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Full Text: Tribus, 26.1977 N.F.

186 
Buchbesprechungen 
als Zentrum des Filigranierens — ebenso wie 
Jemen — zweifellos diesen Juden zu verdan 
ken (dazu Kalter: 57). Marokko steht nur um 
weniges nach („Juive au Maroc“: 222—242), 
und wenn auch nicht hinsichtlich Qualität, so 
doch den Prozentanteil der Produktion betref 
fend, dürfte Ägypten nicht nachstehen. Dort 
haben übrigens größtenteils koptische Christen 
— also wieder eine religiöse Minorität — die 
Nachfolge der emigrierten Juden angetreten. 
Als kleinen Hinweis auf mögliche ethnisch 
spezifische Charakteristika, die hier mit eine 
Rolle spielen, möchte ich auf die bei Kalter 
abgebildeten Schminkstäbe aus Mauretanien 
(S. 105, Abb. 62) verweisen, von denen es 
Entsprechungen aus Marokko in einer Wiener 
Privatsammlung gibt: sie ähneln verblüffend 
in Form wie Dekor den Thorazeigern marok 
kanischer Juden („Juive au Maroc“: S. 77 f.). 
Damit ist die Problematik des Themas 
Schmuck einigermaßen Umrissen. Wer sich, wie 
Kalter, dennoch daranwagt, zeigt zunächst 
und vor allem Mut. Gepaart mit Sachverstand 
und Fleiß kann auf der Grundlage von liebe 
voll zusammengetragenem Material ein Kata 
log wie dieser entstehen. 
Kalter stellt die Einzelaspekte des Themas 
voran und kommt immer wieder, mit detail 
lierten Beispielen, darauf zurück: von der 
jeweils ästhetischen Wertung und ihrer gele 
gentlichen Ausweitung zum „Zeichen einer 
Gruppe“ über die Amulettwertigkeit und die 
„magisch-religiösen Vorstellungen aus der Gei 
steswelt“ hin zum Schmuck als Ausdruck des 
sozialen Statuts, mit den Implikationen Wohl 
habenheit, Mitgift (aber auch „Morgengabe“!), 
Anlagewert und damit Sicherstellung für Not 
fälle und schließlich Zahlungsmittel. Weiterhin 
werden materialkundliche, technologische und 
historische — hier besonders das Beharrungs 
vermögen von Schmuckformen — Gesichts 
punkte ins Zentrum der Betrachtung gerückt. 
Der erste Abschnitt des Katalogs bringt 
eine sauber gegliederte Landeskunde mit der 
gebührenden Betonung ethnischer Eigenheiten. 
So werden neben den Staaten Marokko, Alge 
rien, Tunesien und Mauretanien insbesondere 
Berber, Tuareg und Nomaden der westlichen 
Sahara abgehandelt. Das spezifisch „Arabische“ 
muß leider im Hinblick auf das Thema Schmuck 
aufgrund der mangelhaften Quellenlage not 
gedrungen zu kurz kommen. 
Wesentlich zum Verständnis erscheinen mir 
Kalters Hinweise auf ein anderes ästhetisches 
Empfinden. So wird die Kombination von 
edlen Metallen mit Glassteincn z. B. von Ber 
bern nicht gleichermaßen für barbarisch er 
achtet wie üblicherweise von uns. Dieselben 
Berber haben schon im 19. Jh. Korallen durch 
gleichfarbiges Zelluloid ersetzt: wesentlich war 
und ist ihnen die Magie der Farbe, nicht das 
Material (S. 42). Ein unansehnlich gewordenes 
Schmuckstück wurde und wird teilweise heute 
noch eingeschmolzen. Schmuckstücke, „die älter 
als ca. 150 Jahre sind“ (S. 37), mag man in der 
einen oder anderen Museumssammlung finden. 
Was nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen 
getragen wurde, ist mit wenigen Ausnahmen 
wohl kaum älter als 50 Jahre. 
Eine alte „Gründliche Anweisung zur Ver 
schönerung verschiedener Körperteile“ (neuauf 
gelegt, München 1976) vermerkt; „Ambra 
macht des Weibes Hinterteil rund und fest.“ 
In Kalters — im übrigen hervorragender — 
Materialkunde ist neben Amber/Bernstein auch 
Ambra als Material erwähnt, das im Schmuck 
wesen Verwendung findet: diese Ausscheidung 
des Pottwals ist seit alters her als Kosmetikum 
bekannt, seine Verwendung als „Schmuckstein“ 
ist ethnographisch nicht belegt. Das „Bead 
Journal“ (Vol. 2/3, 1976) hat mit einer Arti- 
kelrcihe über die vielfältigen Imitationen von 
Bernstein begonnen, von denen einige beson 
ders auch im Maghreb seit langem Verwendung 
finden. 
Die Schwierigkeit der Interpretation von 
Motiven läßt sich anhand von Abb. 8 (S. 43) 
andeuten, die eine Duftkette mit Amuletten 
aus der Großen Kabylei zeigt. Einer der An 
hänger — eine „durchbrochen gearbeitete sil 
berne Fatme-Hand“ — soll (wem zufolge?) die 
„weibliche Fruchtbarkeit symbolisieren“. Ich 
muß etwas ausholen: 
In Nordafrika — bis einschließlidi West- 
Ägypten — sind zwei grundlegende Typen von 
Silberamuletten festzustellen. Im Westen, mit 
dem Zentrum in Marokko, ist es die Fatme- 
Hand, und im Osten, mit dem Zentrum in 
Libyen, ein Anhänger in Form einer stilisierten 
apotropäischen Maske (Schienerl 1973, 1975). 
In Tunesien und von dort vor allem nach We 
sten ausstrahlend, kommt es zur Kombination 
beider Motive, für die die Abbildung bei 
Kalter ein deutliches Beispiel ist: eine klar 
kenntliche Maske, bei der die fünf Finger der 
Fatme-Hand sogar als stilisierte Haartracht 
gedeutet werden könnten. Augen, Mund und 
Nase sowie Ohren sind überdeutlich. 
Die Hand hat im Schmuck- und Amulett 
wesen nicht nur in Marokko die gleiche große 
Bedeutung für Muselmanen wie für Juden 
(„Juive au Maroc“: 42 passim), aber auch 
für Christen (Kalter: S. 62 ff.). Von Ägypten 
weiter östlich, über Iran und Afghanistan bis
	        
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