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Dominik Schröder
Anthropos 67. 1972
jahr zog es den Fünfzehnjährigen nach anderen Ufern. 1914 ging er nach
Holland, wo er im Ordensgymnasium der Steyler Missionare Aufnahme fand.
Der Krieg verschonte ihn nicht. 1917 rückte er ein und wurde zum Piloten aus
gebildet und dem Fliegerhorst zu Lübeck zugeteilt. Als die Revolution aus
brach, wählte ihn seine Gruppe, die sich von den Kieler Aufständischen distan
ziert hatte, zum Sekretär im Soldatenrat. Nach dem allgemeinen Zusammen
bruch setzte er seine humanistischen Studien in Steyl fort und beendete sie 1921.
Im gleichen Jahr schloß er sich den Steyler Missionaren (Gesellschaft
vom Göttlichen Wort) an, und nach den üblichen philosophisch-theologischen
Studien in St. Gabriel, Mödling bei Wien, ließ er sich 1928 zum Priester
weihen. Der Studienplan dieser theologischen Lehranstalt ist missionarisch
ausgerichtet und daher ziemlich reichhaltig. Linguistik, Ethnologie und Reli
gionsgeschichte gehören zum Normalbestand. Damals lehrten in St. Gabriel
die Professoren W. Schmidt und W. Köppers, der zugleich den Lehrstuhl in
Wien innehatte. Auch die Redaktion des Anthropos hatte in St. Gabriel ihren
Sitz, und die Theologen des ethnologischen Seminars, zu dem auch Hermanns
gehörte, wurden nicht wenig an der Arbeit beteiligt. Es war die Zeit der von
W. Schmidt angeregten Feldforschungen von M. Gusinde und P. Schebesta.
Unterricht und lebendiger Kontakt mit den Männern aus dem Felde und die
Verbindung mit den Missionaren weckten in dem jungen Theologen jenen
Forschungsdrang, der ihn zeitlebens nicht mehr verlassen sollte. Sein Gebiet
war der ostasiatische Raum, speziell China. Wie man später bei Unterhaltungen
heraushören konnte, mag zu dieser Vorliebe die Verehrung zu seinem großen
Landsmann Adam Schall mitgewirkt haben. Nach der Priesterweihe belegte
er in Wien noch zwei Semester Prähistorie (Menghin), Religionswissenschaft
(Schmidt) und ostasiatische Kunstgeschichte (Glück). Dazu nahm er privat
als Gasthörer an den Seminaren für physische Anthropologie (Weninger,
Lebzelter) und Paläobiologie (Abel) teil. Dieser - an sich vorteilhaften, aber
nicht immer glücklich gehandhabten - Vielseitigkeit ist er in seinen späteren
Forschungen und Publikationen treu geblieben. Der damalige Student ent
warf bereits den Plan zu seinem ersten breit angelegten Werk, das er „Vom
Urmenschen zur Hochkultur“ nannte. Darin zeichnet sich eine weitere Eigen
art seiner zukünftigen Forschungen ab: die Suche nach großen raum-zeit
lichen Zusammenhängen und eine Neigung zur Theorie.
1929 reiste er nach China. In der Steyler Sprachschule zu Taikia bei
Tsining in Westschantung studierte er die Umgangssprache. In Peking hatte
man gerade die ersten Funde von Chou-kou-tien gemacht und in Innerasien
befand sich Sven Hedin auf seinen berühmten Forschungsreisen. Die Presse
berichtete laufend darüber, und der junge Missionar, der dort selber einmal
forschen und graben wollte, verfolgte sie mit großer Teilnahme. 1930, nach
Beendigung der Kämpfe von Chiangkaishek mit den „war lords“, öffnete sich
der Weg ins Innere, und im gleichen Jahre machte sich P. Hermanns auf
nach Westchina zum Ort seiner Bestimmung in Kansu, wo er siebzehn Jahre
als Missionar und Forscher verbrachte. Jene Gegend war bis in die jüngste
Zeit ein Dorado für Volkskundler, Ethnologen, Linguisten, Historiker und
Religionswissenschaftler. Ein noch gut erhaltenes Stück Alt-China lebte mit