TRIBUS 43, 1994
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(Tourtellot 1988) übereinstimmt. Die soziale Organisa
tion der Maya hingegen bleibt aus verschiedenen Grün
den weitgehend im unklaren. Robert J. Sharer kann in
seinem Artikel (Kap. 4) letztlich nur mit Sicherheit fest
stellen, daß es mindestens zwei Schichten gegeben hat;
die Elite und die »Unterschicht«. Da in den Glyphen nur
über die Angelegenheiten der Oberschicht berichtet
wird, läßt sich auch nur hier eine Feineinteilung vorneh
men. Sharers Meinung nach handelt es sich hierbei um
patrilineare Deszendenzgruppen, die jedoch von Staat zu
Staat variierten. Weibliche Herrscher waren die Aus
nahme und sind nur für Palenque und Siedlungen am Rio
Usumacinta belegt.
Der Artikel von Joyce Marcus (Kap. 5) über die »Ancient
Maya Political Organization« stellt ein umfassendes
neues Modell vor. Entwickelt aus drei Quellen, den spa
nischen Beschreibungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert
über das Leben der Maya in Yucatan und Peten (hier wird
vor allem von Roys [1943 u.a.j ausgegangen), dem
»pepet tsibil« (kreisförmige Karten, auf denen die
autochthone Bevölkerung ihre Territorien beschrieb) und
Termini, die die Maya selbst für ihre eigenen politischen
und territorialen Einheiten gebrauchten (aus Wörter
büchern der frühen Kolonialzeit), führt es zu einem span
nenden Ergebnis. Nach Marcus war das Maya-Gebiet in
innenpolitisch stabile, aber nach außen gegeneinander
konkurrierende »provincias« unterteilt, die sich peri
odisch und in unterschiedlicher Zahl zu großen regiona
len Staaten zusammenschlossen. Dieser Zusammen
schluß konnte aus verschiedenen Gründen geschehen,
wobei die Eroberung kleiner Provinzen durch eine stärker
gewordene wohl eine der häufigsten Ursachen gewesen
ist. Nach einiger Zeit, zum Teil nach mehreren hundert
Jahren, zerfielen diese regionalen Staaten wieder in die
kleineren Provinzen, die sie ursprünglich waren. Auch
hier waren die Motive unterschiedlich. Ein verlorener
Krieg, Autonomiebestrebungen ehemaliger Provinzen
und deren Herrscher könnten ein solcher Anlaß gewesen
sein. Ein Modell, das auf viele Gebiete anwendbarzu sein
scheint.
Gossen und Leventhal (Kap. 6) erkennen in ihrem Arti
kel über die Religion zwei bedeutende religiöse Tradi
tionen: die »Great Tradition« als offizielle Staatsreli
gion, vertreten durch die Elite und die »Little Tradition«
mit lokalen Varianten oder auch anderen religiösen Prak
tiken, ausgeübt von der »Unterschicht«. Als grundle
gend wird die zyklische Struktur der Religion angese
hen, die sich innerhalb der »Little Tradition« bis in die
heutige Zeit erhalten hat. Joseph W. Ball (Kap. 8) sieht
die großen Zentren der »Late Classic Maya« eher als
Konsumenten denn als Produzenten von Töpferware. Er
stellt eine zunehmende Regionalisierung von Keramik
stilen überdas 8. Jahrhundert hinweg fest und sieht in ihr
letztlich sogar den Beweis für den Zerfall und die Zer
splitterung der Maya-Gesellschaft des 8. Jahrhunderts.
Daniel R. Potter (Kap. 9) kommt in seiner Analyse der
lithischen Artefakte zu einem sehr ähnlichen Ergebnis.
