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Full Text: Tribus, 50.2001,N.F.

TRIBUS 50, 2001 
Warfen diese beiden Autoren eher einen Blick auf die 
Feldforschungserfahrungen anderer, folgen nun zwei Bei 
träge von Ethnologinnen, die ihre eigenen Erlebnisse und 
ihre Rolle im Feld reflektieren. Bettina E. Schmidts Essay 
„Lateinamerikanische Impressionen“ (S.89f) beschreibt 
ihre persönlichen Eindrücke bei der Forschung über an- 
dine Feste. Sie sieht die Ethnopoesie als Möglichkeit, sub 
jektive Erfahrungen zu verarbeiten und einem Publikum 
zu präsentieren. Dieses kann deutlich ihre Enttäuschung 
darüber herauslesen, dass sie auf ihrer Forschungsreise 
vom „Feld“ nicht wirklich gefesselt bzw. ergriffen war 
(außer beim farbenprächtigen Feuerwerk). Zehn Jahre 
zuvor hatte sie als Studentin in Mexiko vieles anders er 
lebt, und so fragt sie sich schließlich, ob alle Ethnologen 
ihre erste Reise, ihre Initiation als Feldforscher, intensi 
ver erleben als die späteren. 
Ulrike Krasbergs Essay „Tourist, Ethnologe oder was?“ 
(S.109f) liest sich dagegen eher wie eine kritische Ab 
rechnung mit den romantischen Projektionen ihres einsti 
gen Lebensgefährten Rüdiger, mit dem sie 1980 auf die 
griechische Insel Lesbos zog, um dort, abseits der 
Touristenpfade, Feldforschung zu betreiben. Anhand sei 
ner Tagebucheintragungen filtert Krasberg die Sichtweise 
städtischer Intellektueller - Touristen und Ethnologen - 
auf griechisches Dorfleben heraus, die mit bürgerlichen 
Konventionen brechen und im Süden echte Offenheit, ur 
sprüngliche Lebensart und eine erhabene Gedankenwelt 
finden wollten und stattdessen auf ablehnendes Miss 
trauen trafen. Am Ende gelingt der (frauenbewegten) 
Autorin eine Annäherung an die gesprächigen Dorf 
frauen, während sich Rüdiger an den schweigenden 
Männern die Zähne ausbiss und schließlich weiterzog, um 
in Afrika Feldforschung zu betreiben - der Ethnologe als 
Eroberer, Kolonialist und Macho. 
Eine überraschende literarische Form hat Ulrike Ziegler 
für ihren Beitrag „Fantasien - Trickster - Teufel“ (S.124f) 
gefunden. Zunächst referiert sie verschiedene wissen 
schaftliche Interpretationsmodelle, die sich mit dieser 
weitverbreiteten mythischen Figur beschäftigen, muss 
dann allerdings feststellen, dass der Trickster durch die 
wissenschaftliche Faktenrealität allzu leicht zum Kon 
strukt wird und seine poetische Realität verloren geht. 
Also tritt sie schließlich in einen (fiktiven) Dialog mit 
dem Teufel, der ihr erscheint, während sie noch über 
theoretische Ordnungskategorien nachdenkt. Ein histo 
risch-philosophischer Exkurs über europäische und lat 
einamerikanische mythische Erfahrung wird hier in der 
Begegnung mit dem schelmischen Trickster-Teufel zu ei 
ner erkenntnisreichen und unterhaltsamen Lektüre. 
Dagegen kommen die beiden folgenden Artikel von 
Ulrike Prinz („Mythos und Interpretation“, S.135f) und 
Erdmute Wenzel White („Musikethnologie und Kunst“, 
S.lölf) mit weniger literarischen Stilmitteln aus, sind se 
riös analytisch und der ethnopoetics-Richtung verpflich 
tet in ihrer Auseinandersetzung mit dem Delphin-Mythos 
bei den Karajä Zentralbrasiliens (Prinz) und der Be 
trachtung der künstlerischen Verfremdung von Vogel 
stimmen in der modernistischen Poesie und Musik 
Brasiliens (Wenzel White). 
