A. Origmalarbeit.
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wurde überflutet von dem Lichte des Vaters und des Sohnes und
ist „nach der linken Seite zu übergesprudelt“; „die aus dem Weibe
übersprudelndo Kraft aber . . . nennen sie auch: Linke“. 9 ) Dass
der bei Israeliten, Griechen und Römern herrschende Glaube, 10 ) es
würden die Knaben aus der rechten, die Mädchen aus der linken
Seite geboren, bis zum 16. Jahrhundert von deutschen Gelehrten,
z. B. von Rüff n ) und Melanchthon vertreten wurde, dürfte teilweise
auf die Erinnerung an verwandte germanische Überlieferungen zu
rückzuführen sein; besteht doch in der Rheinpfalz bis zum heutigen
Tage die Meinung, dass die Frau, wenn sie mit dem linken Fusse
zuerst aus dem Bette aufstehe, ein Mädchen bekomme, wenn mit dem
rechten, einen Knaben. 12 ) Auch unter verschiedenen andern Völkern
Europas herrscht noch gegenwärtig die Auflassung der linken Seite
als eines Symbols der Frau. „Wenn es jemand“, so meint der sieben-
bürgische Zeltzigeuner, „im linken Daumen oder in der grossen Zehe
des linken Fusses sticht oder schmerzt, so wird er von einem Frauen
zimmer gesucht; wenn im rechten Daumen oder in der grossen Zehe
des rechten Fusses, von einem Manne“. 13 14 ) In Serbien, wo die Braut
zum Abschiede alle Hochzeitsgäste auf die linke Wange küsst, schlingt
der Priester bei der Trauung, nachdem er die vorgeschriebenen Ge
bete verlesen hat, ein weisses Tuch um die linke Hand der Braut 11 )
und ein ebensolches um die rechte Hand des Bräutigams. Bei den
Lappen ist der Platz der Wöchnerin links von der Thür der Hütte, 15 )
und dass die Basken den Platz zur Linken für den „fraulichen“
halten, wird aus einem Bericht sichtbar, den Hellwald über ihre
Spinn- und Tanzabende erstattet: „Links am Herde spinnen unter
dem Vorsitze des Etcheca-anderia (eines Greises) Frauen und Mäd
chen den schönen Flachs des Landes oder die Wolle; zur Rechten
reihen sich die bejahrtesten Männer um den (Greis) Etcheco-jauna;
die jungen Leute nehmen Platz, wo sie können, nur nicht in der
Nähe der weiblichen Gruppe“. 16 )
In allen Erdteilen zeigt sich, was Bachofen nicht bemerkt hat,
die linke Seite auf das innigste mit dem Glauben an Zauberei ver
9) Irenaus, Gegen die Häresieen. Übers, y. Hayd. Kempten 1872. I c. 30
S. 168.
10) Ploss, Das Weib in der Natur- und Völkerkunde. Leipzig 1875. 1 373.
11) Ebenda I 362.
12) Ploss I 364.
13) v. Wlisloeki, Vom wandernden Zigeunervolke. Hamburg 1890. S. 238.
14) y. Hellwald und Beck, Die heutige Türkei. Leipzig. 2. Aufl. I 177.
15) Ploss a. a. 0. II 465.
16) y. Hellwald, Frankreich. Das Land und seine Leute. Leipzig 1. Aufl.
S. 493.