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Full Text: Globus, 72.1897

Kurt Hassert: Der Fuciner See einst und jetzt. 
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Umwohner anstellen liefs. Er wollte durch Reinigung 
der gänzlich verstopften Sauglöcher den Fluten einen 
Ausweg verschaffen; aber der See hatte einen so hohen 
Stand erreicht, dafs man nicht bis zu den Ponoren ge 
langen konnte. Die Entwässerungsarbeiten, die zu Be 
ginn des 17. Jahrhunderts durch den Fürsten Lorenzo 
Colonna mit Unterstützung der beteiligten Gemeinden 
aufgenommen wurden, mufsten wegen Geldmangels wieder 
aufgegeben werden. Seitdem hielt man die Bezwingung 
des Fucino für ein übermenschliches Unternehmen, ja 
der Claudische Emissär lief Gefahr, gänzlich in Ver 
gessenheit zu geraten, und 200 Jahre hindurch geschah 
nichts, um seinen Verheerungen entgegenzutreten. 
Als der See seit 1780 wiederum in verhängnisvoller 
Weise anwuchs, liefs König Ferdinand IV. (später Fer 
dinand I.) durch den Ingenieur Ignazio Stile und den 
Abbate Giuseppe Lolli einen Plan entwerfen, der auf 
eine Reinigung und Neueröffnung des verschütteten und 
verfallenen Emissärs abzielte. Trotz der beträchtlichen 
Kosten, die schon die Vorarbeiten verursachten , wurde 
der Bau 1790 in Angriff genommen und zwei Jahre 
lang fortgesetzt, bis er infolge der politischen Wirren 
der napoleonisclien Zeit ins Stocken geriet und nach 
langjährigen unfruchtbaren theoretischen Streitigkeiten 
erst unter Ferdinands Nachfolger weitergeführt ward. 
Der tüchtige Ingenieur Afan de Rivera schlug einen 
ganz neuen Weg ein, indem er den Tunnel erst voll 
ständig trocken legen und dann von Grund auf neu 
ausbauen wollte. Die Arbeiten fielen zufällig in eine 
Periode beständigen Rückganges des Sees und konnten 
deshalb rüstig gefördert werden. Alle Reisenden, die 
um jene Zeit den Fucino besuchten, schildern mit be 
redten Worten die rege Thätigkeit, die von 1825 bis 
1835 ununterbrochen auhielt und eine vollständige Aus 
räumung des gänzlich verschütteten Emissärs zur Folge 
hatte. Noch aber galt es, umfassende Vorkehrungen zu 
treffen, um den Kanal gegen die Gewalt des einströmen 
den Wassers zu sichern, und Afan de Rivera machte in 
seinem oft erwähnten, gründlichen Buche eine Reihe 
beherzigenswerter Vorschläge. Da starb er, bevor sein 
Werk ganz vollendet war. Nach seinem Tode erlahmte 
das rege Hasten und Treiben oder hörte zeitweilig ganz 
auf, zumal auch der König die Lust an dem kost 
spieligen Unternehmen verlor und seine Weiterführung 
der Privatinitiative iiberliefs; und ein neues Anschwellen 
des Sees vernichtete mit einemmale alle bisher gemachten 
Fortschritte. Da sich die Holzverschalungen der Kanal 
wände und die aufgehäuften Baumaterialien im Tunnel 
festsetzten und ihn fast verstopften, so wurden die Über 
schwemmungen des Sees ärger als zuvor und hatten 
1851 einen solchen Grad erlangt, dafs die verzweifelnden 
Bewohner ihren vollständigen Ruin vor Augen sahen. 
Diesmal mufste auf jeden Fall geholfen werden, und es 
ward geholfen. Um die Staatskasse zu schonen, veran- 
lafste König Ferdinand II. die Bildung einer Aktien 
gesellschaft, die gegen Überweisung des neugewonnenen 
Landes den Lago Fucino aus Privatmitteln trocken 
legen sollte. Die neugegründete Gesellschaft stiefs aber 
auf ungeahnte Schwierigkeiten, namentlich seitens der 
neapolitanischen Beamten, und konnte die erforderliche 
Summe nicht aufbringen. Da entschlofs sich ein hoch 
herziger römischer Millionär, der Banquier I ürst 
Alexander Torlonia, den unwürdigen Zuständen ein Ende 
zu machen. Bereits an der Hälfte des Gesellschafts 
kapitals beteiligt, während englische Kapitalisten die 
andere Hälfte auf bringen wollten, mit ihren borde- 
rungen aber abgewiesen wurden, kaufte er sämtliche 
Aktien auf und machte sich anheischig, die Bezwingung 
des ungebändigten Sees ganz und gar auf eigene Kosten | 
und Gefahr zu übernehmen unter der Bedingung, den 
trockengelegten Boden als Eigentum zu erhalten ]7 ). 
