Ein Seebad ii
Weise . Zum Beweise holte der 'Doctor mir den oben be - zeichneten Band des Journals der Asiatic Society und schlug darin eine Abhandlung aus , die den Titel führt : „ A Pic - nic in ancient India . By Babu Rajendra Lal Mit - tra . " Ein Ueberblick dessen , was ich darin gelesen , wird auch dem deutschen Publicum nicht unwillkommen sein .
Herr Rajendra Lal Mittra , wie der Name zeigt ein ein - geborener indischer Gelehrter , schöpft den Stoff zu seinem Cnltnrbilde aus jenem umfangreichen Sanskritepos , wel - ches uns unter dem Namen Maha - bharata bekannt ist . Die Sceue des Seebades , oder des Picknicks , wie der Balm es nennt , ist Pind arak a , ein kleiner Seeplatz an der Küste Gndscherats , in der Nähe von Dwaraka , der „ Stadt der Thore " , welche die Hauptstadt des Gottes Krischua war , der berühmtesten und bekanntesten Jncarnation Wischnus . Der Ort selbst wird als eine Tirtha , heiliger Badeplatz , bezeich - net , obwohl der Ausflug Krischua's dorthin mit der Religion nichts zu schaffen hatte , sondern rein dem Vergnügen ge - widmet war .
Krischna , der halbgöttliche Held des Gedichts , und ein berühmter Gelehrter , Narada , dessen Schriften noch jetzt nicht ohne Bedeutung sind , werden uns als die Hauptmitglieder der Gesellschaft vorgestellt . Doch obgleich das Gedicht nicht unterläßt Krischua's göttliche Eigenschaften gehörig ins Licht zu stellen , so zeigt sich dieser Gott aus der Erde doch recht irdisch ; er erfreut sich am Seebad und der Jagd , am Essen und Trinken wie alle Sterblichen . So erhalten wir ein Bild des damaligen wirklichen Lebens , das nur hier und da durch die Liebe zum Wunderbaren leicht entstellt wird , mit - hin als ein Cnltnrgemälde aus dem alten Indien aufgefaßt werden darf .
Nachdem Krischna sich zu einem Besuche der Meeres - küste entschlossen , überließ er die Regierungssorgen in seiner Hauptstadt einigen Freunden und machte sich alsdann mitsei - ner Familie auf den Weg . Letztere war sehr zahlreich , denn nicht weniger als 16 , 000 Weiber waren gegenwärtig . In besonderen Abtheilungen machten sich gleichzeitig auf die Reise der weise Balarama , der Beherrscher des Gebiets Dschanardana , und andere Fürsten von göttergleichem Ruhme . Mit ihnen gingen auch Tausende von Courtisanen , die mit ihren Reizen Handel trieben ; gefangene Frauen , welche durch dieDschada - was in die Stadt gebracht worden , waren dort von Krischna zurückbehalten worden , um Streit und Zank zu verhüten , der sich wegen der Weiber leicht erhob . Balarama war von seinem über Alles geliebten Weibe Revati begleitet ; mit Gnirlanden von wilden Blumen geschmückt und Wein schlür - send , belustigte er sich mit ihr in den Gewässern des Oceans .
Es scheint Sitte der Ehemänner gewesen zu sein , mit ihren Frauen zu tanzen , zu singen und Spiele zu treiben . Die Treue , welche Balarama gegen seine eine Frau bewies , wird als etwas Lobeuswerthes , jedoch sehr Ungewöhnliches hingestellt . Von Jungfrauen ist in dem ganzen Berichte keine Rede ; er erzählt nur von Frauen und Courtisanen , und diese verkehrten , ohne irgend welchen Anstoß , in der un - gezwungensten Weise ans gleicher gesellschaftlicher Stufe mit einander . Ganz entschieden muß nach allem , was wir aus den altindischen Schriften ersehen können , die Moralität in Indien auf einer weit tiefern Stnfe gestanden haben als selbst jetzt . Die Demimonde trieb damals denselben Luxus wie heute , sie zeichnete sich , wie mehrfache Stellen des Tex - tes ausweisen , durch auffallende und verlockende Kleidung ans und verkehrte in der „ guten Gesellschaft " . Sehen wir nun , wie die alten „ Badegäste " sich amüsirten und wie sie badeten .
„ Krischna unterhielt sich in vielerlei Formen mit seinen 16 , 000 Frauen . Sie standen enkeltief , knietief oder brüst -
Globus XXIV . Nr . 16 .
