nahezu regelmäßig
folgende Merkmale angetroffen:
1. die Verdopplung der Kopfbänder sowohl in den Quer- als auch in den Längs-
verbänden,
2. lange Diagonalstreben oder „Ankerstreben“ (lacing ties), die vom Dach bis zu
den Ständern hinabreichen und Sparren, Kehlbalken, Balken und Ständer an-
einander binden,
3. das Fehlen von Pfetten oder ähnlichen Längshölzern im Dachwerk,
4. die Verwendung von Hölzern mit nahezu gleichem Höhen-Breiten-Verhältnis,
d. h. mit nahezu quadratischem Querschnitt für alle Hauptgefügeglieder,
5. diagonal in den Gebäudeecken in Höhe der Traufen verzimmerte „Drachen-
streben“ (Dragon ties) für eine horizontale Dreiecksicherung des Gefüges und
schließlich
6. das häufige Auftreten von Blattungen — manchmal in Schwalbenschwanzform —
zu einem Teil in Verbindung mit der sonst üblichen Zapfenverbindung (Abb. 3).
Das Limpfield-Haus enthält alle diese sechs archaischen Merkmale; als Datierung
wird, wie bereits gesagt, für das Gebäude etwa 1200 angenommen. Es scheint ur-
sprünglich eine Art Gutshaus gewesen zu sein, das zu einem abseits gelegenen Hof
der Battle-Abtei gehörte. Das würde auch die bemerkenswert künstlerische Qualität
des Gebäudes mit seinen geschnitzten Blattkapitelen, die an den „französisch-
korinthischen“ Stil erinnern, erklären. Ein sicherlich späteres, aber nicht mehr als
50 Jahre jüngeres Beispiel ist das Bauernhaus von Chennels Brook in der Nähe von
Horsham, Sussex. Dieses Gebäude enthält nur noch fünf der oben aufgeführten
archaischen Merkmale — bezeichnenderweise ist in ihm auf die langen Diagonal-
l//5/'ilUEUm#l(llUir^r£M «WNittWWWAYfn ifWflWI »IV
Britische Volksarchitektur 307
Abb. 3. Querschnitte südostenglischer Häuser
a Limpsfield (ca. 1200) c St. Mary’s Hospital, Chichester (1280)
b Chennels Brook Farm (ca. 1250) d Die Modellform vom späten 14. Jh. ab
streben verzichtet worden. Als nächstes wurde in den Gebäuden vermutlich die
Verdopplung der Kopfbänder als unnötig angesehen. In Sussex erscheinen Doppel-
kopfbänder in Gebäuden mit Abseiten, die vom ersten Viertel des 14. Jahrhunderts
ab datiert werden, nur noch einzeln. Die schwierige Verzimmerung der eigenartigen
Doppelkopfbandkonstruktion dürfte Ursache für deren schnelles Verschwinden
gewesen sein — um etwa 1300 war sie wahrscheinlich schon veraltet.
Dem Aufgeben unnötig erscheinender Gefügeglieder ging die Einfügung neuer
Konstruktionselemente, mit denen man die Stabilität der Gebäude zu verbessern
suchte, parallel. Daß alle diese Veränderungen im Dach werk auf Experimente und
AWfIf/////// »«I«
308
Reginald T. Mason
nicht etwa auf die Kenntnis statischer Gesetze zurückgehen, lassen die verschiedenen
Wege eindeutig erkennen, auf denen neue Formen gewonnen wurden. Ohne Zweifel
dauerte das Experimentieren am Dachwerk zumindest ein Jahrhundert, bis die end-
gültigen Konstruktionen des 14. und 15. Jahrhunderts erreicht wurden.
Das Fehlen jeglicher längsbindender Hölzer im älteren Dachwerk muß sowohl bei
dessen Errichtung von Nachteil als auch nicht selten später Ursache für dessen Zu-
sammenbruch gewesen sein. Aus diesem Grunde wurde in jüngeren Gebäuden ein
besonderer Längsverband eingefügt, der durch das gesamte Dach unterhalb der
Kehlbalken verlief. Dieser Stuhl-Unterzug (collar purlin) verhinderte, wenn er auch
an die Kehlbalken nicht direkt befestigt war, fortab das Umstürzen der Sparren und
übertrug überdies einen Großteil des Dachgewichts auf die Mitte der Ankerbalken.
Die Länge des Unterzuges nämlich machte in bestimmten Intervallen Unterstützun-
gen erforderlich, die durch „Kronenständer“ (crown post), d. h. einfache Stuhlständer
zwischen Rähm und Ankerbalken, gewonnen wurden. Diese Stuhlständer wiederum
benötigten, um seitliche Bewegungen im Dachwerk zu verhindern, Kopfbänder, und,
um das Dach vollkommen abzusichern, wurden schließlich Kopfbänder auch in
Firstrichtung eingefügt. Auf diese Weise entstand nunmehr das vollentwickelte
Dachwerk mit dem einfachen Stuhl ( crownpost-collar purlin roof), das in hunderten
von Beispielen im südöstlichen England bewahrt blieb. Es gibt zahllose kleine
Variationen dieser Konstruktion: in der Anordnung der Kopfbänder, in der Form
der Stuhlständer, in besonderer Profilierung der Ständer am Kopf- und Fußende
oder in der Verwendung gekrümmter anstelle gerader Kopfbänder.
Diese Entwicklung des Dachwerks verlief in der Zeit von 1200 bis etwa 1280 —
in diesem Zeitraum gewann das Stuhlständerdach in aufwendigeren Gebäuden bereits
seine handwerkliche Reife. Neben ihnen jedoch wurden, wie bereits betont, in
einfacheren Gebäuden immer wieder Dachwerke auch ohne Stuhlständer und ohne
Stuhlrähme errichtet (bis 1400 und darüber hinaus). Aber auch das Chichester-
Dach ist in der Folgezeit konstruktionsmäßig zunächst nicht weiter entwickelt
worden — es blieb die Modellform für die nächsten 200 Jahre. III
Fast alle diese Erkenntnisse wurden erst während der letzten 15 Jahre gewonnen,
und das läßt hoffen, daß man durch intensives Forschen auch für die Dachwerk-
formen West- und Nordenglands zu ähnlich interessanten Ergebnissen gelangen
wird. Das gilt vor allem für die Probleme um den „Königständer“ (kingpost), d. h.
die verkürzte Firstsäule, eine in Nordengland weit verbreitete Konstruktion mit
längsbindendem Firstbaum und bis zu ihm hinaufreichenden Mittelstützen. Im
allgemeinen besitzt dieses Dachwerk außer dem Firstbaum auch Beipfetten (side
purlins) und Pfettenstreben (purlin struts) — im ganzen eine Konstruktion, die in
ihrer einfacheren Ausbildung auf die Entstehung aus einer primitiven Grundform
mit Firstbaum und hoher Firstsäule schließen läßt. Alle hiermit zusammenhängenden
Fragen sind vornehmlich von Cordingley4 untersucht worden, wobei er davon
ausging, daß die traditionellen Bauformen am besten von den Dachwerken her er-
forscht werden können, lassen sich doch dabei Variationen am ehesten erkennen
III
Balcombe, Sussex. Bauernhaus in Ständerwerktechnik
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Tafel 22
Britische Volksarchitektur
309
DUNSTERS MILL HOUSE
TICEHURST
HOMEWOOD HOUSE
BOLNEY
TICKER I DGE
WEST HOATHLY
CHENNELLS BROOK FARM
HORSHAM
Abb. 4. Häuser mit Knieständern
und auf diese Weise Steingebäude wie Fachwerkgebäude gleichermaßen untersuchen.
Der ganze Umfang der dadurch gegebenen Möglichkeiten wird deutlich, wenn man
weiß, daß Cordingley mehr als 60 verschiedene Dachwerkformen klassifizierte,
jede mit einer Reihe von Varianten.
Bei den Dachwerken mit Seitenpfetten schied Cordingley Ständerwerktradition
von Krummspanntradition, indem er nach der Anordnung dieser Längshölzer
differenzierte. So wollte er alle Pfetten, die außerhalb der eigentlichen Träger laufen,
als Abkömmlinge des Krummspanns ansehen, alle jene jedoch, die oberhalb der
Träger bzw. zwischen ihnen eingefügt sind, den Ständerwerken zurechnen. Damit
aber dürften die Verhältnisse unnötig kompliziert werden. Eigenart und Verteilung
21 Volkskunde
310
Reginald T. Mason
der britischen Dachwerktypen werden unseres Erachtens weitaus verständlicher,
wenn alle Seitenpfetten grundsätzlich der Krummspannschule zugezählt werden.
Das späte Auftreten der Seitenpfetten in Südostengland (etwa 1450) ist vielleicht
eine Stütze dieser unserer Annahme.
Es ist verständlich, daß in den Grenzbereichen beide Schulen sich vermischten
bzw. miteinander verschmolzen. Und so ist in den letzten Jahren eine Konstruktion
bekannt geworden, die möglicherweise eine solche Kontaktform sein kann, wenn
es sich in diesem Fall nicht unter Umständen auch um eine selbständige Neu-
entwicklung handelt. Gemeint ist die „Knieständer-Bauweise“ (base cruck technique,
Abb. 4) mit den großen krummspannähnlichen Ständern und einem längsbindenden
Rähm (arcade plate) darüber. Zwei Ursachen für ihre Entstehung wären denkbar,
und zwar
1. daß diese Konstruktion zunächst für größere Häuser entwickelt wurde, weil mit
ihrer Hilfe breitere Räume besser überdacht werden können,
z. daß diese Konstruktion im hall-house mit Abseiten entstand, in dem es notwendig
wurde, die in der Halle störenden Ständer zu entfernen.
Welche der beiden Ursachen bestimmend war und ob nicht eventuell beide an dieser
Entwicklung Anteil hatten, vermögen nur weitere Forschungen und detaillierte
Untersuchungen zu entscheiden. Sicherlich gibt es noch manche Gebäude mit dieser
Konstruktion, die heute noch nicht bekannt und für dieses Problem von bedeutsamer
Aussage sind. Eine Stütze für die Annahme, daß die Knieständer in keiner Be-
ziehung zum Krummspann stehen, daß sie vielmehr eine vollkommen unabhängig
davon entwickelte Technik sind, mag in der Häufigkeit dieser Konstruktion in
Sussex und Kent gesehen werden, wo echte Krummspannbauten unbekannt sind
(Abb. 5). Hier tragen die Knieständer etwa in der Mitte der Halle das Rähm des
Ständerwerks — sie sind hier offenbar nur als Bemühen zu verstehen, in Gebäuden
mit Abseiten die in der Halle störenden Hauptträger in die Außenwand zu verlegen.
Gleichem Bemühen verdankt auch eine besondere Kragbalkenkonstruktion, die
,,Hammerbalken“-Technik (hammer beam), ihre Entstehung. Obwohl diese Kon-
struktionen im Grunde alle dem Fachwerk angehören, finden sie sich auch nicht
selten in massiv errichteten Gebäuden. Hier treten sie dann vornehmlich in Ver-
bindung mit dem „gestützten“ Dachwerk auf.
Um die Mitte des 17. Jahrhunderts waren die regionalen Eigenarten sowohl im
Gesamtbild der Gebäude als auch in den Einzelheiten der Konstruktion überwiegend
verschwunden. Fachwerkbauten wurden nun fast vollkommen mit Mauerwerk
verkleidet und traditionell errichtete Häuser überall verändert, um den gewachsenen
Anforderungen an das Wohnen zu genügen. Zu einem Teil handelt es sich dabei
um typische Renaissance-Erscheinungen — dazu rechnet vor allem das vom 15. Jahr-
hundert an erkennbare Bestreben, die offenen Hallen aufzugeben. Alle diese Vorgänge
wurden durch das überraschend schnelle Anwachsen des Wohlstands in der Zeit von
1570 bis 1630 wesentlich beschleunigt. Jetzt verschwinden selbst beim einfachen
Bauernhaus die traditionellen Merkmale. Von W. G. Hoskins6 ist diese Zeit ihrer
History To-Day 5/2 (1955) 104— ui.
Britische Volksarchitektur
311
Eigenart entsprechend als die Periode des „Großen Neubauens“ (The Great Re-
building) bezeichnet worden. Damit ist treffend eine Epoche charakterisiert, die
fortab für einige Jahrhunderte die Zeugnisse der älteren Bauformen vollkommen
überdeckte.
Abb. 5. Verbreitung der Knieständer in Großbritannien
(Die Hochlandgebiete sind schraffiert)
Von den interessanten Erscheinungen dieser baulich so aktiven Periode ist vor
allem die Entwicklung des Schornsteins in den einfacheren Häusern bemerkenswert.
Wohl waren in reicher ausgestatteten Gebäuden vorzügliche Herd- und Schorn-
steinanlagen bereits seit 1100 anzutreffen, doch treten sie schon in den kleineren
Gutshäusern vor etwa 1480 überhaupt nicht auf. Bauernhäuser und Katen kannten
dergleichen Vorrichtungen selbst bis zum Ende des 17. Jahrhunderts nicht.
Die einfachen Bauernhäuser besaßen ursprünglich nur eine einzige Feuerstätte,
den zentralen Herd in der Halle. Diese Anlage diente sowohl dem Kochen als auch
dem Heizen. Eine Antwort auf die Frage, ob der dabei im Raum auftretende Rauch
von den Bewohnern als lästig empfunden wurde, geben die zahllosen Bemühungen,
diese Belästigung einzuschränken und den Rauch abzuleiten. So finden sich in noch
21*
312
Reginald T. Mason
vorhandenen mittelalterlichen Gebäuden oft zwei Dachabschnitte in der Halle nach-
träglich besonders verkleidet und verputzt, um die Rauchableitung zu verbessern.
Häuser aus dem 16. Jahrhundert erhielten solche Abzugsvorrichtungen von vorn-
herein. Später war man bemüht, richtige Schornsteine aus lehmverkleidetem Fach-
werk zu bauen. Schornsteine dieser Art wurden in London im 15. Jahrhundert
bereits verboten, doch sind in ländlichen Gebieten einige dieser dort während des
16. und 17. Jahrhunderts angelegten Kamine noch immer in Gebrauch. Weitere
Häuser bewahrten bis heute ge-
wisse Reste anderer Vorrichtun-
gen, die aber in ihren Einzelheiten
gewöhnlich schwer zu deuten
sind. Jahrelange sorgfältige Unter-
suchungen solcher Relikte ließen
jedoch immerhin ein ungefähres
Bild der konstruktiven Eigenart
dieser Anlagen gewinnen. So wur-
de kürzlich in einem einfachen
Haus in Warninglid, Sussex, das
auf etwa 1600 datiert wird, ein
vollständiges „Rauchfach“ (smoke
bay) noch in situ angetroffen, und
es war möglich, alle Einzelheiten
festzuhalten, bevor das Gebäude
eingerissen wurde (Abb. 6). Wäh-
rend des späten 16. Jahrhunderts
schließlich begann man, die bis
dahin vielfach noch offenen Hallen
mit Decken zu versehen, um dar-
über Schlafräume zu gewinnen
und steinerne Schornsteine einzu-
fügen. Dieser Prozeß ist bis etwa 1700 zu verfolgen — jetzt wurden alle Gebäude
mit Schornsteinen versehen. War ein älteres Rauchfach vorhanden, errichtete man
den steinernen Schornstein darin, bisweilen selbst innerhalb der oft im Querschnitt
weiteren Fachwerkschornsteine.
Die Ergebnisse der jüngsten Untersuchungen erweisen, daß die Forschung
nunmehr wirklich zu den Quellen der in Britannien heimischen Bauweise vor-
gestoßen ist. Dabei konnten, wie gezeigt wurde, bereits interessante Feststellungen
zur Entwicklung der Gefüge gewonnen werden. Doch ist überdies auch schon
offenbar geworden, daß die vielschichtige soziale Struktur, die für Britannien lange
bekannt ist, sich sinnfällig in der dortigen Architektur widerspiegelt. Es ist ein
Glück, daß der Wert dieser Erscheinungen noch begriffen wurde, bevor die moderne
Zeit sie gänzlich zu zerstören vermochte.
Abb. 6. Warninglid, Sussex.
Konstruktion des Rauchfachs
Deutsch von Karl Baumgarten, Rostock
v/mmnWfmumvMm&mmsx&wifflfMi i\
Zur Entwicklung der Bergbautechnik des 16. Jahrhunderts
im Westteil des böhmischen Erzgebirges
Von JiRi Majer
Die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert hat im böhmischen Bergbau eine Reihe
beunruhigender Fragen aufgeworfen. Die Zahl der im Abbau befindlichen Lager-
stätten war in der stürmischen Ära der hussitischen Revolution und im Verlauf der
nachfolgenden Kämpfe um die Erhaltung der territorialen Integrität des böhmischen
Staates wesentlich gesunken. Die unsichere politische Zukunft und das gestörte
Gleichgewicht der ökonomischen Struktur hatten den Umfang der Bergbauarbeiten
auch in den traditionellen Revieren wesentlich beeinflußt. Diese hatten mit ihrer
hohen Ausbeute, mit den so oft bewährten Formen der Gewinnung und durch ihre
zweckmäßigen Rechtsnormen den Ruhm des böhmischen Bergbaus begründet. Die
bisherige, auf Empirie begründete Bergbaupraxis, die im 14. und 15. Jahrhundert
ihren Höhepunkt erreicht hatte, verlor stark an Wirkungskraft. Die Epoche der
böhmischen Bergbautechnik näherte sich um 1500 langsam ihrem Ende, obwohl mit
ihren Mitteln die Kuttenberger Lagerstätte bis in die Teufe von 500 und mehr Metern
ausgebeutet worden war.1 Neue Formen der Bergbaupraxis, die ein höheres tech-
nisches Niveau und eine bessere Organisation des Arbeitsprozesses garantierten,
mußten gesucht werden.
Worin bestand der Grund, daß die bisherigen Formen der alten böhmischen
Technik allmählich abstarben? Man kann nicht behaupten, daß es an eigenen Be-
strebungen mangelte, aktuelle Fragen zu lösen, ob es sich nun darum handelte, die
seigere und horizontale Förderung zu verbessern oder die Wasserhebung aus der
Tiefe und die Bewetterung der Grubenbaue wirkungsvoller zu gestalten. Auch die
Anordnung des Produktionsprozesses mußte im Zusammenhang mit dem sinkenden
Erzgehalt in tieferen Lagerstättenpartien ökonomisch fragwürdig werden. Die
Lösung des Kernproblems wurde insbesondere durch die bisherige Art des Auf-
schlusses der Lagerstätten mittels schräg (tonnlägig) einfallender Schächte behindert.
Sie erschwerten, ja verhinderten einen wirkungsvollen Einsatz von Förder- und
Pumpanlagen mit Pferdeantrieb und vor allem die Nutzung der Wasserkraft, trotz-
dem diese gerade in Kutnä Hora (Kuttenberg) bekannt und in verschiedenen Modi-
fikationen (rota equorurn, rota aquae)1 2 bereits vom 14. Jahrhundert an verwendet
worden waren.
1 Jan Koran, Pohled do minulosti naseho hornictvi (Blicke auf die Vergangenheit unseres
Bergbaus). In: Sbornik historicko hornicke konference (Pribram 1966) 9.
2 Jan Koran, Nase bänskä technika za feudalismu (Unsere Bergbautechnik im Feudalis-
mus). In: Sbornik pro dejiny pfirodnich ved a techniky Bd. 2 (Praha 1955) 8.
314
JiRi Majer
Neue Anregungen konnten daher leichter von den Stellen kommen, wo dieses
belastende Moment unzulänglicher Schachtanlagen nicht das Übergewicht ge-
wonnen hatte. Das traf zu im sächsischen Erzgebirge, wo im Laufe der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts einige neu entdeckte Silbererzlagerstätten, insbesondere
in Schneeberg und Annaberg, aber auch neue Zinnerzlagerstätten in Geising und
Altenberg sowie solche in Geyer, Ehrenfriedersdorf, Thum von vornherein mit
senkrecht niedergeführten, nicht mühsam durchs Gestein kriechenden Schächten
abgebaut wurden. Hier gab es günstigere Voraussetzungen für eine fortlaufende
Entwicklung progressiver Prinzipien der Bergbaupraxis,3 die dann im Laufe der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch auf die böhmischen Bergbaubetriebe aus-
zustrahlen begann; zunächst erreichte sie die Orte des nächsten Grenzkontaktes,
insbesondere Jachymov (Joachimsthal), Abertamy (Abertham), Prisenice (Pressnitz),
Kraslice (Graslitz), Horni Blatna (Platten), Bozi Dar (Gottesgab) (beide Städte waren
bis 1546 Bestandteil des Kurfürstentums Sachsen), Pernink (Bärringen), Hfebecnä
(Hengstenerben), Horni Slavkov (Schlaggenwald), Kräsno (Schönfeld) und weitere
Orte; später wurden sie auch in den binnenländischen Revieren, z. B. in Rudolfov
(Rudolfstadt), Kutnä Hora (Kuttenberg), Pribram und anderswo angewandt.
Zum Repräsentanten der moderneren Bergbaupraxis auf böhmischem Terri-
torium wurde seit seiner Gründung im Jahre 1516 vor allem Joachimsthal. Auf
diesem Revier waren die meisten Bedingungen gegeben, um die Grundsätze „mo-
derner“ Bergbautechnik anzuwenden und weiter zu entfalten: eine reiche Gang-
lagerstätte von Silbererzen und weiteren auch andere Metalle führenden Erz-
mineralien und dazu die Übernahme der Annaberger Bergordnung4 mit einer Reihe
von bergbaulichen und städtischen Privilegien. Diese sicherten einen schnellen
Zustrom erfahrener Arbeitskräfte nicht nur aus den böhmischen Ländern, sondern
namentlich auch aus Sachsen und Meißen (vor allem aus Schneeberg im Zusammen-
hang mit der Ersäufung der dortigen Gruben im Jahre 1511).5 Selbst aus ent-
fernteren Gebieten, aus dem Harz, Tirol, dem Rheinland6 und dem bayrisch-öster-
reichischen Grenzgebiet, Norddeutschland, Schlesien und aus weiteren Orten7
strömten nicht nur Knappen, sondern auch Gewerken mit genügend Kapital
3 Die Anfänge der sächsischen Neuerungen im Berg- und Hüttenwesen zur Agricola-
Zeit zählt auf Helmut Wilsdorf, Georg Agricola und seine Zeit. Berlin 1956, 13h, 38h —
Die Voraussetzungen für die Entstehung der neuen technischen Periode des böhmischen
Bergbaues erläutert Jiri Majer, Tezba stribrnych rud v Jachymove v 16. stoleti (Die Gewin-
nung von Silbererz in Joachimsthal im 16. Jh.). In: Sbornik Närodniho technickeho
muzea v Praze Bd. 5 (Praha 1967) Kap. I/i, z. Z. im Druck.
4 Sie ist durch den Knappenaufstand von 1517 nicht wesentlich modifiziert worden.
Dieser hat aber, wie bekannt, die Aufnahme des § 105 mit dem Lohnanspruch der im Beruf
erkrankten Bergleute und die Übernahme der Arztkosten durch die Grube durchgesetzt.
5 Die Einwanderung der Bergleute wird durch die Ertragssenkung des gesamten Schnee-
berger Reviers in den Jahren 1511—34 verstärkt, vgl. gedruckter Ausweis vom Jahre 1623
im Archiv der Bergakademie Freiberg (ferner gekürzt A-BA), Registratur des Oberberg-
amts Freiberg (ferner gekürzt OBA) Nr. 3728, f. 2.
6 Helmut Wilsdorf, Präludien zu Agricola. I. Das Joachimsthaler Bergbüchlein des Hans
Rudhart 1523. In: Freiberger Forschungshefte (ferner gekürzt FF) Reihe D 5 (Berlin 1954)
23 f.
7 Hans Lorenz, Bilder aus St. Joachimsthal. Joachimsthal 1925, 140.
Bergbautechnik des 16. Jahrhunderts im böhmischen Erzgebirge
315
beinahe aus ganz Mitteleuropa8 nach dort. Hinzu kamen noch dem Bergbau günstige
orographisch-morphologische Bedingungen9 in den Grubengeländen, ein unbe-
rührter Vorrat an Holz für Haus- und Wegebau-, Gruben- und Hüttenzwecke und
genügend starke natürliche Wasserläufe. Diese Umstände ermöglichten in Joachims-
thal bereits im Laufe der ersten Jahrzehnte den schnellen Aufschluß von 134 Gängen10 11
und deren Abbau mittels einer großen Anzahl von Grubenbauen, die bereits in der
Mitte der vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts die Zahl von 1344 Gruben und Stollen
erreichte11 und außerordentliche Erträge einbrachte.
Es wäre ein Irrtum zu glauben, daß auf der böhmischen Seite des Erzgebirges die
Elemente der neuen Bergbautechnik, die sich fortlaufend in den sächsischen Gruben
ausgebildet hatten, ausschließlich unverändert und vorbehaltlos übernommen
wurden. Geradeso wie sich in der „sächsischen“ Bergbautechnik Konstruktions-
erfahrungen aus einer ganzen Reihe europäischer Reviere widerspiegelten, wurde
auch in Joachimsthal, das man im 16. Jahrhundert als ein gewisses Prüfzentrum
ansehen kann, der Umfang ihrer Anwendung von einer Reihe spezifischer örtlicher
Faktoren determiniert. Wir begegnen also der im Bergwesen häufig auftretenden
Erscheinung, daß weitgehend ein Austausch von Berufserfahrungen stattfand.
Hier fehlt die dem Handwerk eigene Tendenz zur Geheimhaltung der „Kunst-
griffe“ zu egoistischer Nutzung daraus erzielbarer Gewinne. Allenfalls mag es unter
den Schmelzern „Hüttengeheimnisse“ gegeben haben, bei den Bergleuten steht
jedoch die Austauschbereitschaft im Vordergrund. Sie berührte nicht nur die Sphäre
des Berufs, sondern hat auch bewirkt, daß unter den Bergleuten eine schnelle
Assimilation im Gemeinschaftsleben, bei Brauch und Sitte, im Erzählgut oder im
Lied zu Fest und Feier möglich war. Der „Fremde“ wurde eben als Bergman und
nicht als Fremder angesehen, allenfalls überdeckte die Herkunft aus einem be-
rühmten Bergort wie eine Ehrenbezeichnung seinen Familiennamen — „der
Schwozer“ war eben eigentlich der Paul Grammetstetter aus Schwaz in Tirol.12
Daher sind in Joachimsthal und auch in weiteren böhmischen Revieren neben
den Hilfsmitteln der älteren Bergbaupraxis sehr bald die neuesten technischen Ein-
richtungen nachzuweisen, vor allem Förder-, Pump- und Aufbereitungsanlagen, und
parallel mit ihnen zeichnen sich Bestrebungen ab, eigene Konstruktionen zu schaffen.
Um die Formen der Bergbautechnik auf der böhmischen Seite des Erzgebirges
abzugrenzen und ihre Abhängigkeit und Ursprünglichkeit zu bestimmen, ist eine
8 Vgl. Verzeichnis der Gewerkschaften bei Ingrid Mittenzwei, Der Joachimsthaler Auf-
stand von 1525, seine Ursachen und seine Folgen. Berlin 1963, 36h
9 Bei sehr steiler Lage — die der Siedlung nicht günstig ist — erreichen kurze Stollen
schnell die Gruben, bringen Frischluft und ziehen die Wasser ab. Außerdem läßt sich jeder
Wasserlauf in kurzen Abständen stauen, und das Gefälle genügt auch bei etwas geringeren
Wassermengen.
10 Bericht der Befahrungskommission vom 5. April 1561, Statni üstredni archiv (Zen-
trales Staatsarchiv) Praha (ferner gekürzt SÜA): MM-5-89/1561.
11 Bericht der Befahrungskommission vom 14. November 1563, SÜA Praha: MM-5-84/
1563-
12 Zum Problemkomplex der Montanethnographie sind die Darlegungen von Helmut
Wilsdorf zu vergleichen, z. B. in diesem Jahrbuch, Aspekte der Montanethnographie.
Zugleich ein Rückblick auf die Montanarchäologie 10 (1964) 54 — 71.
316 JiRi Majer
detailliertere Analyse notwendig. Sie kann zwar bei der bekannten Schweigsamkeit
und Unvollständigkeit der Archivquellen des 16. Jahrhunderts zu dieser Frage nicht
erschöpfend sein, doch zeichnen sich einige Ergebnisse für das böhmische West-
gebiet des Erzgebirges (vor allem für Joachimsthal) bereits ab.
Gewinnungsarbeiten an der Silbererz-Ganglagerstätte
Die Abbaumethoden in den böhmischen, im Laufe des 16. Jahrhunderts im
Erzgebirge entstandenen Grubenrevieren unterschieden sich von den sächsischen
Methoden nicht wesentlich. Sie waren durch den gleichen Charakter der Gang-
lagerstätten und der Gelände mit großen Höhenunterschieden gegeben, die es er-
möglichten, Lagerstätten bis zu bedeutenden Teufen aufzuschließen. Im Gegensatz
zur älteren böhmischen Praxis, die der Erzader folgte und alle Windungen in Kauf
nahm, wurden nach sächsischem Muster die Stollenarbeiten und vor allem die Ab-
teufung seigerer Schächte stärker betont.13 Gewinnungsarbeiten mittels schräg
einfallender Schächte erleichterten zwar rein technisch das Vordringen in die Tiefe,
verlangsamten es aber auch, weil meist viel mehr totes Gestein weggebrochen
werden mußte. In der ersten Phase der Förderung aus der Oxydations- und Zemen-
tationszone überwog die Zahl der Stollen im Joachimsthaler Gebiet über die Schächte
infolge der Notwendigkeit, die Lagerstätte maximal zu entwässern. Oft wurden auf
einen einzigen Gang 6 — 8 kurze Stollen mit einer Länge von etwa 20 —100 m
(xo — 50 Lachter), ausnahmsweise 100 Lachter,14 vorgetrieben, analog der Auf-
schlußperiode in Sachsen und im Harz. Kurze Stollen haben aber immer nur ein
kurzes Leben — das mit ihnen erreichbare Erz ist schnell abgebaut. An der Wende
der vierziger und fünfziger Jahre des 16. Jahrhunderts waren sie schon größtenteils
zu Bruch gegangen, obwohl sie die Lagerstätten z. B. in Joachimsthal in etwa
60 —150 m Tiefe,15 in Abertham in flacherem Gelände bei 20 — 35 m,16 in Hengsten-
erben bei etwa 60 m Tiefe17 und ähnlich auch in den übrigen erzgebirgischen
Revieren erreicht hatten.
Vom Ende der vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts gewannen daher tiefe Stollen
außerordentlich an Bedeutung, die nach und nach die meisten bisher von der Ober-
fläche geförderten Gänge in der Teufe anfuhren.18
Da nun nach Bergrecht dem Stollen, der die Grubenwasser ableitete und Frisch-
luft brachte, von jeder Grube 10% ihres Erzertrages zustand, rentierten sich solche
13 Bericht des Bergamts (ferner gekürzt BA) Joachimsthal vom 2. November 1556.
SÜA Praha: MM-5-85/1572-79.
14 Begleitungsbericht zum Befahrungsprotokoll vom 29. April 1589. SÜA Praha:
F 66/Jächymov, Fase. Nr. 78, f. 5 v°. — Joachimsthaler Lachter = 1,917 M.
15 Siehe Anm. 13 [Angaben im bergmännischen Längenmaß (Lachter) sind in m um-
gerechnet].
16 Bericht des BA Gottes Gab vom 22. Mai 1587. SÜA Praha: Vrchni horni üfad Jächy-
mov (ferner gekürzt VHÜ), Fase. Nr. 18.
17 Bohuslav Jezek, Cinovcove doly v Hengstererbenu v Krusnych horäch (Zinnbergbau
zu Hengstererben im Erzgebirge). In: Hornicky vestnik 15 (Praha 1933) 107.
18 Vgl. z. B. Mandat des Königs Ferdinand I. vom 7. November 1549, welches die
Förderung aus den tiefen Stollen des Joachimsthaler Reviers anordnete. Archiv des Na-
tionalmuseums (ferner gekürzt ANM) Praha: Nachlaß des Grafen Kaspar Sternberg im
Familienarchive Sternberg-Manderscheid, Fase. Nr. 1x7 u. a.
Bergbautechnik des 16. Jahrhunderts im böhmischen Erzgebirge 317
Anlagen, die sog. „Erbstollen“, die in jahrzehntelanger Arbeit beträchtliche Aus-
maße gewonnen hatten, wie folgende Tabelle zeigt:
Name des Stollens Baube- Länge ums Tiefe ums Anm.
und Ort ginn Jahr 1590 Jahr 1590
1. St. Barbara-Prülln-St. 1518 11500 m 345 m 19
zu Joachimsthal
2. St. Daniel-St. 1520 6000 m 364 m 20
zu Joachimsthal 21
22 Lachter tiefer als Nr. 1 22
angesetzt und z. T. mit ihm verbunden
3. Sächs. Edelleut-St. 1540 4000 m 345 m 23
zu Joachimsthal nach dem Dürnberg getrieben
4. Graf-Lorentz-Schlick-St. 15 3 3 4000 m 210 m 24
zu Abertham 5. Tiefer Haus-v.-Öster- um 1550 6000 m ca 80 m 25
reich-St. zu Preßnitz 6. Caspar-v.-Pflug-St. 1539 5508 m 95 m 26
zu Schlaggenwald 7. Schafstollen zu um 1550 1600 m um 1562 27
Hengstererben 58 m
In den übrigen erzgebirgischen Revieren entsprach die Länge der tiefen Erb-
stollen etwa der in Sachsen28 oder im Harz,29 größtenteils aber waren sie kürzer.
Da aber die Stollen nur langsam herankamen, erschloß man die Lagerstätten durch
ein System von Schächten, die nur z. T. über Tage begannen, oft aber aus streichen-
den Strecken als Blindschächte niedergingen. Gerade so wie überall wurde deren
19 Bericht des OBA Joachimsthal vom 24. Juni 1589. SÜA Praha: MM-5-87/1589.
20 Bericht des OBA Joachimsthal vom 13. Juli 1613. SÜA Praha: MM-5-89/1613.
21 Unter anderen Quellen siehe auch den Bericht (vom Anfang des 18. Jahrhunderts) in
der Bücherei der Bergakademie Freiberg (ferner gekürzt B-BA): Nachrichten von den
böhmischen Bergwerken, Manuscripte XVII/156.
22 Okresni archiv (Bezirksarchiv) Karlovy Vary (ferner gekürzt OA): Liber miscellaneo-
rum, Manuskript vom Ende des 16. Jahrhunderts, f. 4 v°.
23 Ebda. f. 4 v°.
24 Ebda f. 4 v°.
25 Bericht des BA Pressnitz vom 23. Oktober 1596. SÜA Praha: MM-5-220/1596.
2ä Wilhelm Weizsäcker, Sächsisches Bergrecht in Böhmen. Liberec 1929, 165. — (Schlag-
genwalder Lachter = ungefähr 1,95 m).
27 Vgl. Bericht der Befahrungskommission vom 20. September 1562. SÜA Praha:
MM-5-83/1563 u. a.
28 In Schneeberg erreichte der Marx-Semler-Tiefer-Stollen im Jahre 1596 die Länge
von ungefähr 4,6 km (A-BA Freiberg: Registratur des BA Annaberg, Nr. 2568, f. 366), der
Thelersberger Stollen in Freiberg erreichte im Jahre 1556 die Länge von 3,6 km (A-BA
Freiberg, Registratur des BA Freiberg, Sekt. 14) u. a.
29 Neue Angaben über die Länge der Stollen des 16. Jahrhunderts im Harz siehe Herbert
Dennert, Bergbau und Hüttenwesen im Harz, 1. Teil (Clausthal-Zellerfeld i960) 96; Tiefer
Fortunatus-Stollen in der Zeitperiode i486 —1585 erreichte die Länge von 4,8 km; vgl.
Herbert Dennert, Heimatmuseum mit seinen Bergwerksanlagen in Zellerfeld. Clausthal-
Zellerfeld 1965, 4.
u WALUf/Atl i IWfßjnItliflVI *l #/
318 JlRf Majer
Teufe durch die Leistungen der verwendeten Fördereinrichtungen, d. h. der Haspel
und Göpel, bestimmt.30 Bis um 1550 wurden in den böhmischen Gruben im Erz-
gebirge nur ausnahmsweise Teufen von 200 m31 erreicht, meist gingen die Gruben
selbst in Joachimsthal nicht tiefer als xoo—120 m.32 Ein Haupthindernis, dort
größere Teufen auszubeuten, war wahrscheinlich der Basaltdurchbruch („Schwarz-
gestein“), der in einer Teufe von etwa 160 m die Gangzonen (etwa im Abschnitt
Schottenberg—Kohlberg) durchzog und oft die Erze abschnitt. Die Fortsetzung
der Ganglagerstätte unter dieser Schicht tauben Gesteins ist damals nur vereinzelt
festgestellt worden.33 Sicherlich trug dazu die erschwerte Wasserhebung bei, da die
tiefen Erbstollen St. Barbara und St. Daniel noch nicht herangekommen waren.
Teufen wie im sächsischen Erzgebirge, wo man bereits um 1520 in Schneeberg
oder in Geyer die 400 m-Grenze erreichte,34 sind auf böhmischer Seite erst in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erreicht worden. Die größte Teufe von 440 m
soll die Grube ,Einigkeit am Kühgang* erzielt haben,35 die sonstigen Vermessungs-
ergebnisse ergaben im Jahr 1613 ein Maximum von 412 m.36
Gruben, die von den tiefen Erbstollen erreicht wurden, konnten noch etwas
unter das Stollenniveau Vordringen, wenn nicht gar zu viel Wasser auf die Stollen-
sohle zu heben war. Manche erzielten dadurch weitere 60 — 80 m und, wenn man den
alten Messungen glauben soll, sogar 200 m.37 Erreichte dagegen kein Stollen den
Schacht, blieb die Teufe auf 200 m bis maximal 360 m begrenzt.38 39 40 Wie die folgende
Übersicht zeigt, waren sogar diese Teufen nur in Joachimsthal selbst erreichbar,
nicht aber auf den Nebenrevieren wie Olovi (Bleistadt), Loucna (Wiesenthal) oder
Kaff.
Metall Ort Stollentiefe Grubentiefe Anm.
m m
Silber Abertham 220 260
Blei Bleistadt 400 39
Zinn Schlaggenwald 95 170 40
Platten 60 41
Platten ausnahmsweise 160 42
Kaff, Wiesenthal 60 43
30 Über die Förderung durch Haspel und Göpel in den sächsischen Fundgruben vgl.
Otfried Wagenbreth, Die bergbaulichen Denkmale im Lichte der Bergbautechnik Agricolas.
In: FF D 18 (Berlin 1957) 95 f.
31 Georg Agricola, Bermannus oder über den Bergbau ein Dialog. (Übersetzt und be-
arbeitet von Helmut Wilsdorf.) Berlin 1955, 81.
32 Gutachten des Bergbauunternehmers Jonas Peiler gast vom 23. August 1563. SÜA
Praha: VHÜ Jächymov, Fase. Nr. 2.
33 Äußerung des OBA Joachimsthal zu Pellergasts Gutachten vom 8. November 1563.
SÜA Praha: VHÜ Jächymov, Fase. Nr. 2.
34 Agricola, Bermannus 87.
35 Johannes Mathesius, Sarepta oder Bergpostill. Nürnberg 1564, f. 165 r°.
36 Befahrungsprotokoll vom 27. Juli 1613. SÜA Praha: MM-5-89/1613.
37 Bericht des BA Joachimsthal vom 22. Oktober 1596. SÜA Praha: MM-5-88/1596.
38 Siehe Nachrichten von den böhmischen Bergwerken. B-BA Freiberg: Manuscripte
XVII/156.
39 Ebda.
40 Befahrungsprotokoll vom 12. Juni 1587. SÜA Praha: MM-5-280/1587.
Bergbautechnik des 16. Jahrhunderts im böhmischen Erzgebirge
319
Obwohl die Erze in der erreichten Tiefe noch nicht erschöpft waren, hörte man
um 1590 auf und unterbrach die Arbeiten auf fast 150 Jahre. Denn damals war auch
die Leistungsfähigkeit der „neuen“ sächsischen Bergbautechnik erschöpft — einen
rentablen Betrieb gewährten die damaligen Möglichkeiten nicht länger mehr.
Die Art der Erschließung der Lagerstätten durch Schacht und Stollen unter-
schied sich damals nicht von der sächsischen Praxis, und das gilt auch für die Abbau-
methoden, die überall mit Schlägel und Eisen und dem sonst üblichen Gezäh41 42 43 44 wie
im übrigen Europa oder auch in der ,Neuen Welt4 vorgenommen wurden. In sehr
hartem Gestein suchte man wie vor alters die Arbeit durch das Feuersetzen45 etwas
zu erleichtern, doch fruchtete dieses Verfahren nur in jenen Zinnerzlagerstätten, die
ein fast fugenloses Gestein aufwiesen und außerdem auf ein Abrösten der Erze an-
gewiesen waren.
Die tiefen Schächte brachten natürlich erhöhte Unfallgefahren mit sich, doch
fehlt für das 16. Jahrhundert eine zuverlässige Unfallstatistik46 — im 17. Jahrhundert
kamen weitere Unfälle bei der Verwendung des Schießpulvers hinzu. Doch wollen
wir die Faktoren, die auf die Lebensweise der Bergleute tieferen Einfluß hatten, am
Schluß zusammenfassen, zumal die Frage nach dem Zusammenhang zwischen
bergbautechnischen Neuerungen des 16. Jahrhunderts und der Gesundheit der
Bergleute schon durch eine entsprechende Studie47 beantwortet ist.
Wir haben zunächst festzuhalten — was auch aus dem Holzschnitt hervorgeht,
den wir wie auch die Abbildungen Nr. 2 — 7 dem Werke Agricolas entlehnen —,48
41 Jifí Majer, Lesní cínové doly na ceskosaském pomezi v 16. a na pocätku 17. stoleti
(Zinngruben in den Wäldern des böhmisch-sächsischen Grenzgebietes im 16. u. 17. Jh.).
In: Sborník Národního technického muzea Bd. 4 (Praha 1965) 166.
42 Anton Chlupsa, Das Zinnvorkommen im böhmischen Erzgebirge. Montanistische
Rundschau 21 (1929) 321.
43 W., Einiges über das Vorkommen des Zinnes in Böhmen. Zs. des Montanistischen
Vereins, Jg. 1856, 73.
44 Mathesius, Sarepta, f. 193 r°; kurze Beschreibung des bergmännischen Gezähs in
mitteleuropäischen Gruben siehe Václav Lomic, Dúlní nástroje a jejich pouzití ve stíedoe-
vropskych dolech v druhé poloviné 16. stoleti (Grubengezäh und dessen Gebrauch im
mitteleuropäischen Bergbau in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts). Cesky lid 50
(Praha 1963) I29ff. oder bei Helmut Wilsdorf in diesem Jahrbuch 5 (1959) 255 — 300: Arbeit
und Arbeitsgerät im sächsischen Erzbergbau des 16. Jhs.
45 Über die Anwendung des Feuersetzens vgl. Bericht des BA Joachimsthal vom 2. No-
vember 1556 (SÜA Praha: MM-5-85/1556), im Schlaggenwalder Befahrungsprotokoll vom
12. Juni 1587 (SÚA Praha: MM-5-280/1587) u. a.
46 H. Wilsdorf in FF D 5 (1954) 198, Die Unfälle in Eibenstock 1591 — 1748, oder Curt
Langer, Der Ehrenfriedersdorf er Bergbau im Spiegel der Kirchenbücher. Sächs. Heimat-
blätter 11 (1965) 423—439.
47 Helmut Wilsdorf, Bergbautechnische Neuerungen des 16. Jahrhunderts und ihr
Einfluß auf die Gesundheit der Bergleute. Neue Zs. f. ärztl. Fortbildung NF 2 [48] (Stuttgart
4959) 778-784-
48 Agricola, De re metallica, Umzeichnung nach 1556 fol. 72 — 74, 80 — dt. Ausgabe
1928/1953/1961, 80 — 83, 90 (Bild-Nr. 46—49) — Abb. 2 auf S. 322: fol. 152 = dt. S. 165
(Bild-Nr. 102) — Abb. 3 auf S. 324: fol. 147 = dt. S. 160 (Bild-Nr. 100) — Abb. 4 auf S. 325:
fol. 158 = dt. S. 170 (Bild-Nr. 106) — Abb. 5 auf S. 330: fol. 131 — dt. S. 144 (Bild-Nr. 144) —
Abb. 6 auf S. 334: fol. 254 — dt. S. 278 (Bild-Nr. 169) — Abb. 7 auf S. 335: fol. 255 = dt.
S. 249 (Bild-Nr. 148).
UMAl'tff/nn I lfrfJKHUiUuiiKVi v«,,.,, rrt
Abb. i.
Schema einer Grubenanlage in der „sächsischen“ Abbautechnik des 16. Jahrhunderts mit
senkrechten und schrägen (tonnlägigen) Schächten, in denen reibungsfrei in Kübeln oder
mit starker Reibung in Hunten auf Gestängebahnen gefördert wird. Der Stollen wird durch
Feuersetzen weitergetrieben. Zeichnung nach Agricola 1556 von Ursula Berger, Dresden
daß Stollen und Schächte und die reine Handarbeit samt dem Feuersetzen die
Grundlage der Aufschließungs- und Gewinnungsarbeiten waren. Die in Freiberg
bereits im Jahre 1613 49 versuchte und schon 1627 auch in Kraslice50 erprobte Ver-
wendung des Schießpulvers zur Erleichterung der Bergmannsarbeit fand erst nach
1680 allgemeinere Anwendung. Bis dahin war das alte Erbübel der Abbauweise
kaum zu beheben, das im Raubbau ohne „Ausrichtung“51 bestand — auf den Berg-
werken der böhmischen Krone wie auf denen des Kurfürstentums Sachsen gewann
49 Kamprath, Chronik des Bergbaues, spez. des sächsischen und der wesentlichsten
Ereignisse, die auf ihn Einfluß gehabt haben (1939), B-BA Freiberg: Manuscripte XVII/481,
S. 23.
Angaben dazu auch im gedruckten Verzeichnis „Das gesegnete Marckgrafthum Meissen“
(ungefähr vom Jahre 1732), A-BA Freiberg: Sekt. 14 u. a.
Über die Sprengarbeiten siehe ferner Franz Kirnbauer, Die Geschichte der Sprengarbeit
im Bergbau. In: Festschrift der Aktiengesellschaft Dynamit Nobel (Wien 1965) i2of.
50 Kamprath, Chronik des Bergbaues 24.
51 Darunter versteht der Bergmann die planmäßige Anlage des Abbaus in wohlüber-
legten Etagen mit geradlinigen Strecken und die Vermeidung aller vermeidbaren Krüm-
mungen, Steigungen und Kriechstrecken. Nicht ausgerichtete Baue dagegen folgen allen
V/lTVIfUlUMtofllU ITGY/M n.lUSJNlWWVXVlin'inirrMI ll\
Bergbautechnik des 16. Jahrhunderts im böhmischen Erzgebirge 321
man nämlich nur das reiche Erz, ärmere Partien, die mit den noch ziemlich schwachen
Schmelzanlagen nicht verwertbar waren, ließ man stehen, kippte sie auf die Halde
oder brachte sie gar nicht ans Tageslicht, sondern setzte damit alte Abbaue unter Tag
zu, obwohl alle Bergordnungen dies untersagten. Eine bedenkliche Methode war
ferner der „Bruchbau“,52 ein Verfahren, das größere Gesteinsmassen unterhöhlte,
damit sie zusammenbrechen sollten, womit man zweifellos Arbeit sparte. Bruchbau
ist besonders auf Zinnbergwerken betrieben worden — bis man die ,Brüche* nicht
mehr beherrschte, weil man die Sicherheitspfeiler angriff und die Katastrophe eines
Pingenbruchs 53 eintrat.
Pingen sind heute lehrreiche Zeugnisse, wie die Alten im einzelnen gearbeitet
haben — auf der böhmischen Seite finden wir solche am Blatensky vrch (Plattenberg),
bei Hfebecna (Hengstererben), am Jeleni vrch (Hirschkopf), bei Horni Slavkov
(Schlaggenwald) und Krupka (Graupen). Wie alle zeitgenössischen Gruben wurde
auch im böhmischen Erzgebirge der traditionelle Strossenbau54 angewendet, d. h.
man gewann von einer Sohle nach oben arbeitend das darüber anstehende Erz.
War dies erschöpft, ging man eine Etage tiefer in der gleichen Weise vor, bis man
die obere, schon abgebaute Sohle erreichte, und nun zwei Etagen tiefer wiederum
anfangen mußte. Alle Grubenbaue wurden durch Zimmerung abgestützt; man
kannte verschiedene Arten — wo Gebirgsdruck auftrat, setzte man ,Kästen*,55 d. h.
man kleidete rundum mit Holz aus und verzapfte an allen Ecken. Der erhebliche
Umfang solcher Arbeiten machte viele Bergleute sehr geschickt in allen Holzarbeiten.
Ausmauerung war seltener, doch kam auch sie im Revier von Joachimsthal56 wie in
Freiberg57 oder Schneeberg58 vor.
Zimmerung und Mauerung, vor allem aber die Wasserhebung verlangsamten den
Vortrieb stark — mehr als 8 — io m im Vierteljahr betrug er im festen Gestein nicht,
Windungen des Erzganges. Doch wendeten sich dagegen um 1555 verschiedene Erlasse,
z. B.: a) Mandat des Königs Ferdinand I. vom 31. Jänner 1557. In: Fr. Ant. Schmidt,
Chronologisch-systematische Sammlung der Berggesetze des Königreichs Böhmen, der
Markgrafschaft Mähren und des Herzogthums Schlesien. Wien 1832, Bd. II, Nr. 63,
S. 394; b) Zuschrift des Bergvogts Simon Bogner vom 12. Mai 1562, B-BA Freiberg:
Manuscripte XVII/283, f. 15. — Dennoch „kroch der Bermann dem Erz nach“ bis um 1820
oder gar 1840.
52 Jan Koran, Prehledne dejiny ceskoslovenskeho hornictvi (Überblick über die Ge-
schichte des tschechoslowakischen Bergbaus). 1. Teil. (Praha 1955), 129!.
53 Der erste schwere Pingenbruch traf den Zinnbergbau von Altenberg schon im Jahr
1545 ! Er vernichtete 10 Gruben — beim großen Bruch von 1620 waren es 78, von denen
nur 36 neu beginnen konnten.
54 Befahrungsprotokoll vom 29. April 1589. SÜA Praha: F 66/Jächymov, Fase. Nr. 78, f.
47 v° u. a.; ferner Wilhelm Weizsäcker, Geschichte des Bergbaus in den Sudetenländern.
Prag 1928, 7. *
55 Bericht der Befahrungskommission in Joachimsthal vom 14. November 1563. SÜA
Praha: MM-5-82/1563.
56 Angabe über Hengstererben zum Jahre 1561 bei Johannes Mathesius, Chronica der
keyserlichen freyen Bergstadt Sanct Joachimsthal. Nürnberg 1562; Angabe für Schlaggen-
wald zum Jahre 1567 in dem Bittgesuch der Bergbauunternehmer vom 10. August 1567.
SÜA Praha: MM-5-280/1567 u. a.
57 Siegfried Sieber, Zur Geschichte des erzgebirgischen Bergbaues. Halle/S. 1954, 67.
58 Kamprath, Chronik des Bergbaues 20.
11
322 JiRi Majer
in weichem konnten 15—16 m erreicht werden. Zur Zeit der Krise im erzgebirgischen
Bergbau, die zwischen 1550 und 15 70 nahezu alle Gruben in Not brachte, sank auch
diese bescheidene Leistung59 erheblich, da der örtliche Niedergang mit einer all-
gemeinen Krise60 zusammenhing.
Grubenförderung
Durch die Art der Erzförderung unterschieden sich die böhmischen Reviere im
Erzgebirge keineswegs von der Praxis in den anderen Revieren. Für die Lasten-
Abb. 2. Göpelantrieb für eine Heinzenkunst aus Agricola 1556 (vgl. Antn. 48)
59 Jiri Majer, Jächymovska dülni technika 16. a 17. stoleti (Joachimsthaler Bergbau-
technik im 16. u. 17. Jh.). In: Sbornik pro dejiny pfirodnich ved a techniky Bd. 12 (Praha
1967) Anm. 60 und 61.
60 Kurz erläutert von Jiri Majer, K problematice bänsk£ techniky v Jachymove v 16.
stoleti (Zu Problemen der Bergbautechnik in Joachimsthal im 16. Jh.). In: Rozpravy
Närodniho technickeho muzea v Praze Bd. 26 (Praha 1967) 134.
Bergbautechnik des 16. Jahrhunderts im böhmischen Erzgebirge
323
hebung wurde in den nicht besonders tiefen Gruben und Blindschächten der Haspel61
verwendet, damit ließ sich ein Trog Wasser, Erz oder Gestein bei Handbedienung aus
einer Tiefe von etwa 30 m heben.62 War nun der Schacht schräg (tonnlägig) nieder-
geführt, mußte der Haspelknecht auch noch die Reibung überwinden, da der Trog
unvermeidlich auf einer immer wieder zu erneuernden Bohlenlage schleifte;63 daraus
erklärt sich, daß den zahlreichen Haspelknechten große Bedeutung im Bergwesen
zukam. Da nun nicht mehr als 4 Mann am Haspel arbeiten können, mußte für
größere Teufen und schwerere Lasten der Göpel mit Pferdeantrieb benützt werden,
der in Innerböhmen mindestens seit dem 14. Jahrhundert bekannt war. In Joachims-
thal wurde der erste Göpel im Jahre 15x7 auf gestellt,64 ob unter dem Einfluß der
böhmischen oder sächsischen Praxis, läßt sich nicht entscheiden. Doch ist bekannt,
daß noch zwischen 1525 und 1530 Göpel in Schlaggenwald und anderswo von eigens
herbeigerufenen Kuttenberger Technikern gebaut wurden. Göpel erscheinen natür-
lich auch in Gottesgab, Hengstererben, Weipert (Vejprty), Schlaggenwald, Schön-
feld, Lauterbach (Cista) und auf anderen Revieren.
Angaben über die Abmessungen der Göpel in den erzgebirgischen Gruben fehlen;
eine Höhe von etwa um und ein Durchmesser von etwa 8 m65 sind die in böhmi-
schen Gruben jener Zeit üblichen Ausmaße. Anfangs liefen die Maschinen mit
einem Leinseil, erst um 1550 wurde die Förderung mit zwei Seilen eingeführt.
Versuche zum Ersatz der rasch abgenutzten Seile durch eiserne Ketten, welche in
schräg einfallenden (tonnlägigen) Schächten in Kuttenberg bereits vom 14. Jahr-
hundert an verwendet wurden,66 sind als unrentabel bald aufgegeben worden. In
Joachimsthal und Schlaggenwald trieben 2—4 Paar Pferde67 den Göpel — je nach
der Tiefe der Förderschächte — die etwa nach 3—4 Stunden gewechselt werden
mußten. In Kuttenberg wurde mit Göpeln bis zu einer Teufe von 140—160 m
gefördert;68 das könnte bei gleichen Teufen auch für Joachimsthal gelten. Im Durch-
schnitt wurden jedoch die Göpel wie auch auf sächsischer Seite nur für eine Teufe
von etwa 80—100 m verwendet69.
61 U. a. Agricola, Bermannus 83; auch Mathesius, Sarepta, f. 193 r°. — Kurze technische
Auswertung der von Agricola beschriebenen Fördereinrichtungen bei Aribert Kraus,
Georgius Agricola und die Geschichte der Technik, Karl-Marx-Stadt 1966, 23 h
62 Wagenbreth, Bergbauliche Denkmale 95.
63 Eine ergologische Spezialuntersuchung zum Haspel lieferte H. Wilsdorf in diesem
Jahrbuch 5 (1959) 269 — 273 (Einfache Fördergeräte).
64 Mathesius, Chronica, Reminiscere 1517.
65 Koran, Nase bänskd technika, 15 (Unsere Bergbautechnik); Agricola, De re metallica
libri XII (deutsche Ausgabe 1928/1953/1961, 134 u. 164) gibt als Höhe der Göpel 40 Werk-
schuh und als Durchmesser 50 Werkschuh an. — Die Höhe des Göpels vom ehemaligen
Josef-Schacht in Joachimsthal (z. Zt. im Garten des Bezirksmuseums in Kutnä Hora) be-
trägt 12 Meter.
66 Koran, Nase bänskä technika 9.
67 Vgl. „Verzaichnuss aller Arbeiter etc. zu Schlaggenwald und Schönfeld“ vom 20. März
1581. SÜA Praha: MM-5-280/1577.
68 Gutachten des BA Schlaggenwald über die kuttenbergischen Göpel vom 17. Septem-
ber 1591. SÜA Praha: MM-5-280/1591.
69 Wagenbreth, Bergbauliche Denkmale 96.
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324 Jirì Majer
Die große Zahl Göpelpferde brachte nicht wenig Bergleute in eine bemerkens-
werte außerlandwirtschaftliche Arbeitsbeziehung zum Tier. Auch dies griff natürlich
in den umfassenden Komplex der bergmännischen Lebenswelt ebenso ein wie die
komplizierte ferngesteuerte70 Bremsung, die von der Ergologie aus ein ganz
besonders hohes Maß an geistiger Beweglichkeit von den Bergleuten am Göpel
forderte.
Abb. 3. Doppelte Kolbenpumpe mit Wasserradantrieb aus Agricola 1556 (vgl. Anm. 48)
Bei begrenzter Leistungsfähigkeit war der Pferdegöpel ein kostspieliges Hilfs-
mittel. Unter dem direkten Einfluß der sächsischen Praxis begann man den Ersatz
dieser Antriebskraft durch das Wasserrad anzustreben. Vor allem zur Wasserhebung
war eine Kostensenkung sehr erwünscht. Nach der 1545 definitiv geglückten Kon-
70 Damit befaßte sich zuletzt H. Wilsdorf in der in Anm. 63 genannten Arbeit — dort
S. 274—276.
Tafel 23
„Der Bergmann kriecht dem Erz nach“. Die Zeichnung zeigt im Mittelfeld die starke
Biegung von der Senkrechten zur Waagerechten. Dagegen ist für den rechten Göpel ein
senkrechter Schacht abgeteuft. Riß der „Roten Grube“ in Hengstererben vom Jahr 1562
iMl'MMAm IIWUllilitlf 11 W A A ViUUtn
Tafel 24
Foto der sogenannten „Wolfspinge“ am Plattenberg. Nach Ausräumung der Zinnklüfte
(Spalten mit zinnreicher Gesteinsfüllung) in großen Weitungen im 17./18. Jahrhundert
zusammengebrochen
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Bergbautechnik des 16. Jahrhunderts im böhmischen Erzgebirge 325
struktion einer mit dem „krummen Zapfen“71 angetriebenen Kolbenpumpe war
dazu bei unmittelbar neben der Grube nutzbarer Wasserkraft nur ein einfaches
Mühlrad erforderlich, da bei der Verwendung von Kolbenpumpen der Drehsinn
nicht geändert werden mußte. Dies war bei der Förderung natürlich unerläßlich, um
das heraufgezogene Fördergefäß wieder herabzulassen. Dazu konstruierte man das
Kehrrad,72 das in der Mitte geteilt und mit gegenläufig angeordneten Schaufeln ver-
Abb. 4. Kehrrad unter Tage zur Hebung großer Lederbulgen mit Stürzhaken ausgestattet
und vom Schützerbalkon aus bedient, aus Agricola 1556 (vgl. Anm. 48)
71 Anstelle des heute verwendeten Exzenters setzte der krumme Zapfen die Drehbe-
wegung der Antriebswelle in die Auf-Ab-Bewegung des Kolbengestänges um.
72 Die Bedeutung dieser Erfindung ist kaum zu überschätzen; einige bemerkenswerte
Anlagen führen wir in der Tabelle auf S. 327 fr. auf. Bisher gelang es noch nicht, den Er-
finder, sowie Ort und Zeit exakt nachzuweisen.
22 Volkskunde
i \Vll Mf/nrl'1
—-
326 JiRi Majer
sehen war, so daß die Lenkung des Wassers auf die rechte Hälfte die Umkehr der
vom linken Schaufelsystem bewirkten Drehrichtung nach sich zog. Diese Erfindung
muß als die entscheidende Neuerung gelten, die vermutlich um 1470 — 1490 von den
slowakischen Bergrevieren ausging. Sie ist sehr rasch auf den übrigen Revieren ein-
gebürgert worden, zumal der große Montanunternehmer Johannes Thurzo von
Bethlenfalva damit in Polen, Schlesien und im Harz seine eigenen Unternehmen aus-
stattete. Da nun aber nicht überall die erforderliche Wasserkraft zur Verfügung
stand, versuchte man es im hochgelegenen Platten (Plattenberg 1043 m) mit der
Windkraft73 — freilich ohne Erfolg. Die Schwierigkeiten, die der Einführung der
Maschine entgegenstanden, zwangen dazu, in großem Umfang reine Handarbeit zu
leisten.
Die horizontale Förderung ist auf den Stollen zunächst tragend mit Erzmulden
und Bergkörben erfolgt, sofern nicht von vornherein der Laufkarren oder der Hunt74
verwendet wurde, der mit Gleis und Führungsstift lief. — Das erste Bild einer
Gleisbahn für den Huntelauf stammt ja wahrscheinlich aus Böhmen und fand als
Titelholzschnitt für die von Johann Haselberger herausgegebene75 Schrift Ursprung
gemeyner Berckreclit (um 1535) Verbreitung, doch ist die Entwicklung der (natür-
lich hölzernen) Schienenbahn noch immer nicht vollkommen geklärt.76
Anlagen zur Wasserhebung
Die Gesteinsarbeiten mit dem regulären Gezäh oder die Förderung mit den üb-
lichen Hilfsmitteln wie Haspel und Göpel ergaben volkskundlich nur begrenzt
Probleme. Diese liegen allerdings nicht nur auf ergologischem Gebiet, sondern
führen etwa bei der Nachbildung von Haspel und Göpel im Spielzeug77 darüber
hinaus. Dagegen führte die Einführung von verschiedenen Konstruktionen zur
Wasserhebung auf eine gewichtige ethnographische Problematik, denn sie be-
wirkte einerseits einen interethnischen Austausch, — bei der Einführung vom
Kehrrad78 aus den slowakischen Revieren im damaligen Niederungarn — anderer-
seits die Herausbildung einer Sondergruppe von Bergleuten, — Kunstjunge, Kunst-
knecht, Kunstmeister79 — an die beträchtliche Anforderungen gestellt werden
mußten, sobald man ihnen die „Wartung“ der Künste übertrug.
73 Manuskript des Pfarrers Johann Josef Berner, Chronik von Platten (aus den 30er
Jahren des 19. Jahrhunderts), ANM Praha: F 8/Blatnä, S. 135. — Im Harz wurde ein
Windrad im Jahre 1578 hergestellt, siehe Kamprath, Chronik des Bergbaues, 21.
74 U. a. Quellen z. B. Matthes Enderlein, Appendix allerley Bergckwercks Gebräuche
undt Ordnungen etc. bei der Abschrift der Joachimsthaler Bergordnung vom Jahre 1548.
SÜAPraha: VHÜ Jächymov, X/6, Fase. Nr. 1727 (gedruckte Ausgabe: FFD 24 S. 110 § 94).
75 Abgebildet zuletzt bei Wilhelm Pieper, Ulrich Rülein von Calw und sein Bergbüchlein.
Berlin 1955 (FF D 7, 159, Abb. 69).
76 Franz Kirnbauer, Die Geschichte des Bergbaus. In: Technik der Neuzeit (Potsdam
1941) 10.
77 Karl-Ewald Fritzsch und Manfred Bachmann, Deutsches Spielzeug. Leipzig 1965;
Karl-Ewald Fritzsch, Bergmann und Holzdrechsler. Letopis Reihe C 6/7 (1963/64) 152 —174
(= Festschrift f. Friedrich Sieber).
78 Dennert, Bergbau und Hüttenwesen, 120; Wagenbreth, Bergbauliche Denkmale, 100.
79 dazu Wilsdorf, in diesem Jahrbuch 5 (1959) 278, Abschnitt Kunstknechte; dort auch
Bemerkungen zur Störanfälligkeit der Maschinenanlagen.
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Bergbautechnik des 16. Jahrhunderts im böhmischen Erzgebirge 327
Wenn wir schematisch aufgliedern, ergibt sich eine zweifache viergliedrige
Teilung a) nach der Antriebskraft und b) nach dem Maschinenprinzip:
1. Mensch oder Tier (Haspel, Göpel)
2. Wasserrad (Mühlrad)
3. Kehrrad (mit Rückwärtsgang)
4. Feldgestänge
I. Bulge od. Tonne
II. Heinzenkunst
III. Kannenkunst (Becherwerk)
IV. Kolbenpumpe
Wenn wir fragen, welche praktische Anwendung diese Möglichkeiten gefunden
haben, dann können wir in der folgenden Übersicht an einer Reihe von Einzel-
beispielen den Nachweis führen, daß die „Maschine“ im Verlauf des 16. Jahrhunderts
allgemein erprobt worden ist. Allerdings hat sie durch ungenügende Leistung80 und
große Störanfälligkeit nur wenige Gruben rentabel gemacht, obwohl sie die bisher
unentbehrliche Kategorie der „Wasserknechte“ — die sich lederne oder hölzerne
Wassereimer von Hand zu Hand zureichten — endlich entbehrlich machte und die
zahlreichen81 damit beschäftigten Kräfte nicht ohne deren Widerstand82 freisetzte. 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89
Ort Maschine Antrieb Jahr Leistung Anm.
Joachimsthal Bulge I Göpel p 160 —180 mHub 83
Kuttenberg Bulge I Göpel um 1590 42 Dumplachter 84
Kuttenberg Bulge II Göpel um 1590 70 Dumplachter 84
Schneeberg Bulge Kehrrad um 1490 85
Joachimsthal Bulge II Kehrrad I 1521 86
Joachimsthal Bulge III Kehrrad II um 1540 87
Joachimsthal Bulge IV Kehrrad III um 1550 87
Joachimsthal Bulge V Kehrrad IV um 1560 87
Joachimsthal Bulge VI Kehrrad V 88
Abertham Bulge I Kehrrad I D39 89
80 Bemerkenswert ist das Urteil von Lazarus Ercker über die Leistungen der „Künste“
auf dem Harz; Vom Rammeisberg und des selbigen Bergwercks ein kurtzer Bericht bei
Henning Calvör, Historische Nachrichten von den ober- und unterhartzischen Bergwerken.
Braunschweig 1765 — Das von Calvör benutzte Ms.: B-BA Freiberg, Manuskripte XVII/
158.
81 Nach dem (in den Mitteilungen des Freiberger Altertumsvereins 35, 1899, 57 — 83 ab-
gedruckten) Bericht des Bergmeisters Martin Planer ersetzte die von ihm im Zuge der
,Modernisierung4 des Freiberger Reviers 1568 auf dem Turmhof, 3/4. Maßen, eingebaute
Kolbenpumpen-Serie allein 408 auf dieser Grube beschäftigte Wasserknechte.
82 Widerstand leisteten die entlassenen Wasserknechte in Schwaz in Tirol, in Freiberg
wurden sie 1568 sogleich als Hauer und Haspler weiterbeschäftigt.
83 Wüst, Joachimsthaler Geschichte. Bd. 1, 214.
84 Berechnung nach amtlichen Prüfungen, vgl. Bericht des Schlaggenwalder Bergbeamten
Elias Günther vom 17. September 1591. SÜA Praha: MM-5-280/1591. — Kuttenberger
Dumplachter = 2,22 — 2,36 Meter zur Angabe der „Länge“ des Schachtes, dessen Tiefe von
dem Neigungswinkel abhing, unter dem er abgeteuft war.
85 Ambrosius Prantz, Annales des weitberumbten Bergwerks Schneeberg etc., A-BA
Freiberg: OBA Freiberg, Nr. 3791, f. 7 v°.
86 Kamprath, Chronik des Bergbaues, 12.
87 Vgl. Bittgesuch der Familie des Bergmeisters Georg Körner aus Platten vom 13. Fe-
bruar 1586, SÜA Praha: MM-5-299/1586.
88 Bericht des OBA Joachimsthal an der Wende der 40er und 50er Jahre des 16. Jahr-
hunderts. SÜA Praha: MM-5-80/1-1549 —1554.
89 Mathesius, 1: Chronika, Reminiscere 1539, 2: Sarepta, f. 204 v°.
22*
328 JirI Majer
Ort Maschine Antrieb Jahr Leistung Anm.
Abertham Bulge II Kehrrad II 1554 140 m Hub 89
Preßnitz Bulge Kehrrad um 1547 90
Harzgebiet Heinz Haspel um 1420 später Göpel dann Rad 91
Erzgebirge Heinz Göpel um 1450 dann Wasserrad 92
Joachimsthal Heinz I Wasserrad I 1522 93
Joachimsthal Heinz II Wasserrad II 1536 Grube Katarina 94
Joachimsthal Heinz III Wasserrad III um 1549 215 m3/Tag Grube Elias 95
Preßnitz Heinz Wasserrad 1532 96
Schlaggenwald Heinz I Wasserrad I 1529 97
Schlaggenwald Heinz II Wasserrad II 1551 98
Schneeberg Heinz Wasserrad 70 m Hub 99
Altenberg Becherwerk Wasserrad um 1540 100
Abertham Becherwerk Wasserrad vor 1562 128 m Hub 101
Harz & Erz- Kolbenpumpe Wasserrad 102
geb. Ehrenfrieders- Kolbenpumpe Wasserrad 15 45 103
dorf m. 2 Sätzen
Freiberg & 38 Kolben- Wasserrad 1557 Reform unter 104
Brand-Erbisdf. pumpen 1570 Martin Planer
Abertham Kolbenpumpe Wasserrad I Reste im Mu- seum in Prag 105
Abertham Kolbenpumpe Wasserrad II 1560 Fehlkonstruk- 106
bis 1563 tion v. B. Widmann
90 Zuschrift an Graf Lorenz Schlick vom 25. Oktober 1457. SÜA Praha: MM-5-220/1547.
91 Kamprath, Chronik des Bergbaues, 8.
92 Petrus Albinus, Meissnische Berg Chronica. Dresden 1590, 103.
93 Mathesius, Chronica, Reminiscere + Trinitatis 1522.
94 Weizsäcker, Sächsisches Bergrecht, Anhang Nr. VII, 289.
95 Berechnet nach Angaben im Berichte des OBA Joachimsthal vom Jahre 1549. SÜA
Praha: MM-5-280/1549 — 1554.
9G Bericht des BA Pressnitz vom Jahre 1534. SÜA Praha: MM-5-220/1534.
97 Eduard Reyer, Beiträge zur Geschichte des Zinnbergbaues in Böhmen und Sachsen.
Österr. Zs. für Berg- und Hüttenwesen 28 (Wien 1880) 400.
98 Bittgesuch der Schlaggenwalder Bergbauunternehmer vom 8. November 1531. SÜA
Praha: MM-5-280/1551.
99 Im Schneeberg wurden die Grubenwässer mit der Heinzenkunst aus 70 m Tiefe ge-
hoben, vgl. Wüst, Joachimsthaler Geschichte, Bd. 1, 214.
100 Annales von der Churfürstlichen Sächsischen Bergstadt Altenberg, A-BA Freiberg:
BA Altenberg, Sekt. I, Fasciculus von Nachrichten und Befehlen und Verfassung des Berg-
baus zu Altenberg, f. 2 r° — 2 v°.
101 Bericht des BA Joachimsthal vom 25. November 1562. SÜA Praha: MM-6-299/1562.
102 Otto Fritzsche — Otfried Wagenbreth, Die Wasserhaltungsmaschinen bei Agricola
und sein Einfluß auf ihre weitere Entwicklung. In: Festschrift zum 400. Todestag Agricolas
(Berlin 1955) 105.
103 Wagenbreth, Bergbauliche Denkmale, 112 —115.
104 vgl. den Bericht der durchgreifenden Modernisierung des Freiberger Reviers durch
Martin Planer selbst in der in Anm. 81 erwähnten Veröffentlichung.
105 In Sammlungen der Bergbau-Abteilung des Technischen Nationalmuseums in Prag;
dazu eingehend Majer, Tezba stribrnych rud v Jächymove, Anm. 241 — 243 (s. o. S. 314
Anm. 3).
10(i Bericht des BA Joachimsthal vom 16. Juni 1563. SÜA Praha: MM-5-82/1563 u. a.
UlllYWr« MH# invriM i 4rHLGW
Bergbautechnik des x6. Jahrhunderts im böhmischen Erzgebirge 329
Ort Maschine Antrieb Jahr Leistung Anm.
Abertham Kolbenpumpe Wasserrad III 1563 44 m Hub- untertage 107
Preßnitz Kolbenpumpe Wasserrad vor 1565 36 m Hub- untertage 108
Schlaggenwald Kolbenpumpe Wasserrad vor 1557 32 m Hub- untertage 109
Joachimsthal Kolbenpumpe Feldgestänge 1551 Erstkonstruk- tion von M. Mittelbach 110
Schneeberg Kolbenpumpe Feldgestänge 1554 111
Harzgebiet Kolbenpumpe Feldgestänge um 1565 111
Schlaggenwald Kolbenpumpe Feldgestänge um 1569 111
Neben den Maschinentypen, die obige Zusammenstellung als bewährt ausweist,
sind für die gleichen Verwendungszwecke noch weitere Konstruktionen entworfen
und in die Tat umgesetzt worden. Diese scheiterten jedoch mehr oder weniger alle,
mindestens kamen sie über kurzlebige Anfangserfolge nicht hinaus. Die Zeit der
Renaissance hatte den Projektanten auf den Plan gerufen, der mit seinen Projekten
die echten technischen Bedürfnisse des Bürgertums ebenso wie die Neigungen der
Feudalherren zu spielerischen Installationen und Inventionen zu befriedigen suchte.
Nur zu häufig aber gerieten dabei die Lösungsversuche auf teils utopische, teils sogar
betrügerische Abwege. Projektanten allerdings, die in Joachimsthal mit Kon-
struktionsvorschlägen für Bergmaschinen aller Art auftraten, sind gewiß keine
bloßen Projektemacher gewesen; denn gerade dort hätte die Kritik der zahlreichen
Sachverständigen von vornherein aussichtslose Pläne schnell zu Fall gebracht. Die
neuen Vorschläge eines Martin Becker zur Hebung der Grubenwasser durch Luft
und Feuer (evtl, durch bloße Verdampfung oder durch einen Vorläufer der Dampf-
machine) im Jahr 1560107 108 109 110 111 112 sind auf 15 Jahre „privilegiert“ — wir würden sagen
„patentiert“ worden, so wie 1548 eine andere Konstruktion;113 dagegen ist 1583 ein
abermals der atmosphärischen Dampfmaschine nahestehender Konstruktionsversuch
weder in Böhmen noch in Sachsen aufgegriffen worden, obgleich kein geringerer
als der Oberstbergmeister Lazarus Ercker114 für ihn eintrat. Außer diesen Vor-
107 Befahrungsprotokoll vom 14. November 1563. SÜA Praha: MM-5-82/1563.
108 Berichte des BA Pressnitz vom 13. Juni 1565 (SÜA Praha: MM-5-220/1565) und vom
30. Mai 1589 (ebenda: MM-5-280/1589).
109 Bittgesuch der Bergbauunternehmer vom Jahre 1557. SÜA Praha: MM-5-280/1557.
110 Mathesius, Chronica, Trinitatis + Crucis 1551; ferner Kirnbauer, Die Geschichte des
Bergbaus, 27.
111 Bittgesuch der Bergbauunternehmer vom Jänner 1569. SÜA Praha: MM-5-280/1569.
112 Privilegium des Königs Ferdinand I. vom 30. Juli 1360, SÜA Praha: VHÜ Jächymov,
Fase. Nr. x — Bezeichnet wird die Konstruktion als „neue vor(her) unerhörte Wasser-
hebungskunst durch Feuer und Lufft. . . die zuvor nie in Gebrauch gewest“. Vom Einbau
dieser in allen Einzelheiten unbekannten Neuerung hören wir nichts.
113 Mandat des Königs Ferdinand I. vom 26. Juli 1548. SÜA Praha: MM-5-280/1548.
Auf dem Papier muß das Projekt aussichtsreich ausgesehen haben, das „Patent“ sollte 1 Jahr
Gültigkeit für das gesamte Königreich haben.
114 Auszug aus dem Brief von L. Ercker an Michael Schönleben, Hüttenverwalter zu
Freiberg, vom 4. November 1583 bei Paul Reinhard Beierlein, Lazarus Ercker, in: FF D 12
(Berlin 1935) 41: „eine fürtreffliche Kunst... mit welcher ohne Wasser und ohne Radt oder
330 JiRi Majer
Abb. 5. Becherwerk mit Haspelantrieb für geringe Teufen aus Agricola 1556 (vgl. Anm. 48)
Schlägen wurden in Joachimsthal auch andere Konstruktionen überprüft und Gut-
achten über sie abgegeben, aber keine von ihnen setzte sich in der Praxis durch.
Man kann daher zusammenfassend feststellen, daß in der bergmännischen Wasser-
hebung der Einfluß der sächsischen Praxis, Pumpwerke statt der bisherigen Schöpf-
werke einzubauen, am stärksten und förderlichsten war. Unbestreitbar haben die
sächsischen und böhmischen Gruben im Erzgebirge bedeutend zu der Lösung des
dringlichen Problems beigetragen, aus den immer größer werdenden Teufen die
zudringenden Wasser zu heben, wovon seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
die Existenzfähigkeit aller größeren Gruben abhing.
Ross ... das Wasser aus großer Teuf kan gehoben werden.“ Ebenda S. 114 das interessante
Schreiben des sächsischen Kurfürsten August an M. Schönleben, das die „Erprobungs-
kosten“ ablehnt und auf Böhmen abzuwälzen sucht.
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Bergbautechnik des x6. Jahrhunderts im böhmischen Erzgebirge 331
Bewetterungsanlagen
Ein nicht minder wichtiges Problem stellte im Erzgebirge die Bewetterung der
langen Stollen wie der tiefen Grubenbaue dar. Solange die tiefen Stollen die Lager-
stätten nicht erreichten, funktionierte der natürliche Wetterstrom nicht — Licht-
löcher ließen sich bei der Höhe des Deckgebirges immer nur mit enormen Aufwand
von Zeit und Kosten von oben auf den Stollen absenken. Auch in Joachimsthal
mußte im Tiefen Barbara-Prülln-Stollen zwischen dem Geschiebergang und dem
St. Johannesgang ein Abschnitt von fast 4 km ohne Lichtlöcher bleiben.115 Wirkungs-
voller Wetteraustausch, insbesondere beim Feuersetzen, war bei der geringen Leistung
der Wettermaschinen116 nur durch natürlichen Wetterzug möglich. Zur Bewetterung
dienten deshalb unbenützte Gruben und Stollen, die mit Durchschlägen untereinander
verbunden wurden. In den wichtigsten Gangzonen hielt man pflichtgemäß117
Schächte ausschließlich für die Sicherstellung der Luftzirkulation instand. Den
natürlichen Zug verstärkten einfache Wetterfänger in Formen, wie sie uns schon auf
Kuttenberger Miniaturen um 1490 oder auf dem Annaberger Bergaltar um 1520
mehrfach entgegentreten. Im Prinzip sind dies hölzerne Aufsätze, die über der
Schachtmündung wie Schornsteinkappen wirken sollen. Wettertrommeln und Vor-
richtungen zur Beschleunigung des Wetteraustausches in der Art von Windmühlen,
wie sie Agricola beschrieb,118 erwähnen die Quellen zum böhmischen Bergbau im
Erzgebirge nicht.
An einer Reihe von Stellen genügte diese Methode für die Entlüftung langer
Abschnitte der tiefen Stollen nicht, sobald die Unterschiede zwischen Außentempera-
tur und Grubentemperatur gering waren. Daher wurden in den böhmischen Gruben,
genau so wie in Sachsen, zwei Gebläsetypen verwendet: Gebläse, um frische Luft
einzublasen und solche, um verbrauchte Luft abzusaugen. Ihr Prinzip war das
gleiche: ein adaptierter Schmiedebalg, an den Lüftungsrohren angesetzt, die
in die Schächte oder Stollen führten. Frischluft ließ sich meist nur in kürzere
Abschnitte119 hineindrücken; das Gebläse für die Absaugung, das, wie es scheint,
zum ersten Mal in Sachsen im Jahre 1551 Anwendung fand,120 ist im Joachimsthaler
Gebiet vor allem für die Entlüftung des Stollorts in tiefen Stollen und in den vom
Stollen aus seitwärts vorgetriebenen Strecken benützt worden. Das erste dieser
115 Befahrungsprotokoll vom 28. April 1599. SÜA Praha: F 66/Jächymov, Fase. Nr. 78f.
21 v°.
116 Helmut Wilsdorf, Agricolas Darlegungen und Illustrationen zum Thema Wetter-
führung und Wettermaschinen. Sonderdruck aus der Festschrift für Georg Fraustadt
(Dresden 1961) 29-53, 14 Abb. Die Effektivleistung der von Agricola angegebenen Maschinen
wurde dort z. T. experimentell mit Hilfe von Modellen überprüft.
117 Vgl. Mandat des Königs Ferdinand I. an OBA Joachimsthal vom 7. November 1549
bei Schmidt, Chronologisch-systematische Sammlung, Bd. II, Nr. 26, S. 325.
118 Agricola schlug vor, einen Kastenventilator mit Windmühlenantrieb laufen zu lassen,
da die menschliche Kraft bei der erforderlichen Tourenzahl der Ventilatorflügel rasch
erlahmt.
119 Ein solcher wurde auf dem Bock’s-Stollen in Joachimsthal 1560 in Dienst gestellt,
wie Mathesius, Chronica, Reminiscere 1560, verzeichnet.
120 Kamprath, Chronik des Bergbaues, 17.
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332
JiRi Majer
Art wurde z. B. im Jahre 1552 im Barbara-Stollen aufgestellt.121 Daneben wendete
man in einigen Abschnitten dieses Stollens allerdings auch Gebläse zum Einblasen
von Frischluft an.122 Beide Typen waren auf Hand- oder Fußbetrieb eingerichtet.
Ihre Leistung genügte jedoch nicht, und oft konnte man nicht verhindern, daß
die Arbeit in größerer Entfernung von der Stollenmündung oder vom Schacht
aus Frischluftmangel eingestellt werden mußte.123 Die Wirkung dieser Maschinen
reichte in den Schächten bis in eine Teufe von etwa 40 m, in den Stollen in eine
Entfernung bis 400 m.124 Der Antrieb solcher Gebläsemaschinen durch Pferde-
oder Wasserkraft ist für diese Zeit in den Quellen der böhmischen Gruben noch
nicht nachgewiesen. Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde in Joachimsthal
eine wirkungsvollere Vorrichtung dafür gefunden; sie bestand in der Verwendung
von Kolben, die durch einen krummen Zapfen an der Achse des Wasserrads bewegt
wurden125 (Prin2ipien des Feldgestänges). Am Ende desselben Jahrhunderts schließ-
lich finden wir hier die Ausnüt2ung zentrifugaler Ventilatoren, die aus den Salz-
gruben in Wieliczka übernommen wurden.126
Nach alter bergmännischer Auffassung gehörte die Erzaufbereitung, die Trennung
der metallhaltigen Bröckchen von den tauben Gesteinsteilchen, zu jedem Gruben-
betrieb und besaß keine selbständige Stellung. Die Verfahren richteten sich natur-
gemäß nach den jeweiligen Erzen ebenso wie nach dem Nebengestein. Sie waren
daher ungemein stark differenziert, um die sehr schwachen Schmelzeinrichtungen
der Hüttenwerke nach Möglichkeit zu entlasten. Zu dieser Differenzierung trat
bereits in den Jahrzehnten vor der Gründung von Joachimsthal eine Mechanisierung:
Man hat versucht, die schweren, von Hand in die Bottiche der Erzwäsche127 ge-
stauchten Siebe durch eine Aufhängung in „Schwingsiebe“ zu verwandeln; man
konstruierte Rührwerke, um eine bessere Schwerkraftaufbereitung zu gewährleisten;
vor allem aber suchte man durch Pochwerke eine möglichst einheitliche Korngröße
zu schaffen; denn dies ist die Voraussetzung für eine wirksame Naßaufbereitung,
d. h. eine Trennung von Erz und taubem Gestein mit Hilfe des Wassers, das die
spezifisch schwereren Erzteilchen liegen läßt und die tauben Gesteinsteilchen weg-
spült.
121 Mathesius, Chronica, Reminiscere 1552.
122 Viele Angaben im Befahrungsprotokoll vom 29. April 1589. SÜA Praha: F 66/Jächy-
mov, Fase. Nr. 78.
123 Zu dieser Maßnahme entschloß sich der Bergmann schwer, sogar meist erst dann, wenn
nicht einmal die Grubenlampe am Brennen zu halten war wie im Tiefen-Daniel-Stollen
unterhalb der 16. oberen Maaß am Schweitzergang, vgl. Befahrungsprotokoll vom 29. April
1589, SÜA Praha: F 66/Jächymov, Fase. Nr. 78 fol. 17 v° und an anderen Stellen.
124 Nach Agricola bei Wilsdorf, Wetterführung und Wettermaschinen, 47.
125 Koran, Prehledne dejiny 1. Teil, Abb. Nr. 37.
126 Wüst, Joachimsthaler Geschichte Bd. 1, 256.
127 Die „Erzwäsche“ ist also nicht als „Säuberung“ von anhaftendem Schmutz, sondern
als Klassifizierung nach Korngröße und spezifischem Gewicht zu verstehen: Das Wasser
transportiert aus einem Gemenge die leichteren Teile weiter als die schwereren, die kleineren
weiter als die größeren und sortiert damit automatisch Erz und taubes Gestein aus.
Erzaufbereitung
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Bergbautechnik des 16. Jahrhunderts im böhmischen Erzgebirge 333
Eine Reihe dieser Verfahren zur Erzaufbereitung wurde in der Fachliteratur der
letzten Jahre eingehend128 erörtert, andere sind wenigstens nach dem Prinzip ihrer
Wirkungsweise beschrieben worden. Daher erscheint es nicht notwendig, diese,
heute einen besonderen Sektor des Montanwesens bildenden, Arbeitsoperationen
ausführlich darzulegen.
Erwähnenswert ist aber der ungemein rasche interethnische Austausch, den wir
in Joachimsthal zu spüren bekommen, obgleich Vorgänge wie Erfahrungsaustausch
und Bedienungsanleitung oder Fertigungsanweisungen, die sich zwischen den Berg-
leuten abspielten, niemals Gegenstand von Akten geworden sind. Allein die „Praxis“
spiegelt sich an anderen Zeugnissen! Die in Schwaz in Tirol erprobte Verbesserung,
die Planenwäsche,129 wurde 1519 von dem auch in Schneeberg tätigen Paul Gram-
metstetter in Joachimsthal eingeführt.130 Dieser Bergbautechniker wird aber so gut
wie nie mit seinem Namen genannt, sondern heißt nach seiner Herkunft ,der Schwo-
zerc. Eine weitere, sehr bedeutsame Neuerung, das vom Dippoldiswalder Bergherrn
Sigismund von Maltitz erfundene und dort sowie in Altenberg verwendete Naß-
pochwerk,131 ist 1521 nach Joachimsthal,132 1525 nach Schlaggenwald, dann nach
Graupen und nach weiteren Revieren übertragen worden133 — obwohl in Sachsen
dem Bergherrn ein „Patent“134 das Alleinrecht auf diese Erfindung sicherte. Die
Werktätigen haben sich aber dadurch nicht abhalten lassen, untereinander die
Bauprinzipien auszutauschen, da mit dem Naßpochwerk (Abb. 6) eine wesentliche
Arbeitserleichterung verbunden war, nicht nur ein höherer Reingewinn an Erz.
Die Anzahl der Pochwerke war in den einzelnen Revieren bedeutend. So standen
z. B. in Joachimsthal zur Zeit des tiefen Verfalls der Bergbautätigkeit im Jahre 1592
noch 39 Pochwerke in Betrieb,135 in Schlaggenwald und Schönfeld im Jahre 1580
iss Vgl. a) H. Kirchberg, Erzaufbereitung im 16. Jahrhundert. In: Festschrift zum
400. Todestag G. Agricola (Berlin 1955) 81 ff.;b) Wilsdorf-Friedrich, Präludien zu Agricola.
II. Die Bergbaukunde, FF D 5 iyiff.; c) Kirnbauer, Geschichte des Bergbaues, 31, 33;
d) Jifi Schenk, Stoupy a jejich pouziti k drceni rud v öeskem a slovenskem üpravnictvi
(Pochwerke in ihrer Verwendung zur Erzzerkleinerung in böhmischen und slowakischen
Aufbereitungsanlagen). In: Sbornik pro dejiny prirodnich ved a techniky Bd. 4 (Praha
1958) 161 —194.
129 Wie unsere Abbildung zeigt, spülte Wasser das mohnkornfein zerstoßene Erz über
grobe Planen aus einer Art Segeltuch. Die feinsten und reinsten, also wertvollsten Erz-
teilchen blieben im Gewebe hängen, taube Sandkörnchen trug das Wasser fort. Das hängen-
gebliebene Erz gewann man durch ein Auswaschen der Planen in großen Bottichen, in
denen sich das Erz am Boden sammelte.
130 Mathesius, Chronica, Lucie 1519.
131 Das Prinzip beschrieb Wilsdorf ausführlich in diesem Jahrbuch 5 (1959) 288 — 291,
Abb. 19. Über die Leistungen dieser Aufbereitungsmethode vgl. Kirchberg, Erzaufberei-
tung, 88 — über die Metallverluste vgl. Schenk, Stoupy, 190, der sie auf 20 — 25 schätzt.
132 Mathesius, Chronica, Trinitatis 1521.
133 Majer, Lesni cinove doly, 146.
134 Staatsarchiv Weimar, Registrande T fol. 157, Nr. 126 „Begnadung Sigmunds von
Maltitz über das Waschwerk, slicher zu machen“ [Hinweis von H. Wilsdorf], datiert Sonntag
nach Lamperti 1512.
135 Bericht des OBA Joachimsthal und L. Ercker vom 6. April 1592. SÜA Praha: MM—
5-87/1592.
334
Jiri Majer
Abb. 6. Naßpochwerk mit 4 Stempelsätzen zu je 3 Stempeln — Antrieb durch 4 Wasser-
räder auf 2 Gefällebenen aus Agricola 1356 (vgl. Anm. 48)
insgesamt 121 Aufbereitungsanlagen,136 sichtlich alle mit Naßprozeß. In den Naß-
pochwerken arbeiteten in der Regel 3 —4 Pochstempel,137 später konnte ihre Anzahl
in einigen Fällen bis auf 6 Pochstempel erhöht werden.138 Die Quellen des 16. Jahr-
hunderts gestatten es leider nicht, eine genauere Vorstellung über die höchstmögliche
136 Verzeichnis der Pochwerke und Schmelzöfen vom Jahre 1580. SÜA Praha: VHLJ
Jächymov, Fase. Nr. 12.
137 Inventar der Zwittermühlen und Schmelzöfen im Schönfeld vom 24. Mai 1574.
SÜA Praha: VHÜ Jächymv, Fase. Nr. 18.
138 Vgl. Heinrich Winkelmann, Der Bergmannsschmuck Johann Georg II. von Sachsen.
Bochum 1962, Abb. S. 38.
Bergbautechnik des 16. Jahrhunderts im böhmischen Erzgebirge
335
Tagesleistung der Aufbereitungsanlagen zu gewinnen. Und so bleibt bis auf weiteres
auch für die böhmischen Reviere im Erzgebirge analog die Schätzung für die
sächsischen Reviere in Geltung, daß nämlich die Leistung aller Aufbereitungs-
anlagen in der Glanzperiode des sächsischen Bergbaus im 16. Jahrhundert etwa der
Leistung nur einer einzigen modernen Aufbereitungsanlage mittlerer Größe ent-
spricht.139
Zu den Hüttenwerken
Auf die Verhüttung der verschiedenen Erze wollen wir hier nicht eingehen.
Im Prinzip würden wir etwa die gleichen Feststellungen zu treffen haben, denn die
Hüttenwerke gehören unabtrennbar zum Bergwesen. Jedoch treten hier gewichtige
Abb. 7. Erzwäsche mit Schwingsieben, Planen und Rättern aus Agricola 1556
(vgl. Anm. 48)
außerbergmännische, standortbedingte Sonderprobleme auf; denn wenn Fuhr-
knechte jahrzehntelang Kupfer aus der Slowakei zu einem Hüttenwerk im Thüringer
Wald fahren müssen, dann ist dies wirtschaftspolitisch und nicht produktions-
technisch zu erklären.
Zusammenfassung
Es ist unbestreitbar, daß die sächsische Technik, die außerordentliche Leistungen
bei der Wasserhebung aus erheblichen Teufen aufwies, in den böhmischen Revieren
durch einheimische sowie Harzer und österreichische Erfahrungen ergänzt, die
traditionellen Methoden der Bergbauarbeiten wesentlich verändert hat. Trotzdem
139 Kirchberg, Erzaufbereitung, 83.
Kt * J
336 JiRi Majer
konnte sie deren tiefe Krise in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht ver-
hindern, in der man lebhaft versuchte, die Neuerungen anzuwenden. Die Ursache
lag zweifellos nicht nur in dem Umstand, daß die Technik des 16. Jahrhunderts
noch keine genügenden Leistungen140 aufwies, sondern vor allem darin, daß sie
sich noch nicht in genügendem Maße durchgesetzt hatte.
Durchsetzen konnte sich die neue Technik nur sehr schwer, da folgende Faktoren
ihr hemmend im Wege standen:
1. Die Kosten für den Einbau der Maschinen waren, wie die folgende Tabelle
zeigt, für alle Kleinbetriebe und für die Mehrzahl der größeren Grubenanlagen
zu hoch.
2. Die Aufbereitung forderte weitere Aufwendungen für die maschinelle Einrichtung
in Pochwerken und Erzwäschen.
3. Kleinbetrieb war die vorherrschende Form der Unternehmungen141 — speziell
in Joachimsthal lassen sich nur 16—20% der Bergwerke zu den „Großbetrieben“
der damaligen Zeit rechnen, die mehr als 10 Bergleute beschäftigen — über
90 Bergleute sind in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf keiner einzigen
Grube des gesamten Bergamtsreviers angelegt gewesen, und bis zum Ende
des Jahrhunderts sank die Zahl der größeren Betriebe auf 3%, als die Verfalls-
periode ihren Höhepunkt erreichte, waren es nur noch 0,5% der Gruben, die mehr
als 10 Mann Belegschaft erreichten.
4. Zählen wir zu diesen Faktoren die allgemeine Erhöhung der Preise im Zuge der
Preisrevolution, die in Böhmen bis zur Jahrhundertwende 300% erreichte,
außerdem aber durch die Erhöhung der direkten und indirekten Steuern Geld
noch knapper machte,142 dann wird verständlich, warum die zur Ausgestaltung
des Maschinenwesens im Bergbau nötigen Mittel fehlten.
Aus allen diesen Gründen konnte die Einbeziehung der sächsischen Technik den
meisten Gruben in Böhmen, Mähren und der Slowakei nicht zur Rentabilität ver-
helfen. Wohl aber sind dadurch fruchtbare Wechselwirkungen unter den Werktätigen
selbst bewirkt worden.
140 Das positive Beispiel für den Nutzen der Kunstgezeuge und die glänzende Recht-
fertigung für Georgius Agricola, der die 1545 ausgereifte Konstruktion der Ehrenfrieders-
dorfer Gestängepumpe schon 1530 aufgriff, ist Freiberg — aber es steht sehr vereinzelt.
Dort sind zwischen 1557 und 1370 insgesamt 2105 Wasserknechte und 210 Pferde entbehr-
lich geworden, weil man auf die Wasserkraft zurückgriff und durchschnittlich 94 bis 81%
der Kosten einsparte. Allein nur dort ist es gelungen, durch umfangreiche Bauten von
Kunstgräben und Bergwerksteichen so tiefe Veränderungen in der Bergbaulandschaft zu
erzielen, daß zahlreiche große Grubenanlagen Zugang zur Wasserkraft erhielten und wirk-
lich namhafte Verbilligung der Betriebskosten erzielten.
Der in Anm. 81 erwähnte Bericht des Bergverwalters Martin Planer, der 38 Kunstgezeuge
damals eingebaut hat, ist übrigens als bergbaugeschichtlich bemerkenswert schon 1793
von Johann Friedrich Lempe im Magazin für die Bergbaukunde 10, 219 — 230, abgedruckt
worden.
141 Vgl. Wilsdorf, Agricola und seine Zeit, 17.
142 Siehe Majer, Jächymovskä dülni technika, 162. Vgl. Majer, Lesni cinove doly,
183.
Bergbautechnik des 16. Jahrhunderts im böhmischen Erzgebirge
337
Maschinen- Sorte Preis in Talern Ort und Jahr der Verwendung Anmerkungen
Göpel ca iooo Kuttenberg I59I VHÜ Joachimsthal, Nr. Fasz. 22
Kehrfad ii55 Joachimsthal 1562 MM-5-299/1562
Heinzenkunst 150 Joachimsthal 1536 Weizsäcker, Sachs. Bergrecht, S. 289
Heinzenkunst (?) Wasserkunst (mit 120 Kuttenberg 1584 VHÜ Joachimsthal Nr. F. 15
krummen Zapfen) 0 0 1 CN O O Schlaggen wald 1561 MM-5-280/1572
Wasserkunst 300 Schlaggenwald 15 72 MM-5-280/1572
Wasserkunst Radstube und 700 Preßnitz 1589 MM-5-220/15 89
Kunstschacht Heinzenkünste, I OOO Schlaggenwald 1600 VHÜ Joachimsthal Nr. F. 26
Stangenkunst u. Wasserkünste ca 10000 Joachimsthal 1563 MM-5-83/1563
Stangenkunst 500 Joachimsthal 1562 ANM: F 68, S. 34/I.
Stangenkunst 500 Schlaggenwald 1569 MM—5—280/1569
Stangenkunst Radstube und 1100 Schlaggenwald 1572 MM-5-280/15 72
Stangenkunst 3 ooo Schlaggenwald D73 MM-5-280/1573
Stangenkunst ca 2 ooo Kuttenberg 1611 VHÜ Joachimsthal, Nr. F. 33
Pochwerk 850 Schönfeld 1563 MM-5-84/1564-87
Pochwerk 500 Schlaggenwald 1570 MM-5-280/1570
Pochwerk 600 Schlaggenwald 1570 MM-5-280/15 70
Pochwerk 1400 Schlaggenwald 1570 MM-5-280/1570
Pochwerk 800 Schönfeld 1581 MM-5-287/1581
Pochwerk 300 Schlaggenwald 1598 MM-6-299/1598
Der Aufschwung der Maschinentechnik im 16. Jahrhundert hat auf die Lebens-
weise der Bergleute sehr verschieden eingewirkt; er betraf nicht nennenswert die
Arbeiter auf kleinen und kleinsten Gruben, deren maschinelle Ausrüstung bei ein-
fachsten Hilfsgeräten stehenblieb. Auch haben die verschiedenen Konstruktionen
ungleiche Auswirkungen gehabt. Pochwerke und Kolbenpumpen dürften viel
häufiger die bergmännische Lebenswelt bestimmt haben als Kehrradanlagen zur
Förderung. Von wirklich mit Neuerungen verbundenen technischen Anlagen ist
die Denkweise und Lebensführung der Bergleute sehr stark erfüllt worden. Sie hob
viele Bergleute über die bloße Handarbeit hinaus und machte eine nicht zu unter-
schätzende Anzahl zu „Kunstarbeitern“ (Kunstknechten), deren Hand die relativ
und absolut sehr kostspieligen Maschinen bediente und betreute, solange keine
Störungen auftraten, und deren Kopf Abhilfe finden mußte, sobald es zu Hem-
mungen kam. Da man die Wartung schon wegen der engen Schachtquerschnitte
oft Knaben übertrug, mußten sich diese „Kunstjungen“ bis dahin nicht notwendige
Geschicklichkeiten und Sorgfaltspflichten zu eigen machen. Wo man Pferde als
Antriebskraft verwendete, ist eine weitere Bereicherung der Lebenswelt durch das
Tier gegeben — uns fällt in der Bildstaffage der Holzschnitte zu de re metallica auf,
} WAlWf/ArVi Wrff.iJMtlilirRr>«K&*«\№3*i v 1* 1 I
338 JirI Majer
daß sich die Bergleute von Hunden begleiten ließen. Das war angängig, solange der
Stollenbergbau den stufenlosen Zutritt zum Bergwerk gewährte. Zudem hat der
Einbau zahlloser kleiner Hilfsvorrichtungen — Siebanlagen, Planenwäschen —
in den Produktionsablauf viel Zimmermannsarbeit gefordert, die wiederum eine
Gruppe anzog und erzog, deren Stärke in der manuellen Geschicklichkeit bei der
Zurichtung und bei der Arbeit mit den zwar stabilen, aber keineswegs groben
halbmechanischen Vorrichtungen zur Klassifizierung der Erze lag.
Die technischen Neuerungen, die im 16. Jahrhundert zu einem verstärkten inter-
ethnischen Austausch auf allen Bergrevieren führten, berühren vor allem den
ergologischen Bereich der Volkskunde, denn sie strahlten von hier auf die gesamte
Lebenswelt der Bergleute aus.143
143 Ich betrachte es als eine angenehme Pflicht, Herrn Dr. Helmut Wilsdorf für seine
Erweiterungen dieses Artikels durch eine Reihe montanethnographischer Ergänzungen und
die Auswahl der Ikonographie den wärmsten Dank auszusprechen.
DEUTSCHER SAGENKATALOG
Vorbericht
Von Gisela Bürde-Schneidewind und Ina-Maria Greverus
Der Gedanke, einen vollständigen deutschen Sagenkatalog zu schaffen, wurde —
nach verschiedenen Plänen und Ansätzen der Nachkriegszeit — 19 5 9 in Kopenhagen
anläßlich des Internationalen Kongresses der Volkserzählungsforscher erneut auf-
gegriffen, als sich hier ein internationales Gremium von Wissenschaftlern bildete,
die sich speziell mit der Sagenkatalogisierung beschäftigen wollten. Die Kongreß-
teilnehmer benannten außerdem einige Folkloristen als „regionale“ Koordinatoren
mehrerer ethnischer Kataloge. Für die Region „Mitteleuropa“ sollte diese Aufgabe
Will-Erich Peuckert übernehmen.1
Zwei Jahre später, im November 1961, trafen sich unter Peuckerts Leitung einige
deutsche Fachwissenschaftler im Institut für deutsche Volkskunde der Deutschen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin, um über die Möglichkeiten und Prinzipien
eines deutschen Sagenkatalogs zu beraten.1 2
Die wichtigsten Ergebnisse dieser Besprechung seien hier noch einmal kurz
genannt.
1. Das deutsche Material sollte auf keinen Fall nach dramatis personae und nicht
nach Motiven geordnet werden, sondern — soweit möglich — nach Typen oder
nach der Interessendominanz, dem Sujet, dem Hauptanliegen der Sage; Peuckert
sprach damals in Anlehnung an seine Arbeit am Hwb. d. Sage von „Groß-
motiven“.
2. Die Numerierung der Typen oder Sujets sollte laufend, ohne Dezimalstellen,
aber mit genügend Springnummern vorgenommen werden, um eine möglichst
einfache Basis für den Anschluß an spätere internationale Systeme zu schaffen.
3. Damit das jeweilige ethnisch spezifische Repertoire an Sagengestalten und histo-
rischen Personen bei einer inhaltlichen Gliederung nicht verlorengeht, wurde
zu jedem Katalog ein Motiv- bzw. Stichwortregister empfohlen.
4. Es sollte das gesamte deutschsprachige Material berücksichtigt werden, also auch
Sammlungen aus den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten sowie aus Öster-
reich und der Schweiz.
1 Vgl. den Bericht von Gisela Schneidewind in DJbfVk 6 (i960) 438; und: Resolution
for the Compiling of Folk Legend Indexes. Passed at the final session of the International
Folktale Congress, Copenhagen, Denmark, August 29, 1959. Fabula 3 (i960), 299.
2 Gisela Bürde-Schneidewind, Bericht über eine vorbereitende Besprechung für einen
deutschen Sagenkatalog. In: Tagung der „International Society for Folk-Narrative Re-
search“ in Antwerpen (6. — 8. Sept. 1962). Berichte und Referate (Antwerpen 1963) 86ff.
340 Gisela Burde-Schneidewind und Ina-Maria Greverus
5. Ingeborg Müller erklärte sich bereit, aus dem Material des Wossidlo-Nachlasses
in Rostock, und zwar aus der umfangreichen Gruppe der Totensagen, Beispiele
für „Großmotive“ auszuwählen.3 Diese ergaben später den Grundstock für den
vorliegenden detailliert ausgearbeiteten Katalog der Totensagen.4
Als der Präsident der i960 in Paris gegründeten ISFNR, Kurt Ranke, 1963 eine
Arbeitstagung nach dem gastgebenden Budapest einberief, die sich speziell der
Sagenkatalogisierung widmete, fanden sich die Vertreter der DDR mit ihren prak-
tischen Katalog-Erfahrungen und die Vertreter der BRD mit wesentlichen Vor-
schlägen für einen Gesamtkatalog5 in fruchtbarem Meinungsaustausch zusammen.
Leider konnten der schwer erkrankte Will-Erich Peuckert und andere deutsche
Fach Wissenschaftler an dieser Beratung nicht teilnehmen. Jedoch waren die in
Budapest anwesenden deutschen Folkloristen von der Notwendigkeit einer weiteren
gemeinsamen Bearbeitung des deutschen Sagenkatalogs überzeugt, und Gisela
Burde-Schneidewind (Berlin), Ina-Maria Greverus (Marburg) und Ingeborg Müller
(Rostock) erklärten sich darüber hinaus auf Vorschlag bereit, innerhalb einer Sonder-
kommission an der Ausarbeitung eines international benutzbaren Rahmensystems
der Volkssagen mitzuwirken.6
Noch im gleichen Jahr, im Dezember 1963, fand eine grundlegende Aussprache
über das deutsche Katalogunternehmen in Berlin statt, an der außer den obengenann-
ten Wissenschaftlerinnen auch die Direktoren des Instituts für mitteleuropäische
Volksforschung an der Universität Marburg, Prof. G. Heilfurth, und des Instituts für
deutsche Volkskunde der DAW Berlin, Prof. W. Steinitz, teilnahmen. Das Marburger
Institut, als Besitzer und Sachwalter des Zentralarchivs der Volkserzählung, und das
Berliner Institut, mit seinem in der Forschungsstelle Rostock aufbewahrten großen
landschaftlich gebundenen Sagenfundus aus dem Nachlaß Richard Wossidlos,
schienen für die Ausgabe des deutschen Sagenkatalogs die besten Voraussetzungen
zu bieten. Hinzu kam noch die umfangreiche Sammlung demokratischer Volks-
sagen des Instituts für deutsche Volkskunde der DAW, deren Ziel eine vierbändige
Ausgabe mit gleichzeitiger Systematisierung dieses bisher von der Forschung wenig
beachteten Materials sein wird,7 sowie die geplante große Sammlung und Ausgabe
3 Ebda 8 8 ff.
4 Die von I. Müller entworfene Großgliederung sowie die später folgende Aufschlüsse-
lung des Materials der Totensagen wurden ab 1962 mehrfach mit tschechoslowakischen
Kollegen diskutiert, zu denen durch ein Abkommen zwischen beiden Akademie-Instituten
(Prag und Berlin) seit 1959 engster wissenschaftlicher Kontakt besteht. Vgl. hierzu Gisela
Burde-Schneidewind, Ergebnisse der Zusammenarbeit tschechoslowakischer und deutscher
Folkloristen auf dem Gebiet der Sagenkatalogisierung. DJbfVk 12 (1966) 76 ff.
5 Vgl. Ina-Maria Greverus, Bericht zu Veröffentlichungs- und Katalogisierungsplänen
aus dem Zentralarchiv der Volkserzählung. Acta Ethnographica Academiae Scientiarum
Hungaricae 13 (1964) iiiff.
6 Ausgearbeitet von Boskovic-Stulli, Dömötör, Greverus, Müller, Schneidewind, Siro-
vätka, Tillhagen. Abgedruckt ebda 130F
7 Sagen demokratischen Charakters. Bd. 1: Herr und Knecht. Antifeudale Sagen aus
Mecklenburg. Aus der Sammlung Richard Wossidlos hg. v. Gisela Schneidewind. Berlin
i960. — Bd. 2 im Druck: Historische Volkssagen zwischen Elbe und Niederrhein. Hg.
von Gisela Burde-Schneidewind. — Bd. 3 (Material aus Hessen, Thüringen, Südbranden-
Vorbericht
341
der Bergmannssagen im Rahmen der Volkskunde des Bergbaues von Gerhard
Heilfurth am Institut für mitteleuropäische Volksforschung der Universität
Marburg, Abt. Montanwesen und Industrie.8 Auf Grund dieser Voraussetzungen
wurde vereinbart, daß Ina-Maria Greverus (Universität Marburg) die Arbeiten für
die Kataloggruppe III des Budapester Rahmenplanes (Übernatürliche Wesen und
Kräfte — Mythische Sagen) anleitet, koordiniert und zur Publikation vorbereitet
und Gisela Bürde-Schneidewind (DAW Berlin) die gleichen Aufgaben für die
Gruppe II (Historische Sagen) übernimmt.9 Die von Spezialisten auszuarbeitenden
Kataloggruppen werden je nach ihrer Zugehörigkeit zu den Großabschnitten II oder
III in der Deutschen Demokratischen Republik oder in der Bundesrepublik Deutsch-
land veröffentlicht. Über die endgültige Form des Katalogs bzw. der Vorabdrucke
werden noch Vereinbarungen getroffen.10
Im Laufe der weiteren Arbeit am Katalog der Totensagen wurden mehrere Zu-
sammenkünfte von Sagenspezialisten notwendig. Sie fanden in Berlin, Rostock und
Marburg statt; zweimal hatten die befreundeten tschechoslowakischen Wissenschaft-
ler nach Prag eingeladen. An einigen dieser Besprechungen beteiligten sich von
westdeutscher Seite außer Ina-Maria Greverus auch Fritz Harkort, Göttingen, und
Lutz Röhrich, Mainz. Letzterer, 1963 in Athen zum Vorsitzenden der Kommission
für das deutsche Handwörterbuch der Sage gewählt, hatte es auf einer Mitarbeiter-
besprechung vom 26. 4. 1965 in Marburg übernommen, nach der abgeschlossenen
Arbeit I. Müllers mit den Ergänzungen durch E. Moser-Rath (Arme-Seelen-Sagen)
und M. L. Lechner (Material des Zentralarchivs) die weiteren landschaftlichen Bei-
träge zu koordinieren. Diese beizusteuern hatten sich bereit erklärt: M. Rumpf
(Schweiz), K. Beitl (Österreich), G. Petschel (ehern. Schlesien), E. Moser-Rath
(Bayern), J. Dünninger (Franken), U. Benzei (Oberpfalz, Böhmen und Mähren,
ehern. Pommern), L. Röhrich, R. Brednich (Südwestdeutschland), G. Grober-Glück
(Jülich, Eifel, Bergisches Land), I.-M. Greverus, M. L. Lechner (Hessen), L. Petzoldt
(Westfalen), K. Ranke, F. Harkort (Niedersachsen, Schleswig-Holstein), I. Müller
(Mecklenburg, gedr. Sammlungen, und Vorpommern), G. Griepentrog (Branden-
burg), Chr. Agricola (Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt), J. Schwebe (Ehern.
Ostpreußen). — Den so vervollständigten Katalog konnte Lutz Röhrich im Sep-
burg, Sachsen, dem ehern. Schlesien) und Bd. 4 (Material aus Süddeutschland, Österreich
und der Schweiz) in Vorbereitung.
8 Inzwischen erschienen: Gerhard Heilfurth unter Mitarbeit von Ina-Maria Greverus,
Bergbau und Bergmann in der deutschsprachigen Sagenüberlieferung Mitteleuropas.
Bd. I — Quellen. Marburg 1967. Der Ausgabe liegt eine thematische und motivische Ord-
nung der Sagen zugrunde.
9 Vgl. hierzu Gisela Bürde-Schneidewind, Zur Katalogisierung historischer Volkssagen.
Acta Ethnographica Academiae Scientiarum Hungaricae 13 (1964) 27 fr.
10 Der Totensagen-Katalog bildet als Untergruppe des Rahmenvorschlages III eine Aus-
nahme, da seine Bearbeitung durch I. Müller aufgrund des Wossidlo-Materials zum Zeit-
punkt der Berlin-Marburger Vereinbarungen schon sehr weit gediehen war und somit eine
Veröffentlichung im Deutschen Jahrbuch für Volkskunde rechtfertigt, zum anderen soll
dieses erste, sorgfältig ausgearbeitete Beispiel der internationalen Fachwelt zur Diskussion
und Kritik vorgelegt werden, ehe andere Themen und Gruppen des deutschen Katalogs
ihre endgültige Fassung erhalten.
23 Volkskunde
342
Gisela Bürde-Schneidewind und Ina-Maria Greverus
tember 1966 der Arbeitstagung der International Society for Folk-Narrative Re-
search in Liblice bei Prag vorlegen.
Die Methode, eine landschaftliche Materialaufarbeitung als Ausgangsbasis der
jeweiligen Kataloggruppe zu nehmen und sie dann aus anderen Landschaften zu
ergänzen, hat sich an unserem Beispiel gut bewährt und sollte bei allen in Zukunft
bearbeiteten Gruppen beibehalten werden. Denn jedes neue Stadium der Erweiterung
oder Veränderung bedeutet erfahrungsgemäß ein immer erneutes Überprüfen der
angewandten Methoden und Prinzipien. Im vorliegenden Fall ergaben sich z. B. bis
zur letzten Vorbereitung der Druckfassung — noch nach der Vorlage des Katalogs
bei der Arbeitstagung der ISFNR in Liblice und nach den letzten Besprechungen
zwischen L. Röhrich, I.-M. Greverus, G. Bürde-Schneidewind und I. Müller im
November 1966 und Februar 1967 — außer Verbesserungen am Totensagenkatalog
selbst auch Vorschläge für Korrekturen am Budapester Rahmenkatalog, die jedoch
an anderer Stelle diskutiert werden sollten.
Wenn im folgenden nun die erste Gruppe des deutschen Sagenkatalogs in ihrer
endgültigen Form veröffentlicht wird, so scheint es uns gerade hier wichtig, außer
auf den Verlauf der vorbereitenden Besprechungen und Sitzungen der Mitarbeiter,
auch auf die gemeinsam erarbeiteten Ordnungsprinzipien einzugehen, die für den
Gesamtkatalog verbindlich sein sollen.
Die Sagenforscher, die sich an diesem Unternehmen beteiligen, kommen von ihren
ganz speziellen Forschungsgebieten und Forschungsansätzen her und bringen diese
Kenntnisse gewissermaßen als zunächst sehr heterogene Teilaspekte in das Katalog-
verfahren ein. Daraus ergab sich manche fruchtbare Diskussion und Kritik, die wohl
das Erscheinen dieser ersten Gruppe um einige Zeit verzögerten, aber auf der anderen
Seite wesentliche Beiträge zum Durchdenken der Aufgabe im Hinblick auf ihre
spätere bestmögliche Benutzbarkeit leisteten.
Als Ausgangsbasis für den deutschen Sagenkatalog lagen den Mitarbeitern
außer bisherigen Katalogisierungsversuchen der Sage11 die Gruppeneinteilung der
Budapester Sonderkommission11 12 und die von Ingeborg Müller an Hand des Meck-
lenburgischen Materials aus dem Wossidlo-Archiv zusammengestellte Systemati-
sierung der Totensagen13 vor.
Die in Budapest vorgeschlagene Gruppeneinteilung, welche bereits eine Für-
und Widerdiskussion ausgelöst hat,14 deren Verbindlichkeit sich jedoch erst nach
11 Hier sei vor allem auf die größeren Kataloge verwiesen: J. Sinninghe, Katalog der
niederländischen Märchen-, Ursprungssagen-, Sagen- und Legendenvarianten. Helsinki
1943 (= FFC 132); Reidar Christiansen, The Migratory Legends. Helsinki 1958 (= FFC 175);
Lauri Simonsuuri, Typen- und Motivverzeichnis der finnischen mythischen Sagen. Helsinki
1961 (= FFC 182); Valerie Höttges, Typen Verzeichnis der deutschen Riesen- und riesischen
Teufelssagen. Helsinki 1937 (— FFC 122). — Das nur in Teilen (Hexen-, Hausgeister-,
Kobold- und Zwergensagen) — nunmehr auch hektographiert einigen Forschern zugäng-
lich — vorliegende Sagenkatalogmanuskript aus den 30er Jahren von Johannes Künzig
wird für spätere Gruppen unseres Kataloges wesentliche Anregungen geben, zumal es in der
Grundkonzeption am ehesten unseren Prinzipien entspricht.
