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Buchbesprechungen Orient
Goroti hatten erst in jüngster Zeit von gefangengenom
menen Xikrin deren »Erfindung« einer doppelten Lage
Federn übernommen, und das Element »längere Mittelfe-
dern« stammte offenbar von den Jurüna, die Ende des
19. Jh. am Xingü unmittelbare Nachbarn der Goroti
waren.
Die Ira’amran-re verwendeten für einen vierten - bei
ihnen seltenen - Federkronentyp anstelle der von Xikrin
und Goroti bevorzugten Baumwollfäden weiterhin die
traditionellen Palmfasern. Bei den Mekragnoti, einer
Goroti-Gruppe, werden solche Kronen mit Baumwollbe-
festigung von den jungen (»modernen«), solche mit
Palmfaserbefestigung von den älteren (»konservativen«)
Männern getragen. Verswijver zeigt, daß die Feinheit und
Komplexität der Baumwollarbeiten als Gradmesser für
die Beeinflussung der verschiedenen Kaiapo-Untergrup-
pen durch Tupf dienen kann.
Nicht nur auf die spektakulären Federkronen, auch auf
andere Körperschmuckobjekte kann Verswijvers verglei
chende Methode angewendet werden. Intertribale Ent
lehnung weist er ebenfalls für bestimmte Typen von
Arm- und Beinbändern nach. Auch die hölzernen Lip
penscheiben, die bei den Kaiapo-Goroti mit 13 cm -
wesentlich größer als die Lippenpflöcke bei anderen
Kaiapo und umgebenden Nicht-Kaiapo sind, erklärt er
so. Er sieht eine Verbindung zwischen der außergewöhn
lichen Größe der Lippenscheiben der Kaiapo und deren
Hochschätzung der Redekunst. Diese ist - wie das Tra
gen der Lippenscheiben - Vorrecht der Männer. Die
Scheibe ist das Symbol des »zweiten Mundes«, der
Überzeugungskraft des Anführers. Nun hatten die besten
Rhetoriker gleichzeitig das Recht und die Pflicht,
Kriegszüge gegen Nachbarn anzuführen. Die seit etwa
1910 rapide steigende Zahl der Kriegszüge gegen die bra
silianischen Siedler und die dazu direkt proportional
wachsende Bedeutung männlicher Tugenden ging nach
weisbar mit einer stetigen Vergrößerung der Lippen
scheiben einher. Und die Goroti, die die meisten militäri
schen Auseinandersetzungen mit Neo-Brasilianern
hatten, entwickelten die größten Lippenscheiben.
Verswijver stellt zusammenfassend eine kulturelle
Distanz zwischen den Goroti und den Xikrin fest, ebenso
eine zwischen diesen beiden Gruppen und den Ira’amran-
re. Tatsächlich hatten die drei Gruppen in dieser Reihen
folge in absteigender Intensität und Dauer Kontakte mit
verschiedenen Nachbarn und Migrationen in abnehmen
der Zahl.
Einer naheliegenden Kritik - daß nämlich seine anhand
der Objekte gemachten »Entdeckungen« nur mit und
nach seinen ethnohistorischen Kenntnissen möglich
waren - hat Verswijver schon 1987 (»Analyse compara
tive des parures Nahua.« Bulletin du Musée d’ethnogra
phie de la Ville de Genève 29: 25-67) vorgebeugt. Seine
Methode hat sich damals bei der Untersuchung von vier
Pano-sprachigen Nahua-Gruppen bewährt: Die Er
klärung für außergewöhnliche Züge des Schmucks bei
einer der vier Gruppen, die - wie die Goroti unter den
Kaiapo - durch »Anomalien« hervorstach, fand sich dort
erst viel später in einer größeren Migration und daraus
resultierenden Kontakten mit nicht-verwandten Gruppen.
Verswijvers Vorgehensweise erfordert eine breite Daten
basis und genaue Kenntnisse der Technologien nicht nur
direkter Nachbarn der zu untersuchenden Gruppe, son
dern auch geographisch und linguistisch entfernterer Eth
nien. Diese vorausgesetzt, stellt seine kombinierende
Methode ein wertvolles Werkzeug der ethnohistorischen
Rekonstruktion dar.
Bruno Julius
Sabloff, Jeremy A./Henderson,
John S. (Eds.):
Lowland Maya Civilization in the Eighth
Century A.D. A Symposium at Dumbarton
Oaks 7th and 8th October 1989. Dumbarton
Oaks Research Library and Collection, Wa
shington D.C. 1993, 482 S.
Die Artikelsammlung entstammt einem in Dumbarton
Oaks 1989 abgehaltenen Symposium. Zielsetzung des
Symposiums war es, einen breiten thematischen (Klassi
sche Maya-Kultur), aber engen zeitlichen Rahmen
(8. Jahrhundert) abzustecken und eine Synthese archäolo
gischer, historischer und künstlerischer Information zu
bilden. Als Kernfragen werden dabei das Ausmaß und die
Bedeutung regionaler Variabilität innerhalb des Maya-
Gebietes sowie die Prozesse, die im 8. Jahrhundert ein
setzten und schließlich zu der großen Veränderung der
Maya-Kultur im 12. und 13. Jahrhundert führten, behan
delt. Die Autoren (Don S. Rice; Patricia McAnany;
Robert J. Sharer; Joyce Marcus; Gary H. Gossen und
Richard M. Leventhal; Gair Tourtellot; Joseph W. Ball;
Daniel R. Potter; Juan Pedro Laporte; David Stuart; Mary
Ellen Miller; David Webster; John S. Henderson und
Jeremy A. Sabloff) geben ein umfassendes Bild des
gegenwärtigen Forschungsstandes und üben gleichzeitig
generelle Kritik an der zu starken Konzentration der
Maya-Forschung auf den Peten sowie der fehlenden
Zusammenarbeit der Disziplinen Ethnohistorie, Archäo
logie, Epigraphie und Ikonographie. Auch wird ihrer
Meinung nach zu wenig mit Vergleichen zu anderen kom
plexen Kulturen oder auch mit Analogien gearbeitet, um
so zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.
Nach einem Kapitel von Don S. Rice (Kap. 2) über die
Umwelt und die wirtschaftlichen Grundlagen der Maya-
Kultur, deren Basis er im 8. Jahrhundert durch Überbe
anspruchung der ökologischen Ressourcen schwinden
sieht, widmet sich Patricia A. McAnany (Kap. 3) den
Formen wirtschaftlicher Organisation im Mayagebiet.
Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, daß es sich um eine
pluralistische Wirtschaft handelte, die in unterschiedli
che ökonomische Sphären unterteilt war. Ein Konzept,
dem die theoretischen Abhandlungen Karl Polanyis
zugrunde liegen, ohne daß er jedoch von der Autorin
zitiert wird, was wünschenswert gewesen wäre. Nach
McAnanys Auffassung gehört die Elite einer anderen
wirtschaftlichen Sphäre an als die Familien am unteren
Ende der gesellschaftlichen Hierarchie und hat dadurch
keinerlei unmittelbaren Einfluß auf das wirtschaftliche
Geschehen. Die Abhängigkeit der »Unterschicht« von
der Elite spielte sich McAnanys Ansicht nach nur im
Rahmen der Religion und des esoterischen Wissens ab:
die Elite gewährleistete durch Opfer die Fruchtbarkeit
der Felder. Die »Unterschicht« selbst sieht sie in cal-
pulli- oder ayllu-ähnliche soziale Einheiten gegliedert,
innerhalb derer es keine soziale Abstufung gegeben hat.
Ein Ergebnis, das mit den Grabungsberichten aus Seibal