Missionar und Ethnologe
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Anthropos 89.1994
lebt er wieder in der Marienburg, frei von allen
Ämtern und nicht selbst auferlegten Pflichten.
III
P. Frick begann verhältnismäßig spät mit dem sy
stematischen Niederschreiben und der Veröffent
lichung der vielen ethnographischen Notizen, die
er neben seiner Missionstätigkeit sammeln konnte,
nämlich in seinen Jahren in Tsinghai. Die Zeit in
Südkansu war dazu nicht sehr geeignet, nicht weil
es an Stoff und der Gelegenheit gemangelt hätte,
ihn zu sammeln, sondern weil die sehr beengten
Lebensverhältnisse für ethnologische Forschung
und deren Aufarbeitung einfach keinen Raum lie
ßen. Das änderte sich erst, wie oben bemerkt, als
P. Frick in Heitsuitzu ankam.
Die ersten ethnographischen Veröffentlichun
gen P. Fricks finden sich in der internen Zeitschrift
der Tsinghai-Missionare “Am blauen See”. 8 Die
se Zeitschrift war einzig in ihrer Art: Sie wurde
nur von den Tsinghai-Missionaren geschrieben und
kein Exemplar durfte die Tsinghai-Mission ver
lassen; jeder konnte schreiben, wie er wollte und
was er wollte, es gab keinerlei Zensur. Sie war
also ein Diskussionsforum, wo jeder der Missio
nare seine Erfahrungen, Überlegungen, Gedanken
Vorbringen konnte, und im Lauf der Jahre haben
sich fast alle Missionare daran beteiligt. Zwischen
1942 und dem Einbruch der Roten Armee 1949
erschienen ca. 32 Hefte mit über 2000 Seiten. Alle
vorhandenen Exemplare wurden beim Anrücken
der Kommunisten verbrannt, keines hatte den Weg
nach draußen gefunden. 9 Gerettet wurden lediglich
Listen der Titel der größeren Beiträge. P. Frick
veröffentlichte demnach 1948 und 1949 folgende
ethnographische Aufsätze: “Der Lohn der Feldar
beiter im Westtal von Sining”, “Die Pockenimp
fung bei den Tsinghai-Chinesen”, “Aberglaube im
Westtal von Sining”, “Abergläubische Schutz- und
Heilmittel für Kinder”, “Verlobungssitten im West-
tal”, “Chinesische Märchen”, “Strafe für Untreue
im Beten bei den Heiden in Tsinghai”. Ein Blick
auf die Bibliographie P. Fricks zeigt, daß er hier
Themen behandelt, die er in späteren Publikatio
nen wieder aufgreift (vgl. z. B. Frick 1950, 195lfr,
1952a, 1952fr, 1954a, 1954fr).
Außergewöhnlich wie “Am blauen See” war
8 Der vollständige Titel war “Christi Kreuz am blauen See”,
benannt nach dem großen See “Ching-hai” (“Koko-nor”),
der der ganzen Provinz den Namen gibt.
9 Die Angaben der verschiedenen Quellen sind ungenau und
z. T. widersprüchlich.
ein weiteres Projekt der Tsinghai-Missionare: Die
Herausgabe eines Buches mit Beiträgen zur Eth
nographie Tsinghais zum 75-jährigen Jubiläum der
SVD (1950). Die Idee kam irgendwann 1948 auf
und sie wurde umgehend realisiert. P. Frick und
P. Eichinger übernahmen die Organisation und Re
daktion, sechs weitere Missionare beteiligten sich
mit Beiträgen; die eingehenden Artikel wurden ge
lesen, verbessert, teils ganz neu geschrieben - eine
mühsame Kleinarbeit, für die oft die Nachtstunden
geopfert werden mußten. Die beiden Redakteure
steuerten selber mehr als die Hälfte des Textes
bei (189 von 354 Seiten); von P. Frick stammen
die Beiträge: “Hochzeitssitten von Hei-tsui-tzu in
der Provinz Ch’ing-hai” und “Lohnverhältnisse der
Landarbeiterinnen in Ch’ing-hai”; mit P. Eichinger
gemeinsam zeichnet er als Verfasser für den Auf
satz “Tiere im Volksleben”. Obwohl die Redak
tionsarbeiten bereits Mitte 1949 abgeschlossen und
die Manuskripte zur Redaktion der “Folklore Stud-
ies” nach Tokio abgeschickt waren, erschien das
Buch erst 1952. Es erregte natürlich ein gewisses
Aufsehen, denn als Gemeinschaftswerk von Mis
sionaren eines Gebietes war es einzigartig; hinzu
kommt, daß es Stücke hervorragender Ethnogra
phie bietet (vgl. Frick und Eichinger [Hrsg.] 1952).
Medizinethnologische Themen behandeln drei
Aufsätze, die noch vor der Rückkehr von P. Frick
nach Europa im Anthropos erschienen: “Magische
Schutzmittel für Kinder aus dem Westtal von Si
ning” (1950), “Magic Remedies Used on Sick
Children in the Western Valley of Sining” (1951b),
“How Blood is Used in Magic and Medicine in
Ch’inghai Province” (1951a). In zwei späteren
Aufsätzen greift er noch einmal ähnliche Themen
auf: “Medical Uses of Substances Derived from
the Animal Organism (in Tsinghai)” (1957) und
“Körpergeruch als Krankheit” (1963a). Beiträge
dieser Art spiegeln die intensive Erfahrung, die er
in der Behandlung von Kranken machte, wider.
Selbst die Jahre des Studiums der Ethnolo
gie (1953-1955) an der Universität Wien lassen
P. Frick noch Zeit für weitere Publikationen. 1954
publiziert er in der Micro-Bibliotheca Anthropos
einen Band mit 60 Märchen und Schwänken, die er
zwischen 1949 und 1951 in Heitsuitzu gesammelt
und aufgezeichnet hatte; in dem begleitenden Auf
satz “Märchen aus Ch’ing-hai” (1954fr) analysiert
er die Texte, beschreibt er die Quellenlage und
stellt er seine Informanten vor, siebzehn insgesamt.
Aus dieser Zeit stammen auch die beiden kleineren
Beiträge: “Der Traum und seine Deutung bei den
Chinesen in Ch’ing-hai” (1954c) und “Wiederver
söhnung des verletzten Erdgeistes. Ein Brauch im
chinesisch-tibetischen Grenzgebiet” (1954d).