12 Vgl. Anm. 6.
13 Vgl. Anm. 3.
14 Vgl. die kritische Stellungnahme von Leopold Schmidt, Vor einer neuen Ara der
Sagenforschung. ÖZfVk 68 (1965) 53 — 74; s. dazu die Erwiderung von Maja-Boskovic-
Vorbericht 343
einer tatsächlich durchgeführten internationalen Ordnung erweisen wird, bezweckt
die Zusammenfassung stofflich, d. h. auch typologisch ähnlicher Themen unter
ihrem schwerpunktmäßigen Bezugsfeld. Dieses Bezugsfeld kann räumlicher und
dinglicher Art sein (z. B. Entstehung von Kulturorten und -gütern), es kann histo-
risch (Kriege und Katastrophen; Frühgeschichtliches), sozial-ethisch (Verstoß gegen
eine Ordnung) oder personal sein, wobei letzteres zunächst als Widerspruch zu dem
Rahmenvorschlag, „nicht nach dramatis personae, sondern nach Themen innerhalb
der Gruppen zu ordnen“, erscheinen mag. In diesem Sinne wurde auch bereits die
Gruppe „Der Teufel“ kritisiert.* 12 * * 15 Man könnte unter diesem Aspekt ebensogut
weitere Gruppen hinzufügen: Aus der Gruppe herausragende Menschen, Der Tod
und die Toten, Naturgeister, Geister von Kulturorten, Verwandelte, Menschen mit
übernatürlichen (magischen) Gaben und Kräften. Die Gruppenüberschriften be-
inhalten natürlich einerseits die dramatis personae, aber darüber hinaus das Bezugs-
feld, in dem sich die einzelnen Themen und Typen, die wir als Klassifizierungs-
grundlage vorgesehen haben, schwerpunktmäßig verwirklichen. Es handelt sich
also hierbei zunächst weder um Thema noch Typus noch um dramatis personae als
solche, sondern darum, den Raum abzustecken, der als Hintergrund der Handlungen
sichtbar wird. Innerhalb dieses Raumes haben wir uns zu einer thematischen Ordnung
entschlossen, um auch den zur Sage, d. h. zum Erlebnis- und Ereignisbericht epi-
sierten Volksglauben und -Wissensstoff ohne zu große Nummernspezifizierung auf-
nehmen zu können.16
Unter dem Thema verstehen wir „den Grundgedanken, aus dem die Erzählung
erwächst und der die Erzählung umklammert. Dieser Grundgedanke wird im
Stoff realisiert“.17 Deshalb muß auch unser Katalog von dem zunächst abstrakten
Thema zu seiner stofflichen Darbietung fortschreiten, wobei allerdings in der Reali-
sierung des Themas — im Gegensatz zum Typus — nicht notwendig Stoffgleichheit
erforderlich ist. Hat ein Thema eine spezifische stoffliche Konkretisierung erfahren,
durch die sich weiterhin mehrere Erzählungen als eine formale morphologische
Einheit von anderen Erzählungen und Erzähleinheiten absetzen, so sprechen wir
von einem Typus. Diese Typen sind auch in der Sagenüberlieferung ein wichtiges
Faktum und sollen deshalb in unserem Katalog unter eigenen Nummern er-
scheinen.
Stulli, Beitrag zur Diskussion über die Katalogisierung der Volkssagen. Fabula 8 (1967)
192 — 207; ferner Gisela Bürde-Schneidewind, Ergebnisse der Zusammenarbeit tschecho-
slowakischer und deutscher Folkloristen auf dem Gebiet der Sagenkataloeisierung. D TbfVk
12 (1966) 76 ff.
15 Leopold Schmidt, a. a. O. 72.
16 Ein ausschließlicher Typenkatalog der Fabulata mit fest fixiertem motivischen Muster,
wie es Carl-Herman Tillhagen (Was ist eine Sage? Eine Definition und ein Vorschlag für
ein europäisches Sagensystem. Acta Ethnographica, a. a. O. iof.) vorschlägt, reicht
für die Erschließung des alltäglichen Erzählens von Geschichten, die aus einem traditionellen
Überlieferungsfundus ihren Stoff beziehen, u. E. nicht aus.
17 Vgl. Ina-Maria Greverus, Thema, Typus und Motiv. Zur Determination in der
Erzählforschung. In: IV. International Congress for Folk-Narrative Research in Athens
4-—6. 9. 1964 (Athens 1965) 136.
23*
ff trnn I
344 Gisela Burde-Schneidewind und Ina-Maria Greverus
Der deutsche Sagenkatalog wird damit als ein Themen- und Typenkatalog zu
bezeichnen sein, wobei die Typen jeweils in ihrem thematischen Zugehörigkeits-
bereich erscheinen werden.
Das oben Gesagte soll an dem nunmehr vorliegenden Katalog der Totensagen
kurz demonstriert werden.18
Die Budapester Gruppe „Der Tod und die Toten“ erwies sich als eine günstige
Klassifizierungsgrundlage, indem sie das schwerpunktmäßige Bezugsfeld für eine
weitgehend in sich abgeschlossene Einheit von Erzählthemen und -typen darbot. Er-
zählungen, in denen der Tod oder die Toten als zufällige und auswechselbare dramatis
personae auftreten (z. B. Der Tod als Teilnehmer am Freveltanz, die Tödin als Ge-
18 Auf eine bereits vor Erscheinen des Kataloges an Vorentwürfen desselben entwickelte
Kritik von Fritz Harkort (Volkserzählungstypen und -motive und Vorstellungsberichte.
Fabula 8 [1967] 208 — 223) sei an dieser Stelle verwiesen. Harkort hat den von uns vor-
geschlagenen Weg einer Abstraktion der konkreten Erzählinhalte, die sich aus Motiven
zusammensetzen, zum Thema oder Grundgedanken nicht nachvollzogen. Er wirft dem
Katalog eine willkürliche Berücksichtigung von Sagentypen, -motiven und Vorstellungs-
berichten vor. Dem müssen wir folgendes entgegenhalten:
a) Sagenkatalogisierung muß andere Wege gehen als Märchenkatalogisierung.
b) Wollen wir für die Sage nur einen Typenkatalog schaffen, in dem der Typus der Anfor-
derung, auf zwei oder mehreren ethnischen Gebieten vorzukommen, entspricht, so
entfiele ein großer Teil unserer Sagen für die Katalogisierung. Wir kämen dann zu
einem Katalog der Wandersagen, wie ihn Christiansen angelegt hat. Vgl. auch Anm. 16.
c) Betrachten wir das Motiv als einen Volkserzählungsteil, der immer von anderen ab-
hängig ist, so müßten wir den Begriff Motiv für die Sage überhaupt streichen, denn in
ihr kann jedes Motiv als Konkretisierung eines Themas für sich bestehen. Als Beispiel
sei F 12 gegeben: „Tote Wöchnerin wartet nachts ihr Kind“. Dies ist ein vollständiger
und verbreiteter Sagentypus, der nur ein Motiv enthält und unter dem Grundgedanken
der „ungelösten Verbindung zwischen Mutter und Kind über den Tod hinaus“ steht.
Gleichzeitig ist es im Märchentypus AT 450 ein Motiv im Sinne Harkorts, also Teil einer
Erzählung, die weitere Teile erfordert, um als ein abgeschlossenes Märchen zu gelten.
d) H. wirft dem Sagenkatalog eine Berücksichtigung von Vorstellungsberichten vor, die
er aus den „zu kurzen Textangaben“ ersehen will. Unser Katalog hat für seine Klassi-
fizierungsgrundlagen ausschließlich Erlebnis- und Ereignisberichte verwendet, die
allerdings auf einem traditionellen Vorstellungsbereich aus Volksglauben und -wissen
basieren. Wir können es wohl als feststehende Tatsache ansehen, daß jedes Faktum dieser
Vorstellungsbereiche den Keim zur Sagenbildung in sich trägt, d. h. durch das Moment
des Erlebens, das Moment der personalen, lokalen und historischen Handlungserfahrung
wird jeder Vorstellungsbericht zum Erlebnis- bzw. Ereignisbericht. Das Aktionsmoment
wurde auch in den kurzen Katalogregesten berücksichtigt (vgl. unter F 12 „Die tote
Wöchnerin“), wobei wir allerdings nicht übersehen dürfen, daß es auch dem Vorstellungs-
bericht als allgemeine Feststellung inhärent sein kann („Tote Wöchnerinnen kehren
nachts zu ihren Kindern zurück“) und die spezielle Handlungserfahrung, die sich in der
jeweiligen Einmaligkeit des Ereignisses und Erlebnisses ausdrückt, zwar für die Material-
sichtung den Ausschlag gibt, aber in den Katalogregesten wieder auf ihren typischen
allgemeingültigen Inhalt zurückgeführt werden muß.
e) Unser von H. nicht berücksichtigtes Prinzip einer thematischen Ordnung versucht, die
aus einer Vielzahl von Vorstellungen und Erzählmotiven erwachsenen Erlebnisberichte
unter übergeordneten thematischen Gesichtspunkten zusammenzufassen und, wie S. 343
ausgeführt, dadurch die Möglichkeit für eine Einordnung aller inhaltlichen Sonder-
prägungen zu geben.
Vorbericht
345
liebte usw.) werden nur als Verweisgruppen aufgenommen. Auch die Todesvor-
zeichen wurden aus diesen Gruppen herausgenommen, da ihr eigentliches Bezugsfeld
die Gruppe „Das Schicksal manifestiert seine Macht/Zeichen und Vorzeichen“ dar-
stellt. Die Kapitel A bis P geben in ihren Überschriften zunächst das noch weit-
gehend abstrakte Grundthema an, das in den Zwischenüberschriften seine erste
Detaillierung erfährt. Unter den Nummern werden dann die konkreten Handlungs-
abläufe zunächst unter einem Stichwortsatz aufgeführt, wobei sich die Nummern
für die auf Grund des gleichen Themas ähnlichen Handlungsschemata und die
eigentlichen Typen nicht unterscheiden.
Die Regesten geben für den Typus den Handlungsablauf stichwortartig wieder,
eventuell mit möglichen Variationen, und für die thematisch gebundenen ähnlichen
Handlungsschemata die verschiedenen Möglichkeiten der Konkretisierungen, die
im wesentlichen aus Motiven bestehen. Diese Regesten sollen dem Benutzer eine
Einordnungshilfe geben, beabsichtigen aber keine vollständige Erfassung der in einer
thematisch gleichen Erzählung möglichen Inhalte. Durch diese Zusammenfassung
wurde eine räumliche Überstrapazierung des nationalen Gesamtkataloges vermieden,
für den Vollständigkeit nicht erreicht werden kann. Gleichzeitig bietet sich aber die
Möglichkeit, bei regionalen Veröffentlichungen und Katalogen alle inhaltlichen
Sonderprägungen unter der entsprechenden Gesamtkatalognummer spezifiziert
aufzuführen, was als weitere Vorarbeit für einen unseren „Themen- und Typen-
katalog“ integrierend ergänzenden Motivkatalog der Sage anzusehen wäre.
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X. Der Tod und die Toten
Von Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
Einführung
Der Katalog in der hier vorliegenden Form ist eine Neufassung des im September
1966 auf der ISFNR-Tagung in Liblice vorgelegten Verzeichnisses der deutschen
Totensagen. Er beruht auf dem im Verzeichnis der mecklenburgischen Totensagen
verarbeiteten handschriftlichen Material der Wossidlo-Forschungsstelle Rostock,
dem handschriftlichen Material des Zentralarchivs der deutschen Volksdichtung in
Marburg und auf den einschlägigen Sagen aus etwa 120 repräsentativen Samm-
lungen aus allen Landschaften des deutschen Sprachgebietes (vgl. S. 341). Außer-
dem wurde die wichtigste neuere Literatur über Totensagen, allgemeine Ab-
handlungen sowie Monographien über einzelne Typen und Spezialthemen
herangezogen.1
Eingegangen in den Katalog sind alle Sagen um den Tod und die Toten, soweit
die Interessendominanz der jeweiligen Erzählung die Aufnahme in einen Katalog
der Totensagen rechtfertigt. Liegt das Schwergewicht der Sage jedoch auf dem
Bericht über Ereignisse aus dem früheren Leben des Toten, so verweist die Gruppe
der Totensagen auf die entsprechende Hauptthematik. Dabei waren Zweifelsfälle
und Überschneidungen unvermeidlich. Schwierigkeiten entstanden beispielsweise
bei der Einordnung von Spuksagen. Spuk in der Sage ist ja weithin Totenspuk,
und es bestehen Überlegungen, die Gruppe „Spukerscheinungen und Spukorte“
des Budapester Rahmenplanes aufzuheben und alle Spuksagen, abgesehen von
1 Reidar Th. Christiansen, The Dead and the Living. Studia Norvegica Nr. 2, Oslo 1946;
Anton Gattlen, Die Totensagen des alemannischen Wallis. Diss. Freiburg (Schweiz) 1947;
Adolf Gühring, Der Tod in der Volkssage der deutschsprachigen Gebiete. Diss. Tü-
bingen 1957; Elfriede Moser-Rath, Arme Seele. In: Handwörterbuch der Sage, hg. von
Will-Erich Peuckert, 3. Lfrg. (Göttingen 1963) 628—641; Kurt Ranke, Indogermanische
Totenverehrung. I. Der dreißigste und vierzigste Tag im Totenkult der Indogermanen.
Helsinki x951 (= FFC 140); Joh. Sailer, Die Armen Seelen in der Volkssage. Diss. München
1956; Otto Tobler, Die Epiphanie der Seele in deutscher Volkssage. Diss. Kiel 1911; außer-
dem die einschlägigen Artikel des Handwörterbuches des deutschen Aberglaubens, hg. von
Hanns Bächtold-Stäubli. 10 Bde. Berlin und Leipzig 1921 ff. An Monographien wurden
u. a. benutzt: Bernward Deneke, Legende und Volkssage. Untersuchungen zur Erzählung
vom Geistergottesdienst. Diss. Frankfurt 1958; Mathilde Hain, Arme Seelen und helfende
Tote. Rhein. Jb. f. Vk. 9, Bonn 1958; Leopold Kretzenbacher, Freveltanz und „Überzähli-
ger“. Carinthia I, Mitteilungen des Geschichtsvereines für Kärnten, Jg. 144, Heft 1 — 3,
Klagenfurt 1954; Willy Krogmann, Nobiskrug. Jb. d. Vereins f. nd. Sprachforschung
65/66, 1940; Leander Petzoldt, Der Tote als Gast. Volkssage und Exempel. Diss. Mainz
1965 (FFC 200) Kurt Ranke, Die Sage vom Toten, der seinem eigenen Begräbnis zu-
schaut. Rhein. Jb. f. Vk. 5, Bonn 1954.
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Einführung 347
Dämonen- und Teufelsspuk, in die Gruppe der Totensagen mit aufzunehmen.
Hier konnten jedoch nur solche Sagen katalogisiert werden, in denen deutlich
erwähnt ein Toter als Spukgeist auf tritt; Spuksagen ohne Totenhintergrund, wie
Sagen von Orts- und anderen Spuktieren, unheimlichen Orten und Erscheinungen
und dergleichen mehr, sollten u. E. auch weiterhin einer eigenen Gruppe Vor-
behalten bleiben.
Auch der Vorstellungskomplex vom Wilden Heer, genetisch den Totensagen
eng verwandt, jedoch zu einem gerundeten Sagenkreis mit eigenständigem Gepräge
und eigenständigen Erzählformen verselbständigt, erscheint in diesem Katalog
nur mit einer Verweisnummer (N 19*) auf die entsprechende Gruppe des Budapester
Vorschlages, während andere Umzüge der Toten, Totenprozessionen, Gratzug,
gespenstische Leichenzüge usw. als integrierende Bestandteile der Totensagen in den
Katalog eingegangen sind.
Als problematisch erwies sich weiterhin die Einordnung der Sagen von der
Vorhersage des Todes und den Ereignissen in der Todesstunde. Beide Komplexe
sind hier eliminiert worden, da sie ihrer Tendenz, ihrem erzählerischen Schwergewicht
nach in der dafür vorgesehenen Gruppe „Das Schicksal manifestiert seine Macht;
Zeichen und Vorzeichen“ thematisch verankert sind und dort als Einheit erscheinen
sollten. Todvorbedeutungen, soweit der Tod oder die Toten in ihnen eine Rolle
spielen, tauchen an den entsprechenden Stellen des Kataloges unter einzelnen
Verweisnummern auf (vgl. z. B. A 11*, F 2*, F 3*, N 15*, N 17*); die Todesstunde
erscheint zusammengefaßt lediglich als eine Verweisgruppe unter dem Großbuch-
staben B*, da in ihr der Tote als Person zurücktritt hinter den Zeichen und Ereig-
nissen, in denen eine übernatürliche Macht sich in der Todesstunde handelnd kund-
tut.
Ein weiteres Problem bilden die Erlösungssagen — auch hierfür wurde ursprüng-
lich eine eigene neue Gruppe innerhalb des Budapester Rahmenplanes erwogen.
Da sich in der Volkssage Erlösung jedoch vorwiegend an Toten vollzieht, in christ-
licher Sicht sogar einziger Sinn und letztes Ziel des spukhaften Umgehens eines
Sagentoten ist, wurde die Erlösung ruheloser Toter als ein eigener und wesentlicher
Abschnitt in den Totensagenkatalog mit einbezogen. Das erscheint auch dadurch
gerechtfertigt, daß stets der Tote handelnd oder leidend im Mittelpunkt der Sage
steht.
Wie bereits im Vorbericht dargelegt (vgl. besonders Anm. 18), wurden lediglich
Sagen im Sinne von Erlebnis- und Ereignisberichten katalogisiert, und zwar ohne
formale Unterscheidung von Memorat, Fabulat und Typ, um das vorhandene Mate-
rial in seiner ganzen Breite und Differenziertheit möglichst vollständig erfassen zu
können. Unberücksichtigt geblieben sind Glaubens- und Vorstellungsberichte, in
denen der Stoff sich nicht zur Handlung konkretisiert hat. So konnte z. B. der be-
sonders in weiten Gebieten Niederdeutschlands verbreitete Vorstellungskreis vom
Nobiskrug als letztem Versammlungsort der Toten vor ihrem endgültigen Abgang
ins Jenseits hier keine Aufnahme finden, da er sich nicht in für uns noch greifbare
Sagen im oben definierten Sinne niedergeschlagen hat.
Ohne Belang für Auswahl und Gliederung des Materials blieben ferner Unter-
schiede in der Terminologie und dem Sprachgebrauch, wie sie sich aus den ver-
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348 Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
schiedenen Aspekten der Sagen — historischen, landschaftlichen, konfessionellen
usw. — ergeben.2
In der Numerierung sind gegenüber dem in Liblice vorgelegten Verzeichnis wie
gegenüber dem Budapester Rahmen Vorschlag Veränderungen vorgenommen, die
hiermit zur Diskussion gestellt werden mögen: Der Wunsch nach einer möglichst
einfachen Zitierweise ließ es geraten erscheinen, die Unterteilung des gesamten
Sagenmaterials in vier durch römische Ziffern bezeichnete Abschnitte, wie sie der
Budapester Rahmenplan vorsieht, fallenzulassen und statt dessen die vorgesehenen
Gruppen durchlaufend zu numerieren. Um dabei genügend Spielraum für die Anzahl
der Gruppen zu bewahren, wird vorgeschlagen, diese mit römischen Ziffern zu
kennzeichnen, also „X. Der Tod und die Toten“. Daraus ergibt sich notwendig eine
andere Kennzeichnung der Abschnitte innerhalb der einzelnen Gruppen, für die in
unserem Katalog Großbuchstaben verwendet sind. Die Bezeichnung der einzelnen
Themen bzw. Typen als kleinste Einheiten des Kataloges erfolgt durch arabische
Ziffern ohne Dezimalstellen, wobei sich Thema und Typ, wie bereits im Vorbericht
gesagt, in der Numerierung grundsätzlich nicht unterscheiden, der Typ als besondere
Ausformung des allgemeineren Themas diesem aber in jedem Fall nachgestellt ist. —
Nicht numerierte Zwischenüberschriften sollen das Verständnis der Binnengliederung
der einzelnen Abschnitte erleichtern. — Springnummern in Fünferabständen am
Ende eines jeden durch eine Zwischenüberschrift zusammengefaßten Themen-
komplexes bieten Spielraum für Einschübe und Erweiterungen, so daß der Katalog
entwicklungsfähig bleibt, wie er andererseits natürlich auch reduzierbar ist. —
Sternchen kennzeichnen die Verweisnummern, deren Inhalt hier nur unter einer
Stichwortüberschrift aufgeführt wird. Sie erscheinen — mit ausführlichen Regesten
versehen — in den ihren eigentlichen Bezugsfeldern entsprechenden Gruppen. Soweit
einzelne Sagentypen bereits bei Aarne-Thompson verzeichnet sind, sind die AT-
Nummern vermerkt.
Auswahl und Anführung der Regesten und Beispiele wurden im Vorbericht
bereits ausführlich erläutert (vgl. S. 345); das dort Gesagte sei hier noch einmal an
einem Beispiel demonstriert: In Abschnitt D „Der Tote offenbart Schuld und Un-
schuld“ findet sich unter der Zwischenüberschrift „Schuldzeichen“ die Nummer 7
„Der ungesühnte Mord“. Unter dieser Überschrift sind an sechs verschiedenen
Beispielen einige Variationsmöglichkeiten dieses Themas dargelegt, in denen
sich, gesondert oder auch in Kombinationen, die einzelnen Erzählungen realisiert
haben. Die folgende Sage „Das Wahrzeichen des Ermordeten“ bildet thematisch
eine Einheit mit der vorhergehenden Nummer, erscheint hier aber aufgrund ihrer
spezifischen Ausprägung und des inhaltlichen Aufbaus mit fester Motivabfolge als
Typ unter einer eigenen Nummer. — Um die Vielfalt der Variationsmöglichkeiten
in den Regesten möglichst präzis berücksichtigen zu können, sind Erläuterungen bzw.
Ergänzungen in Klammern gesetzt (vgl. H 58); die verschiedenen Ausformungen
2 Ein Sagenkatalog verlangt weitgehende Abstraktion. So wird hier grundsätzlich kein
Unterschied gemacht zwischen lebendem Leichnam, Wiedergänger, Totengeist, -spuk,
-gespenst, Armer Seele wie auch den verschiedenen Bezeichnungen für den Begräbnisplatz
und das Leichenbegängnis. Ebenso sind gewisse Fachtermini der älteren Forschung,
animistisch-praeanimistisch, Epiphanie der Seele, Seelentier usw. bewußt vermieden worden.
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Einführung 3491
bzw. Varianten eines Sujets dagegen werden durch Gedankenstriche getrennt
(vgl. z. B. D 7), bei stärker unterschiedenen Variationen oder besonders charakteristi-
schen und verbreiteten Zügen auch durch Zeilentrennung gekennzeichnet (vgl.
F 39 oder G 30).
Die Quellen sind für jedes Regest alphabetisch fortlaufend angeordnet, die Quellen-
angaben für die durch Zeilentrennung besonders hervorgehobenen Beispiele wurden
durch Gedankenstriche getrennt. Bei allgemein verbreiteten, meist wenig differen-
zierten einmotivischen Sagen wurden der Bemerkung „allgemein“ nur einige mehr
oder weniger willkürlich gewählte, prägnante Quellenbeispiele beigegeben (vgl.
Wiederkehr eines Toten als Schimmelreiter, Ohnekopf, in Tiergestalt — H 2 bis
H4); stärker ausgeformte Erzählungen und feste Typen dagegen erhielten nach
Maßgabe der vorhandenen Belege einen möglichst vollständigen Quellenspiegel,
wobei allerdings aus jeder belegten Landschaft jeweils nur eine Quelle zitiert wird.
Auf diese Weise sollte ein annähernder Überblick über Verbreitung und Häufigkeit
des betreffenden Sujets innerhalb des deutschen Sprachgebietes gegeben werden.
Ungedruckte Archiv-Belege sind nur dann aufgeführt, wenn sich für die betreffende
Nummer wenig oder gar keine Belege in der benutzten Literatur finden ließen, die
Allgemeingültigkeit des Sujets jedoch eine Aufnahme in den Katalog als notwendig
erscheinen ließ.
Der Katalog wird von einem Themenkomplex eröffnet, der die Überlieferungen
vom personifizierten Tod und seiner weiblichen Entsprechung, der Tödin, enthält.
Der weitaus überwiegende Teil der Belege stammt aus den östlichen bzw. südöst-
lichen Teilen des deutschen Sprachgebietes. Fälle, in denen der Tod an die Stelle
anderer dämonischer Wesen getreten ist, werden als Verweisnummern aufgeführt.3"
Letzteres trifft besonders auf die problematische Figur der Tödin zu. Viele Motive
der Tödin-Sagen stehen im Zusammenhang mit Tod und Sterben und entsprechen
den maskulinen Todesvorstellungen; sie sind an den entsprechenden Stellen katalogi-
siert. Sagen jedoch, in denen die Tödin Züge und Funktionen anderer dämonischer
Gestalten angenommen hat, haben hier nur eine zusammenfassende Verweisnummer
erhalten. Erzählungen, in denen das Erscheinen des Todes eine gute oder schlimme
Vorbedeutung besitzt, wurden in die Gruppe der Vorzeichen verwiesen.
Abschnitt C „Der unheimliche Leichnam“ betrifft den unheimlichen und gefähr-
lichen Toten vor bzw. während der Bestattung, also den noch über der Erde be-
findlichen Toten, im Gegensatz zu Abschnitt M, der vorwiegend Sagen vom ge-
fährlichen Toten im Grab enthält. Bei Abschnitt C waren thematische Überschnei-
dungen mit G „Der unbefriedigte Tote“ nicht zu vermeiden: in Sagen beider
Themenkreise fordert der Tote ein ihm zustehendes und nicht erhaltenes Recht.
Da es sich bei G aber ausschließlich um Wiedergängersagen handelt, wurden Er-
zählungen wie beispielsweise C 3, C 12, C 23 f. im Themenumkreis des unheimlichen
Leichnams belassen.
3 Obwohl die ungemein häufigen Überfahrtssagen in Deutschland fast ausschließlich von
den Zwergen berichtet werden, sind doch die wenigen Belege, in denen von einer Über-
fahrt des Todes (A 15) bzw. der Toten (N 20) die Rede ist, in den Katalog auf genommen,
da sie den größeren Altersanspruch besitzen und wahrscheinlich in den Bereich des vor-
christlichen Totenglaubens gehören.
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350 Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
Abschnitt D „Der Tote offenbart Schuld und Unschuld“ nimmt insofern eine
gewisse Zwischenstellung ein, als in ihm sowohl der noch nicht bestattete als auch
der wiederkehrende Tote Vorkommen, jeweils jedoch nur in solchen Überlieferungen,
in denen der Tote wirklich selbst zeichengebend in Aktion tritt. Alle anderen Schuld-
und Unschuldszeichen wie Stab wunder, Grabespflanzen, Auf fliegen eines weißen
oder schwarzen Vogels usw. haben hier nur eine Verweisnummer erhalten und wer-
den ausführlich in der Gruppe „Das Schicksal manifestiert seine Macht/Zeichen
und Vorzeichen“ aufgeführt.
Mit dem Abschnitt E beginnen die eigentlichen Wiedergängersagen. E „Das
unerfüllte Leben“ und F „Die ungelöste Verbindung“ sind insofern verwandt, als
in beiden Themengruppen der Tote aus einer Bindung an sein durch den Tod unter-
brochenes Leben heraus zurückkehrt, in E im wesentlichen aus dem Wunsch, sein
gewaltsam verkürztes Leben weiterzuleben oder eine Tätigkeit fortführen und be-
enden zu können4. In F bildet die wohl- oder auch übelwollende Bindung des Toten
an die Lebenden und ihren Umkreis und umgekehrt die zu enge und deswegen ge-
fährliche Bindung der Lebenden an die Toten den Bezugspunkt der Erzählungen.
Im Abschnitt G „Der unbefriedigte Tote“ ist von schuldhaften Unterlassungen der
Lebenden gegenüber dem Toten die Rede, die sich in den meisten Fällen auf Sterben,
Bestattung und letzte Wünsche und Anordnungen des Toten beziehen und durch die
sich der Tote in seinem Recht und in seinen Ansprüchen als Toter geschmälert fühlt.
Anders als in den bisherigen Entwürfen zum Katalog der deutschen Totensagen
wurde Abschnitt H „Der Schuldige als ruheloser Toter“ geordnet. Da in die Gruppe
der Totensagen entsprechend dem eingangs genannten Prinzip (S. 346) nur Erzäh-
lungen über den Tod und die Toten, nicht über ihre Erlebnisse und Handlungen im
Leben aufgenommen sind, konnten hier nur solche Sagen in ein Ordnungssystem
gebracht werden, in denen wirklich der Tote und sein Umgehen im Mittelpunkt
des Erzählten stehen. Die Ordnungsbezüge wurden aus eben diesem Umgehen als
dem Movens der Sagen gewonnen, also aus den Erscheinungsformen, Verhaltens-
weisen und Handlungen des ruhelosen Toten. Liegt das erzählerische Schwer-
gewicht der Sage jedoch auf Schuld und Sühne, ist das Vergehen des Lebenden das
innere Anliegen der Erzählung, so gehört sie nicht mehr in einen Katalog der Toten-
sagen, sondern in das Bezugsfeld von „Vergehen und Strafe“ und muß dort ein-
geordnet werden, wo auch die Gründe für das Umgehen des Schuldigen das im-
manente Gliederungsprinzip bilden. Deshalb erscheinen die ,„großen Ruhelosen“,
der ewige Jäger, der fliegende Holländer, der ewige Jude, in der vorliegenden
Kataloggruppe nur unter Verweisnummern.
Dem Abschnitt H eng verbunden und bei einzelnen Nummern mitunter kaum
von ihm zu trennen ist der Abschnitt J „Die Erlösung ruheloser Toter“. Ein Toter
spukt, bis er erlöst wird: der Vollzug oder Nichtvollzug der Erlösung ist in vielen
Konkretisierungen des Stoffes sicher nur eine Frage geringer Akzentverlagerung. So
4 Die Sage vom schlafenden Kaiser im Berg (E 21*), der darauf wartet, wiederkehren
und sein Werk vollenden zu können, ist hier nur unter einer Verweisnummer auf genommen,
da er nach dem Glauben der Sage kein toter, sondern eben ein schlafender, in eine andere
Welt entrückter Kaiser ist, ebenso wie das schlafende Heer zwar de facto, nicht aber im
Volksglauben ein Totenheer ist (N 8*).
t riW'imnv/H M JU7MV/U r/S/^lVX\V\N\Nkt?iV^¥ArniiV
Einführung 351
sind auch in diesen beiden Gruppen Überschneidungen unvermeidlich, und Sagen
wie die vom toten Geistlichen (J 18), der wegen eines Versäumnisses nachts in
seiner Kirche immerfort die Messe lesen muß und erst erlöst ist, als ihm jemand
bei der Messe dient, kann man mit derselben Berechtigung in den Abschnitt H
einordnen, wenn man das „als“ durch ein „bis“ ersetzt. — Die Nummern J 35,
J 36, J 50, J 51 sind für gewöhnlich als Motiv Bestandteil eines größeren Erzähl-
zusammenhanges. In allen hier aufgeführten Quellenbelegen tauchen sie jedoch als
selbständige Erzählungen auf und sind deshalb unter eigenen Nummern aufgenom-
men. Eine Verweisnummer erhielt dagegen die Erlösung eines Toten durch Schatz-
hebung (J 16*)- Auch hier war für die Einordnung einer Sage wieder ihr innerer
Akzent entscheidend. In allen Fällen, in denen der schatzhütende oder -offenbarende
Tote, seine Ruhelosigkeit und Erlösungsbedürftigkeit im Brennpunkt der Er-
zählung stehen, gehört sie zu den Totensagen (vgl. H 47, J 15); wenn jedoch der
Schatzgewinn des Lebenden den Hauptinhalt der Erzählung aus macht, muß sie den
Schatzsagen zugeordnet werden.
Das Thema „Der dankbare und hilfreiche Tote“ ist zwar nur von wenigen Er-
zählungen aufgegriffen, jedoch so prägnant und für die Nummer 2 des Abschnittes K
international breit belegt, daß dennoch die wenigen Nummern einen eigenen Ab-
schnitt rechtfertigen dürften.
Bei den beiden folgenden Themenkomplexen handelt es sich um den gefährlichen
Toten; neben den Wiedergänger tritt jetzt in einer Vielzahl der Fälle der Friedhofs-
tote. Abschnitt L „Der herausgeforderte und in seiner Ruhe gestörte Tote“ hat
den gereizten, also durch die Schuld des Lebenden gefährlichen Toten zum Gegen-
stand, der sich an dem Störer seiner Totenruhe gefährlich rächt; im Abschnitt M ist
es der ohne Grund gefährliche Tote, der als Wiedergänger oder als gefährlicher Toter
im Grab in seinen verschiedenen Ausprägungen als Vampir oder Nachzehrer An-
gehörige, Freunde, das ganze Dorf in Schrecken versetzt und tötet. Die Bannsagen
am Ende von Abschnitt M beziehen sich ausschließlich auf den wiederkehrenden
Toten und tauchen selten in den hier aufgeführten reinen Formen, meist nur in
Kontaminationen auf.
Abschnitt N „Die Totengemeinschaft“ beinhaltet Sagen von Totenkollektiven,
die in Toten Versammlungen und Totenumzügen auf treten, mit manchen Motiven,
die sich schon in den Themen bisher besprochener Abschnitte fanden.
Die beiden letzten Abschnitte O und P schließlich bringen Sagen um vermeintliche
Tote, wie denn auch der Scheintote (P) tatsächlich ein vermeintlicher Toter ist,
während es sich in O meist um einen Lebenden handelt, der einen Toten nur spielt
und dafür vom wirklichen Toten verfolgt wird bzw. wirklich den Tod erleidet.
Am Ende unserer Ausführungen möchten wir hervorheben: Wir sind uns dessen
bewußt, daß Sagenkatalogisierung nicht Selbstzweck, sondern nur Hilfsmittel
künftiger Forschung sein kann. Jede Katalogisierung von Volksdichtung wird
zudem ein Kompromiß bleiben und dem Material an irgendeiner Stelle Gewalt
antun, da es im Grunde unmöglich ist, etwas vielfältig ineinander Gewachsenes
lückenlos in ein System bringen zu wollen. Wir möchten jetzt den Katalog der
Fachwelt zur Prüfung vorlegen. Von der Kritik erhoffen wir Anregung und Hilfe
für die Fortsetzung unserer Arbeit.
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Katalog
A Das Erscheinen des Todes
B Die Todesstunde
C Der unheimliche Leichnam
D Der Tote offenbart Schuld und Unschuld
E Das unerfüllte Leben
F Die ungelöste Verbindung
‘ G Der unbefriedigte Tote
H Der Schuldige als ruheloser Toter
J Die Erlösung ruheloser Toter
K Der dankbare und hilfreiche Tote
L Der herausgeforderte und in seiner Ruhe gestörte Tote
M Der gefährliche Tote
N Die Totengemeinschaft
O Der vermeintliche Tote
P Scheintote und Totgeglaubte
A Das Erscheinen des Todes
Erscheinungsweisen des Todes
1 Begegnung mit dem personifizierten Tod
Jemand begegnet dem Tod, dieser erscheint als Schnitter — als Reiter — als Spiel-
mann — weiß- oder schwarzgekleidet — in riesiger Gestalt — als kleines Männchen,
das immer größer wird — als Gerippe
Beitl 155 Nr. 267; Eisei 12 Nr. 22; Heyl 472!. Nr. 36; Kühnau II 531 ff. Nr.
1163fr.; Meiche 152 Nr. 204; Peuckert Schlesien 245; Sieber Wendische S. 64;
Veckenstedt 342 Nr. 2; Vernaleken Alpen 408 Nr. 109
2 Begegnung mit der Tödin
Jemand begegnet der Tödin; sie erscheint als Frau mit Rechen — als Weiße Frau —
in riesiggroßer Gestalt — als Frau, die immer größer wird
Gräber 195 Nr. 258; Hanika 171fr.; Kühnau II 528 Nr. 1160; Veckenstedt 343
Nr. 3
3 Begegnung mit dem Tod in tierischer Gestalt
Der Tod unterwegs wird erblickt als Pferd — als Gans
Müllenhoff 261 Nr. 390; Kühnau II 527 Nr. 1158
Katalog 353
Verhaltensweisen des Todes
A 9* Erscheinen des Todes als gutes Vorzeichen
-> Das Schicksal manifestiert seine Macht; Zeichen und Vorzeichen
io* Der Tod als Warner
-> Vergehen und Strafe
ii* Der Tod (die Tödin) als Todesbote
->■ Das Schicksal manifestiert seine Macht; Zeichen und Vorzeichen
12 Der Tod (die Tödin) als Begleiter
Der Tod (die Tödin) verfolgt Vorübergehende
Die Tödin erscheint bei Wäscherinnen, wäscht mit, verfolgt die Mädchen
Gräber 195!. Nr. 258; Hanika 178f. — Gräber 196L Nr. 258
13 Der Tod (die Tödin) als Todbringer
Der Tod (die Tödin) kommt zu Sterbendem — ruft ihn — Sterbender sieht die
Tödin vor dem Fenster — der Tod holt den Sterbenden
Der Tod stürzt Kinder von der Brücke
In Zeiten großen Sterbens treffen sich Tod und Tödin — die Tödin begleitet den
Tod — gibt ihm Rechenschaft — der Tod mäht, die Tödin recht zusammen, alles
stirbt
Gräber 196!. Nr. 259; Hanika 178f.; Jahn 35 Nr. 45; Knoop Posen 126 Nr. 6;
Kühnau II 523ff. Nr. 1154; 1155; 1170; Peuckert Hochwies 78f. Nr. mf. —
Kühnau II 527 Nr. 1157 — Alpenburg 347 Nr. 3; Gräber 195!. Nr. 258; Hanika
i8of.
14 Der Kampf mit dem Tod
Der Sterbende wehrt sich gegen den Tod, kämpft mit ihm, bis er erliegt — stirbt
nach Ablauf eines Jahres
Kühnau II 529 Nr. 1161
15 Die Überfahrt des Todes (vgl. Mot. F 451.5.10.6)
Fährmann fährt in der Nacht auf den Ruf „Hol über!“ große schwarze Gestalt über.
Das Boot sinkt fast unter, großer Fährlohn. Der Fährmann hat den Tod über-
gesetzt — das ganze Dorf stirbt aus, der Fährmann bleibt am Leben
Kuhn Mark 138fr. Nr. 129
16 Der Tod läßt sich in einen Ort tragen
Alle Menschen sterben, nur der Träger bleibt verschont
Jungbauer 169
17 Der Tod (die Tödin) als Teilnehmer am Tanz
Der Tod nimmt an einem Tanz teil; die Teilnehmer können sich durch Bekreuzigen
retten.
Jahn 34L Nr. 44
18* Der Tod (die Tödin) als ,,Überzähliger“ bei einem Freveltanz
-> Teufel
19 Der Tod (die Tödin) als Pate (AT 332)
Der Tod übernimmt die Patenschaft beim Kind eines armen Mannes, macht sein
Patenkind zu einem berühmten Arzt
Jahn 33 Nr. 43; Kühnau II 529 Nr. 1162; Veckenstedt 341 f. Nr. 1; Haiding
277ff. Nr. 248; (vgl. Schönwerth III 12ff.)
20* Die Tödin als Geliebte, als Kinderwechsler, Spinnstubenfrau, Percht, Waldfrau etc.
-> Dämonische Wesen, Naturgeister
21 Der Tod belohnt und straft (AT 750*)
Der Tod kommt als Bettler, verleiht für gute Bewirtung langes Leben, bestraft
Geiz mit baldigem Sterben
Kühnau II 522 Nr. 1154
354
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
A 22 Abwehr des Todes
Dem Tod wird die Tür verwiesen; er muß sich in einem anderen Haus Opfer suchen
Kühnau II 535 Nr. 1172; Müllenhoff 261 Nr. 390
23 Die Bannung des Todes an einen bestimmten Platz (Der Schmied zu Jüterbog) (Mot.
Z 111.2)
Ein Mann (Schmied, Schneider) läßt den Tod durch eine List auf einen Baum
steigen, bis eine Arbeit vollendet ist; er läßt darauf die begonnene Arbeit unvoll-
endet liegen
Knoop Posen 127 Nr. 7; Kuhn Mark 88 ff. Nr. 88 (vgl. Schönwerth III 10 ff.)
24* Das Land des Todes
-> Aufenthalt in der anderen Welt
B* Die Todesstunde
-> Das Schicksal manifestiert seine Macht; Zeichen und Vorzeichen
C Der unheimliche Leichnam
Der aufgebahrte Leichnam zeigt Lebenszeichen
1 Der unruhige Tote im Sarg
Die Leiche redet im Sarg — nimmt am Gespräch teil — poltert im Sarg — erhebt
sich — verläßt den Sarg
Gander 83 Nr. 212; Schell 484 Nr. 40; Winkler 67 f.
2 Unseres Herrgotts Wetter
Ein Mann, der es nicht leiden konnte, daß man auf das Wetter schimpfte, ist ge-
storben. Die Leute machen sich Gedanken, was für Wetter er jetzt wohl habe.
Da richtet sich die Leiche auf: „Unseres Herrgotts Wetter“
Beitl 312 Nr. 594; Kuhn-Schwartz 269f. Nr. 302
3 Leiche fordert übliche Aufbahrung bzw. Begräbnis
Nicht ordnungsgemäß in Badestube aufgebahrter Toter kehrt wieder, bis er dem
Herkommen entsprechend aufgebahrt wird
Leiche fordert Begräbnis durch Erscheinen — Lärmen — Klopfen gegen den Sarg-
deckel etc.
Gräber 195 Nr. 257 — Baader 309 Nr. 339; Künzig Baden 20 Nr. 44; Zender 152
Nr. 554
4 Der nicht erstarrende Leichnam
Die Leiche will noch einen weiteren nachholen
Hoffmann II 3 Nr. 5; Kühnau I 151 Nr. 163; Zaunert Rheinland II 203
5 Die Übernachtung im Totenzimmer (Die Seele aus, die Treue aus)
Jemand scheut sich nicht, bei der Leiche eines nahe Vertrauten im selben Zimmer
zu schlafen. Nachts läßt der Tote zuerst einen Arm von der Bahre fallen, dann ein
Bein; schließlich richtet er sich ganz auf und bedroht seinen Schlafgenossen. Dieser
flüchtet — ein zurückgelassener Hund ist am nächsten Morgen in Stücke zerrissen
Bartsch I 101 Nr. 115; Gräber 181 Nr. 238!.; Jahn 414 Nr. 524; Winkler 69;
Watzlik 22
6 Der auf gebahrte Tote und die oerfolgenden Toten
Jemand wird von Toten verfolgt und flüchtet in ein Haus, in dem ein Toter auf-
gebahrt ist. Die verfolgendenToten fordern den Auf gebahrten auf, den Lebenden
herauszugeben. Der Aufgebahrte richtet sich auf, ist aber durch magische Praktiken
gehindert, der Flüchtling ist gerettet
(Tritt nur in Verbindung mit F 37: Lenore und N 3: Geistermesse auf)
Jungbauer 220; Vernaleken Mythen 81; Wossidlo/Henßen 190L Nr. 130 b—d
Katalog
355
Ereignisse bei der Leichenwache
C i2 Toter fordert Leichenwache
Als die Totenwache nicht möglich ist, verläßt der Tote die Bahre und verfolgt seine
Angehörigen
Toter fordert Licht während der Leichen wache
Baader N Sagen 1859 Nr. 136
13 Toter verbittet sich unehrerbietiges Verhalten der Leichenwache
Er verbittet sich Spiel — Tanz — Lärmen — Handarbeiten etc.
WA 1 hs Beleg 1920
14 Der aufgebahrte Tote als Doppelgänger
Toter klopft an, während bei seiner Leiche Wache gehalten wird, wird gleich darauf
gesehen, wie er ins Haus tritt
Lohmeyer 306 Nr. 329
15 Die gespenstische Leichenwache in der Kirche
Jemand hält nachts in der Kirche Leichenwache. Unheimliche Gestalten (die Leiche
selbst) bedrängen ihn. Der Spuk verschwindet mit dem Glockenschlag
WA 2 hs Belege 1890 — 1907
16 Die Haut des Toten (Der geschundene Tote) (AT 815)
Ein Reicher (Geizhals, Amtmann, Pfarrer, Teufelsbündner) ist gestorben. Die
Leichenwache verhindert durch einen magischen Kreis (durch eine List), daß der
Teufel (andere Dämonen) dem Toten die Haut abziehen — es gelingt, dem Teufel
die Haut wieder abzugewinnen
Busch 79f.; Knoop Hinterpommern 144 Nr. 293; Lübbing 209; Müllenhoff
2071. Nr. 308; Schönwerth III 130 Nr. 2; Wossidlo/Schneidewind 83!. Nr. 148a, b;
Wucke 3i6f. Nr. 549; Zaunert Westfalen 329!.
17 Tiere halten Leichenwache
Neben dem aufgebahrten Leichnam eines Hexenmeisters (Zauberers, Pfarrers etc.)
hält ein Tier Leichenwache
Schell 23 Nr. 15
Das Leichenbegängnis
23 Der falsche Weg zum Friedhof
Die Pferde ziehen den Sarg nicht, wenn der traditionelle Weg, den der Leichenzug
zu nehmen hat, nicht eingehalten wird
Toter, der auf einem falschen Friedhof beigesetzt werden soll, meldet sich aus
dem Sarg
WA 2 hs Belege 1912 —1926 — Zender 275 Nr. 827
24 Die nicht befolgten traditionellen Begräbnissitten
Der Sohn trägt entgegen der Sitte seinen Vater zu Grabe, muß ihn 6 Wochen lang
tragen
Angehörige einer gemeinsamen Totenkasse haben den Anspruch, zum Friedhof
getragen zu werden. Die Pferde ziehen den Sarg nicht, als ein verstorbenes Mitglied
gefahren werden soll. Der Sarg muß zum Friedhof getragen werden
Grannas 41 f. Nr. 21 — Wossidlo/Schneidewind 40 Nr. 53
25 Der zu schwere Sarg (Leichnam)
Der Sarg wiegt schwer, die Träger können ihn nicht von der Stelle bewegen —
Pferde (Ochsen) können ihn nicht ziehen. — Als man den Sarg öffnet, findet man
statt der Leiche Steine darin
Meiche 584 Nr. 729; 594 Nr. 738; Müller Uri II 178 Nr. 750; Schell 45 Nr. 64
26 Der zu leichte Sarg
Als der Sarg ins Grab gelassen wird, erscheint er ganz leicht
Kühnau I 464 Nr. 491.3; Meyer Schleswig-Holstein 244
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356
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
c
27* Das Gespannwunder
-> Religiöse Sagen (Mirakel)
28* Die Leiche eines Frevlers widersetzt sich dem Begräbnis
-> Vergehen und Strafe
29* Übernatürliche Zeichen beim Begräbnis eines Frevlers (z. B. Glocken zerspringen,
Sturm und Gewitter)
-> Das Schicksal manifestiert seine Macht; Zeichen und Vorzeichen
30* Übernatürliche Ereignisse beim Begräbnis eines Frevlers (z. B. Hunde zerreißen
Leichnam, Grab behält Leiche nicht)
-> Vergehen und Strafe
31* Übernatürliche Zeichen beim Begräbnis Unschuldiger (z. B. Glocken läuten von selbst)
—> Das Schicksal manifestiert seine Macht; Zeichen und Vorzeichen
32 Tiere folgen dem Sarg
Beim Begräbnis eines Jägers folgt ein aufrechtgehender Hase dem Sarg
Meiche 47 Nr. 37
33 Toter erscheint bei seinem Begräbnis
Ungerechter Beamter (Zauberer, Selbstmörder etc.) kommt aus dem Sarg und
faßt die Träger an — geht seinem Sarg voraus — beginnt zu reden — erschreckt
das Leichengefolge
Karasek/Strzygowski Nr. 366; Meyer Schleswig-Holstein 244; Möllenhoff 278f.
Nr. 411
34 Toter schaut seinem eigenen Begräbnis zu
Der Tote erscheint, meist im Dachfenster seines Hauses, und sieht (lachend)
seinem eigenen Leichenzug nach
Baader 300 Nr. 326; Birlinger 1861 I 220 Nr. 336; 293 Nr. 462; 301 Nr. 477;
Grüner 233 Nr. 241; Haupt I 137 Nr. 152L; Kühnau I 22 Nr. 16; 109 Nr. 119L;
116 Nr. 128; 132 Nr. 142; i9off. Nr. 186f; 367 Nr. 361; 476 Nr. 502; 582 Nr. 615;
III 163 Nr. 1545; Künzig Baden n Nr. 19; Künzig Schwarzwald 49; Lohmeyer 56
Nr. 54 und mehrfach; Lüers 172; Meiche 145f. Nr. 194; 5x3 Nr. 660; 524 Nr. 670;
531 Nr. 673; Meier Schwaben 122 Nr. 136; Pröhle 246 Nr. 265; Stöber Elsaß II
116 Nr. 159; WA 10 hs Belege 1891 — 1919
3 5 Der Tote nach der Beerdigung im Trauerhaus
Der Tote kehrt ins Haus zurück — begegnet unterwegs Bekannten — nimmt am
Leichenmahl teil — muß ein zweites Mal beerdigt werden
Eckart IV 164; Grannas 37!. Nr. 18; Größler Nachlese V 18; Jegerlehner 222
Nr. 143; Krainz 225ff. Nr. 173; Kühnau I 35 Nr. 25; 115 Nr. 127; 440 Nr. 464;
471 Nr. 497; 475 Nr. 502; Möllenhoff 279 Nr. 411; Schell 195 f. Nr. 134; Voges
104L Nr. 87
Andere ungewöhnliche Geschehnisse mit Leichnamen
41 Der unverwesliche Leichnam
Der Körper eines Toten verwest nicht — wird nach langer Zeit unverwest auf-
gefunden — wird heute noch gezeigt
Haupt I 270L Nr. 349; Kuhn Westfalen I 196 Nr. 213; Kühnau III 428 Nr. 1796;
Schell jo8f. Nr. 31
42* Der unverwesliche Leichnam eines Frevlers
-» Vergehen und Strafe
.43 Die lange Schicht
Ein bei einem Bergunglück verschütteter junger Bergmann wird nach langen
Jahren unverwest aufgefunden. Seine Braut, die auf ihn gewartet hat, erkennt ihn,
sinkt tot an seiner Bahre zusammen. Beide werden in einem Grab bestattet
Köhler 579 Nr. 766; Krainz 108 Nr. 68; s. auch Heilfurth-Greverus 5 28 ff. Nr. 502ff.
D
Katalog 357
Der Tote offenbart Schuld und Unschuld
Schuldzeichen
1 Der Tote gibt Zeichen bei Herannahen seines Mörders
Er schlägt die Augen auf — hebt den Arm — richtet sich auf
Lynker 260 Nr. 350; Grässe Preußen II 796 Nr. 937
2 Das Bahrrecht
Ein Erschlagener ist aufgebahrt. Der Mörder tritt an die Bahre, die Wunden des
Toten beginnen erneut zu bluten. Der Mörder wird so entlarvt
Deecke 324L; Eisei 269 Nr. 677; Haupt I 255 f. Nr. 317f.; Jegerlehner 164 Nr. 37;
Köhler 369 Nr. 429; Kühnau I 13!. Nr. if.; Lohmeyer 343!. Nr. 361; Pröhle 195
Nr. 198; Witzschel II 23 Nr. 18
3 Der blutende Knochen
Die Gebeine eines Ermordeten, vom Mörder in die Hand genommen, beginnen
zu bluten und entlarven den Mörder
Baader N Sagen 1859 45 f.; Müller Uri I 67 fr. Nr. 98 fr.; Pröhle Unterharz 9 5 f.
Nr. 227; Zingerle 494h Nr. 848
4 Der singende Knochen (AT 780)
Ein aus dem Knochen eines Ermordeten verfertigtes Musikinstrument (Flöte,
Harfe etc.) klagt; das Verbrechen kommt an den Tag. — Uber dem Grab eines
Ermordeten wächst ein Baum. Das aus ihm gefertigte Blasinstrument fängt von
selbst an zu blasen und erzählt den Hergang der Tat
Jahn 399fr. Nr. 510; Kühnau Oberschlesien 456; Meiche 662 Nr. 822; Müller
Uri I 67 Nr. 98f.; Ranke 42f.; Rochholz II 126 Nr. 353; Vernaleken Alpen 325!.
5 Ermordetes Kind klagt seinen Mörder an (AT 720)
Eine Mutter gibt ihr Kind dem Vater zu essen. Das Kind singt als Vogel: ,Meine
Mutter hat mich gekocht, mein Vater hat mich gegessen‘
Kapff 31
6 Der herbeizitierte Mörder
Der Mörder wird durch Hammerschläge auf den Sargdeckel des Ermordeten
zitiert
MüllenhofF 212 Nr. 315
7 Der ungesühnte Mord
Ermordeter kehrt wieder und spukt (am Jahrestag des Mordes) — erscheint, bis
das Verbrechen entdeckt ist — zeigt die Stelle, wo der Mord geschah (der Tote
begraben liegt) — spricht aus dem Grab und tut den Mord kund — verlangt
Rache — findet Ruhe, als der Mord entdeckt (gesühnt) ist
Bindewald 168 Nr. 176; Bodens 105 Nr. 455; Haas Rügen 3L Nr. 6; Haas
Usedom 81 Nr. 88; Hoffmann I 3 Nr. 5; 9 Nr. 20; 39 Nr. 92; Jahn 427 Nr. 542;
Knoop Posen 136 Nr. 11; Kühnau I 63 f. Nr. 71 f.; 71 Nr. 85 ; 494 Nr. 523; 617f.
Nr. 654ff.; Lohre 2 Nr. 3; 4 Nr. 9515 Nr. 27; 129 Nr. 208; 140 Nr. 221; 195 Nr. 182;
Meiche 15 Nr. 17; Schönwerth I 281 Nr. 2; Wolf 143 Nr. 232; Zender 151 Nr. 533
8 Das Wahrzeichen des Ermordeten
Der Geist eines Ermordeten erscheint und bittet, den Mord aufzudecken und ihm
als Wahrzeichen einen Ring (Tuch, Zettel) in die Kopfwunde zu stecken. Die Leiche
wird mit diesem Wahrzeichen gefunden
Baader 81 f. Nr. 91; Kühnau I I29ff. Nr. 140; Peuckert Graben x51 ff. Nr. 99;
Seifart 127L Nr. 17; WA 2 hs Belege 1911 —1918
9 Der ungesühnte Kindsmord
Ermordetes Kind kehrt wieder — spukt am Ort (Jahrestag) seiner Ermordung —
erscheint mit blutiger Wunde — trägt Kerze — macht sich so lange bemerkbar,
24 Volkskunde
Iff/Slfl i UfiMJflHffill/ifMJÄiWUMlIl uuvu-WMiiififi
358
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
bis der Mord an den Tag kommt (besonders durch Weinen) — die Leiche des
Kindes wird gefunden
Ermordetes Kind verrät bei der Trauung der Mutter deren Untat — springt ihr
auf den Schoß
Grüner 268 Nr. 472f.; Jahn 428 Nr. 544; Kühnau I m Nr. 122 — Schönwerth I
234; Veckenstedt 352L Nr. 21
Die ungerechte Anschuldigung
Ein Mensch, der eines Verbrechens beschuldigt ist, kehrt nach seinem Tod wieder,
macht den wahren Täter namhaft — veranlaßt Wiedergutmachung des Vergehens
WA 3 hs Belege 1912 —1920
Unschuldszeichen
Der Kopf des Enthaupteten
Hingerichteter fängt zum Zeichen seiner Unschuld seinen abgehauenen Kopf mit
den Händen auf
Kahlo 108 f. Nr. 170
Der Todeslauf des unschuldig Hingerichteten
Enthaupteter läuft mit dem Kopf unter dem Arm, bis der wirklich Schuldige er-
kannt ist
Kühnau I 15 Nr. 3
18* Zeichen heim Tod eines unschuldig Gerichteten (Stabwunder, Grabes pflanzen)
Das Schicksal manifestiert seine Macht; Zeichen und Vorzeichen
24 Der Tote als Zeuge
Ein Toter wird auf den Rat einer überirdischen Stimme als Zeuge vor Gericht
aufgerufen, er erscheint und legt Zeugnis ab
Vonbun 93 Nr. 83
E Das unerfüllte Leben
Die gewaltsam verkürzte Lebenszeit
1 Der ruhelose Wandel vorzeitig Verstorbener
Vorzeitig Verstorbene: lebendig Begrabene — bei Menschenopfer (Bauopfer)
Geopferte — durch fahrlässige Tötung (vernachlässigte Pflege, Krankheit, im
Wochenbett, im Gefängnis) vorzeitig Verstorbene — durch Unfall (Arbeitsunfall,
Jagdunfall, Bergunglück, Verbrennen, Blitzschlag, Lawinen, Ertrinken, Versinken
im Sumpf, durch Trunkenheit) ums Leben Gekommene finden so lange keine
Ruhe, bis die vorgesehene Lebenszeit abgelaufen ist
Eisei 88 Nr. 224; Engelien/Lahn 82 Nr. 49; Größler 133 Nr. 140; Größler
Nachlese I 26; Hoffmann I 63 Nr. 159; Hülße i5off. Nr. 8; Kuhn Mark 125 Nr. 119;
134 Nr. 182; Kühnau I 45L Nr. 54L; 63 Nr. 70; 337 Nr. 326; 340 Nr. 331; 342
Nr. 336; 365 Nr. 359; III 319 Nr. 1691L; 331 Nr. 1706; 333 Nr. 1709b; Künzig
Schwarzwald 51; 187; Lohre 7 Nr. 16; 138!!. Nr. 219; Meiche 127 Nr. 167;
241 Nr. 307; Müller Uri III i3ff.; 59; Peuckert Bremen 181 Nr. 370; Peuckert
Schlesien 146; Sieberti57; Strackerjan I 201 Nr. 172 a.b.; Witzschelll 132 Nr. 163;
Zaunert Westfalen 314; Zingerle 195 Nr. 322
2 Das Geisterschiff (vgl. Mot. E 511.2)
Ein mit der ganzen Mannschaft im Sturm gesunkenes Schiff versinkt bei jedem
Sturm unter dem Wehklagen der Mannschaft noch einmal
Gräße Preußen II 987!. Nr. 1218; Mackensen 45 Nr. 64
3 Tod durch Waffengewalt
Im Kampf (Zweikampf) Gefallene kehren wieder — spukhafte Wiederholung des
Kampfes (am Jahrestag)
D 10
16
17
Katalog 359
Hülße 659; Kühnau I 51 Nr. 47; 53 Nr. 52; 568t. Nr. 606; Schell 413
Nr. 24
E 4 Das Totenduell
Zwei im Duell Gefallene (Edelleute, Studenten) — in derselben Kapelle beigesetzt —
duellieren sich noch im Tode — der Streit hat ein Ende, als einer von ihnen an
einem andern Platz beigesetzt wird
Bartsch I 184 Nr. 230; Birlinger I 285 Nr. 447; Größler 36 Nr. 34; Meiche 18
Nr. 20; Veckenstedt 345 Nr. 3; Zingerle 251 Nr. 438
5 Tod durch Hinrichtung
Hingerichtete kehren wieder — Gehängte spuken um den Galgen — mit dem
Schwert Hingerichteter geht als kopfloses Gespenst um
Gräße Preußen II 97 Nr. 78; Größler 200 Nr. 233; Größler Nachlese II 29;
Haas Rügen 8 Nr. 11; Haas Usedom 81 Nr. 90; 91 Nr. 105; Kühnau I 45 Nr. 40;
57ff. Nr. 58ff.; 324 Nr. 301; Meiche 176 Nr. 241; 178 Nr. 244; Siebert 192; Schell
110 Nr. 62; 372 Nr. 8
Der nicht oder falsch erfüllte Lebensplan
11 Als alte Jungfern und Hagestolze Verstorbene finden keine Ruhe
Alte Jungfern müssen Qualaufgaben erfüllen, z. B. auf einer Rheininsel Körbe
flechten
Peuckert Schlesien 153; Stöber I 33 Nr. 44
12 Vor der Hochzeit (am Hochzeitstag) verstorbene Mädchen spuken
Tote Braut näht noch an ihrem Brautkleid — geht um, wartet auf Erfüllung des
Eheversprechens — wartet wie im Leben, so auch im Tod noch auf den Geliebten
Am Hochzeitstag getötete junge Frau geht um und sucht ihren Mann
Meiche 152L Nr. 205; Schell 267 Nr. 26; Wolf 42 Nr. 61 — Siebert 171
13 Liebespaar trifft sich nach dem Tod
Durch Hartherzigkeit der Eltern in den Tod getriebenes Liebespaar erscheint am
Ort des Stelldicheins
Gander 84 Nr. 215; Größler 45f. Nr. 49; Lynker 135 Nr. 204
14 Die Trauung des toten Brautpaares
Pfarrer soll totes Brautpaar, das sich im Leben nicht heiraten konnte, trauen; er
trifft gespenstische Hochzeitsgesellschaft in verfallener Kirche an. Bei der Trauung
machen ihm gespenstische Pfarrer den Rang streitig
Bartsch I 361 Nr. 494
15 Tote entbindet im Grab (Mot. T 584.2.1)
Leiche gebärt lebendes (totes) Kind
Meiche 14 Nr. 14
Die bei Lebzeiten nicht zuendegeführte Tätigkeit
21* Der schlafende Kaiser im Berg
Aufenthalt in der anderen Welt
22 Das nicht vollendete Werk
Toter erscheint, um ein begonnenes Werk zu Ende zu führen: z. B. protestantischer
Prediger wird von katholischer Bevölkerung getötet, kehrt wieder, bis alle pro-
testantisch geworden sind
Größler 204L Nr. 241; Müllenhoff 131 Nr. 180
23 Das noch im Tode fortgesetzte Spiel
Leidenschaftliche Kartenspieler (Kegelspieler) spielen auch nach dem Tode weiter
Birlinger I 245 Nr. 382; Gander 97 Nr. 254; Schell 92 Nr. 18; 93 Nr. 23; Voges
198 Nr. 168.2; Watzlik 49f.; Zender 131 Nr. 483
24*
360
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
E 24 Der noch im Tode fortgesetzte Streit
Im Leben Verfeindete streiten noch im Tode miteinander — um die Grenze —
um eine Frau
Bartsch I 105 Nr. 118; Birlinger I 270 Nr. 419; Größler 150 Nr. 167; 175 Nr. 193 ;
Jungbauer 235f.; Meiche 19 Nr. 21; Meyer Schleswig-Holstein 244; Müllenhoff
182 Nr. 270; Reiser I 361 Nr. 381; Sieber Harz 182
F Die ungelöste Verbindung
I Tote kehren zu ihren Angehörigen zurück
Tote Eltern (Geschwister, Kinder, Vorfahren, Ahnfrau) lassen sich bei ihrer
Familie sehen — kehren zu bestimmtem Anlaß zurück — um Abschied zu nehmen
— zum Begräbnis eines Angehörigen
Tote kehren zu bestimmten Zeiten (Allerseelen, Quatember, Rauhnächte) an den
für sie mitgedeckten Tisch zurück
Bodens 106f. Nr. 461; Grannas 37L Nr. 18; Haas Pommern 10 Nr. 15; Kühnau
I 98 Nr. 115; 607 Nr. 643; Meier Schwaben 276 Nr 310; Meyer Schleswig-
Holstein 279; Peuckert Hochwies 35 Nr. 63; Schell 474 Nr. 23; Strackerjan I 206
Nr. 173 a — Winkler 73
2* Das Erscheinen eines Toten als Todvorbedeutung
-> Das Schicksal manifestiert seine Macht; Zeichen und Vorzeichen
3* Das Erscheinen der Weißen Frau {Ahnfrau) als Todesvorzeichen
-> Das Schicksal manifestiert seine Macht; Zeichen und Vorzeichen
Die hilfreiche Rückkehr
9 Toter hilft, warnt und schützt Angehörige
Toter kehrt zurück und erteilt Ratschläge — hilft bei der Lösung von Aufgaben —
will von Unrechtem Tun abhalten
Gander 84L Nr. 216; Hoffmann II 113 Nr. 280; Kühnau I 319 Nr. 296; 617
Nr. 653; Meyer Schleswig-Holstein 247; 252; Peuckert Bremen 47 Nr. 82; Scham-
bach/Müller 221 f. Nr. 235.4
10 Toter schlichtet Streit um Erbe
Toter — herbeigerufen aus dem Grab — erscheint, um einen Erbstreit zu schlichten
Heyl 17 Nr. 11; Strackerjan I 209!. Nr. 173 k
II Die tote Mutter und ihre unversorgten Kinder {Mot. E 323.1.2)
Tote Mutter kehrt zurück, um bessere Behandlung ihrer Kinder zu fordern —
züchtigt die Stiefmutter wegen schlechter Behandlung ihrer Kinder — erscheint,
um ihr Kind zum Guten anzuhalten
Bartsch I 228 Nr. 295; Bindewald 171L; Größler 125L Nr. 131; Jahn 408
Nr. 517; Knoop Posen 133 Nr. 9; Meyer Schleswig-Holstein 248; Peuckert
Bremen 33 Nr. 59; Schell 422L Nr. 6; Strackerjan I 206 Nr. 17360.; Zaunert
Rheinland II 208
12 Die tote Wöchnerin {Mot. E 323.1.1)
Wöchnerin kehrt nachts zu ihrem Säugling zurück und wartet ihn — verlangt,
daß das Kind gut behandelt wird — getauft wird
Beit! 196 Nr. 338; Benzei 47 Nr. 57; Gander 80 Nr. 204L; Größler 134 Nr. 142;
Hoffmann II 73!. Nr. 188; Jahn 407 Nr. 516; Knoop Posen 130 Nr. 2; 133 Nr. 9;
Kühnau I 82 Nr. 95; 93f. Nr. 108f. Lübbing 147; Meiche 11 Nr. 12; Müller Uri
III 60; Peuckert Hochwies 35 Nr. 64; Pröhle 126L Nr. 144; Schambach/Müller
220 Nr. 235; Zaunert Rheinland II 208; Zender 132 Nr. 485; 243 Nr. 723
Katalog
361
F 13 Der tote Vater und seine unversorgten Kinder
Toter Vater kehrt zurück, sorgt sich um die Wartung und Erziehung seiner Kinder
— kehrt wieder zur Geburt seines Kindes
Bartsch I 242 Nr. 314; Meiche 172 Nr. 233; Meyer Schleswig-Holstein 248
14 Das tote Patenkind („Das Westerkind“)
Unschuldiges, gleich nach der Taufe gestorbenes Kind, das noch keine irdische
Nahrung zu sich genommen hat, geht statt des Paten ins Tal Josaphat, um mit dem
Toten, der den Paten ins Tal Josaphat geladen hat, zu kämpfen
Müller Uri I Ö4ff. Nr. 93; III 231
Rückkehr aus Unzufriedenheit
20 Der unzufriedene Tote beunruhigt seine Angehörigen
Toter, der im Leben schlechte Behandlung (Unrecht) erfahren hat, kehrt wieder
und plagt seine Angehörigen: Eheleute, die ihr Partner hat hungern lassen (ge-
schlagen hat), kehren zurück — Schwester plagt ihren betrügerischen Bruder
— tote Braut erscheint ihrem ungetreuen Bräutigam
Eckart III 149; Lynker 171 Nr. 245; Schambach/Müller 222 Nr. 236.x; Wossidlo/
Schneidewind 87!. Nr. 154
21 Wiederkehr aus Eifersucht (Mot. E 221.1)
Tote Eheleute (Brautleute) protestieren gegen die Wiederverheiratung des über-
lebenden Partners — erscheinen bei der Hochzeit — versuchen die Hochzeit zu
verhindern: der Tote streckt beim Ringwechsel ebenfalls die Hand hin — besucht
das neue Paar in der Hochzeitskammer — belästigt die Neuvermählten
Benzei 46h Nr. 56; Jahn 396 Nr. 506; Köhler 50h Nr. 57f.; Kühnau I 146
Nr. 157; Lübbing 156; Meiche ioof. Nr. 129; Müllenhoff 173 Nr. 257
22 Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft mit dem überlebenden Ehepartner (Fastrada)
(Mot. E 470)
Intime Beziehungen (Kuß, Beischlaf) zwischen Toten und Lebenden
Gräber 178 Nr. 235; Kühnau I 174 Nr. 184; Peuckert Hochwies 36 Nr. 67
Der durch ein Versprechen gebundene Tote
28 Toter kehrt auf Grund eines Versprechens zurück
Toter kehrt nach dem Tod wieder, um, wie versprochen, auch weiterhin Kinder
zu hüten — andere Dienste zu leisten
Ritter verspricht seiner Frau zum Abschied, entweder lebend oder tot zurück-
zukommen; er fällt in der Schlacht und zeigt sich ihr mit abgeschlagenem Haupt
Müller Uri II 119 Nr. 656; Schambach/Müller 225 Nr. 238.1 — Birlinger I 22
Nr. 25
29 Die Botschaft aus dem Jenseits (Mot. E 374)
Toter erscheint, wie vorher verabredet, seinem Freund (seiner Braut), um aus dem
Jenseits zu berichten — Reue und Umkehr des Überlebenden
Baader 187 Nr. 253; Benzei 44!. Nr. 53; Bügener Heidegold 136; Gräber 188
Nr. 251; i9if. Nr. 254; Gredt 525 Nr. 1089!.; Henßen Volk 79!. Nr. 51; Hoff-
mann II 4 Nr. 9; Jegerlehner 207!. Nr. 208f.; 272 Nr. 31; Kühnau I 48 Nr. 88;
Lohmeyer 99!. Nr. 107; Müllenhoff i9if. Nr. 285; Müller Uri II n6ff. Nr. 652fr.;
Peuckert Hochwies 38F Nr. 70; Peuckert Schlesien 115; Schell 457 Nr. 1177;
Schönwerth I 3036 Nr. 10; III 151 Nr. 5; Strackerjan I 211 Nr. i74a.b.; Vecken-
stedt 347 Nr. 9; Wossidlo/Schneidewind 87 Nr. 153; Zaunert Rheinland II 212
30 Die Ladung vor Gottes Gericht (Ladung ins Tal Josaphat)
Ein Mensch lädt einen anderen (wegen eines Streites) ins Tal Josaphat (vor Gottes
Gericht), der Geladene stirbt dem Einladenden in kurzer Frist nach — derjenige,
der zuerst stirbt, muß noch so lange zwischen Himmel und Erde schweben, bis der
andere ihm nachstirbt
.U AWMTÄMH '1
362 Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
Baader N Sagen Nr. 137; Beitl 156 Nr. 270; Bouchholtz 297; Deecke 208 f.
Nr. 105; 225 f. Nr. 114; Müller Uri I 64fr. Nr. 93; III 231
F 31* Freunde in Leben und Tod (AT 470)
-> Aufenthalt in der anderen Welt
32* Die verabredete Hochzeitseinladung
-* Aufenthalt in der anderen Welt
Der zu tief betrauerte Tote
38 Der zu tief betrauerte und zurückgewünschte Tote kehrt zurück
Ehegatte wünscht in untröstlichem Kummer den verstorbenen Ehepartner herbei.
Dieser erscheint, gibt aber den Rat, die Toten in Ruhe zu lassen — die Leiche er-
wacht für kurze Zeit wieder zum Leben
Totes Kind (auf See Gebliebener), durch die Gedanken der trauernden Eltern
herbeigezogen, zeigt sich
Eckart I 9; Gander 83!. Nr. 213; Gräber 183 Nr. 243; Schambach/Müller 220
Nr. 234; Wucke 396 Nr. 696 — Deecke 427!. Nr. 228; WA 2 hs Belege 1927 —1930
39 Lenore (AT 365)
Ein Mädchen ist untröstlich, daß sein Bräutigam nicht aus dem Krieg zurückkehrt.
Eines Tages holt er jedoch seine Braut ab, auf seinem Pferd reiten beide davon:
„Der Mond, er scheint so hell, die Toten reiten schnell, Feinsliebchen, graut dir
nicht?“ Der Ritt geht auf den Friedhof, der Tote reitet mit seiner Braut in ein
offenes Grab — das Mädchen wird von tanzenden Toten zu Tode getanzt — es
wird in entfernter Gegend aufgefunden
Das Mädchen kann entkommen und flieht in ein nahegelegenes Haus (oft ver-
bunden mit C 6: Der auf gebahrte Tote und die verfolgenden Toten)
Benzei 48f. Nr. 60; Gräber 1790". Nr. 237; Gräße II 1046f. Nr. 1280; Kühnau I
358ff. Nr. 351; Lohre 6 Nr. 14; Meyer Schleswig-Holstein 254!.; Müllenhoff 172
Nr. 255; Schell 45 Nr. 65; Schulenburg Wend. 137!.; Wossidlo/Henßen 192 Nr.
i3oe—f — Jahn 404fr. Nr. 515; Jungbauer 220; Wossidlo/Henßen i9off. Nr. 130a—d
40 Das Geisterschiff des toten Geliebten (Seefassung der ,Lenorei')
Untröstliches Mädchen wird von einem Geisterschiff geholt, mit dem ihr Geliebter
untergegangen war
Müllenhoff 171 Nr. 254
41 Das Tränenkrüglein (AT 769)
Mutter sieht ihr verstorbenes Kind in einem Zug toter Kinder. Es trägt schwer
an einem Krug und bittet die Mutter, nicht mehr zu weinen, da es ihre Tränen in
dem Krug sammeln muß
Eisei 21 f. Nr. 36; Gander 8x f. Nr. 208 f.; Gräber 184 Nr. 244; Meyer Schleswig-
Holstein 248f.; Müllenhoff 150 Nr. 221; Krainz 405 Nr. 309; Kühnau I 534!.
Nr. 585!.; Schambach/Müller 220 Nr. 233; Schulenburg Spreewald 238; Witzschel
I 220 Nr. 218; Wucke 1x2 Nr. 194; 118 Nr. 322; 330 Nr. 564; WA 7 hs Belege
1898 — 1916
42 Das nasse Totenhemd {Mot. E 324)
Totes Kind kehrt zu seiner Mutter zurück und bittet sie, mit dem Weinen auf-
zuhören, da sein Totenhemdchen von ihren Tränen ganz naß geweint ist und es
daher nicht zur Grabesruhe kommen kann
Kühnau I 5 34ff. Nr. 5 84fr.; Künzig Schwarzwald 49; Müllenhoff 151 Nr. 222;
Schambach/Müller 220 Nr. 233; WA 5 hs Belege 1895 — 1922
Die Bindung an den einstigen Wirkungskreis
48 Die Bindung an Haus und Hof
Geister Verstorbener kehren nach 3 Tagen ins Haus zurück
Hausfrau wirtschaftet in ihrem Haushalt — sieht nach, ob Ordnung herrscht
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Katalog 363
Bauer (Knecht, Senn) wird auf seinem Hof gesehen — versorgt das Vieh — pflügt
Gutsherr spukt auf seinem Gut — sieht nach dem Rechten
Mönche (Nonnen) geistern in Kirchen und Klöstern
Knoop Posen 135 Nr. 13 — Jungbauer 219h; Kühnau I 362 Nr. 354; Sieber
Harz 183; Wolf 103 Nr. 153; Zaunert Westfalen 322 — Bodens 101 Nr. 438ff.;
Größler Nachlese II 41; IX 5c; Grüner 237 Nr. 257; Henßen Volk 86; Lüb-
bing 147; Niederberger II 7L; Peuckert Schlesien 120 — Knoop Posen 134 Nr. 10;
Meiche 193 Nr. 261; Wossidlo/Schneidewind 17!. Nr. 14h; Zaunert Rheinland
II 210 — allgemein; s. auch Gräße Preußen I 454 Nr. 493; Größler 8f. Nr. 5; 130
Nr. 135; 176 Nr. 199; 204L Nr. 241; Hoffmannll 151 Nr. 394; Meiche 142 Nr. 187;
Siebert 109; Wolf 95 Nr. 140
F 49 Die Bindung an Arbeit und Beruf
Handwerker hantiert in seiner Werkstatt — Förster geht in seinem Revier um —
Nachtwächter unterstützt seinen Nachfolger — Strandvogt geistert am Strand
Gelehrter spukt in seinem Arbeitszimmer — Richter hält Gerichtsversammlung
ab
Pfarrer spukt in seiner Studierstube — Pastor (Küster) wird in Kirche und auf
Friedhof gesehen — verrichtet Amtshandlungen
Engelien/Lahn 87 Nr. 54; Kühnau I 614 Nr. 649; Meiche 147 Nr. 196; Müllen-
hoff 185 Nr. 277 — Wucke 48 Nr. 92; Zender 131 Nr. 481; 143 Nr. 519 — Pohl 133;
Zaunert Rheinland II 2x7 — Knoop Posen 172!. Nr. 3; Künzig Baden 9L Nr. 16;
Meiche 106 Nr. 139; 159 Nr. 212; Schönwerth I 281L Nr. 6; Wucke 48 Nr. 92
G Der unbefriedigte Tote
Tote ohne christliche Heilsmittel kehren wieder
1 Tod ohne Taufe
Ungetauft verstorbene Kinder müssen umgehen — als Irrlichter — leuchten als
Lüchtemänneken — gegen Entgelt
allgemein; s. auch Bodens 132!!. Nr. 562!!.; Kuhn Mark 98 Nr. 93; Kühnau I
406f. Nr. 422; 436 Nr. 460; Peuckert Hochwies 43 Nr. 73.4.; Peuckert Schlesien
169h; Schambach/Müller 215 Nr. 226; Schell 304 Nr. 24; Schulenburg Wend. 110;
Vonbun 127L Nr. 152
2* Ungetauft verstorbene Kinder im Gefolge der Wilden Jagd
-> Wilde Jagd
3 Tod ohne Sterbesakramente
Ohne Beichte (Wegzehrung, Abendmahl) Verstorbener spukt — kehrt zurück,
um noch zu beichten — Toter erscheint bei Austeilung des Abendmahls; ver-
schwindet, als Hostie auf dem Grab eingegraben wird
Kühnau I 120 Nr. 133; 462 Nr. 491
4 Das verweigerte Abendmahl
Toter kehrt wieder und fordert vom Pastor das Abendmahl, das dieser dem Ster-
benden verweigert hatte. Der Pastor teilt es aus — verweigert es erneut; am näch-
sten Morgen findet man den Pastor tot in der Kirche
Knoop Hinterpommern 18 f. Nr. 28; WA 1 hs Beleg 1900
3 Ohne andere christliche Heilsmittel Verstorbene kehren wieder
Unausgesegnete Wöchnerin kehrt zurück
Meiche 99 Nr. 124
6 Tod ohne Bestattung
Unbestatteter Toter (Ermordeter, Ertrunkener) spukt — zeigt Ort, wo Leichnam
gefunden werden kann — kehrt so lange wieder, bis er in geweihter Erde begraben
wird
364
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
Bartsch I 151 Nr. 186; 215 Nr. 276; Gräße I 236L Nr. 287; II 598!. Nr. 632;
Haas Usedom 78 Nr. 86; Haupt I 148 Nr. 169; Knoop Hinterpommern 14 Nr. 19;
Knoop Posen 146 Nr. 1; 157L Nr. 3; Kühnau I 56h Nr. 57; m Nr. 122; Meiche
215 Nr. 278; Meier Schwaben I 303; Müller Uri II 179 Nr. 753; 182 Nr. 756;
Peuckert Hochwies 26L Nr. 44; Pohl 124; Seifart 145f. Nr. 35 ; Wolf 100 Nr. 146
G 7 Das auf gefundene Gerippe
An einem bestimmten Platz spukt es. Als das dort aufgefundene Gerippe in ge-
weihter Erde beigesetzt wird, hat der Tote Ruhe
allgemein; s. auch Baader 309 Nr. 329; Schönwerth I 298h Nr. 5; Wucke 259L
Nr. 445
8 Das unterlassene Begräbnisritual {Mot. E 235.2.1)
Toter verlangt, daß bei der Beerdigung unterlassene Gebete (Glockenläuten,
Messen, Abkündigungen von der Kanzel) nachgeholt werden
Knoop Posen 130 Nr. x; Kühnau I 44 Nr. 38; Meier Schwaben 267 Nr. 299;
Zender 136 Nr. 497; 140 Nr. 513; WA 5 hs Belege 1887 — 1939
Der nicht ordnungsgemäß (wunschgemäß) bestattete Tote kehrt wieder
14 Der unerwünschte Begräbnisplatz
Toter, der nicht auf dem von ihm bestimmten Platz (Erbbegräbnis) beigesetzt
wurde — umgebettet wurde — kehrt wieder
Gander 85L Nr. 219; Peuckert Bremen 13 Nr. 20; Peuckert Hochwies 26 f.
Nr. 44; Schell 79 Nr. 13
15 Der unerwünschte Grabnachbar
In einer Schlacht gefallene Gegner verweigern gemeinsames Grab
Schambach/Müller 27 Nr. 37
16 Der schlechte Zustand des Grabes
Toter beklagt sich, daß Wasser in seinem Grab steht — daß der Sarg nicht tief
genug versenkt wurde
Gander 83 Nr. 2x1; Künzig Schwarzwald 218; Veckenstedt 347 Nr. 10
17 Das verweigerte Grabmal
Toter kehrt wieder, bis er Grabkreuz erhalten hat — wünscht anderes Grabmal
Künzig Baden 4 Nr. 8; Sieber Harz 184; Strackerjan I 197 Nr. 171 d
18 Die verweigerten {vergessenen, falschen) Grabbeigaben
Toter kehrt zurück und verlangt seinen Rosenkranz (Trauring) — tote Wöchnerin
verlangt Kindersachen (Nähzeug) — erbittet Schuhe zum Besuch ihres Kindes —
tote Schwangere holt Tuch (Wickelband) für ihr Kind ins Grab
Baader 286 Nr. 304; Lohre 5 Nr. 11; Meyer Schleswig-Holstein 254; Müllenhoff
192 Nr. 286; Peuckert Hochwies 33 Nr. 59; Stöber I 93 Nr. 125; Strackerjan I 199
Nr. 171 h
19 Die unvollständige Totenkleidung {Mot. E 412.3.1)
Toter kehrt wieder und verlangt verwehrte (vergessene) Totenkleidung (Mütze,
Schuhe, Leichenkleid, Leichentuch, Totenschmuck, Schürze)
Eisei 88 Nr. 225; Gander 79 Nr. 202f.; Gräber 171 Nr. 223; Lübbing i48f.;
Meiche 12 Nr. 11; Meyer Schleswig-Holstein 244L; Peuckert Hochwies 35 Nr. 65;
Peuckert Schlesien 121; Schulenburg Spreewald 239; Stöber I 93 Nr. 125; Stracker-
jan I 196 Nr. 171b
20 Das verweigerte Totenhemd
Tote, die ohne ihr selbstgenähtes Totenhemd bestattet wurde, kehrt wieder (als
nacktes Gespenst), bis sie ihr Hemd erhalten hat
Bartsch I 227f. Nr. 294; II 471 Nr. 666; Haas Pommern 11 Nr. 17; Strackerjan
I 196 Nr. 171a
Katalog 365
G 21 Die falsche (schlechte) Totenkleidung
Toter beklagt sich über zerrissene (zu lange, zu kurze, beschmutzte) Totenkleidung
— hat Hemd mit fremdem Namen ins Grab bekommen; er ist zufriedengestellt,
als das Gewünschte ans Grab gebracht wird
Gräber i82f. Nr. 242; Peuckert Schlesien 115; WA 14 hs Belege 1890 — 1935
22 Der fehlende Ärmel im Totenhemd
Tote, die ein Totenhemd mit nur einem Ärmel bekommen hat, kehrt wieder, bis
ein vollständiges Hemd (der fehlende Ärmel) bereitgelegt wird
Haas Rügen 2 Nr. 4; Meyer Schleswig-Holstein 246; Müllenhoff 176 Nr. 261;
Strackerjan I 196 Nr. 171a; Wossidlo/Schneidewind 41 f. Nr. 55 a—e
23 Verstoß gegen andere Totenbräuche
Toter erscheint in beschmutztem Hemd, weil die Leiche nicht gewaschen wurde
Toter, der verkehrt in den Sarg (in einen Sarg aus falschem Holz) gelegt wurde,
kommt wieder
Kühnau I 16 Nr. 5 — Strackerjan I 197 Nr. 171c; Zender 252 Nr. 748
Nicht berücksichtigte Wünsche und Anordnungen des Toten
29 Der nicht erfüllte (nicht mehr geäußerte) letzte Wunsch
Jemand, dem auf dem Sterbebett ein letzter Trunk (eine letzte Mahlzeit) ver-
weigert wurde, kehrt wieder
Sterbender kommt nicht mehr dazu, seinen letzten Wunsch zu äußern. Er kehrt
als Toter zurück, um dies noch zu tun
Meiche 12 Nr. 11; 190 Nr. 256; Schulenburg Wend. 167 Anm. 1; Schulenburg
Spreewald 239!. — Hoffmann II 131 Nr. 329
30 Das nicht erfüllte Testament, der nicht erfüllte letzte Wille (Mot. E 236.4)
Toter kehrt wieder, weil das hinterlassene Geld nicht nach seiner Anweisung
verteilt wurde — das Erbe in falschen Händen (ungerecht verteilt) ist
Toter spukt, weil die im Testament vorgesehene Stiftung (Almosen, Glocken-
läuten, Stiftung einer Kapelle) nicht eingehalten wurde
Bekehrter Gutsherr hat befohlen, sonntags bestimmtes Lied in der Kirche zu singen,
poltert in der Kirche, als das Lied nicht mehr gesungen wird
Pastor hat bestimmt, daß sein Sohn nicht sein Nachfolger werden soll, spukt
so lange, bis sein Wille erfüllt ist
Köhler 51 f. Nr. 59; Meyer Schleswig-Holstein 246L; WA 10 hs Belege 1896
bis 1937 — Birlinger I 248 Nr. 388; Kuhn/Schwartz 123f. Nr. 141; Meiche 13
Nr. 13; 178 Nr. 245; Meier Schwaben 41 Nr. 44; Meyer Schleswig-Holstein 246!.;
Peuckert Schlesien 122; 147; Schambach/Müller 225 Nr. 238.3; Strackerjan I
208 Nr. 173h; Voges 107L Nr. 89; Witzschel I 294 Nr. 304; II 87!. Nr. 107 —
Meiche 248!. Nr. 319 — Haupt I 167!. Nr. 200
31 Der Tote als Mahner zur Erfüllung eines Gelübdes (Versprechens)
Toter kehrt zurück, um die Überlebenden an ein unerfüllt gebliebenes Gelöbnis
zu erinnern — an das Versprechen, eine bestimmte Person wiederzuheiraten
Andree 321; Vonbun 85; Zaunert Westfalen 316; WA 3 hs Belege 1909 —1935
Die unerfüllten (verletzten) Ansprüche des Toten
37 Die unerfüllten Besitzwünsche
Toter zeigt sich so lange, bis im Leben nicht befriedigte Besitzwünsche (an Grund
und Boden) noch nach seinem Tod erfüllt sind
Toter sucht im Leben verlorene Gegenstände wiederzufinden
Hoffmann II 138 Nr. 424; Zender 131 Nr. 450 — Grüner 236 Nr. 255
38 Die oerletzten Besitzansprüche
Toter belästigt den in seinem Bett Schlafenden — spukt, weil seine Habe vor Ab-
lauf der üblichen Frist verschenkt wurde
366
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
Kühnau I 119L Nr. 132; Veckenstedt 345 Nr. 6; Wucke 354 Nr. 609; Gander
82L Nr. 210
G 39 Die gestohlene Totenspeisung
Für die Armen Seelen wird an bestimmten Festtagen (Allerseelen, Rauhnächte)
Speise bereit gestellt. Die Armen Seelen bedrohen den, der davon ißt
Panzer II 105 Nr. 156
40 Der vergessene Tote mahnt
Toter spukt, als sein Bild nicht mehr auf gehängt wird
Kühnau I 58 Nr. 59
H Der Schuldige als ruheloser Toter
Gründe für das Umgehen
-> Vergehen und Strafe
Erscheinungsformen des ruhelosen Toten
1 Wiederkehr in menschlicher Gestalt
Toter erscheint unverändert wie zu Lebzeiten — in Berufs- oder Standesgewand —
in altertümlicher Kleidung etc.
allgemein; s. auch Bartsch I 177 Nr. 219; 191 Nr. 241; Bodens 99 Nr. 429;
Künzig Baden 1 Nr. x; Kühnau I 59L Nr. 62; Meiche 80 Nr. 97; 137 Nr. 182;
164 Nr. 223; Schell 68 Nr. 109; 97 Nr. 34; Zaunert Rheinland II 219
2 Der Schimmelreiter
Toter, der ein Unrecht begangen hat, muß als Schimmelreiter spuken
allgemein; s. auch Baader 331 f. Nr. 372; Bartsch 1173 Nr. 210; Beitl 137 Nr. 232;
Eisei 63h Nr. i42ff.; Gräber 164L Nr. 211; Größler 250 Nr. 297; Grüner 235
Nr. 250; Kuhn/Schwartz 117 Nr. 132; Meyer Schleswig-Holstein 265; Müller
Uri II 230f. Nr. 843fr.; Reiser I 429 Nr. 524; Schambach/Müller 201 Nr. 219;
Stöber II 6 Nr. 3; Wucke 250 Nr. 429; Zingerle 217 Nr. 371
3 Der Ohnekopf
Schuldiger Toter geht ohne Kopf um
allgemein; s. auch Henßen Jülich 122 Nr. 201b; Köhler 29!!. Nr. 2iff.; Kuhn/
Schwartz 64 Nr. 67; Kühnau I 59 Nr. 61; Schambach/Müller 38f. Nr. 56; 202L
Nr. 220; Voges H5f. Nr. 98
4 Wiederkehr in Tiergestalt
Frevler müssen nach ihrem Tod in Tiergestalt umgehen
z. B.: Geiziger (Grausamer, Meineidiger, Dieb etc.) spukt als Hund (schwarzer,
feuriger Pudel)
Gottesfrevler (sündiger Prälat, Selbstmörderin) spukt als Katze
Meineidiger (Tierquäler, Hartherziger, Grausamer) spukt als Pferd
Arme Seelen kehren als Kröten wieder
allgemein; s. auch Bartsch I 450 Nr. 628; Bodens 113 Nr. 490; Schell 140 Nr. 8;
162 Nr. 57; Lynker 111 Nr. 169; Meiche 62 Nr. 74; Schambach/Müller 187!.
Nr. 204; Zender 131 Nr. 479; Zingerle 199 Nr. 336 — Kühnau I 48 Nr. 44; 481
Nr. 510; Meiche 64 Nr. 77 — Bartsch I 162h Nr. 200; Birlinger 18741 195 Nr. 179;
Jegerlehner 226f. Nr. 153; Strackerjan I 226 Nr. 179 qff.; Veckenstedt 319
Nr. 9 — Winkler 73 f.
5 Hartherzige als Schwein
Hartherzige Frau (Geiziger), die das den Armen verweigerte Brot den Schweinen
vorwerfen läßt, spukt nach dem Tod als Schwein — frißt mit den Schweinen aus
einem Trog
Katalog 367
Birlinger I 113 Nr. 165; Bouchholtz 303; Herrlein/Schober 174; Kühnau I 144
Nr. 155; Künzig Baden 4 Nr. 7; Meiche 53!. Nr. 55; Müllenhoff 200f. Nr. 300;
Wossidlo/Schneidewind 61 Nr. 120; Zingerle 200 Nr. 339
H 6 Toter kehrt gestaltlos oder in feuriger Gestalt wieder
Toter wird als Schatten (Wolke, Hauch, Rauch — oder Nebelschwaden) wahr-
genommen — hinterläßt keine Fußspuren
Frevler (Hartherziger, Selbstmörder) erscheint als Licht — Irrlicht (vgl. auch H 57)
Benzei 51 Nr. 63; Jungbauer 230; Peuckert Schlesien 168f. — Hoffmann II 4F
Nr. uff.; 45 Nr. 126; Knoop Posen 17 Nr. 9; Müllenhoff 196 Nr. 293; Schell 235
Nr. 218; Strackerjan I 274 Nr. 184.0; Zaunert Westfalen 338
7 Umgehender Toter ist nur akustisch wahrnehmbar
Toter macht sich als Poltergeist (Klopfgeist) — durch Kettenrasseln — Klagelaute
etc. bemerkbar
allgemein; s. auch Baader 362 Nr. 407; Bouchholtz 315 ; Kühnau I 484 Nr. 513 ;
492 Nr. 321; Meiche 134 Nr. 177; Peuckert Schlesien 134; Reiser I 59fF. Nr. 43fF.;
Schell 405 Nr. 20; Strackerjan I 212 Nr. 173a; 238!. Nr. 181c; 231 Nr. 182s;
254 Nr. 183 s
8 Schuldiger Toter kehrt wieder ohne nähere Angaben über Gestalt und Art des Um-
gehens
allgemein; s. auch Hoffmann I 74 Nr. 184; 100 Nr. 252a; II 171 Nr. 460;
Schell 79 Nr. 14; Zen der 130L
Umgehen am Ort oder mit einem Zeichen des Vergehens
14 Umgehen am Ort des Vergehens
Schuldiger Toter (Mörder, Selbstmörder, Kindsmörderin etc.) kehrt an den Ort
seiner Untat zurück
Betrügerischer Geistlicher spukt in der Kirche
allgemein; s. auch Bouchholtz 304; Meiche 79 Nr. 94; 170 Nr. 231; 179 Nr. 247;
Schell 36 Nr. 89; 76 Nr. 8 — Meiche 159 Nr. 2x2; 206 Nr. 272
15 Umgehen mit einem Zeichen des Vergehens
Selbstmörder spukt mit Strick um den Hals — Mörder mit blutigem Dolch —
Kindsmörderin mit totem Kind auf dem Arm — Alte mit eiserner Elle, mit der sie
Mädchen geschlagen hat
Almosenverweigerer spukt mit Teller voll Kartoffeln — mit glühendem Brotlaib —
mit Arm voller Kleider, die er armen Kindern verweigerte
Priester, der Versehgang versäumte, spukt mit Versehglöckchen — alte Frau, die
Kreuz lästerte, spukt mit Kreuz
Wilderer spukt mit Stutzen auf der Schulter — Trinker mit Branntweinglas —
Geistlicher, der leidenschaftlich gern Karten spielte, spukt mit einem Spiel Karten
in der Hand bei seinem Nachfolger auf der Kanzel
Bartsch I 2x0 Nr. 267; Meiche 158 Nr. 211; Schell 174 Nr. 84; 198 Nr. 140;
Witzschel II 133 Nr. 164 — Peuckert Schlesien 135; Witzschel I 234 Nr. 236 —
Zaunert Rheinland II 212 f.; 213!. — Künzig Baden 11 Nr. 18; Meier Schwaben
12x Nr. 136; Zaunert Westfalen 314; WA 6 hs Belege 1907 — 1921
16 Der spukende Grenzfrevler {Mot. E 416)
Grenzfrevler spukt mit glühendem Markstein (Pflug, mit glühender Meßlatte)
Baader 36 Nr. 44; Gredt 138 Nr. 32of.; Lohmeyer 308f. Nr. 330; Schambach/
Müller 207 Nr. 223; 211 Nr. 223. 11 ff.; Seifart II 21 Nr. 10; Strackerjan I 225
Nr. 179.1; Zender 268 Nr. 8o2f.; Zingerle 218 Nr. 373
17 Frevelhand {Bein) wächst aus dem Grab {Mot. E 411.0.1)
Hand einer Stiefmutter, die ihre Stiefkinder geschlagen hat, wächst aus dem Grab —
einem grausamen Herrn wächst das Bein, mit dem er seine Leute getreten hat, aus
dem Grab
368
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
Die Schwurhand eines Meineidigen wächst aus dem Grab — wird abgeschnitten
und als Wahrzeichen aufbewahrt
Bartsch I 321 Nr. 430; Künzig Baden 86 Nr. 228; Wossidlo/Schneidewind
76fF. Nr. 139 — Bartsch I 450L Nr. 628.2.; Müller Uri I 62 Nr. 92; Zaunert Rhein-
land II 204
H 18 Die frevelhafte Kinderhand {Mot. E 411.0.1)
Hand eines Kindes, das die Eltern geschlagen hat, kommt aus dem Grab hervor —
verschwindet erst, als die Mutter sie mit Ruten peitscht — wird abgeschnitten und
als Wahrzeichen auf bewahrt
Baader 319 Nr. 354; Bartsch I 459f. Nr. 642; Beneke 154L Nr. 64; Deecke 281
Nr. 156; Gräber 182 Nr. 240; Gräße II 582 Nr. 607; Knoop Posen 129!. Nr. 5;
Kuhn/Schwartz 22 Nr. 28; 44L Nr. 46; Künzig Baden 20 Nr. 45; Lüers 176;
Meiche 617 Nr. 759; Müllenhoff 109!. Nr. 136; Müller Uri III 70 Nr. 1135;
Peuckert Bremen 134L Nr. 281; Peuckert Hochwies 30 Nr. 52; Schell n8f. Nr. 77;
Schulenburg Spreewald 239; Voges 318f. Nr. 285; Witzschel I 240L Nr. 242;
Wucke 178 Nr. 304; Zaunert Rheinland II 203!.; Zaunert Westfalen 330
Umgehen als Fortsetzung oder Wiederholung des Vergehens
24 Die wiederholte Freveltat
Frevelhafte Tänzer müssen nach dem Tod weitertanzen — frevelhafte Hochzeit
wird nach dem Tod wiederholt — Mörder wiederholt die Untat — Hartherziger,
der den Schweinen Weißbrot vorwarf, lockt nach dem Tod die Schweine
Gredt 137 Nr. 317; Greß 46ff.; Hoffmann II 38 Nr. 110; Jegerlehner 255 Nr. 27;
Müllenhoff 153f. Nr. 229.1; Zingerle 265 Nr. 471
25 Das fortgesetzte Berufsvergehen
Geiziger kehrt wieder und zählt sein Geld (bewacht Geldsäcke) — Kornwucherer
schaufelt Getreide (mißt Hirse) — Maßbetrügerin mißt Leinwand — hartherziger
Vogt schreibt Steuern aus — Schriftfälscher fälschen Akten — ungerechte Feme-
richter treten weiterhin zur Gerichtssitzung zusammen
Grenzverletzer setzen falsche Grenzzeichen — pflügen Land ab
Bodens 107 Nr. 462; Größler 39 Nr. 37; Krainz 2iof. Nr. 164; Kühnau I 26
Nr. 19; Meiche 100 Nr. 127; Reiser I 301 f. Nr. 382; Schell 92 Nr. 16; Strackerjan I
223 Nr. 179b.c; 239 Nr. i8id; Zaunert Rheinland II 218 — Baader 149 Nr. 166;
Bügener Grenzland 102L; Knoop Hinterpommern 134 Nr. 273; Krainz 221 Nr. 170;
Reiser I 26 Nr. 2; Schambach/Müller 212 Nr. 224; Stöber II 27 Nr. 30; Wucke 348
Nr. 595
26 Feiertagsentheiliger und Sonntagsschänder
Fischer, der an einem Feiertag gefischt hat — Wäscherin, die am Karfreitag ge-
waschen hat — Bauer (Handwerker), der an einem Festtag gearbeitet hat, müssen
nach dem Tod ihr frevelhaftes Tun in Ewigkeit fortsetzen
Bartsch I 407 Nr. 565; 410 Nr. 570L; II 468 Nr. 662; Bindewald 236; Birlinger
18741 76 Nr. 93; Gredt 171 Nr. 332; Grüner 239 Nr. 279; Haas Rügen 28 Nr. 37L;
Jegerlehner 224 Nr. 147; Kuhn Westfalen 33 Nr. 96; Kühnau I 351 Nr. 345; 439
Nr. 463; 450 Nr. 481; Reiser I 332L Nr. 432; Schöppner I 300 Nr. 304; Wolf 25
Nr. 33; Zingerle 241 f. Nr. 417!.
27* Ewiger Jäger (Hackelberg, Windsbraut)
Vergehen und Strafe
28* Der Mann im Mond
-> Vergehen und Strafe
29* Der fliegende Holländer
-> Vergehen und Strafe
30* Der ewige Jude
-> Vergehen und Strafe
Katalog
369
Umgehen mit Wiederholung des Vergehens als Sisyphus-Arbeit {Mot. Q 501.1)
Vergebliches Essen (Trinken, Liebes werben) des umgehenden Toten als Strafe für
Völlerei und sexuelle Exzesse
Grausamer Hirte muß gefallenes Vieh noch im Tode immer wieder bergaufschleppen
Alpenburg 206 Nr. 82 — Müller Uri II 306 Nr. 933; Reiser I 345fr. Nr. 441;
Vonbun 63f. Nr. 23; 78 Nr. 48; 144h Nr. 188; Zingerle 227 Nr. 389
Andere spezifische Strafen, die zu der Freveltat des Toten in Beziehung stehen
Mörderin (Kindsmörderin) kehrt wieder und versucht, das Blut aus den Kleidern
ihres Opfers zu waschen — Mörder versucht, seine blutigen Hände reinzuwaschen
Kindsmörderin sucht ihr ertränktes Kind im Brunnen — gräbt die Leiche ihres
Kindes aus und verbindet seine Wunden
Mädchen mit verleumderischer Zunge muß die Rathaustreppe sauberlecken —
hartherziger Hüttenmeister muß für ein Hirsekorn Wochenlohn arbeiten
Hoffmann I 114 Nr. 276; II 130 Nr. 325; Sieber Harz 187 — Gredt 132 Nr. 309;
Zaunert Westfalen 316 — Größler 126 Nr. 132; Wolf m Nr. 168
Das Schuldbekenntnis des ruhelosen Toten
38 Umgehender Toter bekennt seine Schuld; allgemein
Freveltäter (Brandstifter, Kindsmörderin, Selbstmörder, Tierquäler etc.) kehren
nach dem Tod wieder und offenbaren ihre Untat
Bodens 121 Nr. 521; Hoffmann II 3 Nr. 7; Müllenhoff 183!. Nr. 272; Peuckert
Schlesien 156; Pfister 104 Nr. 9; Reiser I 340 Nr. 440
39 Der Maß- und Gewichtsbetrug
Betrügerische Händler (Müller, Kornhändler, Milch- oder Weinpanscher) —
ungetreue Weberinnen spuken nach dem Tod und bekennen ihre Schuld, oft mit
lehrhaften Sprüchen: „Maß und Gewicht, geht vor (Gottes) Gericht“ — „Zu
knapp gemessen, die Seele vergessen“ — „Waß un Flaß un tweispunnen Gorn,
wer dat stählt, is ewig verlorn“ — „3 Schoppen Wein und 1 Schoppen Wasser
gibt auch ein Maß“
Baader 206 Nr. 218; Birlinger I 661 Nr. 89; Bouchholtz 303; Gräber 171 Nr. 224;
Gräße I 348 Nr. 409; Gredt 101 Nr. 245; Henßen Volk 88 Nr. 60; Kühnau I 114
Nr. 156; 580 Nr. 6x4; Künzig Baden i4f. Nr. 28; 31; Lohmann 124!. Nr. 132;
298 Nr. 318; Meier Schwaben 277 Nr. 312; Schell 118 Nr. 75; Schönwerth III
134L; Stöber I 78 Nr. 101; II 31 Nr. 37; Wolf 106 Nr. 158; Wucke 38f. Nr. 74;
59h Nr. 110; Zaunert Rheinland II 214L; Zaunert Westfalen 318; 320
40* Der Maßbetrug an der blinden Schwester
-> Vergehen und Strafe
Die versuchte Wiedergutmachung
46 Umgehender Toter versucht Wiedergutmachung seines Vergehens; allgemein
Reiche Bäuerin, die die Not ihrer Nächsten ausgenutzt hat, geht nach dem Tod
um und gibt den Bauern Ratschläge für die Landwirtschaft
Knabe, der von Gräbern Blumen gepflückt hat, versucht sie nach dem Tod wieder
aufs Grab zu pflanzen
Toter sucht leichtfertig verschwendete Brosamen wieder zusammen
Beitl 63 Nr. 78 — Schambach/Müller 219 Nr. 232.1 — Heyl 815 Nr. 322
47 Der verheimlichte Schatz {Mot. E 415.1.2)
Toter, der bei Lebzeiten sein Geld versteckt hat, macht durch Spuken die Leute
(seine Angehörigen) aufmerksam, den Schatz zu heben und das Geld zu verteilen
(s. auch J 15)
allgemein; s. auch Bartsch I 253 Nr. 331; Größler 45 Nr. 46; Jahn 408 Nr. 519;
Kühnau I ioöff. Nr. 117; Meiche 82 Nr. 100; 147h Nr. 197; 169 Nr. 229; Schell
178 Nr. 95; Witzschel II 113 Nr. 143
H 31
32
370
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
H 48 Der Schwur auf die falschen Besitzverhältnisse
Meineidiger, der bei einem Grenzstreit durch seinen falschen Eid die Besitz-
verhältnisse widerrechtlich zu seinen Gunsten veränderte, muß umgehen, oft
mit dem Ruf: „Hier ist die Scheide“ — „hi ho hup, hier geiht de Scheid herup“ —
(s. auch J 17)
Bartsch I 20Xff. Nr. 256; Engelien/Lahn 42 Nr. 22; Haas Pommern 23 Nr. 44;
Hoffmann I 22 Nr. 56; Jahn 421 Nr. 530; Kühnau 1475 Nr. 501; Lohre 102 Nr. 171;
103 Nr. 176; Meyer Schleswig-Holstein 260L; Veckenstedt 334 Nr. 7fr.; Zaunert
Westfalen 320
49 „Beim Schöpfer über mir . . .“ (vgl. AT 1590)
Bauer (Gutsbesitzer, Vertreter einer Dorfgemeinschaft) hat bei einem Grenzstreit
mit der Erde seines Ackers in den Schuhen falsch geschworen, er stehe auf eigenem
Grund und Boden (oft mit dem Zusatz „so wahr ein Schöpfer über mir ist“, nach-
dem er einen Schöpflöffel unter dem Hut verborgen hatte). Er wandert nach seinem
Tod auf der Grenze und bezeichnet mit seinem Ruf deren richtigen Verlauf
Bartsch I 201 ff. Nr. 256; Birlinger I 222 Nr. 339; Bügener Heidegold 144L;
Gander 88 Nr. 227; Herrlein/Schober 89!.; Jegerlehner 257 Nr. 34; Lohmeyer
263f. Nr. 274; Meiche 226 Nr. 286; Meier Schwaben 125 Nr. 139; Müllenhoff
197 h Nr. 296; Reiser I 27!. Nr. 3; Schambach/Müller 205 f. Nr. 222; Zaunert
Rheinland!! 217; Zaunert Westfalen 320; Zender 268 Nr. 804; Zingerle 211 Nr. 361
50 Der spukende Grenzsteinversetzer (Mot. E 345.1)
Betrügerischer Feldmesser (Marksteinversetzer, Grenzabpflüger) geht um, ver-
sucht das abgepflügte Land wieder anzupflügen — den Markstein wieder an die
richtige Stelle zu versetzen (s. auch J 17)
Bindewald 157; 160; 163; Birlinger I 286 Nr. 448; Engelien/Lahn 92 Nr. 59;
Gredt 139 Nr. 323ff.; Grüner 238 Nr. 268f.; Harrys 33 Nr. 14; Hoffmann II 3L,
7; 11; Jahn 418 Nr. 528; Kuhn Mark 28 Nr. 27; Kuhn Westfalen 40 Nr. 177;
Kühnau I 426 Nr. 447; Künzig Baden 13 Nr. 23!.; Meier Schwaben 266 Nr. 298;
272f. Nr. 306; 275 Nr. 308; Müllenhoff 199 Nr. 299; Müller UriII 1990". Nr. 793ff.;
Schönwerth III 136!. Nr. 3; Stöber I 49 Nr. 70; II 27 Nr. 30; Wolf 94 Nr. 138;
Zaunert Rheinland II 2i6f.; Zaunert Westfalen 318; Zender 269 Nr. 805ff.
Fegefeuer und andere Pein
36 Die Qualen des ruhelosen Toten
Schuldiger muß als Strafe für sein Vergehen nach dem Tod körperliche Qualen
erdulden: wird blutig geschlagen — muß schwere Last schleppen — hängt in einer
Dornenhecke — muß sich selbst die Haut abschinden
Gredt 147L Nr. 331.2; Kühnau II 2o8f. Nr. 198; Wucke 378f. Nr. 662; Zender
234 Nr. 754
57 Der brennende Tote
Frevler (hartherziger Dienstherr, Selbstmörder, Betrüger, Gottloser) erscheint
nach dem Tod als Ausdruck der Qualen des Fegefeuers in glühender Gestalt —
von Flammen umgeben
Arme Seelen erscheinen als Flammen auf den Felsen
Grenzverletzer muß in feuriger Gestalt (als feuriges Rad) umgehen
Übeltäter wandert nach dem Tod in feurigen Schuhen — sitzt in feurigem Sessel —
schmachtet in Schwefelpfuhl — brennt in Kalkofen
Baader 230L Nr. 240; Bodens 117 Nr. 507; Curtze 247!!. Nr. 89; Jungbauer
236; Knoop Posen 133 Nr. 8; Wucke 386 Nr. 677 — Gräber 143 Nr. 184 — viel-
fach; s. auch Baader 217 Nr. 224; Eisei 68 Nr. iöiff.; Gredt 76 Nr. 164; Hoffmann
II 4L Nr. uff.; 45 Nr. 126; Reiser I 338 Nr. 437; Strackerjan I 274 Nr. 184.0;
Zingerle 213 Nr. 364 — Birlinger 1874 I 216 Nr. 217.6; Jegerlehner 217 Nr. 133;
Strackerjan I 2i9ff. Nr. 176
Katalog
371
Н5в Die Geisterkutsche
Schuldiger (meist eine hochgestellte Persönlichkeit: Gutsherr, Edelmann, Bürger-
meister) fährt nach dem Tod nachts (in feuriger Gestalt) in einer (von glühenden
Pferden gezogenen feurigen) Kutsche in rasender Fahrt durch die Straßen
allgemein; s. auch Bartsch I 199f- Nr. 254; Bodens 130L Nr. 552fF.; Deecke 361 f.
Nr. 191; Eisei 109 Nr. 276; Haupt I 138 Nr. 154h; Heyl 394 Nr. 77; 662 Nr. 139;
Knoop Hinterpommern 131 f.; Kuhn/Schwartz 176 Nr. 199; Kühnau I 362 Nr.
355ff.; II 569 Nr. 1219; Künzig Schwarzwald 275; Müllenhoff 184!!. Nr. 274;
278; Peuckert Schlesien 149; Schambach/Müller 217 Nr. 229. 4; Schell 175 Nr. 89;
199 Nr. 143; 479 Nr. 8; 487 Nr. 47; 494 Nr. 3; Zaunert Rheinland II 222 f.; Zaunert
Westfalen 325!.
59 Hufbeschlag und Teufelsroß (vgl. AT 761)
Frevler (Teufelsbündner, Grenzfrevler, hartherziger Herr) wird nach dem Tod
mit Hufeisen beschlagen — dient dem Teufel als Roß — muß als Teufelsroß Geister-
kutsche ziehen und wird mit glühender Peitsche geschlagen
Jungbauer 225; Kühnau II 358 Nr. 1206; Zender 147 Nr. 537!.
60 Die Pfaffenkonkubine
Beischläferin eines Geistlichen (Pfaffenkellerin, Pfaffenköchin) muß nach ihrem Tod
umgehen — muß eiserne Schuhe tragen — wird mit Hufeisen beschlagen — wird
zum Teufelsroß
Alpenburg 25if.; Birlinger I 234 Nr. 359; Heyl 421 Nr. 107; 679 Nr. 156;
Müller Uri II 238 Nr. 60.2
61 Das Wahrzeichen aus der Hölle
Auf der Suche nach einer verlorengegangenen Pachtquittung gelangt ein Pächter
mit Hilfe eines kleinen Männchens an einen geheimnisvollen Ort und trifft dort
seinen toten Gutsherrn in Flammen (glühender Hitze). Er erfährt von ihm den
Verbleib der Quittung und erhält ein Wahrzeichen für die Begegnung mit dem
Toten. Dieses brennt durch den Kittel, mit dem er es auffangen will — brennt bei
Übergabe an die Frau des Verstorbenen durch die Tischplatte
Bartsch I 453ff. Nr. 632L; Gräber i89ff. Nr. 253; Kahlo 30 Nr. 45; Lynker
116f.; Schönwerth III 138 ff. Nr. iff.; Sommer 68 f. Nr. 60
62 Die kalte Pein
Schuldige Tote müssen ihre Vergehen in Eis und Schnee — auf einem Gletscher —
in kaltem Wasser abbüßen
Birlinger I 288 Nr. 453; Jegerlehner 167 Nr. 42; 45; 241 Nr. 13; Müller Uri II
208 Nr. 811; Niederberger 2 Nr. 7L; Ranke 62; Zingerle 280 Nr. 503
63 Umgehender Toter tut seine Qualen kund
Arme Seele stöhnt und seufzt, um ihrem Leiden Ausdruck zu geben, oft verbunden
mit formelhaften Aussprüchen: „Heiß! heiß! Das brennt“ — „O, welchen Durst
hab ich“
Wiedergehender Toter weist seine von der Hitze des Fegefeuers glühenden Hände
vor — gibt als Zeugnis dafür einen Händedruck, der sich einbrennt
Arme Seele klagt über Qualen, die sie in Wagengeleisen (zwischen schlagende
Türen geklemmt) etc. erleiden muß
Birlinger I 288 Nr. 452; Hoffmann I 27 Nr. 66; Jegerlehner 179 Nr. 67; 253!.
Nr. 23; Wucke 286 Nr. 495 — Bodens 128 Nr. 544; Müllenhoff 175b Nr. 260;
Schambach/Müller 229 Nr. 239.6; Schönwerth I 296 Nr. 3 — Krainz 231 Nr. 178;
Lüers 187; Schönwerth I 305 Nr. 11
372 Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
J Die Erlösung ruheloser Toter
Der Tote veranlaßt die Lebenden zur (meist unbewußten) Erlösungstat
1 Erlösung durch Anreden (nach Anweisung) des Toten
Spukender Toter antwortet auf die Frage eines Lebenden („Alle guten Geister
loben Gott den Herrn, was ist dein Begehren?“ — „Wie bringe ich dich denn
weg?“) — gesteht seine Schuld — gibt Anweisung zu seiner Erlösung (oft ver-
bunden mit J 35)
Bügener Heidegold 141; Köhler 80 Nr. ixo; Meyer Schleswig-Holstein 25 2 ff.;
Peuckert Schlesien 119; Vonbun 81 Nr. 23
2 Die erlösende fromme Antwort
Toter, der bei Lebzeiten Zu- oder Danksprüche mißachtet hat, spukt. Ein Vorüber-
kommender hört seinen Ruf, sagt frommen Spruch oder Segenswunsch („Helf
Gott!“ — „Vergelts Gott!“ — „Trost Gott und erlös die Armen Seelen!“) und
erlöst damit den Toten
Bartsch I 193 Nr. 245.1; Beitl 43 Nr. 27; Künzig Baden 10 Nr. 16; Pröhle
202f. Nr. 206; Reiser I 328 Nr. 424; Schambach/Müller 213 Nr. 225; Wucke 410
Nr. 728
3 Der erwiderte Gruß
An einem bestimmten Ort ertönt der Ruf „Morgen! Morgen“ („T‘ Abend“ etc.).
Der Rufer ist der Geist eines Hochmütigen, der nicht (unhöflich) wiedergrüßte.
Auf den frommen Gegengruß eines Vorüberkommenden hin ist der Tote erlöst
Spuk ruft beständig „Dominus vobiscum!“ („Gelobt sei Jesus Christus!“), ist
erlöst, als jemand ihm mit „et cum spiritu tuo!“ („In Ewigkeit, Amen!“) antwortet
Bartsch I i9if. Nr. 242!.; Busch 45f. — Grannas 42L Nr. 22; Gräße II 935!.
