Walter Krickeherg
Altmexikanische Felsbilder
Unter den alten Kulturländern der Erde ragt Mexico nicht zuletzt durch seinen
großen Reichtum an Felsbildern hervor. Figürliche oder symbolische Darstellungen
bedecken viele Felswände und einzelne, isolierte Felsblöcke, die durch die Erosion von
Bergen gelöst oder durch Vulkanausbrüche, Gletscher und Wasserfluten ins flache Land
transportiert worden waren. Wie im Andengebiet und in den Ländern der Alten
Welt wurden die Felsbilder auch im alten Mexico eingeritzt, plastisch herausgearbei
tet und — wenn auch ganz selten 1 ) — aufgemalt. Alle drei Arten der Darstellung
können nebeneinander im gleichen Gebiet auftreten und ähneln einander dann oft so
sehr, daß die verschiedene Technik nicht dazu verführen sollte, größere Zeit- oder
Kulturabstände zwischen ihnen anzunehmen. Gerade in Mexico war der Übergang
von der einen zur anderen Technik besonders leicht, weil das altmexikanische Relief
einerseits ziemlich flach ist und manchmal eher ein ’’Champleve“ darstellt (das heißt
ein Flächenbild mit vertieftem Hintergrund, dessen Konturen nicht abgerundet sind)
als ein Werk der Plastik, und weil es andererseits häufig bunt bemalt wurde, also
dem Wandgemälde nahestand.
Bei dem folgenden, begreiflicherweise nur flüchtigen Überblick über einige Haupt
beispiele unter den Felsbildern, die ich mit meiner Frau dank der großzügigen Unter
stützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Bad Godesberg vom Oktober
1958 bis zum April 1959 in Mexico studieren konnte, sind nur die höheren Kulturen
berücksichtigt worden, weil die primitiveren Felsbilder nicht ohne einen Vergleich
mit den nahe verwandten des südwestlichen Nordamerika behandelt werden können.
Die primitiveren finden sich zwar hauptsächlich in den nördlichen Bundesstaaten
Mexicos, kommen sporadisch aber auch in den mittleren und südlichen Landesteilen
vor. Im Jahre 1955 hat Frau Carmen Cook de Leonard ein solches aus der unmittel
baren Nachbarschaft der Hauptstadt beschrieben, das am Cerro Cuailama bei Acal-
pixcan entdeckt wurde, und zwar an derselben Felswand, die einige später zu erwäh
nende Reliefe im klassischen Stil der aztekischen Spätzeit trägt 1 2 ). Es besteht aus ein-
gchauenen Treppchen, napfartigen Vertiefungen und eingeritzten oder eingepunzten
Linien, die hier und da rohe Tier- und Pflanzenfiguren bilden, und wird von Frau
Cook de Leonard für eine Art Plan oder Modell (maqueta) zu einer Tempelanlage
der aztekischen Zeit gehalten.
Deutung und Datierung erscheinen mir in diesem Falle fraglich, obwohl ich keines
wegs einen tieferen Sinn des Felsbildes in Abrede stellen möchte. Denn schon die pri
mitiveren amerikanischen Felsbilder entsprangen nur ausnahmsweise dem reinen
Spieltrieb. Sie sollten vielmehr entweder über etwas berichten — zum Beispiel über
1 ) Z. B. bei Ixtapantongo im Valle de Bravo (Westen des Bundesstaates Mexico).
Agustín Villagra, "Pinturas rupestres“ (1954).
2 ) El México Antiguo VIII (1955), S. 169—191.