Auch er sieht die Zentren als Konsumenten und nicht
Produzenten (eine Annahme, die der früheren Auffas
sung, daß große Zentren wie beispielsweise Tikal auch
wichtige Produktionsstätten von Gütern gewesen seien,
widerspricht). Er sieht, wie Ball, die »community«, die
kleine Dorfgemeinschaft, als Hauptproduzenten für
Gebrauchsgüter. Mary Ellen Miller stellt in ihrem Bei
trag die unterschiedliche Entwicklung der Kunst im
Maya-Gebiet heraus. Sie sieht in Tikal einen eher »kon
servativen« Umgang mit der Kunst, während in Palen
que im 8. Jahrhundert große Veränderungen erkennbar
sind.
Insgesamt gibt der Band einen hervorragenden Überblick
über den gegenwärtigen Forschungsstand, greift erneut
die Theorie des »Classic Maya Collapse« an und stützt
die Thesen über Regionalisierung und Rivalität innerhalb
des Maya-Gebietes. Darüberhinaus zeigen einige der
Autoren neue Möglichkeiten und Modelle zur Analyse
prähistorischer Gesellschaften auf, deren Anwendbarkeit
weit über das Maya-Gebiet hinausreicht und für alle an
der Diskussion über »chiefdoms« und »pristine States«
Interessierten von Bedeutung sein dürften.
Doris Kurella
Pinkwart, Doris /Steiner, Elisabeth
Bergama Cuvallari. Die Schmucksäcke der
Yürüken Nordwestanatoliens. Stammesge
schichte, Musterrepertoire, Bestimmungs
hilfe. Wesel; Hülsey, 1991. 240 Seiten, 43
Tafeln mit 282 Farbabbildungen, 1 farbige
Karte, zahlreiche Musterzeichnungen
Im Gebiet von Bergama, dem alten Pergamon, sind nicht
nur die jahrtausendealten antiken Zeugnisse faszinierend
und interessant. Fast aufregender für den am Leben unse
res Jahrhunderts Interessierten ist - oder besser war - das
bunte Bild, das die mit ihren Karawanen oder Schaf- und
Ziegenherden ziehenden Nomaden in der Mittelmeer
landschaft boten und noch selten bieten. Heute sind die
meisten Stämme in Dörfern angesiedelt. Sie haben
gewisse Traditionen beibehalten. Dazu gehört zum Teil
die Kunst des Webens. Davon berichten Doris Pinkwart
und Elisabeth Steiner in ihrem Buch »Bergama Cuvallari.
Die Schmucksäcke der Yürüken Nordwestanatoliens«.
Die Verfasserinnen haben während ihrer Untersuchungen
seit 1975 und Forschungsreisen innerhalb von 10 Jahren
zu mehreren Nomadenstämmen über 1000 Schmuck
säcke photographisch in Moscheen, Museen und bei
Händlern erfaßt. Sie konnten davon aber nur einen klei
nen Teil intensiv bei den Nomaden selbst untersuchen.
Denn die meisten der schön mit Mustern verzierten,
handgewebten Säcke, die in den Zelten die Funktion von
Schränken hatten, sind verkauft und in alle Winde zer
streut worden. Neu gewebt wird nur noch selten und dann
vielfach für Touristen, weniger für die Aussteuer wie in
alten Zeiten. Während der Forschungen der Verfasserin
dieser Besprechung erwiderten die Weberinnen auf Fra
gen, warum das so sei, lakonisch: Moda gecti (»Die Mode
ist vorbei«).
Doris Pinkwart und Elisabeth Steiner gliedern ihr Buch in
einen ethnographischen Abschnitt (S. 13-23) und dann in
einen historischen (S. 24-50), in dem neben der
Geschichte Anatoliens die Bedeutung der Yürüken für
das seldschukische und osmanische Reich beschrieben
werden. Darauf folgen Erläuterungen über die Ge
schichte, die Wanderzüge und die Siedlungsgebiete der
einzelnen Stämme. Das geschieht sehr genau aufgrund
von urkundlichen und anderen schriftlichen Quellen.
Besonders interessant sind die Befragungen der