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Buchbesprechungen
als Zentrum des Filigranierens — ebenso wie
Jemen — zweifellos diesen Juden zu verdan
ken (dazu Kalter: 57). Marokko steht nur um
weniges nach („Juive au Maroc“: 222—242),
und wenn auch nicht hinsichtlich Qualität, so
doch den Prozentanteil der Produktion betref
fend, dürfte Ägypten nicht nachstehen. Dort
haben übrigens größtenteils koptische Christen
— also wieder eine religiöse Minorität — die
Nachfolge der emigrierten Juden angetreten.
Als kleinen Hinweis auf mögliche ethnisch
spezifische Charakteristika, die hier mit eine
Rolle spielen, möchte ich auf die bei Kalter
abgebildeten Schminkstäbe aus Mauretanien
(S. 105, Abb. 62) verweisen, von denen es
Entsprechungen aus Marokko in einer Wiener
Privatsammlung gibt: sie ähneln verblüffend
in Form wie Dekor den Thorazeigern marok
kanischer Juden („Juive au Maroc“: S. 77 f.).
Damit ist die Problematik des Themas
Schmuck einigermaßen Umrissen. Wer sich, wie
Kalter, dennoch daranwagt, zeigt zunächst
und vor allem Mut. Gepaart mit Sachverstand
und Fleiß kann auf der Grundlage von liebe
voll zusammengetragenem Material ein Kata
log wie dieser entstehen.
Kalter stellt die Einzelaspekte des Themas
voran und kommt immer wieder, mit detail
lierten Beispielen, darauf zurück: von der
jeweils ästhetischen Wertung und ihrer gele
gentlichen Ausweitung zum „Zeichen einer
Gruppe“ über die Amulettwertigkeit und die
„magisch-religiösen Vorstellungen aus der Gei
steswelt“ hin zum Schmuck als Ausdruck des
sozialen Statuts, mit den Implikationen Wohl
habenheit, Mitgift (aber auch „Morgengabe“!),
Anlagewert und damit Sicherstellung für Not
fälle und schließlich Zahlungsmittel. Weiterhin
werden materialkundliche, technologische und
historische — hier besonders das Beharrungs
vermögen von Schmuckformen — Gesichts
punkte ins Zentrum der Betrachtung gerückt.
Der erste Abschnitt des Katalogs bringt
eine sauber gegliederte Landeskunde mit der
gebührenden Betonung ethnischer Eigenheiten.
So werden neben den Staaten Marokko, Alge
rien, Tunesien und Mauretanien insbesondere
Berber, Tuareg und Nomaden der westlichen
Sahara abgehandelt. Das spezifisch „Arabische“
muß leider im Hinblick auf das Thema Schmuck
aufgrund der mangelhaften Quellenlage not
gedrungen zu kurz kommen.
Wesentlich zum Verständnis erscheinen mir
Kalters Hinweise auf ein anderes ästhetisches
Empfinden. So wird die Kombination von
edlen Metallen mit Glassteincn z. B. von Ber
bern nicht gleichermaßen für barbarisch er
achtet wie üblicherweise von uns. Dieselben
Berber haben schon im 19. Jh. Korallen durch
gleichfarbiges Zelluloid ersetzt: wesentlich war
und ist ihnen die Magie der Farbe, nicht das
Material (S. 42). Ein unansehnlich gewordenes
Schmuckstück wurde und wird teilweise heute
noch eingeschmolzen. Schmuckstücke, „die älter
als ca. 150 Jahre sind“ (S. 37), mag man in der
einen oder anderen Museumssammlung finden.
Was nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen
getragen wurde, ist mit wenigen Ausnahmen
wohl kaum älter als 50 Jahre.
Eine alte „Gründliche Anweisung zur Ver
schönerung verschiedener Körperteile“ (neuauf
gelegt, München 1976) vermerkt; „Ambra
macht des Weibes Hinterteil rund und fest.“
In Kalters — im übrigen hervorragender —
Materialkunde ist neben Amber/Bernstein auch
Ambra als Material erwähnt, das im Schmuck
wesen Verwendung findet: diese Ausscheidung
des Pottwals ist seit alters her als Kosmetikum
bekannt, seine Verwendung als „Schmuckstein“
ist ethnographisch nicht belegt. Das „Bead
Journal“ (Vol. 2/3, 1976) hat mit einer Arti-
kelrcihe über die vielfältigen Imitationen von
Bernstein begonnen, von denen einige beson
ders auch im Maghreb seit langem Verwendung
finden.
Die Schwierigkeit der Interpretation von
Motiven läßt sich anhand von Abb. 8 (S. 43)
andeuten, die eine Duftkette mit Amuletten
aus der Großen Kabylei zeigt. Einer der An
hänger — eine „durchbrochen gearbeitete sil
berne Fatme-Hand“ — soll (wem zufolge?) die
„weibliche Fruchtbarkeit symbolisieren“. Ich
muß etwas ausholen:
In Nordafrika — bis einschließlidi West-
Ägypten — sind zwei grundlegende Typen von
Silberamuletten festzustellen. Im Westen, mit
dem Zentrum in Marokko, ist es die Fatme-
Hand, und im Osten, mit dem Zentrum in
Libyen, ein Anhänger in Form einer stilisierten
apotropäischen Maske (Schienerl 1973, 1975).
In Tunesien und von dort vor allem nach We
sten ausstrahlend, kommt es zur Kombination
beider Motive, für die die Abbildung bei
Kalter ein deutliches Beispiel ist: eine klar
kenntliche Maske, bei der die fünf Finger der
Fatme-Hand sogar als stilisierte Haartracht
gedeutet werden könnten. Augen, Mund und
Nase sowie Ohren sind überdeutlich.
Die Hand hat im Schmuck- und Amulett
wesen nicht nur in Marokko die gleiche große
Bedeutung für Muselmanen wie für Juden
(„Juive au Maroc“: 42 passim), aber auch
für Christen (Kalter: S. 62 ff.). Von Ägypten
weiter östlich, über Iran und Afghanistan bis