Nr. 1158; Kühnau I 148 Nr. 159; Mackensen 19 Nr. 24; Meier Schwaben 276
Nr. 311
4 Der erlösungsbedürftige Niesgeist
Ruheloser Toter macht sich einem des Weges Kommenden durch Niesen bemerk-
bar, wird erlöst durch den (mehrfach wiederholten) Zuruf „Helf dir Gott!“ („Pro-
sit!“)
Baader 142 Nr. 153; Beitl 77 Nr. 103; Eisei 87 Nr. 223; Gredt 143 Nr. 337ff.;
Kühnau I 95 Nr. 112; 530 Nr. 580; Lohmeyer 360 Nr. 376; Lynker 89 Nr. 143;
Reiser I 324ff. Nr. 420; Schönwerth I 302L Nr. 9; Wolf 102L Nr. 152
5 Der zu Ende gesungene Choral
Nächtlicher Wanderer hört einen Choral singen, der jedoch mitten im Vers (bei
den Worten: „Wo bleibt denn Leib und Seel?“) abgebrochen wird. Der Wanderer
singt die Strophe zu Ende (singt: „Nimm sie zu deinen Gnaden“), dadurch ist der
Tote erlöst
Bartsch I 194 Nr. 246; 461 Nr. 644
<6 Der erlösende Rat
Umgehender Grenzfrevler muß den versetzten Grenzstein tragen, ruft beständig:
„Wo soll ich ihn hin tun?“ Ein Vorüber kommender (Betrunkener) antwortet
einmal: „Tu ihn hin, wo du ihn hergenommen hast!“ Der Grenzstein fährt mit
einem Krach an die richtige Stelle. Der Wiedergänger ruft: „Darauf hab ich schon
lange gewartet, jetzt bin ich erlöst“
allgemein; s. auch Bartsch I 202 Nr. 256.6; Bindewald 159; Birlinger I 287
Nr. 450; Bodens 103f. Nr. 444; Bouchholtz 302; Eisei 74 Nr. 184; Gräber 141L
Nr. 181; i7if. Nr. 225f.; Gredt 143ff. Nr. 339ff.; Grüner 237 Nr. 262; Herrlein/
Schober 73; Hoffmann I 104 Nr. 262; 106 Nr. 268; II 5 Nr. 12; Jegerlehner 220
Nr. 141; Krainz 222f. Nr. 171; Kühnau I 332ff. Nr. 321 ff.; 426 Nr. 448; Loh-
meyer 37 Nr. 24; Lüers 177; Meiche 112 Nr. 147; Müllenhoff 199 Nr. 298; Müller
Katalog 373
Uri II 201 Nr. 797; III 70ff. Nr. 1136f.; Reiser I 337 Nr. 437; Schambach/
Müller 2o8f. Nr. 223.5; Schell 198 Nr. 138; 279 Nr. 43; Schönwerth I 302
Nr. 8; Strackerjan I 25of. Nr. i82q.r; Vonbun 74 Nr. 47; Witzschel I 155!.
Nr. 154; II 38 Nr. 34; Zaunert Rheinland II 215 f.; Zaunert Westfalen 319f.;
Zender 145ff. Nr. 526; 266ff. Nr. 792fr.; Zingerle 2iof. Nr. 360
J 7 Der erlösende Dank
Ruhelose Tote erweisen sich hilfreich, um sich dadurch Dank zu verdienen —
bieten Speisen an — helfen Last tragen etc. Durch eine fromme Dankesformel
(„Vergelts Gott!“ — „Tausend Gottes Lohn!“ — „Bezahl’s dir Gott tausendmal!“)
ist der Geist erlöst
Ruhelose Tote leuchten als Irrlicht (Feuermann) auf gefährlichen Wegen,
werden durch fromme Dankesformel erlöst
Bartsch I 193 Nr. 245.2; Beitl 81 Nr. 114; Kühnau I 384 Nr. 381; 410 Nr. 428;
418ff. Nr. 435ff.; 427 Nr. 449; 432 Nr. 455; 434 Nr. 458; Lüers 190; Reiser I
323f. Nr. 419; Schönwerth II 94 Nr. 1; Wucke 103 Nr. 177; 146L Nr. 254 —
Bartsch I 407 f. Nr. 566; Knoop Hinterpommern 55L Nr. 107; Kühnau I 418
Nr. 435; Müllenhoff 195f. Nr. 291; Watzlik 19; Zingerle 268 Nr. 478
8 Der abgetretene Gotteslohn
Hartherzige Frau schüttet das Essen fort; ihr Mädchen gibt es heimlich den Armen
um Gotteslohn. Die Frau belästigt nach ihrem Tod das Mädchen, bis dieses ihr
seinen reichlich empfangenen Dank (Gotteslohn, Platz im Himmel) abtritt. So
wird die Tote erlöst
Bügener Heidegold 136; Busch 18; Henßen Volk 83L Nr. 56; Künzig Baden 4
Nr. 7; Pröhle 62 Nr. 99; Schambach/Müller 227!. Nr. 239.5; Strackerjan I 249!.
Nr. 182.0; Wossidlo/Schneidewind 61 f. Nr. 120; Zaunert Westfalen 318
9 Die erlangte Verzeihung
Hartherzige, die den Armen Almosen verweigert haben — Betrüger, die Geld
unterschlagen — Geliehenes nicht zurückgegeben haben, finden nach dem Tod
nicht eher Ruhe, bis sie Verzeihung erlangt haben
Unverweslicher Frevler zerfällt in Staub, als er Verzeihung erlangt hat
Aus dem Grab herausragende Frevelhand verschwindet, als dem Toten Verzeihung
gewährt wird
Unversöhnt aus dem Leben geschiedenes Ehepaar spukt, ist erlöst, als jemand die
spukenden Ehegatten miteinander versöhnt
Beitl 66 Nr. 85; 306 Nr. 585; Bügener Heidegold 138; Jungbauer 238L; Leo-
prechting 49ff.; Meyer Schleswig-Holstein 254; Schambach/Müller 210 Nr. 223.9,
10; Strackerjan I 252 Nr. 182.u — Deecke 272!. Nr. 149; Peuckert Bremen 44L
Nr. 78 — Seifart II 24 Nr. 15 — Eckart I 13 ff.; Gräße II 950L Nr. 1181
Erlösung durch Wiedergutmachung
von seiten oder mit Hilfe der Lebenden
15 Die beglichene Schuld (Mot. E 451.5)
Betrüger (Diebe, Schuldner, ungerechte Erblasser etc.) müssen nach dem Tode
spuken; sie sind erlöst, als ein Lebender auf ihre Bitte den von ihnen verursachten
Verlust ersetzt hat
Geiziger, der sein Geld versteckt — auf dem Sterbebett verschluckt hat und zur
Strafe dafür umgehen muß, ist erlöst, als das Geld durch seine Veranlassung auf-
gefunden wird
Jegerlehner 244 Nr. 25; 252 Nr. 20; Meyer Schleswig-Holstein 242L; 274;
Schambach/Müller 226L Nr. 239.1!.; Schell 156 Nr. 138; Schönwerth/Winkler
69; Strackerjan I 243 Nr. 182L; Wolf 94 Nr. 138; Wucke 139!. Nr. 243; Zender
255 Nr. 756 — Busch 72; Meyer Schleswig-Holstein 242h; Müllenhoff 194Nr. 289;
Zaunert Westfalen 313
25 Volkskunde
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374 Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
J 16* Erlösung durch Schatzhebung
-> Schätze
17 Die wiederhergestellte Grenze
Grenzfrevler versucht nach seinem Tod, durch Versetzen des Grenzsteines an die
richtige Stelle — durch Wiederanpflügen des abgepflügten Landes die rechten
Grenzverhältnisse wiederherzustellen. Er ist erlöst, als ihm mit Hilfe eines Lebenden
sein Vorhaben gelingt
Baader 7 Nr. 11; 22if. Nr. 229; 226 Nr. 234; 287!. Nr. 307; 386L Nr. 448;
Henßen Volk 85ff. Nr. 58; Hoffmann I 9 Nr. 19; Meyer Schleswig-Holstein 260;
Müller Uri II 2ooff. Nr. 7950".; Pfister 106f. Nr. 14; Schambach/Müller 269 Nr. 223.
6,7; Strackerjan I 243 Nr. 182; Voges n8ff. Nr. iooff.; Zaunert Westfalen 319
18 Der messelesende Geistliche
Geistlicher, der bezahlte Messen nicht — ohne Meßdiener gelesen hat, muß nach
seinem Tod nachts in der Kirche Messe lesen. Er ist erlöst, als ihm jemand bei der
Messe dient
Baader 133f. Nr. 148; Benzei 45!. Nr. 55; Bodens 129!. Nr. 5461!.; Gredt 128
Nr. 301; Heyl 17 Nr. 12; Jegerlehner 255 Nr. 28; Kühnau I 203 Nr. 195; Künzig
Schwarzwald 184L; Lohmeyer 431 Nr. 449; Peuckert Hochwies 38 Nr. 69; Reiser
I 64 Nr. 47; Schönwerth I 303 Nr. 10; Strackerjan I 226 Nr. 179m; Watzlik 47h;
Zaunert Rheinland II 212; Zaunert Westfalen 317
19 Das erfüllte Gelübde
Toter, der es bei Lebzeiten versäumt hat, eine gelobte Wallfahrt (Stiftung, Opfer-
gaben) auszuführen — eine Messe lesen zu lassen — ein Versprechen einzuhalten,
kehrt nach seinem Tod wieder. Er ist erlöst, als ein Lebender ihm die Erfüllung
des Gelübdes abnimmt — er wird gesehen, wie er selbst (als Kröte) an der Wall-
fahrt teilnimmt
Baader 374L Nr. 429; Beitl 91 Nr. 131; Bodens I22ff. Nr. 522; 52Öff.; Bouch-
holtz 301; Bügener Grenzland 104L; Bügener Heidegold 145 f.; Gredt 151 Nr. 354ff.;
Grüner 235 Nr. 248L; Hoffmann II 24 Nr. 75; II 121 Nr. 329; Krainz 228 Nr. 175;
Künzig Schwarzwald 183; Mackensen 4L Nr. 5; 31 Nr. 44; Schönwerth I 293 fr.;
296fr.; Strackerjan I 25 xf. Nr. 182a—c,t; Voges 122L Nr. 104; Zaunert Rhein-
land II 21 of.; Zaunert Westfalen 316; Zender 255 fr. Nr. 758fr.; Zingerle 196fr.
Nr. 329 fr.
Erlösung durch christliche Werke
25 Die erlösende Fürbitte
Ruheloser Toter wird erlöst, als jemand (auf seine Bitte) Gebete für ihn spricht —
Messen für sein Seelenheil lesen läßt — einen Gesangbuchvers auswendig lernt
Umgehender Toter findet Ruhe, als jemand eine Wallfahrt für ihn unternimmt
allgemein; s. auch Beitl 227 Nr. 402; Bouchholtz 314; Deecke 265 Nr. 141;
Gredt 149 Nr. 353B; Hoffmann II 22 Nr. 64; Jahn 429 Nr. 546; Jegerlehner 214
Nr. 125; Knoop Posen 156!. Nr. 2; Kühnau I 49 Nr. 46; 112 Nr. 124; 146L
Nr. 157; Künzig Schwarzwald 187; Lübbing 156ff.; Meyer Schleswig-Holstein
244; Müller Uri II 205 f. Nr. 807; Schönwerth I 295 ff. Nr. 3; Vonbun 97 Nr. 91;
Zender 255 Nr. 757 — Birlinger I 298 Nr. 471; Gredt 1530". Nr. 358ff.; Hoffmann
II 33 Nr. 97; 36 Nr. 105; 73 Nr. 188; Künzig Schwarzwald 189!.; Zender i37ff.
Nr. 505 ff.
26 Das fromme Werk
Ruheloser Toter wird erlöst, als ein Lebender sich bereitfindet, für sein Seelenheil
ein Almosen — Kerzen für den Altar (ein ewiges Licht) zu spenden — eine Kapelle
zu stiften
Umgehender Toter kehrt nicht wieder, als jemand verspricht, durch christlichen
Lebenswandel (Fastenübungen) zu seiner Erlösung beizutragen
Baader 388 Nr. 452; Bodens i2if. Nr. 521; Gredt 150 Nr. 353D; Kühnau I
204ff. Nr. 206f. — Bindewald 68 ff.; Gräber 187!. Nr. 250
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Katalog
375
J 27 Die nachgeholte Taufe
Seelen ungetaufter Kinder führen als Irrlichter einen nächtlichen Wanderer an ein
Wasser, um sich von ihm taufen zu lassen — verschwinden, nachdem sie getauft
(mit Wasser, Weihwasser bespritzt) sind
Bügener Heidegold 172; Henßen Volk 78 Nr. 48; Hoffmann I 52h Nr. 128;
56 Nr. 137; II 107 Nr. 262; Lohre 26 Nr. 47; Schell 304 Nr. 24
28 Die erlösende Namensgebung
Jemand begegnet einem geisterhaften Kinderzug (im Gefolge der Percht). Er
redet das letzte Kind, das (wegen eines zu langen Kleides) nicht folgen kann, mit
einem ad hoc erfundenen Namen an. Dadurch ist das Kind erlöst
Gräber 90 Nr. nob; Krainz 403!. Nr. 307!.; Watzlik 87!.
34 Der gespenstische Barbier (AT 326 IIh)
Ein in einer Herberge Übernachtender läßt zu, daß ihn der Geist eines Barbiers,
der bei Lebzeiten seinen Kunden den Hals abgeschnitten hat, rasiert und erlöst
dadurch den Toten
Bartschi 220f. Nr. 284; Gredt 146 Nr. 349; Peuckert Schlesien 153; Zingerle
249 f. Nr. 435
35 Der erlösende Händedruck
Tote wollen zum Zeichen ihrer Erlösung dem helfenden Menschen die Hand reichen.
Der Erlöser hält statt der Hand einen Stock oder ein Tuch hin, in das die Hand des
Toten sich einbrennt. Durch diesen Händedruck ist der Tote erlöst
Birlinger 1874 I 231 f. Nr. 234; Beitl 36 Nr. 13; Bodens 123 Nr. 525; Hoffmann II
32f. Nr. 96ff.; 36 Nr. 105; Müllenhoff 190 Nr. 283; 198 Nr. 297; Reiser I 345!.
Nr. 444.1; Schambach/Müller 224 Nr. 237.2
36 Erlösung durch Tragen des Toten
Spukender Toter hockt auf, läßt sich eine Strecke weit (zum Kirchhof) tragen,
wird so erlöst
Haas Rügen 15 Nr. 24; Meyer Schleswig-Holstein 267!.; Stöber II 165ff.
Nr. 237
37 Erlösung durch andere Mutproben
Ein Knecht läßt sich von spukendem Senn dreimal den Berg hinunterwerfen und
erlöst ihn dadurch
Haiding 81 Nr. 52
43 Die erlösende Züchtigung
Frevler, der bei Lebzeiten sein Vergehen durch keine Strafe gesühnt hat, wird durch
eine körperliche Züchtigung (Schlag, Ohrfeige, nachträgliche Hinrichtung)
erlöst
Baader 142L Nr. 154; Knoop Posen 159 Nr. 6; Peuckert Schlesien i7if.;
Wucke 7L Nr. 12; Zaunert Rheinland II 222
44 Erlösung durch spiegelnde Bestrafung
Toter, der wegen einer begangenen Freveltat keine Ruhe finden kann, wird erlöst,
wenn ihn jemand auf dieselbe Art und Weise bestraft: Toter, der jemandem heißes
Schmalz ins Gesicht geschüttet hat, kommt zur Ruhe, als ihm das gleiche wider-
fährt — Wiedergänger, der einen Menschen erschossen hat, ist erlöst, als ihn selbst
eine Kugel trifft — Hartherziger, der jemandem (einem Bettler) eine Ohrfeige ver-
setzt hat, erlangt Frieden, als auch er eine Ohrfeige bekommt
Alpenburg 164L Nr. 28; Heyl 63 Nr. 21; Lohmeyer 243!. Nr. 254; Müller Uri II
207 Nr. 809; Zingerle 199 Nr. 335; 242!. Nr. 421
Erlösung durch Mutprobe eines Lebenden
Erlösung durch Strafe
25*
376
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
Die lange Buße des erlösungsbedürftigen Toten
Erlösung nach Ablauf einer bestimmten, meist formelhaft umschriebenen Bußzeit
Spukender Toter ist erst nach Ablauf eines konkret angegebenen langen Zeit-
raumes (500, 1000 Jahre) erlöst
Toter, meist ein gebannter Wiedergänger, kommt seinem Dorf jedes Jahr um einen
Hahnenschritt näher, ist erlöst, wenn er den Ort erreicht
(-> auch M 19: Die Bannung des Wiedergängers)
allgemein; vgl. dazu Hoffmann II 25 Nr. 76; Bartsch I 181 f. Nr. 225 ; Müllenhoff
275f. Nr. 408; Schell 196 Nr. i34d; Zender 133 Nr. 489
Der Erlöser in der Wiege (Mot. D 791.1.3)
Ruheloser Toter erklärt einem des Weges Kommenden (einem Erlösungswilligen),
daß seine Erlösung an das Aufwachsen eines Baumes gebunden ist. Das erste
Kind, das in einer aus dem Holz dieses Baumes gezimmerten Wiege gewiegt wird,
wird sein Erlöser sein
allgemein; s. auch Baader 259L Nr. 275; Bartsch I 164 Nr. 201; II 468 Nr. 659;
Beitl 52 Nr. 50; Birlinger I 7 Nr. 6c; 243!. Nr. 379; Schulenburg Wend. 123;
Wolf 32 Nr. 44; 33 Nr. 46; 35 Nr. 49
52 Buße bis ans Ende aller Zeiten
Schuldiger Toter klagt einem Vorüber kommenden, daß er bis in alle Ewigkeit ver-
dammt sei — muß bis an den jüngsten Tag Geld zählen (Flachs spinnen etc.)
Bindewald 169; Bouchholtz 303; Gräber 188 Nr. 252; Größler 123L Nr. 130;
Knoop Posen 133 Nr. 8; Voges 114 Nr. 96; Zender 252 Nr. 746
Erfolg und Mißerfolg der Erlösung
5 8 Die singenden Geister
An einem abgelegenen Ort (Gletscher, Wald) hört man Singen und Jauchzen:
Arme Seelen, denen die Erlösung in absehbarer Zeit zuteil werden soll, frohlocken
in Erwartung der Seligkeit, obwohl sie noch Qualen (Fegefeuer, Kalte Pein) zu
erdulden haben
Beitl 227 Nr. 401; Jegerlehner 175 Nr. 60; Jungbauer 237; Müller Uri III
Nr. 1077F; Nr. 1153a
59 Die mißglückte Erlösung
Der Erlöser versäumt es, den erlösungsbedürftigen Toten nach seinem Begehr
zu fragen — er führt den Auftrag des Toten nicht (nicht richtig) aus; der Tote
bleibt unerlöst (vgl. J i;J 15; J i9;J 26)
Der Erlöser spricht das erlösende Gebet nicht oft genug — unterläßt es, die letzte
Perle des Rosenkranzes abzubeten — flucht schließlich, statt weiterzubeten; da-
durch mißlingt die Erlösung (vgl. J 7; J 25)
Der niesende Geist bleibt unerlöst, weil der Erlöser den erlösenden Wunsch
(„Helf Gott!“) nicht oft genug spricht — die Geduld verliert und schließlich flucht
(,,helf dir der Teufel!“) (vgl. J 4)
Baader 98 Nr. 109; Krainz 230 Nr. 177; Zaunert Westfalen 321 — Benzei 27
Nr. 17; Gredt 142 Nr. 335; Größler 206f. Nr. 246; Hoffmann I 49 Nr. 117; 71
Nr. 177; Kühnau I 202 Nr. 194; Künzig Baden 19f. Nr. 42; Lüers 189; Schönwerth
II 97 Nr. 2; Zaunert Rheinland II 222 — Birlinger I 289!. Nr. 455f.; Größler
193 Nr. 221; Künzig Baden 19f. Nr. 42; Lynker 89 Nr. 142; Meier Schwaben
269 Nr. 300; 277 Nr. 313; Reiser I 325!. Nr. 420; Sommer 23 f. Nr. 18; Stöber I
58 Nr. 78
J 5°
5i
Katalog
377
K Der dankbare und hilfreiche Tote
1 Tote erweisen sich dankbar für geistlichen Beistand
Arme Seelen erweisen sich dankbar für Gebete: sie vertreiben ihrem Wohltäter
Diebe aus den Obstbäumen — wecken einen Bettnässer zur rechten Zeit — läuten
bei seinem Tode die Sterbeglocke
Geist eines eben Verstorbenen leuchtet dem Priester, der ihm die Sterbesakramente
gebracht hat
Toter bewahrt den, der eine Wallfahrt für ihn unternimmt, vor einem Unglück
Birlinger I 282f. Nr. 441; Krainz 408 Nr. 312; Müller Uri III 27 — Müller Uri
II 18; III 26 — Schönwerth I 296 Nr. 4
2 Die Waffenhilfe der Toten
Frommer Ritter (Bursche auf dem abendlichen Weg zu seinem Mädchen) pflegt
auf seinem Weg über den Friedhof ein Gebet für die dort ruhenden Toten zu
sprechen. Als er dort einmal von Gegnern (Rivalen) überfallen wird, kommen die
Toten aus ihren Gräbern und schlagen seine Angreifer in die Flucht
Jungbauer 2x7; Lüers 173!.; Müller Uri III 23ff.; Seifart I 16 Nr. 14; Stöber II
24 Nr. 25; Zingerle 269 Nr. 480
3 Der Tote als Schutzgeist
Tote Frau erscheint, um die Kirche ihres Dorfes vor dem Feind zu schützen
Gredt 291 Nr. 666; Grimm 311 Nr. 328
L Der herausgeforderte oder in seiner Ruhe gestörte Tote
Der angesprochene Tote
1 Der bei Namen genannte oder herbeigerufene Tote erscheint
Toter Ritter erscheint mit Roß und Reisigen, wenn man um Mitternacht an sein
Grab klopft und ihn bei Namen ruft
Läuteknaben fordern auf dem Friedhof ihren jüngst durch Selbstmord geendeten
Kameraden auf, ihnen beim Glockenläuten zu helfen; eine Knabenhand läutet mit
am Strang
Schell 175 Nr. 88 — Meiche i87f. Nr. 254
2 Der (zu zauberischen Zwecken) zurückbeschworene Tote
Angehörige (Ehegatten, Eltern) lassen ihre jüngst verstorbenen Toten zurück-
beschwören. Diese erscheinen mit bösem Gesicht — versuchen, ihren Angehörigen
mit ins Grab zu ziehen
Knecht beschwört seinen toten Gutsherrn zurück. Dieser erscheint neunmal, beim
zehnten Mal stirbt der Knecht
Bartsch II 477f. Nr. 676; Vernaleken Mythen 80f. Nr. 9 — Veckenstedt 350
Nr. 14
3 Die Antwort aus dem Grab
Jemand gedenkt auf dem Weg über den Friedhof der Verstorbenen und sagt:
„Wie ruhet ihr hier so friedlich und sanft!“ Eine Stimme ertönt aus den Gräbern:
„Aber nicht alle!“
Aufgrund einer Wette ruft jemand auf dem Friedhof den Toten zu: „Steht auf und
kommt zu Gericht!“ Er erhält aus den Gräbern die Antwort: „Es ist noch nicht
Zeit“
Ein Knecht fragt seine tote Geliebte im Grab, warum sie gestorben sei
Haas Rügen 3 Nr. 5 — Wucke 438f. Nr. 780 — Meiche 15 f. Nr. 17
4 Der beleidigte Tote
Durch Spott (Fluchen, Necken, Beschimpfen) herausgeforderter Toter erscheint,
verbittet sich die Beleidigung — ohrfeigt (verfolgt, tötet) den Ruhestörer
378
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
Baader 411 Nr. 490; Grannas 33fF. Nr. 14L; Jegerlehner 251L Nr. 18; Jung-
bauer 221; 223; Kühnau I 133 Nr. 146; 519 Nr. 565; 583 Nr. 616; Lüers 174;
Meiche 185 Nr. 252; Meier Schwaben 270 Nr. 302; Schönwerth III 151 Nr. 4
L 5 Der verspottete Tanz der Toten
Um Mitternacht öffnen sich die Gräber eines Friedhofes. Die Toten steigen heraus
und tanzen (nach dem Spiel eines Musikanten, der mit seinem Musikinstrument
begraben wurde). Jemand parodiert (stört) ihren Tanz und wird von den Toten
verfolgt (zerrissen)
Bartsch I 222f. Nr. 286L; Kühnau I 23 Nr. 18; Ranke 64; Zingerle 273 Nr. 490
6 Das verspottete Irrlicht
Die Herausforderung eines Irrlichts („Irrwisch, Irrwisch, Feuerjo, komm und
schmeiß mich blitzeblo!“ etc.) hat schlimme Folgen
allgemein; s. auch Bindewald 158f.; Bouchholtz 313; Gander 50L Nr. 131;
Haupt I 139 Nr. 155; Kühnau I 585 Nr. 618; Künzig Baden 28 Nr. 73; Loh-
meyer 63 Nr. 65; Meier Schwaben 102 Nr. 1x4.3; 268 Nr. 300. 1; Schell 173
Nr. 88; Schönwerth III 150 Nr. 2; Wolf 93 Nr. 138
7 Die spöttische Aufforderung
Spötter fordern auf dem Friedhof einen Toten (Totenschädel) auf, mit ihnen
Karten zu spielen (Schnaps zu trinken, Pfeife zu rauchen, mitzudreschen). Der
Tote erscheint, verjagt die Spötter — stiftet Unheil — die Spötter erkranken
(sterben)
Ein Gehängter wird von einem Vorüberreitenden zum Mitreiten aufgefordert.
Er sitzt hinten auf und reitet mit bis an die Gehöftgrenze
Haas Usedom 98 Nr. 117; Jungbauer 223; WA 7 hs Belege 1890 — 1930 —
Strackerjan I 200 Nr. 171.I; WA 1 hs Beleg 1897
Der Tote als Gast
13 Der zu Gast geladene Tote (AT 470A)
Lebender (Totengräber, Betrunkener) stößt auf dem Friedhof mit dem Fuß an
einen Totenschädel und lädt ihn zu sich zum Essen (Trinken, Tanzen) ein. Der
Tote erscheint und nimmt den Gastgeber mit ins Grab — der Totenkopf muß
zum Friedhof zurückgetragen werden — der Tote lädt den Gastgeber seinerseits
ein (häufig verbunden mit: Aufenthalt in der anderen Welt) — der Spötter stirbt
Jemand sieht einen Gehängten am Galgen hängen und lädt ihn zum Essen ein.
Dieser erscheint, nimmt an der Mahlzeit teil und fordert den Gastgeber auf, zu
ihm zu kommen. Dieser erscheint in Begleitung eines Geistlichen (unter Gebet,
Glockenläuten), der Tote nimmt ihn mit in die Unterwelt (-> Aufenthalt in der
anderen Welt)
Gräber 88f. Nr. 168f.; Meyer Schleswig-Holstein 258!.; Müllenhoff 181 Nr. 269;
Müller Uri II 179 Nr. 752; Reiser I 414 Nr. 500; Schönwerth III 149!. Nr. 1;
Zingerle 277 Nr. 500 — Birlinger 1874 I 218 f. Nr. 219; Haupt I 171 f. Nr. 206;
Kühnau III 310 Nr. 1682; Meiche 222 Nr. 281; Pröhle 54 Nr. 87; WA 13 hs Be-
lege 1890 — 1921
14 Der steinerne Gast (Don Juan) (AT 470A)
Die zum Essen eingeladene Statue eines Toten erscheint. Ausgang vgl. L x 3
Meiche 325 Nr. 671
Die gestörte Ruhe und Weihe des Friedhofes
20 Störung der Friedhofsruhe durch Lärm
Durch Lärmen (Blasen des Nachtwächters, Schießen) herausgeforderte Tote er-
scheinen — bedrohen (zerreißen) den Ruhestörer
Tote, die durch ein lärmendes Fest in der Nähe des Friedhofes gestört werden,
steigen drohend aus ihren Gräbern und stören das Fest
Katalog
379
Gräber x98f. Nr. 262; Heyl 472 Nr. 35; Kühnau I 44f. Nr. 39 — Niederhöffer
I 179fr.
L 21 Der Musikant auf dem Friedhof
Ein vorbeikommender Musikant spielt den Toten auf dem Friedhof (einem gerade
verstorbenen Bekannten) auf. Die Verstorbenen steigen aus den Gräbern — der
Musikant wird am nächsten Morgen tot (bewußtlos) aufgefunden
Krainz 2o8f. Nr. 164; Meiche 164 Nr. 222; Peuckert Schlesien 134; Schell 310
Nr. 4; Zender 276 Nr. 832!.
22 Entweihung des Friedhofes durch Bestattung von Frevlern und Tierkadavern
Die Toten eines Friedhofes wehren sich gegen die Bestattung von Frevlern (Selbst-
mördern, Hoffärtigen, Teufelsbündnern, nicht zur Gemeinde Gehörigen) — der
Sarg des Frevlers findet sich immer wieder außerhalb der Friedhofsmauern
Ein Schoßhund wird auf dem Friedhof begraben, Tote setzen sich dagegen zur
Wehr
Baader i4f. Nr. 19; Krainz 224 Nr. 172; Künzig Schwarzwald 52L — Möllen-
hoff 133 Nr. 185
23 Der durch Verletzung der Grabstätte gestörte Tote
Tote wehren sich gegen das Betreten (Beschmutzen) ihrer Grabstätte — wehren
sich gegen die Beisetzung einer weiteren Leiche in ihrem Grab
Bei Arbeiten in einem Grabgewölbe werden die Särge mutwillig beschädigt; die
Toten geben erst Ruhe, als alles wiederhergestellt ist
Gräber 197L Nr. 261; Gräße I 476; Haupt I 132 Nr. 147; Kühnau I 17 Nr. 7;
19L Nr. iof.; Meiche 128 Nr. 169; 257 Nr. 333; Peuckert Schlesien 133 — Voges
181 Nr. 152
24 Andere mißachtende Handlungen auf dem Friedhof
Tote wehren sich dagegen, daß jemand auf dem Friedhof zwischen den Gräbern
übernachtet
Kühnau I 46 Nr. 42
Der mißachtete Besitz des Toten
30 Das gestohlene Eigentum des Toten
Der Tote wehrt sich gegen den Raub (Entfernung, Beschädigung) des Grabmales —
gegen den Diebstahl des Grabzubehörs (des Sarges, des Grabschmuckes, der
Totenkleidung etc.)
Der Tote rächt Raub und Mißbrauch seines Totenbrettes
Gräße I 473 Nr. 525; Haas Pommern 2 Nr. 2; Haas Usedom 197 Nr. 223; Jahn
416 Nr. 526; Knoop Posen 141 Nr. 6; Kühnau III 426 Nr. 1794; Lüers 175;
Meiche 244 Nr. 312; 258 Nr. 335; 270 Nr. 348; Schambach/Müller 219 Nr. 232.2;
Siebert 18; Wolf 102 Nr. 150 — Jungbauer 221 f.; Schönwerth III 152 Nr. 7
31 Totenhand hält fest
Der Tote hält den Grabschänder (sonstige Störer der Totenruhe) fest; die Hand
muß schließlich abgesägt werden
Auf gebahrter toter Tagelöhner hält die Hand seines Gutsherrn, der das unter
dem Kopfkissen des Toten verborgene Geld stehlen will, fest; die Hand des Toten
muß abgesägt werden
Jahn 412 Nr. 521; Kühnau I 20f. Nr. 12L — Bartsch I 449 f. Nr. 627; Wossidlo/
Schneidewind 43 f. Nr. 56
32 Das geraubte abgelegte Totenhemd (Goethe: Der Totentanz)
Ein Totengräber (Türmer) sieht einen Toten aus dem Grab steigen und sein Hemd
(Leichentuch, Mütze) ablegen. Er holt es sich und flüchtet damit in die Kirche
(auf den Turm). Der zurückkehrende Tote verfolgt ihn, erreicht ihn aber meist
nicht, da die Glocke das Ende der Geisterstunde schlägt. Das Gerippe stürzt auf
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380
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
den Friedhof hinab — kehrt ins Grab zurück — der Dieb muß das Gestohlene
zurückbringen — dem Toten ins Grab folgen — stirbt
Bartsch I 22i f. Nr. 285; 223 Nr. 288; Jahn 411 Nr. 520; Kühnau I 25 fr. Nr. 19
bis 25 ; Meiche 198 Nr. 267; Meyer Schleswig-Holstein 253; Witzschel I 145 Nr. 140
L 33 Das Wahrzeichen vom Friedhof
Jemand holt mutwillig (aufgrund einer Wette) einen Teil der Totenbekleidung
(Hemd, Kappe, Grabkreuz, Rosenkranz) vom Friedhof — entreißt versehentlich
einem Toten das Kleidungsstück. Der Tote fordert es zurück. Nur der Dieb kann das
Geraubte zurückbringen — er stirbt vor Schreck — siecht dahin — der Tote
zerreißt ihn
Baader 142L Nr. 154; Bartsch I 221 f. Nr. 285; 223 Nr. 288; Bindewald 179fF.;
Birlinger I 255 Nr. 404; Eckart III 149; Gander 77L Nr. 198; Gredt 127 Nr. 298;
Größler 153 Nr. 109; Jahn 413 Nr. 533; Knoop Posen 125 Nr. 3; Lohre 21 Nr. 38;
Mackensen 12 Nr. 15; 15!. Nr. 20; Peuckert Schlesien 133!.; Pröhle 184!. Nr. 188;
Seifart II 31 f. Nr. 23; Stöber II 98h Nr. 134; Strackerjan I 270L Nr. 184.ifF.;
Veckenstedt 347fr. Nr. uff.; Wolf 108 Nr. 164; Zaunert Westfalen 330; 340;
Zender 560L Nr. 1802L; Zingerle 276h Nr. 497
Behinderung und Verletzung des Toten
39 Der Schuß auf den Toten
Toter (Irrlicht), auf den geschossen wird, rächt sich; der Schütze stirbt bald darauf
Meiche 84 Nr. 104; Meier Schwaben 270 Nr. 303; Wolf 93 Nr. 137; Zender 149
Nr. 543
40 Sonstige Behinderungen spukender Toter
Ein Mädchen beschmutzt die Kleider auf dem Friedhof umgehender Toter, muß
sie wieder reinigen. Es stirbt bald darauf
Bartsch I 194L Nr. 247
41 Der festgehaltene Feuermann
Ein Mann greift unterwegs aus einem Schwarm „Lüchtenmänner“ (Irrlichter)
einen heraus. Er hält ein Totengebein in der Hand. Nachts kommen Lüchten-
männer und fordern ihren Gefährten zurück. Der Mann hält den Knochen aus
dem Fenster, dieser verwandelt sich wieder in einen Feuermann
Eckart II 82; Henßen Volk 77 Nr. 47; Kuhn/Schwartz ioof. Nr. 1x6; 233
Nt. 260; Lohre 27 Nr. 48; Strackerjan I 225 Nr. 179 k; Zaunert Westfalen 338h;
WA 2 hs Belege 1912 —1930
Leichenschändung und Totenraub
47 Die gestohlenen (für Zauber und volksmedizinische Zwecke mißbrauchten) Leibesteile
Totes Kind erscheint und zeigt an, daß man ihm im Grab Hand und Fuß (Knochen)
nahm
Für zauberische und volksmedizinische Zwecke bestimmte Gebeine (Totenschädel
zur Herstellung von Freikugeln, als Lotterieorakel, Kinderhände und -füße als
Mittel beim Schatzheben etc.) wehren sich gegen das Fortschaffen — kehren
immer wieder — bluten — finden keine Ruhe. Sie müssen gebannt — ins Beinhaus
zurückgebracht werden — ziehen den Frevler nach
Grannas 35!. Nr. 16 — Gräße I 173 Nr. 179; Haupt I 255 Nr. 316; Kühnau III
420 f. Nr. 1791 f.; 429 Nr. 1798; Meiche 15 Nr. 16; Reiser I 413 Nr. 499; Schön-
werth III 152 Nr. 6, 8; Strackerjan I 199 Nr. 171
48 Sonstiger Mißbrauch mit Leichenteilen
Ein Spötter tanzt (spielt Fußball) mit einem Totenschädel — Totenknochen
werden weggeworfen (verkauft, verfüttert, als Futterschale etc. benutzt). Die
Gebeine wehren sich gegen den Mißbrauch — lassen sich nicht fortschaffen, sondern
Katalog 381
L kehren an die alte Stelle zurück — Toter spukt, bis seine Gebeine auf den Friedhof
zurückgebracht sind — der Frevler stirbt
Bartsch I 462 Nr. 646; Benzei 47L Nr. 59; Birlinger 1874 I 217L Nr. 218;
Grannas 39 Nr. 20; Meiche 250L Nr. 321; Müller Uri II 178L Nr. 751; III 310
Nr. 1552; Strackerjan I 199 Nr. 171.i; Voges 327h Nr. 294; Zender 561L Nr. 1804;
Zingerle 275 Nr. 495
49 Der Mann vom Galgen (AT 366)
Hungriger (ein Mann im Auftrag seiner hungrigen Frau) kommt am Galgen vorbei,
schneidet sich Leber (Herz, Geschlinge etc.) eines dort Gehängten heraus. Die ge-
stohlenen Leibesteile werden verzehrt; in der Nacht kommt der Gehängte und
verlangt seine verspeisten Körperteile zurück
Ein Mann stiehlt Holz vom Galgen als Brennholz. Der Gehängte kommt und for-
dert es zurück
Knoop Posen 113 Nr. 34; Kuhn/Schwartz 357 Nr. 15; Kühnau I 601 Nr. 638;
Ranke Schleswig-Holstein I 278ff.; Schulenburg Wend. 122; Watzlik 14L; Zaunert
Hessen 318; WA 1 hs Beleg 1895—WA 1 hs Beleg 1894
50 Das goldene Bein {Mot. E 235.4.1)
Toter (totes Kind) kommt zurück und verlangt sein künstliches goldenes Bein,
das ihm im Grab geraubt — nicht mit ins Grab gegeben wurde
Müllenhoff 483 Nr. 621; Ranke Schleswig-Holstein I 279fr.; Strackerjan I 198
Nr. 171L
51 Das vom Friedhof geholte Skelett (Klapperhannes)
Toter (Gerippe, unverweslicher Leichnam, Schädel) wird (aufgrund einer Wette,
zur Ansicht für Gäste) vom Friedhof geholt. Er läßt sich nur von dem, der ihn ge-
holt hat, zurücktransportieren — er zerfällt in Asche, als er Vergebung erlangt
— der Träger ihm Vergebung erwirkt
Baader 373!. Nr. 428; Bartsch I 366h Nr. 500; Gander 78L Nr. 199; Gräber
i6if. Nr. 206f.; Henßen Jülich 135 Nr. 228; Hoffmann II 72 Nr. 186; Jegerlehner
223 Nr. 146; Knoop Posen 158 Nr. 4; Kühnau I 18 Nr. 8; Lüers 175; Meiche 80
Nr. 98; i8if. Nr. 249; Panzer II 109L Nr. 164; Winkler 95; Voges ii2ff. Nr. 95;
Watzlik 77 f.; Zaunert Hessen 319
M Der gefährliche Tote
Der bösartige Wiedergänger
1 Wiedergänger belästigt Mensch und Vieh
Umgehender Toter erschreckt als Gespenst Vorübergehende (Angehörige,
Freunde) — bläst ihnen das Licht aus — hockt auf — wirft mit Steinen — schlägt
und würgt — wirft sie zu Boden — führt in die Irre — die Begegnung hat Krank-
heits- oder Todesfolge
Der Wiedergänger schadet dem Vieh — melkt Kühe aus — plagt Pferde — tötet Vieh
allgemein; s. auch Bartsch I i79ff. Nr. 222ff.; II 465!. Nr. 656; Bodens 133f-
Nr. 568ff.; 136f. Nr. 581 f.; Haupt I 141 Nr. 159; Kühnau I 193!. Nr. 188; 466fr.
Nr.493; 479 Nr. 508; 597ff. Nr. 632ff.; Meiche 131 f. Nr. 173; 208 Nr. 274;
Meier Schwaben 277 Nr. 312; Meyer Schleswig-Holstein 268; Reiser I 73!. Nr. 61;
Schell 53 Nr. 82; 95 Nr. 27; 162 Nr. 55; Strackerjan I 269fr. Nr. 184; Veckenstedt
327 Nr. x; Witzschel I 120 Nr. 116; 292 Nr. 299; II 129 Nr. 159!. — Bodens 106
Nr. 456; Kühnau I 179fr. Nr. 185; Sommer 48 Nr. 42
2 Der rachsüchtige Wiedergänger
Umgehender Toter rächt sich für erlittenes Unrecht — plagt seinen Mörder —
plagt Angehörige, von denen er schlechte Behandlung erlitten hat
Kühnau I 147f. Nr. 158; Schambach/Müller 222 Nr. 236; Wossidlo/Schneide-
wind 87!. Nr. 154;
UfrAltifrAn rfi
382 Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
M 3 Toter bringt Tod
Wiedergänger tötet Lebende — steigt nachts auf Kirchturm, so weit sein Blick
reicht, sterben die Menschen seines Alters
Kühnau I 23 Nr. 17; 170L Nr. 177ff.; Peuckert Schlesien 152; Pröhle 88ff.
Nr. 123
4 Toter holt Angehörige (Freunde) nach
Toter erscheint dem, den er besonders lieb hatte, und holt ihn nach — dieser stirbt
ihm nach
Kühnau I 83 Nr. 98; Müller Uri III io6f.; Rochholz Sagen I 291; Wolf 173
Nr. 271; Zender 131 Nr. 532
Der gefährliche Tote im Grab
xo Eigentum Lebender im Sarg eines Toten zieht die Lebenden nach
Toter hat Kleidungsstück (Hemd, Leichentuch, Schmuck) eines Angehörigen mit
in den Sarg bekommen. Der Lebende siecht dahin; als der Tote ausgegraben und
das Eigentum des Lebenden aus seinem Sarg entfernt wird, gesundet der Kranke
Der Tote hat aus dem mitgegebenen Tuch (Leichenhemd), das einem Lebenden
gehört, bereits dessen Monogramm herausgefressen
Bartsch II 90L Nr. 286; Kuhn Westfalen I 174 Nr. 183; Meiche 488 Nr. 633 —
Gräße I 473 Nr. 324; WA 4 hs Belege 1890 — 1930
11 Der Nachzehrer (Neuntöter, Unhir, Doppelsauger)
Jemand ist gestorben. Nach seinem Tod kommen in seiner Verwandtschaft (in
seinem Dorf) zahlreiche weitere Todesfälle vor, die dem Toten zur Last gelegt
werden. Man öffnet sein Grab und findet die Leiche lebensfrisch (in sitzender
Stellung) im Grab an — sie gibt schmatzende Geräusche von sich — zehrt an den
eigenen Gliedern (am Leichentuch). Der Tote wird ein zweites Mal getötet (ge-
pfählt, verbrannt, der Kopf wird mit einem Spaten abgestochen, dabei fließt
Blut), das Sterben hört auf
Gräße II 604L Nr. 643; Größler 153!. Nr. 172; Jahn 401 ff. Nr. 511 f.; Knoop
Posen 138f. Nr. 2f. (vgl. Knoop Hinterpommern 84L Nr. 178); Kuhn Mark 30
Nr. 30; Kuhn/Schwartz 120 Nr. 136; Kühnau I i5off. Nr. iÖ2ff.; i6if. Nr. 173;
Lynker 124 Nr. 192
12 Der Vampir (Gier, Gierhals, Begierig, Unbegier, Blutsauger)
Toter steigt nachts aus seinem Grab und saugt seinen Verwandten das Blut aus
(drückt sie), so daß sie nacheinander sterben. Man gräbt den Leichnam aus und
findet ihn unverwest (aufgedunsen, mit frischen Blutflecken an Gesicht und
Händen). Er muß ein zweites Mal getötet werden, s. M 11
Haupt I 67 Nr. 69; Kühnau I 23 Nr. 17; 33 Nr. 24; 148f. Nr. 160; 151L Nr. 164;
i6of. Nr. 171; 172L Nr. 182; 179ff. Nr. 185; 196fr. Nr. 191; Meier Schwaben 266
Nr. 298; Veckenstedt 354L Nr. 5,6
13 Der Tote als Menschenfresser
In einem Dorf verschwinden Menschen. Jemand beobachtet nachts eine Gestalt,
die einen Menschen in die Kirche (Kirchhof) schleppt. Die Gruft vor dem Altar
(Grab) wird aufgegraben, darin sitzt ein Skelett, das an einem blutigen Leichnam
frißt. Als es verbrannt ist, hört der Spuk auf
Peuckert Schlesien 138; WA 1 hs Beleg o. J.
Die Bannung des Wiedergängers
19 Der Bannort
Ein Toter spukt und belästigt seine Mitmenschen. Ein Geisterbanner (Zauberer,
Geistlicher, Kapuziner, Scharfrichter) bannt den Geist in ein Behältnis (Flasche,
Schachtel, Sack, Bleimantel) und schafft ihn (über einen Fluß) an einen abgelegenen
Ort — der Geist wird auf einem Wagen fortgefahren, dessen Kutscher sich nicht
Katalog
383
umsehen darf. Auf diesen Platz (Baum, Dornenhecke, Wald, Gebirge, Gletscher,
Sumpf, Meer, Einöde, verfallenes Haus etc.) bleibt der Geist beschränkt — hier
treibt er weiter sein Unwesen — darf jährlich einen Hahnenschritt näher an sein
Dorf herankommen
allgemein; s. auch Bartsch I 167L Nr. 205; Birlinger I 294 Nr. 463; Bodens xoi
Nr. 439; Bouchholtz 309fr.; Gander 96 Nr. 25if.; Gredt io8ff. Nr. 255fr.; Henßen
Volk 88f. Nr. 61; Hoffmann I 3 Nr. 6; Jahn 424!. Nr. 536L; Kuhn/Schwartz
264h Nr. 296; Kühnau I 440fr. Nr. 465fr.; Künzig Baden 11 Nr. 19; Lüers 181;
Mackensen 34h Nr. 53; Müllenhoff 204L Nr. 305fr.; 440!. Nr. 465; Pröhle 2ioff.
Nr. 219; 146fr. Nr. 159; Reiser I 348f. Nr. 446fr.; Schambach/Müller 231 Nr. 240.
5,6; Schönwerth III iiöff.; Strackerjan I 254!. Nr. 183; Witzschel I 120 Nr. 116;
II 51 Nr. 56; Wolf io3f. Nr. 154, 156; Zaunert Westfalen 323; Zender 133fr.
Nr. 489—491
M 20 Die unlösbare Aufgabe {vgl. AT 1174 u. 1180)
Ein Geisterbanner bannt den spukenden Totengeist und stellt ihm eine unlösbare
Aufgabe: er muß unzählbare Dinge (Sterne, Heide, Sand, Blätter, Tannennadeln,
Baumwurzeln) zählen — einen Baum mit einem hölzernen Beil fällen — Wolle
zupfen — ein Seil aus Sand drehen — Wasser mit einem Sieb schöpfen etc.
allgemein; s. auch Bartsch I x66ff. Nr. 205 ff.; 186 Nr. 232; Gredt 108ff. Nr. 25 5 ff.;
Größler i4f. Nr. 12; Kuhn/Schwartz 272 Nr. 306; Kühnau I 446L Nr. 472;
Meyer Schleswig-Holstein 261; Peuckert Bremen 137fr. Nr. 287; 167 Nr. 349;
Strackerjan I 254!. Nr. 183; Voges 94fr. Nr. 8off.; Zaunert Westfalen 328
21 Komplikationen und Hindernisse der Bannung
Der Geisterbanner sagt ein falsches Wort — der Kutscher des Wagens, der den
Geist fortbringen soll, schaut sich um — der Baum, in den der Geist gebannt ist,
wird gefällt — das Gefäß zerbricht, der Geist entkommt und kehrt zurück — wird
auf seine Bitte von Vorüberkommenden mit zurückgenommen. Er spukt ärger
als zuvor, wird (nach einem Kampf mit dem Banner) erneut gebannt, bekommt jetzt
unlösbare Aufgabe — wird in einem Käfig aufgehängt — in einer Hausecke einge-
mauert — über die Grenze gebracht
vielfach; s. auch Bartsch I 169fr. Nr. 209; 182 Nr. 227; 186 Nr. 232; i95f.
Nr. 248; Kühnau I 449 f. Nr. 478; Meyer Schleswig-Holstein 277; Müllenhoff 276 f.
Nr. 410; Wucke 3iof. Nr. 539; Zaunert Rheinland II 218f.
22 Der zum Bannen ungeeignete Geistliche
Der zu bannende Totengeist wirft dem Geistlichen vor, gleichfalls ein Sünder zu
sein (Ährendiebstahl, Brotdiebstahl, Entwendung von Nadel und Zwirn etc.).
Die Bannung gelingt erst, als der Geistliche sich rechtfertigen kann (das Vergehen
sei unwissentlich — für einen guten Zweck geschehen)
vielfach; s. auch Bodens io2f. Nr. 442L; Gräber 169 Nr. 220; Größler 127h
Nr. 134; Hoffmann I 98 Nr. 245; Jegerlehner 209!. Nr. 1x6; Kühnau I 479h
Nr. 508; Künzig Baden 14 Nr. 27; Meiche 71 Nr. 84; Meyer Schleswig-Holstein
277h; Müllenhoff 276L Nr. 410; 279 Nr. 411; Pröhle 212 Nr. 219; Schambach/
Müller 229fr. Nr. 240; Strackerjan I 259 Nr. 183f. 1.; Voges 100 Nr. 84h; Vonbun
107 Nr. 112
N Die Totengemeinschaft
Totenversammlungen
1 Tanz der Toten an ihrer Buhestätte
Vorübergehender sieht auf dem Friedhof (auf vorgeschichtlicher Grabstätte,
Galgenberg etc.) Tote (weiße Gestalten, Lichter etc.) tanzen — er erkennt Ver-
wandte (Bekannte)
Gräße II 97 Nr. 77; Jegerlehner 200 Nr. 97; 23 8 Nr. 8; Knoop Posen 72!. Nr. 44;
Lohmeyer 300 Nr. 321; Meyer Schleswig-Holstein 252; Zaunert Rheinland II 207
384 Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
N 2 Tote besuchen einander
Auf einer ganz bestimmten Flugbahn besuchen die Toten zweier Friedhöfe ein-
ander. Häuser, die auf diesem Weg liegen, werden von ihnen zerstört
Gräße II 611 f. Nr. 654
3 Der Geistergottesdienst (Mot. E 492)
Ein Lebender betritt in der Meinung, daß Frühkirche abgehalten wird, um Mitter-
nacht eine erleuchtete Kirche, in der ein Gottesdienst stattfindet. Unter lauter
Unbekannten (in altertümlicher Kleidung) erkennt er verstorbene Angehörige
(Nachbarn etc.) Der Pfarrer ist ein längst verstorbener Geistlicher. Eine frühere
Nachbarin rät, die Kirche vor dem Segen (Amen, Vaterunser) zu verlassen. Der
Lebende befolgt den Rat, verliert bei der Flucht ein Kleidungsstück (Mantel,
Tuch, Schürze), das am folgenden Morgen in kleine Stücke zerrissen auf den
Gräbern aufgefunden wird. — Der Teilnehmer am Totengottesdienst stirbt bald
darauf
allgemein; s. auch Baader 186f. Nr. 202; 319!. Nr. 355; 385f. Nr. 446; Bartsch I
363!. Nr. 497f.; Beitl 194 Nr. 333; Eisei 84 Nr. 2i6f.; in Nr. 283!.; Engelien/
Lahn 72 Nr. 42; Gander 97 Nr. 255; Gräber 184L Nr. 245!.; Heyl 359 Nr. 32;
478 Nr. 42; Jahn 414 Nr. 525; Knoop Posen 137 Nr. 15; Krainz 206 Nr. 163;
Kühnau I 210ff. Nr. 1990".; Lüers 174t.; Mackensen 3L Nr. 4; Meiche 121 Nr. 156;
238 Nr. 301; 240 Nr. 305; 255 Nr. 329; Müllenhoff 178 Nr. 265; Müller Uri II191 ff.
Nr. 777; Niederberger II 68; Pröhle 244 Nr. 261; Schambach/Müller 236 Nr. 243;
Schell 11 Nr. 16; Schönwerth I 305 Nr. 12; III 156!. Nr. 15; Stöber I 23 Nr.
31; II 25 Nr. 26; Veckenstedt 351h Nr. 19; Witzschel I 166 Nr. 165; Wucke
325 f. Nr. 359; Zaunert Westfalen 331h; Zender 136 Nr. 499; 252 Nr. 749; Zingerle
269 fr. Nr. 48 2 ff.
4 Die Rats Versammlung der toten Ratsherren
Ein Lebender sieht, wie ehemalige Ratsherren nachts im hellerleuchteten Rathaus-
saal (im Wald) eine geisterhafte Ratsversammlung abhalten. — Er dringt in die
Versammlung ein; zur Strafe erkrankt (stirbt) er
Baader NSagen 100 Nr. 132; Bartsch I 434f. Nr. 608; Eisei 112 Nr. 286;
Müller Uri II i9of. Nr. 774fr.; Ranke 275; Schönwerth III 131 Nr. 6
5 Mitternächtliche Versammlungen (Kapiteltag) toter Geistlicher
Verstorbene Mönche einer Abtei erheben sich um Mitternacht aus ihren Gräbern,
beraten über die Zerstörung und den Wiederaufbau ihres Klosters
Lohmeyer 274 Nr. 286; Meiche 30 Nr. 29
6 Sonstige Geisterversammlungen
An der Stätte ihres Wirkens versammeln sich um Mitternacht die Geister Ab-
geschiedener (Ritter mit ihren Getreuen, Malteserritter in ihrem Schloß, Gesinde
eines Schlosses, Tote einer Kirchgemeinde in ihrer Kirche)
Vorübergehender sieht auf einem Friedhof, wie Gestalten in altertümlicher Tracht
um Mitternacht Markt abhalten
In einem Gasthaus, in dem die Gedächtnismahle für die Toten abgehalten zu werden
pflegen, halten die Verstorbenen ein mitternächtliches Mahl
Gräße II 621 f. Nr. 675; Knoop Posen 156f. Nr. 15; Künzig Schwarzwald 274;
Lohmeyer 70 Nr. 74; 229 Nr. 235 — Kuhn Mark 79 Nr. 78 — Krainz 205 Nr. 162
7 Das Geisterheer (Napoleons Heerschau) (Mot. E 502)
Tote Soldaten steigen nachts auf den Ruf einer Trommel aus den Gräbern —
formieren sich — halten Parade ab
Jegerlehner 244h Nr. 28; Knoop Posen 68 Nr. 12; Peuckert Schlesien 143;
Schambach/Müller 27 Nr. 38
8* Das schlafende Heer
Aufenthalt in der anderen Welt
N 14
15*
i6
17*
Katalog
385
Totenumzüge und -prozessionen
Der Umzug der Toten {Totenprozession, Gratzug) {Mot. E 491)
Tote erscheinen zu bestimmten Zeiten des Jahres (Allerseelen, Rauhnächte,
Quatembernächte) — in prozessionsähnlichem Zug — ziehen vom Friedhof zur
Kirche (um die Kirche). Sie bedrohen den Lebenden, der sich ihnen in den Weg
stellt — im Weg befindliche Hindernisse werden zerstört
Bartsch I 223 Nr. 289; Gräber 185 Nr. 246; i86f. Nr. 249; Henßen Jülich 136
Nr. 229; Heyl 142 Nr. 33; Hoffmann I 3 Nr. 5; II 68 Nr. 178; Jegerlehner 202f.
Nr. iooff.; 271L Nr. 29; Lohmeyer 41 Nr. 29; Reiser I 303 Nr. 385; Stöber I 4L
Nr. 6.; Vernaleken Alpensagen 407!!. Nr. 107 fr.; Zender 136L Nr. 500f.; 253
Nr. 750fr.
Die Toten des kommenden Jahres im Totenzug
—> Das Schicksal manifestiert seine Macht; Zeichen und Vorzeichen
Der gespenstische Leichenzug
Vorübergehende begegnen einem gespenstischen Leichenzug, der durch die
Straßen einer Stadt (um die Kirche, auf Landstraßen, alten Totenwegen) zieht
Der Zug ist nur einem Geisterseher sichtbar; dieser kann ausweichen, seine Be-
gleiter sehen den Zug nicht — kommen zu Fall
allgemein; s. auch Bodens 120L Nr. 518; Eisei 109fr. Nr. 279fr.; Größler 201
Nr. 235; Haupt I 138L Nr. 155; Jungbauer 225; Knoop Hinterpommern 36 Nr. 68;
Kühnau I 371fr. Nr. 364fr.; Künzig Schwarzwald 78; Meiche 246f. Nr. 316;
Meyer Schleswig-Holstein 227; Peuckert Schlesien 150; Reiser I 417 Nr. 504;
Schambach/Müller 218 Nr. 231; Siebert 62; Wucke 6 Nr. 8; 94 Nr. 163; 382
Nr. 669 — Bartsch I 189 Nr. 237; Bügener Heidegold 132; Haas Rügen 4 Nr. 9;
Meyer Schleswig-Holstein 227; Peuckert Bremen 105 Nr. i86f.; 107 Nr. 195;
Voges 149 Nr. 125.3; Zaunert Rheinland II 195.
Gespenstischer Leichenzug als Vorbote eines Unheils
-» Das Schicksal manifestiert seine Macht; Zeichen und Vorzeichen
18 Die Geisterschlacht
Schlachttote steigen um Mitternacht aus den Gräbern — ziehen durch die Luft —
man hört Waffenlärm und Kampfgetöse
Bartsch I 173L Nr. 211; Bouchholtz 152; Gräße II 611 Nr. 653; Greß 149!.;
Größler 253 Nr. 302; Heyl 477 Nr. 42; Hoffmann I 93 Nr. 230; Kuhn Mark 233
Nr. 214; Kühnau I 37fr. Nr. 28ff.; Künzig Baden 20 Nr. 46; Lohmeyer 239!.
Nr. 250; 256 Nr. 265; 350 Nr. 364; Meiche 19f. Nr. 22L; Peuckert Schlesien 143;
Reiser I 300 Nr. 379; Schambach-Müller 27 Nr. 37; Stöber I 25 Nr. 35; Strackerjan
I 204L Nr. 172 h; Voges 298 Nr. 268.5
19* Das Wilde Heer
-> Wilde Jagd
20 Die Überfahrt der Toten {vgl. Mot. F 451.9.5)
Ein Zug (unsichtbarer) Tote fährt über ein Wasser — läßt sich von einem Fährmann
über ein Wasser — auf eine Insel — setzen. Der Fährmann findet seinen Lohn, oft in
Gestalt wertlosen Zeuges, im Boot
Eisei 21 Nr. 35; Grimm 272!. Nr. 276; Haiding 145 Nr. 114; Mackensen 1
Nr. 1; Schönwerth III 112 Nr. 19
O Der vorgebliche oder vermeintliche Tote
1 „Tot ist tot“ {„Wer tot ist, läßt sein Gucken“)
Unerschrockener (Schuster) hält nachts Wache bei einer Leiche. Statt des Toten
hat sich jedoch ein Lebender in den Sarg gelegt, der um Mitternacht den Wachen-
den durch Bewegungen erschrecken will. Der Wächter erschlägt den vorgeblichen
Toten mit seinem Hammer
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386
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
Bodens 165 Nr. 702; Henßen Volk 90L Nr. 64; Müller Uri II 155 Nr. 717'
Peuckert Bremen 140f. Nr. 292; WA 9 hs Belege 1890 — 1959
O 2 Der verhängnisvolle Scherz
Um andere (seine Angehörigen) zu erschrecken, stellt ein Mutwilliger sich tot —
legt sich statt eines Toten in den Sarg und richtet sich dann auf. Er stirbt wirklich —
wird vom wirklichen Toten getötet (verfolgt)
Leute im Wirtshaus spielen vor Langeweile Beerdigung: einer legt sich als Toter
auf den Tisch, die anderen decken ihn zu, singen Totenlieder (Requiem). Als sie
das Tuch Zurückschlagen, ist der Mann wirklich tot
Bouchholtz 297L; Gräber 170 Nr. 221; Jegerlehner 68f. Nr. 86; Müller Uri II
177 Nr. 748; Reiser I 412L Nr. 498; Schulenburg Wend. 62; Wucke 352
Nr. 605; Zingerle 245!. Nr. 428; WA 2 hs Belege 1890 — 19x0 — Stintzi III 121
Nr. 205
3 Das gespielte Gespenst (vgl. AT 1676)
Unerschrockener (Mädchen) geht nachts über einen Friedhof (an einem Spukort
vorbei). Ein Kamerad will ihn als Toter (Gespenst )verkleidet erschrecken und wird
von ihm erschlagen. — Der, der das Gespenst spielte, muß nun als wirkliches
Gespenst umgehen
Bartsch I 177 Nr. 220; Bodens 165fr. Nr. 701, 706fr.; Bügener Grenzland 5of.;
Herrlein-Schober 95L; Jegerlehner 225 Nr. 149; Müller Uri II 153ff. Nr. 716;
Strackerjan I 201 f. Nr. 172 c; Zaunert Westfalen 315
4 Das vermeintliche und das wirkliche Gespenst (vgl. AT 1676 A)
Einer, der andere durch Gespenstspielen erschrecken will, wird selbst durch wirk-
liches Gespenst erschreckt
Heyl 192 Nr. 94; Müller Uri II 156!. Nr. 7186; Zaunert Westfalen 335
5 Der festgenagelte Kleiderzipfel (AT 1676B)
Jemand schlägt als Mutprobe nachts einen Nagel (sein Messer) in ein Grab und
nagelt dabei versehentlich seinen eigenen Kleiderzipfel fest. Er fühlt sich fest-
gehalten und stirbt vor Schreck
Bartsch II 464 Nr. 654; Gander 85 Nr. 217; Heyl 144!. Nr. 37; Künzig Baden 40
Nr. 117; Mackensen 46 Nr. 66; Peuckert Schlesien 133; Zaunert Rheinland II 204;
Zender 563 Nr. 1809
6 Der mutwillige Ruhestörer
Ein Prahlhans geht nachts (aufgrund einer Wette) auf den Friedhof, ruft die Toten
an — versucht einen Knochen zu stehlen. Ein Lebender (Betrunkener) antwortet,
der Ruhestörer erschrickt zu Tode — wird wahnsinnig
WA 2 hs Belege 1909 —1912
7* Der vermeintliche Tod eines Hexenmeisters
-» Menschen mit übernatürlichen Kräften
P Scheintote und Totgeglaubte
1 Rettung eines Scheintoten durch weckendes Geräusch (Erschütterung)
Scheintoter wird beim Begräbnis durch ein Geräusch (eine Erschütterung) wieder
zum Leben erweckt und richtet sich im Sarg auf
Benzei 47 Nr. 58; WA 6 hs Belege 1890 —1924
2 Der verschluckte Knochen (Mot. E 21)
Scheintote, die an einem Knochen (Gräte) erstickt ist, wird auf gebahrt. Jemand
schlägt ihr aus Rache auf die Brust, der Knochen fährt heraus und die Scheintote
erlangt das Bewußtsein zurück
Wossidlo-Schneidewind 96 Nr. 167
Katalog
387
P 3 Die Scheintote und die Grabräuber {Mot. K 426)
Eine scheintot begrabene Frau wird von Grabräubern ausgegraben und ihres
Schmuckes beraubt. Durch Abschneiden des Ringfingers (Betasten des Körpers)
wird sie zum Leben erweckt und kehrt zu ihren Angehörigen zurück
Gräber 199 Nr. 264; Gräße I 251 Nr. 305; Jungbauer 103 f.; Müller Uri I 17
Nr. 13
4 Richmodis von Aducht {Mot. K 426)
Eine scheintote Frau, durch Grabräuber wieder zum Leben erweckt, kehrt in ihr
Haus zurück. Ihr Mann glaubt nicht an ihre Rückkehr: „Eher steigen meine Pferde
die Treppe herauf!“ Da hört man auch schon die Pferde auf der Treppe, die alsbald
oben zur Bodenluke heraussehen. Pferdeköpfe werden als Wahrzeichen des Vorfalls
am Haus angebracht
Bartsch I 224 Nr. 290; Bindewald iyof.; Deecke 277; Gander 87 Nr. 224; Gräße
I 251 Nr. 305; II 69 Nr. 51; Grimm 321 f. Nr. 341; Hülße 4iiff. Nr. 27; Lüers
x71 f.; Müllenhoff 178L Nr. 266; Panzer II 186 Nr. 300; Reiser I 411 Nr. 497;
Schöppner I 217L Nr. 222
5 Die scheintote Geliebte {Mot. T 37)
Eine Ehefrau wird scheintot begraben. Ihr früherer Liebhaber öffnet das Grab,
um die Geliebte noch einmal zu sehen. Durch seine Berührung erwacht sie wieder
zum Leben und wird nun seine Frau
s. Röhrich II 427
6 Die Geburt im Grabe {Mot. T 581.2.1)
Scheintot begrabene Schwangere entbindet im Grab. Ihre Angehörigen hören das
Schreien des Kindes und retten Frau und Kind
s. Röhrich II 425
7 Scheintote {Totgeglaubte) zeigen wieder Leben
Scheintote kehren aus dem Grab zurück — bewegen sich im Sarg — erheben sich
von der Bahre — schauen aus dem Fenster
Deecke 288 Nr. 162; Gräße II 1051 Nr. 1288; Greß 159!.; Schell 37 Nr. 44;
Strackerjan I 208 Nr. 173. i
8 Scheintoter berichtet aus dem Jenseits
Vom Tode Zurückgekehrter lebt noch einige Zeit, berichtet vom Fegefeuer etc. —
weigert sich, aus dem Jenseits zu berichten
Benzei 44 Nr. 52; Bouchholtz 267fr.
9 Das Schreien des Scheintoten im Grab
Scheintot Begrabener schreit (klopft) unter der Erde, wird ausgegraben und ge-
rettet — die Hilfe kommt zu spät
Beitl xi6 Nr. 186; Siebert 67
[)№AWf/Ar\ I \irSS./JU'//iirf'jyx*A«^±n'
unvtjTAvmii r/i
Verzeichnis der in abgekürzter Form zitierten Sammlungen und Handbücher
Andree = Richard Andree, Braunschweiger Volkskunde, 2. Aufl. Braunschweig 1901
Alpenburg = Johann Nepomuk Ritter v. Alpenburg. Mythen und Sagen Tirols. Zürich 1857
AT = The Types of the Folktale. Antti Aarne’s Verzeichnis der Märchentypen (FFC 3)
Translated and Enlarged by Stith Thompson. 2. Aufl. Helsinki 1961 (= FFC 184)
Baader = Bernhard Baader, Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden
Gegenden. Karlsruhe 1851
Baader N Sagen = Bernhard Baader, Neugesammelte Volkssagen aus dem Lande Baden
und den angrenzenden Gegenden. Karlsruhe 1859
Bartsch — Karl Bartsch, Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg, 2 Bde. Wien
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Beitl — Richard Beitl, Im Sagenwald. Neue Sagen aus Vorarlberg. Feldkirch 1953
Beneke = Otto Beneke, Hamburgische Geschichten und Sagen. 5. Aufl. Stuttgart und
Berlin 1903
Benzei = Ulrich Benzei, Volkserzählungen aus dem oberpfälzisch-böhmischen Grenz-
gebiet. Münster 1965
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Frankfurt 1873
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Birlinger 1874 = Anton Birlinger, Aus Schwaben. Sagen, Legenden, Volksaberglauben.
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Verzeichnis der Abkürzungen 389
Grimm — Brüder Grimm, Deutsche Sagen. 2 Bände in einem Band. Vollständige Ausgabe,
nach dem Text der dritten Auflage von 1891, mit der Vorrede der Brüder Grimm zur
ersten Auflage 1816 und 1818 und mit einer Vorbemerkung von Hermann Grimm.
Berlin o. J.
Größler = Hermann Größler, Sagen der Grafschaft Mansfeld und ihrer nächsten Um-
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Größler Nachlese = Hermann Größler, Nachlese von Sagen und Gebräuchen der Graf-
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Grüner = Gustav Grüner, Waldeckische Volkserzählungen. Marburg 1964
Haas Pommern — A. Haas, Pommersche Sagen. 3. Aufl. Leipzig-Gohlis 1921
Haas Rügen = Alfred Haas, Rügensche Sagen. 6. Aufl. Stettin 1922
Haas Usedom = A. Haas, Sagen und Erzählungen von den Inseln Usedom und Wollin.
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Haupt = Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz. 1. und 2. Teil. Leipzig 1862 — 1863
Heilfurth/Greverus = Gerhard Heilfurth unter Mitarbeit von Ina-Maria Greverus, Berg-
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Henßen Jülich = Gottfried Henßen, Sagen, Märchen und Schwänke des Jülicher Landes.
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Herrlein/Schober = Herrlein-Schober, Spessart-Sagen. Aschaffenburg 1946
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26 Volkskunde
4 AVI W'MVI I 11/f «r/j
390
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
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Peuckert Schlesien = Will-Erich Peuckert, Schlesische Sagen. Jena 1924
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Verzeichnis der Abkürzungen
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Sieber Sachsen = Friedrich Sieber, Sächsische Sagen. Jena 1926
Sieber Wend. = Friedrich Sieber, Wendische Sagen. Jena 1925
Siebert = Richard und Hermann Siebert, Anhalter Sagenbuch. Bernburg 1924
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2. Aufl. hg. von Karl Willoh. Oldenburg 1909
Veckenstedt = Edmund Veckenstedt, Wendische Sagen, Märchen und abergläubische
Gebräuche. Graz 1880
Vernaleken Alpen — Theodor Vernaleken, Alpensagen, Volksüberlieferungen aus der
Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich.
Wien 1858
Vernaleken Mythen = Theodor Vernaleken, Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich.
Wien 1859
Voges = Th. Voges, Sagen aus dem Lande Braunschweig. Braunschweig 1895
Vonbun = Fr. Vonbun, Die Sagen Vorarlbergs mit Beiträgen aus Liechtenstein. Auf Grund
der Ausgabe von Hermann Sander (1889) neu bearbeitet und hg. von Richard Beitl.
Feldkirch 1950
WA = Archiv der Wossidlo-Forschungsstelle Rostock
Watzlik = Hans Watzlik, Böhmerwald-Sagen. Budweis (1920)
Winkler = Karl Winkler, Oberpfälzische Sagen, Legenden, Märchen und Schwänke.
Kallmünz o. J.
Witzschel = August Witzschel, Kleine Beiträge zur deutschen Mythologie. Bd. 1: Sagen
aus Thüringen. Wien 1866; Bd. 2: Sagen, Sitten und Gebräuche aus Thüringen. Wien
1878
Wolf = J. W. Wolf, Hessische Sagen. Göttingen 1853
Wossidlo/Henßen = Gottfried Henßen, Mecklenburger erzählen — Märchen, Schwänke
und Schnurren, aus der Sammlung Richard Wossidlos hg. und durch eigene Auf-
zeichnungen vermehrt. Berlin 1957
Wossidlo/Schneidewind = Herr und Knecht — Antifeudale Sagen aus Mecklenburg, aus
der Sammlung Richard Wossidlos hg. von Gisela Schneidewind. Berlin i960
Wucke = Chr. Ludwig Wucke, Sagen der mittleren Werra, der angrenzenden Abhänge
des Thüringer Waldes, der Vorder- und der Hohen Rhön, sowie der fränkischen Saale.
3. Aufl. Eisenach 1921
Zaunert Hessen = Paul Zaunert, Hessen-Nassauische Sagen. Jena 1929
Zaunert Rheinland = Paul Zaunert, Rheinland-Sagen. 2 Bde. Jena 1924
Zaunert Westfalen = Paul Zaunert, Westfälische Sagen. Jena 1927
Zender = Matthias Zender, Sagen und Geschichten aus der Westeifel. Bonn 1966
Zingerle = Ignaz V. Zingerle, Sagen aus Tirol. 2. Aufl. Innsbruck 1891
26*
Stichwortregister
Abendmahl G 3, G 4
Abschied nehmen F 1
Abtei N 5
Abwehr des Todes A 22
Ahnfrau F 1, F 3*
Ährendiebstahl M 22
Allerseelen Fi,G39, N14
Almosen G 30, H 15, J 9,
J26
Altargruft M 13
Amtmann C 16
Angehörige C 12, F 1, F 9,
F 20, H 47, L 2, Mi,
M 2, M 4, M 10, N 3,
P6
Anschuldigung D 10
Antwort aus dem Grab L 3
—, erlösende J 2, J 6
Arbeit und Beruf F 49
Ärmel, fehlender G 22
Arme Seelen G 39, H 4,^7,
H 63, J 58, K 1
Asche, Zerfall in L 51
Aufbahrung C 3, C 6, C 17,
D 2, F 39, L 31, P 2
Aufenthalt in der anderen
Welt A 24*, F 31*^32*,
L 13, N 8*
Aufgabe, unlösbare M 20,
M 21
Aufhocker J 36, M 1
Bahrrecht D 2
Bannort M 19, M 20, M 21
—wort M 21
Bannung A 23, J 50, L47,
M 19, M 20, M 21, M 22
Barbier J 34
Bauer F 48, H 26, H 46,
H49
Bäuerin H 46, J 8
Baum M 19, M 21
—, auf wachsender J 51
Baum über dem Grab D 4
Bauopfer E 1
Beamter C 33
Bedrohung durch Tote L 20,
N 14
Beerdigung spielen O 2
—, wiederholte C 3 5
Begierig, der M 12
Begleitung durch Tod(Tödin)
A 12
Begräbnis C 3, C 28*, C 29*,
C 30*, C 32, C 33, C 34,
F 1, P 1
—platz G 14
—ritual G 8
—sitten C 23, C 24, G 8
Beichte G 3
Bein aus dem Grab H 17
—, goldenes L 50
Beinhaus L 47
Beischlaf F 22
Beischläferin H 60
Bekreuzigung A 17
Belästigung durch Tote G38,
M 1, M 2, M 19
Belohnung durch den Tod
A 21
Bergmann C 43
Bericht aus dem Jenseits P 8
Beruf F 49
Berufs vergehen H 25
Beschimpfung L 4
Beschwörung L 2
Betrüger H 14, H 57, J 9
Betrunkener L 13, O 6
Bettler A 21
Bettnässer K 1
Bindung an Arbeit und Beruf
F49
— an Haus und Hof F 48
Blumen von Gräbern pflük-
ken H 46
Blutsauger M 12
Botschaft aus dem Jenseits
F 29
Brandstifter H 38
Braut C 43, E 12, F 20, F 29,
F 39
---kleid E 12
—paar C 43, E 14, F 21
Bräutigam E 12, F 20, F 39
Brosamen H 46
Brot, verweigertes H 5
—diebstahl M 22
—laib, glühender H 15
Bruder F 20
Bürgermeister H 58
Buße J 50, J 52
Choral, zu Ende gesungener
J 5
Dämonische Wesen A 20*
Dank, erlösender J 7
Dankesformel J 2, J 7, J 8,
J 59
Dieb H 4, J 15, K 1, L 32,
L 33
Diebstahl L 49
Dienstherr H 57, M 22
Dolch, blutiger H 15
Don Juan L 14
Doppelgänger C 14, M 11
Dorf K3
—fremde L 22
—gemeinschaft H 49
Dornenhecke H 56, M 19
Edelmann H 58
Ehefrau P 5
—mann P 4
—paar F 20, F 21, J 9, L 2
—partner F 38
—versprechen E 12
eheliche Gemeinschaft F 22
Stichwortregister 393
Eid H 48
Eifersucht F 21
eingemauert M 21
Einladung L 7, L 13
— zur Hochzeit F 32*
Einöde als Bannort M 19
Eis und Schnee H 62
eiserne Elle H 15
Eltern E 13, F 1, F 38, H 18,
L 2
Entbindung im Grabe E 15,
P6
Enthaupteter D 16
— läuft weiter D 17
Enthauptung D 17
Entweihung L 22, L 23,
L 30
Erbbegräbnis G 14
Erblasser J 15
Erbstreit F 1 o
Erde, geweihte G 6, G 7
—, ungeweihte G 6
— in den Schuhen H 49
Erlöser in der Wiege J 51
Ermordeter D x, D 2, D 3,
D 4, D 5, D 7, D 8, D 9,
G 6
Erschießen J 44
Ertrunkener G 6
Erweckung zum Leben P 1,
P 2, P 3, P4, P 5, P 7,
P 8
Ewiger Jäger H 27*
— Jude H 30*
Ewiges Licht J 26
Ewigkeit, verdammt in alle
J 52
Fährmann A 15, N 20
Familie F 1
Fastenübung J 26
Fastrada F 22
Fegefeuer H 57, H 63, J 58,
P 8
Feiertagsentheiliger H 26
Feldmesser H 50
Femerichter H 25
Fest L 20
Feuermann J 7, L 41
feurige Gestalt H 57, H 58
Fischer H 26
Flachs spinnen J 52
Flammen H 57, H 61
Flasche als Banngefäß M 19,
M 21
Fliegender Holländer H 29*
Flöte D 4
Fluchen J 5 9, L 4
Flucht vor Toten N 3
formelhafte Rede H 63, J 1,
J2, J 3» J4, J6, L 3,
O 1, P4
Förster F 49
Frage, erlösende J 59
Freikugeln L 47
Freund, Freunde F 29^31*,
M 1, M 4
Frevel H 32, H 38, H 57,
H 58, H 59, J 6, J 17,
J 44
---bein J 9
---hand H 17, H 18
—tänzer H 24
—tat, wiederholte H 24
Frevler C 28*, C 29*, C 30*,
C42*, H4, H6, H57,
H 58, H 59, J 6, J 9, J 17,
J 43» L 22, L 47» L 48
Friedhof C 23, C 24, F 39,
F 49, J 36, K 2, L 1, L 3,
L 5, L 7, L 13, L 20, L 21,
L 22, L 24, L 32, L 33,
L 40, L 48, L 51, M 13,
N 1, N 2, N 6, N 14,
O3, 0 6
Friedhofsmauer L 22
Frohlocken J 58
Fürbitte J 25
Galgen E 5, L 13, L 49
—berg N 1
Gasthaus N 6
Gebet G 8, J 25, J 59, K 1,
K 2, L 13
Gebirge M 19
Geburt F 13
— im Grabe P 6
Gedächtnismahl N 6
Gedärme, Geschlinge L 49
Gefallene(r) E 3, E 4, F 39,
G 15, N 18
Gehängter E 5, L 7, L 13,
L49
Geister, singende J 38
Geisterbanner M 19, M 20,
M 21
---gottesdienst N 3, N 18
—heer N 7
—kutsche H 38, H 39
—mahl N 6
Geistermarkt N 6
—messe C 6, N 3
—schiff E 2, F 40
—schiacht N 18
—seher N16
—stunde L 32
---zug durch die Luft N18
Geistlicher C 16, C 17, E 14,
E 22, F 49, G 4, G 30,
H 14, H 13, H60, J 18,
K 1, L 13, M 19, M 22,
N 3, N 5
geistlicher Beistand K 1
Geiz, Geiziger A 21, C 16,
H 4, H 3, H 15, H 25,
H46, J15
Geld H 47, J 9, J 15, L 31
— bewachen H 25
---Säcke H 25
— verschluckt J 15
— zählen H 25, J 52
Gelehrter F 49
Geliebte(r) F 40, L 3, P 5
Gelübde G 31, J 19
Gerichtssitzung H 25
—Versammlung F 49
Gerippe G 7, L 32, L51,
M 13
—, Tod als A 1
Gesangbuchvers J 5, J 25
Geschwister F 1
Gesinde N 6
Gespannwunder C 27*
Gespenst E 5, G 20, Mi,
O 3, O 4
— spielen 03,04
Getreide schaufeln H 2 3
Gewichtsbetrug H 3 9
Gewitter C 29*
Gier, der M 12
Gierhals M 12
Gletscher H 62, J 58, M 19
Glocken C 29*
—geläut K 1, L 1, L 13,
L 31 *
---schlag C 15, L 32
glühende Gestalt H 57
Gottesdienst N 3
---frevler H 4
— Gericht F 30
---lohn J 8
Gottloser FI 57
Grab, Gräber D 4, F 39,
H 17, H 46, K 2, L 1, L 3,
L 5, L 20, L 21, L 23,
394
Ingeborg Müller und Lutz Röhrich
L 24, L 32, L 47, M 11,
M 13, N 3, N 5, N 7,
N 18, O 5, P 9
Grabbeigaben G 18
---gewölbe L 23
---mal G 17, L 30
---nachbar G 15
---Öffnung M 10, M 11,
M 12, P 5, P 9
---raub L 30, L 50
---räuber P 3, P 4
---Schänder L 31
---Schändung L 30
•--schmuck L 30
---Stätte L 23, N 1
---Zustand G 16
Grabespflanzen D 1 8 *
Gräte, verschluckte P 2
Gratzug N 14
Grausamkeit H 4, H 17,
H 31
Grenzabpflüger H 5 o
Grenze J 17, M 21
Grenzfrevler H 16, H 25,
H 48, H 49, H 50, H 57,
H 59, J 6, J 17
—stein H 48, H 49, J 6,
J 17
---streit H 48, H 49
---Zeichen H 25
Grußformel J 3, J 4
Gutsherr F 48, G 30, H 49,
H 58, H 61 L, 2, L 31
Hackelberg H27*
Hagestolz E 11
Hahnenschritt J 50, M 19
Hals abschneiden J 34
Hand aus dem Grab H 17,
H 18, L 31
—, läutende L 1
Hände, blutige H 32
—, glühende H 63
---druck, eingebrannter
H63, J35
-----, erlösender J 35
Händler H 39
Handwerker F 49, H 26
Harfe D 4
Hartherzigkeit E 13, H 4,
H 5, H 6, H 24, H 25,
H 32, H 57, H 59, J 8,
J 9, J 44
Hase C 32
Hauch H 6
Haus F 48
— als Bannort M 19
—--als Zuflucht C 6, F 39
fr au F 48
— und Hof F 48
Haut abschinden H 56
— des Toten C 16
Heilsmittel, christliche G 1,
G 2, G 3, G4, G 5, G6,
G 7, G 8
Herberge J 34
Herr H 59
—, grausamer H 17
Herrgotts Wetter C 2
Herz L 49
Hexenmeister C 17, O 7
Hingerichtete(r) D 16, D 17,
D 18, E 5
Hinrichtung E 5, J 43
Hirse messen H 25
Hirte H 31
Hochmut J 3
Hochzeit F 21, F 32, H 24
Hochzeitsgesellschaft E 14
---kammer F 21
---tag E 12
Hölle H61
Höllenfeuer H 61
Hof F 48
Hoffart L 22
Holz vom Galgen L 49
Hostie G 3
Hufbeschlag H 59, H 60
Hund H 4, L 22
— zerrissen C 5
Hungriger L 49
Hüttenmeister H 32
Irreführung M 1
Irrlicht(er) G 1, H 6, J 7,
J 27, L 6, L 39, L 41
Jäger C 32
Jauchzen J 58
Jenseits P 8
Jungfer, alte E 11
Jüngster Tag J 52
Käfig als Bannort M 21
Kalkofen H 57
kalte Pein H 62, J 58
Kampf mit dem Tod A 14
— -getöse N 18
Kanzel H 15
Kapelle J 26
Kapiteltag N 5
Kapuziner M 19
Karfreitagsschänder H 26
Kartenspieler E 23, H 15,
l7
Katze H 4
Kegelspieler E 23
Kerzen J 26
Kind, Kinder A 13, F 11,
F 12, F 14, F 28, G 18, P 6
Kind, totes E 15, F 38, F 41,
F 42, H 15, H 32, J 28,
L 47, L 50
Kinder, tote G 1, G 2*, J 27
— -Totenzug F 41, J 28
—, unversorgte F 13
— -Wechsler A 20*
Kindesmord D 5, D 9
Kindsmörderin H 14, H 15,
H 32, H 38
Kirche C 15, C 16, E 14,
F 48, F 49, G 4, G 30,
H 14, J 18, K 3, L 32,
M 13, N 3, N 6, N 14
Kirchgemeinde N 6
---türm L 32, M 3
Klagelaute H 7, H 63
Klapperhannes L 51
Kleider, blutige H 32
Kleiderzipfel, festgenagelter
°5
Kleidungsstücke M 10
Klopfen P 9
Klopfgeist H 7
Kloster F 48, N 5
Knecht F 48, L 2, L 3
Knochen L 41, L 48
—, blutender D 3, L 47
—, singender D 4
—, verschluckter P 2
Kopf abgehauen D 16
— abgestochen M 11
Kornhändler H 39
---Wucherer H 25
Kreuzeslästerung H 15
Kröte H 4, J 19
Küster F 49
Kuß F 22
Kutsche, feurige H 58
Kutscher M 19, M 21
Ladung ins Tal Josaphat
F 14, F 30
— vor Gottes Gericht F 30
Stichwortregister
395
Land abgepflügt H 25,
H 5°, J 17
— des Todes A 24*
Lärm, ruhestörender L 20
Lasten schleppen H 56
Läuteknaben L 1
lange Schicht C 43
lebendig begraben E 1
Lebenszeit, verkürzte E 1,
E 2, E 3, E 4, E 5
Leber L 49
Leichenmahl C 35
---Schändung L 47
---teile L 47, L 48, L 49
---tuch G 19, L 32, M 10,
M 11
---wache C 12, C 13, C 15,
C 16, C 17, O 1
---zug C 23, C 34, N 16,
N 17*
Leichnam, blutiger M 13
—, lebensfrisch M 11
—, nicht erstarrend C 4
—, unverweslich C 41,
C 42*, L 51
—, unverwest C 43, J 9,
M 12
— zeigt Lebenszeichen C 1,
C 2, C 3, C 4, C 5, C 6,
C 12, F 38
Leinwand messen H 25
Lenore C 6, F 39, F 40
Leuchtegeist K 1
Licht(er) H 6, N 1
— ausblasen M 1
Liebespaar E 13
Liebhaber K 2, P 5
Lotterieorakel L 47
Lüchtemann, -männer G 1,
L 41
Magd J 8
magische Praktiken C 6,
C 16, L 2, L 47
Mahner, Toter als G 31
Männchen, kleines H 61
—, — Tod als A 1
Malteser N 6
Mann im Mond H 28*
Markstein, glühender H 16
Maßbetrug, -betrüger H 25,
H 39, H40*
Meer M 19
Meineid H 48, H 49
Meineidiger H 4, H 17,
H48
Menschen mit übernatürli-
chen Kräften O 7
Meßdiener J 18
Messe G 8, J 18, J 19, J 25
— lesen J 18
Meßlatte, glühende H 16
Milchpanscher H 39
Mitternacht L 1, L 5, N 3,
N 5, N 6, N 18, O 1
Mönch(e) F 48, N 5
Mord D 7, D 9
Mörder D 1, D 2, D 3, D 5,
D 6, D 9, H 14, H 15,
H 24, H 32, M 2
Müller H 39
Musikant L 5, L 21
Musikinstrument D 4, L 5
Mutprobe J 34, J 35, J 36,
J 37, O 3, O 5
Mutter F 41, F 42, H 18
— als Mörderin D 5, D 9,
H 14, H 15, FI 32, H 38
—, tote F 11, F 12
Nachbar N 3
nachholen C 4, M 4, Mio
---sterben F 30, M 4
Nachtwächter F 49, L 20
Nachzehrer M 11, M 13
Nagel in Grab schlagen O 5
Namengebung J 28
Napoleons Heerscharen N 7
Nebelschwaden H 6
Neuntöter M 11
nicht umsehen M 19, M 21
Niesgeist J 4, J 59
Nonnen F 48
Ochsen ziehen den Sarg nicht
C 25
Ohnekopf E 5, F 28, H 3
Ohrfeige J 43, J 44, L4
Opfergabe J 19
Orakel L 47
Ort des Vergehens D 7, D 9,
H 14
Pächter H 61
Pachtquittung H 61
Parade toter Soldaten N 7
Parodie L 5
Pate F 14
—, Tod (Tödin) als A 19
Patenkind A 19, F 14
---Schaft A 19
Peitsche, glühende H 59
Percht A 20*, J 28
Pfählung M 11
Pfaffenkellerin H 60
---köchin H 60
---konkubine H 60
Pferd(e) H 4, P 4
—, glühende H 58
---köpfe P 4
— ziehen den Sarg nicht
C 23, C 24, C 25
Pflug H 16
Plagegeist M 1
Platz im Himmel J 8
Poltergeist H 7
Poltern, Lärmen C 1, C 3
Prahlhans O 6
Prälat H 4
Qualaufgaben E 11, H 31,
H 32
Qualen H 56, H 57, H 63,
J 58
Quatember F 1
---nächte N 14
Rache P 2
Rad, feuriges H 57
Rat, erlösender J 6
Ratsherren, tote N 4
---Versammlung N 4
Rauchgestalt H 6
Rauhnächte F 1, G 39, N 14
Reicher C 16, H 46
Reiter F 39
—, Tod als A 1
Requiem O 2
Reue F 29
Richmodis von Aducht
p4
Richter F 49
Ringfinger P 3
---Wechsel F 21
Ritter F 28, K 2, L 1, N 6
Rivalen K 2
Rosenkranz G 18, J 59
Sack als Banngefäß M 19
Sarg, Särge G 16, G 23,L22,
L 23, M 10
—, zu leichter C 26
—, zu schwerer C 25
Säugling F 12
396
Ingeborg Müller und Lutz Röhricil
Schachtel als Banngefäß
M 19
Scharfrichter M 19
Schatz, Schätze H 47, J 16*
---hebung J 16*, L 47
Scheidengänger H 48
Schicksal A 9*, C 29*,
C 31*, D 18*, F 2*,
F 3*, N 15*, N 17*
Schimmelreiter H 2
schlafender Kaiser E 21 *
schlafendes Heer N 8*
Schlag J 43
Schlagen H 36, Mi
Schloß N 6
Schmied zu Jüterbog A 23
Schnitter, Tod als A 1
Schöpflöffel H 49
Schreck, sterben vor L 3 3
Schreien P 6, P 9
Schriftfälscher H 25
Schuhe, eiserne G 18, G 19,
H60
—, feurige FI 57
Schuldbekenntnis H 38,
H 39, J x
Schuldner J 15
Schuß auf den Toten L 39
Schutzgeist, Toter als K 3
Schwangere G 18, P 6
Schweben zwischen Himmel
und Erde F 30
Schwefelpfuhl H 57
Schwein(e) H 5, H 24
Schweinetrog H 5
Schwester F 20, H 40 *
Schwur H 48, H 49
---hand H 17
Segenswunsch J 2, J 4
Seil drehen M 20
Selbstmörder C 33>H4,H6,
H 14, H 15, H 38, H 57,
L 1, L 22
Senn F 48, J 37
Sessel, feuriger FI 57
Singen J 58
Sisyphus-Arbeit H 31
Sohn C 24
Soldaten, tote N 7
Sonntagsschänder H 26
Spiel, im Tode fortgesetztes
E 23
Spieler, frevelhafte E 23
Spielmann, Tod als A 1
Spinnstubenfrau A 20 *
Spruch H 39, H 48, L 6
Stabwunder D 18*
Staub, zerfallen in J 9
Steine im Sarg C 25
— werfen M 1
Steinerner Gast L 14
Stelldichein E 13
Sterbebett J 15
---glocke K 1
---Sakramente G 3, G 4,
K 1
Sterben, großes A 13
Sterbende(r) A 13, A 14,
G 4
Stiefkinder H 17
---mutter F 11, H 17
Stiftung G 30, J 19, J 26
Stimme aus dem Grab L 3
—, überirdische D 24
Stöhnen und Seufzen H 63
Strafe, erlösende J 43, J 44
Strandvogt F 49
Streit, im Tode fortge-
setzter E 24
Strick um den Hals H 15
Sturm C 29*
Sumpf M 19
Tagelöhner L 31
Tal Josaphat F 14, F 30
Tanz A 17, A 18*, C 13,
H 24, L 48
tanzen, zu Tode F 39
Taufe G 1, J 27
Testament G 30
Teufel A 18*, C 16, H 59
Teufelsbündner C 16, H 59,
L 22
---roß H 59, H 60
Tiere C 17, C 32
Tiergestalt, Tod in A 3
---kadaver L 22
---quäler H 4, H 3 8
Tod (Tödin) personifiziert
A 1, A 2
— als Teilnehmer am Tanz
A 17
Tödin als Geliebte A 20*
Tod durch Schreck 0 5,06
Todbringer, Tod (Tödin) als
A 13, A 15, A 16
Todesbote, Tod (Tödin) als
An*
Tod infolge Begegnung mit
Toten L7, L40, N3^4
tot stellen O 1, O 2
Totenberaubung L 32, L 33
---bräuche G 23
---brett L 30
---duell E 4
---gebein L 41, L 47, L 48
---gericht L 3
---gräber L 13, L 32
---hand hält fest L 31
-----abgesägt L 31
---hemd F 42, G 20, G 21,
G 22, G 23, L 32, L 33
---insei N 20
---kasse C 24
---kleidung G 19, G 21,
L 30, L 33, L 40
---lieder O 2
---mütze G19, L32, L33
---prozession N 4
---raub L 47
---ritt F 39
---schädel L 7, L 13, L 48,
L 51
---Speisung G 39
---Statue L 14
---tanz L 5, L 32, N 1
---umzug N 14
---Versammlung N 1, N 4,
N 5, N 6
---zug N 15 *, N 20
Tote besuchen einander N 2
Toter akustisch wahrnehm-
bar FI 7
— beim Namen genannt L 1
—, beleidigter L 4
—, brennender H 57
—, einladender L 13
—, fordernder C 3, C 6, D 7,
F 12, F 38, F 42, G 8,
G 18, G 19, G 20, G 21,
G 22, J 59, L 33, L 41,
L 49, L 50
—, gestaltloser H 6
—, herbeigerufener F 10,
L 1
—, helfender F 9, F 10, F 11,
F 12, F 13, F 14, J 7,
K 1, K 2
—, krankheitsbringender
M 1, M 10
—, mißbrauchter L 47, L 48
—, nachziehender L 2, L 13,
M 4, M 10
—, nicht ordnungsgemäß
bestatteter G 14, G 15,
Stichwortregister
397
G 16, G 17, G 18, G 19,
G 20, G 21, G 22, G 23
—, ratender F 9
—, sich rächender L 30,
L 39, M 2, O 2
—, sich widersetzender L 23,
L 24, L 47
—, todbringender M 1, M 3,
M 12
—, unbestatteter G 6
—, Unheil stiftender L 7
—, unruhiger C 1
—, unzufriedener F 20
—, verfolgender C 6, C 12
—, vergessener G 40
—, verspotteter L 4, L 5,
L 6, L 7, L 13, L 48
—, zurückbeschworener L 2
—, zurückgewünschter F 3 8
—, zu tief betrauerter F 38,
F 41
Toter als Druckgeist M 12
— als Gast L 13, L 14
— als Menschenfresser
M 13
— als Zeuge D 24
Toter in feuriger Gestalt
H6
— in Standes- und Berufs-
kleidung H 1
— in Tiergestalt H 4
Tötung, fahrlässige E x
—, wiederholte M ix, M 12
Tränen F 41, F 42
Tränenkrüglein F 41
Tragen des Toten J 36
Trauer haus C 35
Trauring G 18
Trauung E 14, D 9
Trinker H 15
Trommelruf N 7
Türmer L 32
Überfahrt der Toten N 20
— des Todes A 15
Überlistung des Todes A 23
Übernachtung im Toten-
zimmer C 5
Überzähliger, Tod (Tödin)
als A 18*
Unbegier, der M 12
unehrerbietiges Verhalten
C 13
Unhir M 1
Unfall E 1
Unrecht F 20, H 2
Unterschlagung J 9
Unterwelt L 13
unzählbare Dinge M 20
Vampir M 12
Vater C 24, D 5
—, toter F 13
Verabredung F 29
Verbrennung Mn, M 13
Verfolgung durch Tod, Tö-
din M 12
— durch Tote C 6, C 12,
F 39, L 4, L 5, L 32, O 2
Vergehen, wiederholtes
H31
Vergehen und Strafe A 10*,
C 28*, C 30*, C 42*,
H 27*, H 28*, H 29*,
H 30*, H 40*
Verleumdung H 32
Versehgang H 15
Versprechen F 28, F 29,
G 31, J 19
Versöhnung J 9
Verwandte Mn, M12, N1
Verzeihung J 9, L 51
Vieh H 31, M 1
Völlerei H 31
Vogt H 25
Volksmedizin L 47
Vorfahren F 1
Waffenhilfe K2
Wagengeleise H 63
Wahnsinn durch Schreck
O 6
Wahrzeichen D 8, D 9
— aus der Hölle H 61
— vom Friedhof L 3 3
Wald J 57, M 19
Wallfahrt J19, J25, Ki
Warner, Tod als A 10*
—, Toter als F 9
Wäscherin H 26
Wasser H 62, J 27, N 20
— schöpfen M 20
Weberin H 39
Wegzehrung G 3
Weihwasser J 27
Weinen D 9, F 42
Weinpanscher H 39
Weiße Frau F 3 *
---, Tödin als A 2
— Gestalt N 1
Werk, christliches J 25, J 26
—, unvollendetes E 22
Werkstatt F 49
Westerkind F 14
Wette L 3, L 33, L 51, O 6
Wiedergutmachung D 10,
H 46, H 50, J 15
Wieder Verheiratung F 21,
G 31
Wiege J 51
Wilde Jagd G 2*, N 19*
Wilderer H 15
Wildes Heer N 19*
Wille, letzter G 30
Windsbraut H 27*
Wirtshaus O 2
Wöchnerin G 5, G 18
—, tote F 12
Wolke H6
Wolle zupfen M 20
Wunde, blutende D 2, D 9
Wunsch, letzter G 29
Wünsche, nicht erfüllte
G 29, G 37
Würgen M 1
Zauberer C 17, C 33, M 19
Zeichen des Vergehens H 15
H 16, H 17, H 18
Zeichen und Vorzeichen
A 9*, C 29*, C 31*,
D 18 *, F 2 *, F 3 *, N 15 *,
N 17*
Zeremonie, kirchliche N 3
zerrissen von Toten C 5,
L 5, L 20, L 33, N 3
Zeuge, Toter als D 24
Zitieren D 6
Züchtigung J 43
Zweikampf E 3
MITTEILUNGEN UND BERICHTE
In memoriam Zoltan Kodäly
1882—1967
In seinem fünfundachtzigsten Lebensjahr, ohne irgendein Vorzeichen des sich nahenden
Endes, ist Zoltan Kodäly, der „Grosse Alte“ des ungarischen Musiklebens, plötzlich ver-
schieden. Mit seinem Tode ist ein in jeder Hinsicht harmonisches Leben und eine große
Epoche der ungarischen Musik und Musikwissenschaft abgeschlossen: die Epoche des
Bewußtwerdens und der Bemühungen um die Erkenntnis unseres innersten Wesens.
Die Harmonie in Kodälys Leben erwuchs aus der Komplexität seiner Persönlichkeit, in
der die Gaben und Absichten des Künstlers, des Gelehrten und des Erziehers in eine unauf-
lösbare Einheit verschmolzen waren. Er war ein Vertreter jener schöpferisch tätigen Men-
schen, die die Bereiche ihrer Erlebniswelt auch mit der Waffe des Verstandes, mit der Wis-
senschaft, erobern wollen. Diesem Gleichgewicht zwischen affekthaft-emotionaler Ebene und
bewußter Tätigkeit des Verstandes schloß sich bei ihm noch ein anderes an: der gesunde
Anspruch, das persönliche Leben eng mit dem Leben der Gemeinschaft zu verflechten. Er
war die Basis für die erzieherisch richtungsweisenden Bemühungen seines ganzen Lebens.
Wem es nicht gleichgültig ist, welche Art von Gemeinschaft ihn umgibt und wie diese
Gemeinschaft seine künstlerischen Bestrebungen aufnimmt, muß folgerichtig zum nächsten
Schritt gelangen: auf die Gemeinschaft einzuwirken, sein Volk mit Hilfe seiner Kunst und
zu seiner Kunst hin zu erheben, die Welt um sich verändern zu wollen.
Besonders aktuell erschien diese Aufgabe im Ungarn der Jahrhundertwende, der Zeit
von Kodälys Auftreten. Die tiefe Kluft zwischen der nationalen ungarischen Überlieferung
und der Hochkultur, zwischen dem engen Kreis der Eingeweihten, die die Hochleistungen
der Kunst genießen konnten, und den bildungslosen Massen, schien damals unüberbrückbar.
Diese Kluft überwinden zu helfen, sie auszufüllen — „sogar mit unseren Leichnamen“,
wie Kodäly gelegentlich sagte — das war sein Ziel und sein großes Unterfangen. „Volks-
schüler von Galänta, barfüßige Gefährten, an euch denkend habe ich dies geschrieben“,
lesen wir im Nachwort zu seinen zweistimmigen Chorübungen für Schüler. „Eure Stimme
schallt mir, durch den Nebel von fünfzig Jahren, entgegen... Wenn man uns damals solche
Dinge (und auch noch einige andere) gelehrt hätte: welch ein anderes Leben hätten wir in
diesem kleinen Land schaffen können! So fällt es denen zu, die jetzt lernen werden, daß es
nicht viel wert ist, nur für sich selbst zu singen, viel schöner ist es, wenn zwei zusammen-
singen. Dann mehrere, hunderte, tausende, bis einmal die große Harmonie ertönt, in der
wir alle einig sein können...“
Diese selbst gestellte Aufgabe hat er — wenn auch nicht mit dem „Leichnam“, das heißt
seine kompositorischen Zielsetzungen völlig aufopfernd — erfüllt: neben seinen Erfolgen
als Komponist wurde er in der ganzen Welt für seine musikpädagogischen Bestrebungen
gefeiert; und er konnte noch erleben, daß viele tausend Kinder in Hunderten von Schulen
mit der von ihm ausgearbeiteten Lehrmethode zu Musikliebhabern, ja Musikern, erzogen
wurden. So ist die ungarische Musikkultur kein abgeschlossener, in eine Wüste gepflanzter
kleiner Garten mehr, sondern eine breite, dem bearbeiteten Boden im ganzen Lande ent-
sprungene Kultur.
Das sichere Fundament von Kodälys kompositorischer und pädagogischer Tätigkeit
aber lieferte seine wissenschaftliche Arbeit. Er gehörte zu jenem Typ des Künstlers, für den
der Gegenstand seines Berufes auch ein Erkenntnisproblem darstellt, für den die Sicherheit
des Wissens erforderlich ist, um den Stoff, mit dem er es zu tun hat, nicht nur instinktiv zu
In memorian Zoltän Kodäly
399
fühlen, sondern auch zu verstehen und alles, selbst die unscheinbarsten Glieder und Details,
mit Vernunft durchdringen zu können. Dieser an Leonardo oder Goethe gemahnende An-
spruch kann aber in unserer Zeit nur durch fachmäßiges Erlernen und ständigen Umgang
mit der Wissenschaft wirklich befriedigt werden. Deshalb verflechten sich Künstler und
Wissenschaftler in Kodälys Person von Anfang an und bis zu seinem Tode ganz unauf-
löslich.
Wenn wir ihn jetzt vor der wissenschaftlichen Öffentlichkeit hauptsächlich für seine
wissenschaftlichen Leistungen würdigen, so müssen wir uns bewußt sein, daß eine solche
Trennung in seinem Fall überaus künstlich ist. Seine dreifachen Interessen ergänzten und
unterstützten einander: die wissenschaftlichen Ergebnisse beeinflußten die beiden anderen
Tätigkeitsgebiete, wie ihm auch aus künstlerischen Inspirationen wissenschaftliche Fragen
und Probleme erwuchsen.
Eben dies geschah bei dem ersten großen Schritt auf seiner wissenschaftlich-künstlerischen
Laufbahn, bei der Entdeckung des Volksliedes. Zunächst haben ihn daran überwiegend
ästhetische Werte gefesselt, doch zur gleichen Zeit kamen wissenschaftliche Fragen und
Erkenntnisse zutage. Diesen entscheidenden Schritt können wir in seiner ganzen Bedeutung
nur dann einschätzen, wenn wir bedenken, zu welchem Zeitpunkt er getan wurde: als die
Musik von Wagner und Richard Strauss die absolute Vorherrschaft innehatte, die europäische
Musik — und die Kunst im allgemeinen — vom Volkslied und von Idealen des Volkstüm-
lichen sehr weit entfernt stand. Damals war die bloße Entdeckung, daß es das Volkslied
gibt, ein entscheidendes Ergebnis. Dies gilt namentlich für Ungarn, wo darüber hinaus ent-
deckt werden mußte, daß es ganz anders ist, als es sich die öffentliche Meinung vorstellte:
denn es handelte sich um eine in ihrer Eigenart und Vielfalt unbekannte bäuerliche Volks-
überlieferung und nicht um die damals florierende romantische Pseudo-Volkstümlichkeit
gewisser Kunstlieder. Erkannt werden mußte auch, daß unsere Volksweisen an sich einen
klassischen Wert darstellen, daß sie die Möglichkeiten eines nationalen Klassizismus in sich
bergen und dabei auch wertvollen Stoff für die erzieherischen Aufgaben der nationalen
Bildung bieten. Es war also notwendig zu erkennen, daß das Erlebnis der Entdeckung nicht
auf das persönliche Leben beschränkt bleiben durfte, wie es bei einigen Sammlern vor Kodäly,
bei Vikar etwa, der Fall war, sondern daß sich dieses Erlebnis zu dem großzügigen Ent-
wurf einer Neugestaltung der ungarischen Nationalkultur umformen und ausweiten mußte.
Der nächste Schritt Kodälys war nicht minder großzügig angelegt: die Sammelarbeit,
deren weiträumige Planung und Durchführung Materialien riesigen Umfangs erbrachten.
Zusammen mit Bartök, der ihm eilends folgte, begann er zu arbeiten, und beide gemeinsam
haben die gesamte ungarische Volksmusik-Überlieferung erschlossen, inklusive der Dia-
lektgebiete, und fast alle vorhandenen Liedtypen erfaßt. Auch die slowakische Sammelarbeit
hat der slowakisch lernende Kodäly zu organisieren begonnen, überließ sie aber dem Ar-
beitsgefährten, als er den großen Elan und die Arbeitslust Bartöks bei der Erforschung der
Musik unserer Nachbarvölker bemerkte.
Bartöks und Kodälys Sammelleistung hätte diejenige anderer hervorragenderer Volks-
liedsammler in Europa nur mengenmäßig übertroffen, sofern nicht der nächste Schritt gefolgt
wäre: die Formulierung und folgerichtige Verwirklichung der für die Melodie-Notierung
und Systematisierung erforderlichen Aufgaben, die überaus kompliziert sind, aber die uner-
läßliche Vorbedingung und Grundlage musikethnologischer Forschung bilden. Um den
Wert dieser Leistung richtig ermessen zu können, müssen wir uns vor Augen halten, wie
vereinzelt und zögernd die internationale Forschung die Schwierigkeiten dieser Erforder-
nisse auf sich genommen hat und noch heute auf sich nimmt.
Diese beiden Probleme, die Notierung, d. h. die Transkription der Tonaufnahmen,
immer exakter zu gestalten und die systematische Ordnung der Weisen wesenstreu auszu-
bauen, blieben für Bartök wie Kodäly Herzensfragen bis an ihr Lebensende, doch über-
schritten beide sogleich diese fundamentalen Aufgaben, um sich mit glänzenden Ergeb-
nissen in die vergleichende musikethnologische Forschung einzuschalten. Wie die künst-
lerische und pädagogische Tätigkeit des einen die des anderen ergänzte — Kodäly hat Chöre
für die großen Massen, Bartök Übungsstücke für Klavier- und Violinspieler komponiert —
so haben beide auch die wissenschaftlichen Aufgaben nach ihren Fähigkeiten unter sich
400
Lajos Vargyas
verteilt. Bartök wurde ein begeisterter Sammler und Erforscher der Musik der Nachbar-
völker Ungarns, und der literatur- und sprachwissenschaftlich geschulte Kodäly widmete
sich der Konfrontierung der ungarischen Volksüberlieferungen mit schriftlichen Doku-
menten der Musikgeschichte und mit der Volksmusik der sprachverwandten Völker. Nach
mehreren bahnbrechenden Einzeluntersuchungen faßte er seine Forschungen in der Studie
Neprajz es zenetörtenet (Volkskunde und Musikgeschichte, 1932) zusammen, die nicht nur an
sich große Bedeutung besitzt, sondern auch unsere musikgeschichtliche Forschung in neue
Bahnen lenken konnte. Die Volksmusik als Quelle und erhellenden Faktor für die Musik-
geschichte heranzuziehen, ist erst seit Kodäly üblich und zu einem methodologischen Prin-
zip geworden. Aber auch den umgekehrten Weg zu beschreiten — die historischen Schichten
unserer Volksmusik auf Grund bzw. unter Mithilfe schriftlicher Denkmäler zu trennen —
war ihm dank seiner komplexen Anschauungsweise möglich. Schließlich konnte er aus der
Musik der sprachverwandten Völker die östliche — vorlandnahmezeitliche — Herkunft
mancher Typen des altungarischen Stils ableiten. All diese Ergebnisse einer etwa 30jährigen
Forschungsarbeit wurden in dem Buch A magyar nepzene (Die ungarische Volksmusik,
1934), von der seit einigen Jahren auch deutsche, englische und russische Ausgaben vor-
liegen, zusammengefaßt.
Das Hauptziel bildete aber für Kodäly stets die Gesamtausgabe der riesigen Sammel-
materialien. Darum bemühte er sich gemeinsam mit Bartök von 1913 an; damals wurde der
Entwurf für die große Volksmusik-Ausgabe dem Unterrichtsministerium, der Kisfaludy-
Gesellschaft (Herausgeber einer Serie von Volksdichtung) und schließlich der Akademie
der Wissenschaften eingereicht. Die Verwirklichung des gemeinsamen Planes hat Bartök,
leider, nicht erleben können. Es ist Kodäly zugefallen, das großartige Unternehmen allein zu
erkämpfen und ins Werk zu setzen. Seine wissenschaftliche Lebensarbeit hatte gleichsam
ihre Vollendung gefunden, als die Reihe des Corpus Musicae Popularis Hungaricae (CMPH)
endlich begonnen und die damit beauftragte Forschungsgruppe, Nepzenekutatö Csoport an
der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, begründet war.
Das Gesicht dieser Arbeits- und Forschungsgemeinschaft, deren Hauptaufgabe es ist,
die einzelnen Bände der Corpus-Reihe zu realisieren, war und ist ganz von Kodälys gelehrter
Persönlichkeit bestimmt. Strenges Festhalten an dem einmal gewählten methodischen Ver-
fahren und einwandfreie Beweisführung als Vorbedingung, Zurückhaltung vor leichtsin-
nigen Schlußfolgerungen, Widerstand gegen verlockende Horizonte, solange sie nicht von
sicheren Fakten genügend unterstützt sind — dies waren die auffallendsten Charakterzüge
seines wissenschaftlichen Denkens, und dies verlangte er von allen, die in seine Fußtapfen
treten wollten. Das Aufblitzen neuer Perspektiven in der Phantasie diente ihm als Wegweiser,
gab Anregung Beweise zu suchen, nicht aber dazu, übereilte oder verfehlte — wenngleich
eine Weile trügerisch schimmernde — Theorien zu erzeugen. Trotzdem war keiner mehr als
er bereit, die Ergebnisse neuer Anschauungen anzuerkennen, wenn sie reichlich von Fakten
gestützt erschienen.
Keiner war mehr dazu bereit, keiner aber mit weniger Worten. Kodälys Wortkargheit
hat allerdings den Wert seiner Anerkennung nicht gemindert, eher gesteigert. Jedes Wort
hat er erwogen, jedem Wort Gewicht verliehen, da er nur das Wichtigste, Wesentliche auszu-
sprechen pflegte. Deshalb zählte es bereits als großes Lob, wenn er gegen eine Arbeit keinen
Einwand hatte. Bezeichnete er sie als „gut“, konnte man sehr zufrieden sein. Gelegentlich
vorkommende Worte der Anerkennung, die über jenes „gut“ hinausgingen oder sogar
begeisterte Zustimmung verrieten, bewahrten wir, wie eine Auszeichnung, lange im
Gedächtnis.
Die gleiche zurückhaltende Kürze und Bündigkeit charakterisierte auch seine eigenen
Arbeiten: kurze Feststellungen, aber diese „Feststellungen“ beruhten auf einer profunden
Materialkenntnis und stellten neue Betrachtungsweisen dar; nie Wiederholungen, nie brei-
tere Darlegung schon einmal veröffentlichter Tatsachen; überall neue Fingerzeige, neue
Verfahren mit neuen Ergebnissen — und immer nur Folgerungen, die in langjähriger inten-
siver Arbeit gewachsen waren. Es konnte zwar geschehen, daß andere ihm mit ersten
Hypothesen über die Art von gewissen Zusammenhängen — die er ebenfalls von Anfang
an gesehen hatte — vorausgingen, nie aber in der endgültigen Beweisführung.
In memoriam Zoltän Kodäly
401
Die Zurückhaltung vor dem nicht Abgeklärten hinderte ihn aber durchaus nicht, neue
Resultate aufnehmen, neue Bestrebungen Jüngerer anerkennen zu können. Nach beinahe
öojähriger, intensiver Beschäftigung mit Fragen der Melodie-Systematisierung, denen er
sich mit besonderer Leidenschaft widmete, hat er schließlich das neue System seines Schülers
Pal Järdänyi für das CMPH angenommen, beiseite legend, was er und Bartök in langen
Jahren ausgearbeitet hatten; darüberhinaus unterstützte er mit Interesse die jungen Experi-
mente, die die Anwendung elektronischer Datenverarbeitungsmaschinen bei der Systemati-
sierung von Volksweisen und bei der Lösung anderer, theoretischer Probleme zum Inhalt
haben.
In der letzten Periode seines Lebens hat sich der Schwerpunkt seiner Aktivität auf Wissen-
schaft und Pädagogik verschoben: der Komponist überließ dem Volksliedforscher mehr
und mehr Raum. Die letzen Jahre — die er wie ein Sondergeschenk vom Schicksal aufgefaßt
hat — widmete er fast ausschließlich der Führung der Akademie-Forschungsgruppe, den
Problemen des CMPH und damit verbundenen Arbeiten, daneben sowohl der Entwicklungs-
richtung musikpädagogischer Bestrebungen wie auch der Pflege der internationalen Bezie-
hungen in beiden Fachgebieten. Diese Jahre, da In- und Ausland der Bedeutung seiner
Bemühungen bewußt zu werden begannen, bedeuteten für ihn die Vollendung seines Lebens.
Mit mehr als achtzig Jahren erst hat er den Ertrag seiner Saat ernten können: Erfolg, An-
erkennung, Ruhm. Bei seinem Tode, vor dem Sarg, der in der Akademie der Wissenschaften
auf gebahrt war, riß der Abschiedszug der Verehrer und Bewunderer, viele Zehntausende,
stundenlang nicht ab; bei der Bestattung am nächsten Tag überfluteten wiederum Zehn-
tausende den ganzen Friedhof; neben seinem Sarg standen als Ehrenwache führende Per-
sönlichkeiten des politischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens, um sie geschart
die Jugend, „seine“ Chöre, Vertreter der Schulen, unter ihnen auch Abgesandte seiner ehe-
maligen Schule von Galänta und Delegationen aus der Tschechoslowakei — ungarische
ebenso wie slowakische, dazu Repräsentanten kultureller Institutionen aus anderen Ländern
— sie alle waren gekommen, den Tribut ihrer Ehrfurcht vor der sterblichen Hülle des ge-
lehrten Künstlers und des gelehrten Erziehers zu entrichten.
