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Full Text: Tribus, 44.1995,N.F.

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Buchbesprechungen Orient 
Goroti hatten erst in jüngster Zeit von gefangengenom 
menen Xikrin deren »Erfindung« einer doppelten Lage 
Federn übernommen, und das Element »längere Mittelfe- 
dern« stammte offenbar von den Jurüna, die Ende des 
19. Jh. am Xingü unmittelbare Nachbarn der Goroti 
waren. 
Die Ira’amran-re verwendeten für einen vierten - bei 
ihnen seltenen - Federkronentyp anstelle der von Xikrin 
und Goroti bevorzugten Baumwollfäden weiterhin die 
traditionellen Palmfasern. Bei den Mekragnoti, einer 
Goroti-Gruppe, werden solche Kronen mit Baumwollbe- 
festigung von den jungen (»modernen«), solche mit 
Palmfaserbefestigung von den älteren (»konservativen«) 
Männern getragen. Verswijver zeigt, daß die Feinheit und 
Komplexität der Baumwollarbeiten als Gradmesser für 
die Beeinflussung der verschiedenen Kaiapo-Untergrup- 
pen durch Tupf dienen kann. 
Nicht nur auf die spektakulären Federkronen, auch auf 
andere Körperschmuckobjekte kann Verswijvers verglei 
chende Methode angewendet werden. Intertribale Ent 
lehnung weist er ebenfalls für bestimmte Typen von 
Arm- und Beinbändern nach. Auch die hölzernen Lip 
penscheiben, die bei den Kaiapo-Goroti mit 13 cm - 
wesentlich größer als die Lippenpflöcke bei anderen 
Kaiapo und umgebenden Nicht-Kaiapo sind, erklärt er 
so. Er sieht eine Verbindung zwischen der außergewöhn 
lichen Größe der Lippenscheiben der Kaiapo und deren 
Hochschätzung der Redekunst. Diese ist - wie das Tra 
gen der Lippenscheiben - Vorrecht der Männer. Die 
Scheibe ist das Symbol des »zweiten Mundes«, der 
Überzeugungskraft des Anführers. Nun hatten die besten 
Rhetoriker gleichzeitig das Recht und die Pflicht, 
Kriegszüge gegen Nachbarn anzuführen. Die seit etwa 
1910 rapide steigende Zahl der Kriegszüge gegen die bra 
silianischen Siedler und die dazu direkt proportional 
wachsende Bedeutung männlicher Tugenden ging nach 
weisbar mit einer stetigen Vergrößerung der Lippen 
scheiben einher. Und die Goroti, die die meisten militäri 
schen Auseinandersetzungen mit Neo-Brasilianern 
hatten, entwickelten die größten Lippenscheiben. 
Verswijver stellt zusammenfassend eine kulturelle 
Distanz zwischen den Goroti und den Xikrin fest, ebenso 
eine zwischen diesen beiden Gruppen und den Ira’amran- 
re. Tatsächlich hatten die drei Gruppen in dieser Reihen 
folge in absteigender Intensität und Dauer Kontakte mit 
verschiedenen Nachbarn und Migrationen in abnehmen 
der Zahl. 
Einer naheliegenden Kritik - daß nämlich seine anhand 
der Objekte gemachten »Entdeckungen« nur mit und 
nach seinen ethnohistorischen Kenntnissen möglich 
waren - hat Verswijver schon 1987 (»Analyse compara 
tive des parures Nahua.« Bulletin du Musée d’ethnogra 
phie de la Ville de Genève 29: 25-67) vorgebeugt. Seine 
Methode hat sich damals bei der Untersuchung von vier 
Pano-sprachigen Nahua-Gruppen bewährt: Die Er 
klärung für außergewöhnliche Züge des Schmucks bei 
einer der vier Gruppen, die - wie die Goroti unter den 
Kaiapo - durch »Anomalien« hervorstach, fand sich dort 
erst viel später in einer größeren Migration und daraus 
resultierenden Kontakten mit nicht-verwandten Gruppen. 
