Land und Leute der Saalegegenden.
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Jedenfalls war der weitere Weg durch Schlesien und die Lausitzen wieder
oline Salz. Dann aber kamen sie an die Saale, nach Halle, an den salzigen
See, an die Selke, deren Namen schon zeigen, dass ihre feine Zunge den
Salzgehalt empfand.
Diese Stätte bot aber auch noch mehr. Nach allen Seiten öffneten
sich reiche und fruchtbare Thäler, nach der Pleisse und oberen Saale,
nach der Unstrut, der Helme, nach der Wipper, Selke, Bode, Unterelbe,
Nuthe, Untersaale, Oberelbe und Muhle. Wie yon Natur, war den Hirten¬
stämmen hier die Yertheilung in die einzelnen Weidereviere geboten, in
denen sie sich nicht störten und reiches Genüge fanden.
Die Scheidung der Stämme mochte Yerwandschaft bestimmen; die
stets von der gleichen Zahl gedachten und bezeichneten Hundertschaften
konnten sich nicht nach Geschlecht oder Familie richten, sondern waren
durch den Bedarf an Hirten- und Arbeitskräften bedingt. Man kann an¬
nähernd berechnen, wie viel Nahrung ein Hirtenlager von 1000 Seelen
bedarf, wie viel Stück Vieh dieselbe gewähren und wie viel Futter nötig
ist, um dieses Yieh zu ernähren. Dabei bleibt es sich für den Ertrag und
für den Futterbedarf gleich, welcher Viehgattung die Heerden angehören.
Rindvieh, Pferde, Schafe, Schweine, Ziegen lassen sich auf Grossvieh
reduzieren. Danach lässt sich sagen, dass 1000 Seelen etwa 6 Quadrat¬
meilen bedurften, so lange das Land ganz roh war. Auf 600 Quadratmeilen
zwischen Thüringer Wald, Erzgebirge, Havel und Unterharz konnten also
100 000 Menschen leben. Nachdem sie aber Wälder niedergebrannt,
geraume Weiden geschaffen und etwas Ackerbau eingerichtet hatten,
konnten sie bis auf das Doppelte, im äussersten Fall vielleicht bis zu
300 000 Seelen anwachsen. Unsere heutige Bevölkerung vermag sich in
100 Jahren zu verdreifachen. Damals wird die Sterblichkeit der Kinder
und Alten grösser gewesen sein. Aber einmal musste sich der Raum
füllen und die Auswanderung beginnen.
Dafür haben wir auch sprechende Zeugnisse, Zeugnisse, welche deut¬
lich beweisen, wie bestimmt und wie lange die Saalegegenden der Ursprung
und das Herz des alten Deutschlands geblieben sind.
Tacitus erzählt uns, dass hier die Semnonen wohnten, die sich für
das älteste und edelste Volk der Sueven erklärten, was durch heilige
Gebräuche beglaubigt werde. Alle Völker von gleichem Blute schickten
Gesandtschaften hierher zu Menschenopfern in einem heiligen Haine, deren
Feierlichkeit dahin deute, dass hier die Wiege des Volkes, hier der
Herrscher des Weltalls, Gott, alles Andere unterwürfig und gehorsam sei.
Aber diese Wiege des Volkes wird auch durch die Landschafts¬
namen bestätigt, deren sicheres, dauerndes Festhalten eine besondere,
durch das Bedürfnis der Orientierung geforderte Eigentümlichkeit des
Nomadenlebens ist.
Am Ostharz im Mansfeidisch en liegt die etwa 18 Quadratmeilen
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