TRIBUS 50, 2001
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Alois I. von Liechtenstein (1759 - 1805) avancierte.
Das 2. Kapitel Ohne „Mohr“ kein Staat - auch in
Württemberg dokumentiert vornehmlich mit Beispielen
aus dem künstlerischen Bereich die Wertschätzung, die
man Afrikanern im 15. bis 17. Jahrhundert in Schwaben
entgegenbrachte. Hermann von Sachsenheims Liebes-
allegorie Die Mörin (1453), die Abbildung von Mohren in
zeitgenössischer Architektur, Sakralkunst und Heraldik
sowie die Mitwirkung realer und fiktiver Mohren bei hö
fischen Festen sprechen eine deutliche Sprache. Die kon
krete Lebenswelt einer speziellen Gruppe württembergi-
scher Afrikaner des 17. und 18. Jahrhunderts zeigt
dagegen Kap. 3 Mit Pauken und Trompeten - Afrikaner
als Musiker und Soldaten. Hofpauker und -trompeter ge
nossen aus verschiedenen Gründen hohes Ansehen. Im
militärischen Bereich waren sie bei der Befehls- und
Nachrichtenübermittlung von entscheidender Be
deutung. In Friedenszeiten wirkten sie bei Hoffesten und
im höfischen Zeremoniell mit.
Das bestdokumentierte Beispiel sozialer Integration lie
fert Christian Real (um 1643 - nach 1674). Von einem
Lindauer Patriziersohn aus der Sklaverei freigekauft,
wird der Knabe 1657 in der Heimatstadt seines Retters
getauft. Man hüte sich dabei, die religiöse Handlung als
Zwangstaufe zu diffamieren. Die Taufe bedeutete nicht
zuletzt die uneingeschränkte Aufnahme des farbigen
Täuflings in die Gesellschaft. Mit ihrem Hinweis auf die
Gleichheit der Rassen vor Gott fordert die Taufpredigt
(gedruckt 1658) nachgerade zur Toleranz auf. Real
kommt an den Stuttgarter Hof, erhält auf Wunsch und
Kosten des Herzogs eine Ausbildung zum Trompeter und
1668 eine feste Anstellung. 1669 wird er Opfer eines
Raubüberfalls. Die Täter werden gefasst, vor Gericht ge
stellt und abgeurteilt. Die erhaltenen Prozessakten erhel
len das soziale Umfeld des Hoftrompeters, dessen Haut
farbe und Abstammung dem Gericht nicht einmal eine
Erwähnung wert sind.
Bis 1767 lassen sich noch sieben weitere Pauker und
Trompeter afrikanischer Abstammung in württembergi-
schen Diensten nachweisen. Ihr fremdartiges Aussehen
sollte sicherlich auch das Prestige des Landesherrn meh
ren und seinen Machtanspruch dokumentieren. Diese
Funktion hatten zweifellos auch die als Lakaien einge
setzten Afrikaner, denen das 4. Kapitel Welt der
„Kammermohren“ gewidmet ist. Vom Beginn des 18.
Jahrhunderts bis in die 1830er Jahre standen zahlreiche
Kammermohren im Dienst des Stuttgarter Hofes. Einige
sind kurzzeitig belegt, andere dienten dem württembergi-
schen Herrscherhaus jahrzehntelang. Erstaunliches
Selbstbewusstsein legte Carl von Commani (um 1694 -
1757) an den Tag. Herzog Carl Alexander (1684 - 1737),
dessen besondere Gunst er genoss, schickte ihn sogar in
geheimer Mission zum Goldmachen nach Wien.
