TRIBUS 50,2001
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zeichnet. Mark Münzel und Michael Kraus umreißen das
in ihrer Einleitung sehr treffend: Während die Museums
ethnologen die Kollegen an der Universität als reinen
Theoretiker ohne Bezug zur Praxis sehen, blicken viele
Universitätsethnologen auf die Museumsarbeit als rein
praktisch orientierte Ethnologie ohne eigene wissen
schaftliche Inhalte herab. Heute konkurrieren Museum
und Universität dort, wo sie sich eigentlich gegenseitig er
gänzen und anregen könnten (8). Dass das nicht so sein
muss und es in der Geschichte des Faches auch nicht im
mer so war, erfährt man sowohl aus der Einleitung als
auch aus dem Beitrag zur Geschichte des Faches Völker
kunde: Waren es doch die Museen noch vor den Uni
versitäten, die den Grundstein für die Entwicklung der
Ethnologie als selbständigem Lehrfach legten.
Die Beiträge des vorliegenden Bandes sind jeweils Kapi
teln zugeordnet, die Entwicklungsprozesse in der Be
ziehung zwischen Museum und Universität markieren,
sich gleichzeitig aber auch an bestimmten Problemkom
plexen orientieren. Im Abschnitt „Geschichte“ be
schreibt Michael Kraus in seinem Beitrag „Über das
Museum an die Universität“ anhand von Schriftwechseln
des Südamerikanisten Koch-Grünbergs die Etablierungs
probleme des Faches Ethnologie in den Anfängen. Koch-
Grünberg wirkte sowohl an verschiedenen Museen
(Stuttgart und Berlin) als auch an der Universität (Frei
burg). Dazwischen lagen lange Forschungsaufenthalte im
Feld. Kraus spürt die Stellen in Koch-Grünbergs Briefen
auf, die das Verhältnis von Museums- und Universitäts
ethnologie belegen. Besonders interessant und von Kraus
deutlich herausgearbeitet ist hier die Tatsache, dass den
„Etablierungsprozess des Faches,..., maßgeblich die feld
forschenden Museumsethnologen ermöglicht“ haben
(30).
Eine Weile schien also die Welt der ethnologischen Wis
senschaft in Ordnung, zumal sie sich - wenn auch nur für
kurze Zeit - als harmonische Einheit präsentierte: Mu
seen und Universitätsinstitute wurden von Direktoren/
Ordinarien in Personalunion geleitet, Museumsethno
logen forschten am Objekt und im Feld, feldforschende
Ethnologen sammelten für das Museum. Dann kam es
zum Zerwürfnis und damit zur Trennung der Institution
en. Der Titel des folgenden Abschnittes „die Renaissance
des Objekts“ (37) deutet an. dass damit einher auch die
Abwendung vom ethnographischen Objekt ging, dem
man sich erst in jüngster Zeit wieder verstärkt als For
schungsgegenstand zuwandte. Die diesem Kapitel zuge
ordneten drei Beiträge zeigen, dass Objekte einer Dar
stellung und Auslegung bedürfen, die über rein
funktionale Erklärungen hinausgehen. In ihrem Beitrag
„Artefakte, Objekte und das Museum: Inszenierungen“
definiert Sol Montoya Bonilla die sogenannte Renais
sance des Objektes vor allem mit dessen Anerkennung als
kulturell ausdrucksvollem Gegenstand (39f.). Für Mon
toya Bonilla ist das Objekt ein facettenreiches Bild der
Kultur, aus der es stammt. Dieses Bild ist geprägt von ei
ner kulturbedingten Ästhetik, die in Museumsins
zenierungen nur dann erfolgreich berücksichtigt werden
kann, wenn man sich ihr mit den Grundfragen des Faches
Ethnologie nähert. Auch Alexandra Rosenbohm geht es
um die Inszenierung des Objektes. Wenn es darum geht,
in Ausstellungen die Bedeutung von Objekten aufzuzei
