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Notizen zur Ikonographie des Lamaismus.
Auch scheinbar ganz nebensächliche und versteckte Darstellungen haben ihren Weg
nach Indien gefunden. Wenn auch für das Folgende nicht gerade ein Monument als Beleg
vorhanden ist, so glaube ich doch annehmen zu dürfen, dass die Hand eines griechischen
Künstlers hier vermittelnd wirkte. In einem Jätaka, dem Mahäsupinajätaka (in Fausboells
Ausgabe I, p. 334 ff), findet sich nämlich als siebentes Traumbild des Königs der Kopala das
Wiederspiel der griechischen Oknos-Legende, welche Polygnotos in der Lesche zu Delphi ab
gebildet hatte, welche jedoch in ihrem Ursprünge auf Kleinasien zurückgeht und von der
noch eine Reproduction aus der römischen Kaiserzeit existirt. Sicher haben die Inder hier
entlehnt; denn abgesehen davon, dass das griechische Bild jedenfalls viel älter ist, als unsere
Jätakaerzählung, liegen in der indischen Fassung einige Züge vor, welche beweisen, dass diese
die entlehnte ist. Eine Eselin kann wohl einen Binsenstrick fressen: nicht aber ein Schakal
weibchen ein rajju; die buddhistische Fassung der Sage hat die Situation insofern verdreht,
als der arbeitende Mann seiner Sorglosigkeit wegen durchaus nicht gescholten wird, dagegen
dem misogynen Charakter des Buddhismus gemäss das Weib in seiner Lüderlichkeit allein
am Unglück schuld ist. An eine unabhängige Entstehung der Sage in Indien und im Abend
lande wird wohl Niemand denken wollen. Vielleicht findet sich die Scene einmal am Rande
eines lamaistischen Weltsystems, oder in einer Höllendarstellung.
Nach dieser kleinen Abschweifung wollen wir zur Sache zurückkehren. Vielbesprochen
ist die Frage über den „turanischen” Einfluss in den Körperproportionen der buddhistischen
Cultusbilder. In zweierlei Auffassung ist darüber diskutirt worden. Einerseits ist' versucht
worden, mit Körpermessungen an lebenden Individuen arischer und turanischer Rage nach
zuweisen, dass die Buddhabilder rein arische Typen, die givaitischen Dämonen und die Genien,
sowie die Grosslamen aber turanischen Charakter zeigen. Andererseits wurde der turanische
Typus von Buddhafiguren dazu ausgenutzt, um auf die bekannte Abstammung des Gautama
aus „skythischem” Geschlechte hinzuweisen. Der eine constatirt also gerade da den turanischen
Einfluss, wo ihn der andere leugnet!
Vielleicht haben beide ein bischen Recht. Die Dämonenbildungen, d. h. die sogenannten
dragshed und die Genien (welche?) und die tibetischen Patriarchen werden in einem Athem
genannt: in allen präge sich turanischer Einfluss aus. Das ist nicht zu leugnen, aber die
Art wie? ist sehr verschieden. Wenn bei den Abbildungen der Lamen der Typus des
Tibeters, des Mongolen, des Chinesen in guten Bildern scharf und klar — bei schlechten
Bildern aber auch recht stumpf vorliegt, so versteht sich dies von selbst, da es sich um Por
träts, wenn auch imanigäre, der betreffenden Personen handelt — natürlich tragen auch die
Bilder der indischen Patriarchen, z. B. Abhayäkaragupta etc., ausgeprägt arischen Typus.
Der „turanische” Einfluss in den Darstellungen der Dragshed (der Civa'itischen
Dämonen) gehört aber einer älteren Schicht an. In der Bildung dieses Typus dominirt der
Kopf — ein grosses, dreiäugiges, breitnasiges, dunkelfarbiges Haupt — der breite Mund ist
2 ) Pausanias X, 29, 2. — Diese Erzählung ist gewiss nicht die einzige im Jätakabuche, welche
in Bezug zur Kunst steht; die eigenthümliche Art des Thronsitzes des Schakalkönigs Sabbadäthiko
(Jät. II, 244) scheint sich auf die Lehnen altindischer Throne zu beziehen, welche aus auf einander
stehenden Thiergestalten gebildet sind. Diese Formen leben in der Kunst des Lamaismus fort, vgl.
Schlagintvveit Buddhism (ed. Milloue, Taf. III, etc.). Thiergestalten, ohne irgend welche Zwischen
balken auf einander gestellt, bilden die Thronlehne des unten beschriebenen lCan-skya rol-pa’i rdo-
rje und zwar der Reihe von unten: Elefant, Löwe, Ziege. — Das oben citirte Mahäsupinajätaka ist
übrigens stofflich verwandt mit dem Lohakumbhijätaka (ed. Fausboell, Vol. III, 40—48), vgl. Schiefner
Mahäkätyäyana 47—53; aber die Träume sind anderer Art.