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Full Text: Tribus, 44.1995,N.F.

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Amborn; Von der Stadt zur sakralen Landschaft 
von Individuen) ergeben (vgl. das Konzept von Giddens, der »Platz« durch »Schau 
platz« ersetzt wissen will und darunter die »physische Umgebung zeitlich ablaufen 
der Interaktionen von Individuen« versteht; 1985: 271-72). Die geschilderten Plätze 
der Burji weisen jedenfalls eine überaus vielschichtige raumzeitliche Dimension 
auf, die Handlungszeit und Handlungsort (für Versammlungen, Diskussionen, 
Opferzeremonien, soziale Riten etc.) nicht nur auf das Hier und Heute beschränkt, 
sondern auf einer zeitlichen Achse Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als vir 
tuelles Kontinuum errichtet, das auf einer räumlichen Achse sich fortwährend mit 
einem gleichfalls virtuellen Raum durchdringt. Die spezifische zeitliche Tiefe eines 
Platzes erwächst beispielsweise aus der ständigen Wiederholung eines dort stattfin 
denden Geschehens entweder von einem bekannten Anfang an oder seit undenkli 
chen Zeiten; aus dieser repetitio ad infinitum - denn selbstverständlich greift die 
Wiederholung auch auf die Zukunft über - erwächst als Grundkonstituente Bedeu 
tung - und bestätigt sich zugleich. Die zeitliche Dimension, die ihre räumliche 
Komponente nie verleugnen kann (so auch umgekehrt), geht weitgehend verloren, 
wenn die Wiederholung, aus welchen Gründen auch immer, unterbunden wird. Der 
Multifunktionalität der Plätze ist es zu verdanken, daß eine solche temporale Unter 
brechung u. U. auf eine Funktion beschränkt bleibt (wenn ein Platz etwa seinen Cha 
rakter als Markt verliert, aber weiterhin als Opferstätte und Versammlungsort fun 
giert). 
Funktionen sind anders als Bedeutungen zunächst räumlich verankert, aber diese 
räumliche Verankerung hat wie selbstverständlich ihren Ausgangspunkt in der Ver 
gangenheit; ob diese mythischer Art ist, sozusagen in illo tempore, oder historisch 
datierbar, spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, daß einst ein Ereignis stattgefunden hat, 
das als bedeutungstragend verstanden wurde und um das sich in raumzeitlicher 
Kontextualisierung soziale (kulturelle, religiöse, symbolische etc.) Praxis organi 
sierte, die aufgrund eben dieser Interaktion zur Wiederholung einlud. 
Zeitliche Tiefe wird in ganz ähnlicher Weise auch über die Verbindung mit den 
Ahnen hergestellt. Dies gilt vor allem für Opferplätze, jedoch auch für Friedhöfe, 
und es gilt im Prinzip für alle Orte, an denen die Vorfahren ihre Spuren (Auslöser von 
Erinnerungsakten) hinterlassen, d. h. handelnd in Raum und Zeit eingegriffen haben. 
So gesehen erscheint der von Giddens verwendete Terminus locale, »Schauplatz«, 
auch im Burji-Kontext als praktikabel. 
Akephales Grundprinzip: Beziehungsgeflecht unterschiedlicher sozialer Ver 
bände. Wenn eine akephale Gesellschaft mit ihren vielfältigen, labilen und sich 
immer wieder neu definierenden Beziehungssystemen die Stadt als Siedlungsform 
wählt, ist es dann nicht sinnvoll, wenn sie sich »Brenn- und Knotenpunkte« schafft, 
auf denen die verschiedenen Ebenen ihrer Kultur dem gesellschaftlichen Diskurs 
ausgesetzt sind? 
Plätze in Burji sind demnach in erster Linie als Orte der Kommunikation zu verste 
hen, die nicht nur verbal stattfindet, sondern auch durch Tanz, Performance, Zere 
monien und der (An-)Teilnahme an diesen Ereignissen. Mit diesem Diskurs nimmt 
das soziale, politische und religiöse Leben der Burji Gestalt an; im permanenten Dis 
kurs werden auf den öffentlichen Plätzen flexible Handlungspraxen erzeugt, wobei 
die Orte, an denen die Diskurse stattfinden, offensichtlich ihrerseits zum Ausdruck 
akephaler Kultur werden. Die Plätze mit ihren vielfältigen Bedeutungen auf ver 
schiedenen sozialen Organisationsebenen spiegeln Grundprinzipien der akephalen 
Gesellschaftsstruktur und des Wertesystems der Burji wider. 
Durch die Verwendung der Plätze in ihrer Funktion als Kommunikationszentren (im 
weitesten Sinne) etc. werden auf der jeweiligen Organisationsebene die entspre 
chenden Verbände bestätigt, durch die Verbindung mit den Ahnen durch religiöse 
Zeremonien in ein größeres Ganzes gestellt und durch ihre Multifunktionalität in ein 
synchrones Beziehungsgeflecht eingebunden. 88 
Akephales Grundprinzip: Einheit in der Vielfalt. Diese strukturellen Beziehun 
gen zeigen sich am gleichen Aufbau von Plätzen mit demselben Sinngehalt, die
	        
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