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Full Text: Globus, 17.1870

234 Dr . Nachtigal's Bericht über seine Reise ' 
Zukunft wenig dienen konnte . Einige Wenige näherten sich mir , und zwar solche , die Fezan bewohnt hatten , mehr oder weniger arabisch sprachen und also einen gewissen Anspruch auf Bildung erhoben . Unter diesen befand sich der Fighi oder Maalem , wie die Tibbu sagen , deren sie zwei besitzen , welche beide im Flnßthale Bardai wohnen , ein junger Mann , von dunklerer Hautfarbe , als der Durchschnitt zeigte , und regelmäßigen , zarten , fast weiblichen Zügen . 
Der Sultan sei , berichtete man , in der Nacht znrückge - kehrt ( ich glaube , er war stets in seiner Behausung gewesen ) und erwarte die Gesellschaft der Edlen , um Uber den nie da - gewesenen Fall eines Christenbesuches und die zu nehmenden Maßregeln Rathes zu pflegen . 
Von den eigentlichen Einwohnern Bardais war Niemand erschienen . Dieselben hielten nach ihrem feindseligen Ge - bahren des vorhergehenden Abends ihr Recht aufrecht , keinen derartigen Fremden in ihrem Thale zu dulden , behaupteten , daß sie keineswegs dem Sultan zugestimmt hätten , mich zu diesem BeHufe einzuladen , und verlangten , daß ich , wenn ich hinlängliche Güter bei mir führe , ausgeplündert und meinem Schicksale überlassen , wenn ich aber nichts für sie habe , zu meiner Bestrafung , zur Abschreckung für Fremde und zu ihrer eigenen religiösen Erbauung umgebracht werde . 
Glücklicherweise besteht ein natürlicher Antagonismus zwischen den Leuten von Bardai und den eigentlichen Tibbu Reschade der westlichen Thäler . Jene sind vulgären Ur - spruugs , arbeiten in Folge der günstigeren Bodenverhältnisse etwas mehr und sind folglich nicht so ghasienbereit und reise - lustig , als ihre westlichen Brüder . Diese dagegen sind zum großen Theile edlen Ursprungs und sind aus die Beute der Ghasieu uud den Ertrag ihrer Reisen angewiesen . Haupt - sächlich ist es wohl der aristokratische Ursprung , welcher ihnen ein Gefühl der Ueberlegenheit den Bardaiern gegenüber giebt , und das sich im vorliegenden Falle zu unserm Vortheile gel - teud machte . 
Unsere Begleiter ließen also , unterstützt von ihrem An - hange , den Bardaiern als Antwort auf obige Erklärung die höhnische Aufforderung zugehen , mich mit Gewalt zu nehmen , wenn sie es wagten ; sie selbst und ihre Waffen seien bereit . So wenig Ernst es ihnen mit diesen Worten war , denn sie würden nun und nimmer mit ihren Brüdern um ein so uu - lauteres Object , als einen Christen , einen Speerwurf aus - getauscht haben , so entsprach doch Niemand dieser Anssorde - ruug , sondern man begnügte sich , durch Bearbeitung des Snltans auf weniger gewaltsamem Wege zum Ziele zu kommen . 
Ein Sultan von Tibesti ist eben keine sehr autoritätvolle Persou . Er geht abwechselnd ans einer der vier Branchen der Tomaghera ( Tomara ) , die im Lande wohnen , hervor , wird feierlichst eingesetzt , indem man einige Ziegen schlachtet , ihm ein Zelt , einen Teppich , einen rothen Tarbusch ( Takia ) mit Turban als Nationalaussteuer osserirt und bleibt lebeus - länglich iu seiner hohen Stellung . Dieselbe ist jedoch , wie gesagt , au sich selbst nicht sehr einflußreich nnd uoch weniger lucrativ . Sie bringt keinerlei Civilliste mit sich , noch die Verwaltung von Staatscassen oder Nationalbesitzthümern , da die glücklichen Einwohner keinerlei Steuern zahlen . Er - wirbt sich der Staatschef uichts durch eigene Thätigkeit und Anstrengung , so kann er trotz seines hohen Amtes iu kläg - licher Armuth verharren , nur daß man wohl stets Respect genug vor der Würde des „ Dardei " hat , ihn mit hinläng - licher Nahrung zu versehen , wenn er dieselbe aus eigenen Kräften nicht schaffen kann . Er würde einige Einnahmen habeu durch den Zoll passirender Karawanen ( Fezan - Wadai ) und die pflichtmäßigen Geschenke reisender Kanflente , wenn 
n Mursuk zu den Tibbu Reschade in Tibesti . 
die ersteren noch existirten uud die letztere» sich in dies ver - rnsene Land wagten . 
