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Full Text: Tribus, 50.2001,N.F.

Buchbesprechungen Allgemein 
193 
OLDENDORP, CHRISTIAN GEORG 
ANDREAS: 
Historie der caribischen Inseln Sanct Thomas, 
Sanct Crux und Sanct Jan, insbesondere der 
dasigen Neger und der Mission der evangeli 
schen Brüder unter denselben. Erster Teil: 
Kommentierte Ausgabe des vollständigen 
Manuskripts aus dem Archiv der Evange 
lischen Brüder-Unität Herrnhut. Band I der 
Gesamtausgabe. Editiert von Gudrun Meier, 
Stephan Palmie, Peter Stein und Horst 
Ulbricht. (Abhandlungen und Berichte des 
Staatlichen Museums für Völkerkunde 
Dresden, Bd. 51, Monographien 9,1). Berlin: 
Verlag für Wissenschaft und Bildung, 2000. 808 
Seiten, 14 Farbtafeln, 24 Schwarzweißtafeln. 
ISBN 3-86135-099-8, ISSN 0070-7295. 
Den Ort Herrnhut in Sachsen gründeten Mährische 
Exulanten auf der Kuhweide des Grafen Zinzendorf, also 
auf des „Herrn Hut“, im Jahre 1722, die (Erneuerte) 
Brüdergemeine entstand 1727. „Es war eine entscheiden 
de Stunde in der Geschichte der evangelischen Mission, 
als in den Morgenstunden des 21. August 1732 die beiden 
ersten Heidenboten der Brüdergemeine, vom Grafen 
Zinzendorf selbst geleitet, ihre Pilgerfahrt nach dem fer 
nen Westindien antraten.“ (Müller, Karl. 200 Jahre 
Brüdermission. Bd. 1, Herrnhut 1931, S. 3). Im Jahre 1764 
beschloss die Generalsynode der Brüder-Unität, ein zen 
trales Unitätsarchiv zu gründen und die Geschichte ihrer 
Missionstätigkeit zu schreiben. Drei große Missionsge 
schichten sollten verfasst werden: über Grönland (David 
Cranz), über die Indianer Nordamerikas (Georg Heinrich 
Loskiel) und über die dänischen Jungferninseln (Ch. G. 
A. Oldendorp). Wie damals üblich, befragte Oldendorp 
(1721 bis 1787) das Los, ob er den Auftrag annehmen sol 
le. Das JA bedeutete für Oldendorp die Erlaubnis Gottes 
zu dem Vorhaben. Auch der Bischof der Brüdergemeine 
(seit 1737), der Reichsgraf Nikolaus Ludwig v. Zinzendorf 
(1700 bis 1760), unterstützte das Vorhaben, das seine Idee 
gewesen war. Er war mit der Königin von Dänemark ver 
wandt und unterhielt deshalb Beziehungen zum dortigen 
Hofe, die nicht immer problemlos verliefen (vgl. Bötler, 
Jörgen. Zinzendorf und Dänemark, S. 74-81. Aus; 
Unitätsarchiv in Herrnhut. Graf ohne Grenzen. Verlag 
der Comenius-Buchhandlung Herrnhut, 2000). 
Etwa 10 Jahre arbeitete Oldendorp an der Niederschrift - 
um nach der Fertigstellung des Werkes erleben zu müs 
sen, dass mit der Herausgabe ein Anderer beauftragt wur 
de: der Theologe und Archivar Johann Jakob Bossart aus 
Barby. Dieser kürzte das angeblich zu umfangreiche 
Werk erheblich, besonders was die „Einleitung“ zur 
Missionsgeschichte betraf, die nunmehr erstmals nach 223 
Jahren in voller Länge vorliegt. Warum die Kürzungen, 
die Oldendorp erst nach dem Erscheinen 1777 bekannt 
wurden? Müller (op. cit. S. 342) zitiert eine Äußerung 
Zinzendorfs, wonach dieser befürchtete, dass seine 
Missionare „mit großen Büchern statt mit Seelen“ heim 
kommen. Wer das Buch gelesen hat, kann sich als Grund 
der Überarbeitung des Eindrucks nicht erwehren, dass 
die allzu realistische Schilderung des Sklavenhandels und 
der Behandlung der Sklaven der Absicht der Schrift für 
abträglich gehalten wurde, einflussreiche Förderer zu 
werben. 
