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Full Text: Anthropos, 99.2004

Anthropos 99.2004 
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Lioba Rossbach de Olmos 
Er trägt vorläufige Beobachtungen und Reflexio 
nen vor und kommt auf Themen und Probleme 
zu sprechen, die für eine (ökologisch) interessierte 
Völkerkunde von Belang sein dürften. 
Bei Klimawandel auch an indigene Gemein 
schaften zu denken, liegt schon deshalb nahe, weil 
viele dieser Gemeinschaften in Ökosystemen be 
heimatet sind, die vom Klimawandel stark be 
troffen sind bzw. sein werden. Man rechnet sie 
nicht zu jenem Teil der Menschheit, der große 
Mengen Energie aus fossilen Quellen gewinnt, 
unzählige Tonnen Kohlendioxid und andere Treib 
hausgase freisetzt und damit die Erdatmosphäre 
aufheizt. Sie gehören vielmehr zur Gruppe der 
Hauptleidtragenden des Klimawandels, der in sei 
nen lokalen Ausprägungen schwer vorherzusehen 
ist, der aber die Länder des Südens härter treffen 
wird. Unter dramatischen Auswirkungen leiden 
schon heute die Inuit. Durch den schnellen Anstieg 
der Durchschnittstemperatur in der Arktis (UNEP 
2003: 4) 2 kommt es zum Auftauen des Permafros 
tes und damit zum Verschlammen des Bodens, 
was die Jagd, den Fischfang, aber auch schlich 
te Besuche bei Nachbardörfern zu einem Wagnis 
werden lässt. Hier wächst sich der Klimawandel 
zu einem Überlebensproblem aus, und die Inuit 
Cirumpolar Conference 3 prüft gerade, ob er den 
Tatbestand einer Menschenrechtsverletzung erfüllt 
und vor die zuständige Kommission der Orga 
nisation Amerikanischer Staaten gebracht werden 
kann. Daneben finden sich weniger spektakuläre, 
wenngleich folgenreiche Fälle. Das Versiegen der 
spärlichen Wasserquellen macht so für die No 
madenvölker der Nordwestsahara ihre alten Ka 
rawanenwege unpassierbar (Offer 2003; 15). Bei 
den Kuna-Indianern auf den San Blas-Inseln in 
Panama wird eine Zunahme von Zyklonen, hefti 
gere Regenfälle, eine Verschiebung von Trocken- 
und Regenzeit sowie ein Anstieg lebensbedroh 
licher Malariafälle beobachtet. 4 Für Ethnologen 
wäre zu bedenken, dass z. B. die Verschiebung 
von Trocken- und Regenzeiten materielle wie auch 
im engeren Sinne kulturelle Auswirkungen hat. 
Nachteilig für den Feldbau und seine Erträge ist es, 
2 Die hier zitierte LWEP-Broschüre stellt eine populäre Kurz 
fassung des 3. Berichts des Intergovernmental Panel on 
Climate Change (IPCC) “Climate Change 2001. Impacts, 
Adaptation and Vulnerability” von 2001 dar und fasst in 
kurzer und verständlicher Form die wichtigsten Ergebnisse 
dieses Berichtes zusammen. 
3 Inuit Circumpolar Conference, vgl. 
<http://www.inuitcircumpolar.com>. [4. 6. 2004] 
4 Diese Informationen stammen überwiegend von Don Mar- 
cial Arias, mit dem die Autorin während der Klimakonfe 
renz in Mailand ausgiebig Gelegenheit hatte zu sprechen. 
wenn der Regen nach der Aussaat ausbleibt oder 
es für die Aussaat durch heftigen Regen zu nass 
wird. Hinzu kommt, dass in vielen bäuerlichen 
Kulturen der landwirtschaftliche Zyklus von Riten, 
Zeremonien oder Festlichkeiten durchzogen ist, 
wodurch eine Verschiebung der Jahreszeiten zu 
gleich auch den Festkalender durcheinanderbringt. 
Sicher wird es vielen Gemeinschaften gelingen, 
sich materiell und kulturell auf den Klimawandel 
einzustellen oder Lösungen im Stile der Bewohner 
des pazifischen Inselstaates Tuvalu zu suchen, die 
um Klimaasyl in der Fremde nachsuchen, weil 
ihre Inseln in Folge des Meeresspiegelanstieges 
dem Untergang geweiht sind. 5 Die Völkerkunde 
stände nicht zum ersten Mal vor einer Situation, 
in der sie sich zur Rettung untergehender Völker 
aufgefordert fühlt oder Zeugin von Anpassung und 
Kulturwandel wird. In ihrer gegenwärtigen Begeis 
terung für alle Formen von Vermischung, Hybri- 
dität und Pluralität findet sie daran vielleicht sogar 
besonderen Gefallen. Allerdings lassen sich die zu 
erwartenden Anpassungs- und Migrationsprozesse 
an den Klimawandel nicht auf bekannte Muster 
zurückführen, sondern zwingen zu einer neuen Be 
stimmung der Bedingungen und Einordnung ihres 
Entstehens. 
Indigene Völker im internationalen Prozess 
für Umwelt und Entwicklung 
Aber vielleicht mehr noch als die direkte Betrof 
fenheit haben globalpolitische Ereignisse indige- 
nen Vertretern den Weg auf die Bühne der interna 
tionalen Umweltverhandlungen geebnet. Die Kon 
ferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) 6 , 
die 1992 in Rio de Janeiro (Brasilien) stattfand und 
als “Erdgipfel” bekannt geworden ist, ist hierfür 
ein wichtiges Datum. Sie hat erstmalig ökolo 
gische und entwicklungspolitische Fragen welt- 
5 In der Ankündigung des Bayrischen Rundfunks zu dem 
Film “Der Untergang von Tuvalu” von Marianne Aschen 
brenner und Bernd Niebrügge (2003) heisst es: “ ‘Wir 
sehen uns derzeit leider nicht dazu im Stande, der Bitte 
der Regierung von Tuvalu um unbürokratische Aufnah 
me und Integration von Tausenden seiner Einwohner, zu 
entsprechen.’ Fast gleich im Wortlaut die Antworten der 
Regierungen Neuseelands und Australiens auf die Hilferufe 
der Menschen des einstigen Inselparadieses Tuvalu inmit 
ten des einsamen Südpazifiks. Die Industriestaaten wollen 
den 11000 Inselbewohnern kein ‘Klima-Asyl’ gewähren, 
obwohl die neun Atolle des zweitkleinsten Staates der Welt 
begonnen haben zu versinken”, vgl. <http://www.br-online- 
de/inhalt/dms/dokument/03-04nach~l.doc>. [10.5. 2004] 
6 UNCED = United Nations Conference on Environment and 
Development.
	        
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