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Buchbesprechungen Afrika
Schlottner) ausführlich, daß und wie sich ihre Arbeit von
Methoden und Zielen vergangener kulturhistorischer
Schulen unterscheidet. Am eindeutigsten unter dem
Thema »Naturraum und Kulturentwicklung« steht der
Aufsatz von U. Braukämper »Umweltanpassung ara
bisch-sprachiger Rindernomaden (Shuwa) im nigeriani
schen Tschadsee-Gebiet«. Dieser vorläufige Bericht läßt
die Untersuchung einer bisher wenig bekannten Sonder
form von Rinderhirtenwirtschaft erwarten. In seinen
historischen Rekonstruktionen knüpft Braukämper an
seine frühere Arbeit zur Entwicklung der Rinderzucht bei
Sudan-Arabern (Baggara) an.
In den genannten Rahmen, Naturraum und Kultur, ist
auch ein Aufsatz von U. Ritz-Müller eingepaßt, der sich
vorwiegend mit religiösen Vorstellungen befaßt: »Gesell
schaft und Umwelt; zum Naturkonzept der Kademba in
Burkina Faso«. Dieser Beitrag hat nicht den Vorschau-
Charakter der anderen, sondern den einer eigenständigen
interpretierenden Untersuchung. Besonders beachtens
wert finde ich darin die Vorstellungen über die Herkunft
der Kinder, die einige - vielleicht nicht beantwortbare -
Fragen offenlassen, sowie über den Wasserhaushalt, der.
wie häufig in Westafrika belegt, von einer Schlange kon
trolliert wird. Das Knüpfen von Bindungen zwischen
Menschen und Natur- bzw. Geistmächten zieht sich als
treffendes Interpretationsmodell durch den Artikel:
»Natur wird zur gesellschaftlichen Kategorien.. «(27).
Barbara Frank
Bureau, Jacques, en collaboration avec
Eshetou Wonbera:
Le Verdict du Serpent. Mythes, Contes et
Récits des Gamo d’Ethiopie. (Bulletin de la
Maison des Etudes Etiopiennes, No. 4).
Paris, Addis-Abeba: Centre des Recherches
Africaines/Maison des Etudes Etiopiennes,
1994. 246 Seiten mit 3 Karten.
Das Buch stellt eine kurze Anthologie der oralen Litera
tur der Gamo im südwestlichen Äthiopien dar, die Jac
ques Bureau mit Hilfe der langjährigen Mitarbeit von
Eshetou Wonbera, seinem kenntnisreichen Führer und
Dolmetscher, erstellt hat.
Unentbehrlich für das unmittelbare Verständnis der
Texte, aber auch bestimmter darin behandelter Themen,
ist die kurze, informative Einleitung. Sie gibt einen
Überblick über die Kultur und Geschichte der Gamo
sowie den Stellenwert ihrer Literatur innerhalb der äthio
pischen. Behandelt werden »die >Fürstentümer< (im Ori
ginal »principautés«, K.G.) der Gamo«, »die kulturelle
Einheit der Gamo«, »der Platz der Gamo innerhalb Äthio
piens« sowie die »orale und schriftliche Literatur«. Der
Autor nimmt dabei auf relevante Texte der Sammlung
Bezug und vermeidet dadurch das Überhandnehmen von
Fußnoten und bibliographischen Hinweisen in den Erzäh
lungen. Weniger verschachtelte Sätze könnten das Lesen
jedoch wesentlich angenehmer gestalten.
Die Geschichten der Gamo werden - auch durch Heran
ziehen von Versionen anderer äthiopischer Bevölke-
rungsgruppen - in den Rahmen der nationalen Kultur
gestellt, wobei Gemeinsamkeiten und Unterschiede her
ausgearbeitet werden.
Den Stellenwert von schriftlichen und mündlichen Tra
ditionen beschreibt Bureau als Dominanz der ersteren.
Wünschenswert wäre es, wenn sich diese Vorherrschaft
nicht auch durch überproportionale Gewichtung in den
Ausführungen widerspiegeln, sondern der oralen Litera
tur etwas mehr Beachtung geschenkt würde. Die Gamo
sehen dem Autor zufolge die Schrift als Instrument der
Kultur und der nationalen Macht des alten wie des
modernen Äthiopiens. Sie empfinden es als Manko,
keine Schrift zu besitzen, und wollen Zugang dazu
haben. Ihre oralen Traditionen wie auch die zahlreicher
anderer äthiopischer Völker stießen nie auf dasselbe
Interesse wie diejenigen im restlichen Afrika. Selbst
Bücher, die der Gesamtheit der Literatur Äthiopiens
gewidmet sind, berücksichtigen im allgemeinen nur die
schriftliche Literatur. Diese war auf ge’ez oder amha-
risch, bis auf wenige Ausnahmen zunächst religiös und
elitär auf den Klerus beschränkt und den Traditionen des
Volkes mißtrauisch gegenüber. Ihre Intention der Beleh
rung übernahm die weltliche Literatur, die sich seit
einem Jahrhundert herauszubilden begann. Die oralen
Traditionen blieben verkannt und verleugnet, doch
zugleich der Zufluchtsort für Humor, für Absurdes, für
Wunder, Falschheit und Revolte.
Die Einführung schließt mit den Worten: »Jetzt kommt
das Urteil der Schlange, die entscheiden wird über richtig
und falsch, über Wahrheit und Lüge« (S.21, Übers.
K. G.). Diese Überleitung kann exemplarisch die gelun
gene Verbindung zwischen den ethnologischen Erläute
rungen und den Texten selbst verdeutlichen: Den Titel der
ersten Erzählung wie auch des Buches aufgreifend,
umreißt sie kurz den Inhalt dieser Geschichte und ver
weist zudem auf die Bedeutung der mündlichen Traditio
nen an sich.
Den Hauptteil des Buches bilden 44 Texte oraler Litera
tur der Gamo - ein Viertel der von Bureau und Eshetou
zwischen 1973 und 1983 aufgenommenen Sammlung.
Besondere Hervorhebung verdient die Tatsache, daß im
ersten Teil die Texte in äthiopischen Schriftzeichen und
erst im zweiten Teil deren französische Übersetzungen
publiziert sind. Die gewählte Transkription in äthiopi
schen und nicht lateinischen Schriftzeichen entspricht
den Gamo selbst, die heute tendenziell eher ihr Äthio-
piertum in Anspruch nehmen, auch und insbesondere
durch Gebrauch des äthiopischen Alphabets. Die Text
sammlung umfaßt, wie vom Untertitel des Buches
bereits angekündigt, eine große Spannbreite - Mythen,
Märchen und Erzählungen. Verbote und die Folgen ihrer
Überschreitung sowie historische Verbindungen der
Gamo bilden die großen Themenkomplexe. Die ausge
wählten oralen Traditionen vermitteln einen Einblick in
das Denk- und Wertesystem der Kultur und die
geschichtlichen Entwicklungen der Region. Auf zentrale
Inhalte und Aussagen ist der Leser bereits durch die Ein
führung eingestimmt, so daß nur wenige Konzepte oder
Metaphern besonderer Erklärungen bedürfen, welche als
Anmerkungen unmittelbar dem jeweiligen Text folgen.
Ferner zeugen die Geschichten von einer manchmal
ungezügelten Phantasie.
Ein Glossar, ein thematischer Index, eine Liste der
Erzähler mit Angaben zu deren Geschlecht, Herkunftsort
und Tätigkeit, ein Index der Herkunftsgegenden der
Texte sowie eine auf die Einleitung bezogene Auswahlbi
bliographie vervollständigen das Buch.