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Full Text: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, 1.1891

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Meitzen: 
Zunächst musste erst wieder bewohnbares Land entstehen. Dieser 
Prozess war langsam. Mehrmals schwankte die Vereisung. Zuerst ver¬ 
breiteten sich zwischen den wandernden Dünen im Staub und Sand des 
Gletscherschuttes Steppenpflanzen und Steppenthiere. Dann kamen Gräser 
und Waldbäume, weniger von Süden durch die engen Thäler der Alpen, 
als von der breiten Grenze mit der russischen Ebene. Diese grüne Decke 
erlangte durch die Sommerregen fast ununterbrochenen Zusammenschluss, 
aber sie enthielt, ausser einigen Waldbeeren, keinerlei geniessbare Frucht. 
So wurde das Land eine gleichförmige Einöde von Wald, Sumpf und Heide. 
Jahrtausende können hier Finnen als Jäger umhergeschweift sein, 
wie sie es noch heute in Sibirien und Lappland thun. Wir kennen kein 
anderes Yolk zwischen uns und dem Polareise. Vielleicht sind die Trolls, 
die Zwerge und Heinzelmännchen der Kiifhäuser- und anderer Sagen noch 
eine Erinnerung an sie. 
Sicher wissen wir, dass in absehbarer Zeit die Kelten von Osten kamen 
und das Donau- und Rheingebiet in Besitz nahmen, in welchen noch heute 
jeder Fluss ohne Ausnahme einen keltischen Namen trägt. 
Den Norden aber überliessen sie den Germanen, von deren Ver¬ 
breitung zwischen Weichsel und Nordsee uns Tacitus die erste Völker- 
tafel giebt. 
Das Bild des Stammeslebens dieser Hirtenvölker besitzen wir deut¬ 
lich in dem gemeinsamen Sprachschatze der Indogermanen, der sie schon 
vor ihrem Aufbruche aus der fernen Heimat schildert. Sie lebten nicht 
als Wilde, sondern in geordneten Ehen und als Geschlechtsverbände unter 
Häuptlingen, reges, Richtern und Vornehmen, ausgerüstet mit allen unseren 
Hausthieren, mit der Kenntniss des einfachen Haushaltes und des Acker¬ 
baues, den auch die Steppennomaden nicht entbehren können, und weideten 
ihr zahlreiches Vieh in grossen Lagergenossenschaften. Diese weide¬ 
wirtschaftlichen Genossenschaften finden wir bei allen Deutschen als 
Hundertschaften von ungefähr 120 Familien wieder, mit den unentbehr¬ 
lichen Heerden von mindestens 3000 Stück Grossvieh. 
Denkt man sich ein solches Wandervolk aus der russischen Ebene 
im vorschreitenden Weidegange allmählich heranziehend durch das Thor 
zwischen den Karpathen und den unergründlichen Pripetsümpfen, wo 
konnten sie Veranlassung haben, Halt zu machen? 
Alle Umstände lehren leicht, dass dazu die Saalegegenden am 
meisten einladen mussten. Wenn die Hirten dem Fusse der Karpathen und 
Sudeten folgten, fanden sie keinen schöneren und fruchtbareren Boden 
als den Ostharz und die Magdeburger Börde. Aber noch ein anderer Vor¬ 
zug musste sie hier festhalten, das Salz. 
Alle Weidegegenden Turkestans und Ostrusslands haben Überfluss an 
Salz. Zogen sie weiter, so mussten sie es entbehren. Ob bei Wielitzka 
und an der Sula schon damals Solquellen bemerkbar waren, ist unsicher.
	        
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