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Full Text: Globus, 36.1879

A . Glitsch : Bilder aus t 
trifft , ist es möglich , es lebendig zu fangen . Es flieht zwar auch schon mit großer Geschwindigkeit , aber die Kräfte gehen bald zu Ende ; es wirft sich erschöpft auf den Boden und läßt sich greifen . Ist es aber bereits einen Tag alt geworden , so ist der Fang nicht mehr möglich . Das Thier kann nur überlistet und geschossen werden . Man hat auch versucht es in Schlingen zu fangen , gewöhnlich aber findet man es verletzt , indem es bei den energischen Anstrengungen sich zu befreien eines oder mehrere der zarten , schlanken Beine gebrochen hat . Kurz nach der Geburt eingefangen kann es sich zwar an sei - nen Wärter gewöhnen , ist aber doch sehr schreckhaft und dauert nicht leicht in der Gefangenschaft aus . Die freie weite Steppe allein ist ihm genügender Tummelplatz ; die Eut - fernung ist ihm kein Hinderniß . Die wenigen Quellen der Steppeu müssen für das Bedürfniß der weit zerstreuten Gazellen dienen . Heute sind sie hier , morgen da . 
Will nun der Jäger sich der Antilope bemächtigen , so naht er sich bis auf einige hundert Schritt der Stelle , an der ihn die von Zeit zn Zeit aus dem Gras auftauchenden Geweihe die Anwesenheit eines ruhenden Rudels verrathen . Nun aber reicht es nicht mehr ans , in gebückter Stellung näher zu gehen , sondern es gilt , aus dem Leib rutschend mit so wenig Geräusch als möglich unter dem Wind sich zu uä - Hern . Mauche Jäger tragen , um möglichst lange unkennt - lich zu sein , Wams und Mütze von Antilopenfell . Es ist keine geringe Strapaze , besonders während des Sommers , dicht an die heiße Erde gedrückt , in der vor Hitze sich bewe - genden Luft , an Schlangen , Spinnen und anderm Ungeziefer vorbei , eine Strecke von 150 bis 200 Schritt in kriechender Stellung zurückzulegen . Manchmal gelingt es , das Wild noch im Lagern zu überraschen , manchmal aber ist es auf das unvermeidliche Geräusch aufmerksam geworden ; das Familienhaupt mit stattlichem Geweih springt aus und lugt umher ; und gelingt es jetzt dem Jäger nicht , seinen Schuß anzubringen , so befindet sich im nächsten Augenblick das Rudel auf wilder Flucht , die sich in so weite Ferne erstreckt , daß jener meist nicht daran denken kann , ihm zu folgen . 
Die Wolfsjagd und der Wolfsfang wird im Winter betrieben und zwar anf verschiedene Weise . Häufig wird dies Wild auf Treibjagden , die ihm zu Ehren angestellt werden , erlegt ; noch häusiger aber in Tellereisen gefangen und dann geschossen . 4 Das Aufstellen der Fallen muß mit großer Sorgfalt geschehen , da der Wolf überaus mißtrauisch ist , sehr leicht Gefahr wittert und dann selbst durch den Hunger nicht zu bewege» ist , sich der Falle zu nähern . Auch hier muß die List dienen . Der Jäger schleift den Köder an einem Strick auf dem Schnee hinter dem Schlitten her und durchfährt kreuz und quer das Terrain , auf dem Wölfe sich aushalten , um ihueu Witterung der Lockspeise zu geben . Dann stellt er in der Schlittenspur das Tellereisen unter den Schnee und gleicht denselben so aus , daß er sich von der fortlaufenden Schlittenspur nicht unterscheidet , und so gelingt es ihm , den Wolf in das Eisen zu bringen . Oder es wird der Köder an einen passenden Ort gelegt , derselbe aber nicht mit einer Falle versehen , sondern diese werden ringsherum an geeigneten Stellen , Steinen , Baumstümpfen uud aus dem Schnee hervorragenden Gegenständen , bei denen der Wolf sich gern aufhält , verborgen . Er ist jedoch viel zu klug , direkt an den Köder zu gehen , sondern umkreist ihn oft tagelang , sitzt in einiger Entfernung und heult vor Huu - ger auf herzbrechende Weife . Wenn er sich anf diese Art vergewissert hat , daß keine Gefahr vorhanden ist , naht er sich langsam , avancirt und retirirt , weil er sich immer noch 
n südlichen Wolga - Steppen . 207 
nicht entschließen kann , uud geräth bei diesem Hin - und Herlaufen in der Nähe der Lockspeise in die Falle , in wel - cher ihn der Jäger dann erschießt . 