Das Alter von vierundachtzig Jahren zu erleben, wird nicht jedem geschenkt. Noch
weniger Menschen haben das Glück, dieses lange Leben bis zum Augenblick des Todes in
körperlicher und seelischer Frische, Arbeitslust und Aktivität erleben zu können. Doch ist
nicht das das Wundervollste in diesem Patriarchendasein. Kodälys Leben wäre nicht so
vollendet, so harmonisch, wie ein Kunstwerk, wenn es nicht mit jener Erfüllung wäre ab-
geschlossen worden, die so selten im Leben von Menschen seiner Art ist: daß er, der am
Beginn des Lebenslaufes die Welt um sich ändern will, am Ende seiner Laufbahn die ver-
änderte Welt um sich herum vorfindet und die neue Generation mit Dankbarkeit und Ver-
ehrung ihm entgegentritt. Besonders selten ist eine solche Harmonie in der Geschichte der
ungarischen Nationwerdung. Diejenigen, die sich um die Herausbildung der ungarischen
Kultur bemühten — Schriftsteller, Staatsmänner, Gelehrte — hatten als gemeinsames,
sozusagen traditionelles Schicksal die abgebrochene Laufbahn, das Nicht-Verstanden-Sein,
den Abschied vom Leben unter Umweltbedingungen, in denen sie fast nichts von ihren
Plänen verwirklicht sahen. Kodäly gebührt der Ruhm, auch im Erfolg bahnbrechend ge-
wesen zu sein. Möge es vielen wirklich Großen vergönnt sein, ihm hierin folgen zu
können!
Lajos Vargyas, Budapest
Karl Magnus Klier -j-
1892—1966
Am 29. September 1966 ist Karl Magnus Klier in Wien verstorben — nicht unvorbereitet,
wie man feststellen mußte; denn in seiner Schreibtischlade lagen Anweisungen für ein
„stilles“ Begräbnis, und der bereits formulierte Text der Todesanzeige brauchte nur der
Druckerei übergeben zu werden. Die österreichische Volksmusikforschung verliert mit
ihm den lange Jahre hindurch wegweisenden, verständnisvoll lenkenden Repräsentanten,
der bis zuletzt als Hauptredakteur des Jahrbuches des Österreichischen Volksliedwerkes
im Innern wie nach Außen hin das Gesicht des Faches in Österreich mitformte und prägte.
Doch nicht nur im lokal-österreichischen Rahmen ist der Verlust zu bedauern: die inter-
nationale Volksmusikforschung muß in Zukunft auf einen der besten Kenner des jüngeren
Flugblattdruckes und des geistlichen Volksliedes, auf den gewissenhaften Sammler aller
Daten über Volksmusikinstrumente in den Alpenländern verzichten.
Klier, am 7. Dezember 1892 in Wien geboren, beendete 1911 die Lehrerausbildung und
wirkte bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1944 als Lehrer an Wiener Volks- und Haupt-
schulen. Er kam demnach, wie beinahe alle Vertreter der Volksliedbewegung in Österreich,
von der Pädagogik her und trat zunächst, von den Ideen Josef Pommers gefesselt, als Samm-
ler und Pfleger in Erscheinung. Seit 1913 publizierte er Beiträge zum Thema vor allem in der
Zeitschrift Pommers, Das deutsche Volkslied, später in zahlreichen in- und ausländischen
Fachzeitschriften, aber auch in populären Tages-, Wochen- und Monatsblättern. Sein Name
verbreitete sich in allen Schichten der Bevölkerung, als er während der Jahre 1934 bis 1938
bei Radio Wien (RAVAG) die Sendung „Wir lernen Volkslieder“ gestaltete. Damit leitete
er gleichsam eine Renaissance der Pommerschen Volksliedbewegung ein — und hatte außer-
dem einen bedeutenden Sammelerfolg zu verzeichnen: Aus allen Bundesländern beteiligten
sich unter Anleitung Kliers damals Lehrer und Arbeiter, Akademiker und Bauern an der
Bestandsaufnahme des volksmusikalischen Gutes in Österreich.
Nach 1938 zog sich Klier mehr und mehr zurück, um sich, nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges, im neuerstandenen österreichischen Staat, umso intensiver dem Aufbau des
Österreichischen Volksliedwerkes beim Bundesministerium für Unterricht in Wien zu widmen.
Er baute das Volksliedarchio für Wien und Niederösterreich auf und initiierte die Gründung
des Zentralarchios des Österreichischen Volksliedwerkes in Wien, dessen Leitung er 1955 —
ebenso wie alle anderen Volksmusikaufträge — ehrenamtlich übernahm. Im selben Jahr
verlieh ihm Österreichs Bundespräsident den Titel Professor.
Während des Zweiten Weltkrieges hatte Klier sich vom Pfleger-Sammler zum Forscher
gewandelt. Mit tiefem Mißtrauen stand er damals dem Wirken gewisser „Volksmusik-
forscher“ gegenüber, und er konnte nie vergessen, daß und mit welchen Mitteln das Volks-
lied in den Dienst politischer, großdeutsch-nationaler Propaganda gestellt wurde. Fritz
Jöde hatte er schon 1933 ermahnt: „Herr Jöde, etwas genauer!“;1 doch nun kam Walter
Hensel, alias Julius Janiczek, und mit dessen Volkslied-,,Arbeit“, die eine Ideologie unter-
schob,1 2 die Texte und Melodien von Volksliedern willkürlich manipulierte, konnte Klier
1 Das deutsche Volkslied 35 (1933) 14.
2 W. Hensel: „Man muß wissen (und weiß es auch), daß mir — nach der nationalsozia-
listischen Grundforderung — des Volkes Wohl zeitlebens oberste Richtschnur ist! ... Daß
den musikalischen Rassenfragen kein besonderes Kapitel gewidmet ist, hat den gleichen
Grund: auch hier muß die Tatsache festgehalten werden, daß meine gesamte Lebensarbeit
ja niemals einem anderen Lied gegolten hat als einem solchen, dem auch vom biologisch-
rassischen Standpunkt das Attribut der Reinheit und Echtheit zuerkannt werden muß! In
meiner Volksliedkunde ist also die deutsche Rassenkunde gleichsam ,subsummiert‘“. In:
Auf den Spuren des Volksliedes. Kleine Volksliedkunde (Kassel, Leipzig, Basel 1944)
Vorwort, 3L, in der Neuaufl. des Bändchens, Kassel, Basel 1964, nicht abgedruckt. — Vgl.
dazu Kliers schon 1925 vorgebrachte Bedenken in: Das deutsche Volkslied 27 (1925) 138, u.ö.
Karl Magnus Klier f
403
sich nicht mehr einverstanden erklären. Und er, der zunächst durchaus in der spätromantisch-
bürgerlichen Schöngeisterei Pommerscher Prägung aufgewachsen war, der Peter Roseggers
Wort: „Wer dem Volk sein Lied wieder gibt, das entschwindende, der gibt ihm seine Seele
wieder“, unterschrieben hatte, — er sah nun, wie verheerend sich die Überspitzung dieser
Gedanken auswirken konnte. Klier, der bewußte Österreicher, frei von jedem Anflug
großdeutscher Gedanken, zog sich deshalb von der Volksliedpflege zurück und wandte
sich der Materialaufbereitung und Forschung zu. Seiner Grenzen blieb er sich dabei stets
bewußt, — diese Grenzen waren ohnehin weit gesteckt, da er sich noch während seiner
Lehrer-Tätigkeit an der Wiener Universität inskribiert hatte und die Grundlagen wissen-
schaftlichen Arbeitens beherrschte.
Im Jahr 1951 versandte Klier an seine Freunde und Kollegen ein maschinenschriftlich ver-
vielfältigtes Verzeichnis der Zeitschriften-Aufsätze und selbständigen Druckwerke von K. M.
Klier, erschienen von 1913 bis Ende 1950. Darin sind 291 Titel verzeichnet: eine imposante
Zahl, auch dann, wenn jede Besprechung und jede kleine Anzeige unter eigener Nummer
geführt wird. Die Zahl mag sich seither verdoppelt haben.
Als erstes Hauptforschungsgebiet zeichnet sich bei Klier die Beschäftigung mit den Volks-
musikinstrumenten ab. Eine 1923 erschienene Arbeit über Die volkstümliche Querpfeife
(Schwegel, Seitenpfeife) und ihre Spielweise3 steht am Beginn; für dieses Instrument gab er
zusammen mit Raimund Zoder eine Heft Volksweisen für zwei Querflöten und kleine Trommel3 4
sowie 1931 die Neue Anleitung zum Schwegein (Seitenpfeifen)5 6 7 8 heraus; im Rahmen des
musikwissenschaftlichen Beethoven-Kongresses 1927 in Wien handelte Klier über Volks-
tümliche Querpfeifen und die Maultrommel in den österreichischen Alpen.6 Solche und ähnliche
kleine Studien führten 1965 zu dem Standardwerk Volkstümliche Musikinstrumente in den
Alpen.7 — Themen über Flugblattdrucke und geistliche Lieder, die beiden anderen Haupt-
forschungsgebiete Kliers, tauchen seit dem Ende der zwanziger Jahre auf. Erwähnt sei der
Aufsatz Ein Band Prager Flugblatt-Lieder von 1828s sowie die Untersuchungen über Einige
Wiener Drucker von Lied-Flugblättern,9 Innsbrucker Lied-Flugblätter des 17. Jahrhunderts10 11
und Lied-Flugblattdrucke aus dem Burgenland (mit Adalbert Riedl).11 Da Flugblattdrucke im
historischen Westungarn bis in die jüngste Zeit herein wirksam blieben, ergab sich in diesem
Zusammenhang ein landschaftlicher Schwerpunkt im Bereich des heutigen Burgenlandes und
der angrenzenden Gebiete. 1936 bis 1940 erschienen sechs Hefte von Kliers großangelegter
Weihnachts- und Hirtenliedsammlung Thesaurus Austriacus, deren Abschluß (Kärnten-
und Burgenland-Hefte) der Zweite Weltkrieg verhinderte.12 13 Seit 1950 bot sich Gelegenheit,
die burgenländischen Forschungen zu publizieren: Das Neujahrsingen im Burgenland, 1950,
Das Blochziehen. Ein Faschingsbrauch von der Südostgrenze Österreichs, 1953, Weihnachts-
lieder aus dem Burgenland, 1955, Das Totenwacht-Singen im Burgenland, 1956, Lieder,
Reime und Spiele der Kinder im Burgenland (mit Adalbert Riedl), 1957, Drei handschrift-
liche Liederbücher aus dem Burgenland, 1958.13 — Klier gehört damit zu den Bahnbrechern
3 Das deutsche Volkslied 25 (1923) 18 — 37, auch als Sonderdruck erschienen.
4 Wien 1927 — Spielmusik fürs Landvolk, Heft 2.
5 Wien, Verlag Eichendorff-Haus, 1931.
6 Gedruckt im Kongreß-Bericht, 373 — 377-
7 Kassel, Basel, Bärenreiter-Verlag, 1936.
8 Sudetendeutsche Zs. f. Volkskunde 2 (1929) 97 — 108, 172 — 182.
9 Jb. desÖsterr. Volksliedwerkes 2 (1953) 16 — 38, 3 (1954) 12—43.
10 Ebda 4 (1933) 56 — 76.
11 Eisenstadt 1958 (= Wiss. Arbeiten aus dem Burgenland 20).
12 Schatz österreichischer Weihnachtslieder. Stift Klosterneuburg bei Wien, 1936 — 1940.
Niederösterreich (Heft 1), Oberösterreich (Heft 2), Steiermark (Hefte 3 und 4), Salzburg
(Heft 5), Tirol und Vorarlberg (Heft 6). — Zum Burgenlandheft s. unten Anm. 13; das
Kärnten-Heft wird jetzt vom Kärtner Landesmuseum Klagenfurt zum Druck vorbereitet.
13 Der Band: Lieder, Reime und Spiele... erschien als Heft 14 der Wiss. Arbeiten aus dem
Burgenland, Eisenstadt 1957, alle übrigen Hefte in der Reihe Burgenländische Forschungen,
H. xi, 22, 28, 33 und 38, jeweils Eisenstadt.
404
Hermann Strobach
der Erforschung des jüngeren süddeutsch-österreichischen Flugblattdruckes und — weil
das eine zum anderen führen mußte — des geistlichen Volksliedes; er hat als einer der
ersten — gegen die Meinung John Meiers wie Josef Pommers — das geistliche Singen in
seiner vollen Breite und mit allen sich ergebenden Konsequenzen in die Volksmusikfor-
schung einbezogen und den Weg zur Hymnologie hin zwar selbst noch nicht beschritten,
aber doch gewiesen. — Daneben befaßte sich Klier in den letzten Jahren mit bibliogra-
phischen Arbeiten, die u. a. zu der Vorarlberg-Volkslied-Bibliographie (mit Josef
Bitsche)14 und zur Burgenland-Volkskunde-Bibliographie15 führten.
Seit Beginn meiner Tätigkeit auf dem Gebiet der Volksmusikforschung und namentlich
seitdem ich im Freiburger Volksliedarchiv arbeitete, hatte ich immer wieder die Hilfe Kliers
in Anspruch genommen. Er half und beriet, wo und wann es ihm seine Gesundheit erlaubte.
So veröffentlichte ich kaum einen Volksmusik-Beitrag, zu dem Klier nicht vorher irgend-
welche Bemerkungen und Literaturergänzungen beigesteuert hatte. Stets wehrte er jedoch
Dank bescheiden ab, ja, wollte nicht einmal zitiert sein. Als ich ihm 1964 für seine mir fast
väterlich erteilten Ratschläge einen meiner Aufsätze widmen wollte, meinte er nur: dazu
sei in einer „Gedenkschrift“ Zeit und Platz, die anläßlich seines Ablebens vielleicht erschei-
nen könnte... denn: „ich bin nicht der Meinung, den 75. Geburtstag zu erleben“ (Brief vom
19. November 1964). — Karl Magnus Klier starb kurz vor Vollendung seines 74. Lebens-
jahres I
Wolfgang Suppan, Freiburg i. Br.
14 Bibliographie des Volksliedes in Vorarlberg. Montfort 1964, 106 —161.
15 Allgemeine Bibliographie des Burgenlandes. 5. Teil: Volkskunde. Eisenstadt, Selbst-
verlag des Amtes der Burgenländischen Landesregierung, 1965. XXI, 313 S.
Arbeitstagung über Fragen des Typenkatalogs der europäischen
Volksballaden in Freiburg i. Br. vom 28. bis 30. September 1966
Von Hermann Strobach
Die internationale Zusammenarbeit beruhte auf dem Gebiet der volkskundlichen und
philologischen Volksliedforschung — wenn sie überhaupt vorhanden war — eigentlich
nur auf zweiseitigen Kontakten zwischen einzelnen Arbeitsstellen und Forschern. Man muß
das geradezu als einen Widerspruch zur Forschungslage bezeichnen, die gebieterisch um-
fassende internationale Zusammenarbeit und Koordinierung verlangt. Vom stofflichen wie
vom methodischen Gesichtspunkt ist heute eine isoliert national betriebene Forschung über-
haupt nicht mehr möglich. Das gilt nicht nur für den Teil des Liedmaterials — sicher den
kleineren — der international verbreitet war. Besonders der deutlich vorherrschende Zug zu
historisch-vergleichenden Untersuchungen und zur theoretischen Durchdringung des über-
lieferten Bestandes, zu theoretischen und methodologischen Fragestellungen, fordert eine
breite und organisierte internationale Zusammenarbeit und Diskussion. Probleme der Poetik
und der Systematisierung z. B., die in jüngster Zeit immer mehr in den Mittelpunkt des
Interesses rücken, können nur auf einer solchen Basis mit Anspruch auf allgemeinere Gültig-
keit bewältigt werden.1 Und für das international verbreitete Liedgut1 2 ist die übernationale
1 Vgl. den Bericht von D. Stockmann über die Arbeit der Study Group of Folk Music
Systematization beim IFMC in diesem Band, 407—41 x.
2 Für das international verbreitete Arbeiterlied ist eine internationale Zusammenarbeit
mit bestimmten Arbeitsaufgaben schon 1961 geplant worden; vgl. die Berichte über die
internationalen Symposien in Liblice und Velenje DJbfVk 8 (1962) 137 — 140 und 12 (1966)
73-74-
Arbeitstagung über Typenkatalog der europäischen Volksballaden
405
Zusammenarbeit und Koordinierung besonders bei der dringend notwendigen Schaffung
der noch immer fehlenden Grundlagen für die vergleichende Forschung, vor allem Biblio-
graphien und Kataloge, geradezu eine selbstverständliche Voraussetzung.3
Die Arbeitstagung über einen Balladenkatalog im Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg
kann als ein gelungener Auftakt für eine organisierte internationale Zusammenarbeit nicht
nur auf dem Gebiet der Balladenforschung, sondern der Volksliedforschung überhaupt
gewertet werden. Das zeigten die rege internationale Beteiligung und die konkreten sachli-
chen und organisatorischen Ergebnisse. Das Thema der Tagung war für den Start einer
internationalen Zusammenarbeit auch besonders geeignet, weil zahlreiche Balladen inter-
nationale Verbreitung auf weisen, die nationale Erforschung der Balladen in vielen Ländern
schon weit vorangekommen ist, damit aber auch die Grenzen der nur nationalen und die
Notwendigkeit der vergleichenden Forschung besonders deutlich gemacht wurden, und die
Balladenforschung zudem große Bedeutung auch für andere Disziplinen, vor allem die Volks-
erzählforschung und die Literaturwissenschaft besitzt.
Für die Schaffung eines internationalen Typenkatalogs der Volksballade war die Tagung
in Freiburg ein vielversprechender Anfang. Auf der Grundlage eines Referates von Rolf
Wilh. Brednich diskutierten die Teilnehmer Gegenstand, Gliederung und Form eines sol-
chen Kataloges. Man wurde sich einig über den Begriff „Volksballade“, den man ohne zu
enge Begrenzung mit den Gattungsmerkmalen Erzähllied, Konfliktsituation und dra-
matische Pointierung umriß und als volkläufiges (folklorisiertes) Überlieferungsgut von der
Kunstballade und von nicht volkläufig gewordenen Texten (z. B. vielen Flugblattliedern)
absetzte. — Am intensivsten und lebhaftesten war die Diskussion um einen Rahmenplan
für den internationalen Typenkatalog, in den auch die nationalen Kataloge hineingestellt
werden müßten, um die Vergleichbarkeit zu sichern. Schließlich wurde ein von Oldrich
Sirovdtka und Imre Katona ausgearbeiteter Vorschlag mit einigen Ergänzungen angenom-
men, der folgende Hauptgruppen vorsieht:
I. Balladen magisch-mythischen Inhalts
II. Religiöse Balladen
III. Liebeskonflikte
IV. Familie
V. Soziale Konflikte
VI. Historische Balladen
VII. Agonales und heldisches Streben
VIII. Schicksalsschläge und Katastrophen
IX. Unmotivierte menschliche Grausamkeit
X. Schwankballaden.
Mit der Gruppe IV soll die Arbeit begonnen werden. Die Teilnehmer erklärten sich
bereit, ihre nationale Balladenüberlieferung hierzu nach einem Themenplan für diese Gruppe
und nach Richtlinien für die Anlage der Verzeichnisse, die ebenfalls auf der Tagung erar-
beitet wurden, zu katalogisieren und diese Versuche in einer nächsten Zusammenkunft
unter dem Gesichtspunkt des internationalen Katalogs zu überprüfen. Nicht an der Tagung
beteiligte Länder wurden eingeladen, sich an der Arbeit zu beteiligen.
Das große Interesse der Volksliedforscher an einer internationalen Zusammenarbeit
kam auch in der einmütigen Zustimmung zu dem Vorschlag zum Ausdruck, den der Vor-
3 Vgl. O. Sirovätka, Die Erforschung der tschechischen Volksballade. JbVlf io (1965)
161. — Von Seiten der Volksmusikforschung konnte in den letzten Jahren die biblio-
graphische Arbeit bereits mit Erfolg intensiviert werden. Vgl. A Select Bibliography
of European Folk Music. Praha 1966. — Ab 1967 wird eine „Musikethnologische Jahres-
bibliographie Europas“ erscheinen, die vom Slowakischen Nationalmuseum Bratislava in
Zusammenarbeit mit dem Institut für deutsche Volkskunde der DAW Berlin, dem Institut
für Musikwissenschaft der Slowakischen Akademie der Wissenschaften Bratislava und dem
IFMC herausgegeben wird.
27 Volkskunde
406
Vratislav Smelhaus
stand der SIEF auf seiner letzten Sitzung in Prag—Liblice gefaßt hatte und den der General-
sekretär dieser Gesellschaft, Roger Pinon, den Teilnehmern der Freiburger Tagung unter-
breitete: eine Volksliedtextkommission in der SIEF zu gründen für die Durchführung
bestimmter internationaler Forschungsvorhaben auf diesem Gebiet. Der internationale
Typenkatalog der Volksballade kann bereits als ein Unternehmen dieser Kommission weiter-
geführt werden. Es wurde jedoch ausdrücklich betont, daß nicht nur Balladen oder Typen-
kataloge Gegenstand der Arbeit dieser Kommission sein sollten, sondern ebenso auch andere
Gattungen und Problemkreise. Die Textgruppe des IFMC wurde mit Einverständnis von
Barbara Kräder und Zustimmung der Mehrzahl ihrer in Freiburg anwesenden Mitglieder
gleichzeitig aufgelöst. So scheint eine organisatorische Basis gefunden zu sein für die konti-
nuierliche, fruchtbare internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet. Das auf dieser
Tagung bekundete lebhafte Interesse der Volksliedforscher und die sachliche Notwendig-
keit zur engeren Zusammenarbeit geben die Hoffnung, daß die organisatorische Möglichkeit
mit Leben erfüllt werden wird.
Alles in allem: Es war eine arbeitsreiche Tagung mit guten Arbeitsergebnissen. Den Ver-
anstaltern und Gastgebern, insbesondere Rolf Wilh. Brednich, in dessen Händen die Vor-
bereitung und zum großen Teil auch die Leitung der Tagung lagen, gebührt unser Dank.
Erste Internationale Konferenz der landwirtschaftlichen Museen
in Liblice (CSSR)
Von Vratislav Smelhaus
Anläßlich des 75. Jahrestages der Gründung des Tschechoslowakischen Landwirtschafts-
museums fand in der Zeit vom 11. bis 14. Oktober 1966 in Liblice bei Melnik die 1. Inter-
nationale Konferenz der landwirtschaftlichen Museen (Congressus International^ Musaeo-
rum Agriculturae [CIMA]) statt.
Das Ziel dieser Tagung war die Erörterung der Entwicklungsmöglichkeiten landwirt-
schaftlicher Museen, ihres Beitrags zur Lösung der Probleme einer wissenschaftlichen Doku-
mentation zur Geschichte und Entwicklung der Landwirtschaft sowie der Festigung und
Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit. Konkret wurden folgende Themen-
kreise behandelt: zentrale Dokumentation zur Geschichte und Entwicklung der Land-
wirtschaft, retrospektive Bibliographie, ikonographische Archive, methodologische Fragen
bei der Erforschung von Geschichte und Entwicklung der Landwirtschaft, die besondere
Rolle der Agrarmuseen bei diesen Forschungen, historische und ethnographische Atlanten
der Landwirtschaft, Entwicklung der Produktivität in der Landwirtschaft, der Mensch als
Erzeuger, Arbeit und Organisation der landwirtschaftlichen Museen (Komplexität und
Spezialisierung, Expositionen und Publikationen, nationale und internationale Koordination
und Zusammenarbeit).
An der Konferenz nahmen 80 Museologen und Wissenschaftler (vor allem Agrarhistoriker
und Ethnologen) teil, darunter 30 Gäste aus beiden deutschen Staaten, aus Frankreich,
Holland, Jugoslawien, Österreich, Polen, Schweden, aus der UdSSR und Ungarn. Es wurden
65 Referate vorgetragen, und zwar in acht thematischen Arbeitssitzungen, die unter dem
Vorsitz der Herren Prof. Bratanic (Jugoslawien), Generaldirektor Matolcsi (Ungarn),
Prof. Bachtejev (UdSSR), Prof. Slicher van Bath (Holland), Dr. Trathnigg (Österreich),
Prof. Hupfauer (BRD), Prof. Zytkowicz (Polen) und Prof. Franz (BRD) stattfanden. In der
Schlußsitzung, die Prof. Berthold (DDR) leitete, brachte das Tschechoslowakische Land-
wirtschaftsmuseum einen Antrag zur Konstituierung einer internationalen Organisation
der landwirtschaftlichen Museen (einschließlich der Museen für Landtechnik, Lebensmittel-
Study Group of Folk Music Systematization 407
industrie, Forstwirtschaft, Fischerei, Weinbau usw. sowie auch der ethnographischen Samm-
lungen, die sich speziell mit Lebensweise und Kultur der Dorfbevölkerung beschäftigen)
bei der ICOM (International Commission of Museums) ein. Es wurde ein internationales
Initiativkomitee gewählt, das die vorläufigen Statuten und einen Tätigkeitsplan dieser
Organisation ausarbeiten und die zweite internationale Konferenz, die im Frühjahr 1969
voraussichtlich in einem westeuropäischen Lande stattfindet, vorbereiten soll. Das Tsche-
choslowakische Landwirtschaftsmuseum ist bis zu dieser Tagung in allen die neue Organi-
sation betreffenden Fragen federführend.
Das Tschechoslowakische Landwirtschaftsmuseum hat anläßlich der Tagung in Liblice
eine neue internationale Zeitschrift AMA (Acta Musaeorum Agriculturae) herausgegeben,
die zweimal jährlich erscheinen wird und dem internationalen Erfahrungsaustausch, der
gegenseitigen Information sowie der Förderung der internationalen Koordination und
Zusammenarbeit dienen soll. Die Beiträge werden in deutscher, englischer, französischer oder
russischer Sprache veröffentlicht. (Die Referate der Tagung in Liblice sind zum Teil im 1.
Doppelheft von AMA erschienen bzw. werden im Jg. 1967 dieser Zeitschrift veröffentlicht.
Referate mit ausgesprochen agrarhistorischem Inhalt sind zur Veröffentlichung in der
Zeitschrift Vëdecké präce ÖSZM 1967 in tschechischer bzw. polnischer Sprache vorgesehen.)
Die Teilnehmer der Konferenz hatten Gelegenheit, die Ausstellung und die Sammlungen
des Tschechoslowakischen Landwirtschaftsmuseums in Schloß Kacina bei Kutna Flora,
die Forschungsstation des Archäologischen Instituts der Tschechoslowakischen Akademie
der Wissenschaften in Bylany (Ausgrabung einer neolithischen Siedlung), Einrichtungen
des Staatsgutes Litomërice und der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft
Druzba in Suchdol sowie kultur- und kunsthistorische Sehenswürdigkeiten in Kutnä
Hora, Litomërice und auf Schloß Ploskovice zu besuchen.
Aus der Arbeit der Study Group of Folk Music Systematization
beim International Folk Music Council
Von Doris Stockmann
Vom 21. bis 27. November 1966 führte die Study Group of Folk Music Systematization
beim International Folk Music Council (IFMC) in Wien ihre zweite Arbeitstagung durch,
nachdem sie im Vorjahr mit einer Konferenz in Bratislava ihre Tätigkeit aufgenommen hatte.
Die z. Zt. aus Fachvertretern Polens, der CS SR, Ungarns, Jugoslawiens, Österreichs, Schwe-
dens, der Bundesrepublik und der DDR bestehende und von Dr. Karel Vetterl — Brno
(Institut für Ethnographie und Folkloristik der Tschechoslowakischen Akademie der Wis-
senschaften) geleitete Studiengruppe gehört zu einer Reihe aktiver Gremien der IFMC, die
in den letzten Jahren gebildet wurden, um aktuelle, nur auf der Basis konkreter internatio-
naler Zusammenarbeit lösbare wissenschaftliche Aufgaben in Angriff nehmen und bewäl-
tigen zu können.
Eine solche Aufgabe besteht in der Ausarbeitung bzw. Verbesserung und Vereinheit-
lichung der musikethnologischen Dokumentationsmethoden. Wie in allen anderen der
menschlichen Gesellschaft und Kultur gewidmeten Wissenschaften handelt es sich dabei um
Verfahren zur Sammlung, Ordnung und Nutzbarmachung aller Art von Dokumenten, die
— aus der speziellen Sicht und mit der speziellen Sachkenntnis des jeweiligen Fachgebietes
— zur Erhellung gesellschaftlich-historischer Prozesse und zur Erkenntnis ihrer Gesetz-
mäßigkeiten beitragen können. In Volksmusikforschung und Musikethnologie sind es in
erster Linie die musikalischen Objektivationen derartiger Prozesse — die vokale und instru-
27*
408
Doris Stockmann
mentale Volksmusik selbst in ihren vielfältigen, historisch sich wandelnden Erscheinungs-
formen und Ausprägungen, die Lieder und Gesänge verschiedenster Gattung und Funktion,
die Tänze und Instrumentalstücke unterschiedlichster Besetzung und Ausführung —, die der
Sammlung, Ordnung und Nutzbarmachung bedürfen, dazu selbstverständlich alle Fakten,
die mit dem Leben und Funktionieren, dem Werden, Sein und Vergehen dieser Phänomene
Zusammenhängen.
Die im Leben der Völker fast ausschließlich mündlich tradierten, auditiv perzipierten und
gedächtnismäßig bewahrten musikalischen Erscheinungen — ihre primäre Dokumentations-
form sind heute zumeist Magnetophonaufzeichnungen, während die früher (vor Erfindung
der Schallaufnahmeverfahren) übliche notenschriftliche Direktaufzeichnung im Terrain
nur noch eine geringe Rolle spielt (an ihre Stelle ist als kompliziertere und komplexere Form
der schriftlichen Aufzeichnung die Transkription der Tonaufnahmen im Studio getreten,
die mit Unterstützung verschiedener technischer, z. B. elektroakustischer Hilfsmittel durch-
geführt werden kann)1 — bilden den wichtigsten und umfangreichsten Teil des musikethno-
logischen und musikfolkloristischen Untersuchungsmaterials. In den einschlägigen Archiven
und Forschungszentren vieler Länder in der ganzen Welt haben sich riesige Mengen von
Tonaufnahmen und eine große Zahl schriftlicher Aufzeichnungen beider Spielarten ange-
sammelt, von denen bisher nur ein kleiner Bruchteil zugänglich gemacht und ausgewertet
wurde. Diese Materialien für die internationale Forschung zu erschließen und aufzubereiten,
gehört zu den dringendsten Aufgaben unseres Fachgebietes. Sie muß auf breiter Basis in
Angriff genommen werden, wenn man hinsichtlich der oben angedeuteten gesellschafts-
wissenschaftlichen Grundfragen über das Vorfeld allgemeiner Vermutungen und Hypo-
thesen hinauskommen und zu ausreichend gesicherten Ergebnissen gelangen will.
Diese wichtige Aufgabe, die durchaus nicht nur technischer Natur ist, sondern in Kern-
probleme unseres Faches vorstößt (das gilt für die Methoden der Systematisierung und
Klassifikation ebenso wie für die Fragen der Transkription), schrittweise und zunächst für
ein begrenztes Territorium realisieren zu helfen, wurde die Study Group of Folk Music
Systematization ins Leben gerufen; denn Zielsetzungen der genannten Art sind nur im
Rahmen kleiner, fester Arbeitsgruppen, deren Mitglieder untereinander ständigen Kontakt
halten, zu realisieren. Auch hat sich gezeigt, daß selbständige Arbeitskonferenzen, die zu-
sätzlich zu den jährlich oder alle zwei Jahre stattfindenden allgemeinen Kongressen des
IFMC (1964 in Budapest, 1966 in Accra, 1967 in Ostende) abgehalten werden, die wirksamste
Form der Zusammenarbeit darstellen. Auf diese Weise verfahren auch andere Arbeitsgre-
mien des IFMC, z. B. die Study Group on Folk Musical Instruments und das Folk Dance
Committee (Arbeitstagungen 1967 in Brno bzw. in Geltow b. Berlin). Solche Zusammen-
künfte mit begrenzter Teilnehmerzahl und Thematik, die sich bisher als sehr nützliches
Arbeitsinstrument erwiesen haben und als fruchtbare Ergänzung zu den großen Kongressen
anzusehen sind, ermöglichen eine konzentrierte und intensive Diskussion, weil nur solche
Personen partizipieren, deren wissenschaftliche Arbeit unmittelbar mit dem betreffenden
Thema, im vorliegenden Fall mit der Klassifizierung von Melodien, Melodie-Katalogen
u. dgl., zu tun hat.
Zur Zeit sind Wissenschaftler aus den anfangs genannten 8 Ländern Mitglied in der Stu-
diengruppe.1 2 Doch ist für bestimmte Fragen, die in Zukunft behandelt werden sollen, ge-
plant, den Kreis der teilnehmenden Länder zu erweitern (z. B. Einbeziehung von Rumänien,
1 Vgl. dazu meinen Artikel im 12. Bd. (Jg. 1966, 207 — 242) dieses Jahrbuches.
2 J. St§szewski und L. Bielawski (Polnische Akademie der Wissenschaften Warschau),
R. Kvetovä und J. Markl, K. Vetterl und J. Gelnär (Tschechoslowakische Akad. d. Wiss.
Prag und Brno), A. Elschekovä, O. Elschek und F. Poloczek (Slowakische Akad. d. Wiss.
Bratislava), B. Rajeczky, I. Olsvai und J. Szendrej (Ungarische Akad. d. Wiss. Budapest),
J. Besic (Institut za narodnu umjetnost Zagreb) V. Vodusek (Glasbeno-Narodopisni Insti-
tut Ljubljana), W. Deutsch (Akad. f. Musik und Darstellende Kunst Wien), W. Suppan
und J. Lansky (Deutsches Volksliedarchiv Freiburg i. Br.), M. Jersild und B. Hjelmström
(Svensk Visarkiv Stockholm) und D. Stockmann (Deutsche Akad. d. Wiss. Berlin).
Study Group of Folk Music Systematization
409
Bulgarien, Sowjetunion). Da nicht in allen Ländern Europas Wissenschaftler auf diesem
Arbeitsgebiet tätig sind (z. B. vielfach nicht in Westeuropa), muß dies je nach Gegebenheiten
entschieden werden. Auch soll der Kern der Studiengruppe zunächst auf Zentraleuropa
beschränkt bleiben, um erst in den hier anstehenden Fragen einen Überblick zu gewinnen
und die Aufgaben rein arbeitstechnisch (wozu auch Sprachprobleme gehören; bisher ist
die Konferenzsprache deutsch) bewältigen zu können.
Zielsetzung und Aufgabenstellung lassen sich nach Durchführung der ersten beiden Ta-
gungen, denen in Jahresabständen weitere folgen sollen (1967 in Polen: vom 23. bis 28. 10.
in Radziejowice bei Warschau, 1968 in Schweden, 1969 und 1970 in Ungarn bzw. der
DDR), unter folgenden Gesichtspunkten zusammenfassen:
1. Die Brauchbarkeit der verschiedenen nationalen Katalogisierungssysteme (z. B. die Art
und Reihenfolge ihrer Gesichtspunkte) im Hinblick auf ihre Verwendbarkeit im Rahmen
eines internationalen Typenkatalogs zu überprüfen;
2. Methoden einer komplexen Analyse zu erarbeiten und terminologische Fragen zu klären
(inkl. der terminologischen Probleme in den verschiedenen Sprachen).3
3. Über die im Bereich der Melodie-Klassifikation gegebenen Anwendungsmöglichkeiten
von Lochkartenverfahren und Rechenautomaten, mit denen in einigen der beteiligten
Länder bereits gearbeitet wird, Erfahrungen auszutauschen und die unter Punkt 2 ge-
nannten Methoden den Erfordernissen automatischer Analyse anzupassen.
Entsprechend diesem „Programm“ entwickelte sich die Arbeit in der Studiengruppe
schrittweise: Auf der 1. Tagung in Bratislava 1965 wurden die verschiedenen nationalen
Katalogisierungs- und Klassifizierungssysteme dargelegt, an dem jeweiligen einheimischen
Material erläutert und diskutiert; die Referate dieser Konferenz werden, hg. von der Slo-
wakischen Akademie der Wissenschaften durch Oskar Elschek und Doris Stockmann, in
Kürze erscheinen. Die Wiener Tagung hatte die Brauchbarkeit dieser Systeme bei der Ord-
nung fremden Melodienguts zu erweisen. Jedes System war auf ausgewählte Materialien
jedes anderen Teilnehmerlandes anzuwenden — so daß jedes Land bzw. jede Arbeitsgruppe
zwischen den beiden Konferenzterminen 900 Melodien systematisch zu ordnen hatte —,
um die Mängel und Vorteile der in den einzelnen Ländern verwendeten Klassifizierungs-
gesichtspunkte, die Übereinstimmung oder Diskrepanz zwischen den Systemen anhand
konkreter Resultate beurteilen zu können.
Trug die Zusammenkunft in Bratislava noch ganz den Charakter einer normalen Tagung
mit Referaten und eingestreuten Diskussionen, so hatte sich auf der Wiener Konferenz die
Diskussion fast das gesamte Feld erobert. Jede Sitzung war dem Material eines Landes
(bzw. einer Landesregion) gewidmet, eine den polnischen, eine den slowakischen, eine den
ungarischen Melodien usw. Auf diese Weise konnte jeder Teilnehmer Diskussionsbeiträge
zur Sache liefern tmd darüber Auskunft geben, wie sich seine Klassifizierungsmethode an
dem betreffenden Material bewährt hatte, welche Kategorien und Gruppen zustande-
gekommen und welche Variantengruppen dabei zutagegetreten waren. Diese Varianten-
gruppen wurden untereinander besonders aufmerksam verglichen, wobei sich teilweise
Übereinstimmungen, teilweise natürlich auch Abweichungen ergaben, je nach Art der ver-
wendeten Systeme.
Diese Systeme, wie sie z. Zt. in den nationalen Archiven angewandt werden, sind ihrer
Struktur nach recht unterschiedlich. Man kann sie zunächst unterscheiden nach ihrer Kom-
plexität (Größe oder geringe Anzahl ihrer Gesichtspunkte, nur auf den Melodieanfang be-
zogen oder die ganze Melodie betreffend), ferner danach, welche Analysegesichtspunkte sie
in den Vordergrund stellen (mehr melodisch-architektonisch, mehr melodisch-harmonisch
oder mehr metrorhythmisch orientierte Methoden). Mit Incipit-Katalogen verschiedener
Spielart wird z. B. in Prag und Wien sowie Freiburg gearbeitet, mit komplexen Melodie-
3 Terminologische Probleme wurden z. B. in dem Eröffnungsreferat der Wiener Tagung
„Zur Verwendung der Begriffe Gestalt, Struktur, Modell und Typus in der Musikethno-
logie“ von W. Suppan angeschnitten.
410
Doris Stockmann
Analysen vor allem in Bratislava, seit kurzem auch in Berlin; melodisch-architektonisch
ausgerichtet ist besonders die ungarische Methode, metro-rhythmisch bestimmt sind die in
Warschau, Brno und Ljubljana praktizierten Ordnungssysteme.
Wie man voraussehen konnte, erwiesen sich diese Methoden für verschiedene Fragen als
sehr unterschiedlich geeignet. Die mehr komplex ausgerichteten Systeme sind naturgemäß
ergiebiger als die geringstufigen lexikographischen Ordnungen (z. B. Initien-Ordnungen).
Die entscheidende Rolle spielt jedoch die variable Anlage des Systems, die eine flexible
Handhabung erlaubt. Alle spezifisch auf das eigene Melodiengut hin angelegten und minu-
tiös ausgearbeiteten (d. h. bis ins Detail fixierten) Methoden zeigen sich für andersartige Mate-
rialien am wenigsten brauchbar. Beispielsweise scheiterte sowohl das mährische (metro-
rhythmische) als auch das ungarische (melodisch-architektonische) Klassifizierungsprinzip,
so wie sie augenblicklich praktiziert werden, an der wesentlich harmonisch konzipierten
Alpenmusik.
Die Möglichkeiten und Grenzen jedes Systems traten auf Grund dieser praktischen Er-
probungen an andersartigen Melodien schärfer zutage als bei der Arbeit mit nur einhei-
mischem Material. Entsprechend war eine gewisse Tendenz zur Erweiterung, ja Revision
der von den einzelnen Ländergruppen benutzten Klassifikations- und Analyse-Gesichts-
punkte spürbar. Im Laufe der Diskussionen wurde jedoch immer klarer, daß nicht die Er-
arbeitung eines einheitlichen Systems (im alten Sinne) für alle beteiligten Länder das Ziel
der Arbeit sein kann, sondern daß es zunächst um eine einheitliche und möglichst komplexe
Analyse-Basis geht, auf der die jeweiligen Ordnungsprinzipien ihren jeweiligen Materialien
angepaßt fußen können.
Da es sich bei der Analyse und Ordnung von Melodien um äußerst datenintensive (und
daher zeitraubende) Arbeiten handelt, werden für diesen Zweck zunehmend auch Holle-
rith-Verfahren und elektronische Datenverarbeitungsmaschinen eingesetzt (so in Brati-
slava, Budapest und in Berlin).4 Dieser Trend wird sich in Zukunft erheblich verstärken, weil
sich mit Hilfe der Rechenautomaten statistische Gesetzmäßigkeiten großer Materialmengen
— z. B. Verkettungsfolgen und Verbundwahrscheinlichkeiten, die in musikalischen Er-
scheinungen eine ebenso bedeutende Rolle spielen wie in der diesbezüglich schon besser
erforschten Wortsprache — nicht nur schneller, sondern auch mit viel größerer Präzision
ermitteln lassen als mit den alten per-Hand-Ordnungen. Ein weiterer Vorteil der neuen
Verfahren ist, daß bei ihnen das „System“ nicht mehr im Vordergrund steht, d. h. die An-
ordnung und Rangfolge der Gesichtspunkte und Merkmalskomplexe, die bei allen (mehr-
stufigen) Ordnungen alter Art unumgänglich war, aber natürlich die Ergebnisse entschei-
dend — oft auch negativ — beeinflußte; die Reihenfolge der Gesichtspunkte kann jederzeit
beliebig angeordnet, die Zahl und Art der Merkmale beliebig kombiniert werden. Viel
wichtiger als das „System“ ist die oben bereits erwähnte, neu zu durchdenkende und zu ver-
einheitlichende Analyse-Basis (Art und Anzahl der Gesichtspunkte, Merkmals- bzw. Kri-
terienfindung, terminologische und sachliche Abgrenzung etc.).
Entsprechend dieser bereits in die Wege geleiteten Entwicklung wurde in Wien beschlos-
sen, im Laufe der nächsten Konferenzen nach und nach einige der wichtigsten und am
wenigsten klaren Analyse-Bereiche anhand konkreter Beispielsammlungen, die jede
Ländergruppe aus ihrem einheimischen Material beizubringen hat, durchzuarbeiten, so
etwa die Frage der Tonalitätsbestimmung und die Bestimmung der architektonischen Glie-
derung.
4 Bisher sind in den genannten Forschungszentren jeweils ein charakteristischer Melodien-
fundus (meist einheimischer Melodien) direkt gespeichert oder auf Eingabekarten verschlüs-
selt worden und verschiedene, z. T. noch begrenzte, Frageprogramme und Methoden der
Resultatgewinnung erprobt worden, in Berlin z. B. durch Ähnlichkeitenkorrelationen mit
Hilfe der Faktoren-Analyse. Über die von R. Kluge, Musikwissenschaftler und Mathe-
matiker am Rechenzentrum der Humboldt-Universität Berlin, in Verbindung mit dem Insti-
tut für deutsche Volkskunde der DAW durchgeführte Arbeit, über die die Verf. die Teil-
nehmer der Wiener Tagung informierte, wird in diesem Jahrbuch zu einem späteren Zeit-
punkt berichtet werden.
Erforschung der Volksmusik in der Estnischen SSR
411
Für die dritte Zusammenkunft der Studiengruppe, die vom 24. bis 28. Oktober 1967 in
der Nähe von Warschau stattfindet, ist die Behandlung des Terminus Singzeile vorgesehen,
vorwiegend anhand von Analysen vorstrophischer und zweizeiliger Melodien. Das Thema
lautet exakt: Analyse vorstrophischer und zweizeiliger Volksweisen zwecks Begriffs-
bestimmung und Klassifikation. Da auf der Wiener Tagung überwiegend vierzeilige und
den Vierzeilern nahestehende Strophenformen, die ja einen bedeutenden Teil des euro-
päischen Strophenliedes bilden, zur Diskussion standen, schien es nützlich, nunmehr die
kürzeren Strophenformen und auch die locker gereihten vorstrophischen Formen in die
Betrachtung einzubeziehen, ihre Determination und Ordnung zu versuchen. Im Zusam-
menhang mit diesem Arbeitsthema werden auch andere Fragen der Melodiegliederung und
Architektonik zur Sprache kommen, wie sie z. B. bei vielzeiligen Gebilden und variablen
Rahmenformen (etwa bei einem großen Teil der Totenklagen) zu beobachten sind.
Ziel dieser und weiterer Themen ist es, zu einem Überblick über geographische Ver-
breitung und historische Schichtung sowie über prozentuale Anteile am Gesamtbestand des
mitteleuropäischen Liedgutes zu kommen und in Zukunft einen fundierten Überblick
über die Liedformen und Liedarten in ganz Europa zu gewinnen.
Die Erforschung der Volksmusik in der Estnischen SSR
Von Herbert Tampere
Die erste Veröffentlichung einer estnischen Volksweise datiert bereits vom Jahre 1632
(F. Menius), verstärktes wissenschaftliches und ästhetisches Interesse an der estnischen
Volksmusik entstand jedoch erst um die Wende vom 18. zum 19. Jh. und dies, wie in vielen
Ländern Europas, hauptsächlich unter dem Einfluß von J. G. Herder. Einzelne Melodie-
aufzeichnungen sowie Beobachtungen über die Volksmusik sind in Schriften von A. W.
Hupel, Chr. H. J. Schlegel, O. Huhn u. a. enthalten. Breiter angelegte Sammlungen von
Volksweisen durch die Esten selbst, besonders im Interesse einer Entwicklung der estnischen
Tonkunst, konnten erst am Ende des 19. Jhs in Verbindung mit dem erwachenden National-
bewußtsein begonnen werden. Nach dem Vorbild der grandiosen Sammelaktion poetischer
Folklore, die von J. Hurt unter Mithilfe breiter Bevölkerungskreise durchgeführt worden
war, unternahm K. A. Hermann einen ähnlichen Versuch für die Volksmusik. Systematische
Sammlungen, die wissenschaftlichen Anforderungen genügten, konnten jedoch erst in den
Jahren 1904—1916 unter der Leitung von O. Kallas verwirklicht werden. Sein Vorhaben
war unter den zu jener Zeit herrschenden schwierigen Bedingungen und trotz des Fehlens
jeglicher staatlichen Unterstützung in methodischer und ökonomischer Hinsicht gut organi-
siert. Als Sammler waren meist junge Komponisten tätig, in der Mehrzahl Studenten des
Petersburger Konservatoriums. Ihre Berührung mit der lebendigen Folklore bildete eine
unumgängliche Voraussetzung für die Entstehung und das Aufblühen eines nationalen
Musikstils (M. Saar, C. Kreek u. a.). Die von O. Kallas begonnene Sammeltätigkeit wurde
wenig später, in den Jahren 1920—1930, besonders vom Archiv für Estnische Folklore (gegr.
1927) fortgesetzt; dorthin wurden auch fast alle älteren Notenaufzeichnungen und Tonauf-
nahmen überführt. Ein bedeutendes Ereignis waren die in den Jahren 1936 — 1938 durch-
geführten Schallplattenaufnahmen. Vor dem zweiten Weltkrieg umfaßten die Bestände des
Archivs 17495 Notenaufzeichnungen und 2890 Tonaufnahmen auf Phonogrammwalzen
bzw. Schallplatten.
Mit dieser recht erfolgreichen Sammeltätigkeit vermochten Forschung und Publikation
nicht Schritt zu halten. Unter dem zaristischen Regime und während der bürgerlichen
Republik fehlten Möglichkeiten zur Heranbildung und zum Einsatz von Spezialisten. An
Veröffentlichungen wären zu nennen die von dem Finnen A. Launis zusammengestellten
412
Herbert Tampere
Eesti runoviisid (Estnische Runenmelodien, Tartu 1930), H. Tamperes Eesti rahvaviiside
antoloogia, 1 (Anthologie estnischer Volksweisen, 1, Tallinn 1935) und Vana Kännel (3 und
4, Tallinn 1938, Tartu 1941) sowie Valimik eesti ralivatantse (Auswahl estnischer Volks-
tänze, Tartu 1938) von R. Pöldmäe und H. Tampere. Wie die meisten Material-Publi-
kationen befaßten sich die wissenschaftlichen Untersuchungen (A. Launis, J. Zeiger, H.
Tampere u. a.) in der Hauptsache mit den älteren alliterierenden Volksliedern im quanti-
tierenden Versmaß, den sog. Runenliedern (regivärsid). Das neuere Volkslied mit Endreim
und die Instrumentalmusik blieben vorerst im Hintergrund.1 Doch wurde die estnische
Volksmusik in ihrer Gesamtheit vom Standpunkt der vergleichenden Musikwissenschaft
aus für bedeutsam gehalten, da man in ihr — klarer als in anderen europäischen Volksmusik-
kulturen — den Entwicklungsweg der Musik vom ältesten Rezitativ bis zur hochentwickel-
ten modernen Melodie wahrzunehmen vermeinte (R. Lach).
Eine sprunghafte Belebung der estnischen Musikfolkloristik erfolgte nach Errichtung
der Sowjetmacht. Von großer Bedeutung waren dabei die bald nach Beendigung des Krieges
ins Leben gerufenen Kurse für Volksmusik und die Schaffung von Möglichkeiten zur Spezi-
alisierung auf dem Gebiet der Musikfolkloristik am Staatlichen Konservatorium in Tallinn
(Dozent H. Tampere, Lektor H. Otsa) sowie in geringerem Umfang an der Staatlichen Uni-
versität Tartu (Oberlehrer U. Kolk). Gleichzeitig entwickelte sich unter Leitung H. Tam-
peres die Folkloreabteilung des Kreutzwald-Literaturmuseums der Akademie der Wissen-
schaften der ES SR (ehern. Archiv für Estnische Folklore) zum führenden Zentrum der
Volksmusikforschung. Diese Abteilung mit ihren überaus reichhaltigen Beständen ist die
wissenschaftlich-archivalische Basis für die Folkloristik der ES SR, darunter auch für das
Gebiet der Volksmusik; sie stellt gleichzeitig eine hervorragende Forschungsstätte dar,
wenngleich die gegenwärtigen Museumsstatuten noch keine ganz zweckmäßige und um-
fassende Entwicklung der letztgenannten Funktion ermöglichen. Kleinere Volksmusik-
sammlungen sind in den letzten Jahren auch an anderen Institutionen — am Estnischen
Rundfunk, dem Staatlichen Museum für Theater und Musik, dem Republikanischen Musik-
fonds, dem Institut für Sprache und Literatur an der Akademie der Wissenschaften der
ES SR, der Staatlichen Universität Tartu — entstanden. Im Prinzip ist beschlossen worden,
diese Sammlungen handschriftlichen und klingenden Materials für das Zentralarchiv des
Literaturmuseums zu kopieren, eine Aufgabe, die zum Teil schon erfüllt ist. Augenblicklich,
d. h. zu Beginn des Jahres 1967, enthalten alle Sammlungen insgesamt etwa 30000 schrift-
lich aufgezeichnete sowie an die 12000 (meist auf Tonband) aufgenommene Volksmelodien.
Die Transkription der letzteren in Notenschrift ist noch nicht sehr weit fortgeschritten.
Reichhaltige Sammlungen von Volksmusikinstrumenten befinden sich in Tartu im Staat-
lichen Ethnographischen Museum und in Tallinn im Staatlichen Museum für Theater und
Musik.
Die Sammeltätigkeit der letzten Jahre, die zwischen den in Frage kommenden Institutionen
weitgehend koordiniert wurde (gemeinsame Beratungen, zeitweiliges Bestehen einer Kom-
mission für Volksmusik), erfolgte hauptsächlich in Form von Expeditionen. Daneben wurde
Material in gewissem Umfang auch von örtlichen Korrespondenten geliefert. Die für die
Aufzeichnung der Melodien erforderlichen Fachkräfte wurden von den musikalischen
Lehranstalten zur Verfügung gestellt. Die allsommerliche komplexe (alle Folklorearten er-
fassende) Sammelaktion des Kreutzwald-Museums besteht in der Regel aus 10 — 12 Teil-
nehmern und dauert etwa 4 Wochen; jedoch werden im Laufe des Jahres zusätzlich noch
1 Die Entstehung der runischen Gesangstradition, die den ostseefinnischen Völkern
gemeinsam ist, wird mit dem Beginn unserer Zeitrechnung datiert, einzelne ihr zugehörige
Elemente sind jedoch wesentlich älter. Der runische Gesang war zu Beginn des 19. Jhs
während der Ausgangsperiode des Feudalismus, noch durchaus lebendig, wurde aber dann
verhältnismäßig schnell durch den gereimten Liedstil ersetzt. Die Wurzeln des letzteren
reichen ins 18. Jh., vereinzelte Züge in noch ältere Zeit zurück. Das uns überkommene Erbe
estnischer Instrumentalmusik enthält viele altertümliche Züge (charakteristisch sind u. a.
Sackpfeifen- und Rohrpfeifenmelodien, Tierhornstücke u. dgl.); jedoch stammt die Mehrzahl
der Weisen aus der zweiten Hälfte des 19. Jhs (Kännel-, Geigen- und Harmonikastücke).
Erforschung der Volksmusik in der Estnischen SSR
413
mehrere kürzere Sammelfahrten durchgeführt, meist um Tonaufnahmen einzuspielen. Die
Sammelpraktika an der Staatlichen Universität Tartu sowie die Terrainforschungen des
Instituts für Sprache und Literatur sind von kürzerer Dauer. Die Sammelarbeiten sollen vor
allem territoriale und in den Gattungen bestehende Lücken schließen. So haben z. B. unsere
Kenntnisse über die Volksmusik auf Saaremaa durch die neuen Sammlungen ein völlig
anderes Gesicht erhalten; die Musik dieser Insel spiegelt besonders gut den Übergang vom
alten zum neuen Stil wider. Hinsichtlich des älteren Liedgutes hat sich das Bild besonders
bei den Kinderliedern geklärt, ein Genre von besonderem künstlerischem Reiz trotz ein-
fachster musikalischer Mittel. Die Grundlage für die systematische Sammlung der neueren
(endgereimten) Volkslieder mit ihren zahlreichen Unterarten ist erst in den letzten Jahren
geschaffen worden. Eine der Hauptaufgaben diesbezüglicher Sammelaktionen besteht darin,
den Entwicklungsweg der Volksmusik und die Herausbildung neuer Formen, besonders
in unserem Jh. zu verfolgen, da die älteren Sammlungen vor allem die Volksmusik des
19. Jh. widerspiegeln. In Verbindung mit dieser Aufgabe wird auch der Verbreitungsrück-
gang der Runen und einzelner Arten des endgereimten Liedes untersucht, ebenso Fragen
der Entstehung und Verbreitung neuer Liedarten und Tänze, Fragen der Beziehungen zwi-
schen Volksmusik und professioneller Musik usw. Besondere Aufmerksamkeit gilt Liedern
mit historischem und gesellschaftlichem Inhalt sowie dem lokalen Liedschaffen und seinen
Schöpfern. Die zahlreichen Tonaufnahmen enthalten viele neue Angaben über das Vari-
ieren, über rhythmische und formale Besonderheiten, über Mehrstimmigkeit, Manieren
und Bräuche des Vortrags sowie andere Erscheinungen des Volksliedes (besonders des
Runenliedes). Eine erschöpfende Untersuchung dieser Fragen ist erst jetzt möglich geworden,
vor allem dadurch, daß sie in den Mittelpunkt des Sammelinteresses gerückt wurden. Bei der
Instrumentalmusik ist der Spieltechnik und den verschiedenen Ensemblemöglichkeiten
größere Aufmerksamkeit gewidmet worden, teilweise unter Einsatz technischer Doku-
mentationsmittel wie Foto und Film.
Der steile Anstieg des Interesses für die Volksmusik in den letzten beiden Jahrzehnten,
unter den Forschern der verschiedenen Fachgebiete ebenso wie unter Komponisten,
Pädagogen und Laienkünstlern, führte zu Überlegungen hinsichtlich der Veröffentlichungs-
möglichkeiten. Es erwies sich als notwendig, vorerst populär-wissenschaftliche Sammel-
bände für die eben genannte breite Leserschaft zu veröffentlichen, wobei diese Ausgaben
möglichst gründliche Einleitungen sowie Kommentare enthalten sollten. Zu dieser Gruppe
gehört die 5bändige Ausgabe von H. Tampere Eesti rahvalaule viisidega, 1 — 5 (Estnische
Volkslieder mit Melodien, Tallinn 1956 — 1965). Die Bände enthalten insgesamt 818 Runen-
melodien aller Spielarten (Arbeitsgesänge, Lieder des Jahres- und Lebenskreises, Spiel-
und Kinderlieder, erzählende Lieder und lyrische Gesänge im engeren Sinn mit zahlreichen
Unterarten) und aus allen Gegenden Estlands. Auswahlbände mit gereimten Volksliedern
und mit Instrumentalmusik sind in Vorbereitung; zur Zeit wird auch eine Schallplatten-
serie zusammengestellt. Als wissenschaftliche Ausgabe der Runenlieder (Texte und Melo-
dien) war das von J. Hurt im vorigen Jahrhundert begonnene und später von H. Tampere
fortgeführte Werk Vana Kännel gedacht. Seit einigen Jahren laufen Vorarbeiten zur
Fortsetzung dieser Reihe, jedoch wird die Vollendung noch Jahrzehnte in Anspruch
nehmen.
Daraus ergab sich die Notwendigkeit, die Kataloge des in der Folkloreabteilung des
Literaturmuseums vorhandenen Musikmaterials (wie auch der anderen Arten der Folklore)
zugänglich zu machen und auszubauen, wobei verschiedene Aspekte der Erforschung des
Stoffes berücksichtigt werden mußten (typologisch, topographisch, nach Liedgattungen
usw.). Bisher konnten die auf Karteikarten übertragenen Melodien nach Liedgattungen
geordnet werden, was auch den gegenwärtigen Benutzern am meisten dient. Innerhalb der
Gattungen sind die Runenweisen (meist wenig festgefügte Gruppenmelodien) nach musi-
kalischen Merkmalen (allgemeine Stilcharakteristika, Form, Rhythmus, Tonart, Ambitus
usw.) geordnet; die Unterteilung der gereimten Lieder mit überwiegend individueller
Melodik erfolgte hingegen vorderhand nach Texttypen und erst in zweiter Linie entspre-
chend den Melodietypen. Bei Instrumentalmusik (überwiegend Tanzmusik) wird die Be-
ziehung der Melodie zur Choreographie beachtet. Auf diese Weise sind die notwendigen
414
Herbert Tampere
Voraussetzungen für eine komplexe Erfassung von Wort, Musik, Tanz und Lebensweise
gegeben, eine Art der Betrachtung, die die estnische Folkloristik bevorzugt.
Bisher hat die folkloristische Musikforschung2 ihr Hauptaugenmerk auf das Wesen,
die Entstehung und Entwicklung großer historischer Kategorien (Runenlied, endgereimtes
Lied) gerichtet, auf die Funktion des Liedes und im Zusammenhang damit auf seine ver-
schiedenen Arten und Stile. Monographische Studien über Einzelweisen sind bisher in
geringer Zahl und meist nur über neuere Volkslieder verfaßt worden. Am gründlichsten
ist das Runenlied in H. Tamperes Eesti regivärsiliste rahvalaulude muusika liigilised iseära-
sused ja stiilid, i (Die Genre-Eigenheiten und die Stile der Musik des estnischen Runen-
liedes, x, ungedruckte Dissertation und Autorreferat, Tartu 1960/62) behandelt worden.
Das gleiche Thema wird von folgenden Beiträgen behandelt und weiter entwickelt: Eesti
lüro-eepiliste rahvalaulude muusikalistest stiilidest (Über die Musikstile der estnischen lyro-
epischen Volkslieder, in: Paar sammukest eesti kirjanduse ja rahvaluule uurimise teed 2,
Tartu 1961), Eesti regivärsilise rahvalaulu meloodika stiilitüübid (Die Stiltypen der Melodik
estnischer Runen, Etnograafiamuuseumi Aastaraamat 20, Tallinn 1965, gekürzte deutsch-
und russischsprachige Fassungen unter dem Material des 7. Internationalen Kongresses
für Anthropologie und Ethnographie, Tallinn-Moskau 1964), Die Melodik der estnischen
Arbeitslieder (Referate der Vorträge und Mitteilungen des 2. Internationalen Kongresses
für Finno-Ugristik, Helsinki 1965) u. a. Auch die lokalen Besonderheiten der estnischen
Runen sind erörtert worden. Vorderhand wäre hier zu nennen die Dissertation von A.
Garschnek am Moskauer Staatlichen Konservatorium Die Volkslieder der Setukesen (1954),
eine Arbeit, in der die eigenartigen Tonarten und die vokale Mehrstimmigkeit der Setu-
kesen eingehender erläutert werden. Zur Feststellung lokaler Eigentümlichkeiten trugen
ferner bei: die Diplomarbeit von V. Vääri Kanepi rahvaviisid (Volksmelodien aus Kanepi,
Staatliche Universität Tartu 1958) und die Diplomarbeit von I. Ruus (I. Rüütel) Löuna-
Eesti regivärsiviiside intonatsioonide areng (Die Entwicklung der Intonationen der südest-
nischen Runenmelodien, Staatliche Universität Tartu 1959). Von Interesse für den Volks-
musikforscher ist auch die Dissertation von O. Köiva Regivärsiliste rahvalaulude traditsioon
Kihnu saarel (Die Tradition der Runen auf der Insel Kihnu, Staatliche Universität Tartu
1965), obwohl nicht die Melodien, sondern die Liedtexte Hauptgegenstand der Untersuchung
sind. Teilweise zusammengefaßt wird die Arbeit in den Beiträgen Kihnu regivärsilise
rahvalaulu funktsiooni ja esitamisviisi küsimustest (Zu Fragen der Funktion und der Vor-
tragsweise des Runenliedes auf Kihnu, in: Paar sammukest eesti kirjanduse ja rahvaluule
uurimise teed 2, Tartu 1961) und Kihnu rahvalaulikutest (Über die Volkssänger der Insel
Kihnu, Tartu Riikliku Ülikooli Toimetised 159, Tartu 1964). Die letztgenannte Arbeit
behandelt solche Grundfragen der Folklore wie das Verhältnis von Tradition und Impro-
visation im Volkslied, der schöpferische Anteil des Sängers bei der Weiterentwicklung des
Liedes, das Variieren usw. Zu wiederholten Malen haben die zitierten Probleme Behandlung
gefunden, sowohl vom musikalischen als auch vom textlichen Standpunkt, in den Arbeiten
von U. Kolk Improvisatioonist eesti vanemates rahvaviisides (Über die Improvisation in
älteren estnischen Volksmelodien, Diplomarbeit an der Staatlichen Universität Tartu 1951),
Rahvalauluvariandi möistest (Über den Begriff der Volksliedvariante, in der Zeitschrift
Keel ja Kirjandus 1959), Ühest Tartu rahvaviisikogust ja rahvaviiside variatsioonilisusest
(Über eine VolksmelodienAmmlung zu Tartu und über die Variabilität der Volksmelodien,
in: Siin Tartu, Tallinn 1961) usw. Weniger ist in den letzten Jahren über Form, Tonarten
und Rhythmus des estnischen Volksliedes geschrieben worden. Zu nennen wären die Er-
gänzungen von U. Kolk zum Buch von T. Popova Muusikalised zanrid ja vormid (Die
musikalischen Genres und Formen, Tallinn 1964) und die Diplomarbeit von L. Semlek am
Staatlichen Konservatorium Tallinn Teoreetilisi probleeme seoses eesti regivärsiliste rahva-
laulude laadidega (Theoretische Probleme im Zusammenhang mit den Tonarten der est-
nischen Runen, TRK 1962). Die Untersuchung von Rhythmus und Form muß mit einer
2 Hier werden hauptsächlich im Druck erschienene Werke zitiert, dazu verteidigte Kan-
didatendissertationen, Diplomarbeiten der höheren Lehranstalten, sowie Vorträge, zu denen
Thesen veröffentlicht worden sind.
Erforschung der Volksmusik in der Estnischen SSR
415
vertieften Erforschung der Volksmusikstile und deren historischer Entwicklung Hand in
Hand gehen. Die Feststellung der Tonarten muß sich ihrerseits auf eine sorgsame Analyse
der musikalischen Intonationen stützen. Zu alledem haben die estnischen Folkloristen bisher
in der Hauptsache Material gesammelt.
Die Untersuchungen von I. Rüütel versuchen in erster Linie, die Entstehung und Ent-
wicklung des neueren, endgereimten Volksliedes und damit den Umbruch im musikalischen
Denken und Sichäußern des Volkes, der sich bereits im 18., besonders jedoch im 19. Jh.
vollzog, zu klären. Gründlich werden diese Fragen in ihrer vor dem Abschluß stehenden
Dissertation, aber auch in verschiedenen Artikeln und Vorträgen behandelt. Einen umfang-
reichen Überblick über die Arten, die Entwicklung und die musikalischen Besonderheiten
des estnischen neueren Volkslieds gibt die von I. Rüütel (sowie teils von H. Kokamägi)
verfaßte Einleitung zur Liedanthologie Laul olgu lühike vöi pikk... (Sei das Lied kurz oder
lang..., Tallinn 1964); Einzelfragen berühren die Beiträge Eesli rahvalaulu „Tilluke teo-
poiss“ viisi trükiversioonidest (Über die Druckredaktionen der Melodie des estnischen Volks-
liedes „Tilluke teopoiss“ [Kleiner Fronarbeiter], in: Paar sammukest eesti kirjanduse ja
rahvaluule uurimise teed 3, Tartu 1964) und Üks laul Saaremaa ülestöusust (Ein Volkslied
über den Aufstand von Saaremaa — zusammen mit H. Tampere verfaßt —, in: Paar sam-
mukest eesti kirjanduse uurimise teed 4, Tartu 1966). Die letztgenannte Studie bringt inter-
essante Beispiele für die Anpassung des russischen Stepan Rasin-Liedes an die neuere est-
nische Liedtradition zu Beginn des 20. Jhs.
Die Erforschung der Volksmusikinstrumente und ihrer Musik sowie der choreographi-
schen Folklore hat in der letzten Zeit wenig Fortschritte zu verzeichnen. Eine gewisse
Übersicht bietet eine von der Leningrader Musikwissenschaftlerin E. E. Jazowickaja für
das Handbuch der europäischen Volksmusikinstrumente verfaßte Schrift, von der eine
kurze Zusammenfassung im Atlas der Musikinstrumente der Völker der UdSSR (Атлас
музыкальных инструментов народов СССР, Moskau 1963) erschien. Auf dem Gebiet
der Volkstänze ist das umfangreiche Handbuch von U. Toomi Eesti rahvatantsud (Est-
nische Volkstänze, Tallinn 1953) anzuführen sowie mehrere Beiträge von H. Tampere,
unter denen die Schrift Eesti rahvatantsu ajaloost (Aus der Geschichte des estnischen Volks-
tanzes, Tallinn 1962) eine kurze typologische und historische Übersicht bringt.
Bis heute fehlt eine Geschichte der estnischen Musikfolkloristik. Über dieses Gebiet sind
lediglich einige mehr oder minder umfassende Arbeiten veröffentlicht worden, z. В. A.
Strutzkin Ülevaade eesti rahvamuusika kogumis- ja uurimistööst (Überblick über die Sammel-
und Forschungsarbeit der estnischen Volksmusik, Diplomarbeit am Staatlichen Konser-
vatorium Tallinn 1951), U. Kolk Über die Erforschung der estnischen Folklore (russ., in:
Sovetskaja Muzyka 1955), ein historiographisches Kapitel in der bereits erwähnten Disser-
tation von H. Tampere und einige, hauptsächlich einzelne Folkloristen oder Perioden be-
treffende Artikel : H. Tampere Veidi eesti rahvamuusika ajaloost (Einiges über die Geschichte
der estnischen Volksmusik, in der Zeitung „Sirp ja Vasar“ 1958), U. Kolk Karl August
Hermanni tegevus eesti rahvaviiside kogumisel (Die Tätigkeit von К. A. Hermann bei
der Sammlung estnischer Volksmelodien, Staatliche Universität Tartu 1950), P. Kuusk
C. Kreegi muusikafolkloristlik pärand (Der musikfolkloristische Nachlaß von C. Kreek,
Diplomarbeit am Staatlichen Konservatorium Tallinn 1965) sowie der bereits genannte
Beitrag Ühest Tartu rahvaviisikogust ... (Über eine Volksmelodiensammlung zu Tartu...).
Es muß gesagt werden, daß die bisherige historiographische Tätigkeit nicht zu den not-
wendigen Verallgemeinerungen geführt hat. Die von mehreren Generationen rastloser
Forscher erworbenen großen Erfahrungen sind noch immer nicht genügend ausgewertet
und niedergelegt und geben der jüngeren Generation keine ausreichende Hilfe. Das Gleiche
gilt auch für das Gebiet der poetischen Folklore und der Ethnographie.
Ebenso ist die Frage der Beziehungen von Volks- und professioneller Musik wissenschaft-
lich wenig untersucht. Wohl werden diese Themen in Monographien über Komponisten
(M. Härma, M. Saar, H. Eller u. a.) flüchtig berührt; tiefer gehende Analysen mit theore-
tischen Verallgemeinerungen sind in der Arbeit von E. Hirv Rahvamuusika kasutamine E.
Mäe klaverikontserdis (Die Verwendung von Volksmusik in den Klavierkonzerten von E.
Mägi, Diplomarbeit am Staatlichen Konservatorium Tallinn 1962) sowie in der Unter-
416
Herbert Tampere
suchung U. Kolks Кики sa, kägu, kuldalindul (Künde, Kuckuck, goldner Vogel, Tartu
Rükliku Ülikooli Toimetised 53, Tartu 1957) anzutreffen. Die letztgenannte Arbeit entstand
im Zusammenhang mit dem 100. Jahrestag der Veröffentlichung des estnischen National-
epos Kalevipoeg. Aus Anlaß des gleichen Jubiläums wurden die auf dem Epos beruhenden
Musikwerke und deren volksmusikalische Quellen in den Schriften von R. Ritsing Kalevi-
poeg muusikas (Kalevipoeg in der Musik, Tartu Riikliku Ülikooli Toimetised 138, Tartu
1963) und L. Normet „Kalevipoeg“ ja eesti muusika (Kalevipoeg und die estnische Musik,
in: Muusikalisi lehekülgi, Tallinn 1965) analysiert.
Noch ein Problem, dessen Lösung auch Fragen der Volksmusik in sich begreift, ist an-
zuführen: der Fragenkreis der ethnischen Geschichte der Esten und ihrer kulturellen Be-
ziehungen zu den Nachbarvölkern. Diese Fragen sind in vielen Arbeiten über die Volks-
musik gestreift worden, denn bereits in der bürgerlichen Periode zeigte sich in der estnischen
Musikfolkloristik ein spürbarer Hang zur ethnologisch ausgerichteten Fragestellung, zur
Untersuchung der Verbreitung folkloristischer Erscheinungen bzw. zum Vergleich mit
denen der Nachbarvölker. In den letzten Jahrzehnten hat sich FI. Tampere mit der ethnischen
Geschichte beschäftigt; in seinen entsprechenden Arbeiten — Russische Einflüsse auf die
Entwicklung der estnischen Volksliedmelodie (russ., in: Академия наук СССР, институт
этнографии имени Н. Н. Миклухо-Маклая, Краткие сообщения ХП, Москва-Ленин-
град 1950. Kurze Mitteilungen des Miklucho-Maklai-Instituts für Ethnographie der
Akademie der Wissenschaften der UdSSR 12, Moskau—Leningrad 1950), Möningaid
eestlaste etnilise ajaloo küsimusi suulise rahvaloomingu valgusel (Einige Fragen der
ethnischen Geschichte der Esten im Licht der Volkskunde, in dem Sammelband Eesti
rahva etnilisest ajaloost, Tallinn 1956) sowie Folkloristische Materialien als Quelle zur Er-
forschung von kulturellen Beziehungen zwischen den Völkern des Baltikum (russ., Vortrag
auf der Allunionskonferenz über Ethnographie in Vilnjus 1955) — werden vor allem Fra-
gen der Volksmusik erörtert. Diese Arbeiten sind nur als erste Sondierungsversuche zu
werten, wie auch in anderen Ländern die Volksmusik als Quellenmaterial für die Erhel-
lung der ethnischen Geschichte wenig herangezogen wurde. Die Forschungsmethoden
müßten hierfür noch genauer erarbeitet werden; desgleichen wären die musikalischen
Genres und die stilistischen Eigenheiten in ihrer geschichtlichen Entwicklung bei den in
Frage kommenden Völkern gründlicher zu erforschen.
Eine zusammenfassende Einschätzung der auf dem Gebiet der estnischen Musikfolklo-
ristik geleisteten Arbeit muß konstatieren, daß in den letzten Jahrzehnten manche Erfolge
erzielt worden sind. Die Probleme sind richtig erfaßt, ihre Lösungen entschlossen in Angriff
genommen worden. Obwohl noch nicht immer umfassendere Synthesen gelangen, haben
die estnischen Musikfolkloristen die Grundzüge der Musikkultur ihres Volkes doch weit-
gehend klären können. Zahlenmäßig sind Forschungen junger Wissenschaftler im Über-
gewicht; allerdings ist die Mehrzahl davon bedauerlicherweise noch nicht im Druck er-
schienen und konnte dadurch natürlich auch nicht zur vollen Wirkung bei der Weiterent-
wicklung dieses Wissenschaftszweiges kommen. Eine wesentliche Entwicklungsetappe ist
jedoch abgeschlossen. Die zweite Etappe steht bevor; sie enthält ihrerseits zahlreiche der
Lösung harrende Probleme. In erster Linie muß auf der Basis der bisherigen Arbeit ein den
heutigen Anforderungen entsprechendes Forschungsinstitut gegründet werden, das die
Ausbildung von Fachspezialisten gewährleistet und das alle Möglichkeiten der modernen
Technik zum Sammeln und Bearbeiten des Materials sowie eine ausreichende Fachbibliothek
besizt, das ferner lebhaften Austausch mit der internationalen Folkloristik unterhält usw.
Mehr Aufmerksamkeit sollte gleichfalls der Erweiterung der Publikationsmöglichkeiten
gewidmet werden, denn die bisher veröffentlichten Arbeiten zeigen, daß sie von einem festen
und dabei gar nicht kleinen Spezialistenkreis im In- und Ausland benutzt werden. So
stehen vor dem estnischen Volksmusikforscher gegenwärtig dringend der Lösung bedürf-
tige Probleme theoretischer wie auch organisatorischer Art.
Das Braunauer Bildurbarium von 1676/77
Von Vratislav Smelhaus
Zu den ältesten ikonographischen Sammlungen,1 die für die Geschichte der böhmischen
Landschaft und ihrer Besiedlung von Bedeutung sind, gehören ohne Zweifel die einzig-
artigen farbigen Illustrationen des Braunauer Urbariums vom Jahre 1676/77.1 2 Diese
Illustrationen — in einem Teigdruckverfahren ausgeführt — tragen naiv künstlerischen
Charakter und zeugen von einem außerordentlichen bildnerischen Gefühl ihres Urhebers,
des Braunauer Amtmanns Johann Georg Heselius, der gleichzeitig der Autor des dazu-
gehörigen Textes war. In das Urbarium sind neben der Stadt Broumov (Braunau) folgende
Dörfer aufgenommen: Velkä Ves, Rozmitäl, Sonov, Otovice, Bozanov, Martinkovice,
Krinice, Voigtsdorf und Hejtmänkovice, Jetrichov, Bfezovä, Bohdasin, Verndrovice, Dolni
Viznov, Starostin, Horni Viznov, Ruprechtice, Hyncice, Hermänkovice sowie Janoviöky.
Zu den Angaben über die einzelnen Ortschaften gehören jeweils Abbildungen des Ortes
und seiner nächsten Umgebung. Diese Abbildungen sind auf Papierstreifen gemalt, die 15
bis 21 cm breit und 61 bis 285 cm lang sind. Zu den 20 Abbildungen der einzelnen Ort-
schaften sind in der als Braunischer Horizont bezeichneten Abteilung des Urbariums noch
vier weitere Abbildungen zu zählen, die Ausblicke vom Braunauer Turm in die vier Him-
melsrichtungen darstellen.
Der sehr ausführliche Text des Urbarium umfaßt 652 Blätter; mit den späteren Zugaben
(s. u.) sind es 702 Blätter, die alle zweiseitig beschrieben sind. Die Aufzeichnungen des
ersten Teils über die einzelnen Ortschaften bestehen aus rechtshistorischen Einleitungen,
Verzeichnissen der Untertanenverpflichtungen, Angaben über die auf den einzelnen Ab-
bildungen benutzten Zeichen und Zusammenstellungen der Verpflichtungen der einzelnen
Ortschaften.
Der zweite Teil des Textes lautet Summarische Relation über Renten und Schuldigkeiten
durchs ganze Jahr, welche beständig und unbeständig usw.
1 Die älteste Sammlung von Abbildungen der böhmischen Landschaft bilden Willen-
bergs Zeichnungen (Jana Willenberga Pohledy na mesta, hrady a pamätne stavby kräl.
ceskeho z poöätku XVII. stoleti, podle püvodnich, dosud neznämych jeho kreseb, jez ve
strahovske knihovne nalezeny byly [Jan Willenbergs Ansichten von Städten, Burgen und
denkwürdigen Bauten des Königreichs Böhmen vom Beginn des 17. Jahrhunderts, nach
den Originalen bisher unbekannter Zeichnungen, die in der Bibliothek des Klosters Strahov
gefunden wurden], hg. von A. Podlaha und J. Zahradnik, Praha 1901). Verständlicherweise
ist das Interesse hier auf die nächste Umgebung der Städte und Burgen konzentriert. Neben
diesen Zeichnungen fertigte Willenberg auch eine Reihe Holzschnitte mit entsprechender
Thematik an: In B. Paprockys Zrcadlo slavneho markrabstvi moravskeho (Spiegel der
ruhmreichen Markgrafschaft Mähren, Olomouc 1593) findet man sechs unsignierte und im
Diadochus desselben Verfassers (Praha 1602) einen unsignierten und 14 signierte Holz-
schnitte.
2 Urbarium des Klosterstiftes Braunau, aus denen alten reformirten Urbarien ihrer Sub-
stanz nichts zugetan oder entzogen in diese Ordnung und Explication sambt deren Tabellen
eingericht und gebracht im Jahr Christi, als Thomas Abbt Erbherr auf Braunau in Frieden
seine Stifterbuntertanen glichaftig regierte (Fol. ir.; nach dem Chronogramm vom Jahre
1677). Auf dem folgenden Blatt jedoch (Fol. 2r) findet man das farbige, vergoldete Signum
des Brevnover Abts Thomas mit einer Jahreszahl 1676. Das Urbarium wurde dem Abt zur
Approbation an seinem Namenstag übergeben (Fol. 4 b). Es befindet sich im Staatsarchiv
Zämrsk, eine komplette Dokumentation seines Bildteils (schwarz-weiß-Negative und Farb-
diapositive) im Tschechoslowakischen Landwirtschaftsmuseum.
418
Vratislav Smelhaus
Der dritte Teil trägt den Titel Braunischer Horizont, das ist Beschreibung des Braunischen
Landes umb Kreis und dessen Gränzen, abgesondert in vier Teile ... eingerichtet mit einem
Anhang über die Waldbereiterei.
Der vierte Teil heißt Braunische Wirtschaft oder Beschreibung des Klosterstifts Braunaw
Vorwerken, deren itziger Zeit benambt und bewirtschaftet werden in allen sieben, als Stadt-,
Großdorf- (Velkä Ves), Ottendorf- (Otovice), Mertzdorf- (Martinkovice), Dittersbach- (Jetri-
chov), Halbstadt- (Dolili Viznov), Wiesen- (Homi Viznov) Vorwerk.
Der fünfte Teil, Der Bräuurbar, das ist Beschreibung des Braunischen Malz- und Bräu-
hauses, enthält interessante Details über den Ankauf des größeren Teils des erforderlichen
Hopfens von den örtlichen Untertanen.
Der sechste und letzte der ursprünglichen Teile des Urbariums \au.te.t Braunischer Fisch-
fang oder Beschreibung der Fischerei im Braunischen Land, wie sie zu gebrauchen und jet-
ziger Zeit von Obrigkeit genutzt kann werden, alles nach Ordnung der Dorf schäften, auf deren
Lechen sie angebauet und zu finden, an Teichen und Flußwassern benambt und vorgestellt.
Zu Beginn des 18. Jhs wurden noch weitere Aufzeichnungen in das Urbarium aufge-
nommen (das jüngste ausdrücklich angeführte Datum ist von 1719), und zwar handelt
es sich um die Dreiding-Puncta für die Braunawischen Dorfschaften mit den Texten der
verschiedenen Eide, die bei den Dreidingen zu leisten waren, sowie das Judicium bannitus
oder Dreiding bei der Stadt Braunau (ebenfalls mit einer größeren Zahl von Eidtexten).
Der bemerkenswerteste Bestandteil des Urbariums ist zweifellos der Bildteil. Vor unseren
Blicken wird beim Öffnen des Urbariums und beim Auseinanderlegen seiner Falttafeln das
Leben auf dem Dorf des 17. Jahrhunderts lebendig: Gerichte, Bauerngüter, Hütten und
Häuschen auf Gemeindeboden, Herrenhöfe, Kirchen und Marterln, Scheunen (auch poly-
gonale), Heuschober, Mühlen und Sägemühlen, Pechöfen, Zäune und Einfriedungen für
das Vieh, Weiden, Viehwege, von denen viele offensichtlich wegen des nur in geringer
Menge zur Verfügung stehenden landwirtschaftlich nutzbaren Bodens gepflügt und bestellt
sind, Bäche, Mühlgräben, Teiche, aber auch Wagen mit Brennholz- oder Heuladungen,
Pflügen, Säen und Eggen, Flachsbearbeitung, Viehweiden, Geflügel, Vogelfallen, ins Garn
gegangene Hasen, Kegelschieben, usw. Die abgebildeten Dinge sind mit Zeichen versehen,
nach denen man im entsprechenden Absatz des Textteils des Urbariums Erläuterungen
finden kann. Bild- und Textteil ergänzen sich also, und es ist gerade dieser Umstand, der
dem Braunauer Urbarium seinen einzigartigen dokumentarischen Wert verleiht. Dieser
Wert wird noch durch die Tatsache erhöht, daß die letzten vier Abbildungen (Braunischer
Horizont) wenigstens den oberen Teil der Dörfer aus einer Lage zeigen, die um 90° gegenüber
dem Standpunkt verschoben ist, von dem aus die eigentlichen Blätter dieser Dörfer gezeich-
net wurden. Dadurch ist eine Korrektur gewisser Verzeichnungen möglich, die dort bei
der notwendigen Begradigung und Verkürzung der Achse der Wasserläufe und Dörfer
vom Zeichner vorgenommen wurden.
Mit Ausnahme von Janovicky, Starostin, Brezovä, Homi, Dolni Viznov und Vernerò vice
sind sämtliche im Braunauer Urbar verzeichneten Dörfer bereits in dem vorhussitischen
Urbarium des Klosters von Brevnov erfaßt.3 Es sind dies Kolonisationsdörfer, die in den
50er Jahren des 13. Jahrhunderts teils auf dem „grünen Rasen“ des Grenzurwaldes (Boh-
dasin, Hyncice, Kfinice) gegründet worden waren, teils durch die Erneuerung oder Vererb-
pachtung von Dörfern, die bereits früher existierten (Martinkovice), entstanden sind, und
zwar allem Anschein nach vorwiegend für Kolonisten deutscher Herkunft, aber in einer
seit jeher von Tschechen bewohnten Gegend (z. B. Martinkovice und die im 15. Jahrhundert
noch rein tschechische Ortschaft Bohdasin) oder zumindest solche, die im tschechischen
Einflußgebiet lagen (Hyncice, Kfinice). Die Ortschaften Janovicky, Starostin, Brezovä
und Dolni Viznov sind spätere Gründungen ; sie unterscheiden sich durch ihre ganze Struk-
tur und Disposition bereits auf den ersten Blick wesentlich von den Kolonisationsdörfern.
Homi Viznov gehörte ursprünglich dem Kleinadel tschechischer Herkunft und wurde erst
später in das Eigentum des Klosters von Braunau überführt.
3 J. Emler (Hg.), Decem registra censuum bohemica aetate ante bellum hussiticum com-
pilata (DRC). Praha 1881, 153f., 189 — 198, 203!.
Hauskundliche Archivforschung in Sachsen
419
Die Kolonisierung des Gebietes von Braunau wurde von der tschechischen und deutschen
Historiographie schon mehrfach bearbeitet.4 Eine Untersuchung des Braunauer Bildur-
bariums führt uns jedoch zu der Überzeugung, daß dieses Quellenwerk für die Siedlungs-
geschichte dieses Gebiets neue Gesichtspunkte eröffnet.5
4 Die wichtigsten Publikationen sind: V. V. Tomek, Pamëti üjezdu Polického cilinynëj-
sich panstvi Broumovského a Polického z cash pfed vâlkou Husitskou. Pamâtky archeo-
logické a mistopisné z (1857) 200 — 213, 241—249 (im selben Jahr auch deutsch erschienen
unter dem Titel „Älteste Nachrichten über die Herrschaft Braunau und Pölitz bis zur Zeit
des Hussitenkrieges“) ; J. Lippert, Die älteste Colonisation des Braunauer Ländchens.
Mitt. des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 26, 325 — 358; J. V. Simak,
Poëâtky Broumova a Broumovska (Die Anfänge von Braunau und des Braunauer Gebietes).
Ceskÿ casopis historickÿ 42 (1936) 575—585.
5 Vgl. V. Smelhaus, Ikonografie krajiny a zivota lidu (Ikonographie der Landschaft und
des Volkslebens). Ceskÿ lid 52 (1965) 352 — 359 (mit 8 Beilagen). Vgl. auch J. Tlapäk —
V. Smelhaus, Mapovd parerga jako pramen pro Studium hmotné kultury naseho lidu (Die
Karten-Parerga als Quelle für die Untersuchung der materiellen Kultur unseres Volkes).
Ceskÿ lid 54 (1967) (mit Beilagen).
Hauskundliche Archivforschung in Sachsen
Erfahrungen, Probleme, Aufgaben
Von Alfred Fiedler
Die volkskundliche Bauernhausforschung betrachtet es als ihre Aufgabe, der Entstehung
und Funktion von Haus und Hof als Wohn- und Arbeitsstätte der bäuerlichen Familie
im Zusammenhang aller gleichzeitig wirksamen ökonomischen und gesellschaftlichen
Kräfte nachzugehen. In dem Maße, wie sie ihre Forschung historisch vertieft, ist sie wesent-
lich auf Archivforschung verwiesen,1 mögen auch einzelne Bauten bis ins 16. Jh. zurück-
reichen und an ihnen ursprüngliche Anlage, Bauweise und Nutzung noch mehr oder we-
niger gut ablesbar sein.
Im folgenden sollen Erfahrungen mitgeteilt werden, die aus hauskundlicher Archiv-
forschung in Sachsen erwuchsen. Sie beschränken sich auf Archivbestände vom 16. bis
zum ausgehenden 19. Jh.
Wie die archäologische Frühgeschichtsforschung ist die historische Hausforschung eben-
falls ein „junger, noch mit seinen Methoden ringender Forschungszwei'g“.1 2 Dies gilt im
besonderen für ihre Absicht und Aufgabe, Archivmaterial auszuwerten.
1 Vgl. hierzu R. Helm, Hessische Bauern- und Bürgerhäuser, Abschn. 2: Der Einfluß
der Landesverordnungen auf das Bauwesen. Hessenland, Zs. f. Kulturpflege des Bezirks-
verbandes Hessen, 1942, H. 2; T. Gebhard, Wegweiser zur Bauernhausforschung in Bayern
(München—Pasing 1957) 199h; K.-S. Kramer, Volksleben im Fürstentum Ansbach und
seinen Nachbargebieten. Würzburg 1961; K. Baumgarten, U. Bentzien, Hof und Wirt-
schaft der Ribnitzer Bauern. Edition und Kommentar des Kloster-Inventariums von 1620.
Berlin 1963.
2 P. Grimm, Der Beitrag der Archäologie. In: Probleme des frühen Mittelalters in archäo-
logischer und historischer Sicht, hg. v. d. Dt. Historiker-Ges. (Berlin 1966) 40.
420
Alfred Fiedler
I
Wie jede historische Forschung setzt die historische Hausforschung Vertrautheit mit den
Einrichtungen des Archivwesens voraus. Es ist daher in hohem Maße anerkennenswert,
daß die Staatliche Archivverwaltung der Deutschen Demokratischen Republik seit we-
nigstens zehn Jahren durch immer detailliertere Übersichten ihre „Findbücher“ verbessert
hat. Dieses Bemühen, die Archivmaterialien der Forschung zu erschließen, ist nicht ab-
geschlossen, sondern geht weiter, wie wir bei unserer vornehmlich regionalen Forschung
in den verschiedenen Archiven, vor allem jedoch im Sächsischen Landeshauptarchiv, dem
jetzigen Staatsarchiv Dresden, dankbar haben feststellen können.
Eine 1955 veröffentlichte Übersicht über die Bestände des Sächsischen Landeshauptarchivs
und seine Landesarchive3 orientiert den Archivbenutzer nicht nur über die Geschichte der
genannten Institutionen und ihrer Abteilungen, sondern im besonderen über die Lokate
der hier zusammengetragenen mannigfachen Materialien. Darüber hinaus ist der Weg zur
Veröffentlichung von Spezialinventaren beschritten worden, wie das 1961 herausgegebene
Spezialinventar des Sächsischen Landeshauptarchivs und der Landesarchive Bautzen, Glau-
chau und Leipzig zur Geschichte der Arbeiterbewegung4 zeigt; in dieser Veröffentlichung sind
auch Aktenverweise auf die Geschichte der Landarbeiter, so auch auf Landarbeiterunter-
künfte und -bauten enthalten, die dem Hausforscher zugute kommen.
Ein seit 1961 alljährlich erscheinender Thematischer Benutzerkatalog5 gibt im übrigen
davon Kenntnis, auf welchem Gebiet der einzelne Archivbesucher arbeitet. Mit dieser
Publikation ist ein bisher noch kaum gebotener Erfahrungsaustausch und eine Koordinie-
rung in gleicher Richtung verlaufender Forschungsarbeiten in der gesamten DDR ermög-
licht, haben sich doch über 100 Archive, darunter auch Betriebsarchive sowie Archive wis-
senschaftlicher Institutionen an dem Verzeichnis beteiligt, das somit gewisse Schlußfolge-
rungen über das Vorhandensein von Quellen zu bestimmten Problemen erlaubt. Es kann
erwartet werden, daß die geschaffene Einrichtung die kleineren Archive verschiedenster
Art zu noch sachdienlicherer Registrierung ihrer Bestände veranlaßt, eine Arbeit, die durch
mancherlei Umstände, vor allem durch Fachkräftemangel, bislang vielfach nicht durch-
geführt werden konnte.
Der weiteren Orientierung der Forschung dient das jetzt im dritten Jahrgang vorliegende
Jahrbuch der Bibliotheken, Archive und Dokumentationsstellen der Deutschen Demokratischen
Republik, im Aufträge des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen heraus-
gegeben von der Deutschen Staatsbibliothek Berlin, Berlin 1965. — Angeführt sei in diesem
Zusammenhang ferner der 1965 erschienene Band 48 (Heft 2) der Abhandlungen der Säch-
sischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig mit Ernst Neefs Bibliographie zur Geo-
graphischen Landesforschung im sächsisch-thüringischen Raum, in der Ernst Benedict die
bibliographischen Hilfsmittel bearbeitet hat. Hinsichtlich der Angaben über die Archive
bedarf es einiger Berichtigungen.
Der Archivforschung kommt zugute, daß den Staatsarchiven Dresden und Leipzig, z. T.
auch Bautzen, laufend noch Bestände kleinerer Archive, so die der ehemaligen Rittergüter, 3 4 5
3 Hg. v. der Hist. Komm, bei der Sächs. Akad. der Wiss. im Einvernehmen mit der Staatl.
Archivverwaltung im Minist, d. Innern. Leipzig 1955. — Zu beachten ist, daß auf Grund der
Archivordnung vom 17. 6. 1965, die die Umbenennung des Sächs. Landeshauptarchivs in
Staatsarchiv Dresden, der Landesarchive Leipzig und Bautzen in Staatsarchiv Leipzig und
Historisches Staatsarchiv Bautzen mit sich brachte, die Bestände der Regional- und Lokal-
verwaltung im Bereich der Kreisdirektion bzw. Kreishauptmannschaft Leipzig mit Aus-
nahme der Gerichtsbücher in Leipzig geführt werden und die Zuständigkeit des Hist.
Staatsarchivs Bautzen ebenfalls besonders geregelt worden ist.
4 Teil 1, bearbeitet von Mitarbeitern des Sächs. Landeshauptarchivs und seiner Landes-
archive. Berlin—Wilhelmsruh, Verlag des Minist, des Innern, 1961.
5 Hg. von der Staatl. Archivverwaltung der Deutschen Demokratischen Republik. Pots-
dam 1961 ff.
Hauskundliche Archivforschung in Sachsen 42:1
Forstämter etc. zugeführt werden.6 Man findet danach zunehmend mehr Quellenmaterial
an einem Orte, das früher verstreut war und beschwerlich an verschiedenen Stellen gesucht
werden mußte.
Der Archivbenutzer ist gehalten, sich darüber zu orientieren, welchen Zweckcharakter
die einzelnen Abteilungen der Archive auf Grund ihrer historischen Entwicklung besitzen
und was für Materialien sie umfassen, um bei seiner Forschung gut voranzukommen. Wäh-
rend er im Staatsarchiv Dresden durch die vorher genannte Übersicht7 weitestgehend darüber
unterrichtet wird, bedarf es in Kreis-, Rats- und Gemeindearchiven jeweils der Sonder-
ermittlung, welche Bestände dort geführt werden bzw. abgegeben worden sind und wo sie
jetzt lagern.
II
Bei der von uns bislang betriebenen Hausforschung auf archivalischer Grundlage konnten
wir eine Reihe von generellen Erfahrungen machen, über die wir zunächst berichten. Zu
ihnen gehört die Feststellung, daß der Hauskundler im Ganzen gesehen materialmäßig
nicht so günstig gestellt ist wie der Siedlungskundler, der Orts- und Flurform untersucht.
Das Haus hat nicht in gleichem Umfang im Aktenwerk der Vergangenheit Niederschlag
gefunden, was erklären mag, daß die Siedlungskunde selbst geflissentlich Haus und Hof aus
ihrer Forschung ausklammerte oder nur streifte, wie nicht zuletzt auch R. Kötzschkes
postumes Werk über Siedlung und Agrarwesen in Sachsen belegt.8 Diese Feststellung impli-
ziert den bedeutsamen Tatbestand, „daß im Sozial- und Wirtschaftsbereich des Dorfes die
Gebäude dem Boden und nicht umgekehrt der Boden den Gebäuden dient. Nicht aus den
Häusern, sondern aus der Nutzung der Gärten, Felder, Wiesen, Weiden und Wälder zogen
die Bauern und die Zins- und Zehntberechtigten ihren Lebensunterhalt“.9 Nichtsdesto-
weniger kann die Quellenlage für die Hausforschung in Sachsen nicht schlecht genannt
werden. Doch muß man feststellen, daß sie sich für eine volkskundliche Forschung, die
dem Wohnen und Wirtschaften im Haus und Hof nachgeht, ergiebiger erweist als für den
speziell entwickelten Forschungszweig, der Aussagen mit Hilfe des Gefüges zu gewinnen
sucht. Das gilt jedoch nicht nur für sächsische Verhältnisse, sondern auch für andere Ge-
biete, wie etwa S.-K. Kramers volkskundliche Archivforschungen in Franken beweisen.10 11
Hinsichtlich der Quellensituation ist besonders beachtenswert, daß die ländliche Bauweise
des 17. und 18. Jhs gewöhnlich nicht in speziell mit Bauordnung bezeichneten Akten erhellt
wird, da diese zumeist nur Schloß- und Festungsbau bzw. Tariflöhne der Baugewerke be-
treffen, sondern in sog. Forst- und Holz- sowie Feuerordnungen.11 Die Forst- und Holz-
ordnungen reichen bis ins 16. Jh. zurück. Veranlassung dazu ist eine damals einsetzende
technische Revolution, deren Brennpunkte sie kennzeichnen. Der seit dem 14. Jh. im Erz-
gebirge betriebene Bergbau verbrauchte laufend mehr Holz. Der wachsende Waldschwund
gebot die Beschränkung der Holzbauweise, nötigte zum Aufgeben des Blockumgebinde-
hauses und zur Einführung des Fachwerk- und Massivbaues. Nur in Dörfern, die Sonder-
rechte, sog. Waldgerechtsame, z. T. bis ins 19. Jh. besaßen, wie Saupsdorf und Hinterherms-
dorf in der waldreichen hinteren Sächsischen Schweiz,12 lebte der reine Holzbau fort. Hier
6 So wurde 1962 ein großer Teil der Archive der ehemaligen Forstämter der Sächs.
Schweiz, die im Staatl. Forstwirtschaftsbetrieb Sebnitz lagerten, nach Dresden gebracht.
Sie bergen für die Hausforschung im Elbgebirge wertvolles Material.
7 Vgl. dazu noch besonders R. Kötzschke, Ländliche Siedlung und Agrarwesen in Sach-
sen. Aus dem Nachlaß hg. v. Herbert Helbig. Remagen/Rhein 1953, 22ff.
8 R. Kötzschke, a. a. O. 187ff.
9 Nach W. Abel, Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalters. Stuttgart 1955, 50.
10 S.-K. Kramer, s. unter 1., vgl. 51 ff.
11 A. Fiedler, Kursächsische Landesverordnungen des 16. bis 18. Jahrhunderts und ihre
Einwirkung auf die ländliche Bauweise. DJbfVk 11 (1965) 49ff.
12 M. Schober, Die Waldgerechtsame des Dorfes Hinterhermsdorf. In: Sächs. Schweiz 2,
Berichte des Arbeitskreises „Sächs. Schweiz“, 143 — 155 (= Beiheft der Sächs. Heimatbll.
Jg- I965)-
28 Volkskunde
422
Alfred Fiedler
können wir an Hand der in ehemaligen Forstamtsarchiven verwahrten genauen Bauan-
schläge für die Holzbelieferung aller berechtigten Einwohner ohne Mühe die Zumessungen
der konstruktiven Hölzer, die nach Länge, Stärke und Verwendungszweck auf geführt sind,
am heutigen Baubestand noch nachprüfen oder mit ihrer Hilfe Rekonstruktionen vorneh-
men. Ähnlich günstige Quellen für Aussagen hinsichtlich des Gefüges sind selten. Ihre
Qualität wird nicht einmal in den Baugesuchen des 19. Jhs erreicht, die nach gesetzlicher
Bestimmung mit Bauzeichnung zu versehen waren.
Im natürlichen Zusammenhang mit den Holzordnungen entstanden die Feuerjschutz]-
ordnungen, unter denen die große Kursächsische Dorffeuerordnung von 1775 besonders
bemerkenswerte Anordnungen für den Hausbau und das Verhalten im Hause beim Umgang
mit Feuer enthält. Dazu zählen Erhebungen über ihre Entstehung wie auch Untersuchungen,
die reichlich fünfzig Jahre später über die Frage der Nichterfüllung von Teilanordnungen,
so der der Einführung kommunaler Backhäuser und der Abschaffung der mit Holz ge-
fertigten Schornsteine, durchgeführt wurden,13 ferner Aktenbestände der Zentralbehörden,
die im allgemeinen übergeordnete und komplexe Vorgänge behandeln. Mit ihrer Hilfe
gelangt der Forscher zu Übersichten über das gesamte Territorium, die er sonst bei dem vor-
herrschenden Bestand an regional begrenzten Materialien erst mosaikmäßig zusammen-
setzen muß.
Zu den generellen Erfahrungen der Flausforschung gehört die Tatsache, daß bei der
Struktur des bis ins 19. Jh. bestehenden Feudalstaates Landesverordnungen, die u. a. auch
den Hausbau, wie die angeführten, zum Gegenstand haben, im Bereiche der unmittelbaren
Amtsdörfer, d. h. solcher Orte, die dem Kurfürst selbst unterstanden, bessere Aussicht auf
Befolgung hatten als in den Dörfern der zahlreichen Unterobrigkeiten. Nicht wenige Bei-
spiele liegen vor, die beweisen, wie in letzteren die Anordnungen ignoriert beziehungsweise
bewußt oder unbewußt falsch ausgelegt wurden.
Begünstigt wurde die Verzögerung oder Nichtbeachtung der Verordnungen durch die
Unruhen der Zeit, die zahlreichen und zudem langen Kriege und das Wüten der Pest we-
nigstens bis in die Mitte des 18. Jhs. Stellt man noch die klimatischen und geographischen
Unterschiede des Landes und die damit verbundenen unterschiedlichen ländlichen Produk-
tionsweisen in Rechnung, so kann leicht gefolgert werden, daß die Baupflege der Dörfer
meist nur notdürftig in traditioneller Form weitergeführt wurde.
In das hier behandelte Kapitel mag noch die Feststellung gehören, daß die Ausdrucksweise
der landesobrigkeitlichen Gesetze und Anordnungen mit ihrem einerseits schwülstigen, an-
dererseits abstrakten Kanzleistil, der von der Volkssprache erheblich abwich, wiederholt
Ursache von Mißverständnissen war, so daß die Gesetze oft nicht oder nur mangelhaft
befolgt wurden. So mußte die Landesregierung auf die schon erwähnte 1824 veranstaltete
Rundfrage, warum die Abschaffung der seit über 100 Jahren verbotenen Errichtung von mit
Holz gefertigten Schornsteinen so wenig Beachtung gefunden habe, erfahren, daß der von
ihr gebrauchte Ausdruck Klöppelesse in einigen Teilen des Landes ganz unbekannt war.14
Ähnlich verhielt es sich mit dem Umstande, daß das Gesetz unter Verdikt gestellte Objekte
nicht näher beschrieben, sondern nur benannt — da als bekannt vorausgesetzt — hatte,
was aber durchaus nicht immer der Fall war.
Zu den generellen Erfahrungen der Archivforschung rechnen wir schließlich noch die
Tatsache, daß gesetzliche Anordnungen allgemein sehr begrenzt verwirklicht wurden. Diese
oder jene Anordnung mußte unter dem Widerstand der Bevölkerung modifiziert werden.
Andere mußte man infolge der allgemeinen Veränderung der gesellschaftlichen Verhält-
nisse fallen lassen. So wurde den Kammregionen des Erzgebirges im ersten Viertel des
19. Jhs die Beibehaltung der Schindeldächer zugestanden, gegen deren Abschaffung die
13 A. Fiedler, Zur Frage des privaten und kommunalen Backens in den Dörfern Sachsens
während des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Abhandlungen u. Berichte des Staatl.
Museums f. Völkerkunde Dresden 22 (1963) 181 —1.96; ders., Die Abschaffung der mit Holz
gefertigten Schornsteine in Sachsen. Letopis C 8 (1965) 74—97.
14 Ebda 8 2 ff.
Hauskundliche Archivforschung in Sachsen
423
Gebirgler protestiert hatten.15 16 Auch nahm die Obrigkeit von der Einführung kommunaler
Backöfen in Sachsen schließlich Abstand, als die gewerbliche Bäckerei in den sächsischen
Dörfern aufkam.
Zum Schluß dieses Abschnitts sei noch auf diejenigen Bestände des Staatsarchivs Dresden
hingewiesen, in denen besonders wertvolles hauskundliches Quellenmaterial enthalten ist.
Es handelt sich vornehmlich um die Bestände des Finanzarchivs, des Innenministeriums
und der ihm unterstellten Kreis- und Amtshauptmannschaften, ferner um die sog. Gerichts-
bücher sowie die Kollektion Schmid, eine um 1850 zusammengestellte Sammlung von Amts-
sachen der Zeit vom 16. bis 18. Jh. aus 42 Ämtern und 12 Bergämtern. Zu nennen sind auch
die mit der Reformation entstandenen kirchlichen Visitationsakten, die in ihren jüngeren
Beständen oft Beschreibungen von Pfarrgütern enthalten, sowie die seit der zweiten Hälfte
des 18. Jhs angelegten Flurbücher, deren erster Teil gewöhnlich Angaben über Haus und
Gehöft sowie Nebenbaulichkeiten bringt. Diese Angaben verdichten sich in den 1812 auf-
gestellten Consignationen der Hausgrundstücke und ihrer Besitzer.16 Sie werden ab 1834 im
Zuge der Staatsreform in den neu aufzustellenden Flurbüchern infolge eingehenderer Kata-
strierung weiter vervollkommnet.17 Die als Ergebnis der „ Saecularisation sächsischer Klö-
ster“ in der ersten Hälfte des 16. Jhs entstandenen Klosterinventare, die sich in den Beständen
des Geheimen Archivs und des Finanzarchivs befinden, harren noch eingehender hauskund-
licher Auswertung. Von besonderem Wert ist die Sammlung von Karten und Kissen, deren
Zahl an Bauaufnahmen sich durch jene Bauzeichnungen vergrößert, die seit 1833 den Bau-
gesuchen bei den ehemaligen Amtshauptmannschaften beigegeben werden mußten.18
Baugesuche mit Bauzeichnungen der Zeit nach 1900 werden gewöhnlich noch im Geschäfts-
verkehr der Kreisbauämter benötigt und sind daher dort einzusehen.
In diesem Zusammenhang sei noch auf die Bestände von Bauernhausaufnahmen im Plan-
archiv des Instituts für Denkmalpflege Dresden verwiesen, die mit Unterstützung der Deut-
schen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1965 registriert werden konnten.
III
Im folgenden sollen uns einige hauskundliche Fragen beschäftigen. Bei Überprüfung der
Frage nach dem ländlichen Baubedarf im 17. und 18. Jh. war zu erkennen, daß seine Er-
mittlung nicht anders als in einer historischen Differenzierung nach Schichtenfolgen, wie
sie T. Gebhard empfohlen hat,19 geschehen kann. Da Spezifikationen mit eingehenderen
Angaben über den Bevölkerungsstand, die über die allgemeine Feststellung von soundso
viel besessenen Mann hinausgehen und — gar unter Vermerk von Alter, Geschlecht, Dienst-
leistung — die Gesamtbelegschaft eines Bauernhofes aufzählen, nicht zahlreich sind, stößt die
Forschung auf mancherlei Schwierigkeiten, will sie das Wachstum der Bevölkerung fest-
stellen, das in Relation zu einem Baubedarf zu setzen wäre. In günstigen Fällen, wo für ein
und denselben Ort dergleichen Spezifikationen in größeren Abständen angefertigt wurden
und noch vorhanden sind, war auf ein kontinuierliches Anwachsen der Bewohnerschaft je-
doch nur mit Vorsicht zu schließen, sofern Kriege und Pestzeiten dazwischenlagen, die eine
15 A. Fiedler, Von Dach und Fach. 1. Teil: Vom Stroh- und Schindeldach zum harten
Dach. Beiträge zur sächs. Bauernhausforschung. Sächs. Heimatbll. 9 (i960) 354—564.
16 Vgl. Mandat v. 9. Juli 1812, Einführung eines neuen Abgabesystems und einer neuen
Grundabgabe zum Behufe der Aufbringung der erhöhten, neuen oder außerordentlichen
Staatsbedürfnisse. Cod. Aug. III, Fortsetzung II, 489ff.
17 R. Kötzschke, a. a. O. Ö9ff. u. 144fr.
18 Vgl. hierzu die Angaben über die geschichtliche Entwicklung der einzelnen Archiv-
abteilungen und den zeitlichen Umfang ihrer Bestände in: Übersicht über die Bestände ...
(s. unter 3); ferner R. Kötzschke, a. a. O. 32ff., über die Quellenlage in der Ober- und
Niederlausitz, die 1635 erb- und eigentümlich als Mannlehen an das Kurhaus Sachsen über-
geben wurden, jedoch ihre Landesverfassung bewahrten, sowie allgemein in Sachsen in der
Zeit nach dem 30jährigen Kriege.
19 T. Gebhard, a. a. O. 203!.
28*
424
Alfred Fiedler
besondere Auseinandersetzung mit der Wüstungsforschung gebieten.20 Dies gilt auch für
die Frage des ländlichen Baubedarfs. Nach Lage der bis zum Ausgang des 18. Jhs betrie-
benen extensiven ländlichen Produktionsweise, die zudem in gewissen Gebieten des Landes
noch in der Form der Dreifelderwirtschaft betrieben wurde, war er allgemein nicht hoch,
sieht man von den Kriegsverwüstungen und den auch sonst zahlreichen Dorfbränden ab.
Er erstreckte sich auf das Notdürftigste, wobei das psychologische Moment in Rechnung
zu stellen ist, daß eine schwer von Lasten und Nöten heimgesuchte Landbevölkerung, die
aus Existenzgründen gemeinhin das Wohnen dem Wirtschaften unterordnete, mit dem vor-
handenen Raumbestand trotz großer Enge auszukommen suchte.
Ein mehr oder weniger plastisches Bild von der Enge in den Wohnhäusern der Zeit ver-
mitteln im besonderen die Ausgedinge und Erbkäufe, denen man innerhalb der Gerichts-
oder Schöppenbücher begegnet. In den Vereinbarungen, die zwischen den Alten als Ver-
käufern und Kindern oder Fremden als Käufern abgeschlossen wurden, spiegelt sich die
soziale Realität in mannigfachem konkreten Detail wider; z. B. kam dem Ofen als der seiner-
zeit einzigen Feuerstätte im Elause eine sehr große Bedeutung zu. Um diesen Platz „in des
Käufers Wohnstube“ fanden sich nicht nur Alt- und Neubesitzer zur Winterszeit zusammen,
sondern hier war den Kranken beider Parteien im Bedarfsfälle auch ein Bett aufzuschlagen.
Baugesuche, namentlich von kinderreichen Hausgenossen, machen den Wunsch nach
einem eigenen Haus verständlich. Was den Wirtschaftsraumbedarf der bäuerlichen Betriebe
betrifft, so ist er stets von der ländlichen Produktivität und ihrer Entwicklung abhängig,
mit der sich der Volkskundler immer wieder auseinandersetzen wird. Tatsache ist z. B.,
daß der Spreewald auf Grund der lange betriebenen Grünlandwirtschaft bis in die jüngste
Vergangenheit die Scheune nicht kannte.21 Die Anlage von Kellern wurde im gesamten
Lande erst mit der Einführung des Kartoffelanbaus zwingend. Es ist eine Sonderaufgabe,
den Frühformen der von dieser Zeit an bestehenden Keller systematisch nachzugehen.
Der erhöhte Milchbedarf in den größeren Städten, der u. a. mit dem verstärkten Konsum
von Kaffee und Schokolade zusammenhing, drängte auf eine Verbesserung der Milchwirt-
schaft, namentlich auf Pflege der Frischmilch, und somit auf die Errichtung von Milchge-
wölben, die jedoch erst in der Mitte des 19. Jhs zu einem besonderen Bauanliegen werden.22
Auf Grund des gleichfalls erhöhten Fleischverbrauchs in den anwachsenden Städten war es
nötig, die Schweinezucht zu intensivieren. Sie konnte nicht ohne eine Verbesserung des
Stallbaues vor sich gehen. Dies alles machte es notwendig, die Dynamik der ökonomischen
Entwicklung in ihrer Relation zur ländlichen Bauweise im Auge zu behalten. Die stufenweise
in konzentrischen Kreisen um die großen Städte sich vollziehende landwirtschaftliche Inten-
sivierung mit ihrem Baugeschehen und später die Verwandlung der Dörfer vor der Stadt zu
solchen innerhalb der Städte, namentlich der ausgreifenden Großstädte, ist für Sachsen
bisher volkskundlich kaum erforscht. Da es sich um Vorgänge der jüngsten Zeit handelt,
fehlt es nicht an Quellenmaterial.
Eine gewiß in mehrfacher Richtung problematische Frage ist die der Herausbildung der
geordneten Dreiseit- bzw. Vierseithöfe, ferner die der Konstanz der Gebäudeanordnung
innerhalb der Gehöfte sowie die der Entstehung der Wohnstallgebäude. So viel erkennbar
ist, hat die Dorffeuerordnung von 1775 mit ihrer Forderung nach Hofübersichtlichkeit
zum Zwecke der wirksamen Bekämpfung von Bränden wesentlich zur Beseitigung von
Haufenhöfen beigetragen. Noch ist des näheren zu untersuchen, in welchen Gegenden diese
Gehöftform besonders verbreitet war. Von einer allgemeinen Konstanz und Gleichmäßigkeit
der Gebäudeordnung innerhalb der Höfe kann man in Sachsen nicht sprechen. Bei Reihen-
20 Vgl. hierzu K.-H. Blaschke, Soziale Gliederung und Entwicklung der sächsischen Land-
bevölkerung im 16. —18. Jahrhundert. Zs. f. Agrargesch. u. Agrarsoziol. 4 (1956) 144 —155 ;
ferner zu grundsätzlichen Fragen der Wüstungsforschung W. Abel, a. a. O.
21 E. Deutschmann, Lausitzer Holzbaukunst unter besonderer Würdigung des sorbischen
Anteils. Bautzen 1959, 48.
22 A. Fiedler, Die Milchaufbewahrungsorte der bäuerlichen Wirtschaften in den säch-
sischen Bezirken der Deutschen Demokratischen Republik. Ethnographica 5—6 (Brno
1963 —1964, erschienen 1966) 61—67.
~~*»тт уШШ i i VilfävM мМШхШ&хмъТуШйп üvüí
Hauskundliche Archivforschung in Sachsen 425
dörfern, die durch enge Nachbarschaft nicht bedrängt sind, beweisen dies nicht nur der
augenblickliche Bestand, sondern auch Bauzeichnung und Bildwerk aus früherer Zeit.
Bauanträge aus der Zeit um 1800 aus der Umgebung von Leipzig belegen jedoch, daß auch
in Dörfern enger Nachbarschaft davon nicht die Rede sein kann. Diese Feststellungen sind
imstande, bisher verbreitete Vorstellungen von der Hofentwicklung in Sachsen in Frage
zu stellen. Zumindest nötigen auch sie zu regional und zeitlich differenzierter Forschung,
wobei besonders zu untersuchen ist, welchen Einfluß nach fortschreitender Verbesserung
der ländlichen Bauweise Ortsbaustatuten des 19. Jhs auf die Schaffung eines regelmäßigen
Ortsbildes gehabt haben. Offenbar hat als konstante Größe nur die zugemessene Hof-
breite eines Bauerngehöftes zu gelten.23
Besondere Schwierigkeiten bestehen bei der Erfassung der Bauweise kleiner wirtschaft-
licher Nebenbauten, obgleich sie oftmals in Flurbüchern genannt sind. Erst die Bauzeich-
nungen, die im 19. Jh. den Baugesuchen beiliegen, gestatten, systematischere Aussagen zu
machen. Genaue Untersuchungen über die Verbreitung und Bauausführung individueller
Backhäuser stehen noch aus, ebenso über Flachsdarr-, Brech- und Bleichhäuser, die bei dem
bis zum ausgehenden 18. Jh. besonders in den Gebirgsgegenden betriebenen Flachsanbau
und der dörflichen Leineweberei Bedeutung gehabt haben.
Wir beschließen unsere Ausführungen, die eine Reihe von Erfahrungen über Bauern-
hausforschung auf archivalischer Basis in Sachsen zur Diskussion stellen, mit dem Wunsche,
daß ein wechselseitiger Erfahrungsaustausch Siedlungskundler, Hausforscher, Wirtschafts-
historiker, Architekten, Archivare u. a. zu fruchtbringender wissenschaftlicher Arbeit
vereinen möge, um die historische Forschung auf diesem Sektor weiter zu intensivieren.
23 H. Mertin, Gehöftbreiten als Zeugen der Siedlungsgeschichte. Forschungen u. Fort-
schritte 34 (Berlin i960) 203 — 209; ders., Gehöftbreiten-Typen in Dörfern des Kreises
Delitzsch. Mitteldeutsches Land, Heimatkdl. Zs. des Bezirkes Halle u. Magdeburg 1 (1957)
45 — 50, 107 —116.
