TRIBUS 44, 1995
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Burji, die seit Jahren an anderen Orten lebten - unabhängig von ihrer gegenwärtigen
Religionszugehörigkeit - ihren Lebensabend in böohee Burji verbringen wollen, um
später neben ihren Ahnen begraben zu werden.
Demgemäß ist Burji-Stadt und deren Umgebung gegenwärtig vornehmlich von älte
ren Leuten bewohnt. Entscheidend ist indes, daß dort alle religiösen Würdenträger
ansässig sind. Besonders bei den gänni wird auf ihre ständige Anwesenheit in Burji
Wert gelegt. Sind diese doch aufs engste mit ihren Ahnen, den Klan-, bzw. Lineage-
gründern verbunden, weshalb sie als Garanten für die Aufrechterhaltung der kosmi
schen Ordnung gelten. Die Plätze, auf denen sie die Opferungen der Vorfahren wie
derholen, sind Orte der Kommunikation zwischen der überirdischen und der
menschlichen Welt. Burji wird nicht als der Mittelpunkt der Welt aufgefaßt, aber als
der Ort innerhalb der gesamten Menschheit und des Kosmos, zu dem die Burji
gehören. Wenn ein Würdenträger stirbt, wird dessen Nachfolger ohne Rücksicht auf
seinen aktuellen Wohnsitz genötigt, sich in böohee Burji niederzulassen, als Hüter
der heiligen Plätze und als Bewahrer einer Kultur, die die Burji als ihre traditionelle
und ureigenste ansehen. Damit sie dort ein menschenwürdiges Leben führen können,
sehen es traditionsbewußte Burji, die in den Städten Kenias und Äthiopiens leben, als
ihre Ehrenpflicht an, die im Lande der Ahnen Wohnenden finanziell zu unterstützen.
In der Tat ist die Stadt ökonomisch von den übrigen Burji-Gemeinschaften abhängig,
da die aufwendige Landwirtschaft von den wenigen dort Lebenden nicht aufrechtzu
erhalten ist.
Selbst Burji, deren Bezug zu den traditionellen religiösen Vorstellungen gering ist,
sprechen respektvoll von böohee Burji, für sie ist es zu einem Symbol der Identität
und der Einheit der verstreut lebenden Burji-Bevölkerung geworden und zu dem Ort,
an dem sich das, was die Burji-Kultur ausmacht, ausgeprägt hat. In diesem ideellen
Zentrum laufen die Klanverbindungen zusammen und die Beziehungen zwischen
den zur gleichen Generation gehörigen Männern, denn die heiligen Orte, an denen
die hägi- und gäda-Zeremonien stattfanden, sind gleichfalls dort zu finden. Der sym
bolische Wert des alten Kernlandes wird derart hoch eingeschätzt, daß bei seinem
Verlust die Burji in anderen Teilen Afrikas sich wie Waisen fühlen würden. Es sind
also sowohl das Land selbst als auch die Hüter dieses Landes und deren spirituelle
Fähigkeit, die die heutige Bedeutung von böohee Burji ausmachen.
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Asmarom Legesse
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méridionale. 2 Bde., Paris