TRIBUS 43, 1994
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zeichnis. Eine Bibliographie wird der eine oder andere
Leser sicher schmerzlich vermissen, auch wenn die mei
sten Autoren einige ihrer Quellen am Schluß ihres jewei
ligen Textes erwähnen.
Den Herausgebern ist es gelungen, bekannte Namen für
ihr Vorhaben zu gewinnen. Doch von der Einleitung, den
ersten Beiträgen und einigen anderen abgesehen, hätten
die meisten der übrigen Artikel durchaus auch in jede
andere Publikation, zum Beispiel in eine Museumsjahres
schrift, Eingang finden können. Nach den Antillen, »wo
die Invasion begann« (Baer), und den entsprechenden
Beständen in Basel (Haas) wird der Import der afrikani
schen Sklaven nach Amerika behandelt (Gardi). Dem
Anliegen der Ausstellung auf den Leib geschneidert ist
der »Kulturimport« aus der Neuen in die Alte Welt (Sei-
ler-Baldinger). Es folgen Beiträge über den Aufstand der
Tzeltal Anfang des 18. Jahrhunderts (Dürr), über die
Tzotzil und ihre Sicht des Anderen (Köhler) sowie das
Triqui-Kulturzentrum in Mexiko (Hammacher). Mit dem
Ausstellungsthema besser konform gehen dann wieder
Gedanken zum Indianerbild früher Überseereisender
(Bitterli). Hieran schließen sich Artikel über die erste
katholische Missionierung im Amazonasgebiet (Cipol-
letti) und über Quechua-Textilien im Patakancha-Tal an
(Spinnler-Dürr). Der folgende Aufsatz über Beurteilun
gen von Pflanzen der Ache in Ostparaguay (Münzel)
hätte Anlaß für das gesamte Ausstellungsprojekt sein
können, über die Relativität materieller Kulturwerte, hier
im indigenen Amerika, nachzudenken.
In den weiteren Beiträgen wird üöer die Anpassung, aber
auch die Selbstbehauptung bei den Guarani (Boglär),
übereine indianische Gemeinschaft in Paraguay (Wicker)
und über das Amazonasgebiet als Indianerland (Birraux-
Ziegler) berichtet. Für andere Museumsleute nachah
menswert ist, daß auch ein Indianer in der Schrift zu Wort
kommt, seltsamerweise (oder bezeichnenderweise?!) ein
nordamerikanischer - für die Herausgeber scheint »Die
Neue Welt« ansonsten nur aus Meso- und Südamerika zu
bestehen. Es ist der Hopi-Künstler Michael Kabotie
(Lomawywesa), der drei seiner Gedichte (englischspra
chig) vorlegt, die außerdem in deutscher Übersetzung
gedruckt wurden. Zum Schluß gibt Gerber mit seinen
Ausführungen zum Verhältnis von Museum und Indianer
Anstoß zum Nachdenken (er schreibt übrigens immer
noch »Reservat« statt »Reservation«), einen Anstoß, in
dem es letztlich - aufgezeigt wird ein negatives Beispiel
in Kanada und die positiv zu wertende US-Indianerge-
setzgebung der vergangenen Jahre - um Kooperation
zwischen Autochthonen und Museen oder aber Rückgabe
von Kulturgut (Restitution) an Eingeborenenmuseen
geht. Diese Entweder-Oder-Stellung verlangt noch ein
zusätzliches Wort:
Über den Sinn völkerkundlicher Museen ist schon oft
räsoniert worden. Was treibt überhaupt Europa (einge
schlossen das nichtindigene Nordamerika) dazu, sich für
fremde Welten, fremde Völker zu interessieren? Grund
lage dieses Verhaltens war, wie in zahllosen anderen
menschlichen Bereichen, vor allem die Aussicht auf wirt
schaftlichen Gewinn. Wie erinnerlich, waren es insbeson
dere exportorientierte Handelsgesellschaften, die Völker
kundemuseen mit »Anschauungsmaterial« initiierten.
