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Full Text: Tribus, 26.1977 N.F.

Buchbesprechungen 
185 
Johannes Kalter: 
Schmuck aus Nordafrika. Ausstellungskata 
log des Linden-Museums Stuttgart — Staat 
liches Museum für Völkerkunde. 1976. 120 
S., 7 Farbtaf., 68 Abb., 28 Fig., 2 Karten. 
Es kann nicht behauptet werden, der vor 
liegende Katalog schließe eine Lücke: das 
Thema Schmuck im islamischen und darüber 
hinaus im gesamten asiatischen Bereich ist ja 
immer noch — weniger vom Sammlerischen als 
vom Wissenschaftlichen her — ein gähnendes 
Loch. Eine Handvoll Monographien (Besan- 
cenot, Camps-Fabrer), manche davon kaum 
mehr greifbar (Eudel 1902, 1906), und ver 
streute Artikel zeigen an, daß hier eines der 
zwar interessantesten, aber zugleich komplexe 
sten und damit schwierigsten Themen völker 
kundlicher Sachkulturforschung vorliegt. Da 
bei erschöpft sich die Problematik nicht im vor 
dergründig materiell-technologischen Bereich, 
sondern reicht weit in Probleme der Wirtschaft 
und Gesellschaft, vor allem aber in die der 
Glaubensvorstellungen hinein. Die historische 
Verfilzung ist es schließlich, die fast jeden 
Interessierten abschreckt und somit davon ab 
hält, sich mit diesem Thema wissenschaftlich 
zu befassen. 
Kalter, der Autor dieses Katalogs, bringt 
sehr deutlich den allgegenwärtigen Einfluß des 
Islam — nicht nur im Amulettwesen — zum 
Ausdruck. Viele der Wurzeln reichen in noch 
weitere historische Tiefe zurück, auf Amulette 
bezogen: bis hin zu den „magisch-religiösen 
Vorstellungen des alten Mittelmeerraumes und 
insbesondere Alt-Ägyptens“ (S. 67). Vom rei 
chen Formenschatz pharaonischcn Schmucks 
(vgl. z. B. Aldred 1972) hat sich jedoch kaum 
etwas bis heute im Volksschmuck erhalten. 
Anders steht es mit Römischem und Byzan 
tinischem. Ohrgehänge, wie sie der Katalog 
von den Kel-Air-Tuareg abbildct (S. 113, 
Abb. 65), kamen in genau derselben Form 
und ähnlich ornamentiert kürzlich aus Ägypten 
in die Sammlungen des Museums für Völker 
kunde in Wien. Frühmittelalterlich ist der 
Typus — aus Bronze — in ganz Mitteleuropa 
belegt. Sein unmittelbares Vorbild stammte aus 
Byzanz. Damit ist einer der Aspekte ange 
deutet. 
Die Pilgerreise nach Mekka führt seit mehr 
als einem Jahrtausend zu regem Austausch 
von Gedanken, aber auch von Gütern. Auf 
dem Gebiet des Schmuckwesens sind hier An 
regungen sicher von welttragenderer Wirkung 
als „Reiseandenken“, vor allem Amulette. 
Letztere sind aber konkreter zu fassen. So ist 
ein ägyptisches halbmondförmiges Silberamu 
lett mit graviertem Thronvers (Kriss und 
Kriss-Heinrich: Abb. 62) auch aus Marokko 
belegt (Sijelmassi 1974: Abb. 101), und 1975 
habe ich in Kabul ein ebensolches Stück erwor 
ben: alle sind sie offenbar von derselben Hand 
graviert! (Dies zeigen auch zwei weitere mir 
bekannte Stücke aus Kairo.) 
Der Seehandel über das Arabische Meer 
brachte Schmuck aus dem islamischen Nord 
west-Indien vor allem nach Ostafrika, wo sich 
obendrein indische Silberschmiede niedergelas 
sen hatten. Es darf daher nicht verwundern, 
daß mitunter nicht festzustellen ist, ob ein 
Schmuckstück aus Indien oder vom afrikani 
schen Osthorn stammt. Indisches wanderte wei 
ter ins Innere Afrikas, vor allem aber in den 
Norden bis Nubien, woher wieder — bis heute 
— vereinzelt Stücke bis Kairo gelangen. Im 
Osten waren und sind es afghanische Noma 
den, die indischen Schmuck weiter in den Nor 
den brachten. Im heutigen Pakistan waren es 
vor 1947 vielfach Sikhs, die als Silberschmiede 
für eine muselmanische Klientel arbeiteten. 
Nach ihrer Vertreibung blieb in Afghanistan 
die Versorgung mit einigen beliebten Schmuck 
typen aus, so z. B. amulettwertige emaillierte 
Silberplatten. Einige Sikh-Handwerker zogen 
1947 nach Norden, wo sie heute noch am 
Bazar von Gardez, der Hauptstadt der afgha 
nischen Südost-Provinz Paktia, vor allem die 
besonders bei pashtunischen Nomaden belieb 
ten, durchbrochen gegossenen Armmanschetten 
herstellen. 
Das Silberschmiedezentrum Harar in Äthio 
pien arbeitet vor allem für den Handel. Bana 
nenförmige Amulettkapseln (Moore: Fig. 5; 
„Ethiopie d’aujord’hui“, Kat.-Nr. 98 + Abb.) 
werden vor allem für Nomaden in Somalia 
hergestellt (pers. Mitt., H. Kriss-Heinrich; 
Belegstück im Museum für Völkerkunde, Ber 
lin — vgl. Baumann 1960: 234, Abb. 241). 
Im Museum für Völkerkunde Leipzig befindet 
sich ein derartiges Stück aus „Nordafrika“, im 
Kunstgewerbemuseum in Berlin eines aus In 
dien (Haberlandt 1906: Tf. 89/22, 87/8) und 
Ümet Bir besitzt ein solches Stück aus Persien 
(1974: Abb. o. Nr.). So eindeutig der Her 
stellungsort Harar für alle diese Stücke scheint, 
so wenig möchte ich die jeweiligen Herkunfts 
angaben bezweifeln. 
Die Sikh waren nur ein Beispiel für Hand 
werker aus einer Minorität. Von weitaus grö 
ßerer Bedeutung waren jüdische Handwerker 
— im konkreten Fall Gold- und Silber 
schmiede — in Nordafrika und darüber hin 
aus im arabischen Raum. Tunis hat seinen Ruf
	        
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