Fünf Jahre Ausschuß für Hausforschung in der DDR
Von Karl Baumgarten und Werner Radig
Am 16. März 1961 wurde im Rahmen der Kommission für Heimatforschung der Deut-
schen Akademie der Wissenschaften zu Berlin der Ausschuß für Hausforschung in der
DDR (AfH) gegründet. Eine solche Zusammenfassung der in der Deutschen Demokra-
tischen Republik auf dem Gebiet der Hausforschung tätigen Wissenschaftler entsprach einem
dringenden Bedürfnis. Die seit dem Übergang zur vollgenossenschaftlichen Wirtschafts-
weise im Frühjahr i960 grundlegend veränderten ökonomischen und sozialen Verhältnisse
in unseren Dörfern führen zunehmend zu tiefgreifendem Wandel im architektonischen Bild
der Siedlungen. Schon beginnen stärker als bisher die aus der individuellen bäuerlichen
Wirtschaft überkommenen traditionellen Gebäudeformen abzusterben. Diese Prozesse
erfordern — vor allem im Hinblick auf eine verstärkte Dokumentation sowie auf eine sinn-
volle Denkmalpflege — die Aktivierung der Terrainforschung. Hierfür die wissenschaft-
lichen Voraussetzungen zu schaffen, ist eine der wesentlichen Aufgaben des Ausschusses
für Hausforschung. Im einzelnen obliegt ihm damit u. a. die Förderung und Koordinierung
hauskundlicher Vorhaben, die Organisierung eines fruchtbaren Erfahrungsaustausches in
methodisch-praktischer Hinsicht sowie die gemeinsame Erarbeitung wissenschaftstheore-
tischer Grundlagen. Da die Mehrzahl der Mitglieder des Ausschusses Mitarbeiter des Instituts
für deutsche Volkskunde sind, wurde der Ausschuß am 19. 10. 1964 von der Kommission
für Heimatforschung in das Institut für deutsche Volkskunde überführt.
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426
Karl Baumgarten und Werner Radig
Dem kontinuierlichen wissenschaftlichen Kontakt zwischen den Mitgliedern des Aus-
schusses dienen jährliche Arbeitstagungen. Sie finden abwechselnd in verschiedenen Land-
schaften der DDR statt. Tagungsorte waren bislang in Mecklenburg Rostock (1961) und
Schwerin (1965), in Sachsen Dresden (1961 und 1964), in Brandenburg Berlin/Potsdam
(1963) sowie in Thüringen Jena (1962) unter Mitwirkung bzw. regionaler Leitung von O.
Schmolitzky, A. Fiedler, J. Helbig, S. Polenz und den Verfassern.
Thematisch waren die Tagungen in Mecklenburg insbesondere auf die für die jüngere
deutsche Llausforschung bezeichnenden stratigraphischen Bemühungen ausgerichtet, d. h.
auf Untersuchungen mit dem Ziel, die innerhalb einer Hausformenlandschaft einander ab-
lösenden Formenschichten zu erfassen und die sie bedingenden natürlichen und gesell-
schaftlichen Faktoren zu bestimmen. Entsprechend breiten Raum nahmen daher in der Dis-
kussion Darlegungen zur modernen Bestandserfassung mit Hilfe der Gefügeforschung ein.
Hierbei konnten Unklarheiten bezüglich dieser Untersuchungsmethode ausgeräumt und
anschließend die damit gegebenen Möglichkeiten an verschiedenen Objekten demonstriert
werden. Besucht wurden zu diesem Zweck im Rostocker Gebiet die Dörfer Klockenhagen
(Hof IX; Durchgangshaus mit einseitiger Lucht) und Bartenshagen (Hof I; großer nieder-
deutsch geprägter Hof) sowie in Nordwestmecklenburg die Dörfer Roduchelsdorf (Hof II;
Rauchhaus), Lockwisch (Hof VII; Werderhaus), Petersberg (Hof IX; ehemaliges Durch-
fahrtshaus) und Bülow (Hof IV; Durchfahrtshaus).
Ihre Fortsetzung fanden diese Diskussionen in der Brandenburger Tagung, stand doch
hier neben einem Überblick über den Stand der Forschung vor allem die Frage der Auf-
maßerfassung im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Eine Klärung dieses Problems
war für die Forschung in Brandenburg umso dringlicher, als hier gerade mit dergleichen Auf-
nahmen begonnen worden war. Dabei wurde als entscheidend der jeweilige Zweck der
Erfassung herausgestellt: bauliche Neugestaltungen oder denkmalpflegerische Maßnahmen
werden stets vom derzeitigen Zustand eines Gebäudes ausgehen — für sie reicht daher im
allgemeinen das Auf maß des Vorhandenen vollkommen aus. Untersuchungen für eine
historisch ausgerichtete Hausforschung müssen demgegenüber jedoch in jedem Falle be-
strebt sein, darüberhinaus, soweit möglich, vorhergehende Stadien zeichnerisch zu erfassen,
um die Genese des Gebäudes zu gewinnen. Der anschließenden Demonstration dienten Be-
sichtigungen u. a. in den Dörfern Michendorf und Jänickendorf (Stallgebäude mit Ober-
laube), Blankensee und Lühsdorf (Mittelflurhäuser) sowie Piligram und Lüdersdorf (Vor-
laubenhäuser mit Giebellaube).
Da die sächsischen Mitglieder des Arbeitsausschusses überwiegend Mitarbeiter des
Instituts für Denkmalpflege sind, ergab sich als Schwerpunkt der Dresdener Tagungen vor
allem die Frage der Bewahrung von Bauten der Volkarchitektur. Konfrontiert wurden die
Teilnehmer mit diesem Problem insbesondere im Bereich der Umgebindehäuser, so u. a. in
Posteiwitz, Hinterhermsdorf, Sollschwitz und Dörgenhausen. Da bei vielen der vorgeführ-
ten Objekte wegen ihres Zustandes und der für die Restauration erforderlichen Mittel
eine Betreuung durch die Denkmalpflege nicht mehr verantwortbar erscheint, muß eine ver-
stärkte Dokumentation durch Aufmaß, Beschreibung und Photo, d. h. eine Ergänzung des
bereits im Dresdener Institut für Denkmalpflege vorhandenen, schon verhältnismäßig um-
fangreichen Planarchivs angestrebt werden. Hierfür stehen allerdings die erforderlichen Mit-
arbeiter nicht zur Verfügung, und so ergibt sich auch aus dieser Sicht die besondere Be-
deutung der vom Deutschen Kulturbund getragenen Aktion „Bauten im Dorf“; leider hat
der diesbezügliche Aufruf noch immer nicht überall die notwendige Resonanz gefunden.
Als eine weitere Möglichkeit, wertvolle Volksarchitektur zu bewahren, konnte während
dieser Tagungen den Teilnehmern das Freilichtmuseum aufgezeigt werden. Besucht wurde
aus diesem Anlaß als erstes in Altenberg das technische Kulturdenkmal eines Pochwerks
zur Aufbereitung von Zinnerz. Besonderes Interesse fand verständlicherweise die Besich-
tigung des Freilichtmuseums Lehde/Spreewald, dessen Aufbau und Perspektive eingehend
erläutert wurden. Zur Diskussion standen hier weiterhin die Frage der Auswahl, der Um-
setzung und der Rekonstruktion von Museumsgebäuden.
Abgesehen von Fragen der Archivierung von Bestandserfassungen traten in der Thüringer
Tagung allgemeine Probleme der Hausforschung in den Hintergrund. Schwerpunkt waren
Fünf Jahre Ausschuß für Hausforschung in der DDR
427
hier insbesondere Darlegungen zum Stand der Forschung, deren Ergebnisse an drei aus-
gewählten Beispielen, und zwar an den Entwicklungen vom lockeren zum geschlossenen
Mehrhausgehöft, vom Wohnstallhaus zum Nur-Wohnhaus sowie vom Holzbau zum Stein-
bau, demonstriert wurden. Die anschließende Exkursion führte u. a. nach Hohlstedt bei
Weimar (Umgebindehaus), zu Ackerbürgerhöfen in Neustadt/Orla sowie zu dem bereits
1915 gegründeten Freilichtmuseum in Rudolstadt. Diese Anlage entspricht vor allem in ihrer
Inneneinrichtung nicht mehr den modernen museologischen Vorstellungen. Es wurde
daher eine grundlegende Neuordnung des Museums gefordert, wofür Mitglieder des
Ausschusses inzwischen beratende Hilfe geleistet haben.
In den ersten fünf Jahren seines Bestehens ist der Ausschuß für Hausforschung in der DDR
somit ohne Frage erfolgreich bemüht gewesen, die ihm gestellten Aufgaben zu erfüllen.
Als von besonderer Bedeutung in dieser Hinsicht erwiesen sich dabei die in der zurück-
liegenden Zeit durchgeführten sechs Arbeitstagungen — im Jahr 1961 fanden zwei Tagungen
statt. Hier ergab sich immer wieder Gelegenheit, die Mitglieder mit dem jeweils neuesten
Stand der Forschung, mit den modernen Methoden der Bestandserfassung sowie mit einer
Reihe aussagekräftiger Objekte in den verschiedenen Landschaften der DDR bekannt zu
machen. Es wird daher das besondere Anliegen des AfH sein, diese Kontaktnahme unter
seinen Mitgliedern weiter zu fördern. Doch sollte hierbei eine noch stärkere Ausstrahlung
auf Nachbardisziplinen angestrebt werden. Ohne Zweifel ist in den Kreisen der Denkmal-
pfleger, Museologen, der Agrarhistoriker, der Siedlungsgeographen und der Ur- und
Frühgeschichtler Interesse für die neueren Ergebnisse hauskundlicher Forschung vorhanden.
Es sollte daher in zunehmendem Maße — bisher war nur in Schwerin der Teilnehmerkreis
beträchtlich erweitert worden — versucht werden, auch Vertreter anderer Institutionen zu
den Veranstaltungen mit heranzuziehen, unter denen in Zukunft auch Wissenschaftler aus
der Bundesrepublik erwartet werden.
BESPRECHUNGEN
Kulturanthropologie. Hg. von Wilhelm Emil Mühlmann und Ernst W. Müller. Köln-
Berlin, Kiepenheuer u. Witsch, 1966. 434 S. (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek:
Soziologie).
Nach langer Pause und nachdem die früher so bedeutungsvolle kulturhistorische Schule
ständig an Einfluß verliert, gibt es eine neue Richtung auf völkerkundlichem Gebiet: die
Kulturanthropologie. Diese neue Richtung ist heute, wie Mühlmann in dem vorliegenden
Werk (15) feststellt, schon fast eine Modeerscheinung, wobei jedoch Dilettantismus und
allgemeines Gerede die Gefahr heraufbeschwören, das Anliegen der neuen Richtung zu dis-
kreditieren, noch ehe sie Gelegenheit gehabt hat, ihre Ansichten darzulegen.
Das Hauptanliegen der beiden Herausgeber ist daher die Klarstellung dessen, was unter
„Kulturanthropologie“ zu verstehen ist.
Mit Recht polemisiert Mühlmann gegen die oft vertretene Auffassung, die Kultur-
anthropologie sei eine amerikanische Erfindung. Die Wurzeln dieser Denkrichtung liegen
eindeutig in Deutschland bzw. in Europa. Sie bestehen in der Gestaltpsychologie Diltheys,
die in der Kulturmorphologie von Frobenius eine direkte Fortsetzung auf ethnologischem
Gebiete fand sowie in der Psychoanalyse Freuds und dem Neukantianismus, der als all-
gemeine philosophische Orientierung dieser Denkrichtung zugrunde liegt. Wenn es trotz
dieser günstigen Voraussetzungen nicht in Deutschland, wohl aber in Amerika zur Ausbildung
der neuen Schule kam, dann lag das an den politischen Verhältnissen. Als 1934 mit Ruth
Benedicts Werk Pattern of Culture sozusagen die Pionierarbeit der neuen Richtung der
Öffentlichkeit vorgelegt wurde, konnte im faschistischen Deutschland ein wichtiger Be-
standteil der neuen Lehre, die Psychoanalyse Freuds, nicht mehr vertreten werden. Erst nach
dem 2. Weltkrieg, als eine starke Verbreitung amerikanischen Gedankengutes nach West-
europa einsetzte, wurden auch die Auffassungen dieser Denkrichtung in Deutschland all-
gemein bekannt, und wurde vor allem der Weg frei für ein Bekenntnis zu ihren Prinzipien.
Mühlmann und Müller haben in dem vorliegenden Werk keine neuen Forschungsergeb-
nisse der Kulturanthropologie vorlegen wollen. Im Gegenteil, alle 18 Einzelbeiträge des
Bandes sind bereits einmal publiziert worden, wenn auch nicht — wie in dem vorliegenden
Werk — immer in deutscher Sprache. Mancher Beitrag ist schon mehrere Jahrzehnte alt,
so z. B. der von Thurnwald, Krause, Sapir, Jensen und Hsien Chien-hu. So besteht der Wert
des Buches in erster Linie in der Zusammenstellung der Gesichtspunkte und der unterschied-
lichen Auffassungen. Wer sich weiter informieren will, wird zweifellos die Literaturangaben
am Ende eines jeden Einzelbeitrages begrüßen.
Nach Auffassung der Herausgeber (11) ist „Kulturanthropologie eine Disziplin, die aus
dem empirischen Pluralismus und der Formenmannigfaltigkeit der Kulturen typische
Chancen menschenmöglichen Verhaltens abzulesen sucht ..., sie will Einblick in das Wesen
des Menschen geben.“ An anderer Stelle, in dem Beitrag Mühlmanns Umrisse und Probleme
einer Kulturanthropologie (17), heißt es zur Begriffsbestimmung, man könne „die Kultur-
anthropologie definieren als eine Lehre von den kulturbedingten Modifikationsunterschieden
des Verhaltens oder auch als eine vergleichende ethnologische Modifikationslehre.“ In
diesem Zusammenhang wies Mühlmann ausdrücklich darauf hin, daß das Handeln des
Menschen nicht nur „kulturgegeben“, sondern auch „kulturvariierend“ sei (17).
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Besprechungen 429
Insbesondere die zuletzt angeführte Auffassung schafft einen deutlichen Unterschied zu
den Auffassungen der von Ruth Benedict ausgehenden Richtung. Sahen Benedict und ihre
Anhänger nur die eine Seite, den Einfluß der Kultur auf das menschliche Verhalten, fordert
Mühlmann auch die Beachtung der anderen Seite, die Veränderung der Kulturen durch
menschliches Eingreifen. Damit kam er dem Verständnis historischer Vorgänge näher, als
das Benedict auf Grund ihrer Ausgangsbasis möglich war. — Dies wird besonders deutlich
in den Ausführungen Mühlmanns über die historische Bedeutung der Werkzeuge. Hatte
sich Benedict niemals Fragen solcher Art vorgelegt, widmet Mühlmann diesem Problem
einen eigenen Abschnitt in seinen grundsätzlichen Bemerkungen über die von ihm vertre-
tene Forschungsrichtung. Darin erkennt er nicht nur die Bedeutung der Werkzeuge für den
Grad der Naturbeherrschung an, sondern auch deren Wirkung auf die menschliche Er-
kenntnisfähigkeit (27). Hier finden sich also Auffassungen einer Wechselwirkung zwi-
schen Mensch und Kultur. Einerseits wird der Mensch als Schöpfer der Kultur dargestellt,
andererseits aber bildet nach dieser Auffassung auch die Kultur im gewissen Sinne den Men-
schen, bestimmt sein Denken und lenkt seine Aktivitäten. Kultur, wenn auch vom Menschen j
geschaffen, tritt demzufolge nach Mühlmann dem Menschen als etwas Objektives entgegen.
Dennoch wäre es eine Fehlinterpretation, wollte man behaupten, Mühlmann erblicke
in einer solchen objektiven Gegebenheit, wie es z. B. die Werkzeuge darstellen (bei Mühlmann
werden sie in die Kategorie des „Machtverhaltens“ eingeordnet), einen entscheidenden
geschichtsbildenden Faktor. Zwar stellt er (28) fest, „... die psychische Expansionskraft
des Menschen (wird) stark durch das Maß der Naturbeherrschung bzw. Naturunabhängig-
keit bestimmt“, aber das Wichtige ist nach seiner Auffassung die psychische Seite des
Menschen, und ihr gilt auch das ganze wissenschaftliche Interesse. <
Man muß aber noch eine weitere Einschränkung machen: Für Mühlmann war die Grenze <
zwischen menschlichem Subjekt und objektiviertem Produkt des Menschen durchaus noch ]
nicht klar erkennbar (18), so daß notwendigerweise die objektive Seite des gesellschaftlichen ‘
Lebens für ihn zu einer nicht genau abgrenzbaren und demzufolge in ihrer Bedeutung auch
nicht definierbaren Gegebenheit werden mußte. Daher forderte er, zunächst einmal die Viel-
falt der Möglichkeiten menschlichen Verhaltens in ihrem ganzen Umfange zu beschreiben
und erst später nach Erklärungen dafür zu suchen (18). Das augenblickliche Stadium ist
demnach das der Bestandsaufnahme.
Alle für diesen Band ausgewählten Einzelbeiträge sind als Mosaiksteine zur Beantwortung
einer einzigen Frage gedacht: In welcher Weise und in welchen Bereichen wird das mensch-
liche Verhalten von der Gesellschaft beeinflußt, oder, wie es in einem anderen Beitrag
Mühlmanns (Anthropologie und Soziologie, in: Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1955,
14) kurz und prägnant heißt, in welcher Weise wirkt die Gesellschaft im Menschen. Die
von den Mitautoren gegebenen Antworten sind vielfältig und verweisen u. a. auf kultur-
bedingte Charakteristika auf dem Gebiete der Sprache, des Denkens, der moralischen Wer-
tungen, der Gesten und sogar des Laufens. So steht es also fest: Der Mensch wird von der
Gesellschaft geprägt, in die er hineingeboren wurde, übernimmt deren Erfahrungen und i
läßt sich in allem, was er tut, von den geltenden Normen leiten.
So sehr man die Betonung dieser Seite des gesellschaftlichen Zusammenlebens verstehen
kann, wenn sie in Antithese zu den in Westdeutschland weit verbreiteten Auffassungen der
Soziologie gesetzt wird, wonach das soziale Geschehen ausschließlich auf das Handeln ein- I
zelner Menschen zurückzuführen ist (9), so sehr steht eine solche Darlegung mit der oben zi- '
tierten Auffassung Mühlmanns von der „kulturvariierenden“ Tätigkeit des Menschen im (
Widerspruch, so sehr nähern sich damit die Ansichten wieder denen von Ruth Benedict.
Von dieser Basis aus aber wird es völlig unverständlich, aus welchen Gründen ein Wandel
bzw. eine Entwicklung erfolgt.
Es ist daher kein Zufall, wenn die Begriffe Geschichte, Entwicklung, Fortschritt, Trieb-
kräfte der Geschichte usw. kaum in der vorgelegten Auswahl von Beiträgen zur Kultur-
anthropologie Vorkommen. Nur Thurnwald, dessen Beitrag allerdings schon älteren Datums
ist und der ohnehin nicht so ohne weiteres irgendeiner „Schule“ zugerechnet werden kann,
da er die Gesichtspunkte von verschiedenen Denkrichtungen miteinander kombinierte,
geht auf das Problem der historischen Entwicklung einmal näher ein (373 — 387).
430
Besprechungen
Im allgemeinen jedoch interessiert die Vertreter der kulturanthropologischen Betrach-
tungsweise nur das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, wobei die psycho-
logischen Untersuchungsmethoden überwiegen. Dabei wird von den meisten die Gesell-
schaft als „ein ideell-bedingtes Sein“ (37) verstanden. Eigentum, Produktion und gesell-
schaftliche Widersprüche werden daher nicht als die bestimmenden Elemente des gesell-
schaftlichen Lebens verstanden. Die Handlungen der Menschen und ihr Verhalten, außerhalb
ihres materiallen Seins gesehen, werden damit zu unerklärlichen Erscheinungen.
Wenn Mühlmann fordert, zunächst einmal das Material zu sammeln und erst dann Er-
klärungen für die festgestellten Erscheinungen zu suchen, dann argumentiert er in der
gleichen Weise, wie es die Positivisten seit Beginn ihres Daseins getan haben. Mit einer sol-
chen Argumentation wird bewußt einer theoretischen Entscheidung aus dem Wege ge-
gangen. Bei der schnellen Entwicklung aller Wissenschaften in unseren Tagen werden
ständig neue Tatsachen bekannt, und es steht daher zu befürchten, daß die Zeit für theo-
retische Entscheidungen nach dieser Auffassung niemals kommen wird. Während die Ethno-
logie, die im Gegensatz zu vergangenen Jahrzehnten heute ja vielfach ebenfalls atheoretisch
geworden ist, sich intensiv um die Aufhellung lokalhistorischer Zusammenhänge bemüht
und damit unsere Kenntnisse in wichtigen Punkten bereichert, ist die kulturanthropolo-
gische Forschungsrichtung in den letzten Jahrzehnten theoretisch nicht vorangekommen.
Die Kulturanthropologie stellt sich jedoch sehr reale praktische Ziele, die einer ihrer
Vertreter (C. A. Schmitz, Die Monogamie in der Sicht des Ethnologen, Zs. f. evangelische
Ethik 10, 1966 Heft 2, 105) einmal deutlich mit folgenden Worten ausgesprochen hat:
„Da es keine Gesellschaft ohne solche Normen gibt, sind diese Schwierigkeiten (Anpassung
des Individuums an die geltenden Normen — I. S.) unvermeidlich. Es kann sich also nie-
mals darum handeln, die Ursachen solcher Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen. Es
geht stets nur darum, die Bewältigung solcher Schwierigkeiten zu erleichtern und die Folgen
zu lindern. Dieser Problemkreis ist Forschungsgegenstand der Kultur-Anthropologie ...“
Mit anderen Worten gesagt: Die Kulturanthropologie als Wissenschaft hat die Aufgabe, die
möglichst konfliktlose Integration des Individuums in die durch Widersprüche gespaltene
Gesellschaft zu ermöglichen. Nicht Analyse und Beseitigung der Widersprüche ist also die
wissenschaftliche Aufgabe, sondern Verdeckung dieser Widersprüche. Von dieser Basis
ist weder eine Lösung der gegenwärtigen Probleme möglich, noch läßt sich von hier aus
ein Bild über die Ursachen der historischen Entwicklung gewinnen.
Irmgard Sellnow, Berlin
Laurits Bgdker, International Dictionary of Regional European Ethnology and Folklore.
Volume II: Folk Literature (Germanic). Copenhagen, Rosenkilde and Bagger, 1965.
365 S.
Das Editionskomitee, Sigurd Erixon und Äke Hultkrantz, bezeichnet in seinem Vorwort
diesen zweiten Band der auf 12 Bände geplanten Reihe als in seiner Anlage abweichend von
der Grundkonzeption des Gesamtunternehmens. Während nämlich der 1. Bd. (Äke Hult-
krantz, General Ethnological Concepts, Copenhagen i960) unter dem in englischer Sprache
gegebenen ethnologischen Hauptbegriff die entsprechenden Konzeptionen, Methoden und
Schulen referiert (allerdings unter weitgehender Auslassung der marxistischen Wissen-
schaft. Vgl. hierzu die Rez. von Irmgard Sellnow inDJbfVk 9 [1963], 359 f.) und zum Ge-
samtkomplex gehörende Termini unterordnet, hat B. mehr eine folkloristische Enzyklo-
pädie mit alphabetisch und gleichwertig fortlaufenden Stichworten geschaffen: Jeden Be-
griff bringt er in der jeweiligen nationalen Sprachform mit der u. U. differierenden Defi-
nition, z. B. neben engl. Legend — dt. Legende, engl. Motif — dt. Motiv, schwed. Sägen — dt.
Sage — dän. Sagn. Das hat seine vom Verf. gut begründeten Vorteile, jedoch auch weniger
befriedigende Konsequenzen.
Hultkrantz ordnet, wie gesagt, alle Begriffe der englischen Nomenklatur unter, und wenn
diese den Gesamtkomplex inhaltlich nicht ganz trifft, wird der umfassendere Terminus einer
Besprechungen
431
anderen Sprache ins Englische übersetzt. Damit schafft er zum Teil neue Wortprägungen,
die dem internationalen wissenschaftlichen Gebrauch nicht entsprechen. Diese Inkonsequenz
hat Bodker bei der gleichwertigen Anführung aller Termini in allen (germanischen) Spra-
chen vermieden. Er bietet auf diese Weise dem Benutzer eine genaue Orientierung über
Inhalt und Anwendung jedes einzelnen Begriffes durch die bedeutendsten Wissenschaftler
in den entsprechenden Ländern. Ohne Zweifel ist es jedoch ein Nachteil dieser Methode,
daß kein Problem-Komplex in seiner Gesamtheit dargestellt werden kann. Es fehlt in jedem
Fall der historische Überblick über die Entwicklung eines bestimmten folkloristischen
Forschungsgegenstandes in Europa. Zum Beispiel treffen wir den Komplex „Märchen“
unter verschiedenen Stichworten, wie Folktale, Folksaga, Märchen, Märchenfabulat usw.
Das ergibt Wiederholungen, zahlreiche Querverweise und für den Benutzer die Notwendig-
keit des „Zusammensuchens“. Vielleicht wäre eine Synthese der in beiden Bänden angewand-
ten Methoden am ehesten brauchbar: Dem historisch zuerst geprägten Begriff, z. B. dem
deutschen Terminus Sage (durch die Brüder Grimm), werden alle anderen mit ihren ent-
sprechenden Definitionen untergeordnet. Zwar würde ein solches Verfahren ein Sach-
register am Ende des Buches erfordern, doch wäre dieses wahrscheinlich sehr viel platz-
sparender als die sich häufig wiederholenden Wortverweise am Ende jedes Artikels.
B. hat sich in erster Linie aus Raumgründen auf die Veröffentlichung des germanischen
Materials beschränkt, obgleich die ursprüngliche Konzeption auch die Forschung der ro-
manischen und slawischen Länder vorsah. Das entsprechende Belegmaterial ist jedoch vor-
handen und soll — nach dem Vorwort der Herausgeber — zu einem späteren Termin als
Ergänzungsband erscheinen. Der Benutzer wünscht sich dieses Erscheinen sehr; denn ein-
mal ist das vorliegende Nachschlagewerk das erste auf dem Gebiet der europäischen Folklo-
ristik und daher verdienstvoll und notwendig, zum anderen haben die Wissenschaftler aus
dem romanischen, slawischen und finno-ugrischen Sprachbereich Europas Bedeutendes zur
Erforschung der angeführten Begriffe und Probleme beigetragen und, sofern es sich um
theoretische Arbeiten handelt, diese größtenteils auch in einer der germanischen Sprachen
veröffentlicht. — Außerdem konnten nach dem Auswahlprinzip B.s mehrere Stichworte
nur unbefriedigend behandelt werden, z. B. Epos, Epik; hier fehlen die Ergebnisse aus Län-
dern mit einer noch heute lebendigen Volksepik, wie aus der Sowjetunion, den finno-
ugrischen und den Balkanländern. — Im Rahmen der gesteckten geographischen Grenzen
ist jedoch B.s Werk — im Gegensatz zum i. Band der Reihe — keine Einseitigkeit vorzu-
werfen. Er hat alle einschlägigen Arbeiten marxistischer Forscher berücksichtigt, u. a.
referiert er ausführlich die theoretischen Erkenntnisse von Wolf gang Steinitz zum Ar-
beiterlied, zum Begriff Volkslied, zum Bänkelsang usw.
Abschließend bleibt zu hoffen und zu wünschen, daß B. möglichst bald in der Lage sein
möge, das von ihm und seinen Helfern gesammelte weitere Material herauszugeben, zumal
die evtl, behelfsmäßig zu benutzenden terminologischen Nachschlagewerke, wie das
Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, das Sachwörterbuch der Literatur, das Wörter-
buch der deutschen Volkskunde sowie das Standard Dictionary of Folklore die umfangreichen
Forschungsergebnisse aus den sozialistischen Ländern Europas unberücksichtigt ließen.
Gisela Burde-Schneidewind, Berlin
Pawel Nedo, Folklorystyka. Ogölne wprowadzenie (Folkloristik. Allgemeine Einführung).
Poznan 1965. 248 S.
Das Buch von P. Nedo bietet eine in sich geschlossene, systematische Darstellung des
Wesens und der Gattungen der Volksdichtung sowie der Theorien und Methoden der Folklo-
ristik. Es ist aus einer Vorlesungsreihe des Autors an der Mickiewicz-Universität in Poznan
entstanden und in polnischer Sprache als Hochschullehrbuch, das sich besonders an die
jungen Studenten der Volkskunde wendet, erschienen. N. hat schon vor einigen Jahren
(1962) eine ähnliche zusammenfassende Darstellung der sorbischen Folklore geliefert
Bajkarjo, hercy a kantorki. Zawod do serbskeho ludoweho basnistwa (Erzähler, Musikanten
432
Besprechungen
und Vorsängerinnen. Einführung in die sorbische Volksdichtung). Sein neues Buch baut
auf dieser vorhergegangenen Arbeit auf; es unterscheidet sich jedoch in zweierlei Weise
wesentlich von ihr: einmal ist es viel mehr auf allgemeinere theoretische und methodolo-
gische Schlußfolgerungen ausgerichtet und behandelt auch die Forschungsgeschichte
systematisch, und zum zweiten basiert es auf einer breiteren Materialgrundlage, nämlich
auf der deutschen und westslawischen (polnischen, tschechischen, slowakischen und sor-
bischen) Volksdichtung. N. kommen auch seine gründlichen Kenntnisse der deutschen und
westslawischen Forschung sowie der sowjetischen Wissenschaft zugute. Aus diesem reichen
Material hat der Verf. manche Belehrung und Anregung übernommen, sich aber gleich-
zeitig seine kritische Sicht bewahrt und selbständige Lösungen sowie eine eigene Konzeption
erarbeitet.
Die Publikation enthält fünf Hauptkapitel. Das erste erläutert Begriff und Wesen der
Folklore (19—45), das zweite befaßt sich mit der Entwicklung der Forschung und charakteri-
siert die verschiedenen Theorien zur Volksdichtung (46 — 60), das dritte liefert eine Dar-
stellung der einzelnen Gattungen der Folklore und bildet — schon seinem Umfang nach —
den Schwerpunkt des Buches (61 — 179); das vierte Kapitel ist den Sammelmethoden ge-
widmet (180 —188), und das fünfte schließlich verfolgt die Entwicklung der Volksdichtung
im 19. und 20. Jh.
Schon aus dieser bloßen Aufzählung des Inhalts wird klar, daß N. sich mit allen grund-
legenden Fragen der Volksdichtungsforschung beschäftigt. Die einzelnen Gattungen werden
nicht nur von ihrer Thematik her dargestellt, sondern auch Form und Stil sowie die Erzähler
und Sänger finden weitgehend Berücksichtigung. Seine Kenntnis des westslawischen und
deutschen Materials sowie der Forschungsergebnisse in diesen Ländern helfen dem Verf.,
die einzelnen nationalen Erscheinungen treffend zu charakterisieren und zu allgemeineren
Schlußfolgerungen zu gelangen, die für die gesamte mitteleuropäische mündliche Folklore
Gültigkeit besitzen. — Hervorzuheben ist auch die konsequent historische Betrachtungs-
weise des Verfs, die besonders im Schlußkapitel deutlich wird, das sich mit der Entwicklung
und mit den Veränderungen der Volksdichtung in den letzten beiden Jahrhunderten be-
schäftigt. — Der beschränkte Umfang der Publikation zwang N. zu einer gedrängten,
manchmal nur andeutenden und wohl auch lückenhaften Darstellung und erlaubte es ihm
nicht, alle anstehenden Fragen in der Ausführlichkeit darzustellen, die er sich wohl selbst
gewünscht hätte. Das zeigt sich z. B. im Kapitel über die Geschichte und die Methoden der
folkloristischen Forschung, in dem sich Verf. nur auf einige charakteristische Konzep-
tionen und Schulen beschränken mußte und andere auszulassen gezwungen war (z. B. die
wichtige funktionell-strukturalistische Methode, mit der P. Bogatyrev seit den 20er Jahren
in bedeutsamer Weise in die tschechische und slowakische Folkloreforschung eingriff, und
deren Gedankengut auch für die heutige Forschung noch fruchtbar geblieben ist; die Dar-
stellung der sogenannten finnischen Schule und der Theorien H. Naumanns). Raummangel
zwang den Autor auch im Einleitungskapitel, den Gegenstand der Folkloristik eindeutig
abzugrenzen und andere konzeptionelle Ansichten und Vorschläge beiseite zu lassen.
Das Buch regt natürlich zu Gedanken über die Fragen an, die der Autor sich selbst ge-
stellt und zu lösen versucht hat. Bei einigen dieser Fragen möchte ich verweilen: Die Gren-
zen einer traditionellen, „klassischen“ Auffassung von der Volksdichtung, wie sie N. setzt
(d. h. traditionelle, kollektive sprachliche Äußerungen künstlerischen Charakters), über-
schreitet er selbst in den Abschnitten über die „Arbeiterfolklore“, in die ein beträchtlicher
Teil der unter den Massen verbreiteten und in Arbeiter kreisen populär gewordenen, keines-
wegs aber folklorisierten Kunstliteratur Eingang findet. Dabei taucht nun selbstverständlich
die Frage auf, wieweit das gesamte Arbeiterschaffen zur Volksdichtung gehört, oder ob es
nicht notwendig ist, den Begriff der Volksdichtung zu erweitern, wie es einige Forscher aus
verschiedenen Ländern vorgeschlagen haben. Nebenbei sei bemerkt, daß ich in dem Kapitel
über die Arbeiterfolklore und über die neuesten Äußerungen der Volksüberlieferung die
Erwähnung einiger wichtiger Arbeiten zu dieser Thematik, so die von Heilfurth oder Bau-
singer, vermisse. Zweifel rufen in mir auch einige Begriffe hervor, mit denen N. bei der Inter-
pretierung der Volksdichtung operiert. Ich habe hier vor allem das Kriterium des Künst-
lerischen im Auge und möchte die Ansicht äußern, daß es kaum möglich ist, dieses pauschal
Besprechungen 433
und in vollem Maße auf die gesamte folkloristische Produktion anzuwenden. Die ästhetische
Funktion und den ästhetischen Wert muß man m. E. als eine potentielle Qualität in der Volks-
kunst betrachten, die in verschieden starker Intensität zum Ausdruck kommen oder auch ver-
borgen bleiben kann. — Kritisch stehe ich auch zu der Meinung des Verfs, daß die rea-
listische Methode ein Charakteristikum der Volksdichtung sei und daß er diese darüber hinaus
als eine übergeordnete künstlerische Methode auffaßt. Einmal kann ich einer solchen wer-
tenden Unterscheidung schwerlich beipflichten, und zum anderen bewegt sich die Forschung
auf einer zu instabilen Grundlage, wenn sie realistische Verfahren in den einzelnen folklo-
ristischen Gattungen und Erzeugnissen konkret klarlegen will: dazu fehlen nicht nur vor-
bereitende Detailanalysen, sondern vor allem ist auch der Begriff der realistischen Methode
in der Volksdichtung selbst noch zu vage, wie es die Diskussionen in der Sowjetunion und
in anderen Ländern, die sich schon eine ganze Reihe von Jahren ohne überzeugende Er-
gebnisse hinziehen, mehr als deutlich beweisen. Der überstarke Akzent auf den Realismus
und die realistischen Elemente haben N. z. B. bei der Darstellung des Märchens dazu geführt,
daß er m. E. einige Erscheinungen überbewertet, während die wesentlichsten Eigenschaften
des Märchenstils im Hintergrund bleiben.
Nedos Arbeit erfüllt seinen Zweck als Hochschullehrbuch und schließt eine Lücke in der
bisherigen folkloristischen Literatur. Gleichzeitig läßt es uns hoffen, daß wir von dem Verf.
noch viele weitere fruchtbare Anregungen zur Untersuchung über die mitteleuropäische
Folklore — vor allem, was die Beziehungen zwischen den deutschen und westslawischen
Traditionen anbelangt —, erwarten dürfen. Besonders wichtig scheint uns eine ausführlichere
theoretisch-methodische Erörterung zur Folkloreforschung, die N. im vorliegenden Buch
auf Grund des beschränkten Raumes und auf Grund der Tatsache, daß den polnischen Stu-
denten ein erstes Kompendium in die Hand gegeben werden sollte, notwendigerweise zu
knapp bemessen werden mußte.
Oldrich Sirovätka, Brno
Kenneth S. Goldstein, A Guide for Field Workers in Folklore. Hatboro, Pennsylvania,
Folklore Associates, Inc., 1964. XVIII, 199 S. (= Memoirs of the American Folklore
Society 52).
Solange der Sammler volkskundlichen Materials auf den Inhalt und die Form des von
ihm Gesammelten bedacht und ihm wenig an dem Prozeß und den menschlichen Aspekten
volkskundlicher Überlieferung gelegen war, brauchte er über sein eigenes fachliches Wissen
und seinen persönlichen Enthusiasmus hinaus wahrscheinlich keine systematische Führung
von seiten eines Dritten. Entweder er war ein guter Sammler oder er war keiner, und was
er von Methode wußte und anwandte, war instinktiv und stammte selten aus irgendeiner
theoretischen Schule. Nur in Ausnahmefällen war es ihm möglich, lange in der Umgebung
seiner Gewährsleute zu leben, wenn doch das Wochenende und die Ferien die einzige Zeit
waren, in der er seiner Sammeltätigkeit nachgehen konnte. Und doch war er die Stütze der
Wissenschaft, die Volkskunde heißt, und brachte ihr das Rohmaterial für ihre Studien, Ana-
lysen und Interpretationen. So ist in den letzten 150 oder 200 Jahren im europäischen Bereich
sehr viel Wertvolles gesammelt worden und wird noch heute manches gesammelt, und wir
wären arm ohne dieses Material, das schließlich doch so bestimmende epochale Werke wie
die Grimmschen Märchen und Sagen, die Balladen Childs, die Aarneschen Erzähltypen und
den Thompsonschen Motiv-Index möglich gemacht hat und darüber hinaus hunderte von
Büchern, die auf regionaler oder nationaler Ebene so gesammeltes Quellenmaterial zu-
sammenfassen und zugänglich machen.
Sobald jedoch eine Verlegung des Blickpunkts vom bloß Inhaltlichen und nur Formalen
zum auch Dynamischen, Funktionalen und Psychologischen hin eingetreten war — und das
ist in der Volkskunde ja noch nicht so lange her —, waren damit auch der volkskundlichen
Feldforschung ganz neue und durchaus nicht immer klar erkannte Aufgaben gestellt. Nun
war es nicht mehr genug, den mehr oder minder wortgetreuen Text einer Volkserzählung
festzuhalten und zu publizieren, vielleicht mit anderen Texten der gleichen Erzählung zu
434
Besprechungen
vergleichen und dem geographischen und zeitlichen Ursprung des Erzähltyps und der in ihm
erhaltenen Bausteine (Motive) wissenschaftlich nachzugehen. Die Forderung nach einer
vollen Erfassung der Erzählsituation kam auf, in der nicht nur das Erzählte, sondern auch
der Erzähler selbst, die Art des Erzählens, die Reaktion der Zuhörer, die Übermittlung des
Erzählten, die Funktion des Erzählers und des Erzählten in der Gemeinschaft usw. zu
berücksichtigen seien — Forderungen, die von dem instinktiven Gelegenheitssammler
kaum mehr erfüllt werden konnten. Wenn darüber hinaus die Volkskunde einer ganzen
Familie, einer Straße, eines Dorfes, eines Gebiets zu erfassen war, so lag das ganz außerhalb
der Möglichkeiten einer noch so intensiven und wissenschaftlichen Wochenend- und Ur-
laubsbeschäftigung, ganz abgesehen vom bloßen schriftlichen Kontakt mit örtlichen Ge-
währsleuten aus der Ferne. Die volkskundliche Sammeltätigkeit verlangte nun längeren
Aufenthalt im Sammelgebiet, verlangte gründliche technische und fachliche Vorbereitung,
verlangte verfeinerte Methoden, verlangte einen gewissen Grad an Schulung, der es er-
möglichen würde, den Gewährsleuten richtig zu begegnen und von ihnen soviel wie mög-
lich relevantes Material nach den Gesichtspunkten moderner wissenschaftlicher Forschung
zu sammeln.
Das hier zur Rezension vorliegende Buch wendet sich an diesen modernen Feldforscher
unserer Tage; sein Autor kennt die volkskundliche Sammeltätigkeit und die Ansprüche, die
an den heutigen Sammler gestellt werden, aus eigener Erfahrung, da er in den Jahren 1951
bis 1957 regelmäßig in den amerikanischen Staaten New York, Massachusetts und North
Carolina Feldforschung getrieben und 1959—60 fast ein Jahr in Nordostschottland gewohnt
und gesammelt hat. Sein Buch ist aus dieser jahrelangen Erfahrung und aus seiner Schulung
in der Anthropologie erwachsen und spricht vor allem diejenigen an, die gleichfalls fast
vollzeitlich oder doch zumindest in längeren Zeitabschnitten auf ähnliche Weise volks-
kundliche Feldforschung treiben möchten oder müssen. (Folklore will er vor allem als
„geistige“ Volkskunde verstanden wissen, obgleich er Sachforschung nicht ausschließt.)
Obwohl seine aus der persönlichen Erfahrung abgeleiteten theoretischen Verallgemeinerun-
gen natürlich besonders auf Westeuropa und Nordamerika zutreffen, darf man doch sagen,
daß sie eine große Zahl von Hinweisen enthalten, die Allgemeingültigkeit haben dürften.
Dies trifft insbesondere auf das einleitende Kapitel (1 —12), sowie auf Kapitel 2: Problem
Statement and Analysis (13 — 26), 6: Observation Collecting Methods (77 — 103), 7: Interview
Collecting Methods (104—143) und 8: Supplementary Field Methods (144—159) zu. Hier
werden diejenigen, die selbst seit Jahren in der Feldforschung stehen, vieles bestätigt
finden und kaum etwas auszusetzen haben, und diejenigen, welche neu dazu kommen,
werden von den erteilten Ratschlägen nur profitieren können. Besonders beherzigenswert
sind solche Hinweise wie der, daß sich der Sammler darüber klar werden muß, was für ein
Projekt er ins Auge zu fassen denkt oder zeitlich und geldlich möglich machen kann.
G. unterscheidet hier zwischen Ubersichtsprojekten, Tiefenprojekten und örtlichen Pro-
jekten, mit dem gelegentlichen Sammeln als vierter Möglichkeit. Jedes Projekt hat seine
eigene Aufgabenstellung und verlangt von dem Feldforscher etwas anderes. Gemeinsam
ist allen intensive Vorbereitung, Beobachtung und Interview als Hauptmethoden, klare
Erkenntnis der Situation, in der erzählt, gesungen oder gespielt wird, genaue Aufzeich-
nung oder Transkribierung alles Gesammelten sowie technische Vertrautheit mit dem Ton-
bandgerät oder der Filmkamera (oder beiden), welche eigentlich eine allen modernen An-
sprüchen genügende Sammeltätigkeit erst ermöglichen, aber durchaus aus der natürlichen
volkskundlichen Situation auch eine künstliche machen können. Der Verf. ist sich dessen
wohl bewußt, verbindet Beobachtung als Methode mit der ersten und das Interview als
Methode mit der zweiten Situation und hat als dritte die vom Sammler hergestellte und
überwachte „natürliche“ Situation erprobt, die oft die spontan natürliche ersetzen muß,
wenn diese aus einer Vielzahl von Gründen nicht geschaffen werden kann, und die von
größtem Wert sein kann, solange der Feldforscher in seinen Notizen ganz klar festhält, um
was für eine Situation es sich handelt.
G. geht es in seinem Buch um alle Einzelheiten: Fragebogen, Fragelisten, das Sammeln
unter Kindern, sexuale und obszöne Volkskunde, Verbindung mit der örtlichen Presse,
Stellung und Rolle des Sammlers in der Gemeinschaft, in der er sammelt, und die lange Reihe
Besprechungen 435
der positiven und negativen menschlichen Beziehungen, welche die Arbeit so sehr fördern
oder hindern können. Ständig betont er die wissenschaftliche Genauigkeit auf der einen Seite
und die Harmonie der menschlichen Beziehungen auf der anderen: Der Gewährsmann darf
nicht zu sehr ermüdet oder abgestumpft werden — lieber mehrere kürzere Sitzungen als
eine, die zu lang ist — nichts soll unter Druck aus dem Gewährsmann herausgepreßt werden
— bis zu einem gewissen Grade darf der Feldforscher auch aus seinem eigenen Repertoire
beitragen, wenn dies die Sammeltätigkeit fördert, usw. — eine Fülle von Ratschlägen, denen
der Neuling unbedingt Gehör schenken sollte und die manchem Erfahrenen zu denken geben,
zumal es gerade die moderne Feldforschung ist, die uns z. B. die so akuten Kategorisierungs-
probleme der Volksprosa auf den Tisch gelegt hat, aber auch ohne Zweifel, zusammen mit
der systematischen Archivtätigkeit, die wichtigsten Beiträge zu ihrer Lösung liefern wird.
Im Rahmen dieser für die Zukunft unserer Wissenschaft wirklich wichtigen Auseinander-
setzung mit der lebendigen mündlichen Überlieferung aber gefällt dem Rez., der auch in der
Feldforschung nicht unerfahren ist, der Hinweis am besten, daß auch der Sammler manchmal
ausruhen sollte, ein weiser Rat, den G. durch ein Zitat aus Piddingtons lntroduction to
Social Anthropology stützt, in dem das Lesen von Romanen und die Jagd als hilfreiche Aus-
gleichsbeschäftigungen vorgeschlagen werden. Wer so auf das Wohl des Feldforschers
bedacht ist, der hat die nötige Sachkenntnis und muß ein gutes Buch geschrieben haben.
W. F. H. Nicolaisen, Edinburgh
Rechts geschickte — Rechtssprache — Rechtsarchäologie — Rechtliche Volkskunde. Festschrift
für Karl Siegfried Bader. Zürich, Köln, Graz 1965. XVI, 557 S., 15 Abb.
K. S. Bader, Schöpfer der Forschungsstelle für Rechtsarchäologie und Rechtliche Volks-
kunde an der Universität Zürich, erhielt zum 60. Geburtstag eine stattliche Gabe, die das
breite Spektrum seiner Arbeitsgebiete und Interessen zum Ausdruck bringt. Es spiegelt
sich an nicht weniger als 863 Veröffentlichungen in dem von Claudio Soliva — Zürich
(503 — 552) bearbeiteten Verzeichnis. Dieses wird für den Volkskundler immer eine Fund-
grube bleiben, wenn er im Rechtsbereich nach Brauch, Sitte, Sittlichkeit und Strafe zu for-
schen hat. Gewiß wird nicht jede Auffassung von B. geteilt werden — das hindert jedoch
nicht die Anerkennung seiner ungemein großen Verdienste um die juristische Durchleuch-
tung der Heimatkunde und der Volkskunde in ihren mitunter sehr vielschichtigen Pro-
blemen. B. hat die Rechtstraditionen des Volkes seiner alemannischen Heimat in der
Badenser Landgrafschaft Baar als Jurist und Historiker immer wieder interpretiert und
nachhaltige Anregungen zu solchen Studien gegeben. Einige Themen aus diesem Bereich
sind auch in der Festschrift vertreten, die wir im folgenden kritisch zu referieren suchen.
Dagegen müssen wir auf rein rechtshistorisch orientierte Beiträge — bei ihrer großen Anzahl
— verzichten.
Hans-Rudolf Hagemann (Basel) interpretiert den Brautlauf (185 — 190) als einen ,Tanz
um den Ahnenstein£, der als Symbol für ein ,Lösen und Binden vor den Ahnensteinen der j|
Familien von Braut und Bräutigam vollzogen wurde. Damit führt H. Feststellungen von
John Meier (Ahnengrab und Brautstein) weiter, erinnert an M. Panzer (Tanz und Recht) und
bereichert die Volkskunde um einen wertvollen Beitrag.
Zur Symbolik des „ius gladii“ und zur Zeremonialfunktion des Schwertes enthält die
Festschrift zwei Beiträge: Christian Altgraf zu Salm (München) untersucht (373 — 380) das
zu den kunstgeschichtlich hervorragenden Rechtsaltertümern gehörige Schwert des Straß-
burger Fürstbistums von 1663, in der Slg. Fürst Fürstenberg Donaueschingen. Die silberne
Schwertscheide ist eine Meisterleistung des Straßburger Goldschmiedes Daniel Harnischter,
von dem auch die Metallfassung eines Elfenbeinkruges im ,Grünen Gewölbe* zu Dresden
stammt. Neben dieser wichtigen Feststellung erörtert der Beitrag mit sorgfältiger Doku-
mentation die Rechtsansprüche, die der Auftraggeber, der vom Bistum Metz ins Bistum
Straßburg gewählte Franz Egon Graf zu Fürstenberg, damit verband. — Gottfried Boesch
(Luzern) führt Luzerner Rieht- und Zeremonialschwerter (65—68) vor und erörtert nach
Ermittlung der Zweckbestimmung und nach exakter Beschreibung der sieben Objekte
436
Besprechungen
volkskundliche Aspekte der Funktionen des Schwertes und die damit verbundenen Schwert-
inschriften oder Schwertsegen.
Volkskundlich besonders aufschlußreich ist die den Band eröffnende Studie von Hermann
Baltl (Graz) Der vierköpfige Stein — ein Beitrag zur Prangerforschung (x—24). .Vierköpfig-
keit' ist an sich schon ein volkskundliches Thema mit aufschlußreichen ikonographischen
Resultaten. Hier wird es in sorgfältiger Analyse mit dem,Pranger' als Rechtsstein verbunden,
der nicht nur Straf Werkzeug, sondern Rechtssymbol ist, wie der , Malstein'. Der Aufsatz
ist stark spekulativ gehalten — aber er ist im ,Ausspähen' nach Interpretationsmöglichkeiten
recht umsichtig und aspektreich zu Werk gegangen.
Der Beitrag von Adalbert Erler (Frankfurt a. M.) erläutert (115 — x 20) das Brandmarken
ins Angesicht und die im Frankfurter Malefizbuch aufscheinende Problematik, ob dieser
Strafvollzug nicht „Gott beleidige“. Die ,kriminalpolitische Vernunft' suchte damit die Ge-
sellschaft vor gefährlichen Elementen zu warnen, unterlag aber nicht nur der religiösen
Ideologie vom ,Ebenbild Gottes' im Menschenantlitz, sondern — und darauf hätte derVerf.
eingehen sollen — auch der Scheu, dafür den Frankfurter ,Kaiseradler' zu verwenden. Denn
dieses um 1590 noch übliche Brandzeichen wird hundert Jahre später durch ein einfaches F
ersetzt.
Die Untersuchung von Hans Herold (Zürich) Rechtsgeschichtliches aus der Flößerei zieht
vorwiegend Urkunden aus später Zeit heran (191 —220), die volkskundlich nicht mehr viel
besagen. Die einst sehr festgefügte Gemeinschaft der Flößer, die ein reiches Brauchtum ent-
wickelte, ist im 19. Jh. natürlich schon zu stark gelockert, um erfaßbar zu sein. Die Aus-
führungen über die ,Grundruhr' gehören juristisch kaum noch zum Thema, die .Nachlese'
der steckengebliebenen Flößhölzer ist doch eher dem Armenrecht der .Ährenlese' an die
Seite zu stellen. Die Literatu rangaben hätten sehr viel reichhaltiger sein können.
Karl-Sigismund Kramer (Kiel) knüpfte an die bisher erschienenen beiden fundamentalen
Bände des Jubilars Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes an. In K.s Studie Zum
Lebensstil fränkischer Siedlungsgemeinschaften (231—250) dominieren volkskundliche
Aspekte. Die sehr verdienstliche Übersicht über das Dorfgemeinde-Bauwesen in coburgischen
und bambergischen Dörfern bringt die herrschaftsbedingten Unterschiede sehr einprägsam
zum Ausdruck. Die ,Dorfausstattung' mit Hirtenhaus, Schmiede, Badstube, Brunnen, Back-
haus und „Gemeindehaus“ mit vielschichtiger Funktion (Tanzboden, Versammlungsort,
Schänke, Uhrturm, sogar Schule) wird vorgeführt. K. hat seine Auffassungen von denen
abgegrenzt, die Will-Erich Peuckert 1953 (in Traufe und Flurgrenze) formuliert hat.
Eine leicht lesbare Studie gelang Bruno Schmid (Uster) Rechtsgeschichtliches zu Gottfried
Kellers ,Landvogt von Greifensee‘ (395—418). Sie bietet dem Volkskundler nachdenklich
stimmende Einblicke in die .Volksjustizpflege' durch noch recht urwüchsige Symbolstrafen
aus den Jahren zwischen 1781 und 1797.
Schließlich ist es wohl gut, daß Verena Stadtler-Labhart (Zürich) daran erinnert, daß sich
schon Jacob Grimm dem von ihr gewählten Thema Freilassung und Taufe in ihren Be-
rührungspunkten (455—468) zugewendet hat. Die dabei ermittelbare Formelsprache ist
sehr einleuchtend interpretiert und durch zahlreiche Literaturhinweise fundiert.
Die hier nicht besprochenen Beiträge enthalten bei rechtshistorischer Zielsetzung natür-
lich auch manches, was für die Volkskunde von Belang sein kann, wenn sie sich speziellen,
lokalen Themen zu wendet. Daher wird die Volkskunde diese wertvolle Festschrift stets
zu ihrem Arbeitsmaterial zu rechnen haben.
Helmut Wilsdorf, Dresden
Heimat und Volkstum. Bremer Beiträge zur niederdeutschen Volkskunde. Zum Gedenken an
Dr. Rudolf Frenzei. Bremen, Verein für Niedersächsisches Volkstum e. V., 1966.
187 S. (= Jg. 1962/63 ds. Jahrbuchs).
Der mit dreijähriger Verspätung erschienene Doppeljahrgang ist dem Gedenken an
Rudolf Frenzei gewidmet, der bis zu seinem Tode 1962 Schriftleiter der Zeitschrift war.
Der Band wird mit mehreren Nachrufen eröffnet, in denen die Verdienste des bereits im
Besprechungen 437
43. Lebensjahr Verstorbenen gewürdigt werden, der 1953 bei Will-Erich Peuckert in
Göttingen promovierte und anschließend als Mitarbeiter des Focke-Museums die volks-
kundliche Arbeit im Lande Bremen leitete. Eine knappe Bibliographie informiert über seine
Veröffentlichungen in diesen Jahren. — Drei andere Arbeiten, die bisher unpubliziert ge-
blieben waren, werden hier nun posthum dargeboten. Es handelt sich um zwei Vorträge —
eine Studie über Blumenthal — Vom Dorf zur Industriegemeinde, in der nach dem Vorbild
Wilhelm Brepohls die wirtschaftlichen und sozialen Wandlungen in einem Bremer Vorort
untersucht werden, und eine kritische, von Marianne Rumpf redigierte Übersicht über die
Deutungen der Rattenfänger sage — sowie um die Dissertation F.s zum Thema Der deutsche
Bauer in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Für die letztgenannte Arbeit wurde neben
gedruckten Archivaliensammlungen und historischen Darstellungen, insbesondere der
Zeit des Bauernkrieges, vorrangig die reiche zeitgenössische Schwankliteratur herangezogen.
Diese ergiebige Quelle ermöglichte es, ein volkskundlich plastisches Bild des Bauernlebens
während der Reformationszeit zu zeichnen, das der Autor angesichts der komischen Rela-
tivierung in den Schwänken allerdings wiederholt selbst mit einem Fragezeichen versah.
Auch manche Feststellungen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Bauern (im Tenor, |
es sei ihnen gar nicht so schlecht gegangen) und die Beurteilung ihres zeitweiligen gemein-
samen Kampfes mit Teilen des Bürgertums (das die „führerlosen“ Bauern überhaupt erst
eigener Ziele wegen zu den verhängnisvollen Aufständen verleitet habe) halten einer Über-
prüfung nicht stand. F. selbst hätte sicher seine Dissertation nicht in der vorliegenden Fas-
sung veröffentlicht, sondern sie vorher überarbeitet. Da das nicht mehr geschehen konnte,
fragt es sich, inwieweit der Abdruck wirklich in seinem Sinne liegt — eine Frage, die jedoch
keinen Vorwurf gegen die ihm verbundenen Herausgeber des Gedenkbandes enthält.
Siegfried Neumann, Rostock
Dansk Folkemuseum and Frilandsmuseet — Histonj and Activities. Axel Steensberg in honour
of his 60th birthday Ist June 1966. Kopenhagen, Nationalmuseet, 1966. 264 S., ill.
Zum sechzigsten Geburtstag von Axel Steensberg — am 1. Juni 1966 — gab das Dänische
Nationalmuseum eine Festschrift heraus, in dem vierzehn Mitarbeiter des Museums über
verschiedene Seiten der Arbeit in dieser für die dänische Volkskundeforschung zentralen
Institution ( insbesondere in den seit 1920 als Abteilungen angeschlossenen, bis dahin selb-
ständigen Dansk Folkemuseum und Frilandsmuseet) berichteten. Die Zeit für eine solche
breitere Darstellung über die Entwicklung des Volkskundemuseums war richtig gewählt,
denn gerade unter der energischen und genialen Leitung von Axel Steensberg wurden in
den letzten 25 Jahren Gedanken, Anregungen und technische Methoden realisiert, die viele
Länder als vorbildlich übernommen haben.
Im einleitenden Aufsatz berichtet der Redakteur des Werkes, Holger Rasmussen, wie das
Kopenhagener Volkskundemuseum 1885 im Anschluß an eine sechs Jahre zuvor veran-
staltete Kunstindustrieausstellung, auf der der Direktor des Kopenhagener Tivoli, Bernhard
Olsen, zwei alte Inneneinrichtungen aus Bauernhäusern auf Amager und in Hedebo gezeigt
hatte, gegründet wurde. Olsen war im Jahr zuvor mit Artur Hazelius, dem Gründer des
Nordiska museet in Stockholm zusammengetroffen, jener berühmten Institution, die durch
systematisches Sammeln der volkskulturellen Güter Schwedens in ganz Europa anregend
wirkte. Ihre gedankliche Grundlage hatte diese nordische Museumsbewegung aus der
Ehrfurcht der deutschen Romantik vor der alten Volkskultur als Ausdruck einer mystisch
aufgefaßten Volksseele genommen. Bei den skandinavischen Völkern wurde diese roman-
tische Gedankenwelt zwar weiteren Kreisen kaum bewußt, doch vermittelte sie eine Ein-
sicht, wie durch die Bewahrung des nationalen Kulturerbes politische Fehlschläge und Ver-
luste der Vergangenheit ausgeglichen werden konnten. In Dänemark zeigt sich das u. a.
darin, daß man schon früh in der Museumsarbeit großen Wert auf die verlorengegangenen
Provinzen Schleswig und Schonen legte. Bemerkenswert ist die Forderung nach Echtheit
und Wahrheit, welche die von den Museen geleitete oder inspirierte Volkskundeforschung
;
29 Volkskunde
438
Besprechungen
zu einer exakten Wissenschaft machte, frei von mythologischer Schwärmerei, die der äl-
teren Romantik eigen war. Hierfür werden in den einzelnen Aufsätzen viele Beispiele aus
den Arbeitsmethoden des Museums geliefert.
Uber den Inhalt der Aufsätze läßt der für die Rezension zur Verfügung stehende Raum
nur kurze Andeutungen zu: Ellen Andersen, die seit 1939 eine Reihe wertvoller Studien
über die Geschichte der dänischen Trachten veröffentlicht hat, berichtet über die von ihr
geleitete Abteilung für Trachten und Textilien und unterstreicht besonders den schöpferischen
Beitrag, der schon seit der Zeit des ersten Weltkrieges von Elna Mygdal geleistet wurde. —
Peter Michelsen berichtet über die Erforschung alter bäuerlicher Bauten, die organisch aus
dem Interesse für Bernhard Olsens Inneneinrichtungen herauswuchs und seit den vierziger
Jahren eine größere geschichtliche Bedeutung durch die von Steensberg geleiteten archä-
ologischen Untersuchungen verlassener Siedlungen erhielt. — Über diese Arbeit schreibt
Svend Nielsen eingehender und zeigt u. a., wie Steensberg die Methodik entwickelte, die er
in jungen Jahren als Assistent von Gudmund Hatt bei der Freilegung von alten Haus-
fundamenten sowie später bei den agrargeschichtlich bedeutenden Freilegungen mittel-
alterlicher Äcker erwarb. — Poul Strömstad gibt einige Beispiele dafür, wie die Architektur-
geschichte der Städte und der Wechsel in der Mode bei den Einrichtungen der Bürgerhäuser
durch die Forschung beim Abriß von alten Häusern lebendig gemacht werden kann. —
Tove Clemmensen berichtet über die seit 1940 durchgeführten Bestandsaufnahmen (Photo-
graphieren und Beschreiben) von Inneneinrichtungen und Einrichtungsgegenständen dä-
nischer Schlösser und Rittergüter, welche der Forschung viele neue Erkenntnisse vermittel-
ten. — Oie Höjrup schreibt über die ethnologisch-historischen Untersuchungen des
Museums, der mit Hilfe von Fragebogen und Verbreitungskarten ein Bild der dänischen
Gegenstandskultur entworfen hat. Diese Forschung steht in naher Beziehung zu den Dialekt-
studien der Philologen. — D. Yde-Andersen präsentiert die soziologisch ausgerichteten
Forschungen, die mit Hilfe von Fotos und Beschreibungen das Arbeitsmilieu einzelner
Berufsgruppen untersuchen. — Ib Varnild berichtet über amüsante Einzelheiten aus der
bunten Geschichte der Volksbelustigungen mit Streiflichtern aus dem eigenartigen Leben
der Zirkusleute, der Akrobaten und der umherziehenden Musikanten an Hand vieler Erin-
nerungen aus dem Volk. — George Nellemann streift kurz die vergleichende ethnologische
Forschung außerhalb Dänemarks, auf die Steensberg einwirkte. — Ein Thema mit speziellem
Gefühlswert für die Dänen behandelt Inge Mejer Antonsen: die Wohnkultur der bis 1917
zu Dänemark gehörenden Inseln Westindiens, die erst seit 1919 Gegenstand des Interesses
für das Nationalmuseum bildeten und 1961 an Ort und Stelle von einer vom Verfasser ge-
leiteten Studiengruppe untersucht wurden. — Wertvolle Gesichtspunkte über die Erhaltung
von Wassermühlen bringt Anders Jespersen in seinem Aufsatz: es gilt nicht nur, sie als An-
schauungsobjekt zu erhalten, sie sollen auch mahlen können und müssen daher mit Wasser-
kraft und Mahlkorn versehen werden. Außerdem soll erforscht werden, welche Art des
Mahlens unter modernen Bedingungen finanziell rentabel sein könnte. — Auf Probleme der
Freilichtmuseen kommt Peter Michelsen in einem zweiten Aufsatz zu sprechen, indem er
die große Anlage in Lyngby bei Kopenhagen schildert. Dort wurden in einem schönen Park
Bauten aus dem jetzigen und dem vergangenen Dänemark sowie aus dem schwedischen
Smäland in Gruppen zusammengestellt, die verschiedene soziale Kreise und in gewisser
Hinsicht verschiedene Zeiten repräsentieren. Durch das Freilichtmuseum entging die dä-
nische Kulturdenkmälerforschung dem Erstickungstod in engen Räumen, der ihr im neun-
zehnten und teilweise noch in unserem Jahrhundert drohte. Auch für die Sammlungen, die
großen zusammenhängenden Platz und Arbeitsräume erfordern, wird die Lage besser, wenn
ein für diesen Zweck erworbenes früheres Fabrikgebäude in Brede in der Nähe von Lyngby
eingerichtet wird. An das Freilichtmuseum knüpft auch der letzte Aufsatz des Buches von
Frode Kirn und Bjarne Stoklund über das technische Verfahren beim Versetzen von alten
Gebäuden.
Die gut gelungene Festschrift für Axel Steensberg ist typographisch ansprechend aus-
gestattet und verfügt über einprägsame Illustrationen sowie wertvolle bibliographische
Hinweise.
John Gardberg, Karis
Besprechungen
439
Joachim Herrmann, Kultur und Kunst der Slawen in Deutschland vom 7. bis 13. Jahr-
hundert. Hg. vom Inst. f. Vor- u. Frühgesch. der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin aus
Anlaß des Internat. Kongresses f. Slawische Archäologie v. 14. —18. September 1965
in Warschau. Berlin, Inst. f. Vor- u. Frühgesch., 1965. 70 S., 72 Abb. auf Taf.
Mit der Darlegung des Forschungsstandes archäologischer Untersuchungen über die
Slawen in Deutschland hat sich H. ein großes Verdienst erworben. Er geht einleitend von
den Anfängen der Slawenforschung aus, widmet sich aber vorwiegend den Ergebnissen
seit 1945, um die beachtlichen Fortschritte zu zeigen. Hierbei gliedert er den Stoff in fünf
Abschnitte: 1. Die archäologisch-kulturelle Gliederung des slawischen Siedlungsgebietes
und die Einwanderung der Stammesgruppen, 2. Die Entwicklung der wirtschaftlichen und
sozialen Grundlage, 3. Die Ergebnisse der Burgen- und Siedlungsforschung, 4. Kunst und
Kult, 5. Deutsch-slawisches Zusammentreffen und Ethnogeneseprozeß.
H. vermißt jegliche Fundkomplexe, in denen völkerwanderungszeitliche germanische
und slawische Kultur so Zusammentreffen, daß man daraus eine direkte ethnische Berührung
interpretieren könnte, wie sie von den Philologen für das Gebiet zwischen Oder/Neiße
und Saale/Elbe behauptet wird. H. bestätigt aber einen frühen germanisch-slawischen Kon-
takt für Thüringen und das Main-Regnitz-Gebiet. Im Hannoverschen fehlen solche Unter-
suchungen über eine etwaige sächsisch-slawische Besiedlung, während in Holstein die breite
Waldzone des Limes Saxoniae (Sachsen/Wagriergrenze) klar erforscht ist.
Die Kultur der Westslawen zwischen Elbe/Saale und Oder/Neiße ist mit Keramik vom
Prager Typus auf gehellt worden. Richtungweisend waren die Funde von Dresden-Stetzsch
(7. Jh.), Prützke (Havelgebiet) und Dessau-Mosigkau (mit dorfartigen Rundweilern des
7. Jhs). — Dem Prager Typus entspricht in Mecklenburg die Sukower Gruppe. In der
Niederlausitz hat H. den Tornower Typus umrissen, der an Keramik in Westpolen anzu-
schließen ist. H. unterscheidet vier archäologisch-kulturelle Gebiete für die älteste Siedlungs-
periode: 1. Brandgräber mit Keramik vom Prager Typus — Sorben, 2. Große Höhenburgen
mit Keramik vom Feldberger Typus = Wilzen, 3. Kleine Burgen mit Keramik vom Tor-
nower Typus = Lusizi, Selpoli, Milceni, 4. Gebiet östl. der mittleren und unteren Elbe mit
einer Keramik, die der des Prager Types entspricht = Obotriten, Linonen, Spree-Havel-
Stämme. Schon seit den dreißiger Jahren ließen sich Siedlungskammern u. ä. kartographisch
darstellen; daraus entstand eine neue Stammeskarte westlich der Oder (mit dem grün
eingedruckten Altwald).
Eine Bibliographie bringt außer den oben genannten Hauptthemen Allgemeines, Regi-
onalübersichten, naturwissenschaftliche Beiträge, Namenforschung, Siedlungskunde,
Mediävistik (z.T. in Auswahl). Der Bilderteil enthält ausgezeichnete Fotos und klare Lage-
pläne sowie Rekonstruktionen. Dem Verlag ist für die gute Ausstattung zu danken.
Werner Radig, Berlin
Närodopisne aktuality (Neues aus der Volkskunde). Hg. vom Krajske stfedisko lidoveho
umeni ve Sträznici (Bezirkszentrum für Volkskunst in Sträznice). Jg. 1 — 3, Sträznice
1964—1966.
Praktische Volkskunstpflege bedarf der wissenschaftlichen Grundlage und ständigen
wissenschaftlichen Überprüfung. Das Bezirkszentrum für Volkskunst in Sträznice als
organisierende Stelle der weit über die Grenzen der CS SR hinaus bekannten, jährlich dort
stattfindenden Folklore-Festspiele verwirklicht diese Forderung in hervorragendem Maße,
indem es auch über die unmittelbare Durchführung der Festivals hinaus die Organisation
mit der Forschung verbindet; einmal durch eigene Sammlungen und Arbeiten, zum anderen
durch die Schaffung von Publikationsmöglichkeiten, Herausgabe von Materialien, Studien,
Berichten, die ihm die Mitarbeit von Fachwissenschaftlern vor allem der ethnographischen
und folkloristischen Institutionen von Brno sichern. Seit 1964 besitzt das Zentrum nun eine
gemeinsam mit Folkloristen des Akademie- und des Universitätsinstituts für Ethnographie
und Folkloristik in Brno redigierte Zeitschrift: Närodopisne aktuality soll vor allem der
29*
440
Besprechungen
Untersuchung und Diskussion aktueller Probleme dienen; zunächst natürlich solcher der
Festspiele und aller damit zusammenhängenden Fragen, darüber hinaus aber auch der Volks-
kunst und der Volkskunde überhaupt.
Jedes Heft (gewöhnlich erscheinen zwei jährlich mit einem Umfang von etwa 60 — 80
Seiten) enthält Abhandlungen, Rezensionen und Berichte über Diskussionen, Tagungen,
Ausstellungen, Festspiele, Volksliedsendungen im Rundfunk und Fernsehen u. a. Den
Abhandlungen und Diskussionsberichten sind ausführliche Resümees überwiegend in
deutscher, manchmal in englischer Sprache beigegeben.
Zumeist eröffnet ein theoretischer Beitrag die Abhandlungen. In den vorliegenden Hef-
ten werden hier vor allem die Beziehungen der Volkskunde zu den Nachbardisziplinen
erörtert: J. Chloupek schreibt über Sprachwissenschaft und Ethnographie (Folkloristik),
K. Fojtik über Ethnographie und Soziologie (beide 1965), V. Podborsky über Ethnographie
und Archäologie (1966), V. Frolec und D. Holy versuchten im ersten Jahrgang eine Bestim-
mung der Volkskunde als historischer Wissenschaft, wobei sie sich vor allem von der Ge-
schichtswissenschaft abgrenzen und die Kultur als Forschungsobjekt postulieren: „Die
Ethnographie als historische Wissenschaft ist jedoch keine Geschichte im üblichen Sinne des
Wortes. Es handelt sich um einen Wissenschaftszweig, der die Kultur in ihrer Entwicklung
mit eigenen Methoden und von eigenem Standpunkt aus untersucht.“ (1964, S. 9.) H.
Laudovä gibt in 1966, 2 einen Diskussionsbeitrag zum Begriff und zur Methode der struk-
turellen Analyse des Volkstanzes. — Zur Gruppe der theoretischen Beiträge sind noch zu
nennen: J. Janöär, Die Volkstradition und die Gegenwart (1964), B. Benes, Einige Notizen
über zeitgemäße (d. h. zeitgenössische) Folklore (1965), und Gleichzeitiger (d. h. heutiger)
Mensch und Volkskultur, J. Vyslouzil, Zu den ethnomusikologischen Aspekten beim Studium
der tschechischen Musikgeschichte, L. Leng, Technische Bedingungen der adäquaten Tran-
skription von mehrstimmiger Volksmusik (1966). Interessant sind in diesem Zusammenhang
auch die ausführlichen Berichte über die Festspiel-Diskussionen (1964; 1965, 1—2; 1966, 1).
Eine weitere Gruppe von Beiträgen bringt Untersuchungen zur Folklore, insbesondere
der engeren und weiteren Gebiete um Sträznice. Es handelt sich ja hier um Landschaften
mit sehr traditionsreicher, in manchen Bereichen zum Teil noch heute lebendiger Volks-
kultur (Mährische Slowakei, Hornäcko). So gewähren diese Studien Einblick in ein interes-
santes Überlieferungsgut, das zumeist gründlich durchgearbeitet und durch Noten und Bild-
material gut dokumentiert und anschaulich gemacht wird. Genannt seien hier: J. Tomes,
Die Hochzeitsspiele und -tänze in Hornäcko (1964) und die Ausführungen von I. Heroldovä
über die Durchforschung der böhmischen Nationalminoritäten (1966), J. Jancär, Notizen zur
Entwicklung der traditionellen volkstümlichen Kleidung im Gebiet von Kunovice (Südost-
mähren), V. Svobodovä, Die Figuralstickereien aus Horäcko (1965), R. Jeräbek, Mäh-
rische gemalte Weihnachtskrippen als ethnoorganologische Quelle (1966). — Nahezu jedes Heft
enthält das Porträt eines hervorragenden Volkskünstlers: kleine Monographien über be-
deutende Sänger, Musiker und Erzähler aus dem Volke. Besonderes Interesse erwecken hier
vor allem die Beiträge über Musiker und Leiter von Musikantengruppen, die ein anschau-
liches Bild vom Leben und den Wandlungen der Volksmusik in der Gegenwart in Land-
schaften wie z. B. Hornäcko, einem Zentrum der traditionellen mährischen Volksmusik,
vermitteln.
Gegenwartsbezogenheit auch in den theoretischen Beiträgen und den Materialstudien
sowie Diskussionen, erfreulich viel Diskussionen, zeichnen diese, ihrem Umfang nach kleine,
die volkskundliche Praxis und Wissenschaft in einem guten Verhältnis zusammenführende
Zeitschrift aus. Die N ärodopisne aktuality verdienen Beachtung.
Hermann Strobach, Berlin
441
Besprechungen
I roverbium. Bulletin d informations sur les recherches parémiologiques. Publié par J. Krzy-
zanowski, M. Kuusi, D. Loucatos, A. Taylor. Helsinki, Suomalaisen Kirjallisuuden
Seura, 1965/66. Hefte 1—6. 144 S.
Mit der Gründung der Zeitschrift Proverbium haben sich die Herausgeber das Verdienst
einer Pioniertat erworben. In Verwirklichung der von Anikin und Kuusi auf dem VII.
Kongreß für Anthropologie und Ethnologie 1964 in Moskau verkündeten ( und in 1, x 3 f.
bzw. 2, 2 7 ff. abgedruckten) Thesen wollen sie durch ihr Organ die Sprichwortforscher in
aller Welt aus der bisherigen nationalen Isolierung herausführen und so die Entwicklung
auch ihrer Disziplin neben den anderen Zweigen der Folkloristik zu einer Wissenschaft von
internationalem Rang ermöglichen. Durch eine umfassende Aussprache sollen auch für die
Parömiologie eine gemeinsame Nomenklatur und Methodik sowie die Grundlagen für ein
Verzeichnis der internationalen Sprichworttypen geschaffen werden.
Mit den bisher erschienenen sechs Heften hat „Proverbium“ bereits vielversprechend
debütiert. Das von dem Redaktionskollegium gegebene Beispiel internationaler Zusammen-
arbeit hat sofort Gelehrte aus den verschiedensten Weltgegenden veranlaßt Diskussions-
material beizusteuern. Die Vielseitigkeit der in englischer, französischer, russischer und
deutscher Sprache dargebotenen Beiträge sowie ihre geschickte Plazierung’ in den von den
Herausgebern eingeplanten Rubriken stellen schon heute der angestrebten Herstellung eines
globalen Kontakts aller Fachkollegen die beste Prognose.
Rapports locaux und die Rezensionen oder Annotationen in der Spalte „Suum cuique“
unterrichten über die Archivbestände in Finnland und in der Litauischen SSR sowie über
ältere, neuere und neueste Publikationen sowohl aus eben diesen beiden Ländern als auch aus
Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Italien, Schweden, der Slowakei, Spanien
Ungarn, den USA und der RSFSR sowie der Armenischen, Estnischen, Tadshikischen und
Turkmenischen SSR. In diesen Zusammenhang gehören auch die drei Artikel, die mit Per-
sönlichkeit und Werk des Polen Jan Stanislaw Bystron, des Slowaken Adolf Peter Zäturecky
und des Griechen Nicolas Politis bekannt machen.
Andere Beiträge zeigen, wie die internationale Information den Sprichwörterlexika und
den Archiven zu einer besseren Anordnung der Materialien zu verhelfen vermag. So kriti-
siert Archer Taylor in seiner Abhandlung The Study of Proverbs die einseitige Beschränkung
auf die Publikation von Moralsprichwörtern und die Vernachlässigung der Sagwörter
sprichwörtlichen Redensarten, Vergleiche und Wetterregeln. Er fordert alle Sammler auf’
nach dem Vorbild des Oxford Dictionary of English Proverbs einen universellen Maßstab
anzulegen und für exakte Quellenangaben zu sorgen. Parallel hierzu erörtern die Teilnehmer
an einer von Levin und Kuusi ausgelösten Diskussion die zweckmäßigste Anlage eines
modernen Sprichwörterarchivs.
Um zur Lösung der wichtigen Frage beizutragen, ob die Sprichwörter ein spontan ent-
standenes allgemein menschliches Phänomen oder Produkte einer erst im Verlauf der Kul-
turentwicklung erfolgten Verbreitung von Land zu Land darstellen, wird „Proverbium“
Sprichwortbelege aus Frühkulturen und aus bisher als sprichwortlos oder s’prichwortarm
geltenden Gebieten veröffentlichen. Otto E. Molls Zusammenstellung sumerischer Sprich-
wörter und Aarne A. Koskinens Miszelle über das fast völlige Fehlen der Sprichwörter auf
den bei den Salomon-Inseln gelegenen Renneil- und Bellona-Inseln bilden die ersten Bei-
träge zu diesem Komplex.
Unter soziologischem bzw. sozialpsychologischem Aspekt hat Hari S. Upadhyaya seine
umfangreiche Auslese indischer Sprichwörter vorgenommen. Es handelt sich um aufschluß-
reiche Zeugnisse der abgrundtiefen Gegensätze zwischen den Kasten.
D. Loucatos berichtet in seinem Aufsatz L’emploi du proverbe aux différents âges von
einer interessanten Kombination der soziologischen mit einer biologischen Fragestellung
und von den dadurch erzielten Ergebnissen einer Erhebung über das — außer durch das
soziale und berufliche Milieu — auch durch das Lebensalter bedingte größere oder gerin-
gere Interesse an den Sprichwörtern, das überdies oft noch eine weitere Differenzierung
infolge der unterschiedlichen Mentalität der Geschlechter erfährt.
442
Besprechungen
Kuusi bezeichnet in seinen Thesen für ein parömiologisches Symposium Untersuchungen
der Gattungen sowie der Form- und Strukturprobleme als die dem gegenwärtigen Stande
der Sprichwortforschung angemessensten Aufgaben. Auch hat er seine bereits 1963 aus-
gearbeitete Terminologie der parömiologischen Strukturanalyse zur Diskussion gestellt und
an einer Beispielserie demonstriert. Zu den von Kuusi genannten Forschungsschwerpunkten
wurden mehrere Abhandlungen beigesteuert. So unterbreitet S. Neumann in einer Betrach-
tung über Aspekte der Wellerismen-Forschung Vorschläge zur Sammlung und Anordnung
der Sagwörter, zur Untersuchung ihrer Tradition, Thematik und Struktur, zur Feststellung
ihres lebendigen Gebrauchs, ihrer Trägerschichten und — nicht zuletzt — ihrer Bezie-
hungen zu den anderen Genres der Volksdichtung. Gestützt auf mehrere Jewish Dialogue-
Proverbs vertritt A. Keren die Auffassung, daß die Dialog-Sprichwörter nicht, wie Anna
B. Rooth meint, als Anekdoten, sondern als echte Sprichwörter zu betrachten seien. In dem
Aufsatz The Biending of Proverbs warnt G. O. Nagy davor, eine annähernde Ähnlichkeit
zwischen zwei Sprichwörtern aus verschiedenen nationalen Sprachbereichen ohne weiteres
als Ergebnis einer „freien Übersetzung“ des einen in das andere zu werten. Das ungarische
Sprichwort „Wer früh aufsteht, wird Gold finden“ ist beispielsweise keine bloße Nachbil-
dung des deutschen Sinnspruchs „Morgenstunde hat Gold im Munde“, sondern verdankt
ihm lediglich das Objekt seines Flauptsatzes, während dessen Prädikat ungarischer und der
einleitende Nebensatz slowakischer Plerkunft sind. Ch. Speroni weist die arabische Quelle
eines variantenreichen, besonders in den Sprichwörtersammlungen der Renaissance er-
scheinenden epigrammatischen Vielsprichwortes über The Beauties of a Woman nach.
Eine Brücke von der Folkloristik zur Literaturwissenschaft schlagen Barbara A. Woods
und Sister M. Katharine Elaine. W. stellt fest, daß die English Sayings in Brechts Plays
teils aus Shakespeares Dramen, teils aus Kriminalromanen stammen. E. zeigt in ihrem Auf-
satz The Moral Force of Montaigne’s Proverbs, wie die vorurteilslose empirische Menschen-
kunde des Autors der „Essais“ mit der schlichten Volksweisheit der Sprichwörter ein festes
Bündnis gegen die religiösen, wissenschaftlichen und sozialen Dogmen seiner Zeit ge-
schlossen hat. Eine gewisse Parallele zu dieser Abhandlung bildet J. Krzyzanowskis instruk-
tive Rezension des Buches The Adages of Erasmus von Margaret Mann Philipps.
Alles in allem bestätigt bereits der gewichtige Inhalt der ersten sechs Hefte, daß mit
Proverbium eine empfindliche Lücke in der folkloristischen Literatur geschlossen worden
ist.
Günther Voigt, Berlin
Cibinium. Studii si materiale privind muzeul tehnicii populäre din Dumbrava Sibiului
(Studien und Mitteilungen aus dem Hermannstädter Freilichtmuseum der bäuerlichen
Technik). Sibiu, Muzeul Brukenthal, 1966. 147 S., 98 Abb., 6 Taf. Vollst. zweisprachige
Ausg. (Rumänisch u. Deutsch.)
Nicolae Lupu, Cuvint inainte (3—4). Dem tiefschürfenden Geleitwort des Generaldirek-
tors werden wir am besten gerecht, wenn wir die Zielsetzung zitieren, die er dem neuen
Museum im Verbände der vielen Abteilungen des Brukenthal-Museums auf den Weg gab,
„für uns zu bewahren, was der erfinderische Geist des Volkes in unserem Vaterland an ge-
werblicher Technik erdacht und im Laufe der Zeiten vervollkommnet hat“.
Nicolae Ungureanu, Cu privire la oglindirea specificului culturii populäre romänesti de
cätre muzeele etnograßce (Über die Widerspiegelung der Eigenart der rumänischen Volks-
kultur in den volkskundlichen Museen) [7 — 14]. Nach der gedankenreichen Darlegung des
Verfs, der eine Reihe von prinzipiellen und methodologischen Problemen berührt, liegt die
Verantwortung der Volkskunde und der Volkskundemuseen darin, die Eigenart der Volks-
kultur nach Problemen und Objekten zu erfassen und jenen Teil der Gesamtkultur zu er-
schließen, der der Kulturgeschichte vorgeordnet ist. Denn das Volk schuf kulturelle Werte,
die mindestens die Elemente der nationalen Kultur überall enthalten. Das „schöne“ Werk-
zeug gehörte dem Volke nicht nur als Produktionsinstrument, sondern auch als Kultur-
besitz — denn wenn der homo faber das alltäglichste Werkzeug schafft, achtet er darauf, daß
Besprechungen
443
er Zweckmäßiges und Schönes adäquat ausführt. Das schöne Gerät ist also nur ein Sonder-
fall unter den Produktionsinstrumenten überhaupt. Im Volkskundemuseum muß die At-
mosphäre von Leben und Tätigkeit (13) auf der untersten und breitesten Stufe gezeigt
werden, auf der sich das Schaffen der Werktätigen vollzog.
Cornel Irimie, Muzeul tehnicii populare — actualitate, conceptie, profil tematic si plan de
organizare (Das Museum der bäuerlichen Technik — Aktualität, Grundsätze, thematisches
Profil und Ausstellungsplan) [15—28]. Der Direktor des neugeschaffenen Freilichtmuseums
arbeitet mit Recht heraus, daß die Ergologie der vorindustriellen Periode anderwärts kaum
wieder ein so günstiges Arbeitsfeld vorfindet. Sind doch in Rumänien die noch in Funktion
stehenden oder wenigstens von der ältesten lebenden Generation noch betätigten Objekte
nahezu vollständig für die meisten Bereiche des werktätigen Lebens erhalten. Dazu hebt er
hervor, daß es kaum wieder in Europa ein Land gibt, das so zahlreiche Werkzeugtypen ge-
schaffen hat. Mit den archäologischen Funden bilden sie eine lange Traditionskette. Diese
Hervorhebung rechtfertigt den gewichtigen Entschluß, die Museumsarbeit in Sibiu nicht
regional zu beschränken, sondern universal aus dem ganzen Land repräsentative Objekte
zu einer Gesamtschau zu vereinigen. Dabei sollen typologisch gültige Formen, nicht sin-
guläre „Merkwürdigkeiten“ vorgeführt werden. Natürlich muß ein Volkskundemuseum,
das eine technische Akzentsetzung in sein Programm aufnimmt, die Lösung besonderer
Schwierigkeiten auf sich nehmen, um den vielfältigen Traditionen der Volkstechnik gerecht
zu werden. So stellt sein Perspektivplan als schönes Ziel der Gesamtarbeit heraus — soweit
es mit musealen Mitteln überhaupt möglich ist — „grundsätzliche Fragen über die Lebens-
weise, die Volkskultur und Kunst des rumänischen Volkes und der mitwohnenden Natio-
nalitäten zu klären“.
Paul Niedermaier, Proiectul de sistematizare a muzeului din Dumbrava Sibiului (Der
Aufbauplan des Museums im Jungen Wald) [29 — 39]. Als Architekt sieht N. im Aufbauplan
„den genauen Wegweiser für die Entwicklung des Museums“, die er bis etwa 1975 skizziert.
Dazu muß er auf zählen, wieviel von den 140 in Aussicht genommenen Einheiten auf die
4 Sektoren (Nahrung, Werkzeug, Kleidung, Transport/Verkehr) bei einer aufteilbaren Fläche
von vorerst 42 ha (von 100 ha) entfallen. Der Aufbauplan zeigt also an, welche Objekte
unter Verstärkung des natürlichen, 2,4 km langen Wasserlaufs durch Wasserantrieb funk-
tionstüchtig gemacht werden müssen, welche überhaupt schwimmend zu installieren sind,
oder wo der Wind als „Motor“ das Funktionieren bestimmt. Aus den Darlegungen über die
Bewachsung der Anlage sowie über die 7,9 km langen Wege im Gelände gewinnt der Leser
einen ausgezeichneten Überblick über Ziele und Wege des Aufbaus, der zur Zeit etwa 22%
der vorgesehenen Objekte vollendet hat. Er gewinnt aber auch den fundierten Eindruck, daß
die befolgten und geplanten Wege die richtigen sind.
Boris Zderciuc, Criterii de seleccionare a monumentelor pentru muzeele etnografice in aer
liber (Kriterien bei der Auswahl der Denkmäler für die volkskundlichen Freilichtmuseen)
[41—47]. Ein Kardinalpunkt jeder Museumsarbeit sind die stets zu spezifizierenden Aus-
wahlkriterien. Meist sind sie komplex, schon weil im ethnographischen Bereich selten iso-
lierbare Objekte, sondern meist funktionelle Komplexe Vorkommen. Die sorgfältigen Vor-
arbeiten, die im Brukenthal-Museum vor der Installation der Freilichtabteilung geleistet
wurden, gehen aus den theoretischen Darlegungen des Verfs eindrucksvoll hervor. Diese
sind auf 4 Kriterien konzentriert, nämlich auf die Forderungen nach 1. Authentizität, 2.
künstlerischem Wert, 3. gutem Erhaltungszustand und 4. nach dem Kriterium der repräsen-
tativen Häufigkeit des Objekts.
O. Märginean, Crónica anilor 1956—1966 prioind infiinfarea si organizarea muzeului
tehnicii populare (Chronik der Jahre 1956 — 1966: Gründung und Einrichtung des Museums
der bäuerlichen Technik) [137 — 144]. Ans Ende des Bandes gestellt ist die angenehm lesbare
Museumschronik. Sie zeugt vom vielfältigen Bemühen bei der Zusammenarbeit der ungemein
zahlreichen Beteiligten aus Wissenschaft und örtlichen oder staatlichen Organisationen.
Die nun folgenden Beiträge wenden sich Einzelthemen zu und zeigen, wie sorgfältig
die Dokumentation aufgebaut wurde, ehe deren Objekte zur Installation auf dem Museums-
gelände kamen. Alle Beiträge haben darüber hinaus selbständigen Wert als wissenschaft-
liche Beiträge zur allgemeinen Ergologie.
444
Besprechungen
Herbert Hoffmann, O tipologie a instalatiilor de tescuit uleiul in Romania (Eine Typologie
der Anlagen zur Ölgewinnung in Rumänien) [49—60]. Die Ölgewinnung in der Darstellung
von H. geht über die Stufe des mechanisierten Mörsers gleich zu den „Pressen“ über. Das
ist zwar methodisch nicht ganz einwandfrei, kürzt aber die Darstellung ohne großen Zwang
ab. Die Vielzahl der technischen Lösungen des Problems, Dauerdruck zu erzeugen, über-
rascht. Hier liegt das Verdienst der Studie, die auf der einzigen Vorarbeit von Valeriu
Butura aufbaut.
Nicolae Al. Mironescu — Paul Petrescu, Cu privire la instrumentarul oiticol traditional
— Contributii la cunoasterea etnograficä a viticulturii (Die traditionellen Werkzeuge des
Winzers — Beiträge zur ethnographischen Kenntnis des Weinbaus) [61—78]. Mit gewohnter
Meisterschaft liefern die Verf. eine literaturreiche Studie, die von Herodot und Platon an die
Entwicklung im thrakisch-dakischen Weinbau verfolgt. Brauch und Sitte, soweit sie sich
mit dem Werkzeug verbinden, werden ebenfalls gestreift. Die einprägsame Vorstellung
typologisch wichtiger Stücke gelingt mit Hilfe klarer Zeichnungen. Dazu suchen die Verf.
Nachweise über Alter, Herkunft und Verbreitungszone der einzelnen Objekte zu erbringen.
Ein wenig knapp gerieten die Darlegungen über Presse und Kelter, denn die Varianten-
breite der volkstechnischen Lösung der Traubenpressung legt eine Spezialmonographie
nahe: ein bulgarischer jiuh schaut eben ganz anders aus, schon durch seine Dimensionen, als
der lin din scinduri (Keltertrog aus Brettern); und in Griechenland, woher der Xtjvoq
stammt, gibt es weitere Varianten. Gleichwohl sind die vorgeführten 6 Typen der eigent-
lichen Pressen interessant, sie funktionieren in zwei Ausführungen ohne Spindel mit Stein-
gewichten und in einer weiteren als Keilpresse.
Hedwiga Rusdea, Morile de vint din nordul Dobrogei (Die Windmühlen in der Nord-
dobrudscha) [79 — 96]. Die Studie greift auf historische und statistische Angaben zurück,
ehe sie die lokale Typologie der Windmühle auf stellt. Deren Formenreichtum ist ein weiteres
Zeugnis für die „Erfindungsgabe des rumänischen Volkes“. Nicht nur der Antriebsmecha-
nismus oder der Mahlgang, sondern das gesamte Bauwerk weist bezeichnende Eigenheiten
auf. Die Segelwindmühle ist in der Dobrudscha ebenfalls vertreten gewesen, obwohl sie
sicher kein bodenständiger Typ war. Die Abweichungen beim Bau der Ständerwindmühle
vom deutsch-englischen Typus werden klar herausgearbeitet, Bremsungen und Drehvor-
richtungen werden anschaulich. Turmwindmühlen sind gleichfalls in ihren Unterschieden
vom holländischen Stammtyp gekennzeichnet.
Mihai Sofronie — $tefan Palada, Auräritul — un me§tesug strävechi ilustrat in muzeul
tehnicii populäre din Dumbrava Sibiului (Auräritul — Ein uraltes Gewerbe der Goldgewin-
nung, dargestellt im Museum der bäuerlichen Technik im Jungen Wald bei Hermannstadt)
[97 —112]. Die Verf. fundieren durch einen komprimierten historischen Exkurs den Ent-
schluß, die Goldseifenarbeit (auräritul), die sich in Rumänien neben dem Goldbergbau
bis fast in unsere Zeit hielt, im Rahmen der Volkstechnik gebührend zu berücksichtigen. Sie
gliedern die Feudalzeit in 3 Abschnitte, deren 1. eine Verfremdung der aus dem Altertum
überlieferten Goldgewinnung mit sich brachte, weil die Zentralgewalt fremde Bergleute
zur Exploitierung der Erzvorräte ins Land rief. Der 2. Abschnitt steht unter dem Zeichen
der Türken (1541 — 1688), im 3. spaltet sich unter der Herrschaft der Habsburger die Gold-
gewinnung in staatliche Regiebetriebe mit volkstechnischen Lösungen. Wie leistungsfähig
die Volkstechnik war, zeigt sich daran, daß sie nach 1848 der kapitalistischen Konkurrenz
standhielt. Eine solche historische Deduktion bewahrt den Ethnographen vor der , Schwebe
in der Zeit‘ und der undifferenzierten Aussage. Sodann wird Arbeitsgerät in ausreichenden
Abbildungen vorgeführt, wobei sehr einfache Werkzeuge neben recht komplizierten
Mechanismen erscheinen. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sich die Volkstechnik der je-
weiligen Neuerungen der Bergbaumechanik bemächtigt hat und sogar ihr voranging. In
einem Kopieren mit veränderten Dimensionen konnte die Lösung natürlich nicht liegen —
es mußte ein Adaptieren an bäuerliche Verhältnisse erfolgen, um das jeweils moderne Prin-
zip den Notwendigkeiten anzupassen. Mit vielem Eifer waren die Verf. bemüht, nicht nur
die letzten vorhandenen Geräte zu bergen, sondern auch die terminologischen Bezeich-
nungen philologisch aufzuspüren und zu sichern.
Besprechungen
445
Raymonde Wiener, Un sector al muzeülui etnografic in aer liber din Sibiu — Tehnici si
mestesuguri populäre folosite la prelucrarea pieilor, fibrelor animale si vegetale (Ein Sektor des
ethnographischen Freilichtmuseums in Sibiu — Die Bearbeitung von Fellen sowie tierischen
und pflanzlichen Fasern) [113 — 120]. Die Berichterstattung erstreckt sich auf 4 installierte
und 5 vor dem Aufbau stehende Einheiten und zeigt daran die thematische Feinstruktur
des kleinsten, aber interessanten Sektors, der 3 Abteilungen mit den zugehörigen Unter-
gruppen umfaßt: 1. Technik, Methodik und Hilfsgerät zur Bearbeitung der Tierbälge,
2. Technik und Geräte bei der Bearbeitung tierischer Fasern (Schaf, Ziege, Seidenraupe),
3. Technik und Gerät bei der Herstellung von Textilien aus Pflanzenfasern.
Tancred Bänäjeanu, 0 ineditä forma de reclamä pentru desfacerea produselor de ceramicä
(Eine bisher unbekannte Art der Kundenwerbung in der Töpferei [121 — 126]. Die Töpferei
in Nordbuzäu ist ergologisch ergiebig durch technische Varianten beim Prozeß des Bren-
nens, mehr aber noch durch anziehende Formen der „Reklame“. Diese nutzt auf dem Wochen-
markt die dort stark auffallende Maske aus gebranntem Ton, die nur zur Erregung eines
„Spektakels“ getragen wird. Die Maskenausführung ist recht sorgfältig und ergänzt das
tönerne Gesicht durch echte Haare, Bart und Färbung, indessen handelt es sich um einen
singulären — nur von der „Konkurrenz“ hier und da aufgegriffenen Einfall.
F. H. Sonnenschein, Lebendige Technikgeschichte. — Das Westfälische Freilichtmuseum
technischer Kulturdenkmale (Istoria vie a tehnici. Muzeul westfalian in aer liber al monumen-
telor de culturä tehnice) [127 —136]. Das gleiche Jahr 1905, das dem Museum in Sibiu
einen ersten Vorläufer in der damaligen Ausstellung der rumänischen patriotischen Ge-
sellschaft „Astra“ brachte, bewirkte auch eine erste Konzeption für das Museum in Hagen/
Westf., das etwa 1972/75 seine Tore dem Besucher öffnen wird und sich zur Zeit im zügigen
Aufbau befindet. Nur wird es, bei der geringen Ausbildung der rein bäuerlichen Technik
und deren Rezeption durch das „Bäuerliche Freilichtmuseum in Detmold“ im wesentlichen
die Handwerksgeschichte und die kleinindustrielle Technik der Manufaktur spiegeln.
Bibliografia generalä privind mestesugurile si instalatiile tehnice populäre in publicatiile
noi romanc§ti (Allgemeine Bibliographie über die Handwerke und bäuerlichen Industrie-
anlagen in neuen rumänischen Veröffentlichungen) [145 — 147]. Den eindrucksvollen Band
beschließt eine Bibliographie mit 72 Titeln — und wenn sich bisher die Kritik erübrigte,
da alle Beiträge ihre Zielsetzung voll erreichten, so muß zu diesem Versuch allerdings ge-
sagt werden, daß er mißglückt ist. Schon die Fußnoten des gleichen Bandes bieten weit
mehr! Wenn man der rumänischen Forschung sehr fern steht, kann man allenfalls sehen,
daß V. Butura oder C. Irimie zu den führenden Forschern gehören — aber jeder, der auch
nur ganz lose Kontakte mit den rumänischen Kollegen hat, kennt deren Arbeitspensum
besser, von dem zu schweigen, der aus enger Verbindung die enorme Weite der ethnogra-
phisch-ergologischen Sachforschung überblickt, so daß ihn die Lücken stark befremden
müssen. Richtig ist an dieser „bibliografia generalä“ nur der Grundgedanke: ohne biblio-
graphische „Information und Dokumentation“ darf heutzutage eine wissenschaftliche Ver-
öffentlichung vom Rang des Cibinium nicht mehr hinausgehen.
Abschließend scheint es mir angezeigt zu bemerken, daß diese vom Geleitwort bis zur
Bibliographie klar durchgehaltene Museums-Konzeption die Entschließung des Inter-
nationalen Symposium Ochrana technickych pamdtek, Praha 27.9. — 1. 10. 1966 vorweg-
nimmt: Dort wurde festgelegt, prinzipiell die „Ingenieurtechnik“ dem Museum für Technik,
dagegen die „Volkstechnik“ dem ethnographischen Museum zuzuweisen, wie das in den
Diskussionsbeiträgen von J. Pazdur-Warszawa und H. Wilsdorf-Dresden vorgeschlagen
wurde.
Helmut Wilsdorf, Dresden
446
Besprechungen
Jahrbuch für musikalische Volks- und Völkerkunde. Bd. 2. Hg. von Fritz Bose. Berlin,
Verlag Walter de Gruyter, 1966. 132 S.
Drei Jahre nach der Veröffentlichung des 1. Bandes dieses Jahrbuches (DJbfVk 10, 385 f.)
kann hier erfreulicherweise das Erscheinen eines weiteren angezeigt werden. Wie der
Herausgeber in seinem Vorwort zuversichtlich mitteilt, darf auch die Fortsetzung der Reihe
in nunmehr kürzeren Zeitabständen als gesichert gelten.
Entsprechend seiner besonderen publizistischen Aufgabe enthält das Jahrbuch wiederum
größere Aufsätze mit reichem Bild- und Notenmaterial, die ihres Umfanges und ihrer Aus-
stattung wegen in anderen Zeitschriften kaum oder nur in gekürzter Form Aufnahme
finden würden: So gibt Kurt Reinhard in einem umfangreichen Beitrag Musik am Schwarzen
Meer einen ersten Bericht über seine Forschungsreise an die osttürkische Schwarzmeer-
küste im Jahre 1963. Im Unterschied zum anatolischen Musikstil findet sich in diesem Gebiet
ein eigengeprägter Musikdialekt, an dessen Herausbildung sowohl Griechen, die über
2000 Jahre an diesem Küstenstreifen ansässig waren, als auch das kleine Volk der Lasen
beteiligt gewesen sein dürften. Ohne die schwierige Frage der Herkunft dieses Stils schon
endgültig klären zu wollen, versucht R. zunächst seine Verbreitung festzustellen und einen
Einblick in das heutige Musikleben der Landschaft zu geben. Er beschreibt die vorherr-
schenden instrumentalen und vokalen Gattungen und bietet aufschlußreiche Statistiken
über deren Anteil am Gesamtrepertoire, wie es von ihm 1963 aufgenommen wurde. Weiter
berichtet R. über die wichtigsten Tanzformen und die charakteristischen Instrumente, vor
allem kernende und tulum, und deren Spielweise. Seine Angaben über die Verbreitung des
Dudelsacks bestätigen u. a. die Beobachtungen von Laurence Picken, die dieser in einer
Studie The Bagpipe in Eastern Turkey (in: Rad 7 — og kongresa saveza folklorista Jugoslavije
u Ohridu, Ohrid 1964, 245 fr.) mitteilte. Einige Transkriptionen und Tonbeispiele auf der
dem Jahrbuch beigefügten Schallplatte ergänzen und veranschaulichen das von R. ent-
worfene Bild des Landschaftsstils, dessen eingehendere musikalische Analyse einer späteren
Veröffentlichung Vorbehalten bleiben soll. — Hans Feriz betrachtet Alt-Indianische Musik-
instrumente aus Mittelamerika, die er in Costa Rica und Panama zum größten Teil selbst
sammelte. Es handelte sich um Tongefäßflöten und Rasseln, deren überwiegend zoomorphe
Formen an Hand ausgezeichneter Abbildungen detailliert und sachkundig beschrieben
werden. Auch auf Sinn und Bedeutung der Instrumente als Grabbeigaben der präkolum-
bischen Indianer wird in diesem instruktiven Beitrag zur indianischen Ikonographie Mittel-
amerikas ausführlich hingewiesen. — Der Wiener Musikethnologe Walter Graf untersucht
in seinem interessanten Aufsatz Zur Verwendung von Geräuschen in der außereuropäischen
Musik den Klang einiger hawaiischer Instrumente (Lavasteine, Gegenschlagstäbe, Bambus-
schlagrute, Kreisel, Kürbisrassel, Schneckengehäuse, Händeklatschen, Schlagkürbis und
Schwirrholz) mit Hilfe eines Sonagraphen. Die Aufzeichnungen des Gerätes (Sonagramme),
das die Geräusche der Instrumente analysiert und graphisch registriert, lassen die Charakte-
ristika der Klangspektren, Aufbau und Verlauf, Ein- und Ausschwingvorgänge nebst den
Gesamtamplituden der betreffenden Geräusche deutlich erkennen. Dabei ergeben sich auf-
schlußreiche Beobachtungen, z. B. die Ausbildung quasiharmonischer Teiltonbereiche bei
Gegenschlagstäben, die als „Grundtöne“ der Klänge empfunden werden und auf die man
beim gleichzeitigen Gesang Bezug nimmt. Doch begnügt sich G. nicht mit den Ergebnissen
der rein physikalisch-akustischen Analyse, sondern er fragt weiter nach den Gründen,
die z. B. bei Gesängen mit bestimmter Thematik die Wahl spezifischer Begleitinstrumente
veranlaßt. Hierbei scheint auch die Nachahmung von Geräuschen der akustischen Umwelt
mit instrumentalen Mitteln eine gewisse Rolle zu spielen. Als Beispiel führt G. einen ha-
waiischen Gesang an, in dem von einem Vulkanausbruch die Rede ist, und der mit einem
Schlagkürbis begleitet wird. Die Sonagramme eines solchen Naturereignisses und des auf
besondere Weise gespielten Schallkürbis werden verglichen und dabei Übereinstimmungen
festgestellt, die die Vermutung nahelegen, daß hier bestimmte Geräusche des Vulkan-
ausbruchs als „ Schallmodell“ dienten. Doch unabhängig davon, ob man sich G.s Vorstel-
lungen und Interpretationen in dieser Frage anschließt oder nicht, sind seine Bemühungen,
die Geräusche und Klänge von Instrumenten physikalisch-akustisch zu analysieren, an-
r\>yi'/7lMH\V^Ui\j7MVÄ4Yi,S/iS^xm\\VCNW'IKiWÄ4nV\>S
Besprechungen 447
regend und nachahmenswert. Dankbar begrüßt man auch einen genauen Bericht über die
Durchführung der Versuche, einzelne Bemerkungen über Möglichkeiten und Grenzen des
Sonagraphen, der z. B. Schallereignisse registriert, die zwar akustisch vorhanden sind, vom
menschlichen Ohr jedoch nicht oder anders wahrgenommen werden, und Hinweise für die
Auswertung der Sonagramme. — Zwei weitere Studien von Bruno Nettl (Zur Kom-
positionstechnik der Arapaho) und Ernst Hilmar (Die Volksliedforschung in Italien), beide
nur wenige Seiten umfassend, und einige Buch- und Schallplattenbesprechungen beschließen
den sich wieder in vorzüglicher Ausstattung repräsentierenden Jahrbuchband.
Erich Stockmann, Berlin
Jahrbuch für Regionalgeschichte. Hg. von der Abt. Deutsche Landesgeschichte des Inst,
für Deutsche Geschichte an der Karl-Marx-Universität Leipzig in Verbindung mit der
Historischen Komm, bei der Sächs. Akad. der Wiss. und der Zeitschrift Sächsische
Heimatblätter. Bd. i. Leipzig—Dresden 1965. 271 S.
Zahlreiche Diskussionen und Abhandlungen der jüngsten Zeit haben sich um die Grund-
legung einer marxistischen Regionalgeschichte, die Abgrenzung ihres Arbeitsbereiches sowie
um die Festlegung ihrer Zielsetzung und Methode bemüht. M. Steinmetz umriß 1961 die
Aufgaben der Regionalgeschichte bei der Ausarbeitung eines nationalen Geschichtsbildes.
E. Engelberg, E. Wächtler, K. Czok u. a. ergriffen in gleicher Weise das Wort. Internationale
Konferenzen fanden über das Thema statt. Das Jahrbuch will dem Zwecke dienen, mit
entsprechenden Beiträgen dem breiten Kreis der Heimathistoriker Anregungen zu frucht-
barer Arbeit im o. g. Sinne zu geben.
Der Band enthält Beiträge prinzipieller und methodischer Art sowie Abhandlungen, die
der Sache und der Regionalität nach begrenzte Themen behandeln. Ein wertvoller Berichts-
wie Rezensionsteil schließt sich an. Das Geleitwort schrieb M. Steinmetz. — K. Czok zeichnet
die Entwicklungsetappen der marxistischen Regionalgeschichtsforschung in der DDR seit 1945
auf. Nachfolgend behandelt H. Walther den Anteil der marxistischen Siedlungskunde an der
Lösung aktueller regionalgeschichtlicher Aufgaben beim Aufbau eines neuen nationalen
Geschichtsbildes. Besondere Beachtung verdient seine Aufstellung von 12 Schwerpunkt- E
aufgaben. Programmatische Bedeutung kommt dem Beitrag Paul Nedos zu, der in gedrängter |
Form die Beziehungen zwischen Volkskunde und Regionalgeschichte umreißt und kritische
wie richtungweisende Anregungen zu vereinter Arbeit gibt.
Alle weiteren Abhandlungen sind mehr oder weniger als Musterbeispiele für gleich-
gerichtete Forschungsthemen aufzufassen. Sie werden vorteilhaft durch die nachfolgenden
Berichte und Rezensionen ergänzt. So zeigt R. Ogrissek an einem konkreten Beispiel
(Schlauroth bei Görlitz), wie Die Flurkarte als Quelle historisch geographischer Forschung
ausgewertet werden kann. ^
H. Walther und E. Eichler berichten über Leipziger namenkundliche Forschungen. Die
Abhandlung von R. Groß über Die kleinbürgerlich-demokratische Bewegung in Sebnitz I
1848-1852 liefert mit der Darstellung der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der j
Sebnitzer Leineweber um 1850 wertvolles Material für eine für Gesamtsachsen noch aus- 4
stehende volkskundliche Darstellung dieser halbproletarischen Berufsgruppe. Der Bericht
R. Schauers über Archivalische Quellennachweise zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewe-
gung gehört dem gleichen Themenkreis an. 7
Bemerkenswert umfangreich ist die Sorbenfrage behandelt. H. Herz orientiert über
Faschistische Pläne zur Ausrottung slawischer Ortsnamen im Landkreis Altenburg, H. Zwahr
über Antisorbische Staatspolitik im preußisch-deutschen Reich. Wertvoll verbindet sich mit
dem Fragenkomplex ein Bericht von K. Schiller Zur Entwicklung und Tätigkeit des Arbeits-
bereiches Geschichte am Institut für sorbische Volksforschung. — Historisch-geographischen
Fragen dient der Bericht von K.-H. Blaschke über Die historisch-kartographischen Arbeiten
in Deutschland und der Historische Atlas von Sachsen.
448
Besprechungen
Verschiedenen historischen Themen sind die Beiträge von H. J. Schreckenbach Bezirks-
perwaltungen in den Ländern der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands
1945—1947, F. Neuß Hanse und niedersächsische Städtebündnisse in ihrem Verhältnis zu den
sozialen Bewegungen im Elbe-Saale-Raum während des Spätmittelalters und W. Zöllner
Eine verlorene sächsische Chronik von Anfang des 12. Jahrhunderts gewidmet. Deutsch-
polnische Beziehungen finden in einigen Rezensionen ihre Beleuchtung.
In dem umfänglichen Bericht von H. Hering mit dem Titel Große Aufgaben für eine
beliebte Literatur, in dem er eine Übersicht über die Heimatliteratur der DDR gibt und kri-
tisch auswertet, vermißt man die Werte der Heimat, von denen bis jetzt 12 Bände erschienen
sind.
Wie erkennbar, ist der 1. Band des vorliegenden Jahrbuchs inhaltsreich und richtungs-
weisend. Eine Fülle von Anregungen und Erkenntnissen kommen auch der volkskundlichen
Forschung zugute, die ihrerseits stets eine enge Beziehung zur Regionalgeschichte gesucht
hat.
Alfred Fiedler, Dresden
Revue des Études sud-est européennes Bd. 1—3. Bucarest, Editions de l’Académie de la
République socialiste de Roumanie, 1963 — 1965. 678 S., 49 Abb. u. Kartenskizzen;
708 S., 65 Abb., Notenbeispiele u. Karten; 774 S., 80 Abb., Karten im Text u. auf z. T.
far b. Taf.
Schon vor mehr als 50 Jahren bestand kein Zweifel daran, daß ein Institut d’Études
sud-est européennes notwendig sein würde. Der weitsichtige Nicolae Jorga schuf es in
Bukarest — durch die Energie der Rumänischen Akademie der Wissenschaften ist es 1962
wieder ins Leben gerufen worden. Das Institut unter der Leitung von Mihai Berza spricht
durch seine Veröffentlichung, die oben genannte Revue, mit Beiträgen in deutscher, eng-
lischer, französischer, italienischer und russischer Sprache. Die Halbjahresbände führen
bereits ein gewichtiges Wort bei den zahlreichen und schwierigen Forschungen, die von den
verschiedenen Einzelwissenschaften her sich um die gleichen Ziele bemühen. Diese liegen
natürlich nicht alle auf einer Ebene, aber sie haben alle das gleiche Gipfelziel: Gegenwart
und Vergangenheit im europäischen Südosten immer besser kennenzulernen, wechselseitig
sich zu unterrichten, gemeinsam Probleme anzufassen, fruchtbaren Austausch zu pflegen
und vor allem das Verständnis für einander in Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu
vertiefen. Da es nun stets zu den schönsten Aufgaben eines Forschers gehört, im inter-
nationalen Verband die humanistischen Ziele der echten Wissenschaft zu fördern, arbeitet
die von der Association Internationale d’Études du Sud-Est européen1 gestützte Revue im
weiten Feld auf breiter Basis. Von den 2000 Seiten in den bisher erschienenen 6 Halb-
bänden, die hier zu referieren wären, entfällt auf den Sektor Ethnographie und Folklore ein
erstaunlich hoher Anteil — weit mehr, als daß versucht werden könnte, alle diesbezüglichen
Beiträge auch nur dem Titel nach hier aufzuführen oder gar zu rezensieren. Mit dem biblio-
graphischen Gewinn der volkskundlich relevanten Titel aus den Rubriken Études und
Mélanges ist die Bedeutung der Revue für Ethnographen und Folkloristen nicht zu er-
schöpfen. Denn allen Forschern wird genauso wertvoll sein, was unter der Rubrik Chronique
von Kongressen und Tagungen berichtet wird, und was in den stets recht ausführlichen
Comptes rendues mit fundierter Kritik rezensiert ist oder in den Notices bibliographiques an
Hinweisen auf wichtige neue Publikationen erscheint.
Der Südosten Europas ist ein bevorzugtes Gebiet ethnohistorischer Untersuchungen —
schon seit Herodot gehört die „Erkundung“ der dort so wechselhaft seßhaft werdenden und
wieder weiterwandernden Völker zu einem Forschungsprogramm von besonderer Trag-
weite. Verständlich ist daher das Bemühen der Revue, die Studien auf ein tiefgründiges 1
1 Die ,Association gibt außerdem ein eigenes Bulletin (halbjährlich) heraus, in dem nicht
nur Berichte und Mitteilungen, sondern auch wissenschaftliche Arbeiten zum Abdruck
kommen.
Besprechungen
449
Fundament zu stellen. Daher enthält sie mitunter auch archäologische Beiträge, denn die
Aufhellung von dakisch-thrakischen oder illyrisch-keltischen Problemen ist auf solche
ebenso angewiesen wie die Klärung mancher Entladungen im griechisch-römischen Span-
nungsfeld. Die beständige Erneuerung dieser Spannungsverhältnisse aus Überlagerungen
verschiedener ethnischer Elemente bis in unser Jahrhundert führt in allen diesen Gebieten
zu einer besonders engen Verflechtung von ethnographischen und historischen Studien.
Unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgewohnheiten hat Valentin Georgescu (i, 69 — 102)
einige Fakten aus Albanien erörtert — im ähnlichen Bereich hat Romulus Vulcänescu
(2, 17 — 69) die juristische Bedeutung von Eigentumszeichen dargelegt und dabei dem Thema
eine erstaunliche Vielseitigkeit und Vertiefung gegeben. Zu dieser Gruppe gehört auch eine
Studie von Emil Virtosu (2, 241—253) über die Symbolik der Schwurhand bei der Doku-
mentation von rumänischen und bulgarischen Verträgen.
Parallelen und Divergenzen in der Entwicklung der Volksmusik sind von Gheorghe
Ciobanu (2, 71—92) und von Emilia Comisel (2, 511 — 525), etwa am Beispiel der Hoch-
zeitsmusik auf gezeigt worden. Zur gleichen Erscheinung in der Volksdichtung ergriff zwei-
mal Adrian Fochi (1, 517 — 550, 3, 4^5 — 511) das Wort; in der Analyse der antitürkischen
Epik vom Helden Doitschin erstreckt sich seine Untersuchung auf Rumänen, Albaner,
Bulgaren, Dalmatiner, Serbo-Kroaten, Makedonen. Zu dieser Gruppe stellen wir die Studie
über den Volkstanz von Andrei Bucsan (2, 607 — 613).
Zwei Beiträge zur Volksarchitektur sind Paul Henri Stahl (2, 527 — 546, 3, 611—637)
zu verdanken, die aus seinen tiefschürfenden Forschungen über den Bautyp von Häusern
und Kirchen als Ausdruck der Landschaft resultieren; auch sein dritter Beitrag (3, 297 — 303)
ging aus Landschaftsstudien hervor, nämlich die Feststellung über die Baumoerehrung
durch die Tataren in der Dobrudscha. Zur Hausarchitektur hat auch Paul Petrescu mit
gewohnter Meisterschaft eine Studie über die ethno-kultureilen Wechselbeziehungen im Tal
des Timok beigesteuert (1, 485 — 516).
Im Sektor der Sachforschung ist die sehr sorgfältige Studie von Dinu Giurescu (2, 467 bis
510) über die (für rumänische Klöster und Herren tätigen) Goldschmiede von Ciprovci zu
erwähnen. Hierher gehören ferner die beiden Studien von Radu O. Maier (2, 585—605,
657—668) — Volkskunst der Aromunen und Steinbau in Jugoslavien sind seine gut illu-
strierten Themen.
Daß die Türkenfrage immer wieder aufgegriffen wurde, erscheint verständlich. Weit aus-
gegriffen hat Dinu A. Dumitrescu (2, 229 — 240) dabei, der sich spanischen Veröffentlichun-
gen zur Türkenfrage zugewendet hat. Aus bibliographischen Feststellungen hat auch Carl
Göllner (3, 131 —154) sein Sonderthema gewählt, das die Rolle des Türken in der drama-
tischen Literatur des 15. und 16. Jhs an Beispielen illustriert.
