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Full Text: Tribus, 50.2001,N.F.

Buchbesprechungen Allgemein 
werden, die Bilder letztlich sogar ohne die dazugehörige 
Erzählung kaum Beachtung finden. Folglich kommt es 
bei der in der gängigen europäischen Kunstbetrachtung, 
die gewöhnlich Kunst als „stumme Poesie“ aus sich selbst 
heraus betrachtet, zu erheblichen Missverständnissen. Sie 
fordert daher die (Kunst-)Ethnologen auf, sich vermehrt 
im Erzählen von Geschichten zu üben. 
Es folgen weitere Beiträge von Literaturwissenschaftlern 
und Ethnologen, die ebenfalls mit dem ethnologischen 
Blick ausgewählte Autoren und ihre Werke untersuchen. 
Sibylle Benninghoff-Lühl unternimmt mit ihrem Essay 
„Hier wittert’s nach der Hexenküche“ (S.257f) eine Lese 
reise in den „Faust“ und die Zeit Goethes, ist fasziniert 
von seinem andeutungsreichen Spiel mit Wörtern und in- 
tertextuellen Anspielungen. José Ignacio Üzquiza hinge 
gen stellt in seinem Aufsatz „Die Vermischung von 
Anthropologie und Literatur“ (S.275f) den peruanischen 
Schriftsteller und Ethnologen José Maria Arguedas vor 
und versucht zu ergründen, warum Arguedas in dem 
Vorhaben, mit seiner Poesie eine Kulturbegegnung zwi 
schen dem Hispanischen und Indianischen zu erreichen, 
gescheitert ist. Sylvia M. Schomburg-Sherff plädiert mit 
ihrem Beitrag über „Ethnologie in fiktionaler Rhetorik - 
Zur Grenzziehung zwischen Wissenschaft und Kunst“ 
(S.293f) genau für diese Auflösung und hat mit Paul K. 
Feyerabend einen bestechenden Wortführer gefunden. 
Sie bestätigt und unterstützt die „experimentelle Ethno 
graphie“, die frühe Versuche von literarisch ambitionier 
ten Ethnologen wieder neu entdeckt haben. Und zu 
Recht weist sie auf frühe Ethnologen hin, die mit ihren 
ausgezeichneten schriftstellerischen Fähigkeiten große 
Wirkung erzielen konnten. Am Beispiel karibischer 
Belletristik erinnert sie schließlich daran, dass auch die 
Romanliteratur eines Landes für Ethnologen „Quelle des 
Wissens“ (Paul Feyerabend) ganz eigener Art sein kann, 
da sie unendlich vieldeutig ist und als „soziale Tatsache“ 
als Teil der Kultur zu betrachten ist. 
Klaus Hoffers Beitrag „Die Nähe des Fremden“ (S.309f) 
zeigt aus schriftstellerischer Perspektive, welche Inspi 
rationsquelle ethnologische Fachliteratur sein kann. Für 
seinen Roman „Bei den Bieresch“ hat er, wie er selbst be 
schreibt, spielerisch Literatur über nordamerikanische 
Indianer verarbeitet, indem er Potlach, Initiationsriten 
und Minderheitenkonflikte in den Osten Österreichs ver 
legte. Auch Heike Thote greift den Roman in ihrem 
Artikel „Schmerzraum - Versuch über das Ethno- 
poetische“ (S.319f) nochmals auf und vergleicht ihn mit 
anderen Werken, die ebenfalls durch die Verdrehung eth 
nologischer Theorien Wissenschaft ironisieren oder in 
eine literarische Form bringen - sie nennt das „verschön 
geistigen“. Im Gegensatz zu Ethnoromanen, in denen die 
beschriebene Gesellschaft mehr oder weniger stark ver 
zerrt und von außen betrachtet wird, benutze die Ethno- 
poesie die Ethnologie als „Bastelmaterial“ und verlege 
die ethnographische Realität nach innen, kreiere damit 
kulturell bedeutsame Metaphern. „Ethnopoesie ver 
mischt so Eigenerfahrung mit kultureller Erfahrung, was 
eine Fremderfahrung ermöglicht.“ (S.327) 
Insgesamt liegt dem Experiment „Zwischen Poesie und 
Wissenschaft“ also ein schlüssiges Konzept zugrunde. 