Der Pfarrer Oldendorp galt als gediegener Historiker; mit 
gleicher Berechtigung könnte man ihn auch einen 
„Ethnologen“ oder „Soziologen“ nennen, wenn es diese 
Wissenschaften zu seiner Zeit schon gegeben hätte. Denn 
seine Informationen gewann er zum großen Teil durch 
das Befragen der weißen („blanken“) und farbigen Be 
wohner der damals von Dänemark okkupierten Inseln (in 
heutiger Schreibweise) Saint Thomas, Saint Croix und 
Saint John, wo sich Oldendorp vom 22. 5. 1767 bis 23. 10. 
1768 aufhielt. Daneben wertete er auch zeitgenössische 
Literatur aus, die durch Fußnoten nachgewiesen wird. 
Der Rezensent kann nur voller Bewunderung staunen, 
wie der Verfasser die Übersicht über das äußerst umfang 
reiche Material behielt. Offenbar bediente er sich dazu ei 
nes detaillierten Themenkatalogs, der dann den einzelnen 
Teilen („Büchern“) des Werkes als Überblick vorange 
stellt wurde. Diese Inhaltsverzeichnisse können dem 
Leser heute noch als Orientierung dienen, zumal ein 
Sachregister („Glossar“) erst in Band II der Gesamtaus 
gabe folgen wird. Die Verweise Oldendorps auf Seiten 
zahlen beziehen sich leider nicht auf die aktuelle Ver 
öffentlichung, sondern auf das Original-Manuskript; dies 
bedeutet mühsames Suchen. Das Werk lässt sich heute 
noch mit Interesse, stellenweise sogar mit Spannung le 
sen, beispielsweise wenn er Menschenschicksale schildert, 
die er erkundet hatte. 
Das „erste Buch“ behandelt hinsichtlich der im Titel ge 
nannten Inseln „ihre Lage; Größe, Entdeckung, Ein 
nahme und Besetzung; von dem Meer, das sie umgibt, 
ihren Keyen, Bayen, Häfen, Städten und Einteilungen 
nebst ihrem Flächenraum und den Reisen sowohl zu ih 
nen als von ihnen nach anderen Ländern“. Das „zweite 
Buch“ hat zum Gegenstand: „Von dem Clima dieser In 
seln, ihren natürlichen Begebenheiten, ihrem Erdreich 
und den Producten des animalischen, vegetabilischen und 
Stein-Reichs.“ 
Das „dritte und vierte Buch“ beinhalten heute für uns ei 
nen wertvollen Beitrag zur historischen Völkerkunde, wie 
man ihn sich aussagekräftiger und dabei unaufdringlich 
nicht vorstellen könnte. Das „dritte Buch“ trägt die Über 
schrift: „Von den Blanken oder weißen Einwohnern die 
ser Inseln und den verschiedenen Nationen der 
Schwarzen oder Neger in Guinea, aus denen sie Sklaven 
bekommen“ und gliedert sich in zwei Abschnitte: „Von 
der Verschiedenheit, Beschaffenheit, Nahrung und Ein 
richtung der Blanken“, d. h. Weißen, sowie „Von den ver 
schiedenen Nationen der Schwarzen, ihrem Vaterland 
Guinea, ihrer dortigen Religion und anderen Ge 
bräuchen, wie auch von ihren Sprachen“. 
Das vierte Buch „Von den auf den Inseln wohnenden 
Schwarzen, sowohl den Sklaven als den Freien“ gliedert 
sich in drei Abschnitte und 120 Paragraphen. Oldendorp 
schildert hier ausführlich den Sklavenhandel in West 
afrika und das Martyrium der Geraubten während der 
Überfahrt nach Amerika. Er geht auch auf deren unge 
brochenen Freiheitsdrang ein, der u.a. in Selbstmorden 
und Empörungen zum Ausdruck kam. Wir erfahren dann 
von den Wohnungen, der Kleidung und der grausamen 
Behandlung der Sklaven auf den Zuckerrohrplantagen.
	        
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