Rezensionen
597
Anth mpos 102.2007
Die Verfasser gehen auch Problemen der Ontogenese
beim heutigem Menschen und fossilen Hominiden nach,
Wobei aus dem großen Themenkreis nur einige Fragen
näher behandelt werden konnten, z. B. die Größe des
Neugeborenen im Verhältnis zur Größe des Geburtska
nals oder auch die weibliche Beckenform, die Wachs
tumsschübe und das durchschnittliche Lebensalter. Bei
den Australopithecus- und Paranthropusformen war die
Lebenserwartung wahrscheinlich nicht größer als bei
den heutigen großen Menschenaffen (153).
Der wesentliche Gehimzuwachs, der schon beim
Homo ergaster feststellbar ist, setzt eine energiereichere
Ernährungsweise voraus, zudem eine größere soziale
Komplexität, da ein derartiger Effekt auch bei sozialen
Eieren feststellbar ist im Vergleich mit einem geringeren
Gehirn bei einzeln lebenden Tieren dergleichen Größe.
Auch die Kindheitsphase dauerte bei diesen Hominiden
Sc hon länger als bei den Australopithecinen (169).
Gehören die ältesten Hominidenfunde dem afrikani-
Sc hen Kontinent an, so stammen viele wichtige Funde
Neueren Datums auch aus Asien und Europa. Es ist
y erständlich, dass die Verfasser ihr besonderes Interesse
den Ausgrabungen in Gran Dolina widmeten, wo sie mit
anderen Forschem eine neue Hominidenart, den Homo
af itecessor bargen, der sich ihrer Ansicht nach sowohl
v °m Homo erectus und Homo heidelbergensis, wie auch
v °m Homo habilis und Homo ergaster unterscheidet.
Liese Form, die vor 800 000 Jahren lebte, könnte der
Vorfahre von Homo heidelbergensis sein, aus welchem
der Neandertaler hervorging, außerdem der Ahne vom
Homo rhodesiensis sein, dem später der Homo sapiens
en tstammte (189). Zugleich bietet dieser Fundort den
^testen sicheren Beleg für den prähistorischen Kanniba-
ls uius, der augenscheinlich noch keinen rituellen Cha-
r akter hatte (187). Unweit von Gran Dolina befindet sich’
ein weiterer ergiebiger Fundort, La Sima de los Hue-
^° S ’ wo zahlreiche Hominidenreste, jedoch aus neuerer
geborgen werden konnten. Diesen Fossilien sind
j* c hon etliche neandertaloide Züge anzusehen. Die hier
Endliche Anhäufung von 32 Menschenleichen in einer
ü nklen Höhlengmbe könnte nach Ansicht der Verfasser
le älteste intentionale Totenbestattungsstelle sein (194).
c “langen Marsch” der menschlichen Evolution
e *dt natürlich nicht der Neandertaler. Obwohl er zuerst
Idee kt wurde, gibt er den Forschem weiterhin noch
leie Rätsel auf, z. B. was verursachte sein Aussterben,
interfieß er vielleicht Hybridenformen, konnte er arti-
y le n sprechen? Den heutigen Homo sapiens leiten die
er fasser vom Homo rhodesiensis ab (224).
Wesentlich in der menschlichen Entwicklungsge-
Echte war sicherlich die Entstehung der artikulierten
P r ache. Die Verfasser erörterten anhand verschiede-
morphologischer Merkmale dieses schwierige Pro-
s k* 1, besonders bezüglich der Neandertaler, wobei ein
üssiger Entscheid, ob diese Menschen schon spre-
e N konnten, weiterhin noch aussteht (249).
Erliegendes Buch von Arsuaga und Martinez ist
thr^ s y stemat i sc hes Unterrichtsbuch der Paläoan-
°Pologi e , doch es enthält, allgemein verständlich dar-
ste Ht, die Charakteristik der einzelnen Etappen der
Hominidenevolution, in die mehrere Exkurse von evo-
lutiv relevantem Inhalt, z. B. über das Klima und die
Evolution, über die Evolution und das Gehirn, über
den Beginn der menschlichen Sprache, eingefügt wur
den. So kam zur Sprache nicht nur die konventionelle
zeitliche Abfolge der einzelnen Hominidenformen, ihr
morphologischer Charakter und ihr Kulturstatus, son
dern es wurden auch zeitübergreifende Themenkreise
zusammenhängend diskursiv besprochen.
Das Buch ist von besonderem Interesse auch aus dem
Grund, weil es nicht nur Informationen über die wich
tigsten früheren Entdeckungen und ihre Interpretation
aus heutiger Sicht bietet, sondern auch über die neues
ten Forschungsergebnisse, wissenschaftlichen Konzep
tionen und Diskussionen auf diesem Gebiet, zudem wird
über die Erfahrungen der Autoren bei den Ausgrabungen
und ihre Ansichten berichtet, so dass ihre Publikation als
ein verlässlicher Wegweiser inmitten der oft gegensätz
lichen Meinungen und Hypothesen gelten kann.
Den Autoren gelang es, eine Vielzahl an Daten in
teressant und verständlich, auf gutem wissenschaftli
chen Niveau zu bieten, was nicht gerade einfach ist,
so dass man das Buch mit anhaltendem Interesse liest.
Sicherlich werden manche versierte Leser verschiedene
Teilangaben über manche Fundstellen oder profundere
Diskussionen über verschiedene Probleme vermissen.
Eine Auswahl ist meistens problemhaft.
Bedauerlicherweise wurde bei der Berufung auf Mei
nungen anderer Autoren nicht die entsprechende Publi
kation mit Seite angegeben, zumal im bibliographischen
Verzeichnis eine größere Anzahl von Arbeiten angege
ben ist (268-274). Das würde ein gezieltes Rückgrei
fen auf eine erwünschte Informationsquelle wesentlich
erleichtern.
Das Buch enthält zahlreiche Illustrationen und gra
phische Darstellungen, welche die theoretischen Aus
führungen illustrativ ergänzen. Am Ende befindet sich
ein ziemlich ausführliches Namen- und Sachverzeichnis.
Vorliegende Publikation von Arsuaga und Martinez
ist inhaltlich und diskursiv ausgewogen. Die Ausführun
gen sind sachlich, berücksichtigen den aktuellen For
schungsstand und ermöglichen eine gute Übersicht über
neue Einsichten und Trends auf diesem Wissensgebiet.
Dies Buch wird besonders Anthropologen, Archäologen,
Paläontologen und Theologen von Nutzen sein, aber
auch allen, die sich für die Vergangenheit des Menschen
interessieren, selbst wenn sie über keine größeren Vör-
kenntnisse auf diesem Fachgebiet verfügen.
Franciszek M. Rosinski
Auffahrt, Christoph, Hans G. Kippenberg und
Axel Michaels (Hrsg.); Wörterbuch der Religionen.
Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 2006. 589 pp. ISBN
978-3-520-14001-2. Preis; €49.80
Der Kröner Verlag knüpft mit diesem Wörterbuch
an eine verdienstvolle Tradition an. Mit dem lateini
schen Sprichwort “Habent sua fata libelli” stellte er
1952 das von Alfred Bertholet in Verbindung mit Hans
Freiherm von Camphausen begründete “Wörterbuch der