gen, wird für sie das „ethnologische Denken“ zum „ästhe
tischen Problem“ (63f.). Eine kritische, von Exotisierung
freie Auseinandersetzung mit dem Sinn der Dinge steht
für Rosenbohm nicht im Widerspruch zur ästhetischen
Präsentation, geht es doch in der Ästhetik selbst auch viel
mehr um Erkenntnis als um Kunst (66). Die Schwierigkeit
sieht die Autorin wohl eher in der Weitergabe der Er
kenntnis innerhalb von Ausstellungen, in denen die „Ver
dinglichung“ von kulturellen Konzepten nicht einem
Fachpublikum, sondern der Öffentlichkeit vermittelt wer
den muss. Seit Gründung des Faches bis heute haben sich
immer wieder Ethnologen an den Museen und später
auch an den Universitätsinstituten Gedanken darüber ge
macht, warum und wie man ethnographische Objekte
sammeln solle und wie diese in Ausstellungen zu präsen
tieren seien. Und zu allen Zeiten haben ethnographische
Sammlungen ihren Interpreten und Bearbeitern Rätsel
aufgegeben. Die wissenschaftliche Arbeit am Objekt er
fordert sehr viel Geduld, Konsequenz, Ideenreichtum
und die Bereitschaft, sich der „Tücke des Objektes“ zu
stellen, wie sie von Mona Suhrbier im so betitelten
Beitrag konstatiert (53ff.) wird. Die Bearbeitung und Be
schreibung ethnographischer Sammlungen ist in der
Ethnologie kein neues Phänomen, ebenso wenig die
Theorienbildung zu Objektentstehung und -Verbreitung,
wohl aber die Bemühung, Objekte zu Gegenständen
ganzheitlicher Theorien in der Ethnologie zu machen.
Der Beitrag von Mona Suhrbier veranschaulicht, wie sol
che Theorienbildung aussehen kann. An dem konkreten
Beispiel indianischer Kulturen zeigt sie auf, wie sich in
den Dingen geistige Kultur manifestieren und von den
Dingen komplexe Ideengeschichte ausgeht.
Unter der Überschrift „Erfahrungen unter dem Reform
druck“ finden sich drei Beiträge, die sich aus unterschied
lichen Blickwinkeln mit den Veränderungen an den
Museen während der letzten dreißig Jahre beschäftigen.
Sabine Beer macht am Beispiel des Hamburger Völker
kundemuseums deutlich, was sich hinter der Bezeichnung
„Reformdruck“ verbirgt: Völkerkundemuseen müssen
sich mit sinkenden Besucherzahlen, zunehmender
Kommerzialisierung, Eventkultur und veränderter Er
wartungshaltung in Kulturpolitik und breiter Öffentlich
keit auseinandersetzen. Hamburg reagierte auf diesen
Druck mit der Umwandlung seiner Museen in Stiftungen
des öffentlichen Rechtes. Beers Beitrag zeigt, welche
Schwierigkeiten mit einer solchen Umwandlung zum
„Wirtschaftsbetrieb“ (87) verbunden sind. Einen Ein
druck davon, was der Reformdruck für das Verhältnis von
Museum und Universität bedeuten kann, gibt Peter
Gerber am Beispiel des Völkerkundemuseums der Uni
versität Zürich. Es handelt sich dabei um einen speziellen
Fall, da es sich um ein an der Universität angesiedeltes
Museum handelt, das allein schon strukturell sich in einer
ganz anderen Situation befindet als staatliche oder städti
sche Museen wie z. B. Hamburg. Ein interessanter
Aspekt ist hier, dass die Zugehörigkeit zur Universität ei
nen „gewissen Schutz gegenüber den politischen
Behörden“ (101) bildet. Das Museum als Universitäts
institution ist im Gegensatz zu anderen Kultur
institutionen nicht nur freier in der Wahl kritischer
Themen, sondern ist bisher im Rahmen der universitären
Verwaltung auch stärker von finanziellen Kürzungen ver