Buchbesprechungen
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Johannes Kalter:
Schmuck aus Nordafrika. Ausstellungskata
log des Linden-Museums Stuttgart — Staat
liches Museum für Völkerkunde. 1976. 120
S., 7 Farbtaf., 68 Abb., 28 Fig., 2 Karten.
Es kann nicht behauptet werden, der vor
liegende Katalog schließe eine Lücke: das
Thema Schmuck im islamischen und darüber
hinaus im gesamten asiatischen Bereich ist ja
immer noch — weniger vom Sammlerischen als
vom Wissenschaftlichen her — ein gähnendes
Loch. Eine Handvoll Monographien (Besan-
cenot, Camps-Fabrer), manche davon kaum
mehr greifbar (Eudel 1902, 1906), und ver
streute Artikel zeigen an, daß hier eines der
zwar interessantesten, aber zugleich komplexe
sten und damit schwierigsten Themen völker
kundlicher Sachkulturforschung vorliegt. Da
bei erschöpft sich die Problematik nicht im vor
dergründig materiell-technologischen Bereich,
sondern reicht weit in Probleme der Wirtschaft
und Gesellschaft, vor allem aber in die der
Glaubensvorstellungen hinein. Die historische
Verfilzung ist es schließlich, die fast jeden
Interessierten abschreckt und somit davon ab
hält, sich mit diesem Thema wissenschaftlich
zu befassen.
Kalter, der Autor dieses Katalogs, bringt
sehr deutlich den allgegenwärtigen Einfluß des
Islam — nicht nur im Amulettwesen — zum
Ausdruck. Viele der Wurzeln reichen in noch
weitere historische Tiefe zurück, auf Amulette
bezogen: bis hin zu den „magisch-religiösen
Vorstellungen des alten Mittelmeerraumes und
insbesondere Alt-Ägyptens“ (S. 67). Vom rei
chen Formenschatz pharaonischcn Schmucks
(vgl. z. B. Aldred 1972) hat sich jedoch kaum
etwas bis heute im Volksschmuck erhalten.
Anders steht es mit Römischem und Byzan
tinischem. Ohrgehänge, wie sie der Katalog
von den Kel-Air-Tuareg abbildct (S. 113,
Abb. 65), kamen in genau derselben Form
und ähnlich ornamentiert kürzlich aus Ägypten
in die Sammlungen des Museums für Völker
kunde in Wien. Frühmittelalterlich ist der
Typus — aus Bronze — in ganz Mitteleuropa
belegt. Sein unmittelbares Vorbild stammte aus
Byzanz. Damit ist einer der Aspekte ange
deutet.
Die Pilgerreise nach Mekka führt seit mehr
als einem Jahrtausend zu regem Austausch
von Gedanken, aber auch von Gütern. Auf
dem Gebiet des Schmuckwesens sind hier An
regungen sicher von welttragenderer Wirkung
als „Reiseandenken“, vor allem Amulette.
Letztere sind aber konkreter zu fassen. So ist
ein ägyptisches halbmondförmiges Silberamu
lett mit graviertem Thronvers (Kriss und
Kriss-Heinrich: Abb. 62) auch aus Marokko
belegt (Sijelmassi 1974: Abb. 101), und 1975
habe ich in Kabul ein ebensolches Stück erwor
ben: alle sind sie offenbar von derselben Hand
graviert! (Dies zeigen auch zwei weitere mir
bekannte Stücke aus Kairo.)
Der Seehandel über das Arabische Meer
brachte Schmuck aus dem islamischen Nord
west-Indien vor allem nach Ostafrika, wo sich
obendrein indische Silberschmiede niedergelas
sen hatten. Es darf daher nicht verwundern,
daß mitunter nicht festzustellen ist, ob ein
Schmuckstück aus Indien oder vom afrikani
schen Osthorn stammt. Indisches wanderte wei
ter ins Innere Afrikas, vor allem aber in den
Norden bis Nubien, woher wieder — bis heute
— vereinzelt Stücke bis Kairo gelangen. Im
Osten waren und sind es afghanische Noma
den, die indischen Schmuck weiter in den Nor
den brachten. Im heutigen Pakistan waren es
vor 1947 vielfach Sikhs, die als Silberschmiede
für eine muselmanische Klientel arbeiteten.
Nach ihrer Vertreibung blieb in Afghanistan
die Versorgung mit einigen beliebten Schmuck
typen aus, so z. B. amulettwertige emaillierte
Silberplatten. Einige Sikh-Handwerker zogen
1947 nach Norden, wo sie heute noch am
Bazar von Gardez, der Hauptstadt der afgha
nischen Südost-Provinz Paktia, vor allem die
besonders bei pashtunischen Nomaden belieb
ten, durchbrochen gegossenen Armmanschetten
herstellen.
Das Silberschmiedezentrum Harar in Äthio
pien arbeitet vor allem für den Handel. Bana
nenförmige Amulettkapseln (Moore: Fig. 5;
„Ethiopie d’aujord’hui“, Kat.-Nr. 98 + Abb.)
werden vor allem für Nomaden in Somalia
hergestellt (pers. Mitt., H. Kriss-Heinrich;
Belegstück im Museum für Völkerkunde, Ber
lin — vgl. Baumann 1960: 234, Abb. 241).
Im Museum für Völkerkunde Leipzig befindet
sich ein derartiges Stück aus „Nordafrika“, im
Kunstgewerbemuseum in Berlin eines aus In
dien (Haberlandt 1906: Tf. 89/22, 87/8) und
Ümet Bir besitzt ein solches Stück aus Persien
(1974: Abb. o. Nr.). So eindeutig der Her
stellungsort Harar für alle diese Stücke scheint,
so wenig möchte ich die jeweiligen Herkunfts
angaben bezweifeln.
Die Sikh waren nur ein Beispiel für Hand
werker aus einer Minorität. Von weitaus grö
ßerer Bedeutung waren jüdische Handwerker
— im konkreten Fall Gold- und Silber
schmiede — in Nordafrika und darüber hin
aus im arabischen Raum. Tunis hat seinen Ruf