Noch in demselben Jahre, in dem sich Fürst Torlonia 
zur Verwirklichung des kühnen Unternehmens bereit 
erklärt hatte, 1854 (also 1800 Jahre nach Fertigstellung 
des Claudischen Emissärs), begannen die Arbeiten unter 
der Leitung des rühmlichst bekannten französischen 
Ingenieurs F. M. de Montricher, des Erbauers des die 
Durance mit Marseille verbindenden Kanals. Als er 
schon vier Jahre später im Alter von kaum 48 Jahren 
starb, folgte ihm sein minder ausgezeichneter Stellver 
treter Bermont, und nach dessen Tode (1872) führte 
der ebenfalls seit langem am Fucino beschäftigte Inge 
nieur A. Brisse (1892 gestorben) den Kanalbau glück 
lich zu Ende. 
Um die Niederung nicht blofs teilweise, sondern 
gänzlich trocken zu legen und sie auch in Zukunft vor 
Überschwemmungsgefahr zu schützen, schlug Montricher 
vor, den Claudischen Emissär im allgemeinen beizube 
halten, seinen unzureichenden Querschnitt aber auf 12 
oder 20 m 2 zu erweitern, damit er in letzterem Falle 
in der Sekunde mindestens 50 cbm Wasser abzuführen 
vermöchte. Trotz der beträchtlichen Mehrausgaben, die 
er verursachte, wurde der zweite Vorschlag angenommen, 
weil er für den Erfolg des Unternehmens, vor allem für 
die vollständige Austrocknung des Sees, die beste Ge 
währ bot. 
Die Ausführung des Werkes hatte von vornherein 
mit ungewöhnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, und 
die Umwohner hegten ernstliche Besorgnisse, ob wohl 
der See vom Fürsten Torlonia oder Torlonia vom See 
würde trocken gelegt werden. Da es gar keine Beob 
achtungen über die klimatischen Verhältnisse und über 
die Beziehungen der Niederschlagsmenge zur Verdunstung 
gab, von denen in erster Linie das Fallen und Steigen 
und die Schwankungen des Sees abhingen, so wurde 
ein meteorologischer Dienst eingerichtet, um auf Grund 
der gewonnenen Ergebnisse den Querschnitt der im 
Becken anzulegenden Abzugskanäle, die Höhe und 
Stärke der Schutzdämme und den Durchmesser des 
Emissärs berechnen zu können. Die zum Bau erforder 
lichen Werkzeuge und ein grofser Teil des Rohmaterials 
mufsten aus weiter Ferne, aus Neapel, ja aus Frank 
reich, herbeigeschafft werden; und wegen der mangel 
haften Verbindungen war es notwendig, zuvor eine 
Fahrstrafse zwischen Neapel und dem Fucino anzulegen. 
Die durch jahrhundertelanges Elend abgestumpften Um 
wohner des Sees zeigten keine Lust und kein Verständ 
nis für den Kanalbau, so dafs anfangs fremde Hand 
werker, namentlich Provengalen, herbeigezogen werden 
mufsten, die mit gutem Beispiel vorangingen und all 
mählich das Interesse der Eingeborenen weckten. Da 
aufserdem die Umgebung des Sees von allen Hülfs- 
mitteln entblöfst war, so mufsten erst Fabriken, Maga 
zine u. s. w. errichtet werden, bevor der eigentliche 
Tunnelbau in Angriff genommen werden konnte. 
Die Arbeiten begannen am 10. Juli 1854 damit, dafs 
man nach dem Vorbilde der alten Römer einen doppelten * 11 
17 ) v. Rennenkampff, a. a. O., I, S. 282.—Hirt, a. a. O., 
11. Stck., S. 53, 54, 75 bis 79. — Beschreibung des König 
reichs Neapel S. 306. — Ausflüge in den Abruzzen, S. 154. 
— Afan de Rivera, Progetto III, S. 69 bis 79, 81 bis 372.— 
Kramer, a. a. O., S. 35, 37, 39, 55. — Der See Fucino, S. 1153. 
— Knop, a. a. 0., S. 647 bis 648. — Amato, a. a. 0., S. 6, 
7. — Gallenga, a. a. O., S. 172. — Brisse et Rotrou, a. a. 0., 
S. 5, 44 bis 58, 65 bis 73. — Geffroy, L’Archéologie, S. 3 bis 
11. — Desgrand, a. a. 0., S. 14, 15. — Abbati, a. a. 0., 
S. 137. — Eine friedliche Annexion, S. 235. — Filippis, 
a. a. 0., S. 23, 24, 26 bis 32, 34 bis 43. — Carta idrograflca 
d’Italia, p. 78 bis 81.
	        
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