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mcht streng abgegrenzt sein, da sich auch Arbeiter von anderer politischer
Gesinnung sowohl in den Gewerkschaften wie in den Gewerkvereinen be
finden. Drei Hauptgruppen sind zu unterscheiden: die freien Gewerk
schaften (sozialdemokratisch), die Hirsch-Dunckerschen Gewerkver
eine (freisinnige Volkspartei, wenigstens gehörten ihre Gründer zu der
damaligen Fortschrittspartei. Allerdings sind viele Gewerkvereinler sich wohl
bewußt, daß einzelne der freisinnigen Parteien ihre Arbeiterinteressen durch
aus nicht in allen Punkten vertreten), die christlichen Gewerkschaften
(Zentrum und Konservative). Die evangelischen und katholischen Arbeiter
vereine kommen für diese Abhandlung nicht in Betracht, da sie keine her
vorragende Bedeutung für die Gewerkschaftsbewegung haben und auch keine
weiblichen Mitglieder ausnehmen.
Die „freien Gewerkschaften", die ausgedehnteste und mächtigste Or
ganisation in Deutschland, sind in den sechziger Jahren entstanden. Zu
nächst hatten sich einzelne kleine Arbeitervereine gebildet, im September
1868 wurde auf Betreiben des Sozialdemokraten von Schweitzer ein so
genannter „Gewerkschaftsbund" konstituiert. Nach der letzten Zählung von
1903 haben es die freien Gewerkschaften auf 887 698 Mitglieder gebracht,
darunter 40 666 weibliche?) Die Zahl wäre sicher noch viel bedeutender,
wenn den Gewerkschaften eine ruhige Entwicklung vergönnt gewesen wäre.
Die Entwicklung ist jedoch eine sehr stürmische gewesen; die Gewerkschaften
hatten mit zu leiden unter den Entwicklungsphasen, welche die sozial
demokratische Partei in den eigenen Reihen durchzumachen hatte, und
durch die Kämpfe, welche ihr von außen drohten, besonders durch das
Sozialistengesetz. Es würde den Rahmen der vorliegenden Broschüre überschreiten, all'
diese Schicksale zu erörtern, es kann hier nur auf die einschlägige Lite
ratur verwiesen werden?) Ihre feste, noch heute giltige Organisations
form erlangten die Gewerkschaften im Jahre 1890, wo die General-
k o m Mission gebildet wurde, welche gewissermaßen den geschäftssührenden
Ausschuß und geistigen Mittelpunkt für die ihr angeschlossenen gewerk
schaftlichen Verbände darstellt. — Aus taktischen Gründen sowohl, als
auch im Interesse einer gedeihlichen Entwicklung hat sich die Mehrzahl
der Gewerkschaften politisch neutral erklärt. (Es gibt eine Reihe Vereine,
dre der Generalkommission nicht angeschlossen sind, weil sie ihren sozial
demokratischen Charakter betonen. Für uns kommen sie hier nicht in
Betracht, weil sie als „politische Vereine" nach den meisten einzelstaat-
üchen Vereinsgesetzen Frauen nicht aufnehmen dürfen.) Die Tendenz der
Gewerkschaften ist am besten wiedergegeben mit den eigenen Worten des
Vorsitzenden der Generalkommission, Karl Legien, in seiner Schrift „Die
deutsche Gewerkschaftsbewegung", S. 8:
^ ^ /-Die Gewerkschaften gehen von der Überzeugung aus, daß zwischen Kapital unk
Arbeit eine unüberbrückbare Kluft besteht. Das heißt nicht etwa, daß die Kapitalisten
Z Vergl.: Korrespondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutsch
lands vom 9. Juli 1904.
2) Bxrg,. u, Illustriertes Konversationslexikon der Frau, Bd. I. Arbeiterinnen-
bewegung. Legien: Die deutsche Gewerkschaftsbewegung. — Kulemann: Die Ge-
werkichaftsbewegung. — Sombart: Dennoch! — Schmöle: Die sozialdemokratischen
Gewerkschaften m Deutschland seit dem Erlasse des Sozialistengesetzes-