Nicht jeder Beitrag wird alle Leser gleichermaßen an 
sprechen, aber nur selten wird er vom Erkenntnisgewinn 
enttäuscht sein. Ara Ende der Lektüre dieser Versuchs 
reihe stellen sich weitere Fragen an die schreibenden 
Ethnologen: Welche Forschungsgegenstände sind es wert, 
beschrieben zu werden und wie? Wen wollen wir mit un 
seren Texten erreichen? Gibt es nicht einen Unterschied, 
ob wir für Fachkollegen, Kollegen anderer (fachverwand 
ter und fachfremder) Disziplinen oder für eine interes 
sierte Öffentlichkeit schreiben? Wie sehen die Schreib 
stile dann aus? 
CHARLOTTE BRINKMANN 
SIMON, ARTUR (HRSG.): 
Das Berliner Phonogramm-Archiv 1900-2000 - 
Sammlungen der traditionellen Musik der 
Welt. The Berlin Phonogramm-Archiv 1900- 
2000 - Collections of the Traditional Music of 
the World. Zweisprachige Ausgabe. Berlin: 
VWB - Verlag für Wissenschaft und Bildung / 
Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer 
Kulturbesitz, 2000. 264 Seiten mit Färb- und 
SW-Abbildungen. 
ISBN 3-86135-680-5 
Das Berliner Phonogramm-Archiv wurde im September 
1900 Carl Stumpf gegründet mit den ersten Tonauf 
nahmen einer thailändischen Musikgruppe. Diese Ton 
aufnahmen fertigte Stumpf mit einem Edison-Phono- 
graphen an, dem Aufnahmemedium reisender 
Ethnologen und Musikethnologen bis in die 1930er Jahre 
hinein. Die Methode der Aufnahmen auf Wachszylinder, 
wie sie beim Edison-Phonographen zur Anwendung 
kommt, stellte eine verlässliche, robuste und auch von 
Laien handhabbare Technik dar, die zudem nicht sehr ko 
stenintensiv war. Dies ermöglichte das intensive Sammeln 
von Klangdokumenten traditioneller Musik und machte 
Berlin innerhalb weniger Jahre zu einem bedeutenden 
Zentrum der Vergleichenden Musikwissenschaft. Erich 
Moritz von Hornbostel übernahm von 1905 - 1933 die 
Leitung des Phonogramm-Archivs und machte es mit ei 
ner Anzahl von über 15.000 Walzen zu einer der größten 
Sammlungen der Vergleichenden Musikwissenschaft. 
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Archiv als 
Kriegsbeute verschleppt, und es begann eine neue Ära 
der Tonbandsammlungen, die eingeleitet von Kurt 
Reinhard, später von Dieter Christensen weitergeführt 
wurden. 1972 übernahm Artur Simon das Archiv, unter 
dessen Leitung vergrößerte es sich stetig. Von den ca. 
15.000 Walzen wuchs es bis zum Jahr 2000 auf insgesamt 
150.000 Aufnahmen unterschiedlichster Medien an. 
Seit seinen Anfängen durchlief das Phonogramm-Archiv 
eine wechselvolle Geschichte. Vom Psychologischen 
Institut der Berliner Universität wurde es 1922 vom Staat 
übernommen und von der Hochschule für Musik verwal 
tet (1922 - 1933). Danach wurde es vom Museum für 
Völkerkunde übernommen (1934 - 1948), anschließend 
vom Musikwissenschaftlichen Institut der Freien Uni 
versität (1948 - 1952), und seit dem 31. März 1952 gehört 
es wieder zum Museum für Völkerkunde. Seit 1999 wird 
es wegen seiner einmaligen Schätze im „Memory of the 
183
	        
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