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Versammlungen (Malstätten). Dies musste um so eher geschehen,
als den Verstorbenen nach und nach vielgestaltige Kräfte zugeschrieben
wurden, deren sie sich, meistens zum Schutze des Ortes und der
Menschen, zuweilen auch, wenn die Geister erzürnt waren, zum Schaden
der Lebenden 1 ) bedienten.
Fassen wir den Herd als uralten Begräbnisplatz auf, so erhalten
wir eine ganz andere Begründung seiner Wichtigkeit, und es werden
uns viele alte Sitten und Bräuche, wie wir das später finden werden,
begreiflich; auch erkennen wir den Grund, warum Herd ursprünglich
nichts anders als Boden bedeutet. Mhd. hört in Feuerstätte und Erde,
ahd. hörde in Boden und Feuerstätte. 2 ) Die Doppelheit der Bedeu
tung des Wortes fällt sofort auf. In „Ödipus auf Kolonos u (Sophokles)
verlangt Antigone gar sehr darnach den unterirdischen Herd zu
schauen; und als Ismene fragt: Wessen Herd? antwortet die Schwester:
Des Vaters Herd. 3 ) Hier ist Herd aber nur Begräbnisplatz. Bei
Aurignac, einer kleinen Stadt im Departement der oberen Garonne
fand ein Arbeiter 1852 eine Platte, welche eine natürliche Höhle ver
schloss. Hier lagen 17 Skelette. Als man die Höhle untersuchte,
fanden sich der Rest eines Herdes, sowie Knochen von zahlreichen
Tieren und Gegenständen menschlicher Industrie. Die Topfscherben
waren roh und mit der Hand gearbeitet, an der Sonne getrocknet,
oder halb gebacken. In dem Tale der Veziere, zwischen Limoges
und Agen befinden sich ausser dieser Höhle noch viele andere. Man
konnte in einigen übereinander liegende Herdstellen feststellen, ebenso
die Knochenüberreste dort begrabener Menschen. Die Bewohner dieser
Höhlen werden allgemein für praehistorisch angenommen, und wir
sehen aus ihnen die nahe Verwandtschaft zwischen Feuer- und Be
gräbnisstätten.
Nach damaliger Vorstellung waren also um die Feuerstätte die
lebenden und toten Glieder einer Sippe, einer Familie, zu einem
Ganzen vereinigt, und diese Vorstellung musste lebendig bleiben, so
lange der Herd, das Haus nicht über dem Grabe eines Familien
gliedes mehr war. Da noch immer musste, der durch Jahrtausende
vielleicht Festgewurzelte und mit der ganzen Anschauung der Menschen
innig verwobene Glaube, dass am Herde die Geister der Verstorbenen
sich aufhalten, bestehen, und der Herd, die Feuerstätte blieb darum
ein Geisterort. Diese Anschauung finden wir noch im Mittelalter.
Damals war der Herd an die Wand gerückt, früher befand er sich
mitten im Hause. Eine gusseiserne Platte war an der Wand, neben
der Feuerstätte, angebracht. Hinter der Herdplatte, an der anderen
Seite der Brandmauer, lag die winterliche Wohnstätte, die dadurch
noch mehr erwärmt wurde, dass sie eine Nische in der Brandmauer
bis an die Herdplatte hatte, in welcher Sitze, ja Lagerstellen an-
J ) Lieber die genauere Darstellung dieses Entwicklungganges vergleiche meine
Abhandlung: „lieber den Geisterglauben und seinen Einfluss auf die religiösen
Vorstellungen der Germanen.“ Zeitschrift für Volkkunde. Leipzig 1890. Alfred
Dürffel. 2 ) Kluge: Etymologie. 3 ) Donnersche Üebersetzung.