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tief , je nach ihrem Belieben , im Wasser und schütteten heiter und vergnügt Wasser über ihn ans , so wie der Himmel es über die See ausschüttet . Krischna seinerseits bespritzte wie - der die Damen mit Wasser , so wie zarte Regenschauer auf Schlingpflanzen herabrieseln . Wieder andere schwammen auf Flößen umher , die sehr verschiedenartig gestaltet waren , bald wie Kraniche , wie Pfauen , wie Schlangen , Delphine oder Fische . Einige , die auf ihren Brüsten gleich Wasser - krügen ruhten , schwammen in großer Heiterkeit umher . Gazellenäugige Weiber tummelten sich , nur äußerst dünn be - kleidet , im Wasser umher . Die edleu und herrlichen Für - sten unterhielten sich im Wasser mit den Frauenzimmern , die ihnen nachgefolgt und wohlgeübte Tänzerinnen und Sän - gerinnen waren . Obgleich man diese Weiber mit Gewalt aus ihrer Heimath weggeführt hatte , waren sie doch ganz hingerissen von der Liebenswürdigkeit der Fürsten , die ihrer - seits wieder sich an dem Gesang und dem Benehmen dieser reizenden Geschöpfe ergötzten . "
Nachdem das Baden vorüber , folgten Gesang und Tanz . Himmlische Weiber vollführten ihre Kunst zum Entzücken der Augen und Ohren der Zuschauer , die völlig hingerissen waren „ von den Seitenblicken , den Winken und dem Lächeln , der geheuchelten Unschuld , der Fröhlichkeit uud Gefälligkeit " . An allen anderen Genüssen und Bequemlichkeiten für die Badegäste fehlte es auch in diesem altindischen Seebade nicht . „ Von Eß - und Trinkwaaren , von Dingen , die gekaut , verschluu - gen , gesuckelt oder geleckt werden konnten , fehlte nicht das Geringste , und was gewünscht wurde , stand unmittelbar zur Verfügung . Doch das war alles nur Vorspiel , das Haupt - fest war für eine spätere Stunde aufbewahrt worden . Es folgten zunächst dramatische Vorstellungen , welche Scenen aus dem Leben der Götter und Heroen vorführten , wobei Frauen die Darstellerinnen waren . Die Badegäste unter - hielten sich alsdann mit Tanzen . „ Balarama , der Majestä - tische , den der Wein heiter gestimmt hatte , tanzte vergnügt mit seiner Fran , wobei er den Tact dazu mit den Händen schlug . " Er wird beschrieben als „ mit Sandelpaste einge - rieben , mit Augen , die unter dem Einflüsse des Weins blut - roth schimmerten , mit uustätem Schritte , seine Aufmerksam - keit nur der Gattiu widmend . In zwei Stücke Himmel - blauen Stoffes gekleidet , die hell schimmerten wie der Mond , mit sehnsuchtsvollen Blicken , erschien er reizend wie der Mond , der zum Theil von Wolken bedeckt ist . Mit einem mächtigen Ring im linken und einer Lotusblume im rechten Ohr blickte er lächelnden Auges auf seine Liebe . " Krischna nnd die anderen hervorragenden Persönlichkeiten der Gesell - schast gaben sich mit solchem Eifer dem Tanze hin , „ daß die Schöpfung voller Freude lachte . "
Jetzt erschien der brahmanische Weise Narada , der Ge - liebte der Götter , und tanzte , seine Locken aufgelöst , die verschiedensten Pas , wobei er es au Gliederverrenkungen und Gesticulationen nicht fehlen ließ . Der Weife war ein rechter Spaßvogel ; er verstand es prächtig , die Bewegungen , die Sprache , das Lächeln anderer nachzuahmen und versetzte auf diese Weise alle , die etwa noch ernst geblieben , in die heiterste Laune . Ja selbst den Gott Krischna ahmte er zu dessen Ergötzeu nach und Alles lachte so , daß die Augen von Thränen Überflossen . Wenn so die „ Weisen " des Volks sich erlnstirten , wie soll es da bei gewöhnlichen Sterbli - chen gewesen sein ? In der That waren die alten Hindu - Philosophen und Gesetzgeber fern davon , solche Heiligen uud Asketen zu sein , als welche sie wohl geschildert worden sind . Einige von ihnen erscheinen in den Dramer^uud Gedich - ten mit sehr weltlichen und fleischlichen Eigenschaften ans - gestattet .
Nachdem die Vergnügungen des Vormittags vorüber ,
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