TRIBUS 50, 2001
Hominidenspezies, selbst für uns Heutige gebraucht er
diese Kennzeichnung, vielleicht bei letzterer sehr ver
kürzt und mit etwas Ironie; zum Beispiel auf Seite 60.
Statt „Mensch“ hätte er in diesem Zusammenhang nur
„Vormensch“ setzen sollen, denn grundsätzlich ist auch
bei ihm die Phase der „zweibeinigen Affen“ identisch mit
derjenigen der Vormenschen. Aus berechtigtem Anlass
sei betont: Erst ab Homo habilis (Beginn vor ca. 2,5
Millionen Jahren) haben wir den Menschen, das heißt den
Urmenschen, vorher jedoch Vormenschen. Das anschau
liche Bild vom von den Bäumen heruntersteigenden
Affen weist der Autor zurück, da Savannen in der in
Frage kommenden Zone Afrikas (Ost- und Südafrika)
erst vor rund drei Millionen Jahren entstanden seien.
Verkürzt meint er - sich selbst widersprechend - über die
Australopithecinen, dass sie anthropologisch keine Men
schen waren. Hier scheitert er wiederum an seinem oben
erläuterten Dilemma: zweibeinige Affen (das waren ja
nun die Australopithecinen auf jeden Fall) gleich Men
schen. Auf Seite 72 sieht Leakey die Grenze zwischen
Mensch und Affen beim Gehirnvolumen, einer Marke
von 770 cm 1 im Erwachsenenalter. Mit 800 cm 3 hatte
Homo habilis diese Grenze bereits hinter sich gelassen,
erst recht der dann folgende Homo erectus mit einem
Gehirnvolumen zwischen 850 und 1000 cm’, teilweise so
gar mehr.
Der Verfasser betont, dass er Spekulationen aus dem
Wege gehe und stattdessen mit anthropologisch exakten
Zahlen argumentiere, wie sie von mittlerweile relativ vie
len Skelettresten vorlägen. Was den Leser stört, sind be
stimmte Begriffe, die allerdings auch auf den Übersetzer
zurückgehen können. So wird wie bei Australopithecus
auch bei Homo von „Männchen und Weibchen“ statt von
Männern und Frauen gesprochen. „Dialectical tribe“ (88)
mit Dialektstamm zu übersetzen, ergibt wenig Sinn. In
diesem Fall muss im Deutschen der Begriff umschrieben
werden, wie beispielsweise „Gruppierung mit einheitli
cher Sprache“. Einige weitere Beispiele; In paläoanthro-
pologischer (übrigens nicht Paläanthropologie, wie im
Klappentext gesagt wird) Diktion heißt es „Schnitt
spuren“, nicht „Schneidspuren“ (102); Leakey meinte
„Speerschleudern“, nicht „Wurfspeere“ (128); „...letzten
30.000 Jahren... Zu dieser Zeit hatten sich die modernen
Menschen entwickelt...“ (137; die Evolution von Homo
sapiens lag Jahrzehntausende vorher); „...Tue
d’Audoubert...vor fünfzigtausend Jahren geschaffen...“
(138; 15.000 Jahre sind wahrscheinlich angemessen);
„...Don Marcellion...“ (143; Marcelino); „...Altamira...
Ochsen (143; Stiere); „...Les Trois Frères...Elchgeweih...“
(146; Hirschgeweih; elk im Englischen, nicht Elch im
Deutschen); „...Ochsen...“ (148; Auerochse oder Ur).
Unsinnig ist der Hinweis des Autors - mit Blick auf die
westlichen Industriegesellschaften - auf die „äußerst effi
ziente Weise der Selbstversorgung“ bei Wildbeutern, die
zur Nahrungsbeschaffung für einen Tag nur drei bis vier
Stunden benötigen (89), da bei solchen Vergleichen, wie
auch hier, nicht der in Relation zu wildbeuterischen
Verhältnissen riesige medizinische Standard und die da
mit hohe Lebenserwartung in den erwähnten pluralisti
schen Gesellschaften in Rechnung gestellt werden.
