204 Dr . Carl Emil Jung : Ai
Dörfer aus der Mark oder Schlesien versetzt , in Neu - Mecklen - bürg ist der deutsche Norden repröducirt . Dieselben hohen und spitzen Strohdächer , dasselbe bunt bemalte Balkenwerk , zwischen dem eben so bunten Fachwerk , Thüren und Fenster - grell angestrichen , umgeben von Schuppen und Hos , in denen sich Männer in laugen blauen Röcken und Frauen in rothen Kopftüchern und geblümten Kleidern aus derber Leinwand bewegen . Hier ist noch alles deutsch . Der Mann fährt sein Getreide auf den Markt und die Mühle und lernt sich in englischer Sprache verständlich machen , aber die Frau , die zu Hause bleibt und in Hof und Küche schafft , versteht nur ihre Muttersprache . Die Kinder fassen das Englische schnell . Sie müssen es schon in der Schule lernen , denn wenn auch die religiösen Gemeinden der Deutschen die Unter - stützuug des Staates für ihre Schulen nicht annehmen , weil in den Staatsschulen der Unterricht nur ein seknlärer sein darf , so erkennen sie doch die Wichtigkeit der englischen Sprache an und machen die Ertheilung des Unterrichts in derselben ihren Lehrern zur Pflicht , denn der Lehrer ist Gemeindelehrer . Seine Stellung erinnert an die des Küsters auf unseren Dörfern , auch in seinem Verhältniß zum Herrn Pastor . Der Herr Pastor in Australien ist ein etwas von seinen deutschen Brüdern verschiedener Mann . Manch einer kommt voll ausgebildet , manch einer bildet sich in Australien aus . Er fühlt den Beruf , läßt sich von einem schon fungi - renden Geistlichen vorbereiten und später von der Synode ordiniren . Die Anforderungen werden wohl nicht zu hoch sein ; die Synode besteht aus Männern , welche dieselbe Car - riere gemacht haben . Das Einkommen von den oft weit zerstreuten Gemeinden ist gewöhnlich nicht sehr groß , doch weiß man sich zu helfen . Die Ermahnung : Seid klug wie die Schlangen , fiel nicht immer in unempfängliche Herzen . So fand der Geistliche einer Gemeinde nach seinem Antritt heraus , daß sein Vorgänger die Tausen und Trauungen nicht rite vollzogen habe ; man mußte die Ceremonie wiederholen . Natürlich war auch der neue Arbeiter seines Lohnes Werth und das verhalf ihm zur Ausstattung seines Hauses . Ein anderer Geistlicher hatte die Besitzungen der Kirche und Schule der Gemeinde , als deren Vertreter er bestellt war , vor Gericht auf seinen Namen eintragen lassen . Man ver - traute voll und ganz auf den Mann Gottes und alles ging Jahre lang aufs Beste . Aber es muß in dieser Welt zu Aergeruiß kommen und Aergerniß kam auch nach Bethel . Man entzweite sich . Die Gemeinde schrieb ihrem Seelsorger einen Absagebrief und wollte sich in Besitz ihres Eigenthums setzen . Aber so wehe dem Hirten die Abtrünnigkeit seiner Herde that , das anvertraute Gut gab er nicht heraus . Nur dieselben Hände , aus denen er es empfangen hätte , sollten es von ihm wieder erhalten . Aber da diese Hände schon seit lange in Staub zerfallen sind , so ist die Wahrscheinlichkeit , der hochehrwürdige Herr wird im Genuß des recht eiuträg - lichen Besitzthums noch lange bleiben . Kein irdisches Gericht vermag sein Recht anzufechten .
In einer Hinsicht spiegeln die Deutschen Australiens die vaterländischen Zustände getreulich wieder , in ihrer Zerrissen - heit . Unter den religiös Gesinnten geben dogmatische Spitz - sindigkeiten nicht selten Anlaß zum Streit . „ Es macht einen Eindruck sonderbarer Art , schlichte schlesische Landleute mit Erbitterung über AntichiUasmus und Chiliasmus , über doua - tistische und novatiauische Jrrsale u . s . w . sich gegenseitig bekriegen zu sehen . Daß die verschiedenen Sekten um so mehr sich hassen , je näher sie stehen , scheint nirgend anderswo mehr sich zu bestätigen als unter den Deutschen in Süd - australien " x ) . Die nicht strengkirchliche Bevölkerung wird
i ) Heising , Südaustralien 1852 , S . 33 .
tralische Typen und Skizzen .
von jenen Orthodoxen aber mit einer gewissen Scheu an - gesehen , etwa in derselben Weise wie sie den Gottseibeiuns begrüßen möchten , sollte er unter ihnen erscheinen . Nament - lich scheint der „ schlichte schlesische Landmann " die Hauptstadt des deutschen Kaiserreichs für eine Art Sodom und Gomorrha zu halten ; die Leute sahen so aus , als möchten sie ein Kreuz vor uns schlagen , wenn ich erwähnte , meine Heimath liege nahe bei Berlin .