Sicher muß mancher Beitrag zu den vielfältigen Problemen aus der Geschichte und Volks-
kultur in Südosteuropa Entscheidungen offenlassen, wie eine Studie von D. N. Mintschew
(3, 639 — 645) über einen sagenhaften Liutwid als Fürsten in der Dobrudscha. Aber anderer-
seits zeigt die minutiöse Interpretation von Nicolae Al. Mironescu (3, 651—655), wie man
selbst sehr komplizierte Fachbegriffe der Hirtenkultur erschließen kann.
Der hier gebotene Querschnitt kann natürlich die Thematik nur illustrieren, aber nicht
erschöpfen. Wir glauben aber nach dem Gebotenen kaum noch betonen zu müssen, daß wir
die neue Revue für ein unentbehrliches Rüstzeug aller Ethnographen und Folkloristen
halten — von den Archäologen und Historikern werden die gleichen Urteile zu erwarten
sein, wenn sie auf ihre spezifische Thematik hin diese Serie sorgfältig ausgestatteter Bände
durchsehen.
Helmut Wilsdorf, Dresden
450
Besprechungen
Ingrid Kretschmer, Die thematische Karte als wissenschaftliche Aussageform der Volks-
kunde. Eine Untersuchung zur volkskundlichen Kartographie. Bad Godesberg, Bundes-
anstalt für Landeskunde und Raumforschung, 1965. 95 S. (= Forschungen zur deut-
schen Landeskunde 153).
Nach dem gründlichen Werk Kartogrdfiai mödszer a neprajzban, das Jeno Barabäs 1963
veröffentlichte (vgl. DJbfVk 12, 1966, 114 —116), legt jetzt Ingrid Kretschmer ein neues
Buch zur volkskundlichen Kartographie vor, das in der Zielsetzung und in der Darstellung
des Stoffes eigene Wege geht. Während sich Barabäs vor allem um den kulturgeographischen
Aspekt in der Volkskunde bemühte, stellt K. den Gesichtspunkt kartographischer Praxis
in den Vordergrund. „Sachgüter und geistige Güter einerseits, Statik und Dynamik der
Erscheinungen andererseits individuell vom inhaltlichen wie kartographischen Gesichts-
punkt auf ihre Eignung zur Darstellung zu beleuchten“, so bezeichnet sie im Vorwort das
Hauptziel ihres Buches. Dabei kann sie von den grundlegenden Arbeiten ausgehen, die
H. Schienger, E. Röhr und R. Weiß in den 30er Jahren geschrieben haben. An Neuem
wertet sie die Erfahrungen aus, die sich aus der Arbeit mit den inzwischen erschienenen
National- und Regional-Atlanten ergaben, und zieht auch alles das heran, was von seiten
der Fachgeographen zum Problem der thematischen Karte gesagt wurde.
Im ersten der fünf Kapitel gibt sie eine Einführung in die Methoden und Ziele volkskund-
licher Kartographie. Einer Begründung für die Notwendigkeit der Karten in der Volks-
kunde bedürfte es eigentlich gar nicht mehr; denn eine regionale Untersuchung ist heute
ohne Karten oder Kartenskizzen schon beinahe nicht mehr vorstellbar. Das Beispiel dieses
Jahrbuches spricht für viele andere. Es brachte in den ersten 12 Jahrgängen insgesamt 56
Karten, wobei je nach dem Forschungsziel, das die Autoren verfolgten, die verschiedensten
Darstellungsmethoden Anwendung fanden. Welche Aufgabe aber eine Karte zu erfüllen
hat und wie sie als wissenschaftliches Arbeitsmittel anzulegen und zu benutzen ist, darüber
gehen die Meinungen freilich noch weit auseinander. Richtig ist zweifellos die Feststellung
der Verf., daß die volkskundliche Karte nicht als ein Forschungssziel, sondern als ein For-
schungsmittel angesehen werden muß. Doch soll sie, so meint die Verf., „nicht nur ein För-
derungsmittel volkskundlicher Forschung sein, d. h. Ausdruck einer methodischen Be-
reicherung, nicht nur anschauungsgebundenes Erkenntnismittel, sondern zugleich aus-
drucksstärkstes Darstellungsmittel der volkskundlichen Betrachtungsweise“ (10).
Im zweiten Kapitel Sichtung des Materials referiert K. kurz die ältere Literatur zu den
Fragen der Quellenkritik und der Materialaufbereitung. — Ausführlicher behandelt sie
dann im dritten Kapitel den thematischen Inhalt. Sie geht dabei von dem Gedanken aus, daß
eine volkskundliche Karte sich nicht auf ein Detail oder einzelnes Element beschränken
dürfe, sondern sich aus mehreren Elementen zusammensetzen müsse, um eine „gewisse
Zusammenschau“ zu erreichen. Diese These widerspricht nun der Arbeitserfahrung aller
volkskundlichen Atlanten in Europa, die nur in wenigen Ausnahmefällen zwei oder mehr
Aussagen auf einer Karte kombinierten, in der Regel aber eine Teilaussage darstellten. Und
das hat seinen guten Grund. Denn bevor man daran geht, die funktionale Komplexität
einer Erscheinung so umfassend in einer Karte zu veranschaulichen, wie die Verf. es fordert,
hat man wohl zu allererst die Aufgabe zu lösen, wie man die Erscheinungsformen, die ja
selbst höchst kompliziert sind, richtig und vollständig aufnehmen und darstellen kann.
Wer wollte hier den zweiten Schritt vor dem ersten tun?
Wichtig ist der ausführliche Abschnitt über die städtische Volkskultur, wo die Verf. die
Schwierigkeiten erkennt, die hier einer kartographischen Behandlung im Wege stehen.
Leider versäumt sie, in diesem Zusammenhang auf die Stadt-Land-Beziehungen näher ein-
zugehen, wo doch kein anderes volkskundliches Problem besser für eine kartographische
Darstellung geeignet ist als gerade diese Beziehungen. Die Dialektgeographie bietet hierfür
überzeugende Beispiele in großer Zahl. Überhaupt muß man sich fragen, warum die metho-
disch so aufschlußreichen Arbeiten aus dem Bereich der Laut- und Wortgeographie so
wenig berücksichtigt wurden.
In weiteren Abschnitten behandelt die Verf. Statik und Dynamik auf volkskundlichen
Karten, Klassifizierung der Karten und den Raumbezug als Grundlage für die Erforschung
Besprechungen 451
der engeren volkskundlichen Situation, wo sie auf die Kernfragen volkskundlicher Karto-
graphie eingeht: Auf die räumlichen Grundlagen der Volkskultur, die durch die Natur-
landschaft, die Verkehrslandschaft und die Siedlung, die geographische Wirtschafts- und
Sozialstruktur sowie durch die territorial-politische und die konfessionelle Gliederung
gegeben sind.
Das vierte Kapitel ist der Darstellung gewidmet. Maßstab der Karte, Topographie der
Grundkarte, Wahl der Signaturen, Farbgebung, die sehr wichtige Frage der Generalisation
und der Belegauswahl, Darstellungsmethoden und Aussageformen (analytische und syn-
thetische Karten) werden hier von der Verf. behandelt, wobei sie in erster Linie die gedruckt
vorliegenden Atlanten auswertet. Abschließend verfolgt sie im fünften Kapitel Karten-
interpretation die Zusammenhänge zwischen der Kartendarstellung und dem interpretie-
renden Kommentar.
Der Band ist als eine Dissertation am Geographischen Institut Wien entstanden. Das
erklärt manche Unsicherheit der jungen Verf. in Fragen der volkskundlichen Terminologie
und Theorie. Andererseits zeigt sie sich als eine gute Kennerin der geographischen Praxis,
so daß sie manche nützliche Anregung für die Arbeit mit der volkskundlichen Karte
vermitteln kann.
Reinhard Peesch, Berlin
Österreichischer Volkskundeatlas, z. Lief. Unter dem Patronat der österr. Akad. der Wiss.
hg. von der Komm, für den Volkskundeatlas in Österreich. Wiss. Leitung Richard
Wolfram. Kartographische Leitung Egon Lendl unter Mitarbeit von Ingrid
Kretschmer. Wien, Graz, Köln, in Kommission Herrn. Böhlaus Nachf., 1965.
Sechs Jahre nach der ersten Lieferung legt die Wissenschaftliche Kommission für den
Volkskundeatlas in Österreich unter der Leitung von Richard Wolfram jetzt die zweite vor,
die in mehrfacher Hinsicht Verbesserungen aufweist. Der umfangreiche alte Editionsplan,
der manches abseitige, umstrittene Thema enthielt, wurde auf folgende drei Hauptgruppen
reduziert: Grundlagenkarten, Karten zur Sachvolkskunde und Karten über geistige und
gesellschaftliche Fragen innerhalb der Volkskultur. Das ist eine erfreuliche Besinnung auf die
wesentlichen Aufgaben volkskundlicher Kartographie. Auch die Grundkarte (im Maßstab
1:1 Mill.) wurde mit Unterstützung namhafter Fachleute anhand neuester amtlicher Grund-
lagen überarbeitet und erneuert. Ein gut gelungener Mehrfarbendruck unterstützt die Dar-
stellung, so daß uns ein Atlas von hoher kartographischer Qualität in die Hand gegeben
wird.
Als volkskundliche Hilfskarten oder Grundlagenkarten sind die ersten beiden Blätter
zu verstehen, die die Wandlungen der Berufsstruktur von 1934 bis 1961 darstellen. Sie zeigen
den Anteil der Wohnbevölkerung an der Wirtschaftsgruppe Land- und Forstwirtschaft in den
Jahren 1934, 1951 und 1961 und die Veränderung des Prozentsatzes in dieser Periode. Der
große Prozeß wirtschaftlicher Umstrukturierung, in dem sich ganz Europa seit einigen Jahr-
zehnten befindet, wird sich, wie R. Wolfram in einem Nachwort den Kommentar von E.
Lendl ergänzt, erst zu einem späteren Zeitpunkt auf die Volkskultur voll auswirken, da
„Berufswandel und Kulturwandel zeitlich zum Teil phasenverschoben sind“. Doch bieten
die meisten der folgenden Karten genügend Beispiele dafür, daß diese Wandlungsvorgänge
auch in Österreich bereits weit fortgeschritten sind.
In Fortsetzung der Sprachkarten in der ersten Lieferung behandelt E. Kranzmayer auf
vier Karten die Dialekträume in Österreich, wobei er auf den nur handschriftlich vorliegen-
den Österreichischen Dialektatlas zurückgreift. In ausführlichen Kommentaren behandelt er
die typischen Lautmerkmale der einzelnen Landschaften, deren Ausbreitung und Grenzen
er historisch begründet. In die Problematik der bäuerlichen Erbgewohnheiten führen zwei
Blätter über das bäuerliche Erbrecht und das Ausgedinge, die von I. Kretschmer und J.
Pin gier bearbeitet sind. Ihr Kommentar greift weit nach Mitteleuropa aus und bemüht sich
in Auseinandersetzung mit den bisherigen Theorien um eine Deutung, die völlig zu Recht
von den Besitzverhältnissen und Produktionsweisen ausgeht. Da die Aufnahmen für diese
452
Besprechungen
Fragen erst 1955 — 56 und 1957 — 58 durchgeführt wurden, konnte vor allem auch der Über-
gang zu neuen Formen in der Gegenwart festgehalten werden.
Erfreulicherweise enthält diese Lieferung sechs inhaltsreiche Blätter zur materiellen
Volkskultur. A. Haberlandt und O. Moser behandeln auf zwei Blättern Bauten und Ein-
richtungen zur bäuerlichen Vorratshaltung. Die Mitteilungen der Gewährsleute aus der Be-
fragung von 1955 — 56 reichten jedoch für diesen Zweck vielfach nicht aus, wie ja nach
allgemeiner Erfahrung Korrespondenz-Umfragen für die materielle Kultur immer nur im
begrenzten Maße möglich sind, so daß die Autoren gezwungen waren, das Fragebogen-
material durch landschaftliche und örtliche Nacherhebungen zu korrigieren und zu er-
gänzen, wobei sie die Hilfe bekannter Wissenschaftler in Anspruch nehmen konnten. Auf
dem ersten Blatt behandeln sie den Freistehenden Speicherbau nach Material und Form, auf
dem zweiten die verschiedenen Arten von Einrichtungen zur Aufbewahrung des Getreides
innerhalb des Wohn- und Wirtschaftsgebäudes. In sorgfältiger Analyse kommentieren die
Verfasser den Befund, wobei auch viele Details berührt werden, die auf den Karten nicht
erscheinen. Ergänzt wird die instruktive Darstellung, die auch die wichtigste Literatur zum
Thema heranzieht, durch ein Blatt mit Fotos. Man bedauert jedoch, daß Risse der Bauten
fehlen, wie sie sonst in der Hausforschung üblich sind. — D. Assmann behandelt auf einem
weiteren Blatt den Backofen außerhalb des Wohngebäudes, wobei jedoch nicht seine Form
zur Darstellung kommt, sondern nur sein Standort (freistehend — verbunden mit einem
anderen Bau). Auch hierzu gehört ein besonderes Blatt mit Fotos, die einige charakteristische
Beispiele zeigen. Eine gewisse Ergänzung erfährt dieses Thema durch die Karte Herkunft
und Herstellung des bäuerlichen Hausbrotes, die A. Gamerith bearbeitete. Überraschender-
weise zeigt diese Karte für das Aufnahmejahr 1955 noch eine weite Verbreitung des haus-
gebackenen Bauernbrotes, so in Oberösterreich, in der Steiermark und in Kärnten; dazu
kommt in Niederösterreich das Backen auf Stör, bei dem man zu Haus den Teig vorbereitet,
das Brot jedoch beim Bäcker backen läßt. Dagegen hat sich der Brotkauf in der Umgebung
der Städte Wien und Linz und sonst vor allem in solchen Gebieten schon durchgesetzt, wo
sich infolge der Industrialisierung oder durch den Tourismus neue Lebensformen eingebür-
gert haben. Um die Eigenherstellung eines Nahrungs- bzw. Genußmittels geht es auch bei
den zwei folgenden Blättern zum Thema Haustrunk — Schnapsherstellung im bäuerlichen
Haushalt, für die I. Kretschmer verantwortlich zeichnet. Auch hier ist man überrascht,
wie stark der Bauer in Österreich 1957 noch daran festhält, seinen Schnaps aus Kernobst,
Zwetschgen, Kirschen, Beeren, Enzian, Nüssen oder anderen einheimischen Rohstoffen
selbst zu brennen. Technisch sind die vier Karten von Blatt 26 (im Maßstab 1:2 Milk)
leider etwas mißraten. Die Pünktchen sind so klein wiedergegeben, daß man nur mit einem
Vergrößerungsglas erkennt, ob es sich um Voll- oder Umrißzeichen (in der Bedeutung
, Schnapserzeugung abgekommen‘) handelt.
Der folkloristische Teil behandelt auf 7 Blättern 4 Themen. Die Karte Umritte verzeich-
net nur die Termine des Brauchtums, während der zugehörige Kommentar von FI. Fielhauer
die einzelnen Ritte nach Erscheinungsform und brauchtümlich-religiösem Sinngehalt
charakterisiert. Zur Geschichte des Weihnachtsbaums hat R. Wolfram zwei Kartenblätter
bearbeitet. Das erste, Christbaum — Zeit der Einführung, zeigt die historischen Etappen,
in denen er volkstümlich wurde, das zweite, Weihnachtsgrün — Sonderformen, kartiert den
hängenden Baum, das Aufstellen des abgeräumten Baumes an einer Stelle außerhalb des
Hauses, einzelne brauchtümliche Handlungen mit einem Nadelbäumchen oder -zweig
bzw. mit einem Wacholderzweig in der Weihnachtszeit. Hierzu hat W. einen Kommentar
geschrieben, der mit 59 Seiten Umfang eine kleine historische Monographie zum Thema
Weihnachtsgrün geworden ist. Dabei ist zu begrüßen, daß W. nicht an den Landesgrenzen
haltmacht, sondern die Geschichte der österreichischen Brauchformen in größere kultur-
geographisch-historische Zusammenhänge stellt und auf diese Weise Ergebnisse vorlegen
kann, die von allgemeiner Bedeutung sind. Einem Kinderbrauch der Vorfrühlingszeit,
dem Schlag mit der grünen Rute, widmet der Atlas zwei Blätter unter dem Titel Friscli-
und Gesundschlagen, von denen das erste die Art des für die Rute verwendeten Strauches
und die Bezeichnung des Brauches, das zweite charakteristische Wendungen der Heische-
sprüche wiedergibt. Im Kommentar behandelt S. Walter die Brauchtermine, die Brauch-
Besprechungen 453
attribute, die Bezeichnungen und die Sprüche, wobei er sich für die Verhältnisse in Ober-
sachsen auf die gründlichen Untersuchungen von S. Kube in diesem Jahrbuch stützen kann
(7/ 1961, 121 ff. und 11/1965, io8ff.).
Das letzte der insgesamt 19 Blätter (wobei die beiden Bildtafeln mitgezählt sind) ent-
hält eine Darstellung der brauchtümlich bevorzugten Wochentage für die Abhaltung bäuerlicher
Hochzeiten. Bearbeiter ist noch einmal R. Wolfram, der auch diesen Kommentar zu einer
kleinen historischen Studie erweitert. Ihr Thema ist die Geschichte der Tagewählerei in
Europa.
Dieser historisch-europäische Aspekt, der nicht nur in den eigenen Beiträgen des Heraus-
gebers R. Wolfram so stark in den Vordergrund tritt, sondern auch in allen Kommentaren
der anderen Mitarbeiter immer wieder anklingt, qualifiziert den ÖVA zu einem Werk, das
auch außerhalb Österreichs einen großen Interessentenkreis finden wird. So möchten wir
dem Herausgeber und seinen Mitarbeitern eine erfolgreiche Fortsetzung dieser nützlichen
Arbeit wünschen.
Reinhard Peesch, Berlin
Andrzej Maryanski, Wspölczesne w^dröwki ludöw. Zarys geografii migracji (Völker-
wanderungen der Gegenwart. Abriß der Migrationsgeographie). Ossolineum, Wroclaw
— Warszawa — Krakow, 1966. 220 S., 34 Diagr. u. Karten. Engl. Res.
Auch die Ethnographie kann an der Tatsache nicht vorübergehen, daß im 19. und 20. Jh
große Bevölkerungsbewegungen und -Verschiebungen in allen Teilen der Erde stattge-
funden haben und laufend vor sich gehen. Die ethnische und kulturelle Struktur großer
Gebiete hat sich, insbesondere nach dem 2. Weltkrieg, von Grund auf geändert. Die überall
vor sich gehende massenhafte Abwanderung eines beträchtlichen Teiles der Dorfbevöl-
kerung in die Stadt und die daraus resultierenden enormen Veränderungen in den gesamten
Lebensverhältnissen der werktätigen Bevölkerung stellen die Ethnographie vor eine Reihe
äußerst wichtiger Probleme, die Gegenstand und Methoden ihrer Forschung berühren.
Das vorliegende Buch M.s, des Lehrstuhlinhabers für regionale Geographie an der Päd-
agogischen Hochschule in Krakow, bemüht sich um eine systematische Darstellung der
Migrationen im 20. Jh., insbesondere nach dem 2. Weltkrieg. M. unterscheidet hinsicht-
lich der Beweggründe ökonomische und politische Migrationen, hinsichtlich des territorialen
Bereiches interkontinentale, zwischenstaatliche und innerstaatliche Wanderungen ferner
zeitlich unbegrenzte und begrenzte Ein- bzw. Auswanderungen und schließlich hinsichtlich
der Struktur der migrierenden Bevölkerung die Übersiedlung von städtischer Industrie-
bevölkerung in Industrie- und Stadtzentren sowie die Migration der landwirtschaft-
treibenden Bevölkerung, die seit den letzten Jahrzehnten eine immer geringere Rolle spielt
Anhand umfangreichen statistischen Materials zeigt der Verf. einige wesentliche Ver-
änderungen in den globalen Migrationsbewegungen auf. Hingewiesen sei hier nur auf einige
ethnographisch relevante Erscheinungen in Europa. Die zahlenmäßig größten Bevöl-
kerungsbewegungen in der Gegenwart haben ökonomischen Charakter. Obwohl es sich
zumeist um einen Abfluß der Bevölkerung aus dicht besiedelten Gebieten in weniger
dicht bewohnte handelt, ist nach Meinung des Verfs die Bevölkerungsdichte nicht entschei-
dend dafür, ob ein Gebiet als übervölkert anzusprechen ist. Ausschlaggebend sei vielmehr
der ökonomische Entwicklungsstand des betreffenden Landes. — Die sozialistischen Län-
der, mit Ausnahme Jugoslawiens in jüngster Zeit, sind aus der Liste der Emigrationsländer
ausgeschieden. Sofern noch Auswanderung erfolgt, beschränkt sie sich praktisch auf Fa-
milienzusammenführung. — In einer Anzahl sozialistischer Länder die sich erst nach dem
2. Weltkrieg aus rückständigen Agrarländern zu modernen Industriestaaten entwickelt haben,
ist mit fortschreitender Industrialisierung und Urbanisierung ein sehr schnell sich voll-
ziehender Prozeß des Übergangs der Landbevökerung in die Stadt und die Industrie zu
verzeichnen. Bezeichnend ist, daß diese Entwicklung neuerdings auch solche Länder wie
Indien, Pakistan, Indonesien und die Mehrzahl der neu entstandenen Staaten Afrikas erfaßt
hat.
30 Volkskunde
1
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I
*
I
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*
454
Besprechungen
Bevölkerungsbewegungen politischen Charakters haben besonders im 20. Jh. größte
Ausmaße erreicht. In den Jahren 1922 — 1924 erfolgte z. B. ein Bevölkerungsaustausch
zwischen Griechenland und der Türkei, der nahezu 2 Millionen Menschen betraf. Die Um-
siedlungen während des 2. Weltkrieges und im Zusammenhang mit der Zerschlagung des
faschistischen Dreibundes (Deutschland, Italien und Japan) bezeichnet der Verf. als „die
größte organisierte Massenmigration in der Menschheitsgeschichte“ (106). Insgesamt seien
etwa 17 Millionen Menschen in diesen Strudel hineingerissen worden. Infolge dieser Be-
völkerungsverschiebungen nahm die Einwohnerzahl mancher Gebiete wesentlich zu (in
der Lüneburger Heide z. B. verdoppelte sie sich gegenüber 1939). In anderen Gegenden
beträgt die Zahl der nach 1945 Zugewanderten etwa ein Drittel der gegenwärtigen Wohn-
bevölkerung (z. B. Schleswig-Holstein, Mecklenburg). In der späteren Phase zogen die
Industriezentren viele ehemalige Umsiedler an, die sich zunächst in Agrargebieten nieder-
gelassen hatten. — Im Gegensatz zu Westdeutschland ist die Integration der Umsiedler in der
DDR in jeder Hinsicht gefördert und tatsächlich erreicht worden.
Von den in der Schlußbetrachtung auf gezeigten Haupttendenzen der Migrations-
bewegungen seien hier nur drei herausgegriffen, die auch für die Ethnographen von Inter-
esse sind: Der Verf. bezweifelt nicht, daß die Abwanderung vom Dorf in die Stadt weiter
andauern wird. Eine Ausnahme werden nur solche Staaten bilden, in denen der Prozeß der
Urbanisierung sich bereits der natürlichen Grenze seiner Möglichkeiten nähert wie z. B.
in Großbritannien, Westdeutschland und in Teilen der USA. Während bis Anfang des
20. Jhs hauptsächlich landlose und landarme bäuerliche Elemente auswanderten, um sich
zumeist als Siedlerpioniere in nahezu unbewohnten Gebieten niederzulassen oder als un-
gelernte Arbeiter im Bergbau, Straßen- und Eisenbahnbau eine neue Existenz zu gründen,
emigrieren seit dem x. Weltkrieg in zunehmendem Maße Industriearbeiter und -fachkräfte
in Erwartung besserer Lebens- und Verdienstmöglichkeiten. Sie steuern sofort die Groß-
städte der Industriebezirke an. Weiterhin kommt der Verf. zu dem Schluß, daß die wirt-
schaftliche Rückständigkeit vieler Länder nicht durch Emigration eines Teiles ihrer Be-
völkerung, sondern nur durch die Industrialisierung überwunden werden kann.
Das Buch M.s ist durch seine Fülle übersichtlich geordneter Fakten nicht nur interessant,
sondern auch anregend.
Paul Nowotny, Bautzen
Friedrich Schnack, Die Welt der Arbeit in der Kunst. Stuttgart, Schüler, [1965]. 151 S.,
30 Abb., 64 farbige Taf.
Eine Publikation zu diesem Thema kann auf verschiedene Weise angelegt werden.
Sie kann, wenn „Arbeit“, d. h. „zweckmäßige, bewußte Tätigkeit des Menschen“, als
Objekt im bildkünstlerischen Schaffen Niederschlag findet, das „Arbeiten“ dem Leser
verlebendigen, ihn lehren, sich in äußere Umstände und soziale Bedingungen einzufühlen
sowie die Mühe, die eine Arbeit fordert, nachzuempfinden. Hierbei wäre der Kunst eine
lediglich didaktisch-illustrative Rolle zugedacht, was ihrem Wesen allerdings nur unter
bestimmten Voraussetzungen entspräche. Sie kann außerdem das dargestellte „Arbeiten“
als technischen Vorgang rekonstruieren, Arbeitsmittel und Hantierungen demonstrieren,
die Art der Arbeitsgesellung und den Stand der Arbeitsteilung aufspüren u. a. m. Die
Kunst wäre somit als zeitgenössische Bilddokumentation aufgefaßt, ihrer Spezifik aber
in gewisser Hinsicht entfremdet, da sie die Objektivität der exakt-wissenschaftlich notierten
Autopsie nicht besitzt.
Aber bei allem, was unter kulturgeschichtlichen, soziologischen, ethnographischen,
technologischen oder auch rein didaktischen und ethnischen Aspekten in einer Arbeits-
schilderung fesseln kann, dominiert im Kunstwerk die geistige, irgendwie wertende Durch-
dringung des Themas. D. h., wir können die „Welt der Arbeit“ in einem Kunstwerk nur
nacherleben, wie der Künstler sie begriff und akzentuierte. Da Kunst ebenso wie „Arbeit“
eine gesellschaftliche Erscheinung ist, stehen diese persönlichen — und spezifisch künst-
lerischen — Momente in bestimmter Relation zu den jeweiligen ästhetischen Normen und
PBiÄTöwmtt wtömwmvjBA iK№
Besprechungen 455
Wertmaßstäben jener gesellschaftlichen Kräfte, mit denen der betreffende Künstler ver-
bunden ist. Auch das aufzudecken, könnte die Aufgabe einer solchen Publikation sein,
wobei die Kunst dann zu ihrem ureignen Rechte käme. Da nun in dem vorliegenden Bild-
band keine dieser — übrigens auch durchaus miteinander verknüpfbaren — Möglichkeiten
konsequent angewandt wurde, fand der Rez. es geboten, diese kurze Selbstverständigung
vorauszuschicken.
Sch. fügt 64 Werke der Kunst zwanglos nach (modernen) Grundstoffindustrien und
Gewerben, nach Reise und Verkehr, Wissenschaft und Forschung, Jagd und ländlicher Be-
tätigung aneinander. Jeder Tafel steht ein Text zur Seite, der sich in lexikaler Knappheit
auf die wesentlichsten Daten und Begebenheiten beschränkt und zur Interpretation jeweils
auch andere Gemälde heranzieht. Auf den Künstler wird biographisch, auf seine gestal-
terische und geistige Konzeption zum Thema kaum und auf die technologischen Besonder-
heiten fast gar nicht eingegangen. Daher bleibt das in seiner Aufmachung zunächst be-
stechende Werk — sowohl von der etwas ungewöhnlichen Zusammenstellung her, als auch
infolge der willkürlichen, historische Verbindlichkeiten negierenden Zuordnung der Bild-
beispiele — im Grunde eine recht heterogene Sammlung an sich gewiß interessanter Kunst-
werke, die jedoch die „Welt der Arbeit“ in einem sehr verschwommenen Lichte erscheinen
läßt.
Dem sozialen Hintergrund des Themas Arbeit wich der Autor in seiner Bildauswahl
gänzlich aus. Warum, ergibt sich aus seiner Einleitung: „Ein neues Zeitalter wird stets
durch bewußte Kulturleistungen eingeleitet. Die Voraussetzung dazu bildet das neu-
erwachte Lebensgefühl. Tritt es aus dem Imaginären in die Welt des Menschen, so weckt es
zugleich die ihm zugeordneten Formen und Mächte. Der Geist der Zeit zitiert sie gleichsam
aus dem geheimen Vorrat der Welt. Nicht materielle Kräfte zeugen eine neue Epoche,
geistige Energien sind ihre Urheber und Autoren... Politiker, Wirtschaftler, Kaufherren,
Denker, Dichter und Künstler.“ Mit diesem idealistischen Bekenntnis bekommen Glie-
derung und Auswahlprinzip ein greifbar ideologisches Gepräge. Die subjektive Kunstauf-
fassung wird zur methodischen Absicht; beruhen doch auch gewisse Vorstellungen von
einer befriedeten, harmonisierten Gesellschaft auf den gleichen imaginären Positionen. Uns
will scheinen, daß der Autor den zweifelhaften Versuch unternimmt, diese schwankende
Konstruktion historisch zu stützen.
An den Anfang seiner Bildfolge stellt Sch. die Welt der Finanzleute (und beschließt sie
mit den großen Pionieren der Wissenschaft wie Luca Pacioli, Schickart, Leeuwenhoek,
Lavoisier und Newton). Er beginnt mit einem Gemälde des Niederländers Emanuel de
Witt, das eine Versammlung der Kaufherrenschaft in den Wandelgängen der alten Amster-
damer Börse zeigt. Dem folgt van Roymerswaele mit dem Gold wägenden Bankier und
seinem Weibe. Daß dieses Bild als eine Allegorie des Geizes verstanden werden muß ist
dem Autor offensichtlich nicht bekannt. (Für solche Unkenntnis der ikonographisch faß-
baren Bildinhalte ließen sich noch manche andere Beispiele anführen.) Selbst dort, wo das
Sinnbildliche handgreiflich zu Tage tritt, wie z. B. bei da Forlis Pfefferstoßer oder Schröd-
ters Gerbergesellen wird es übersehen. Dieses Außerachtlassen von künstlerischen Absichten
und Bezüglichkeiten verleiht in dieser Sammlung manchem der Gemälde fälschlich das
Prädikat eines Arbeitsbildes; so Kandinskys Stadtrand, einem Bild, bei dem der Künstler
kaum an „Arbeit“ dachte, indem er das Disharmonische des Milieus stillebenhaft in einer
glühenden Farbenpracht ertränkte, oder Edgar Degas Baumwollkontor zu New Orleans,
das in seiner freundlichen Geruhsamkeit weniger dem Baumwollhandel der Südstaaten als
vielmehr dem Andenken seiner Familienangehörigen, die er dort besuchte, und ihrem Per-
sonal gewidmet ist. Wie stark derselbe Maler dagegen ermüdende körperliche Tätigkeit
nachempfinden konnte, bezeugen seine Plätterinnen. Dieses eine Bild der erschöpften jungen
Frau muß außer einem geschickt gewählten Ausschnitt aus Menzels Eisenwalzwerk — der
Mahlzeit — allein das proletarische Element in diesem Band vertreten.
Das Arbeitsmotiv wird vielfach kompositorisch — und mithin auch inhaltlich — von
einem anderen, dominierenden Thema aufgesogen, sei es nun wie bei Gauguins Bretonischer
Landschaft oder Durameaus Salpeterfabrik ein besonders reizvoller Farbeffekt, oder wie
bei Slevogts Weinlese die spätsommerliche Stimmung. Der arbeitende Mensch wird hier
30*
456
Besprechungen
als Bestandteil der Naturkraft selbst empfunden. Ohne große Mühe und ohne Minderung
des ästhetischen Niveaus stünden Werke zur Verfügung, die das Thema „Arbeit“ zum Teil
auch bei den gleichen Künstlern direkter, oder als ausgesprochen ethisches Erlebnis wieder-
geben. So bei Bruegel d. Ä., Goya, Mategna, Weiditz u. a. (Millet, Courbet, Lhermitte,
Bastien-Lepage, Liebermann, Sterl, van Gogh, Brangwyn, Wenezianow, Repin, um nur an
einige bekannte Namen zu erinnern, sind völlig übergangen). Wie schon bemerkt, die Bild-
auswahl ist wenig objektiv.
Wenn es Sch. gelang, eine Symbiose zwischen Kunst und Produktivkraft — um einmal
„Welt der Arbeit“ in diesem Sinne zu verstehen — herzustellen, so wohl in dem Abschnitt
Reise und Verkehr, wo vor allem William Turners Huldigung an die Eisenbahn: Nebel,
Dampf, Geschwindigkeit, den zitierten Ausspruch Friedrich Lists bildlich demonstriert:
„Wer die Verkehrsmittel eines Landes in seiner Gewalt hat, hat auch, falls Recht und Ver-
nunft ihm zur Seite stehen, das Land selbst in seiner Gewalt.“
Claus Kreuzberg, Berlin
Heinrich Laube, Reise durch das Biedermeier. Hg. und mit einem Nachwort von Franz
Heinrich Körber. Hamburg, Hoffmann und Campe Verlag, 1965. 438 S., 12 Abb.
Bei diesem Titel handelt es sich um eine bearbeitete und gekürzte Neuausgabe der in den
Jahren 1833 bis 1837 in mehreren Teilen erschienenen Reisenovellen Laubes, mit denen er,
wie andere Vertreter des „Jungen Deutschland“, an das um 1824 von Heine geschaffene
Genre des „Reisebildes“ anknüpfte: eine lockere, das Reisemotiv als Vehikel für Impromp-
tus und Digressionen verschiedenster, besonders aber politischer Art benutzende halb poe-
tische, halb journalistische Erzählform. In der Absicht, dieselbe zu variieren, versuchte L.
„aus Örtlichkeit, Landessitte und Menschenstamm“ ganze Novellen herauszuspinnen, wobei
es ihm freilich an dem rechten novellistischen Kunstsinn gebrach. Daher hat der Heraus-
geber gut daran getan, sie beiseite zu lassen und nur die den „Rahmen“ bildenden Reise-
schilderungen abzudrucken, deren unverwelkter Reiz in erster Linie in den treffenden
Beobachtungen über Land und Leute im vormärzlichen Deutschland und Österreich besteht.
Auf einige dieser Aspekte des Buches sei im folgenden hingewiesen.
Gern bedient sich L. zur wechselseitigen Erhellung der Wesenszüge zweier oder mehrerer
Städte oder Volkstümer des Vergleichs. Den Namen „Elb-Florenz“ findet er durch den
„toskanesischen“ Einschlag in den kulturgeschichtlichen Traditionen, der Architektur und
der Lage Dresdens bestätigt. Den Unterschied zwischen dem Kunstinteresse in der öster-
reichischen und preußischen Metropole faßt er bündig mit der Formel zusammen: „In
Wien sind die Theater die Hauptsache, in Berlin das Theater.“ Auch vermerkt er, wie sehr
die sanfte, kindliche Spaßhaftigkeit der Wiener mit dem vehementen, forcierten Witz und
humoristischen Aplomb der Berliner kontrastiere. Denn „der Berliner schlägt sogleich zu
und sagt hinterdrein: ,Ick werde dir eenen Jedankenstrich ins Jesicht bewejen‘; seine Tat
ist der Ankündigung vor aus geeilt.“* — Die Pommern und die Tiroler erscheinen L. in
charakterlicher und physischer Hinsicht einander ähnlich; beiden rühmt er Einfachheit,
Aufopferungsvermögen, Kraft, wohlgebildete Gesichtszüge und eine gesunde körperliche
Verfassung nach. Für die Tiroler leitet er diese Eigenschaften von der Natur ihrer Heimat
ab: Sie seien „unverfälschte Kinder ihrer klaren, scharf abgegrenzten Berge“. Eine Beziehung
eigener Art entdeckt L. zwischen den armen Bevölkerungsteilen Schlesiens und Würt-
tembergs : „In Schlesien ist der düstere, zurückgebliebene Teil katholisch, in Schwaben ist
der magere dogmatische Ernst, die Armut und Strenge beim Protestantismus zu finden.“
Wie für solche Parallelen oder Kontraste hatte L. auch einen Blick für die gegenseitigen
Einflüsse benachbarter Völker oder Stämme aufeinander und für die feinen ethnischen,
brauchtümlichen und sprachlichen Nuancen beim Übergang von dem einen Landesteil
* Mit diesem Sternchen gekennzeichnete Belege werden nach den Originalbänden der
„Reisenovellen“ zitiert.
Besprechungen
457
zum nächsten. So hebt er am damaligen Österreich das starke „osmanische“ Element hervor.
Dagegen räumt er dem Thüringischen gegenüber dem Sächsischen größere Selbständigkeit
ein: In Thüringen sei alles Sächsische sanfter schattiert und der Akzent nicht so auffallend.
Das dralle Leipziger Jäckchen sei dem kurzen Kattunmantel gewichen, und das allsonntäg-
liche Scheibenschießen, die Einspänner und die Vorliebe für saure Milch machten sich über-
all als Landeseigentümlichkeiten geltend.
Auch den verschiedenen Berufsständen, den Volkssitten, der Folklore und den Mund-
arten hat L. große Aufmerksamkeit geschenkt, wie durch je ein Beispiel belegt werden mag.
Die Fiaker bezeichnet er als „den tüchtigsten Schlag in Wien“, sie verstünden ihr Handwerk
und seien zudem — eine „Stütze der Literatur“. Er habe nämlich bei einer Fahrt von Hiet-
zing nach der Stadt in allen Taschen des Wagens Romane gefunden und angenommen, sie
seien von Passagieren vergessen worden; der Fiaker aber „lächelte sehr und deutete mit dem
Finger auf seinen Kopf“. — Einen originellen Landesbrauch teilt L. aus Mönchgut mit:
Ein heiratsfähiges Mädchen hänge seine Schürze ans Fenster und dürfe unter den Männern
wählen, die vorübergehen. Habe sie schon einen Freund und sind die Eltern gegen die
„Verbindung, so zwingen sie das Mädchen, die Schürze zu einem Zeitpunkt auszuhängen,
wo der Liebste zur See ist... Da steht nun das arme Mädchen und schilt das Meer, guckt aber
doch weinend durch die Lücke, ob nicht wenigstens ein leidlicher Stellvertreter gewählt
werden könne.“ — Aus München berichtet L., wie er im „Hirsch“ ein „altes Lied vom bay-
rischen Himmel“ hörte. „Es verspricht lauter reelle Vergnügen: wohlausgekochte Klöße,
trefflich aufgewärmtes Sauerkraut und Bier von der ersten Sorte. Dieses Lied ist von ergrei-
fender Wahrheit. Der Moslem erwartet im Himmel die schönsten Huris und die schnellsten,
gelenkigsten Pferde, der Bayer erwartet Bier und nochmals Bier. Träumt er aber von Allahs
eigener Seligkeit, so sieht er ihn sich an einer Flasche Bockbier erfreuen.“ (Siehe Erk-
Böhme III, Nr. 1764. — Vgl. dazu: Wolfgang Steinitz, Deutsche Volkslieder demokratischen
Charakters aus sechs Jahrhunderten. Bd. 1, Berlin 1955, 81 unten.)
Von den schlesischen Gebirgsdialekten erklärt L., sie seien, „wie überall in den Bergen,
wo Wasser und Boden hart sind, weich und vokalvoll, aber in jedem Tale anders. Je näher
dem eigentlichen Gebirge zu, desto tiefer ziehen sie die Vokale“. L. zitiert einen Vierzeiler
aus Langenbielau, „in dem man sich förmlich ausstreckt auf u, a und i:
Ich bin do uba har
Vo de langa Biele,
Wu die grüße Reska (Pilze) wachse
Mit de lange Stiele“.
Das klinge, kommentiert L. die Verse mit einer glücklichen Metapher, „wie das Läuten
der Kuhglocken.“*
Bemerkenswert ist schließlich noch die Beobachtung über das Schwinden des Volks-
glaubens, die L. gelegentlich eines Besuches der sagenumwobenen Heilingfelsen bei Karls-
bad machte. L.s Cicerone, ein Tischler, nannte den ersten Block den Kapuziner, den fol-
genden einen Brautzug. „In der Jugend hatte der Tischler diesen Brautzug angeblich noch
erkannt... Später aber war der Mann ,gebildet worden, er sah keine Geister mehr und er-
zählte uns nur aus Führerschuldigkeit das Märchen von Hans Heiling, eine sehr aber-
gläubige* Geschichte, wie er sie nannte.“ Verstehen wir die aus Ironie und Bedauern ge-
mischten Zwischentöne dieser Darstellung richtig, so wollen sie andeuten, daß L. den Grund
für den Gesinnungswechsel des Tischlers in dem Einfluß des wachsenden Fremdenverkehrs
erblickte. (Vgl. zu dem hier berührten Problem W. Wiora, Der Untergang des Volksliedes
und sein zweites Dasein, in: Musikalische Zeitfragen, 1959, 9 — 25 und H. Moser, Vom
Folklorismus in unserer Zeit, ZfVk 62, 1962, 186ff.)
Im ganzen genommen ist L.s Buch das Zeugnis einer Generation, die sich geistes- und
stilgeschichtlich auf dem Wege von der Romantik zum Realismus befand. Die Sätze, mit
denen L. seine „Reisenovellen“ eröffnet, könnten dem Taugenichts entnommen sein:
„Es war ein schöner Sommertag, und ich saß am Weiher und sah den Schwänen zu...
Wenn ich aber Schwäne sehe, so denke ich an den Süden, und wenn ich an den Süden denke,
so denke ich ans Glück und ans Reisen, denn nur auf der Reise kann man einmal plötzlich
458
Besprechungen
das Glück finden.“* Als Reiseschriftsteller aber nimmt L. eine unromantische Haltung ein
und bringt sie in einer ganz anderen, einer sachlichen Sprache zum Ausdruck, z. B. so:
„Bei Weißenfels beginnt die große Schlachtebene, die sich zwischen Halle, Merseburg,
Leipzig und Lützen ausbreitet. Geographisch beginnt Thüringen eigentlich hier. Die alte
Grenze ist zwei Meilen weiter, eine halbe Viertelstunde hinter Naumburg.“ Diese Sätze
erinnern in nichts mehr an Eichendorff, aber sehr an Riehls Pfälzer oder Fontanes Wande-
rungen durch die Mark Brandenburg, deren Betrachtungs- und Schreibweise hier von L.
vorweggenommen worden sind.
Von Heine weiß man, welchen Anteil er in seinen Reisebildern und manchem anderen
Werk am Volksleben genommen hat. In L.s „Reisenovellen“ einem ebenso ausgeprägten
„volkskundlichen“ Interesse zu begegnen, ist überraschend, — gelten doch die literaten-
haften Jungdeutschen nicht gerade als volles verbunden. Es empfiehlt sich offenbar, auch die
einschlägigen Schriften seiner Gesinnungsgenossen, z. B. Gutzkows Sommerreise durch
Österreich und Wienbargs Tagebuch von Helgoland, auf gleichartige Beiträge hin zu über-
prüfen. Vielleicht ließe sich auf diese Weise unsere Kenntnis über die Entwicklung der
deutschen Volkskunde im 19. Jh. noch ergänzen und erweitern.
Günther Voigt, Berlin
Rosemarie Weber, Westfälisches Volkstum in Leben und Werk der Dichterin Annette von
Droste-LIiilshoff. Münster, Verlag Aschendorff, 1966. 150 S., 10 Abb., 4 Karten
(— Sehr, der volkskundlichen Komm, des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe,
hg. von Bruno Schier und Martha Bringemeier 17).
In dieser aus einer Dissertation hervorgegangenen Arbeit dienen die Prosawerke Bilder
aus Westfalen, Bei uns zu Lande auf dem Lande, Die Judenbuche sowie die Briefe der Dichterin
als Quellen für die Erscheinungsformen des Volkslebens und der Volkskultur in West-
falen aus dem ersten Viertel des 19. Jhs, d. h. aus Annettes Jugendzeit. Zur Ergänzung oder
als vergleichende Folie hat W. die unveröffentlichten Briefe ihrer Mutter, der Schwester
Jenny und der von haxthausenschen Verwandtschaft sowie Jennys Tagebuch herangezogen.
In Auswertung dieses Tagebuches und der Landschaftsschilderungen Annettes vermochte
die Verf. die Gegenden und Orte kartographisch zu fixieren, deren volkstümliche Aspekte
sich der Dichterin auf Grund längeren Aufenthalts tief genug einprägten, um eine spätere
literarische Verwendung finden zu können. Es handelt sich um die engere Heimat der
Droste, den westlichen Teil des heutigen Landkreises Münster, und um das Paderborner
Wohngebiet der Eltern und Geschwister ihrer Mutter, den Kreis Höxter. Ihre Bemerkungen
zum Sauerland in den Bildern aus Westfalen und in dem Beitrag für Freiligraths und Schük-
kings Malerisches und romantisches Westfalen dagegen zeigt, daß sie diese Landschaft nur
oberflächlich kannte.
Von den im Paderborner und Münsterland lebenden Gesellschaftsklassen hat die Droste
vorrangig und überdies erstmals das Bauerntum dargestellt. Auch zur Kulturgeschichte des
westfälischen Adels steuern ihre Werke interessante Tatsachen bei, während das westfälische
Bürgertum und die Arbeiter aus der Kleinindustrie des Sauerlands durch sie keine nähere
Würdigung erfuhren.
Bei der Einschätzung der von der Dichterin gemachten Mitteilungen über das westfälische
Volksleben ist, wie W. hervorhebt, der Umstand zu berücksichtigen, daß sie sich gleich
anderen „volkskundlich“ forschenden Zeitgenossen in erster Linie für die geistige Volks-
kultur interessierte, daß es ihr aber dabei sowohl an einem umfassenden Überblick über
dieses Gebiet als auch an einer systematischen Verfahrensweise gebrach. Auch sind ihre
Kommentare oft subjektiv gefärbt, wie u. a. die Idealisierung des münsterländischen und
das verzerrte Bild des Paderborner Volkscharakters zeigen.
Gleichwohl konnte W. den Werken der Droste manches wertvolle Zeugnis für das Brauch-
tum, den Volksglauben und die Folklore Westfalens entnehmen. So sind z. B. Fastnachts-
maskeraden, das „Frauenschießen“ am zweiten Tage des Schützenfestes und der Brauch der
jungen Mädchen, am 30. November den heiligen Andreas um einen guten Mann zu bitten,
I
Besprechungen 459
lediglich durch die Angaben der Dichterin für das erste Viertel des 19. Jhs in Westfalen
belegt. — Die Vorbereitungen und Feierlichkeiten einer münsterländischen Bauernhochzeit
hat die Droste so ausführlich und exakt geschildert, daß Jostes und Sartori diesen Erlebnis-
bericht ihrer Behandlung des westfälischen Hochzeitsbrauchtums zugrundelegten. — Nicht
bekannt war in Münster und in Münsterland bis zum Beginn der zwanziger Jahre der Weih-
nachtsbaum; Annettes Familie übernahm ihn, wie W. nachweist, aus dem Kreis Höxter
von den Haxthausens, die die Sitte ihrerseits den mit ihnen befreundeten Brüdern Grimm
in Hanau bzw. Kassel verdankten. Noch später als den Weihnachtsbaum hat die Droste den
„Osterhasen“ kennengelernt, und zwar offenbar bei ihren Besuchen in Meersburg, bezeichnet
sie ihn doch als „ein in Schwaben sehr geschätztes Vieh“.
Dem Bereich des westfälischen Volksglaubens hat die Dichterin u. a. ein von ihr in meh-
reren Balladen und auch in der Judenbuche gestaltetes eindrucksvolles poetisches Motiv
abgewonnen: das Wiedergängertum der Toten.
Die folkloristischen Bemühungen der Droste wurden bereits mehr oder weniger erforscht.
Doch hat W. die Ergebnisse verschiedentlich abrunden können. Bekanntlich hat die Dich-
terin 1842 Ludwig Uhland für dessen Sammlung Hoch- und niederdeutscher Volkslieder
eine größere Zahl münsterländischer Texte nebst den Melodien überlassen, von denen er
drei ältere Stücke abdruckte, während Annettes gesamte Aufzeichnungen erst 1928 durch
John Meier und Erich Seemann publiziert worden sind; sie bilden jedoch, wie W. feststellt,
noch nicht den ganzen der Droste vertrauten Bestand an westfälischen Liedern, von denen
sie noch manches weitere in ihren Briefen erwähnt. Annettes Verdienst um die Erhaltung
des volkstümlichen Erzählgutes’Westfalens erblickt W., außer in der Gestaltung verschie-
dener Sagen, in ihren Balladen und in der Verserzählung Der Spiritus familiaris des Roß-
täuschers, insbesondere in der von ihr zeitlebens meisterhaft geübten mündlichen Über-
lieferung; denn eine schriftliche Fixierung hat sich nur ein einziges Mal für die von ihr und
Wilhelm Grimm gemeinsam verfaßte Niederschrift des Märchens vom Prinzen Einbein
nachweisen lassen.
Uber der Untersuchung der volkskundlichen Zeugnisse im Werk der Droste hat W. nicht
versäumt, auch Annettes inneres Verhältnis zum Volkstum ihrer Heimat zu verdeutlichen.
So bildet dieser wertvolle Beitrag zur westfälischen Volkskunde des 19. Jhs zugleich eine
willkommene Ergänzung zur Biographie der großen Dichterin.
Günther Voigt, Berlin
Joseph Klersch, Volkstum und Volksleben in Köln. Ein Beitrag zur historischen Soziologie
der Stadt. Bd. 1. Köln, Bachem, 1965. 281 S., Abb. (= Beitr. z. kölnischen Gesch.,
Sprache, Eigenart 43).
Zwei einleitende Kapitel, die Wirkungen des Raumes und ein Aufriß über die Zusammen-
setzung der Bevölkerung deuten die mannigfachen Einflüsse an, mit denen eine stadtkölnische
Volkskunde zu rechnen hat. Auf der etwas zu kursorisch abgehandelten Grundlage werden
die jahreszeitlich und kirchlich gebundenen Kalenderabschnitte (von Advent bis Lichtmeß,
die Fastnacht, Fastenzeit und Ostern, die Gottestrachten und die Bittgänge, Maienzeit,
Pfingsten und Fronleichnam, von St. Johann bis St. Martin) kenntnisreich abgehandelt!
Neben den kirchlichen Veranstaltungen ist der Fastnacht gebührender Raum gewidmet.
Aus fastnachtlichen Elementen bilden sich durch administrative Lenkung und bewußte
Gestaltung (vor allem seit 1823) Begehungsfigurationen, in denen sich wirtschaftliche, sozi-
ale, lokalpatriotische, künstlerische und erzieherische Intentionen zusammenfinden, so daß
der Begriff des Folklorismus zu einfach erscheint, um ein so komplexes Gebilde zu erfassen.
Hier haben die Veranstaltungen, sowohl auf Tradition als auch auf Neuschöpfung beruhend
und von gestuften Mentalitätsschichten getragen, institutioneilen Charakter gewonnen. Sie
gebärden sich auf der Ebene der Bewußtheit brauchartig.
Dem Verf. kommt das Verdienst zu, verstreut publiziertes Material und eigene archi-
valische Forschungen zu einem eindrucksvollen Überblick zusammengestellt zu haben, der
auch dem Brauchkundigen interessante Einzelfakten bringt. Vielleicht ist es bei der räum-
460
Besprechungen
liehen Beschränkung einer Stadtvolkskunde zunächst ratsam, sich auf Mitteilung des vor-
gegebenen Stoffes zu beschränken. Gewiß kann in der Colonia Claudia Ara Agrippinensium
die Frage nach römisch-fränkischen Einflüssen gestellt werden, aber die schwierigen Konti-
nuitätsprobleme können im Rahmen einer städtischen Volkskunde nur bei reichem Ver-
gleichsmaterial angegangen werden, keinesfalls in kühnen Sprüngen (z. B. 204; 243).
Ebenso ist bei Deutungs versuchen gewisser Brauch Vollzüge mit Vorsicht zu verfahren, und
der Vegetationsgeist möchte nicht zu oft beschworen werden. Doch gern hätten wir mehr
über die blutige Martinskirmes von 1846 erfahren, bei der Militär gegen die Volksmassen
eingesetzt wurde „und die als Vorspiel zu der revolutionären Bewegung von 1848 gelten
konnte“ (237). Unser Hinweis auf dieses Faktum soll bedeuten, daß uns die Herausarbeitung
der Sozialstrukturen der Brauchträger etwas zu kurz gekommen erscheint.
Die Haltung des Verfs gegenüber seinem Stoff ist brauchpflegerisch akzentuiert, und so
bleiben Wertungen nicht aus. Wir gestehen ihm zu, daß das Brauchleben einer Großstadt,
das längst in die Form einer öffentlichen Veranstaltung eingegangen ist, auch nach deren
Regeln durchgeführt werden sollte.
Weitere Bände über Volkstum und Volksleben in Köln werden angekündigt, und wir
wünschen dem Unternehmen raschen Fortgang. Köln wäre dann neben Linz die zweite
Stadt, die sich einer umfassenden Stadtvolkskunde rühmen könnte (Hans Commenda,
Linzer Stadtvolkskunde, Bd. I, 1958; Bd. II, 1959). Möchten die beiden Städte nicht die
einzigen bleiben!
Friedrich Sieber, Dresden
Edvard Bull, Fra PapirIndustrien (Aus der Papierindustrie). Oslo 1953. 129 S., 39 Abb.
(= Arbeidsfolk forteller); Edvard Bull, Fra Sagbruk og Hovleri (Aus Sägewerken
und Hobelbetrieben). Oslo 1955. 242 S., 16 Abb. (= Arbeidsfolk forteller); Ingrid
Semmingsen, Husmannsminner (Kätner-Erinnerungen). Oslo i960. 230 S., 110 Abb.
(= Arbeidsfolk forteller); Edvard Bull, Renhärig Slusk (Die Eisenbahnarbeiter).
Oslo 1961. 301 S., 39 Abb. (= Arbeidsfolk forteller); Aage Lund, J ernbaneminner
(Eisenbahner-Erinnerungen). Oslo 1962. 196 S., 28 Abb. (= Arbeidsfolk forteller).
Untersuchungen über Arbeiter bedeuten eine Erweiterung der traditionellen volkskund-
lichen Forschungsarbeit, die sich bisher vorwiegend mit dem Bauerntum beschäftigt hat.
Die Voraussetzung zu einer solchen Erweiterung bilden Materialsammlungen über Leben
und Lebensbedingungen aller Volksschichten. Die Forschungsergebnisse, die inzwischen
in den verschiedenen Ländern über das Leben der Arbeiter veröffentlicht worden sind,
basierten bisher im allgemeinen auf den Unterlagen, die die Forscher selbst gesammelt
hatten. Sie waren noch nicht das Ergebnis einer breit angelegten und systematisch durch-
geführten Sammelarbeit, die unter der gesamten Arbeiterschaft vorgenommen worden wäre.
In den nordeuropäischen Ländern ist es jedoch in der letzten Zeit zumindest teilweise
gelungen, eine breitere Sammlung unter verschiedenen Bevölkerungs- und Berufsgruppen
zu organisieren. In Schweden ist es das Nordiska Museet in Stockholm, das von 1945 ab
systematisch Material über verschiedene Berufsgruppen sammelt. Aus diesem Material hat
bereits Mats Rehnberg eine Auswahl von Arbeitererinnerungen veröffentlicht. — In Däne-
mark wurde vom Dansk Nationalmuseet 1950 unter Leitung von D. Yde-Andersen eine
ähnliche Sammelarbeit organisiert. Seit jener Zeit sind dort bereits zahlreiche Veröffent-
lichungen erschienen. — In Finnland hat das Institut für Volkskunde an der Universität
Turku Ende der 50er Jahre mit der Sammelarbeit unter der Leitung von Ilmar Talve be-
gonnen. Die Aufmerksamkeit richtete sich zunächst auf die Arbeiter auf dem Lande,
darunter die Flößer, Säge- und Waldarbeiter. Diese Arbeiter sind für die sich aus der Land-
bevölkerung herauslösende Schicht charakteristisch, und sie nehmen zugleich als Vermittler
von Kulturelementen eine zentrale Stellung ein. Später hat man auch mit der Sammlung
von Erinnerungen der Eisenbahner und Seeleute begonnen. In der Folgezeit hat sich auch
ein spezielles Komitee der Gewerkschaften mit der Erfassung von handschriftlichen Er-
innerungen im Rahmen der Erforschung der Arbeiterbewegung beschäftigt.
Besprechungen 461
Die Sammlung von Arbeitererinnerungen in Norwegen hat von Schweden aus Impulse
erhalten. Die zentrale Persönlichkeit bei der Sammel- und Veröffentlichungsarbeit ist
Edvard Bull. Im Jahre 1950 wurde am Norsk Folkemuseum in Oslo eine Abteilung für
Arbeitervolkskunde gegründet (Avdelning for Arbeiderminner), deren Leitungsgremium
sich aus Vertretern des Zentralverbandes der Gewerkschaften Norwegens, des Norwe-
gischen Arbeitgeberverbandes und des Nationalmuseums zusammensetzt. Die Sammel-
arbeit wird von den genannten Verbänden und aus den im Jahresbudget des National-
museums bereitgestellten Sondermitteln finanziert. Inzwischen sind in der Veröffentli-
chungsreihe des Norwegischen Nationalmuseums Arbeidsfolk forteller fünf Arbeiten er-
schienen, die im folgenden Gegenstand unserer Rezension sein sollen.
Fra papirindustrien enthält Arbeitererinnerungen, die vorwiegend aus den letzten Jahr-
zehnten des 19. Jhs stammen. Das Werk behandelt die soziale Lage der Arbeiter, ihren Ein-
tritt in die Fabrik und ihre Arbeit darin, die Beziehungen zwischen den Arbeitnehmern
und Arbeitgebern, das häusliche Leben der Arbeiter und die Gewerkschaftsbewegung.
Etwa zwei Drittel der Arbeiter hatten vor Eintritt in die Fabrik in der Landwirtschaft
gearbeitet. Ein Drittel war schon früher in industriellen Unternehmen, in erster Linie in
einem Sägewerk, tätig. Der Grund für den Übertritt in die Papierindustrie war höherer
Lohn und die Möglichkeit regelmäßiger Arbeit. Vor der neuen Beschäftigung hatten die
Arbeiter aber nur sehr unvollkommene Vorstellungen von ihrer künftigen Arbeit, und die
Schwierigkeiten, vo# allem das Ungewöhnliche der Arbeit in einem geschlossenen Raum,
hatten bisweilen die Rückkehr zur Arbeit auf dem Lande in freier Luft zur Folge. Diejenigen,,
die bereits im Industriemilieu aufgewachsen waren, konnten mit diesen Schwierigkeiten
besser fertig werden. — Interessant sind die Erinnerungen über das Verhältnis zwischen
den Arbeitern und ihren Vorgesetzten. Danach können die Arbeitgeber in zwei Gruppen
eingeteilt werden: in eine patriarchalische und in eine unpersönliche. Der patriarchalische
Arbeitgeber kennt in der Fabrik jeden Arbeiter, er weiß um sein Leben in der Fabrik und
zu Hause Bescheid, er lobt und straft, organisiert für die Arbeitnehmer Feiern und wird von
ihnen im allgemeinen gern gesehen. Dagegen hält er die Gewerkschaftsorganisation für
eine Kränkung seiner eigenen Person und verwandelt sich oft, nachdem eine solche Organi-
sation in seinem Unternehmen gegründet worden ist, in einen unpersönlichen Arbeitgeber.
Während man dem patriarchalischen Arbeitgeber in den kleinen Fabriken begegnet, ist der
unpersönliche meist Leiter einer großen Fabrik. Zwischen ihm und den Arbeitern vermitteln
die Ingenieure. Der unpersönliche Arbeitgeber ist nicht am Arbeiter, sondern an der Arbeit
interessiert, er organisiert nicht die Fabrikfeiern, kümmert sich auch nicht um das private
Leben der Arbeiter, weshalb sich der Arbeitnehmer an einem solchen Arbeitsplatz freier
fühlt als im Dienste eines patriarchalischen Arbeitgebers. — Der Schlußteil des Buches ent-
hält Erinnerungen an die Anfangszeiten der Gründung der Gewerkschaftsbewegung und
ihrer Organisationen. In dem Beitritt zu den gewerkschaftlichen Vereinigungen tritt die
konsequente Gesinnung der jüngeren Arbeiter und die mehr gemäßigte der älteren klar
hervor. Die Arbeiter aller Altersstufen übten jedoch in den Gewerkschaften Solidarität
einander gegenüber.
Fra Sagbruk og Hovleri behandelt auf der Grundlage bereits früher gedruckter Quellen
Leben und Arbeit aus der Zeit der vorindustriellen Wassersägewerke in 0stfold in Südost-
norwegen. Hier gab es noch Ende des 19. Jhs bedeutende Wassersägewerke, deren Ge-
schichte bis in die Zeit des 16. Jhs zurückreicht. Die ersten Dampfsägewerke wurden in
Norwegen sofort nach den in der Gesetzgebung erfolgten Änderungen im Jahre 1860 in
der Umgebung der Stadt Fredrikstad gegründet. Die neuen Industriebetriebe zogen einem
Magnet gleich die Arbeitskräfte der Umgebung an und verwandelten sich in regsame, von
hektischem Leben erfüllte Industriezentren. So betrug beispielsweise der Bevölkerungs-
zuwachs in Fredrikstad in den Jahren 1855 — 1900 rund 245 % und in Glemmen, dem zweiten
großen Zentrum von Dampfsägewerken, ganze 1200%. Für die neuen Industriebetriebe
war charakteristisch, daß sie an den Endpunkten von Flößerstrecken oder an den Eisen-
bahnlinien gegründet wurden. So entstanden beispielsweise die Sägewerke von Lillestrnm
an einer Eisenbahnlinie auf dem Lande, in deren Nachbarschaft gleichzeitig Industriearbeiter
mit ihren Familien seßhaft wurden. Die Arbeiter aus den Waldgebieten waren oft weniger
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I
462
Besprechungen
fest an die Sägewerke gebunden, da sie auf Grund des saisonbedingten Charakters der
Arbeit auch anderen Berufen nachgingen.
Husmannsminner unterscheiden sich wesentlich von den Arbeiter-Erinnerungen. Wäh-
rend in diesen über das Leben in den sich entwickelnden Industriezentren berichtet wird, ent-
halten die Kätner-Memoiren meist Kindheitserinnerungen. Im Jahre 1801 gab es in Nor-
wegen 39400 Kätner, doch stieg ihre Anzahl bis zur Mitte des Jahrhunderts auf 67400 an.
Auf Grund der sich entwickelnden Industrie begann ihre Zahl von der zweiten Hälfte des
19. Jhs ab wieder zu sinken und betrug im Jahre 1900 nur noch 30200. Heute gibt es in
Norwegen nur noch an die zweihundert Kätner. Die Entwicklung der Industrie und die
beginnende Kapitalisierung der Landwirtschaft ließen das Kätnerwesen absterben. — Gebiets-
mäßig teilte sich Norwegen in vier verschiedene „Kätnergebiete“ auf. Die Kätner vonNorr-
land waren in erster Linie Fischer. Wenn die Männer auf Fischfang auszogen, war fast das
ganze Dorf leer. Nur die Frauen mit den minderjährigen Kindern blieben in ihren kleinen
bescheidenen, mit Torf bedeckten Katen zurück, um auf die Rückkehr der Männer zu
warten. Die Kätner von Trnndelag stellten eine Übergangsstufe zwischen dem west- und
nordnorwegischen Kätnersystem einerseits und dem ostnorwegischen, andererseits dar.
In Trondelag machte die Landwirtschaft einen bedeutenden Teil des Wirtschaftslebens aus.
Die Kätnerländereien waren groß, die Wohngebäude geräumig und gehörten oft zum
Eigentum der Kätner. Eigentliche Armut kannte man nicht. Die Kätner besorgten ihre
eigene Wirtschaft oder arbeiteten auf den Ländereien des Verpächters als Landarbeiter fast
das ganze Jahr hindurch. Dagegen waren im westnorwegischen Vestlandet die Kätner-
ländereien klein und ebenso auch die Höfe der selbständigen Bauern, so daß die Lebens-
bedingungen für beide Teile annähernd die gleichen waren. Der Unterschied zwischen den
beiden Gesellschaftsklassen stellte sich nur als gering heraus. Die Bauern und die Kätner
luden sich im allgemeinen gegenseitig zu ihren Familienfestlichkeiten ein. In Ostnorwegen
stellte die Kätnerbesiedlung kein einheitliches Bild dar. Es gab Kätner des Waldgebietes,
der Ebene und des Gebirges, deren Lebensbedingungen von der Umgebung bestimmt
wurden. Die Kätnerländereien waren im allgemeinen groß und wiesen im Vergleich zu
denjenigen von Nordnorwegen fast den vierfachen Flächenumfang auf.
Der Band über die Eisenbahnarbeiter besteht aus zwei sich deutlich voneinander unter-
scheidenden Teilen. Der erste Teil enthält drei fast vollständige Lebenserinnerungen, wäh-
rend der zweite Teil aus einer sog. kollektiven Lebensschilderung besteht. — Im Jahre 1900
gab es in Norwegen 5—6000 Eisenbahnarbeiter. Aus hinterlassenen Nachrichten geht her-
vor, daß sie den niedrigsten Gesellschaftsklassen entstammten — etwa zu Dreiviertel den
verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf dem Lande und der Rest solchen Kreisen, die
schon früher im Dienste der Industrie gestanden hatten. Ein bedeutender Teil der Arbeiter
waren Schweden, auf den verschiedenen Baustellen etwa 14—40%. Unter den Arbeitern
gab es des weiteren auch eine geringe Anzahl Finnen. Aus den Erinnerungen geht weiter
hervor, daß die Bauarbeiter im allgemeinen aus der näheren Umgebung rekrutiert wurden,
wobei es jedoch in der Regel so war, daß Bauern erst dann auf der Baustelle der Eisenbahn
erschienen, wenn die Arbeiten dort schon seit einiger Zeit im Gange waren. Die Land-
bevölkerung brauchte anscheinend erst einige Zeit, ehe sie sich an die neue Erscheinung
gewöhnte. Die Stammarbeiter auf den Baustellen waren Norrländer. Auch eine geringe An-
zahl Frauen arbeitete mit; ein Teil von ihnen waren Ehefrauen der Arbeiter, ein Teil
Köchinnen, und es gab unter ihnen auch solche, die auf der Suche nach Broterwerb von
einem Barackendorf zum anderen zogen. Da die Baustellen der Eisenbahn — mit Ausnahme
der Tunnelbauten — nur im Sommer betrieben werden konnten, wechselten dementspre-
chend auch die Arbeitskräfte. Die Arbeiten auf den Baustellen der norwegischen Eisenbahn
unterschieden sich bedeutend von den entsprechenden Arbeiten in Schweden oder in
Finnland. Auf Grund des gebirgigen Landschaftsprofils erinnerten die Arbeitsgeräte und
Arbeitsmethoden an den Bergbau. Die Verwendung von Hacke, Bohrer und Sprengstoff
machte einen bedeutenden Teil der Arbeiten aus. Die Arbeit war schwer, weshalb man be-
müht war, sie durch das Singen von rhythmischen Arbeitsliedern zu erleichtern. Die Durch-
führung und der Abschluß der Arbeiten zogen sich so weit in die Länge, daß Arbeits-
gruppen mit festem Zusammenhalt entstehen konnten, weshalb die Aufnahme eines Neu-
Besprechungen
463
lings in eine solche Gruppe die Anerkennung und Befolgung bestimmter Gewohnheiten
durch ihn nötig machten. Die Baustellen befanden sich im allgemeinen weit von mensch-
lichen Ansiedlungen entfernt. Die Unterbringung und die Verpflegung der Arbeiter berei-
teten oft Schwierigkeiten. Alkoholmißbrauch und Schlägereien waren an der Tagesordnung.
__ P)as letzte Kapitel des Buches behandelt die Erinnerungen über die Anfänge der Gewerk-
schaftsbewegung. Aus ihnen geht hervor, daß die Streckenarbeiter eine mutigere Haltung
gegenüber dem Arbeitgeber an den Tag legten als diejenigen, die eine regelmäßige Arbeit
in einer Fabrik hatten. Der Arbeiter auf den Streckenbaustellen war es gewohnt, öfter den
Arbeitsplatz zu wechseln. Er war deshalb gegen eine mögliche Kündigung nicht so empfind-
lich. Aus der Anlage der Jernbaneminner geht hervor, daß hier das Sammeln von Erin-
nerungen innerhalb der gesamten, ihrer Zusammensetzung nach aber heterogenen Gruppe
der Eisenbahner erfolgt ist. Dieses Material stammt von den zur sog. Mittelgruppe gehören-
den Beamten wie Lokführern, -heizern, Verladearbeitern, Schmiedearbeitern und dem
Reinigungspersonal. — Das Buch enthält im Anhang eine Einschätzung des sozialen Milieus
dieser Eisenbahner-Gruppen. Es gab die reicher ausgestatteten Häuser der höher gestellten
Beamten, Häuser der kleineren Beamten und Häuser für diejenigen, die die körperliche Arbeit
verrichteten. Gemeinsam war jedoch allen das Gefühl, einer geschlossenen Berufsgruppe
von Menschen anzugehören. Dieses Gefühl wurde gefestigt durch den Dienstanzug, die
hierarchische Dienstgradordnung und das Wissen um eine nach einem festgelegten Zeit-
plan genau ablaufende Arbeit, das sonst keiner anderen Berufsgruppe eigen war. Die Stelle
eines Eisenbahners war begehrt, obwohl sie nicht zu den bestbezahlten gehörte. Viele der
Männer die bereits auf der Baustelle der Eisenbahn gearbeitet hatten, bewarben sich als
Bahnwärter auf den einzelnen Streckenabschnitten, und der Sohn eines Eisenbahners folgte
im Beruf oft seinem Vater. Im Eisenbahnwesen gab es auf Grund der gegebenen Ausbil-
dungsmöglichkeiten auch eine soziale Aufwärtsentwicklung. Die Zugschaffner hatten
beispielsweise oft als Bremser angefangen. — Ein eigenes Kapitel bilden die ungesetzlichen
Transporte während der Kriegszeit. Im Schlußteil sind Erinnerungen an die Anfänge der
Gewerkschaftsbewegung enthalten.
Das Sammeln und die Veröffentlichung von Arbeitererinnerungen wurde in Norwegen
zentral durchgeführt. Wenn ein bestimmter Erwerbszweig für die Sammelarbeit in Frage
kam, wurde ein Informationsfragebogen erarbeitet, den die sog. Kontaktmänner der Ge-
werkschaft den älteren Arbeitern zustellten. Auch die Abteilung für Arbeitervolkskunde
am Nationalmuseum half bei der Einholung von Informationen, desgleichen die Presse
und die Gewerkschafts- und Betriebszeitungen. Ein Teil der Erinnerungen der norwegischen
Arbeiter ist von Arbeitern selbst erfaßt worden, während der andere Teil von den Kontakt-
männern bzw. den Arbeitskollegen auf gezeichnet wurde. — In der darauffolgenden Be-
arbeitungsphase des Materials haben die Angestellten des Museums nachträglich die Ar-
beiter interviewt. Eine solche Methode der Materialsammlung ist empfehlenswert, wenn
keine Möglichkeit vorhanden ist, die Sammlung des gesamten Materials durch geschulte
Fachkräfte vorzunehmen. Das norwegische Material ist wissenschaftlich zuverlässig. Man
ist bestrebt gewesen, die Informations- und Fragelisten für alle Berufe in gleicher Weise
zu gestalten, um so Vergleichsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Berufen zu schaffen.
Wie allgemein in den nordeuropäischen Ländern hat man sich auch in Norwegen in erster
Linie auf die Erfassung der Lebensweise konzentriert. Der geistigen Kultur und Volks-
dichtung, darunter Sagen, Liedern usw., hat man dagegen weniger Aufmerksamkeit ge-
schenkt. Die informatorischen Fragen bezogen sich auf die Eltern der Arbeiter, auf ihre
Kindheit und häuslichen Verhältnisse, auf ihre erste Arbeitsstelle, ihre Arbeit, ihren Lohn
und ihre Arbeitszeit, auf ihre Beziehungen zu Arbeitskollegen und Vorgesetzten und auf
ihr privates Leben. Diese Fragen gingen nicht übermäßig ins Einzelne, um dadurch dem
Bericht des Befragten mehr Spielraum zur freien Entfaltung zu geben. Andererseits blieb
gerade aus diesem Grunde vieles unerwähnt, weshalb die Arbeit von geschulten Fachkräften
beim Einholen von Informationen besonders wichtig ist. Das norwegische Informations-
material hat aber auch deswegen einen großen Wert, weil in ihm dem häuslichen Leben, der
Nahrung und dem Wohnen eine große Bedeutung beigemessen wird, solche alltäglichen
Dinge werden von den Befragten, wenn sie nicht in den Fragelisten enthalten sind, im all-
464
Besprechungen
gemeinen außer acht gelassen, obwohl gerade sie eine Verbindungsbrücke zwischen der
Arbeiterkultur und der traditionellen Bauernkultur darstellen. Vor allem die Inneneinrich-
tungen der Zimmer und der Zweck ihrer Verwendung zeigen die Weiterführung von her-
kömmlichen Traditionen auch unter den veränderten neuen Bedingungen.
Die Auswahl des Materials und seine Veröffentlichung wurde in Norwegen auf eine
andere Weise gelöst als in den übrigen nordeuropäischen Ländern. In Schweden wurden die
Arbeitererinnerungen als Werke veröffentlicht, von denen jedes 10 — 20 relativ lange Lebens-
beschreibungen enthält. Die Veröffentlichung der Eisenbahner-Erinnerungen in Finnland
(Leben und Arbeit an der Strecke, 1962) enthält an die vierzig einzelne Berichte aus den ver-
schiedenen Arbeitsbereichen dieses Berufszweiges und zugleich aus verschiedenen Teilen
des Landes. In Norwegen war man wiederum bestrebt, durch kurze Berichte den gesamten
Stoff sowohl gebietsmäßig als auch zeitlich zu erschließen. Jeder Band hat eine historische
bzw. sozialhistorische Einleitung, und jeder einzelnen Arbeitererinnerung wird ein kurzer
Kommentar über die Erzählung und den Erzähler vorangestellt.
Diese Art der Materialdarbietung hat den Vorteil, daß man ein möglichst vollständiges
Bild von dem Gesamtstoff erhält, wobei die Entwicklungstendenzen und die gebietsmäßigen
Unterschiede zum Ausdruck kommen. Zugleich werden jedoch dadurch die Erinnerungen
als Ganzes zersplittert, und die Persönlichkeit des Arbeiters geht auf Kosten der Stoffülle
verloren. Es entsteht die sog. kollektive Lebensbeschreibung — ein Terminus, der von Ed-
vard Bull verwendet wird. Anscheinend sind sich die Verleger dessen ebenfalls bewußt
geworden, denn in den neueren Veröffentlichungen kann man das Bestreben feststellen,
die einzelnen Memoiren länger und umfangreicher zu gestalten, wobei sich die Anzahl der
Erzähler gleichzeitig verringert. B. führt dazu an, daß die Forscher unter Berücksichtigung
der Tatsache, daß die Memoiren in ihrem gesamten Umfang in Norwegens Nationalmuseum
— und bezüglich der Eisenbahnmemoiren im Eisenbahnmuseum — aufbewahrt werden,
ihre Veröffentlichung mehr als Anlage zu dem im Archiv vorhandenen Material betrachten
möchten. Offensichtlich ist jedoch bereits im jetzigen Arbeitsstadium das Ziel verfolgt wor-
den, das vorhandene Material möglichst weitgehend zu analysieren.
In den Veröffentlichungen verrät sich die Handschrift des Historikers. Die historische
Entwicklung, die sozialen Verhältnisse und die Rekrutierung zur jeweiligen Arbeit stehen
häufig im Vordergrund. Auf der Grundlage des gesammelten Materials sind Tabellen auf-
gestellt und Prozentzahlen berechnet worden, die eine Antwort auf Fragen geben, die die
Historiker interessieren. Wie die Herausgeber jedoch selbst anführen, können die statistischen
Angaben für eine Anwendung im breiteren Maßstab nicht als unbedingt zutreffend verwen-
det werden. Sie beweisen aber trotzdem, daß man in Norwegen jetzt schon mehr erreichen
will als die ausschließliche Material-Veröffentlichung. Edvard Bull hat inzwischen in diesem
Sinne eine bahnbrechende Forschungsarbeit unter dem Titel Arbeidermiljo under det indu-
strielle gjennembrudd (1958) veröffentlicht.
Obwohl der Themenkreis der Erinnerungen einen großen Umfang aufweist, hätte man
bei ihrer Veröffentlichung trotzdem auf ein paar Dinge gründlicher eingehen können. Zum
Beispiel werden Terminologie und Sprache des in Frage kommenden Berufszweiges nicht
gebührend hervorgehoben. Es wäre aber wünschenswert gewesen, die traditionellen volks-
tümlichen Termini, die im Rahmen des jeweiligen Berufszweiges auftreten, besonders
herauszustellen, (z. B. durch Kursivschrift), denn gerade mit Hilfe der volkssprachlichen
Termini ist es möglich, bestimmte kulturelle Einflüsse und deren Alter festzustellen. Einen
weiteren wichtigen Forschungsgegenstand, der mehr hätte hervorgehoben werden müssen,
bilden die Arbeitsorganisation, die Arbeitsgruppen und deren Wandel im Zuge der immer
stärkeren Mechanisierung der Arbeiten.
Von den fünf veröffentlichten Sammlungen nehmen die Kätnererinnerungen im Hinblick
auf ihren Inhalt eine Sonderstellung ein. Aber auch die Darstellungsweise kommt hier der
schwedischen und finnischen Methode näher. In dem Werk wurden nur 18 Lebensschil-
derungen von bedeutendem Umfang in der Weise aufgenommen, daß alle Wohngebiete der
Kätner in Norwegen Berücksichtigung gefunden haben. Bei der Illustration des Werkes
ist ebenfalls eine besondere Methode befolgt worden. Alle Illustrationen sind Nachzeich-
nungen von Photographien, wobei auf den Bildern die wesentlichsten Züge in geglückter
Besprechungen
465
Weise hervorgehoben werden. Das Werk enthält auch fünfzehn gezeichnete Skizzen von
Baulichkeiten und deren Inneneinrichtung. Der Autor dieses Werkes hat im übrigen durch die
Nähe seines Stoffes zur Bauernkultur im Vergleich zu den anderen Autoren einen bedeu-
tenden Vorteil gehabt.
Als Gesamteinschätzung darf gesagt werden, daß Norwegens Arbeitererinnerungen sich
durch ihren klaren Aufbau besonders auszeichnen. Die Veröffentlichungsreihe ist die beste
unter den bisher veröffentlichten Sammlungen in Nordeuropa. Auf Grund der einheitlichen
Linie, die bei der Sammlung befolgt wurde, kann das Material gut zu Vergleichszwecken
herangezogen werden. Die Veröffentlichungsreihe liefert ein Beispiel dafür, zu welch guten
Ergebnissen das Sammeln von Arbeitererinnerungen führen kann, wenn die Forschung
gleich zu Anfang gut organisiert wird.
J. Eenilä, Turku
Hans Lohse, 600 Jahre Schmalkalder Eisengewinnung und Eisenverarbeitung. Ein Beitrag
zur Wirtschaftsgeschichte Südthüringens. Meiningen 1965. VI, 117 S., 23 Abb. Engl. u.
russ. Res.
Die 1956 veröffentlichte Arbeit Schmalkalder Bergbau, Hüttenwesen und Eisenhandwerk
erscheint unter dem neuen Titel in einer neuen, vom verstorbenen Verf. wohl noch selbst
durchgeführten Bearbeitung. Es ist erfreulich, daß diese heimatkundlich und volkskundlich
fundierte Schrift, die auf einer Hallenser Dissertation beruht, nun wieder vorliegt.
Als populärwissenschaftliche Museumsveröffentlichung entzieht sie sich nicht der Ver-
pflichtung, auch bei stark vereinfachter und abgekürzter Darstellung verständlich und
richtig zu informieren. Gewiß könnte man auf anderem Wege die metallurgisch-chemischen
Vorgänge in Schmelzanlagen der Vergangenheit noch etwas genauer angeben, aber der
Verf. erfüllte die unabdingbare Forderung, naturwissenschaftliche Grundlagen gebührend
zu berücksichtigen. Auch die geologischen Angaben befriedigen Ansprüche, die man bil-
ligerweise stellen kann. Obwohl die Anzahl der Bildbeigaben sehr begrenzt ist — ein Teil
hätte ohne QualitätsVerlust als Textabbildung auf Kunstdrucktafeln verzichten können —
sind auch die historisch-technischen Belange des Themas genügend gewahrt worden. Diese
Schmalkaldener Volkstechnik mit ihren Erfindungen, Kooperationen, Bauformen, Land-
schaftsveränderungen (Abholzungen, Kunstgrabenbauten) ist als Spezifikum von Stufe zu
Stufe verfolgt worden. Daraus ergibt sich die heimatgeschichtlich so anziehende Sonder-
entwicklung sehr klar in ihren sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen. Schon in der
Veröffentlichung von 1956 trat das unlösbare Nebeneinander von Hüttenwerk und Eisen-
handwerk richtig hervor, während die Bergbaubelange folgerichtig zurückgestellt wurden,
da man in der Vergangenheit sogar bergamtlich Eisensteingruben meist als bloßes Hütten-
zubehör betrachtet hat — trotz der offensichtlichen Schäden einer solchen Unterschätzung,
da oft genug Eisen und Stahl für die einheimischen Kleinbetriebe fehlte, weil der Export
immer wieder versuchte, statt Kleineisen waren Rohstahl aufzukaufen.
Die Durchdringung des gesamten Oberamts mit dem Eisenwesen wird einleuchtend auf
das 14. Jh. datiert. Das besagt, daß die Kleinproduzenten eben nur solange als rein städ-
tische ,Handwerkerschaft4 existierten. Sobald sie auf Wasserkraft zurückgreifen wollten —
auf die sie in den Schleifkotten früh angewiesen waren —, verlagerten sich die Betriebspunkte
zum erheblichen Teil aus der Stadt an die Bachläufe und an die zusätzlich geschaffenen Kunst-
gräben. Diffamierung dieser Werkstätten als „unberechtigte Dorfhandwerker, Pfuscher und
Störer“ ist in allen Krisenzeiten von städtischen oder stadtnah gebliebenen Mitmeistern —
immer erfolglos — versucht worden, denn gerade Werkstätten mit landwirtschaftlichem
Nebenbetrieb erwiesen sich als krisenfest.
Einzelne an dieser ,Eisenlandschaft4 haftende Sagen, Lieder und Brauchtraditionen gaben
dem Verf. Anlaß zu Mitteilungen und Kritik. Allein der volkskundliche Akzent liegt ein-
deutig auf den ergologischen Feststellungen zu Arbeit und Arbeitsgerät der Kleineisenarbeiter
466
Besprechungen
unter Ausdehnung der Interpretation auf die Schmalkalder Museumsbestände im Schloß
Wilhelmsburg. — Im Lit.-Verz., in den Quellenangaben und Anmerkungen, aber auch im
Bildteil findet der Benutzer der kleinen Schrift viel Wertvolles.
Helmut Wilsdorf, Dresden
Franz Fischer, Blaue Sensen. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Sensenschmiedezunft
zu Kirchdorf-Micheldorf bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Graz — Köln, Kommission
H. Böhlaus Nachf., 1966. 16, 228 S., 11 Abb.
Die einstige Bedeutung der österreichischen Sensenhämmer spiegelt sich in zahlreichen
Publikationen. Dem Verf. der materialreichen neuen Monographie wird man das Zeugnis
fleißiger Archivarbeit gern ausstellen; weniger befriedigt ihr Aufbau ( A I 2 ,Technische
Entwicklung beim Handwerk* kann nicht von D I ,Erzeugungsvorgang* getrennt werden;
aber CI 1 , Verlags wesen* und CIII 1 ,Eisensorten* lassen sich kaum in ein Kapitel bringen!).
Unbefriedigend ist auch die oft ungelenke sprachliche Ausdrucksweise.
Volkskundliche Akzente setzt das Buch bei seiner allgemein sozialgeschichtlichen und
wirtschaftshistorischen Zielsetzung vor allem dort, wo die Zugehörigkeit der Sensenhäm-
mer zum ,Montanbereich* gezeigt wird. F. hat mit Recht herausgearbeitet, daß seit 1595/1604
der Sensenhammer nicht mehr dem städtischen Handwerk zugeordnet werden kann, wie
der noch mit dem Fausthammer produzierende Handwerker. Dessen primitiv ausgestat-
tete Werkstatt genügte für Sichel und Strohmesser, solange der Sensenbedarf noch gering
war. Die Sonderstellung der nur noch formal zum Handwerk gezählten Korporation ist
ein auch der Volkskunde wesentliches Resultat. Dies zeigt sich auch an den sonst nirgends
auftretenden Kooperationsproblemen, die sich auf den Hammerwerken ergeben mußten,
die zweierlei Buben einstellten: nämlich alle 6 (später alle 3) Jahre den regulären Lehrjungen,
der einen kleinen Wochenlohn erhielt und voll ausgebildet wurde — und irreguläre (aber
unentbehrliche) arme Buben, „die man aus barmhertzigkeit underkhomen laßt“, damit sie
mitunter recht komplizierte Teilarbeiten im Zusammenwirken mit den Knechten (Gesellen)
leisten sollten. Die Vorzugsstellung der ,Meistersöhne* erinnert dagegen an Gepflogenheiten
des städtischen Handwerks und Patriziats. Zu den Besonderheiten wiederum gehört die Tei-
lung der Knechte in (jüngere) Standknechte, die in der Hammerwerkstatt standen, und in
(ältere) Handelsknechte, die nur noch den ambulanten, mitunter sehr einträglichen Detail-
verkauf der Sensenware ausübten.
Der Verf. hat ferner aus einem sehr begrenzten Quellenstand ziemlich anschaulich heraus-
gearbeitet, daß alte Bräuche, die zunächst eine bloße Termin Verlegung erfahren, in der Folge
Sinnverschiebungen und Verflachungen ausgesetzt sind. So entwertete die Abrückung vom
St. Leonhards-Tag das ursprünglich so hoch geschätzte ,Jahrestreffen* der Sensenschmiede
— Meister, Knechte, Jungen — (die „Puben“ waren ausgeschlossen).
Mit Recht hat F. die dem volkstechnischen Bereich angehörige Erfindung unterstrichen,
durch die dem Scharnsteiner Sensenhammermeister K. Eisvogel um 1585 die Techni-
sierung des Ausschmiedens der Sensenblätter gelang. Beschrieben hat F. sie allerdings nicht,
wie denn überhaupt technische Probleme entschieden zu kurz kommen, auch wenn der
Arbeit nachgerühmt werden kann, daß sie sich keineswegs den Blick verengen ließ. Sie hat
Nebenzweige gebührend berücksichtigt wie z. B. Holzkohlenbeschaffung und Transport-
wesen samt Straßenbau, Konkurrenz und Partnerschaft, Agrarkonjunktur und Grundherr-
schaft, Fernhandel mit den Türken und Fernhandel mit dem Zarenreich.
Die Bildbeigaben sind nicht im üblichen Rahmen (Hammerwerkstatt, Hammermeister-
zeichen, Herrenhaus) steckengeblieben, sondern bieten ungewöhnliche Belege für den
,Hausrat* wohlhabender Sensenhammermeister, die dennoch immer im bürgerlichen
,Milieu* geblieben sind und keineswegs ,Großunternehmer* wurden. Dieses bürgerliche
Element in der ländlichen Streulage der Hammerwerke entlang den Bächen und oft un-
mittelbar in den Dörfern ist volkskundlich bemerkenswert, obwohl Auswirkungen kaum
faßbar geworden sind, als F. daraufhin die Quellen durchsah.
So erweist sich das Studium der Arbeit von F. in vieler Hinsicht für die Volkskunde als
förderlich und erforderlich.
Helmut Wilsdorf, Dresden
\ rlmi\iV\\wR ü ¡üHrtvM YlflLääi v&\\\ wNiviVwVX/fi V
Besprechungen 4(37
Martin Grosser, Anleitung zu der Landwirtschaft; Abraham von Thumbshirn, Oeco-
nomia. Zwei frühe deutsche Landwirtschaftsschriften. Hg. v. Gertrud Schröder-
Lembke. Stuttgart, Gustav Fischer Verlag, 1965. 109 S. ( = Quellen und Forschungen
zur Agrargeschichte 12).
Unter den Quellenschriften zur deutschen Agrargeschichte nehmen die beiden im Titel
genannten Werke — das eine von 1590, das andere von 1596 — einen hervorragenden Platz
ein. Sind es doch die ersten in deutscher Sprache geschriebenen Landwirtschaftsbücher, die
auf Beobachtung der heimischen Verhältnisse — in Niederschlesien und im Gebiet zwischen
Mittellauf von Saale und Mulde — basieren. Es bedarf keiner Frage, daß solche Werke für
den volkskundlichen Agrarforscher von nicht geringem Wert sind. Das gilt in erster Linie
von dem Buch des Landpfarrers Martin Grosser, der vor allem die bäuerlichen Verhältnisse
beschreibt, während v. Thumbshirn seine Oeconomia als kurfürstlich-sächsischer Hof-
meister dem die herrschaftlichen Domänen unterstanden, verfaßte. In beiden Schriften
werden'die Feldarbeiten, die besondere Behandlung der einzelnen Feldfrüchte sowie die
Viehwirtschaft in allen Einzelheiten mit Angabe der Verwendung der Geräte und ihrer An-
wendungsweise behandelt. JVIartin Grosser läßt als Anhang sogar „die Namen von der
Paurn Werkzeug und Hausrat“ folgen; eine Liste von Termini für die Geräte und ihre Teile,
die in der vorliegenden Neuausgabe 5 Druckseiten ausmacht. Pflug und Arl (Rurhocken
oder Radlitz) nehmen allein zwei Seiten ein! In v. Thumbshirns Schrift ist hingegen als
Besonderheit Eine ungefehrliche Unterrichtung, was ein Jahr über in einem jeden Monat vor
Anstellung und Verrichtung in der Haushaltung notwendig geschehen sol, zu erwähnen: Das
ganze landwirtschaftliche Jahr rollt hier vor uns ab, so wie es sich in Sachsen-Thüringen
am Ende des 16. Jhs zugetragen hat.
Der Herausgeberin, die sich durch zahlreiche agrarhistorische Arbeiten seit langem einen
Namen gemacht hat, müssen wir für ihre Initiative Dank wissen, Grosser und v. Thumbshirn,
die bisher nicht überall zugänglich waren, in einem handlichen Band neu herausgebracht
zu haben. Sie hat überdies beide Texte mit zahlreichen Anmerkungen versehen, in denen
vorwiegend die volkssprachlichen Ausdrücke aus dem damaligen landwirtschaftlichen Wort-
schatz erklärt werden und sie hat ferner in einer Einleitung die geschichtswissenschaftliche
Stellung beider Werke herausgearbeitet sowie einen kurzen Lebensabriß beider Autoren
angeschlossen.
Das Buch kann als gutes Beispiel für eine Quellenpublikation gelten, die jeder Interes-
sierte gern und mit Gewinn in die Hand nehmen wird.
Wolfgang Jacobeit, Berlin
Friedrich Lütge, Die Agrarverfassung des frühen Mittelalters im mitteldeutschen Raum,
vornehmlich in der Karolingerzeit. 2., unveränderte Aufl. Stuttgart, Gustav Fischer'
Verlag, 1966. XX, 370 S.
Wenn dieses Standardwerk der bürgerlichen Wirtschafts- und Sozialgeschichte hier zur
Anzeige gelangt, so geschieht dies unter dem Gesichtspunkt der dringend gebotenen Quel-
lenerschließung für eine „Volkskunde des deutschen Feudalzeitalters, die in der Zukunft
einmal geschrieben werden muß“ (R. Weinhold, Rez. DJbfVk 1962, 208). Die späte Kennt-
nisnahme des Werkes durch die Volkskunde — die erste Auflage datiert von 1937 — ist
übrigens symptomatisch für die Wissenschaftsgeschichte unseres Fachs, dem jede Zusam-
menarbeit mit der Agrargeschichte lange Zeit hindurch suspekt erschien.
Ein gültiges Urteil über den damaligen und heutigen Wert des Lütgeschen Buches muß
den Agrarhistorikern Vorbehalten bleiben. Ich nenne nur die wichtigsten äußeren Fakten
und Daten: Den geographischen Rahmen der Untersuchung bilden Thüringen als Kernland
und die nächstgelegenen Territorien bis zum Harz im Norden und zum Main im Süden;
Ostgrenze ist die Saale. Zeitlich werden fünf „Perioden“ (bis ca. 200 u. Z., ca. 200 — 531,
531—ca. 750, die slawische Periode, ca. 750 —1300) zunächst bevölkerungsgeschichtlich
behandelt. In den weiteren Hauptteilen erscheinen als sachliche Themen Die soziale Glie-
468
Besprechungen
derung des Volkes, Die Grundherrschaft sowie Hufen, Marken, Markgenossenschaften; am
Schluß wird der Frage nach der Struktur der ältesten Siedlungen nachgegangen, wobei sich —
um dies vorwegzunehmen — nach L. der Einzelhof bzw. Weiler, nicht das Dorf, als für die
karolingische Zeit typisch erweist. Die Hauptergebnisse der Untersuchung, die sich u. a.
das Ziel setzt, „von der Überbewertung des rein Rechtlichen freizukommen und die sozial-
wirtschaftlichen Gesichtspunkte gebührend zu berücksichtigen“ (8if.), bestehen zunächst
in der Charakterisierung der drei Gruppen Nobiles, Liberi und Mancipia (Adel, Freie,
Unfreie; die Schicht der Liten fehlt in Altthüringen). Das Wesen der Grundherrschaft,
welche die Masse des Volkes in die „persönliche Freiheit, aber Schollenpflichtigkeit“ führt
(197), wird bei aller Abwehr älterer Theorien letztlich nicht aus ökonomischen, sondern aus
politischen Ursachen gedeutet (154). Die Hufe als Produkt der Grundherrschaft ist Ausdruck
des herrschaftlichen Ordnungsprinzips (258!.); ihre allgemeine und ausschließliche Geltung
führt zu einer betriebsstrukturell einmaligen Uniformität des bäuerlichen Status (278).
Die Marken wurzeln nach L. nicht in „agrarkommunistischen Urzuständen“ (295), sondern
sind ebenfalls grundherrlichen Ursprungs. Wesentliche Züge dieses Befundes aus dem alt-
mitteldeutschen Raum werden am Ende der untersuchten Periode dann in der Agrarver-
fassung der „Ostkolonisations-Territorien“ greifbar.
Bedauerliche Unterlassungen („slavica non leguntur“; vgl. die Literaturangaben im Sla-
wenkapitel) und vereinzelte Entgleisungen („Rückgewinnung des deutschen Ostens“
[74], „Führerfähigkeiten“ [81]) schmälern nicht die Befriedigung über die buchhändlerisch
notwendige Neuauflage des Werkes. Die Vorbehalte gegenüber den Grundpositionen L.s,
wie sie D. Lösche (Jb. f. Wirtschaftsgesch. 1967, 1, 381 ff.) anläßlich des Erscheinens der
überregionalen „Geschichte der deutschen Agrarverfassung“ (1963) generell dargelegt hat,
bleiben bestehen. Daß auch die Spezialforschung, gerade in der DDR, weitergegangen ist,
sei betont; dies betrifft den gesamten Zeitraum, angefangen von den frühesten sozialen
Differenzierungen im Thüringer Gebiet (Leubinger Kultur, vgl. K.-H. Otto, Ethnogr.-
archäol. Forschg., Bin. 1955) bis etwa zum Problem der Freien in der karolingischen Periode
(E. Müller-Mertens, Karl der Große ..., Bin. 1963) und anderen Themen.
Das Interesse der Volkskunde an dem von L. abgehandelten Thema betrifft naturgemäß
weniger die Agraroerfassung selbst, als vielmehr die ihr zugrundeliegende ökonomische Basis.
Nur lesen wir über die Entwicklung der Produktivkräfte, die während der untersuchten
Periode den Feudalisierungsprozeß bestimmte, in dem vorliegenden Werk, nicht unerwartet,
kaum etwas. Tatsächlich aber existieren hier echte Forschungslücken, die selbst einer dia-
metral entgegengesetzt konzipierten Darstellung große Schwierigkeiten bereitet haben
würden, wie es das Beispiel der vorerst einzigen marxistischen Synthese der frühen Feudal-
epoche (Stern/Bartmuß, Deutschland 5./6. — 11. Jh., Bin. 1963) partienweise deutlich macht.
Diese Lücken betreffen nicht nur die materielle Volkskultur schlechthin, sondern auch spe-
ziell die Geschichte der Produktionsinstrumente, die doch in jüngerer Zeit als Domäne
sowohl der mittelalterlich-archäologischen wie der volkskundlichen Geräteforschung gilt.
Das Zeugnis der Ausgrabungen und Funde mit dem zum Beispiel von L. ausgewerteten,
ungemein spröden schriftlichen Quellengut in Einklang zu bringen, wird noch viel Mühe
kosten. Den Anteil der Volkskunde dabei festzulegen, müßte Aufgabe einer der nächsten
Arbeitsvorbereitungen innerhalb der kooperierenden Wissenschaftszweige sein.
Ulrich Bentzien, Rostock
Ernst Wolfgang Buchholz, Ländliche Bevölkerung an der Schwelle des Industriezeitalters.
Der Raum Braunschweig als Beispiel. Stuttgart, Gustav-Fischer-Verlag, 1966. 94 S.
(= Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 11).
In den historischen Disziplinen zeichnet sich in zunehmendem Maße das Bestreben ab,
das 19. Jh. als die Epoche, seit der sämtliche Lebensbereiche einer tiefgehenden Umstruk-
turierung unterworfen wurden, eingehender kennenzulernen. Zu solchen Untersuchungen
gehört auch die vorliegende Arbeit.
Besprechungen
469
Der Verf. zeigt als Sozialhistoriker an Hand eines umfangreichen, noch nicht edierten
Aktenmaterials sehr instruktiv, wie im Kerngebiet des ehemaligen Herzogtums Braunschweig
die in der zweiten Hälfte des 18. Jhs noch rein bäuerliche Sozialordnung durch die Bildung
des Landproletanats aufgelockert, ja aufgelöst wurde. Dieser sich in relativ kurzer Zeit
vollziehende Vorgang begann mit dem Landesausbau, dem Übergang zur Fruchtwechsel-
wirtschaft und den sog. Peuplierungsmaßnahmen der Obrigkeit, durch die eine große Zahl
fremder Siedler, aber auch Handarbeiter und Gesinde ins Land kamen. Wie die Statistiken
ausweisen, nimmt die Bevölkerungszahl sprunghaft zu. Bereits zu Beginn des 19. Jhs
machen sich Anzeichen einer Übervölkerung der Dörfer bemerkbar, und wenn der Fiskus
ehedem bestrebt war, die neue Bewohnerschaft zu fördern, versucht er nun durch eine aus-
gesprochen restaurative Gesetzgebung die Zuwanderung zu erschweren, ja unmöglich zu
machen. Das eingesessene Bauerntum seinerseits tut alles, die staatlichen Maßnahmen durch-
zusetzen. Die so entstehenden sozialen Spannungen finden ihren Höhepunkt in den Jahren
um 1830 und 1848, als die Grundbesitzer um schnelle Bewaffnung bitten, denn wie es in den
Akten heißt, „das Proletariat, die Masse der Besitzlosen, fängt an Besorgnis, dringende
Besorgnis zu erwecken“. Ein unmittelbarer Klassengegensatz wird in den braunschwei-
gischen Dörfern sichtbar, und es ist wichtig festzustellen, daß aus den vielen Petitionen der
unterdrückten Schichten bereits ein ausgesprochenes Klassenbewußtsein spricht. Sie be-
zeichnen sich selbst als „Personen der arbeitenden Klasse“, „niedere Volksklassen“' Klasse
der Häuslinge“ usw. Es kommt in einzelnen Dörfern auch zu Zusammenschlüssen'der so-
genannten „Häuslingsgenossenschaften“, die als Korporation eine Änderung ihrer Verhält-
nisse gegen die Bauern anstrebten. — Erst die einsetzende Industrialisierung, der sich durch
forcierten Rübenanbau und Zuckerproduktion manifestierende Agrarkapitalismus gibt
seit den 50er Jahren durch erhöhte Löhne dem Landproletariat die Möglichkeit, sich aus der
Abhängigkeit und Ausbeutung der Bauern zu lösen. Zusammen mit den ersten Statistiken
über verstärkte Abwanderung in die Städte mehren sich die Nachrichten über Mangel an
Arbeitskräften in der Landwirtschaft. Die ersten „Sachsengänger“ und „Harzmädchen“
kommen in die braunschweigischen Dörfer, um die Ernte einzubringen und die Kultivie-
rungsarbeiten auf den Rübenfeldern durchzuführen.
Dies ist in knappen Zügen das Bild, das uns B. über die sozialen und arbeitswirtschaft-
lichen Vorgänge in den braunschweigischen Dörfern aus den Akten rekonstruieren kann.
Darüber hinaus bietet er Exkurse über das Stadt-Land-Verhältnis in der Zeit der industriellen
Revolution, über das Ausmaß der Abwanderungen nach Übersee u. a. Doch gibt er aus der
Fülle des gebotenen Materials kaum einen Hinweis darauf, wie die sozialen und arbeits-
wirtschaftlichen Umwälzungen ihren Niederschlag in einer den gleichen Veränderungen
unterworfenen Volkskultur fanden. Daß sich aus den Archivalien auch diese Seite rekon-
struieren läßt, hat Ingeborg Weber-Kellermann mit ihrer schönen Untersuchung über den
Erntebrauch in der ländlichen Arbeitswelt des 19. Jahrhunderts, 1965 (DJbfVk 12 1066
DÖff.) dargetan. Die von ihr nachgewiesene Umsetzung der bäuerlichen Brauchträger-
schicht in das Landproletariat ist ebenfalls Ausdruck des erwachten Klassenbewußtseins
dieser ländlichen Arbeiterschicht. — Die sozialgeschichtliche Forschung, der B. mehr An-
erkennung verschaffen möchte, sollte sich gerade bei der Untersuchung so wichtiger Zeit-
abschnitte wie der des 19. Jhs der volkskundlichen Fragestellung nicht begeben. Es wird
andererseits aber auch Sache der Volkskunde sein, stärker als bisher ihre Forschungen auf
die Veränderung und Neubildung volkskultureller Erscheinungen im 19. Jh. zu richten
Wolfgang Jacobeit, Berlin
Walter Achilles, Vermögensverhältnisse braunschweigischer Bauernhöfe im 17. und 18.
Jahrhundert. Stuttgart, Gustav Fischer-Verlag, 1965. 117 S. (= Quellen und For-
schungen zur Agrargeschichte 13).
Bäuerliche Hinterlassenschaftsinventare haben immer wieder ihre besondere Bedeutung
für Volkskunde und Agrargeschichte erwiesen. Die Forschung hat sie meist unter dem
Gesichtspunkt, verallgemeinernde Schlüsse über die Agrarverhältnisse geschlossener Land-
31 Volkskunde
470
Besprechungen
schäften ziehen zu können, interpretiert. In der vorliegenden Untersuchung erlaubt nun
eine außerordentlich günstige Quellenlage in Gestalt von Hof-Inventaren, die von amtlichen
Schätzern bei Eheschließungen aufgestellt wurden, dem Verf. für eine große Zahl von Bau-
ern-, Halbspänner- und Kothöfen im Gebiet um den Elm sehr konkrete Angaben über die
Veränderungen in der Ertragslage innerhalb zweier Jahrhunderte zu machen.
Diese in sog. „Amtshandelsbüchern“ zusammengefaßten Hof-Inventare sind so detail-
liert, daß der Verf. aus den Wertangaben ablesbare reale Vermögensbestandteile seinen
minutiösen Berechnungen der Erträge und der Rentabilität zugrundelegen kann. Dieser
seltene und günstige Umstand kommt nicht nur dem Agrarhistoriker zugute; auch der
Volkskundler gewinnt reiches Material, und der Rez. ist sicher, daß die Durcharbeitung der
genannten Amtshandelsbücher nach volkskundlichen Gesichtspunkten noch weit inter-
essantere Einzelheiten zutage fördern und wichtige Zusammenhänge vor allem für die
bäuerliche Arbeitswelt und die Normen der familienrechtlichen Beziehungen auf zeigen
würde, als sie A. in der vorliegenden Untersuchung zu geben vermag. Genannt sei nur das
Kapitel über Das tote Inventar, in dem A. Aufstellungen über den kompletten Arbeits-
gerätebesatz der einzelnen Höfe mit genauen Angaben über ihren realen Wert veröffentlicht.
Nicht weniger aufschlußreich ist der Abschnitt über den Viehbesatz. Die im zweiten Teil
des Buches (Abfindungen und Altenteile) zusammengefaßten Einzelheiten über Mitgift,
Abfindungen, Erbsitten und das Altenteil zeigen mit seltener Deutlichkeit, wie exakt der
Bauer einerseits zu kalkulieren verstand, um nicht durch überhöhte Forderungen der An-
erben den Bestand des Hofes aufs Spiel zu setzen, wie er andererseits aber auch stets darauf
bedacht war, seiner Tochter eine „standesgemäße“ Mitgift zu geben. Es würde zu weit
führen, wollten wir noch weitere Einzelheiten erwähnen, die für den Volkskundler wichtig
sind. Es möge die Feststellung genügen, daß das Buch mit volkskundlichem Material rand-
voll gefüllt ist.
Es kann nicht Sache des Rez. sein, über die Bedeutung der vorliegenden Untersuchung
für die Agrargeschichte zu urteilen. Grundsätzlich sei jedoch — wie wiederholt — fest-
gestellt (vgl. z. B. DJbfVk 8, 1962, 212ff.), daß eine stärkere Berücksichtigung volkskund-
licher Gesichtspunkte bzw. die Zusammenarbeit mit Volkskundlern bei der Auswertung
so wichtiger Quellen, wie sie schon von Diedrich Saalfeld (Bauernwirtschaft und Guls-
betrieb in der vorindustriellen Zeit, i960) und nun von Walter Achilles für annähernd den
gleichen geographischen Raum bearbeitet wurden, ein sehr viel abgerundeteres und auch
wohl gesicherteres Ergebnis gehabt hätten. So wichtig die exakten Berechnungen zweifellos
sind, sollte man doch stärker berücksichtigen, daß hinter ihnen der Mensch steht, der mit
seiner Arbeit erst die meß- und wägbaren Werte schafft. Die Notwendigkeit einer engeren
Zusammenarbeit zwischen Agrargeschichte und Volkskunde wird beim Studium gerade
eines so anregenden Werkes wie des vorliegenden nur zu deutlich.
Wolfgang Jacobeit, Berlin
Romulus Vuia, Tipuri de pästorit la romini (sec. XIX — incepulul sec. XX) (Die Typen
des Hirtenwesens bei den Rumänen im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts).
Bukarest, Verlag der Akademie der Rumän. Volksrepublik, 1964. 252 S., 97 Abb.
Die Bedeutung des rumänischen Hirtenwesens im karpatisch-balkanischen Raum ist
allgemein bekannt. Die diesbezügliche Fachliteratur mit wertvollen Einzelstudien ist reich,
doch fehlte bisher für die vergleichende Forschung eine zusammenfassende Arbeit. Diese
erhielten wir jetzt in der Monographie von R. Vuia. Der bekannte rumänische Volkskundler
gibt hier eine allseitige Darstellung des rumänischen Hirtenwesens, das er in vier große
Kategorien nach entsprechenden regionalen Einheiten ordnet:
1. Mit Landwirtschaft verbundenes, ortsgebundenes Hirtenwesen, 2. Almwirtschaft, 3. Hirlen-
wesen in der Zone der Heuwiesen, 4. Transhumanz.
Während das rumänische Gebirgshirtenwesen (2—4) durch zahlreiche Arbeiten relativ
gut bekannt ist, wußten wir bisher vom dörflichen Hirtenwesen (1) außerhalb der Karpaten
nur wenig. Dieses Kapitel verdient darum unsere besondere Aufmerksamkeit:
Besprechungen
471
Das mit der Landwirtschaft verbundene Hirtenwesen stellt der Verf. an konkreten Bei-
spielen dar, die er bei eigenen Terrainforschungen kennengelernt hat. Kurz beschreibt er
Weidebetriebe mit Sennwirtschaft (stinä) in Aluntenia und Oltenia (große und kleine Wa-
lachei) auf der Siebenbürger Heide bzw. im Marosch-Tal und in der Moldau. Danach folgt
eine Beschreibung des Hirtenwesens im Tiefland von Muntenien auf Grund früherer Ab-
handlungen: gemeinsame Stinä der einheimischen Bewohner und entsprechende Betriebe
der aus Siebenbürgen hier angesiedelten reichen Schafhirten (tirlas). Die Hauptmerkmale
des mit Ackerbau verbundenen Hirtenwesens sind: die Herden verlassen die Dorfgemarkung
überhaupt nicht; das Pferchen spielt eine große Rolle; entsprechend sind die Schafhürden
zerlegbar und transportabel; die Käserhütte ist fest oder beweglich. (Auf der Siebenbürger
Heide fehlt die Käserhütte, hier trägt man die Milch in das Dorf und verarbeitet sie dort.)
Die primitiven Hütten der Hirten sind je nach den Baustoffen in den verschiedenen Gegen-
den unterschiedlich. So befinden sich z. B. längs der unteren Donau Schilfhütten, ähnlich
denen in der ungarischen Tiefebene. V. beschreibt auch das Material aus dem siebenbür-
gischen Erzgebirge und dem Banat und weist mit Recht darauf hin, daß das mit dem Acker-
bau verbundene Hirtenwesen in großen Gebieten Ost- und Mittel-Europas verbreitet war,
doch scheint es dem Rez. eigenartig zu sein, daß bei den Rumänen Sennereien nicht nur
im Bergland, sondern auch im Flach- und Hügelland, in den Dorfgemarkungen auf-
zufinden sind bzw. waren. So treten viele Ähnlichkeiten, gemeinsame Züge im Hirten-
wesen des Berglandes und des Tieflandes auf: wie dort ist auch hier der Käser zugleich
Oberhirt; unter den Bauten sind Käserhütte und Melkhürde zu erwähnen; der Schaf-
bestand wird nach Melkherde, Geltherde etc. eingeteilt. Die Gleichförmigkeit der rumäni-
schen Stinä-Betriebe im Berg- und Flachland wird noch auffallender, wenn wir daran
denken, welcher Kontrast in der Viehhaltung der Berggebiete und des Tieflandes in an-
deren Karpatenländern herrscht: in Polen und in der Ukraine kommen die „Sennereien“
ausschließlich in den Berggebieten vor, in den Tiefländern fehlen sie völlig. Die Angaben
V.s zur Viehhaltung in den rumänischen Tiefländern wären noch durch die Arbeit von
J. F. Sulzer Geschichte des transalpinischen Daciens ... Wien, 1781, Bd. 1, 46 — 69 vielfach
zu ergänzen.
Im 2. Kap. behandelt der Verf. die Almwirtschaft in den Süd- und Ostkarpaten, um dann
im 3. Kap. die Viehhaltung der Streusiedlungen in der Zone der Bergwiesen, wo die Acker-
wirtschaft minimal war, zu beschreiben. Die Viehhaltung basierte hier auf der Weidewirt-
schaft im Sommer und auf der Heufütterung im Winter.
Im 4. Kap. stellt der Verf. die transhumante Viehhaltung in den Südkarpaten dar. Die wich-
tigsten Dauersiedlungen der sog. Schafwirte lagen in Burzenland (Birsa), in den Sieben-
dörfern bei Brasov (Kronstadt) und in einigen Dörfern bei Bran (Törzburg), wo die mocani
oder birsani lebten. Die rumänische Bevölkerung zweier Dörfer im Szeklerlande führte
auch transhumante Weidewirtschaft durch. — Die zweite wichtigste Gruppe besteht aus den
poienar in der Umgebung von Sibiu (Hermannstadt). Alle diese Gruppen lebten auf der
nördlichen Seite der Südkarpaten. Die siebenbürgischen Schafwirte — obwohl sie Rumänen
waren — nannte man früher in Rumänien ungureni (Ungarländer). Viele von ihnen über-
siedelten in den vergangenen Jahrhunderten auf die südliche Seite der Südkarpaten, also
in den Norden von Aluntenia und Oltenia. Diese ungureni hatten die frühere Form ihrer
Schafhaltung bewahrt, besonders die in Oltenia angesiedelten. Zwei Abschnitte beziehen
sich auf die Transhumanz dieser ungureni. — Im letzten Abschnitt dieses Kapitels spricht
V. über die Transhumanz der eingesessenen Rumänen und hebt u. a. hervor, daß in einigen
Gegenden an der Sommerwanderung auch Frauen und ganze Familien teilgenommen
hätten, was keineswegs mit Nomadismus bezeichnet werden könne. V. spricht hier nach
Meinung des Rez. sehr richtig von „komplexer Transhumanz“, offensichtlich in Analogie
zur „komplexen Alpwirtschaft“. V. weist darauf hin, daß die Anwesenheit von Frauen in
den Hirtenwirtschaften der rumänischen Karpaten in den meisten Fällen durch Rechts-
gebrauch verboten ist. (Diese Verbote wurden schon von N. Dunäre sehr genau erforscht.)
Die transhumanten Herden wurden zum Überwintern in die Ebenen entlang der
Unterdonau abgetrieben. Die Dauersiedlungen aber lagen alle im Gebirge (inverse
Transhumanz).
31*
472
Besprechungen
In einem letzten Kapitel werden einige Fragen behandelt, die sich in die bisherigen Zu-
sammenhänge nicht recht einreihen lassen, z. B. die Bedeutung der Milchprodukte sowie die
Haltung von Großvieh, die — außer bei der Transhumanz — bedeutend war.
Abschließend weist der Verf. auf die neueren Formen der Viehzucht in der wirtschaft-
lichen Umgestaltung der sozialistischen Gesellschaft hin.
Der Arbeit von Romulus Vuia, die kurz nach seinem Tod erschienen ist, schulden wir
Anerkennung. Das Thema des Werkes wird, gut in Zeit und Raum gegliedert, mit großer
Kenntnis des Stoffes, mit klarer Problemstellung und an Hand eines umfassenden Litera-
turapparates präzis abgehandelt. Der Verf. stellt das Hirtenwesen in allen seinen Erschei-
nungsformen dar und berücksichtigt stets die jeweilige Einheit der wirtschaftlichen Struk-
tur. Wir wollen auch die konsequente Anwendung einer eindeutigen Terminologie hervor-
heben, die sich nach dem internationalen Gebrauch und nicht nach den regionalen Besonder-
heiten der einzelnen Landschaften richtet. Es wäre im Dienste einer vergleichenden euro-
päischen Forschung über das Hirtenwesen wünschenswert, wenn dieses Werk auch in einer
der Weltsprachen publiziert würde.
Läszlö Földes, Budapest
Attila Paladi-koväcs, A keleti palöcok pdsztorkoddsa (Das Hirtenwesen bei den östlichen
Palozen). Müvelts^g es Hagyomäny (Kultur und Tradition) 7 (1965) 5— 211, 83 Abb.
Die Palozen (ung. palöc) sind eine ungarische Gruppe mit konservativer Kultur im Norden
des ungarischen Sprachraumes (etwa westlich der Stadt Miskolc). Die Bevölkerung der
dortigen kleinen Dörfer bestand vorwiegend aus Angehörigen des Kleinadels, die in der
Periode des Feudalismus (bis 1848) rechtlich den privilegierten Klassen angehörten, jedoch
wie Bauern lebten und wirtschafteten. Selbstverständlich fehlten hier auch Fronbauern
nicht, sie bildeten in einigen Dörfern die Mehrheit. Überbleibsel der feudalen Gesellschafts-
struktur waren noch am Anfang des 20. Jhs zu erkennen. Ein weiterer Charakterzug dieser
Palozendörfer bestand darin, daß 80—90% der Bevölkerung sippenmäßig strukturiert war.
— Der Boden dieses Gebietes ist mager, die Dorfgemarkungen sind klein, die Waldweide
und andere Weideplätze verhältnismäßig groß. Der Ackerbau sicherte bloß den Hausbedarf;
die Viehwirtschaft stand im Vordergrund.
