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Full Text: Tribus, 44.1995,N.F.

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Buchbesprechungen Afrika 
Die Ausführungen im Abschnitt über traditionelle Krank 
heitstheorien einschließlich der »Krankheitsbegriffe« 
sind der Literatur oder anderen schriftlichen Quellen ent 
nommen oder berufen sich auf Informanten, über die 
keine näheren Angaben gemacht werden. Die traditionel 
len Krankheitskonzepte, die das Herzstück einer Studie 
wie dieser sein sollten, werden nur unvollständig unter 
dem Titel einer »Domäne der Krankheitsbegriffe«, die in 
Feke »häufig zitiert werden und teils aus einer traditio 
nellen und teils aus einer modernen lexikographischen 
Domäne stammen« und »nicht systematisch erhoben 
wurden«. Als Quelle wird gegeben »Gespräche mit Infor 
manten und Ärzten 1985«. Die Liste gibt in der ersten 
Spalte keine Krankheitsbegriffe, sondern türkische 
Krankheitsnamen, ohne sie wörtlich zu übersetzen. Die 
folgenden deutschsprachigen Erklärungen dieser Namen 
beziehen sich zum großen Teil auf Krankheitsbilder, 
nosographische Einheiten, wie Durchfall, Verstopfung, 
Abszeß, Kropf, einige andere auf den pathologischen 
Befund, den medizinisch-naturwissenschaftlichen 
Krankheitsbegriff, wie Polio, Tuberkulose, Pneumonie, 
Lipom, einige wenige auf die Befindlichkeit des Kran 
ken, Geisterbefall, Alpträume, Nervosität. Eine Beschrei 
bung der Krankheitszustände, wie die Bevölkerung sie 
überliefert, wird nicht gegeben. Die Angabe »lexikogra- 
phische Domäne« scheint auf den Gebrauch von Wörter 
büchern hinzudeuten. Der Leser fragt sich: Wie soll ein 
Kranker, dem die Perzeption abgesprochen wird, unter 
Halluzinationen, Alpdrücken, Zahnschmerzen und Nie 
renkoliken leiden können? Wie will ein Feldforscher das 
Krankheitsverhalten von Menschen untersuchen können, 
wenn ihm deren Krankheiten und Krankheitszustände 
ungenügend bekannt sind? Daß von vermuteten »ethno- 
medizinischen Systemen heute nur noch Systemtrümmer 
vorhanden sind«, ist eine vom Autor behauptete, aber 
nicht überprüfte Hypothese. 
Es mögen hier drei Beispiele der von Wirsing aufgeliste 
ten »Krankheitsbegriffe« folgen. Die Buchstaben und 
Ziffern hinter den Namen verweisen auf andere Kapitel 
und sollen anzeigen, ob der Arzt die Bezeichnung kennt 
und wer die Behandlung vornimmt. 
Cocuk felci Polio c 2,7; 
c = Begriff ist dem Arzt bekannt und wird auch unter Kol 
legen verwandt; 
2 = Behandlung durch einen hoca (Kapitel 15); 
7 = Behandlung durch den Arzt (Kapitel 14). Der Bezug 
des türkischen Krankheitsnamens zum pathologischen 
Begriff Polio bleibt dunkel. In den Kapiteln 14 und 15 fin 
den sich keine Angaben über die Behandlung. 
Ince agri Tuberkulose a 7: 
a = Begriff ist dem Arzt unbekannt und wird nicht im 
Gespräch mit Patienten verwandt; 
7 = Behandlung durch den Arzt (Kapitel 14). Es kann nur 
gemeint sein, daß nicht der Begriff, sondern der Krank 
heitsname ince agri dem Arzt unbekannt ist. Was der 
Name bedeutet, wird nicht gesagt. Im Kapitel 14 wird all 
gemein über Dienstleistungen im Tuberkulosezentrum 
von Kadirli berichtet. Im Kapitel 17 (Seite 206) wird 
Selbstbehandlung bei Tuberkulose erwähnt. 