Selbstverständlich spielte auch bloße Neugier an fremden
Ländern eine Rolle. Ein Informationsvorsprung gegen
über Konkurrenten und detailliertes Wissen über andere
Völker konnte damals wie heute im Überseehandel in
bare Münze umgewandelt werden. Das bekannte Wort
»Wer zu spät kommt... « hat eine lange Tradition. Nach
und nach folgte dann wissenschaftliches Verstehenwollen
des Anderen, was schließlich in den Wunsch der Wis
sensweitergabe, des Lehrens über das Fremde mündete.
Hier fand das Völkerkundemuseum sein heutiges Ver
ständnis. Nach jahrzehntelanger Entwicklung hilft es
gegenwärtig bei der Weckung von Einfühlungsvermögen
für fremde Menschen. Es hat sich von einem Instrument
zur Steigerung des Ex- und Imports zu einem Lehrmittel
der Völkerverständigung gewandelt. Auf diesem Weg
sollte es weitergehen. Dafür ist das Lehrmittel »völker
kundliches Kulturgut« unerläßlich.
Axel Schulze-Thulin
Berlo, Janet Catherine (Ed.):
Art, Ideology, and the City of Teotihuacan: a
Symposium at Dumbarton Oaks 8th and 9th
October 1988.
Dumbarton Oaks Research Library and
Collection, Washington D.C. 1992, 442 Sei
ten
Teotihuacan war zu seiner Blütezeit (um 500 n. Chr.) die
größte Stadt auf dem amerikanischen Kontinent. Schät
zungen über ihre Einwohnerzahl bewegen sich zwischen
125000 und 200000, verteilt auf ungefähr 3 Quadratmei
len (Evans und Berlo, Kap. 1; Millon, Kap. 13). Neben
den aus der unmittelbaren Umgebung stammenden
Bevölkerungsgruppen, deren Sprache möglicherweise
totonakisch oder eine frühe Form des Nahua gewesen ist
(Cowgill, Kap. 9), lebten auch Gruppen aus anderen Tei
len des heutigen Mexiko, beispielsweise Zapoteken
(Spence, Kap.3), in Teotihuacan. Die Stadt war in ein
Handelsnetz eingebunden, das ganz Mesoamerika
umspannte und Teotihuacan mit Luxusgütern wie Mica,
Jade und Spondylusmuscheln versorgte (Sempowski,
Kap. 2). Die Beziehungen zu den großen Zentren im Tief
land der Maya-Kultur (Tikal, Uaxactun und Yaxha)
erreichten im 4. und 5. Jahrhundert ihren Höhepunkt.
Eine Besonderheit der internen Struktur Teotihuacans ist
es, daß die wichtigste Gottheit weiblich war (Berlo,
Kap. 6) - als einzige in Mesoamerika. Ihr zu Ehren und
auch zu Ehren Quetzalcoatls wurden Menschenopfer dar
gebracht, was neuere Ausgrabungen im Tempel des
Quetzalcoatl zu belegen scheinen (Sugiyama, Kap. 8).
Innerhalb Teotihuacans gab es Werkstätten für Stein
metze, die die berühmten Steinmasken (aus Jadeit, Ser
pentin, Onyx, Mica u.a.) (Turner, Kap. 4) und Pyritspie
gel (Taube, Kap. 7) fertigten. Bemerkenswert erscheint,
daß diese Werkstätten, die Objekte für rituelle Zwecke
herstellten, in der Umgebung der Elitewohnviertel und
Tempel lagen. Möglicherweise stammten die Steinmetze
selbst aus der Oberschicht oder sie wurden zumindest
direkt von ihr kontrolliert.
Insgesamt läßt dieser Band den Leser mit geteilter Mei
nung zurück. Einerseits ist es eine lobenswerte Absicht,
eine Artikelsammlung über ein weniger erforschtes
Gebiet zu veröffentlichen und den gegenwärtigen For
schungsstand zu präsentieren. Andererseits sollte dies
jedoch in bestmöglicher Form geschehen und man fragt