An erster Stelle müssen wir uns stets vergegenwärtigen, daß mit diesem Jahr
hundert in Spanien eine Dynastie französischen Ursprungs auf den Thron kommt,
die Bourbonen, und mit ihnen die gesamten französischen Lebensformen nach Spanien
gelangen. Natürlich bleibt die überseeische Verwaltung von dieser Umgestaltung nicht
verschont. Die Vizekönige werden Werkzeuge der zentralistischen Politik nach franzö
sischem Stil, Mitglieder der Verwaltungsaristokratie oder noblesse de robe, unter
denen sich große Persönlichkeiten finden, wie die verschiedenen Mitglieder der Fami
lien Calvez, Bucarelli, die beiden Revillagigedo usw. Das Wirken derjenigen, die das
damalige spanische Amerika verwalteten, war wirklich erstaunlich in diesem Jahr
hundert. Alle von Spanien in den früheren Jahrhunderten überbrachten Elemente der
Zivilisation tragen Früchte und verschafften Amerika außergewöhnlichen Reichtum,
Luxus, Wohlstand und Fortschritt. Die intellektuellen Kreise wiederum profitieren
davon. Es erscheinen journalistische Veröffentlichungen, wie der Mercurio Peruano,
es entstehen Akademien und literarisch-wissenschaftliche Zirkel. Mit anderen Worten,
der Geist der Zeit erfaßt auch Westindien, und Spanier und Kreolen nehmen teil an
den gleichen Anliegen, wie sie die Europäer erfüllen.
Eine wichtige Antriebskraft im 18. Jahrhundert im allgemeinen war der „exo
tismo“, das heißt das Interesse für das Exotische, das Europa mit den Produkten der
überseeischen Handelskompanien anfüllte. Diese von den in Amerika ansässigen Spa
niern geteilte Wißbegierde verfügte über ein naheliegendes, unmittelbares Objekt,
nämlich das indianische Leben und die indianischen Altertümer. Wir können beobach
ten, wie überall dieses Interesse sich äußerte, nicht nur auf archäologischem Gebiet,
das wir nunmehr betrachten wollen, sondern auch in Werken über indianische Ge
schichte, Sitten und Kulturen (wie beispielsweise die 1748 erschienene und von mir
neu herausgegebene „Historia de la America Septentrional“ von Lorenzo Boturini),
in der Begründung von Boturinis berühmtem Museum mexikanischer Manuskripte und
Altertümer, oder in der Anlage von Sammlungen ethnographischer Objekte. So wur
den im Mississippital damals von Indianern bemalte Bisonhäute gesammelt und nach
Europa geschickt, wo sie im Musée de l’Homme in Paris und im Amerikamuseum in
Madrid aufbewahrt wurden und werden.
Ihren Höhepunkt fand diese sowohl europäische als auch amerikanische Bewegung
in der Zeit Karls III. von Spanien (1759—1788), der während seiner langen Herr
schaft sein „königliches Amt“ vortrefflich ausübte. Es ist angebracht, sich dabei vor
Augen zu halten, daß Karl III. von Spanien zuvor König von Neapel war, weil dies
in direktem Zusammenhang zu dem Thema steht, das uns hier beschäftigt.
Damit wollen wir zu der kurzen Geschichte der Archäologie zurückkehren, deren
Wirken auf amerikanischem Boden Gegenstand unserer Betrachtung sein soll. Die
Wißbegierde der Renaissance war gewissermaßen eine Vorstufe der wissenschaftlichen
Betrachtungsweise. Man interessierte sich für die „Objekte“, die Gegenstände als
solche, als Zeugen und Reste alter Kulturen, aber man stieß noch nicht zur systemati
schen Erforschung alles dessen vor, was von diesen Kulturen geblieben war. Der Fundort
und die Fundumstände, die Stelle, wo die Kulturen gelebt und sich entwickelt hatten,
schienen unerheblich. Diese organische Gesamtschau innerhalb der archäologischen For
schung wurde gerade im 18. Jahrhundert geschaffen, die Archäologie wurde jetzt zur
Wissenschaft. Die Initiative dazu geht auf einen spanischen König und eine deutsche
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Manuel Ballesteros Gaibrois