Kurt Parasitosis b 1: 
b = Begriff ist dem Arzt bekannt und wird im Gespräch 
mit Patienten, aber nicht mit Kollegen verwandt; 
I = Selbstbehandlung zu Hause (Kapitel 15). Parasitosis 
ist kein Krankheitsbegriff und kann sich auf alle Arten 
von Parasitenbefall beziehen. Im Kapitel 15 wird nur über 
traditionelle Heiler berichtet. Im Kapitel 17, traditionelle 
Selbstbehandlung, rindet sich kein Hinweis, ausgenom 
men die Behandlung bei Tuberkulose. 
Es ist ein erheblicher Mangel dieser fleißigen Arbeit, daß 
Zusammengehöriges auseinandergerissen wird. Die Glie 
derung des Buches, die auf den ersten Blick so beste 
chend wirkt, erweist sich als Hindernis bei der Lektüre. 
Das Fehlen eines Registers setzt die Brauchbarkeit der 
Arbeit weiter herab. 
Den umfangreichsten Teil des Buches bilden die Kapitel 
über das Gesundheitsverhalten, den schwächsten die über 
das Krankheitsverhalten. Was Wirsing unter dem Titel 
»Gesundheitsverhalten« darstellt, entspricht fast aus 
nahmslos dem, womit sich die seit über 100 Jahren beste 
hende medizinische Wissenschaft der Hygiene, später 
auch der Tropenhygiene, befaßt. 1 Die Behauptung, seine 
Arbeit sei (soweit ihm bekannt) die erste ihrer Art, ist 
zurückzuweisen (Seite 14). Es ist anzunehmen, daß die 
ses Fach seit langem an türkischen Universitäten gelehrt 
wird und daß Veröffentlichungen in türkischer Sprache 
darüber vorliegen. Hinweise darauf finden sich in Wir 
sings Texten nicht. 
Der eigentliche ethnologische Gehalt dieser Habilitati 
onsschrift ist gering. Ob sie Epidemiologen. Hygienikern 
und Medizinsoziologen von Nutzen sein kann, erscheint 
zweifelhaft. Ob die türkischen Behörden und die 
Angehörigen der Heil- und Pflegeberufe des Landes mit 
einer Übersetzung dieser demographisch-hygienischen 
Bestandsaufnahme etwas anfangen könnten, mag des 
gleichen bezweifelt werden. 
Joachim Sterly 
Blanc, Ulrike: 
Lieder in Erzählungen der Bulsa. Eine musik 
ethnologische Untersuchung. Forschungen 
zu Sprachen und Kulturen Afrikas, Bd. 3. 
Münster/Hamburg: Lit, 1993, 157 Seiten. 
Auch wenn man heute sicher nicht mehr von völlig 
weißen Flecken auf unserer musikalischen Landkarte 
Schwarzafrikas sprechen wird, so bleibt doch festzuhal 
ten, daß dort nach wie vor einige Musikkulturen von der 
ethnomusikologischen Forschung bisher eher stiefmüt 
terlich behandelt worden sind. Es ist also durchaus zu 
begrüßen, wenn - wie im vorliegenden Fall - das Augen 
merk einer ethnischen Gruppe gilt, die in der Literatur bis 
dato kaum Beachtung gefunden hat. 
Gegenstand der Untersuchung sind hier in Erzählungen 
eingestreute Lieder der im Norden Ghanas lebenden 
Bulsa. Diese Art von »story songs« sind uns ja auch aus 
anderen Regionen Afrikas bekannt. Neben einer Inhalts 
angabe der Erzählungen mit zusätzlichen ethnographi 
schen Informationen werden die Liedtexte im Original 
(Buli) und deutscher Übersetzung wiedergegeben und die 
1 Seit 1829 wurden in Paris die »Annales d’hygiène publique et 
de médecine légale« veröffentlicht. In Deutschland waren die 
ersten Lehrstühle für Hygiene 1865 an bayerischen Universitäten 
errichtet worden (Pettenkoffer und Ziemssen, Handbuch der 
Hygiene und der Gewerbekrankheiten. 3 Teile, 3. Auflage, Leip 
zig 1882)
	        
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