Das Werk von Paladi-Koväcs gibt nun nicht nur eine morphologische Beschreibung des
Hirtenwesens, sondern bietet einen systematischen Überblick über die einzelnen Betriebs-
formen: Viehhaltung bei den Großfamilien, bei den feudal-kapitalistischen Herrschaften,
die gemeinschaftliche Schafhaltung der Kleinbauern, die private Schafhaltung der Hirten
in Einzelhöfen. An der Zucht der alten Schafrassen hielten die Großfamilien am längsten
fest. Jede Großfamilie hielt eine Sonderherde von 80 — 250 Schafen. Die Schafhirten waren
bestimmte Mitglieder der Familiengemeinschaft. (Dieser Abschnitt des Buches wird dem-
nächst in dem neuen, vom ungarischen Akademie-Verlag herausgegebenen Sammelwerk
V iehwirtschaft und Hirtenkultur in deutscher Sprache veröffentlicht.) — In den Domänen
bildeten die Schäfereien mit Tausenden von Tieren selbständige Betriebseinheiten unter
Leitung eines Oberhirten (bacsö), dem 10 — 15 Schäfer unterstanden. Der Oberhirt war am
Tierbestand bzw. an der Vermehrung und am Einkommen aus den Herdenprodukten im
Verhältnis 10:1, später 20:1 beteiligt. — Es gab auch Hirten mit eigener Schafhaltung. Sie
verfügten über einen kleinen oder gar keinen Landbesitz. Für ihren Tierbestand pachteten
sie ein Weidegebiet oder schlossen einen Vertrag mit einem Grundbesitzer, der ihnen Weide-
land und Winterfutter zur Verfügung stellte. Nach drei Jahren wurde der Schafbestand
geteilt. Andere selbständige Schäfer, die keine eigene Weide besaßen, wechselten oft ihre
Plätze. Oft mußten sie weite Strecken wandern, um ihre Herde unterwegs weiden zu können.
Es war dies eine transhumanzähnliche Wirtschaftsform.
Im weiteren behandelt der Verf. verschiedene Einzelfragen der Viehwirtschaft wie
Weidebedingungen, Hirtenbauten, Viehhaltung im Jahresablauf, Produkte. Das letzte Kapitel
befaßt sich mit den Hirten, die der örtlichen Auffassung nach als Bauernhirten (meistens
Besprechungen
473
Mitglieder einer Bauernfamilie) und echte Hirten bezeichnet werden. In einer Zusammen-
fassung vergleicht der Verf. das untersuchte Material mit Erscheinungen anderer Land-
schaften, weist dabei aber immer auf die historischen örtlichen Wurzeln hin.
Läszlö Földes, Budapest
Shmuel Avitsur, The Native Ard of Eretz-Israel. Its History and Development. [Titel des
engl. Res. Originaltext und -titel hebräisch.] Tel-Aviv, Sifriath Hassadeh Publishing
House, 1965. XVI, 192 S., 72 Abb. (= Aveshalom Institute for Homeland Studies.
Man and his Works Series 5).
Harold Bonnett, Saga of the Steam Plough. London, George Allen and Unwin, 1965.
208 S., 18 Taf.
Ernst Klein, Die Entwicklung des Pflugs im deutschen Südwesten. Stuttgart, Werner Jäckh
i. Komm., 1966. 60 S., 67 Abb. (= Der Museumsfreund. Aus Heimatmuseen und
Sammlungen in Baden-Württemberg 7).
Bernd Kratz, Zur Bezeichnung von Pflugmesser und Messerpflug in Germania und Romania.
Gießen, Wilhelm Schmitz Verlag, 1966. 131 S. (= Beiträge zur deutschen Philologie
NF 34).
FrantiSek Sach, Proposal for the Classification of Pre-industrial Tilling Implements. Praha,
Üstav vedeckotechnickych informaci MZLH Csl. zemedelske muzeum, 1966. 84 S.,
20 Abb. (= Prameny historie zemedelstvi a lesnictvi 1).
Die innerhalb weniger Monate erschienenen Titel, auf die wir hier hinweisen (weitere,
in Aufsatzform publizierte Arbeiten bleiben unberücksichtigt), zeigen eindrucksvoll das
unverminderte Interesse, das die Forschung dem Pflug als dem landwirtschaftlichen Haupt-
produktionsinstrument entgegenbringt. Vertreter der verschiedensten Wissenschaftsdiszi-
plinen — Ethnographen, Technikgeschichtler, Philologen — bereichern die gewiß nicht
schmale Literaturbasis des Untersuchungsgegenstandes. Dabei werden sowohl „weiße
Flecken“ der historischen Pflugbauzone publizistisch getilgt (Israel und — incredibile dictu
— Südwestdeutschland) als auch sachlich neues Material erschlossen (germanisch-romanische
Pflugnomenklatur, Geschichte des Dampfpfluges).
Die Abhandlung von S. Avitsur kann der Rez. nur nach Maßgabe des englischen Re-
sümees (16 S.) beurteilen: A. teilt die traditionellen Pfluggeräte des heutigen Israel — es
handelt sich ausschließlich um Haken, ards, — in drei Gruppen ein, die er wie folgt benennt:
(1) light ard, (2) knee beam ard, (3) heavy oder sword ard. Die Berechtigung dieser heterogenen
Termini erhärtet er mit guten Gründen; er weist darauf hin, daß der knee beam (dt. Krümmel)
im übrigen allen drei Gruppen eigen ist. Dabei erweisen sich (1) und (2) typologisch nur
dadurch als echt alternativ, daß der knee beam hinsichtlich seiner Verbindung mit der Sohle
im ersten Fall ein Zapfenkrümmel, im zweiten Fall ein Lochkrümmel ist. Geographische
Verbreitung, Herstellung, Arbeitsweise und Anspannung werden methodisch überzeugend
dargestellt. Was die Geschichte der Geräte angeht, so scheint A. deren dominantes Gerippe
schon im Spiegel von Bibeltextstellen erkennen zu wollen; stattdessen hätte sich der Leser
einige mit Abbildungen illustrierte Hinweise auf außerpalästinensische arabische Pflug-
geräte gewünscht. Für die jüngere Geschichte der Bodenbearbeitung steuert der Verf. hoch-
interessante Fakten bei: In Israel setzte sich der europäisch-nordamerikanische Bodenwende-
pflug in keiner Weise durch. Zum Sieg gelangten vielmehr volleiserne Nachbildungen der
alten ard-Typen — eine Erscheinung, die der beim Hunspflug, beim Mecklenburgischen
Haken, bei der polnischen Socha (usw.) beobachteten gleicht. Verschiedene Faktoren si-
cherten diesen im Material neuen, im Gerippe alten Geräten eine gewisse Vitalität, wobei in
Israel sogar neueste Erfindungen wie ein Traktor-ard (!) mit traditionell symmetrischen
Scharen den natürlichen Bedingungen dieser semiariden Region Rechnung tragen.
Das Buch von H. Bonnett, populär angelegt (keine Quellenangaben) und mit leichter
Feder geschrieben, schildert den Werdegang oder besser: das Schicksal des Dampfpfluges
und seiner Pioniere. Dies geschieht mit liebenswürdiger angelsächsischer Sentimentalität,
474
Besprechungen
die der Geschichte des Gegenstandes auch weitgehend angemessen erscheint. Die Dampf-
maschine, jene die industrielle Revolution einleitende Erfindung, schien lange Zeit hindurch
keine Verbindung mit dem klassischen Gerät der Bodenbearbeitung, dem Pflug, eingehen
zu wollen. Die von John Fowler praktizierte, von Max Eyth (u. a.) weltweit progagierte
Lösung — zwei sich gegenüberstehende Dampflokomobilen ziehen einen zweiteiligen,
jeweils mehrscharigen Kipppflug an einem Drahtseil über den Acker hin und zurück —
bewährte sich unter besonderen Boden- und Betriebsbedingungen im Mutterland und vieler-
orts sonst, doch scheiterte sie schon früh an ihren eigenen Dimensionen, die eine neue Er-
findung, der Traktor, sinnfällig unterbot. Das technikgeschichtlich Reizvolle des Dampf-
pflugsystems besteht somit in der schematischen Übertragung einer technischen Errungen-
schaft auf das Gebiet der Bodenbearbeitung, wo schließlich mit dem Traktor (direkt vor
den Pflug gespannt wie einst das Zugtier) das formal-technologisch ältere Prinzip über das
originelle, jüngere triumphierte. Bei Bonnett liest sich dies ein wenig anders, doch ver-
stummt angesichts des fast rührenden Engagements des Autors für seine Sache jede Kritik.
Ergänzend sei auf die Tatsache hingewiesen, daß zumindest auf dem Kontinent die teil-
mechanische Führung halbhölzerner Kipppflüge mittels Zugseil (durch Pferdekraft) bereits
bekannt war. An diese Tradition scheint das frühe, vorfowlersche Dampfpflugsystem an-
zuknüpfen.
Die im Umfang schmale, typographisch glänzend aufgemachte Museumsschrift von
E. Klein verfolgt keine letzten wissenschaftlichen Ziele. In ihr ist das Bildmaterial zur Ge-
schichte des Pfluges in Südwestdeutschland (Baden-Württemberg) wiedergegeben und
gemeinverständlich interpretiert. Hinsichtlich der prähistorischen Funde erwarte man keine
erschöpfende Dokumentation (so fehlen die keltischen bzw. römischen Schare bzw. Seche
von Kornwestheim und Iffezheim [Bittel, Die Kelten in Württemberg, 1934, 42; Gutmann,
Badische Fundberichte 1936, 439]). Im übrigen reichen die vom Verf. ermittelten, großen-
teils erstmalig publizierten Zeugnisse von vorgeschichtlichen Belegen über ikonographische
Quellen bis zu Museumsstücken aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Die spätmittelalterlichen
Bildquellen — von K. behutsam ausgedeutet — scheinen für das Fortleben von Haken-
Typen während dieser Periode zu sprechen; leider aber ergeben sich daraus keine Anhalts-
punkte für die Geschichte des rezenten Schwarzwälder „Stichelpfluges“, von dem offenbar
keine frühen Abbildungen existieren. Vorhandensein und Aussehen des südwestdeutschen
Beetpfluges lassen sich vom Mittelalter ab — zunächst sporadisch, ab 1800 kontinuierlich —
überzeugend dokumentieren; rückwärts geneigte Griessäule und Zweisterzigkeit sind neben
den obligaten Merkmalen (Schar [zunächst wohl noch symmetrisch!], Sech, festes Streich-
brett, Radvorgestell) besondere Charakteristika. Für die Existenz des Kehrpfluges bringt K.
neuartiges Quellengut in Gestalt von Durlacher Fayencekrügen des 18. und 19. Jhs bei.
Das gewundene Beetpflug-Streichbrett, im Badischen offensichtlich früh heimisch (Abb. 24),
bestätigt den bisher isolierten Fund von Freudenheim (wenig zitiert [Gropengießer, Oberdt.
Zs. f. Volksk. 1933, 26]). Die Linksseitigkeit solcher und anderer Pflugstreichbretter bleibt
bemerkenswert. Übergehend zur jüngeren Geschichte des Pfluges im deutschen Südwesten
kann der Verf., bester Kenner der Hohenheimer Sammlung, aus dem vollen schöpfen. Die
belehrende Lektüre dieses Abschnitts über die Pflugkonstrukteure des 19. Jhs und ihre
Erzeugnisse (modifizierte belgische Pflüge, Hohenheimer Pflüge mit verschiedenen Vari-
anten usw.) läßt das Erscheinen des im Druck befindlichen vollständigen Kataloges der
Hohenheimer Original- und Modellpflüge mit Spannung erwarten.
Einen ergiebigen Ausschnitt der Pflugnomenklatur, die germanischen und romanischen
Bezeichnungen für ,Pflugmesser' (z. B. dt. Sech, engl, coulter, frz. coutre) und ,Messerpflug'
(z. B. obd. Riß) untersucht die Arbeit von B. Kratz. Der Verf. weist von der Wortgeschichte
her nach, daß das Sech als Ingredienz des Beetpfluges keineswegs eine römisch-mediter-
rane Errungenschaft ist. Wort und Sache können (entgegen Frings) weder über die Alpen
noch entlang der Rhone durch die Burgundische Pforte nach Mitteleuropa gelangt sein. Der
Ursprung ist geographisch auf provinzialrömischem Boden (Noricum-Pannonien), sprachlich
in einem nicht-romanischen, nicht-germanischen indoeuropäischen Dialekt zu suchen
(Wurzel +sek,schneiden'). Mit lat. culter ,Messer' erhält +seca (> dt. Sech) ein Synonym;
beide verdanken ihre Verbreitung in Mittel- und Westeuropa römischer Vermittlung. Wohl
Besprechungen 475
unabhängig davon geht iberorom. +seca ,Messerpflug‘ auf ideur. 4sec zurück und wird später
zur Bezeichnung des Sechs am nordiberischen Pflug; in ähnlicher Weise geht ostalpines
Riß auf den entsprechenden Bestandteil des komplettierten Pfluggeräts über. Die Wort-
geschichte legt die Vermutung nahe, daß Messerpflug und sechloser Pflug zum Pflug mit
Sech zusammengewachsen sind. Möglicherweise ist Sech letztlich derselben Sprache zuzu-
weisen wie die etymologisch immer noch rätselhaften Wörter Pflug und Grindel. Damit
regt die Lektüre dieser wertvollen Studie zu weiteren Untersuchungen an, die sich der Pflug-
forscher nicht zuletzt von einer auf „Wörter und Sachen“ orientierten Philologie sehnlichst
erhofft. Eine Arbeit wie die vorliegende kann dabei als Vorbild gelten.
Die Klassifizierung der Pfluggeräte durch F. Sach stellt zweifellos eine Krönung der
bisherigen Bemühungen ihres Autors um ein generelles System dar. Waren die zahlreichen
Aufsätze des Verfs regional zumeist auf das tschechoslowakische Territorium bzw. den
slawischen Siedlungsraum beschränkt (zuletzt: On the Origin of the Slavonic Plough,
Narodopisny vestnik öeskoslovensky 1, 1966, 7 —Hi tschechisch m. engl. Res.), so ist mit
dem vorliegenden Büchlein der Schritt in Richtung auf den Befund der gesamten altwelt-
lichen Pflugbauzone getan. Dabei wird grundsätzlich nach Art, Typ und Gruppe ge-
gliedert. Die Art des Geräts ergibt sich aus der agrotechnischen Funktion; danach unter-
scheidet man z. B. Haken, Socha, Beetpflug, Kehrpflug. Als Hauptkriterium für den Typ
werden Form, Anordnung und gegenseitige Befestigung der „arbeitenden“ Teile des Ge-
rippes angesehen; danach ergeben sich neun Typen, die S. englisch, russisch, französisch
und deutsch zu benennen versucht. (Der Aufforderung des Verfs, die deutschen Termini
notfalls zu korrigieren, kann der Rez. nicht nachkommen. Die vielgliedrigen dt. Kompo-
sita die dazu notwendig wären, verstünde kaum der Fachmann. Man sollte in ganzen Sätzen,
und zwar vielleicht so formulieren: „Typ III. Die Sterze, die vom Grindel durchbohrt wird,
knickt an ihrem unteren Ende zu einer Sohle ab, die den arbeitenden Teil bildet bzw. trägt“
(statt Sterzsohlentyp). Oder: „Typ VII. Der abwärts führende Scharbaum (Haupt), der den
Grindel durchbohrt, bildet bzw. trägt den arbeitenden Teil“ (statt Grindelscharbaumtyp.) —
Die Gruppe schließlich wird auf Grund sekundärer Kriterien, d. h. Merkmalen einzelner
Gerippe- und sonstiger Teile, erschlossen. Neben der Einteilung der Schare ist besonders
der Abschnitt über die Griessäule, jenen sonst wenig beachteten Gerippeteil, hervorzu-
heben • der Verf. zeigt eindrucksvoll, daß die vorwärts geneigte Griessäule auf dem histo-
rischen Siedlungsboden der Slawen, die rückwärts geneigte auf dem der (West-) Germanen
heimisch ist. Es dürfte kaum auf einem Zufall beruhen, wenn sich solche und andere Er-
kenntnisse auch zukünftig gerade aus dem Studium der Gruppen ergäben, mit denen ja die
regionale Forschung in erster Linie zu tun hat. Überregionale Untersuchungen (und heraus-
zugebende Kataloge!) werden dagegen auch die Klassifizierung nach Typen — von den Arien
einmal ganz abgesehen — mit Nutzen verwenden. In diesem Zusammenhang sei darauf
hingewiesen, daß der Verf. auf der 2. Pflugforscherkonferenz in Julita/Schweden im August
1966 einen hektographierten Appendix mit einem Symbol-System vorgelegt hat, das es
ermöglicht, jedes beliebige Gerät mit Hilfe einer Formel wiederzugeben: Über dem „Bruch-
strich“ erscheinen die Symbole des Agricultural point of view („Art“), unter dem „Bruch-
strich“ die des Ethnological point of view („Typ“ und „Gruppe“). Als Beispiel für diese
detaillierte Klassifizierung, der man die gebührende Anerkennung wünscht (wenngleich
sie nicht konkurrenzlos ist), möge die Formel für den allbekannten Mecklenburgischen
Haken stehen; sie lautet:
IV ie + K3a
IXA ia 2lr 4c
Ulrich Bentzien, Rostock
476
Besprechungen
Wolfgang Rudolph, Handbuch der volkstümlichen Boote im östlichen Niederdeutschland.
Berlin, Akademie-Verlag, 1966. 150 S., 124 Abb., 19 Taf. (— Veröff. des Inst. f. d.
Volkskunde 41).
Das Studium der Bootstypen besitzt eine alte Tradition in der deutschen Volkskunde-
forschung. Schon in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde von dem pom-
merschen Feldmesser Otto Amtsberg umfangreiches Material in Niederdeutschland ge-
sammelt und eine schöne Modellsammlung angelegt. In den Jahren 1900 —1905 unternahm
das Berliner Völkerkundemuseum eine Fragebogenaktion zur Erforschung der alten Schiffs-
und Bootsformen, deren Ergebnisse zum Teil in der Arbeit Karl Brunners über Die volks-
tümlichen deutschen Schiffs fahr zeuge (1917) ausgewertet sind. B. hat damals den ersten Ver-
such unternommen, eine Systematik der Bootsformen auf Grund ihrer konstruktiven Merk-
male zu schaffen. Eine theoretische Entwicklungsgeschichte vom Einbaum zum Schiff wurde
1930 in der Dissertation von Hans Suder vorgelegt; 1933 erschien das bisherige Standard-
werk: Deutsche Bauern- und Fischerboote von Walther Mitzka.
Wie wertvoll die älteren Sammlungen zur Bootsgeschichte auch sein mögen, den Forde-
rungen der modernen Volkskunde entsprechen sie jedoch nicht. Im Jahre 1958 wurde des-
halb auf Anregung von Reinhard Peesch und mit Wolfgang Rudolph als Hauptkraft eine
groß angelegte Inventarisation der Boote in Niederdeutschland begonnen. Alle Hafenplätze
längs der Küste zwischen Trave und Oder und auch im anschließenden Binnenland wurden
besucht und die dort befindlichen Boote fotografisch und technisch-zeichnerisch registriert.
Gleichzeitig wurden auch Auskünfte gesammelt über die mundartlichen Bezeichnungen,
über die Herstellung und Verwendung der Boote sowie über Fahrzeugformen, die nicht
mehr vorhanden sind. Diese Feldarbeit wurde durch Archivstudien mit Hinblick auf die
Entwicklungsgeschichte der Boote ergänzt. Außerdem wurden die wichtigsten Boots-
typen für Museen gesichert.
Die Feldarbeit wurde 1965 beendet, und schon im folgenden Jahr konnte R. sein umfang-
reiches Material in einem vorbildlichen Dokumentationsband über die volkstümlichen Boote
im östlichen Niederdeutschland der europäischen Bootsforschung vorlegen. Die verschie-
denen Bootsformen sind nach den Merkmalen ihrer Konstruktion systematisch geordnet. Die
beiden Hauptgruppen bilden die Einbäume mit einteiligen Bootskörpern und die Planken-
boote mit mehrteiligen Bootskörpern. Die letzte Hauptgruppe ist weiter in Bodenschalenboote,
längsgedielte Bodenplankenboote, quergedielte Bodenplankenboote und Kielboote unter-
teilt. Die größte dieser Untergruppen umfaßt eine Reihe von Varianten, die entsprechend
der verschiedenen Gestaltung ihrer Bootsenden definiert werden. Obwohl einige der Boote,
die in einer Untergruppe zusammengeführt sind, sich durch andere augenfällige Merkmale
voneinander unterscheiden (z. B. Spitzgatt: Heckspiegel), scheint die vorgezogene Unter-
teilung richtig zu sein; sie bildet einen guten Ausgangspunkt für die Klarlegung der Ent-
stehung verschiedener Ortsvarianten und für die ganze Entwicklungsgeschichte.
In jeder dieser Untergruppen wird das Material nach einem festen Schema dargestellt,
was das Werk als Handbuch für den Forscher sehr gut verwendbar macht. Nach einer
terminologischen Übersicht folgen Abschnitte über die Herstellung, Konstruktion, Antriebs-
mittel, Besatzung und Antriebstechnik, Entwicklungsgeschichte und Vorkommen in Nachbar-
gebieten. Sehr gründlich wird mit Recht die Antriebstechnik behandelt. Die verschiedenen
Formen der Rudertechnik sind von großer Bedeutung für die Klarlegung der Entwick-
lungsgeschichte, gerade sie werden aber in den älteren Werken oft sehr lückenhaft dar-
gestellt.
Die niederdeutschen Boote sind für die allgemeine Bootsforschung von größtem Inter-
esse, weil sie wichtige Stufen der Entwicklung zeigen. Zu den interessantesten Typen ge-
hören der Rostocker Kahn und die übrigen Bodenschalenboote, die, wie es der Verf. in seiner
Dissertation nachgewiesen hat, als Übergangsformen zwischen Einbaum und Plankenboot
aufgefaßt werden müssen. Auch bei den Bodenplankenbooten findet man Charakteristika,
die man mit guten Gründen als Einbaumrelikte ansehen kann. Alle diese Bootstypen sind
mehr oder weniger das Ergebnis lokaler Entwicklungen, obwohl sich oft Parallelen hierzu
in den Nachbargebieten nachweisen lassen. In diesem Zusammenhang muß der Verf.
Besprechungen
477
für seine umfassende Literaturkenntnis gelobt werden ; er hat z. B. die ganze zugängliche
nordische Literatur des Themas ausgewertet.
Das Kielboot ist im Gegensatz zu den übrigen niederdeutschen Typen ein Boot, das in
dieses Gebiet bereits in voll entwickelter Gestalt eingeführt wurde, und der Verfasser meint
mit Recht, daß es aus dem Norden entlehnt ist, obwohl darüber keine schriftlichen Quellen
vorliegen. Es wird gesagt, daß Trübners Deutsches Wörterbuch für das Wort Jolle nor-
dischen Ursprung annimmt; in Dänemark wird es aber gewöhnlich für ein niederdeutsches
Lehnwort gehalten. Die Bootsterminologie bietet für sich allein wenig Ausgangspunkte für
Schlußfolgerungen in bezug auf die Entwicklungsgeschichte; wertvoll werden ihre Hin-
weise erst in Verbindung mit der Analyse aller ergologischen Merkmale.
Das Handbuch der volkstümlichen Boote im östlichen Niederdeutschland ist reich und her-
vorragend illustriert mit Fotos und Zeichnungen, die sowohl Boote in ihrer Ganzheit als
auch konstruktive Details zeigen. In seiner Konzeption und Ausführung ist der Band so
angelegt, daß er als Inspiration und Muster für ähnliche Publikationen in den Nachbar-
ländern dienen sollte; denn solche Werke sind sehr erwünscht und notwendig — nicht nur
in der Schiffsforschung, sondern auf allen Gebieten der materiellen Volkskunde.
Bjarne Stoklund, Kopenhagen
Harald Hvarfner, Fiskaren läget och redskapet. En bok om lax- och sikfiske i Indalsälven
(Der Fischer, die Arbeitsgruppe, das Fanggeschirr. Ein Buch über die Lachsfischerei
im Indalsälv). Stockholm, Almquist u. Wiksell, 1964. 268 S., 58 Taf.
Bevor durch den Bau mehrerer großer Staustufen die Topographie und das gesamte
traditionelle Arbeitsleben der Bewohner im Tal des nordschwedischen Indalsälv von Grund
auf verändert wurden, leitete Schwedens oberste Denkmalpflegebehörde in Zusammen-
arbeit mit dem Nordischen Museum zu Stockholm eine umfassende, über vier Jahre'aus-
gedehnte Inventarisierung der Bodendenkmale und der materiellen Volkskultur ein Aus
diesem Forschungsmaterial werden die Ergebnisse über die periodisch betriebene Bauern-
fischerei auf Lachs - im Zeitraum von 1796 bis 1954 — im angezeigten Titel publiziert
Der Lachsfang wird hauptsächlich mit Zugnetzen und fast stets in Gruppenarbeit betrieben"
Mit besonderer Sorgfalt untersuchte der Verf. - in Feldforschung und Archivstudien -
die Beziehungen zwischen Mensch und Arbeitsgerät, die traditionelle Konstruktion von
Geschirr und Boot sowie die volkstümlich-brauchtümliche Arbeitsorganisation innerhalb
der Fanggruppen. Kontinuität und Novationen werden gegeneinander abgewogen die
Neuerungen charakterisiert. ° ’
Aus der Gliederung des Werkes sei besonders hingewiesen auf die Kapitel- Siedlun-
Arbeitsjahr und Fischerei, Der Fischer und die Arbeitsgruppe, Die Arbeitsgemeinschaft in
Aktion, Netze, Hakenangeln und anderes Fanggeschirr. — Ein umfanofP.'rtl c u • "
erschließ, den Tex. in bestmöglicher Weise im Tafelteil des Buches8 finden sfehAb
bildungen von hervorragender Wiedergabequalität, die ein plastisches Bild von der (frü-
heren) natürlichen Umwelt und von der Arbeitswelt am Indalsälv vermitteln — In Anlage
und Aufmachung erscheint uns das Werk Hvarfners als ein nordschwedisches Gegenstück
zu Reinhard Peeschs Fischerkommünen auf Rügen und Hiddensee.
Wolfgang Rudolph, Berlin
W. L. Leclercq, De laatste ]\ederlandse zeilschepen. Een körte beschrijving van de Neder-
landse grote zeilvaart na de franse tijd. Utrecht, Oosthoek’s Uitgeversmaatschappij
NV, 1966. X02 S., 58 Abb.
Gegen den auf maritim-historischem Arbeitsfeld forschenden Ethnographen brandete in
den letzten drei Jahrzehnten eine Woge von „Letzte Windjammer“-Literatur. Auch Film,
Funk und Fernsehen taten das ihre dazu. Unter den Büchern fand sich Gutes — Allan Vil-
478
Besprechungen
liers, Basil Lubbock, Carl C. Cutler, Joan Lowell, L. Lacroix, im Deutschen: Ludwig
Albrand, Heinrich Hauser, Fred Schmidt, Ernst Weitendorf — neben viel mehr Mittelmaß.
Die Guten berichteten, beschrieben schlicht und sauber, doch die meisten Verleger nutzten
den weltweiten Trend und verkitschten die „last days of the sail“ in weiß und blau. Doku-
mentarisiert wurde im allgemeinen wenig, am ehesten noch im Bereich von Schiffbau und
Segeltechnik. Der Mensch und sein Leben, Wohnen, Arbeiten an Bord der Tiefwassersegler
war selten mehr als malerische Randfigur des romantisierten Gemäldes aus turmhohen weißen
Segeln, roaring forties, Shantysang und Harmonikaklang nebst kaffeebraunen Malayen-
mädchen.
Um so bereitwilliger zeigen wir hier Leclercqs geschmackvolles Bändchen an, das den
Leser mit der Epoche des letzten Jahrhunderts Großsegelei unter niederländischer Flagge
bekannt macht, die 1913 mit dem Verkauf der stählernen Viermastbark „Jeanette Françoise“
zu Ende ging. Knapp, doch ausreichend informativ werden beschrieben: Verval en opbloei
(um 1820), De klipperschepen (nach 1855), De ijzeren en stalen schepen (nach 1885). Es folgt
ein Kapitel Segeltechnik (Top en takel) und schließlich der den Volkskundler am meisten
interessierende Abschnitt Leven en werken aan boord. Mehr als ein Fünftel des Buchinhalts
ist diesem Thema gewidmet. Man wird über Besatzungsstärke, Wacheinteilung, alle Arbei-
ten auf See und im Hafen, über Freizeitbeschäftigung, Verpflegung und Wohnweise an Bord
der Großsegler unterrichtet. Sehr ausführlich werden beispielsweise die im Laufe des 19. Jhs
erfolgten Veränderungen des Wohnens an Bord beschrieben und sogar in Foto und Schema-
zeichnung dargestellt. Wer nicht genügend mit der Seefahrt verbunden ist, könnte geneigt
sein, des Verfs Lob der holländischen Besonderheiten dieses vergangenen Schiffslebens für
übertrieben anzusehen, etwa wenn S. 79 gesagt wird: Bij de Nederlandse handelsvloot
was geen enkel ,hell-ship‘, oder S. 92: De kapiteins waren over het algemeen gemoedelijke,
rechtschapen mensen, oder S. 86: De Nederlandse kapiteins hebben over het algemeen,
anders da hun Britse collega’s die berucht waren om hun karigheid, wel goed begrepen hoe
belangrijk goede maaltijden zijn. Doch jeder Befahrene aus der Generation vor uns wird das
gern bekräftigen, und noch heutigentags gilt unter den Seeleuten der nordeuropäischen
Küstenfahrt die niederländische Flagge als Symbol für Gemütlichkeit, fast familiäre Kame-
radschaft und kulinarisches Wohlleben an Bord — nicht anders als zu Zeiten, da Richard
Wossidlo in Dutzenden seemännischer Sprichworte und Redensarten diesen selben Zustand
erhärtet fand.
Eine besondere Erwähnung verdienen die Abbildungen in L.s Buch: die instruktiven
Schemazeichnungen der Takelungs-Details, die seltenen Werftfotos (Abb. 25, 26, 30),
die schönen Reproduktionen alter Segelschiffsgemälde. Dieses Utrechter Bändchen gehört
in die Hand aller in Seefahrtsmuseen und maritimen Forschungsgruppen tätigen Ethno-
graphen.
Wolfgang Rudolph, Berlin
Alphons Silbermann, Vom Wohnen der Deutschen. Eine soziologische Studie über das Wohn-
erlebnis. Frankfurt a. M., Hamburg 1966. 131 S.
„Warum wohnen die Menschen so wie sie wohnen und mit welcher Wirkung?“ — diese
Frage zu beantworten und damit im Zusammenhang das Phänomen „Wohnen“ überhaupt
empirisch zu untersuchen, ist das Anliegen des Verfs.
Die Studie gründet auf demoskopischen Erhebungen, die zwischen 1961 und 1962
durchgeführt wurden. Der Hauptbefragung im Raum Köln und Bergneustadt schloß sich
eine Untersuchung zu Zwecken des Vergleichs an, die einen repräsentativen Querschnitt
der westdeutschen Bevölkerung erfaßte. Aufschlußreich erscheint der Versuch, den Ein-
flüssen der Massenkommunikationsmittel, speziell der Presse, auf die Wohngestaltung
nachzugehen. Der Verf. führte unter anderem Inhaltsanalysen von Ausstattungszeitschriften
und Möbelprospekten durch, die auf die in den Zeitschriften verwerteten Stimuli ausgerichtet
wurden.
Besprechungen
479
Im ersten Kapitel Soziologische Vorbemerkungen verweist S. auf den mißverständlichen
Gebrauch des noch unspezifizierten Begriffs „Wohnen“. Dem entgegen setzt er seine Be-
stimmung des Ausgangspunktes und Gegenstandes der Soziologie des Wohnens, wonach
das Wohnen“ aus den „Beziehungen des Einzelwesens und der Gruppe bzw. der Grup-
pen4” heraus zu erforschen ist. Wohnen wird als „Verhalten der Gesellschaft“ betrachtet
und das Wohnerlebnis als „beobachtbarer und daher erfaßbarer sozialer Tatbestand“ an-
gesehen. # _ • 1 cc
Das Wohnerlebnis, die Frage nach seiner „sozialen“ Bestimmung und seiner „sozialen
Wirkung stehen so auch im Mittelpunkt der Untersuchung, die sich allerdings nur auf das
Wohnzimmer bezieht und die übrigen Räume der Wohnung außer acht läßt. Eine Erfassung
des Wohnungsganzen hätte zweifellos die Aussage der vorliegenden Ergebnisse verstärkt.
S. berichtet über Wohnsitz, Wohnstandard und über Leitbilder für die Einrichtung des
Wohnzimmers. Er demonstriert Vergleiche zwischen den Wohnungen der Befragten und
denen der Eltern und Bekannten, um die Bedeutung jener Aspekte wie Nachahmen,
Beeinflussen und Mitempfinden bei der Abänderung bestimmter „Verhaltensmuster“ zu
beleuchten Hier wie in den folgenden Abschnitten über das Wohno er halten in der freien
Zeit und die Wohnkultur zeigen sich deutlich Anknüpfungspunkte für eine volkskundliche
Forschung- denn sie kann — beispielsweise von der Untersuchung der Lebensweise be-
stimmter sozialer Gruppen ausgehend - Wesentliches über die Triebkräfte bei Veränderun-
gen des Wohnverhaltens wie der gesamten Wohnkultur ergänzen. Der Verf. beabsichtigte,
Sowohl der Wissenschaftlichkeit als auch der Praxis“ dienlich zu sein. Er vermochte es,
insbesondere für die Tätigkeit der Architekten, Städteplaner, Dekorateure, Möbel hersteiler
und-händler interessante Gesichtspunkte aufzuzeigen.
Die Studie verdient das Interesse des Volkskundlers, der hier Anregungen erhalt, Be-
deutung und Wesen bestimmter Begriffe — wie Tradition, Nachbarschaft und Gemeinschaft
- in Zusammenarbeit mit der Soziologie erneut zu durchdenken.
Ute Mohrmann, Berlin
Werner Radig, Das Bauernhaus in Brandenburg und im Mittelelbegebiet. Berlin, Akademie-
Verlag, 1966. 104 S., 73 Zeichn., Kart., Fotos (= Veröffentlichungen des Instituts für
deutsche Volkskunde der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 38).
Die nicht umfängliche, aber in jeder Hinsicht gediegene Publikation in der Reihe der
landschaftlichen Bauernhausmonographien in der DDR umfaßt ein geographisches Gebiet,
in dem sich nach Haus- und Hofform, Gefüge, Baumaterial und Konstruktion wie auch
Funktion verschiedene Typen mischen: niederdeutsche, die auch südlich von Berlin in
den Kreisen Luckenwalde und Jüterbog sowie östlich davon in den Kreisen Seelow und
Fürstenwalde angetroffen werden, im Laufe der Entwicklung aber immer mehr von mittel-
deutschen und in jüngerer Zeit entstandenen überlagert und verdrängt worden sind, aber
auch — im Südosten des Territoriums — Block- und Umgebindehäuser. Diese Vielfalt gibt
Gelegenheit, bei ihrer auch kartographischen Erfassung die einzelnen Typen unter anderem
auch nach ihren geschichtlichen Zusammenhängen zu charakterisieren und dem Leser ein
Material an die Hand zu geben, das auch für Forschungen in Nachbargebieten überaus
nützlich sein wird, zumal es so dargeboten ist, daß man es wie eine kleine Enzyklopädie
verwenden kann. Wo immer es zulässig ist, wird bei der Darstellung der geschichtlichen
Entwicklung bis auf die Frühgeschichte zurückgegriffen. Daß in den Methoden der Haus-
kunde überall der neueste Stand beobachtet ist, versteht sich innerhalb eines Institutes
von selbst, das an der Herausarbeitung dieser Verfahren, z. B. der Rücksicht auf die Be-
deutung der Gefüge, seinerseits hervorragend beteiligt ist.
Innerhalb der Behandlung der sogenannten Nebenbauten wie der stets reizvollen Ställe
mit Oberlauben und der Taubenhäuser erscheinen mir die Mitteilungen über turmartige
Speicher im Hinblick auf verwandte Formen in anderen Landschaften (z. B. den Laimes)
besonders wertvoll. Es dürfte sich hier um Traditionsträger der vielgestaltigen Gattung
480
Besprechungen
von einer Art Schatzhaus handeln, das ursprünglich wohl nicht auf das ländliche Bauwesen
beschränkt, sondern auch dem bürgerlichen bekannt war. Wenn nicht alles trügt, zeigt
z. B. der heutige Organismus des Rathauses in Weißensee in Thüringen die Spuren eines
solchen Speicherturmes, den sich die Gemeinde vermutlich im 13. und 14. Jh. im Hofe
ihres Rathauses errichtete. (Es sei die Hoffnung ausgesprochen, daß dieser interessante Rest
der geplanten Umgestaltung des Gebäudekomplexes nicht zum Opfer fallen möge.) In
jedem Fall ist hier wie anderwärts die Dokumentation der Baudenkmale notwendig und
eine Forderung des Tages. Der Zusammenhang solcher Erscheinungen mit turmartigen
Eigenbefestigungen in den Wohnhöfen von Patriziern und Feudalen innerhalb von Städten
(z. B. der von mir als Kemenate gedeutete Baurest in der Gebäudegruppe Barfüßerstraße 6
in Nordhausen) sollte näher untersucht werden.
Doch war das nicht die Aufgabe der vorliegenden Veröffentlichung, die ihrem Ziel einer
ersten Überschau voll gerecht wird. Der seit Jahrzehnten als sachkundig ausgewiesene
Verf. wurde bei der Erfüllung seines Auftrages durch Mitarbeiter des Institutes für deutsche
Volkskunde, so durch Reinhard Peesch, und durch Beiträge zur eindrucksvollen Bebilderung
wie Pläne und Bildkarten von Hans-Jürgen Rach unterstützt.
Hermann Weidhaas, Weimar
Vaclav Frolec, Die Volksarchitektur in Westbulgarien im 19. und zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts. Brno 1966. 164 S., 83 Abb., 43 Taf. (— Opera Universitatis Purkynianae
Brunensis 108).
Die Arbeit ist den ethnographischen Studien zur Hausforschung zuzurechnen, wie sie
in jüngster Zeit insbesondere für manche sozialistische Länder bezeichnend sind, wie wir
sie jedoch vor allem in Deutschland noch immer vermissen. Dementsprechend bilden
neben Ausführungen zur Entwicklung des westbulgarischen Hauses Untersuchungen über
die Beziehungen zwischen der Gestaltung des Hauses und dem Leben der Bewohner, jeweils
im historischen Zusammenhang gesehen, den Schwerpunkt der Publikation.
Das Wohnhaus Westbulgariens erscheint in früherer Zeit sowohl als Grubenhütte als
auch als ebenerdiges Gebäude. Von ihnen erregte insbesondere das erstere, meist als bordej
bezeichnet, das Interesse der Forschung, ohne daß es bislang gelungen wäre, die für seine
Entstehung entscheidenden Faktoren eindeutig aufzuzeigen. Doch spielten dabei ohne
Frage allgemein geologische Besonderheiten (z. B. der Lößboden) und im speziellen Fall
Westbulgariens, wo diese Gebäudeform selbst im 19. Jh. noch weit verbreitet war, vor allem
die niederdrückenden Verhältnisse zur Zeit der türkischen Besetzung eine bedeutsame
Rolle. Die gleichen sozial-ökonomischen Ursachen sieht der Verf. hinter dem Auftreten
ellipsenförmiger oder kreisförmiger Dachhütten. Ebenerdige Häuser wie die Grubenhütten
unterlagen den gleichen Entwicklungstendenzen. Beiden gemeinsam ist die Entstehung
aus dem Einraum, der kästa, sowie die spätere Erweiterung um die soba oder odaja, einen
hellen Wohnraum, sowie um den kiler, einen Wirtschaftsraum, der entweder als Vorrats-
raum oder als Stall Verwendung fand; entsprechend gliedert der Verf. diese jüngeren
Formen den Wohnspeicher- bzw. Wohnstallhäusern ein. Als charakteristisch für west-
bulgarische Häuser werden überdies der Türvorbau, der cardak, oder bei gestelzten Häusern
der Balkon aufgeführt.
Die besondere Bedeutung der Arbeit liegt — wie bereits betont — in den Ausführungen
des Verfs zum Wohnen, konkret gesagt: zu den Beziehungen zwischen der Struktur der
Familie und der Gestaltung der Gebäude. Wie der Verf. eingehend darlegt, fanden Blüte,
Niedergang und Auflösung der zadruga, die als Familien- und Wirtschaftsform bei den
Westbulgaren bis in den Beginn des 20. Jhs resthaft bewahrt blieb, bezeichnenden Nieder-
schlag in der Volksarchitektur. So kannten Großfamilien bis zu 200 Mitgliedern und mehr
als Wohnform den Haufenhof mit mehreren, der Zahl der Familien entsprechenden Einraum-
häusern, von denen jedoch immer nur das Haus des staresina eine Feuerstätte enthielt.
Nach der Verkleinerung der Familien bis auf höchstens 60 Mitglieder genügte nunmehr
Besprechungen 481
seit der Mitte des 19. Jhs das mehrräumige Wohnhaus, wobei sich Wohnweisen heraus-
bildeten wie sie auch für andere slawische Gebiete, so z. B. durch Sofia Svecovä (Haus-
und Familienform in der Slowakei. In: DJbfVk 13/1967 S. 89), aufgezeigt sind. Mit der
Auflösung der zadruga erscheint schließlich das Doppelhaus, eine meist symmetrische
Anlage, in der fraglos der Wunsch nach Bewahrung gewisser Wohngemeinschaft unter
Brüdern und Geschwistern zum Ausdruck gelangt.
Zahlreiche Abbildungen und Tafeln illustrieren die interessanten Darlegungen des
Verfs die neben dem Aufgezeigten u. a. auch Ausführungen zu Baumaterial, Brauchtum
und Haus sowie zu den Wirtschaftsgebäuden umfassen. Wenn dem Hausforscher speziell
ein Wunsch offen bleibt, so ist es der nach besonderen Schnittzeichnungen der besprochenen
Gebäude, die in der Publikation ausschließlich im Grundriß dargeboten werden. Um die
Gesamtstruktur eines Gebäudes erfassen zu können, ist es aber u. E. immer wünschenswert,
den Grundrissen Längs- und Querschnitte hinzuzufügen.
Karl Baumgarten, Rostock
Franciszek Klonowski, Drewniane budownictwo ludowe na Mazurach i Warmii (Die
" Holzbauweise in der Volksarchitektur Masurens und Ermlands). Olsztyn, Pojezierze,
1963. 250 S., 150 Abb., 3 Taf., 12 Karten, Zeichn. u. Pläne.
Das vorliegende Buch ist eine bemerkenswerte Untersuchung, in der K. einmal die
bisherigen einschlägigen Arbeiten polnischer und deutscher Forscher kritisch beleuchtet
und zum andren- vor allem auf Grund eigener Terrainuntersuchungen - zu einer neuen
Synthese gelangt Nach der Einleitung, in der ein Überblick über die Literatur und ein
Abriß der geographischen Verhältnisse in Masuren und im Ermland, der historischen Ent-
wicklung und schließlich der Siedlungsformen geboten wird folgen Darstellungen über
die Konstruktion des Hauses, über seine innere Gliederung und ein Schlußkapitel mit An-
merkungsapparat, Literaturverzeichnis, eng isc em es. u- a- .
K geht bei der Einschätzung der Siedlungsformen und der Entwicklung des masurischen
und «inländischen Hauses konsequent von den historischen und sozialökonomischen Be-
dingungen aus, wobei er reiches Vergleichsmaterial heranzieht. An einigen Stellen seiner
Arbeit betont er zu Recht, daß die Entwicklung der Volkskultur in Masuren und im Erm-
land unter anderen historischen Bedingungen als in den übrigen Gebieten des heutigen
Polens verlaufen isf Während im frühen Mittelalter in diesen Gebieten preußische Stämme
Verleiten kamen im i« Ih. nach dem Eindringen des deutschen Ritterordens neben deut-
schen Kolonisten vor allem zahlreiche slawische Einwanderer aus Masowien dorthin,
welche die Kultur dieses Gebiets wesentlich beeinflußten. Zeichen dafür sind u a. die gegen-
wärtigen Siedlungstypen, die durch Umbau mittelalterlicher Rundlinge und Straßendörfer
entstanden sind. Eine wichtige Ergänzung zu diesen Dörfern bildeten vom 17. bis 19. Jh
die Mühlen Schmieden und Schenken. Bemerkenswert ist die Feststellung des Verfs, daß
die Hofanlagen bei denen die Anordnung der Wirtschaftsbauten vor allem dem Terrain
angepaßt wurde’ - auch in den alten Dörfern - durch Zäune eingehegt waren.
Für Masuren’ist die Blockbauweise typisch. Ihr schenkt der Autor hinsichtlich der Ent-
wicklung und der Konstruktion besondere Aufmerksamkeit. Viel weniger verbreitet sind
Bauten mit Ständer-Konstruktion, die in dieser Gegend offenbar jünger sind. K. erklärt in
Übereinstimmung mit anderen Forschern die Bevorzugung dieser beiden Konstruktionen
vor allem aus den natürlichen und sozialökonomischen Bedingungen und vermag über-
zeugend einige Theorien zu widerlegen, die häufig in unkritischer Weise überall nur nach
ethnischen Bedingungen suchten. Bei der Aufzählung der Gebiete, in denen Bauten mit
Ständerkonstruktion Vorkommen, hat er einige Landschaften des Balkans ausgelassen, vor
allem Slawonien, wo das Vorkommen von Laubbäumen auch die Anwendung dieser
Konstruktion notwendig gemacht hat; die Eckständer sind dort ähnlich wie in Polen unten
in Schwellbalken eingelassen und oben in einen Kranz, der die Wände abschließt. - Bei
den Fachwerkbauten, die ohne Zweifel mit dem deutschen Ethnikum Zusammenhängen
und vor allem im nördlichen Ermland Vorkommen (Fragmente von Fachwerk findet man
freilich auch in den angrenzenden Gebieten), konnte K. wenigstens annähernd die Ent-
482
Besprechungen
stehungszeit festlegen. — Der Verf. widmet hier auch der Konstruktion von Türen und
Fenstern besondere Aufmerksamkeit, weiterhin den Decken, Fußböden, Satteldächern, dem
Dachmaterial (Stroh, Schilf) und den Giebelformen, die mit ihrer reichen Verzierung, ihrer
horizontalen Gliederung und mit den verschiedenen Arten der Verschalung zu den charak-
teristischsten Merkmalen dieses Fachwerkhauses gehören und Zeugnis für die hohe Ent-
wicklung des dortigen Zimmermannshandwerks ablegen.
Vom Standpunkt der inneren Gliederung des Hauses, die K. für ein sehr wichtiges Kri-
terium hält, unterscheidet er in dem Untersuchungsgebiet zwei hauptsächliche Grundriß-
formen: die zweigeteilten und die dreigeteilten Häuser. Jede dieser Formen hat wiederum zwei
Varianten : eine erste, ältere, in der der Wirtschaftsteil sich unter einem Dach mit dem Wohn-
teil befindet und eine zweite, jüngere, in der der Wirtschaftsteil bereits außerhalb des Hauses
liegt. Der Eingang zu den Häusern beider Formen befindet sich an der Traufseite. Neben
einem einfachen Grundriß (Stube, Flur) begegnet häufiger eine mannigfaltigere Gliederung
des Hauses (bis zu vier Stuben, Flur, Küche und Kammer). Nur am Rande behandelt der
Verf. die Einrichtung des Hauses und die Wohnweise.
Im Kapitel über die Entwicklung des masurisch-ermländischen Hauses polemisiert K.
gegen eine Reihe deutscher Forscher, vor allem gegen M. Philipp, E. Riemann und E.
Schimansky, die in ihren Arbeiten jegliche slawischen Einflüsse leugnen. Demgegenüber
bemühen sich A. Boetticher, R. Dethlefsen, F. Dittrich und E. Schnipel, der objektiven Wahr-
heit näherzukommen: Sie erkennen slawische Einflüsse an. Während also die deutschen
Forscher sich über den Ursprung des masurisch-ermländischen Hauses nicht einigen können,
sind die polnischen Ethnographen, von denen die älteren (J. Karlowicz, Z. Gloger, K.
Moszyriski, L. Puszet) dieses Haus nur aus der deutschen Literatur kannten, der einhelligen
Meinung, daß das polnische Element einen entscheidenden kulturellen Beitrag zur Ent-
wicklung des masurisch-ermländischen Hauses geleistet hat. Zu dieser Ansicht ist auch K.
auf Grund seiner eigenen Untersuchungen gekommen. Doch erkennt er durchaus auch —
in Übereinstimmung mit anderen polnischen Forschern — fremde Einflüsse, vor allem prus-
siche, an. Er betrachtet das masurisch-ermländische Haus als einen Teil des nordslawischen
Hauses und lehnt grundsätzlich fränkische Einflüsse, von denen einige deutsche Ethno-
graphen schreiben, ab; als einen der Gründe für diese Behauptung führt er die volkstüm-
liche Bezeichnung polnische Küche (polska kuchnia) für die schwarze Küche an, die sich
in der Mitte des Flurs befand und etwa seit dem 18. Jh. eine breite, gewölbte Esse hatte.
Wenn auch diese polnische Küche ein Spezifikum Masurens und des Ermlands ist, so meint
der Rez. doch, daß größere Zusammenhänge nicht ausgeschlossen werden können. Auch ein
Nischenherd in der Wand neben dem Backofen bzw. zwischen der Stube und dem Flur,
der als krb (kominek) bezeichnet wird, war z. B. allgemein in Böhmen verbreitet und diente
nicht nur zum Kochen, sondern wahrscheinlich auch zur Beleuchtung. Der Verf. läßt diese
Tatsache zwar mit Berufung auf Schnippei (137) gelten, bringt sie aber in keinen Zusam-
menhang mit dem auf S. 108 beschriebenen Herd. — Unserer Meinung nach ist auch die
Grundrißentwicklung nicht genügend exakt formuliert: K. setzt nämlich nach E. Schi-
manski einerseits die Existenz von Wohnstallhäusern voraus, auf der anderen Seite nimmt
er jedoch — vor allem auf der Grundlage zahlreicher Analogien zu anderen slawischen Ge-
bieten — die Hinzufügung einer getrennten Kammer zur Wohnung spätestens im 15. Jahr-
hundert an. Wir meinen, daß einige tatsächlich sehr komplizierte Probleme hätten gelöst
werden können, wenn K. versucht hätte, die Frage zu klären, ob im masurisch-ermländischen
Haus die Stube oder der Flur primär waren. K. bringt in dieses Problem auch eine gewisse
Verwirrung durch die Behauptung, daß L. Puszet ebenso wie A. Dobrowolska die selb-
ständige Entstehung und Entwicklung des polnischen Hauses durch eine Verbindung der
Stube mit dem getrennt stehenden Speicher annähmen (160); auf S. 176 jedoch sieht er mit
einer Berufung auf dieselbe Arbeit A. Dobrowolskas die Keimzelle des masurischen Hauses
im Flur, zu dem durch die spätere Entwicklung Stube und Kammer hinzugefügt worden
seien. Eine ähnliche Vorstellung über den Flur vertritt auch E. Riemann, dessen Arbeiten
vom Ende der 30er Jahre ohne Zweifel der damaligen reaktionären Ideologie verpflichtet
waren. Es wäre also tatsächlich nutzbringend, diese Frage konsequent zu untersuchen, da
allein schon das Wort jizba (Stube) zur Bezeichnung des ganzen Hauses aufschlußreich ist.
Die Arbeit weist einige mehr formale Mangel auf so unlogisch« Verfahren bei der Er-
läuterung einzelner Erscheinungen (;;), fehlerhafte Zmerwe.se (z. B. in der Anmerkung ..
auf S. zz3, in Anmerkung zr auf S. zz4 und anderswo). Die Reproduktion der Bildbeilagen,
vor allem eines sonst sehr interessanten Stichs aus dem iS. Jh. (52), ist nicht immer ge-
1U Trotz der gemachten Einwände ist K.S Studie nicht nur als ein großer Beitrag zur Kennt-
nis der polnischen, sondern auch der europäischen Volksarchitektur anzusehen.
Edit Fel - Tamäs Hofek, Husaren, Hirten Heilige Menseheniarstellungenin der unga-
rischen Volkskunst. Budapest, Corvma Verlag, (1966). 67 S. Text mit 17 Abb., 8 Färb-,
40 Schwarzweißtaf.
p , , Büchleins sind über die Grenzen ihres Heimatlandes hinaus
Die Verf. des vorliegenden Ducmeii o . .
, .. . , ° ; uen Ethnographie seit langem bekannt. Ausgewiesen haben
a s eprasen an en e ^ Themen der bäuerlichen Volkskultur des Karpaten-
sie sich durch zahlreiche Studien uDci ae ...... ,. ^ 1 .
beckens. In den letzten Jahren erregte ihre Arbeit über die Gemeinde Ä.any allgemeine
Aufmerksamkeit durch solide Sachkenntnis, mit der sich interessante theoretische Über-
legungen und methodische Verfahrensweisen ver in en. . .
Daß bei diesen, zum Teil neue Wege beschreitenden Untersuchungen im Laufe der Zeit die
Möglichkeit thematischer Querschnitte heranre.ft, beweist die zur Besprechung stehende
Untersuchung. Hier wird ein Ausschnitt aus den vielfältigen Äußerungen der Volkskunst,
die Darstellung des Menschen, mit Hilfe der in der Kunstgeschichte entwickelten ikono-
. . . i :„*.prnrptieft. Die Auswahl des Stoßes wird mit seiner besonderen
grap isc en e o e . innerhalb der Volkskunst hervorhebt und auszeichnet.
ÄÄV —ar “1in ^„ft d,e b“
Gedankenwelt und Lebensweise aus, in der sie entstanden sind; sie stellen Personen dar, die
, tj irhricr sind und zwar in der Gestalt, in der sie im Bewußtsein der Bauern
kben Die Art und Weise’ wie sie geformt sind, läßt die ästhetischen Normen, die künstle-
rische Anschauungsweise einer eigenartigen Kultur erkennen“ (7) Damit ergeben sich über
die Sachstudie hinausweisende Aspekte auf eine Theorie der Volkskunst.
Solche Fragen werden dann auch - nach einer einleitenden Orientierung über Grund-
Besprechungen
483
Ein besonderes Kapitel widmet der Verf. den Vorlaubenhäusern (chalupy podcieniowe)
le i-auben stellen ein weiteres Hauptkennzeichen des ermländischen Hauses dar und zeugen
nltrn vtrif* Air* (Tiphpl \rnm nnnpn S\far>H /-J^o • 1 ^°
verfolgt.
Josef Vareka, Prag
484
Besprechungen
Spiegel- und Rasiermesserbehälter, Streichholzschachteln, Hirtengerät, verschiedene Arten
von Textilien, Flaschen, Krüge, Salzfässer) und stellt die Frage nach dem Anlaß zu ihrer
Verzierung. Die Verf. gehen bei der Klärung dieses Problems vor allem der Funktion der
Geräte nach (Minne-, Hochzeits- und Festgaben, Repräsentation eines Berufs- oder Standes-
bewußtseins, Objekte des Schaden-, Heil- und Fruchtbarkeitszaubers, Masken des winter-
lichen Brauchkreises) und informieren über die dargestellten Personen. Den Reigen der
Figuren führen die Hirten an. Ihnen folgen Soldaten und Bauern, beliebt sind Bilder der
Betyären. Daneben finden sich Märchenhelden, Könige, Heilige und — erstaunlich häufig —
Selbstbildnisse. Von besonderer Originalität ist die Gravierung auf einem Salzfaß aus Rin-
derhorn, die den bekannten ungarischen Ethnographen Otto Herman und seine Frau zeigt.
Der Eigenart des künstlerischen Ausdrucks gilt ein Kapitel, das die Verf. speziell den
stilistischen Mitteln ■der Hersteller gewidmet haben. Als kennzeichnend werden vor allem
eine gewisse Steife und Wortkargheit der Darstellung sowie der Symbolgehalt hervor-
gehoben, von dem die Details erfüllt sind. „Persönliche, individuelle Züge werden zumeist
fallengelassen, andere Züge und Attribute hingegen beibehalten oder sogar betont, als ob
ein Sieb zwischen dargesteller Person und der Darstellung eingesetzt wäre: das Sieb der
bäuerlichen Kenntnisse und Wertschätzungen, das Wesentliches vom Unwesentlichen
trennt; das Sieb hebt die Attribute hervor, die als ein besonderes Symbolsystem auf Schritt
und Tritt wieder kehren und die verschiedenen Menschentypen unterscheiden.“ Abschlie-
ßende Betrachtungen befassen sich mit den Schöpfern der Bildwerke und stellen die Frage,
inwieweit die Darstellungen ungarisch und bäuerlich sind. Das Nationale spricht aus dem
oft eingefügten Nationalwappen, aus der Tracht (typisch besonders der Szur-Mantel, der
mit der Fellseite nach außen gekehrte Pelz und die sog. Gatya: weite, faltig fallende Leinen-
hosen, wie sie schon die Skulptur eines romanischen Säulenkapitells in der restaurierten
Burgkapelle zuEsztergom zeigt). Es repräsentiert, in größerem Zusammenhang betrachtet,
den „lokalen Dialekt“ der mitteleuropäischen bäuerlichen Lebensform — eine Auffassung,
die der ungarischen Volkskundeforschung seit langem zugrunde liegt und die Gyula
Ortutay auf dem Budapester Kongreß 1963 temperamentvoll und überzeugend vertrat.
Das Büchlein empfiehlt sich auch durch seinen vortrefflichen Bilderschatz, den es mit den
vorangegangenen Bänden dieser Reihe teilt. Rund und ganz: ein wertvoller Beitrag aus der
Feder zweier berufener Autoren, der auch in Form und Ausstattung Freude macht.
Rudolf Weinhold, Dresden
Hans-Ulrich Roller, Der Nürnberger Schembartlauf. Studien zum Fest- und Masken-
wesen des späten Mittelalters. Magstadt, Horst Bissinger K. G. Verlag, 1965. 263 S.,
40 Abb. (= Volksleben, Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität
Tübingen 11.).
Der fastnachtliche Nürnberger Schembartlauf — sicher bezeugt für die Zeit von 1449
bis 1539 — ist eine der interessantesten Erscheinungen des europäischen Fest- und Masken-
wesens an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Vor allem anderen Festwerk dieser Zeit
bietet der Schembartlauf der Forschung insofern ein besonders ergiebiges Arbeitsfeld, als
er in einer Vielzahl von Schembartbüchern aus dem 16./17. Jh. in den Details seines Voll-
zugs und in seinen Bestandteilen durch Bild und Text dokumentiert ist. Durch chroni-
kalische Nachrichten und durch die Erlässe des Nürnberger Rates zum Schembartlaufen
wird das Belegmaterial noch verdichtet.
Angesiedelt in einer Periode, in der sich bäuerliches, höfisches und städtisches (in diesem
wieder handwerkliches und patrizisches) Brauchtum und Festwerk mischen und in der
agrokultisches Brauchtum erstmals umfassender dokumentarisch faßbar wird, hat der
Schembartlauf als Gesamterscheinung und in seinen Elementen verschiedenartige Deutungen
und Interpretationen erfahren.
R. kann deshalb in seinen Studien die Summe einer vielfältigen Behandlung dieses Gegen-
standes ziehen. Seine Arbeit zeichnet sich dadurch besonders aus, daß diese Sichtung auf der
Besprechungen
485
soliden Basis einer historisch-kritischen Betrachtungsweise erfolgt, die es ihm ermöglicht,
der Schembartlaufforschung gesicherte Grundlagen zu schaffen.
Das erste Kapitel der Studien ist den Schembartbüchern gewidmet, von denen uns ca. 80
bekannt sind. Sie sind als Gesamtdarstellungen der Schembartläufe wahrscheinlich erst
entstanden, nachdem in Nürnberg 1539 der letzte Schembart gelaufen war. Ob Einzel-
blätter mit5 bildlicher Darstellung bereits existierten, als der Lauf noch im Brauch war, bleibt
ungewiß. In der zweiten Hälfte des 16. Jhs und im 17. Jh. rücken die Schembartbücher
thematisch und funktional in die Nähe der Wappen- und Geschlechterbücher: Sie entstehen
aus dem „Streben nach Repräsentation und Selbstdarstellung“, sie sind „Ausdruck einer
patrizischen Renaissancegesinnung“ (10, 16). R. behandelt die Beantwortung der Frage
nach der Authentizität der Schembartbücher als historischer Quelle mit aller Vorsicht. Da-
tierungen und gegenseitige Abhängigkeit sind trotz intensiver Vorarbeiten (Brüggemann
und Sumberg) noch als weitgehend ungeklärt zu betrachten.
R gelangt zu der Feststellung, daß die Schembartbücher zur Erklärung des Schembart-
lautes selbst und zur Interpretation seiner Teile (Masken, Läufer, Hölle) relativ wenig
hergeben Sie stellen der Forschung vielmehr lediglich die Aufgabe; für deren Lösung
allerdings ist man auf „andere Quellen“ angewiesen Diese bieten sich oft in „formähnlichen
Phänomenen aus verschiedenen Zeiten und Gegen enan (i 8),
Hier rührt nun R an den kritischen Punkt der Schembartforschung der letzten fünfzig
lahre Auf eben diesem Gebrauch (und zwar willkürlichem Gebrauch) formähnlicher Er-
schehiungenmis verschiedenen Zeiten und Gegenden für die Deutung des Schembart.
laufcs (wie überhaupt fastnachtlichen Brauchtums) basierten die von R charakterisjerten
beiden Betrachtungsweisen; Zum einen die mit den Namen Mannhardt Andree-Eysn,
Rudwin, Sumberg und Brüggemann verbundene die den Schembartlauf m Beziehung
setzte zu ftuchtbatkeitskultischem Früh]ahrsbrauchtum, und zum anderen die Richtung,
die - repräsentiert von Hofier und Stumpfl - ihn von der kultischen Funktion germanischer
Männerbünde her bestimmt sah. Aus dem Faktenrepertoire insbesondere der Ethnologie
und der germanischen Altertumskunde wurde das vergleichende Material entnommen; d.e
Analogie der Erscheinungen wurde dann (auf der Grundlage bestimmter Theorien, u a.
der Naumannschen „vulgus“-Konzeptlon sowie der nazistischen völkischen Auffas-
sungen) als ihr wirklicher, historisch-konkreter Zusammenhang, als ihre historische Genesis
oder gemeinmenschliche Substanz prätendiert und konstruiert. Die völkische Richtung,
insbesondere Hofier und Stumpfl, ging sogar sowem das Fastnachtsbrauchtum ,m Jh.
, , . ,aetraaenes kultisches Ethos bestimmt zu sehen.
durch ein von Männer bunden getragene au- , c
Die Tatsache daß - wie R. zeigt - beide Richtungen noch heute ihre Anhängerschaft
haben macht die grundsätzliche wissenschaftlich-theoretische und auch weltanschauliche
Bedeutung der Problematik sichtbar, in der man sich hier bewegt.
tj distanziert sich nachdrücklich von den genannten willkürlichen Deutungen. Er halt
im Verlaufe seiner Darlegungen die theoretisch-methodische Reflexion für sich und den
T eser immer wach und bewahrt auf diese Weise die positive kritische Haltung gegenüber
der bisheriaen Forschung und den sorgsam abwägenden Blick für die historische Realität.
Erklärtermaßen stützt sich R. auf die Methodik der Fastnacht- und Maskenforschung,
sic Runs Moser in seinem Aufsatz Zur Geschichte der Maske in Bayern {Masken in
Mitteleuropa hg v L. Schmidt, Wien 1955) intendiert hat: genaue Erforschung der quellen-
mäßig belegten Fastnacht; Erkenntnis der zeitbestimmten und sozialgebundenen Funktion
ClC RF bcLanddt unteTdiesem Aspekt die vielfältige Problematik des Schembartlaufes: seine
Fntstehun« die Läufer, die Einzelmasken, die mitgeführten Höllen, das Verhältnis des
Schembartlaufes zum Fastnachtspiel. Er untersucht den Festumkreis und den soziologischen
Hintergrund des Schembartlaufes sowie die soziale und historische Bedingtheit des Last-
nachtsbrauchtums. Von besonderer Wichtigkeit ist der theoretische Abschnitt zu Form und
Funktion des Schembartlaufes. Der Abdruck einer Reimchronik über den Schembartlauf,
der Text eines Schembartbuches, ein Bericht vom Schembartscharmützel, weiterhin ein tabel-
larischer Überblick über die Läuferzahlen, über Hauptleute, Schmuckformen und Anlauf-
orte in den verschiedenen Jahren, eine Reihe von Abbildungen, ein Verzeichnis der Schem-
32 Volkskunde
486
Besprechungen
barthandschriften und ihrer Standorte (hier ist allerdings nach Sumberg der Vorkriegsstand
festgehalten) erleichtern die Übersicht und die Bewältigung des umfangreichen Materials
und gewähren dem Leser zu jeder Zeit ein von den Quellen her informiertes Mitgehen mit
den Erörterungen des Verfs.
Im Ergebnis seiner Untersuchungen gelangt R. zu der Feststellung, daß der patrizische
Schembartlauf nach anfänglicher Gebundenheit an den Zämertanz der Metzger seit der
zweiten Hälfte des 15. Jhs zu einem Schauspiel für die ganze Stadt wurde, „nicht mehr
innere Bestätigung und festliche Lebenserhöhung einer kleinen Gruppe (war), sondern eine
auf Wirkung bedachte Demonstration einer ganzen sozialen Schicht, die auf Grund ihrer
Stellung in der Machthierarchie die ganze Stadt repräsentiert“ (175). „Für die Teilnehmer
war es eine glänzende Möglichkeit der Unterhaltung und zur Demonstration ihres Reich-
tums“ (177).
Die Bezeichnung „Brauch“ ist für die Charakterisierung dieser Art Phänomene nicht mehr
zutreffend. Die Forschung hatte schon verschiedentlich den Begriff erweitert, indem sie in
bezug auf den Schembartlauf und die Nürnberger Fastnachtsumzüge Begriffe wie „Brauch-
zwang“ (denn die Darbietungen wurden zuweilen vom Rat sogar angeordnet) oder „Brauch-
kunst“ (zur Bezeichnung der manipulierbaren, auf Unterhaltung aus gerichteten Gestaltung)
hinzuzog. Auch R. ist bemüht, den Brauchbegriff (er verwendet den von Dünninger) er-
gänzend zu erweitern. Huizingas Spieldefinition (aus dem Homo ludens) soll ihm als die not-
wendige Ergänzungsformel dienen. Der Wert eines solchen Verfahrens ist allerdings sehr
zu bezweifeln. Die abstrakte, verallgemeinerte und vor allem ahistorisch erworbene Formel
Fluizingas — unter die sich nahezu alle Kulturphänomene subsumieren lassen — ist wenig
tauglich, das Phänomen Schembartlauf wissenschaftlich klarer erfaßbar zu machen; der
Allerleitopf „Spiel“ kann nicht die nächste wissenschaftliche Verallgemeinerungsstufe der
durch die historisch-kritische Betrachtungsweise erworbenen differenzierten und spezi-
fischen Bestimmung des Schembartlaufes sein. Man bedenke, wie unhistorisch und auch wie
unwirklich Huizingas Auffassung vom Spiel als „freier Handlung“ doch ist; wie er darin
den Menschen in seinen kulturellen Gestaltungen und Leistungen herauslöst aus seinem
gesellschaftlichen Sein. Vom „Zwang“, den die Gesellschaft als in sich differenzierte, viel-
fach geschiedene und verbundene Gemeinschaft menschlichem Tun und Denken auf erlegt,
von den Alternativen, die insbesondere die menschliche Arbeit und ihre Art und Weise
(bei parasitär besitzenden Schichten die Nicht-Arbeit) dem Festwerk und dem Brauchtum
auferlegen, weiß Huizingas Homo ludens allzuwenig. Aber gerade für die soziologischen
Bestimmungen, die die Vertreter der historisch-kritischen Methode anstreben, sind diese
Aspekte und Fragestellungen von großer Wichtigkeit (vgl. u. a. F. Sieber, Aspekte der
Brauchtumsforschung, in: Wiss. Annalen 5,1956,497 — 503). Volkskundliche Untersuchungen
werden, wenn sie die Phänomene deuten und interpretieren, über den Bereich ihrer Disziplin
hinausgewiesen zur Erfassung allgemeiner gesellschaftlicher und kultureller Zusammen-
hänge. Es wäre zu wünschen, daß die Anhänger der historisch-kritischen Methode auch auf
diesem Gebiet einer Orientierung folgen, die dieser ihrer volkskundlichen Methodik wesens-
gemäß ist. Hinsichtlich der Behandlung des vorliegenden Gegenstandes könnte dies in
Annäherung an die Konzeption vom „Festwerk“ geschehen, wie sie F. Sieber gegeben hat
(Volk und volkstümliche Motivik im Festwerk des Barock, Berlin i960; besonders im Kapitel:
Funktionen des Festwerks). Von hier aus scheint mir dann auch der noch nicht zureichend
durchdachte und nicht genügend differenziert angewandte Begriff der ,Funktion' erst Prä-
gnanz und Klarheit und damit die ihm eigene wissenschaftliche Aussagefähigkeit zu er-
halten.
Die von R. in der vorliegenden Abhandlung demonstrierte Betrachtungsweise ist von
Wichtigkeit für die Orientierung der volkskundlichen Methodik überhaupt. Wir möchten
sie deshalb auch nicht als Methodik einer Schule („historisch-kritische Schule“, „Münchner
Schule“) eingeengt sehen. Das mindert in keiner Weise das Verdienst Hans Mosers, der die
historisch-kritische Erschließung des Fastnachtsbrauchtums unternommen hat; nur werden
dann neben ihm auch L. Schmidt, F. Sieber, W. E. Peuckert u. a. als Wegbereiter dieser
Brauchtumsforschung zu nennen sein.
Werner Lenk, Berlin
Besprechungen
487
Leopold Kretzenbacher, Ringreiten, Rolandspiel und Kufenstechen. Sportliches Reiter-
brauchtum von heute als Erbe aus abendländischer Kulturgeschichte. Klagenfurt, Verlag des
Geschichtsvereins für Kärnten, 1966. 228 S., 22 Textzeichn., 43 Abb. auf Taf. (= Buch-
reihe des Landesmuseums für Kärnten 20.)
Titel und Bildmaterial mögen beim ersten Blick auf Kretzenbachers Buch verblüfft und
die Frage aufgeworfen haben, wie man denn brauchtümliche Einzelerscheinungen des
deutschen Nordens und des Südens in einem Werk behandeln könne. Solches Wagnis zu
unternehmen war nur einem Manne möglich, der den Wechsel von seinem heimatlichen
Wirkungskreis im Süden des deutschen Sprachgebietes an die Kieler Universität vollzogen
hatte, der also nach langen Jahren intensivster Forschung sich der Begegnung mit anders-
artigem Land und andersartigen Menschen stellte. Als eine Frucht dieses Wagnisses mag
dieses Buch angesehen werden. Bisher nur wenig erforschte, scheinbar heterogene Sport-
bräuche werden durch K.s intensive kulturgeschichtliche Fundierung in einen weitgespann-
ten europäischen Rahmen gestellt. ^Vas K. als gegenwärtiges Brauchtum erlebte und im
Sinne Riehls erwanderte hat er durch sorgfältiges kritisches Sichten auf seine historischen
Quellen zurückgeführt, ¿aß das Aufspüren dieser Quellen freilich nicht ohne ein fast genial
zu nennendes Fingerspitzengefühl möglich war, wird der Leser gewiß bestätigen.
Nachdrücklich weist K. auf die Schwierigkeiten bei der Untersuchung der Kontinuität
einzelner Brauchtumserscheinungen über lange Zeiträume hin. Ausgehend vom altrö-
mischen Rekrutendrill am palus, dem Übungspfahl in der qumtana benannten Gasse des
römischen Lagers, verfolgt er zuerst den Entwicklungsgang des Reiterspiels mit dem
Lanzenstechen nach einem Zielring oder einem Schildträger als Gegnerphantom bis hin
zum mittelalterlichen Turnierspiel, das sich über das gesamte Abendland ausbreitet Der
Behauptung eines kultischen Ursprungs des agonalen Reiterbrauchtums geht K. gründlich
nach in der Untersuchung der Quellen: Die für germanische Opferriten bei den Langobarden
angezogene Stelle aus der legendären, im 9 Jh aufgezeichneten Vita des Hl Barbatus
erweist sich dabei ebenso wenig geeignet wie die Zeugnisse des 13. Jhsür das altenglische
Widderspiel (levatio des Widders), um aus ihnen germanische Urbilder der Ringreiter-
und Rolandspiele ablesen zu können. Der volle Abdruck der Quellentexte macht es ein-
sichtig, wie notwendig die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit solchen Thesen der
romantischen Volksforschung und insbesondere mit der leidigen Mythologisierungssucht
1StTm folgenden hebt K sorgsam die historischen und regionalen Schichten der Brauch-
erscheinulgen ab Die Westromania formt das Ritterspiel der Quintaine“ (27 ff.).
Zeugnisse fus der Blütezeit französischen Rittertums führen uns in diese Welt und die all-
täglichen Reiterübungen am Quintana-Pfahl, die Vorübung für die großen ritterlichen
Schaukämpfe im Tjost und im Buhurt. Ausstrahlungen jener ritterlichen Kampfspiele
sind in ganz Europa ja selbst in Lateinamerika als Erbe altspamsch-portugiesischer Ver-
gangenheit nachweisbar. Altenglische Urkunden und Buchillustrationen belegen das Quin-
tanareiten schon vom Anfang des 13. Jhs an, und Sonderprägungen des Quintanaspiels
für Berittene für Fußkämpfer und von Booten aus als „Wasser-Quintana“ kennzeichnen in
England den*Übergang vom Ritterturnier zum Volkssport. Die erschwerte Sonderform des
Reiterspiels als Ringreiten findet ihren eindrucksvollsten literarischen Niederschlag um 1300
im Wolfdietrichepos mit der Schilderung des Stechens um den Goldring von Treviso. Da
diese Szene bisher nie sportgeschichtlich ausgewertet wurde, wird man ihren vollständigen
Abdruck ebenso begrüßen wie größere Stellen aus dem Karlmeinet. Mit Karls Sieg im
Quintanaspiel am Königshof führt K. uns in die französisch-niederländisch-rheinische
Berührungszone, wo neben dem Mittelfränkisch-Deutschen und seinen französischen Vor-
lagen das Turnierspiel, insbesondere das Quintana-Reiten im Mittelalterlich-Niederlän-
dischen erscheint, und zwar in einer mittelniederländischen Fassung des Lanzelot-Romans.
Ritterliches Wesen hatte auch in Italien und Sizilien, an der Adria und auf dem Balkan
zumindest bis zum Ende des byzantinischen Reiches Geist und Lebensform bestimmt. So
nimmt es nicht wunder, daß von Venedig bis Byzanz festliche Reiterspiele stattfanden. Ein
brauchtümliches Reiterspiel, an dem ragusanische Kaufleute teilnahmen, ist für Pristina
32*
488
Besprechungen
in Serbien für das Jahr 1435 belegt. In Ragusa selbst fand im frühen 15. Jh. ein Ringstechen
statt, das nach den alten traditionellen Regeln bis ins Barock wirkt, wie eine Brauchtums-
beschreibung von 1657 für die Karnevalszeit zeigt. Für Venedig liegen Quellen vom 13.
und 14. Jh. vor, und venetianischer Einfluß strahlt auf die adriatischen Küstenstädte bis
nach Mitteldalmatien aus. Die Hochblüte der nunmehr volkstümlich gewordenen, nicht
mehr ausschließlich vom Patriziat getragenen Ringreiterspiele und Quintanastechen liegt
in Dalmatien gegen Ende des 18. Jhs, aber nur in Sinj hat sich ein großes Reiterfest bis
heute erhalten. Dieses beschreibt K. aus eigenem Erleben in bunten Farben.
Anders als die bisher behandelte Gruppe der Reiterspiele scheint die der Rolandspiüe
im Norden von Anfang an vom Bürgertum getragen zu sein. Der Roland im Quintana-
stechen der alten niederdeutschen Städte, im ältesten Beleg für Magdeburg um 1280, dann
für Berlin für 1384 nachweisbar, gehört zum festen Bestandteil der zur Mode gewordenen
rittermäßigen Spiele der bürgerlichen Jugend ebenso wie die Papageien- und Vogelschießen
der damals aufblühenden Gilden und Schützengesellschaften. Ritterliche Turniere des
niederdeutschen Adels und bürgerliche Stechen gehen nebeneinander her, bis sie da und
dort in karnevalistische Groteskturniere (in Hildesheim bereits 1503) absinken.
Im Barock erfährt das Ritterturnier seine Umformung zur Kavaliersunterhaltung. Karussell
und Roßballett finden an den Fürstenhöfen ihre festliche, phantasiereiche und prunkvolle
Erhöhung. Das letzte große Hoffest des Wiener Kongresses bietet im Ringelstechen,
Reiterkarussell und Quintanaspiel ein glanzvolles Schauspiel.
Der Anteil des Volkes beschränkte sich bei den Hof festen fast ausschließlich auf dienende
Mitwirkung und Schaustellung bäuerlichen Brauchtums. Dennoch wird schon früh der
Ablösungsprozeß sichtbar. Bäuerliche Sportspiele wie Rolandreiten, Gansreißen, Ringel-
rennen und Wasserquintana, die schon sehr früh belegt sind, werden bewußt aufgenommen
in sekundärer Funktion, also als folkloristische Brauchtumsvorführungen. Aber sie leben
auch in ungebrochener Folge fort in England und als Reiterkampfspiele im deutschen
Norden und in Dänemark. Dort sind Ringreiten, Rolandspiel und Tonnenschlagen als
brauchtümliches Erbe ebenso zäh bewahrt worden wie das Gailtaler Kufenstechen, mit
dem K. nach einer Überschau über die adelige, bürgerliche und bäuerliche Reitertradition
in den Alpen- und Donauländern sein schönes Buch beschließt.
Was K. an vielfältigem historischem Belegmaterial für echtes Volksbrauchtum darbietet,
kann hier nicht im einzelnen aufgeführt werden. Dafür sei auf die umfangreichen Register
verwiesen.
Das Eindrucksvollste an diesem Werk ist die umfassende Schau, in der über die engere
Thematik hinaus ein vorzüglicher Aufriß europäischer Kulturgeschichte ersteht.
Der Schriftleitung ist zu danken für eine Bibliographie der bisher erschienen Arbeiten
Kretzenbachers.
Johanna Jaenecke-Nickel, Berlin
Heinz Wilmsen, Dinslakener Schützenwesen in fünf Jahrhunderten. 1461—1961. Neustadt/
Aisch, Degener u. Co., 1961. 227 S., 13 Abb. auf Taf., zahlr. Zeichn. im Text (— Beitr.
z. Gesch. u. Volkskunde des Kreises Dinslaken am Niederrhein 3).
Daß Vereine und Vereinswesen ein legitimer Betrachtungsgegenstand der Volkskunde
sind, dürfte durch entsprechende Untersuchungen in letzter Zeit hinreichend erwiesen sein.
Die Erforschung des Schützenwesens aus der Sicht des Historikers wie des Volkskundlers
gewinnt dabei in zunehmendem Maße an Bedeutung (DJbfVk 12, 1966, 138 ff.). Umfassende
Arbeiten zu diesem Thema werden jedoch stets auf den Beitrag der Lokalforschung ange-
wiesen sein und umso lieber deren Erträge auswerten, wenn zuverlässige und sorgfältige
Kleinarbeit geleistet worden ist. Solch ein beachtenswertes Beispiel liegt in W.s Geschichte
des Dinslakener Schützenwesens vor uns.
W. hat den Auftrag, eine Chronik des Dinslakener Schützenvereins zu schreiben, mit
Sachkenntnis und wissenschaftlicher Exaktheit durchgeführt. Grundlage war die Schützen-
geschichte von Joseph Jeurgens (1911), deren Bestand als gesichert gilt und daher von W. im
489
Besprechungen
wesentlichen für die Darstellung der beiden ältesten Gilden übernommen wurde. Dagegen
konnte W. für die Geschichte der jüngeren Gilden wichtiges, bisher nicht berücksichtigtes
Quellenmaterial beibringen.
Die einleitenden Kapitel über Ursprung und Bedeutung der Gilden und über Mittel-
alterliche Schützengilden vermitteln einen kurzen, aber instruktiven Überblick, der für die
Forschung zwar nichts wesentlich Neues bringt, aber dem heimatgeschichtlich interessierten
Leser eine gute Einführung in die allgemeine Geschichte des Schützenwesens vermittelt.
Ein ausführlicher Quellennachweis verzeichnet die benutzte Literatur und die Archivalien,
die durch den Abdruck der frühesten Urkunden aus dem 15. Jh. u. a. ergänzt werden. Die
umfangreichen Mitgliederlisten und Verzeichnisse der Schützenkönige haben ihren legitimen
Ort in einer Geschichte des heimatlichen Schützenwesens, da sie als Zusammenstellung den
alten, im Orte ansässig gewesenen Familien auch wertvolle Anhaltspunkte für die Familien-
forschung geben. Ebenfalls von lokalem Interesse ist die sorgsame und alle Details erfassende
Darstellung des Dinslakener Schützenwesens im 19. und 20. Jh. Sie verdient aber auch
Beachtung als Beispiel für eine Geschichte der gesellschaftlichen Veränderungen insbesondere
in den letzten 50 Jahren und des Wechsels von Traditionsverlust und -beharrung.
Daß die Volkskunde manche wichtigen Einzelheiten über das Schützenwesen bei W.
findet, mag hier nur stichwortartig angedeutet sein mit dem Hinweis auf Gildeurkunden als
Fundgrube für das Schützenbrauchtum (Armenspende, Spielleute, Tabak- und Pfeifengeld,
Schützenvogel, Königsschießen, Festtermine, Schützensilber, Gildebücher, Schießplätze,
Frauenmitgliedschaft usw.).
Sowohl Heimatgeschichte als auch Volkskunde werden solche gründlichen Arbeiten
mit Gewinn benutzen.
Johanna Jaenecke-Nickel, Berlin
Adolf Schwammberger, Vom Brauchtum mit der Zitrone. Nürnberg Frankenverlag
Lorenz Spindler, 1965. 123 S., 12 Taf. (= Fürther Beitrage zur Geschxchts-und Heimat-
kunde, hg. vom Verein für Heimatforschung „Alt-Fürth 2).
Der Verf des hübsch ausgestatteten Buches wurde als Archivar vor die Frage gestellt,
’ ü j- rrcoKrerhnung 60 Zitronen zu bedeuten hätten. Er sammelte von da
was in einer Beerdigungsabrecnnung w . . , . ,
an Belege für zeichenhaften Gebrauch von Zitronen und fand sie in Bildwerken, bei Taufen,
Konfirmationen, Hochzeiten, Primizen, Beerdigungen in Archivalien, in volkskundlichem
und anderem Schrifttum. Als ältestes Zeugnis gilt ihm das Grabmal für den 1247 verstorbe-
nen Grafen Heinrich von Saym und dessen im gleichen Jahr bald nach der Geburt verstorbe-
nen Töchterchen (Nationalmuseum Nürnberg). Die Skulptur zeigt in der Hand des Kindes
eine als Zitrone deutbare Frucht, als Symbol von spaterem Brauch her (bei Taufen durch
Sn Verbot^ 21 erstmals erwähnt, bei Verstorbenen 1682) auf Taufe oder Tod beziehbar.
Als Attribut Mariä taucht die Zitrone im Anfang des 15. Jhs auf als weltlich-festliches
Zeichen 200 Tahre später. Da die zeitgenössische Sittenkritik erst in der 2. Hälfte des 17. Jhs
Brauchtum mit der Zitrone erwähnt, dürfte es sich erst im Barockzeitalter verbreitet haben
und volkstümlich geworden sein. . .
Sofern der Verf über das Deskriptive hinaus will, baut er nicht auf den durch voraus-
ffeeaneene Forschungen vorgegebenen methodisch erwachsenen Problemstellungen
knS auf; so Übersicht er die von Zunder (ADV NF a. Lief Marburg „6, und ZfVk
1050 ff) gestellte Frage nach Zuordnung historischer Belege zum kartographischen
Befund des Atlasmaterials, so erkennt er nicht, daß das in der Mannhardtschen Hypothese,
Palmsonntagspalmen entsprächen dem Lulaf des jüdischen Laubhüttenfestes, liegende
Risiko der Deutung nur durch eine Untersuchung des europäischen Palmsonntagsbrauchtums
vermindert werden könnte. Bei aller Anerkennung dafür, daß vom Autor eine spezielle
Brauchtumsmonographie gewagt wurde muß man schließlich doch feststellen daß deren
Resultat kaum an die vor mehr als einem halben Jahrhundert insbesondere durch A. Jakoby
bestrittene Diskussion heranreicht (vgl. Die Dorfkirche 3, 1910, 394fr., 483 und 5, 1911/12,
44 — 50, 89L).
Siegfried Kube, Dresden
490
Besprechungen
Bohdan Baranowski, Pozegnanie z diablem i czarownicq (Abschied von Teufel und Hexe).
Lodz, Wydawnictwo Lödzkie, 1965. 202 S., 29 Abb. und Faks.
Das in den Jahren 1945 — 1964 vom Autor und zahlreichen Helfern innerhalb der Wojewod-
schaft Lodz und ihrer Grenzgebiete durch Befragung gewonnene umfangreiche Material
zum heutigen Volksaberglauben, vom Verf. durch intensives Pressestudium ergänzt und
weitgehend mit polnischer wie mitteleuropäischer Fachliteratur verglichen, vermittelt
trotz des gewählten populär-wissenschaftlichen Rahmens wissenschaftliche Einblicke, die
der volkskundlichen Gegenwartsforschung gelegen kommen. Den meisten Raum nimmt
der auf Teufel und Hexe bezogene Aberglaube ein; berührt werden auch Relikte der ur-
slawischen Dämonologie sowie Nachklänge, die sich auf „zauberkundige“ Spezialisten
des feudalen Dorfes (Schäfer, Müller, Schmied u. a.) beziehen. Wenngleich sich die Thematik
hauptsächlich in folkloristisch bereits teilweise erforschten Bereich Bauer — Herr — Teufel
bewegt, so wurde erfreulicherweise auch der Versuch unternommen, den Komplex
Arbeiter — Fabrikant — Teufel unter frühkapitalistischen Bedingungen zu beleuchten.
Im Endergebnis gelangt B. zur Überzeugung, daß der Aberglaube generell zwar im
Absterben begriffen, nichtdestoweniger in gewissen Positionen und in einzelnen unter-
entwickelten Landschaften aber noch immer von einiger Bedeutung sei. Sehr verallgemeinert
könne gesagt werden, daß unter der gegenwärtigen Landbevölkerung die Mehrheit über
60 Jahre, insbesondere Frauen, noch an böse Kräfte glaubt. Gewiß haben Glaubensvor-
stellungen von Teufel, Vampiren und Hexen sehr an Ausdruckskraft verloren, doch be-
hauptet sich der nicht immer offen zu Tage tretende intensive Glaube an das nicht näher
präzisierte „Böse“. Zwar gibt die mittlere Generation vor, dem Aberglauben skeptisch
gegenüber zu stehen, doch ist sie insgeheim noch in gewissen Grenzen abergläubisch. Am
stärksten ist die Abkehr vom Aberglauben unter der Jugend. Religiöse Menschen glauben
zwar noch an Hölle und Teufel, jedoch nicht mehr in traditioneller Art, und distanzieren
sich weitgehend vom Glauben an Dämonen. Im kleinstädtischen Milieu hat sich der Glaube
an Teufel, Hexen u. a. dämonische Wesen in wesentlich geringerem Umfang erhalten. Am
weitesten fortgeschritten ist die Abkehr vom Aberglauben in den Großstädten.
B. hat es verstanden, nicht nur aussagekräftiges Material zu gewinnen, sondern zu seiner
Deutung überzeugende historische, soziologische und ethnographische Tatbestände
heranzuziehen. Wenn man in dieser Untersuchung, die erfreulicherweise gut mit Illustra-
tionen ausgestattet wurde, auch den Versuch unternommen hätte, das theoretisch relevante
Grenzgebiet Glaube — Aberglaube näher zu erforschen und bei der Beurteilung des Sach-
verhalts zu berücksichtigen, wäre das Ergebnis noch überzeugender ausgefallen.
Siegmund Musiat, Bautzen
Marcelle Bouteiller, Médecine populaire d’hier et d’aujourd’hui. Préface de H. V.
Vallois. Paris, G.-P. Maisonneuve et Larose, 1966. 369 S.
Wenn eine Persönlichkeit vom Range Henri Vallois’ ein Vorwort schreibt, darf man
auf hohe Qualität des Buches schließen. Die bis in die Gegenwart praktizierte „médecine
en marge“, die seitens der Schulmedizin oft nur mit einem Achselzucken abgetan wird und
in der Publizistik als Kuriosum erscheint, erfährt in dem vorliegenden Werk eine kritische
Untersuchung aus der Sicht des Ethnologen. Marcelle Bouteiller, die seit 16 Jahren das
„Département des croyances et coutumes“ am Musée de l’Homme in Paris leitet, ist, wie
Vallois nachdrücklich unterstreicht, eine ausgewiesene Kennerin der Materie. Ausgehend
von ihren Spezialstudien über den Schamanismus nordamerikanischer Indianer und sibiri-
scher Stämme Nordasiens hat sie die gleichen Vorstellungen in Ozeanien, aber auch in
Europa, und zwar speziell in Frankreich, wiedergefunden.
Der Gegenstand ist nicht neu und in zahlreichen Monographien bereits behandelt worden.
Doch ist es das große Verdienst der Verf., die Frage in wirklich erschöpfender Weise unter-
sucht zu haben, so daß ein kompetentes Werk über die Médecine populaire vorliegt, das als
deren wohlfundierte Geschichte vom 18. Jh. bis in die Gegenwart gelten darf. Das in
Besprechungen
491
30 Jahren gesammelte Material aus eigener Feldforschung, aus Enqueten von Mitarbeitern
sowie Aushebungen aus der folkloristischen Literatur und den volkskundlichen schrift-
lichen Quellen ließ die Verf. eine imponierende Synthese vollziehen. Als Resultat der
vergleichenden Betrachtung lassen sich zwei dominierende Erscheinungen erkennen:
Kontinuität und Entwicklung in der französischen Volksmedizin.
Das Buch will keine Rechtfertigung der Volksmedizin sein, sondern eine Erklärung.
Um deren Überreste und Entwicklung begreifbar zu machen, werden die Beobachtungen in
ihren Lebensraum gestellt, also z. B. in die vor der Zeit der Massenkommunikationsmittel
auf sich selbst gestellten, abgeschlossenen Dörfer. Weiter wird die jeweilige soziale und
religiöse Atmosphäre beschrieben, und schließlich werden die bestimmenden Faktoren für
eine Veränderung des Milieus herausgearbeitet. In der Konfrontation von tatsächlichen
Relikterscheinungen und modernen, neu hinzugekommenen Ausprägungen wird die Frage
nach der Wirksamkeit der tatsächlichen oder der eingebildeten, der Heilmethoden und den
Gründen für das Vertrauen breiter Volksschichten auf die traditionellen und die modernen
Daß aus dem immensen Material der Verf. nur eine Auswahl unter analogen Belegen
hier abgedruckt werden konnte, ist fast selbstverständlich. Den Gewinn solcher bewußten
Beschränkung hat der Leser, der fasziniert von der brillanten Darstellung von Seite zu
Seite des Buches eilt, das „avec de hart et de Science geschrieben wurde
Die Register verdienen besondere Beachtung. Etwa ein Viertel des Werkes umfaßt ein
Verzeichnis der typischen traditionellen Heilweisen, die jeweils durch Musterbeispiele er-
läutert werden. Solch ein Katalog ist ein vorzügliches Informationsmittel für vergleichende
Studien. Eine methodisch aufgegliederte Bibliographie ermöglicht eine leichte Übersicht
über die Spezialliteratur. Zwei Indices registrieren Leiden und Krankheiten sowie die
Heiligen und ähnliche Personen als Heiler. . . ,
Sowohl hinsichtlich der Methode als auch der wissenschaftlichen Ergebnisse ist das
Werk mustergültig für alle Untersuchungen auf diesem Gebiet.
Johanna Jaenecke-Nickel, Berlin
Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in Literatur und Volksdichtung bis
zur Gegenwart. Sagen, Märchen, Exempel und Schwänke mit einem Kommentar hg. von
Lutz Röhrich. Bd. 2. Bern und München, Francke, 1967. 510 S.
Der abschließende zweite Band dieser neuartigen Anthologie Röhrichs, fünf Jahre nach
dem ersten erschienen (vgl. die Rez. in DJbfVk 9, 1963, 434!.), bringt in unmittelbarer
Fortsetzung weitere umfangreiche Textproben und motivgeschichtliche Darstellungen
noch heute lebendiger tradierter Erzählstoffe. Wie im ersten Band geht es vor allem darum,
anhand der mitgeteilten Texte (zwischen 13 und 22 für jeden Erzählstoff) die verschieden-
artigen Möglichkeiten der Überlieferung bis in die Gegenwart zu demonstrieren. So werden
die einzelnen Erzähltypen jeweils von den schriftlichen Fixierungen mittelhochdeutscher
bzw. lateinischer, französischer oder englischer Versionen im späten Mittelalter über die
Literatur der folgenden Jahrhunderte bis zur Volksdichtung der Neuzeit verfolgt. Doch
greifen die Kommentare gelegentlich bis in die Antike zurück und bieten zum Teil ab-
gerundete Erzähltyp-Monographien.
Bei den ausgewählten Stoffen handelt es sich um die folgenden — in Klammern die
Typ- bzw. Motivnummern — : 1. Die Frauenjagd (E 501.5.1.); 2. Der Tote als Gast (AT 470 A,
C 13., E 238.); 3. Die erweckte Scheintote (AT 990); 4. Der Traum vom Schatz auf der Brücke
(AT1645); 5- Der dankbare Tote (AT 505/6, 508, Q 271.1., E 341.1., M 241., T66.1.);
6. Polyphem (AT 1137, F 512.1.1., K 1011., K 603.); 7. Der Richter und der Teufel (AT 1186);
8. Der Sohn am Galgen (AT 838); 9. Das Almosen (V 430., T 481.); 10. Die widerspenstige
Frau (AT 1365 A); 11. Der genarrte Beter (AT 1380, 1388, 1476, K 1553.); 12. Das Veilchen.
Zu mehreren dieser Erzähltypen liegen bereits gültige Untersuchungen vor, so etwa
von K. Gusinde (Neidhart mit dem Veilchen, 1899) zu 12, von O. Hackman (Die Polyphem-
492
Besprechungen
sage . . ., 1904) zu 6, von J. Bolte (ZfVk 19 — 20, 1909 —10) zu 3 und 4, von S. Liljeblad
(Die Tobias geschickte . . ., 1927) zu 5 oder von L. Petzoldt (Der Tote als Gast, 1964), einem
Schüler R.s, zu 2. Diesen Arbeiten folgt der Verf. in seinen Darstellungen weitgehend.
Einige eigene Aufsätze finden sich teilweise wörtlich in den Kommentaren zu 1, 6 und 7
wieder. Daneben ist jedoch stets alle übrige erreichbare Literatur zu den einzelnen Erzähl-
stoffen und ihrem Wirklichkeits- bzw. Ideengehalt ausgewertet und bibliographisch er-
schlossen. Und R. unternimmt bei jedem Erzähltyp oder Stoffkomplex den Versuch, über
die Besprechung der dargebotenen Auswahltexte und das Referieren des sehr unterschied-
lichen Forschungsstandes hinaus zu weiterführenden oder neuen Ergebnissen zu gelangen.
So zeigt er etwa am Beispiel der Frauenjagdsage (1) eindrucksvoll, wie der Stoff in jeder
Kultur, in jedem sozialen Milieu, innerhalb jeder literarischen Gattung deren charakteristi-
sche Merkmale angenommen hat: In der Predigtliteratur wurde die Sage verchristlicht und
diabolisiert, in der Heldenepik wurde sie verritterlicht, Boccaccio gab ihr erotische Züge,
Bebel übernahm sie in die Schwankliteratur. Aber bereits die ältesten mittelalterlichen
Belege sind in ihrem Kern echte Volkssage, wie denn auch die verschiedensten literarischen
Gestaltungen erstaunlich wenig auf die Volkserzählung zurückgewirkt haben, die vielmehr
regionale Redaktionen herausbildete.
Als eine solche spezifische Redaktion stellt der Verf. besonders bei der Sage von der
erweckten Scheintoten (3) den offensichtlich in Köln entstandenen Untertyp „Richmodis von
Aducht“ heraus, der eine charakteristische doppelte Entwicklungstendenz offenbart:
einmal die Neigung zu immer stärkerer Historisierung, zum andern eine zunehmende
Betonung des Wunderbaren. Beide Tendenzen führten zu einer festen Anknüpfung der
Scheintoten-Erzählung an ein Pferdekopf-Wahrzeichen, und dieser Zusammenfall ermög-
licht es, in der Folge die Überlieferung in „köln-abhängige“, d. h. Varianten einer Wander-
sage, und „köln-unabhängige“ Belege zu scheiden.
Eine verwandte Entwicklung läßt sich am Polyphem-Stoff (6) ablesen: Je jünger die
Versionen sind, desto mehr sind sie mit märchenhaften Zügen angereichert. Die mittel-
alterlichen Redaktionen des Stoffes stimmen jedoch, wie R. zeigt, in entscheidenden Zügen
mit der Volksüberlieferung der Neuzeit überein, während sie in eben denselben Zügen von
der Darstellung der Odyssee abweichen, so daß offensichtlich nicht nur Homer mündliches
Erzählgut verwertet hat, sondern auch die literarische Verwendung des Stoffes im Mittel-
alter eine außerhomerische orale Tradition zur Voraussetzung haben muß.
Ebenso lief nach R.s zwingender Argumentation schon im 13. Jh. die Erzählung vom
Richter und vom Teufel (7) um, die durch den Stricker ihre erste und bisher gelungenste
dichterische Gestaltung erfuhr. Nach Kenntnis der verschiedenen folgenden Buchfassungen
des Stoffes lassen sich jedoch in der späteren Volksüberlieferung zahlreiche literatur-
abhängige Fassungen ermitteln, die bestimmten literarischen Untertypen und Traditions-
schichten zugeordnet werden können. So gibt es zwar Varianten, die in dieser Fassung
offenbar lediglich durch mündliche Weitergabe auf uns gekommen sind und dabei alte Züge
treu bewahrt haben, aber daneben ist eine Rückwirkung der Literatur auf die Volkserzählung
ganz augenscheinlich.
Die Überlieferung der weiteren behandelten Erzähltypen zeigt ein mehr oder minder
modifiziertes Bild dieser Wechselbeziehungen zwischen Volkserzähltradition und Literatur,
auf die jeweils einzugehen hier zu weit führen würde. Es sei nur generell festgestellt, daß
es R. in seinen scharfsinnigen Untersuchungen trotz aller gebotenen Kürze meist so ein-
leuchtend gelingt, am gleichbleibenden Stoff den Wandel der Darstellung, der Form und der
weltanschaulichen Auffassung zu zeigen, daß wir zu kaum einer der von ihm untersuchten
Erzählungen bessere Kommentare besitzen, besonders wenn man an die Benutzung des
Buches für den akademischen Unterricht denkt. Ein gleiches Verdienst stellt hier der
Textteil dar, sind doch die meisten der dargebotenen Fassungen sonst nur schwer zugäng-
lich bzw. waren bisher unpubliziert. Und auch die Verzeichnung der — teils mit Hilfe
Fritz Harkorts — zu den Texten ermittelten Parallelbelege geht zum Teil beträchtlich über
die bisherigen Zusammenstellungen hinaus.
Man ermißt den Wert dieser für den praktischen Gebrauch gedachten Anthologie viel-
leicht am besten, wenn man sich den qualitativen Abstand zu früheren Versuchen in dieser
Besprechungen
493
Richtung, wie sie etwa in den Bändchen der Volkskundlichen Texte aus den dreißiger Jahren
vorhegen, vor Augen halt R. hat hier mehr als ein Lehr- und Übungsbuch geschaffen.
Störend wirken nur die zahlreichen unausgemerzten Druckfehler
Siegfried Neumann, Rostock
Sagen und ihre Deutung. Beiträge von Max Lüthi, Lutz Röhrich und Georg Fohrer.
Mit einem Geleitwort von Will-Erich Peuckert. Göttingen, Vandenhoeck u.
Ruprecht, 1965. 80 S. (= Evangelisches Forum 5).
Die drei Aufsätze des Sammelheftes sind entstanden aus Vorträgen einer Seminartagung
der Evangelischen Akademie Tutzing über Sagenprobleme. Gemeinsam ist ihnen der
Versuch das Wesen der Volkssage zu ergründen, es zu interpretieren und mit den gewon-
nenen Erkenntnissen diese Erzählform gegen andere Prosagattungen der Volksdichtung
abzugrenzen. Die Autoren gehen dabei von verschiedenen Standpunkten aus
Max Lüthi (Gehalt und Erzählweise der Volkssage) unterzieht zunächst mehrere Beispiele
von Spuksagen, vorwiegend aus der Sammlung Hochwies (hg. von W.-E. Peuckert,
Göttingen 1959), einer eingehenden Inhalts- Stil- und S rukturanalyse. Es ist in erster
Linie sein Anliegen zu zeigen, wie die moralische bzw. ethische Aussage der Erzählung
ihren Stil bestimmt, und wie letzten Endes nur in der Darlegung des Wechselspiels von
Gehalt und Stil die Struktur des jeweiligen Sagentextes erkannt werden kann. Besonders
deutlich wird diese Methode an den eingangs analysierten drei Versionen vom spukhaften
„Kinderweinen“ demonstriert. L. wagt es sodann - nach Meinung der Rez. zu Recht -
1 „ Werk als „eine Urform der Dichtung zu bezeichnen. „Die
die age a s ein poe „„„Ähnlichen ist der elementare Anstoß, zu erzählen.“ Das Un-
egegnung mit em n ^nstoß für die erzählerische Wiedergabe historischer Ereig-
** Gestalt gewöhnlicher Menschen und
in der Darstellung einer vergangenen feit Daß es historische Sagen gibt, hangt mit der
^ . . J xr ________oic eines fremd Gewordenen zusammen. — L. sieht hier, wie
aszina lon es erga S Werken, die Volksdichtung vorwiegend als literarisches
in seinen za reic en an unterscheidende Gattungsmerkmale finden will.
Phänomen, durch dessen Anaiysc ^ , . „ . , ■ ■ ...
Es ist bei dieser Betrachtungsweise kaum möglich - und vielleicht auch nicht notig -, die
vorwiegend mündliche Existenzform der Volkserzahiung, ihre Radierung und Varuerung
. 6 . . , . • TWrrkssungssünde, die L. sonst wohl nicht immer zu unrecht
zu berücksichtigen eine Abhandbng geht es ihm jedoch dumm - und das
S' E°einnvlrdfenst vieler Arbeiten Lüthis - das Poetische der Volksdichtung gebührend
hervorzuheben. Das ist nur möglich am Beispiel einer annähernd vollkommenen Fassung;
diese wird in der Fülle der den verschiedensten Umweltbedmgungen ausgesetzten mündlichen
Varianten bzw. Aufzeichnungen stets die Ausnahme bleiben. Dennoch eignet allen Varianten
in der Thematik und Sichtweise ebenso wie in der Art des Erzählens Gemeinsames , das
”ifh eben am besten in der entwickelten oder, um mit L. selbst zu sprechen, in der „Ziel-
£ “ • r i-ru / „1 ßas Referat L.s auf der Intern. Arbeitstagung der Erzählforscher
1966 inLiblke bei Prag: Urform und Zielform in Sage und Märchen) - Die Zusammen-
f*™ dieses ersten Artikels bildet eine gute Überleitung zum folgenden Thema: L. sieht
, ® • . n Ausgang der Sagen nicht, wie viele namhafte Folkloristen, allein
in dem meist tragischen Ausgdug u . U1 ucu;i
eine Äußerung und Darstellung der Angst, des Ausgeliefertseins an ein unbekanntes Schick-
sal oder den ^Ausdruck numinoser Schauer vor dem Unbegreiflichen. Der Mensch der
We xrersnrhr das Geschehen zu durchdringen“. Eine ernste Ethik der Leistung und des
OniWs hrht die Sage im allgemeinen vom Wunschdenken des Märchens ab. Die Gewalten,
die den Menschen der Sagenwelt bedrohen, „rufen ihn zugleich zur Bewährung auf, zur
Verwirklichung seiner selbst • .. - .
Einen Versuch, die Gattungen „Märchen“ und „Sage“ von der unterschiedlichen ethi-
schen Auffassung her zu bestimmen, unternimmt auch der Aufsatz von Lutz Röhrich,
Teufelsmärchen und Teufelssagen, wenn auch methodisch hier der stoffliche Vergleich über-
494
Besprechungen
wiegt. R. skizziert eingangs die historische Entwicklung der Teufelsgestalt in Dichtung
und Volksüberlieferung, zeigt ihren christlich-theologischen Ursprung und den Anteil
verschiedener mittelalterlicher Kirchenschriftsteller an den festgeprägten Teufelserscheinun-
gen, wie sie in der Folklore des 18. und 19. Jhs dann deutlich greifbar werden. Eine große
Anzahl häufig belegter deutscher Sagentypen verdankt ihre Entstehung und Verbreitung
der spätmittelalterlichen Predigtliteratur, besonders solche Erzählungen, in denen der Teufel
als Schreck- und Warnfigur auftritt, u. a. die Sagen von der untreuen Braut, die sich dem
Teufel verschwört, von den Kartenspielern, die der Teufel holt, vom Sündenregister auf der
Kuhhaut, vom Teufel auf dem Tanzboden u. v. m. (Vgl. hierzu ausführlich: L. Röhrich,
Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in Literatur und Volksdichtung bis
zur Gegenwart. Bern und München 1962.) Aufschlußreich stellt R. die Entwicklung der
Teufelspakt-Sagen dar: Geht es hier zunächst um Macht und Gold, um weltlichen Geld-
erwerb, so ändert sich die Motivierung des Bündnisses mit dem historischen Umbruch des
Weltbildes. Der Mensch der Renaissance und des Humanismus verschreibt sich nicht
mehr aus Begierde zu Reichtum und Macht, sondern aus der Gier nach Wissen und Er-
kenntnis dem „Bösen“. Ein solcher Drang aber wurde von der Kirche bis in die Neuzeit als
„Ketzerei“ verdammt, der faustische Mensch ist von ihrem Standpunkt aus ein „Frevler“,
der seinem höllischen Bündnispartner notwendig anheimfallen muß. Diesen Status hat die
Volkssage festgehalten, deren Erzähler und Träger dem Einfluß von Kirche und Predigt
immer erneut ausgesetzt blieben. — Am Schluß seiner vergleichenden Studie gelangt R.
zu der Feststellung, daß „das gleiche Motiv in der Sage ernsthaft, im Schwank scherzhaft
verwendet werden (kann)“. Während der Teufel in der Sage die Rolle des Strafenden und
Richtenden bis auf wenige Ausnahmen beibehält und dadurch den tragischen Ausgang
dieser Erzählungen bestimmt, bleibt die Gestalt des betrogenen, verlachten Teufels mehr
dem Märchen und dem Schwank Vorbehalten.
Der Beitrag von Georg Fohrer, Die Sage in der Bibel, dringt in ein noch wenig erforschtes
und bis heute von der wissenschaftlichen Bibelforschung stark diskutiertes Problem ein.
Nach einer recht brauchbaren Definition und Abgrenzung von Sage und Legende gegen
Mythos und Märchen skizziert er die verschiedenen Arten von Sagen und Legenden der
Bibel, die sich im Alten Testament in größerer Häufung als im Neuen Testament finden. F.
behandelt einige Beispiele aus historischen Sagengruppen: Orts- und Natursagen (meist
ätiologischen Charakters; hierzu gehören auch die sog. Heiligtums- und Kultlegenden) —
Ursprungssagen — Stammessagen — Heldensagen — Sagen um religiöse Gestalten (Priester,
Propheten, Märtyrer). Den Akzent seiner Untersuchungen legt F. auf das Verhältnis von
Wirklichkeit und Sage, d. h. er versucht, die verschiedenen historischen Schichten frei-
zulegen, die zur Entstehung, Tradierung, Ein- und Umformung der einzelnen Erzählungen
während des Nomadenlebens, der Landnahme und der Seßhaftwerdung der israelitischen
Stämme geführt haben. Von dem, was wir unter „Volkssagen“ verstehen, unterscheiden
sich jene Bibelgeschichten durch die Theologisierung, die sie in den jeweiligen Entwicklungs-
stadien der Stämme und Völker erfuhren. Allerdings kann man bei den Patriarchen-Ge-
schichten (Abraham, Isaak, Jakob, Joseph) wohl kaum noch von „Sagen“ sprechen, hier
handelt es sich m. E. nach Stil und Form bereits um kunstvoll komponierte Prosaepik,
in die bestimmte Sagentypen und Sagenzüge, Märchen und Märchenmotive eingearbeitet
wurden.
Wie alle Dichtung, so wollen auch die Sagen der Bibel, in denen sich Volksüberlieferung
mit literarischer Tradition der Oberschichten mischte, keinen Abguß der Wirklichkeit geben.
Sie sind Weltbild und Interpretation oder, wie Peuckert in seinem die drei Aufsätze ver-
bindenden Geleitwort sagt, jeweils subjektiv „begründete Aussage“ eines „historischen
Geschehensablaufs“.
Gisela Burde-Schneidewind, Berlin
495
Besprechungen
Schwarzwald-Sagen hg von Johannes Künzxg. 2. Aufl. Düsseldorf, Eugen Diederichs
Verlag, (1965). XV, 383 S., 37 Tafeln u. 34 Textabb.
Schlesische Sagen, hg. von Wiel-Erich Peuckert. 2. Aufl. Düsseldorf-Köln, Eugen
Diederichs Verlag, 1966. 333 S., 17 Tafeln u. 9 Textabb.
Fünfunddreißig Jahre nach der letzten Auflage liefert Diederichs eine fotomechanische
Neuauflage von Johannes Künzigs Schwarzwaldsagen. Die Begegnung mit dem Buch im
neuen Gewände legt dem Betrachter den Rückblick auf ein paar Jahrzehnte der Sagenfor-
schung nahe und damit die Frage nach Wandlung und Bleibendem: Zaunert nannte seine
Reihe Deutsche Stammeskunde. Das gewaltige Programm bedingte strenge Beschränkung
und damit die für die Zaunert-Bände charakteristische Form: die Einschmelzung der Sagen
in die Sprache des erzählenden Herausgebers, die Zusammenraffung von einer Fülle ver-
schiedenartigster Überlieferungen zu einer Einheit; Verzicht auf die ursprüngliche Gestalt
also Hierin liegt für den Sagenforscher heute mehr denn je die Begrenztheit solchen
Unternehmens. Demgegenüber steht das Positive: Die Herausgeber der Zaunert-Reihe
haben das Wesen der Sage in ihrer Darstellung so unmittelbar lebendig werden lassen, wie es
zumindesten bei einem großen Teil der von ihnen benutzten schriftlichen Quellen nicht
hervorscheint; sie haben chronikendürre wie romantische Glatte getilgt und Sagenbücher
geschaffen, die auch dem lediglich literarisch Interessierten zugänglich und anziehend sind,
B T, ,1 •cc„nsrhaftlich fundierten Sagen-Lesebuches verwirklichen. Dabei
und somit das Ideal des wissenscnaiLiu-j. 1 ■ u r- m ~ a -q- j j-
,, , • „.vu bei der immer gleichen Grundkonzeption der Bande die
,st es reizvoll sehen me sich “ “usgebM.E* ählet TOneinandcr ¿hcben.
v'r,sc ‘e enen emperam Lebendigkeit und gleichsam mündlichen Leichtig-
Nä& Dichti kci die etwa Siebcts
ke.t der Darstellung nich <be umrü m einem Teil wohl daher> daß die ei
Peuckerts Wiedergabe ^ Dafür zekhnet sdn Buch einc dur*h.
erlebten agen in Semem 5^ dnen ebenso gradlinigen Weg in die Gegenwart der
dachte ys ema 1 aus, nd intonationsgetreue Wiedergabe selbstgesammelter
Sagenarbeit nimm, wie die= wort ü innere Anordnung der gesamten Sagenüberlieferung
Stücke ,euer beiden Forscher aese hema ^ T det Sage. Von
eines Landschaftsraumes . . . «gab . . . ein .Typensystem der deutschen
hier ausgehend habe ich es wenige janre ^ s &, jv j
“ „ p « /Vorwort zur Neuauflage)
Voüssage zu en wer en . . . ü j^cb durchdacht ist, darf die Quellenkritik des Bandes
Ebenso wie die Systematik gru ^ Bereich eine ähnliche Herkulesarbeit voll-
vorbildlich genannt werden. K. ^ ^ Kühnau füt Schlesien, indem er „das
brac t wie e wa s. ■ ntjschen Sagennacherzählungen und Anthologien“ aus-
unechte Wucherwerk der (man denke nur an Schnezler!) beschwerliche Auf-
schied — eine gerade für seinen muh v
gauc.
Die ursprünglichen Bildtafeln des Bandes waren nicht mehr zu beschaffen; der Verf. hat
neue, sehr schöne ausgewählt, die, überwiegend aus der ersten Hälfte des 19. Jhs stammend,
den Zweck haben, „den Leser in die Zeit zu versetzen, in der diese Sagenwelt noch voll
lebendig war“. Da gibt es etwa Brautzug, Weinlese und Hanfschleißen, von unterschied-
lichem zeichnerischem Wert, aber alle dicht in der Atmosphäre; vor allem aber die roman-
tisch erfüllten Landschaften Maximilian Rings.
Der nächste Band der Reihe, der ebenfalls wieder zugänglich gemacht wird, ist vielleicht
der gegensätzlichste: Peuckerts Schlesische Sagen. Gegensätzlich nicht in bezug auf die be-
harrlich-zähe wissenschaftliche Schürfung, die Gründlichkeit der Textkritik, der weiter-
führenden Anmerkungen (siehe z. B. S. 297 über Wolf und Lamm, S. 299 über die Männer
im Zobten, S. 323 über die Walen, S. 310 über Rübezahl)-, gegensätzlich aber schon in der
lockreren Gliederung und gegensätzlich vollends in der Darstellung. P.s Band enthält neben
den aus oft sehr verborgenen Fundgruben geförderten Stücken eine Fülle selbstgesammelter
Sagen. Sie beginnen dort, wo die Überlieferungen um Raubgesindel und um Kriege kreisen,
häufen sich zu dichter Folge naturgemäß bei den Themen, die noch heute „gültige“ Er-
zählungen liefern oder es doch vor rund vierzig Jahren taten (die Macht von Fluch und
Wunsch; das Wirken von Schwarzkünstlern und Hexen; Alp, Wiedergänger und Spuk)
496
Besprechungen
und enden, seltener geworden, bei Begebnissen mit Elben und dem Teufel. Wie P. diese
Geschichten wiedergibt, zeigt, wie sie ihm seinerzeit begegneten: als „geglaubte Wirklich-
keit“ in unmittelbarer Nähe, erzählt von Großmutter und Mutter, von Leuten aus Dorf und
Wald, Bauern, Häuslern, Hegern. Die Sage hat so Wirklichkeit und Gegenwart bei ihm.
Überkommenes und zum Teil starke Realistik und Tagesbezogenheit fließen ineinander.
Den seltsamen menschlichen Denkkomplex aus Irrealem und ganz wirklich Gegen-
wärtigem läßt P.s Buch begreifen wie wenig andere. (Vgl. für diese Komplexheit etwa
S. 197, Nachtjäger und Holzmacher; S. 227L, die Geschichte von den Holzmachern, die von
den „Erdmänneln“ heruntergeholt werden und ewig unter der Erde bleiben.)
P. hat das Vorwort der 1. Auf!., das er 1923 als Achtundzwanzig jähriger schrieb, durch
zwei sehr konzentrierte und ausgewogene Seiten ersetzt. — Der Band wird außerdem durch
Stiche nach meisterlichen Landschaftszeichnungen Ludwig Richters und einige Stiche nach
sehr schönen Städtezeichnungen von C. Würbs bereichert.
Christiane Agricola, Leipzig
Soixante et onze contes racontes par des Juifs du Maroc. Hg. und bearb. von Dov Noy.
