Internationales Centralblatt
für
Anthropologie und verwandte Wissenschaften
in Verbindung mit
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R. M a r t i n-Zürich, O. Mon tel ius- Stockholm, S. R e i n a c h-Paris,
L. Stieda-Königsberg, A. v. Török-Budapest und anderen Fachgenossen
herausgegeben und geleitet von Dr. phil. et med. G. BllSChan, Stettin.
8. Jahrgang. Heft 5. 1903.
A. Originalarbeiten.
I.
Priester und Braut
Von V. Jäkel.
Bachofen führt als einen Grund für seine Annahme, dass sieh
die Gynäkokratie, die er voraussetzt, auf der Priesterwürde der
Frau aufgebaut habe, die weibliche Kleidung der Priester an. Nicht
aber ist ihm aufgefallen, dass der Priester wie in Gewandung, Haar
tracht und Schmuck, 1 ) so auch im Gebrauche des Throns und Thron
himmels der Braut nahe steht, während andererseits die Braut durch
zeremonielle Vereinsamung und Ähnliches öfters eine Stellung und
Geltung einnimmt, die derjenigen heidnischer Priester nicht ganz
unähnlich sieht.
Wie häufig berichtet wird, dass der an den Baldachin erinnernde
Sonnenschirm ein Vorrecht der Fürsten ist, wie die mexikanischen
Könige kaum anders öffentlich erschienen als in einer Sänfte, mit
einem Baldachin über sich — so erweist sich der Thronhimmel nicht
weniger oft oder wohl noch öfter als ein priesterliches bezw. gött
liches Attribut. Ein jeder dürfte wissen, dass die Priester der
katholischen Kirche bei Prozessionen nicht selten unter einem Balda
chin einherschreiten; aber diesen selben merkwürdigen Gebrauch
beobachtete d’Héricourt 1 2 ) in Schoa, und Burmeister 3 ) war in
1) Auf die beiden letzteren Merkmale habe ich in den „Studien zur ver
gleichenden Völkerkunde“ aufmerksam gemacht.
2) d’Héricourt, Reise in das Königreich Schoa. Stuttgart 1847. S. 169.
3) Bur meist er, Reise nach Brasilien. Berlin 1853. S. 441.
Intern. Centralblatt für Anthropologie. 1903.
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