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und die Arbeiter als Menschen nicht Berührungspunkte finden könnten, sondern be
deutet, daß die auf Boreuthaltung eines Teiles des vom Arbeiter geschaffenen Ertrages
der Arbeit beruhende Kapitalsanhäufnng ein besitzloses Proletariat bedingt, welches
seine Arbeitskraft um jeden Preis verkaufen muß. Zwischen denen, welche diese Zu
stände aufrecht erhalten wollen, und den besitzlosen Arbeitern ist eine Scheidewand vor
handen, welche nur durch Beseitigung der Lohnarbeit aufgehobeu werden kann. Hier
decken sich also die in den Gewerkschaften vorhandenen Anschauungen mit denen der
sozialdemokratischen Partei. Ebenso herrscht Übereinstimmung darüber, daß dem Staate
die Berpflichtung zusällt, aus gesetzgeberischem Wege in die Arbeitsverhältnisse ein
zugreifen. . . .
In erster Linie aber sind die Gewerkschaften bestrebt, durch die Macht ihrer Or
ganisation den Arbeitsvertrag zu ihren Gunsten zn gestalten, bewachten es aber nicht
als ihre Aufgabe, die erwähnten Tendenzen zu propagieren, halten diese Propaganda
vielmehr für eine Aufgabe der sozialdemokratischen Partei und ihrer Organisationen."
In diesem letzten Satze liegt, daß die Gewerkschaften vor allem prak
tische Gegenwartsarbeit leisten wollen; vorläufig streben sie Reformen
innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung an. Die
Gewerkschaften sehen allerdings die sozialdemokratische Partei als diejenige
an, von der sie die nachdrücklichste Vertretung der Arbeiterinteressen im
Parlamente erwarten, aber sie verwahren sich dagegen, als Vorschule für
die Partei, als „Rekrutenerziehungsanstalt", wie Legien es S. 11 aus
drückt, angesehen zu werden. Sie wahren auch ihre politische Neutralität
insofern, als sie weder bei der Aufnahme, noch in den Statuten irgend
wie nach dem politischen Bekenntnis ihrer Mitglieder fragen. Die Ge
werkschaften sind „Kampforganisationen", d. h. sie erklären den Streik
für ein berechtigtes Mittel zur Erringung besserer Lohn- und Arbeits
verhältnisse. Trotzdem wenden gerade gut geleitete Organisationen den
Streik nur im äußersten Falle an, da sie wissen, eine wie zweischneidige
Waffe er ist. In erster Linie suchen die Gewerkschaften ihre Ziele —
genau wie die übrigen Organisationen — auf friedlichem Wege zu er
reichen, z. B. durch Kollektivabmachungen mit den Arbeitgebern hinsicht
lich der Lohntarife, Ausbau des Gewerbegerichtswesens, Einrichtung von
Arbeitsnachweisen u. a. Immer mehr Aufmerksamkeit wenden ferner die
Gewerkschaften in neuester Zeit dem Unterstützungswesen zu, weil sie wissen,
daß die „lauen" Mitglieder oft viel fester durch die Kassenverhältnisse an
ihre Organisation gefesselt werden, als nur durch die Macht der Idee.
Allen drei Organisationsgruppen ist ferner der Weg gemeinsam, für
Aufklärung und Bildung unter ihren Mitgliedern zu sorgen, durch Ver
anstaltung von Vorträgen, Einrichtung einer Bibliothek, Herausgabe eines
Fachorgans usw.
Wir kommen nun zu der zweiten Gruppe, den Hirsch-Duncker-
schen Gewerkv ereinen, die von fortschrittlicher Seite 1868 gegründet
wurden. Sie zählten im Jahre l903 110 215 Mitglieder^. Die ein
zelnen Gewerkvereine sind zu einem „Verband der deutschen Gewerkvereine"
zusammengeschloffeu, an dessen Spitze als oberste Verwaltung der sog.
„Zentralrat" steht. Im Herbst des Jahres 1868 versuchte 1)r. Max
Hirsch den englischen Trade-Unionismus nach Deutschland zu übertragen.
Sein Plan stieß auf sehr scharfe Opposition, und zwar hauptsächlich bei
den revolutionär-sozialistischen Arbeitern. Dies war wohl auch vor allem
der Grund, daß die durch Or. Hirsch angebahnte Verständigung mit den
3) Laut Geschäftsbericht.