Seit dem späten 18. Jahrhundert finden sich Menschen
afrikanischer Abstammung verstärkt auch außerhalb des
höfischen Umfelds. Teilweise abenteuerliche Lebensläufe
schildert Kap. 5 Afrikaner in der Bürgerwelt. So erbte
Johanna Christiana Gaum (um 1775/56 - nach 1790), eine
afrikastämmige Sklavin aus Surinam, nach dem Tode ih
res württembergischen Mannes die Hälfte des Hofgutes
Katharinenplaisir bei Cleebronn. Henriette Alexander
(1817 - 1895), uneheliche Tochter eines Kammermohren
und zeitweise Star einer Kunstreitertruppe, unterrichtete
später nahe Lörrach 25 Jahre lang als Arbeitslehrerin. Ihr
verdanken wir die erste gedruckte Selbstbiographie einer
Afro-Deutschen, deren Wiederabdruck dem Aus
stellungskatalog als Anhang beigefügt wurde. Der Knabe
Daud (um 1859 - 1877) wiederum, den ein Calwer Arzt
1869 aus Kairo mitbrachte und in seine Familie aufnahm,
absolvierte eine Gärtnerlehre und arbeitete bis zu seinem
frühen Tode in der ersten deutschen Obstbau-Lehranstalt
in Reutlingen. Hermann Hesses Großvater widmete ihm
einen Nachruf.
Das Schlusskapitel Getrennte Wege - Afrikaner als
Sprachassistenten, Missionsschüler und „primitive Wilde“
veranschaulicht die Gleichzeitigkeit gegenläufiger
Tendenzen im 19. Jahrhundert. Während die medizini
sche Forschung afrikanische Frauen wie Saartje Baart-
mann, die sog. Hottentottenvenus, oder die Buschmann-
Frau Afandy teilweise zum bloßen Lehr- und
Anschauungsmaterial herabwürdigte und afrikanische
Gruppen in den beliebten Völkerschauen zur Besich
tigung freigegeben wurden, erfuhren andere Afrikaner
als Sprachinformanten, Missionsschüler und angehende
Missionare gleichberechtigte Behandlung und Aner
kennung. Als Musterbeispiel darf die Missionsgehilfen
schule von Johannes C. Binder (1834 - 1912) gelten, an
der zwischen 1871 und 1900 zwanzig Ewe ausgebildet
wurden und anschließend als Lehrer, Katechisten und or
dinierte Prediger in ihre togolesische Heimat zurückkehr
ten.
Die afrikanischen Lebensläufe, die der Stuttgarter Aus
stellungskatalog so eindrucksvoll dokumentiert, sind kei
neswegs regional bedingte Einzelfälle. In eigenen, noch
ungedruckten Untersuchungen konnte der Rezensent
nachweisen, dass von ca. 1665 bis ins ausgehende 18.
Jahrhundert in völliger Übereinstimmung mit den würt
tembergischen Verhältnissen auch am markgräflich-bay-
reuthischen Hof Afrikaner als Pauker, Trompeter und
Kammermohren bzw. -mohrinnen in Dienst standen.
Auch hier bedeutete die religiös begründete Taufe zu
gleich die gesellschaftliche Akzeptanz - nicht nur bei
Hofe, wie Eheschließungen zwischen farbigen und einhei
mischen Partnern belegen. Erst im 19. Jahrhundert tau
chen auch in Bayreuth Formen der Diskriminierung auf.
An konkretem historischen Material hat Monika Firla
überzeugend nachgewiesen, dass es in Deutschland eine
lange Tradition vorurteilsfreien Umgangs mit Ange
hörigen afrikanischer Völker gibt. Dadurch erhält ihr
Ausstellungskatalog aber eine zusätzliche Bedeutung von
höchster Brisanz und Aktualität. Politiker und Medien
vertreter werden derzeit nicht müde, wirkliche und ver
meintliche Ausländerfeindlichkeit in unserem Lande an
zuprangern. Statt ein Zerrbild deutscher Wirklichkeit zu
verfestigen, hält es der Rezensent für hilfreicher, die posi
tive Tradition im Zusammenleben mit Fremden am Bei
spiel von Afrikanern wieder ins allgemeine Bewusstsein
zu rücken und als integrativen Bestandteil deutscher
Vergangenheit darzustellen. Auch unter diesem Gesichts
punkt sei der Katalog der Stuttgarter Ausstellung als Vor
bild empfohlen.
RAINER-MARIA KIEL