VI. B. III. H. 6 AM UR-QUELL. MONATSCHRIFT FÜR VOLKKUNDE. Herausgegeben von Friedrich S. Kraus s. „Das Yolktum ist der Völker Jungbrunnen.“ i. Ungerecht (tut. Eine Umfrage von Ä. Wiedemann in Bonn. I. Die Vorstellung, dass der Räuber eines heiligen oder ehr würdigen Gegenstandes oder Ueberrestes von dem rechtmässigen Be sitzer so lange verfolgt und gepeinigt wird, bis er seinen Raub an die richtige Stelle zurückbringt, ist weit verbreitet. In manchen Fällen werden die volktiimlichen Berichte wohl auf Thatsachen zurück gehn, insofern sich nicht selten Gewissensbisse so stark gesteigert haben mögen, dass sie zu Traumerscheinungen und Zwangvorstellungen wurden, denen der Thäter nur durch Wiedergutmachen seines Un rechtes entrinnen zu können hoffte. Für diese Begründung spricht vor allem, dass in zahlreichen Erzählungen der drohende Besitzer, ein Gott, eine ehrwürdige Persönlichkeit, ein Toter, dem Räuber zunächst im Traum erscheint, und dass diese Erscheinung erst später auch während des Wachens auftritt. Bereits im alten Aegypten begegnet diese Vorstellung dem Forscher. Im Setna-Märchen wird geschildert, wie ein Toter ein ihm geraubtes Buch wieder zu gewinnen weiss; doch ist dieser Text nicht völlig massgebend, da die erhalten gebliebene Handschrift des Mär chens aus der Ptolemäerzeit stammt und kein Anhalt vorliegt, der eine sichere Datierung des Ursprungs der einzelnen Teile der Erzählung in eine frühere Zeit gestattete, so dass es neben den ägyptischen auch fremde Elemente enthalten könnte. Sicherer ist man nach dieser Richtung hin bei der sogenannten Bentresch-Stele, einer zu Karnak (Theben) entdeckten, jetzt auf der Pariser National-Bibliothek auf bewahrten Inschrift, welche aus der Zeit nicht lange vor 1000 v. Chr. stammt. Ihren Text bildet eine Legende, die den Ruhm des thebanischen Gottes Chunsu zu verherrlichen bestimmt ist. Der Gott, d. h. seine Statue, war nach dem fern in Asien zu suchenden Lande Rechten gezogen, begleitet von einer Flotte, Wagen und zahlreichen Pferden, um einen Dämon zu vertreiben, der in die Tochter des Fürsten von Bechten gefahren war und diese krank gemacht hatte. Die Kur gelang, und dies gefiel dem Fürsten von Bechten so sehr, dass er beschloss, den Gott bei sich im Lande zu behalten und nicht nach Aegypten zurückkehren zu lassen. Allein mehrere Jahre darauf,