TRIBUS 50, 2001
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retische Ansätze und Grundlagentheorien werden unter
der Überschrift „Wissenschaftlichkeit als Ziel der Theo
rie“ dieses ersten Teils (Hauptabschnitt I) zusammenge
fasst, was von manchem als unglücklich angesehen wer
den mag, denn Wissenschaftlichkeit ist ja die
Grundvoraussetzung allen Forschens und kann eigentlich
nicht als Ziel der Theorie bezeichnet werden. Ziel und
Aufgabe einer Theorie ist vielmehr, der jeweiligen wis
senschaftlichen Arbeit ein die jeweiligen Aussagen unter
stützendes Gerüst zu geben, zumindest einen bindenden
roten Faden. In diesem Hauptabschnitt werden die New
Archaeology (Kapitel 2), Deduktion und Induktion
(Kapitel 3), Middle Range-Theorie (Kapitel 4), Ana
logien (Kapitel 5) sowie Systemtheorie und Simulationen
(Kapitel 6) behandelt. Aus dem Kapitel über Analogien
greife ich „Die Ethnoarchäologie“ heraus. Bernbeck un
terscheidet hier zwei Richtungen: die Middle Range- und
die kontextuelle Ethnoarchäologie. Während er erstere
„zur Erstellung relationaler und komplexer Analogien“
verwirft (105), lobt er kontextuelle ethnoarchäologische
Arbeiten als „erstrangige Quellen für relationale Ana
logien“, sofern „Kausalzusammenhänge zwischen be
stimmten Tätigkeiten und Materialien“ dokumentiert
sind (106).
Der nächste Hauptabschnitt II trägt die Überschrift
„Theoretische Grundlagen von archäologischen
Methoden“ und umfasst die Kapitel 7 bis 12. Hierunter
werden Ökologie, regionale Siedlungsanalyse, ortsinter
ne Siedlungsanalysen, Typologien, Stilanalysen und Grä
beranalysen erörtert. Im dritten und letzten Hauptab
schnitt mit den Kapiteln 13 bis 15 wendet sich der Autor
dem Postprozessualismus, weiterhin marxistischen und
feministischen Ansätzen zu. In letzterem und auch letzten
Kapitel des Buches weist er unter „Gender und Arbeits
teilung“ darauf hin, dass in Abhandlungen feministischer
Archäologinnen der Ideologie eine Rolle zugesprochen
werde, die mit der Wirklichkeit des untersuchten wissen
schaftlichen Bereichs oftmals nicht in Übereinstimmung
zu bringen ist. In seinem Ausblick relativiert Bernbeck
die Grundsätzlichkeit von Theorien. Theoretische
Grundlagen kommen und gehen, und obwohl er berech
tigter Weise meint, dass nicht „der Zeitgeist“ das jeweili
ge Theoriengebäude bestimmen darf, wissen wir alle, dass
dieser Geist ständig allgegenwärtig ist. Er muss nur als
solcher erkannt werden.
Wie ist nun die Arbeit von Bernbeck zu beurteilen? Kei
ne Frage, es ist eine Fleißarbeit, die vielschichtig und um
fassend ist. Unter Umständen mag mancher den Ein
druck gewinnen, dass der Verfasser zu großen Wert auf
die letztgenannte Kennzeichnung gelegt hat und eine
Straffung dem Werk gut getan hätte. Tatsächlich wurde
manches Selbstverständliche betrachtet, neben Grund
sätzlichem und Wichtigem. In seltenen Fällen haben sich
kleinere Fehler eingeschlichen. So gibt es beispielsweise
keine Eskimosprachen (223). Bei gelegentlich zu ver
zeichnender unschöner Wortwahl hätte der Lektor auf
passen können. Dies fällt allerdings bei der insgesamt gut
en Beurteilung weniger ins Gewicht. Wertvoll sind ein
zwölfseitiger Index sowie eine vierzigseitige Bibliografie.
Diese beiden Teile wie auch die starke Gliederung des
Inhalts tragen zum Charakter eines Nachschlagewerkes
bei. Mit einem Dank an den Autor soll nicht gespart wer
den, hat er doch mit viel Umsicht eine gute Grundlage ge
schaffen - wo immer es um Theorien in der Archäologie
geht.
AXEL SCHULE-THULIN
CAMERON, CATHERINE M. / TOMKA,
STEVE A.:
Abandonment of settlements and regions -
Ethnoarchaeological and archaeological ap
proaches. Cambridge, England: Cambridge
University Press, 1996. 201 Seiten, zahlreiche
Kartenskizzen, Ausgrabungspläne, SW-Fotos,
Zeichnungen, Tabellen.
ISBN 0-521-43333-9
Warum und in welcher Weise haben ethnische Gruppen
in der Vergangenheit ihre Siedlungsplätze oder eine Sied
lungsregion verlassen? Die Beantwortung dieser beiden
Teilfragen, die selbstverständlich miteinander verknüpft
sind, gibt Archäologen wertvolle Aufschlüsse darüber,
wie sie ihre Befunde einzuordnen und zu beurteilen ha
ben. Dabei ist die Suche nach Antworten, wie überall in
der Archäologie, um so schwieriger je tiefer der Forscher
in die Vergangenheit eindringt. Neben den historisch fest
stellbaren Umständen einer Siedlungsaufgabe hängt die
Exaktheit der Beantwortung aller auftauchenden Fragen
auch davon ab, wie lange die jeweilige Gruppe einen be
stimmten Siedlungsplatz in Besitz hatte. Es ist klar, dass
sesshafte und halbsesshafte Ethnien nachhaltigere Spu
ren hinterlassen als die kleine Einheit schweifender Jäger
und Sammler, die vielleicht nur einige Tage an einem Ort
verweilte und dann weiter dem Wild nachzog. Abris,
Höhlen und Höhlenvorplätze sind im Hinblick auf
Schichtenverband, Lagerung und Erhalt organischen
Materials die positive Ausnahme, doch nehmen sie leider
innerhalb der Siedlungsörtlichkeiten während der
Menschheitsgeschichte nur wenige Prozentpunkte ein.
Selbst für das Altpaläolithikum können wir davon ausge
hen, dass Freilandsiedlungen, zumindest in Warmphasen
bzw. in klimatisch begünstigten Zonen, schon immer die
Höhlensiedlungen an Zahl weit übertrafen. Solche inter
essanten und wichtigen Fragen werden von den an dieser
Publikation beteiligten 21 Autorinnen (alle von US-ame
rikanischen Institutionen) in ihren insgesamt 15 Auf
sätzen nicht angeschnitten. Ihre Untersuchungsbeispiele
sind vielmehr (in der Mehrzahl) historische und früh
geschichtliche sesshafte Gruppierungen, wobei einige
halbsesshafte Plainsgruppen (in einer Abhandlung) ein
geschlossen sind. Damit hängen in dem vorliegenden
Buch die Gründe für das Verlassen einer Siedlung bzw. ei
ner Siedlungsregion meist mit der Nutzungsdauer der Bö
den, der Bodenbeschaffenheit oder mit saisonalem Pflan-
zertum zusammen. Dazu tritt eine in nahezu allen
Beiträgen erkennbare behavioristische Betrachtungswei
se, die eine allgemeingültige Aussage der einzelnen Bei
spiele zusätzlich begrenzt.
Bis auf vier Ausnahmen (Iran. Botswana, Nigeria, alle
drei rezente Beispiele; Portugal, ein frühgeschichtliches
Exempel) befinden sich die behandelten Siedlungsplätze