Leakey spricht denn auch einige Zeilen weiter von den
„extrem kärglichen Lebensbedingungen“ (ebenda) der
!Kung-San, die (wieder einmal) als Beispiel für urge-
schichtliche Gruppierungen herhalten müssen. Der eng
lischsprachige Begriff „anthropologist“ umfasst auch
Ethnologen, der deutschsprachige „Anthropologe“ je
doch nicht. Im vorliegenden Fall handelt es sich um
Ethnologen, nicht Anthropologen (ebendort). Die immer
wieder, so auch hier (dort selbst), gegebenen Hinweise
auf eine bei Jägern und Sammlern angeblich vorliegende
„klare Arbeitsteilung, wobei die Männer für die Jagd und
die Frauen für das Sammeln pflanzlicher Nahrung“
(a.a.O.sowie 106) zuständig seien, muss mit zahlreichen
Einschränkungen und Ausnahmen gesehen werden.
Eigentlich sind solche Angaben grundsätzlich unzulässig.
Vergleichbares gilt ebenfalls für Leakeys Meinung vom
„Meilenstein in der Entwicklung des anthropologischen
Denkens über die Bedeutung der Jagd für den Verlauf
unserer Evolution“ (91 f). Der Satz bedarf zumindest ei
ner Relativierung. Sicherlich haben die Herausfor
derungen, die mit dem Jagen verbunden sind, zur Evo
lution bestimmter Hirnbereiche und damit größerer
geistiger Stärke beigetragen, doch sollte auch gesehen
werden, dass die Jagd erst nach der Entwicklung gewisser
Fähigkeiten vom Menschen effektiv gehandhabt wurde.
Schließlich jagen Carnivore gleichfalls recht effektiv,
ohne dass sie dem Menschen vergleichbare geistige
Fähigkeiten erworben hätten.
Im 5. bis 8. Kapitel behandelt Leakey den zweiten zentra
len Bereich des Buches - die Entstehung von Homo sapi
ens, um deren Ursachen und Wirkungen unter Wissen
schaftlern seit etlichen Jahren heftig gestritten wird. Zu
viel liegt hier zur Zeit noch im Dunkeln, als dass dieser
Streit bald beendet werden könnte. Zahlreiche Unge
reimtheiten verwirren das Bild darüber hinaus. Im
Grunde existieren zwei globale Ansichten, die sich ge
genüberstehen: Zum einen das Modell „Out of Africa“
(Afrika auch als Wiege des modernen Menschen), zum
anderen die These von der multiregionalen Evolution.
Für beide Aspekte gibt es gute Argumente, wobei aller
dings seit neuestem molekulargenetische Analysen für
die erste Ansicht sprechen. Auch Leakey ist ein
Anhänger dieser Meinung. Doch noch gibt es zu viele
Fundlücken. Mit ihrer Schließung in den kommenden
Jahren oder Jahrzehnten wird sich ein eindeutigeres Bild
herauskristallisieren.
Mit dem 6. Kapitel, in dem Leakey auf „die Sprache der
Kunst“ eingeht, hat er sich etwas schwer getan. Der
Eindruck mag jedoch auch durch die an etlichen Stellen
nicht glückliche Übersetzung hervorgerufen sein (Bei
spiele siehe oben). Zuzustimmen ist dem Autor, wenn er
bei der Deutung der Felsbildkunst dazu rät, „die wahr
scheinlichen Grenzen unserer Erkenntnis zu akzeptie
ren“ (140), die ja nicht nur „wahrscheinlich“ sind, son
dern unüberwindbar erscheinen. Er verweist dann auf die
„prähistorische Kunst Ost- und Südafrikas, die minder
stens ebenso alt (Hervorheb. v. Rez.) und teils sogar noch
älter ist“ (ebenda). Leider versäumt Leakey, Beispiele
dieser Kunst zu nennen. Die ich kenne ist wesentlich jün
ger als die jungpaläolithische Europas. An anderer Stelle
spekuliert der Verfasser dann (doch selbst) über mögliche
Lebensbilder paläolithischer Künstler (150) und gibt auf
den Seiten davor und danach die gerade zur Zeit gängi
gen Deutungen und Erklärungsmöglichen von wissen