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Volltext: Anthropos, 30.1935

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Gertrud Hermes, 
breitung seiner Träger gleichzusetzen ist, so wurde doch praktisch dauernd 
gegen diesen Grundsatz verstoßen. Es wäre überflüssige Arbeit, wollte man 
Beweise häufen! Aber auch die einfache Umkehrung dieses Verfahrens führt 
nicht zum Ziel. Wenn man die Ansicht geäußert hat, nur eine vollständige 
Kulturgutübertragung liefere den Beweis für die Eroberung eines Gebietes 
durch ein neues Volk, so ist diese Anschauung genau so irrig. Man braucht 
nur die historisch bekannten Besetzungen von Ackerbaugebieten durch krie 
gerische Hirtenstämme zum Vergleich heranzuziehen. Es kann keine Rede 
davon sein, daß die Mongolen in Ostasien, oder die Semiten in Babylonien 
den Vorgefundenen Kulturbesitz der Stromländer durch den eigenen ersetzt 
hätten. Sie haben vielmehr die Pflug- oder Hackbaukulturen, die sie sich 
unterwarfen, zur Grundlage der neuen kulturellen Einheit gemacht. 
Eine umfassende theoretische Besinnung hat daher einzusetzen. Sie hat 
darüber Klarheit zu schaffen, weiche Kulturgüter bei der Verschmelzung eines 
kriegerischen Hirtenvolkes, das den Ackerbau kennt und übt, aber dem Boden 
noch nicht fest verhaftet ist, mit bodenständigen Ackerbauern von der einen 
Gruppe eingebracht oder aufgegeben werden, welche von der anderen. 
Als abstrakt theoretische Aufgabe wäre eine solche Analyse zu umfas 
send, als daß sie im Rahmen der vorliegenden Untersuchung in Angriff ge 
nommen werden könnte. Sie muß daher von vornherein auf den konkreten 
Fall ausgerichtet werden; damit ist die Beschränkung auf ethnologische Typen 
von annähernd gleichem Reifegrad der Kultur gegeben. Die hier über 
nommene Auffassung der Indogermanen und ihrer Kultur stützt sich mit 
bewußter Ausschließlichkeit auf die gesicherten Ergebnisse der Sprach 
forschung unter Ausschaltung all der Züge, die man von der Archäologie 
und Anthropologie her in das Bild hineingetragen hat. Sie beruht im wesent 
lichen auf dem Buch von A. Feist: „Die Kultur der Indogermanen“, 1913, 
unter kritischer Mitverwertung der bekannten Werke von Schräder, Hirth, 
Güntert u. a. Nur in einem wichtigen Punkt weicht sie ab: Stärker als es im 
allgemeinen geschieht, ist nach der hier vertretenen Auffassung der Händler 
charakter des „Urvolkes“ in seiner jüngeren Periode zu betonen. Ein Sprach 
schatz, der für Wohnung nur den Stamm „Grube“ kennt, nur eine Getreideart 
bezeichnen kann, anderseits Stämme für Wagen, Achse, Nabe, Rad, Deichsel 
als Vorrichtung zum Ziehen, reisen, Furt, Weg, Tausch (= Betrug), kaufen, 
verkaufen, Kaufpreis, ein gut ausgebautes Zahlensystem mit Grundzahlen, 
Ordnungszahlen, Zahladverbien umfaßt, deutet auf Schöpfer, die in Handel 
und Verkehr relativ weit vorgeschritten sind. Um die Untersuchung nicht durch 
anthropologische Fragen zu komplizieren, sei die ältere Bevölkerung Europas, 
auf welche die Indogermanen stießen, mit dem anthropologischen Sammel 
namen der „Alteuropäer“ bezeichnet. 
Ein Eroberervolk vom Typus der Indogermanen wird bestrebt sein, in 
neubesetztem Gebiet die Grundlagen der materiellen Kultur zu erhalten. Nicht 
Zerstörung, sondern Ausnutzung der vorhandenen Lebensmöglichkeiten ist 
normalerweise sein Ziel. Bot der europäische Boden einem Eroberervolke auch 
nicht die Möglichkeiten des Niltales, so ist gleichwohl anzunehmen, daß auch 
hier der landwirtschaftliche Ertrag gesteigert wurde — wenn nicht durch tech
	        
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