Skip to main content
Page Banner

Full Text: Arbeiterinnenorganisation und Frauenbewegung

7 
kratisch". Von der Verquickung wirtschaftlicher und religiöser Fragen sieht 
die christliche Gewerkschaftsbewegung ab, besonders warnt die oben er­ 
wähnte Schrift vor der Spaltung in konfessionelle Organisationen. Die 
christlichen Gewerkschaften stehen, wie die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine, 
auf dem Boden der heutigen Gesellschaftsform, die sie als „von Gott ein­ 
gesetzte natürliche sittliche und rechtliche Ordnung" hinstellen. Auch den 
sogenannten Harmoniestandpunkt teilen die christlichen Gewerkschaften mit 
den Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen. Trotzdem kommen sie in manchen 
Punkten den „freien Gewerkschaften" viel näher, als den Hirsch-Duncker­ 
schen Gewerkvereinen, so in der Art ihrer Organisation und den stärkeren 
Lohnbewegungen. Einzelne Mitarbeiter der christlichen Gewerkschaften stellen es direkt 
als erstrebenswertes Ziel hin, daß die Trennung in freie und christliche 
Gewerkschaften aufhört. Sie meinen, die Trennung wäre nicht nötig ge­ 
wesen, wenn die Gewerkschaften sich auf ihre wirtschaftlichen Aufgaben 
beschränkten, nicht durch antichristliche Reden und Artikel die Gefühle der 
christlichen Arbeiterschaft kränkten, sondern ihre politische und religiöse 
Neutralität auch wirklich voll bewahrten?) So sehr auch die durch Grün­ 
dung der christlichen Gewerkschaften herbeigeführte Zersplitterung zu be­ 
klagen ist, so sollten, meines Erachtens, die Leiter der freien Gewerkschaften 
diesen Gedanken ernste Beachtung schenken. Tatsächlich steckt in der Arbeiter­ 
schaft, besonders in dem weiblichen Teil, ein Zug, der im alten beharren 
möchte. Viele werden von den Gewerkschaften nur zurückgestoßen, wenn 
zu energische Umsturzideen dort gepredigt werden, und wo in einem mensch­ 
lichen Herzen noch der feste Glaube wurzelt, sollte nicht darüber gespottet, 
sondern diesem Glauben dieselbe Achtung wie für andere Weltanschauungen 
gezollt werden. 
Vergleichen wir die Tendenzen der drei Gruppen, so sind die Haupt­ 
unterschiede: 1. der Harmoniestandpunkt, den die freien Gewerkschaften 
nicht einnehmen, 2. die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine und die christ­ 
lichen Gewerkschaften respektieren die heutige Gesellschaftsform, die Gewerk­ 
schaften sehen sie als etwas an, das „überwunden werden muß". 
Bei der Beurteilung des ersten Punktes kann man, wie die Dinge 
jetzt noch liegen, nur den freien Gewerkschaften zustimmen. Selbstver­ 
ständlich ist 'die gute Entwicklung der Industrie von gleichem Wert für 
Arbeitgeber wie Arbeitnehmer. Aber die Arbeitgeber wollen möglichst 
hohe Profite gewinnen, die Bestrebungen einer kräftigen Organisation 
(Verkürzung der Arbeitszeit, höherer Lohn usw.) gehen jedoch darauf aus, 
die Lage des Arbeitnehmers zu verbessern, zielen also indirekt dahm, diese 
Profite zu schmälern. 
Was nun den zweiten grundsätzlichen Unterschied, die Anerkennung, 
resp. Nichtanerkennung der heutigen Gesellschaftsordnung betrifft, so braucht 
man nicht an den sozialistischen Zukunstsstaat zu glauben und kann doch 
der Meinung sein, daß unsere heutige Gesellschaftsform nicht die beste 
aller Welten darstellt. Wir halten die heutige Gesellschaftsordnung durch­ 
aus nicht für eine von Gott eingesetzte natürliche Ordnung, sondern nur 
für eine äußere Form, die sich ändern und entwickeln wird. 
8) Bergl.: Die christlichen Gewerkvereine, S. 39.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.