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Gertrud Hermes,
breitung seiner Träger gleichzusetzen ist, so wurde doch praktisch dauernd
gegen diesen Grundsatz verstoßen. Es wäre überflüssige Arbeit, wollte man
Beweise häufen! Aber auch die einfache Umkehrung dieses Verfahrens führt
nicht zum Ziel. Wenn man die Ansicht geäußert hat, nur eine vollständige
Kulturgutübertragung liefere den Beweis für die Eroberung eines Gebietes
durch ein neues Volk, so ist diese Anschauung genau so irrig. Man braucht
nur die historisch bekannten Besetzungen von Ackerbaugebieten durch krie
gerische Hirtenstämme zum Vergleich heranzuziehen. Es kann keine Rede
davon sein, daß die Mongolen in Ostasien, oder die Semiten in Babylonien
den Vorgefundenen Kulturbesitz der Stromländer durch den eigenen ersetzt
hätten. Sie haben vielmehr die Pflug- oder Hackbaukulturen, die sie sich
unterwarfen, zur Grundlage der neuen kulturellen Einheit gemacht.
Eine umfassende theoretische Besinnung hat daher einzusetzen. Sie hat
darüber Klarheit zu schaffen, weiche Kulturgüter bei der Verschmelzung eines
kriegerischen Hirtenvolkes, das den Ackerbau kennt und übt, aber dem Boden
noch nicht fest verhaftet ist, mit bodenständigen Ackerbauern von der einen
Gruppe eingebracht oder aufgegeben werden, welche von der anderen.
Als abstrakt theoretische Aufgabe wäre eine solche Analyse zu umfas
send, als daß sie im Rahmen der vorliegenden Untersuchung in Angriff ge
nommen werden könnte. Sie muß daher von vornherein auf den konkreten
Fall ausgerichtet werden; damit ist die Beschränkung auf ethnologische Typen
von annähernd gleichem Reifegrad der Kultur gegeben. Die hier über
nommene Auffassung der Indogermanen und ihrer Kultur stützt sich mit
bewußter Ausschließlichkeit auf die gesicherten Ergebnisse der Sprach
forschung unter Ausschaltung all der Züge, die man von der Archäologie
und Anthropologie her in das Bild hineingetragen hat. Sie beruht im wesent
lichen auf dem Buch von A. Feist: „Die Kultur der Indogermanen“, 1913,
unter kritischer Mitverwertung der bekannten Werke von Schräder, Hirth,
Güntert u. a. Nur in einem wichtigen Punkt weicht sie ab: Stärker als es im
allgemeinen geschieht, ist nach der hier vertretenen Auffassung der Händler
charakter des „Urvolkes“ in seiner jüngeren Periode zu betonen. Ein Sprach
schatz, der für Wohnung nur den Stamm „Grube“ kennt, nur eine Getreideart
bezeichnen kann, anderseits Stämme für Wagen, Achse, Nabe, Rad, Deichsel
als Vorrichtung zum Ziehen, reisen, Furt, Weg, Tausch (= Betrug), kaufen,
verkaufen, Kaufpreis, ein gut ausgebautes Zahlensystem mit Grundzahlen,
Ordnungszahlen, Zahladverbien umfaßt, deutet auf Schöpfer, die in Handel
und Verkehr relativ weit vorgeschritten sind. Um die Untersuchung nicht durch
anthropologische Fragen zu komplizieren, sei die ältere Bevölkerung Europas,
auf welche die Indogermanen stießen, mit dem anthropologischen Sammel
namen der „Alteuropäer“ bezeichnet.
Ein Eroberervolk vom Typus der Indogermanen wird bestrebt sein, in
neubesetztem Gebiet die Grundlagen der materiellen Kultur zu erhalten. Nicht
Zerstörung, sondern Ausnutzung der vorhandenen Lebensmöglichkeiten ist
normalerweise sein Ziel. Bot der europäische Boden einem Eroberervolke auch
nicht die Möglichkeiten des Niltales, so ist gleichwohl anzunehmen, daß auch
hier der landwirtschaftliche Ertrag gesteigert wurde — wenn nicht durch tech