Mit den deutschen Einheitsbestrebungen konnten jene Leute keine Sympathien haben oder , wenn sie solche hatten , mußten sie dieselben doch unterdrücken . Denn ihren Hirten ist Bismarck und alles , was an ihm ist , ein Gräuel . Ver - folgte er doch Andersgläubige um ihrer Religion willen , und waren nicht sie selbst durch Verfolgungen aus dem Vater - laude getrieben ? Darum gefiel ihnen auch der gottlose Krieg von 1870 nicht . Der alte , noch nicht ganz zerfressene Kern ließ sich freilich doch nicht recht verleugnen und , wenn auch die Herren Pastoren traurig den Kopf schüttelten , als nachricht Uber Siegesnachricht anlangte , der deutsche Land - mann , der ja doch meistens auch einmal das doppelte Tuch getragen hatte , konnte die Freude nicht recht unterdrücken , zumal wenn ihm die Zeitungen wohlbekannte Namen aus alter Zeit , sein Regiment , die alten Führer wieder ins Ge - dächtniß riefen . Der alte Adam war noch nicht ausgezogen . Darum , als die Deutschen Südaustraliens ein großes Friedens - und Freudensfest veranstalteten und von überall die deutsche Bevölkerung nach Tanuuda am Fuß des Kaiserstuhls zu - sammenströmte , hielten sich die geistlichen Herren fern und sie hielten auch ihre Schullehrer fern ; denn über die armen Seelen hatten sie die Macht , welche die Abhängigkeit vom Brote giebt . Aber die deutschen Bauern kamen auf ihren Wagen mit Kind und Kegel daher gerasselt und lachten mun - ter , wenn sie an die kommende Buße erinnert wurden . Das Vergnügen war die Pöuitenz schon werth , welche der Pastor und ein paar griesgrämige Aelteste aufzuerlegen nicht ver - fehlen würden .
Die Deutschen haben eine ruhige Beharrlichkeit , die den Engländern , besonders aber den Jrländern , abgeht . Zwar besitzen sie nicht denselben Unternehmungsgeist und sind etwas langsamer in ihrem Denken und Thun als die Briten , aber erreichen sie auch nicht dieselben glänzenden Erfolge wie jene , sie erwerben sich doch in der Regel respektable Kompetenzen . Die Ländereien , welche der irländische Nachbar nicht mehr zu bewirthschasten versteht und verläßt , kauft der Deutsche auf und weiß ihnen gute Ernten abzugewinnen . Auf der Norke - Halbinfel , die früher für den Ackerbau ungeeignet schien , haben deutsche Landleute mehr als eine Ortschaft gegründet . Nach dem Urtheile der englischen Kolonisten selber sind die Deutschen zu den besten Kolonisten und tüchtigsten Bürgern des Staates zu rechnen .
In allen Lebensstellungen ist es dem Deutschen gelungen , sich eine geachtete Stellung zu erringen . Municipale Wür - den sind oft von deutschen Männern bekleidet worden , Deutsche sind in die koloniellen Parlamente gewählt worden . Ein Deutscher , Sir Julius Vogel , ist lange Zeit der faktische Leiter von Neuseeland gewesen . Die Bedeutung dieser Män - ner hat ein mehr lokales Interesse . Aber wir haben auch deutsche Namen , deren Träger sich hohe Verdienste um ihr adoptirtes Vaterland erwarben und zugleich in ihrer Thätig - keit über den engern Kreis ihres Berufswirkens hinaus - gingen . Nicht nur in Australien , sondern auch überall , wo wissenschaftliche Bestrebungen ein größeres Feld überschauen , sind solche Namen gekannt wie die von Ferdinand von in Melbourne , von Julius Haast in Ehristchurch ( Neusee - land ) , von Richard Schombnrgk in Adelaide , von Georg Neumayer , dem frühern Astronomen Victorias von noch