Spannend wird es wieder, wenn man sich gewahr wird, 
dass Poesie nicht nur im literarischen Bereich beheimatet 
ist, sondern auch andere Formen des kulturellen Aus 
drucks gestaltet. Die folgenden Beiträge zum Thema eu 
ropäische und außereuropäische Kunst zeigen, dass sich 
hier die Grenzen zur Literatur ebenso wie die zur Ethno 
logie auflösen. Zunächst legt Johannes Lothar Schröder 
in „Der Sprung in die Stammesgesellschaft. Rollenambi 
valenzen und Performances bildender Künstler“ (S.189f) 
dar, dass sich die ephemere, vergängliche Kunst in Form 
von Performance und Happenings seit den 70er Jahren 
zunehmend der klassischen Kunstbetrachtung entzogen 
hat. Da dieser Kunstbereich durch die ausgelösten Irri 
tationen und Schwellenerfahrungen mit Ritualen zu ver 
gleichen ist, schlägt Schröder vor, hier zur Erkundung die 
bei Ethnologen bewährte Methode der Feldforschung 
einzusetzen. Aber auch von Seiten der Künstler selbst 
gebe es Bewegungen in Richtung Ethnologie. Mehrere 
Vertreter kann Schröder aufführen, die den Schamanen 
als neue Identifikationsfigur für sich entdeckt haben, u.a. 
auch Joseph Beuys, „und durch Handlungen, Aktionen 
und Performances in die spirituelle Leere einer von mate 
riellen Werten bestimmten Gesellschaft vorstoßen“ (S. 
198). In ihrer Auseinandersetzung mit transistorischer 
Erfahrung, die sogar in Experimenten der Kontaktauf 
nahme mit der „Vor- und Stammesgeschichte“ münden 
können, gleicht schließlich der Künstler dem Ethnologen 
selbst. So wie der Feldforscher aber am Ende seine Er 
fahrungen und damit die Quelle seiner Produktivität der 
Sprache der Wissenschaft opfern muss, um in die akade 
mische Welt zurückzukehren, so werden nach Schröder 
durch mediale Aufzeichnungen und archivierbare Relikte 
die Zeitreisen der Künstler dem Kunstmarkt geopfert. 
Auch Ute Ritschel konzentriert sich in ihrem Beitrag 
„Die Poesie der alltäglichen Kunstperformance“ (S.209f) 
auf diesen Kunstbereich. Ihr geht es jedoch weniger um 
die Rolle der Künstler als um die Motivationen innerhalb 
der Performance-Kunst: sie focusiert die aus der femini 
stischen Bewegung entstandenen Richtungen. Nachdem 
vor allem „aufbrechende“ Frauen die Performance für 
ihre Suche nach einer eigenen und neuen gesellschaftli 
chen Funktion entdeckt haben, werden bei ihnen die nar 
rativen, selbst- und gesellschaftsreflektiven Anteile be 
sonders deutlich. Ritschel bedient sich einer interessanten 
Textstruktur, indem sie nach einer Einführung in das 
Thema fünf Strophen anführt, die die Bandbreite des 
Themenkomplexes Performance mit Beispielen unterfüt 
tern und dabei die künstlerische Poesie als Bindeglied 
zwischen Alltagserfahrung und performativer Trans 
formation herausfiltern. Es geht um Performing Bio 
graphie, Performing with Food, Performing Death, Public 
Performance und Performance und Identität. Dabei wird 
sichtbar, dass auch hier die Kunstschaffenden als Anthro 
pologen in eigenen kulturellen Zusammenhängen tätig 
sind, indem sie den fragenden und deutenden Blick an 
wenden. 
In eine andere Richtung geht Eva Ch. Raabe mit ihren 
„Überlegungen zur Interpretation und Vermittlung zeit 
genössischer Kunst aus Papua Neuguinea“, so der Unter 
titel ihres Aufsatzes „Zwischen Sprachkraft und Sprach 
losigkeit“ (S. 239f). Sie hinterfragt den europäischen 
Umgang mit außereuropäischer Kunst. Am Beispiel eines 
Künstlers, den sie in Papua Neuguinea besuchte, konnte 
sie erfahren, dass dessen Werke von melanesischen Ge 
schichten, Helden, Bild- und Mythenwelten getragen
	        
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