Verswijvers Vorgehensweise erfordert eine breite Daten 
basis und genaue Kenntnisse der Technologien nicht nur 
direkter Nachbarn der zu untersuchenden Gruppe, son 
dern auch geographisch und linguistisch entfernterer Eth 
nien. Diese vorausgesetzt, stellt seine kombinierende 
Methode ein wertvolles Werkzeug der ethnohistorischen 
Rekonstruktion dar. 
Bruno Julius 
Sabloff, Jeremy A./Henderson, 
John S. (Eds.): 
Lowland Maya Civilization in the Eighth 
Century A.D. A Symposium at Dumbarton 
Oaks 7th and 8th October 1989. Dumbarton 
Oaks Research Library and Collection, Wa 
shington D.C. 1993, 482 S. 
Die Artikelsammlung entstammt einem in Dumbarton 
Oaks 1989 abgehaltenen Symposium. Zielsetzung des 
Symposiums war es, einen breiten thematischen (Klassi 
sche Maya-Kultur), aber engen zeitlichen Rahmen 
(8. Jahrhundert) abzustecken und eine Synthese archäolo 
gischer, historischer und künstlerischer Information zu 
bilden. Als Kernfragen werden dabei das Ausmaß und die 
Bedeutung regionaler Variabilität innerhalb des Maya- 
Gebietes sowie die Prozesse, die im 8. Jahrhundert ein 
setzten und schließlich zu der großen Veränderung der 
Maya-Kultur im 12. und 13. Jahrhundert führten, behan 
delt. Die Autoren (Don S. Rice; Patricia McAnany; 
Robert J. Sharer; Joyce Marcus; Gary H. Gossen und 
Richard M. Leventhal; Gair Tourtellot; Joseph W. Ball; 
Daniel R. Potter; Juan Pedro Laporte; David Stuart; Mary 
Ellen Miller; David Webster; John S. Henderson und 
Jeremy A. Sabloff) geben ein umfassendes Bild des 
gegenwärtigen Forschungsstandes und üben gleichzeitig 
generelle Kritik an der zu starken Konzentration der 
Maya-Forschung auf den Peten sowie der fehlenden 
Zusammenarbeit der Disziplinen Ethnohistorie, Archäo 
logie, Epigraphie und Ikonographie. Auch wird ihrer 
Meinung nach zu wenig mit Vergleichen zu anderen kom 
plexen Kulturen oder auch mit Analogien gearbeitet, um 
so zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. 
Nach einem Kapitel von Don S. Rice (Kap. 2) über die 
Umwelt und die wirtschaftlichen Grundlagen der Maya- 
Kultur, deren Basis er im 8. Jahrhundert durch Überbe 
anspruchung der ökologischen Ressourcen schwinden 
sieht, widmet sich Patricia A. McAnany (Kap. 3) den 
Formen wirtschaftlicher Organisation im Mayagebiet. 
Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, daß es sich um eine 
pluralistische Wirtschaft handelte, die in unterschiedli 
che ökonomische Sphären unterteilt war. Ein Konzept, 
dem die theoretischen Abhandlungen Karl Polanyis 
zugrunde liegen, ohne daß er jedoch von der Autorin 
zitiert wird, was wünschenswert gewesen wäre. Nach 
McAnanys Auffassung gehört die Elite einer anderen 
wirtschaftlichen Sphäre an als die Familien am unteren 
Ende der gesellschaftlichen Hierarchie und hat dadurch 
keinerlei unmittelbaren Einfluß auf das wirtschaftliche 
Geschehen. Die Abhängigkeit der »Unterschicht« von 
der Elite spielte sich McAnanys Ansicht nach nur im 
Rahmen der Religion und des esoterischen Wissens ab: 
die Elite gewährleistete durch Opfer die Fruchtbarkeit 
der Felder. Die »Unterschicht« selbst sieht sie in cal- 
pulli- oder ayllu-ähnliche soziale Einheiten gegliedert, 
innerhalb derer es keine soziale Abstufung gegeben hat. 
Ein Ergebnis, das mit den Grabungsberichten aus Seibal
	        
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