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B. Referate. Anthropologie.
335. G. Antonini ed A. Carini: Di un caso di microcefalia vera.
Gazz. Med. di Torino, 1901. Anno LII, Nr. 31—32.
Ausführliche Darstellung der klinischen und anatomischen Beobachtungen,
die an einer mikrocephalen Idiotin während deren zehnjährigen Aufenthaltes
in der Irrenanstalt in Voghera angestellt wurden. Beachtenswert sind die
Änderungen im Charakter der Kranken, die durch den Eintritt der Pubertät
gezeitigt wurden: aus dem wilden, fast tierischen Mädchen mit verbrecherischen
Neigungen wurde eine züchtige, Reinlichkeit und Ordnung liebende Jungfrau.
Nach dem im 20. Lebensjahr erfolgten Tode ergab die anatomische Unter
suchung von Schädel und Hirn im wesentlichen folgende Eigentümlichkeiten:
Schädelkapacität ccm 435; Hirngewicht gr 372; grösste Länge des Schädels
mm 128, Breite 102,50, Höhe 106,50; Zurücktreten der Schädelkapsel
hinter dem Gesichtsschädel; Annäherung der beiden Lineae semicirculares
an die Mittellinie; Kürze der Spina nasalis anterior fast bis zum gänzlichen
Verschwinden derselben; verhältnismässig stärkere Entwicklung der Schädel
basis gegenüber der Konvexität; Schädelasymmetrie; frühzeitiger Verschluss
einzelner Nähte; Enge der Carotidenöffnungen; Kleinheit der Hinterhaupts
lappen des Gehirns; infantiler Charakter der Hirnfurchen; rudimentäre Aus
bildung des vorderen Schenkels der Sylviusschen Spalte; Kommunikation
der Fissura parieto-occipitalis mit der F. occipitalis transversa. Wenn die
Verf. hervorheben, dass sich diese Anomalien unter Berücksichtigung der
anamnestischen und klinischen Daten (Imbecillität und Konvulsionen der
Mutter; Taubstummheit eines Neffen; Rhachitis und Ataxie der Kranken
selbst) teilweise als Atavismen im Sinne der Vogt sehen Lehre, teilweise
als pathologische Entwicklungshemmungen in Virchows Sinne ansprechen
lassen, so will es Ref. doch scheinen, als wenn sich alle diese Phänomene
weit ungezwungener als pathologische Erscheinungen, krankmachende und
krankhafte, deuten Hessen, als dass sie sich der Vogt sehen Lehre, wenn
auch nur teilweise anbequemten. Dr II Läufer-Düsseldorf-Grafenberg.
336. P. Wellenbergh: Contribution ä l’étude de la question de
l’influence de la vieillesse sur la criminalité. Comptes-
rendus du CongT. internat. d’Anthropologie crim., 5. session
d’Amsterdam, sept. 1901, S. 128.
Im Anschluss an die Resolution der Union internationale de Droit
Penal vom Budapester Kongress 1899 verlangt V. auf Grund eines ausführlich
abgehandelten Beispiels (sexuelle Strafthat eines 82 Jahre alten Mannes von
gutem Ruf), dass die senile Involution des Organismus eine ähnliche Be
rücksichtigung in der Strafgesetzgebung finde wie die jugendliche Evolution
desselben, weil das Greisenalter häufig eine geistige (intellektuelle und
moralische) Schwäche zeitige, die oft genug dem Schwund der physischen