Die einzige wirklich selbständige Berechtigung des Sul - tans scheint darin zu bestehen , bei zu unternehmenden Ghasien den Anführer , der allein commandirender Chef ist , zu eruen - nen . Bei der Frage , ob eine solche zu unternehmen sei oder nicht , ist feine Stimme ebenfalls vom größten Gewicht , doch nicht immer entscheidend , da deren auch gegen seinen Willen und seine Ansicht unternommen werden . 
Im Uebrigeu kann er kaum irgeud eine Frage , welche das Gemeinwohl interessirt , entscheiden : es muß in Gemein - schaft mit dem Rathe der Edlen geschehen . Selbst die Ge - rechtigkeitspflege ist kein feiner Stellung inhärirendes Attri - but . Sie vollzieht sich nach den traditionellen Gesetzen des Usus , uud zur Applicirung dieses Allen bekannten Codex ge - nügt jeder angesehene ältere Mann . Zur Entscheidung von streitigen Fällen , zur Vergleichuug Streitender u . s . w . ist es durchaus nicht nöthig , znni Sultan zu gehen , sondern der Ausspruch jedes angesehenen alten Maina , oder nöthigeufalls zweier oder dreier derselben , wird eben so gut gehört , als die Stimme des Staatsoberhauptes . Hört der Verklagte nicht die Entscheidung jener , so folgt er ebensowenig dem Urtheile des „ Dardei " , sondern der Geschädigte sucht sich selbst Recht durch feine Waffen . Die Strafen bestehen alle in Vermö - gensstrafen , die , da ja kein Ankläger im Interesse des Ge - meinwohls existirt , dem Benachtheiligten zu Gute kommen . Diebstahl , Verleumdung , Beleidigung werden so durch eine Buße von Kameelen , Schafen , Ziegen oder Cham gesühnt , und modifieirt sich diefe nach den Vermögensverhältnissen des Schuldigen . •— Blut kann nur durch Blut gesühnt werden . Ein Mörder ist stets der Blutrache verfallen und wird lan - desflüchtig , doch Niemand verfolgt ihn außer Landes . Fezan birgt zahlreiche landesflüchtige Mörder aus Tibesti , die uu - behelligt und harmlos hier unter ihren Landsleuten weilen . Erst nach langen Jahren freiwilligen Exils stimmt die Fa - milie des Ermordeten zuweilen zu , gegen ein beträchtliches Geldopfer deu Mörder wieder in der Heimath zuzulassen . Verwundungen im Zorn werden durch Blut gesühnt , bis man sich einigt oder der Verwundete gerächt ist . 
Ehebruch bleibt unbestraft , wenn man den Schuldigen nicht auf der That ertappt . In letztem Falle tobtet der beleidigte Gatte den Eindringling in feine heiligen Rechte . Verbotener Umgang mit einem jungen Mädchen endigt mit der Ermordung Beider , wenn die Entdeckung auf der That statthat . In beiden Fällen findet keine Untersuchung znr Constatirnng und Bestrafung des Factnms statt , wenn eben nicht das Oeularzeuguiß der beleidigten Ehemänner und Vä - ter vorliegt . Uebrigens sind diese Fälle außerordentlich sel - teu , wie ich nach den bestmöglichst gesammelten Zeugnissen sagen muß . 
Eiue der schlimmsten Beleidigungen , welche man einem Tibbu ins Gesicht schlendern kann , ist die Benennung „ Schmied " . Diese sühnt sich selten dnrch Geldbuße , sondern meist durch Blut . Aus welchem Grunde das Gewerbe eines Schmiedes derartig verachtet ist , bin ich ebensowenig im Stande zu sagen , als Rohlss , der diese Thatsache auch in Erfahrung gebracht hat . „ Verachtet " ist nicht das richtige Wort , denn es giebt nicht das gemischte Gefühl wieder , mit dem man einen Schmied betrachtet . Allerdings wird ihn Niemand als Seinesgleichen betrachten , Niemand eine Verwandtschaft - liche Verbindung mit ihm eingehen , Niemand seinen Sohn zu solchen : Gewerbe hergeben . Doch auf der andern Seite wird Niemand mit ihm streiten , Niemand ihm Leides zufügen , gerade wie es eine große Schande ist , einen Knaben zu wunden , selbst wenn derselbe angreifender Verwunder war , oder einer Fran Leides zu thuu . Daß man hier dem Schmiede
	        
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