Jerusalem, Organisation Sioniste Mondiale, 1965. 227 S.
Es gibt für einen Spezialisten nichts Nutzbringenderes, als in die Fremde geschickt zu
werden. Das ist die Erkenntnis, die mir bei der Lektüre der in dieser Sammlung vereinigten
Märchen unaufhörlich wiederkam. Ich gestehe, daß ich das jüdische Märchen bis jetzt wenig
kannte — obwohl es in den letzten Jahren an guten Veröffentlichungen nicht gemangelt
hat1 — und daß es dieses Buch war, das mich in seine Welt wirklich tief eindringen ließ, eine
so eigentümliche Welt, daß sie mich dazu angeregt hat, über eine Reihe fundamentaler
Erkenntnisse nachzudenken.
Das Märchen, wie es mir vertraut war, ist eine weltliche Erzählung. Es schien mir wohl,
daß dies im gesamten Bereich der europäischen Zivilisation so sei, und G. Scott Littleton,
der ein „zweidimensionales Schema für die Klassifizierung von Volkserzählungen“
mit zwei Achsen ausgearbeitet hat (factual — fabulous; secular — sacred), weist dem Mär-
chen den Platz im Schnittpunkt des Fabelhaften und Profanen an (Journal of American
Folklore 1955, 21 ff.). Nun fällt aber in einem bedeutenden Teil der jüdischen Erzählungen
ihr religiöser Charakter auf. Ein wesentlicher Unterschied zum bisher Bekannten, der gleich-
zeitig dazu verpflichtet, unsere Vorstellung vom Wunderbaren des Märchens zu revidieren.
Max Lüthi hat in seiner Analyse des Europäischen Volksmärchens von der „Flächenhaftigkeit“,
von der „Eindimensionalität“ des Märchens gesprochen. In der Tat steht der Held unseres
Volksmärchens auf einer Ebene mit der Wunderwelt, mit dem wunderbaren Abenteuer,
das er auf sich nimmt. In N.s Ausgabe handelt es sich jedoch um ein religiöses Wunder,
das dem Mirakel nahekommt, also um ein Wunder, das die Existenz einer anderen, einer
göttlichen Welt manifestiert.
Ebenso mußte ich meine Vorstellung von der Funktion des Märchens revidieren. Als
profane Erzählung hat das Märchen in unseren modernen Kulturen vor allem eine Funktion
der Unterhaltung, der Zerstreuung. Das ist hier nicht der Fall: wenn das jüdische Märchen
uns ablenken will, und das ist auch sein Bestreben, dann von der augenscheinlichen Welt,
und es regt recht häufig zum Nachdenken über das an, was hinter diesen Erscheinungen
steht (vgl. Nr. 45: Les yeux de l’homme sont insatiables). Im höchsten Maße ernst, will es
mehr erziehen, belehren (Nrn 51, 52), erklären und das Wesentliche bezeugen. Die Tugend,
die hier vor allem geschätzt wird, ist die Weisheit; der Held ist in erster Linie ein Weiser;
als Angehöriger eines „Peuple du Livre“ (vgl. 157, Nr. 64) hat er gründlich die Tora stu-
diert (vgl. Märchen Nr. 43, Nr. 50).
Wenn es oftmals sehr schwer ist, den typisch französischen oder deutschen Charakter
unserer Märchen zu erkennen, so offenbart sich hier die Mehrzahl der Erzählungen ein-
deutig als jüdische Erzählungen, und in dieser Eigenschaft scheinen sie oftmals zur Glorifi-
1 Dov Noy, Folktales of Israel (1963); Jefet Schwill erzählt, hg. von Dov Noy (1963).
Besprechungen
497
zierung des jüdischen Volkes (Nrn 5, 35, 36, 47) und seiner Religion (Nrn 37, 65) bestimmt.
Bei den jüdischen Einwanderern aus Marokko gesammelt, stellen zahlreiche Märchen den
jüdischen Helden und seine Gemeinschaft der sie umgebenden arabischen Umwelt gegen-
über (12 f.). Der Einzelne hat für die Gemeinschaft zu sorgen, denn der Held vieler Erzäh-
lungen ist dieser oder jener berühmte Rabbi mit mehr oder weniger übernatürlicher Kraft.
Einige dieser Märchen gruppieren sich zu Zyklen (i4f., vgl. auch die Bibliographie).
Diese Feststellung hat uns zu der Überlegung geführt, ob sich das Wort „Märchen“, das
auf dem Einband dieser Sammlung erscheint, wirklich im engeren, vom Terminus begrenz-
ten Sinne, auf die vorliegenden Texte anwenden läßt. Ist es nicht — höchst wahrscheinlich
als eine Übersetzung des englischen „folktale — vielmehr in seiner allgemeinen Bedeutung
als „mündliche Erzählung“ aufzufassen, und wären nicht viele der hier dargebotenen Er-
zählungen richtiger als „Legenden“ oder „Sagen zu bezeichnen?
In der Tat hat sich der Herausgeber bemüht, keine Trennung zwischen Erzählungen, die
eng mit den jüdischen Traditionen verbunden sind, und solchen, die zur internationalen
Folklore gehören, vorzunehmen. Selbst bei letzteren kann übrigens der Akklimatisierungs-
prozeß überraschen, dem sie unterworfen wurden. (Nrn 21, 64). Es sei aber hervorgehoben,
daß N. in den Anmerkungen 207 — 218 die angeführten Erzählungen nach der internatio-
nalen Klassifizierung der Märchentypen von Aarne und Thompson oder nach dem Motif-
Index von Stith Thompson gliedert und alle von ihm bestimmten neuen Nummern [etwa
30], durch das Sigel AICP (= Archives Israéliennes du Conte Populaire) kennzeichnet.
TT--L^^Ufnnrr Trr\** Af*r ArK^if- vnm A iio/-li>ii/<1r J •
Am Schluß michte ich meine Hochachtung vor der Arbeit rum Ausdruck bringen, die
an diesem Archiv geleistet worden ist. (Es wurde erst vor acht Jahren eingerichtet und um-
faßt bereits annähernd 6000 Erzählungen.) Do, N0, hat es verstanden seine Zuversicht
, f Mitarbeiter zu übertragen. Aber es handelt sich um mehr
un egeis erung auc Zuversicht und Begeisterung kommen aus der Tiefe eines
als um die Zuversicht Einzelner Zuv die ^ ^ der mündHchen Tradition
ganzen Volkes, das sich seiner kuitureu.cn w ,
___• r _____ 1_____Oh
UCl JLCIZ.LC11 ZjCIL ldl ÖC.1U w --0
auch für die Untersuchung der Märchen anderer Völker.
P., die das Märchen als eine der hervorragendsten Äußerungen der russischen Volks-
dichtung betrachtet, gibt im Einleitungskapitel eine Definition dieser Erzählgattung und
unterstreicht vor allem seine Phantasiegrundlage sowie den Unterschied zur realistischen
Erzählung, Überlieferung und Sage. Es ist schade, daß die Verf., die zu Recht die bis heute
ausgearbeiteten Systeme der Märchenklassifizierung kritisiert, kein eigenes System liefert,
sondern sich in der Anordnung des Buches nach der alten Einteilung richtet. Es wäre nütz-
lich gewesen, hier auf die Arbeiten der slawischen Folkloristen außerhalb der Sowjetunion
(z. B. Krzyzanowski) zu verweisen, da die Frage der Klassifizierung in der gesamten moder-
nen Folkloristik aktuell ist.
Das erste Kapitel der Untersuchung ist dem Märchen des 18. Jhs gewidmet. Wie P.
richtig feststellt, gerieten in diesem Jahrhundert vor allem die Zaubermärchen in den
manifestieren, bewußt ist.
Marie-Louise Tenèze, Paris
1965. 219 S.
Die russische und sowjetische Folkloristik sind für ihren wissenschaftlichen Beitrag auf
' 1 1 . ±- 1 KörkKoi'hfnnrrpn irrvn h ____________
außerordentlich aktuell: Die — “““ ‘ 111
der letzten Zeit ist sehr wichtig für die Geschichte der russischen Folklore im ganzen, aber
498
Besprechungen
Bereich der Literatur, da sie den literarischen Tendenzen dieser Zeit, vor allem den über-
setzten Märchensammlungen, entsprachen. Besonders wertvoll ist die Ermittlung einer
kleinen Zahl von realistischen Märchen, speziell satirischen Charakters, die im 18. Jh. in
die Literatur Eingang fanden. Auch möchte ich die von P. aus den Märchensammlungen
des 18. Jhs exzerpierten loci communes erwähnen, bei denen es sich um volkstümliches
Material handelt, sowie die Stellen ihrer Arbeit, die der Analyse der Sammlungen von Dru-
kovcev, Chomjakov und Berezajskij gewidmet sind. Die Verf. hätte vielleicht ausführlicher
davon sprechen sollen, daß das Erscheinen der Märchen in der Literatur des 18. Jhs durch
den beträchtlichen Einfluß des neuen Lesers aus dem Volke zu erklären ist, der wohl des
Schreibens und Lesens mächtig, gleichzeitig aber noch eng mit der Folkloretradition ver-
bunden war. Es hätte auch untersucht werden sollen, zu welchen Gesellschaftsschichten die
Besitzer der Märchensammlungen gehörten. Überzeugend ist P.s Schlußfolgerung, daß die
Publikationen des 18. Jhs als erste, wenn auch noch unvollständige Aufzeichnungen rus-
sischer Märchen zu betrachten sind.
Das zweite Kapitel des Buches ist dem russischen Märchen in der ersten Hälfte des 19. Jhs
gewidmet. Am Anfang dieses Kapitels betrachtet P. ungefähr das gleiche Material, das N. V.
Novikov in seinem unlängst erschienenen Buch Русские сказки в записях и публи-
кациях первой половины XIX в. (Russische Märchen in Aufzeichnungen und Publi-
kationen der ersten Hälfte des 19. Jhs) herangezogen hat. In der Beurteilung dieses Stoffes
geht sie jedoch selbständige Wege und bringt einige Präzisierungen. Zu bemerken ist,
daß die Verf. bei der Analyse der Publikationen von Avdeeva, Maksimovic, Bronicyn
und Vanenko eine kritischere Haltung als Novikov einnimmt. Zutreffend ist P.s Feststellung,
daß Afanas’evs Sammlung eine neue Etappe in der Märchenpublikation einleitet. Es wäre
nicht uninteressant, den Einfluß der Sammlung Afanas’evs auf die Märchenforschung der
Slawen zu untersuchen. Auch auf die Herausgabe der Legenden Afanas’evs wäre zu ver-
weisen, wenn auch die Verf. bei der Definition des Märchens die Legende aus diesem Genre
ausklammert. Einige Legenden in Afanas’evs Sammlung stehen dem Märchen jedoch nahe.
Die in Rußland verbotene zweite Auflage dieser Legenden wurde von fortschrittlichen
Kreisen der russischen Emigranten im Ausland veröffentlicht. Die Charakteristik der Tier-
märchen, die in Afanas’evs Märchensammlung enthalten sind, könnte noch präzisiert und
ergänzt werden. Wenn auch die Tiermärchen in der Mitte des 19. Jhs vorwiegend Kinder-
märchen waren, so zeigen doch die von Afanas’ev in den заветные сказки (Geheimnisvolle
Märchen) veröffentlichten satirischen und obskuren Texte, daß Tiermärchen nicht nur unter
Kindern lebten. Das Spezifische des russischen Tiermärchens im Vergleich zu anderen
slawischen, insbesondere zu bulgarischen und slowakischen Märchen, sollte m. E. mehr
herausgearbeitet werden. Interessant sind P.s Beobachtungen zur Stabilität der Tier-
märchen. Sie vermerkt besonders den Einfluß von Buchpublikationen, darunter Lehrmaterial
— Schullesebüchern, auf die Stabilität des Tiermärchens, eine Wechselbeziehung, die bisher
nur ungenügend berücksichtigt wurde. Bei der Untersuchung der Folklorisierung der Lite-
ratur muß die Rolle des Lehrbuchs gründlich behandelt werden. Uns scheint P.s Fest-
stellung zutreffend zu sein, daß die Form des Tiermärchens sowohl durch seinen Ursprung
als auch durch seine Existenz in der kindlichen Sphäre bestimmt wird.
Wertvoll sind die Abschnitte des Buches, die den brauchtümlichen Zügen des Zauber-
märchens, insbesondere den künstlerischen Funktionen von Märchenanfang und Märchen-
schluß sowie den Märchenformeln gewidmet sind. Die Verf. schenkt diesen Erscheinungen
gerade bei der Analyse von Afanas’evs Sammlung, die sich in dieser Hinsicht als nahezu
klassisch erweist, ihre besondere Aufmerksamkeit. Die Analyse der brauchtümlichen Ele-
mente im Märchen liefert eine Grundlage für die Gegenüberstellung von Märchen aus
Afanas’evs Sammlung und Märchen späterer Aufzeichnungen. Interessant ist auch die
Untersuchung der realistischen Details aus dem Alltagsleben, welche um die Mitte des 19. Jhs
in das Zaubermärchen eindrangen.
Das dritte Kapitel der Untersuchung behandelt das russische Märchen nach der Reforml861.
Wir finden hier P.s Hinweise auf die wachsende Popularität des satirischen Märchens in
jener Zeit. Zu Recht werden Korolenkos und Bunins Beobachtungen zum Leben des Mär-
chens herangezogen. P.s Hinweis auf die Notwendigkeit, die Beobachtungen und Aussagen
Besprechungen
499
von Schriftstellern über Leben und Existenz von Erzeugnissen der Folklore sorgfältig zu
studieren, verdient unsere Aufmerksamkeit. Die Schriftsteller haben oft solche Erschei-
nungen im Leben des Märchens beobachtet, an denen die Fachleute der folkloristischen
Wissenschaft vorbeigegangen sind. Ja, mehr noch, die wertvollen Beobachtungen von
Schriftstellern wurden von den Folkloristen zunächst oft ignoriert und erregten erst viele
Jahre später ihre Aufmerksamkeit. Einer der bestgelungenen Abschnitte des dritten Kapitels
ist die Beschreibung der Erzählweise Abram NovopoVcevs, dessen Märchen die Aufmerk-
samkeit vieler Forscher auf sich lenkten. Bekanntlich konnte D. N. Sadovnikov, der N.s
Märchen aufzeichnete, die Beschreibung der Vortragsweise dieses berühmten Mütchen-
erzählers nicht mehr vollenden. P. vermag nun aus der Analyse der Märchentexte NovopoP-
cevs ein außerordentlich lebendiges Bild seiner Erzählkunst zu vermitteln. Das kann nur
ein Folklorist, der viele unterschiedliche Erzähler lange Zeit hindurch gehört hat. Die große
Erfahrung in der folkloristischen Feldforschung hat der Verf. geholfen, eine sonst vielleicht
für immer verlorene Erzählweise wieder herzustellen. In diesem dritten Kapitel ist es P.
gelungen, die Hauptentwicklungstendenzen und das Spezifische des Märchens in der Zeit
nach den Reformen aufzuzeigen.
Das vierte Kapitel ist den Märchen vom Anfang des ¿0. Jlis gewidmet. In ihm sind neue
Methoden zur Sammlung und Untersuchung speziell der Märchen-Folklore dargestellt.
In diesem Zusammenhang behandelt P. auch detailliert die Arbeit der ehemaligen Kom-
mission für Volksliteratur bei der Ethnographischen Abteilung der Kaiserlichen Gesell-
schaft von Liebhabern der Naturwissenschaft, Anthropologie und Ethnographie an der
Moskauer Universität. Die Verf. geht auf die Tätigkeit D. K. Zelemns, N. E. Onöukovs,
der Brüder B. und Ju. Sokolov und der damals noch jungen Folkloristen ein, die Mit-
glieder der Kommission für Volksdichtung waren - Gelehrte, die Märchen sammelten
und das Leben des Märchens in dieser Periode erforschten. Etwas ausführlicher hätte sie
sich mit den Arbeiten des damals in der Märchenforschung noch jungen M K. Azadovskij
beschäftigen sollen. - Es ist der Verf. gelungen die Situation der Märchentradition in
jener Periode darzustellen und zutreffende, präzise Beobachtungen zu den neuen Prozessen
im Leben der Märchen zu machen sowie die Fragen zu beleuchten, die damals die Märchen-
forscher bewegten. Nicht unerwähnt jedoch hätte bleiben dürfen, daß die Arbeit der rus-
sischen Märchenforscher Einfluß auf die ukrainischen Folkloristen ausübten insbesondere
auf Gnedie, der mit der Kommission für Volksliteratur in Verbindung stand. Auch hätte
die Verf. darauf hinweisen sollen, daß die in dieser Periode veröffentlichten Märchensamm-
lungen Beachtung im Ausland fanden, vor allem in Rezensionen J Polivkas in tschechischer
und deutscher Sprache, und u. a. die Herausgabe tschechischer Märchen beeinflußten, z. B.
die Sammlungen Kubins und polivkas.
Das fünfte Kapitel ist den Märchen der Sowjetepoche gewidmet. Besonders wertvoll
scheint uns der Abschnitt mit der Analyse des russischen Märchens in dieser Zeit. Hier muß
erwähnt werden, daß P. aktiven Anteil an der Sammlung von Märchen in den verschieden-
sten Gebieten der Sowjetunion nahm und sich wie kaum einer unter den sowjetischen Folk-
loristen neben der Sammlung ganz intensiv mit der Beobachtung des Lebens der Märchen
beschäftigt hat. Das ist auch der Grund, weshalb die Marchensammlung und Forschung der
Sowjetepoche lückenlos dargestellt werden konnte. Dieses Kapitel basiert nicht nur auf der
Untersuchung zahlreicher Märchenveroffentlichungen und auf eigenen Beobachtungen,
sondern auch auf der Untersuchung der in Moskau, Leningrad und Petrozavodsk lagernden
Archivbestände. Die Darstellung der Veränderungen am Märchen erfolgt in diesem Kapitel
historisch; die verschiedenen Entwicklungsepochen werden einzeln charakterisiert.
Sehr interessant sind die Beobachtungen der Verf. im Hinblick auf die Schaffung neuer
Märchen während der Sowjetepoche. Ihre Schlußfolgerung ist zutreffend, daß die neuen
Märchen keine Bestandteile der Folklore darstellen, sondern daß sie fast ausnahmslos nur
von ihren Autoren erzählt werden, daß sie nicht in des Repertoire anderer Erzähler einge-
gangen sind und nicht wiederholt werden, obgleich sie bei der Zuhörerschaft nicht selten
auf Interesse stoßen. Ein charakteristisches Merkmal der neuen Märchen besteht darin, daß
die Erzähler sie nicht in einer Gemeinschaft, ja nicht einmal auf mündlichem Wege, sondern
häufig in schriftlicher Form schaffen. Schon im vorhergehenden Kapitel konnte die Verf.
fns5:hjl: für c^ot.'frcV.o Vc^-tclsunda
500
Besprechungen
eigentümliche Züge des Märchens feststellen, die in den früheren Perioden nur schwach
entwickelt waren, etwa den besonderen Charakter der Psychologisierung oder die Verstär-
kung der realistischen Elemente aus dem Alltagsleben im Zaubermärchen. Alle diese Züge
finden in der Sowjetepoche einen besonders klaren Ausdruck. Die Verf. demonstriert dies
deutlich anhand der Analyse des Repertoires verschiedener sowjetischer Märchenerzähler
und der Märchenüberlieferung verschiedener Gebiete. Im gleichen Kapitel geht sie ausführ-
lich auf die Rolle des Buches bei der Entwicklung des zeitgenössischen Märchens ein. Diese
Frage wird auch in den vorhergehenden Kapiteln bereits gestreift; es versteht sich jedoch
von selbst, daß der Einfluß des Buches auf das Märchen in der Gegenwart besonders stark
zum Ausdruck kommt. Es ist auch verständlich, daß die Verf. diesen Prozeß mit größter
Ausführlichkeit schildert. Eine gute Hilfe leisteten hier die von ihr selbst zusammengestellten
Biographien der Märchenerzähler. So bringt P. nicht nur genaue Angaben über das
Märchenrepertoire, sondern auch über die Lektüre von F. I. Kovalev (Märchen auf den
volkstümlichen Lindenholztafeln, die Werke Puskins, Aksakovs, Gogol’s und Jules Vernes)
[siehe DJbfVk n, 1965 265 ff.], über die Lektüre der A. N. Korol’kova (Erzählungen auf
Lindenholztafeln, Kinderbücher, Chrestomathien) und einiger anderer Märchenerzähler.
Im Schlußteil des Buches werden die einzelnen Thesen zusammengefaßt, die in den vor-
angegangenen Kapiteln über das Schicksal des Märchens vom 18. bis 20. Jhs. ausgeführt
wurden, und die gleichzeitige Stabilität und Veränderlichkeit des Märchens deutlich zum
Ausdruck gebracht. Wertvoll ist hier P.s Beobachtung, daß die zugrundeliegende künst-
lerische Methode der Märchenerzähler beim Übergang des Märchens von einer Epoche in
die andere gleichbleibt. Anders ist die Lage bei der Folklorisierung von Werken der Lite-
ratur. Hier ordnet der Erzähler das literarische Material den andersartigen ästhetischen Nor-
men der Volksliteratur unter. P. zeigt, daß ein Werk der Literatur bei der Folklorisierung
nicht nur selbst verändert wird, sondern seinerseits auch auf die Folklore einwirkt.
In Verbindung mit dem vorliegenden Buch taucht eine Reihe allgemeiner Fragen prin-
zipiellen Charakters auf. Mir scheint, daß die Frage des gesetzmäßigen, systematischen Ab-
klingens der Märchentradition, die mit dem 19. Jh. beginnt und in unseren Tagen endet,
komplizierter ist, als die Verf. wahrhaben möchte. Die Veränderung des Märchens bei seiner
Entfernung von den traditionellen Normen erfolgt nicht gradlinig, sondern in einer Zick-
zacklinie. Einzelne Erzähler haben sich beträchtliche Abweichungen von der Märchen-
norm und sogar eine Zerstörung dieser Normen erlaubt, andere waren bestrebt, diese Nor-
men einzuhalten. Da nun das Märchen ein kollektives Produkt ist, hielten sich im Kollektiv
des einen Dorfes die traditionellen Märchennormen besser, während sie in einem anderen
Dorf, in einem anderen Kollektiv, zerstört wurden.
Ich kann mich auch nicht mit der Definition der Elemente des Realismus im Zaubermär-
chen, die nach Meinung der Verf. seit dem 19. Jh. systematisch eindrangen, einverstanden
erklären. Mir scheint, daß der Terminus „Realismus“ hinsichtlich des Märchens kaum anders
als in Anführungsstrichen angewandt werden darf. Bei der Verf. begegnet dieser Ausdruck
sogar in der Beschreibung von Märchen des 19. Jahrhunderts. Was nun das sowjetische
Märchen anbelangt, so könnte das Eindringen des Realismus in die Märchen eines des
Schreibens und Lesens kundigen Erzählers, der Werke von realistischen Schriftstellern
gelesen hat, natürlich möglich erscheinen. Die Analyse der Märchen Kovalevs zeigt jedoch,
daß die Literatur auf den Lindenholztafeln mit ihrem sentimental-romantischen Charakter
einen besonders starken Einfluß auf ihn ausübte, während sich ein Einfluß realistischer
Schriftsteller nicht findet.
Weiterhin sind m. E. P.s Formulierungen über den Einfluß der Skomorochen (Gaukler)
auf das Märchen nicht immer präzise. Manche Forscher sind geneigt, alle humoristischen und
satirischen Elemente des Märchens auf Skomorochen zurückzuführen. Es will scheinen, als
ob es in der russischen Folklore weder Satire noch Flumor gäbe, hätte es keine Skomorochen
gegeben. Mir liegt fern, die Rolle der Skomorochen in der Geschichte des russischen Volks-
schauspiels und ihren Einfluß auf die russische Folklore und auf die russische Erzählung
herabzumindern, es wäre aber in jedem einzelnen Falle erforderlich zu beweisen, daß dieses
oder jenes Märchen bzw. Märchenelement nur unter dem Einfluß der Skomorochen in die
Folklore eindringen konnte. Man muß zugeben, daß solche Beweisführung außerordentlich
Besprechungen
501
schwierig ist, da ja die Skomorochen selbst russische professionelle Künstler, russische profes-
sionelle Märchenerzähler waren und ohne Zweifel die populärsten Volksmärchen in ihr
Repertoire auf nahmen. Die Verf. ist in vielen Fällen, wenn sie vom Einfluß der Skomo-
rochen auf das russische Märchen spricht, sehr vorsichtig in ihren Formulierungen, und ich
bin durchaus bereit, Formulierungen dieser Art zu unterschreiben. An anderen Stellen sind
solche Aussagen jedoch weniger vorsichtig. So spricht sie ohne genügende Begründung die
Vermutung aus, die Bylinensänger seien Nachfolger der Skomorochen. Ebenso wenig
beweisbar sind die Behauptungen, daß im Schaffen des Possenreißers und Bauern Novopol’-
cev einzelne Stellen zu finden seien, die gleichsam die Tradition der Skomorochen fort-
setzen. Nicht immer ist der Leser sich im klaren darüber, wen die Verf. als professionellen
Märchenerzähler betrachtet: den Skomorochen, der sich sein Brot durch seine Kunst ver-
diente, oder den leibeigenen Bauern, der sich durch Erzählen von Märchen einen gelegent-
lichen Nebenverdienst verschaffte. Man sollte, so scheint mir, von halbprofessionellen
Märchenerzählern sprechen, von wandernden Handwerkern, die von Ort zu Ort zogen und
das Märchenrepertoire der verschiedenen Gebiete bereicherten.
Auch wer nicht mit allen Thesen der Verf. einverstanden ist, wird zugeben, daß ihre
Untersuchung reiches Faktenmaterial liefert, das ohne Zweifel auch für solche Folkloristen
ein wertvoller Gewinn ist, die in einzelnen Fragen eine andere Position einnehmen. Das
Buch zeigt, daß Verf. lebhaft an den aktuellen Fragen der modernen Märchenforschung
interessiert ist und daß sie für die Lösung der anstehenden Probleme der modernen Folklo-
ristik neue Wege beschritten hat. Die von ihr zur Diskussion gestellten Fragen bringen
frischen Wind in die Arbeit der Folkloristen und werden zur Entwicklung der modernen
Erzählforschung beitragen.
P. Bogatyrev, Moskau
Weißbär am See. Schwedische Volksmärchen von Bohuslan bis Gotland. Hg. von Waldemar
Liungman. Aus dem Schwed. übers von Elsbeth Umlauf. Kassel Erich Röth-
Verlag 1965. 196 S. (= Das Gesicht der Volker, hg. von Dieter Roth).
Das weiße,’das schwarze und das feuerrote Meer. Finnische Volksmärchen. Übers und hg.
von Robert Klein. Einführung von Dieter Roth. Kassel, Erich Roth-Verlag, 1966.
224 S. (= Das Gesicht der Völker, hg. von Dieter Roth).
Die Freunde der für Ethnographie und Folklore verdienstvollen Reihe werden diese
Die Freunde der tur . Fen Auswahlbände begrüßen; besonders vielleicht Weißbär
lange angekundigten europäischen лш» °
am See, der ursprünglich als Textpendant zu Lmngmans Kommentarband Du Machen
Volksmärchen. Herkunft uni Geschichte (Berlin 1961. Veroff. d. Inst. £. dt. Volkskunde ao)
^WifdTe meisten Veröffentlichungen aus der Reihe Das Gesicht der Völker enthalten auch
die vorliegenden, von Dieter Röth geschmackvoll und sachkundig ausgestatteten Bände
größtenteils originale Aufzeichnungen. Die schwedischen Texte stammen aus der um-
fangreichen Liungman-Sammlung - sie besitzt u a. 700 Marchenvananten zu insgesamt
ö , . 7 rp „„„ л\г finnischen aus dem von Eero Salmelainen und Kaarle
Krohn'bizum Ende des 19’ Jhs zusammengetragenen Märchenschatz. Die Herausgeber
.... ... pnecuneen von international bekannten Typen aus, die anderer-
wahlten die jeweils besten Fassungen , c . , . ,,
• j • „uvb das sneziell schwedische oder finnische Milieu zeigen sollen,
seits möglichst emdrmglicn aas ьри .
welches sie im Munde der Erzähler gewannen. Das finnische Marchenmatenal weist darüber
hinaus zahlreiche Verbindungen zur russischen Überlieferung auf.
Die Bände unterscheiden sich in ihren Kommentaren und Einführungen: Liungman
brinet in seiner bekannten Methode als Anmerkung nach der Typennummer und der
«rhJtdkrhen Ouelle die wahrscheinliche Heimat, das Entstehungsgebiet eines Märchens
, . г Л, cfpn Reles (z B. „Aus dem Vorderen Orient“, „Entstanden vermutlich
oder seinen frühesten £>eieg y- » . , ’ ” . . , „ . « .. N
auf dem Balkan“, „Kleinasiatisches Märchen , „Aus homerisch mykenischer Zeit o. a.),
um dann seine Wanderzüge nach Europa bzw. Schweden anzugeben. Allerdings werden
solche Anmerkungen dem Leser dieser Bücher nicht allzu viel sagen, da hier die Fakten
33 Volkskunde
502
Besprechungen
(im Gegensatz zum Kommentarband Die schwedischen Volksmärchen) notwendig stark
gekürzt und zusammengedrängt werden mußten. Der kurze Kommentar (Finnische Samm-
lung, Aufzeichnungsort, AT-Nummer, evtl. Angaben über den Erzähler, Hinweis auf andere
finnische Quellen) reicht nach Meinung der Rez. völlig aus, um das Bild vom Wesen der
entsprechenden nationalen oder ethnisch spezifischen Überlieferung zu vervollständigen.
In den Einführungen vermitteln Liungman und Röth eine gute Vorstellung vom Charak-
ter der jeweils benutzten Sammlung. Während ersterer Gewicht legt auf die Beschreibung
der Landschaften, aus denen die Märchen seines Buches stammen, der Wanderwege, die das
Erzähl gut nach und von Schweden im Laufe der Jahrhunderte zurücklegte, sowie auf die
Schilderung einzelner Erzähler und Erzählgelegenheiten, geht Röth mehr auf die in der
finnischen Ausgabe vertretenen Forscher Salmelainen und Krohn ein und auf das Zustande-
kommen ihrer großen Sammlungen. Sehr wichtig sind Röths Bemerkungen über die Art
und Weise, wie das Volk wirklich erzählt, daß nämlich in einem Hörerkreis, der jede einzelne
Überlieferung schon seit langem kennt, die vollständige Fassung durchaus nicht immer
erforderlich ist bzw. gegeben wird, und daß der Aufzeichner aus diesem Grund oftmals
nur Bruchstücke, Kurzfassungen, „Telegramme“ zu hören bekommt. Da dieser Hinweis bei
Liungman fehlt, können dem Nichtfolkloristen Textpassagen, die den Verlauf bestimmter
Handlungen oder Ereignisse nur andeuten, unverständlich bleiben (vgl. z. B. den Schluß
von Jäger John und das Zottel fohlen), so daß für ihn das Märchen gerade durch seine Frische
und Unmittelbarkeit an Reiz einbüßt.
Gisela Burde-Schneidewind, Berlin
Mathilde Hain, Rätsel. Stuttgart, J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 1966. 62 S.
(— Sammlung Metzler, Realienbücher für Germanisten 53).
Nach den Bändchen über Legende (H. Rosenfeld), Märchen (M. Lüthi) und Volkslied
(W. Suppan) ist in der Sammlung Metzler nun auch ein kleines Kompendium über das
Rätsel erschienen, dessen Bearbeitung bei H. in guten Händen lag. Die Verf. wollte vor
allem eine Einführung in die Rätseltradition geben. So liegt das Schwergewicht der Dar-
stellung auf der Mitteilung von Fakten. — Nach einleitenden Bemerkungen zur Früh-
geschichte des Rätsels werden in chronologischer Folge zunächst das altgermanische
Rätsel, die Fragebüchlein des Mittelalters und die Rätsel der mittelhochdeutschen Spruch-
dichter behandelt. Während die spärlichen Zeugnisse bis zum 13. Jh. nicht mehr als das
Vorkommen der Gattung im deutschsprachigen Raum beweisen, setzen — wie H. zeigt —
mit der bürgerlichen Spruchdichtung, vor allem mit dem Meistergesang, verstärkt literari-
sche Belege ein, die bereits eine gewisse Beliebtheit erkennen lassen. Das Zeitalter des
Humanismus — mit dem die Darstellung fortfährt — bringt mit seiner Wendung zur Antike
neue Stoffe und Formen, die durch die gedruckten deutschsprachigen Rätselbüchlein des
16. und 17. Jhs auch außerhalb der humanistisch gebildeten Kreise Verbreitung finden.
Diese Büchlein tragen aber offensichtlich auch bereits lebendiges Sprachgut zusammen,
während in den Poetiken der Barockdichter, die das Rätsel zu definieren versuchen, wieder
auf lateinische Quellen zurückgegriffen wird. Mit dem 19. Jh. beginnen dann die bewußten
Sammlungen aus dem Volksmund, von denen die mecklenburgische von Richard Wossidlo
(1897) — auf die H. häufig verweist — noch immer unübertroffen ist.
Die folgenden Abschnitte befassen sich mit einzelnen Rätselarten, vor allem biblischen
Rätseln und Rätselerzählungen, sowie mit Wesen und Sprachgestalt des Rätsels allgemein.
Dabei setzt sich die Verf. mit der romantischen Vorstellung einer „Geburt des Rätsels im
urtümlichen Raum des Mythisch-Kultischen“ auseinander und stellt ihre eigene Auffassung
daneben: „Verbildlichung ist ein Urphänomen jeder Sprache; die Alltagssprache hat den
Bildcharakter schon weitgehend abgeschliffen, die poetische Sprache dagegen kultiviert
ihn bewußt. Dabei ordnet sie die Bilder in stilvolle Reihen; ,sie legt ein Geheimnis in sie
hinein, so daß ein jedes Bild spielend auf ein Rätsel Antwort gibt‘ (Huizinga). . . . Die
poetische Form ,Rätsel* begrenzt nun das Spiel auf ein einzelnes Phänomen oder Ding;
sie erschwert es zugleich, indem sie das Bild verdunkelt“ (48f.). Überhaupt wird nicht ein-
Besprechungen
503
fach die germanistische und volkskundliche Forschung referiert, sondern in der Synthese
über sie hinauszugehen versucht. Das betrifft besonders das Bemühen, die Beziehungen
zwischen literarischer und mündlicher Rätselüberlieferung zu erhellen und hinter den ver-
schiedenen Inhalten und Formen der Gattung die Überlieferungsträger zu greifen. Am
deutlichsten kommt dieses volkskundliche Anliegen in den abschließenden Bemerkungen
über die Lebensformen des Rätsels zum Ausdruck. Hier war freilich nicht mehr als eine
knappe Aufzählung von Anwendungsgelegenheiten möglich, da darüber vorerst nur sehr
dürftiges Material vorliegt. — Zu jedem der instruktiven Abschnitte ist jeweils die heran-
gezogene und weiterführende Literatur verzeichnet; ein Register erschließt den Inhalt.
Man freut sich, fortan diese verläßliche knappe Übersicht über Rätsel und Rätselforschung
in Deutschland zu leichter Orientierung zur Hand zu haben.
Siegfried Neumann, Rostock
Allemaal Mensen ... Apologische Spreekwoorden. Versameld en ingeleid door C V
kamp. 3. Aufl. ’s-Gravenhage, Martinus Nijhoff, 1965. XXIV, 150 S ' VRU^S"
Arthur Jacob, De duivel-zeispreuken bij Guido Gezelle. In: WetenschannoliiL t-j-
24 (Gent 1965) 289-308. ,Ke gingen
Der niederländisch-flämische Sprachraum gehört zu den Gebieten mit einer besond
reichen Überlieferung an Sagwörtern (zeispreuken, apologische spreekwoorden) die sich W*
schon im ausgehenden Mittelalter belegen lassen und seit bereits 300 Jahren in einer FolsT
größerer Sammlungen auf gefangen worden sind. Diese ungewöhnlich gute Forschung
Situation ermöglichte es Kruyskamp 1947, eine kleine Anthologie aus dem niederländischen
Sagwortbestand zu publizieren, von der zwei Auflagen rasch vergriffen waren Die vor
liegende Neuausgabe mit 950 Nrn stellt eine beträchtliche Erweiterung dar. Neben zahl"
reichen niederländischen Belegen wurden vor allem Parallelen aus dem Deutschen En di"
sehen und Französischen neu aufgenommen. Das Material ist alphabetisch nach Stichwörtern
im sentenzartigen ersten Teil (dictum) der Beispiele geordnet, so daß alle Varianten der
komischen Relativierung eines Sprichworts unmittelbar hintereinander stehen- Alles
met mate, zei de snijder, en hij sloeg zijn vrouw met de el“, „Alles met mate zei Kaatje
cn zij gooide haar man een kan water over *t lijf“ usw. (Nr. 473 ff). Solche Fälle sind jedoch
relativ selten. So fragt es sich, ob diese wenig befolgte, von Sprache zu Sprache notwendig
stark voneinander abweichende alphabetische Anordnung wirklich lohnt und nicht °
nötig internationale Vergleiche erschwert, selbst wenn — wie hier — ein Register der S
Personen zur leichteren Orientierung beigegeben ist. Der Dokumentationswert der Zu"
sammenstellung steht jedoch außer Zweifel, zumal eine Bibliographie die herangezoeenen
Quellen verzeichnet und gegebenenfalls ein Zurückgehen auf sie ermöglicht Beachtung
verdient die inhaltsreiche Einführung, die eine gute Übersicht über die Geschichte d §
Sagwortsammlung in den Niederlanden gibt und anregende Überlegungen über die Inhalte
und Strukturen dieser Sprichwortgattung enthält. Insgesamt stellt K.s Anthologie die in
erster Linie ein Volksbuch sein will, das Beste dar, was wir über das niederländische Sag
wort bisher besitzen, wenn sie sich auch mit Arbeiten wie etwa der von Hofmnnn
benachbarte Rheinland (vgl. DJbfVk 7, 1961, 328f.) nicht vergleichen läßt
Eine solche Arbeit, die das gesamte niederländische und flämische Sagwortgut darbieten
und behandeln soll, wird von dem Flamen Jacob seit mehreren Jahren vorbereitet Sein
hier zu besprechender Aufsatz über Teufels-Sagwörter ist gewissermaßen ein vorabgedruckter
Ausschnitt daraus und veranschaulicht, wie der Autor seine Aufgabe methodisch anzu
fassen gedenkt. Er hat sein umfangreiches Material nach den auftretenden Sagpersonen
gruppiert und innerhalb der einzelnen Gruppen nach der jeweiligen Aussage unterteilt-
Mißtrauen, Ermahnung zur Vorsicht, Dummheit, Eigenliebe, Prahlerei, Naivität Gleich'
gültigkeit, Scherz bei Verlust, Scheinmotivierung bei Grobheit, Bestrafte Grausamkeit
usw. Auch hier bleibt die Zuordnung einzelner Sagwörter problematisch und es gibt zahl
reiche Überschneidungen. Aber dieses Gliederungsprinzip bietet zweifellos die Möglichkeit
zu einer der Gattung angemessenen und übersichtlichen Gliederung des Materials das
504
Besprechungen
außerdem durch 3 Register (Stichwörter im dictum, Sagpersonen, Stichwörter im factum)
vorzüglich aufgeschlossen wird. Ebenso verläßlich sind die ausführlichen bibliographischen
Nachweise. Dagegen bietet die Untersuchung dieser Teufels-Sagwörter durch J. kaum mehr
als Allgemeinplätze, ist aber offensichtlich auch nur als Einleitung zu dem dargebotenen
Material gedacht. Jedenfalls läßt eine ähnliche Darbietung und Interpretation auch der
übrigen Gruppen des niederländischen und flämischen Sagworts ein nicht nur sehr umfang-
reiches, sondern ebenso nützliches Werk erwarten.
Siegfried Neumann, Rostock
Rudolf Schenda, Italienische Volkslesestoffe im 19. Jahrhundert. Einführung und Biblio-
graphie zur Sammlung italienischer Volksbüchlein im Museo Pitre, Palermo. Archiv für
Geschichte des Buchwesens 7 (1966) 209 — 300.
Sch. hat sich nach seinen verdienstvollen Untersuchungen über die vorher nahezu
unbekannte französische und deutsche Prodigienliteratur des 16. und 17. Jhs (vgl. Münchner
Romanistische Arbeiten Bd. 16, 1961; Archiv für Geschichte des Buchwesens 4, 1962,
637 — 710) der Erforschung des Volkslesestoffs der Folgezeit zugewandt. Der vorliegende
umfangreiche Aufsatz ist ein weiteres Ergebnis der zweijährigen Studien des Verfs in
Italien.
Sch. fand in der von italienischen Forschern bisher nicht ausgewerteten Sammlung
Pitrè neben 71 Flugblättern (vgl. ZfVk 58, 1962, 210 — 237) auch 208 mehrseitige volks-
tümliche Drucke, z. T. in mehreren voneinander abweichenden Ausgaben, für die er den
Terminus Volksbüchlein einführt. Diese „massenhaft verbreiteten“ Büchlein vermitteln
einen repräsentativen Überblick über die Lektüre der lesekundigen Mittelschichten im
Italien des vorigen Jahrhunderts. Es handelt sich vor allem um unbeholfen gereimte Vers-
novellen drastisch-religiösen, profan-märchenhaften, antiken oder zeitgenössisch-aktuellen
Inhalts, um scherzhafte oder satirische Spottgedichte, z. T. als Streitgespräche in Dialog-
form, um kleine Sammlungen schlagerartiger Lieder und um Räuber- und Mördergeschichten.
Geboten wird Information und Unterhaltung, nicht minder aber Nervenkitzel: Unerhörte
Mirakel, Mord, Vergewaltigung und andere Brutalitäten, kriegerische Heldentaten, Exe-
kutionen, ungewöhnliche Leistungen, derbe Erotik, Sentimentalitäten usw. stehen in oft
bunter Mischung nebeneinander, wobei sich zahlreiche Parallelen zu alten und verbreiteten
Erzählstoffen nachweisen lassen. Diese stoffliche Abhängigkeit sowie die häufige Wieder-
kehr derselben Themen und des gleichen volkstümlich-dualistischen Weltbildes lassen den
Schluß zu: „Die Volkslesestoffe sind weniger relevant, weil sie Neues bieten, als vielmehr,
weil sie Altes tradieren“ (248). So waren die Autoren auch keine Literaten, sondern —
wie Sch. glaubhaft macht — meist einfache Leute, die sich durch ihre stereotypen Reimereien
eine Nebeneinnahme verschafften. Als Leser kommen vor allem Bürger, Dienstboten,
Arbeiter in Frage; Leseunkundige sorgten durch Weitererzählen und Nachsingen des Ge-
hörten für die fernere Verbreitung. Die Volksbüchlein befriedigten ein Bedürfnis nach
Sensationen, erotischem Reiz und heiterem Zeitvertreib, wobei sich Verfasser und Verleger
deutlich auf ihre Leser einstellten.
Sch. legt bei seiner Untersuchung — das macht sie methodisch so interessant — weniger
ästhetische als volkskundlich-soziologische Maßstäbe an. Es geht ihm nicht um die Volks-
büchlein an sich, deren Bestand im Museo Pitrè er katalogisiert und vorführt, sondern um
ihre Produzenten und Konsumenten. Dabei gelingt es ihm zu zeigen, daß vom Inhalt dieser
Massenlektüre her wesentliche Rückschlüsse auf Geschmack und Denkweise, Weltanschau-
ung und Gefühlswelt der Leserschichten möglich sind. — Man darf wohl gespannt sein auf
seine große Untersuchung über Volkslesestoffe, an der er gegenwärtig arbeitet.
Siegfried Neumann, Rostock
Besprechungen
505
A Magyar Nepzene Tara (Corpus Musicae Popularis Hungaricae). Hg. von der ungarischen
Akademie der Wissenschaften durch Bela Bartök u. ZoltÄn Kodäly. Bd. 5:
Siratök (Laments), hg. v. Lajos Kiss u. Benjamin Rajeczky, translated by Imre
Gombos. Budapest, Akademiai Kiadö, 1966. 1140 S.
Der 5. Band des CMPH bringt nach den Kinderliedern (Bd. 1) Brauchtumsgesängen
(Bd. 2), Hochzeits- und Paarliedern (Bd. 3 u. 4) den letzten Teil der funktionellTbSen
Lieder im engeren Sinne: die Klagegesänge. In seiner Art steht dieser BanÄufig eSg
da im Schrifttum der Volksmusikforschung und Musikethnologie. Wie in manchem Fall
vorher zeigt sich die äußerst aktive ungarische Musikfolkloristik als fruchtbarer Weg
bereiter und Schrittmacher. Man möchte wünschen, daß das hier auf über 1000 Seiten ge
botene Vorbild in all den Ländern Schule macht, in denen die Sitte des Beklanrns noU
lebendig oder jedenfalls noch nicht völlig geschwunden ist. °
Aus zweierlei Gründen ist für die Aufzeichnung gerade der Klagegesänge erst jetzt der
geeignete Zeitpunkt gekommen: erstens ermöglichen die seit ihren Anfängen technisch
erheblich verbesserten Schallaufnahmegeräte eine einwandfreie und vollständige Aufzei h
nung dieser komplizierten Gattung; zweitens erleichtert die überall spürbare Lockerung d "
Macht jahrhundertealter Traditionen dem Sammler die Arbeit, indem die Sänger heu^
viel eher als noch vor wenigen Jahrzehnten bereit sind, einen Blick in die betreffende°
Bereiche ihrer Intimsphäre tun zu lassen. Die ersten Befragungsversuche Kodäl
Jahre 1915, die der seit frühester Zeit für diese Gattung interessierte Nestor der ungarischen
Volksmusikforschung im Vorwort zum vorliegenden Band anschaulich schildert legen
davon beredtes Zeugnis ab. War man im ersten Jahrzehnt unseres Jhs noch der Meinung
daß der ungarische Klagegesang ausgestorben sei, so lagen am Ende des 1. Weltkrieges —’
vor allem dank Kodälys Initiative — rund 40 Klagegesänge aufgezeichnet vor; ungefähr
die gleiche Zahl kamen bis 1951 dazu, der überwiegende Teil der heute vorhandenen Samm-
lung (insgesamt 885 Aufzeichnungen, darunter 197 Parodien) wurde aber erst zwischen
1952 und 1963 systematisch zusammengetragen. Diese Tatsache sollte im Hinblick auf noch
nicht erschlossene Gebiete zu denken geben.
Den Ungarn ist zu danken, daß sie ihre Chance genutzt und sich dabei nicht geringer
Mühe unterzogen haben (hier ist vor allem an die zeitraubende Arbeit der Transkripti
dieser im wesentlichen freirhythmischen Gattung zu erinnern, die für diesen Band h ^
sächlich von L. Kiss, Z. Kodäly und B. Rajeczky geleistet wurde). Und zum ersten
der Geschichte des CMPH (vgl. Rez. Bd. 1-4 von L. Vargyas, der zusammen mit P
Jardanyi als Lektor für den vorliegenden Band verantwortlich zeichnet in DTbfVk '
1961, 312-316) lassen sie auch die nicht ungarisch lesenden Interessenten - und das i
ja nicht wenige - in vollem Umfang an ihren Ergebnissen teilhaben: vom Vorwort bis *
den Anmerkungen wird alles auch in englischer Übersetzung dargeboten Damit ist di d
erste Band der Reihe der international die ihm gebührende Anerkennung und Benutzung
erfahren kann. Auch die folgenden Bande sollen in dieser Weise zugänglich gemacht werd ^
In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß die sorgfältige sprachliche Revision des
englischen Textes durch Laurence Picken, Cambridge, dem ganzen Band sehr zugute gc
kommen ist. ° °
Den Hauptteil des Bandes bilden 218 Klagen (deren Texte in ebenfalls vorzüglicher eng
hscher Übersetzung abgedruckt sind), geordnet nach 5 Aufnahmegebieten- 1 Palocen
Region (Nordungarn), 2. Transdanubien (Westungarn), 3. Zentrale ungarische Tiefebene"
4. Obere Theiß-Region (Nordostungarn), 5. Mesöseg, Szikler- und Csängö-Gebiet (ungari’
sehe Siedlungsgebiete in Rumänien). Innerhalb dieser geographischen Gliederung sind die
Melodien nach dem Melodieumfang angeordnet (Gruppe A: weiter Ambitus GruppeB-
enger Ambitus). Ein solcher Kompromiß zwischen geographischen und musikalischen Ge’
sichtspunkten erwies sich, wie die Herausgeber überzeugend darlegen, als die bestmögliche
Form der Materialdarbietung; sie dürfte für alle musikalischen Stile, in denen improvisatori
sehe Elemente eine entscheidene Rolle spielen und demzufolge regionale Dialekte sich stärker
ausbilden können als bei relativ festgeformten Stilen, die gebotene Form der Anordnung
506
Besprechungen
sein (z. B. für bestimmte Formen der südalbanischen Mehrstimmigkeit, der lappischen
Juoikos-Melodien u. ä.).
Zusätzlich zu den 218 Klageliedern des Hauptteiles werden im Anmerkungsteil zahlreiche
weitere Versionen aus dem Gesamtbestand an ungarischen Klageliedaufzeichnungen mit-
geteilt. Die Anmerkungen — numerisch angeordnet wie die Melodien — enthalten wissens-
werte Einzelheiten zu den angeführten Stücken (für wen die betreffende Klage gesungen
wurde, Hinweise zur melodischen Form, zur Vortragsart etc.); sie führen die zu der be-
treffenden Nr. gehörenden Varianten aus dem Gesamtbestand an (zahlreiche Versionen
z. B. zu den Nrn 39, 42, 58 und 59) und geben vergleichende Hinweise. — Obgleich die
Parodien in die Anmerkungen einbezogen sind, ist ihnen dankenswerterweise ein eigener
kleiner Abschnitt gewidmet; L. Kiss bietet darin einen Überblick über die Formeln und
Motive der Parodien, untersucht die gelegentlich beim echten Klagen einfließenden,
parodistisch oder jedenfalls komisch wirkenden Elemente und behandelt die spielerischen
Beerdigungszeremonien im Brauchtum der Erwachsenen und Kinder (bei der Hochzeit,
zur Fastnacht, bei Spinnstubenfesten; beim kindlichen Spiel: Beklagen von Puopen,
toten Haustieren etc.).
Äußerst reichhaltige Einblicke in die brauchtümlichen Zusammenhänge des Klagens, in
Geschichte und Eigenart dieser aus mehreren Gründen von der Volksmusikforschung
vernachlässigten Singpraxis gibt vor allem die von B. Rajeczky verfaßte Einleitung. Sie
gliedert sich in sieben Abschnitte, die — nach Bemerkungen zur Anlage des Bandes und zur
Wortgeschichte von siratö (ung. Klage) — x. die historischen Quellen behandeln, 2. die
Zusammenhänge zwischen der ungarischen Versgeschichte und der Entwicklung der Klage-
texte, 3. die volkskundliche, linguistische, kulturhistorische und musikologische Literatur
zum Thema, 4. die Rolle der Geschlechter beim Klagen und die Frage der Professionalität,
5. die Rolle des Heidentums und der christlichen Religion in der Entwicklungsgeschichte
der Totenklage (wobei auch die gelegentliche Beeinflussung des Klagestils durch kirchliches
Melodiengut, Beerdigungslieder, Psalmen- und Gebetsformeln etc., Beachtung findet),
6. die Melodien, ihre Spielarten und deren Charakteristika sowie ihre Verbreitung und
schließlich 7. die Klassifikation der Melodien (mit anschließenden sehr nützlichen tabellari-
schen Übersichten über regionale Charakteristika hinsichtlich Ambitus, Tonalstruktur und
Kadenzen sowie über Melodietypen-Gerüste). Diese Ordnung des melodischen Materials
ist dem so früh verstorbenen Pal Jardänyi (vgl. DJbfVk 13, 1967, io6f.) zu danken, der
auch die Anordnungen für die weiteren Bände des CMPH entworfen hat.
Im Rahmen dieser Rezension ist es nicht möglich, auch nur einen Überblick über die
Fülle der angeschnittenen Fragen und Probleme zu geben. Es sei jedoch erlaubt, auf einige
mir besonders wichtig erscheinende Passagen in dieser (im englischen Text 5 5 Seiten um-
fassenden) Einleitung hinzuweisen, an denen sich in besonderem Maße bestätigt, daß die
gründliche Kenntnis nur eines begrenzten geographischen Gebietes immer wieder am besten
geeignet erscheint, mit lange Zeit durch die Literatur geschleppten Vorurteilen und Ver-
allgemeinerungen aufzuräumen. In dieser Hinsicht sind z. B. die Bemerkungen über die
professionellen Klageweiber interessant, über ihre Rolle im Vergleich zur Klagepraxis der
Verwandtschaft des Toten und über die mannigfachen Übergangsformen zwischen Pro-
fessionalismus und Nichtprofessionalismus (vgl. dazu auch die einschlägigen Bemerkungen
von Bogatyrev und Jakobson, Die Folklore als eine besondere Form des Schaffens. In:
Jakobson, Selected Writings 4. The Hague-Paris 1966, 13 f.). Dank der umfangreichen
Erhebungen Edit Fels und Tamäs Hofers in dem ungarischen Dorf Ätänyi (südlich Eger,
nahe der Theiß) war es den Herausgebern möglich, detaillierteste Brauchbeschreibungen,
wie sie in dieser Reichhaltigkeit bisher wohl für kein anderes Gebiet vorliegen, mitzuteilen
(bes. 93 — 99)- Weiterhin erfährt man Einzelheiten über den Vorgang der Tradierung, der
bei dieser Gattung besondere Beachtung verdient, sowie über die territorial unterschied-
liche Grundhaltung, die die Bevölkerung dem Brauch gegenüber einnimmt: Gebiets-
weise wird seine Ausübung noch gefordert; die Sitte des Beklagens gehört zum festen
Bestand der Lebensformen. In anderen Gegenden wird sie lediglich toleriert; man
zeigt bereits eine indifferente Haltung. Die öffentliche Meinung ist in dieser Frage ent-
scheidend.
Besprechungen
507
Das gilt mcht nur für die Totenklage, sondern auch für alle anderen Klagebereiche'
Braut- und sonstige Abschtedsklagen (für Soldaten, Reisende und Auswanderer; für letztere
wurden sie ln Ungarn bis zum a Weltkrieg beobachte,). Daß daneben auch andere Wechsel!
falle des Lebens in Form von Klagen besungen werden - verlorener Besitz (Haustiere
Geld Haus und Hof), das eigene Schicksal (Armut, Krankheit, Einsamkeit etc.) - wird
durch zahlreiche Beispiele beleg, Die Rez. hatte im Jahre r96o - bei der Teilnahme an
einer von B. Rajeczky durchgefuhrten Sammelreise in die obere Theißregion - selbst
Gelegenheit, Zeuge einer solchen aus Besitzverlust und Einsamkeitsüberdruß geborenen
Klage zu sein. ö
Auf dieser Sammelfahrt kamen auch einige Klagen zu Gehör, die nicht direkt gesungen
sondern nur mit gehobener Sprechstimme rezitiert bzw. deklamiert wurden ein Stil der
im 6. Abschnitt der Einleitung beschrieben, von dem aber keine komplette Notierung ab-
gedruckt wird (nur die Texte sind wiedergegeben). Im Zusammenhang mit ihrer Definition
des Klagestils - basierend auf Kodälys entsprechenden Ausführungen von 1927 (in-
A Magyarsäg Neprajza IV) - führen die Herausgeber ihre Gründe für diese Auslassung an
(vgl. 117). Sie definieren - unseres Erachtens zu Recht - als Kernbereich des Klagestils
das ohne festes Metrum gesungene, aber rhythmisch organisierte Prosarezitativ aus formel-
haften und improvisierten Elementen (also Formen mit nichtgereimten Zeilen unglei h
Länge, aber distinkter, d. h. „musikalischer“ Tonhöhenorganisation) und sehen die^onst
noch vorkommenden Stile quasi als „Überschreitungen“ dieses Kernbereiches in zwei
entgegengesetzten Richtungen an: zur rhythmischen Prosadeklamation ohne distinkte
Tonhöhen oder zur gereimten strophischen Liedform. Vom letztgenannten Stil der der
Gruppe der Totenwachtlieder nähersteht, werden (unter Nr. 202 ff.) einige dem Kern-
bereich noch relativ naheliegende Stücke mitgeteilt; weitere Strophenformen sollen in den
folgenden Bänden des CMPH innerhalb ihrer jeweiligen Liedgruppen publiziert werden
während Veröffentlichungen des deklamatorischen Stils nicht vorgesehen sind. Obgleich
die Rez. mit den Herausgebern einig ist, daß das Schwergewicht auf die im engeren Sinne
musikalischen Formen der Klage zu legen sei, scheint es uns doch nicht überflüssig, auch die
besonderen Organisationsweisen der gehobenen Sprechstimme, die nicht nur beim Be-
klagen, sondern ebenso im Kinder- und Brauchtumsgesang eine Rolle spielen, mehr als
bisher zu beachten — und auch zu notieren (mit Hilfe rein rhythmischer Notation oder
anderer reduzierter Formen der Notenschrift, wie sie für Melodram u. ä. seit langem Ver-
wendung finden). Nur so können wir die Übergangsformen zwischen Sprache und Musik
die rhythmisch meist bereits weitgehend durchgeordnet sind und oft auch Ansätze zu
distinkten Tonhöhen erkennen lassen („Hochton“ und „Tiefton“ an bestimmten Stellen
Vorformen von Rezitationston und Finalis), besser verstehen lernen. Ob es sich bei diesen
deklamatorischen Stilen im konkreten Einzelfall um Früh- oder Späterscheinungen handelt
ist dabei von sekundärer Bedeutung. Die dabei zu beobachtenden Gesetzmäßigkeiten
scheinen uns von prinzipiellem Interesse zu sein.
Viele andere interessante Fragen, die dieser Band aufwirft oder behandelt wären wie
gesagt, der Erörterung wert, sei es die Vielfalt der tonalen Strukturen und melodischen
Formelbildungen im Klagegesang (z. B. die Rolle des Deszendenzmelos), seien es die Pro-
bleme der Transkription, die von der Auswahl der diakritischen Zeichen bis zur Frage von
„phonologischer“ oder „phonetischer“ Darstellung des Gesungenen reichen (als muster-
gültiges Beispiel einer Detailtranskription ist z. B. die von Kodäly bereits 1924 zur Publi-
kation fertiggestellte Nr. 10 zu nennen), sei es auch die Frage der Aufzeichnung „zweiter
Hand“, die beim Klagegesang ja viel häufiger vorkommt als die Aufzeichnung „in Funktion“
und bei ungenügender Kenntnis und Beachtung der Bedingungen zu berechtigten Zweifeln
an der Authentizität der ersteren Anlaß geben kann.
Der Band wird durch die imponierende Liste der Beiträger (60 Sammler und Transkrip-
toren, von denen ein großer Teil heute hauptamtlich an der Erforschung der ungarischen
Volksmusik arbeiten — ein Umstand, der die positive Ausnahmesituation dieses Landes auf
unserem Sachgebiet schlagend verdeutlicht), durch ein Verzeichnis der Aufnahmeorte
(nach Gemeinden und Bezirken geordnet) und durch eine achtseitige Bibliographie zum
Thema (mit zahlreichen wenig bekannten Titeln, wenngleich man den einen oder anderen
508
Besprechungen
auch vermissen mag) abgeschlossen. Zuvor jedoch wird unter dem Stichwort Interrelation-
ships die Frage der Beziehungen des ungarischen Klagematerials zu dem der verwandten und
Nachbarvölker angeschnitten, besonders zu Rumänien, Ukraine, Slowakei und Mähren,
Jugoslawien, wie überhaupt zum Balkan, und zu den Mitgliedern der finnisch-ugrischen
Völkerfamilie (Finnen und Karelier, Esten, Obugrier etc.), aber auch zu den übrigen Ländern
Europas. Nach Lage der Quellen ist in dieser Frage im Moment noch nichts Endgültiges
zu sagen, sind doch viele Gebiete noch nicht eingehend genug erforscht bzw. die vorhande-
nen Sammelmaterialien noch nicht publiziert. (Hier sei eine irrtümliche Angabe, die die bisher
unveröffentlichten albanischen Klageliedtypen betrifft, korrigiert: Auf Seite 1120 — bzwv
1116 — muß es richtig „minor seventh“ bzw. „kiss szeptimmel“ heißen). Auf der Karte des
europäischen Klagegesanges ist bislang weit mehr terra incognita zu finden als untersuchtes
Gebiet. Einen dieser weißen Flecken auf vorbildliche Weise ausgefüllt zu haben, ist das
jüngste große Verdienst der ungarischen Volksmusikforschung. Durch den Tod ihres
Nestors im März dieses Jahres ist der 5. Band des Corpus Musicae Popularis Hungaricae
dessen Gegenstand über sechs Jahrzehnte eines der Zentren von Kodälys musikfolkloristi-
schem Interesse bildete, gleichzeitig zum eindrucksvollen Abschluß seines wissenschaft-
lichen Werkes geworden. Darüber hinaus aber hat er den Charakter eines außergewöhn-
lichen Monuments erhalten: Die Klagelieder des ungarischen Volkes gelten dem Mann, der
als Pädagoge, Wissenschaftler und Komponist der Stimme dieses seines Volkes zunächst
im eigenen Lande und dann weit über dessen Grenzen hinaus Gehör verschafft hat.
Doris Stockmann, Berlin
György Kerenyi, Szentirmay Elemer es a magyar nepzene (Elemer Szentirmay und die
ungarische Volksmusik). Budapest, Akademie Verlag, 1966. 484 S., Notenbeisp.,
Abb., dt. Res.
Obwohl die ungarische Volksmusikforschung bemerkenswerte Traditionen für historische
Aspekte und internationale Zusammenhänge des ungarischen Volksliedes aufwies (wobei
der Historismus eher von Kodäly, der Universalismus eher von Bartök vertreten wurde),
konnte man in ihr jedoch auch gewisse einseitige Züge bemerken. So lag für längere Zeit
im Zentrum ihres Interesses das „echte“ und „uralte“ Volkslied (im Gegensatz zur schrift-
lichen-geschichtlichen Überlieferung), und auch die interethnischen Vergleiche konzen-
trierten sich meistens auf das Gebiet der sog. verwandten, d. h. finnisch-ugrischen Völker.
Inzwischen aber hat die ungarische Literaturforschung eine Menge von schriftlichen
Parallelen zur Volksüberlieferung auf gedeckt, und auch die ausländische Musikologie
konnte die europäische Existenz einiger Lied-Typen nach weisen, die bei uns nur als „ur-
alte“ ungarische, finnisch-ugrische oder höchstens türkisch-mongolische Typen galten.
Auch die breite geschichtliche und universale Blickrichtung in den Forschungen von
Bence Szabolcsi hat dazu beigetragen, daß die ungarische Volksmusikforschung seit einigen
Jahren neue Aspekte einbezogen hat. So hat z. B. Benjamin Rajeczky einige Zusammen-
hänge zwischen europäischen-berufsmäßigen (Gregorianik oder barockes Kirchenlied) und
ungarischen-folkloristischen Gattungen oder Lajos Vargyas die internationalen Aspekte der
ungarischen Volksballaden zu erforschen begonnen.
Diese neue Richtung der ungarischen Musikfolkloristik spiegelt sich auch in der umfassen-
den Monographie von György Kerönyi, einem der leitenden Mitarbeiter der Gruppe für
Volksmusikforschung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften wider. Es handelt
sich hier um einen wichtigen Problemkreis, und zwar um die Wege zur Folklorisierung
des sog. ungarischen volkstümlichen Kunstliedes in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. K. hat
einen der wichtigsten Repräsentanten dieser Gattung zum Thema seiner Monographie
gewählt, und zwar Elem6r Szentirmay, dessen Lieder nicht nur eine folkoristische, sondern
auch eine internationale Verbreitung fanden. Ein Lied von ihm wurde sogar von Sarasate
verarbeitet. Sein Lied Utca, utca wurde von Bartök und Kodäly in einer frühen Ausgabe
noch als Volkslied abgedruckt und der Beginn desselben Liedes im 2. Satz des II. Streich-
quartetts von Bartök benutzt.
Besprechungen
509
Die Monographie ist zugleich eine vollständige kritische Ausgabe der Werke von Szen-
tirmay, die nicht nur seine volkstümlichen Kunstlieder, sondern auch seine instrumentalen
Sätze (Tanzmusik, im Stil des sog. Verbunkos und Csardas) sowie seine Marschlieder und
Couplets enthält. Viele von diesen Liedern wurden zu Theaterstücken, meistens zu sog.
Volksstücken benutzt. Mehrere wurden auch in Bearbeitungen für Männerchor gesungen.
Der bedeutendste Wert des Buches liegt in der Publikation einer großen Zahl folkloristi-
scher Varianten zu Szentirmays Liedern. Damit gibt der Verf. auch eine äußerst interessante
Demonstration des Volksgeschmacks. In der Annahme oder Umformung der „Vorschläge“
von Szentirmay zeigt sich die dynamische und zugleich bewahrende Kraft der Volkskultur,
die in wachsendem Maße dem Einfluß einer städtischen, schriftlich-professionellen Kultur
unterliegt.
Das Buch, woran der Verf. mehr als drei Jahrzehnte gearbeitet hat, gibt auch eine aus-
führliche kulturgeschichtlich interessante Biographie, ferner einige aufschlußreiche Stil-
analysen und vergleichende Tabellen. Die Benutzbarkeit des Buches wird durch eine Biblio-
graphie und verschiedene Register erhöht.
Gewiß gibt es unter den Theorien von K. auch einige, die ein wenig subjektiv und will-
kürlich erscheinen. So hat er seit langem eine Hypothese entwickelt, nach welcher er die
instrumentalen bzw. vokalen Stilkreise der ungarischen Musik geographisch gliedern will
( instrumentaler“ Westen — „vokaler“ Osten). Einige wichtige und auch ziemlich frühe
Dokumente der ungarischen instrumentalen Musik stammen aber aus den nördlichen und
östlichen Regionen des Landes. Seine Meinung ist ferner von einer „Volksromantik“
gefärbt da er geneigt ist, die negativen Momente der städtischen Kultur zu betonen. In
diesem 'Zusammenhang sieht er, wie er es auch in der deutschen Zusammenfassung hervor-
hebt die Schattenseiten seines (d. h. Szentirmays) Stils, seine nicht volksmäßigen Ele-
mente "(hierher kamen manche Gegenüberstellungen mit Beethovenschen Melodien usw.)“
(481) Ich bezweifle aber, daß es irgendwelche, sogar folkoristische Gesichtspunkte gibt,
nach denen die Verwandtschaft mit Beethovenscher Musik als eine „Schattenseite“ be-
zeichnet werden könnte.
Auch die Reihe der folkloristischen Varianten ist in K.s Buch nicht vollständig. Es gibt
einige interessante Arbeiterlied-Versionen von Szentirmays Liedern, die K. gänzlich ignoriert,
obwohl sie nicht weniger wichtig sind als andere. Das Arbeiterlied wurde von ihm lediglich
in einer Fußnote (409) und auch dort pejorativ erwähnt
Zuletzt ist auch der Aufbau des Buches nicht ganz befriedigend. Nach der Biographie
folgt die Textpublikation, dann die Anmerkungen mit den Varianten und dann das Ver-
zeichnis der in den vorhergehenden Teilen publizierten oder erwähnten Lieder und Musik-
stücke Danach folgt wieder ein abhandelnder Teil, der den Titel Charakterisierung seiner
SMusik trägt und wo auch wiederum einige, schon in der Biographie ausgeführte Gedanken
über Szentirmays Stilentwicklung erscheinen. Hier gibt es andererseits nicht nur Analysen,
sondern auch wieder Tatsachenmaterial, das sich auf Theaterstücke bzw. Marschlieder und
Couplets bezieht, dann wieder eine Liste von Liedern, die Szentirmay zugeschrieben werden
und schließlich wieder verschiedene Register, in denen leider einige Lieder, die im Buch
erwähnt oder sogar publiziert worden sind, fehlen. .
Zusammenfassend kann man aber sagen, daß K.s Buch, das das Resultat einer fleißigen
und langjährigen Arbeit ist, einen wichtigen und bahnbrechenden Beitrag nicht nur zur
Folkloristik oder Musikgeschichte, sondern auch zu ihren gegenseitigen Beziehungen
sowie zur Musiksoziologie und Kulturgeschichte darstellt.
Janos Marothy, Budapest
Volksmusik Südosteuropas. Beitrage zur Volkskunde und Musikwissenschaft anläßlich der
1. Balkanologentagung in Graz 1964. Hg. u. red. von W. Wünsch München
167 S. (= Südosteuropaschriften 7). ' n
Diese Veröffentlichung, gleichzeitig Rudolf Vogel zum 60. Geburtstag gewidmet ist
ein Sammelband von Vorträgen einer Tagung von Balkanologen, Slawisten und Mus’iko
logen, die 1964 in Graz stattfand und Die Volksmusik des Ostens und Südostens behandelte
510
Besprechungen
Nach dem knappen Geleitwort des Spiritus movens der Tagung W. Wünsch, in dem
festgestellt wird, daß „die Vertreter der Wissenschaft und Kunst durch ihre Teilnahme an
der Begegnung — von Slawisten, Volkskundlern und Musikern — die neue Variante der
Grazer Südostforschung anerkannt haben“, folgt die gedankenreiche Eröffnungsansprache
vom Präsidenten der Grazer Akademie für Musik und darstellende Kunst Erich Marckhl.
Der erste Beitrag (W. Wünsch) handelt Über die Aufgaben der Musikwissenschaft in der
Epenforschung. Abgesehen von dem auf S. 9 nicht ganz klar formulierten Auseinander-
halten zwischen der südslawischen gusle (sowie deren albanischer Entsprechung lahuta)
und der bulgarischen g’dulka (sowie deren adriatischer Entsprechung Urica), die als mit dem
epischen Vortrag des Südostens besonders verbundene Volksmusikinstrumente hervor-
gehoben werden, stellt der Verf. viel Zutreffendes (z. B. über die romantische Anschauung
vom Alter der epischen Geige in Südosteuropa) fest und bekundet seine langjährigen und
weitsichtigen Kenntnisse und Forschungsergebnisse in diesem Bereich. — Der Rez. steuerte
einen Beitrag über die Namen der altslawischen Musikinstrumente bei, wobei sowohl aus den
bekannten gemein- und den daraus erschlossenen altslawischen Namen von Musikinstru-
menten, als auch aus den, wenn auch spärlichen, archäologischen Resten und historischen
Quellen auf die Existenz bzw. auf den Typus einer Anzahl Musikinstrumente zur Zeit der
altslawischen Einheit geschlossen wird. — Der gründliche und allseitige Beitrag von L.
Kretzenbacher Südosteuropäische Primitivinstrumente vom „Rummelpott“-Typ in ver-
gleichend-musikvolkskundlicher Forschung ist eigentlich eine Fortsetzung einer früheren
Studie (Slovenski etnograf 10, 1957. Ljubljana) bzw. die abschließende Darstellung über
diese Instrumente. Gut illustriert, mit bibliographischen Angaben beinahe alles dessen, was
in der diesbezüglichen Literatur über solche Instrumente zu finden ist (hinzuzufügen wäre
allerdings K. Moszynskis kurzer aufschlußreicher Abschnitt auf S. 1334/35 der KLS II/2),
bietet sie eine Übersicht über deren Verbreitung in ganz Europa wie auch über viele näheren
und weiteren Verwandtschaften zwischen mehreren europäischen regionalen Gruppen bzw.
Abarten dieser unter vielen verschiedenartigen Namen Brummtopf, Rummelpott, Büllhäfen,
bika, buha'i(ul), cup-bas, brunda, bajs, dudalo, vuga§, gudugudu, cupo-cupo, zambomba, pignato,
brau, bramevac, eltzagor u. a. vorkommenden Instrumente. Durch ein eher zu loses Ausein-
anderhalten der Rummelpottinstrumente einerseits und des Trommeltyps dar(a)buke
(gleichfalls mit dem Körper aus gebranntem Ton) andererseits münden die Auslegungen in
den Bereich der echten Trommeln, wobei die Frage der Urverwandtschaft gestreift wird. —
In weiterem Zusammenhang mit dem Beitrag von W. Wünsch steht die umfangreichere
Studie des hervorragenden Kenners der balkanischen, insbesondere der südslawischen
Volksepik, A. Schmaus: Probleme und Aufgaben der balkanischen Epenforschung. In kon-
zentrierter Form wird hier beinahe alles, was die neuere Forschung über das epische Lied
Südosteuropas sowohl an Ergebnissen als auch an Problemen gezeitigt hat, kritisch bespro-
chen. Es ist bezeichnend, wie der Verf. vor voreiligen Urteilen, vor liebgewordenen, aber
tatsächlich falschen und veralteten Anschauungen über bestimmte Erscheinungen der bal-
kanischen Volksepik sowie vor Vorurteilen in ihrer Wertschätzung warnt (z. B. der grie-
chischen oder bulgarischen, allerdings relativ jüngeren, gegenüber den serbischen und kro-
atischen älteren epischen Schöpfungen). — V. 2ganec (Über das Redigieren der Volkslieder-
sammlungen) legt ein von ihm angewandtes praktisches System der Merkmale von Volks-
melodien — also eine Art Index- System für Melodien — mit ausführlicher Begründung vor.
— G. Waldmann behandelt in einer synthetischen Überschau das Mehrstimmige Singen im
slawischen Bauernlied. Er erweist seine vielseitige Orientierung in der slawischen Vokal-
musik, ohne jedoch die verschiedenen Typen des mehrstimmigen Singens bei den Slawen
noch schärfer auseinanderzuhalten (verschiedenartig vor allem wegen der vermutlich ganz
verschiedenen Herkunft und des Alters, z. B. der balkanslawischen typischen Sekunden-
diaphonie). — R. Wolfram widmet den Altformen im Tanz der Völker des pannonischen
und Karpatenraumes einen ausführlichen Beitrag, eine an seine Gesamtübersicht über den
Volkstanz als kulturelle Ausdrucksform der südosteuropäischen Völker (Südosteuropa-Jahr-
buch 6, München 1962) anknüpfende Darstellung. In Kettentänze, Hochzeitstänze, tiernach-
ahmende Tänze, Brauchtumstänze der Burschen, Hajduken- und Hirtentänze sowie Drehtänze
gegliedert, durchmustert der Verf. nicht nur die Altformen, sondern auch die neuen und
; w » •
i'iJ
Besprechungen
511
neueren Tänze dieses Raumes (z. B. den csärdds und den verbunk), die aber z. T. vermutlich
doch auf sehr alten Tanzüberlieferungen fußen können (eine ebenso vermutlich sehr alte
Tanzform, der stockhohe, meist zweistöckige Rundtanz der jungen Leute im Karpatenraum
würde hier auch in die Reihe der Altformen passen). — Der Aufsatz von K. M. Komma über
Das böhmische Musikantentum ist eine Übersicht über diese beinahe weltbekannte Erschei-
nung. Er zeichnet sich vor allem durch seine historische Blickrichtung, durch die reichlich
angeführten literarischen Quellen und kritischen Bemerkungen sowohl über das Aufkommen
dieses Musikantentums als auch über seine Wurzeln aus und behandelt auch die Rolle der
Musikinstrumente und des Instrumentenbaues. — Der bekannte griechische Musikologe und
praktische Musiker S. Michaelides stellt in seinem Beitrag The Neohellenic Folk-Music die
Wesenszüge der griechischen Volksmusik dar (die Tonarten und -leitern, die melodischen
Merkmale, die rhythmischen Muster sowie zuletzt, mehr als knapp, auch die Volkstänze
und die Musikinstrumente). — Den aufschlußreichen, z. T. auch über die Grenzen Südost-
europas hinausgreifenden Band schließt ein Bericht von Fr. Körner vom Grazer Institut
für Musikfolklore über den Verlauf der Tagung.
Milovan Gavazzi, Zagreb
Sorbischer Sprachatlas, i. Feldwirtschaftliche Terminologie. Bearb. von H Fassk H
Jentsch u. S. Michalk. Mit einer kurzgefaßten siedlungskundlich-demograohisrhen'
Einleitung vonF. M£t§k. Bautzen, VEB Domowina-Verlag, 1965. 241 gez. S (He
Inst. f. sorbische Volksforschung der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin). ’ ’ ' V‘
Die Sprachgeographie und -kartographie hat nach dem zweiten Weltkrieg im Bereich der
slawischen Sprachen außerordentliche Fortschritte gemacht. So sind in den letzten fahren
in rascher Folge u. a. Atlanten der zentralgroßrussischen Dialekte, des Belorussischen des
Polnischen sowie die ersten Bände des bulgarischen und des kaschubischen Sprachatlas
erschienen.1 Mit besonderem Interesse sieht die Sprachwissenschaft dem seit geraumer Zeit
in Vorbereitung befindlichen Slawischen Sprachatlas entgegen, der überhaupt die erste
kartographische Darstellung zu werden verspricht, die zahlreiche Sprachen einschließt
wenn sie hier auch eng miteinander verwandt sind. Für dialektologische Forschungen können
wir von diesem Unternehmen - die Weiträumigkeit des Territoriums erfordert auch eine
Weitmaschigkeit des Netzes der Belegorte - freilich keine erschöpfenden Auskünfte er
hoffen, so daß die Schaffung besonderer Atlanten für die einzelnen slawischen Snrarh™
dadurch ihre Aktualität nicht verliert. p
Mehrere Gründe geben einer kartographischen Erfassung des Sorbischen spezielle
Bedeutung und lassen den von den Bautzener Sorabisten bearbeiteten Atlas von vornherein
als ein besonders interessantes Werk erscheinen: 1. Das Sorbische ist die einzige slawische
Sprache, die von den übrigen durch anderssprachige Bevölkerung geschieden ist also ein
in sich geschlossenes Ganzes darstellt - demgegenüber bilden das Südslawische einerseits
und das Ost- und Westslawische (ohne das Sorbische) andererseits jeweils große schwer
trennbare Komplexe mehrerer Sprachen, die kontinuierlich ineinander übergehen 2 Die
mundartliche Zersplitterung des Sorbischen ist, unbeschadet der relativ geringen Zahl
seiner Sprecher, außerordentlich groß und innerhalb des Slawischen wohl nur mit der des
Slowenischen vergleichbar. Diese Differenziertheit hat u. a. zur Herausbildung zweier
ziemlich unterschiedlicher Schriftsprachen beigetragen. 3. Außerordentlich dringlich er-
scheint eine rasche Aufnahme des sorbischen Sprachmaterials wegen der Tatsache daß das
sorbische Sprachgebiet seit einigen Jahren nicht mehr zusammenhängt. Auf den Karten
des vorliegenden Werks ist dieser territoriale Zusammenhang noch gewahrt, freilich war
1 Атлас русских народных говоров центральных областей к востоку от Москвы.
Moskva 1957; Maly atlas gwar polskich. Wroclaw-Krakow 1957ff.; Български диалектен
атлас. I. Sofija 1964; Atlas j§zykowy kaszubszczyzny i dialektow sasiednich. Wroclaw-
Warszawa-Krakow, 1964 ff.
Jr * V r.V> tt ГЛЩ Г
512
Besprechungen
er vielerorts nur noch auf Grund der Auskünfte von über 60 Jahre alten Gewährsleuten
herzustellen.
Das Atlasmaterial wurde seit i960 anhand eines Fragebogens mit 2300 Stichwörtern (2800
Fragen, die 23 Sachgruppen umfaßten) in 139 Ortschaften der beiden Lausitzen gesammelt.
Es ist vorgesehen, dieses Material in etwa 12 Bänden bis zum Ende der 70er Jahre zu ver-
öffentlichen.
Nach einer Einführung, die über die Befragung und die Fragebogen sowie über die Legende
der Karten informiert und Übersichtslisten (Transkriptionszeichen, Exploratoren, Bearbeiter,
Informationspunkte (— Aufnahmeorte), einen Index der vor kommenden Formen usw.)
bringt, folgt der Hauptteil Karten und Kommentare. Ein Unterschied zu den anderen, oben
genannten Sprachatlanten slawischer Idiome zeigt sich schon in der Einteilung der Karten
in zwei große Bereiche: Dem Leser werden zunächst, und das ist ein Novum z. B. gegenüber
dem bulgarischen Atlas, die volks- und territorialgeschichtlichen Grundlagen des sorbischen
Sprachgebietes mit Karten und Kommentaren zu den Waldgebieten, zum Straßennetz des
18. Jhs, zur Territorialgliederung (im 18. Jh., von 1815 bis 1945 [1952] und nach 1952)
sowie zur kirchlichen Einteilung des heutigen sorbischen Sprachgebiets vorgeführt, was
ihm hilft, die sich aus den linguistischen Karten ergebenden Isoglossenbündel historisch-
geographisch richtig einzuordnen. Zu bedauern ist nur, daß die Demographie hier ein wenig
zu kurz kommt; zwar kann sich der Leser aus verschiedenen Angaben — z. B. über die
unterschiedliche Sorbenpolitik in den einzelnen Territorien — ein gewisses Bild von der
Entwicklung des sorbischen Sprachgebiets in den letzten Jahrhunderten machen, doch
vermißt er exakte Angaben über die Zahl der Sorbischsprechenden in Vergangenheit und
Gegenwart, ganz zu schweigen davon, daß demographische Gegebenheiten und Verän-
derungen (z. B. auch in der Bevölkerungsdichte) kartographisch — wie man es sich gerade
in einem Atlas wünschte — nicht dargestellt sind. Es scheint, als sei die besonders in diesem
Teil zum Ausdruck kommende und an sich begrüßenswerte, auf eine historische Vertiefung
der Probleme gerichtete Konzeption der Verf. nicht auf die Entwicklung der Sorben und
des Sorbischen im ganzen, sondern nur auf die Vergangenheit des gegenwärtig noch als
sorbisch erfaßbaren Gebiets angewandt. Vielleicht könnten die Bevölkerungsentwicklun-
gen, die nach den ausgedehnten und tiefgründigen Untersuchungen der jüngsten Zeit —
besonders auch den Arbeiten des Verf. dieses Teils, F. Metsk — eine zusammenfassende
Darstellung in Kartenform verdienten, in dem so großzügig angelegten Werk später nach-
geholt werden; dabei sollten auch die heute schwer zugänglichen Karten von Mucke und
anderen abgedruckt und mit Kommentaren versehen werden.
Im zweiten Bereich des Kartenteils (Linguistische Karten und Kommentare) werden von
den 180 Positionen der Sachgruppe VII, Feldwirtschaft, 85 nach rein lexikalischen Gesichts-
punkten ausgewählt (entscheidend für die Aufnahme in den Band war die Frage, ob das
Material lexikalisch differenziert ist oder nicht). Diese Wortkarten umfassen die Heu-
wirtschaft und den Feldbau (Tätigkeiten, Feldfrüchte, Unkraut, Geräte). Dazu kommen zehn
Kombinationskarten, die die Gruppierungen der lexikalischen Isoglossen darstellen (es
ergeben sich zwei Bündel, die das Obersorbische von den sogenannten Übergangsmund-
arten zum Niedersorbischen und das Ostsorbische von allen anderen Mundarten stärker
trennen, und vier lockere Staffeln). Auf den Karten erscheint die jeweilige Fragebogenant-
wort — in ihrer realen Gestalt, d. h. in Lautschrift (im Gegensatz etwa zu dem bulgarischen
Atlas, der Symbole verwendet und die konkreten Antworten in den Kommentar verweist,
der dann im Index außerhalb der Frage, die auf dem jeweiligen Blatt darzustellen war, nicht
systematisch ausgewertet wird!). Ein solches, technisch schwieriges Verfahren konnte im
Falle des sorbischen Atlasses sehr gut und übersichtlich gelöst werden, begünstigt natürlich
durch die relativ geringe Ausdehnung des sorbischen Sprachgebiets. Beim modernen rumä-
nischen Sprachatlas2 z. B., der in seinen Einzelaussagen ebenfalls sehr zuverlässig ist, er-
scheint zwar die Antwort auch in phonetischer Gestalt auf dem Kartenblatt, doch war es
dort — bei der großen Ausdehnung des rumänischen Sprachgebiets — nicht möglich, Ver- 2
2 Atlasul lingvistic romin. Serie nouä, Bucuresti 1956ff.
Besprechungen
513
bmdungslimen zu ziehen, d. h. den Betrachter in die Lage zu versetzen, eine Erscheinung
für einen auf der Karte nicht angegebenen Punkt mit relativer Sicherheit selbst zu bestim
men. Hier, beim sorbischen Atlas mit seinen x39 Befragungsorten, die nur 3-4 km von-
einander entfernt sind, dürfte man das getrost wagen.
Der vorliegende erste Band trägt, wie oben schon betont, weitgehend den Charakter
eines Wortatlasses, da er ausschließlich der feldwirtschaftlichen Terminologie gewidmet ist
Dadurch gewinnt er auch für die Agrarethnographie besondere Bedeutung - in viel hö*
herem Maße als andere Sprachatlanten - und zu seinen hohen linguistischen Qualitäten
kommt ein großer Informationswert auch auf volkskundlichem Gebiet. So kann er zur Be
Stimmung der Südgrenze des großen niederlausitzischen Heuschobers dienen (Karte 1)
gibt auf Karte 6 die Nordgrenze des Ruhrhakens an usw. Hervorzuheben sind ausführliche
Beschreibungen des kartographierten Gegenstandes, z. T. auch mit sachlichen Aussagen
von Gewährsleuten, etwa bei Nr. 43, Kartoffelmiete. An anderen Stellen hätte man sich prä
zisere Definitionen gewünscht, z. B. bei den Hackenformen, Karten 53 - 55 ; hier wären wohl
Zeichnungen der betreffenden Gegenstände am Platze gewesen, zumal oft der Verdacht
besteht, daß mit verschiedenen Bezeichnungen auch verschiedene Gerätetypen gemeint
sind — ein Problem, auf das kürzlich erst Reichmann in einer Besprechung des Deutschen
Wortatlasses3 aufmerksam gemacht hat (so müßte auch bei der Karte 66 untersucht werden
ob verschiedene Typen von Strohschneidern vorliegen).
Die Agrarethnographie kann aber auch ihrerseits zur Deutung mancher Karten bei-
tragen: Aus I. Weber-Kellermanns Mannhardt-Forschungen4 ergibt sich, daß die sorbische
Lausitz im 19. Jh. eines der wenigen Sensen-Sichel-Mischgebiete (bei der Getreideernte) in
Deutschland war. Das hat vielleicht dazu beigetragen, daß im Sorbischen auch terminologisch
zwischen beiden Begriffen Beziehungen geschaffen wurden (in den Übergangsmundarten
treten die Wörter mala kösa, koska = ,kleine Sense' für die Sichel auf).
Schließlich bringt der Atlas — und das interessiert Volkskunde wie Linguistik gleicher-
maßen — viel wertvolles Material zu den deutsch-sorbischen interethnischen Beziehungen
Es kann hier nicht auf die zahlreichen Lehnwörter eingegangen werden, die, wie auch in den
Kommentaren zum Ausdruck kommt, das Sorbische auf dem agrarethnographischen Gebiet
empfangen hat, auch nicht auf die slawischen Reliktwörter in ostmitteldeutschen Mund-
arten, die jetzt viel genauer in ihren geographischen Beziehungen untersucht werden
können. Im Kommentar hätten aber neben Etymologien auch Fragen der Lehnprägungen
irgendwie berücksichtigt werden sollen. So gehört natürlich das sorbische rice, fisi usw
abgeleitet von ric ,After, Hintern' für das „Untere Ende der Garben“ (Karte Nr. 59) zu dem
gleichbedeutenden dt. ,Arsch' (Belege für Ebersbach, Krs. Löbau und andere dt. Orte im
Umkreis des sorbischen Sprachgebiets im Institut für deutsche Volkskunde der DAW)
Wir wollen nun noch an Hand einiger Beispiele hervorheben, wie fruchtbar eine For-
schungsrichtung sein könnte, die — sprachlich wie sachlich — sorbische und deutsche Mund-
artforschung parallel betriebe. Es fällt auf, daß auf der Karte 60, Getreidepuppe, auf dem gan-
zen Sprachgebiet das deutsche Lehnwort pupa (mit phonetischen Varianten) gilt mit Aus-
nahme des nordwestlichen Niedersorbischen mit (h)upka (nach Mucke aus einer"Mundart-
form von dt.,Haufen'). Nun ist aber in den deutschen Mundarten dieser Gegend, wie Karten
84 ff des Atlas der Deutschen Volkskunde erweisen, kein Wort der Sippe ,Haufen' vorhanden
(Entsprechendes erscheint nur in weit entfernten westdeutschen Mundarten). Doch bildet
die Nordgrenze des sorbischen pupa auch die Nordgrenze des deutschen ,Puppe' (gegen
,Mandel'), und zur gleichen Zeit die Sachgrenze der Aufstellung in Haufen; nördlich davon
ist die Reihenaufstellung der Garben üblich. Das Wort ,Haufen' bzw. seine Ableitung
könnte hier vielleicht den Gegensatz zur Reihe deutlicher als ,Puppe' markieren, doch wäre
vorauszusetzen, daß es einst auch bei deutscher Bevölkerung des Gebiets verbreitet war
Vielleicht hat eine Verschiebung der Sachgrenze stattgefunden.
3 Reichmann, Oskar, Der Deutsche Wortatlas als Quelle für die Agrargeschichte. Ein
Bericht. Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, 14 (1966) 30—44.
4 Weber-Kellermann, Ingeborg, Erntebrauch in der ländlichen Arbeitswelt des 19. Jahr-
hunderts. Marburg 1965, Karte 4 u. S. 317.
514
Besprechungen
Ein Vergleich der Karte 27 Roggen mit der gleichnamigen Karte in Band IV des Deutschen
Wortatlas zeigt eine gleichlaufende Tendenz in beiden Sprachen: das Vordringen der
allgemeinen Getreidebezeichnung Korn/zito gegenüber der speziellen Roggen/rozka. Das
gesamte sorbische Sprachgebiet liegt jedoch im Gebiet des deutschen ,Korn‘, so daß hier
das Südsorbische mit ,rozka' in einem als Einheit betrachteten deutsch-sorbischen Gesamt-
areal ein Reliktgebiet bildet, das übrigens durch relativ zahlreiche Einzelbelege für das
deutsche ,Roggen' eben im Bautzener Gebiet gestützt wird. Viel plastischer noch zeigen
solche über die Sprachgrenzen hinausgreifende Tendenzen die Karten für Kartoffel in den
beiden Atlanten (Bd. n des DWA und Karte 39 des SSA). So schließen die sorbischen Be-
zeichnungen kneidl, knydl (westlich von Cottbus) unmittelbar an das deutsche Gebiet mit
Knedel, Knödel um Calau an, desgleichen die Bezeichnungen berna, byrna an das deutsche
Abern-, Aperngebiet usw. Wie weit auch die lautliche Parallelentwicklung geht, zeigt die
sorbische Form buna im Kreis Löbau neben der deutschen Form Abunn im selben Kreis.
Im deutschen Atlas ist für das sorbische Gebiet zwischen Bautzen und Cottbus die hoch-
sprachliche Form ,Kartoffel* angegeben; das Vorkommen solcher schriftsprachlicher For-
men ist eine typische Erscheinung für Gebiete kurz nach einem Sprachwechsel bzw. nach
dem Übergang zur Zweisprachigkeit. Ein Vergleich der beiden Atlanten kann somit hier
interethnische Beziehungen sprachlicher Natur auf verschiedenen Ebenen aufdecken.
Unsere Ausführungen haben wohl gezeigt, daß wir einen wirklich neuartigen und gut
gelungenen Typ eines Sprachatlas vor uns haben. Die wenigen kritischen Bemerkungen
können seinen außergewöhnlichen Wert in keiner Weise schmälern.
Wilfried Fiedler, Berlin
Thüringisches Wörterbuch. Auf Grund der von V. Michels begonnenen und H. Hucke
fortgeführten Sammlungen bearb. unter Leitung von Karl Spangenberg im Inst. f.
Mundartforschung der Friedrich-Schiller-Universität Jena und im Inst. f. dt. Sprache
u. Lit. an der Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin. Berlin, Akademie-Verlag, 1966. IV.
Band, 1. und 2. Lief. L bis Leikauf. XX S., 216 Sp.
Mit dem Erscheinen dieses Werkes erhält Thüringen als zweites Gebiet in der DDR neben
Mecklenburg ein modernes großlandschaftliches Wörterbuch. Freudig wird es von der
Wissenschaft begrüßt, denn es behandelt einen volkskundlich und sprachlich wichtigen und
interessanten Raum, der entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der deutschen Schrift-
sprache hatte. Bisher lagen für Thüringen nur Hertels Thüringer Sprachschatz (1895) und
mehrere Einzelarbeiten aus Teilgebieten vor, aus denen sich die Wissenschaftler mühsam
das Material für dieses Gebiet zusammensuchen mußten.
Zwischen Beginn und Veröffentlichung des Thüringischen Wörterbuches liegt eine lange
Zeit. Bereits 1907 hatte V. Michels mit der Sammlung begonnen, aber erst mit der Er-
richtung einer Landesstelle für thüringische Mundartenforschung im Jahre 1929 unter Lei-
tung von H. Hucke konnte in stärkerem Maße die Sammeltätigkeit vorgenommen werden.
Unterbrochen wurde diese Arbeit durch den 2. Weltkrieg. Nach einem Bombenangriff
blieben nur etwa 50000 Wörterbuchzettel und Teile der Karten- und Fragebogenbestände
übrig. Erst 1950 konnten die Arbeiten wieder im neu gebildeten Institut für Mundart-
forschung an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena fortgesetzt werden. Seit 1955 ist
auch die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin an der Bearbeitung des Wörter-
buches beteiligt. Es ist erstaunlich, in welcher kurzen Zeit danach die Mitarbeiter, jetzt
unter Leitung von K. Spangenberg, nicht nur zwei Lieferungen des Thüringischen Dialekt-
atlas, sondern auch zwei Lieferungen des Thüringischen Wörterbuches (= ThWb) vorlegen
konnten.
Erfaßt und bearbeitet werden soll der gesamte mundartliche Wortschatz des ehemaligen
thüringischen Gebietes, das die heutigen Bezirke Erfurt, Gera und Suhl sowie den west-
lichen Teil der Bezirke Halle und Leipzig umfaßt und im Norden bis zur ik/ich-Linie (Wer-
nigerode—Bernburg) reicht. Man spricht hier hauptsächlich mitteldeutsche Mundarten;
Besprechungen
515
nur im Eichsfeld erscheint in einigen Orten das Niederdeutsche und im Süden das Ober-
deutsche. Das Wörterbuch ist mit 6 Bänden zu je io Lieferungen geplant. Ein umfangreiches
Belegmaterial dafür liegt bereits vor. 60 Fragebogen-Erhebungen unterschiedlicher Dichte
(200 — 2000 Orte) und Direktaufnahmen ermöglichen in vielen Fällen einen genauen Über-
blick über die Verbreitung. Freie Beiträge von rund 400 Gewährsleuten, die Auswertung
aller Abhandlungen über thüringische Mundarten und einer Auswahl des thüringischen
Heimatschrifttums erbrachten viele Beispielsätze. Erfreulicherweise haben die Bearbeiter
auch historisches Schrifttum und Archivmaterial sowie Flur-, Orts- und Flußnamen heran-
gezogen. Bereits bei den ersten beiden Lieferungen zeigt sich immer wieder die ausgezeich-
nete Quellengrundlage.
Auffallend ist es, daß das Wörterbuch sein Erscheinen mit dem Buchstaben L beginnt.
Man hat sich damit dem benachbarten Hessen-Nassauischen Volkswörterbuch angeschlos-
sen. Das ist bedauerlich, denn die meisten Dialektwörterbücher beginnen mit A. Für lange
Zeit ist dadurch ein Überblick über die Gesamtverbreitung des bisher in den großen Wörter-
büchern unter A—K gebotenen mundartlichen Wortschatzes nicht möglich.
Das Stichwort der alphabetisch angeordneten Artikel erscheint in schriftsprachlicher Form
und ist dadurch leicht zu finden. Rein mundartliche Wörter sind als Stichwörter verhoch-
deutscht. Dem Stichwort folgen Bedeutungs- und Verbreitungsangaben. Das Wort ist,
wenn es irgend ging, in den Satzzusammenhang alltäglicher Rede gestellt. Zahlreiche
formelhafte Wendungen, Redensarten, Sprichwörter, Reime, Rätsel und Wetterregeln
gewähren einen guten Einblick in das Leben, die Vorstellungswelt und den Humor der
Thüringer. Das Lesen der Belegsätze wäre dem Benutzer erleichtert worden, wenn seltenere
Mundartwörter häufiger erklärt wären, z. B. Lieslich (191), Mauzche (178), wagleet (179).
Meistens schließt sich ein Formenteil an, der Lautverhältnisse und grammatische Besonder-
heiten übersichtlich und in der Regel sehr ausführlich darbietet. Die Literaturhinweise und
etymologischen Angaben kommen dagegen etwas kurz weg. Hier sollte man in den künf-
tigen Lieferungen etwas großzügiger sein.
Die alphabetische Artikelfolge reißt zusammengehörende Wörter und Sachen oft aus-
einander. Um auch die onomasiologischen Beziehungen sichtbar zu machen, hat man für
das Th Wb ein Verweissystem entworfen: Das verbreitetste Synonym erhält einen Zentral-
artikel, der alle nötigen sachlichen Erläuterungen und die bedeutenden sinnverwandten
Stichwörter enthält, deren Artikel dann wieder auf den Zentralartikel weist. Das ist eine
sehr große Erleichterung für den Benutzer, da er sich damit bei synonymen Begriffen rasch
über den Bestand an sinngleichen Wörtern informieren kann.
Das Wörterbuch enthält auch eine Fülle volkskundlicher Fakten. Wir erfahren, wie die
Arbeitsgeräte und ihre Teile genannt werden, z. B. vom Wagen (unter Langholz-
wagen, Langwiede), vom Pflug (unter Ladengestell ff.), vom Pferdegeschirr (Lanke, Leib-
riemen]l, und lesen von alten Wirtschaftsweisen, wie dem Füttern von Laubzweigen
(Laubheu, Laubschneider).
Als Speisen werden genannt Schepsenfleesch, Mahlkließe un Zwibbelbrieh (195), Kluß un
Gänseschworzes (195), Speckelkühl on dörr Fleesch (Rapunzelkohl mit Rauchfleisch 196).
Eine beliebte Mittagsmahlzeit sind auch Lappen (69), dagegen ist der Leberkuchen ein fest-
liches Gericht. Es wird beschrieben, wie Käse mit Lab hergestellt wird, und in welchen Ge-
genden man die Bereitung von Süßmilchquark nicht kennt. Sehr unterschiedlich ist die Fer-
tigung der Leberwurst. Sie reicht von der süßen Rosinenleberwurst bis zur Krautwurst. Daß
auch in jüngster Zeit neue Bezeichnungen entstehen, zeigen die Mundartwörter für den
Stielbonbon (Leckmaldran u. a.).
Einzelne Teile der Tracht werden beschrieben, Pflanzen- und Tiernamen behandelt,
auch Hausbau undVolksmedizin werden berücksichtigt. Längst vergessene Gegenstände
und Arbeitsweisen lernen wir bis in die Einzelheiten aus dem Wörterbuch kennen, so die
Herstellung von Waschlauge im Haushalt (Lauge — Laugentuch) und die einst verbreitete
Lehmbauweise (.Lehm — Lehmziegel). Früher zogen feste Arbeitsgruppen den ganzen
Sommer über zum Lehmbau in die Bauerndörfer des thüringischen Flachlandes. Die
Lehmtreter stellten das Lehmgemisch her, der Lehmklitsclier setzte die Wand. Die Fenster-
und Türöffnungen wurden aus der fertigen Wand herausgebrochen.
516
Besprechungen
Einen Einblick in das dörfliche Gemeinschaftsleben geben die Artikel Laubgenosse,
läuten, Leiche, Leid, Leikauf. Oft und ausführlich ist das Brauchtum aufgenommen, z. B.
mit Laubmann, Läufer, Laufneujahr. Die Gepflogenheiten bei einem Sterbefall werden ein-
gehend unter Leiche dargestellt. Selbst jüngere Bräuche werden behandelt, so das Aufstellen
des Lebenslichtes.
Zugrunde liegt dem Wörterbuch der bäuerliche Wortschatz. Die ersten beiden Liefe-
rungen zeigen aber bereits, daß die Bearbeiter bemüht waren, auch die Berufs- und Fach-
sprachen in möglichst großem Maße heranzuziehen. Wir finden Fachwörter der dörflichen
Handwerker, z. B. der Maurer (z. B. Lederkalk), der Zimmerleute (Lehmann, Langschenkel),
der Weber {Lage, Lasche), der Müller {Lauf), der Gärtner (Landgurke, -salat) und der Sattler
(Lederhobel). Noch häufiger werden Fachbezeichnungen aus Gewerben und Handwerken
geboten, die für Thüringen typisch sind, so aus der Sprache der Saaleschiffer (Ladebaum,
Landhaken), der Glasbläser (Lampe, Lauf eisen), der Suhler Jagdwaffenhersteller (Lehm-
former, Leiertrog), der Kalibergleute (Ladeschurre). Vereinzelter finden wir Wörter aus der
Sprache der Halloren (Ladebarte), der Sonneberger Spanschachtelmacher (Lauf) und
der Spielzeugmacher (Lappendrücker). Auch regional begrenzte umgangssprachliche Er-
scheinungen werden berücksichtigt.
Einfache Zeichnungen zeigen dem Benutzer, wie ein Ladezeug am Wagen, eine Lang-
wiede, ein Landofen, ein Laufstuhl und eine Lehmpatsche aussehen und was ein Langholz
im Fachwerkbau ist. Vier beigegebene Karten bieten wortgeographische Zusammenhänge.
Das Literatur- und Quellenverzeichnis soll leider erst in einer späteren Lieferung erscheinen.
Mit den vorliegenden Lieferungen ist ein guter Anfang gemacht worden. Dafür haben wir
dem Jenaer Kollektiv zu danken. Wer Wörterbucharbeit geleistet hat, weiß, welche Ent-
sagung diese verlangt. Den Bearbeitern ist zu wünschen, daß sie auch die folgenden Liefe-
rungen weiterhin in guter Gemeinschaftsarbeit schnell der Öffentlichkeit vorlegen können.
Nicht nur die Wissenschaftler sollten das Th Wb oft benutzen, sondern vor allem auch
Lehrer und alle Heimatfreunde.
Helmut Schönfeld, Berlin
Aarne-Thompson 348
Achilles, W. 469!.
Afanas’ev 263!., 266
Agricola, Cli.: Rez. 495!. 341
Agricola 319
Allard, C. 76
Alver, B. 110
Atterman, I. 114
Avitsur, Sh. 473 fr.
Bachmann, M. 197 fr.
Bachtejev 406
Bader, K. S. 435!.
Balck, G. W. A. 23
Barabäs, E. 115
Barabäs, J.: Scheunen auf
ungarischem Sprachgebiet
iff. 115
Barag, L. G.: Rez. 171fr.
Baranowski, B. 490
Baranowski, J. 117
Bartök 106, 249, 251, 399fr.,
505 fr.
Bartsch, Ch. 223
Bauche, N. 202 f.
Baum, P. F. 18 x ff.
Baumgarten, K.: Nachbar-
schaftshilfe beim länd-
lichen Hausbau in Meck-
lenburg 16 ff. Fünf Jahre
Ausschuß für Hausfor-
schung in der DDR 425 ff.
Rez. 204fr., 480h 40, 114,
116, 312fr.
Bausinger, H. 110
Becker, M. 329
Beiden, H. M. i8iff.
Benedict, E. 420
Beitl, K. 341
Bentzien, U.: Rez. 197, 211 f.,
4Ö7f-> 473ff. 113
Benzei, U. 178h, 341
Berg, G. 1 x 1
34 Volkskunde
Berthold 406
Bezzenberger, A. 223
Bitsche, J. 404
Bodker, L. 43of.
Bogatyrev, P.: Rez. 497fr. 107
Bolte, J. 104
Bonnett, H. 473 fr.
Bose, F. 446 f.
Bouteiller, M. 490 f.
Bratanic 406
Braun, M. B. 295
Braun, R. 189 fr.
Brednich, R. W. 341, 405 f.
Brill, T. 110
Buchholz, E. W. 468f.
Bull, E. 460fr.
Burde-Schneidewind, G.:
Deutscher Sagenkatalog.
Vorbericht 339fr. Rez.
i8of., 430L, 493h, 501 f.
ID
Ch^tnik, A. 119
Christiansen, R. Th. 174fr.
Chudjakov 264
Cimermanis, S. 1x3
Ciolek, G. 119
Öistov, K. io9f.
Clouston, J. S. 50, 55, 58f.,
61
Colescu, L. 71
Cordingley 302, 308f.
Crumlin, O. 111, 114
Czambel 269!.
Czepel, V. 288
Dal, E.: Rez. 181 ff.
D’Aronco, G. 187fr.
Degh, L. 174 fr.
Denison 65 f.
Deroko, A. 87
Dethlefsen, R. 120
Dimitrov, Z. 85
Fasske, H. 5 11 ff.
Fel, E. 483 f.
Fenton, A.: Das Bauernhaus
auf Orkney und Shetland
50 fr. 21 if.
Fiedler, A.: Hauskundliche
Archivforschung in Sach-
sen. Erfahrungen, Pro-
bleme, Aufgaben
Rez. 447 f. 116, 426
Fiedler, W.: Rez.
5iiff. 183 fr.
Firth, J. 67
Fischer, F. 466
Fliedner, S. 111, 114
Földes, L.: Rez. 470fr.
Fohner, G. 493 f.
Fojtik, K.: Rez. 193 fr.
Franz 406
Frenzei, R. 436 f.
Fritzsch, K. E. 1970., 199 £
Frolec, V. 480 f.
Gaal-Stier 275
Gasparikova, V. 109
>■ i ¡&A: 5 V*
518
Personenverzeichnis
Gardberg, J.: Rez. 437h.
Garschnek, A. 414
Gavazzi,M.: Rez. 169 fr.,
509 fr.
Gebhard, T.: Rez. 200 ff. 423
Goethe 399
Goldstein, K. S. 433 fr.
Gombos, J. 505 ff.
Grafenauer, I. 169fr.
Grammetstetter, P. 315, 333
Granlund, J. iii
Greverus, I.-M.: Deutscher
Sagenkatalog. Vorbe-
richt 339fr.
Griepentrog, G. 341
Grimm, Brüder 283
Grisellini, F. 87
Grober-Glück, G. 341
Großer, M. 467
Gulgowski, I. 118 £.
Guncev, G. 79
Gunda, B. 168
Györffy, I. 12
Györffy 106
Iiabenicht, G.: Die Musik der
rumänischen Hirtentrom-
peten 244 fr.
Haberlandt, M. 290fr., 296fr.
Härma, M. 415
Haiding, K. 275 f.
Hain, M. 502L
Hamilton, J. R. C. 50
Harkort, F. 110, 341
Haselberger, J. 326
Hasslöf, O. iii, 113f.
Heilfurth. G. 340f.
Helbig, J. 426
Plennings, K. 28
Hensel, W. (= Julius Jani-
czek) 402
Herder, J. G. 411
Hermann, K. A. 411
Herr mann, J. 439
Heselius, J. G. 416
Hibbert 57, 66
Hirv, E. 415
Hofer, T. 5, 483 f.
Hoffmann, Fl. 104L
Iiolbek, B.: Rez. 174 fr.
Horak, J. 110
Ilorälek, K.: Der Märchen-
typus AaTh 302 (302 C+)
in Mittel- und Osteuropa
260 ff.
Hoskins, W. G. 310
Hucke, H. 514fr.
Hudson, A. P. 18iff.
Huhn, O. 411
Hupei, A. W. 411
Hupfauer 406
Hurt, J. 411, 413
Hvarfner, H. 477
Innocent, C. F. 302
Jacob, A. 503 f.
Jacobeit,W.: Rez. 191fr.,
196L, 467, 468fr. 115
Jaenecke-Nickel, J.: Rez.
487fr., 490F
Jardanyi, P. 401
Jarosch, G. 287, 300
Jazowickaja, E. E. 415
Jech, J. 110, 115 f.
Jentsch, H. 511fr.
Jefäbek, R.: Herkules, Da-
niel oder Samson? Ein
Beitrag zur Ikonographie
sowie zum Problem der
Volkstümlichkeit und eth-
nischen Herkunft figür-
licher Bienenstöcke 288ff.
Jez-Jarecki, W. 122
Jöde, F. 402
Johnovä, II.: Rez. 197fr.
Johnson, B. R. 102
Jungfer, V. 223
Jurjans, A. 214
Kallas, O. 411
Karadzic, V. 273!.
Karasek. E. 113
Katona, I. 173 f., 405
Kerenyi, G. 508L
Kisbän, E.: Rez. 168 £.
Kiss, L. 505 ff.
Klein, E. 473 fr.
Klein, R. 501 f.
Klersch, J. 45 9 f.
Klier, K. M. 402 fr.
Klimova, D. 110
Klonowski, F. 120, 481fr.
Kodaly, Z. 106, 398fr., 505fr.
Körber, H. 456 fr.
Kötzschke, R. 421
Köiva, O. 414
Kokamägi, H. 415
Kolk, U. 412, 414fr.
Kollar, J. 108
Kovacs, Ä. 110
Kozuharov, G. 78, 87
Kracht, E. 177L
Kräder, B. 406
Kramarik, J.: Rez. 178L
Kramer, S.-K. 421
Kratz, B. 473 ff.
Kraus, A. 191L
Kreek, C. 411
Kretschmer, I. 450fr.
Kretschmer, P. 285
Kretzenbacher, L. 487f.
Kreuzberg, C.: Rez. 454fr. 116
Kruyskamp, C. 503 f.
Krzyzanowski, J. 110, 441 f.
Kube,S.: Rez. 164fr., 489.116
Kucharska, J. 112
ICünzig, J. 495 f.
Kulda 279
Kumer, Z.: Erich Seemann
zum Gedenken 1888 bis
1966 101 f.
Kurschat, F. 223
Kuusi, M. 441 £.
Kuusk, P. 415
Lach,R. 412
Laube, H. 456 fr.
Launis, A. 41 if.
Lechner, M. L. 341
Leclercq, W. L. 477 f.
Leighton, C. i8iff.
Lendl, E. 451fr.
Lenk, W.: Rez. 484fr.
Leonarda 399
Leyen, F. v. d. 103
Liungman, W. 501 f.
Lohse, H. 465 f.
Loucatos, D. 441 £.
Ludat, H. 197
Lühning, A. iii, 113
Lütge, F. 467 f.
Lüthi, M. 110, 493 f.
Lund, A. 460 fr.
Luts, A. 112
Lutz, W. 2iof.
Majer, J.: Zur Bergbau-
technik des 16.Jahrhun-
derts im Westteil des böh-
mischen Erzgebirges 313 ff.
Majlath, J. 269
Malicki,L.: Ethnogra-
phische Freilichtmuseen in
Polen 117fr. 113
Maltitz, S. v. 333
Marinov, V. 78
Maröthy, J.: Rez. 508£.
Maryariski, A. 45 3 f.
Mason, R. T.: Britische
Volksarchitektur 302 fr.
207 f.
Matolcsi 406
Megas, G. 187fr.
Meier, J. ioif., 404
Meitzen 34
Melichercik, A. 107 fr.
Melngailis, E. 214, 221
Menius, F. 411
Merkelbach-Pinck, A. 283
Metsk, F. 511 ff.
Meyer, J. in, 114
Michaile, S. 511fr.
Michels, V. 514fr.
Milius, V. m, 113
Mine, S. I. 171fr.
Mjartan, ./.: Andrej Meli-
chercik f 1917 —1966
107 fr.
Mohrmann, U.: Rez. 478 f.
Moser, H. 187fr.
Moser-Rath, E. 341
Mühlmann, W. E. 428 fr.
Müller, E. W. 428fr.
Müller, I.: X. Der Tod und
die Toten 346 fr., 110,
340 fr.
Müller, K. 0. W.: Rez. 195L
Münch, R. 113
Mukarovsky 107
Naumann, H. 103
Nedo, P. 115, 431 ff.
Neef, E. 420
Nemcovä, B. 268 f.
Nesselmann, H. 223
Neumann, S.: In memoriam
Gottfried Henßen 1889
bis 1966 io2ff. Tagung der
International Society for
Folk Narrative Research
vom 1. 9. bis 4. 9. 1966 in
Liblice (CS SR) 109L Rez.
177L, 202f., 436L, 491 ff,
502fr. 116
Nicolaisen, W. F. II.: Rez.
433fr.
Nikolic, A. 274L
Nitschke, K. 114
Normet, L. 416
Personenverzeichnis
Novikov, N. V. 260fr., 287
Nowotny, P.: Rez. 45 3 f.
Noy, D. 174fr., 496f.
Omond, J. 67
Oneukov, N. J. 266
Ortutay, G. 271 f.
Otsa, H. 412
Palâdi-Kovâcs, A. 472 F.
Patzak 297
Pauliny, E. 108
Peesch, R.: Der Vorgang des
Tradierens. Bericht über
das Kolloquium des In-
stituts für deutsche Volks-
kunde der DAW 115 ff.
Rez, 450fr. 11 if., 200ff.
Petschel, G. 341
Petzold, L. 341
Peuckert, W.-E. 339f.,
493 fr.
Pfeil, E. 193 fr.
Pinon, R. 406
Pokropek, M. 122
Pöldmäe, R. 412
Polenz, S. 426
Polivka 278f., 285
Pomeranceva, É. V. 109,
171 ff., 264, 497fr.
Pommer, J. 402 fr.
Pop, M. 110
Popo va, T. 414
Pourovâ, L. 110
Pfikryl, P. F. 271
Radig, W.: Fünf Jahre Aus-
schuß für Hausforschung
in der DDR 425 fr. Rez.
439, 479
Radloff 85
Rajeczky, B.: Nachruf auf
Pal Jârdânyi 1920 — 1966
io6f. 505 ff.
Ranke, K. 109, 180, 340
Renner, H. 192L
Rhesa, L. 223
Rieck, K. 114
Riedl, A. 403
Ritsing, R. 416
Rivière, G. H. 187fr.
Robischon, R. 208
Röhrich, L.: X. Der Tod und
die Toten 346 fr. 110, 179,
341 f., 491 ff.
519
Röth, D. 501 f.
Roller, H.-U. 484fr.
Romanov, J. R. 267
Rosegger, P. 403
Roussel, A. 50, 55, 58
Rudolph, W.: Kolloquium
Balticum Ethnographicum
vom 11. 9. bis 16. 9. 1966
in Berlin und Stralsund
hi ff. Rez. 203 f., 477f.
476 f.
Rüütel, J. 414 f.
Rumpf, M. 341
Ruus, I. 414
Rybicki, A. 120
Rysanek 107
Sach, F. 473 fr.
Saar, M. 411, 415
Schell, O. 103
Schenda, R. 504
Schier, B. 14
Schinhan, J. Ph. i8iff.
Schlegel, Ch. H. J. 411
Schmidt, L. 187fr.
Schmidt, M. 207 f.
Schmolitzky, O. 426
Schnack, F. 454fr.
Schönfeld, II.: Rez. 514fr.
Scholtze, A. 117
Schröder-Lembke, G. 467
Schuchhardt 114
Schulz, G. V. 203 f.
Schwammberger, A. 489
Schwebe, J. 341
Seemann, E. ioif.
Seki, K. 174 fr.
Sellnow, Rez. 428 fr. 115
Semlek, L. 414
Semmingsen, I. 460fr.
Sieber, F.: Rez. 189fr., 459f.
n6f.
Silbermann, A. 478 f.
Simonett, Ch. 204fr.
Sirovätka, O. 109 f., 405
Skultety 271
Slaviünas, Z. J.: Zur litau-
ischen Vokalpolyphonie
223 ff.
Slicher van Bath 406
Slygina, N. V. 112
Smelhaus, V.: Erste Inter-
nationale Konferenz der
landwirtschaftlichen Mu-
seen in Liblice (CSSR)
34*
520
Pers onen Verzeichnis
406 f. Das Braunauer Bild-
urbarium von 1676/77
4/ 7ff.
Smith, J. T. 303
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00941100047802
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DEUTSCHES JAHRBUCH
FÜR VOLKSKUNDE
Herausgegeben vom Institut für deutsche Volkskunde
an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
durch Wolfgang Steinitzf und Hermann Strobach
Begründet von Wilhelm Fraenger
Dreizehnter Band
Jahrgang 1967
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