Aber nicht alle Excursiouen des Steppenbewohners sind so blutdürstiger Natur . Wie ich schon früher bemerkte , ist der Herbst fast die einzige für Ansflüge geeignete Zeit . Daß weder bedeutende Höhepunkte , noch schöne Parkanlagen , noch auch lockende Restaurationen Zielpunkte solcher Par - tien sein können , ist selbstverständlich . Das gemüthliche Zusammensein muß die mangelnde Schönheit der Natur ersetzen . Da Fuhrwerk meist vorhanden ist , so können auch weitere Touren mit Kind und Kegel unternommen werden . 
Da wendet man sich vielleicht zunächst zum gewaltigen Wolgastrom . Er ist wieder in sein Bett zurückgetreten , die Vorländer und Sandbänke sind trocken geworden und bieten mit ihren sandigen Flächen und dichtem Weidicht einen vor - züglichen Spiel - und Versteckplatz für den kindlichen Theil der Gesellschaft . Da bauen die einen im Dickicht aus Weidenzweigen und dem mannshohen , wilden Spargel Hüt - ten , in denen es sich gut wohnen läßt , andere waten in zu - rückgebliebenen Lachen und Pfützen umher , fangen in Mützen und anderen Gefäßen kleine Fische und versetzen diese in künstliche Teiche , die sie mit den Händen in den unteren , noch feuchten Sandschichten gegraben haben . Die Erwach - senen vergnügen sich mit Angeln im Strom oder dnrchstrei - chen mit der Flinte das Dickicht , während der weibliche Theil der Gesellschaft für die leiblichen Bedürfnisse sorgt . 
Oder man wählt zum Platz des Vergnügens eine mit Wald und Wiesen durchzogene Schlucht des Steppenplateaus und bivouakirt hier den vollen Tag . Die Rohmaterialien für das Tagesbüffet werden in den geräumigen Droschken^ kästen und der unentbehrliche Feldkessel unter die Droschke gebunden mitgeführt . Am Platz angelangt , macht man zu - vörderst Entdeckungsreisen in dem mit Unterholz und hohem Unkraut bewachsenen Wald , liest trockenes Holz zusammen , das zum Kochen des Mittagsmahles dienen soll , und ver - gnügt sich , ein jedes auf seine Weise . Die Anstalten zum Diner beginnen auf höchst primitive Art , indem zwei Ast - gabeln von einem Baum gehauen uud in die Erde eingeschla - gen werden . Ein über beide gelegter starker grüner Stock trügt den Kessel , in welchen die Ingredienzen zum sogenannten „ Steppenfutter " gethan werden . Diese sind Schaf - oder Rindfleisch , Kartoffeln , Zwiebeln , Pfeffer und Salz , und geben eine sehr kräftige , wohlschmeckende Snppe , die aus lackirteu russischen Holzschüsseln mit eben solchen Holzlöffeln genossen wird . Nach Tisch wird Siesta gehalten auf bloßer Erde unter Bäumen oder in der schaukelnden Hängematte , während die Kinder sich in ihre von Tüchern und Kleidnngs - stücken zwischen den Bäumen coustruirteu , sogenannten Hütten zurückziehen , selten aber zum Schlafe kommen . Der spätere Nachmittag verstreicht unter Spaziergängen und Spielen , und am Abend vereinigt der Samowar , die Theemaschine , die in Brand zu stecken ein einfacher Stiefel als Blasebalg gedient hat , die Gesellschaft zum Nachtessen . So einfach und wenig bietend ein solcher Tag im Freien erscheinen mag , so hat er doch nicht bloß für die Kinderwelt , sondern auch für den genügsamen Steppenbewohner seine besonderen Reize , die sich aber schwer beschreiben lassen . Ist es das Gefühl der Freiheit in der noch nicht von der Kultur beleckten Gegend ? Ist es die wenn auch nur kärglich ausgestattete Natur , auf die man in Ermangeluug von anderen anziehenden geistigen Genüssen allein hingewiesen ist , wer will es sagen ? Nur ein Kind der Steppe fühlt es !
	        
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